Protokoll:
15169

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 169

  • date_rangeDatum: 14. April 2005

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:46 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/169 Deutschen Bundestages (Drucksache 15/5207) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP: Wahl des Wehrbeauftragten des Deut- schen Bundestages (Drucksache 15/5228) . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Drucksachen 15/5207, 15/5228) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken CDU/CSU: Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen verbessern – Wachs- tumspotenzial der Weiterbildung nutzen (Drucksache 15/5024) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Konsequenzen aus dem Studien- gebührenurteil für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung des Bundes (Drucksache 15/4931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15764 D 15764 D 15765 A 15766 A 15766 B Deutscher B Stenografisc 169. Si Berlin, Donnerstag, I n h a Nachruf auf Papst Johannes Paul II. . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Marga Elser, Dr. Sigrid Skarpelis- Sperk, Joachim Hörster und Erwin Marschewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Wahl des Wehrbeauftragten des 15763 A 15763 C 15764 C 15764 C (Drucksache 15/5255) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 15766 A undestag her Bericht tzung den 14. April 2005 l t : Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Chancen der jungen Generation in Deutschland durch Bildung und Ausbil- dung verbessern (Drucksache 15/5259) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Katherina Reiche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der 15766 A Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15766 C 15769 B II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Keine Aufhebung des EU-Waffen- embargos gegenüber China (Drucksache 15/5103) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . . . Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . . . Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention (Drucksache 15/5214) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abfallver- 15772 C 15774 A 15775 D 15777 D 15779 C 15780 D 15781 C 15782 C 15783 D 15785 A 15785 D 15786 C 15787 A 15787 C 15787 D 15790 C 15794 C 15794 D 15795 A 15796 C 15798 D 15799 D 15800 B 15800 D 15803 D 15804 C 15805 B 15805 C 15806 D bringungsgesetzes sowie zur Auflösung und Abwicklung der Anstalt Solidar- fonds Abfallrückführung (Drucksache 15/5243) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sieb- ten Gesetzes zur Änderung des Versi- cherungsaufsichtsgesetzes (Drucksache 15/5221) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes sowie des Hochschulstatistikgesetzes (Drucksache 15/5215) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Novellierung des Verwaltungs- zustellungsrechts (Drucksache 15/5216) . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umbenennung des Bundes- grenzschutzes in Bundespolizei (Drucksache 15/5217) . . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EG) 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EG-Vollstreckungstitel- Durchführungsgesetz) (Drucksache 15/5222) . . . . . . . . . . . . . . . h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen der Verein- ten Nationen vom 15. November 2000 gegen die grenzüberschreitende organi- sierte Kriminalität sowie zu den Zusatz- protokollen gegen den Menschenhan- del und gegen die Schleusung von Migranten (Drucksache 15/5150) . . . . . . . . . . . . . . . i) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Belastun- gen für Nordhorn und Siegenburg durch neue Nutzungsanordnung für die dortigen Luft-Boden-Schießplätze redu- zieren (Drucksache 15/5047) . . . . . . . . . . . . . . . j) Antrag des Präsidenten des Bundesrech- nungshofes: Rechnung des Bundesrech- nungshofes für das Haushaltsjahr 2004 – Einzelplan 20 – (Drucksache 15/5005) . . . . . . . . . . . . . . . 15806 D 15807 A 15807 A 15807 A 15807 A 15807 B 15807 B 15807 B 15807 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 III Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrecht- lichen Rehabilitierungsgesetzes (Drucksache 15/5244) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richt- linie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. De- zember 2003 zur Änderung der Richt- linie 96/82/EG des Rates zur Beherr- schung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Drucksache 15/5220) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Bundesregierung: Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedens- mission der Vereinten Nationen in Sudan UNMIS (United Nations Mission in Sudan) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 (Drucksache 15/5265) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche Forderungen aus der CDU zur Zukunft des BAföG . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katherina Reiche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Rachel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . . Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15807 C 15807 C 15807 D 15808 A 15808 A 15809 B 15811 A 15812 A 15813 C 15814 D 15815 C 15816 C 15817 D 15820 C 15822 A 15823 B 15824 C 15825 C Tagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf, Sabine Bätzing, Ute Berg, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jutta Dümpe-Krüger, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft der Freiwilligendienste – Ausbau der Jugendfreiwilligendienste und der generationsübergreifenden Freiwilligen- dienste als zivilgesellschaftlicher Genera- tionenvertrag für Deutschland (Drucksachen 15/4395, 15/5175) . . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Weigel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrs- wegeplanungsbeschleunigungsgesetzes (Drucksache 15/5102) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungs- beschleunigungsgesetzes (Drucksache 15/4536) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsge- setzes (Drucksache 15/5258) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15826 C 15826 D 15828 A 15830 B 15831 C 15833 A 15834 B 15836 A 15837 C 15837 D 15837 D 15838 A 15839 B IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Uta Zapf, Gernot Erler, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Marianne Tritz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Verbreitung der Kernwaffen ver- hindern und die nukleare Abrüstung stärken – Die Überprüfungskonferenz 2005 des Atomwaffensperrvertrags (NVV) zum Erfolg führen (Drucksache 15/5254) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungs- kontrolle, Abrüstung und Nichtverbrei- tung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüs- tungsbericht 2003) (Drucksachen 15/3167, 15/5143) . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Harald Leibrecht, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtver- breitungsregimes stärken – US-Nuklear- waffen aus Deutschland abziehen (Drucksache 15/5257) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Weigel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Raidel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15840 A 15841 A 15842 C 15844 A 15845 B 15845 C 15845 C 15845 D 15847 B 15849 A 15850 D 15851 D 15852 D 15854 A 15855 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Em- mendingen), Dr. Christian Ruck, Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Entschuldung voran- bringen – Gute Regierungsführung und Armutsbekämpfung unterstützen (Drucksache 15/4659) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Heinrich (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Ernährung als Menschenrecht – zu dem Antrag der Abgeordneten Bernhard Schulte-Drüggelte, Peter H. Carstensen (Nordstrand), Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Welternährung sichern – eine globale Verantwortung für die nationale und europäische Agrarpolitik (Drucksachen 15/3956, 15/3940, 15/4408) . . Reinhold Hemker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD) . . . . . 15856 D 15857 A 15859 B 15860 B 15861 C 15862 B 15863 A 15863 C 15864 C 15864 D 15866 D 15867 D 15869 A 15869 C 15870 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 V Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Rainer Funke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Gegen die Zerfaserung wettbewerbsrechtlicher Kompetenzen (Drucksache 15/4561) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Schauerte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Engelbert Wistuba, Horst Kubatschka, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Ursula Sowa, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die vielfältigen Potenziale des Wirtschaftsfaktors Kulturtouris- mus weiter erschließen (Drucksache 15/5120) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Ernst Burgbacher, Marita Sehn, Helga Daub, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung – 14./15. Legis- laturperiode – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tourismuspoliti- scher Bericht der Bundesregie- rung – 14./15. Legislaturperiode (Drucksachen 15/1799, 15/1303, 15/4623) Engelbert Wistuba (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bürokratieabbau bei der Kre- ditvergabe voranbringen (Drucksache 15/4842) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15871 D 15872 A 15872 D 15874 C 15876 A 15877 A 15877 B 15877 C 15879 A 15881 C 15882 D 15883 C 15884 D Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Andrea Wicklein, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Rahmenbedin- gungen für die industrielle stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstof- fen in Deutschland schaffen (Drucksache 15/4943) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die vielfälti- gen Potenziale nachwachsender Roh- stoffe für die nachhaltige Entwicklung ausschöpfen (Drucksache 15/3358) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Kortmann, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Entwicklungszusam- menarbeit der EU konstruktiv weiter- entwickeln – Effizienz und Nachhaltig- keit verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ralf Brauksiepe, Dr. Christian Ruck, Peter Hintze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mehr Mut zur Reform der EU-Entwicklungszusam- menarbeit (Drucksachen 15/2338, 15/1215, 15/4972) . . Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Energieeinsparungs- gesetzes (Drucksache 15/5226) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15885 A 15885 B 15885 C 15885 D 15886 A 15887 B VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben), Angelika Krüger-Leißner, Gudrun Schaich-Walch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ursula Sowa, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stärkung der Künstlersozialversicherung (Drucksache 15/5119) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Mündliche Fragen 23 und 24 Dirk Niebel (FDP) Kosten für den virtuellen Arbeitsmarkt der Bundesagentur für Arbeit sowie Kosten für die Ablösung der Fachverfahren coArb und COMPAS (168. Sitzung, Drucksache 15/5229) Antwort Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA Anlage 4 Mündliche Fragen 25 und 26 Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) Ergebnisse der bisherigen Umsetzung des virtuellen Arbeitsmarktes der Bundesagen- tur für Arbeit hinsichtlich des erforderli- chen Finanzvolumens und einer Verbesse- rung der Stellenvermittlung; zuständiges Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (168. Sitzung, Drucksache 15/5229) Antwort Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA 15888 D 15889 C 15890 B 15891 C 15891 D 15893 A 15893 A 15895 B 15896 B Anlage 5 Mündliche Fragen 29 und 30 Ernst Hinsken (CDU/CSU) Höhe der Zahlungsrückstände bezüglich des in Moskau 1998 vereinbarten Barterge- schäftes, Ergebnis der Rekonstruierung der vereinbarten Finanzkredite und Höhe der zurückfließenden Beträge (168. Sitzung, Drucksache 15/5229) Antwort Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Antrag: Verbreitung der Kernwaffen ver- hindern und die nukleare Abrüstung stär- ken – Die Überprüfungskonferenz 2005 des Atomwaffensperrvertrags (NVV) zum Erfolg führen – Beschlussempfehlung und Bericht: Be- richt der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Ab- rüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2003) – Antrag: Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbreitungsregimes stärken – US- Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen (Tagesordnungspunkt 6 a und b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bürokratieabbau bei der Kre- ditvergabe voranbringen (Tagesordnungs- punkt 17) Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . Jutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Rahmenbedingungen für die industrielle stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in Deutschland schaffen 15896 C 15897 A 15897 C 15898 D 15900 A 15901 B 15902 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 VII – Die vielfältigen Potenziale nachwachsen- der Rohstoffe für die nachhaltige Entwick- lung ausschöpfen (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Lamp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Die Entwicklungszusammenarbeit der EU konstruktiv weiterentwickeln – Effizienz und Nachhaltigkeit verbessern – Mehr Mut zur Reform der EU-Entwick- lungszusammenarbeit (Tagesordnungspunkt 14) Karin Kortmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Stärkung der Künstlersozialver- sicherung (Tagesordnungspunkt 18) Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . Matthias Sehling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Vera Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . 15902 C 15903 B 15904 A 15905 B 15906 A 15907 B 15908 B 15909 C 15911 C 15912 B 15913 B 15915 A 15916 B 15917 C 15918 A 15918 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15763 (A) (C) (B) (D) 169. Si Berlin, Donnerstag, Beginn: 9
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    1) Anlage 10 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15893 (A) (C) (B) (D) Klaus Barthel Martina Eickhoff Petra Heß Monika Heubaum Nicolette Kressl Volker Kröning Volker Neumann (Bramsche) Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Karl-Hermann Haack (Extertal) Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hilde Mattheis Markus Meckel (Heringen) Gerhard Rübenkönig Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth Lothar Binding (Heidelberg) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Lilo Friedrich (Mettmann) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Frank Hofm (Volkach) Eike Hoverm Klaas Hübn Christel Hum Lothar Ibrüg Brunhilde Ir Renate Jäge Klaus-Wern ann ann er me ger ber r er Jonas (Backnang) Christine Lehder Waltraud Lehn Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann Gabriele Lösekrug- Möller Erika Lotz Karin Rehbock- Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel Riemann- Hanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe Rene Röspel Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Ute Berg Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann (Chemnitz) Walter Hoffmann (Darmstadt) Iris Hoffmann (Wismar) Krüger Angelika Krüger- Leißner Horst Kubatschka Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe (Starnberg) Marga Elser Gisela Hilbrecht Dr. Hans-Ulrich Dietmar Nietan Anlage 1 Abgeordnete(r) Carstensen (Nordstrand Peter H. Dominke, Vera Anlage 2 der Mitglied Deutschen B SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr (Neuruppin) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel (Berlin) Liste der entsc einsc ), CDU/CSU 14.0 CDU/CSU 14.0 er des Deutschen Bu undestages teilgenomm Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler- Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Peter Dreßen Elvira Drobinski- Weiss Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel entschuldigten Abgeor huldigt bis hließlich 4.2005 4.2005 Pieper, Cor Vogel, Volk Uwe Abgeordnete( Namensverzeichnis ndestages, die an der W en haben Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann (Wackernheim) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Anlagen zum Stenog dneten nelia FDP mar CDU/CS r) ahl des Wehrbeauftr Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Dr. Heinz Köhler (Coburg) Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz rafischen Bericht 14.04.2005 U 14.04.2005 entschuldigt bis einschließlich agten des Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller (Düsseldorf) Christian Müller (Zittau) Gesine Multhaupt Franz Müntefering . Dr. Rolf Mützenich 15894 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Ortwin Runde Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Horst Schmidbauer (Nürnberg) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Heinz Schmitt (Landau) Garsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Brigitte Schulte (Hameln) Reinhard Schultz (Everswinkel) Swen Schulz (Spandau) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag- Wolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt (Pforzheim) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Reinhard Weis (Stendal) Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek (Böhlen) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Artur Auernhammer Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Monika Brüning Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner (Schönebeck) Cajus Julius Caesar Manfred Carstens (Emstek) Peter H. Carstensen (Nordstrand) Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Vera Dominke Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer (Lübeck) Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Georg Girisch Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger-Heinrich Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler (Wiesbaden) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn (Zingst) Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Barbara Lanzinger Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski (Recklinghausen) Stephan Mayer (Altötting) Dr. Conny Mayer (Freiburg) Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer (Hamm) Doris Meyer (Tapfheim) Maria Michalk Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Stefan Müller (Erlangen) Bernward Müller (Gera) Bernd Neumann (Bremen) Henry Nitzsche Michaela Noll Claudia Nolte Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15895 (A) (C) (B) (D) Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz-Xaver Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhof Gerhard Wächter Marko Wanderwitz Peter Weiß (Emmendi a Lazar inhard Loske ührmann ontag Müller (Köln) ed Nachtwei Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Albert Rupprecht (Weiden) Peter Rzepka Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Angela Schmid Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Anlage 3 Antw des Parl. Staatssekretärs Rez des Abgeordneten Dirk Nie Drucksache 15/5229, Fragen Wie spiegelt sich die 98 Millionen Euro beim L Arbeitsmarkt der BA wid 132,5 Millionen Euro veran beurteilt die Bundesregierun Gerald Weiß (Groß-Gerau) Ingo Wellenreuther Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer (Neuss) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Willi Zylajew BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell ort zo Schlauch auf die Fragen bel (FDP) (168. Sitzung, 23 und 24): Festlegung der Obergrenze auf eistungsumfang für den virtuellen er angesichts des zunächst mit schlagten Finanzbedarfs, und wie g die zunächst deutlich höher ver- Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt (Ingolstadt) Werner Schulz (Berlin) Petra Selg Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Marianne Tritz Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf (Frankfurt) FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr (Münster) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher anschlagten Kostenansätze, bleibt? Ist die vollständige Ab und COMPAS im Leistu 22. Juli 2005 enthalten, un geht die BA für die ursprün setzten Leistungen für eine Zu Frage 23: Wie der Vorstand der Bun bereits vor einem Jahr gegen Jürgen Koppelin Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Markus Löning Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Eberhard Otto (Godern) Detlef Parr Gisela Piltz Dr. Andreas Pinkwart Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Fraktionslose Abgeordnete Martin Hohmann Dr. Gesine Lötzsch Petra Pau wenn der Leistungsumfang gleich lösung der Fachverfahren coArb ngsumfang des Vertrages vom d wenn ja, von welchen Kosten glich mit 46 Millionen Euro ange- vollständige Ablösung aus? desagentur für Arbeit (BA) über der Öffentlichkeit und Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard (Dresden) Katherina Reiche Jens Spahn Erika Steinbach Christian von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Joseph Fischer (Frankfurt) Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Winfried Hermann Peter Hettlich Ulrike Höfken Thilo Hoppe Michaele Hustedt Jutta Krüger-Jacob Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Helga Daub Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Horst Friedrich (Bayreuth) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Christel Happach-Kasan Klaus Haupt Ulrich Heinrich f ngen) Monik Dr. Re Anna L Jerzy M Kerstin Winfri 15896 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit des Deutschen Bundestages erklärt hat, wird der virtuelle Arbeitsmarkt die Kosten in Höhe von 163 Millionen Euro bis 2008 nicht überschreiten. Die Begrenzung des Auftragsvolumens auf 98 Millionen Euro bezieht sich lediglich auf das Ver- tragsverhältnis zwischen der BA und der Firma Accen- ture. Die Reduzierung der ursprünglich veranschlagten Kosten in Höhe von rund 132 Millionen Euro, die kalku- latorisch den damaligen Planungsstand darstellten und nicht vertraglich festgelegt waren, konnte durch die Ver- kürzung des externen Betriebs auf Juni 2006 statt Fe- bruar 2008 und die Streichung einiger geplanter funktio- naler Elemente, die nicht zur Ablösung der Altverfahren notwendig oder datenschutzrechtlich kritisch waren (bei- spielsweise Zugang per Handy), erreicht werden. Durch Verhandlungen zwischen der BA und der Auftragnehme- rin, konnten gleichwohl zusätzliche Funktionen im Leis- tungsspektrum belassen werden, so beispielsweise Vor- stufen zur Kundendifferenzierung und fachspezifischen Terminierung. Zu Frage 24: Soweit sich die Frage auf die Änderungsvereinbarung zwischen der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Firma Accenture vom 22. Juni 2004 beziehen sollte, so ist im Leistungsumfang die vollständige Ablösung der Fachverfahren coArb und COMPAS enthalten. Für die Ablösung von coArb und COMPAS durch die Einfüh- rung von VerBIS sind nach Auskunft der BA 56,2 Mil- lionen Euro vereinbart. Nach Auskunft der BA kann ein Zusammenhang mit dem genannten Betrag in Höhe von 46 Millionen Euro nicht hergestellt werden, da dieser Betrag von der BA zu keinem Zeitpunkt kalkuliert oder bekannt gegeben wurde. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rezzo Schlauch auf die Fragen der Abgeordneten Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) (168. Sitzung, Drucksache 15/5229, Fragen 25 und 26): Entspricht die bisherige Umsetzung des virtuellen Arbeits- marktes den Erwartungen der Bundesregierung im Hinblick auf das erforderliche Finanzvolumen und die erzielten Verbes- serungen bei der Stellenvermittlung? Welcher Geschäftsbereich der BA war von der Zeit der Ausschreibung bis heute für die Einführung des virtuellen Ar- beitsmarktes zuständig, und wer ist innerhalb des Vorstandes der BA für diesen Geschäftsbereich verantwortlich? Zu Frage 25: Aus Sicht der Bundesregierung gibt es keine Alterna- tive als die Stellenvermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit an den technischen Fortschritt, insbesondere durch das Internet, anzupassen. Da das Projekt „Virtuel- ler Arbeitsmarkt“ insgesamt noch nicht abgeschlossen ist, ist eine abschließende Bewertung derzeit nicht mög- lich. Soweit von den Nutzern Verbesserungsvorschläge an die Bundesregierung herangetragen worden sind, sind diese an die Bundesagentur weitergeleitet und in vielen Fällen bereits umgesetzt worden. Zu Frage 26: Das Projekt „Virtueller Arbeitsmarkt“ ist bereits auf das Jahr 2000 zurückzufuhren. Im Zusammenhang mit der Reform der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurde der organisatorische Zuschnitt der Zentrale (früher: Hauptstelle) mehrfach Veränderungen unterzogen. Da- mit einhergehend hat auch die Zuständigkeit für den Virtuellen Arbeitsmarkt gewechselt. Heute ist innerhalb des Vorstandes der BA das Mitglied des Vorstandes Raimund Becker zuständig. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rezzo Schlauch auf die Fragen des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) (168. Sitzung, Drucksache 15/5229, Fragen 29 und 30): Wie hoch waren die in der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und Ar- beit, Dr. Ditmar Staffelt, auf meine Frage 21 in der Frage- stunde am 16. März 2005, Plenarprotokoll 15/165, S. 15475 (B), erwähnten erheblichen Zahlungsrückstände, die aus dem Bun- deshaushalt entschädigt werden mussten und die bisher auf schriftliche und mündliche Nachfragen beim Parlamentari- schen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Dr. Ditmar Staffelt, nicht beziffert wurden, und wel- ches Ergebnis hatte die umfassende Restrukturierung der ver- einbarten Finanzkredite? Was ist unter der „Vereinbarung, die bislang pünktlich be- dient wird“, das Bartergeschäft mit Russland aus dem Jahr 1998 betreffend, zu verstehen, und wie hoch sind die Beträge, die jährlich in die Bundesrepublik Deutschland zurückflie- ßen? Die Überfälligkeiten resultierten aus Russlandge- schäften der Elbewerft Boizenburg über die Lieferung von Langleinenfangschiffen im Wert von 141 Millionen US-Dollar. In den Jahren 1993 und 1994 und der Volks- werft Stralsund über die Lieferung von Hecktrawlern im Wert von 244,5 Millionen US-Dollar in den Jahren 1994 und 1995. Beide Geschäfte wurden aus bundesgedeckten Finanzkrediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau fi- nanziert. Die Rückzahlung der Darlehen war als Projekt- finanzierung konzipiert, d. h. die Darlehen für die Schiffe sollten aus den Fischereierträgen getilgt werden. Diese Konstruktion scheiterte jedoch. Dadurch kam es zu Überfälligkeiten in Höhe von rund 372 Millionen US- Dollar per 5. April 2002, die aufgrund der übernomme- nen Exportkreditgarantien bereits zum überwiegenden Teil durch den Bund entschädigt werden mussten. Nach umfangreichen Verhandlungen mit der russischen Seite kam es 2002 zu einer einvernehmlichen Regelung. Im Rahmen der Restrukturierung wurden neue Kreditver- träge abgeschlossen. Alle Forderungen sind durch Staatsgarantien der russischen Regierung besichert. Da- raus ergaben sich per 5. April 2002 Zahlungsverpflich- tungen von insgesamt 697,7 Millionen US-Dollar ein- schließlich Zinsen in Höhe von 215,6 Millionen US- Dollar. Der russische Darlehensnehmer kommt seinen Zahlungsverpflichtungen pünktlich nach. Nach In-Kraft- Treten der Restrukturierung zahlte dieser bisher Til- gungsraten in Höhe von 194,6 Millionen US-Dollar zu- züglich Zinsen. Die letzten Raten sind am 5. April 2011 fällig. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15897 (A) (C) (B) (D) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Antrag: Verbreitung der Kernwaffen ver- hindern und die nukleare Abrüstung stär- ken – Die Überprüfungskonferenz 2005 des Atomwaffensperrvertrags (NVV) zum Er- folg führen – Beschlussempfehlung und Bericht: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemü- hungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Ent- wicklung der Streitkräftepotenziale (Jahres- abrüstungsbericht 2003) – Antrag: Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbreitungsregimes stärken – US-Nu- klearwaffen aus Deutschland abziehen (Tagesordnungspunkt 6 a und b, Zusatztages- ordnungspunkt 7) Petra Pau (fraktionslos): Der Jahresabrüstungsbe- richt der Bundesregierung für das Jahr 2003 belegt: Der angestrebte weltweite Abrüstungsprozess stockt. Er droht sogar zu scheitern. Das betrifft besonders die Ab- rüstung bei Nuklearwaffen. Mehr noch: Neue Runden atomaren Wettrüstens wurden eröffnet und die Gefahr wächst, dass weitere Staaten und Organisationen in den Besitz dieser Massenvernichtungswaffen gelangen. An- fang der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts gab es ernsthafte Bestrebungen, die Erde bis zur Jahrhundert- wende von Atomwaffen zu befreien. Davon sind wir weiter entfernt denn je und das ist bedrohlich. Nicht nur die PDS meint: Die Hauptschuld an dieser Entwicklung haben die großen Militärmächte Großbri- tannien, Frankreich, Russland, vor allem aber die USA, die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie blockieren die Abrüstung, sie beanspruchen ein Atommonopol und sie drehen an der Rüstungsspirale. So lange das so ist, so lange sind auch alle Verzichtsappelle an andere Staaten zwielichtig und unehrlich. Deshalb reicht es auch nicht, mit dem Iran zu verhandeln oder Nordkorea zu drohen. Die nukleare Gefahr steckt inmitten der NATO. Wir begehen in wenigen Tagen den 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Das war zugleich das Ende des Zweiten Weltkrieges – in Europa; in Asien ging er noch weiter. Vor 60 Jahren, im August 1945, wurden die ersten Atombomben über den japanischen Städten Hi- roshima und Nagasaki abgeworfen. Sie brachten hun- derttausendfachen Tod und anhaltendes Leid. Der Bürgermeister von Hiroshima hat eine internatio- nale Städte-Initiative „Vision 2020“ angeregt. Sie soll in einem „Völkergipfel“ in New York münden, den Druck für unverzügliche Abrüstungsverhandlungen verstär- ken, sodass die Welt spätestens 2020 frei von Nuklear- waffen wird. 215 deutsche Städte haben sich der Initia- tive bereits angeschlossen, darunter auch Berlin und mein Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Es wäre hilfreich, wenn der Bundestag, wenn die Bundesregierung weitere Städte ermutigt, daran teilzunehmen. Die PDS tut es je- denfalls. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bürokratieabbau bei der Kreditvergabe voranbringen (Tagesord- nungspunkt 17) Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Auf Antrag der Fraktionen der Regierungskoalition hat der Deutsche Bundestag in seiner 157. Sitzung am 17. Februar 2005 einen Beschluss zur Erleichterung der Kreditvergabe von Banken und Sparkassen gefasst. Die Vorschrift aus dem Kreditwesengesetz zur Offenlegung der wirtschaft- lichen Verhältnisse der Kreditnehmer von Banken und Sparkassen wird gelockert. Worin bestehen die Erleichterungen? Zwei Vereinfa- chungen sind zu nennen: Erste Erleichterung: Bei einem Kredit mit einem Be- trag von mindestens 750 000 Euro oder aber 10 Prozent des bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitals des kreditge- währenden Kreditinstituts muss das Institut Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden anhand ge- eigneter Unterlagen nehmen. Bislang betrug der Schwel- lenwert 250 000 Euro. Nunmehr ist der absolute Schwel- lenwert auf das dreifache Niveau angehoben worden. Das bedeutet eine Erleichterung für die Banken und Sparkassen, weil sie weniger Kreditunterlagen zu bear- beiten haben. Zugleich werden viele Kreditnehmer ent- lastet, weil sie auf die Einreichung von Unterlagen über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verzichten können. Nur bei Großkrediten bleibt die bisherige Offenlegungs- pflicht bestehen. Der Schwellenwert ist bereits in der Vergangenheit re- gelmäßig angepasst worden, um der Entwicklung im Kreditgewerbe Rechnung zu tragen. Er betrug Anfang der 60er-Jahre bei Erlass des Kreditwesengesetzes ganze 20 000 DM. Die jetzige deutliche Erhöhung des Schwel- lenwertes erscheint mit Blick auf die im Kreditgewerbe erkennbare Tendenz hin zur Entwicklung interner Ra- ting- und Scoringverfahren bankaufsichtlich vertretbar. Es bleibt jedoch wie bisher dabei, dass die Institute auch bei Kreditvergaben unterhalb des Schwellenwertes ge- halten sind, sich einen hinreichenden Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmer zu ver- schaffen und dies zu dokumentieren. Die Anhebung der Schwellenwerte, welche noch im April in Kraft treten wird – am Tage nach der derzeit vorbereiteten Verkündung des Gesetzes über die Neu- ordnung des Pfandbriefrechts –, ist vom Kreditgewerbe und von der Wirtschaft begrüßt worden. Zweite Erleichterung: Die praktische Handhabung der Offenlegungsvorschrift wird deutlich vereinfacht. Bereits vor der Beschlussfassung des Deutschen Bundestages veröffentlichte die Bundesanstalt für 15898 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Finanzdienstleistungsaufsicht ihre Vorschläge zur Ver- einfachung der praktischen Anwendung und Handha- bung der bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften zur Offenlegung der Kreditunterlagen. Zu den wesentlichen geplanten Erleichterungen zählen: Den Kreditinstituten soll nunmehr selbst überlassen werden, bei welchen ab- gesicherten Krediten von einer Offenlegung der wirt- schaftlichen Verhältnisse der Darlehensnehmer infolge der Sicherheiten abgesehen werden kann. Daten aus dem Internet können unter bestimmten Voraussetzungen nun- mehr als Kreditunterlagen beigebracht werden. Exis- tenzgründungsdarlehen werden auch ohne Bonitäts- prüfung des Kreditnehmers gewährt. Es gibt Erleichterungen bezüglich der Formvorschriften – Un- terschriften – und großzügigere Fristen zur Einreichung der Unterlagen, so die Abgabe der Jahresabschlüsse in- nerhalb von zwölf Monaten nach dem Bilanzstichtag. Damit nicht genug: Die Verbände des Kreditgewerbes und andere interessierte Kreise haben noch bis Ende April Gelegenheit, zu den Vorschlägen für die Verwal- tungsvereinfachungen Stellung zu beziehen. Unter Be- rücksichtigung der Anmerkungen aus der Praxis werden die Leitlinien dann verlautbart werden. Lassen Sie mich feststellen: Die Fraktionen der Re- gierungskoalition und die Bundesregierung haben spür- bare regulatorische Erleichterungen zur Vergabe von Bankkrediten auf den Weg gebracht. Dieses ist in dem Antrag von CDU/CSU gar nicht berücksichtigt. Unab- hängig davon lautet die Frage nunmehr: Sind die einge- leiteten Maßnahmen ausreichend? Sind begleitende oder zusätzliche Schritte zu veranlassen? Beginnen möchte ich mit der angesprochenen Verein- fachung der Verwaltungspraxis: Auf wiederholte Einga- ben seitens des Kreditgewerbes hat die Bankenaufsicht den Zeitraum zur Abgabe von Stellungnahmen zu den neuen Leitlinien für die Kreditvergabe nochmals verlän- gert. Die zusätzliche Zeit bis Ende April sollte genutzt werden, das „richtige“ Gleichgewicht bei den künftigen Richtlinien auszuloten. Einerseits müssen die Kreditin- stitute darauf vertrauen können, bei der Kreditvergabe rechtskonform zu handeln. Andererseits dürfen die Ent- scheidungsspielräume im Einzelfall nicht unzulässig ein- geschränkt werden. Hier sollte ein vernünftiger Mittel- weg angestrebt werden. Das Ergebnis der Fachgespräche zwischen Bankenaufsicht und Kreditgewerbe bleibt ab- zuwarten. Die bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften für die Kreditvergabe von Banken unterliegen gegenwärtig ei- nem tief greifenden Wandel. Immer stärker in den Vor- dergrund rückt eine risikoorientierte Ausgestaltung der Bankenaufsicht. An Bedeutung gewinnen moderne Ver- fahren zur Messung und Steuerung der bankaufsichts- rechtlich relevanten Risiken aus dem Bankgeschäft. Für diese Entwicklung steht das Schlagwort „Basel II“. Da- mit ist die gegenwärtige Novellierung der bankaufsichts- rechtlichen Kreditvorschriften auf internationaler Ebene angesprochen. Der Einsatz moderner Verfahren zur Risi- komessung stellt die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern auf eine neue Grundlage. Mögli- cherweise reichen die bisherigen Standards für eine ge- nauere Risikoeinschätzung nicht länger aus. Inwieweit die derzeitige Offenlegungsvorschrift nach dem Kredit- wesengesetz in Zukunft Bestand haben wird, bleibt im Rahmen der Umsetzung von Basel II zu entscheiden. Vonseiten der Fraktion der Regierungskoalition wollen wir diesen Prozess intensiv begleiten. Ein weiterer bedeutender Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist die Handhabung der bankaufsichts- rechtlichen Offenlegungsvorschriften in anderen wichti- gen Ländern. Hier treten wir für eine stärkere Anglei- chung der nationalen Aufsichtspraktiken ein. Die weit fortgeschrittene Integration des Finanzbinnenmarktes verlangt eine enge Abstimmung zwischen den Bankauf- sehern in Europa. Der neue Europäische Ausschuss für Bankaufsichtsbehörden hat die Aufgabe, die allseits ge- wünschte Angleichung der nationalen Bankaufsichts- praktiken voranzubringen. National unterschiedliche Aufsichtsstandards mit möglicherweise wettbewerbsver- zerrenden Auswirkungen passen nicht zur Idee des Fi- nanzbinnenmarktes. Die Unterschiede sind abzubauen, soweit dieses sachlich geboten ist. Für eine Verbesserung der Zusammenarbeit der euro- päischen Bankaufsichtsbehörden spricht sich auch die EU-Kommission aus. Ob hier ein Ergänzungsbedarf mit zusätzlichen Regelungen auf Gemeinschaftsebene be- steht, sollte nach Dafürhalten der Kommission auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Analysen sorgfältig ge- prüft werden. Die Kommission plant, ihre Überlegungen hierzu in Kürze öffentlich zur Diskussion zu stellen. Aus unserer Sicht ist zu begrüßen, dass das Finanzdienstleis- tungsgewerbe und andere interessierte Kreise die Mög- lichkeit zur Stellungnahme erhalten. Eine zusätzliche Handlungsmöglichkeit in diesem Zusammenhang zielt ab auf die Stärkung der Selbstregu- lierung der betroffenen Institute. Für eine größere Eigen- verantwortung der Institute bei der Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmer plädie- ren einzelne Teile des Kreditgewerbes. Andere Kreise sprechen sich dagegen aus, weil sie auf verbindliche Rechtsnormen keineswegs verzichten möchten. Hier sehe ich in erster Linie die Kreditwirtschaft selbst gefor- dert, praktikable Konzepte zu entwickeln, welche allge- mein anerkannt werden. Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der heute zur Beratung vorliegt, bringt weder die beteiligten Kreditinstitute noch die be- troffenen Kreditnehmer in der Sache weiter: Erstens ha- ben Bundesregierung und Bundesanstalt für Finanz- dienstleistungsaufsicht rascher gehandelt, als die Opposition dies vorausgesehen hat. Insoweit ist der An- trag obsolet. Zweitens greift der Antrag in der Sache zu kurz, weil weder die europäische Dimension noch Ver- antwortung und Beitrag der Kreditinstitute selbst thema- tisiert werden. Deshalb lehnen wir den vorliegenden An- trag ab. Otto Bernhardt (CDU/CSU): Mit unserem Antrag haben wir ein Thema in die parlamentarischen Beratun- gen eingebracht, das jeden Tag an Bedeutung gewinnt. In diesem Zusammenhang ist die Erhöhung des Kredit- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15899 (A) (C) (B) (D) betrages, bei dem eine Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwingend erforderlich ist, gemäß § 18 des Kreditwesengesetzes ein wichtiger Schritt auf dem Wege zum Bürokratieabbau bei der Kreditvergabe und zum Ausgleich von Wettbewerbsverzerrungen im internatio- nalen Bereich, insbesondere in den Grenzregionen zu Österreich und den Beneluxländern, wo zum Teil über- haupt keine bzw. deutlich höhere Kreditgrenzen gelten. Auf eine Anhebung des Schwellenwertes sollte sich eine Reform des § 18 KWG aber nicht beschränken, son- dern sie sollte breiter angelegt sein. Der bestehende administrative Aufwand für die Kreditinstitute und die Kreditnehmer ist aufgrund der zum Teil praxisfernen Rundschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht zunehmend ausgeufert. Viele Kredit- institute und deren Verbände kritisieren dies seit längerer Zeit, ohne dass es bisher zu grundlegenden Verbesserun- gen gekommen ist. Dies wird unter anderem durch die Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammer- tages deutlich, an der sich über 300 Kreditinstitute betei- ligt haben. Demnach begrüßen sechs von zehn Instituten die Erhöhung des Schwellenwertes für die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Deutlich wird auch, dass sich die Kritik der Kredit- wirtschaft nicht generell gegen den § 18 KWG richtet. Der Kern der gesetzlichen Regelung wird durchaus ak- zeptiert. Der Wunsch nach einer generellen Beseitigung besteht in der Kreditwirtschaft nicht, aber über 40 Pro- zent der Kreditinstitute sehen Probleme bei der prakti- schen Anwendung der Ausführungsbestimmungen. In der Gruppe der Sparkassen sind das sogar über 50 Pro- zent. Im Wesentlichen wird der durch die Ausführungs- bestimmungen der BaFin gesetzte Ermessensspielraum als zu gering angesehen. Hier sind es besonders die klei- neren und mittleren Institute, die Änderungsbedarf se- hen. Die Konsequenzen dieser Ergebnisse sind beson- ders für die mittelständische Wirtschaft nachteilig. Dies beweist die Tatsache, dass mehr als ein Drittel der klei- neren und mittleren Kreditinstitute von Fällen berichten können, in denen alleine Unklarheiten über die richtige Handhabung der Ausführungsbestimmungen zum § 18 KWG sowie die Gefahr rechtlicher Sanktionen zu Kreditablehnungen geführt haben. Bei diesen Instituten handelt es sich insbesondere um Institute aus dem genos- senschaftlichen und dem Sparkassenbereich, die be- kanntlich die Hauptfinanzierer des Mittelstandes sind. Im Interesse der mittelständischen Unternehmen ist daher dringend Handlungsbedarf geboten. Unser Antrag „Bürokratieabbau bei der Kreditvergabe voranbringen“ setzt hier an. Die Bundesregierung wird aufgefordert, endlich tätig zu werden und gemeinsam mit der BaFin die entsprechenden Regelungen grundlegend zu über- arbeiten und so den Bürokratieabbau in Deutschland maßgeblich voranzubringen. Durch die Reduzierung des administrativen Aufwands können die bestehenden Wettbewerbsnachteile inländischer Kreditinstitute abge- baut werden, um einerseits die Wettbewerbsfähigkeit un- serer Kreditinstitute zu erhöhen und andererseits einen Beitrag zu leisten, die Wirtschaft anzukurbeln. Nachdem die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit der hier zur Debatte stehenden Initiative aktiv geworden ist, hat die BaFin in einem Schnellschuss am 17. Februar 2005 den Entwurf eines Rundschreibens vorgelegt, mit dem die Verwaltungsvorschriften zum § 18 KWG pra- xisgerechter formuliert werden sollten. Leider finden zentrale Punkte keine Berücksichtigung. Um eine wirkli- che Erleichterung herbeizuführen, ist es notwendig, den Instituten erweiterte Spielräume einzugestehen, die eine Geschäftspolitik zulassen, die sich am tatsächlichen Ri- siko orientiert. Ich sage in diesem Zusammenhang deut- lich, dass das Ergebnis keinen Wettlauf um die gerings- ten Offenlegungsvorschriften auslösen darf. Die Kreditinstitute benötigen klare und rechtssichere Richtli- nien, die mit möglichst geringem bürokratischen Auf- wand praktiziert werden können. Als ehemaliger Banker, der Kreditinstitute aus allen Bereichen unseres dreigliedrigen Bankensystems gelei- tet hat, will ich abschließend noch auf drei Punkte einge- hen, die im derzeitigen Entwurf des BaFin-Rundschrei- bens aus unserer Sicht verbessert werden sollten und vorweg auf einen Punkt, der die kleineren Kreditinstitute betrifft: Die Obergrenze für Kredite, die in Zukunft nicht zwingend zu einer Offenlegung der wirtschaftlichen Ver- hältnisse führen muss, liegt bei 10 Prozent des haftenden Eigenkapitals eines Kreditinstitutes. Nach Auskunft des Bundesverbandes der Volks- und Raiffeisenbanken ha- ben 300 der insgesamt rund 1 400 genossenschaftlichen Kreditinstitute ein Eigenkapital unter 7,5 Millionen Euro, 30 sogar unter 2,5 Millionen Euro. Wenngleich kleinere Kreditinstitute gerade auch ihre größeren Kre- ditengagements sorgfältig auf ihr Risiko prüfen müssen, entsteht hier ein Wettbewerbsnachteil für kleinere ge- genüber größeren Instituten, über den noch einmal nach- gedacht werden sollte. Eine Erleichterung für Kreditinstitute kann nur erreicht werden, wenn die Regelungen des Rundschrei- bens nicht auch für Kredite unterhalb des neuen Schwel- lenwertes angewendet werden müssen. Der zur Diskus- sion stehende Rundschreibenentwurf schließt dies nicht ausdrücklich aus. In diesen Fällen sollte es der Ge- schäftsleitung überlassen sein, inwieweit ein Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse notwendig ist. Im internationalen Wettbewerb kann es zu Problemen führen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse bei Kre- diten an Unternehmen im Ausland ausschließlich nach deutschen Richtlinien einzureichen sind. Viele ausländi- sche Unternehmen sind häufig nicht in der Lage, gefor- derte Unterlagen, die meist zur Beurteilung der wirt- schaftlichen Situation nicht maßgeblich sind, zeitgerecht einzureichen. Eine Öffnungsklausel, die auch anerkannte ausländische Standards als ausreichend ansieht, könnte helfen. Bei einem Kredit in Höhe von 760 000 Euro, der mit 750 000 Euro besichert ist, führen die unbesicherten 10 000 Euro zur vollständigen Offenlegungspflicht, während ein unbesicherter Kredit in Höhe von 740 000 Euro keinerlei Offenlegungspflichten auslöst. 15900 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Die Anrechnung von Sicherheiten könnte hier Abhilfe schaffen. Auch über das Thema Sonderprüfungen durch das BaFin muss noch einmal kritisch nachgedacht werden. In 2003 wurden zum Beispiel bei den Sparkassen 106 Sonderprüfungen durchgeführt. Insgesamt sind al- leine in diesem Bereich dadurch Kosten von circa 6,5 Millionen Euro entstanden. Die durchschnittlichen Kosten pro Prüfung lagen also bei rund 63 000 Euro. Dies sind Belastungen, die insbesondere für kleinere Kreditinstitute unverhältnismäßig hoch sind. Lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen: Da Kreditinstitute im Wesentlichen mit fremden Geldern arbeiten, muss jede Kreditvergabe sorgfältig geprüft werden. Dabei sollten wir die hohe Kompetenz der Mit- arbeiter im deutschen Kreditwesen und der verantwortli- chen Vorstandsmitglieder nicht unberücksichtigt lassen. Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Die Europäi- sche Union hat der Bundesrepublik Deutschland für die- ses Jahres das niedrigste Wirtschaftswachstum aller EU- Mitgliedstaaten vorhergesagt. Seit Jahren befindet sich Deutschland in einer tiefen strukturellen Krise, die wir nur überwinden können, wenn wir es endlich schaffen, wieder konkurrenzfähig zu werden im Wettbewerb mit den anderen Staaten. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir vor allem eine umfassende Befreiung von allen bürokratischen Re- gelungen, die uns lähmen. Wir bedauern ein ums andere Mal, dass die Binnenkonjunktur nicht anzieht, weil die Stimmung hier im Land so bedrückend ist, dass sich nie- mand traut, wieder Geld auszugeben. Es fehlt uns schlicht und einfach an Vertrauen in die eigenen Mög- lichkeiten und Fähigkeiten. Eine umfassende Entbüro- kratisierung bei der Kreditvergabe gäbe uns die Mög- lichkeit, ein Signal zu setzen, das wichtig wäre für die deutsche Kreditwirtschaft und vor allem für die investie- renden Unternehmen. Ein Kreditinstitut hat vor und während der Kreditge- währung die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers sorg- fältig zu prüfen bzw. zu überwachen, um die Risiken der konkreten Kreditvergabe abschätzen zu können. Das ist und bleibt eine wichtige Maßnahme, die auch zur Stabi- lität des Finanzplatzes Deutschland beiträgt. Schließlich handelt es sich in der Regel um fremdes Kapital, mit dem in entsprechend verantwortlicher Weise umgegan- gen werden muss. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Einfüh- rung einer vom haftenden Eigenkapital des Kreditinsti- tuts abhängigen Kreditgrenze, ab dem die formalisierte Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kre- ditnehmers durchgreift. Ich danke den Kollegen im Fi- nanzausschuss, dass sie den Weg frei gemacht haben für eine Anhebung der Kreditgrenze auf 750 000 Euro in § 18 KWG und möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass wir uns in der Beschlussempfehlung des Ausschusses darauf geeinigt haben, dass die bisherigen vier Rundschreiben in einem einzigen konsolidierten Rundschreiben zusammengefasst werden, um die Gele- genheit für eine Vereinfachung des Inhalts der Rund- schreiben zu nutzen. Davon ist das jetzige Rundschrei- ben der BaFin noch weit entfernt. Da im Gesetz keine Einzelheiten geregelt sind, wel- che Unterlagen und in welcher Qualität diese Unterlagen vom Kreditnehmer vorzulegen sind, wird diese Konkre- tisierung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht, BaFin, in Form von Schreiben und Rund- schreiben vorgenommen werden müssen. Die Komplexität und Überregulierung der bankaufsichtli- chen Vorgaben löst zusätzliche Dokumentationspflichten aus und führt daher zwangsläufig zu einer Verkomplizie- rung der Abläufe und damit zu einer Verlangsamung der Entscheidungsprozesse. Die Banken müssen natürlich im Rahmen eines aus- geglichenen Wettbewerbes alle von den gleichen Prü- fungsstandards bei der Kreditvergabe ausgehen. Unzu- frieden zeigen sich Banken und Sparkassen aber insbesondere mit den Ausführungsbestimmungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Ein Drittel aller Kreditinstitute berichtet von Fällen, in denen allein aus Unsicherheit über die regelkonforme Anwen- dung der Vorschriften – nicht aber aufgrund mangelnder Kreditnehmerbonität – Kredite nicht ausgereicht wur- den. Denn ein formaler Verstoß gegen die BaFin-Be- stimmungen kann gravierende aufsichtsrechtliche Fol- gen für Kreditinstitute – bis hin zum Eintritt des Haftungsfalls für Bankenvorstände – nach sich ziehen. Überflüssige und intransparente Bürokratie staatlicher Regulierung im Kreditwesen verschärft damit zusätzlich die angespannte Finanzierungssituation des Mittelstan- des. Ich bin allerdings der Meinung, dass allein eine Änderung bei § 18 KWG nicht ausreicht, um den Büro- kratieabbau bei der Kreditvergabe umfassend voranzu- treiben. Die Zusammenfassung der Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft und der Mindestanforderungen an das Risikomanagement darf nicht dazu führen, dass der Kreditwirtschaft weitere bürokratische Regelungen auf- erlegt werden. Es bringt überhaupt nichts, auf der einen Seite Vorschriften abzuschaffen und auf der anderen Seite neue Hemmnisse aufzubauen, um dann im Ergeb- nis schlechter zu stehen als vorher. Wir müssen immer daran denken, dass wir aus Wettbewerbsgründen nicht über das Maß an Regelungen hinausgehen dürfen, die in unseren Nachbarländern gelten. Die Mindestanforderun- gen an das Kreditgeschäft müssen dahin gehend über- prüft werden, ob sie in einem vernünftigen Verhältnis zur Größe des Kreditinstitutes und seiner Eigenkapital- ausstattung stehen. Unsere österreichischen Nachbarn lösen dieses Problem so, dass die Mindeststandards bei Kreditgeschäften nur für Institute gelten, die über eine Eigenkapitalausstattung von über 30 Millionen Euro verfügen. Für alle darunter sind diese Vorgaben nur eine Empfehlung. Das ist eine – wie ich denke – auch für Deutschland denkbare Lösung. Die Kreditwürdigkeits- prüfung muss natürlich erhalten bleiben und höchsten Anforderungen genügen. Ziel einer Entbürokratisierung muss aber sein, die Mindestanforderungen an das Kre- ditgeschäft deutlich zu reduzieren und auf ein realisier- bares Maß zu beschränken. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15901 (A) (C) (B) (D) Durch die EU-Erweiterung und die zunehmende Glo- balisierung sehen sich deutsche Kreditinstitute neuen Herausforderungen durch ausländische Konkurrenzinsti- tute gegenüber. Gerade im grenznahen Raum zu Öster- reich ist das Bankgeschäft bereits seit längerer Zeit von einem starken Wettbewerbsverhältnis geprägt. Erschwerend kommt für die deutschen Kreditinstitute die in Teilbereichen immer noch sehr formalistische Aufsichtspraxis der deutschen Bankenaufsicht hinzu. Es entsteht der Eindruck, dass häufig die Einhaltung der ge- setzlichen und bankaufsichtlichen Vorgaben mehr nach rein formalen Kriterien geprüft wird. Hinzu kommt – und das dürfen wir in diesem Zusam- menhang nicht vergessen –, dass die Bundesanstalt für Fi- nanzdienstleistungsaufsicht ihre gesamten Kosten aus Ge- bühren, Erstattungen sowie ganz überwiegend durch eine Direktumlage, die ebenfalls von den beaufsichtigten Insti- tuten zu tragen ist, deckt. Mit dem Gesetz über die inte- grierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22. April 2002 hat die Bundesregierung jeden Anreiz für eine wirt- schaftliche Haushaltsführung verhindert, da es dem Auf- sichtsgremium egal sein kann, wie viele Prüfungen an- gesetzt werden. Die Kosten werden ja ohnehin komplett von dem betroffenen Kreditinstitut getragen. Zu einer anteiligen Kostentragung durch die Finanzaufsicht sollte daher umgehend wieder zurückgekehrt werden. Die Kosten zum Beispiel der österreichischen Finanzmarkt- aufsicht werden zwar auch zum überwiegenden Teil von den Beaufsichtigten selbst getragen, doch gewährt die Republik Österreich, anders als die Bundesrepublik Deutschland, pro Geschäftsjahr einen spürbaren Zu- schuss, der letztlich indirekt zu einem Kostenbewusst- sein in der Öffentlichkeit und bei den Aufsichtsbehörden beitragen wird. Notwendig sind flexible Regelungen, die der Risiko- tragfähigkeit des einzelnen Instituts entsprechen und Handlungsspielräume für kaufmännische Erwägungen offen lassen. Der Sparkassenverband und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag haben bereits Vor- schläge gemacht, die einer weiteren Entschlackung Rechnung tragen. Ich gehe davon aus, dass das Rund- schreiben der BaFin § 18 KWG betreffend genau das ist, was es sein soll: zunächst erst mal ein Entwurf, der durch weitere Verbesserungen das wird, was er werden sollte, nämlich eine Grundlage für eine konkurrenzfä- hige und unbürokratische Kreditvergabe in Deutschland. Jutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bürokratieabbau im Allgemeinen und im Besonderen im Zusammenhang mit der Kreditvergabe sind fundamen- tale politische Ziele der Grünen. Dennoch hätte es dieser Debatte nicht bedurft, da sich der Antrag der Union durch aktuelle Entwicklungen inhaltlich größtenteils er- ledigt hat. Bereits Mitte Februar wurde auf Initiative der grünen Finanzpolitiker der § 18 KWG im Rahmen der Neuregelung des Pfandbriefrechts geändert. Darüber hi- naus hat sich der Finanzausschuss vor zwei Monaten in- tensiv mit der Praxis der Bankenaufsicht befasst. Im Fachgespräch mit Vertretern kleiner und großer Banken sowie der BaFin und der Deutschen Bundesbank wurden die Probleme der Kreditinstitute ausgiebig erörtert. Zu- dem wurden zwischenzeitlich Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Bürokratie abzubauen und gezielt den administrativen Aufwand der Kreditnehmer durch die BaFin zu reduzieren. Von Untätigkeit kann also keine Rede sein. Lassen Sie mich auf die Änderung des § 18 KWG eingehen, mit der die bisherige Offenlegungspflicht bei der Kreditvergabe wesentlich erleichtert worden ist. Seit 1. April müssen Kreditinstitute erst dann die Offenle- gung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Kreditunter- nehmers verlangen, wenn die Kreditsumme 750 000 Euro bzw. 10 Prozent des haftenden Eigenkapitals der Bank übersteigt. Wir haben den Schwellenwert zwar nicht in der von der Union geforderten Höhe angehoben, aber dennoch den Ursprungswert verdreifacht. Hierdurch wird die Kreditaufnahme für kleine und mittelständische Unternehmen erleichtert. Infolge des geringeren büro- kratischen Aufwands werden künftig geringere Kosten entstehen, Kredite also billiger werden. Damit wiederum wird ein erheblicher Beitrag zu einer höheren Investi- tionstätigkeit und zu mehr Wachstum geleistet. Mit den Änderungen des § 18 KWG wurde durch Einführung der 10-Prozent-Regel auch den Kreditrisiken Rechnung getragen; denn für diese ist das Verhältnis von Kredithöhe und Eigenkapitel des Kreditinstituts von ent- scheidender Bedeutung. Die Anhebung der absoluten Offenlegungsgrenze auf – wie im Antrag gefordert – 1 Million Euro ist bei Abwägung aller Interessen der hiervon Betroffenen nicht vertretbar. Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass sich durch die Änderung des § 18 KWG der sowieso schon vorhandene Wettbewerbsvor- sprung der größeren Banken gegenüber den kleineren vergrößern wird, eine Folgeerscheinung, die sich nicht vermeiden ließ. Aber schon unter Wettbewerbsgesichts- punkten wären den kleineren Kreditinstituten die Folgen eines weiteren Anhebens des Schwellenwertes absolut unzumutbar. Was die Bankenaufsicht durch die BaFin betrifft, ha- ben wir den Prozess zur Reduzierung des administra- tiven Aufwands erst in Gang gebracht. Es wird unsere Aufgabe sein, diese Entbürokratisierung und Vereinfa- chung der Aufsicht im Auge zu behalten. Die Lösung unstreitig vorhandener Probleme in dem Verfassen neuer Gesetze zu suchen, dürfte derzeit der falsche Weg sein. Wir sollten uns nichts vormachen: Eines der zentralen Hindernisse bei der Mittelstandsfinanzierung ist die Bü- rokratie. Die Bankenaufsicht mit den Anforderungen an die Betroffenen wird häufig als größte Wachstums- bremse bezeichnet. Eine Kritik, die wir – auch wenn sie überzogen ist – ernst nehmen müssen und die uns zum Handeln zwingt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass – insoweit waren sich alle am Fachgespräch Betei- ligten einig – eine Aufsicht notwendig ist. Deren Quali- tät wird wegen des internationalen Wettbewerbs eine zu- nehmend größere Rolle spielen und den Finanzplatz Deutschland stärken. Die BaFin hat sich der Kritik gestellt und Maßnah- men getroffen, um durch eine flexiblere Aufsichtspraxis stärker auf die Besonderheiten kleinerer Kreditinstitute 15902 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Rücksicht nehmen zu können. Die Aufsicht als solche wird sich von einer bisher zu sehr quantitativen in eine stärker qualitative ändern. Ziel der BaFin ist eine System- aufsicht, die lediglich noch kontrolliert, ob Risikoma- nagements bestehen und funktionieren. Die unternehme- rischen Entscheidungen werden dadurch definitiv nicht infrage gestellt. Weitere Folge wird sein, dass Prüfungen viel seltener und überhaupt nur noch anlassbezogen er- folgen werden. Ein konsequentes Umsetzen all dieser Maßnahmen wird nicht nur den Kreditinstituten und Kreditnehmern, sondern unserer gesamten Volkswirtschaft zugute kom- men. Dr. Volker Wissing (FDP): Die FDP begrüßt die Entscheidung, die Offenlegungsgrenze nach § 18 des Kreditwesensgesetzes auf 750 000 Euro anzuheben. Da- mit können die deutschen Banken endlich wieder mit ausländischen Kreditinstituten konkurrieren, die erst bei viel höheren Kreditsummen gezwungen waren, auf eine Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kre- ditnehmers zu bestehen. Die alte Offenlegungsgrenze von 250 000 Euro war ein Anachronisums. Deshalb war es höchste Zeit, diese anzuheben. Wenn man aber den Lauf der Dinge betrachtet, ist man schon etwas irritiert: Da müssen sich zuerst die Banken beim bayerischen Finanzminister beschweren. Der muss wiederum die Bundesregierung mit einem Brief auf das Problem aufmerksam machen. Erst dann wacht die Bundesregierung auf und tut etwas. Eine aktive Modernisierungs- und Reformpolitik sieht anders aus. Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Regie- rung muss zum Jagen getragen werden. Ich würde mir einmal wünschen, dass Österreich voller Neid auf deut- sche Regelungen schaut und sie kopiert. Ich würde mir wünschen, dass sich einmal unsere Nachbarländer durch eine mutige und entschlossene Politik der Bundesregie- rung unter Druck gesetzt fühlen. Stattdessen: Unsere Nachbarn agieren, Deutschland reagiert. Ich würde mir im Interesse unseres Landes auch wünschen, dass die Bundesregierung mehr auf die Interessen deutscher Ban- ken achtet. Eine Ausnahme bildet da Frau Kollegin Scheel. Frau Scheel gibt sich – laut „FAZ“ vom 9. Februar 2005 – nicht mit der Anhebung der Offenlegungsgrenzen zufrie- den. Nein, sie stellt die Regelung generell infrage. Res- pekt, Frau Scheel! Das wäre sogar richtig mutig, wenn Ihren Ankündigungen auch Taten folgen würden. Ich warte gespannt auf den Antrag der Grünen zur Abschaf- fung der Offenlegungsgrenzen. Ich versichere Ihnen: Die FDP wird Sie nicht im Regen stehen lassen. Aus libera- ler Sicht ist es allemal eine Überlegung wert, ob tatsäch- lich der Staat den Banken vorschreiben muss, bei wel- cher Kreditsumme diese auf eine Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers beste- hen müssen. Ich bin aber gespannt, wann Ihr Vorstoß kommt. Ebenso gespannt bin ich darauf, wie sie die Risi- ken für die Gesamtwirtschaft bei einer Abschaffung der Offenlegungsgrenze beurteilen. Die FDP wird Ihren An- trag jedenfalls wohlwollend prüfen. Auf jeden Fall ist die Anhebung der Offenlegungs- grenze von 250 000 Euro auf 750 000 Euro ein erster Schritt. Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass uns eine Erhöhung auf 1 Million Euro lieber gewesen wäre. Aber ein kleiner Schritt ist besser als keiner. Wenn Frau Scheel ihren Antrag zur vollständigen Abschaffung der Offenlegungsgrenzen vorlegt, hat sich das Thema viel- leicht schon bald ganz erledigt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Rahmenbedingungen für die industrielle stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in Deutschland schaffen – Die vielfältigen Potenziale nachwachsender Rohstoffe für die nachhaltige Entwicklung ausschöpfen (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Fossile Roh- stoffe sind endlich. Sag ich etwas Neues? – Nein! Wir als große Industrienation haben aber trotz allen Wissens nicht konsequent umgesteuert und tun zum Teil immer noch so, als stünden uns fossile Ressourcen in aller Ewigkeit zur Verfügung. Das Ziel kann nur heißen: weg vom Öl. Deshalb müssen wir neue Strategien entwickeln und nachhaltig umsetzen. Alternative Energieformen brauchen daher oberste Priorität! Ein weiterer Grund für den Einsatz nachwachsender Rohstoffe: Wir haben ein nationales Klimaschutzpro- gramm, um das im Februar in Kraft getretene Kioto-Pro- tokoll zu erfüllen. Die Treibhausgasemissionen sind da- nach bis 2012 um 21 Prozent zu reduzieren. Den CO2-Ausstoß vermindern bedeutet die Chance, einen Klima- kollaps zu vermeiden! Als Agrarpolitikerin aus dem ländlich geprägten Nor- den Sachsen-Anhalts sehe ich natürlich auch die Arbeits- platzchancen, die sich durch stärkere Positionierung von nachwachsenden Rohstoffen am Markt ergeben. Eine Studie des Ökoinstitutes kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2030 etwa 200 000 neue Arbeitsplätze im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe geschaffen werden kön- nen. Gerade die neuen Länder mit ihren großen Acker- schlägen sind geradezu prädestiniert, um nachwach- sende Rohstoffe anzubauen. Ein weiteres politisches Ziel der rot-grünen Bundes- regierung ist es, den Flächenverbrauch einzudämmen und von etwa 130 Hektar pro Tag im Jahre 2000 auf 30 Hektar pro Tag im Jahre 2020 zu senken. Heute wer- den immer noch etwa 105 Hektar Fläche täglich für Siedlung und Verkehr genutzt. Und so begrüße ich es sehr, dass durch nachwachsende Rohstoffe Landwirte neue Möglichkeiten sehen und nutzen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15903 (A) (C) (B) (D) Politik kann nur Rahmenbedingungen setzen. Und das hat Rot-Grün seit 1998 auch konsequent im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe getan. Erst unter unserer Regierungszeit hatte beispielsweise der Kraftstoff Bio- diesel im Jahre 1999 einen nennenswerten Anteil von 100 000 Tonnen. Heute liegt die Produktionskapazität bei 1,1 Millionen Tonnen. Biodiesel ist schwefelfrei und trägt damit nicht zur Versauerung der Böden bei. Der Kraftstoff enthält kein Benzol oder andere aromatische Verbindungen und im Vergleich zum herkömmlichen Diesel ergibt sich eine Verminderung des Rußanteils um 50 Prozent. Und heute sollte schon jeder wissen, dass bei der Verbrennung ungefähr so viel Kohlendioxid freige- setzt wird, wie die Pflanze vorher bei ihrem Wachstum aufgenommen hat. Das nenne ich Gleichgewicht! In die- sem Bereich hat die Kohl-Regierung die Zeit total ver- schlafen. Auch mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, dem EEG, haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet, um den Anteil an regenerativen Energien zu steigern. Schaf- fung von neuen Arbeitsplätzen ist auch hier eine Erfolgs- geschichte! Gesetzliche Rahmenbedingungen sind eines. Politik muss aber auch durch Forschungsförderung in Entwick- lungsprozesse eingreifen. Letztendlich ist es doch dem Ehrgeiz der Wissenschaft zu verdanken, dass wir mit un- serem technischen Fortschritt da sind, wo wir jetzt ste- hen. Es ist an der Zeit, diesen Forscherdrang noch stär- ker in die Richtung der nachwachsenden Rohstoffe zu lenken und damit auch das Interesse der forschenden Wirtschaft – beispielsweise an der stofflichen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen – zu erhöhen. Das ist wichtig, denn wir müssen uns nicht einbilden, dass wir morgen oder übermorgen auf Erdöl basierende Produkte eins zu eins durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen können. Wir brauchen Fortschritte in der Entwicklung! Bei der stofflichen Nutzung sind Dämm- und biogene Schmierstoffe absolut wichtige Produktgruppen. Des- halb ist es grundrichtig, hier die Förderung in 2005 wei- terlaufen zu lassen. Die Bundesregierung unterstützt die Programme zur stofflichen Nutzung im Rahmen der För- derung der nachwachsenden Rohstoffe mit immerhin 53,6 Millionen Euro im Haushalt des Verbraucher- schutzministeriums. Trotz Sparhaushalt haben wir hier in 2005 noch mal etwa 23 Millionen Euro draufgepackt! Es gibt noch so viel zu erforschen, damit wir Produkte aus Rohöl wirtschaftlich ersetzen können! Hierzu finde ich bei der Opposition aber so gar keine Ideen! Deshalb ist die Bundesregierung ausgesprochen klug, indem sie im Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eine Konzeption für den verstärkten Einsatz nachwachsender Rohstoffe erarbeitet. Damit können wir in Zukunft noch besser die Potenziale biobasierter Produkte nutzen. Andrea Wicklein (SPD): Die rot-grüne Regie- rungskoalition hat im Energie- und Kraftstoffbereich die richtigen Weichen gestellt: zur Förderung der mit- telständischen Unternehmenslandschaft, für zukunftsfä- hige Arbeitsplätze und zum nachhaltigen Klimaschutz. Neben der energetischen Nutzung von Biomasse ge- winnt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Nut- zung nachwachsender Rohstoffe für Bioprodukte immer mehr an Bedeutung. Deutschland hat in Forschung und Entwicklung bereits beträchtliche Entwicklungen und Erfolge zu verzeichnen und auch weltweit kommt der Zug für biobasierte Kunststoffe in Fahrt. In wenigen Ta- gen werden sie auf der Messe Düsseldorf, der Interpack 2005, zu sehen sein. Orientiert am Kreislauf der Natur, haben es viele Bioprodukte bereits zur Marktreife ge- bracht. Andere stehen an der Schwelle zu einer breiten Markteinführung. Ob Plastiktüten, Einmalgeschirr, Klar- sichtfolien oder Textilien – die Besucher der Messe wer- den erleben, dass diese Produkte nicht nur aus Erdöl, sondern auch aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen können. Parallel zu den bewährten erdölbasierten Kunst- stoffen entwickelt sich ein neues Marktsegment von Bio- kunststoffen aus Mais, Roggen, Kartoffeln oder Holz und Zuckerrüben. Es zeigt sich: Ökologie kann wirtschaftlich und Wirt- schaft kann ökologisch sein, wenn unser rohstoffarmes Land die Produktion seiner Rohstoffe auf diese Weise steigert. Durch den Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft schonen wir die fossilen Ressourcen. Durch regenerative Produkte kommen wir auch dem Ziel der Klimarahmen- konvention näher, die CO2-Emissionen bis zum Jahr2010 um 21 Prozent zu senken. Erdöl wird knapper und teuer. Die Entwicklung alter- nativer Materialien auf Basis erneuerbarer Ressourcen bietet zusätzliche Chancen: Chancen für die chemische Industrie, für die Landwirtschaft, für die Forschung und damit für Wachstum und Beschäftigung. Um diesen langfristigen Prozess zu unterstützen, brauchen wir auch in diesem Bereich innovations- und investitionsfördernde Rahmenbedingungen. Insgesamt benötigt die chemische Industrie zur Herstellung chemi- scher Produkte in Deutschland jährlich etwa 14 Millio- nen Tonnen Erdöl. Der Markt für Biokunststoffe ist enorm, es gibt eine Vielfalt von neuen Anwendungsbe- reichen. Doch warum schaffen es nur wenige biobasierte Produkte auf den Markt? Ein Modellprojekt in Kassel mit kompostierbaren Verpackungen zeigte einen großen Zuspruch in der Bevölkerung. Im Vorfeld dieses Antra- ges habe ich zahlreiche Gespräche mit Wissenschaftlern, mit der Industrie und Verbänden geführt und einen aus- führlichen Dialog gesucht. Dabei wurde deutlich: Alle sehen die Wachstums- und beschäftigungspolitischen Potenziale der biobasierten Kunststoffe. Alle sehen de- ren Marktpotenziale. Ich stimme der FDP-Fraktion in diesem Punkt zu, dass wir die Potenziale der Biomasse in Deutschland noch nicht annähernd nutzen. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame Strategie im Bereich der stofflichen Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen, keine Strategie, die wir vorgeben, sondern eine, die im engen Dialog mit Industrie, Landwirtschaft und Forschung entsteht. Wenn wir jetzt auch in diesem Bereich rechtzeitig die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, dann bieten sich für den Wirtschafts- und For- schungsstandort Deutschland exzellente zusätzliche Per- spektiven erstens für die ländlichen Gebiete durch neue 15904 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Produktions- und Einkommensalternativen in einem hoch innovativen Zukunftsfeld, zweitens für unsere Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, weil dort die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen für die Nutzung von Biomasse entstehen, und drittens für die chemische und verarbeitende Industrie, weil dort die neuen Marktpotenziale erschlossen und exportfähige Zu- kunftstechnologien entwickelt werden. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung dieses Antra- ges, der ein erster Schritt ist. Wir brauchen eine natio- nale, aber auch eine europäische Strategie für Biokunst- stoffe. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Die große Bedeutung eines wettbewerbsfähigen Anbaus nachwachsender Rohstoffe ist offenkundig, nicht nur für die Entwicklung des ländlichen Raumes. Da sind wir uns doch alle einig. Sowohl für die Weiterverarbeitung in der chemischen-, Bau oder anderen Industrien, als auch für die Erzeugung von Bioenergie wird der Pflanzenbau im- mer wichtiger werden. Auch dem Einsatz zur Erfor- schung erneuerbarer Energien wird eine immer größere Bedeutung zukommen. Mit den vorliegenden Anträgen sollen geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgrei- che Entwicklung aufgezeigt werden. Das ist deshalb be- sonders wichtig, weil bereits einiges Porzellan von Rot- Grün zerschlagen wurde, zum Beispiel beim EEG. Im EEG sollte es weniger Subventionen für Wind und Sonne geben, statt dessen mehr Geld für die Biomasse. Denn die Förderung der Biomasse stärkt vor allem den ländlichen Raum. Zudem ist die Stromerzeugung aus Bio- masse qualitativ der aus Wind- und Sonnenenergie weit überlegen, da Strom aus Biomasse die Grundlast abde- cken kann. Er steht dann zur Verfügung, wenn man das will und nicht, wenn zufallig gerade einmal der Wind weht oder die Sonne scheint. Kollege Lamp ist ja auf die Chancen schon eingegan- gen. Es ist klarzustellen: Subventionsfrei lohnend ist der Anbau landwirtschaftlicher Produkte in Deutschland heute nur in seltenen Fällen. Auch deshalb müssen wir die vorhandenen und sich neu auftuenden Chancen der Nutzung von Biomasse in Deutschland konsequent ent- wickeln. Forschung und Entwicklung sind von daher entscheidende Produktionsfaktoren in der deutschen Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft. Sie eröffnen Perspektiven für den dauerhaften Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft und können Katalysator für eine erfolg- reiche Entwicklung des ländlichen Raums sein. Diese vorhandenen Perspektiven können aber nur Realität wer- den, wenn in einem innovationsfreundlichen Klima For- schung und Entwicklung stattfinden und nicht von der Bundesregierung ohne triftigen Grund verhindert wer- den. Wir müssen nachwachsende Rohstoffe über bio- und gentechnische Verfahren besser erschließen. Doch wie ist die Situation in Deutschland? Die rot-grüne Bun- desregierung sperrt sich leider – vor allem die Grünen – gegen einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser neuen Technologie. Angesichts der schwierigen Ertragssituation, der Schließung vieler Höfe aufgrund der Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft und der damit verbun- denen Auszehrung des ländlichen Raumes müssen den heimischen Landwirten dringend neue Chancen eröffnet werden. Es ist vor diesem Hintergrund unverantwortlich, wenn die Bundesregierung die gentechnische Spitzen- forschung in Deutschland aus rein ideologischen Grün- den abwürgt und deshalb wertvolle Forschungsergeb- nisse im Inland nicht zur Anwendung kommen dürfen. Eine solche Politik existenz- und arbeitsplatzvernichten- der rot-grüner Träumereien schädigt nicht nur den For- schungsstandort Deutschland – es gibt weder eine zu- sätzliche Wertschöpfung, noch werden Arbeitsplätze geschaffen. Wir brauchen keine Maulkorberlasse für engagierte Forscher, wir brauchen keine engstirnige Einengung un- serer Zukunftsperspektiven und wir brauchen auch keine politisch produzierten Forschungsideologien. Im Gegen- teil: Wir brauchen eine konsequente Förderung zukunfts- weisender Forschungsprojekte sowie Unterstützung für die Erprobung und Anwendung der gewonnenen Er- kenntnisse. Nur mit eigener Initiative kann die deutsche Landwirtschaft als Motor für den ländlichen Raum und Garant für höchste Qualität neue, dauerhaft tragfähige Perspektiven gewinnen. Denn eines ist doch völlig klar: Mit den Anbaumethoden von gestern werden wir nicht die Märkte von morgen gewinnen können. Aus diesem Grund ist es sehr zu begrüßen, dass das Land Sachsen-Anhalt jetzt die Initiative ergriffen hat und versucht, auf dem Weg über das Verfassungsgericht das Recht des ländlichen Raumes in Deutschland auf ei- gene Entwicklung einzuklagen, das Recht auf die Nut- zung vorhandener Chancen. Nach Berechnungen des Deutschen Bauernverbandes könnten mittelfristig 100 000 neue produktive Arbeits- plätze in der Landwirtschaft entstehen, wenn die Rah- menbedingungen dafür stimmen. Schauen wir doch ein- mal, was in Ihrem Antrag dazu zu finden ist. Sie schreiben darin von der „Notwendigkeit neuer Ansätze in Forschung und Entwicklung“, vom Einsatz für einen „gemeinsamen abgestimmten Handlungsrahmen auf dem Gebiet der biologisch basierten Produkte“ innerhalb der Europäischen Union. Recht haben sie, doch was tun Sie? Sie machen das genaue Gegenteil: Anstatt neue An- sätze in Forschung und Entwicklung zu fördern, verhin- dern Sie die weitere Erforschung und Anwendung der Grünen Gentechnik in Deutschland. Anstatt den gemein- samen Handlungsrahmen zur Entwicklung und Anwen- dung der Grünen Gentechnik in Europa auszufüllen, beschließen Sie im europäischen Alleingang für Deutschland ein Gentechnikverhinderungsgesetz, ent- werten damit Forschungsergebnisse und vernichten bäu- erliche Existenzen. Nicht genug damit: Während Sie die Voraussetzungen für eine eigene Wertschöpfung der Landwirte verhin- dern, reden Sie auch noch von „Markteinführungspro- grammen“ und argumentieren für weitere Subventionen, für weitere planwirtschaftliche Förderprogramme. Da- mit tun Sie alles dafür, dass Landwirtschaft weiter un- rentabel bleibt, dass die Landwirte in Deutschland noch Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15905 (A) (C) (B) (D) enger am planwirtschaftlichen Gängelband der Bürokra- tie geführt werden und der Hoffnungsschimmer auf eine rentablere Produktion und eine verbesserte Wettbe- werbsfähigkeit verlischt. Wären nachwachsende Rohstoffe günstiger als ihre Alternativen, dann brauchten wir keine Markteinfüh- rungsprogramme. Genau so wie die Grünen noch Mitte der 90er-Jahre gegen die Forschung und Erprobung nachwachsender Rohstoffe Sturm gelaufen sind, verhin- dern sie heute die Optimierung des Anbaus nachwach- sender Rohstoffe, die Entwicklung von Pflanzen nach Maß. Die innovations- und landwirtschaftsfeindliche Po- litik von Frau Künast zeigt auch entsprechende Wirkun- gen: Seit Amtsantritt von Rot-Grün sind 165 000 Ar- beitsplätze abgebaut worden. Ich habe es in der Debatte heute Nachmittag auch schon gesagt: Rot-Grün macht arm. Leider bestätigt sich das auch hier wieder ein- drucksvoll. Geradezu grotesk erscheint vor diesem Hintergrund die Forderung aus Ihrem Antrag, die Bundesregierung möge Vorschläge unterbreiten, „wie eventuell weitere Hemmnisse für den Einsatz nachwachsender Rohstoffe beseitigt werden können.“ Das größte Hemmnis ist doch diese Bundesregierung selbst. Sie verhindert durch For- schungsverbote, Anwendungsverbote und Maulkorber- lasse systematisch, dass nachwachsende Rohstoffe ren- tabler werden, dass die Wertschöpfung in unseren landwirtschaftlichen Betrieben steigen kann. Die natio- nalen Alleingänge, die unseren Betrieben nur Wettbe- werbsnachteile verschaffen, immer mehr Bürokratie und keine Vorteile für Umwelt und Verbraucher bringen, müssen ein Ende finden. Politik für nachwachsende Rohstoffe sollte sich nicht darin erschöpfen, die Planwirtschaft zu optimieren, auf steuerfmanzierte Förderprogramme zu schielen oder Agrarsubventionen einzustreichen. Es gilt auch und ge- rade vonseiten der Politik verstärkt auf die eigenen Stär- ken zu setzen und bestehende Chancen für wirtschaft- liche Verbesserungen aus eigener Kraft zu nutzen und zu unterstützen. Ein eindeutiges Bekenntnis zur Grünen Gentechnik als wichtigem Zweig deutscher Spitzenfor- schung und als Hoffnungsträger für die Landwirtschaft könnte besonders im jetzigen Einstein-Jahr mithelfen, den ländlichen Raum als Wirtschafts-, Forschungs- und Lebensstandort attraktiver zu machen. Wir brauchen dringend Forschung für die Zukunft, für eine gute Zukunft für uns und unsere Kinder! Wir brauchen keine Blockaden für den Erhalt von Überkom- menem, für veraltete Anbaumethoden und Ideologien von gestern. Wir brauchen Wohlstand, Arbeitsplätze und Perspektiven. Wir brauchen eine neue Bundesregierung, je schneller je besser. Helmut Lamp (CDU/CSU): Die SPD legt einen An- trag vor mit dem Ziel, Rahmenbedingungen für die in- dustrielle stoffliche Nutzung von nachwachsenden Roh- stoffen zu schaffen. Zu Recht wird auf die Verknappung endlicher Ressourcen hingewiesen. Auch die vielfältigen Möglichkeiten der stofflichen Nutzung werden aufge- zählt. Ebenso wird die Chance, tausende Arbeitsplätze zu schaffen, erwähnt. Doch die Darstellung der enormen Bedeutung der biologischen Rohstoffe für die Wirt- schaftsentwicklung unseres Landes vermisse ich ebenso wie die Forderung, dass als unbedingte Voraussetzung zur breiten Markteinführung nachwachsender Rohstoffe ertragreiche, spezifische Nutzpflanzen zu entwickeln sind. Die Chancen unserer exportorientierten Wirtschaft durch stoffliche und energetische Nutzung der nach- wachsenden Rohstoffe werden oft unterschätzt. Dabei genügt es nicht, allein den deutschen Wirtschaftsraum zu beleuchten; denn dem Anlagenbau und der Produktion eröffnen sich schon bald im gesamten EU-Wirtschafts- raum durch nachwachsende Rohstoffe enorme Möglich- keiten. Einerseits werden steigende Preise der sich schnell verknappenden Rohstoffe für verbesserte Wett- bewerbsfähigkeit regenerativer Rohstoffe sorgen, ande- rerseits werden in wenigen Jahren enorme Flächen in der EU für den Anbau nachwachsender Rohstoffe zur Verfü- gung stehen. Das kann sich jeder an den Fingern ausrechnen: Zur- zeit werden zur Nahrungsmittelversorgung eines Bun- desbürgers gerade noch 0,22 Hektar Agrarfläche in Deutschland benötigt. Die Produktivität der Landwirt- schaft wird weiter steigen und dies ganz besonders in den Beitrittsländern. Das haben wir mit der Wiederverei- nigung erlebt. Man brauchte weniger als zehn Jahre, um in Ostdeutschland das Ertragsniveau der westdeutschen Landwirtschaft zu erreichen. Wenn also in gut zehn Jahren jeder EU-Bürger noch etwa 0,30 Hektar Agrarfläche für seine Nahrungsmittel- versorgung beansprucht, werden auf 45 bis 50 Millionen Hektar – von den 146 Millionen Hektar landwirtschaftli- che Flächen der erweiterten EU – keine Nahrungsmittel- pflanzen mehr angebaut werden müssen. Oder anders ausgedrückt: Argarflächen, die größenmäßig den gesam- ten landwirtschaftlichen Nutzflächen Deutschlands und Frankreichs entsprechen, stehen Jahr für Jahr für die Er- zeugung regenerativer Rohstoffe zur Verfügung – für die Energiewirtschaft, für die Chemie, für die Pharmazie, für die verarbeitende Industrie. Um im künftigen Markt der Nutzung nachwachsender Rohstoffe bestehen zu können, müssen moderne Aufbe- reitungs- und Produktionsanlagen zur Verfügung stehen. Erste Voraussetzung eines erfolgreichen Markteinstiegs sind jedoch brauchbare biologische Rohstoffe, die wir heute überwiegend noch aus Nahrungsmittelpflanzen ge- winnen. Neben der Palette der Nahrungsmittelpflanzen sind unbedingt ertragreiche Energie- und Rohstoffpflan- zen zu entwickeln, die ganz gezielt ihrer vorgesehenen, manchmal sehr spezifischen Verwendung anzupassen sind. Wir brauchen eine Bündelung der Kompetenzen, die über fünf Ministerien verteilt sind, optimierte Energie- pflanzen, spezifische Rohstoffpflanzen, greifende Markt- einführungsprogramme und endlich eine angemessene Forschungsförderung. Gerade 0,66 Prozent der Ener- gieforschungsmittel wurden in den vergangenen zehn Jahren der Bioenergie zur Verfügung gestellt. 15906 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Warum weg vom Öl und hin zu erneuerbaren Ressourcen? Das ist die zentrale Frage. Fossile Roh- stoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle haben unter anderem folgende hinlänglich bekannte Nachteile: Erstens. Ihr Verbrauch erzeugt klimaschädliche Emis- sionen, das heißt der Klimaschutz ist das Umweltpro- blem schlechthin. Zweitens. Sie sind endlich und damit geht die Verteu- erung des Ölpreises einher. Ich möchte darauf hinweisen: Der Ölpreis hat erst in der vergangenen Woche den Rekord von 58 Dollar pro Barrel erreicht. Mittlerweile ist der Preis wieder auf un- ter 50 Dollar gesunken, aber von einer tatsächlichen Ent- spannung kann man keinesfalls sprechen. Ganz im Ge- genteil, wir müssen uns auf einen dauerhaft hohen Ölpreis einstellen. Fakt ist: Im Schnitt kostete 2005 bisher 1 Barrel 48 Dollar. Ein Ölpreis von sage und schreibe 45 Dollar wird vom Bundesverband des deutschen Groß- und Ein- zelhandels mittlerweile als solide bezeichnet. Das heißt, das Erreichen neuer Rekordmarken beim Ölpreis ist mit- tlerweile fast schon alltäglich geworden. Und wer vor zwei oder drei Jahren behauptet hätte, dass der Ölpreis bald dauerhaft über 50 Dollar liegen würde, wäre wohl nur milde belächelt worden. Heute erwarten Experten laut einer aktuellen Studie der Investmentbank Goldman und Sachs innerhalb der nächsten Jahre Preise von über 100 Dollar pro Barrel. Die EU-Kommission und der IWF gehen ebenfalls von dauerhaft hohen Ölpreisen aus. Und das bedeutet für die Konjunktur eine äußerst ernst zu nehmende Gefahr, eine Fortsetzung der Entwicklung vom vergangenen Jahr. Hinzu kommt zum einen, dass die Erdölförderung in völlig instabilen Regionen statt findet, und zum anderen, dass der Bedarf der Schwellenländer wie China oder In- dien gigantisch und unkalkulierbar zunimmt. Das ver- deutlicht alles in allem, dass die Abhängigkeit vom Erdöl die Achillesferse unseres Wirtschaftssystems dar- stellt. Daraus folgt ganz klar: Wer eine nachhaltige Ent- wicklung sichern will, muss die Abhängigkeit von fossi- len Rohstoffen reduzieren, das heißt sowohl den Rohstoffverbrauch reduzieren als auch die Rohstoffbasis umstellen. Zusammengefasst: Eine Abkehr von fossilen Res- sourcen ist neben einer ökologischen und friedenspoliti- schen Notwendigkeit mehr und mehr auch eine ökono- mische Notwendigkeit. Folglich kann es nur darum gehen, eine umfassende Strategie aufzuzeigen, die un- sere Abhängigkeit in allen Bereichen angeht, das heißt nicht nur bei Strom und Wärme, sondern auch bei Treib- stoffen und Produkten. Genau das ist Gegenstand unse- res Antrags. Mit dem EEG hat Deutschland sich zum Vorreiter der Förderung erneuerbarer Energien gemacht. 130 000 neue Arbeitsplätze sind durch das EEG in kurzer Zeit entstanden. Das heißt, dass Deutschland sich Schritt für Schritt den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Ressour- cen bahnt. Die Damen und Herren von der Opposition verleugnen die Chancen für Innovation und die Schaf- fung neuer nachhaltiger Arbeitsplätze, die mit dieser Entwicklung in Zusammenhang stehen. Sie sind sozusa- gen blind auf diesem Auge. Rot-Grün hat seit 1998 intensiv die Förderung nach- wachsender Rohstoffe vorangetrieben und damit Per- spektiven für die Landwirtschaft und zahlreiche innova- tive Unternehmen geschaffen. Der von uns jetzt eingebrachte Antrag setzt diese Linie der ökologischen Modernisierung unseres Landes konsequent fort. Ich möchte Ihnen die entscheidenden Punkte kurz erläutern. Erstens. Der Antrag setzt erstmals die wichtige dritte Säule, nämlich die Umstellung der Ressourcenbasis auch im produzierenden Gewerbe, das heißt den Ersatz von Erdöl in der chemischen und nachgeschalteten In- dustrie, auf die politische Agenda. Die Anträge von der Opposition greifen dagegen viel zu kurz, indem sie sich auf die energetische Nutzung beschränken. Zweitens. Wir fordern zudem eine Zielsetzung auf eu- ropäischer Ebene bei den biobasierten Produkten als not- wendige Ergänzung zu den europäischen Zielsetzungen bei EE und Biokraftstoffen. Drittens. Unser Antrag fordert eine deutliche Zuwei- sung der Kompetenz bei der Forschungsförderung, die Einbeziehung der industriellen stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe sowohl bei Forschung und Lehre an den Hochschulen als auch in das 7. For- schungsrahmenprogramm der EU. Viertens. Als zentrales Element fordern wir einen na- tionalen Fahrplan mit allen Akteuren für die schrittweise Umstellung auf eine Rohstoffbasis aus nachwachsenden Rohstoffen und die Aufnahme der industriellen stoffli- chen Nutzung von Biomasse in die Innovationsoffensive der Bundesregierung. Fünftens. Wir fordern ganz konkret als sozusagen kostenneutrale Fördermaßnahme den Abbau gesetzlicher Hemmnisse für biobasierte Produkte. Hier haben wir mit der Novellierung der Verpackungsverordnung bereits ei- nen ersten wichtigen Schritt getan. Aber das ist ganz klar: Weitere müssen folgen. Ein weiteres zentrales Element unseres Antrags ist die Förderung von Bioraffinerien, einer neuen innovativen Technologie. Bioraffinerien können biotechnologisch aus allen verfügbaren Pflanzen, das heißt Heu und Stroh, Getreide, Grünschnitt, und aus Abfallstoffen der Lebens- mittelindustrie, der Land- und Forstwirtschaft, der Bio- tonne sowohl klassische Ausgangsstoffe der chemischen Industrie als auch hochwertige Produkte wie Biokunst- stoffe sowie Biokraftstoffe, zum Beispiel Bioethanol, er- zeugen, die zudem – und das ist ein entscheidender Plus- punkt – klimaneutral, CO2-neutral sind. Bioraffineriensind aus unserer Sicht eine echte Schlüsseltechnologie, die die Erfolgsgeschichte der Windräder und Photovol- taik fortschreiben wird. Denn Bioraffinerien ermögli- chen eine „intelligente umfassende Nutzung“ von nach- wachsenden Rohstoffen durch die Methode der Ganzpflanzennutzung. Eine Diskussion um den Einsatz Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15907 (A) (C) (B) (D) Grüner Gentechnik bei einer derartigen Biomassenut- zung entbehrt im Übrigen jeder Grundlage sowohl öko- nomisch als auch ökologisch. Das heißt, gentechnisch veränderte Pflanzen bei der stofflichen Nutzung nach- wachsender Rohstoffe bringen keinen Vorteil, ganz im Gegensatz zur Anwendung der Weißen Biotechnologie. Zusammengefasst: Bioraffinerien sind ein echtes Inno- vationsthema mit enormem Potenzial für neue Arbeits- plätze, die Entwicklung der ländlichen Räume und den Ressourcenschutz. Ich kann die Ausführungen der Damen und Herren von der Opposition schon hören: Das sei Gängelung der Wirtschaft etc. Ich sage Ihnen klipp und klar: Schauen Sie einmal über den Horizont Ihrer Klientel, die sich al- lein auf den Aktienkurs der nächsten sechs Monate kon- zentriert, hinaus. Das heißt erstens, Weitblick und ein klares Konzept für die langfristige wirtschaftliche Ent- wicklung Deutschlands ist Aufgabe der Politik, und es ist zweitens Aufgabe der Politik, jungen, innovativen und vor allem nachhaltigen Technologien mit den geeig- neten Rahmenbedingungen einen fairen Zugang zum Markt zu schaffen, die wir dann auch exportieren kön- nen. Die Damen und Herren von der Opposition begrei- fen nicht, welche Chancen für Deutschland darin liegen, angesichts der kommenden Entwicklung des Ölpreises und der Herausforderung des Klimaschutzes, sich zum Vorreiter einer nachhaltigen Entwicklung zu machen, welche Chancen für die chemische Industrie, die Auto- mobilindustrie, die Maschinenbauindustrie und die Landwirtschaft mit einer Umstellung der Rohstoffbasis auf erneuerbare Ressourcen verbunden sind. Damit das ganz klar ist: Ich spreche hier von Chancen für Innova- tion, Arbeitsplätze und die Umwelt. Unser Antrag zur Förderung der industriellen stoffli- chen Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist ein wichti- ger, notwendiger und konsequenter Schritt auf unserem Weg „Weg vom Öl“. Im Übrigen gibt es für den Ersatz von fossilen Rohstoffen in der chemischen Industrie praktisch keine andere Alternative als die Nutzung der Biomasse. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die vielfälti- gen Potenziale nachwachsender Rohstoffe werden in Deutschland nur unzureichend genutzt. Die FDP hat in ihrem Antrag „Die vielfältigen Potenziale nachwachsen- der Rohstoffe für die nachhaltige Entwicklung ausschöp- fen“ (Bundestagsdrucksache 15/3358) zahlreiche Vor- schläge für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe gemacht und aufgezeigt, wie wir zu mehr Erfolgen kom- men können. Weder bei der energetischen noch bei der stofflichen Verwertung nachwachsender Rohstoffe ist bis jetzt der Durchbruch gelungen. Dabei herrscht große Einigkeit, dass die Endlichkeit der fossilen Rohstoffe Erdöl, Erd- gas, Kohle uns zwingen wird, vermehrt nachwachsende Rohstoffe sowohl stofflich wie energetisch zu nutzen. Weiter erfordert der Klimaschutz, dass nachwachsende Rohstoffe die fossilen Rohstoffe ersetzen, damit die wei- tere Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre gestopptwird. Die Energiebilanz in Deutschland ist traurig: Der An- teil erneuerbarer Energien an der Primärenergieversor- gung beträgt nur 3,6 Prozent. Deutschland nimmt, einer Energiestatistik des Umweltbundesamtes (UBA) zu- folge, im EU-weiten Vergleich der C02-Äquivalente jeproduzierte Kilowattstunde den viertletzten Platz ein. Von einer Energiewende sind wir weit entfernt. Bei der stofflichen Verwertung nachwachsender Roh- stoffe ist es nicht viel anders. Unser wichtigster nach- wachsender Rohstoff ist das Holz. Die Bundeswaldin- ventur hat gezeigt, dass wir Holz im Überfluss haben, nur etwa 60 Prozent des jährlich nachwachsenden Hol- zes wird genutzt, weitere 40 Prozent stehen zur Verfü- gung. In Deutschland werden nur 16 Prozent der Ein- und Zweifamilienhäuser aus Holz gebaut, in den USA sind es 95 Prozent und in Finnland 50 Prozent. Bisher hat die Charta für Holz nicht gewirkt. Weitere Potenziale der stofflichen Nutzung sieht die FDP bei den Pflanzenölen im Bereich der Bioschmier- stoffe, bei den Faserstoffen in der Automobil- und Baustoffindustrie, in der Blauen Biotechnologie, der Nutzung von Naturstoffen mariner Organismen wie Schwämmen, Tunikaten und Algen. Damit endlich Fortschritte bei der Nutzung nach- wachsender Rohstoffe erzielt werden, brauchen wir Ini- tiativen auf ganz verschiedenen Politikfeldern: Nicht alle Naturstoffe sind von Natur aus für die in- dustrielle, stoffliche Nutzung geeignet; die produzierte Menge ist nicht immer ausreichend. Deswegen müssen die Organismen, die diese Naturstoffe produzieren, züchterisch verändert und dadurch die nachwachsenden Rohstoffe an die Nutzungserfordernisse angepasst wer- den. Moderne Züchtung schließt die Methoden der Gen- technik mit ein. Die züchterische Weiterentwicklung von Mikroorganismen wie auch von Pflanzen macht Bakte- rien und Pflanzen fit, damit sie verstärkt als Produzenten von nachwachsenden Rohstoffen genutzt werden kön- nen. Gerade die Forschungsansätze bei Raps und Kartof- feln sind vielversprechend. Der Bundeskanzler spricht zwar viel von Innovatio- nen, doch die rot-grüne Regierung handelt genau entge- gengesetzt: Das Gentechnikgesetz blockiert die Anwen- dung der Grünen Gentechnik in der Forschung und im Anbau transgener Kulturpflanzen. Die Forschungsförde- rung im Bereich der Grünen Gentechnik ist drastisch re- duziert, Beispiel GABI (Genomanalyse im Biologischen System Pflanze), die Ressortforschung wird von Minis- terin Künast behindert, die Ergebnisse, wenn sie dem grünen Weltbild widersprechen, negiert. Nur eine Forschungsstrategie mit Einbeziehung gen- technischer Methoden wird den nachwachsenden Roh- stoffen zum Durchbruch verhelfen. Der von Rot-Grün vorgelegte Antrag ist auf diesem Auge blind. Bürokratische und praxisferne Reglementierungen, die der Nutzung nachwachsender Rohstoffe entgegenste- hen, müssen abgebaut werden. Das betrifft Bundes- wie auch Länderregelungen. Im europäischen Binnenmarkt sind zum Beispiel die unterschiedlichen Bestimmungen 15908 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) zum Gesamtlastzuggewicht ein Fremdkörper, der Wett- bewerbsverzerrungen verursacht. Im Rahmen der Umsetzung der Energieeinsparver- ordnung müssen bis 2007 etwa 3 bis 7 Millionen Hei- zungsanlagen erneuert werden. Dies ist eine Chance, die energetische Nutzung von Holz voranzubringen. Eine verstärkte Förderung der Forschung im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe ist Voraussetzung für de- ren verstärkte Nutzung. Wir kennen noch lange nicht alle Naturstoffe, die zur Nutzung geeignet sind, wir kennen nicht deren Wirkungsweise. Daher müssen Grundlagen- forschung und angewandte Forschung zusammenwir- ken. Gleichzeitig muss die Markteinführung neuer Pro- dukte gefördert werden, wenn sie einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, und überflüssige Reglementie- rungen müssen abgebaut werden. Dann kann die Nut- zung nachwachsender Rohstoffe einen Beitrag zur Nach- haltigkeit leisten und gleichzeitig den ländlichen Raum in Deutschland fördern. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Die Entwicklungszusammenarbeit der EU konstruktiv weiterentwickeln – Effizienz und Nachhaltigkeit verbessern – Mehr Mut zur Reform der EU-Entwick- lungszusammenarbeit (Tagesordnungspunkt 14) Karin Kortmann (SPD): Am gestrigen Mittwoch hatte der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstmals Gelegenheit, mit dem neu ge- wählten EU-Entwicklungskommissar zu sprechen. Das war zeitlich umso passender, als wir heute an dieser Stelle darüber sprechen, dass die europäische Entwick- lungszusammenarbeit sich den veränderten Bedingun- gen in der einen Welt anpassen muss. Ich begrüße aus- drücklich, dass es gelungen ist, Entwicklungspolitik als eigenständiges Ressort innerhalb der EU-Kommission zu erhalten. Dass sich der Erhalt durchsetzen konnte, hat sicherlich auch damit zu tun, dass die hartgesottenen Kritiker dieses „weichen“ Politikfeldes mittlerweile er- kannt haben, wie wichtig dieses langfristige und nach- haltige Handeln ist. Wir haben hier im Bundestag über die Parteigrenzen hinweg häufig genug Kritik an der europäischen Ent- wicklungspolitik und an dem zuständigen Kommissar geübt. Gestern nun haben wir die Positionen von Herrn Louis Michel kennen gelernt. Ich freue mich auf die Zu- sammenarbeit mit ihm! Herr Michel hat große Linien angekündigt – er möchte Veränderungen erreichen, die darauf zielen, eine bessere Koordination zwischen den verschiedenen Poli- tiken der EU einerseits mit einer verstärkten Koopera- tion der Mitgliedstaaten in der EU andererseits zu ver- einbaren. Dies ist eine Herkulesaufgabe, die er gegen nicht geringe Widerstände, auch seiner Ressortkollegin- nen und -kollegen durchsetzen muss. Wir wollen und brauchen mehr Kohärenz zwischen den verschiedenen Politikbereichen wie Handel, Agrar-, Außen- und Si- cherheitspolitik und Entwicklungszusammenarbeit Denn auch wir wollen, dass drei wesentliche Ziele erreicht werden: erstens eine deutliche Steigerung der Effizienz europäischer Entwicklungszusammenarbeit, zweitens eine umfassende Erhöhung der Effektivität der Zusam- menarbeit und drittens eine gravierende Änderung bei der derzeit mangelhaften Kooperation zwischen und mit den Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaa- ten sind gemeinsam die weltweit größten Geber für Ent- wicklungshilfe: rund 55 Prozent kommen aus den Fi- nanztöpfen der EU. Gleichzeitig sind wir der wichtigste Handelspartner der Entwicklungsländer. Im kommenden Jahr werden das etwa 46 Milliarden Euro sein. Gut 8 Milliarden Euro vergibt die EU, den größten Beitrag leisten die einzelnen Mitgliedstaaten der EU. Kommis- sar Michel hat am vergangenen Dienstag die Europäi- sche Kommission dazu bewegt, den Mitgliedstaaten ein neues sehr ehrgeiziges Ziel zu stecken: Bis 2010 sollen die Finanzmittel durch die Mitgliedstaaten um weitere 20 Milliarden Euro erhöht werden, also eine Erhöhung um knapp 50 Prozent. Dieser Forderung können wir dann zustimmen, wenn damit auch die notwendigen Re- formen in der EU-Entwicklungspolitik erfolgreich ein- geleitet sind. Die Kommission hat sich erstmalig auch zur Mitver- antwortung der neuen EU-Mitgliedstaaten für die Ent- wicklung nicht nur im eigenen Land, sondern auch in den armen Ländern geäußert. Das ist richtig, aber nicht nur einfach zu verordnen, sondern setzt entsprechende Prozesse in den dortigen Ländern und Regierungen vo- raus. Das braucht Zeit. Das 0,7-Prozent-Ziel allein wird jedoch nicht zur Lö- sung der gravierenden Entwicklungsdefizite in den ärmsten Ländern führen. Ich bezweifle insbesondere, dass es mit den derzeitigen Instrumenten möglich ist, den Betroffenen Mittel in die Hand zu geben, um zu einer selbsttragenden Entwicklung zu kommen. Wir brauchen – und damit komme ich auf meine obigen For- derungen zurück – eine erhebliche Steigerung der Effek- tivität und Effizienz der eingesetzten Mittel auf europäi- scher Ebene. Wir legen sehr hohe Maßstäbe an unsere nationalen Institutionen und staatlichen Organisationen bei der Ver- wendung der ihnen vom Steuerzahler zur Verfügung ge- stellten Mittel. Wir stellen immer wieder aus gutem Grund die Sinnhaftigkeit der Instrumente infrage, um weitere Verbesserungen zu erzielen. Wir können deshalb nicht umhin, ebenso hohe Standards auch von den euro- päischen Institutionen und Organisationen zu verlangen. Deshalb verlangen wir in unserem Antrag auch ein sys- tematisches Monitoring und regelmäßige Evaluierungen der Programme der Gemeinschaftshilfe. Wir glauben und wissen aus der nationalen Erfahrung, wie wirksam dies für eine Steigerung der Ergebnisse sein kann. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15909 (A) (C) (B) (D) Der Entwicklungskommissar hat sich gestern erfreuli- cherweise zu einem weiteren Thema ausführlich ge- äußert, das wir auch in unserem Antrag fordern: die Erstellung von gemeinsamen Länderstrategiepapieren. Das ist ein weiterer wichtiger Hebel, die vorhandenen Mittel so einzusetzen, dass Projekte und Programme nicht komplementär wirken, sondern den gewünschten Kohärenzgedanken auch in einem überschaubaren Um- feld verankern. Es wäre beispielsweise denkbar, dass ein Geberland eine „Leadership“ für einen Politikbereich in einem Land oder einer Region übernimmt, in dem es aufgrund seiner historischen Erfahrungen und Verant- wortungen einen komparativen Vorteil gegenüber den anderen Mitgliedstaaten besitzt Das muss nicht für im- mer und alle Zeiten gelten, aber es gäbe dann eine di- rekte Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft. Eine solche Initiative hat Louis Michel angekündigt und ich hoffe, dass es ihm gelingt, dieses umzusetzen. Die so- zialdemokratischen Entwicklungspolitiker und -politike- rinnen werden ihn dabei jedenfalls nach Kräften unter- stützen. Unterstützung sagen wir auch bei dem Ziel zu, den am stärksten benachteiligten Kontinent wieder stärker in den Blick zu nehmen: Afrika ist mit seinen 58 Ländern, mindestens neun großen innerstaatlichen oder grenz- überschreitenden Konflikten, seinen 900 Millionen Menschen, der durch HIV/Aids derzeit am stärksten be- troffenen Region und einem weit verbreiteten Staatszer- fall in einer Lage, die nicht mehr aus eigener Kraft gelöst werden kann. Dagegen steht der Rohstoffreichtum, der leider in vielen Ländern nicht für eine zukunftsfähige Entwicklung genutzt wird, oder das starke Bevölke- rungswachstum, das durch die Aids-Pandemie in seiner Kontinuität zerstört wird. Diesen Kontinent mit zusätz- lich finanziellen Ressourcen auszustatten, ist dringend notwendig und wird von uns unterstützt. Allerdings gilt auch hier: Die Regierungen in den Partnerländern müs- sen Gegenleistungen erbringen. Wir können nicht un- konditioniert Mittel in korrupte und unfähige Regime in- vestieren, die kurz darauf auf Schweizer Bankkonten landen. Es muss unser oberstes Ziel sein, die Lebensbe- dingungen der Bevölkerung zu verbessern, nicht Herr- schaftssysteme zu stützen. Wir sollen Strukturen auf- bauen, die den Menschen auch mittel- und langfristig helfen, ihre Existenz zu sichern, und wir sollten sie nicht mit kurzfristiger Nahrungsmittelhilfe von weiterer Hilfe abhängig machen. Dies ist politisches Handeln der deut- schen Entwicklungszusammenarbeit, es muss auch Leit- linie europäischen Handelns sein, Das Scheitern der WTO-Konferenz von Cancun hat einmal mehr die Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern offenbart. Wir wollen eine Verbes- serung der Handelsbeziehungen für die Entwicklungs- länder erreichen, vor allem durch den Abbau von Agrar- subventionen. Ich verweise dazu auf das SPD-Papier zur Zuckermarktordnung. Oberstes Ziel der Entwicklungs- politik der Gemeinschaft muss die Überwindung von Hunger und Armut sein. Maßnahmen der EU in Berei- chen wie Migration, Kampf gegen den Terrorismus oder bewaffnete Friedenseinsätze bei akuten Konflikten soll- ten jedoch grundsätzlich nicht zulasten der für die nach- haltige Bekämpfung von Hunger und Armut bereitge- stellten Ressourcen verfolgt werden. Kommissar Michel teilt unsere Kritik, die wichtige Aufgabe der afrikani- schen Friedensfazilität aus dem Europäischen Entwick- lungsfonds zu finanzieren. Deutschland hat viele Kom- petenzen für die Zusammenarbeit in und mit der EU anzubieten: Seien es die guten Erfahrungen der Durch- führungsorganisationen wie auch das Know-how von entwicklungspolitischem Fachpersonal aus Deutschland. Hier wünschen wir uns eine stärkere Präsenz. Eine ver- besserte und arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen den nationalen und EU-Durchführungsorganisationen ist dringend erforderlich. Ich bitte Sie deshalb, sich unserem Antrag anzuschlie- ßen, die Entwicklungszusammenarbeit der EU konstruk- tiv weiterzuentwickeln und Effizienz und Nachhaltigkeit zu verbessern, Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Nicht zum ersten Mal diskutieren wir heute in diesem Hause Entwicklun- gen in der EU-Entwicklungszusammenarbeit, und leider unterscheidet sich das, was zu diesem Thema gesagt werden muss, nicht wesentlich von dem, was wir als CDU/CSU-Fraktion bereits zu früheren Zeitpunkten zur EU-EZ gesagt haben. Die beiden heute zu behandelnden Anträge stammen aus den Jahren 2003 bzw. 2004. Be- dauerlicherweise muss man jedoch konstatieren, dass sich an den in unserem Antrag aufgezeigten Problemen der EU-EZ bis heute wenig geändert hat: So beobachten wir zum Beispiel trotz der Gründung von Europe-Aid nach wie vor ein Zuviel an Bürokratie bei der Mittelver- gabe und müssen eine mangelnde Abstimmung mit den Politiken der Mitgliedstaaten bzw. mit den anderen Fachpolitiken der EU beklagen. Dies und andere Fakto- ren verhindern nach wie vor eine effektivere und effi- zientere Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union. Dabei haben Rat und Kommission schon im Jahre 2000 in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten, dass sich die EU-EZ insbesondere an den so genannten drei Ks, nämlich Koordination, Kohärenz und Komplementa- rität, messen lassen muss. Daneben wollte die EU ihre Aktivitäten auf insgesamt sechs Bereiche konzentrieren, die einen besonderen Beitrag bei der Armutsbekämp- fung leisten können, und zwar auf folgende: den Zusam- menhang zwischen Handel und Entwicklung, regionale Integration und Kooperation, Unterstützung der makro- ökonomischen Politik und Förderung eines gleichbe- rechtigten Zugangs zu sozialen Diensten, Transportsys- teme, Ernährungssicherheit und nachhaltige ländliche Entwicklung sowie Ausbau der institutionellen Kapazi- täten. Wenn man nun fünf Jahre nach dieser Erklärung eine Beurteilung der EU-EZ vornimmt, so fällt die Bi- lanz eher dürftig aus. Multilaterale Entwicklungszusammenarbeit bekommt nur dann einen Sinn, wenn sie gegenüber den nationalen Politiken einen Mehrwert schafft, sie insofern also jene Lücken schließt, die durch nationale Maßnahmen nicht bzw. durch gemeinschaftliches Handeln besser geschlos- sen werden können. Betrachtet man jedoch das 15910 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) umfassende Sammelsurium an Aktivitäten, die sich die EU auf ihre entwicklungspolitische Agenda geschrieben hat, so muss man feststellen, dass auf europäischer Ebene mal wieder gehörig über das Ziel hinausgeschos- sen wird. Der deutschen Bundesregierung ist es bisher nicht gelungen, den vollmundigen Ankündigungen des heute hier behandelten rot-grünen Antrages Taten folgen zu lassen und diesem entwicklungspolitischen Wild- wuchs der EU Einhalt zu gebieten. Es ist schon besorgniserregend, dass es im Rahmen einer Brüsselreise unserer Arbeitsgruppe nicht einmal hochrangigen Angehörigen der zuständigen Generaldi- rektion gelungen ist, uns praktische Beispiele für wirk- lich komplementäre Aktivitäten der EU-EZ zu liefern. Auch die gestern durchgeführte Anhörung von Kommis- sar Louis Michel in unserem Ausschuss hat an dieser Einschätzung wenig geändert. Dabei liegt es doch auf der Hand, wie eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten aussehen könnte. So wäre es im Sinne der Komplementarität denkbar, die Aktivitäten der EU einerseits auf jene Länder zu fokussieren, in denen die Mitgliedstaaten selbst nicht bzw. nicht mehr enga- giert sind. Andererseits könnte sich die EU auf die Un- terstützung von Maßnahmen konzentrieren, die ohne eine finanzielle EU-Einbindung gar nicht zustande kä- men. Dies würde einen wichtigen Beitrag leisten, damit die EU-EZ tatsächlich einen komplementären Charakter be- kommt. Die Bundesregierung muss endlich ihrer Verant- wortung für eine effektive und effiziente EU-EZ gerecht werden und auf dem europäischen Parkett für die Durch- setzung des Komplementaritätsgrundsatzes sorgen. Vie- les von dem, was die EU heute im Bereich der Entwick- lungspolitik betreibt, könnte von den Mitgliedstaaten wesentlich besser durchgeführt werden. Ich möchte des- halb die Bundesregierung bei der Mitgestaltung der EU- EZ ausdrücklich daran erinnern, dass sich der Subsidia- ritätsgedanke auch auf die Entwicklungszusammenarbeit bezieht. Leider ist es nicht nur die mangelhafte Berücksichti- gung der Komplementarität, die wir bei der Betrachtung der EU-EZ bemängeln müssen. Auch eine Beurteilung der Kohärenz zwischen den verschiedenen Fachpolitiken fällt in zahlreichen Fällen negativ aus. Dabei ist es nicht nur die mangelnde Abstimmung zwischen der Entwick- lungszusammenarbeit einerseits und der Handels- und Agrarpolitik andererseits, die hier ins Auge fällt. So be- rühren auch die Migrationspolitik und die Umweltpolitik die Entwicklungszusammenarbeit in vielerlei Hinsicht. In ihrem Konsultationspapier zur Fortentwicklung der EU-EZ hat die Kommission selbst darauf hingewiesen, dass zwischen diesen Politikfeldern viele Synergien und Verbindungen bestehen, die auf europäischer Ebene noch nicht hinreichend berücksichtigt sind. Nennen möchte ich hier zum Beispiel die Diskussion um Brain- drain bzw. Braingain sowie die Verbesserung des Um- weltmanagements in unseren Partnerländern. Wir kön- nen unsere Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnern nur erhalten, wenn wir ihnen endlich die Chance zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung einräumen. Ein kohärentes Handeln in der Entwicklungszusammen- arbeit und in vielen anderen Politikfeldern, in denen die EU Kompetenzen besitzt, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus ist auch die Koordination der EU-EZ mit den jeweils nationalen Entwicklungspolitiken nach wie vor alles andere als zufriedenstellend. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Kolleginnen und Kol- legen von Rot-Grün in ihrem Antrag die Ansätze der Bundesregierung zur Synchronisation von nationaler und europäischer Entwicklungszusammenarbeit über den grünen Klee loben. Wie gering sind eigentlich ihre Ansprüche geworden, wenn ihnen bereits Bemühungen ohne jegliche Ergebnisse ausreichen, um dieser Regie- rung ein gutes Zeugnis ausstellen? Tatsächlich passiert ist doch so gut wie gar nichts in diesem Bereich! Unsere eigenen Durchführungsorganisationen sowie eine Viel- zahl an NROs beklagen immer wieder die nach wie vor eklatanten Koordinationsdefizite zwischen supranationa- ler und nationaler Entwicklungszusammenarbeit. Die Bundesregierung muss auch hier Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass die Aktivitäten in- nerhalb der EU endlich besser aufeinander abgestimmt werden. Genau dies ist eine Aufgabe, die die EU als zen- traler Akteur im Grundsatz besser erfüllen kann als die einzelnen Mitgliedstaaten. Doch auch in diesem Bereich sind die Ergebnisse bisher enttäuschend. Ein weiterer Schwachpunkt der EU-EZ ist die nicht mehr zu rechtfertigende Sonderbehandlung der AKP- Staaten. Diese Sonderbehandlung ist sachlich falsch und muss deshalb umgehend aufgehoben werden. Im Gegen- satz zu unserem problematisiert der rot-grüne Antrag diese Tatsache leider überhaupt nicht. Mit unserer Forderung nach einer Beendigung der Sonderbehandlung der AKP-Staaten sind wir keinesfalls isoliert. In vielen Gesprächen, die wir geführt haben, be- fürworteten auch NROs sowie Kommissionsvertreter immer wieder eine Änderung des bisherigen Kurses. Das Cotonou-Abkommen, das bis 2020 die Handelsbezie- hungen zwischen der EU und den AKP-Staaten regelt, sieht nach wie vor einseitige Handelspräferenzen vor und läuft damit den Regelungen der WTO zuwider. Was wir brauchen, ist keine regionale Parzellierung der euro- päischen EZ, sondern die Etablierung eines einheitli- chen, WTO-konformen Systems auf europäischer Ebene, welches nicht zwischen den unterschiedlichen Partnerstaaten der EU diskriminiert. Die Europäische Kommission hat zu Beginn dieses Jahres einen umfassenden Konsultationsprozess über die Zukunft der europäischen Entwicklungszusammenar- beit in Gang gesetzt. Dabei betont sie richtigerweise die Notwendigkeit einer engen Verzahnung von Entwick- lungspolitik einerseits und Außen- und Sicherheitspoli- tik andererseits. Denn der Zusammenhang zwischen Ar- mut und politischer Instabilität ist offensichtlich: Von den 60 ärmsten Ländern der Welt ist rund die Hälfte von bewaffneten Konflikten betroffen, wobei Armut sowohl Ursache als auch Folge kriegerischer Auseinanderset- zungen ist. Eine Integration von Konfliktprävention und Krisenbewältigung ist demnach zweckmäßig und liegt zu Recht auch der aktuellen Sicherheitsstrategie der EU zugrunde. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15911 (A) (C) (B) (D) So richtig es ist, diese beiden Bereiche zu verzahnen, so richtig ist es aber auch, festzustellen, dass die Ent- wicklungszusammenarbeit über Sicherheitsaspekte hi- naus wichtige Aufgaben zu erfüllen hat. Die Bekämp- fung von Armut dient auch, aber eben nicht nur der Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen. Deshalb – und auch hier ist die Bundesregierung gefordert – muss die institutionelle und finanzielle Eigenständigkeit der EU-Entwicklungszusammenarbeit auch in der Zu- kunft unbedingt gewahrt bleiben. Die notwendige Ab- stimmung zwischen den Politikbereichen darf nicht dazu führen, dass die Entwicklungszusammenarbeit aus- schließlich für außen- und sicherheitspolitische Belange instrumentalisiert wird. Dass eine solche Gefahr durch- aus bestehen könnte, dokumentiert auch der aktuelle EU-Haushalt. Aus diesem wird ersichtlich, dass nur Bruchteile der insgesamt für entwicklungspolitische Maßnahmen zur Verfügung stehenden Mittel in Bereiche wie Grundbildung und medizinische Basisversorgung fließen, die aber für den Aufholprozess unterentwickel- ter Volkswirtschaften eminent wichtig sind. Die Bundesregierung darf hier nicht die Hände in den Schoß legen, sondern muss dringend auf solche Miss- stände hinweisen. Genauso muss sie verhindern, dass die nach außen gerichteten Aktivitäten der EU sich nur noch einseitig von sicherheitspolitischen Interessen leiten las- sen. Dass es Tendenzen in dieser Richtung gibt, darauf deutet zum Beispiel auch die neue Nachbarschaftspolitik der EU hin. Diese darf nicht dazu führen, dass immer weniger EU-Mittel für jene armen und ärmsten Staaten der Erde verausgabt werden, die für uns sicherheitspoli- tisch vielleicht nicht so interessant sind wie andere Län- der, aber dafür umso hilfsbedürftiger sind. Aber es ist sicherlich nicht davon auszugehen, dass die Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün gerade auf europäischer Ebene für eine bessere Entwicklungszu- sammenarbeit sorgen, wenn ihnen das schon im nationa- len Kontext nicht gelingt. Dabei zeigen uns doch die Zahlen eindrucksvoll, dass wir bei der Armutsbekämp- fung endlich vorankommen müssen: Nach Untersuchun- gen der UNCTAD hat sich die Anzahl der in absoluter Armut lebenden Menschen in den letzten 30 Jahren na- hezu verdoppelt, und wenn sich die Entwicklung weiter fortsetzt, werden im Jahr 2015 weltweit über 400 Millionen Menschen mit weniger als 1 Dollar pro Tag auskommen müssen. Dies sind etwa ein Drittel mehr Personen als heute. Besonders besorgniserregend ist die Situation im südlichen Afrika, wo nach VN-Angaben bei einer Fortführung der bisherigen Anstrengungen von In- dustrie- und Entwicklungsländern die Millenniumsziele erst im Jahr 2165 erreicht werden. So lange können, so lange dürfen wir nicht warten. Wir müssen jetzt handeln und die Entwicklung in unse- ren Partnerländern vorantreiben durch eine effektive und effiziente bilaterale, aber auch multilaterale Entwick- lungszusammenarbeit auf europäischer Ebene. Die letzten sechs Jahre wurden von Rot-Grün jedoch weitgehend ungenutzt gelassen. Anstatt eine Entwick- lungszusammenarbeit zu betreiben, die im Interesse Deutschlands und seiner Partner liegt, streicht diese Bundesregierung die Mittel für die bilaterale EZ immer weiter zusammen und setzt verstärkt auf ein multilatera- les Vorgehen, das häufig vollkommen ungeeignet ist, un- sere entwicklungspolitischen Zielsetzungen zu errei- chen. Es ist schon höchst bedauerlich, wenn mittlerweile Länder wie Frankreich, Großbritannien und Norwegen im Verhältnis zu ihrem jeweiligen Sozialprodukt mehr für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben als Deutschland. Dass diese Bundesregierung die aktuellen Pläne des EU-Entwicklungskommissars für die Mitgliedstaaten der EU 15 erfüllen kann, bis zum Jahr 2010 mindestens 0,56 Prozent des BIP für die Entwicklungszusammenar- beit zur Verfügung zu stellen, erscheint wenig realis- tisch. Deshalb wird es höchste Zeit, dass wir als CDU/ CSU-Fraktion zukünftig wieder die entwicklungspoliti- sche Verantwortung übernehmen, um die nationale und europäische Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig zu verbessern. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Reform der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist ein gu- tes Stück vorangekommen, die Dezentralisierung zeigt Früchte, der Mittelabfluss des EEF hat sich verbessert. Die Bundesregierung hat sich stets dafür eingesetzt, die EU-Entwicklungspolitik auf das Oberziel Armutsbe- kämpfung auszurichten, auch hier hat sich einiges getan. Bei der Umsetzung der Armutsbekämpfung muss die EU aber noch konkreter werden. Ich möchte bereits heute anmahnen, dass die Bekämpfung von Hunger und Armut in den neuen Finanzperspektiven für 2007 bis 2013 eine Priorität bleiben muss. Wir müssen die strate- gische Ausrichtung der EU-Entwicklungspolitik auf die Millenniumsziele sogar noch verbessern und EU-Kom- missar Michel beim Wort nehmen, der sich ja gestern bei der Anhörung für mehr Kohärenz ausgesprochen hat. Auch die Agrarpolitik und Handelspolitik der EU muss der Zielsetzung der EU-Entwicklungspolitik entspre- chen. Und da liegen zwischen Anspruch und Wirklich- keit leider noch Welten. Aber auch innerhalb der EU-Entwicklungspolitik gibt es noch Reformbedarf. Um beim Aufbau einer nachhal- tigen Wirtschaft in den Entwicklungsländern und bei der Armutsbekämpfung noch effizienter zu arbeiten, muss die Partizipation der Zivilgesellschaft verstärkt werden. Hierfür gilt es, den Aktionsplan zur Beteiligung der Zivilgesellschaft im Rahmen des Cotonou-Abkommens mit Leben zu erfüllen. Es gilt aber auch, Antrags- und Bewilligungsverfahren für europäische NROs zu verein- fachen und transparenter zu machen. Aber da hat ja auch der neue EU-Entwicklungskommissar gestern eine Menge versprochen. Deshalb bin ich auf diesem Gebiet auch optimistisch. In Hinblick auf die EU-Osterweite- rung ist es dringend geboten, die Sensibilität für Ent- wicklungsfragen in diesen neuen Ländern zu stärken. Dies sollte durch einen verstärkten Austausch im Rah- men der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, durch die technische Beratung unserer Vorfeldinstitutionen, aber auch durch eine starke Beteiligung der Zivilgesell- schaft geschehen. 15912 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Ich habe bereits erwähnt, dass sich der Mittelabfluss des EEF verbessert hat. Es könnte jedoch noch effizien- ter und vor allem noch schneller laufen. Die Qualität braucht darunter nicht zu leiden. Die bisherigen Erfolge durch eine Verstärkung der personellen Präsenz vor Ort und eine zügige Umprogrammierung der Mittel im Falle schlechter Performer sind ausbaubar. Dass die EU sich tatkräftig an globalen Initiativen wie HIPC, dem Globa- len Gesundheitsfonds oder dem Nachfolgeprozess von Johannesburg beteiligt, ist aus meiner Sicht richtig. Auch eine verstärkte Nutzung der Budgethilfe, immer dort, wo dies qualifiziert machbar ist, finde ich gut. In Hinblick auf den EEF haben wir in unserem Antrag auf ein ganz zentrales Problem hingewiesen: Es ist zu gewährleisten, dass die Mittel zur Erreichung entwick- lungspolitischer Ziele adäquat eingesetzt werden, um zu verhindern, dass Entwicklungsgelder der EU im Rahmen der Bewältigung immer neuer Aufgaben für sicherheits- politische oder militärische Einsätze zweckentfremdet werden. Dort, wo es sinnvoll ist, EU-finanzierte Frie- densmissionen zu unterstützen, müssen diese durch ei- genständige Finanzierung abgesichert sein. Eine entspre- chende Budgetlinie ist in der finanziellen Vorausschau 2007 bis 2013 einzurichten. Auch für dieses Vorhaben will sich Louis Michel ja persönlich einsetzen. Als eine der wichtigsten Herausforderungen verbleibt für die EU, Entwicklungs- und Handelspolitik kohärenter zu ma- chen. Die EU-Handelspolitik darf nicht den Zielen ihrer Entwicklungspolitik widersprechen. Deshalb ist es so enorm wichtig, dass sich die EU in der WTO-Runde „entwicklungsfreundlich“ verhält. Dies gilt auch für biregionale Verhandlungen und ganz besonders für die EPAs, die Economic Partnership Agreements. Wir wol- len, dass hier genau das geschieht, was wir schon in un- serem WTO-Antrag von Mitte 2003 hervorgehoben ha- ben: Entschiedene Schritte der Beendigung von EU- Agrarexportsubventionen, qualifizierte Marktöffnung und Abbau der Zolleskalation für Schlüsselprodukte der Entwicklungsländer. Diese entwicklungsfördernden Zu- geständnisse dürfen auf der anderen Seite nicht, wie das gerade passiert, durch eine Singapur-Agenda für EPAs erzwungen werden. Die Singapur-Themen, Investitions- abkommen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungs- wesen, gehören nicht auf die Agenda der EPA-Verhand- lungen. Dass die EU in der Lage ist, durch Subventionsabbau frei werdende Gelder für Entwicklungsaufgaben einzu- setzen und damit eine doppelte Dividende zu erzielen, werden wir – so hoffe ich sehr – in Kürze im Rahmen der EU-Zuckermarktordung erleben. Die Agrarexport- subventionen auf Null zu fahren – und einen wesentli- chen Teil der dadurch frei werdenden Mitteln den AKP- Staaten und den LDCs geben, damit sie durch die Um- stellung ihrer Wirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Ar- mutsbekämpfung leisten können – wäre ein prima Signal aus Europa, ein Signal, das jetzt einfach dran ist! Markus Löning (FDP): Die FDP begrüßt die vom neuen Kommissar Louis Michel mit Tatkraft und viel Energie angegangene Reform der EU-Entwicklungspoli- tik hin zu mehr Effizienz. Wir begrüßen es insbesondere, dass er das unter seinem sozialistischen Vorgänger Poul Nielsen begonnene und ausufernde Beratungs- und Eva- luierungsunwesen zurückfahren will. Dies hat viel ge- kostet und nichts gebracht. Nicht Gutachten werden ge- braucht, sondern entschlossenes politisches Handeln. Dafür ist der Liberale Louis Michel der richtige Mann. Als ehemaliger Außenminister wird er seinem Ressort wieder Farbe und Format geben. Wir unterstützen ihn auch deshalb, weil er die Entwicklungspolitik als genui- nen Bestandteil der Außenpolitik begreift, der kein Mau- erblümchendasein führen darf. Ein EU-Kommissar muss die Beschlüsse von Rat und Parlament ausführen. Hier gibt es natürlich auch Punkte, die wir kritisch betrachten. So halten wir die auch von der EU postulierte Festlegung auf eine ODA-Quote von 0,51 Prozent bis 2010 und 0,7 Prozent bis 2015 für so- wohl unrealistisch als auch für nicht wünschenswert, so- lange bestehende Effizienzreserven im System nicht aus- geschöpft werden. Darüber hinaus sagen wir auch klar, dass Deutschland bei der derzeitigen jährlichen Neuver- schuldung keinerlei zusätzliche Mittel aufbringen kann. Statt immer mehr Mittel in ein kaum reformiertes System zu pumpen, fordert die FDP, die EU-Entwick- lungprojekte konsequent aus den Middle Income Coun- tries – MIC – abzuziehen und sie statt dessen auf die Low Income Countries – LIC – zu konzentrieren. Diese finden sich zum ganz überwiegenden Teil in der Region Subsahara-Afrika. Wir begrüßen es, dass Kommissar Michel sich mit al- lem Gewicht dafür einsetzt, die EU-Entwicklungspolitik mehr und mehr auf Afrika zu konzentrieren. Dies ist überfällig, denn Länder wie Indien und insbesondere China, die in Afrika bereits selbst als Geber auftreten, brauchen unsere Entwicklungshilfe nicht mehr. Für sie, aber auch für ressourcenreiche Länder wie Mexiko, Bra- silien und andere mehr, weisen Wirtschafts-, Wissen- schafts- und Bildungskooperation den richtigen Weg. Deutschland wäre gut beraten, diesem Weg zu folgen. Am meisten könnte für Entwicklungsländer dadurch gewonnen werden, dass die EU schnellstmöglich die noch existierenden Marktzutrittsbarrieren für Drittländer beseitigt. Es ist doch abartig, dass wir gegenüber Kolum- bien den Bananenimport in die EU mit Zöllen belegen und gleichzeitig kolumbianischen Bauern mit Entwick- lungshilfe unter die Arme greifen, damit sie vom Koka- Anbau wegkommen. Weniger Zölle zu erheben hilft viel mehr, als teure Entwicklungsprojekte zu finanzieren, denn erstens hilft dies den Entwicklungsländern, mit eigenen Produkten auf dem Weltmarkt zu bestehen, und zweitens vermeidet es, dass mit der Hilfe von Entwicklungszahlungen neue Geber-/Empfänger-Strukturen entstehen, die vor allem an ihrem eigenen Fortbestand interessiert sind und nicht daran – wie es doch eigentlich bei der Hilfe zur Selbst- hilfe der Fall sein sollte –, sich schrittweise selbst über- flüssig zu machen. Was wir brauchen, ist eigene Wirt- schaftskraft von Entwicklungsländern, nicht neue Abhängigkeiten in altem Geber-/Empfänger-Denken. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15913 (A) (C) (B) (D) Dies gilt im Kleinen, also bei der bilateralen nationa- len Entwicklungszusammenarbeit, und dies gilt mehr noch im Großen, bei der multilateralen Entwicklungszu- sammenarbeit. Bestes Beispiel hierfür ist die Zusam- menarbeit der EU mit den AKP-Staaten. Für die FDP ist die Idee der vertieften Zusammenarbeit der EU mit den AKP-Staaten, also den nach dem Zweiten Weltkrieg un- abhängig gewordenen französischen, britischen, portu- giesischen und spanischen Kolonien heute nicht mehr zeitgemäß. Wieso erhält zum Beispiel Belize, das ehemalige Bri- tisch-Honduras, als AKP-Staat eine Vorzugsbehandlung, sein Nachbar Honduras aber nicht? Das ist nicht sachge- recht und muss auch so bezeichnet werden. Die FDP fordert daher die Abkehr von der Sonder- stellung der AKP-Staaten. Ein Folgeabkommen für das gegenwärtige Cotonou-Abkommen, das die Grundlage für die EU-AKP-Zusammenarbeit darstellt, soll es unse- res Erachtens nicht mehr geben. Statt dessen soll die Zusammenarbeit mit den AKP- Staaten in die normale Entwicklungspolitik der EU ein- gegliedert werden. Diese Forderung erstreckt sich insbe- sondere auch auf das Hauptinstrument der EU-AKP-Zu- sammenarbeit, den EEF. Wir fordern, diesen schnellstmöglich in den EU- Haushalt einzugliedern und die gegenwärtigen Planun- gen für einen 10. EEF abzubrechen. Die Beschlussfas- sung über die finanzielle Vorausschau der EU für 2007 bis 2013 gibt einen willkommenen Anlass, diese von uns seit langem erhobenen Forderung umzusetzen. Dies brächte mehr Haushaltsklarheit und Transparenz. Der dann anteilig höhere Beitrag Deutschlands zum bisherigen EEF entspräche sodann dem deutschen Anteil im allgemeinen EU-Haushalt. Diesen finanziellen Bei- trag zur Haushaltsklarheit sind wir bereit zu erbringen. Wir sind aber nicht bereit, einfach mehr Geld in die Ent- wicklungspolitik zu pumpen, um ein rein quantitatives Ziel, 0,7 Prozent ODA-Quote bis 2015, zu erreichen. Helfen heißt mehr als Bezahlen. Es kommt vielmehr darauf an, richtig zu helfen. Dafür stehen wir jederzeit zur Verfügung. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Stärkung der Künst- lersozialversicherung (Tagesordnungspunkt 18) Angelika Krüger-Leißner (SPD): Hunderte, ja, Tausende von E-Mails haben die Mitglieder der En- quete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vor Wochen erreicht und deren Büros für einige Zeit beschäftigt. In- haltlich forderten all diese Schreiben nur eines: Die Künstlersozialkasse muss erhalten werden. Grund für diese Flut an Meldungen war eine einzige missverständliche Äußerung der Vorsitzenden der En- quete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Gitta Connemann. „Soll die KSK erhalten werden, kann sie überhaupt erhalten werden?“ fragte Frau Connemann in der Einladung zu einer öffentlichen Anhörung. Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, wie sinnvoll es ist, so etwas zu schreiben, wenn man, wie auch die Union beteuert, das System erhalten will. Nach Beteue- rungen von allen Seiten ebbte die Masse der E-Mails schnell ab. Aber uns allen dürfte dieser Moment noch einmal vor Augen geführt haben, wie wichtig das soziale Siche- rungssystem der KSK in Deutschland für Künstler und Publizisten ist. Als der Künstlerbericht der Bundesregierung 1975 zu dem Ergebnis kam, dass die Berufe im Kulturbereich be- sonders schützenswert sind, wurde der Gedanke der Künstlersozialversicherung geboren. Am 27. Juli 1981 wurde – nach langen Diskussionen – das entsprechende Gesetz von der sozialliberalen Koalition verabschiedet. Besonders die Verwerterseite wehrte sich, zog in den 80er-Jahren sogar vor das Bundesverfassungsgericht, zum Glück aber erfolglos. Wie bedeutsam die KSK werden würde, war damals allerdings nicht absehbar. Nach dem ersten Jahr waren es gerade einmal 12 000 Versicherte, die über dieses Sys- tem unterstützt wurden. Heute, nach zwei KSK-Novellen, sind über 140 000 bildende Künstler, Musiker, Journalisten, Schriftsteller und andere über die Künstlersozialversi- cherung versichert. Das Haushaltsvolumen liegt bei nun- mehr 537 Millionen Euro. Zum Vergleich: Vor zehn Jah- ren waren es unter 200 Millionen Euro. Die Bedeutung der KSK hat sich deutlich vergrößert. Sie spielt eine wichtige Rolle in unseren sozialen Siche- rungssystemen. Denn in einem ähnlichen Maß wie das Haushaltsvolumen ist auch die Zahl der Versicherten ge- stiegen. Aber eben diese Entwicklung bringt auch Probleme mit sich. Diese Erkenntnis herrscht auf allen Seiten. Denn die finanzielle Belastung muss gemeinsam ge- schultert werden. Das gilt in besonderem Maße für die Verwerterseite. Bei einem Bundeszuschuss von 20 Prozent hat sich der Abgabesatz für die Verwerter von 3,8 Prozent in 2003 auf 4,3 Prozent in 2004 und nunmehr auf 5,8 Prozent in 2005 entwickelt. Das sind bedeutende An- stiege. Auch der Bundeszuschuss hat sich auf rund 100 Millionen Euro erhöht. Die Gründe dafür sind vielfältig. Das kulturelle Leben in Deutschland ist sehr vital. Über diese Ursache des An- stieges können und sollten wir uns freuen. Ein anderer Grund des stetigen Anstiegs der Mitglieder in der KSK liegt aber auch in der wirtschaftlichen Lage und der Re- aktion der Unternehmen darauf. Viele Künstler und Publizisten haben zurzeit kaum noch ausreichend Möglichkeiten, in einem Angestellten- verhältnis tätig zu sein. Und die Unternehmen, gerade im journalistischen Bereich, gehen dazu über, ihre Ange- 15914 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) stellten in die KSK auszulagern. Dieses Outsourcing führt zu deutlichen Einsparungen. Denn die KSK-Ab- gabe ist immer noch bei weitem geringer, als Sozialab- gaben es sind. Aus meiner Sicht ist der Bundeszuschuss bei all dem noch zu rechtfertigen. Problematischer wird es, wenn wir den Anstieg bei den Verwertern betrachten, der in bestimmten Bereichen die Wirtschaftlichkeit des Kultur- betriebs gefährden kann, wenn die Tendenz weiterhin so anhält. Daher gilt für die KSK, was wir in anderen sozialen Sicherheitssystemen ebenfalls festgestellt haben: Wir müssen sie den veränderten Gegebenheiten anpassen, wenn wir sie erhalten wollen. Und dies muss an dieser Stelle nochmals betont wer- den: Wir wollen die Versicherung unter allen Umständen erhalten. Der Bestand dieses Systems darf aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion nicht infrage gestellt werden. Die Künstlersozialversicherung ist und bleibt ein in Europa einzigartiges System, dass es Kulturschaffenden ermöglicht, ihre Berufung auszuüben, sobald sie in der Lage sind, den Hauptteil ihre Einkommens davon zu be- streiten. Das schafft große Sicherheit und Möglichkeiten für die Versicherten, wie sie sonst nicht denkbar wären, und es erhält den vitalen Kulturbetrieb in Deutschland, den wir ohne die Künstlersozialversicherung so kaum hätten. Jede notwendige Änderung an dieser Stelle muss dem Ziel folgen, die Lebensfähigkeit der KSK zu erhalten. Das ist Sinn und Inhalt des Antrages von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu Stärkung der Künstlersozial- versicherung. Fassen wir aber zusammen, welche Probleme die KSV zurzeit hat: Erstens. Die steigende Anzahl der Mitglieder hat den Bundeszuschuss und die von den Verwertern zu zahlen- den Zuschüsse erhöht. Zweitens. Infolge rückläufiger Aufträge hat die Ho- norarsumme, auf die die Abgabe zu zahlen ist, nicht mit den Versichertenzahlen standgehalten. Die Verwerterab- gabe ist auf 5,8 Prozent gestiegen. Drittens. Durch Outsourcing werden bisher ange- stellte Künstler und Publizisten in die KSK getrieben. Der Bund übernimmt damit zunehmend Sozialabgaben, die zuvor die Unternehmen zu zahlen hatten. Viertens. Die Mitglieder in der Künstlersozialkasse werden zu selten auf Einkommen und Berechtigung ih- rer Mitgliedschaft überprüft. Die Erkenntnisse über die KSK-Mitglieder und ihre genaue soziale Absicherung sind noch gering. Auch hier gibt es ständig Veränderun- gen. Fünftens. Die Verwerter sind nicht ausreichend er- fasst. Viele entziehen sich ihrer KSK-Pflicht, sodass die erfassten Verwerter die Abgabe auf wenige Schultern verteilt zahlen müssen. Allein eine vollständige Erfas- sung würde den Verwerteranteil drastisch senken kön- nen. Die Folge aus dieser Situation kann nur sein, dass wir die Mitglieder in der KSK und die Verwerter besser überprüfen. Eine höhere Effizienz im System ist die ein- zige Möglichkeit, das System langfristig zu erhalten. Die KSK ist für Berufe zuständig, die als besonders schützenswert – und damit unterstützenswert – erkannt wurden. Diese sollen diese Sonderleistung in Anspruch nehmen können. Ein bessere Kontrolle schafft auch hier mehr Gerechtigkeit für die wirklich berechtigten Mit- glieder. Nachträgliche Einkommensnachweise können hier Klarheit bringen. In diesem Zusammenhang sei den Künstlern und Pu- blizisten in Deutschland nochmals gesagt: Es gibt keinen Grund zur Panik. Die KSK bleibt erhalten. Dafür steht die Regierungskoalition ein. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung in die- sem Zusammenhang schon erste Maßnahmen ergriffen hat, die für die Nachhaltigkeit der Künstlersozialversi- cherung wichtig sind. Vor allem die Beschlüsse zur ad- ministrativen und personellen Stärkung der KSK in Wil- helmshaven sind wichtig. Die Stärkung der Verwaltung ist hier ein Schritt zu mehr – und nicht wie sonst oft – zu weniger Effizienz. Es ist beachtlich, was die Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter der KSK mit geringem Personal in den letzten Jahren geleistet haben. Wir brauchen aber künftig mehr Personal für die Erfassung und Prüfung von Verwertern und Versicherten. Das macht die KSK zukunftsfähig und schafft mehr Gerechtigkeit. Auch und gerade in finanzieller Hinsicht. Es ist in diesem Zusammenhang dringend erforder- lich, dass die von der Bundesregierung aufgenommenen Anstrengungen zur Erfassung der Verwerter voran- schreiten. Unser Antrag unterstützt dabei die bisherigen Maßnahmen. Diese müssen schnell und sachgerecht zu Ergebnissen kommen. Wir können nicht so lange warten, bis die jetzt erfassten Verwerter in Abgabenhöhen kom- men, die wirtschaftlich nicht mehr zu leisten sind. Und wir wollen eine Analyse der zukünftigen Ent- wicklung der KSK. Auf Dauer ist ein derartiges Wachs- tum in den Mitgliederzahlen kaum zu rechtfertigen. Wir müssen Erkenntnisse darüber gewinnen, wie die Haus- haltssituation dieser Versicherung in Zukunft aussieht. Dann werden auch die Diskussionen über den Erhalt der KSK abebben. Ein großes Problem ist die Rentenabsicherung der Mitglieder der KSK. Unsere bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die meisten Mitglieder hier nur mit sehr unzureichenden Absicherungen rechnen kön- nen. Hier müssen Systeme, die wir in anderen Bereichen geschaffen haben, wie zum Beispiel die Riester-Rente, ebenfalls stärker als bisher verbreitet werden. Und schließlich wollen wir, dass Impulse, die aus dem „Runden Tisch“ von BMGS, BKM und Kulturrat kommen, auch aufgenommen werden. Es sind auch zu- künftig Anstrengung notwendig, um die KSK für die Be- rechtigten abzusichern. Die Künstlersozialversicherung ist ein System, auf das wir in Deutschland stolz sein können. Es gelingt uns Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15915 (A) (C) (B) (D) damit, das kulturelle Leben am Laufen zu halten, ohne dass Künstlerinnen und Künstler aus Sorge vor ihrer so- zialen Absicherung ihre Fähigkeiten nicht mehr nutzen. Die Politik darf dieses System nicht infrage stellen. Wir müssen klar und deutlich machen – auf allen Seiten des hohen Hauses – dass wir notwendige Reformen und Einsparungen in unserem Land nicht auf Kosten des kul- turellen Lebens und der Künstlerinnen und Künstler vor- nehmen werden. Dies können wir am besten dadurch zeigen, dass wir uns alle zum Erhalt der Künstlersozialversicherung be- kennen. Dies darf aber kein Lippenbekenntnis sein. Die Probleme werden deutlich. Der Erhalt ist wirtschaftlich langfristig nur möglich, wenn wir die in unserem Antrag genannten Maßnahmen vornehmen und die Bundesre- gierung bei ihren Anstrengungen unterstützen. Das sollte unser aller Ziel sein, im Sinne der Kultur- schaffenden, Künstler und Publizisten in Deutschland. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Lassen Sie mich nun kurz etwas über den Aufbau der Künstlersozialversi- cherung sagen: Die Künstlersozialversicherung wurde im Juli 1981 vom Parlament beschlossen und trat 1983 in Kraft. Sie ist eine einmalige sozialpolitische und so- zialdemokratische Errungenschaft und soll freien Künst- lern soziale Sicherheit schaffen und zugleich den Kultur- standort Deutschland dadurch bereichern. Die Künstlersozialkasse regelt die Künstlersozialver- sicherung. Sie ist eine Abteilung der Unfallkasse des Bundes mit Sitz in Wilhelmshaven und führt den Einzug der Gelder durch. Ist ein Künstler zum Beispiel bei der AOK krankenversichert, leitet sie die Gelder – Kranken- versicherung und Pflegeversicherung – an die betref- fende AOK weiter. Ebenfalls leitet die KSK die Gelder an die BfA weiter. Abgesehen vom Bundeszuschuss zu der Künstlersozialkasse trägt der Bund die Verwaltungs- kosten. Die Künstlersozialversicherung geht davon aus, dass viele freie Künstler in einem arbeitnehmerähnlichen Ver- hältnis stehen. Die Künstler, die versichert sind, zahlen nur die Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung. Die Verwerter zahlen gegenwärtig einen einheitlichen Betrag von 5,8 Prozent, weil sie nicht die Endverbraucher sind, sondern mit der Auftragsarbeit des Künstlers Geld verdienen. Ursprünglich diente der Bundeszuschuss als Aus- gleich zum „Selbstvermarktungsanteil“. Wenn Künstler zum Beispiel einem privaten Endverbraucher etwas ver- kaufen – etwa ein Bild –, sollte hier der Bund eine Ar- beitgeber-Zahlung „simulieren“. Viele Jahre haben Bund und Verwerter jeweils 25 Prozent in die KSK eingezahlt. Weil aber immer mehr Künstler in einem arbeitneh- merähnlichen Verhältnis stehen, ging auch der Anteil, den die Künstler durch Privatkunden erwirtschafteten, zurück. Somit hat der Bund im Jahr 2000 seinen Anteil auf 20 Prozent reduziert. Mittlerweile gilt der Bundeszu- schuss zur Künstlersozialkasse – KSK – entsprechend dem Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversiche- rung. Er gilt in erster Linie als kultur- und sozialpoliti- sche Maßnahme. Sie sichert den Künstler sozial ab. Der Bundeszuschuss ist mit 100 Millionen Euro aber so hoch wie noch nie. Der Bundeszuschuss ist auch deshalb so hoch, weil wir mittlerweile 140 000 Versicherte haben. Zur Forderung des Deutschen Kulturrates zur Anhe- bung des Bundeszuschusses auf 25 Prozent möchte ich aber sagen: Muss man das „Outsourcen“ auch noch un- terstützen? Viele Betriebe lassen oft die ehemaligen An- gestellten als freie Mitarbeiter für sie arbeiten. Für mich steht fest, dass viele Auftraggeber einen hohen Nutzen von den freien Kreativen haben: Eine angestellte Grafi- kerin „kostet“ den Arbeitgeber eben deutlich mehr an Abgaben als eine freie Mitarbeiterin. Und die freie Mit- arbeiterin muss er weder im Krankheitsfalle noch in der Schwangerschaft finanzieren, noch muss er den Arbeits- platz in diesem Fall drei Jahre freihalten. Denn berück- sichtigt werden muss das „Outsourcing“ im künstleri- schen Bereich der letzten Jahre. Und verglichen mit 2002 bekommen Künstler nur noch etwa 70 Prozent ih- res Honorars. Somit war die Erhöhung mehr als notwen- dig. 1983, im ersten Jahr, waren 12 569 Künstler versi- chert. Im Jahr 2001 waren es 110 000. Nun sind es be- reits 140 000. Dies hat mit dem bereits angesprochenen „Outsourcing“ zu tun. Auch hat die Möglichkeit, Ich- AGs zu gründen dazu beigetragen, den Anteil der Versi- cherten zu erhöhen. Weiterhin muss mit einem jährlichen Anstieg von etwa 6 000 bis 7 000 Personen gerechnet werden, die in die KSK aufgenommen werden. Es gibt auch die so genannten Mitnahmeeffekte. Nicht jeder Künstler, der sich als Künstler bezeichnet, ist auch einer. Hier entscheiden die KSK und im Streitfall die Sozialgerichte: So kann es eben sein, dass das Lan- dessozialgericht Niedersachsen-Bremen eine „japani- sche Teezeremonienmeisterin“ als Künstlerin im Sinne des KSVG einstuft, weil das Gericht überzeugt war, dass sie trotz des ja nun eigentlich nach japanischer Zeremo- nie sehr, sehr festen Ritus, diesen angeblich „eigen- schöpferisch“ auslegen würde. Aber wenn sie genug ein- zahlt, sollte uns das nicht weiter interessieren. Trotzdem wird in Zusammenarbeit mit Krankenkas- sen, Rentenversicherungsträgern, der KSK und dem Bundesversicherungsamt ein besserer Abgrenzungskata- log erarbeitet, um Missbrauch zu vermeiden. Zurzeit kennt die Berufsliste der KSK 110 Berufe, die grund- sätzlich versicherungsfähig sind. Denn es gibt Einord- nungsprobleme wie die so genannten Web-Designer: Sind es „Informatiker“ oder „Kreative“? Auch gibt es immer wieder vor Gerichten Abgrenzungsprobleme zum Kunsthandwerk – obwohl Kunsthandwerker grundsätz- lich ausgeschlossen sind. In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Ausnah- men aus der Abgabenpflicht: zum Beispiel für Vereine, die „heimatliches Brauchtum“ pflegen. Ebenso kann hier die „Übungsleiterpauschale“ – § 3 Nr. 26 EstG – er- wähnt werden, da nunmehr nebenberuflich künstlerisch Tätige bis 1 848 Euro im Jahr auch im Sinne der KSK abgabenfrei sind. Begünstigte sind hier zum Beispiel die Volkshochschulen – das freut sicherlich die Kommunal- politiker. 15916 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) Wir haben die Situation, dass sich immer mehr Ver- werter offenbar bei der KSK nicht melden wollen. Die KSK hat gegenwärtig noch nicht genug Personal, um kontrollieren zu können, wer als nicht angemeldeter Ver- werter tätig ist. Stichproben in den Gelben Seiten reichen nicht aus, um die Säumigen zu finden. Und so rufe ich Unternehmen auf, sich in „Ausgleichsvereinigungen“ zu- sammenzuschließen oder bestehenden beizutreten. Sie können dann günstigere Tarife erhalten. Unternehmen sollten sich gemeinsam freiwillig als „Verwerter“ mel- den. Das Einzugsverfahren wird hier durch Gruppenbil- dung vereinfacht. Ein verbilligter „Gruppentarif“ mit der KSK kommt den Verwertern auch entgegen. Wir von der Koalition sichern den Fortbestand der Künstlersozialversicherung durch folgende Maßnahmen: Vollständige Erfassung der Verwerter. Die vollstän- dige Erfassung wird ermöglicht durch die bereits am 1. April erfolgte Aufstockung von 4,5 auf 15,5 Stellen. Zusätzlich wird das BMGS 14 zusätzliche Stellen in die- sen Bereich einbringen. Die KSK muss Zugriff auf die Arbeitgeberdatei der BfA haben. Damit wird die Erfas- sung vereinfacht. Das BMGS prüft hier bereits, wie ein Datenausgleich rechtlich möglich ist. Bessere Überprüfung der Versicherten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die bessere Überprüfung der Versi- cherten. Bisher genügte es, wenn sie ihre voraussichtli- chen Einnahmen im kommenden Jahr angaben. Die Ver- sicherten der KSK werden jetzt bei der jährlichen Abfrage der KSK im Herbst veranlasst, Einkommens- nachweise und ihre Nachweise über ihre Auftraggeber vorzulegen. Ich denke, das ist berechtigt. Auch führt das BMGS auf Leitungsebene regelmäßige Gespräche mit dem „Aktionsbündnis Verwerter“. Ziel ist die Abschät- zung der Abgabenhöhe und die Erörterung weiterer Re- formoptionen. Ebenso gibt es einen runden Tisch zur KSK, an dem BMGS, KSK, Verwerter und Versicherte beteiligt sind. Natürlich muss auch die private Altersvorsorge ver- bessert werden: Hierzu gab es bereits am 2. Dezember 2004 eine Tagung vom BMGS und dem Deutschen Kul- turrat. Ziel war der Abschluss von Rahmenverträgen für die Verbandsmitglieder sowie die Werbung für staatlich geförderte Altersvorsorge. Für die Festsetzung des Ab- gabensatzes für das Jahr 2006, die im Herbst 2005 erfol- gen muss, kommt es entscheidend auf die Honorarmel- dungen von 2004 an – die liegen aber erst im Mai 2005 vor. Dreh- und Angelpunkt wird hier auch die Entwick- lung der Honorare sein. Aber wir Sozialdemokraten werden uns für das Weiterbestehen der Künstlersozial- versicherung zum Wohle der Künstler und des Kultur- standortes Deutschland einsetzen. Matthias Sehling (CDU/CSU): Ihr Antrag mit dem viel versprechenden Titel „Stärkung der Künstlersozial- versicherung“ ist ein typischer „Gutmenschenantrag“: Alles, was darin steht, hört sich zwar schön an; aller- dings wird dadurch weder die Künstlersozialversiche- rung stabilisiert noch verbessert sich die soziale Siche- rung der Künstlerinnen und Künstler. Zudem beschreibt Rot-Grün die derzeitige Situation unvollständig. Sie starten nach dem Titel als Tiger und landen nach dem In- halt als Bettvorleger. Mit ihrem Antrag scheint Rot-Grün vor allem die ge- werkschaftlich organisierten Künstler beeindrucken zu wollen. Ich kann das insoweit verstehen, da auch ich von der Überflutung mit Hunderten von Mails betroffen war, nachdem das Gerücht umging, der Bundestag wolle die KSK abschaffen. Da dieses Gerücht von der Gewerk- schaft Verdi in die Welt gesetzt wurde, mag Sie – ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen – diese Aktion zu einem solchen Antrag verleitet haben. Allerdings scheinen Sie damit nicht mehr erreichen zu wollen, als Ihren guten Willen zu demonstrieren, ohne wesentliche Änderungen vorzunehmen. Ich bin Ihrer Meinung, dass die abgabepflichtigen Verwerter – Verlage, Galeristen, Theaterhäuser – konse- quenter erfasst werden müssen. So könnten beispiels- weise auch Produktionsunternehmen, die Designer be- schäftigen, Beitrag zur Künstlersozialkasse zahlen und nicht nur Plattenfirmen oder Opernhäuser, die zum „Ver- werter“-Beitrag verpflichtet sind. Auch ist es sinnvoll, den Versichertenkreis einzugren- zen. In letzter Zeit fiel vermehrt auf, dass sich neben di- plomierten Malern auch gerne mal Grafitti-Beschmierer als Künstler ausgaben und so Mitglieder der Künstlerso- zialkasse wurden. Gerne können wir über Eingrenzungs- maßnahmen sprechen. Abgesehen von diesen zwei Punkten – konsequentere Erfassung aller Verwerter und Eingrenzung des Versi- chertenkreises – sehe ich in Ihrem Antrag allerdings nichts, was zu einer besseren Situation der Künstler füh- ren könnte. Künstler verdienen im Durchschnitt nur 40 Prozent eines gesetzlich Versicherten. Schon jetzt haben Künst- ler nach den Statistiken der Künstlersozialkasse ein durchschnittliches Einkommen von nur 11 000 Euro pro Jahr gegenüber 24 500 Euro der Gesamtbevölkerung. Regelfall sind ja nicht einzelne Spitzenverdiener, son- dern der alltägliche Normalfall, zunehmend die in die unfreiwillige Selbstständigkeit gedrängten freien Mitar- beiter. Auch wenn man absichtlich geringe Angaben be- rücksichtigt, um die Beitragslast gering zu halten, bedeu- tet dieses, dass die Künstler damit mit äußerst niedrigen Alterssicherungen rechnen müssen. Es bedeutet auch, dass die Probleme, die wir heute schon mit der gesetzli- chen Rente haben, die Kulturschaffenden verschärft tref- fen werden. Wir sehen mit Sorge auf die Mitgliederentwicklung der Künstlersozialkasse. Die Mitgliederanzahl steigt ständig – in den letzten fünf Jahren allein um 30 000 Mitglieder oder über 30 Prozent. Seit Gründung der Künstlersozialkasse von 12 000 in den Jahren 1982/83 hat sich die Versichertenzahl auf heute 130 000 mehr als verzehnfacht. Nach Informationen der Künstlersozial- kasse wird ein weiterer Anstieg der Versicherungsneh- mer erwartet. Danach hätten bis zu 80 000 selbstständige Künstler derzeit noch die Möglichkeit, Mitglied in der Künstlersozialkasse zu werden. Die finanzielle Lage wird sich durch Masse noch verschärfen. Nur ganz ver- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15917 (A) (C) (B) (D) schämt – mit dem Stichwort Outsourcing – deuten Sie in Ihrem Antrag eine Hauptursache für die Versicherten- schwemme an: Immer mehr Unternehmen, insbesondere Zeitungen und Verlage, drängen wegen der hohen So- zialabgaben, die die Bundesregierung zu verantworten hat, ihre bisher fest angestellten Mitarbeiter in die Selbstständigkeit und damit in die Künstlersozialkasse. Im Übrigen vermisse ich die Erwähnung eines weite- ren wichtigen Faktums, das die Regierungsfraktionen verständlicherweise nicht gerne in der Öffentlichkeit dis- kutieren wollen: Die Künstlersozialkasse war Ende 2004 schon einmal in einer erheblichen Finanzklemme: Auf- grund der Mindereinnahmen im Jahr 2004 musste der Bundesfinanzminister der Künstlersozialkasse eine über- planmäßige Finanzspritze in Höhe von über 13 Millio- nen Euro geben. Dieses Darlehen muss laut Unterrich- tung durch die Bundesregierung vom 17. November 2004 in den Jahren 2005 und 2006 zurückgezahlt wer- den, und zwar, indem der Bundeszuschuss in diesen Jah- ren jeweils um Millionenbeträge erneut reduziert wird. Es wäre interessant zu wissen, wie Rot-Grün diese wei- tere Kürzung des Bundeszuschusses angesichts der jetzt schon bestehenden Probleme in der Künstlersozialkasse verkraften will, ohne die Liquidität der Künstlersozial- kasse erneut in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Auch dazu lese ich in Ihrem Antrag kein Sterbenswört- chen. Ein Großteil der Einnahmen der Künstlersozialkasse kommt im Übrigen aus Veranstaltungen, die mit auslän- dischen Künstlern organisiert wurden. Der Konzertver- anstalter muss dann seinen Verwerter-Anteil von 5,8 Prozent in die Künstlersozialkasse einzahlen, auch wenn er die Einnahmen einem ausländischen Künstler verdankt, der niemals Anspruch auf Leistungen aus der Künstlersozialkasse haben wird. Wenn also Elton John in Deutschland auftritt, bezahlt er indirekt die Altersver- sicherung einer deutschen Ballettänzerin. Dieser Beitrag geht dem Künstler entsprechend vom Honorar ab. Nach Angaben aus Künstlervermarkter-Kreisen wollen diese jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Was soll getan werden, wenn die Kläger vor dem Europäischen Gerichtshof erfolgreich sind? Bei Erfolg der Klage würde ein großer Teil der Einnahmen der Künstlersozial- versicherung wegbrechen! Völlig unerwähnt in Ihrem Antrag bleibt auch einer der Hauptgründe für die Finanzmisere der Künstlerso- zialkasse, nämlich die gesetzliche Kürzung des Bundes- zuschusses im Jahr 2000 von 25 auf 20 Prozent. Dem- entsprechend mussten die Verwerter ihren Beitrag auf 30 Prozent erhöhen. Zum 1. Januar diesen Jahres stieg der Abgabesatz nach der Vereinheitlichung von 4,3 Pro- zent auf nunmehr 5,8 Prozent der Entgelte. Würde Rot- Grün sich ernsthaft um die soziale Schutzbedürftigkeit unserer Künstler sorgen, würden Sie den Bundeszu- schuss wieder erhöhen! Wo ist hier Ihr Appell an die Bundesregierung? Damit könnten der Beitrag der Ver- werter wieder gesenkt und vielleicht auch Klagen vor dem EuGH und konkursführende Belastungen von Ver- wertern vermieden werden. Es ist also absehbar, dass noch in diesem Jahr ernst- haftere Anträge zur Künstlersozialversicherung im Bun- destag eingebracht werden müssen, wenn vermieden werden soll, dass Künstler in Deutschland bald ein Ein- kommens- und Alterssicherungsniveau erreichen, wie man es zuletzt vor 150 Jahren kannte. Statt mit Verdi ori- entierten Schaufensteranträgen zu operieren, sollten Sie sich lieber in der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ um gemeinsame Handlungsempfehlungen zur tatsächlichen Stärkung der Künstlersozialversiche- rung bemühen! Vera Lengsfeld (CDU/CSU): Es entsteht zuweilen der Eindruck von Selbstbeweihräucherung, der sich Rot- Grün mit dem Antrag zur Stärkung der Künstlersozial- versicherung unterzieht. Stehen wir nicht im fraktions- übergreifenden Konsens in dieser Sache? Wenn Sie also schon Initiative zeigen, dann bitte nicht mit leerem Aktionismus. Ich glaube, Sie wollen mit die- sem Antrag Ihre eigene Untätigkeit verdecken. Diese ist wiederum Resultat Ihrer offensichtlichen Ratlosigkeit, die Probleme Deutschlands zu lösen. Nicht nur die Künstlersozialkasse ist in ihrer Existenz bedroht, unsere gesamten sozialen Sicherungssysteme müssen einen Wandel erfahren, vor dem Sie sich offenbar scheuen. Es ist kein Geheimnis, dass in der KSV jetzt die Ren- tenansprüche der ersten Jahrgänge bestehen. Auch die steigenden Zahlen der Versicherten sind im digitalen Zeitalter, wo viele Künstlerberufe gerade auch im Be- reich des Internets entstanden sind, eine logische Schlussfolgerung. Das hat natürlich zur Folge, dass sich auch der Bereich der Verwerter vergrößert. Hier beste- hen derzeit enorme definitorische Mängel. Wer ist heute ein Künstler? Wer ist Verwerter und profitiert von der Kunst? Lange schon findet Kunst nicht mehr nur in Ga- lerien, Verlagen oder Opernhäusern statt. Doch durch Nichtstun wird das System nicht besser. Was wollten Sie uns sonst mit Ihrem Antrag mitteilen, wenn nicht von dieser Tatsache abzulenken? Ich erinnere Sie gerne nochmals an Ihre Pflicht: Die Bundesregierung unterliegt dem Handlungszwang bei der Reform der Künstlersozialversicherung. Mit fragwürdigen Anträgen ist dem sicher nicht geholfen. Ich ermahne Sie deshalb, Vorhaben umzusetzen, die der Reform dienlich sind: Definieren Sie Berufe, zu de- nen Künstler heute gehören. Im Zeitalter des Internets entstehen auch hier neue Berufssparten, die sich zum Beispiel mit Webdesign beschäftigen und bisher kein Anrecht auf Zugehörigkeit zur Künstlersozialkasse ha- ben. Definieren Sie den Begriff des Verwerters. Auch die Textil- oder Automobilbranche profitiert von Kunst. Verwerter müssen stärker in ihre Pflichten eingebunden werden. Den gesenkten Bundeszuschuss von 20 Prozent wie- der zu erhöhen, lehne ich ab. Obwohl in der Presse zu le- sen ist, dass sich das neue Grundsatzprogramm der SPD jetzt wieder stärker am Staat orientiert, weil die Ursache allen Übels in der „totalen Ökonomisierung kurzatmigen Profithandelns“ liegen soll, betone ich die Notwendigkeit 15918 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 (A) (C) (B) (D) der Eigenvorsorge. Dem Staat dürfen keine weiteren finanziellen Lasten aufgebürdet werden. Ebenso sollte er sich aber auch aus bestimmten Feldern zurückziehen und Kontrolle zurücknehmen. Im Prinzip ist heute jeder Einzelne dazu aufgefordert, eine eigenständige Vorsorge zu treffen. Das gilt auch für Künstler. Dass deren Einkommen so niedrig ist und sie ihre Vorsorge mit einem durchschnittlichen Gehalt von 11 100 Euro im Jahr kaum bewältigen können, ist nicht Sorge des Staates. Wir müssen eine stärkere Eigeninitia- tive der Versicherten fordern. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die soziale Absicherung der Künstler und Publizisten ist der Koalition ein wichtiges Anliegen. Die Künstlersozial- kasse ist vor diesem Hintergrund eine besondere kultur- und sozialpolitische Errungenschaft. Steigende Versichertenzahlen und rückläufige Ein- nahmen haben jedoch in den zurückliegenden Jahren zu höheren Kosten für die Verwerter und den Bund geführt. Das ist gerade in Zeiten konjunktureller Schwäche von Nachteil. Die Leistungsfähigkeit der Künstlersozialkasse ist einer Probe ausgesetzt. Angelegt war sie ursprünglich auf eine kleine, überschaubare Anzahl von Versicherten. Zählte sie zu Beginn rund 12 000 Versicherte, so suchen inzwischen schon rund 140 000 Kulturschaffende Schutz unter dem Dach der Künstlersozialkasse. Nach Schät- zungen arbeiten weitere 80 000 Selbstständige im Land, die Anspruch auf eine Versicherung in der Künstlerso- zialkasse hätten. In der Debatte ist die Forderung erhoben worden, den Bundeszuschuss zur Künstlersozialkasse wieder zu erhö- hen. Ich mache darauf aufmerksam, dass dieser im Zuge der letzten Reform gesenkt worden ist, weil ein Gutach- ten gezeigt hat, dass der Bundeszuschuss zu hoch dimen- sioniert war. Davon abgesehen, macht man es sich doch sehr leicht mit dieser Forderung. Man entledigt sich der Aufgabe, die strukturellen Verwerfungen in der Künst- lersozialkasse zu beheben. Stattdessen bittet man einfach die Steuerzahler zur Kasse, um neues Geld für die Künstlersozialkasse aufzutun. Derzeit schätzen die Versicherten ihr Einkommen, auf das Beiträge erhoben werden, selbst. Dieses Verfahren lädt zum Missbrauch förmlich ein und setzt einen großen Anreiz, das zu erwartende Einkommen immer zu gering zu veranschlagen, da eine Überprüfung der Einkom- mensverhältnisse nur bei Verdacht erfolgt. Auch die Verwerter beweisen offenbar großen Ein- fallsreichtum, wenn es darum geht, sich der Abgaben- pflicht zu entziehen. Im Vergleich zu anderen Gruppen von Selbstständi- gen genießt die Künstlersozialkasse beachtliche Privile- gien. Die Berufe, die nicht als künstlerisch eingestuft werden, müssen sich nach dem derzeitigen Sozialrecht zu wesentlich ungünstigeren Konditionen versichern. Da wird die Frage gestellt werden dürfen, ob jene Personen in den Schutz dieser Versicherung kommen, die man be- sonders schützen wollte. Ist der selbstständige Tontech- niker, der eine Anlage einrichtet und steuert, schon ein Künstler? Warum sind Kunsthistoriker, die nicht publi- zistisch tätig sind, sondern als Museumspädagogen ar- beiten, nicht in der Künstlersozialkasse? Die Fraktion unterstützt von daher das Anliegen der Bundesregierung, die abgabepflichtigen Verwerter voll- ständig zu erfassen, Maßnahmen zur Überprüfung der Zugehörigkeit der Versicherten zur Künstlersozialver- sicherung zu intensivieren und sicherzustellen, dass auf das gesamte Einkommen Beiträge gezahlt werden, die Aktivitäten zur Verbreitung der Riester-Rente zu verstär- ken. Wir erwarten von der Bundesregierung Vorschläge, welche die Finanzen der Künstlersozialkasse schnell wieder ins Lot bringen. Lassen Sie uns jedoch auch die Gelegenheit nutzen und, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, ge- meinsam mit den Verbänden der Versicherten und Ver- werter eine Analyse der zukünftigen Entwicklung der finanziellen Lage der Künstlersozialversicherung erstel- len. Unseres Erachtens steht in diesem Zusammenhang auch eine Debatte darüber an, ob die Sondersysteme für bestimmte Berufsgruppen in der sozialen Sicherung er- halten bleiben sollten. Der Fall der Künstlersozialkasse zeigt, dass die Abgrenzung von abhängig Beschäftigten und Selbstständigen immer schwieriger wird. Dieses Problem ist uns auch aus anderen Sozialversicherungen vertraut. Er zeigt zudem, dass die Abgrenzung von künstlerischen und nichtkünstlerischen Berufen nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Heute sind zudem nicht nur selbstständige Künstler besonders schutzbedürftig. Wir wollen aus diesem Grund die Sozialversicherungen zu Bürgerversicherungen weiterentwickeln. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Mit wach- sender Sorge betrachten wir die finanzielle Entwick- lung der Künstlersozialkasse. Nicht erst die Anhörung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zur wirtschaftlichen und sozialen Absicherung von Künst- lerinnen und Künstlern hat uns diese Probleme deutlich vor Augen geführt. Zugespitzte Formulierungen im Vorfeld der Anhörung, die aufgebauscht und von inter- essierter Seite überinterpretiert wurden, ändern nichts an dem – so hoffe ich – klaren Bekenntnis aller Frak- tionen zur Künstlersozialkasse. Die Künstlersozialversicherung wurde Anfang der 80er-Jahre gegründet – übrigens mit den Stimmen von SPD und FDP. Sie ist die Grundlage der sozialen Siche- rung von selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern. Der Bundeszuschuss ist damit zugleich ein Beitrag des Staates zur Künstler- und zur Kunstförderung. Infolge der einseitigen Absenkung des Bundeszu- schusses durch SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Jahre 1999 – die gegen die Stimmen der FDP erfolgte – ist die KSK allerdings finanziell unter Druck geraten. Dass jetzt die Verwerterabgabe von 4,3 auf 5,8 Prozent erhöht werden muss, ist eine Folge dieser Entscheidung. Für die Verwerter stellt dies eine große Belastung dar. Trotzdem halten die Einzahlungen der abgabepflichtigen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15919 (A) (C) (B) (D) Verwerter dem rasanten Zuwachs der anspruchsberech- tigten Versicherten nicht stand. Daher verlangt das klare Bekenntnis zur Künstlerso- zialkasse die Bereitschaft zu Reformen. Wie aber kön- nen wir das Ziel, die Künstlersozialkasse zu erhalten und dabei die Beiträge für alle Beteiligten in angemessenem Rahmen zu halten, erreichen? Ich bin der Überzeugung, dass wir mit der Position von Rot-Grün nicht wirklich weiterkommen. Der vorlie- gende Antrag enthält Richtiges, zugleich aber auch Ba- nales: Die „abgabepflichtigen Verwerter müssen voll- ständig erfasst“ werden, der „Personalbestand der KSK muss erweitert“ werden, „wir müssen die zukünftige Entwicklung analysieren“. Aber die entscheidenden Fragen lässt der Antrag, der „die Bundesregierung in ihrem Bemühen um den Erhalt der KSK unterstützen soll“ – welch unterwürfige Auf- fassung vom Parlament steckt hinter dieser Formulie- rung! –, unbeantwortet. Wie kann es uns denn gelingen, die Verwerter vollständig zu erfassen? Woher soll das Geld für zusätzliches Personal kommen? Hier bleibt der Antrag im Vagen. Es fehlen die Instrumente und Wege, wie wir das Ziel erreichen können. Darüber macht der Antrag keine konkreten Angaben, sondern beschränkt sich auf durchaus zustimmungswürdige Allgemein- plätze – aber Farbe bekennt er nicht. Wie sieht es denn zum Beispiel mit der Amnestie- regelung für säumige Verwerter aus? Wenn wir die Ver- überlegen, wie uns das gelingen kann. Gegenwärtig ist es so, dass ein Verwerter, der sich der Abgabepflicht ent- zieht, mit jedem Tag, an dem er nicht erwischt wird, ge- winnt. Erst über eine zeitlich befristete Amnestierege- lung, bei der im Falle von Verwertern, die sich freiwillig melden, auf eine Pflicht zur Nachzahlung der Abgaben der letzten vier Jahre zumindest teilweise verzichtet wird, können wir den Kreis der zahlenden Verwerter er- weitern. Sonst besteht doch überhaupt kein Anlass, dies zu tun. Wie steht die Koalition zu diesem Modell? Aus dem Antrag geht das leider nicht hervor. Und woher soll das zusätzliche Personal der KSK kommen? Auch dies wird nicht klar und deutlich gesagt. Wir sind der Auffassung, dass die Zahl der Prüfer der Künstlersozialversicherung nur dann aufgestockt werden kann, wenn dafür Personal aus anderen Versicherungs- trägern bereitgestellt wird, etwa von der Deutschen Ren- tenversicherung nach der Fusion der Bundesversiche- rungsanstalt für Angestellte und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger. In den einzelnen Punkten und den Fragen der Umset- zung werden wir gemeinsam hoffentlich in den Aus- schussberatungen Klarheit erzielen können. Ich bin ge- spannt, wozu die Koalition wirklich bereit ist, ob also hinter diesem Antrag die ernst gemeinte Bereitschaft zu einer Reform der Künstlersozialversicherung steht oder es sich nur um eine populistische Beruhigungspille han- delt. Meine Fraktion jedenfalls wird konkrete Reform- werter komplett erfassen wollen und die KSK auf ihrer Einnahmenseite stärken möchten, dann müssen wir doch schritte vorschlagen, weil wir die Künstlersozialversi- cherung zukunftsfähig machen wollen. 169. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516900000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Ich bitte Sie, sich zu erheben.


(Die Anwesenden erheben sich)

Am späten Abend des 2. April verstarb nach langem

Leiden das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst
Johannes Paul II. Sein Tod ist in Deutschland und in
der ganzen Welt mit großer Trauer aufgenommen wor-
den. Ich habe gegenüber dem Dekan des Kollegiums der
Kardinäle, Joseph Kardinal Ratzinger, im Namen des
Deutschen Bundestages unser tief empfundenes Beileid
ausgesprochen und das Wirken von Papst Johannes
Paul II. gewürdigt.

Die millionenfache Anteilnahme in der vergangenen
Woche hat einmal mehr die große Anerkennung und
Zuneigung in der ganzen Welt für einen der wahrhaft
großen Päpste der Kirchengeschichte deutlich werden
lassen. Der bewegende Abschied im Rahmen der Trauer-
feierlichkeiten in Rom und in vielen Städten und Län-
dern, vor allem auch in unserem Nachbarland, dem Hei-
matland des Papstes, in Polen, wird uns noch lange in
Erinnerung bleiben.

Rede
Papst Johannes Paul II. hat in den fast 27 Jahren sei-
nes Pontifikats nicht nur den Christen katholischen
Glaubens in aller Welt Beispiel und Orientierung gege-
ben, sondern viele, gerade auch junge Menschen, die sei-
nen Glauben und seine Überzeugungen nicht teilten, mit
seiner Kraft und Ausstrahlung, seiner Authentizität und
menschlichen Zugewandtheit tief beeindruckt.

Im Dialog mit den anderen Weltreligionen galt der
Versöhnung von Christen und Juden sein besonderes Au-
genmerk. Dank seiner hohen moralischen Autorität
konnte er den Einsatz der Christen für eine friedliche
und gerechte Weltordnung glaubhaft vermitteln. Gerade
deshalb wurde ihm bei seinem entschiedenen Einsatz für
eine friedliche Konfliktlösung und gegen d
Irak weltweite Anerkennung zuteil.

In besonderer Weise hat der verstorben
um die Überwindung des kommunistischen Regimes
tzung

den 14. April 2005

.00 Uhr

verdient gemacht: in seiner polnischen Heimat – vor al-
lem durch seine Ermutigung der Solidarnosc-Bewegung –
und insgesamt in ganz Mittel- und Osteuropa. Das hat
die Wiedervereinigung Deutschlands erst ermöglicht
und dafür sind wir Johannes Paul II. zu großer Dankbar-
keit verpflichtet.

Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Papstes er-
hoben; ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu er-
weitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zu-
satzpunktliste aufgeführt:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Religionspolitik des Berliner Senats und Grundgesetz

(siehe 168. Sitzung)


ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aufbruch und Perspekti-
ven – Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland
stärken
– Drucksache 15/5255 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

text
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach,
Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Die Chancen der jungen Genera-
tion in Deutschland durch Bildung und Ausbildung ver-
bessern
– Drucksache 15/5259 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
ung zu TOP 27)
Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
DNISESS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Reha-
en Krieg im

e Papst sich


(Ergänz a)


BÜN
eines

bilitierungsgesetzes






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

– Drucksache 15/5244 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der Richtli-
nie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren
bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen
– Drucksache 15/5220 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Beratung des Antrags der Bundesregierung: Beteiligung
deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Ver-

(United Nations Mission in Sudan)


(2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom

24. März 2005
– Drucksache 15/5265 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unter-
schiedliche Forderungen aus der CDU zur Zukunft des
BAföG

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Friedrich

(Bayreuth), Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, weiteren

Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegepla-
nungsbeschleunigungsgesetzes
– Drucksache 15/5258 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer,
Harald Leibrecht, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Glaubwürdigkeit des nuklearen
Nichtverbreitungsregimes stärken – US-Nuklearwaffen
aus Deutschland abziehen
– Drucksache 15/5257 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

ZP 8 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Die
aktuelle Werbekampagne der Ruhrkohle AG vor dem
Hintergrund der von der Bundesregierung aus dem Bun-
deshaushalt in Milliardenhöhe gewährten Steinkohlensub-
ventionen

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Ferner wurde vereinbart, nach der Wahl des Wehrbe-
auftragten und der Debatte über die geänderten Kernzeit-
themen „Zukunftschancen für Jugendliche“ und „Waffen-
embargo gegen China“ die Tagesordnung nunmehr wie
folgt umzustellen: Punkt 4: Zukunft der Freiwilligen-
dienste, Punkt 9: Verkehrswegeplanungsbeschleunigungs-
gesetz, Punkt 6: Rüstungskontrolle, Punkt 15: Armutsbe-
kämpfung, Punkt 8: Welternährung, Punkt 11: Wett-
bewerbsschutz, Punkt 10: Tourismuspolitik, Punkt 17:
Bürokratieabbau bei Kreditvergabe, Punkt 12: nach-
wachsende Rohstoffe, Punkt 14: Entwicklungszusam-
menarbeit der EU, Punkt 16: Energieeinsparungsgesetz,
Punkt 18: Künstlersozialversicherung. Die Punkte 5,
22 c und 23 werden abgesetzt.

Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überwei-
sung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 167. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung über-
wiesen werden.

Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung
des Personenbeförderungsgesetzes
– Drucksache 15/3424 –
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Sodann möchte ich den Kolleginnen Marga Elser
und Sigrid Skarpelis-Sperk sowie dem Kollegen
Joachim Hörster nachträglich zum 60. Geburtstag gra-
tulieren.


(Beifall)

Ebenso möchte ich dem Kollegen Erwin Marschewski
nachträglich zu seinem 65. Geburtstag die Glückwün-
sche des Hauses aussprechen.


(Beifall)

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 3 a und

3 b auf:
a) Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages
– Drucksache 15/5207 –

b) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP
Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages
– Drucksache 15/5228 –

Sehr geehrter Herr Dr. Penner, anlässlich der heuti-
gen Wahl eines neuen Wehrbeauftragten möchte ich Ih-
nen im Namen des Deutschen Bundestages für Ihre Ar-
beit danken.


(Beifall)

Ihr Amt ist vom Grundgesetz als Hilfsorgan des Bundes-
tages bei der parlamentarischen Kontrolle der Streit-
kräfte geschaffen. In dieser Funktion haben Sie Miss-
stände, soweit vorhanden, und Fehlentwicklungen in der
Bundeswehr klar und deutlich beim Namen genannt und
Korrekturen eingefordert. So konnten sich die Soldaten






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

auch in den vergangenen fünf Jahren auf den Wehrbe-
auftragten verlassen, der ihre Sorgen und Nöte ernst
nahm und sich nicht scheute, berechtigte Anliegen der
Soldaten vorzubringen und auf Besserung zu drängen.
Wir möchten Ihnen deshalb auch im Namen der Solda-
ten für Ihre Arbeit als Wehrbeauftragter danken und
wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles
Gute.


(Beifall)

Wir kommen jetzt zur Wahl. Die Fraktionen der SPD

und des Bündnisses 90/Die Grünen haben den Abgeord-
neten Reinhold Robbe, die Fraktion der FDP hat den Ab-
geordneten Günther Friedrich Nolting vorgeschlagen.

Ich bitte zunächst um Aufmerksamkeit für einige
Hinweise zum Wahlverfahren:

Zur Wahl sind nach § 13 des Gesetzes über den Wehr-
beauftragten des Deutschen Bundestages die Stimmen
der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt:
mindestens 301 Stimmen, erforderlich. Der Wehrbeauf-
tragte wird mit verdeckten Stimmzetteln, also geheim,
gewählt. Sie benötigen eine Stimmkarte mit Wahlum-
schlag sowie Ihren Wahlausweis. Die Stimmkarten mit
Umschlag erhalten Sie links und rechts neben den Wahl-
kabinen. Den Wahlausweis entnehmen Sie bitte, soweit
Sie das noch nicht getan haben, Ihrem Stimmkartenfach.

Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie die Stimmkarte
nur in einer der Wahlkabinen ankreuzen und dort in den
Wahlumschlag legen. Die Schriftführer sind verpflichtet,
jeden zurückzuweisen, der seine Stimmkarte außerhalb
der Wahlkabine angekreuzt oder in den Umschlag gelegt
hat. Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschrifts-
mäßig wiederholt werden.

Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz. Un-
gültig sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkarten
sowie Stimmkarten, die kein Kreuz, mehr als ein Kreuz,
andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie die
Stimmkarte in eine der neben dem Stenografentisch auf-
gestellten Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren
Wahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne.
Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur
durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden.

Noch ein praktischer Hinweis: Um einen reibungslo-
sen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie, sich
auf folgenden Wegen zu den Wahlkabinen und von dort
später zu den Wahlurnen zu begeben: Zu den Wahlkabi-
nen nehmen Sie den Weg von der Seite her, das heißt
über die Gänge zwischen Ihren Sitzreihen.


(Heiterkeit)

Von den Wahlkabinen können Sie direkt zu den Wahlur-
nen neben dem Stenografentisch herunterkommen.

So weit das, was Sie hoffentlich alle gut verstanden
haben.


(Heiterkeit)

Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,

die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre
Plätze eingenommen? – Das ist offenbar der Fall. Ich er-
öffne die Wahl und bitte, zum Empfang der Stimmkarte
zu den Ausgabetischen zu gehen.

Ich stelle die obligate Frage: Haben alle Mitglieder
des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben?


(Zurufe: Nein!)

Ich frage noch einmal: Haben alle Mitglieder des

Hauses gewählt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann
schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Zur Auszählung unterbreche ich die Sitzung für circa
zehn Minuten.


(Unterbrechung von 9.30 bis 9.50 Uhr)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516900100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die un-

terbrochene Sitzung wieder und bitte Sie, Platz zu neh-
men.

Ich gebe das Ergebnis der Wahl des Wehrbeauftragten
bekannt. Abgegebene Stimmen 599, gültige Stimmen
598, ungültige Stimmen eine, Enthaltungen 15. Der Ab-
geordnete Günther Friedrich Nolting hat 276 Stimmen
erhalten.1)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Abgeordnete Reinhold Robbe hat 307 Stimmen er-
halten.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten
des Deutschen Bundestages ist gewählt, wer die Stim-
men der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages – das
sind 301 Stimmen – auf sich vereinigt. Ich stelle fest,
dass der Abgeordnete Reinhold Robbe mit der erforder-
lichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deut-
schen Bundestages zum Wehrbeauftragten gewählt wor-
den ist.

Ich frage Sie, Herr Abgeordneter Robbe: Nehmen Sie
die Wahl an?


Reinhold Robbe (SPD):
Rede ID: ID1516900200

Herr Präsident, ich nehme die Wahl an und bedanke

mich für das ausgesprochene Vertrauen. Herzlichen
Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516900300

Herr Abgeordneter Robbe, ich gratuliere Ihnen per-

sönlich und im Namen des Hauses und wünsche Ihnen
Kraft und eine gute Hand bei der Führung Ihres Amtes.
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Zu-

satzpunkte 2 und 3 sowie die Tagesordnungspunkte 13
und 24 auf:
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschan-
cen für Jugendliche in Deutschland stärken
– Drucksache 15/5255 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Chancen der jungen Generation in
Deutschland durch Bildung und Ausbildung
verbessern
– Drucksache 15/5259 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Gerald Weiß (Groß-Gerau),
Katherina Reiche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen
verbessern – Wachstumspotenzial der Weiter-
bildung nutzen
– Drucksache 15/5024 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss

24 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas
Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil
für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung
des Bundes
– Drucksache 15/4931 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache Eineinviertelstunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Herr Kollege Robbe, darf ich Sie bitten, sich ein we-
nig nach hinten „zu verziehen“?


(Heiterkeit)

Dort können Sie die Gratulationen entgegennehmen. Wir
wollen jetzt die Debatte fortsetzen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Edelgard Bulmahn.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! So viel Zeit muss sein: Lieber
Reinhold, auch von mir noch einmal einen ganz herzli-
chen Glückwunsch zu diesem guten Ergebnis.


(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Herren und Damen, Zukunfts-

chancen für Jugendliche – das ist ein Thema, das uns alle
angeht. Wie sonst nur beim Wetter, können dabei auch
alle mitreden und sollen es auch: Eltern, Lehrer, Schüler,
Auszubildende und Studierende, die Wirtschaft, gesell-
schaftliche Gruppen aller Art sowie die Politik auf allen
Ebenen. Eines geht allerdings nicht, nämlich die, die es
betrifft, einfach zu ignorieren. Wer über Jugend und
Zukunft spricht, muss vor allem auch zuhören können.
Dabei werden Sie dann zwei Dinge immer wieder erfah-
ren: Erstens haben die meisten Jugendlichen eine ganz
klare Vorstellung von dem, was auf sie zukommt. Es
kommt auf eine gute Ausbildung und auf gute Ausbil-
dungschancen an. Das wissen die Jugendlichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen, was sie wollen. Sie wollen die Chance ha-
ben, sich selbst zu beweisen, und sie wollen die Chance
haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zweitens
will die Mehrheit der jungen Menschen keine pessimisti-
sche Grundstimmung in unserem Land. Sie wollen ihre
Zukunft; sie wollen sie aufbauen und erhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wissen und Bildung verschaffen Möglichkeiten. Nur
wer Bescheid weiß, kommt voran. Nur wer die Möglich-
keit hat, sich Bildung und Qualifizierung anzueignen,
kann seine Anstrengungen zu vollem Erfolg führen. Das
ist zugleich eine der wichtigsten Leitlinien sozialdemo-
kratischer Politik. Der Bundeskanzler hat es in seiner
Regierungserklärung vom 17. März deutlich gemacht:
Jeder und jede muss die Chance für einen Einsteig in
das Arbeitsleben erhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das, wofür wir alle gemeinsam arbeiten.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Wir müssen Menschen dort, wo Bildungsbarrieren

sind, und dort, wo sie abgedrängt und vergessen werden,
eine zweite Chance bieten. Mit den Reformen der
Agenda 2010 haben wir genau das getan. Die Agenda
2010 ist deshalb vor allem eine Agenda der neuen Mög-
lichkeiten. Dazu gehört, dass wir jetzt durch die Zusam-
menlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bis
zu 400 000 Menschen aus der Sackgasse der Sozialhilfe
geholt haben. Es geht dabei um viel mehr als um eine
ehrliche Statistik. Um die Statistik geht es auch, aber es
geht wirklich um viel mehr, und dabei geht es zuallererst
um die Menschen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Menschen aus der Unsichtbarkeit der So-
zialstatistik herausgeholt. Wir holen sie weg von den
Fluren des Sozialamtes, auf denen es allenfalls noch um
die Frage ging, ob der Wintermantel noch in diesem Jahr
bewilligt wird oder ob es der alte auch noch tut. Das
kann aber nun wahrlich nicht die lebensentscheidende
Frage für junge Menschen sein.

Wir wollen einen Perspektivwechsel: weg vom So-
zialamt, hin zur Agentur für Arbeit. Auch wenn es dort
zunächst wieder einen Flur gibt, stehen am Ende dieses
Flures ein Angebot


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und eine klare Vereinbarung für die jungen Menschen:
Seit dem 1. Januar dieses Jahres haben Jugendliche unter
25 Jahren, die das neue Arbeitslosengeld II beantragen,
einen Rechtsanspruch auf Vermittlung in einen Ausbil-
dungsplatz oder einen Arbeitsplatz. Damit haben sie
endlich wieder Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben
ohne staatliche Unterstützung. Das, meine sehr geehrten
Herren und Damen, ist verantwortliche Politik des Han-
delns.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jeder von Ihnen kann sich vor Augen führen, wie man
sich fühlt, wenn man über 100 Bewerbungen geschrie-
ben und nur Absagen erhalten hat.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Op-
position, scheinen sich aber diesem Blick zu verschlie-
ßen.


(Lachen des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU])


Denn sonst würden Sie Wege für die jungen Menschen
aufzeigen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


statt durch ständige Miesmacherei

(Nicolette Kressl [SPD]: Und durch Studien gebühren!)

nur Pessimismus und Perspektivlosigkeit zu vermitteln.
Versuchen Sie doch wenigstens, mehr Ehrlichkeit an
den Tag zu legen! Schauen Sie sich die Zahlen einmal
genau an: Im Jahre 1998, als die SPD in Hessen regierte,
lag die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze deutlich
über der Zahl der nachgefragten Ausbildungsplätze.
Kurz gesagt: Die Jugendlichen hatten deutlich mehr
Chancen. Heute hat sich das umgekehrt; heute hat sich
das verändert: Es gibt weniger Ausbildungsplätze und
die Jugendlichen haben deutlich mehr Schwierigkeiten.

Schauen Sie nach Nordrhein-Westfalen: Dort lag
das Verhältnis von Ausbildungsplätzen und Nachfragern
seit 1998 zugunsten der Jugendlichen deutlich über dem
Bundesdurchschnitt. Dass der Strukturwandel in Nord-
rhein-Westfalen gelingt, zeigt sich im Übrigen auch an
der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in
den neuen Berufen, die für die Zukunft unseres Landes
von ganz entscheidender Bedeutung sind. Seit der Ein-
führung dieser neuen Berufe ist die Zahl der Auszubil-
denden in diesen Berufen in Nordrhein-Westfalen Jahr
für Jahr höher als im Bundesdurchschnitt und höher als
im Durchschnitt der alten Länder. Anders als das man-
che verzerrende Darstellung versucht nahe zu legen, ist
diese Zahl im Übrigen auch höher als die in Bayern oder
in Baden-Württemberg. Das sind die Fakten, mit denen
man sich auseinander setzen muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sollten diese Fakten zur Kenntnis nehmen, anstatt
immer nur zu polemisieren.

Wenn Sie nur Pessimismus an den Tag legen, nehmen
Sie den jungen Menschen die Hoffnung und die Zuver-
sicht. Wir kämpfen für Zugänge zu Bildung und Qualifi-
kationen, für Chancen auf Ausbildung und Arbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Unterschied zwischen der Opposition und der Re-
gierungspartei ist: Wir kämpfen dafür, dass die Jugend-
lichen Chancen erhalten.

Das lässt sich an ganz konkreten Reformprojekten
dieser Bundesregierung festmachen:

Beispiel eins: der Pakt für Ausbildung. Erstmals seit
1999 haben wir eine ganz klare Trendwende geschafft.
Durch diesen Pakt ist es uns gelungen, im Ausbildungs-
jahr 2004/2005 59 000 neue Ausbildungsplätze und
mehr als 30 000 Einstiegsqualifikationen zu schaffen.
Das ist also weit mehr, als wir in diesem Pakt vereinbart
hatten. Es sind Ausbildungsplätze zusätzlich geschaffen
worden. 22 500 Ausbildungsplätze sind hinzugekommen.

Beispiel zwei: Berufsbildungsgesetz. Vor wenigen Ta-
gen ist die größte Reform seit Bestehen dieses Gesetzes in
Kraft getreten. Mit dem neuen Gesetz werden die Qualität
und die Attraktivität der beruflichen Bildung verbessert.
Die Flexibilität der dualen Ausbildung wird gestärkt und
die internationale Wettbewerbsfähigkeit gesichert. So
verhindert die Reform die zeitraubenden und teuren War-
teschleifen, die für alle Beteiligten deprimierend sind.
Durch diese Reform gelingt es uns, Jugendliche schneller
an eine qualifizierte Ausbildung heranzuführen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Beispiel drei: Mit modernen Berufen werden neue

Ausbildungsplätze geschaffen. Das ist im Übrigen die
beste Prävention gegen Jugendarbeitslosigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben seit 1998 insgesamt mehr als
180 Ausbildungsberufe modernisiert bzw. neu geschaf-
fen. In diesem Jahr kommen 19 hinzu. Auch das ist eine
Politik des Handelns.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Ach! – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Den Elan spürt man bei Ihrer Rede!)


Beispiel vier: Unsere Gesellschaft braucht gut ausge-
bildete junge Menschen. Wir müssen schon aufgrund der
demographischen Kerndaten davon ausgehen, dass uns
sonst in zehn Jahren zig Millionen gut ausgebildete
Fachkräfte fehlen. Das heißt, dass wir auch den Jugend-
lichen, die in der Schule schlecht waren, weil sie die
Sprache nicht konnten, eine zweite Chance geben müs-
sen. Das tun wir mit den neuen Einstiegsqualifikationen,
mit den Qualifikationsbausteinen, die wir diesen Jugend-
lichen jetzt anbieten. Das ist im Übrigen nicht nur ein
Gebot der Ökonomie, sondern auch eine Voraussetzung
für den sozialen und solidarischen Zusammenhalt in un-
serer Gesellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beschäftigungs- und Lebenschancen werden früh er-
öffnet, leider aber auch oft früh verbaut. Damit können
und damit wollen wir uns nicht abfinden. Deshalb haben
wir gehandelt. Wir sind nämlich nicht dafür, dass es für
wenige aus den wohlhabenden Familien den Königsweg
und für alle anderen den Trampelpfad gibt. Das werden
wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


„Frühe Förderung“ und „individuelle Förderung“ sind
daher die beiden entscheidenden Stichworte. Das fängt
mit Angeboten für die Kleinsten an. Mit dem Tagesbe-
treuungsausbaugesetz, das am 1. Januar dieses Jahres in
Kraft getreten ist, verbessern wir das Betreuungs- und
Erziehungsangebot für Kinder unter drei Jahren erheb-
lich und wir rücken damit endlich auch die frühkind-
liche Bildung und Erziehung in das Zentrum. Das ist
wirklich dringend notwendig; das war überfällig. Wir
setzen dabei auf ein bedarfsgerechtes Angebot für alle
Altersgruppen, zeitlich flexibel, bezahlbar und vielfältig.

Ich halte es im Übrigen auch für ein gutes Signal, dass
sich inzwischen alle Länder auf vorschulische Bildungs-
ziele verständigt haben und dass unsere nationale Quali-
tätsinitiative


(Jörg Tauss [SPD]: Auf Initiative des Bundes!)

mit der Mehrzahl der Länder durchgeführt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, was wir gemeinsam mit den Kindern im Vor-
schulalter beginnen, müssen wir in der Schule konse-
quent fortsetzen. Kindern möglichst früh eine gute indi-
viduelle Förderung zu geben, ihnen damit bessere
Bildungschancen zu eröffnen und dann in der Schule da-
mit weiterzumachen und ihnen auch dort eine sehr gute
Ausbildung zu geben und neue Chancen zu eröffnen –
das ist die Zielsetzung, die wir mit unserem Ganztags-
schulprogramm im Investitionsprogramm „Zukunft,
Bildung und Betreuung“ verfolgen. Mit diesem größten
Schulentwicklungsprogramm, das es in Deutschland
bundesweit je gab, unterstützt der Bund die Länder,
Städte und Kommunen mit 4 Milliarden Euro beim Auf-
und Ausbau von Ganztagsschulen.


(Ulrike Flach [FDP]: Das sehen die aber anders!)


Ich freue mich sehr, dass zumindest die SPD-geführten
Länder – das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen,
aber auch für andere – die Chancen dieses Programmes
wirklich nutzen


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und nicht wie einige andere, CDU-regierte Länder gegen
den erklärten Willen der Eltern, die nämlich die Ganz-
tagsschulen wollen, und der Lehrerinnen und Lehrer
diese Chancen einfach verspielen.


(Franz Müntefering [SPD]: Beispiel Hessen!)

– Beispiel Hessen; völlig richtig.


(Beifall bei der SPD)

Leider muss ich sagen, dass das auch in Baden-
Württemberg so ist. Es gibt auch noch viele andere.

Insgesamt 7 Milliarden Euro investiert der Bund da-
mit allein in dieser Legislaturperiode in Ganztagsschulen
und frühkindliche Betreuung. Ich sage ganz offen: Wir
hätten uns viel Ärger ersparen können, wenn wir diese
7 Milliarden Euro in die Rente gesteckt hätten. Dafür
gäbe es ja auch gute Gründe, aber wir haben das trotz-
dem nicht getan und stattdessen in die Zukunft unserer
Kinder investiert. Ich bin davon überzeugt, dass das die
richtige Entscheidung ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Großeltern teilen im Übrigen diese Auffassung.
Wir haben genau die richtige Entscheidung getroffen.

Ich frage mich allerdings, meine sehr geehrten Herren
und Damen von der Opposition: Was ist eigentlich Ihr
Weg? Welches Bild haben Sie eigentlich von der Zu-
kunft unserer Gesellschaft und von der Zukunft der Kin-
der und Jugendlichen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen das BAföG abschaffen.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wer sagt das denn?)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Sie wollen Studiengebühren einführen.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Infame Unterstellungen!)


Sie wollen, dass junge Menschen mit einem riesengro-
ßen Schuldenberg ins Berufsleben starten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei würde es sich um 50 000, 60 000 oder sogar
90 000 Euro handeln, wenn Sie das BAföG abschaffen.
Das sind die realen Zahlen.

Sie wollen keinen Ausbau der frühkindlichen Betreu-
ung; Sie wollen keine Ganztagsschulen.


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Das ist doch völliger Quatsch!)


Sie torpedieren das Programm mit allen Mitteln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie sagen nichts zu der Frage, wie Jugendliche mit
schlechten schulischen Voraussetzungen neue Chancen
erhalten sollen. Sie sagen nichts dazu, wie junge qualifi-
zierte Frauen Berufstätigkeit und Kindererziehung ver-
einbaren sollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposi-
tion, lassen Sie mich ganz klar sagen: Was Sie betreiben,
ist das Gegenteil von Perspektive und Aufbruch.


(Zurufe von der CDU/CSU: So billig! – Sie waren mal besser!)


Denken Sie um! Zeigen Sie Verantwortung und eröff-
nen Sie jungen Menschen die Möglichkeiten, die sie
brauchen! Geben Sie ihnen Motivation und Selbstver-
trauen und stimmen Sie unserem Antrag zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Scheuer [CDU/ CSU]: Das war ein Schuss in den Ofen gewesen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516900400

Ich erteile das Wort Kollegen Karl-Josef Laumann,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1516900500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, wenn
man Ihrer Rede zugehört hat,


(Jörg Tauss [SPD]: Die war sehr gut!)

dann hat man das Gefühl: Alles ist gut; wir sind in
Deutschland auf einem guten Weg; Probleme sind
eigentlich nicht vorhanden. Aber die Zahlen sind nun
einmal so, wie sie sind, und auch die Stimmung im Land
ist so, wie sie ist, weil sie den Realitäten entspricht.

Zurzeit befinden sich 665 000 Jugendliche unter
25 Jahren in der Arbeitslosigkeit.


(Nicolette Kressl [SPD]: Und wo hatten Sie sie vorher?)


Weitere Hunderttausende Abgänger von Haupt- und
Realschulen – diese Zahl gibt es auf Bundesebene gar
nicht – befinden sich in so genannten Warteschleifen un-
serer Berufsschulen. Schauen Sie sich nur einmal an, wie
stark die Anzahl der Absolventen eines Berufsgrund-
schuljahres, die in keiner Statistik steht, zugenommen
hat.

Viele Schüler, die in den Schulen gut vorbereitet sind,
machen die Erfahrung, dass sie, wenn sie im zehnten
Schuljahr sind, Hunderte von Bewerbungen für eine
Lehrstelle schreiben müssen. Nehmen Sie einmal zur
Kenntnis, dass ein Mittelständler, der Pleite gegangen
ist, nicht mehr ausbildet. Das ist die Wahrheit. Diese
Situation wird immer schwieriger, weil die Anzahl der
Betriebe, die ausbilden, immer geringer wird. Deswegen
hat die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr sogar um
mehr als 145 000 junge Leute zugenommen. Wenn Sie
eine Bilanz vorlegen, die ausweist, dass die Jugend-
arbeitslosigkeit in Deutschland in den Jahren Ihrer Re-
gierungszeit um 200 000 junge Leute zugenommen hat,
dann sind Sie in diesem Bereich die Bundesregierung
der Perspektivlosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ach! Bleiben Sie mal ehrlich!)


Ich gebe zu: Für diejenigen, die keine Lehrstelle fin-
den, wird eine Menge getan. Heute befinden sich rund
383 000 junge Leute in Maßnahmen der Bundesagentur
für Arbeit. Wir sind schon fast so weit, dass ähnlich viele
junge Leute in Maßnahmen der Bundesagentur für Ar-
beit sind, wie das duale Ausbildungssystem noch regu-
läre Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Ja, erschreckend! – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Schockierend!)


Allein 116 000 junge Leute nehmen an Maßnahmen zur
Berufsvorbereitung, 215 000 an Maßnahmen für Be-
nachteiligte teil.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: In Warteschleifen!)


Ich will Ihnen einmal sagen, wie es dazu kam, dass
dieses Problem zugenommen hat: Im Jahr 1998 befan-
den sich 33 000 junge Leute in berufsvorbereitenden
Maßnahmen, jetzt sind es 116 000. Das zeigt, wie sich
die Situation in den letzten Jahren entwickelt hat. Der-
jenige, der dies zahlt, ist der Beitragszahler der Bundes-
agentur für Arbeit. Dafür werden mittlerweile Mittel von
mehr als 1 Milliarde Euro ausgegeben.

Jetzt bin ich bei meinem ersten Punkt. Es kann doch
nicht richtig sein, dass die berufliche Ausbildung in die-
sem Umfang von den Beitragszahlern – den






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Josef Laumann

26,2 Millionen Arbeitsplätzen, die in diesem Land noch
sozialversicherungspflichtig sind – bezahlt wird.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wird es spannend!)

Das ist nicht in Ordnung


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und was ist in Ordnung?)


und unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten der
wohl größte Fehler, den ich in den letzten Jahren
beobachtet habe: Die Probleme des Schulwesens, dass
zum Beispiel viele Kinder Abschlüsse machen, mit de-
nen sie nicht berufsfähig sind, werden durch Beitrags-
mittel behoben; das ist nicht in Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ist das ein Umlageplädoyer?)


Ich hoffe, dass Sie irgendwann einmal die Kraft-
anstrengung unternehmen werden, hier zu einer Steuer-
finanzierung überzugehen. Ich kann mir überhaupt
nicht erklären, warum man mit der Finanzierung dieses
Bereichs nur einen Teil der Arbeitsplätze in Deutschland
belastet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer so weit ist, einen großen Teil der Berufsausbil-

dung junger Leute durch Beiträge zu finanzieren, der
sollte sich beim Thema Einführung von Studiengebüh-
ren an Universitäten ein bisschen zurückhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja ein ziemliches Durcheinander!)


Denn wenn Studiengebühren nachgelagert finanziert
werden, können sie für die Universitäten Steuerungswir-
kungen haben, die man, wenn man an den Unterschied
zwischen akademischer Ausbildung und Ausbildung im
dualen System denkt, mehr als begrüßen müsste. Diese
Diskussion können wir gerne jeden Tag führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Nein, also wirklich! Das sollten Sie in Nordrhein-Westfalen öfter wiederholen!)


– Das tun wir und das steht auch in unserem Wahlpro-
gramm.


(Jörg Tauss [SPD]: Ach!)

Aber auch das wird Sie in Nordrhein-Westfalen nicht
mehr retten; denn die Leute wissen, wie Hochschulen
unter Ihrer Führung aussehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wir haben sie gebaut, mein Lieber!)


– Aber danach haben Sie sie nicht mehr unterhalten.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir alle wissen, dass der

einzige Schlüssel, um durch Arbeit ein Einkommen zu
erzielen, von dem man leben kann, in der arbeitsteiligen
Gesellschaft, in der wir in Europa und insbesondere in
Deutschland mittlerweile leben, die qualifizierte Schul-
und Berufsausbildung ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Da hat er mal Recht!)

Wir Politiker machen uns viele Gedanken über die

Demographie und fragen uns zu Recht: Warum gibt es
bei uns so wenige Kinder? Warum haben ganze Schich-
ten der Bevölkerung sehr wenige – auf jeden Fall: zu we-
nige – Kinder? Ich teile diese Analyse. Aber ich glaube,
dass wie ich ganz viele Eltern, die Kinder haben, die
keine Lehrstelle finden, meinen: Kümmern wir uns doch
erst einmal um die Kinder, die wir in diesem Land ha-
ben, und bauen wir deren Entwicklungschancen ver-
nünftig aus!

Einige Dinge fallen doch auf. Nehmen wir zum Bei-
spiel Nordrhein-Westfalen: Dort haben wir ohne Frage
seit 25 Jahren eine Bildungspolitik, die mehr von der
GEW bestimmt wird wie von allen anderen.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: „Als“! Nicht „wie“!)


Dort ist die Chance der Kinder, deren Elternhäuser als
„bildungsfern“ gelten, der Kinder, die einen Immigra-
tionshintergrund haben, schlecht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Am schlechtesten von allen Bundesländern!)


Wir sind mittlerweile so weit, dass in Nordrhein-Westfa-
len von den ausländischen Kindern 21,8 Prozent auf
Sonderschulen, auf Schulen für Lernbehinderte, gehen.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Stellen Sie sich das nur einmal vor! Das liegt doch an
den Defiziten in unseren Grundschulen! Das liegt doch
daran, dass Sie sich immer verweigert haben, die Kinder
mit vier Jahren auf ihre Sprachkenntnisse zu prüfen, wo-
raufhin man gezielt hätte fördern können. Das ist doch
Ihr Versagen in der Ausländerpolitik, in der Zuwande-
rungspolitik, in der Immigrationspolitik!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516900600

Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Tauss?

Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1516900700

Nein.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Er kann das ja durch Zwischenrufe erledigen!)

Der nächste Punkt: Dadurch dass man teilweise den

Leuten einen deutschen Pass gibt, wodurch sie statistisch
natürlich keine ausländischen Schüler mehr sind, ist das
Problem in den Schulen weder was die Integration noch
was die Sprachfähigkeit angeht gelöst. Aber genau daran
orientieren Sie Ihre Möglichkeiten, in den Klassen zu
differenzieren. Aber in einem Schulsystem, in dem es so
ist, dass fünf Millionen Unterrichtsstunden ausfallen,
sind die Voraussetzungen für differenzierten Unterricht
einfach nicht gegeben.






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Josef Laumann


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ute Berg [SPD]: 5 Prozent!)

Deswegen haben Sie in dem größten Bundesland in die-
ser Frage kläglich versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe mir nie vorstellen können, dass wir einmal

eine Zeit erleben, wo nach fast 40 Jahren sozialdemokra-
tischer Verantwortung für Bildungspolitik die Chancen
der Bevölkerungsgruppen, die aus benachteiligten so-
zialen Verhältnissen kommen, so schlecht sind, wie sie
heute sind.


(Franz Müntefering [SPD]: Herr Laumann!)

Wissen Sie, die Generation unserer Großeltern hat es,

aus der christlich-sozialen Bewegung oder aus der so-
zialdemokratischen Bewegung kommend, richtigerweise
durchgesetzt, dass Kinder aus Elternhäusern, wo das
Portemonnaie klein ist, studieren können.


(Franz Müntefering [SPD]: Da kann ich Ihnen Geschichten aus Nordrhein-Westfalen erzählen! – Gegenruf des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Münte der Märchenonkel!)


Das haben wir hingekriegt. Aber Sie haben versagt bei
der Bildungspolitik und bei der Integration von Kindern,
die aus schwierigen sozialen Umfeldern kommen. Das
sind in Wahrheit die Gründe, warum das Finden von
Lehrstellen und die Lage der beruflichen Bildung so
schwierig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Quatsch! – Jörg Tauss [SPD]: Sie trauen sich ja nicht einmal, eine Zwischenfrage zuzulassen!)


Sie besuchen wie ich die Einrichtungen der Bildungs-
träger, in denen benachteiligte Jugendliche geschult wer-
den. Wir wissen doch alle aus den Gesprächen, die wir
dort geführt haben – man spürt es nahezu –, aus welchen
Strukturen der größte Teil derjenigen kommt, die dieser
Maßnahmen bedürfen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Gehen Sie einmal nach Baden-Württemberg!)


Deswegen muss das Schulsystem so geändert werden,
dass in einigen Jahren die Ausbildungsfähigkeit nach
zehn Jahren Schule besser ist wie heute.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was kümmern Sie sich eigentlich als Bundespolitiker darum? Sie haben doch gerade verhindert, dass Sie zuständig sind!)


Der nächste Punkt – hören Sie sich das doch einfach
einmal an! –:


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, mache ich doch! Aber das ist so viel Unsinn, dass man da wirklich nicht ruhig bleiben kann! – Jörg Tauss [SPD]: Mit Lügen kann man nicht gewinnen! – Gegenruf des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das müssen Sie gerade sagen, Herr Tauss!)

Es gibt eine Gesamtverantwortung für Politik. Deshalb
will ich Ihnen diesen weiteren Punkt ins Stammbuch
schreiben: Bei den Maßnahmen, die die Bundesagentur
für Arbeit zurzeit für Benachteiligte ausschreibt, läuft es
doch so ab, dass immer der Preis der Träger mehr zählt
wie die Qualifikation. Jetzt stellen Sie sich einmal vor,
wir würden in einem Landkreis ausschreiben: „Wer
macht in diesem Jahr die billigste Handelsschule?“ und
egal wer es ist, der Billigste bekommt den Zuschlag. So
läuft es zurzeit unter Ihnen in Deutschland bei den Pro-
grammen für Benachteiligte: Vernünftige und erfahrene
Träger mit einer regionalen Verantwortung scheiden aus
dem Markt aus und Billiganbieter bekommen den Zu-
schlag. Dafür tragen Sie Verantwortung: für das, was Sie
in den letzten Jahren bei der beruflichen Qualifikation
angerichtet haben!


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist doch nicht wahr! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist unwahr!)


Das haben Sozialdemokraten geschafft: Auf der einen
Seite haben wir in Deutschland auf die Unterrichtsstunde
bemessen die bestbezahlten Lehrer der Erde, auf der an-
deren Seite bekommen diejenigen, die in den Program-
men für beruflich Benachteiligte als Dozenten arbeiten,
Löhne von teilweise nicht einmal mehr 1 500 Euro. Das
ist unter Ihnen die Realität in der Bildungslandschaft in
Deutschland geworden!


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Das können Sie doch nicht leugnen!


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben gar nichts gemacht!)


Das hat es unter uns nicht gegeben, weil wir eine regio-
nale Struktur in diesen Bereichen wollen.

Hätten Sie bei Hartz auf uns gehört und die Integra-
tionsprogramme kommunal angesiedelt, dann hätten wir
jetzt kommunale Strukturen. Sie haben über die Bun-
desagentur für Arbeit aber Bundesstrukturen geschaf-
fen. Die Landesarbeitsämter haben nun nicht einmal
mehr Einfluss darauf, wer es in der Region machen
kann. Dafür tragen Sie die politische Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das werden wir in den entsprechenden Kreisen auch sa-
gen. Wir sind in dieser Frage für eine kommunale Be-
treuung.


(Zuruf von der SPD: Beim Zuverdienst haben wir auf Sie gehört! Der Schuss ging nach hinten los!)


– Wissen Sie, zum Zuverdienst werden Sie ab Freitag-
mittag neue Nachrichten erhalten. Das Problem kriegen
wir schnell geregelt.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder mal ein gutes Beispiel für die Redlichkeit des Herrn Laumann!)


Wenn wir etwas machen wollen, dann sollten wir erst
einmal dafür sorgen, dass es, solange es im dualen






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Josef Laumann

System nicht geht, bei den Bildungsträgern eine über
Steuern finanzierte qualifizierte Berufsausbildung für
die Benachteiligten gibt. Das duale System und lange
Praktika im dualen System müssen dabei absolute Vor-
fahrt erhalten.

Ich nenne Ihnen jetzt einen weiteren Punkt, der Sie
zur Weißglut bringen wird; ich weiß es. Meinetwegen
können Sie daraus auch eine Kampagne in Nordrhein-
Westfalen machen. Viele von meiner Fraktion, die hier
sind – ich gehöre dazu –, und viele von Ihnen haben in
ihrem Leben nach der Schule ganz natürlich zunächst
einmal eine ganz normale Lehre gemacht.


(Ute Berg [SPD]: Das ist schon mal ein richtiger Satz!)


Ich gehöre einer Generation an, die sich wenigstens in
der Region, in der ich groß geworden bin, zumindest die
Ausbildungsplätze im Handwerk – Mitte der 70er-Jahre –
nahezu aussuchen konnte. Warum war das damals so?
Damals galt folgende Faustregel: Im ersten Lehrjahr
setzt der Meister beim Lehrling ein wenig zu, im zweiten
ist es gleich und im dritten verdient er an dem Lehrjun-
gen so viel, wie er im ersten gekostet hat. Als diese Pro-
portion noch stimmte, gab es genug Ausbildungsplätze.
Da es heute einige Branchen gibt, in denen die tarif-
lichen Ausbildungslöhne so hoch sind, dass ein Hilfsar-
beiter manchmal preiswerter ist, darf man sich nicht
wundern, dass auch in diesem Bereich geschaut wird,
wie viele Lehrstellen es eigentlich noch gibt und ob sich
das eigene Unternehmen dies überhaupt noch erlauben
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier stellt sich auch die Frage, ob noch über Bedarf

ausgebildet wird. Man denkt: Soll ich noch jemanden
hinzunehmen, weil ich meine, dass wir eine Verpflich-
tung dazu haben, obwohl die Zeugnisse eigentlich nicht
entsprechend sind? Na ja, wir probieren es noch mal. –
Für die ganz Qualifizierten passt all das, was bei Ihnen
geschieht, vielleicht noch; die Schwächeren, die keine so
guten Zeugnisse vorzuweisen haben, trifft es zuerst.
Denken Sie einfach einmal darüber nach, ob nicht auch
wir eine Entwicklung mit einleiten müssen, dass wieder
der Grundsatz gilt: Eine Berufsausbildung muss so orga-
nisiert werden, dass die Kostenverteilung am Ende so
wie früher aussieht.


(Jörg Tauss [SPD]: Besser als früher!)

Die goldene Regel, die jeder Handwerker kannte, habe
ich Ihnen genannt.

Sie mögen sagen: Die Berufsausbildung ist besser als
früher. Ich kann Ihnen nur sagen: Die handwerkliche Be-
rufsausbildung in Deutschland war auch vor Jahren und
auch in der Generation vor uns schon von einer hohen
Qualität. Wenn wir diese in die Zukunft retten würden,
dann wäre mir zumindest vor der Zukunft des Teils der
jungen Leute, der dort ausgebildet wird, nicht mehr
bange.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516900800

Ich erteile das Wort Kollegin Thea Dückert, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516900900

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Herr Kollege und Wahlkämpfer
Laumann – das muss man heute hier wohl sagen –:


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)


Vieles habe ich nicht verstanden, weshalb ich zurückfra-
gen möchte.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja Ihr grundsätzliches Problem!)


– Ja, ja.
Sie haben hier die sehr richtige und nicht zu be-

zweifelnde Feststellung an den Anfang gestellt, dass
665 000 arbeitslose Jugendliche existieren und dass das
zuviel ist. Ich möchte hinzufügen: In einer so kurzen Re-
dezeit, wie ich sie habe, ist gar nicht zu beschreiben,
welche Schicksale von jungen Menschen, die in Ausbil-
dung kommen wollen, und ihren Eltern sich dahinter
verbergen. Herr Laumann, gerade vor diesem Hinter-
grund verstehe ich eines nicht: Sie haben beispielsweise
beklagt, dass die Bundesagentur für Arbeit über
360 000 Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche anbie-
tet.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das habe ich nicht beklagt! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das war eine Feststellung, keine Klage!)


Herr Laumann, was war die Botschaft dieser Aussage?

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Steuerfi nanziert!)

Wollen Sie uns in einer Zeit, in der es zu viele jugendli-
che Arbeitslose gibt, nahe legen, dass die Bundesagentur
für Arbeit diese Maßnahmen nicht durchführen soll?
Herr Laumann, wollen Sie also über 360 000 junge
Leute in die Wüste schicken?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So was Dummes können Sie doch selbst nicht glauben! So ein Schwachsinn!)


Wie können Sie in dieser Situation, in der in den Län-
dern junge Menschen von den Schulen und Ausbil-
dungssystemen zum Teil ohne Schulabschlüsse ins Be-
rufsleben geschickt werden, beklagen, dass die
Bundesagentur für Arbeit mit Beitragsmitteln versucht,
den jungen Menschen eine Hilfestellung zu geben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde das unsäglich. Genauso unsäglich finde ich
Vorschläge – das ist Ihr Konzept beim Pakt für Deutsch-
land –, die über Beitragssatzsenkungen bei der Arbeits-
losenversicherung gegenfinanziert werden sollen und
darauf hinauslaufen, Maßnahmen für Langzeitarbeits-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thea Dückert

lose, für Menschen in einer Umschulung, für junge und
alte Menschen zu streichen. Nein, so geht das nicht. Da-
her ist Ihre Politik nicht durchdacht und unglaubwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen allen den Zugang zu Bildung und Arbeit
ermöglichen, und zwar völlig unterschiedslos von Ge-
schlecht, sozialer Herkunft und übrigens auch von der
entsprechenden Landesregierung, egal ob man aus Bay-
ern oder aus einem anderen Bundesland stammt. Es ist
heute in Deutschland leider Realität, dass der Zugang zu
Ausbildung ein Nadelöhr ist, statt ein Scheunentor zu
sein.

Sie haben auf die Schulausbildung in Nordrhein-
Westfalen angespielt. Ich will Ihnen etwa sagen, Herr
Laumann: Das faktische Schlusslicht in Deutschland bei
Jugendlichen ohne Schulabschluss – das eigentliche
Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt – ist Bayern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nur so viel dazu, wie Sie es mit der Ehrlichkeit in dieser
Debatte halten. Wir alle zusammen haben es damit zu
tun, dass unsere Schulsysteme – die PISA-Studie hat uns
das bewiesen – die Jugendlichen nicht hinreichend auf
Ausbildung und Beschäftigung vorbereiten.

Ich sage Ihnen noch etwas: Die Hartz-Gesetze sind
der richtige Ansatz. Aber sie können nicht das, was in
unserem Bildungssystem verändert werden muss, was
zum Beispiel durch eine neue Art von Schule angegan-
gen werden muss, ausgleichen; das ist völlig klar.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine andere
wahlkampfbedingte Unehrlichkeit ansprechen, Herr
Laumann. Sie haben gesagt, dass die Zahl der arbeitslo-
sen Jugendlichen in diesem Jahr um 145 000 gestiegen
ist. Sie haben aber verschwiegen, Herr Laumann, dass
wir in diesem Jahr 120 000 arbeitslose Jugendliche über
die Hartz-Reformen aus der Grauzone herausgeholt
und in die Statistik aufgenommen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese 120 000 Jugendlichen haben erst dadurch die
Möglichkeit bekommen, durch Instrumente zur Wieder-
eingliederung, die ihnen individuell helfen, zum Beispiel
durch Beratung mit Eingliederungsvereinbarungen und
Angebote für jeden – das streben wir an –, eine Beschäf-
tigung zu finden. Diese 120 000 Jugendlichen, die vor-
her in keiner Statistik aufgetaucht sind und auch nicht
Gegenstand der Politik waren, haben jetzt eine Chance
erhalten. Ich finde, Herr Laumann, es gehört zu der von
Ihnen geforderten Ehrlichkeit dazu, auch das zu benen-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber auch Folgendes ist wichtig: Die Hartz-Gesetze
haben viele neue Instrumente geschaffen, doch viele
werden noch nicht so eingesetzt, wie es geplant war; das
ist wahr. Die notwendige Relation von 1 : 75 bei den
Fallmanagern ist an vielen Orten noch nicht erreicht,
aber an vielen anderen konnte sie umgesetzt werden. Ich
muss Ihnen sagen: Wenn ich durch das Land reise, stelle
ich fest – das ärgert mich sehr –, dass fest verankerte
Strukturen und Netzwerke für Jugendliche, die in die
Betriebe vermittelt werden sollen, in einem bürokrati-
schen Clinch und Wirrwarr zwischen Behörden und
Kommunen zum Teil auf der Strecke bleiben. Das darf
nicht sein. Wir müssen erreichen, dass die Jugendhilfe
vor Ort, die Arbeitsvermittlung und die Jobcenter an ei-
nem Strang ziehen.

Die erste Priorität bei der Bewältigung der Schwierig-
keiten – diese sehe ich durchaus –, eine so große Be-
hörde umzustrukturieren, muss sein, die Vermittlung
der Jugendlichen zu organisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Laumann hätte sie lieber vor Ort!)


Das geht. Wir haben heute schon Kommunen, die das
machen. Schauen Sie sich Köln an. Dort wird vorge-
führt, dass wir mit den Instrumenten und Mitteln von
Hartz und der Dezentralität jedem Jugendlichen ein An-
gebot machen können. Deswegen ist es richtig, dass wir
das in unseren Antrag hineingeschrieben haben. Es ist
auch richtig, dass wir die Schwierigkeiten für die Ju-
gendlichen in einem Zeitraum, der kleiner als drei Mo-
nate ist, ausräumen wollen.

Ich muss zum Schluss kommen. Ich möchte aber ei-
nes noch einmal in Richtung Union sagen. Sie sprechen
von lebenslangem Lernen. Sie haben einen Antrag ein-
gebracht, in dem man wieder eine Wende feststellen
kann, die wahlkampfbedingt ist. Wenn Sie lebenslanges
Lernen und Bildung ernst nehmen, dann lassen Sie uns
mehr in Bildung investieren. Geben Sie Ihre Blockade
bei der Abschaffung der Eigenheimzulage auf!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie lebenslanges Lernen in den Betrieben ernst
nehmen, dann hören Sie auf, den Kündigungsschutz
schleifen zu wollen und das Prinzip des „hire and fire“
einführen zu wollen!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


Wir brauchen Weiterbildung in den Betrieben. Das heißt,
wir brauchen auch Kontinuität in der Beschäftigung. Die
Wirtschaft und die Politik haben eine Verantwortung ge-
genüber den Jugendlichen und nicht umgekehrt.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516901000

Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Frak-

tion.






(A) (C)



(B) (D)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1516901100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koali-

tionsfraktionen haben uns heute einen Antrag vorgelegt,
der wieder einmal die schöne heile Welt darstellen soll:


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Traumwelt!)


auf der linken Seite die Tollen und die Sozialen, die in
die Zukunft schauen, und auf der rechten Seite diejeni-
gen, die nur die Reichen erfreuen wollen und den ande-
ren in diesem Land die Chancen verbauen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Nicolette Kressl [SPD]: Gut beschrieben! – Jörg Tauss [SPD]: Sie können sich ändern!)


Mit dieser Legendenbildung werden wir heute aufräu-
men.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Chancen und Perspektiven für eine Bildungskarriere
– Frau Bulmahn, das haben Sie eben sehr richtig ge-
sagt – werden in der Schule und auch schon vor der
Schule aufgebaut. Da stimme ich Ihnen zu. Wir haben
aber alle in dieser Woche den „Spiegel“ gelesen, in dem
aufbereitet wird, wie viel Deutschland für den Elemen-
tarbereich ausgibt. Wir geben gerade einmal 3 448 Euro
pro Kind aus. Selbst in Italien, in einem Land, von dem
der Durchschnittsdeutsche meint, dort laufe es nicht so
richtig, werden 6 468 Euro pro Kind ausgegeben. Das ist
das Doppelte. In Großbritannien sind es sogar
8 000 Euro pro Kind. Deutschland knausert bei den
Kleinen und das gerade in den SPD-regierten Ländern.


(Beifall bei der FDP)

Sie, Frau Bulmahn, haben eben wieder versucht, diese

Entwicklung zumindest rein theoretisch ein bisschen zu
banalisieren, und Sie haben davon gesprochen, dass Sie
den Kommunen durch das Gesetz mit dem „wunder-
schönen“ Namen Tagesbetreuungsausbaugesetz 1,5 Mil-
liarden Euro zukommen lassen wollen. Aber es ist völlig
unklar, wie viel von diesem Geld ankommt, wie es ver-
teilt wird und wer überhaupt jemals davon profitieren
wird.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenden Sie sich an die Länder!)


In Nordrhein-Westfalen kann Ihnen kein Mensch sagen,
wie sich das überhaupt auf die Kommunen auswirken
wird. Das ist doch die Realität. Das geschieht in einem
Bundesland, in dem trotz des Rechtsanspruchs gerade
einmal 84 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder ei-
nen Kindergartenplatz bekommen. Im vorschulischen
Bereich, in dem das Fundament für Bildung gelegt wird,
haben wir eine Abdeckung von 2,3 Prozent. Das erinnert
an ein Entwicklungsland, liebe Frau Bulmahn, und das
ist ein SPD-geführtes Land.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Schulbereich haben Sie versucht, mit dem 4-Mil-
liarden-Euro-Ganztagsschulprogramm gegenzusteuern.
Das haben Sie eben erwähnt. Damals haben Sie „Zeit für
mehr“ plakatiert. Fakt aber ist – auch das können Sie im
„Spiegel“ dieser Woche nachlesen –, dass die Länder
diese Mittel nicht abrufen. Da ist Nordrhein-Westfalen
nicht vorneweg, wie Sie eben behauptet haben. Nur
23 Prozent der Mittel werden in NRW abgerufen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schauen Sie einmal nach Hessen!)


An der Spitze steht Bremen. Mecklenburg-Vorpommern
hat nur 20 Prozent der Mittel abgerufen. Berlin ist mit
46 Prozent toll; es ist ja auch toll verschuldet. Schles-
wig-Holstein hat 27 Prozent der Mittel abgerufen. Das
alles sind SPD-regierte Länder, Frau Bulmahn. Sie
stehen damit einer weitgehend geschlossenen Front von
Verschleppern der Ganztagsschulbetreuung gegen-
über – und das als SPD-Ministerin. Das sind alles Ihre
Länder.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber Sie sollten nicht jeden unseriösen Artikel aus dem „Spiegel“ zitieren!)


– Lieber Herr Tauss, jedes Jahr verlassen immer noch
rund 80 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss.
Fast jeder zweite arbeitslose Jugendliche hat keine abge-
schlossene Ausbildung. Nur knapp über 50 Prozent der-
jenigen, die keinen Sek-II-Abschluss haben, finden eine
Beschäftigung. Damit erreichen wir den mageren
Platz 20 unter 28 untersuchten Ländern, Frau Bulmahn.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Das können Sie doch nicht allen Ernstes als soziale Teil-
habe in diesem Lande bezeichnen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie versuchen es immer wieder!)


Sie haben eben die Bundesregierung gelobt – das
steht Ihnen frei und das wird Ihnen wahrscheinlich auch
niemand übel nehmen – und dabei die Hartz-Reformen
hervorgehoben. Das mag zwar damals für Sie ein Kraft-
akt für die sozialdemokratische Seele gewesen sein – wir
alle waren Zeuge –, aber bisher ist von gezielter Förde-
rung und besserer Vermittlung nichts zu merken. Im Ge-
genteil: Neben den Zahlen, die Herr Laumann eben er-
wähnt hat, leben wir doch inzwischen mit der Tatsache,
dass nach der Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit
die Berufsberatung der Arbeitsämter faktisch aufge-
geben wurde.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Was?)

Nun will ich nicht behaupten, Frau Bulmahn, dass wir

Liberalen meinten, die Arbeitsämter müssten das alles
tun. Aber Sie haben keinen neuen Weg aufgezeigt. Die
Jugendlichen – gerade diejenigen, die besonders gestützt
und gefördert werden müssen – erhalten durch die Ar-
beitsämter keine Beratung mehr. Ist das die soziale Teil-
habe?

Sie tragen weiterhin die Ausbildungsplatzabgabe
wie eine Monstranz vor sich her, Frau Bulmahn – in die-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Flach

sen Tagen geht aus der Presse hervor, dass Sie sie offen-
sichtlich wieder für den Herbst androhen wollen –,


(Nicolette Kressl [SPD]: Wo haben Sie das denn her?)


obwohl die Unternehmen Ihnen gezeigt haben, dass man
in diesem Land gemeinsam in der Lage ist, gerade etwas
für Jugendliche in diesem Alter zu tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt inzwischen 15 400 Ausbildungsplätze mehr
– das sind 2,8 Prozent –, und zwar ohne eine Abgabe.
Was haben Sie damals für diese Abgabe gekämpft, Frau
Bulmahn. Wie viele Anhörungen in unserem Ausschuss
haben wir durchführen müssen, bis Ihnen klar wurde,
dass es so nicht geht.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dass was nicht geht?)


Die Ausbildungsplatzabgabe und der dann erfolgte Pakt
für mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendli-
che


(Nicolette Kressl [SPD]: Wer hat denn den Ausbildungspakt erreicht? Sie haben doch nichts getan!)


haben gezeigt, dass in diesem Lande nicht mit Druck
oder einer Abgabe vorzugehen ist; vielmehr wird in die-
sem Fall im Einvernehmen mit den Unternehmen gehan-
delt. Denn sie – nicht der Staat – sind diejenigen, die die
Arbeitsplätze schaffen.


(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung hat ein Berufsbildungsgesetz

beschlossen – wir haben uns seinerzeit der Stimme ent-
halten –, das zumindest in die richtige Richtung ging.
Sie haben aber dabei keine Verbesserung in den ent-
scheidenden Punkten vorgenommen. Sie wollen nach
wie vor die Ausbildungszeiten nicht in ausreichendem
Maße verkürzen. Sie wollen nach wie vor nicht in der
notwendigen Weise mit Modulen für benachteiligte Ju-
gendliche arbeiten und Sie haben in dem einen Jahr nach
der Verabschiedung des Gesetzes gerade zwei neue Be-
rufe mit einer zweijährigen Ausbildung geschaffen.

Das kann ich nicht als Schritt in die Zukunft bezeich-
nen. Das ist wirklich nicht der Fall, Frau Bulmahn.

Wir als FDP wollen mehr Spielräume für die betrieb-
liche Gestaltung in den Ausbildungsverordnungen schaf-
fen. Sie hingegen setzen auf die weitere Verschulung.
Wir wollen die Verkleinerung der Berufsbildungsaus-
schüsse. Sie wollen das nicht. Wir wollen eine Erleichte-
rung bei den Vorschriften über Sozialräume und eine fle-
xiblere Handhabungsmöglichkeit für Unternehmen bei
der Höhe der Ausbildungsvergütung.


(Nicolette Kressl [SPD]: Ganz schön rückwärtsgewandt! Aber Sie können sich nicht durchsetzen!)

All dies haben Sie auf Druck Ihres linken Flügels

nicht machen können, Frau Bulmahn. Daraus ergeben
sich die Probleme in diesem Bereich. In diesem Fall sind
Sie nicht in der Lage, den Jugendlichen schnell und un-
bürokratisch das zu bieten, was sie brauchen, nämlich ei-
nen Arbeitsplatz und damit einen Platz in der Gesell-
schaft, damit sie mitmachen können.


(Beifall bei der FDP)

Ich würde gerne noch etwas zu den Hochschulen

ausführen, aber wir führen heute noch eine wunder-
schöne Debatte über das BAföG, in der wir uns gegen-
seitig etwas erklären können. Deshalb will ich nur Fol-
gendes anmerken: Wir haben seit 1998 mit Ihnen viel
erlebt. Wir haben von Ihnen viele tolle Reden


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So toll waren sie nicht!)


und Versprechungen gehört, Frau Bulmahn. Aber wie
sieht die Realität aus? Realität ist, dass wir nach wie vor
in einem Land leben, in dem die Leute, die mit einem
goldenen Löffel geboren werden, bessere Chancen ha-
ben, während die Armen sehen müssen, wie sie sich ein-
gliedern können.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist die Bilanz der rot-grünen Regierung seit 1998.

Die Armen sind nach wie vor so weit von der Bildung
entfernt, wie sie es 1998 waren. Deswegen ist es Zeit,
dass sich die Situation am 22. Mai dieses Jahres – darin
stimme ich Herrn Laumann zu – verändert. Nordrhein-
Westfalen wird vorangehen und Berlin wird folgen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516901200

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1516901300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! „Aufbruch und Perspektiven – Zu-
kunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken“,
das ist der Titel unseres Antrags, der deutlich macht, wo-
für Rot-Grün steht, kämpft und eintritt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Heute Morgen durften wir gleich beim ersten Tagesord-
nungspunkt den Aufbruch miterleben. Bei der Wahl des
neuen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe ist deutlich ge-
worden, dass Sie selbst in den Kreisen der Opposition
nicht geschlossen auftreten. Schließlich waren auch Sie
von diesem qualifizierten Kandidaten überzeugt, sodass
große Zustimmung aus Ihren Reihen kam. Das ist ein
Stück Aufbruch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben des Weiteren miterleben dürfen, dass wir in
Nordrhein-Westfalen einen guten Wirtschafts- und Ar-
beitsminister haben. Er heißt Harald Schartau. Heute
Morgen ist deutlich geworden: Zu ihm hat die Opposi-
tion keine Alternative zu bieten. Auch das muss festge-
stellt werden.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Mäßiger Applaus!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

Wir müssen die Reformen, die wir mit der Agenda

2010 begonnen haben, engagiert fortsetzen. Das ist unser
Auftrag. Mit „wir“ meine ich nicht nur die Regierung,
sondern auch all diejenigen, die mit ihrer Arbeit in den
Schulen, in den Kindergärten, bei den Bildungsträgern
und in den Arbeitsgemeinschaften mithelfen, damit die
Arbeitslosigkeit in diesem Land gesenkt wird. Junge
Menschen in unserem Land brauchen eine Perspektive.
Sie dürfen nicht ängstlich, sondern sie sollen mit Zuver-
sicht der Zukunft entgegensehen, und zwar nach unserer
Überzeugung ganz unabhängig davon, in welcher Le-
benssituation sie sich befinden. Junge Menschen müssen
eine Chance bekommen. Dafür steht Rot-Grün. Das wol-
len wir mit unserem Antrag noch einmal deutlich ma-
chen. Wir haben letztlich mit der Agenda 2010 die Zu-
kunftsfähigkeit dieses Landes organisiert. Wir sind auf
einem Weg, der letztlich die Chancen für junge Men-
schen deutlich verbessern wird.

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutsch-
land hängt nach unserer Überzeugung nicht davon ab,
wie lange und für wie viel – noch weniger – Geld in die-
sem Land gearbeitet werden muss. Denn eines will ich
klar sagen: Wir können und wollen uns nicht mit Billig-
lohnländern messen lassen. Mit ihnen wollen wir nicht
konkurrieren. Unser Grundsatz lautet: Wir wollen nicht
billiger sein, sondern wir müssen besser sein. Das ist die
Losung, mit der wir in die Auseinandersetzung gehen.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich klar sagen: Im Zuge der Dienstleis-

tungsfreiheit ist es deshalb wichtig, dass wir nicht an der
Spirale nach unten drehen. Vielmehr müssen wir auch in
einer erweiterten EU Mindeststandards sichern. Die
Opposition macht zwar interessante Aussagen. Aber
während die einen wie Herr Laumann und Herr Stoiber
Mindestlohn und Mindestbedingungen bejahen, sagen
andere wie Frau Merkel und Herr Pofalla: unter keinen
Umständen. Dieses Hott-und-Hü macht dieses Land
noch nervöser und bietet keine Zukunftsperspektive. Ich
will hier klar sagen: Wir stehen dafür, dass in diesem
Land die sozialen Standards nicht der Globalisierung
zum Opfer fallen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet
für uns keine Spirale nach unten. Es geht nicht um weni-
ger Lohn und längere Arbeitszeiten. Die Wettbewerbs-
fähigkeit hängt vielmehr von der Sicherung der Stand-
ortfaktoren ab. Dabei sind das Bildungsniveau, die
Rechtssicherheit und die Zuverlässigkeit in dieser Ge-
sellschaft ganz wesentliche Faktoren. Im Übrigen sehen
das ausländische Investoren genauso. Diese beurteilen
die Situation in Deutschland mehr und mehr positiv und
loben sie. Das, was in Nordrhein-Westfalen geschieht,
was Herr Rüttgers und Frau Merkel fordern, nämlich
ohne Lohnausgleich länger zu arbeiten, ist nichts ande-
res als eine Aufforderung zum kollektiven Tarifbruch.
Das muss deutlich gesagt werden. Das bringt dieses
Land nicht nach vorne. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir treten dafür ein, dass die Teilhabe am sozialen,
wirtschaftlichen und kulturellen Leben gewährleistet
ist. Das ist für Sozialdemokraten oberstes Ziel.

Arbeit ist insbesondere für Jugendliche ein zentraler
Teilhabefaktor; wie wir wissen, lösen sich nämlich an-
dere Bindungen – Bindungen in Vereinen und Organisa-
tionen – immer stärker auf. Gerade deshalb ist die Mög-
lichkeit, in Arbeit oder in einer Bildungsmaßnahme zu
sein, für uns ein Faktor von grundlegender Bedeutung.

Herr Laumann, es ist nicht redlich, hier zu erklären
– das will ich ganz deutlich sagen –: Ja, auch wir wollen,
dass es berufsvorbereitende Maßnahmen gibt; auch wir
wollen Angebote für die Jugendlichen schaffen; aber das
alles muss steuerfinanziert werden. Erst sagen Sie, diese
Maßnahmen seien nicht bei der Bundesagentur für Ar-
beit anzusiedeln, vielmehr sei dafür die gesamte Gesell-
schaft zuständig.


(Jörg Tauss [SPD]: Durch Steuersenkungen!)

Dann sagen Sie: Lassen Sie uns das steuerfinanzieren.
Gleichzeitig ziehen Sie tagaus, tagein in diesem Lande
umher und sagen: Wir müssen Steuern senken; im Kern
muss dieser Staat bei seinen überbordenden Ansprüchen
zurückstecken. Auf der einen Seite fordern Sie, dass Bei-
träge nicht genutzt werden und dass diese Maßnahmen
steuerfinanziert werden, und auf der anderen Seite sind
Sie gegen irgendwelche sicheren Finanzierungsgrundla-
gen. Das ist ein Widerspruch. Hier muss ganz deutlich
gesagt werden: Das ist nicht redlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die Arbeitslosigkeit sichtbar gemacht. Wir
sagen nicht: Es ist alles gut. Wir haben die Jugendlichen
aus dem statistischen Dunkel herausgeholt. Es gibt rund
660 000 arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahre.
16 Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluss. Im
SGB-II-Bereich, also bei den Beziehern von steuerfinan-
zierten Grundsicherungsleistungen, ist sogar ein Drittel
der Personen ohne Schulabschluss. 68 Prozent von ihnen
haben keine Ausbildung. Viele von ihnen haben einen
Migrationshintergrund. Die Versäumnisse der Bildungs-
und Zuwanderungspolitik der 80er- und 90er-Jahre las-
sen hier ganz deutlich grüßen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie so oft ist dabei wieder einer durchgebrannt, Herr
Laumann. Er sagt: 21 Prozent der Jugendlichen in NRW


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Der ausländischen Kinder!)


gehören zu den Lernbehinderten und sind in Sonder-
schulen untergebracht. Richtig ist, dass 4,9 Prozent der
Schüler Lernbehindertenschulen, also Sonderschulen,
besuchen. Richtig ist aber auch, dass es auf diesem Ge-
biet im letzten Jahr eine Steigerungsrate von 21 Prozent
gab. Das hat etwas damit zu tun, dass man diesen Perso-
nenkreis ganz besonders fördert. Auch deshalb wird die-






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

ses statistische Dunkel gelichtet. Wir widmen uns die-
sem Problem ganz konkret. Wir widmen uns den
Menschen und wir banalisieren nicht und pauschalisie-
ren nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Scheuer [CDU/ CSU]: Ihr macht schon Fehler beim Zuhören!)


Wir sind dabei, die Umsetzung der Reformen zu op-
timieren. Die Einführung von Hartz IV hat trotz einer
knappen Vorlaufzeit gut geklappt. Die CDU hat dieses
Gesetz zwar mitbeschlossen, aber wenig mitgeholfen, es
in die Praxis umzusetzen. Sie mäkelt: Eigentlich sollte
die BA nicht zuständig sein; sie ist überfordert; die
Kommunen sollten es machen. Ob das richtig ist, wird
sich zeigen.

Aber es wird sich auch zeigen, ob es redlich ist, dass
Sie in Bezug auf Ausschreibungsmaßnahmen sagen:
Preis und Qualität müssen in den Vordergrund gerückt
werden. Genau das hat Rot-Grün organisiert. Die BA hat
am Anfang falsch gesteuert. Wir, nicht Sie, haben dafür
gesorgt, dass Preis und Qualität im Vordergrund stehen.
Es wird darum gehen, in die Vergabeordnung zum Bei-
spiel die Tariftreue aufzunehmen. Ich bin gespannt, in-
wieweit Sie diesen Ansatz für einen fairen Wettbewerb
mittragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An genau dieser Stelle kneifen Sie nämlich. In der
Vergangenheit haben Sie all das verhindert, was dazu ge-
führt hat, dass gerade ein geordneter Wettbewerb über-
haupt stattfinden konnte. Hier stellen Sie sich hin und
behaupten großspurig: Die Qualität gehört in den Vor-
dergrund; nicht der Preis, sondern der Mensch muss
Priorität haben. Hier muss deutlich gesagt werden: Das
ist heuchlerisch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind für eine intensive Betreuung. Wir wollen,
dass auf 75 längere Zeit arbeitslose Jugendliche ein An-
sprechpartner kommt. In Nordrhein-Westfalen beträgt
dieses Verhältnis schon eins zu 78. Dort ist eine tolle
Leistung erbracht worden. Ich will nicht sagen, dass da
alles schon gut ist; schließlich müssen diese Jugendli-
chen noch weiter ausgebildet werden.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Vor allem müssen sie in Arbeit gebracht werden!)


Wir stellen 6,55 Milliarden Euro zur Verfügung, damit
diese Menschen eine Chance bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Beispiel sucht auf der ganzen Welt seinesglei-
chen. Unterstützen Sie diesen Prozess und mäkeln Sie
nicht dauernd an ihm herum!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Arbeitslosig-
keit ist kein Problem Einzelner, sondern der gesamten
Gesellschaft. Darum müssen wir alle mithelfen. Wir dür-
fen nicht immer nur auf den anderen zeigen, sondern wir
alle, das heißt auch die Unternehmen, die Tarifpartner,
die Menschen in den Jobcentern, in den Arbeitsagentu-
ren, die Beschäftigungs- und Bildungsträger, müssen
mithelfen, damit wir die Jugendarbeitslosigkeit zurück-
drängen. Wenn ich von „wir“ spreche, dann meine ich,
dass jeder Einzelne das zu seinem ganz privaten Anlie-
gen machen muss, sei es bei der Mithilfe bei der Organi-
sation von Arbeitsgelegenheiten oder Weiterbildungs-
maßnahmen oder der Organisierung eines neuen
Ausbildungsplatzes.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516901400

Kollege Brandner, Sie müssen zum Schluss kommen.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1516901500

Das ist eine Gemeinschaftsaktivität, zu der wir ge-

meinsam stehen sollten. Dazu rufe ich Sie alle auf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1516901600

Ich erteile Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Frak-

tion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1516901700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die SPD zeichnet in ihrem Antrag das Bild ei-
ner schönen neuen Welt. Nur: Die Realität sieht leider
anders aus.


(Klaus Brandner [SPD]: Schon wieder Schwarzmalerei!)


– Nein, das ist keine Schwarzmalerei. – Mehr als
660 000 Jugendliche sind arbeitslos.


(Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie Ihr Kind heute schon gelobt?)


Es gibt 5,2 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Das
sind Fakten, an denen wir nicht vorbei können.

Die Jugendlichen, die uns heute auf der Tribüne im
Deutschen Bundestag zuhören, wollen wissen, wie es
weitergeht.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut! Sagen Sie was!)

Sie wollen keine Warteschleifen, sondern ganz konkret
die Chance auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz
haben. Da ist ihnen mit Schönfärberei nicht gedient.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Sagen Sie doch mal was! – Klaus Brandner [SPD]: Wo haben wir Schönfärberei betrieben? Haben Sie nicht zugehört?)


Ich will aus Ihrem Antrag zitieren. Sie schreiben:






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Böhmer

Hartz IV sieht vor, hilfebedürftigen Jugendlichen
unter 25 Jahren unverzüglich eine Ausbildung, Ar-
beit oder eine Arbeitsgelegenheit anzubieten.

Ich war wie viele von Ihnen in einer Arbeitsgemein-
schaft, die vor Ort Hartz IV umsetzt. Ich habe mir die
Statistik angesehen. Ich habe gefragt: Wie sehen die
Einzelschicksale aus, die sich hinter diesen Zahlen ver-
bergen? Die Mitarbeiter haben mir gesagt: Wir können
es Ihnen nicht sagen. Uns fehlen die Daten. Wir sind
noch nicht so weit. – Das bedeutet: Es ist gegenwärtig
schier unmöglich, diesen Jugendlichen gegenüber das
Versprechen einzulösen, mit ihnen eine individuelle Ein-
gliederungsvereinbarung zu treffen.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir sind auf dem richtigen Weg!)


Das Schicksal der vielen allein erziehenden Mütter
und Väter ist besonders dramatisch.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie den Antrag einmal gelesen?)


Es gibt eine Riesenzahl von Alleinerziehenden, die
nach Hartz IV besonderen Anspruch auf Kinderbetreu-
ung haben.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie den Antrag einmal gelesen?)


Fragen Sie einmal in der Arbeitsagentur oder in der
Kommune, ob man dort weiß, wie die reale Situation ist,
und ob man Ihnen die Zahlen aufschlüsseln kann!


(Klaus Brandner [SPD]: Ein Trauerspiel, was Sie zum Besten geben!)


Fehlanzeige! Die Hilfe fehlt. Deshalb entspricht das, was
Sie hier sagen, nicht den Tatsachen;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo bleibt Ihre Wahrhaftigkeit?)


es entspricht nicht der Wirklichkeit in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie nicht zugehört?)

1,1 Milliarden Euro werden von der Bundesagentur

allein nur für die Förderung benachteiligter Jugendli-
cher in unserem Land ausgegeben. Der Kollege
Laumann hat völlig Recht, wenn er den Blick auf diesen
Punkt richtet. Das ist eine enorme Summe. Sie zeigt
auch, dass vorher etwas schief gelaufen ist – in der
Schule und im Elternhaus. Es kann nicht sein, dass wir
immer nur reparieren. Wir müssen an den Wurzeln an-
setzen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder
eine bessere Bildung bekommen und dass die Erziehung
im Elternhaus besser klappt. Das Ziel muss heißen: Ur-
sachen der Bildungsmängel beseitigen, um nicht reparie-
ren zu müssen.

Laut PISA haben 200 000 Schüler jedes Jahrgangs
schwere Lese- und Schreibprobleme. 100 000 Schüler
verlassen die Schule ohne Abschluss. 85 000 von ihnen
kommen aus der Hauptschule. Die BDA stellt fest: Män-
gel im Lesen, Rechnen und Schreiben sind genau so ver-
breitet wie fehlende Verantwortungsbereitschaft oder
fehlendes Durchhaltevermögen.

Wenn Sie sich noch einmal mit der Nachvermitt-
lungsaktion der Industrie- und Handelskammern des
letzten Jahres befassen, dann werden Sie feststellen, dass
ein Drittel der Kandidaten gar nicht erst erschienen war
und dass nur 42 Prozent der Jugendlichen für eine beruf-
liche Ausbildung geeignet waren. Das ist ein dramatisch
schlechtes Zeugnis für das, was vorher in der Schule ge-
schehen ist.

Wer genau darauf schaut, wie es um Bildungs- und
Schulpolitik bestellt ist, erkennt: Die schlechtesten Er-
gebnisse – das zeigt PISA, das zeigt IGLU und das zeigt
TIMSS – sind in den sozialdemokratisch regierten Län-
dern.


(Ute Berg [SPD]: Das ist doch gelogen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wie man so lügen kann! – Gegenruf des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh!)


Sie sind mit dem Ziel angetreten, Chancengleichheit
herzustellen. Das ist Ihnen nicht gelungen. Sie haben in
Nordrhein-Westfalen das große Experiment Gesamt-
schule durchgeführt. Sie sind mit dieser Schule kläglich
gescheitert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

PISA zeigt uns: Nirgendwo sind die Bildungschancen so
stark vom sozialen Hintergrund abhängig wie in Nord-
rhein-Westfalen


(Zurufe von der SPD)

und in keinem Bundesland sind die Leistungsunter-
schiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshin-
tergrund so groß wie in Nordrhein-Westfalen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!)

Ein Viertel der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler
dort kann nicht ordentlich lesen, schreiben und rechnen
und mehr als jeder zehnte Hauptschüler in Nordrhein-
Westfalen verlässt die Schule ohne Abschluss.


(Ute Berg [SPD]: Und in Bayern?)

Das entspricht 244 kompletten Hauptschulklassen, die
ohne Abschluss ins Leben gehen.

Angesichts dieser Situation und des Ausfalls von
5 Millionen Unterrichtsstunden streicht Nordrhein-West-
falen jetzt Lehrerstellen an Gymnasien, Hauptschulen,
Realschulen, Gesamtschulen und Sonderschulen.


(Klaus Brandner [SPD]: Die Erde ist eine Scheibe!)


Das ist die Realität und nicht die schöne neue Welt, die
Sie hier zeichnen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Berg [SPD]: Die verzerrte Realität der Frau Böhmer!)


Und wie wollen Sie diese Probleme lösen? Ich habe
es hier von Frau Bulmahn gehört, als es um PISA ging.
Wir haben die Auseinandersetzungen in Schleswig-Hol-
stein und auf dem Berliner SPD-Parteitag vor wenigen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Böhmer

Tagen erlebt und wir erleben es in Nordrhein-Westfalen.
Gegen den Rat aller Experten wollen Sie die Einheits-
schule durchsetzen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen:
Lassen Sie ab von diesem Irrweg. Er führt Schüler in die
denkbar schwierigste und schlechteste Ausgangssitua-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Sie sind die pure Ideologin, Frau Böhmer! Eine echte Ideologin!)


– Ich freue mich über Ihren Zuruf und möchte mit einer
Aussage von Professor Baumert, Chef des Max-Planck-
Instituts für Bildungsforschung und einer der großen Bil-
dungsexperten in unserem Land, darauf eingehen. Er
bringt es auf den Punkt, indem er ganz deutlich sagt: Es
geht nicht darum, die Schulstruktur umzustülpen, son-
dern vorhandene Schulsysteme intelligent zu nutzen.


(Nicolette Kressl [SPD]: So wie in Bayern!)

An dieser Stelle scheitern Sie. Wir müssen die Haupt-
schule stärken.


(Jörg Tauss [SPD]: Im Saarland haben Sie sie gerade abgeschafft!)


Wir müssen Praxis in die Schule bringen. Wir brauchen
die Verknüpfung von betrieblicher und schulischer
Wirklichkeit. Wir können nicht schulmüde Schüler im-
mer länger auf der Schulbank halten, sondern wir müs-
sen ihnen die Chance geben, sich in der betrieblichen
Praxis zu bewähren. Hierfür gibt es Beispiele: in Hessen
die SchuB-Klasse, in Bayern und Baden-Württemberg
die Praxisklassen. Diesen Beispielen muss man folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch ein Wort zu Ganztagsschulen

und zu frühkindlicher Bildung und Erziehung sagen. Wir
unterstützen die Einführung von Ganztagsschulen in un-
serem Land. Diese Entwicklung muss gestärkt werden.
Aber es darf kein Milliardenbluff sein, wie wir es im
„Spiegel“ nachlesen können. Die Anwürfe gegenüber
den CDU-regierten Ländern sind völlig falsch, wenn in
Nordrhein-Westfalen von den bereitgestellten 297 Mil-
lionen Euro gerade einmal 23 Prozent abgerufen werden.
Die Fehler sind in Ihrem eigenen Bundesland zu suchen,
Herr Müntefering, und nicht bei der Union.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Sie sind auch dort zu suchen, wo es um die Qualität von
Ganztagsschulen geht. Es ist nicht allein mit der Bereit-
stellung von Mittagessen, mit Hausaufgabenbetreuung
und mit Betreuungsangeboten am Nachmittag wie Sport
oder Theaterspiel getan.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Wer Ganztagsschulen in unserem Land will, der muss
dafür sorgen, dass dort, wo Schule drauf steht, auch
Schule drin ist. Das heißt: Wir brauchen Bildung in den
Ganztagsschulen. Dafür werden sich die CDU- und
CSU-regierten Länder einsetzen. Dafür ist es an der Zeit.


(Zurufe von der SPD)

Dasselbe gilt im Bereich der frühkindlichen Bildung
und Erziehung. Wir haben das Tagesbetreuungsausbau-
gesetz mitgetragen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ausgerechnet die Bildungsblockierer!)


Wir haben an dieser Stelle aber auch deutlich gemacht:
Der Ausbau der Kinderbetreuung in unserem Land darf
finanziell nicht auf tönernen Füßen stehen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516901800

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Kressl?

Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1516901900

Ich gestatte natürlich gern der Frau Kollegin Kressl

eine Zwischenfrage, weil es immer spannend ist, mit ihr
zu diskutieren.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1516902000

Sehr geehrte Frau Kollegin Böhmer, das nette Kom-

pliment wird mich nicht daran hindern, Sie zu fragen,
nachdem Sie gerade behauptet haben, CDU-regierte
Länder würden ihre Ganztagsschulen mit pädagogi-
schem Personal ausstatten, warum beispielsweise die
Kultusministerien weder in Niedersachsen noch in Ba-
den-Württemberg


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

bereit sind, die von uns geförderten Ganztagsschulen
auch nur mit etwas mehr pädagogischem Personal aus-
zustatten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Baden-Württemberg wird sogar argumentiert, eine zu-
sätzliche pädagogische Ausstattung sei nur für Schulen
in sozialen Brennpunkten nötig. Das bedeutet eine Stig-
matisierung von Ganztagsschulen. Ich finde, Sie sollten
wirklich aufpassen, wie Sie argumentieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1516902100

Frau Kollegin Kressl, wir streiten hier nicht um die

Tatsache, dass man pädagogische Konzepte braucht, dass
man qualifizierte und motivierte Lehrkräfte im Ganztags-
schulbereich braucht, dass es eine Umstellung hin zu
wirklichen Ganztagsschulkonzepten geben muss, son-
dern wir streiten darüber, was in den Ländern passiert.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, genau!)


Dazu sage ich Ihnen als jemand, der aus dem Land
Rheinland-Pfalz kommt, das ja sozusagen für die SPD
die Vorreiterfunktion im Bereich der Ganztagsschulen
übernommen hat, ganz deutlich:


(Nicolette Kressl [SPD]: Sagen Sie einmal etwas zu Baden-Württemberg und Niedersachsen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Böhmer

Dort werden Vereine gebeten, die Nachmittagsbetreuung
zu übernehmen. Dabei handelt es sich nicht um pädago-
gisch qualifizierte Kräfte.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist falsch!)

Es handelt sich um Landfrauen – die ich sehr schätze –,
die Kochkurse machen,


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist gelogen!)

und Übungsleiter von Sportvereinen, die normalerweise
Kurse für Erwachsene geben.


(Jörg Tauss [SPD]: Falsch!)

Nach den Besuchen, die ich in jüngster Zeit in Schulen
gemacht habe, muss ich Ihnen sagen: Mittlerweile erklä-
ren mir die Schulleiterinnen und Schulleiter, dass sie
endlich auf pädagogische Kräfte zurückgreifen wollen.
Deshalb ist es notwendig, dass Sie vor Ihrer eigenen
Haustür kehren und dort für Ordnung sorgen. Wir sorgen
in den CDU-regierten Ländern dafür. Die von uns dort
betriebene Schulpolitik ist ja auch von PISA, IGLU und
TIMSS mit den besten Noten bewertet worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wieder falsch! – Nicolette Kressl [SPD]: Damit ist meine Frage nicht beantwortet!)


Ich möchte noch ein Wort zum Ausbau der frühkind-
lichen Bildung und Erziehung sagen. Wir brauchen
Bildung von Anfang an. Da die Finanzen nicht stimmen
– die versprochenen 1,5 Milliarden Euro sind bei den
Kommunen nicht angekommen –, stehen die Kommu-
nen mit dem Rücken zur Wand. Wir halten es aber für
richtig, dass alle Anstrengungen unternommen werden,
um Kinder früh, das heißt von Anfang an zu fördern.
Was tut sich an dieser Stelle? Das Saarland ist beispiel-
haft vorangegangen, indem das dritte Kindergartenjahr
beitragsfrei gestellt worden ist. Im Unterschied dazu
müssen die Eltern im SPD-geführten Berlin bis zu
500 Euro für einen Ganztagsplatz zur Kinderbetreuung
zahlen. Das führt zu Abmeldungen; das ist kontrapro-
duktiv. Folgen Sie unserem Weg! Setzen Sie sich dafür
ein, den Bereich des Kindergartens beitragsfrei zu stel-
len. Das gibt bessere Chancen im Bildungsbereich. Das
schafft Möglichkeiten für Integration. Das führt dazu,
dass Kinder von Anfang an eine gute Förderung erfahren
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Abschluss möchte ich an dieser Stelle noch ein

Wort zu dem sagen, was Sie uns in den letzten Tagen
böswilligerweise immer wieder unterstellt haben, näm-
lich dass wir das BAföG abschaffen wollten.


(Zurufe von der SPD: Ja! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus den Ländern hört sich das so an!)


Ich sage Ihnen an dieser Stelle noch einmal in aller Deut-
lichkeit:


(Franz Müntefering [SPD]: „Niemand hat die Absicht!“)

Wir wollen BAföG nicht abschaffen. Sie nehmen hier
eine böswillige Unterstellung vor, um von Ihren eigenen
Fehlern im Bildungsbereich und beim BAföG abzulen-
ken.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!“)


Die Wahrheit ist: Seit 2001 sind die Bedarfssätze und die
Freibeträge nicht mehr angehoben worden. Das ist die
Wahrheit in Bezug auf die Förderung von Studierenden
in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb sage ich: Es muss Schluss sein mit Schönfär-

berei. Es muss Schluss sein mit dem Verweigern von
Analysen. Wir müssen uns die Fakten vor Augen führen
und eindeutig handeln, damit Jugendliche in unserem
Land eine Perspektive erhalten. Dafür brauchen wir ei-
nen Perspektivwechsel in der Politik. Der Anfang wird
in Nordrhein-Westfalen gemacht. Dort werden die Bür-
gerinnen und Bürger die Weichen neu stellen. Wir wer-
den für die Jugendlichen kämpfen. Uns wird das gelin-
gen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Dieses Land hat eine bessere Opposition verdient!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516902200

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Grietje Bettin.

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516902300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Die Schwarz-Weiß-Bilder, die Sie, liebe Opposi-
tion,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wenigstens sind wir schon mal „lieb“! Das ist schon was!)


heute hier in der Debatte aufzeigen wollen, sind zwar
einfach, aber sie helfen uns, gerade den Jugendlichen in
unserem Land, in dieser Situation absolut nicht weiter.
Konstruktive Lösungsansätze habe ich von Ihnen heute
in der Debatte nicht gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Anton Schaaf [SPD]: Haben wir auch nicht erwartet!)


Aber es ist doch klar: Viele Rädchen, große und
kleine, müssen in Deutschland, im Bund, in den Ländern
und Kommunen, gedreht werden, damit wir unser Bil-
dungs- und Ausbildungssystem an die Herausforderun-
gen anpassen können. Wir sind uns hier hoffentlich alle
darin einig, dass Bildungschancen Lebenschancen sind.
Wir alle sind aufgefordert, gerade den Jugendlichen in
diesem Land diese so notwendigen Lebenschancen mit
auf den Weg zu geben. Jeder Mensch braucht, gerade in
der Wissensgesellschaft, eine gute Erstausbildung und
muss sein ganzes Leben lang ständig weiterlernen, um
am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.






(A) (C)



(B) (D)


Grietje Bettin

Die vier Anträge, die wir heute hier gleichzeitig bera-

ten, befassen sich mit den Rahmenbedingungen für ein
Lernen in allen Lebensphasen. Ich will mich auf ein paar
Kernpunkte beschränken. In dem Antrag der Koalition
wird sehr deutlich, dass wir erhebliche Ressourcen für
Jugendliche bereitstellen und die Rahmenbedingungen
stark zugunsten der Wirtschaft verändert haben, um das
Ausbilden attraktiver zu machen. Trotzdem haben wir in
diesem Jahr wieder weniger Ausbildungsplätze als Aus-
bildungswillige. Wenn hier immer wieder mit mangeln-
der Ausbildungsreife argumentiert wird, ist das meiner
Meinung nach sehr fadenscheinig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


In Sachsen zum Beispiel sind letztes Jahr 2 600 Jugend-
liche ohne Ausbildungsplatz geblieben. Für ganze
85 Lehrstellen konnte kein geeigneter Bewerber gefun-
den werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein riesiges
Problem, dass die Jugendlichen trotz des Ausbildungs-
paktes und trotz des absehbaren Fachkräftemangels so
im Stich gelassen werden. Natürlich ist es verheerend,
wenn fast ein Viertel aller Schulabsolventen das Lesen,
Schreiben und Rechnen nicht beherrscht. Hier sind ne-
ben weiteren Reformvorhaben der Länder in Sachen Bil-
dungspolitik auch Initiativen der Wirtschaft gefragt, die
sich damit befassen, wie die Jugendlichen zu Fachkräf-
ten ausgebildet werden können. In fünf bis sechs Jahren
werden wir diese Fachkräfte dringend benötigen.

Darüber hinaus ist es auch aus Sicht der Wirtschaft
wichtig, dass alle Menschen Impulse und Möglichkeiten
bekommen, ständig weiterzulernen. Der Weiterbil-
dungsantrag der Union liest sich da gar nicht so
schlecht; dort ist die Rede von Bildungssparen und Wei-
terbildungs-BAföG. Wenn Sie das ernst meinen würden,
könnten wir in diesen Punkten sehr schnell einig werden.
Aber Sie verweigern sich gleichzeitig total, wenn es um
eine vernünftige Bildungsfinanzierung geht. Ich nenne
nur das Stichwort Eigenheimzulage. Außerdem wollen
Sie das BAföG eigentlich abschaffen. Glauben Sie im
Ernst, Sie könnten dann ein Erwachsenen-BAföG ein-
führen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Hoch-
schulfinanzierung wird heute Nachmittag in der
BAföG-Debatte noch einiges gesagt werden; deshalb
werde ich auf diesen Punkt jetzt nicht weiter eingehen.
Aber wenn, wie der Bundespräsident sagt, „Vorfahrt für
Arbeit“ gilt, dann müssen wir in diesem Sinne die ent-
sprechenden Grundlagen schaffen. Die Grundlage für
die Teilhabe am Arbeitsmarkt sind gerechte Bil-
dungschancen. Es ist aber – das möchte ich abschließend
noch einmal betonen – nicht allein die Politik, die für
diese Chancen verantwortlich ist. Verantwortlich sind
auch die Unternehmen, die sich mehr für die Zukunft der
Jugendlichen einsetzen sollten,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


statt immer nur das finanzielle Wohl ihrer Aktionäre im
Auge zu haben.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da hat sie Recht!)


Das ist meiner Ansicht nach verdammt kurzsichtig und
das sollten wir ihnen nicht durchgehen lassen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516902400

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1516902500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Der Genosse
Müntefering geißelte gestern in einer Rede die „Macht
des Kapitals“ und die „totale Ökonomisierung“. Das war
eine wahrhaft revolutionäre Rede. Ich selbst fühlte mich
von ihm dreimal links überholt.


(Lachen des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/ CSU] – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wo sie Recht hat, hat sie Recht!)


Die Rede, Kollege Müntefering, klang radikal und klang
vor allem nach Wahlkampf.

Nun ist die Bundesregierung zwar nicht allmächtig,
aber es liegt doch in ihrer Macht, etwas gegen die Macht
des Kapitals und gegen die totale Ökonomisierung zu
tun.

Ich kann mich noch gut an den Wahlkampf in Nieder-
sachsen erinnern. Der Spitzenkandidat der SPD forderte
damals die Wiedereinführung der Vermögensteuer zur
Finanzierung der Bildung. Der Kanzler lehnte ab. Seit-
dem habe ich aus SPD-Kreisen nichts mehr von der Ver-
mögensteuer gehört und auch von den Grünen ist – trotz
Parteitagsbeschluss zur Wiedereinführung der Vermö-
gensteuer – gar nichts mehr zu hören.

Wir als PDS fordern die Wiedereinführung der Ver-
mögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuer zur
Finanzierung der Bildung. Ein Zehntel der Haushalte in
unserem Land besitzt fast die Hälfte des gesamten Ver-
mögens. Ich bin mir sicher, dass diese Haushalte
schmerzfrei einen Beitrag für die Zukunft der Jugend
leisten können und vielleicht sogar wollen.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Doch sie werden von der Bundesregierung nicht behel-
ligt.

Wir als PDS wollen den breiten Zugang zur Bildung
für alle Jugendlichen herstellen und sichern. Leider lie-
gen die Studienchancen der Kinder aus Facharbeiter-
familien um das Vierzehnfache niedriger als die der Kin-
der von Selbstständigen. Wir als PDS wollen diese
massive Ausgrenzung beenden.

Im Übrigen, meine Damen und Herren von der CSU,
ist die Selektion nach Einkommensschichten laut einer
OECD-Studie am stärksten in Bayern. Da Sie es sich so-
zusagen zum Hobby gemacht haben, landespolitische
Themen im Bundestag zu behandeln, wäre es vielleicht






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

auch einmal ein Thema für eine Aktuelle Stunde, warum
denn in Bayern so früh aussortiert wird.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Die Kollegin Böhmer hat die SPD-Parteitagsbe-

schlüsse zur Einheitsschule angesprochen. Da sich die
SPD gestern weggeduckt hat und sich nicht zu den Be-
schlüssen der Berliner SPD verhalten hat, darf ich Ihnen
vielleicht einmal ganz kurz erklären, warum in der Berli-
ner Landespolitik der rot-rote Senat sich für ein längeres
gemeinsames Lernen ausgesprochen hat. Wissenschaftli-
che Untersuchungen, die es in vielen Ländern gibt, ha-
ben bewiesen, dass die Chancen in Bezug auf die spätere
Ausbildung erhöht werden, wenn Kinder lange gemein-
sam lernen. Viele Bildungspolitiker pilgern jetzt nach
Finnland und schauen sich die Situation vor Ort an. Es
gibt auch noch andere Möglichkeiten. Ich denke, der
Praxistest ist überzeugend ausgefallen und zeigt, dass
eine frühe Selektion nicht sinnvoll ist. In Bayern ist, wie
gesagt, diese Selektion besonders stark ausgeprägt.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Die Einführung von Studiengebühren und die Ab-

schaffung des BAföG, wie von CDU und CSU gefordert,
sind ein Irrweg. Sie führen zu einer weiteren Ausgren-
zung der Jugendlichen. CDU und CSU schreiben in ih-
rem Antrag, Drucksache 15/4931, dass „Selbstverständ-
lich … Studienbeiträge sozial verträglich ausgestaltet
sein müssen“.

Studiengebühren sind aber nicht sozial verträglich. Es
gibt keine sozial verträglichen Studiengebühren. Wer
selber davon nicht überzeugt ist, kann sich beispiels-
weise eine wissenschaftliche Ausarbeitung aus diesem
Hause anschauen. Der Wissenschaftliche Parlaments-
dienst hat in einer vergleichenden Studie festgestellt:

In keinem der untersuchten Staaten konnte schlüs-
sig die Sozialverträglichkeit von Studiengebühren
dargelegt werden. … Auch das immer wieder vor-
gebrachte Argument, wonach Studiengebühren zu
einem zügigeren Studienverlauf führen, konnte
nicht belegt werden.

In den USA – sie werden von CDU und CSU gerne
als Beispiel herangezogen – sind in den letzten zehn Jah-
ren die Kosten staatlicher Colleges um fast 80 Prozent,
die Einkommen aber nur um 38 Prozent gestiegen. Das
motiviert nicht gerade zur Übernahme des amerikani-
schen Modells.

Wir als PDS beklagen nicht wie der Genosse
Müntefering die Macht des Kapitals, sondern wir haben
konkrete Finanzierungsvorschläge, die nur mutig umge-
setzt werden müssen. Diesen Mut, Kollege Müntefering,
muss die von Ihnen unterstützte Regierung aufbringen,
wenn sie der Jugend eine Zukunft geben will.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516902600

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Roth.

Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1516902700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit unserem heutigen Antrag zeigen wir die Zu-
kunftsperspektiven der Jugend auf. Es geht in der Tat um
die Frage: Wie schaffen wir es gemeinsam, jungen Men-
schen genügend Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur
Verfügung zu stellen? Ich möchte ergänzen, dass es bei
dieser Debatte auch darum geht, die Zukunftschancen
der Unternehmen im Blick zu haben. Denn nicht ausge-
bildete Menschen bedeuten gleichzeitig Facharbeiter-
mangel in der Zukunft.

Die negative demographische Entwicklung wird oft
beschworen, aber ihre beschäftigungspolitischen Konse-
quenzen werden unterschätzt. Es droht ein Fachkräfte-
mangel in der Industrie, im Handwerk und im Dienstleis-
tungsbereich, wenn es nicht gelingt, allen Jugendlichen
eine Ausbildung zukommen zu lassen. Das ist eine der
größten Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutsch-
land. Der gemeinsame Ausbildungspakt der Bundesre-
gierung und der Wirtschaft, die sich verpflichtet hat, al-
len Ausbildungswilligen und Ausbildungsfähigen einen
Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, ist dabei ein
richtiger und wichtiger Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die positive Bilanz, die wir bisher zu verzeichnen ha-
ben, müssen wir auch in diesem Jahr erreichen, damit die
Jugendlichen eine Ausbildungsperspektive haben. Nur
so kann die Wirtschaft ihren Kräftenachwuchs sichern
und nur so ist gewährleistet, dass eine Produktion mit ei-
ner hohen Produktivität und Qualität ermöglicht wird.
Deshalb appelliere ich an die Wirtschaft, alles zu tun, da-
mit die ausbildungsbereiten Jugendlichen auch in diesem
Jahr nicht in unnötige Warteschleifen geschickt werden,
sondern die Ausbildung erhalten, die sie auch brauchen.
Wir erwarten, dass die Arbeitgeber ihre Verpflichtung
aus dem Ausbildungspakt ohne Wenn und Aber erfüllen,
und gleichzeitig setzen wir darauf, dass vermehrt Tarif-
verträge zur Schaffung von Ausbildungsplätzen abge-
schlossen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch das ist ein Hebel, um mehr Ausbildung zu errei-
chen.

Wer heute die Bildungspotenziale der Jugend ver-
spielt, versündigt sich nicht nur an dieser Generation,
sondern gleichzeitig auch am gesamten Wirtschafts-
standort. Es geht also um die Wahrnehmung von Verant-
wortung und dabei vor allem um Verantwortung im Be-
reich der Wirtschaft. Wir haben die Rahmenbedingungen
dafür gesetzt. Das Berufsbildungsgesetz wurde moderni-
siert und zum ersten Mal sind die Berufsausbildungs-
gänge auch international anerkannt. Das ist ein wichtiger
Schritt in Richtung Europa.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit unserem Gesetz zur Förderung der Ausbildung
und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen – man






(A) (C)



(B) (D)


Karin Roth (Esslingen)


muss betonen: es geht um behinderte Jugendliche – ha-
ben wir es geschafft, betriebliche und überbetriebliche
Ausbildung besser zu verzahnen. Jetzt sind die Unter-
nehmen an der Reihe, diese Jugendlichen auch einzustel-
len, damit diesen benachteiligten Jugendlichen eine Zu-
kunftschance gewährt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum ersten Mal haben wir als Regierung die

Verpflichtung übernommen, in einem Gesetz einen
Rechtsanspruch für Jugendliche unter 25 Jahren auf
Vermittlung in Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung
festzuschreiben. Vorher hat das noch keine Bundesregie-
rung getan. Wir haben das wohl wissend, dass das eine
wichtige Zukunftsaufgabe ist, getan.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei den arbeitslosen Jugendlichen setzen wir ganz be-
sonders auf die Förderung von benachteiligten Jugend-
lichen. Deshalb, Herr Laumann, verstehe ich gerade
nicht, dass Sie die benachteiligten Jugendlichen nicht
fördern wollen, sondern die Finanzierungsfrage in den
Mittelpunkt stellen. Sie wissen ganz genau: Im Rahmen
von SGB II werden die Jugendlichen aus Steuermitteln
und nicht aus Beitragsmitteln finanziert. So viel Ehrlich-
keit muss sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: 1,2 Milliarden Euro! Die Agentur!)


Es ist auch richtig, dass die Berufsvorbereitungsmaßnah-
men zum Teil aus dem SGB III finanziert werden.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 1,2 Milliarden Euro!)


Aber die jugendlichen Empfänger von Arbeitslosen-
geld II erhalten Eingliederungsmaßnahmen aus Steuer-
mitteln. Dafür haben wir gesorgt und nicht Sie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: 1,2 Milliarden bei der Bundesagentur!)


In diesem Zusammenhang geht es auch um die Ver-
mittlung von Sprachkompetenz. Auch das haben wir ge-
macht: In unseren Maßnahmen ist die Vermittlung von
deutscher Sprachkompetenz vorgesehen. Natürlich ha-
ben Sie Recht, dass es besser wäre, wenn die Länder in
diesem Bereich ihre schul- und bildungspolitischen Auf-
gaben wahrnehmen würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: Na also!)


Aber genauso richtig ist, dass wir, wenn es den Ländern
nicht gelungen ist, das zu machen, diese Aufgaben über-
nehmen. Wir können doch nicht die Jugendlichen im
Stich lassen, nur weil die Bildungspolitik versagt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Die Bildungspolitik der Länder!)

– Natürlich die Länder. Ich denke hier beispielsweise an
Baden-Württemberg, das Land, aus dem ich komme.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nichts gegen Baden-Württemberg!)


Es geht darum, Eingliederungsmaßnahmen für Ju-
gendliche zu organisieren, und darum, dass die Träger
der Jugendhilfe und der Wirtschaft jetzt gemeinsam vor
Ort regionale Ausbildungs- und Beschäftigungsinitia-
tiven starten. Sie sollten uns dabei vor allen Dingen in
den Regionen unterstützen. Sie sollten nicht blockieren
und mäkeln, sondern die Unternehmen gemeinsam mit
uns auffordern, die Jugendlichen zu integrieren.

Ein letzter Punkt, der wichtig ist.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516902800

Nein, Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit leider

schon überschritten. Bitte nur noch einen Schlusssatz!

Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1516902900

Schade, ich hätte so gerne noch gesagt,


(Heiterkeit bei der SPD)

dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein
wichtiger Punkt ist und dass deshalb Jugendliche, insbe-
sondere junge Frauen, vorrangig –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516903000

Frau Kollegin!

Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1516903100

– Tagesplätze zur Betreuung ihrer Kinder erhalten

sollten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516903200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Scheuer.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1516903300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Wich-
tigkeit dieser Jugenddebatte sieht man an der Präsenz der
Regierungsmitglieder: Nicht einmal die zuständige Mi-
nisterin, die Jugendministerin, ist anwesend; sie hat sich
während dieser Debatte fortgeschleppt. Das ist wirklich
traurig, traurig, traurig.


(Ute Berg [SPD]: Bescheuert, bescheuert, bescheuert!)


Man kann nur drei Vermutungsvarianten anstellen,
weshalb die Koalition ihren Antrag in dieser Form in
den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Entweder ha-
ben erstens die Fachpolitiker von Rot-Grün über Ostern
ihr Büro entrümpelt und noch schnell einen Antrag ge-
schrieben. Oder die Jugenddebatte, angestoßen durch die
CDU/CSU-Fraktion am 11. März 2005, hat Rot-Grün
zweitens so wachgerüttelt, dass man sagte: Mein Gott,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Scheuer

wir müssen vor der Landtagswahl in NRW auf diesem
Gebiet noch etwas machen. Oder die Panik vor der
Landtagswahl in NRW ist bei Ihnen drittens so groß,
dass Sie sich an jeden Strohhalm klammern. Aber die Ju-
gend in Deutschland bzw. in NRW wird die Zukunft
wählen und Sie damit abwählen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie belügen sich doch selbst mit Ihren vielen Allge-

meinplätzen und Ihrem Schönreden in Ihrem Antrag.
Betrachtet man die Ausführungen, so stellt man fest,
dass alles schön ist und in perfekten Bahnen läuft. Tenor
dieses Antrages ist: Es sind im Bildungsbereich umfas-
sende und weit reichende Reformen erfolgt. Vorausset-
zungen für mehr Wachstum sind geschaffen worden. Der
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für junge Menschen un-
ter 25 Jahren floriert. Die Ganztagsschulen werden bis
2007 in neuem Glanz erstrahlen.


(Jörg Tauss [SPD]: Sind Sie dagegen?)

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, von welchem
Land reden Sie eigentlich in Ihrem Antrag?


(Jörg Tauss [SPD]: Von unserem!)

Das ist wirklich peinlich.

Wenn man dann noch auf der Homepage der SPD die
Programmdebatte verfolgt,


(Nicolette Kressl [SPD]: Daraus können Sie etwas lernen!)


dann stellt man fest: Sie haben sich ein stolzes Pro-
gramm vorgenommen. Es ist nur bitter, dass in all den
Sitzungen, die in diesem Zusammenhang durchgeführt
wurden – es sind insgesamt sechs, wenn ich es richtig
sehe –, kein einziges Mal der Punkt „Jugend“ vorkam.
Das spricht Bände.


(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! – Hört! Hört!)


Ein aufmerksamer Leser wird den Text weiter analy-
sieren. Ich nehme gerne einen Zuruf meiner grünen Kol-
legin Dümpe-Krüger aus der letzten Debatte zu diesem
Thema auf, die gesagt hat: Lesen bildet! Auf Ihren An-
trag trifft das leider nicht zu. Dort wird ausgeführt, „dass
die Bundesregierung … mit der Agenda 2010 einen
Schwerpunkt auf Bildung und Innovation gelegt und seit
1998 die Bildungspolitik im Rahmen ihrer Zuständigkeit
als eine zentrale Aufgabe wahrgenommen … hat …“

Meine Damen und Herren, damit rechnet eigentlich
jeder Bürger und jede Bürgerin. Das ist Regierungsver-
antwortung. Das muss eine Selbstverständlichkeit sein
und sollte kein Allgemeinplatz sein, wie es in Ihrem An-
trag der Fall ist.

Entscheidend ist, dass wir gemeinsam um die besse-
ren Konzepte streiten. Aber wo sind die umfassenden
Reformen? Wo ist die Diskussion zur Ausbildungsfähig-
keit von Jugendlichen durch strukturelle Ansätze? Sie
lassen wegen der Bildung sogar die Föderalismuskom-
mission scheitern.


(Zurufe von der SPD: Wir?)

Dieses maßgebliche staatspolitische Reformprojekt ist
doch an der Bundesbildungsministerin, SPD, und dem
Noch-Ministerpräsidenten in NRW, Peer Steinbrück,
auch SPD, gescheitert,


(Ute Berg [SPD]: Blöder geht es nicht!)

weil Sie das Bildungsthema für 2006 brauchen, um
Wahlkampf zu machen. Damit missbrauchen Sie die An-
liegen der jungen Generation.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die bahnbrechenden Errungenschaften der Agenda 2010

verkommen zunehmend zu einer Werbekampagne. Ich
habe hier eine Anzeige aus einer deutschen Tageszeitung
in einer Kopie. Im Original ist die Anzeige vierfarbig.
Diese Anzeige zur Agenda 2010 kostet montags bis frei-
tags ganzseitig und farbig jeweils 60 610 Euro. In der
Samstagsausgabe kostet sie 8 000 Euro mehr. Die Bür-
gerinnen und Bürger, die diese Debatte verfolgen, kön-
nen sich vorstellen, was Sie mit den Steuergeldern
machen. Mit 60 000 Euro, multipliziert auf viele Tages-
zeitungen, könnte man zahlreiche Ausbildungsmaßnah-
men durchführen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der „Spiegel“ ist in dieser Debatte schon des Öfteren

mit dem Milliardenbluff angeführt worden. Der Frak-
tionsvorsitzende der SPD, Müntefering, wird mit den
Worten zitiert, dass die Ganztagsschulen eine wirkliche
Großtat sind. Aber, meine Damen und Herren, Sie geben
sich schon mit kleinen Dingen zufrieden. Wenn man die
Trauermiene des zuständigen Wirtschaftsministers
Clement bei der Bekanntgabe der Arbeitslosenstatistiken
richtig deutet, dann hat er das berauschende Tremolo,
das sich auch in Ihrem Antrag findet und in dem das in
vielen Punkten ausgemalt wird, anscheinend noch nicht
so richtig mitbekommen. Vielleicht müsste man ihm
Aufklärung geben.

Der Fraktionsvorsitzende Müntefering hat ja den Saal
leider schon verlassen.


(Ute Berg [SPD]: Er konnte es nicht mehr ertragen!)


Er wirbt ja immer mit dem Satz: Wir machen Tempo. –
Aber bei Ihnen ist die Frage: Wohin? Auf der einen Seite
sprechen Sie von Entbürokratisierung; auf der anderen
Seite macht man ein Antilehrstellen-, ein Antiausbil-
dungsplatz-, ein Antijugendgesetz. Denn nichts anderes
ist doch das Antidiskriminierungsgesetz. Es ist eben
scheinheilig, wenn Sie dann von Entbürokratisierung re-
den.


(Nicolette Kressl [SPD]: Ihre Rede ist wirklich peinlich!)


Deutschland muss sich bewegen, damit die Jugendli-
chen in unserem Land wieder eine gute Zukunft haben.
Bewegen muss sich Deutschland auf einem klaren Kurs;
den haben Sie nicht, den haben wir. Das spüren die Bür-
gerinnen und Bürger in unserem Land und sie werden
Sie abwählen.

Herzlichen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Scheuer


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Helau, helau, helau!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516903400

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ute Berg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1516903500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich verkneife es mir jetzt, auf die Polemik-pur-Rede
meines Vorredners einzugehen. Das lohnt sich einfach
nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich konzentriere mich bei der heutigen Debatte über
die Zukunftschancen für Jugendliche abschließend be-
sonders auf die Gruppe der jungen Menschen, die ein
Studium aufnehmen wollen. Da muss ich schon sagen:
Bei Ihren Anträgen zur Hochschulpolitik, meine sehr
verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, be-
schleicht mich manchmal das Gefühl, in einer Zeit-
schleife gefangen zu sein. Ich dachte eigentlich immer,
das gibt es nur beim Raumschiff „Enterprise“, aber Sie
haben mich eines Besseren belehrt. Sie spulen hier mit
großer Verlässlichkeit immer wieder dasselbe Programm
ab: Erst klopfen Sie dem Bund auf die Finger, wenn er
die Hochschulen unterstützen will, und dann fordern Sie
vom Bund ebendiese Unterstützung ein.

Auch Ihrem heutigen Antrag zur Studienfinanzie-
rung liegt diese Logik wieder zugrunde: Sie schreiben
richtig, dass laut Bundesverfassungsgericht die Länder
für Studiengebühren zuständig sind. Im nächsten Absatz
legen Sie der Bundesregierung eine „to do“-Liste zur
Umsetzung von Studiengebühren vor. Dabei behaupten
Sie: Wenn es Studiengebühren gäbe, bekämen die Hoch-
schulen mehr Geld. Genau das ist aber äußerst fraglich.
Wer garantiert denn, dass das Geld aus Studiengebühren
wirklich bei den Hochschulen ankommt?

Einnahmen aus Studiengebühren dürfen nicht an ei-
nen bestimmten Zweck gebunden werden; das ist juris-
tisch nicht möglich, wie der Tübinger Rechtsprofessor
Kirchhof gerade letzte Woche noch einmal betont hat,
derselbe Herr Kirchhof im Übrigen, der den Vorsitzen-
den Ihres Fanclubs für Studiengebühren, den Minister
Frankenberg aus Baden-Württemberg, berät. Wer garan-
tiert denn, dass die Finanzminister der CDU/CSU-re-
gierten Länder die Millionen, die sie den Studierenden
aus der Tasche ziehen, nicht peu à peu bei ihren Hoch-
schulausgaben kürzen? Die Erfahrungen in Österreich,
Australien oder Großbritannien haben gezeigt, dass das,
was durch Studiengebühren hineinkommt, mittelfristig
bei den staatlichen Ausgaben zurückgefahren wird. Da-
mit kommen die Unis dann letztlich auf plus/minus null
und die Studierenden müssen das teuer bezahlen.

Das scheint Sie aber nicht abzuschrecken, meine Da-
men und Herren von der Opposition. Sie wollen trotz-
dem Studiengebühren einführen, und das auch noch so-
zialverträglich, wie Sie sagen. Bis heute hat aber keiner
von Ihnen ein durchdachtes Konzept vorgelegt, wie das
wirklich sozialverträglich funktionieren kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Einzige, was Ihnen mal wieder einfällt, ist, am
Rockzipfel des Bundes zu zupfen. Der Bund soll für Sie
das Konzept eines Kreditsystems entwerfen und die
Ausfallbürgschaften für das Geld, das nicht zurückge-
zahlt wird, übernehmen. Aber damit beißen Sie bei uns
auf Granit. Denn auf diesem Wege würde viel Geld dafür
ausgegeben, Studierwillige aus finanzschwachen Eltern-
häusern mehr und mehr vom Studium abzuhalten.

Aber was kümmert das die Union? Wie wir letzte
Woche gehört haben, will Frau Schavan auch noch das
BAföG abschaffen.


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)


Unter Sozialverträglichkeit verstehe ich etwas anderes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516903600

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Schaaf?


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1516903700

Gern.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1516903800

Sehr geehrte Frau Kollegin Berg, ich unterbreche Ihre

gute Rede ausdrücklich ungern. Da Sie aber aus Nord-
rhein-Westfalen kommen, möchte ich Ihnen gern zwei
Fragen stellen. Erstens. Kollege Laumann hat wortge-
waltig, pathetisch und mit einer Miene, die einen zum
Weinen bringt, verkündet, dass in Nordrhein-Westfalen
pro Jahr 5 Millionen Unterrichtsstunden ausfallen. Wür-
den Sie dem Kollegen Laumann, der das offensichtlich
nicht weiß, bitte erklären, wie viel Prozent des insgesamt
erteilten Unterrichtes das entspricht, und das mit anderen
Bundesländern vergleichen?

Zweitens. Kollegin Flach hat gesagt, dass die für das
Ganztagsschulprogramm in Nordrhein-Westfalen bereit-
gestellten Gelder nur in geringem Umfang abgerufen
werden. Könnten Sie mir vielleicht bestätigen, dass ins-
besondere sozialdemokratisch geführte Kommunen
diese Gelder sehr wohl in großem Umfang abrufen, dass
aber CDU-geführte Kommunen dies – offensichtlich aus
ideologischen Gründen – nicht tun?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das ist ja interessant!)



Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1516903900

Wie Sie sich denken können, freue ich mich über

diese Zwischenfragen des Kollegen Schaaf,

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Man sieht Ihre Freude!)







(A) (C)



(B) (D)


Ute Berg

weil er mir damit die Möglichkeit gibt, auf die von Herrn
Laumann genannten Wahrheiten, Halbwahrheiten und
Unwahrheiten einzugehen und das, was Frau Kollegin
Flach gesagt hat, geradezurücken.


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Was tut der Schaaf der Rednerin nur an?)


Sie von der CDU plakatieren in Nordrhein-Westfalen
ganz groß, dass pro Jahr 5 Millionen Unterrichtsstun-
den ausfallen. Was Sie aber nicht sagen – das ist wirk-
lich verdammt unredlich –, ist, dass diese Zahl 5 Prozent
der Stunden, die insgesamt erteilt werden, entspricht.
Damit liegt Nordrhein-Westfalen genau im Schnitt aller
Bundesländer. Insofern wird hier wieder einmal ein
Popanz aufgebaut, der wunderbar in das Konzept der
CDU passt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun zu dem, was Frau Flach erzählt hat. Frau Flach,
es tut mir Leid, dass auch Sie zu einer Verzerrung beige-
tragen haben; denn das Ganztagsschulprogramm wird
in Nordrhein-Westfalen besonders gut angenommen.
Das haben Sie nicht gesagt. In den Jahren 2003 und 2004
beteiligten sich bereits 785 Schulen an diesem Pro-
gramm. Damit liegt das Bundesland Nordrhein-West-
falen an der Spitze. Das ist doch schon einmal etwas.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Nein!)


– Doch.
Jetzt möchte ich meine Rede fortsetzen. Ich komme

noch einmal auf das Problem der Sozialverträglichkeit
zu sprechen und möchte untermalen, was wir damit ver-
binden. Wir müssen Bildungshunger fördern und den
jungen Menschen Zukunftsperspektiven eröffnen. Aber
wir dürfen nicht, wie ich bereits ausgeführt habe, durch
Studiengebühren neue Hindernisse aufbauen.

Das BAföG gehört zu einer Reihe von Instrumenten
und Maßnahmen, die eingeführt wurden, um die Beteili-
gung an Bildung für alle zu erhöhen. Dazu gehören eine
intensivere Betreuung und Förderung von Kindern be-
reits im Vorschulbereich, eine stärkere individuelle
Förderung von Schülerinnen und Schülern in Ganztags-
schulen – das hatte ich bereits ausgeführt –, eine Moder-
nisierung der Berufsausbildung, eine Erweiterung des
Ausbildungsplatzangebotes durch den Pakt für Ausbil-
dung und eine intensivere Unterstützung benachteiligter
und arbeitsloser Jugendlicher.

Frau Böhmer, da Sie Herrn Professor Baumert zitiert
haben, möchte auch ich eine Aussage von ihm anführen.
Er sagt, dass Arbeiterkinder in keinem anderen Bundes-
land so schlechte Bildungschancen wie in Bayern haben;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

auch das müssten Sie einmal sagen. Dort haben sie
sechsmal schlechtere Chancen, das Abitur zu schaffen,
als Kinder aus Akademikerfamilien.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber dann haben sie ein gutes!)


Wie ich gerade sehe, blinkt die Leuchte am Redner-
pult, sodass ich zum Schluss kommen muss.

Abschließend appelliere ich an Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition: Unterstützen Sie uns dabei,
allen jungen Menschen in diesem Land unabhängig von
ihrer sozialen Herkunft eine realistische Chance auf eine
qualifizierte Ausbildung und Arbeit und damit auf eine
selbstbestimmte Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ge-
ben!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das Blinken hat nicht zu einer Erleuchtung geführt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516904000

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kolle-

gen Laumann das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1516904100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kol-

legin Berg, zunächst einmal bin ich Ihnen dankbar, dass
Sie als Lehrerin und als Sozialdemokratin aus Nord-
rhein-Westfalen bestätigt haben, dass dort 5 Millionen
Unterrichtsstunden im Jahr ausfallen.


(Anton Schaaf [SPD]: Das ist so!)

Gerade als Lehrerin wissen Sie ja, was der Ausfall von
Unterrichtsstunden für die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf, für die Planbarkeit eines Familienlebens be-
deutet. Auch meine drei Kinder gehen zurzeit in Nord-
rhein-Westfalen zur Schule, noch dazu auf unterschiedli-
che Schulen. Man kann sich auf eins verlassen: dass man
nie genau weiß, wann sie mittags wiederkommen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahrscheinlich kennen Sie nicht einmal den Stundenplan!)


Wenn Sie sagen, diese 5 Millionen Unterrichtsstun-
den sind nur 4 Prozent, und das als eine Petitesse darstel-
len, dann zeigt das, dass Sie die Probleme in Nordrhein-
Westfalen nicht erkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen geht es in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai
auch um eine Mehrheit für eine Politik, die 4 000 zusätz-
liche Lehrer einstellt, um überhaupt die Voraussetzungen
dafür zu schaffen, dass der Unterricht in diesem Land in
aller Differenziertheit und in ausreichender Menge er-
teilt werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das wiederum ist die ganz entscheidende Voraussetzung
dafür, dass möglichst viele Kinder am Ende ihrer Schul-






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Josef Laumann

zeit lesen, rechnen und schreiben können, was wiederum
die Voraussetzung für eine Berufsausbildung ist.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516904200

Frau Berg, bitte.

Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1516904300

Sehr verehrter, lieber Herr Laumann, ich bin froh,

dass Sie durch Ihren letzten Beitrag noch einmal unter-
strichen haben, dass es Ihnen hier gar nicht um Ihre Poli-
tik als Bundestagsabgeordneter geht, sondern einfach
darum, eine flammende Wahlkampfrede, gespickt mit
ganz vielen Unwahrheiten, an den Mann zu bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt zu Ihrer Intervention: Sie haben praktisch das
ausgeführt, was ich Ihnen eben schon erläutert habe. Sie
haben wieder von 5 Millionen Unterrichtsstunden, die
ausfallen, gesprochen. Das bestreitet keiner. Aber ich
habe es in Relation zum Unterrichtsausfall in anderen
Bundesländern gesetzt; ich habe Ihnen aufgezeigt, wel-
chem Prozentsatz das letztlich entspricht. Ich sage Ihnen
jetzt noch einmal, damit Sie es verstehen:


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Nordrhein-Westfalen liegt damit absolut im Schnitt aller
Bundesländer. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und
unterlassen Sie an dem Punkt Ihre Polemik und Ihre
Hetze gegen die NRW-Landesregierung!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau so, wie Sie Partei für Ihre Union ergreifen, unter-
stütze ich meine Landesregierung,


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Auf Gedeih und Verderb!)


die eine sehr gute Politik macht.

(Beifall bei der SPD)


Zum Zweiten, das Sie vorgebracht haben: Ihre armen
Kinder kommen immer zu völlig unabsehbaren Zeiten
nach Hause. Ich weiß nicht, wie alt Ihre Kinder sind
– ich will es im Moment auch gar nicht wissen –, aber
generell ist es so, dass wir in Nordrhein-Westfalen die
Verlässliche Grundschule haben. Wenn Eltern also auf
verlässliche Zeiten angewiesen sind, können sie ihre
Kinder in die Verlässliche Grundschule schicken.

Im Übrigen, mein lieber Herr Laumann,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


haben wir das Ganztagsschulprogramm angestoßen, da-
mit genau das, was Sie gerade moniert haben, in Zukunft
immer weniger passiert. Wir wollen, dass die Kinder zu-
verlässig den Tag in der Schule sind, betreut und geför-
dert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich nehme an, dass Sie nach der Erkenntnis, die Sie ge-
rade geäußert haben, jetzt mit fliegenden Fahnen auf un-
seren Zug aufspringen und uns unterstützen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516904400

Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/5255, 15/5259, 15/5024 und 15/4931
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP
Keine Aufhebung des EU-Waffenembargos ge-
genüber China
– Drucksache 15/5103 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Wi-
derspruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Wolfgang Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1516904500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! China

ist ein wichtiges Land mit wachsender Bedeutung. Die
Gestaltung der Zusammenarbeit, die Entwicklung der
Beziehungen mit China und die Einbeziehung von China
in die internationale, globale Zusammenarbeit und Ver-
antwortung sind in unser aller Interesse. Das gilt sowohl
wirtschaftlich als auch politisch.

China ist auch ein wichtiger und notwendiger Partner
im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen
die Proliferation von Nuklearwaffen und gegen all die
vielen globalen Risiken, Spannungen und Spaltungen,
die im Bericht von Kofi Annan so eindrucksvoll be-
schrieben sind. Das sehen die Europäer und die Ameri-
kaner, die Vereinigten Staaten von Amerika, in der glei-
chen Weise.

Das Eintreten für Zusammenarbeit und die Entwick-
lung der Beziehungen dürfen aber nicht in einen Gegen-
satz zum Eintreten für Menschenrechte und Demokrati-
sierung gebracht werden. Es ist immer falsch, wenn man
das eine gegen das andere ausspielt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Schäuble

Das ist kein Widerspruch, sondern das eine bedingt das
andere. In den Jahren vor dem Fall des Eisernen Vor-
hangs und vor dem Ende des Ost-West-Konflikts haben
wir in Europa übrigens gute Erfahrungen damit gemacht.
Immer dann, wenn wir die Bereitschaft zur Zusammen-
arbeit mit dem Eintreten für unsere grundsätzlichen
Überzeugungen richtig verbunden haben, waren wir er-
folgreich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist übrigens im Interesse der Länder selbst. Wir

treten gegenüber Russland und China ja nicht nur des-
halb für die Menschenrechte und für die Demokratisie-
rung ein, weil wir davon überzeugt sind und weil es
unserem Interesse entspricht, sondern weil das nach un-
serer festen Überzeugung auch dem langfristigen Inte-
resse Russlands so sehr wie dem der Volksrepublik
China entspricht.

Herr Bundeskanzler, deswegen ist es falsch, dass Sie
den Eindruck einer nicht ausbalancierten Politik gegen-
über China und Russland erwecken. Im Zeichen der
Hannover-Messe haben wir in diesen Tagen die großen
Meldungen und schönen Bilder über große Verträge ge-
sehen, zum Beispiel auch die von Siemens. Heute lesen
wir in den Zeitungen vom großen Rückschlag von Sie-
mens in Bezug auf Russland. Das zeigt: Eine Politik, die
nicht beide Seiten langfristig in der Balance und im Mit-
einander hält, wird den wirtschaftlichen Interessen unse-
res Landes nicht dienen, sondern das Gegenteil bewir-
ken. Eine situative, opportunistische Politik dient den
langfristigen Interessen unseres Landes politisch und
wirtschaftlich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In diesem Grundraster muss sich unsere Politik in Be-
zug auf Waffenlieferungen und das Waffenembargo,
das die Europäische Union 1987 als Reaktion auf die
Vorgänge auf dem Platz des Himmlischen Friedens ver-
hängt hat, bewegen.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: 1989! – Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, 1989 war es! Er hat sich versprochen!)


– Richtig, 1989.
Wenn ich nun lese, was in der Sitzung der SPD-Frak-

tion am heutigen Vormittag gesagt wurde – –

(Zuruf von der SPD: Waren Sie dabei?)


– Nein, aber mir liegt eine dpa-Meldung vor. Es gibt ja
glücklicherweise Medien, die bestimmte Dinge veröf-
fentlichen.


(Unruhe bei der SPD)

– Ich bitte Sie, bleiben Sie doch völlig entspannt. – Die
Meldung der Deutschen Presse-Agentur von 9.03 Uhr
lautet:

Kanzler: Fühle mich an EU-Beschluss gebunden
Bundeskanzler Gerhard Schröder fühlt sich im
Streit um die Aufhebung des EU-Waffenembargos
gegenüber China an den entsprechenden Beschluss
der EU-Regierungschefs gebunden.
Wie Teilnehmer einer SPD-Fraktionssondersitzung
am Donnerstag berichteten, habe der Kanzler deut-
lich gemacht, dass er als deutscher Regierungschef
diesen Beschluss mitvertreten müsse. Die Staats-
und Regierungschefs der EU hatten im Dezember
beschlossen, auf eine Aufhebung des Embargos
hinzuarbeiten. Auf die Menschenrechtsfrage und
auch Chinas jüngste Drohungen gegenüber Taiwan
sei der Kanzler nicht eingegangen, hieß es.

Genau das ist der Ausdruck dieser nicht ausbalancierten
Politik, die der Zusammenarbeit mit China und unseren
Interessen schadet. Das ist der falsche Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Sie hätten nach dem Kanzler reden sollen!)


– Ich rede nach der SPD-Fraktionssitzung. Im Übrigen
spreche ich als Erster in dieser Debatte, weil ich unseren
Antrag begründe, dem Sie gerne zustimmen würden, da
Sie, wie wir aus vielen Quellen wissen, sagen, dass man
das EU-Embargo gegenüber China bis auf weiteres nicht
einseitig aufheben sollte, sondern auf eine Politik hin-
wirken sollte, die beides in der richtigen Weise miteinan-
der verbindet.

Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass sich
seit den Vorgängen auf dem Platz des Himmlischen Frie-
dens vieles in China weiterentwickelt und verändert hat.
Natürlich ist aber auf der anderen Seite auch wahr, dass
insbesondere Amnesty International, aber auch viele an-
dere sagen: In der Menschenrechtsfrage sind die Dinge
in China nicht so, wie wir es China im eigenen Interesse
wünschen und wie wir dafür eintreten müssen. Ich zi-
tiere aus dem letzten Länderbericht von Amnesty Inter-
national, der mir vorliegt:

… in vielen Bereichen hat sich die Menschen-
rechtssituation in der Volksrepublik China nicht
grundlegend gebessert, in manchen ist sogar eine
deutliche Verschlechterung zu verzeichnen. Weiter-
hin wird jede Form von Opposition unterdrückt und
gehören schwere Menschenrechtsverletzungen zum
Alltag. … Zwar hat sich die chinesische Führung in
der Frage der Menschenrechte offener gezeigt, je-
doch hat sie kaum Maßnahmen getroffen, die geeig-
net wären, den anhaltenden Menschenrechtsverlet-
zungen ein Ende zu bereiten und Menschen
wirksam vor Übergriffen zu schützen.

All das wissen wir und auch Sie wissen das. Wir soll-
ten darüber nicht hinwegtäuschen und hinwegsehen. Das
hat der Deutscher Bundestag Ende vergangenen Jahres
gemeinsam zum Ausdruck gebracht. Das hat das Euro-
päische Parlament zum Ausdruck gebracht. Das haben
vor kurzem deutsche Abgeordnete aller Fraktionen des
Europäischen Parlaments dem Bundeskanzler noch ein-
mal geschrieben. Darüber sollten wir uns nicht hinweg-
setzen.

Herr Bundeskanzler, die Darstellung, Sie fühlten sich
nur an einen Beschluss des Europäischen Rats vom De-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Schäuble

zember letzten Jahres gebunden, ist eine gewisse Ver-
schiebung der Tatsachen. Es ist doch so gewesen, dass
Sie bei Ihrer Reise nach China vor dem Beschluss des
Europäischen Rats einseitig verkündet haben, dass Sie
für eine Aufhebung des Beschlusses der Europäischen
Union sind. Auf die Frage, ob das in der Europäischen
Union abgestimmt sei, haben Sie geantwortet, Sie hätten
das mit Herrn Chirac besprochen. Das ist eine Art, die
anderen Länder in Europa gegen die deutsch-französi-
sche Zusammenarbeit aufzubringen. Das ist die falsche
Europapolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch diesen Beschluss muss man hier einmal zitie-

ren. Der Europäische Rat hat am 16./17. Dezember des
letzten Jahres beschlossen:

In diesem Zusammenhang bekräftigt der Europäi-
sche Rat erneut den politischen Willen, weiter auf
eine Aufhebung des Waffenembargos hinzuarbei-
ten. Er fordert den künftigen Vorsitz auf, die schon
weit fortgeschrittenen Arbeiten abzuschließen, da-
mit ein Beschluss gefasst werden kann. Er betont,
das jeglicher Beschluss weder in quantitativer noch
in qualitativer Hinsicht eine Steigerung der Waffen-
ausfuhren aus EU-Mitgliedstaaten nach China be-
wirken sollte.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ein richtiges Zitat!)

– Natürlich, ich lese aus der Originalquelle vor.

Nun lese ich aber in der „Frankfurter Rundschau“,
dass der Bundeskanzler nach einer Sitzung des SPD-Prä-
sidiums von vor ein paar Tagen


(Zuruf von der SPD: Da waren Sie auch dabei?)


seine Position damit begründet habe, Deutschland habe
zwar kein Interesse an einer Steigerung der Waffenliefe-
rung nach China, aber Frankreich habe im Sinne seiner
Rüstungsindustrie ein massives Interesse daran; insbe-
sondere mit Blick auf das französische Referendum zum
EU-Verfassungsvertrag müsse man diese Position vertre-
ten. Das ist wieder die falsche Politik und das sind wie-
der die falschen Motive. Genau so wird es keine verläss-
liche, überzeugende und berechenbare Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das war ein journalistischer Kommentar! Wenn Sie fair wären, hätten Sie das hinzugefügt!)


– Ich habe eine dunkle Erinnerung daran, dass sich eine
der Fraktionen, die in diesem Haus vertreten ist, in einer
gewissen Eigentümerposition in Bezug auf die „Frank-
furter Rundschau“ befindet.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Deswegen ist die Vermutung, dass die Berichterstattung
von SPD-Präsidiumssitzungen seriös ist, sicherlich zu-
treffend.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Haben Sie etwas gegen journalistische Freiheit?)

– Überhaupt nicht. Aber bis auf den heutigen Tag hat
niemand von Ihnen diese Berichterstattung in der
„Frankfurter Rundschau“ dementiert.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie können es ja dementieren! Weisskirchen widerspricht!)


Ich kann Ihnen die Originalmeldung vortragen.
Im Übrigen ist dies nicht richtig. Die Darstellung des

Bundeskanzlers, er sei durch den Beschluss des Europäi-
schen Rats quasi zu dieser Position gezwungen, ist das
genaue Gegenteil von dem, was stattgefunden hat. Das
wollte ich bei dieser Gelegenheit nur klarstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man muss in diesem Zusammenhang darauf hinwei-

sen, dass der Eindruck, der erweckt wird – für die Ent-
wicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zu China
insgesamt müssten wir diese Position einnehmen –,
falsch ist und mit der Wirklichkeit der Entwicklung der
wirtschaftlichen Beziehungen zu China in den letzten
Jahren überhaupt nichts zu tun hat. Man muss auch hin-
zufügen, dass sich innerhalb von zwei Jahren – von 2001
bis 2003 – die Rüstungslieferungen der Europäischen
Union nach China verachtfacht haben. Das heißt, es fin-
det ziemlich viel statt. Deswegen ist die Darstellung Ihrer
Motive, Herr Bundeskanzler, für diesen völlig einseiti-
gen und schädlichen Vorstoß, der in den Koalitionsfrak-
tionen auf massiven Widerstand stößt, das Gegenteil von
dem, was unserem wirtschaftlichen wie politischen Inte-
resse entspricht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun kommt seit dem Europäischen Rat im Dezember

des vergangenen Jahres erschwerend hinzu, dass sich die
strategische Lage in Ostasien erheblich verschlechtert
hat – um auch dieses zurückhaltend zu formulieren. Die
Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik China
und Taiwan, das Antisezessionsgesetz, das von der
Volksrepublik China erlassen worden ist, die Auseinan-
dersetzungen mit Japan und die Zunahme von Spannun-
gen in der Region insgesamt legen es nun wirklich drin-
gend nahe, dass es bei der Frage über Waffenlieferungen
an China keine einseitige Entscheidung der Europäi-
schen Union ohne eine vorherige enge Abstimmung mit
dem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten
von Amerika, gibt. Das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Vereinigten Staaten von Amerika – die Außenmi-

nisterin hat das vor kurzem während ihrer Reise nach
Ostasien ganz klar gesagt – haben ein Interesse an einer
engen Zusammenarbeit mit China. Die Vereinigten Staa-
ten von Amerika bemühen sich gemeinsam mit China,
Russland, Japan und Südkorea, das Problem des nordko-
reanischen Strebens nach Nuklearwaffen so zu lösen,
dass keine Gefahr für Frieden und Stabilität in Ostasien
und damit für den Frieden in der Welt entsteht. Europa
ist an diesen Gesprächen nicht einmal beteiligt. Wir kön-
nen zur Stabilität in Ostasien ziemlich wenig beitragen.

Deswegen wäre es verheerend, wenn die Europäische
Union in einer solchen Situation keine Abstimmung mit






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Schäuble

denjenigen, die nicht nur im amerikanischen, sondern im
Weltinteresse und damit auch im deutschen und europäi-
schen Interesse für die Stabilität in Ostasien die Verant-
wortung tragen und alleine tragen können – ich meine
die Amerikaner –, suchen und den Amerikanern in den
Rücken fallen würde. Genau dies darf nicht geschehen.
Das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen lautet unser beschwörender Appell, alles
zu unterlassen, was zu einer neuen dramatischen Zuspit-
zung im transatlantischen Verhältnis führt. Wir wer-
den übrigens nicht nur das transatlantische Verhältnis
enorm beschädigen – wir werden die wirtschaftlichen In-
teressen Europas und Deutschlands durch eine Zuspit-
zung des transatlantischen Konflikts noch mehr beschä-
digen –, sondern wir werden insbesondere auch an China
völlig falsche Signale aussenden.

Wenn Europäer und Amerikaner in den zentralen Fra-
gen und bei den großen Krisen dieser Zeit am selben
Strang ziehen, dann haben sie ziemlich viele Möglich-
keiten, für Frieden und Stabilität zu wirken.

Ich finde, die Bemühungen, den Iran von seinem Stre-
ben nach Atomwaffen abzubringen, sind ein gutes Bei-
spiel. Jetzt ist es gelungen – auch im Zusammenhang mit
der Reise des amerikanischen Präsidenten nach Europa –,
die europäische und die amerikanische Position besser
zusammenzubringen. Die Europäer haben endlich klar-
gestellt, dass sie für den Fall des Scheiterns des Verhand-
lungsansatzes, den wir unterstützen, Herr Außenminis-
ter, bereit sind, den Fall vor den Weltsicherheitsrat zu
bringen. Das war der entscheidende Punkt. Die Ameri-
kaner ihrerseits haben klar gemacht, dass sie jetzt schon
bereit sind, dem Iran Schritte der Kooperation anzubie-
ten, um den europäischen Verhandlungsansatz gegen-
über dem Iran voranzubringen. Das ist die richtige Politik.
Genau diese Politik muss auch gegenüber China, gegen-
über Nordkorea und gegenüber ganz Ostasien betrieben
werden. Deswegen darf es keinen Alleingang der Euro-
päischen Union in dieser Frage geben. Das ist der Sinn
unseres Antrags.

Wenn dieser Antrag dazu führt, dass der Bundeskanz-
ler heute seine Position ein bisschen besser darstellt und
gegenüber dem, was er bisher völlig falsch gemacht hat,
etwas modifiziert, dann liegt das nicht zuletzt im Inte-
resse der Koalition. Sie sehen, Herr Kollege Müntefering,
wir helfen Ihnen so gut wir können, weil wir ein Inte-
resse daran haben, dass dieses Land nicht noch schlech-
ter regiert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: So wie heute früh!)


Es sind – das ist der entscheidende Punkt; es ist keine
Kleinigkeit – in den zurückliegenden Jahren sehr viele
Fehler gemacht worden. Angesichts der Vielzahl von
Gefahren und krisenhaften Zuspitzungen müssen wir al-
les daransetzen, die gemeinsame Verantwortung der Eu-
ropäer und Amerikaner für eine Welt, in der die Gefahr
gewalttätiger Eskalation nicht größer, sondern kleiner
wird, richtig wahrzunehmen. Deshalb darf es keine Al-
leingänge geben.

Wir brauchen eine abgestimmte Politik. Das ist der
Sinn unseres Antrags. Wir hoffen, dass wir ihn nach
sorgfältigen Beratungen in diesem Parlament gemein-
sam verabschieden können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516904600

Das Wort hat jetzt Herr Bundeskanzler Gerhard

Schröder.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1516904700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Schäuble, ich könnte es mir leicht machen
und in dieser Debatte darauf hinweisen, wie Sie sich zu
Anträgen verhalten haben, die die damalige Opposition
1992 zu exakt diesem Thema vorgelegt hat. Ich könnte
es mir noch leichter machen und Ihnen vorlesen, was
mein Vorgänger in einer Debatte gesagt hat, die anläss-
lich seines Besuches bei der chinesischen Volksbefrei-
ungsarmee sechs Jahre – nicht 15 Jahre – nach dem Mas-
saker auf dem Platz des Himmlischen Friedens
stattgefunden hat. Ich will mir das aber schenken. Es war
übrigens eine Rede, der ich in weiten Teilen durchaus
zustimmen kann.

Ich will nur ein Zitat anführen, damit Sie erkennen,
dass es insbesondere bei Ihnen eine Menge Heuchelei
gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kohl hat in der erwähnten Rede am 23. No-
vember 1995


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Was hat denn Rudolf Scharping damals gesagt?)


auf die Bedeutung Chinas hingewiesen und darauf, wie
wichtig es sei, dieses Land zu integrieren. Er hat weiter
gesagt:

Dies ist eine Schicksalsfrage, nicht nur für die
Nachbarländer in Asien, sondern letztlich für die
ganze Welt.

Dann folgt die entscheidende Stelle:
Wir

– damit ist wohl die Bundesrepublik gemeint –
verfolgen mit unserer Chinapolitik eine langfristig
angelegte Partnerschaft in allen Bereichen, in der
Politik – einschließlich der Sicherheitspolitik –
ebenso wie in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Genau das tun wir und werden es auch weiterhin tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage es noch einmal: Die Reise zur Volksbefrei-

ungsarmee in China fand sechs Jahre nach der Verhän-
gung des Embargos statt und ist ganz bewusst erfolgt.
Ich habe das damals übrigens nicht kritisiert.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist auch nicht zu kritisieren!)


Im Bundestag ist es kritisiert worden. Sie haben damals
– zu Beginn der 90er-Jahre – Anträgen zugestimmt,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Es wäre besser, wenn Sie mal zur Sache redeten!)


mit denen Sie die Anträge der Opposition auf Beachtung
dessen, was Sie jetzt hier fordern, überstimmt haben.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wir reden doch über das Waffenembargo!)


Das ist die Politik, die Sie vertreten, und es zeigt die Wi-
dersprüchlichkeit und Heuchelei in Ihren eigenen Aussa-
gen, Herr Schäuble.


(Beifall bei der SPD)

Das tut mir Leid. Es passt nicht zusammen.

Jetzt zur Sache. Wir reden über einen Beschluss der
Staats- und Regierungschefs vom Juni 1989, und zwar
als Reaktion auf den blutigen Militäreinsatz gegen de-
monstrierende Studenten auf dem Platz des Himmli-
schen Friedens. Alle anderen Sanktionen, die seinerzeit
verhängt worden sind, wurden bereits nach wenigen Mo-
naten aufgehoben. Nur das politisch-symbolische Instru-
ment des Embargos ist in Kraft geblieben.

Seit der Niederschlagung der Studentenproteste sind
mehr als 15 Jahre vergangen, Jahre, in denen sich China
wirtschaftlich und gesellschaftlich gewandelt und sich
eine neue Führung gegeben hat. Die Rede von Herrn
Kohl und Ihr Abstimmungsverhalten zu Beginn der
90er-Jahre fanden statt – daran will ich Sie noch einmal
erinnern –, als es diese neue Führung in China noch
nicht gegeben hat. Auch das gehört zur historischen
Wahrheit.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Klar ist: Das China von heute ist nicht mehr das

China von 1989. Das wird im Übrigen von kaum jeman-
dem auf der Welt bestritten. Das ist der Grund, warum
die Europäische Union im Herbst 2003 eine neue
Chinastrategie verabschiedet hat. Deswegen hat die
Europäische Union beschlossen, auf eine Aufhebung des
Waffenembargos hinzuarbeiten. Das ist auf dem EU-
China-Gipfel am 8. Dezember 2004 von der damaligen
niederländischen Präsidentschaft ausdrücklich erklärt
worden. Die Staats- und Regierungschefs haben das
– Sie haben es zitiert – ausdrücklich bestätigt.

Nun glauben Sie doch nicht alles, was aus internen
Sitzungen von wem auch immer berichtet wird. Ich habe
auch in der Fraktionssitzung das gesagt, was ich Ihnen
hier sage. Es ist richtig: Ich war und bin der Überzeu-
gung, dass das Embargo entbehrlich ist. Deswegen habe
ich natürlich an den Beschlüssen, die Sie zitiert haben,
aktiv mitgearbeitet. Ich habe davon überhaupt nichts ab-
zustreiten und abzustreichen. Keineswegs ist es so, dass
ich nur einen Beschluss verteidige, den andere getroffen
haben. Ich verteidige vielmehr einen Beschluss, den ich
mitinitiiert habe und der von allen europäischen Staats-
und Regierungschefs einstimmig gefasst worden ist.


(Zustimmung bei der SPD)

Auch das gehört zur historischen Wahrheit.

Sie haben völlig zu Recht zitiert, dass es der Europäi-
schen Union ausdrücklich nicht darum gegangen ist, in
quantitativer oder qualitativer Hinsicht Waffenlieferun-
gen nach China zu verstärken. Deutschland liegt – das
habe ich wiederholt öffentlich erklärt – keine Anfrage
vor. Gäbe es eine, dann könnte Deutschland sie nicht er-
füllen und wir würden sie auch nicht erfüllen. Es geht
nicht um Waffenlieferungen nach China. Das muss man
sehr deutlich machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund gibt es in der Tat eine von
uns mit herbeigeführte europäische Beschlusslage, die
ich für richtig halte und die ich deshalb nicht verändert
sehen will. Die europäischen Außenminister sind damit
beauftragt, konkret festzustellen, ob die Bedingungen für
einen endgültigen Beschluss erfüllt sind oder nicht. Ge-
nau um diese Diskussion geht es. Ich sage noch einmal:
Die Aufhebung des Embargos hat nicht das Ziel, Waf-
fenlieferungen nach China zu verstärken. Das ist Teil des
Beschlusses. Das ist klare deutsche Position. Das wird
auch so bleiben.


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Aber was ist mit den Franzosen?)


– Was Frankreich tun will, kann ich Ihnen nicht sagen.
Das sollten Sie vielleicht Frankreich überlassen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will Ihnen dazu nur eines sagen: Sie haben eine Zei-
tung zitiert, die über Präsidiumssitzungen der SPD be-
richtet hat, in denen ich irgendetwas zu Frankreichs Mo-
tiven gesagt haben soll. An den letzten drei Sitzungen
des Präsidiums der SPD konnte ich – ich musste mich
bei meinem Parteivorsitzenden entschuldigen – leider
nicht teilnehmen,


(Heiterkeit bei der SPD)

sodass Ihr Versuch, Herr Schäuble, hier auf infame
Weise etwas unterzujubeln, wirklich schrecklich fehl-
geht.


(Beifall bei der SPD)

Beim nächsten Mal sollten Sie sich vergewissern, bevor
Sie solche Unterstellungen machen. Das wäre sehr viel
besser. Aber wir kennen ja die Art und Weise, wie hier
gearbeitet wird.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516904800

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Schäuble?


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1516904900

Nein. Ich will das im Zusammenhang darstellen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich will zu den Waffenlieferungen und zur regionalen

Stabilität in der Region noch etwas sagen. Es wird stän-
dig die Diskussion im amerikanischen Kongress zitiert.
Viele haben sich aufgemacht, dorthin zu fahren, und
haben bei ihrer Rückkehr darauf hingewiesen, was
Deutschland im Unterschied zu den Vereinigten Staaten
von Amerika so alles tue. Ich möchte Ihnen deswegen
sagen: Erstens. Deutschland liefert keine Kriegswaffen,
kann keine Kriegswaffen liefern und wird keine Kriegs-
waffen liefern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Warum wollen Sie das Embargo aufheben, wenn Sie nichts liefern?)


Zweitens. Es gibt einen Bericht – er war auch Gegen-
stand einer Diskussion im amerikanischen Kongress –,
nach dem sich Deutschland bei der Lieferung sonstiger
Rüstungsgüter angeblich auf Platz fünf in Europa be-
findet. Nach diesem Bericht sieht es so aus: An erster
Stelle liegt Frankreich mit Lieferungen im Wert von
171,5 Millionen Euro, an zweiter Italien, ein sehr enger
Verbündeter, mit 127,1 Millionen Euro, an dritter Groß-
britannien mit 112,3 Millionen Euro, an vierter Tsche-
chien mit 3,6 Millionen Euro und an fünfter Deutschland
mit Lieferungen sonstiger Rüstungsgüter im Wert von
1,1 Millionen Euro. Wofür haben wir diese 1,1 Millio-
nen Euro bekommen? Wir haben Teile von Human-
zentrifugensystemen für die Astronautenausbildung und
Seegravimeter als ozeanographische Messinstrumente
geliefert. Das waren die Lieferungen Deutschlands nach
China!


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: „Waffenembargo“ ist das Thema!)


Jetzt möchte ich Ihnen etwas zur regionalen Stabili-
tät sagen. Die vereinbarten Waffenlieferungen Amerikas
nach Taiwan belaufen sich im Jahr 2003 auf mehr als
360 Millionen Dollar.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt kommt’s aber auf eine Schiene, Herr Bundeskanzler! Haben Sie das nötig?)


Auch das gehört zu einer Diskussion über regionale Sta-
bilität.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deutschland hat im Jahre 2002 nach China sonstige Rüs-
tungsgüter in einer Größenordnung von 10 – ich wieder-
hole: 10 – Euro geliefert. Was das war, kann ich Ihnen
nicht sagen. Jedenfalls kann es nicht sehr viel gewesen
sein.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das ist ja eine sehr interessante Argumentation!)


Ich erwähne das, um deutlich zu machen, dass alle
Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit erhoben worden sind,
wir hätten ein Interesse an der Ausweitung von Waffen-
lieferungen, schlicht aus der Luft gegriffen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch das muss man in der Diskussion einmal sagen.
Ich glaube, dass diese vordergründige Debatte nicht

weitergeführt werden sollte; denn sie verdeckt, worum
es uns wirklich gehen muss: Im Kern geht es um die
Frage, wie die Europäische Union und Deutschland ihre
Interessen, ihre Anliegen gegenüber China mittel- und
langfristig zur Geltung bringen wollen. Es geht also um
die Frage, wie wir unsere Beziehungen zu diesem in der
Tat großen und wichtigen Land mittel- und langfristig
gestalten wollen, wie wir im Übrigen mithelfen wollen,
in diesem großen Land ein Umfeld zur Förderung einer
friedlichen und demokratischen Entwicklung zu
schaffen, und es geht um die Frage, wie das sich dyna-
misch entwickelnde China regional und global zu einem
tragenden Pfeiler einer kooperativen und multilatera-
len Ordnung werden kann.

Wenn man die Frage des EU-Waffenembargos gegen-
über China vor diesem Hintergrund sieht, bleibe ich bei
meiner Position, dass dieses Embargo aufgehoben wer-
den sollte. Die Europäische Union strebt wie wir eine
strategische Partnerschaft mit China an. Auch wir ha-
ben das bilateral im Mai letzten Jahres beim Besuch von
Ministerpräsident Wen in Berlin so vereinbart. Strategi-
sche Partnerschaft bedeutet, dass wir die Beziehungen
auf allen Feldern – in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft
und Kultur – konsequent ausbauen wollen. Das kann
aber nur gelingen, wenn sich die beteiligten Partner im
gegenseitigen Respekt vor ganz unterschiedlich gewach-
senen Kulturen begegnen und ein Vertrauensverhältnis
entwickeln. Nur so werden wir wirklich Einfluss auf die
Entwicklung auch in diesem Land nehmen können.

China ist in den letzten Jahren – das lässt sich nicht
ernsthaft bestreiten – enormes politisches und wirt-
schaftliches Gewicht zugewachsen. China ist der bevöl-
kerungsreichste Staat und inzwischen die sechstgrößte
Volkswirtschaft der Erde, und das mit eindrucksvollen
Wachstumsraten. Ich stehe ausdrücklich dazu, dass ich
es auch als meine Aufgabe ansehe, ein außenwirtschaft-
lich so abhängiges Land wie Deutschland in eine enge
Partnerschaft mit diesem Land zu bringen und Verbesse-
rungsmöglichkeiten, wo immer es sie gibt, zu nutzen.


(Beifall bei der SPD)

Die Integration Chinas in die Weltwirtschaft voll-

zieht sich mit beispielhaftem Tempo. Es gibt Probleme,
über die wir mit China werden reden müssen, zum Bei-
spiel die Frage: Wie entwickelt sich die Währung in Re-
lation zu anderen Währungen?


(Michael Glos [CDU/CSU]: Was hat denn das mit dem Waffenembargo zu tun?)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Das ist ein ganz wichtiges Thema, über das wir viel zu
wenig diskutieren. Zum Beispiel ist die Frage „Was ist
mit dem Schutz des geistigen Eigentums?“ formal ak-
zeptiert, aber in der politischen Praxis längst nicht so ge-
staltet, wie wir uns das wünschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir diskutieren die Frage: Kann man, darf man bei staat-
lichen Aufträgen ein Maß an Technologietransfer verlan-
gen, das unsere Unternehmen ökonomisch in Schwierig-
keiten bringt?


(Zuruf von der CDU/CSU: Thema verfehlt!)

Diese Fragen diskutieren wir mit der chinesischen Re-
gierung bei jedem Besuch. Das sind zentrale Fragen der
ökonomischen und der politischen Entwicklung im Ver-
hältnis Deutschlands zu China.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Und die löst man am besten durch die Aufhebung des Waffenembargos! Schlüssig! Überzeugend!)


Das Land ist der zweitgrößte Handelspartner der
Europäischen Union. Umgekehrt ist die Europäische
Union zum größten Handelspartner Chinas geworden.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Also?)


Entscheidender Katalysator für den ökonomischen Sys-
temwandel war dabei Chinas Beitritt zur WTO. Ich erin-
nere in diesem Zusammenhang auch an die konstruktive
Rolle Chinas bei der Bewältigung der ökonomischen
Asienkrise 1997/98. In diesem Jahr führt China den Vor-
sitz im Kreis der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen der
Welt. Mit diesem gewachsenen Gewicht geht das Land
nach meiner Bewertung durchaus verantwortungsvoll
um – im Wirtschaftlichen ebenso wie im Politischen.
Nach dem 11. September hat sich China mit großem
Nachdruck an der Seite der USA im Kampf gegen den
internationalen Terrorismus engagiert.

Ohne die Mitwirkung dieses Landes ist heute keine
der großen globalen Herausforderungen mehr zu bewäl-
tigen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist ja alles richtig!)


Ich sage das auch und gerade im Hinblick auf die
Klimaschutzpolitik. Die chinesische Regierung hat an-
gekündigt, bis zum Jahr 2010 10 Prozent der Energie aus
regenerativen Quellen zu erzeugen – ein Beispiel für ak-
tiven Umweltschutz, den viele von diesem Land so nicht
erwartet hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Das möchte ich erst sehen!)


Ich erinnere in diesem Zusammenhang weiter an die
aktive Vermittlungsrolle Chinas im Nordkoreakonflikt.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: „Waffenembargo“ ist das Thema!)


Wir wissen China beim Kampf gegen die Weiterverbrei-
tung nuklearer Waffen an unserer Seite.
Auch die chinesische Unterstützung für die regionale
Integration in Asien weist in dieselbe Richtung. 2002 ha-
ben China und die ASEAN-Staaten die Errichtung einer
Freihandelszone bis zum Jahr 2010 vereinbart. Das ist
ein wichtiger Beitrag zur regionalen Sicherheit und zur
regionalen Stabilität.

Ich stimme dem früheren Außenminister Hans-
Dietrich Genscher wirklich zu, der vor kurzem sagte,
China habe sich zu einem wirklichen Faktor der globa-
len Stabilität entwickelt. Diese Rolle – Sie haben es
selbst gesagt – wird zunehmend auch von den USA aner-
kannt; sonst hätte man dort, auch vor dem Hintergrund
des Kongressbeschlusses, wohl kaum die Einsetzung ei-
ner hochrangig besetzten Arbeitsgruppe mit China be-
schlossen.

Wer Frieden, Stabilität und Wohlstand in Asien und
darüber hinaus fördern will, dem muss daran gelegen
sein, dass China diese verantwortungsvolle Politik mul-
tilateral weiterführt. Gerade darauf ist die strategische
Partnerschaft der Europäischen Union und Deutschlands
mit China ausgerichtet: auf konstruktive Zusammen-
arbeit und Einbindung. Mit diesem Ansatz vertragen
sich Sanktionen gleich welcher Art eben nicht. Sanktio-
nen zielen auf Isolierung und Diskriminierung. Die Bun-
desregierung setzt dagegen auf Kooperation, auf Integra-
tion und damit verbundenen Wandel.

Ich will abschließend einige Bemerkungen zur inne-
ren Situation Chinas machen. Die chinesische Gesell-
schaft wird offener und pluraler, wenn auch nicht mit der
Geschwindigkeit und in dem Ausmaß, die auch ich mir
gern wünschen würde. Der Schutz der Menschenrechte
und des Privateigentums wurde im Frühjahr 2004 in die
Verfassung aufgenommen. Natürlich kritisieren wir die
Tatsache, dass es die Todesstrafe gibt, und das Ausmaß,
in dem sie verhängt wird. Wir sollten aber nicht verges-
sen, dass es gegen unseren Willen die Todesstrafe auch in
anderen Gesellschaften gibt. Die Bundesregierung ist für
die Abschaffung der Todesstrafe überall, in China wie in
allen Ländern der Welt, wo sie noch angewendet wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist nicht ausreichend, aber ein Fortschritt, dass Todes-
urteile jetzt der Überprüfung durch das oberste Gericht
unterliegen.

Das alles mag nicht weit genug gehen – das ist auch
nach meiner Auffassung so –, zeigt aber: Es gibt unver-
kennbar Fortschritte bei der Stärkung der Rechtsstaat-
lichkeit und der Achtung der Menschenrechte. China
modernisiert sich – politisch und wirtschaftlich. Das
streiten im Übrigen auch die Vereinigten Staaten von
Amerika nicht ab. Sie haben erst vor drei Wochen in
Genf bei der Menschenrechtskommission – ich zitiere –
„bedeutsame Schritte bei der Verbesserung der Men-
schenrechtslage in China“ festgestellt. Das war die Posi-
tion der Vereinigten Staaten von Amerika in Genf.

Die Europäische Union und Deutschland sind willens,
China auf dem Weg der Modernisierung seiner Gesell-
schaft konstruktiv zu unterstützen. Gerade darauf ist der






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

von mir – nicht von früheren Regierungen – 1999 ver-
einbarte Rechtsstaatsdialog ausgerichtet. Er ist ein
wichtiger, weil kontinuierlicher Beitrag zur strukturellen
Verankerung rechtsstaatlicher Prinzipien in allen Le-
bensbereichen Chinas, zu etwas also, das wir wollen und
für das wir uns mit allen Möglichkeiten, die wir haben,
einsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs führen wir sowohl
bilateral als auch auf europäischer Ebene einen offenen
und ehrlichen Menschenrechtsdialog.

Meine Damen und Herren, die Kritiker einer Aufhe-
bung des Waffenembargos verweisen auf das vom
Volkskongress verabschiedete Antisezessionsgesetz. Ich
glaube, es gibt außer den außenpolitischen Experten, de-
nen ich das unterstelle, nur wenige, die das Gesetz wirk-
lich in vollem Umfang kennen. Es ist deswegen zu emp-
fehlen, das ganze Gesetz zu lesen. Darin wird auf der
Grundlage des Ein-China-Prinzips, das seit Jahrzehnten
der deutschen Chinapolitik zugrunde liegt, zuallererst
eine friedliche Wiedervereinigung postuliert.

Dass China daran gelegen ist, die Beziehungen zu
Taiwan in allen Bereichen zu intensiveren, und zwar
zum Wohle beider Seiten, ist aus meiner Sicht nur zu be-
grüßen. Klar ist allerdings auch, dass sowohl die Euro-
päische Union als auch die Bundesregierung niemals ei-
nen Zweifel daran gelassen haben, dass die Taiwanfrage
ausschließlich mit friedlichen Mitteln gelöst werden
kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Volker Rühe [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, eine auf breit angelegte
Zusammenarbeit und gemeinsame Bewältigung globaler
Herausforderungen ausgerichtete Politik mit China liegt
sowohl im europäischen als auch im deutschen Interesse.
Wir wollen konstruktive Beziehungen zu China zum ge-
genseitigen Nutzen unserer Völker und zur Stärkung von
Frieden und Stabilität; denn ein im Innern stabiles, mo-
dernes und rechtsstaatliches China wird auch in regiona-
len und internationalen Fragen ein berechenbarer, ver-
lässlicher und verantwortungsvoller Partner sein.

Ich weiß, dass die Entwicklung in China Zeit ge-
braucht hat und weiter Zeit brauchen wird. Aber die Öff-
nung des Landes und die Integration in die Weltwirt-
schaft und in die internationalen politischen Strukturen
werden – dessen bin ich sicher – den Wandel weiter vo-
rantreiben. Jeder Versuch der Isolierung kann nur in die
Irre führen. Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt,
dieses Embargo aufzuheben, und deswegen habe ich kei-
nen Anlass, die Position, die alle Staats- und Regierungs-
chefs der Europäischen Union eingenommen haben, in
Zweifel zu ziehen.

Das wollte ich Ihnen vermitteln. Vielen Dank für die
Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516905000

Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege

Schäuble das Wort.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1516905100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Bundeskanzler hat mit dem Hinweis, er habe an der
SPD-Vorstandssitzung


(Zurufe von der SPD: Präsidiumssitzung!)

– oder an der Präsidiumssitzung – nicht teilgenommen,
den Eindruck erweckt, das, was ich gesagt habe, sei
nicht richtig. Deswegen bin ich dankbar, dass ich das
Originalzitat aus der „Frankfurter Rundschau“ vom
5. April 2005 hier noch einmal vortragen kann:


(Widerspruch bei der SPD)

SPD und Grüne suchen hinter den Kulissen weiter
nach Wegen, den Koalitionsstreit um das EU-Waf-
fenembargo gegen China nicht eskalieren zu lassen.
Während die Grünen am Montag erneut an den
Kanzler appellierten, keinesfalls gegen den Willen
des Bundestags für die Aufhebung des Embargos
zu stimmen, gab es auch im SPD-Vorstand nach
Teilnehmerangaben „keine mehrheitliche Unter-
stützung“ für die Linie des Kanzlers.
Parteichef Franz Müntefering machte in der SPD-
Vorstandssitzung deutlich, dass Schröder vor allem
aus Rücksicht auf Frankreichs Präsident Jaques
Chirac gegen das Waffenembargo sei. SPD-Außen-
politiker verweisen auf massive Interessen der fran-
zösischen Rüstungsindustrie in China – und auf die
Zusage des Kanzlers an Chirac, zum Thema Waffen-
embargo mindestens bis zum heiklen französischen
EU-Verfassungsreferendum Ende Mai die Pariser
Linie zu unterstützen.

Meine Damen und Herren, der Hinweis, ob der Kanz-
ler an der Sitzung teilgenommen hat oder nicht,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist völlig unerheblich!)


ist deswegen überhaupt kein Dementi in der Sache.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1516905200

Herr Schäuble, es handelt sich doch wieder einmal

um den für Sie so typischen Versuch, aus einer Meldung
über eine Sitzung, an der derjenige, der sie geschrieben
hat, nun wirklich nicht teilgenommen hat, eine Tatsache
zu konstruieren.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ist sie nun falsch oder richtig? – Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Dementiert Herr Müntefering? Das kann er dann ja tun!)


Genau mit dieser Art und Weise haben Sie schon bei
mehr als einer Gelegenheit versucht, Tatsachen zu ver-
drehen und sich dann auf diese verdrehten Tatsachen zu
berufen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie waren doch auch nicht da! Woher wissen Sie dann, wie es war?)


Sie kommen mit dieser Art und Weise nicht durch. Das
ist nämlich, Herr Schäuble, kein redlicher Umgang mit
der Wahrheit. Aber dieser unredliche Umgang mit der
Wahrheit ist Ihnen ja durchaus zu Eigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516905300

Das Wort hat jetzt für die FDP der Abgeordnete

Guido Westerwelle.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Ein Dementi haben wir jedenfalls nicht gehört Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Rede versucht, den Eindruck zu erwecken, als handele es sich bei diesem Konflikt um einen Konflikt zwischen der Regierung und der Opposition. Wir wollen vorab eines festhalten: Wenn der Deutsche Bundestag seine bisherige Beschlussfassung ernst nimmt, dann handelt es sich um einen Konflikt zwischen der überparteilichen Mehrheit des Deutschen Bundestages und der Haltung der Bundesregierung. Zweite Vorbemerkung: Herr Bundeskanzler, Sie ha ben am Anfang Ihrer Rede Zitate eingeführt – ich möchte mich jetzt nicht mit Ihnen weiter darüber auseinander setzen, ob die „Frankfurter Rundschau“ richtig liegt oder nicht; Sie können sich ja beim Eigentümer beschweren – und auf die historische Wahrheit Wert gelegt. Wir erinnern uns noch an die damalige Auseinandersetzung und vor allen Dingen an das, was derjenige, der heute Vizekanzler, also Ihr Stellvertreter, und Außenminister der Bundesrepublik Deutschland ist, damals an die Adresse von Herrn Kohl und Herrn Kinkel gesagt und in diesem Zusammenhang kritisch angemerkt hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Heute sagt er nichts mehr!)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1516905400

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


(Heiterkeit bei der FDP)


Er sagte damals:
Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinas
nicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen auf
das Geschäft setzen. … Deswegen müssen wir mit
den Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte,
über tibetische Kultur und über den Schutz von
Minderheiten in China sprechen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da hat er doch Recht!)

Herr Bundesaußenminister, Sie sagten damals: Man
muss sich klar und deutlich ausdrücken, „auch wenn das
Peking nicht passt“. Sie haben dem Bundesaußenminis-
ter Kinkel damals „windelweiche Servilität“ vorgewor-
fen und höhnten: Herr Kinkel „kriecht vor den Chinesen
auf dem Bauch“. – Wie einen doch die Bilder eines Ta-
ges wieder einholen, Herr Außenminister.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Eine dritte Vorbemerkung halte ich an der Stelle für

notwendig: Es ist fast schon eine zynische Haltung,
wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sich hier hinstellen und
sagen, Sie wollten das Waffenembargo aufheben und
keine Waffen exportieren, aber uns auf die Frage, was
Sie davon halten, dass Frankreich dann Waffen expor-
tieren wird, sagen: Wendet euch an die Franzosen. Das
ist, offen gestanden, zynisch. Wenn Sie das Waffen-
embargo aufheben, sind Sie für jeden Waffenexport
höchstpersönlich mitverantwortlich, komme er auch aus
Frankreich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es war ja auch eine bittere Stunde für die Grünen. Das
hat man ja an der Reglosigkeit bemerkt, mit der sie die
Rede des Bundeskanzlers aufgenommen haben. Es hat
sich ja keine Hand zum Beifall gerührt.

Etwas Viertes finde ich besonders bemerkenswert: So
haben wir vor etwas mehr als einem Jahr im Deutschen
Bundestag eine ausführliche Debatte über die Frage ge-
führt, ob die zur friedlichen Nutzung der Kernenergie
bestimmte zivile Nuklearanlage von Siemens aus
Hanau mit einer deutschen Wertschöpfung von 1 Mil-
liarde Euro nach China exportiert werden darf. Die Chi-
nesen wollten diese Hanauer Nuklearanlage kaufen und
sie wollen es noch immer. Siemens will diese Anlage
verkaufen und will es noch immer. 1 Milliarde Euro ist
kein Pappenstiel. Wenn eine Bundesregierung den Ex-
port einer zivilen Nuklearanlage verhindern will, gleich-
zeitig aber ein Waffenembargo aufhebt, dann ist das
mehr als widersprüchlich; dann ist das die Scheinheilig-
keit, vor der wir warnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Schließlich finde ich es erschreckend, wenn Sie, Herr

Bundeskanzler, in Bezug auf das Waffenembargo nicht
nur in früheren Interviews, sondern auch in Ihrer heuti-
gen Rede wörtlich sagen, dass es sich nur noch um ein
„politisch-symbolisches Instrument“ handele – als
würde es sich bei einem Waffenembargo um Symbolik
handeln! Was ist das denn für eine symbolische Geste,
wenn Sie dieses Waffenembargo aufheben? Wofür?

3 700 vollstreckte Todesurteile gab es im vergange-
nen Jahr weltweit. Sie haben Recht, wenn Sie das kriti-
sieren. Aber Sie haben Unrecht, wenn Sie dabei ver-
schweigen, dass 3 400 davon in China vollstreckt
worden sind. Die Autonomiebestrebungen der Tibeter
werden weiter unterdrückt. Zahlreiche Menschen sitzen
in willkürlicher Administrativhaft, unzählige stecken in
Arbeitslagern. Pressefreiheit, wie wir sie kennen, gibt es
dort überhaupt nicht. Da wäre eine Diskussion wie die
über die „Frankfurter Rundschau“, wie wir sie gerade er-
lebt haben, gar nicht denkbar. Wir nehmen zur Kenntnis,
dass religiöse Gruppen verfolgt werden, dass nicht nur






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

die Pressefreiheit, sondern auch die Meinungsfreiheit
unterdrückt wird. Nach dem Bericht der Generalsekretä-
rin von Amnesty International von Anfang dieses Jahres
steht fest, dass heute, 15 Jahre nach dem schrecklichen
Vorfall auf dem Platz des Himmlischen Friedens, noch
immer Menschen, die damals beteiligt gewesen sind, im
Gefängnis sitzen.

Sie fordern die Aufhebung des Waffenembargos aus
Gründen der Symbolik. Wir sagen: Es geht um mehr als
Symbolik. Menschenrechte sind nicht Symbolik. Die
Unterdrückung der Menschenrechte ist für diese Men-
schen bittere, grausame Realität. Davor warnen wir,
meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Niemand bestreitet, dass eine gute zivile, wirtschaftli-

che Zusammenarbeit mit China richtig und sinnvoll
ist. Niemand in diesem Hause – egal ob in den Reihen
der Opposition oder der Regierungsfraktionen – erkennt
doch nicht an, welche Entwicklungen es gegeben hat.
Wir alle sind der Auffassung, dass jeder Fortschritt, ins-
besondere was die Justiz angeht, sinnvoll ist. Wir haben
die Bedingungen damals selber mit auf den Weg ge-
bracht. Sie, insbesondere die Justizministerin, führen das
dankenswerterweise fort. Das soll ausdrücklich aner-
kannt werden.

Aber es steckt etwas anderes dahinter. Sie sehen in
der Aufhebung des Waffenembargos offensichtlich ein
Instrument zur Beschleunigung einer positiven Entwick-
lung der Menschenrechte und der Demokratie, während
wir sagen: Waffenexporte können nicht ein Mittel zur
Demokratisierung sein, sondern sie können bestenfalls
als Ergebnis am Ende eines Demokratisierungsprozesses
stehen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Wir sagen: Wandel durch Handel ja, aber Waffenhandel
nein; denn er verändert nicht die politischen Zustände,
sondern zementiert Unterdrückung und die Verletzung
von Rechtsstaatlichkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deswegen appellieren wir an Sie, die zivile Zusam-

menarbeit mit China fortzuentwickeln. Wir sind dankbar
für die guten geschäftlichen Beziehungen. Die Vorstel-
lung, wir müssten das Waffenembargo aufheben, um mit
China auch zivil besser ins Geschäft zu kommen,
schwingt in dieser Debatte zwar oft genug mit, ist aber
trotzdem falsch. Andere Länder wie beispielsweise die
Vereinigten Staaten von Amerika haben weit mehr wirt-
schaftliche Beziehungen und Geschäfte mit China und
bleiben in der Chinapolitik trotzdem dem Prinzip der
Menschenrechte verpflichtet. Wir sagen: Ziviler Handel
und wirtschaftliche Zusammenarbeit ja, ein Waffenhan-
del jetzt, in dieser Lage, nein.

Wenn der Bundestag seine Aufgaben und auch das,
was er beschlossen hat, ernst nimmt, wenn er sich selbst
ernst nimmt, dann müssten eigentliche alle Fraktionen
dem Bundeskanzler hier die Stirn bieten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516905500

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesaußenminister

Joschka Fischer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da kommt der Skeptiker!)


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516905600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Eu-

ropäische Rat hat einstimmig den Beschluss gefasst, zu
überprüfen, ob das 1989 nach den furchtbaren Ereignis-
sen auf dem Tiananmenplatz in China, der blutigen Un-
terdrückung der Freiheitsbewegung, verhängte Embargo
angesichts der zweifellos festzustellenden Veränderun-
gen in China in der bestehenden Form noch angemessen
ist und aufrechterhalten werden soll. Der Europäische
Rat hat den Außenministern den Auftrag erteilt – es war
allerdings kein unkonditionierter Auftrag –, sich in Rich-
tung einer Aufhebung zu bewegen.

Bevor ich auf diesen Punkt näher eingehe, möchte ich
unterstreichen, was der Bundeskanzler über die Bedeu-
tung des Landes gesagt hat. Anders als 1989 hängt die
Weltwirtschaft heute ganz entscheidend von der Frage
ab – das wissen Sie alle –, ob die chinesische Währung
auf- oder abgewertet wird. Heute gibt es eine Abhängig-
keit zwischen der amerikanischen und der chinesischen
Volkswirtschaft, die in dieser Form damals noch nicht
existierte.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Was ist das für ein Einstieg? – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP)


– Lassen Sie mich diese Fakten herausstellen. Ich
komme noch zu den Argumenten.


(Zuruf von der FDP: Sagen Sie es doch jetzt!)

Die Frage der Integration dieser aufstrebenden Welt-

macht – das ist der entscheidende Punkt; da kann ich
Kollegen Schäuble nur nachdrücklich unterstützen – ist
für die Stabilität des internationalen Systems im
21. Jahrhundert eine der zentralen Fragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir uns darauf verständigen, dann werden wir sehr
schnell feststellen, dass es keine einfache Lösung gibt.

Die Überprüfung wurde von vielen Staaten unter-
stützt. Sie können der Bundesregierung durchaus vor-
werfen, dass sie aus Ihrer Sicht an der einen oder ande-
ren Stelle falsch gehandelt hat. Aber Sie werden das
beispielsweise Großbritannien nicht vorhalten können.
Ich möchte unterstreichen, dass es eine gemeinsame
Position gibt. Diese wird manchmal so dargestellt, als
gäbe es in der Europäischen Union schon einen Kon-
sens.

Ich möchte betonen, dass wir Prüfkriterien haben,
die sich auf die aktuelle Menschenrechtslage in China,
auf die Stabilität in der Region – vor allen Dingen in der
Straße von Taiwan – und darüber hinaus beziehen. Herr






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

Westerwelle, es macht sich zwar gut, wenn Sie jetzt da-
von sprechen, Fischer habe das damals gesagt. Auf mei-
ner letzten Reise nach China, an der Sie nicht teilgenom-
men haben – ich glaube, Herr Uhl war aber dabei –, gab
es eine Pressekonferenz mit dem chinesischen Kollegen,
auf der ganz offen gesprochen wurden: über Tibet, über
die Menschenrechte, über die Administrativhaft und
über die Unterdrückung der Christen. Ich weiß übrigens,
dass auch der Bundeskanzler diese Punkte in China
ebenso offen angesprochen hat.

Wir haben mit niemandem darüber diskutiert, wo der
Dalai Lama in Deutschland empfangen wird. Er wird
selbstverständlich im Auswärtigen Amt empfangen. Es
gibt heute nicht mehr Bilder wie die, die es damals gege-
ben hat – Sie als junger Mann können sich daran viel-
leicht nicht mehr erinnern – und an die ich mich sehr gut
erinnern kann. Der Bundeskanzler hat keinen Diener vor
der Volksarmee gemacht, wie es der damalige Bundes-
kanzler wenige Jahre nach dem Massaker auf dem
Tiananmenplatz getan hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


An diesem Punkt brauchen wir uns Ihre Kritik nicht ge-
fallen zu lassen.

Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir sehr optimistisch
waren, was die Perspektive hinsichtlich der Entwicklung
zwischen der Volksrepublik China und Taiwan angeht.
Wir waren sehr froh, als wir festgestellt haben, dass mit
den Wahlen in Taiwan ein Signal in die richtige Rich-
tung ausgesandt wurde. Die Eröffnung einer direkten
Flugverbindung war ebenfalls ein positives Signal. Aber
selbstverständlich gilt auch, dass das Taiwan-Gesetz al-
les andere als ein Schritt in die richtige Richtung ist,
auch wenn der Bundeskanzler völlig zu Recht unter-
streicht, man solle das ganze Gesetz lesen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, ja!)

– Kollege Gerhardt, das eigentliche Problem ist – völlig
unabhängig davon, wie die EU entscheiden wird; das sa-
gen Ihnen alle Experten in Australien, Neuseeland, Ja-
pan und Ostasien –, dass China alles tun wird, um eine
Sezession Taiwans zu verhindern. Auf der anderen Seite
will Taiwan eine Demokratie bleiben. Den drohenden
Zusammenprall dieser Grundsätze müssen wir verhin-
dern; denn die Eskalationsgefahr, die sich daraus ergibt,
ist nicht unerheblich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das wiederum hängt aber mit der Integration Chinas zu-
sammen. Wir werden – das kann ich Ihnen an dieser
Stelle sagen – die Prüfung in diesem Punkt sehr sorgfäl-
tig vornehmen.

Wir brauchen einen Konsens in der Europäischen
Union. Dieser Konsens ist heute noch nicht vorhanden.
Da wir diesen Konsens erreichen wollen, appelliere ich
an die chinesische Regierung: Sie muss begreifen, dass
sie sehr viel dazu beitragen kann, dass ein solcher Kon-
sens möglich wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)


Das war auch immer die Haltung von Bundesregierung
und Europäischer Union.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da sollten Sie sich aber nicht übernehmen!)


Es war ein Schritt in die richtige Richtung, als sich die
chinesische Regierung direkt mit einem Vertreter des
Dalai Lama zusammengesetzt hat. Bedauerlicherweise
sind die Ergebnisse noch nicht so, dass ich sagen könnte,
dass ein wirklich großer Schritt nach vorn getan wurde.
Wir wollen, dass wenigstens jetzt die Menschenrechts-
pakte, die ja bereits unterschrieben sind und die seit lan-
gem in der Volksvertretung liegen – –


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Implementiert werden!)


– Ja, China kann sofort ein richtiges und wichtiges Si-
gnal setzen. Ich appelliere deshalb an die chinesische
Regierung und an den Volkskongress, die Menschen-
rechtspakte jetzt zu ratifizieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das würde meines Erachtens ein Signal setzen, bei dem
man wirklich sagen könnte, dass wir vorankommen.

Nun zur Frage der exzessiven Anwendung der Todes-
strafe. Ich unterstreiche, was der Bundeskanzler gesagt
hat: Es ist richtig und wichtig, dass die Todesstrafe jetzt
nicht mehr allein von den Gerichten in den Regionen
verhängt, sondern von dem obersten Gericht der Volks-
republik China überprüft werden soll. Aber wir müssen
nach wie vor darauf drängen, dass die Todesstrafe als
eine inhumane Strafe eingeschränkt und in der Perspek-
tive auch abgeschafft wird. Das gilt übrigens nicht nur
für China; ich könnte auch noch einige andere Fälle nen-
nen. Gerade in der Menschenrechtskonferenz erleben
wir an diesem Punkt recht merkwürdige Koalitionen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Europa ist in dieser Frage ein Leuchtturm und wird von
seiner Haltung auch nicht ablassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Selbstverständlich – lassen Sie mich auch das unter-
streichen – spielt auch der Einsatz für religiöse Toleranz
eine entscheidende Rolle.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Es geht um das Waffenembargo!)


– Ich erläutere gerade, was wir meiner Meinung nach
brauchen, wenn wir einen Konsens erreichen wollen,
und was die Punkte sind, an denen China konstruktiv
mitarbeiten kann. Das hat viel mit dem Erreichen eines
Konsenses zu tun und es ist meine Aufgabe als Außen-
minister – wir Außenminister sind von den Regierungs-
chefs entsprechend beauftragt worden –, zu versuchen,
diesen Konsens herzustellen. Ich erläutere Ihnen gerade,






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

was aus meiner Sicht die konstruktiven Beiträge der an-
deren Seite sein können und sein sollten. Es geht also
sehr wohl um die Sache.

Meine Damen und Herren, vorhin wurde ja zu Recht
auf die Frage der Toleranz für die christliche Religion
hingewiesen. Auch das ist immer wieder ein zentrales
Thema in den Gesprächen mit der anderen Seite. Im
Rechtsstaatsdialog geht es um die Fortentwicklung der
Herrschaft des Rechts, der Unabhängigkeit der Justiz
und der Humanisierung der Gesetze. All diese Fragen
sind von entscheidender Bedeutung.

Herr Kollege Schäuble – aber ich sage das auch in
Richtung des Kollegen Westerwelle –, Sie sprachen die
Beziehungen zu den USA an. Die Europäische Union
hat eine Delegation entsandt. Wir sind gerade bei der
Auswertung dieser Gespräche und untersuchen, welche
zusätzlichen Anstrengungen zur Herstellung einer ge-
meinsamen Position unternommen werden sollten. Denn
in der Tat will niemand eine erneute Eintrübung der
transatlantischen Beziehungen. Meines Erachtens ist auf
allen Seiten eine gewisse Ehrlichkeit in der Argumenta-
tion dringend notwendig.

Herr Kollege Westerwelle, Sie sind mir also nun
wirklich einer!


(Heiterkeit bei der SPD)

Sie wollen, dass ich die Hanauer Anlage liefere, aber
gleichzeitig soll ich keinen Krach mit den Amerikanern
anfangen. Sie müssen mir einmal zeigen, wie das gehen
soll.


(Heiterkeit bei der SPD)

Die westerwellsche „friedliche Anlage“ zur Plutonium-
verarbeitung wird in Washington im Kongress und in der
Administration auf donnernden Beifall stoßen! An die-
sem Punkt müssen Sie noch ein bisschen arbeiten. Ich
kann Ihnen nur sagen: Entweder wollen Sie keinen
Krach; dann rate ich Ihnen, die Sache mit Hanau weiter
zu prüfen, jedenfalls aber nicht einer Lieferung zuzu-
stimmen. Oder Sie wollen Krach; in diesem Fall ver-
stünde ich dann aber die ganze Debatte hier nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kommen wir zur Haltung der Europäischen Union
und der Bundesregierung, die der Kanzler gerade darge-
stellt hat. Unser Ziel ist es – –


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist der Kanzler?)


– Der Kanzler ist bei den Kirchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)

– Er hat sich entschuldigt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das wissen die Fraktionen!)


Der Kanzler hat einen nicht verlegbaren Termin gehabt.
Das wissen auch die Fraktionen. Er musste um
12.30 Uhr weg. Das hat überhaupt nichts mit dieser De-
batte zu tun.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Der kann nur noch beten!)


Das zeigt doch offensichtlich, dass Sie selbst die kleinste
Münze nutzen, um dem Kanzler am Zeug zu flicken. Das
ist doch albern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das war doch immer so. Er hat sich entschuldigt.

(Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Für uns ist ganz entscheidend: Wir wollen einen Kon-

sens erreichen. Dieser Konsens setzt voraus, dass alle in
der Europäischen Union zustimmen. Um diese Zustim-
mung zu bekommen, wird es notwendig sein, dass sich
auch die chinesische Seite bewegt. Ich habe gesagt: Die
Menschenrechtspakte zu ratifizieren wäre für China rela-
tiv schnell machbar und könnte jederzeit umgesetzt wer-
den. Gleichzeitig sollte man im Rechtsstaatsdialog vo-
rankommen, bei der Administrativhaft Erleichterungen
schaffen und vor allen Dingen eine friedliche Streitbeile-
gung in der Straße von Taiwan anstreben. In all diesen
Dingen ist die chinesische Seite gefordert.

Die Europäische Union ist bereit, all das zu tun, was
in ihrer Macht steht, um sich in die richtige Richtung zu
bewegen. Aber wir erwarten auch von der anderen Seite,
dass sie dies tut. Die Bedingungen sind bekannt und klar.
Wenn wir eines Tages auf dieser Grundlage einen Kon-
sens erreichen können, dann – so bin ich mir sicher –
wird auch die Opposition nicht widersprechen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516905700

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich habe eine Kurzintervention erbeten! Ich wollte auch eine Zwischenfrage stellen!)


– Sie haben sich zu einem Zeitpunkt zu einer Zwischen-
frage gemeldet, zu dem die Redezeit schon überschritten
war.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1516905800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die CDU/CSU hat beantragt, das EU-Waffenembargo
gegen China nicht aufzuheben. Ich nehme vorweg: Die
PDS im Bundestag stimmt diesem Antrag zu. Sie kön-
nen das für eine parlamentarische Stern- oder für eine
politische Geisterstunde halten. Denn dass die PDS und
die Opposition zur Rechten gleicher Meinung sind, ist
selten, sogar sehr selten.

Ich bin ziemlich sicher, dass wir nicht einmal dersel-
ben Meinung sind. Das wird spätestens bei den Gründen
deutlich, warum die PDS und weshalb die CDU/CSU






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau

gegen Rüstungsexporte nach China ist. Unsere Position
ist übersichtlich: Jeder Rüstungsexport ist unter dem
Strich ein Geschäft mit dem Tod


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


und somit das Gegenteil einer auf Frieden gerichteten
Weltwirtschaft. Das meinen wir ganz grundsätzlich.

CDU und CSU agieren eher taktisch, übrigens auch
Teile der Grünen: Deutsche Waffenexporte nach China
könnten die USA verstimmen. – Das hörte ich von der
CDU/CSU ebenso wie aus der Fraktion der Grünen. Das
heißt ja wohl: Rüstungsexporte sind okay; es müssen nur
die richtigen Käufer gefunden werden. Genau da setzt
übrigens der Konflikt mit dem Bundeskanzler an. Denn
China ist ein großer, profitabler Markt. Deshalb ist der
Kanzler für die Beseitigung aller Exportschranken.

Ich erinnere hier an eine Forderung, die ich schon in
der vorletzten Sitzungswoche zitiert habe:

Die Regierung muss im Blick behalten, dass Unter-
nehmen Rendite erzielen müssen, und dies geht bei
Rüstungsgütern nur selten, wenn man sich allein
auf die Belieferung der nationalen Streitkräfte be-
schränkt.

Dieses Zitat stammt von Dr. Diehl, dem Vorsitzenden
der gleichnamigen Stiftung, eines Konzerngeflechts im
weltweiten Rüstungsgeschäft, aus dem Jahre 2000 und
wurde damals der rot-grünen Bundesregierung ins
Stammbuch geschrieben.

Seitdem hat – darüber haben wir erst jüngst disku-
tiert – die Zahl deutscher Waffenlieferungen und Rüs-
tungsexporte massiv zugenommen. Die Beschränkun-
gen, die sich Rot-Grün selbst auferlegt hatte, sind längst
Makulatur. Denn deutsche Waffen- und Rüstungssys-
teme werden selbst in Krisengebiete exportiert. Diese
Fehlentwicklung ist, wie man weiß, nicht das Gegen-
argument der CDU/CSU. Sie ist insgesamt nicht gegen
deutsche Rüstungsprofite. Sie ist allerdings gegen neue
Reibereien mit den USA. Dies unterscheidet die Union
und die PDS im Deutschen Bundestag.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Der Bundeskanzler hat andere Optionen. Dass er
diese durchsetzen will, ließ er vor dieser Parlaments-
debatte durchblicken. Er meinte, er und nicht das Parla-
ment habe die Richtlinienkompetenz. Ich finde, das war
ein kalkulierter Affront gegen die Demokratie. Dass er
dazu heute kein Wort gesagt hat, spricht übrigens Bände.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Zurück zur Volksrepublik China. China ist gut für
VW-Geschäfte, sagen die einen. China ist schlecht im
Hinblick auf Menschenrechte, sagen die anderen. Wäre
ich unpolitisch neutral, würde ich sagen: Beides stimmt.

Ich bin aber nicht unpolitisch neutral. In China wer-
den Menschenrechte verletzt, und das massiv. So werden
zum Beispiel in China noch mehr Todesurteile voll-
streckt als im Mutterland der Todesstrafe, den USA.

In China wird ein Autogeschäft forciert, im Vergleich
zu dem die aktuelle Feinstaubdebatte in Deutschland ein
laues Lüftchen ist.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Dieses Autogeschäft vollzieht sich übrigens auch mit
deutscher Duldung, mit deutscher Beteiligung und mit
rot-grünem Eifer.

Jeder fünfte Mensch unserer Erde lebt in der Volksre-
publik China. Das spricht unbedingt für Dialog und für
Zusammenarbeit mit China. Die PDS ist dafür; sie
wirbt dafür und sie pflegt auch den Dialog. Nur eines
hilft niemandem, nämlich der Versuch, China als ge-
winnträchtigen Markt für deutsche und europäische
Waffenexporte zu erobern. Dazu sagt die PDS im Bun-
destag Nein.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Zum Schluss. Ich bekam vor der heutigen Debatte
Post von einem Journalisten einer linken, einer sehr lin-
ken Zeitung. Er mahnte meine Kollegin und mich: Ihr
werdet doch nicht etwa dem CDU/CSU-Antrag zustim-
men, noch dazu in einer Zeit, in der die USA ihren Mili-
tärring um China zusammenziehen und aufrüsten. Ich
sage sehr deutlich: Wir, die PDS im Bundestag, sind
dennoch dagegen, dass China mit deutscher oder
europäischer Hilfe hochrüstet. Wir wollen generell, dass
weltweit abgerüstet wird, dass Krieg kein Mittel der Po-
litik ist und dass das Geschäft mit dem Tod endlich welt-
weit geächtet wird.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Das unterscheidet uns von CDU und CSU. Deshalb wer-
den wir ihrem Antrag dann auch zustimmen.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516905900

Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege

Westerwelle das Wort.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1516906000

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Minister, ich

wollte meine Worte in Form einer Frage an Sie richten.
Vorab eine kleine Bemerkung: Ich bedanke mich zu-
nächst einmal ausdrücklich dafür, dass Sie der Meinung
sind, dass ich zu jung sei, um mich an die Debatten der
90er-Jahre zu erinnern. Das ist zu viel des Charmes und
das bin ich von Ihnen, Herr Minister, an dieser Stelle gar
nicht gewöhnt. Es ist wirklich enorm, was Druck alles
bewegen kann.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Joseph Fischer, Bundesminister: Merken Sie sich das gut!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

Jetzt komme ich zu der Frage, die ich angemeldet

hatte. Sie konnten es nicht sehen, weil Sie in diesem Mo-
ment in die andere Richtung geguckt haben. Herr Minis-
ter, Sie haben eine Rede gehalten, in der vieles enthalten
ist, dem man zustimmen kann, in der aber auch vieles
enthalten ist, dem man überhaupt nicht zustimmen kann.
Hier meine ich vor allem die Lagebeurteilung und die
politischen Konsequenzen. Wozu Sie in der gesamten
Rede nichts gesagt haben, ist: Sind Sie jetzt für die Auf-
hebung des Waffenembargos oder sind Sie dagegen?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich möchte diese Klarstellung einfach nur aus dem

Grunde haben, damit ich denen, die in zehn Jahren in der
Opposition sind,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Westerwelle, Sie!)


sagen kann: Ihr seid zu jung, um euch daran erinnern zu
können.

„Der Kanzler weiß, dass ich hier eine skeptischere
Haltung habe …“ Das haben Sie in der letzten Woche in
einem bemerkenswerten Interview in der „Zeit“ gesagt.
Was meinen Sie damit, wenn Sie davon sprechen, dass
Sie beim Thema Waffenembargo eine skeptischere Hal-
tung haben als der Bundeskanzler? Können Sie uns das
einmal sagen, damit wir wissen, dass diese Regierung
geschlossen ist – auch wenn das nicht immer eine Beru-
higung ist?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516906100

Erstens. Jede Antwort, die ich Ihnen jetzt gebe, wird

selbstverständlich für Sie nicht zureichend sein. Das
wollte ich als Vorbemerkung sagen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja oder nein? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


– Sehen Sie: Der Satz ist noch nicht zu Ende und schon
zeigt die Reaktion, wie Recht ich habe.

Zweitens. Das mit dem Druck sollten Sie sich mer-
ken. Diese Erfahrung kann ich als Älterer weitergeben
und Sie haben ja im Moment auch einiges um die Ohren –
weniger als ich, aber doch einiges.


(Heiterkeit – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich danke!)


– Bitte.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Keine Verbrü derung! – Heiterkeit)

– Sie sehen: Schon wieder Gefahr im Verzug, Kollege
Gerhardt. Fürchten Sie für sich?


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie trainieren für den Untersuchungsausschuss, Herr Bundesminister! Machen Sie Ihr Medientraining woanders!)

Ich komme zu meiner dritten Bemerkung und jetzt
bin ich ernsthaft. Ich will Ihre Frage so gut beantworten,
wie ich das kann.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Gretchenfrage!)


– Das ist keine Gretchenfrage. Ich habe als Außenminis-
ter den Auftrag, daran zu arbeiten, dass es einen Konsens
zur Aufhebung des Waffenembargos gibt. Das ist der
Auftrag, den wir haben.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aber was wollen Sie?)


Das will ich realisieren. Aber ich weiß, dass wir diesen
Konsens nicht schaffen können, wenn wir in den Berei-
chen, die ich genannt habe, keine Fortschritte erzielen. In-
sofern kommt das meiner eigenen Position sehr entgegen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Nehmen Sie mal die Hand aus der Tasche! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/ CSU]: Tja, wie soll sich die grüne Fraktion jetzt entscheiden? Was will uns der Außenminister damit sagen?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516906200

Das Wort hat jetzt die Fraktionsvorsitzende der CDU/

CSU, Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1516906300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst ein-

mal zur Aufklärung, wo der Bundeskanzler ist: Er ist
nicht „bei den Kirchen“, sondern beim argentinischen
Staatspräsidenten Kirchner.


(Anhaltende Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das scheint auf der Regierungsbank nicht immer ganz klar zu sein!)


Das ist ein kleiner Unterschied. So ist es jedenfalls uns
übermittelt worden. Von unserer Seite gilt er als ent-
schuldigt.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wenn es der Aufklärung dient!)


Meine Damen und Herren, nun zum Debattengegen-
stand. Wir diskutieren heute über eine Frage, mit der wir
uns in den nächsten Jahren sicherlich noch häufiger be-
schäftigen werden: ob das Waffenembargo gegen China
aufgehoben werden sollte oder nicht. Dabei geht es um
außenpolitische Fragen insgesamt.

Ich muss sagen: Wir debattieren dieses Thema erstens
und vor allem vor dem Hintergrund, dass die Sicherung
von Stabilität, Freiheit und Menschenrechten auch in
geographisch weit entfernten Regionen heute essenziell
für unser eigenes Wohlergehen geworden ist.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: So ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Die eine Welt, die lange Zeit nur in sehr theoretischen
Diskussionen ein Thema war, ist heute Wirklichkeit ge-
worden. Durch die Globalisierung müssen wir uns mit
den damit zusammenhängenden Fragen sehr intensiv be-
schäftigen.

Zweitens diskutieren wir darüber auch deshalb, weil
sich die Welt und die wirtschaftlichen Gewichte verän-
dern. Der asiatische Raum, insbesondere China, ist ein
Bereich großer Dynamik. Zudem verändern sich auch
die politischen Situationen; das ist überhaupt keine
Frage.

Drittens sind wir zu einer solchen Debatte genötigt,
weil wir feststellen müssen, dass die Bundesregierung
zunehmend weniger in der Lage ist, eine konsistente und
auf nachvollziehbaren Werten begründete Außenpolitik
durchzusetzen. Das sind die Gegenstände der heutigen
Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, wir sind uns einig, dass eine konsistente

Außenpolitik immer mit einer ganz nüchternen Be-
standsaufnahme beginnen sollte. Heute ist bereits oft ge-
sagt worden – ich will das wiederholen –, dass sich seit
1989 einiges getan hat. Neben den wirtschaftlichen Ent-
wicklungen gibt es Ansätze politischer Reformen auch
in China. China ist ein wichtiger Sicherheitspartner in
der Welt. Peking ist zum Beispiel bei der Lösung der
Nordkoreafrage unverzichtbar.


(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

China spielt als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat
eine entscheidende Rolle, auch im Blick auf die Refor-
mierung der UNO. Hinzu kommt, dass die ökonomische
Entwicklung Chinas außerordentlich dynamisch ist, dass
China ein wichtiger Handelspartner ist und dass daraus
große Chancen erwachsen. In diesen Punkten gibt es in
diesem Hause keine Unterschiede.

Diese Entwicklungen erkenne ich an. Wir alle haben
Interesse daran – das will ich ausdrücklich sagen –,
China immer stärker in die internationalen Institutionen
und ihre Regelwerke einzubinden. Deshalb teile ich die
Meinung der Bundesregierung, die – übrigens in großer
politischer Kontinuität zu früheren Bundesregierungen –
sagt: Wir brauchen eine strategische Partnerschaft mit
China. Bundeskanzler Schröder hat uns den Gefallen ge-
tan, ein Zitat von Bundeskanzler Kohl anzuführen. Aller-
dings hat er das Zitat an genau der Stelle abgebrochen, an
der es etwas unsicher wurde. Denn Bundeskanzler Kohl
hat, nachdem er die Bedeutung dieser strategischen Part-
nerschaft in der entsprechenden Debatte des Jahres 1995
angesprochen hat, hinzugefügt:

Es geht überhaupt nicht um eine Militarisierung un-
serer Beziehungen. Es geht in keiner Weise um
Rüstungs- oder Waffenhilfe.

Ich finde, es gehört zur Vollständigkeit des Zitats, auch
das zu erwähnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Texte immer ganz lesen! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Und dann spricht der von Verlogenheit!)


Der Europäische Rat hat dann – das hat die Bundesregie-
rung richtig dargestellt – in Aussicht gestellt, das 1989
ausgesprochene Embargo kontinuierlich im Lichte ent-
sprechender Fortschritte zu überprüfen. Genau in dieser
Kontinuität verstehen sich auch die letzten Beschlüsse
des Europäischen Rates. Deshalb, glaube ich, müsste
man doch Folgendes erwarten können – das hat aber
heute weder der Bundesaußenminister noch der Bundes-
kanzler gemacht –: dass man einfach einmal überprüft,
ob die Bedingungen für die Aufhebung des Waffenem-
bargos gegeben sind oder nicht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Genau richtig!)


Dazu gibt es doch Beschlüsse, einen aus dem Dezem-
ber 2003 und einen vom letzten Herbst zu einem Antrag
der Koalitionsfraktionen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Wir möchten einfach wissen: Stehen Sie zu diesen Be-
schlüssen oder nicht?

Sie haben die Aufhebung immer an sehr klare, nach-
vollziehbare Bedingungen geknüpft: erstens an kon-
krete Schritte Chinas in den Menschenrechts- und Min-
derheitsfragen. So haben Sie die Aufhebung immer auch
daran geknüpft – Herr Bundesaußenminister Fischer hat
das heute andeutungsweise gesagt –, dass der Internatio-
nale Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifi-
ziert wird; unter anderem, nicht ausschließlich. Sie ha-
ben von China zweitens einen substanziellen Beitrag zur
Entschärfung des Taiwankonflikts erwartet und Sie ha-
ben drittens die Einigung auf einen rechtlich verbindli-
chen EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren gewollt.
Das waren die Bedingungen. Nun sind Sie bei allen drei
Punkten „dran“, wie Sie gerade gesagt haben. Offen-
sichtlich kann dieses „Dransein“ aber lange dauern.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Die Frage, die wir heute gerne von Ihnen beantwortet
haben wollten, war ja nicht, ob man das Waffenembargo
gegen China vielleicht irgendwann aufheben kann – da
sagen wir in diesem Hause wohl alle: das könnte sein,
das schließt niemand aus –; die Frage ist, ob Sie die Po-
sition vertreten, dass es jetzt aufgehoben werden kann.
Oder vertreten Sie die Position, dass es jetzt noch nicht
aufgehoben werden kann?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese Frage muss sich doch daran ausrichten, ob das,
was Sie sich selbst als Bedingungen gestellt haben, nun
als erfüllt gilt. Da muss ich ganz einfach sagen: Ich kann
das nicht erkennen. Ich kann vielleicht erkennen, dass
Schritte in die richtige Richtung da sind, aber ich kann
überhaupt nicht erkennen, dass diese Bedingungen er-
füllt sind.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Oder aber Sie müssen uns mitteilen: Es gibt neue Einsich-
ten, aus denen heraus Sie von den bisher gestellten Bedin-
gungen abweichen. Dann müssen wir uns fragen – das
will ich hier gerne tun, weil es von der Koalitionsseite
nicht gemacht wurde –: Gibt es im deutschen Interesse
vielleicht Gründe, einen ganz anderen Weg einzuschla-
gen? Ich persönlich bin der Überzeugung – ich hoffe, Sie
sind es auch –, dass sich die Leitlinien der deutschen
Chinapolitik nicht über Nacht verändert haben. Deshalb
muss man noch einmal an vier Punkten festmachen, was
diese Leitlinien sind:

Erstens. Wir haben ein vitales Interesse an der Sicher-
heit und Stabilität in Ostasien. China hat einen großen
Rüstungshaushalt; keine Frage. Es ist nicht klar, ob
China auf Dauer eine rein defensive Militärstrategie ver-
folgen oder ob es offensiver vorgehen wird. Der Bundes-
kanzler hat im Dezember 2003 bei seinem Staatsbesuch
in China vom Waffenembargo als einem Relikt des Kal-
ten Krieges gesprochen. Meine Damen und Herren, ich
rate uns allen trotz der ganz offensichtlich veränderten
Situation in Asien: Wir sollten die Situation, die wir dort
heute vorfinden, nun wirklich nicht mit der Europas
nach dem Kalten Krieg vergleichen.


(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

In Europa ist der Siegeszug der Freiheit – und damit
auch die deutsche Einheit – in einer Art und Weise mög-
lich geworden, die man nun wirklich nicht eins zu eins
auf die Region in Asien übertragen sollte; ich zumindest
kann davor nur warnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wer tut denn das?)


– Wer mit Blick auf das Waffenembargo von einem „Re-
likt des Kalten Krieges“ spricht, überträgt die Denkmo-
delle, die wir in Europa angewandt haben, auf die Re-
gion, zu der auch China gehört. Das lehne ich ab.

Der japanische Ministerpräsident Koizumi hat sich
anlässlich des Besuchs von Präsident Chirac sehr besorgt
über die Pläne der Europäischen Union geäußert. Wir
müssen uns an dieser Stelle fragen: Nehmen wir diese
Sorgen ernst – das gebietet der Respekt – oder nehmen
wir sie nicht ernst? Früher, als Sie in der Opposition wa-
ren, hat Herr Erler Bundeskanzler Kohl zum Beispiel zu-
gerufen, dass er mit der Sensibilität eines hospitalisierten
Nilpferds mit den Sorgen der Region umgeht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wer ist hier das Nilpferd? – Zuruf von der CDU/CSU: Unser Nilpferd heißt Gerd!)


Meine Damen und Herren, ich würde mich zu solchen
Vergleichen gar nicht in der Lage sehen. Aber ich rate
uns, Japans Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen, wenn
wir zu einer friedlichen Entwicklung, zu einer guten Ent-
wicklung kommen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Wir brauchen einen glaubwürdigen Einsatz

für Freiheit und Menschenrechte. Es wird häufig argu-
mentiert, Moral und Interesse stünden in der Außenpoli-
tik in einem Gegensatz.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ich glaube, wir selbst haben in Deutschland die we-
sentliche Erfahrung gemacht, dass es immer auch ein
fundamentaler Sicherheitsfaktor ist, Menschen- und
Bürgerrechte zu gewähren. Wenn man das nicht tut,
kann man jederzeit in eine mögliche explosive Entwick-
lung geraten. Das müssen wir verhindern. Deshalb müs-
sen wir uns aus Sicherheitsinteressen für die Durchset-
zung von Menschenrechten einsetzen. Das ist der
Zusammenhang, den wir nie aufgeben dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In dem von uns geführten Dialog über Sicherheits-

und Menschenrechtsfragen, den ich ausdrücklich unter-
stütze, müssen wir die Betroffenen ernst nehmen. Ein
Studentenführer bei den damaligen Vorgängen auf dem
Platz des Himmlischen Friedens hat ganz klar gesagt:
Ich kann nicht erkennen, wie der Verkauf von modernen
Waffen aus Europa dazu beitragen kann, den Menschen
in China mehr Freiheit zu bringen. Genau über diesen
Punkt müssen wir uns hier auseinander setzen. Der Bun-
deskanzler hat in seinem Interview in der „Zeit“, in dem
er auch die große Rolle des Parlaments gewürdigt bzw.
nicht gewürdigt hat, die Aufhebung des Waffenembar-
gos damit begründet, dass man so Einfluss auf die De-
mokratisierung der Gesellschaft in China nehmen
könnte. Genau das bezweifeln wir; genau das halten wir
für falsch. Das muss hier festgestellt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Bundesaußenminister, auch wenn Sie sich gerne
drücken wollen,


(Joseph Fischer, Bundesminister: Nein!)

müssen Sie schon sagen, ob Sie die Aufhebung des Waf-
fenembargos für ein geeignetes Mittel halten, Einfluss
auf die Demokratisierung in China zu nehmen. Was bis-
her im Menschenrechtsdialog erreicht wurde, wurde
ohne diesen Schritt erreicht. Im Übrigen glaube ich, dass
eine gefestigte, klare und wertebegründete Position viel
mehr Eindruck auf die chinesische Gesellschaft und die
chinesische Regierung macht


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

als das Prinzip Hoffnung nach dem Motto: Wenn wir
euch etwas zugestehen, könnte es ja vielleicht sein, dass
ihr euch in bestimmten Fragen bewegt. Das halte ich für
falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Drittens. Daneben stellt sich natürlich die Frage, wie
Europa Achtung und Anerkennung gewinnt. Gewinnt
Europa Achtung und Anerkennung, wenn es diesen Weg
zerstritten geht und wenn jede Regierung in Europa et-
was anderes sagt, oder gewinnt Europa Achtung und An-
erkennung, wenn es die gemeinsam gefassten Ratsbe-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

schlüsse irgendwann auch gemeinsam beurteilt? Dann
sollte es eines Tages auch möglich sein, sie gemeinsam
zu verändern. Aber all das geschieht nicht.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Doch!)

– Sie sind skeptischer, der Bundeskanzler ist dafür. Der
eine glaubt, die Gesellschaft in China verändern zu kön-
nen, der andere glaubt, es sei besser, Waffen zu liefern.

Im Übrigen: Der Bundeskanzler hat uns heute gesagt,
er wisse nicht, was die französische Regierung will. Le-
sen Sie die Worte der französischen Verteidigungsminis-
terin nach!


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, hochinteressant!)


Die französische Verteidigungsministerin sagt: Wir wol-
len Waffen nach China liefern, weil wir glauben, dass
die Chinesen die Technologie nicht erlernen, wenn wir
sie liefern, was immer noch besser ist, als wenn sie die
Technologie selbst entwickeln.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das muss man sich mal überlegen!)


Das muss man sich bei allem Respekt vor der französi-
schen Regierung einmal überlegen, einerseits im Hin-
blick auf das Selbstverständnis der Rolle, die man den
Chinesen zutraut, und andererseits im Hinblick auf die
Frage, was mit diesen Waffen passieren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage: Wir brauchen einen kraftvollen europäi-

schen Dialog. Damit kommen wir wieder zu einer inte-
ressanten Frage. Nach meiner festen Auffassung kann
dieser kraftvolle europäische Dialog nur stattfinden,
wenn sich die westliche Welt an dieser Stelle einig ist
und wenn Japan und vor allen Dingen die Vereinigten
Staaten von Amerika eingebunden sind.

Herr Bundesaußenminister – oder besser: Herr
Bundesverteidigungsminister, falls er noch da ist –, nun
erinnere ich mich daran, dass auf der Münchener
Sicherheitskonferenz eine bedeutende Rede des Bun-
deskanzlers verlesen wurde.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war was, ja!)


Es wurde darüber gesprochen, dass man möchte, dass
die NATO ihre neue Rolle im 21. Jahrhundert findet. Ich
stimme hier mit dem Bundesverteidigungsminister und
General Kujat überein: Es wäre doch am besten, wenn
man der NATO eine neue politische Rolle geben möchte,
Fragen dieser Art nicht bei Staatsbesuchen in China oder
in der „Zeit“ anzusprechen,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

sondern in der NATO selbst, in dem politischen Bündnis,
in dem solche Fragen auch zuerst diskutiert werden müs-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb glaube ich, dass der Menschenrechtsdialog und
unser westliches Auftreten in der Frage, wie wir unsere
Werte auch in China plausibel machen können, nicht da-
für sprechen, jetzt voreilig und zerstritten aufzutreten
und zu sagen, was man in Bezug auf das Waffenembargo
gerade denkt.

Viertens zu den wirtschaftlichen Interessen unseres
Landes. Auch da kann ich nur sagen: Aufgrund der Ge-
schichte der deutsch-chinesischen Beziehungen spricht
nichts, aber auch gar nichts dafür, dass ein vorschnelles
Festlegen auf die Aufhebung des Waffenembargos mit
unserem wirtschaftlichen Interesse in irgendeiner Weise
positiv in Zusammenhang steht. Die Wirtschaftsbezie-
hungen sind gut und entwickeln sich prächtig. Die ein-
zige Gefahr, die Sie eingehen, wenn Sie immer wieder
betonen, dass Deutschland sowieso keine Waffen nach
China liefern will, sehe ich in der transatlantischen Rüs-
tungskooperation. Die Amerikaner werden sich nämlich
sehr wohl überlegen, wie viele gemeinsame strategische
Projekte sie mit Europa angehen, wenn Europa nicht
willens ist, eine abgestimmte Haltung zum Waffenem-
bargo gegenüber China zu finden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir wollen, dass sich China vernünftig entwickelt.
Wir wollen herausragende deutsch-chinesische Bezie-
hungen. Aber wir wollen eine Außenpolitik, die sich auf
Werte gründet und die diese Wertediskussion in der ak-
tuellen Umsetzung jedes Schrittes für die Menschen
auch wirklich nachvollziehbar einbezieht.


(Jörg Tauss [SPD]: Mir kommen gleich die Tränen!)


Angesichts dessen, was wir heute von der Bundesregie-
rung gehört haben, besteht völlige Unklarheit darüber,
was der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister
mit dem Spagat erreichen wollen, einerseits die beste-
henden Beschlüsse zu akzeptieren und für sie zu werben,
aber andererseits schon jetzt von der Aufhebung des
Waffenembargos zu sprechen. Sie haben sich nicht dazu
durchringen können – und das ist das eigentlich Bedau-
erliche –, den heutigen Zustand in der Volksrepublik
China zu benennen und zu sagen, ob das reicht, um das
Waffenembargo aufzuheben, oder nicht. Wir sagen: Da-
für reicht die jetzige Situation nicht. Damit bekommen
die Bürgerinnen und Bürger wenigstens von der Unions-
fraktion eine klare Antwort.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516906400

Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der

SPD-Fraktion.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1516906500

Frau Kollegin Merkel, was wäre gewesen, wenn Sie

1995 eine vergleichbar werteorientierte Rede in Ihrer
Fraktion oder im Kabinett gehalten hätten, als der dama-
lige Bundeskanzler zu denen gereist ist, deren Hände






(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)


noch von Blut trieften, das vom Massaker auf dem
Tiananmen herrührte?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich wäre im Kabinett gerne Mäuschen gewesen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das sind Sie doch!)


Ich kann mich aber kaum daran erinnern, dass Sie sich
dazu in irgendeiner Weise kritisch geäußert hätten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Und wie hilft Ihnen das jetzt weiter?)


– Herr Gerhardt, Sie waren damals Vorsitzender der
FDP. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie auch nur
eine einzige kritische Bemerkung gemacht haben. Statt-
dessen hat Herr Haussmann eine Rede ausschließlich
zum Thema der ökonomischen Kooperation gehalten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Und jetzt?)

Lieber Kollege Dr. Schäuble, Sie waren damals Frak-

tionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Ich finde es wunderbar – das ist auch berechtigt –, dass
Sie Werteorientierung einfordern. Aber ich bitte Sie:
Bleiben Sie redlich!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Werden!)


Ich fände es ganz gut, sich, wenn man über Werte redet,
einmal selbstkritisch Gedanken darüber zu machen, was
Werteorientierung bedeutet, etwa in der Frage des Irak-
krieges.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Auch Redlichkeit ist ein Wert!)


Wie verhalten wir uns in der Frage der Werteorientie-
rung gegenüber unserem interessantesten und wichtigs-
ten Bündnispartner, den USA? Die USA haben Mitte der
90er-Jahre Waffen im Wert von 32 Millionen Dollar
nach China geliefert. Für mehr als 360 Millionen Dollar
wurden im Jahr 2003 Waffen an Taiwan verkauft.

Liebe Frau Kollegin Fraktions- und Parteivorsitzende,
vielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken,
wenn Sie sich in Bezug auf den Begriff „Relikt des Kal-
ten Krieges“, wie es der Bundeskanzler in China genannt
hat, kritisch äußern. Schauen Sie sich doch die Spannun-
gen in dieser Region an.


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Eben!)

Schauen Sie sich an, wie sich Japan und China gegensei-
tig in nationalistischer Weise anfeinden, Stichwort:
Schulbücher. Schauen Sie sich den fast autonomen Rüs-
tungswettlauf in dieser Region an. Erinnert das nicht an
unsere Erfahrungen im Kalten Krieg?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sollten wir deshalb nicht alles dafür tun, dass sich Ab-
rüstungsprozesse in jener Region durchsetzen? Das ist
einer der zentralen Punkte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516906600

Herr Kollege Weisskirchen, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Röttgen?


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1516906700

Herr Präsident, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516906800

Bitte schön, Herr Röttgen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1516906900

Herr Kollege Weisskirchen, ich möchte Ihnen eine

Zwischenfrage zu einem Redeauszug aus der Debatte
vom 23. November 1995 stellen. Ich zitiere den Redner:

Denken Sie vielleicht auch einmal darüber nach,
welche Ängste vor China im südostasiatischen
Raum vorhanden sind. Haben Sie nicht zur Kennt-
nis genommen, welche Sorgen in Japan, welche
Sorgen überall in der Region gegenüber China be-
stehen? Es kommt darauf an, in der westlichen
Staatengemeinschaft eine abgestimmte Strategie zu
entwickeln, wie China in eine Allianz der Sicher-
heitspartnerschaften in Asien eingebunden werden
kann. Das wäre der entscheidende Punkt. Aber wo
bleibt Ihre Rückkoppelung mit den USA? Wo bleibt
Ihre Rückkoppelung mit der Europäischen Union?
Was Sie gemacht haben, war Politik auf eigene
Faust. Alleingänge und Sonderwege, Herr Bundes-
kanzler, sind für Deutschland allemal schlecht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Meine Frage, Herr Kollege: Können Sie bestätigen,

dass der Redner Gert Weisskirchen war?

(Beifall bei der CDU/CSU)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1516907000

Das Argument bleibt aber, wie Sie sehen, immer noch

richtig.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Setzen Sie sich doch einmal durch!)

Das, Herr Kollege Röttgen, ist der zentrale Punkt. Die
Europäische Union hat – das hat Frau Kollegin Merkel
bestätigt – seit 1993, also während Ihrer Regierungszeit,
überlegt, wie sie aus dem Dilemma, das sie selbst ge-
schaffen hat, wieder herauskommt.


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Nein!)

– Selbstverständlich. Da haben Sie aber ein kurzes Ge-
dächtnis. Darüber hat es innerhalb der Europäischen
Union schon eine lange Debatte gegeben. Ich nenne
Ihnen den Schlüssel, mit dem wir aus dem Dilemma
herauskommen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Zurücktreten! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Stimmt das denn noch?)


– Ja, in der Tendenz stimmt das leider immer noch.






(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)


Hören Sie einmal, was der Europäische Rat am 16./

17. Dezember beschlossen hat:
In dieser Hinsicht erinnert der Europäische Rat an
die Bedeutung der Kriterien des Verhaltenskodex
für Waffenausfuhren, insbesondere der Kriterien in
Bezug auf Menschenrechte, Stabilität und Sicher-
heit in der Region sowie die nationale Sicherheit
von befreundeten Ländern und Bündnispartnern.

Das ist der zentrale Schlüssel.

(Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])


Wenn es uns auf der europäischen Ebene gelingt, den
Verhaltenskodex durchzusetzen – das war übrigens auch
der gemeinsame Beschluss des Deutschen Bundesta-
ges –, dann kann es gelingen, das Waffenembargo aufzu-
heben; denn dann haben wir einen verrechtlichten Pro-
zess und dann ist es nicht mehr nötig, überhaupt Waffen
in der Form, in der es bislang geschieht, nach China zu
exportieren. Das ist der Schlüssel. Diesen Schlüssel in
die Hand zu nehmen, hat die Bundesregierung auf dem
Gipfel versprochen. Ich hoffe und wünsche, dass China
bereit ist, all die Bedingungen, die am 16. und
17. Dezember formuliert worden sind, so zu erfüllen,
dass das Waffenembargo aufgehoben werden kann.
Heute können wir diese Antwort noch nicht geben. Ich
hoffe, wir können im Juni erkennen, ob das möglich ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516907100

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Fritz Kuhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516907200

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich möchte für die Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen klar zum Ausdruck bringen, dass wir zum jetzi-
gen Zeitpunkt nicht für eine Aufhebung des Waffen-
embargos gegenüber China sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Gründe dafür sind einfach; wir haben sie in dem
Parlamentsbeschluss des Bundestages vom Oktober ver-
gangenen Jahres dargelegt: Um das Waffenembargo
aufheben zu können, muss es erstens ein klares euro-
päisches Reglement geben, dass aus Europa keine Rüs-
tungsgüter und Waffen nach China oder sonst wohin ex-
portiert werden dürfen, wenn die betreffenden Staaten
nicht bestimmte Bedingungen erfüllen. Ein solches Re-
gelwerk auf europäischer Ebene in einer verbindlichen
und nachprüfbaren Form existiert gegenwärtig noch
nicht. Es wird zwar darüber verhandelt, aber es hat noch
nicht in dem Maße verbindlichen Charakter, wie es sich
der Deutsche Bundestag gewünscht hat.

Zweitens ist es noch nicht zu einer Entspannung des
Konfliktherdes zwischen China und Taiwan gekom-
men. Das chinesische Gesetz hat in Bezug auf Taiwan
eher zu einer Verschärfung geführt.
Drittens sind keine substanziellen Verbesserungen
hinsichtlich der Menschenrechte erfolgt. Die Nichtrati-
fizierung des Pakts über die politischen und bürgerlichen
Rechte, die Frage der Todesstrafe und der Umgang mit
Minderheiten zeigen, dass in den letzten Monaten bzw.
im letzten Jahr eher eine Verschärfung der Menschen-
rechtssituation in China stattgefunden hat als eine Ent-
spannung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516907300

Herr Kollege Kuhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Westerwelle?


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516907400

Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516907500

Bitte schön, Herr Westerwelle.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1516907600

Herr Kollege Kuhn, Sie haben Ihre Rede in einer be-

merkenswerten Klarheit eröffnet. Sie haben eine Be-
gründung gegeben, die in weiten Teilen mit unserer
übereinstimmt bzw. ihr ähnlich ist. Deswegen frage ich
Sie: Wird die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
dem Antrag der FDP und der CDU/CSU im Deutschen
Bundestag zustimmen?


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516907700

Ich will gleich auf Ihre Frage antworten, Herr

Westerwelle, aber vorher noch ein Argument anführen.
Wir haben im Oktober deutlich gemacht, dass wir nur

unter den von mir wiederholten Bedingungen für eine
Aufhebung des Waffenembargos sind. Ihr Antrag enthält
gegenüber der Situation im Oktober nichts Neues. Neu
ist die Verschärfung der Situation im Zusammenhang
mit Taiwan; ansonsten ist die Situation unverändert. In-
sofern haben wir eine klare Position. Wir hoffen und set-
zen darauf, dass die europäische Diskussion über die
Aufhebung des Waffenembargos dazu führen wird, dass
die Aufhebung mit Konditionen verbunden ist und erst
dann erfolgt, wenn bestimmte Fortschritte hinsichtlich
der Menschenrechtslage und gegenüber Taiwan und
auch auf EU-Ebene in der Frage der Rüstungsexporte er-
reicht werden. Wir werden diese Position im Ausschuss
bekräftigen.

Unsere Fraktion rückt nicht von dem ab, was wir im
Oktober beschlossen haben. Ihr Antrag stellt keine Ver-
stärkung des im Oktober gefassten Beschlusses dar, son-
dern lediglich eine terminliche Verkürzung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt komme ich zu dem springenden Punkt. Der Bun-

deskanzler ist zwar leider nicht mehr anwesend – er
konnte nicht länger bleiben –, aber ich will es trotzdem
klar sagen: Wir wollen, dass das Waffenembargo nur






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

dann aufgehoben wird, wenn es wirklich substanzielle
Verbesserungen gibt.

Wir verstehen den europäischen Diskussionsprozess
so – Sie wissen, Herr Westerwelle, dass die Debatte in
gewisser Weise virtuell ist, weil das Embargo nur dann
aufgehoben werden kann, wenn in Europa Einstimmig-
keit darüber besteht –, dass es dabei um die Frage geht,
welche Signale von der chinesischen Regierung kom-
men werden und müssen.


(Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Deswegen sollte der Bundestag, wenn es nicht um eine
Vorführung einzelner Fraktionen geht, in klarer Ent-
schlossenheit darauf drängen, dass aus China Signale
kommen dahin gehend, dass es zu substanziellen Verän-
derungen in der Menschenrechtsfrage kommt. In diesem
Fall kann das Waffenembargo aufgehoben werden, aber
nur dann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516907800

Herr Kollege Kuhn!

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516907900

Ich möchte jetzt meine Argumentation zu Ende füh-

ren.
Damit kommen wir zu der substanziellen Streitfrage

– auch mit dem Bundeskanzler –, um die es bei diesem
Thema geht; ich will nicht verhehlen, dass es unter-
schiedliche Auffassungen gibt.

Die Frage ist, was der Menschenrechtssituation in
China mehr nützt. Führt das Vorantreiben des wirt-
schaftlichen Prozesses zu einem Automatismus bei der
Verbesserung der Menschenrechtssituation?

Herr Schäuble und Frau Merkel, ich finde es interes-
sant, dass Sie diese Position von Bundeskanzler
Schröder einst selbst vertreten haben. Als der Deutsche
Bundestag im Dezember 1992 die Sanktionen, die 1989
gemeinsam hier beschlossen worden waren, mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen – damals CDU/CSU
und FDP – gegen die Stimmen der aus den Grünen und
der SPD bestehenden Opposition aufgehoben hat, haben
Sie diesen Beschluss folgendermaßen begründet:

Trotz aller Bemühungen der Führung der Kommu-
nistischen Partei Chinas, die Reformen auf das
Wirtschaftssystem zu begrenzen, wird nach Auffas-
sung des Deutschen Bundestags eine konsequente
Liberalisierung der Wirtschaft Chinas und eine stär-
kere Integration Chinas in die internationale Ge-
meinschaft innerchinesische Bestrebungen nach
mehr Rechtssicherheit und politischer Öffnung ver-
stärken und auf Dauer zu politischen und gesell-
schaftlichen Reformen führen.

Sie haben damals also die Position eingenommen, die
Sie heute dem Kanzler vorwerfen. Diese bedeutet ein-
fach formuliert: Eine wirtschaftliche Öffnung wird auto-
matisch zu Verbesserungen auf politischer, rechtsstaatli-
cher und menschenrechtlicher Ebene führen. Deswegen
ist Ihr heutiger Vorwurf an den Bundeskanzler an dieser
Stelle nicht richtig.

Ich glaube aber, dass die These, die Kanzler Schröder
vorgetragen hat, falsch ist. China ist eine der letzten we-
nigen Einparteiendiktaturen auf der Welt. China hat zwar
seit 20 Jahren eine wirtschaftliche Öffnung vollzogen,
die zum Teil auch eine gesellschaftliche Öffnung war.
Aber China hat in dieser Zeit niemals wirklich eine
politische Öffnung vollzogen, die allein zu Demokrati-
sierung und Rechtsstaatlichkeit sowie zu einer Verbesse-
rung der Menschenrechtssituation führt. Das ist der
Kernpunkt, über den wir uns streiten. Aber Sie nehmen
eine falsche Position ein, weil Sie damals das Gleiche er-
zählt haben, wie wir heute gehört haben.

Ich sage Ihnen klar: Nur ein Signal für politische Re-
formen, Demokratie und Menschenrechtsreformen
kann das Problem lösen. Ich sehe das so: Der EU-Pro-
zess muss zu einer Ratifizierung des Internationalen
Paktes über bürgerliche und politische Rechte und damit
zu Verbesserungen führen. Dann könnte man eine posi-
tive Diskussion führen, die etwas Konstruktives für die
Menschen in China bringt. Dafür werden die Grünen
eintreten. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregie-
rung diesen Prozess in der europäischen Diskussion ver-
stärken und vertiefen wird.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516908000

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/5103 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit liegen
soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowie
die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:
27 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der gesundheitlichen Prävention
– Drucksache 15/5214 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Abfallverbringungsgesetzes sowie zur Auf-
lösung und Abwicklung der Anstalt Solidar-
fonds Abfallrückführung
– Drucksache 15/5243 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes
– Drucksache 15/5221 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes
sowie des Hochschulstatistikgesetzes
– Drucksache 15/5215 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novel-
lierung des Verwaltungszustellungsrechts
– Drucksache 15/5216 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
benennung des Bundesgrenzschutzes in Bun-
despolizei
– Drucksache 15/5217 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Haushaltsausschuss

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Verordnung (EG) 805/2004 über
einen Europäischen Vollstreckungstitel für un-

(EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz)

– Drucksache 15/5222 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen der Vereinten Nationen vom
15. November 2000 gegen die grenzüberschrei-
tende organisierte Kriminalität sowie zu den
Zusatzprotokollen gegen den Menschenhandel
und gegen die Schleusung von Migranten
– Drucksache 15/5150 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Belastungen für Nordhorn und Siegenburg
durch neue Nutzungsanordnung für die dorti-
gen Luft-Boden-Schießplätze reduzieren
– Drucksache 15/5047 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

j) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-
desrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2004
– Einzelplan 20 –
– Drucksache 15/5005 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

ZP 4 a)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 15/5244 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Richtlinie 2003/105/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom
16. Dezember 2003 zur Änderung der Richt-
linie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der
Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährli-
chen Stoffen
– Drucksache 15/5220 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Frie-
densmission der Vereinten Nationen in Sudan
UNMIS (United Nations Mission in Sudan) auf
Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen vom
24. März 2005
– Drucksache 15/5265 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an

die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/5214 zu Ta-
gesordnungspunkt 27 a soll zusätzlich an den Innenaus-
schuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirt-
schaft und Arbeit, den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschuss ge-
mäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Die
Vorlage auf Drucksache 15/5005 zu Tagesordnungs-
punkt 27 j soll nicht an den Ausschuss für Wirtschaft
und Arbeit überwiesen werden. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Unterschiedliche Forderungen aus der CDU
zur Zukunft des BAföG

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1516908100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die große BAföG-Expertin Merkel hat sich – auch Frau
Böhmer sehe ich im Moment nicht mehr – nach ihrem
Chinavortrag verabschiedet. Das ist eigentlich schade;
denn sie hat kürzlich eine bemerkenswerte Äußerung ge-
tan. Sie wurde in der Presse mit dem legendären Satz zi-
tiert: „Niemand hat die Absicht, das BAföG abzuschaf-
fen.“


(René Röspel [SPD]: Und dann kam die Mauer!)


– Das kam mir ebenfalls sehr bekannt vor, lieber Kollege
Röspel. – 1961 hat Ulbricht mit hoher Stimme gesagt:
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Ich
will zwar Frau Merkel nicht mit Herrn Ulbricht verglei-
chen; um keine Missverständnisse aufkommen zu las-
sen. Aber die Halbwertszeit der Ankündigung von Herrn
Ulbricht, keine Mauer zu errichten, bis zum Mauerbau
betrug zwei Monate. Ich fürchte, die Halbwertszeit der
Ankündigung von Frau Merkel wird nicht ganz so lang
sein.


(Marion Seib [CDU/CSU]: Das ist ja direkt unanständig!)


Frau Schavan ist in der Union offensichtlich nicht
ganz so allein wie Frau Merkel. Der niedersächsische
Wissenschaftsminister hat gesagt: Frau Schavan hat
Recht. In Baden-Württemberg hat Frau Schavan
Rückendeckung von dem dortigen Wissenschaftsminis-
ter Frankenberg bekommen. Frau Wanka, Vorsitzende
der Kultusministerkonferenz und Mitglied der CDU-
Fraktion in Brandenburg, hat Frau Schavan Recht gege-
ben. Die Einzige, die Frau Schavan eigentlich nicht so
richtig Recht gegeben hat, ist Frau Merkel.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das reicht aber!)


Nun kommen wir zu dem, was Frau Schavan – im-
merhin Stellvertreterin von Frau Merkel – gesagt hat. Sie
hat gesagt: Die Union wird im Jahre 2006 das BAföG
abschaffen; das ist ganz sicher.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat sie nicht gesagt!)


Genau das ist das Thema der heutigen Aktuellen Stunde.

(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Was Sie sagen, ist verlogen!)

Die Konzepte der CDU liegen nun auf dem Tisch. Ich

bin eigentlich dankbar dafür, dass hier durch Frau
Schavan für Klarheit gesorgt worden ist.


(Nicolette Kressl [SPD]: „Konzept“ ist ein bisschen übertrieben!)


– Na ja, ein paar Konzepte sind uns schon bekannt. Bei-
spielsweise wurde heute von Herrn Laumann angekün-
digt, man solle den jungen Menschen die Ausbildungs-
vergütung wegnehmen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch, Herr Tauss! Hören Sie doch zu, bevor Sie wiedergeben, was Herr Laumann gesagt hat! Sie verbreiten hier die Unwahrheit!)


Das war heute Morgen eine zentrale Aussage Ihres desi-
gnierten Arbeitsministers. Wir alle, die wir hier saßen,
haben das gehört. Im Protokoll können Sie es nachlesen.

Sie haben aber nicht nur für die Auszubildenden eine
Überraschung parat, sondern auch für die Studierenden:
Sie wollen Studiengebühren einführen. Diese sollen
durch Bildungsdarlehen – möglicherweise in sechsstelli-
ger Höhe – finanziert werden, das heißt durch Schulden,
die die jungen Menschen machen müssen. In Ihre Regie-
rungszeit fiel die Entscheidung, das BAföG dahin ge-
hend umzustellen, dass es als Darlehen gewährt wird.
Ein Rückgang der Zahl der Studierenden, insbesondere
in den Naturwissenschaften, war die Folge, lieber Kol-
lege Bergner.

Sie haben angekündigt, für 2005 in Bezug auf BAföG
und Studiengebühren ein Gesamtkonzept vorzulegen.
Auch Sie haben nämlich erkannt, dass es relativ wenig
Sinn macht, Studiengebühren zu erheben und BAföG
über die Einnahmen aus den Studiengebühren zu finan-
zieren. Das ist in der Tat richtig. Herr Dräger hatte schon
für 2004 angekündigt, dass zu diesen Widersprüchlich-
keiten Ihrerseits eine modellhafte Aufarbeitung erfolgt.
Das heißt: Sie sagen uns, wie Sie diesen Widerspruch lö-
sen wollen. Mittlerweile ist dies für 2005 angekündigt
worden.

Ich bin mir fast sicher, dass auch das nicht der Fall
sein wird; denn mittlerweile haben Sie verkündet, dass
Sie sich zuvor mit den Arbeitgebern beraten wollen. Das
ist hochinteressant. Die Arbeitgeber haben nämlich nicht
gesagt: Niemand hat die Absicht, das BAföG abzuschaf-
fen. Die Arbeitgeber, mit denen Sie jetzt in dieser Frage






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss

verhandeln wollen, haben vielmehr gesagt: Wir wollen
nicht nur das BAföG abschaffen,


(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])

sondern auch das Kindergeld. Das eingesparte Kinder-
geld und das eingesparte BAföG sollen zusammengelegt
und den Studierenden gegeben werden, damit sie mit
diesem Geld künftig ihre Studiengebühren bezahlen
können. – Einen solchen Unfug können Sie mit den Ar-
beitgebern gern beraten. Ich sage Ihnen allerdings: Wir
werden dies mit den Arbeitgebern in dieser Form nicht
beraten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Union will das BAföG im Jahr 2006 abschaffen.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt!)

Dazu sage ich in aller Klarheit: Mit unserer Mehrheit
werden wir dafür sorgen, dass das BAföG 2006 erhalten
bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit unserer Mehrheit werden wir dafür sorgen, dass Ihre
Angriffe auf die Ausbildungsvergütungen wirkungslos
bleiben. Mit unserer Mehrheit werden wir dafür sorgen,
dass es Ihnen nicht gelingen wird, jungen Menschen
Schulden in Höhe eines bis zu sechsstelligen Betrages
aufzubürden, damit sie ihre Bildung finanzieren können.
Das ist Ihr Weg. Dieser Weg ist unanständig. Es ist gut,
dass er klar aufgezeigt worden ist.

Wir haben eine eindeutige Alternative. Ihr Weg ist mit
uns nicht machbar. Ihr Weg wäre ein Verhängnis. Er
würde zu weniger Studierenden in unserem Land und zu
einem billigen Abkassieren bei den Studierenden und ih-
ren Eltern führen. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Axel E. Fischer [KarlsruheLand] [CDU/CSU]: Diese Rede war so etwas von verlogen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516908200

Das Wort hat die Kollegin Katherina Reiche von der

CDU/CSU-Fraktion.


Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1516908300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das

künstliche Aufblasen und die gespielte Erregung, Herr
Tauss, sind wirklich unerträglich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch etwas war unerträglich. Sie haben gestern eine De-
batte, die viele Tausend Menschen in Berlin und darüber
hinaus bewegt hat, schlichtweg boykottiert. Sie haben
damit das Parlament missachtet.


(Jörg Tauss [SPD]: Nicht zuständig, Frau Kollegin!)

Dass viele Menschen das, was Sie in Berlin vorhaben,
ablehnen, nämlich einen staatlichen Werteunterricht ein-
zuführen, haben Sie ignoriert. Deshalb jetzt Ihre künstli-
che Aufregung über eine angeblich geplante Abschaf-
fung des BAföG!


(Jörg Tauss [SPD]: Sie missachten die Länderrechte! – Gegenruf des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist lächerlich aus Ihrem Mund, Herr Tauss!)


Das ist geheuchelt. Was Sie hier tun, ist reine Show. So
muss man die heutige Aktuelle Stunde bewerten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Gestern war weniger Show? Das war wirklich peinliches Kabarett!)


Sie können sich rasch Klarheit über das verschaffen,
was die CDU will. Sie können es nachlesen in unserem
Parteitagsbeschluss. Die CDU befürwortet eine Kombi-
nation aus BAföG, Bildungssparen, Bildungsdarlehen
und Entgelten bei einkommensabhängiger Darlehens-
rückzahlung.

Anstatt sich mit der Situation der Studierenden in die-
sem Land auseinander zu setzen,


(Willi Brase [SPD]: Das machen wir doch! Mehr BAföG!)


anstatt das zu tun, wofür Sie gewählt sind, nämlich Lö-
sungen für die Studierenden anzubieten, flüchten Sie
sich in Scheindebatten. Die Hochschulen sind unterfi-
nanziert. Ihnen fehlen 3 bis 4 Milliarden Euro jährlich,
davon 1 Milliarde Euro für die Lehre. Aber Sie tun das
Gegenteil von dem, was Sie tun müssten. Sie sparen
nämlich beim Hochschulbau massiv ein. Sie haben die
Hochschulbaumittel in den vergangenen Jahren von
1,1 Milliarden Euro auf 860 Millionen Euro gesenkt.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


Wenn der Putz abbröckelt, wenn die Tutoren fehlen und
das Labormaterial dazu, dann brauchen wir keine Exzel-
lenzinitiative. Die Betreuungsrelation ist dramatisch.
Auf einen Professor kommen circa 60 Studenten.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie auch was zum Thema?)


Jeder Vierte bricht sein Studium ab. Bis zum Abschluss
dauert es zwölf Semester.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Was sagt denn die Schavan wirklich?)


Das BAföG ist momentan das einzige Angebot, das
die Studierenden nutzen können, um ihr Studium zu fi-
nanzieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir geschaffen!)

Der Rückstand bei den Bedarfssätzen ist erheblich. Sie
haben schon 2003 versäumt, die erforderliche Anhebung
um 3 Prozent tatsächlich vorzunehmen, und tun das jetzt
wieder. Der Beirat für Ausbildungsförderung hat Ihnen






(A) (C)



(B) (D)


Katherina Reiche

attestiert, dass Sie mit Ihrer BAföG-Politik das System
langsam aushöhlen. Da können Sie noch so viele Jubel-
meldungen verkünden: Das ist die Wahrheit!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Trotz oder gerade wegen BAföG ist es nicht gelun-
gen, bildungsferne Schichten in die Hochschulen zu
bringen. Nach wie vor kommen 61 Prozent der Studen-
ten aus gehobenen oder höheren sozialen Schichten. Aus
dem mittleren und einfachen Milieu sind 27 Prozent
bzw. 12 Prozent an den Hochschulen. Unter Ihrer Regie-
rung sind die Anteile der Studierenden aus bildungsfer-
nen Schichten gesunken. Auch das gehört zu einer Wahr-
heit, die Sie nicht hören wollen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Falsch! – René Röspel [SPD]: Das ist gelogen! Belegen Sie bitte einmal die Zahlen! Woher haben Sie die?)


Neun von zehn Studenten arbeiten während des Stu-
diums, 42 Prozent davon permanent. Die langen Stu-
dienzeiten und die hohen Abbrecherquoten bei uns haben
sicherlich auch etwas damit zu tun, dass die Studenten
neben ihrem Studium zu viel jobben müssen. Das derzei-
tige BAföG-System gibt darauf und auch auf das große
Mittelstandsproblem, das wir in diesem Land haben,
keine umfassende Antwort.


(Jörg Tauss [SPD]: Die vergraulen Sie endgültig!)


Wir stehen in Deutschland vor der Aufgabe, die Stu-
dienfinanzierung auf ein neues, solides Fundament zu
stellen. Es geht nicht allein darum, die Studierenden an
die Hochschulen zu bringen, sondern vielmehr darum,
ihnen in angemessener Zeit einen erfolgreichen Ab-
schluss zu ermöglichen. Für die Rendite eines Studiums
sind die Studienbeiträge als solche gar nicht entschei-
dend, sondern die hohen Lebenshaltungskosten und die
Verdienstausfälle während eines langen Studiums. Des-
halb muss das BAföG weiterentwickelt und in ein Mo-
dell eingebaut werden, das die genannten Bestandteile,
nämlich Darlehen, Bildungskredite, Bildungssparen,
umfasst. Dazu habe ich von Ihnen noch keinen Vor-
schlag gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Wollen wir auch nicht! Wir wollen BAföG!)


Annette Schavan hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass Studienbeiträge und Studienfinanzierung zusam-
men gesehen werden müssen. Sie hat sogar betont, dass
das BAföG noch erhalten bleiben muss.


(Jörg Tauss [SPD]: Na, na! – Nicolette Kressl [SPD]: Nein! Das ist nicht wahr!)


Was Sie, Herr Tauss, gesagt haben, ist schlichtweg nicht
wahr. Wie man behaupten kann, dass die Union nach ei-
nem Wahlsieg 2006 das BAföG abschaffen will, ist wohl
nur noch mit der letzten Verzweiflung zu erklären. Ihnen
fehlt in Nordrhein-Westfalen ein Thema, um den ange-
kündigten Wahlsieg der Union noch abwenden zu kön-
nen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl wahr! – Willi Brase [SPD]: Erstens kommt der Wahlsieg nicht und zweitens wird das BAföG bleiben!)


Sie klammern sich an einen Strohhalm.
Die Ankündigung der Erhebung von Studienbeiträgen

(René Röspel [SPD]: Die Ankündigungen von Rüttgers sind immer gut!)

durch die unionsgeführten Länder hat nicht die Massen,
sondern nur ein Häuflein von linken Berufsprotestierern
auf die Straße getrieben.

Sie haben nach wie vor kein Konzept dafür, wie die
Studierenden ihr Studium finanzieren sollen. Sie verwei-
gern sich jedem Gespräch mit der KfW.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist nicht wahr! – Jörg Tauss [SPD]: Mit denen war ich Abend essen! Frau Merkel war nicht da und Sie auch nicht!)


Sie verweigern sich Gesprächen über die Zukunft des
BAföG.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Auch die Wahrhaftigkeit ist eine Tugend, der man sich tatsächlich stellen sollte!)


Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird
es in Deutschland in absehbarer Zeit wie fast überall in
der Welt Studienbeiträge geben. Die SPD-geführten
Länder werden trotz des Geschreis der Bundesbildungs-
ministerin Bulmahn und der traurigen Tauss-Truppe, die
hier links von mir sitzt, mit von der Partie sein.


(Heiterkeit bei der SPD)

Das ist richtig; denn es geht nicht nur um die Finanzen,
es geht auch um die Qualität des Studiums in Deutsch-
land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Frau Reiche macht heute Kabarett!)


Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel und Rot-
Grün taucht ab. Sie hoffen, dass die Welt sich nicht wei-
ter dreht. Sie hoffen, dass die derzeitige schlechte Stim-
mung, die in diesem Land herrscht, sich irgendwie ver-
flüchtigen wird. Ich kann Ihnen aber sagen: Ihre
Weigerung, den Bund an Bildungskrediten zu beteiligen,
über Stipendien zu diskutieren, das Bildungssparen zu
fördern, ist unverantwortlich. Jeder Tag, den Sie abwar-
ten und nichts tun, ist ein verlorener Tag für die jungen
Menschen in Deutschland. Das haben sie nicht verdient
und diese Regierung haben sie schon gar nicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Das war Kabarett!)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516908400

Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar von

Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516908500

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! In der CDU/CSU wird seit einigen Wochen darüber
gestritten, wie Studierende in Zukunft beim Bestreiten
ihres Lebensunterhalts staatlich unterstützt werden sol-
len. Die Bildungsministerinnen Schavan und Wanka
wollen das BAföG durch Kredite am freien Markt ablö-
sen. Die Bundesvorsitzende Merkel hat versucht, die De-
batte mit einem Satz von einmaliger Glaubhaftigkeit zu
beenden:


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


„Niemand hat die Absicht, das BAföG abzuschaffen.“
Da klingelt es doch in den Ohren und man kann es nicht
oft genug betonen.


(Dr. Uwe Küster [SPD], zu Abg. Katherina Reiche [CDU/CSU] gewandt: Klingelingeling! Frau Reiche, klingelt es?)


Dass es zu Unionszeiten viel weniger Studierenden
möglich war, BAföG zu erhalten, zeigen die Zahlen.
Fakt ist, dass wir im Jahr 1998 von Schwarz-Gelb ein
heruntergewirtschaftetes BAföG übernommen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Ausgeplündert!)


1998 wurden nur noch 225 000 Studierende an Universi-
täten und Fachhochschulen gefördert.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Da gab es noch Wohlstand in Deutschland!)


Im Jahr 2003 dagegen erhielten bereits 326 000 Studie-
rende BAföG; Tendenz steigend.


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Die Armut nimmt zu!)


Diese erfreuliche Entwicklung ist zum einen eine Folge
der Leistungserweiterungen durch unsere Gesetze und
liegt zum anderen daran, dass durch die verbesserten Be-
dingungen mehr junge Leute ermutigt werden, ein Stu-
dium aufzunehmen. Das ist uns wichtig. Wir wissen,
dass die Haushaltslage schwierig ist, aber wir dürfen
nicht an Bildung sparen, weil sie der Schlüssel für eine
erfolgreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Ent-
wicklung unseres Landes ist.

Wir machen keine leeren Versprechen wie die Union.

(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Nein!)


Durch uns ist auch die Zahl der Vollförderungen erheb-
lich gestiegen. 1998 erhielten nur 65 250 BAföG-Emp-
fängerinnen und -Empfänger Vollförderung, während es
2003 bereits fast doppelt so viele, nämlich 121 598, wa-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Die Einkommenssituation der Studierenden hat sich auch wesentlich verschlechtert! – Marion Seib [CDU/CSU]: Das zeigt die Verarmung der Bevölkerung!)


Das ist ein Anstieg des Anteils der Vollförderung für
Studierende von 29 auf mehr als 37 Prozent. Diese Tat-
sache trägt ganz entscheidend zur Chancengleichheit
von jungen Leuten aus finanziell schwächeren Familien
bei.

Zu den politischen Schwerpunkten der Union hat das
BAföG leider nie gehört. Fachfrauen wie Schavan und
Wanka ist immerhin zuzugestehen, dass sie ehrlich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das unterscheidet sie von Frau Merkel!)


Die CDU und die CSU zeigen sich seit dem Verfas-
sungsgerichtsurteil Ende Januar seltsam handlungsunfä-
hig. Sie weisen mit dem andauernden Reden über den
Markt als Allheilmittel, durch den sich auch der Lebens-
unterhalt der Studierenden bald von allein attraktiv fi-
nanzieren lasse, in die Richtung weg von der solidari-
schen Unterstützung schlauer Köpfe hin zur Förderung
derjenigen, die für den Finanzmarkt als gutes Risiko gel-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Union will die Studienfinanzierung offenbar ihrer
sozialen Komponente berauben. Studierende, die von ih-
ren Eltern nicht unterstützt werden, mögen künftig doch
bitte ihr Auskommen während des Studiums über Kre-
dite finanzieren. Das dann durch die Nichtanwendung
des BAföG gesparte Geld brauche man nämlich, um die
soziale Abfederung der Studiengebühren zu bezahlen.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben
die unionsgeführten Länder massive Probleme, ihre
Pläne für Studiengebühren in die politische Praxis umzu-
setzen.


(Jörg Tauss [SPD]: Die haben keine Pläne! Keine Konzepte! Nix!)


Die soziale Abfederung wird einfach zu teuer. Wenn das
durch Gebühren eingenommene Geld an den Hochschu-
len verbleiben soll, müssen Stipendien und andere Bei-
hilfen eben aus den Landeskassen berappt werden, die
bekanntermaßen leer sind.

Einige unionsgeführte Länder denken jetzt an
500 Euro Studiengebühren pro Semester und meinen,
dieser Betrag sei doch leicht aufzubringen. Aber Fach-
leute aus dem In- und Ausland warnen, weil sie aus Er-
fahrung wissen, dass es dabei nicht bleiben wird, son-
dern eine Steigerung auf jeden Fall kommt. Auch der
aktuelle Vorschlag zeigt, dass die Gebührenfantasien der
Union an harten Realitäten scheitern oder nur auf Kosten
derjenigen zu verwirklichen sind, die ohnehin im deut-
schen Bildungssystem benachteiligt werden:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Monika Lazar

Kinder aus großen und/oder einkommensschwachen Fa-
milien.

Mit uns – dabei bleibt es – wird es keine Refinanzie-
rung von Studiengebühren in den Ländern über das
BAföG geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516908600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der

FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1516908700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die

heutige Debatte einen Sinn haben soll, dann kann es
doch nur der sein, die Verunsicherung bei den Studieren-
den in diesem Lande zu beenden.


(Beifall bei der FDP)

Deswegen gleich am Anfang eine sehr klare liberale
Antwort: Die Grundsicherung des Lebensunterhalts der
Studierenden wird von uns nicht infrage gestellt.


(Beifall bei der FDP)

Sie ist lebensnotwendig. Wer wie wir Studienentgelte für
das Hochschulstudium will, darf den Lebensunterhalt
der Studierenden nicht gefährden. Also: Das BAföG
bleibt.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Damit ist die Haltung unserer Seite klar. Wir können uns
also in Ruhe mit dem BAföG und mit dem, was Sie wäh-
rend Ihrer Regierungszeit gemacht haben, befassen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist gut!)

Wir sehen mit Freude, dass das Volumen der BAföG-

Ausgaben – wohlgemerkt von Bund und Ländern – zwi-
schen 1998 und 2003 auf über 2 Milliarden Euro verdop-
pelt wurde.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

Auch die Zahl der Geförderten und insbesondere derje-
nigen mit Vollförderung ist erheblich angestiegen.
Manchmal ist es ja hilfreich, wenn man sich noch einmal
ansieht, was man selbst beschlossen hat:

Mit einer grundlegenden Reform der Ausbildungs-
förderung werden wir 1999 beginnen … Dazu wer-
den wir unter anderem alle ausbildungsbezogenen
staatlichen Leistungen zusammenfassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, das war
ein Zitat aus Ihrer Koalitionsvereinbarung aus dem Jahre
1998.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht zur Finanzierung von Studiengebühren! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Davon ist ja nichts geblieben!)


Das war eigentlich eine sehr gute Idee, denn natürlich
ist es gut, alle staatlichen Leistungen in diesem Bereich
zusammenzulegen. Es ist gut, das Kindergeld, das Schü-
ler-BaföG, Ausbildungszuschüsse, allgemeines BAföG
und weitere Sozialleistungen zusammenzufassen.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht zur Finanzierung von Studiengebühren!)


Wir verringern damit Bürokratie und sparen sehr viele
Transferverluste zwischen den verschiedenen Behörden.
Das war übrigens unsere Idee.


(Beifall bei der FDP)

Das war der Vorschlag der FDP. Wir wollen das BAföG
im Bürgergeldmodell so erhalten, dass es den Leuten op-
timal zur Verfügung gestellt werden kann.

Im Koalitionsvertrag von 2002 haben Sie sich weiter
zum BAföG geäußert, allerdings schon wesentlich knap-
per:


(Zuruf von der SPD: Bis 2002 hatten wir schon viel gemacht!)


Die Reform der Ausbildungsfinanzierung (BAföG)

und die Einführung von Bildungskrediten haben zu
einer Verbesserung der studentischen Lebenssitua-
tion geführt. Wir wollen diese Instrumente weiter-
entwickeln.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wo denn?)

Ich frage mich nur: Wo ist das denn passiert?


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Sie haben die Bedarfssätze einmal um 2 Prozent und ein-
mal um 10 Prozent erhöht. Sie haben ein bisschen beim
Auslands-BAföG verändert.


(Jörg Tauss [SPD]: Ein bisschen?)

Sie haben das Kindergeld von der Anrechnung freige-
stellt und das mögliche Gesamtdarlehen auf 10 000 Euro
beschränkt.


(Zuruf von der SPD: Ist das nichts?)

Das war’s, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das
wird mit Sicherheit bis zum Jahre 2006 alles gewesen
sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ausbildungsförderung durch staatliche Transferleis-
tungen muss aber kontinuierlich weiterentwickelt wer-
den. Selbstverständlich ist das so. Schüler-BAföG,
Meister-BAföG, Auslands-BaföG – all dies kam im
Laufe der Jahre dazu. Es wäre doch völlig abwegig,
jetzt, während die Kollegen von der CDU/CSU darüber
nachdenken, welche Reformen man am BAföG-System
vornehmen könnte,


(Jörg Tauss [SPD]: Abschaffen wollen sie es!)

so zu tun, als wenn beim BAföG keine Reform nötig
wäre. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des-
sen, dass wir uns im Augenblick über Weiterbildung Ge-
danken machen, lieber Herr Tauss. Selbstverständlich
müssen wir alle hier in diesem Raum uns darüber Ge-
danken machen, wie es sich mit dem BAföG in diesem
Bereich verhalten soll. Hierzu gibt es keine Antworten






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Flach

von Ihnen, sondern reine Demagogie und Attacken ge-
gen angebliche Aussagen der Schwarzen.


(Jörg Tauss [SPD]: Angebliche?)

Ich glaube nicht, dass das für die Gesamtdiskussion in
diesem Lande hilfreich ist.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal sagen,
dass Sie sich nicht so künstlich darüber aufregen sollten,
wenn wir über Studienentgelte reden. Das, was Sie unter
der Ägide von Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen ge-
macht haben, war doch nichts anderes als Abzockerei.


(Zurufe von der SPD: Was? Wie bitte?)

Sie haben Studiengebühren von Langzeitstudenten erho-
ben.


(Willi Brase [SPD]: Die gehen doch Zug um Zug zurück! Bleiben Sie mal auf dem Teppich!)


– Sie haben erst einmal zwei Jahre kassiert. Jetzt geben
Sie die Hälfte zurück, aber Sie behalten dennoch einiges
ein und machen die Auszahlung an die Hochschulen von
der Erfüllung bestimmter Anforderungen abhängig. So
sieht die Situation doch aus. Das heißt, Sie haben abkas-
siert und das Geld kommt den Hochschulen nicht zu-
gute.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt reden wir gleich über Baden-Württemberg!)


Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn wir heute
über das BAföG reden, wissen wir, dass die Studienfi-
nanzierung insgesamt von uns allen angegangen werden
muss. Wir haben in Deutschland nach wie vor kein zu-
frieden stellendes System. Diesen Vorwurf muss man
auch den unionsgeführten Ländern machen.


(Jörg Tauss [SPD]: Daran seid ihr zum Teil beteiligt!)


Wenn über Studienentgelte nachgedacht wird, müssen
Systeme auf den Weg gebracht werden, die sicherstellen,
dass die Studenten nicht abgeschreckt werden.


(Willi Brase [SPD]: Denken Sie mal an die 90er-Jahre, Frau Flach!)


Das heißt – so viel zum Schluss –, für die FDP ist
sonnenklar, dass vor der Einführung von Studienentgel-
ten zunächst für Stipendien und ein funktionierendes
Darlehensystem gesorgt werden muss. Die Finanzminis-
ter müssen ihre Finger herauslassen. Die Studenten müs-
sen merken, was sie für ihr Geld bekommen. Wenn zum
Beispiel 500 Euro angesetzt würden, würde das für die
Uni Köln 50 Millionen Euro bedeuten. Ich wüsste schon,
was dort damit geschehen könnte. Sie, liebe Kollegen,
müssen es verantworten, wenn dieses Geld den Leuten
nicht unter sozial gerechten Umständen zur Verfügung
gestellt wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516908800

Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl von der

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1516908900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Was wir in der letzten Woche vonseiten der
CDU/CSU zum Thema BAföG erlebt haben, war zum
einen peinlich und chaotisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber zum anderen war es, wie ich finde, sehr entlarvend.
Es lohnt sich, da einmal ein bisschen genauer hinzu-
schauen.

Schauen wir uns einmal an, was der Reihe nach pas-
siert ist. Zuerst sagt die Frau Schavan: Das BAföG bleibt
so lange erhalten, bis eine attraktive Bildungsfinanzie-
rung gefunden worden ist. – Wie kann ich das interpre-
tieren?


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Im Interpretieren sind Sie ja gut!)


– Frau Reiche, vorhin habe ich gesagt, die CDU/CSU
habe sich in der letzten Woche peinlich und chaotisch
verhalten. Eigentlich wollte ich mir ersparen, zu sagen:
nur noch übertroffen durch Ihre Rede vorhin. Jetzt muss
ich das leider doch sagen.


(Beifall bei der SPD)

Zwei Schlussfolgerungen, die nicht zu interpretieren

sind: Erstens. Wenn es heißt: „Das BAföG bleibt so
lange erhalten, bis …“, dann kann ich nur eine Schluss-
folgerung ziehen, nämlich dass das BAföG zum Schluss
abgeschafft werden soll.


(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])

Ich weiß nicht, wie Frau Merkel da zu einer anderen In-
terpretation kommen kann.

Zweiter Punkt. Wenn Frau Schavan sagt, das BAföG
solle nur so lange erhalten bleiben, bis ein attraktiver
Markt der Bildungsfinanzierung gefunden worden sei,
was bedeutet das dann? Es bedeutet, dass sie auf jeden
Fall von einer Struktur der Bildungsfinanzierung weg-
will, die auch Zuschüsse beinhaltet, die nicht nur auf
Krediten basiert.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das hat sie doch gar nicht gesagt!)


– Doch, natürlich! – Wenn man mit Worten und Inhalten
einigermaßen vernünftig umgeht, muss man feststellen,
dass ein Markt der Bildungsfinanzierung keine sozialen
Transfers beinhaltet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sind zwei Schlussfolgerungen, die Sie nicht leug-
nen können. Ich sage Ihnen: Eine Struktur der Bildungs-
finanzierung, die ausschließlich auf Krediten basiert, ist
mit uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten






(A) (C)



(B) (D)


Nicolette Kressl

nicht zu machen, weil das unserer Meinung nach der so-
zialen Gerechtigkeit zutiefst widerspricht.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Daraufhin ist in der CDU/CSU ein Stimmengewirr
entstanden. Bayern unterstützt Frau Schavan. Nieder-
sachsen unterstützt sie zuerst auch, zieht sich aber dann
zurück. Der krönende Höhepunkt ist Frau Merkel. Frau
Merkel sagt: Niemand hat die Absicht, das BAföG abzu-
schaffen.

Zurück zu dem, was ich gerade zur Struktur der Bil-
dungsfinanzierung gesagt habe. Wir akzeptieren eben-
falls nicht, dass gesagt wird, niemand wolle das BAföG
abschaffen, wenn es in der Struktur so verändert werden
soll, wie Sie das 1982 schon einmal gemacht haben, in-
dem Sie keine Zuschüsse vorsehen, keine sozialen
Transfers, die für soziale Gerechtigkeit unerlässlich sind.
Sie sehen ausschließlich eine Kreditfinanzierung vor. In
diesem Fall kann ich auf die Worthülse BAföG ernsthaft
verzichten, um das ganz deutlich zu sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb war das, was letzte Woche passiert ist, so entlar-
vend. Auf diese Worthülse allein können wir verzichten.

Ich kann hier nur alle Rednerinnen und Redner der
CDU/CSU, die nach mir reden, auffordern, uns nicht zu
sagen, sie wollten das BAföG nicht abschaffen. Stattdes-
sen sollten sie hier Stellung dazu nehmen, welche Struk-
tur der Bildungsfinanzierung sie vorsehen wollen. An
dieser Stelle wollen wir eine klare Kante. Ich bitte Sie
ernsthaft, nicht so feige zu sein, wie es in der letzten Wo-
che der Fall war. Sagen Sie doch offen, dass es Ihr Kon-
zept ist, ausschließlich mit Krediten zu arbeiten. Wir
hingegen wollen soziale Transfers und Unterstützung.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie träumen ja am helllichten Tage!)


Das wäre eine klare Kante. Dann würde es sich lohnen,
mit Ihnen in eine Auseinandersetzung zu treten. Ihre fei-
gen Pirouetten der letzten Woche waren wirklich uner-
träglich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage ausdrücklich: Wenn Sie wollen – das zeich-
net sich in Ihren Strukturdebatten zur Bildungsfinanzie-
rung ab; diese Entwicklung erkennt man auch an den
Schulabschlüssen an den weiterführenden Schulen in
Bayern und Baden-Württemberg –, dass nur eine be-
stimmte Elite in diesem Bereich zugelassen werden soll,
dann reden Sie offen darüber.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie erzählen einen totalen Quatsch!)


Wir sagen Ihnen: Das ist keine vernünftige Lösung in
Bezug auf soziale Gerechtigkeit. Es ist auch ökonomisch
widersinnig. Denn jeder technologische Bericht der
Bundesregierung zeigt deutlich, dass wir auf mehr Men-
schen mit hohen Qualifikationen angewiesen sind, um
unsere Unternehmen in Zukunft wettbewerbsfähig zu
machen.


(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere an Sie: Hören Sie auf mit Ihrer Eierei!

Lassen Sie uns in eine ehrliche Auseinandersetzung tre-
ten!


(Marion Seib [CDU/CSU]: Ja! Ehrlich!)

Wir sind der Überzeugung, dass wir die besseren Kon-
zepte haben. Wenn Sie nicht sagen, wofür Sie stehen,
können wir uns mit Ihnen noch nicht einmal über die
verschiedenen Konzepten auseinander setzen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So viel Unwahrheit in fünf Minuten ist mir unbegreiflich!)


Eigentlich hat das Land eine bessere Opposition ver-
dient.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516909000

Das Wort hat die Kollegin Marion Seib von der CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1516909100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Mit der Beantragung dieser Aktuel-
len Stunde haben Sie sich, sehr geehrte Damen und Her-
ren der rot-grünen Koalition, ein beeindruckend schlech-
tes Zeugnis ausgestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Warum das denn?)


Sie haben sich selbst ein schlechtes Zeugnis darüber aus-
gestellt, wie stümperhaft Sie die Politik Ihrer Mitbewer-
ber beobachten. Ihnen ist komplett entgangen, dass wir
die Diskussion über das BAföG längst hinter uns haben.
Nicht die Abschaffung, sondern die Reform und die Er-
gänzung des BAföGs sind die Aufgaben der Zukunft.


(Nicolette Kressl [SPD]: Beantworten Sie meine Fragen!)


Sie haben auch noch nicht gemerkt, dass der Erfolg
der BAföG-Förderung nicht in der Höhe der Fallzahlen
besteht. Diese hohen Zahlen weisen nur aus, dass immer
weniger Eltern in der Lage sind, aus eigener Kraft ein
Studium ihrer Kinder zu finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wegen der Studiengebühren!)


Wenn der Verdienst der Eltern zu hoch für das BAföG,
aber zu niedrig für die Finanzierung eines Studiums ist,
dann zeigt das, dass Sie von Rot-Grün bis heute keine
Antwort auf die Probleme geben können.


(Jörg Tauss [SPD]: Wo ist denn Ihr Konzept?)







(A) (C)



(B) (D)


Marion Seib

Sie haben noch nicht gemerkt, dass es gerade die Kinder
aus Familien des Mittelstandes sind, die einer Förderung
bedürfen. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Die stoßen Sie mit Studiengebühren ab!)


Leider sorgen Sie mit Ihrer rot-grünen verkorksten
Wirtschafts- und Steuerpolitik dafür, dass der Anteil ge-
nau dieser Familien immer größer wird. Mit Ihrer Politik
verderben Sie den nachfolgenden Generationen aus leis-
tungsbereiten Familien die Möglichkeit, durch eine aka-
demische Bildung ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt
zu verbessern. Sie muten uns und den Bürgern zu, über
Selbstverständlichkeiten wie die Sicherung des Grund-
bedarfs der Studierenden zu debattieren, und dies unter
falschen Voraussetzungen.

Viel dringender sollten wir darüber reden, wie wir es
schaffen, möglichst noch mehr jungen Menschen aus
bürgerlichen Familien ein Studium finanziell zu ermög-
lichen.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Mit Gebühren!)


Ihre Antwort ist, Angst zu verbreiten – Angst vor einer
Abschaffung der BAföG-Förderung. Was Sie mit Ihrer
Angstkampagne aber nicht können, ist, von Ihrem eige-
nen Versagen abzulenken.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: So ist es!)


Die Bürger – auch und gerade in Nordrhein-Westfalen –
durchschauen, wie platt Ihre Wahlkampfmanöver sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Sie wollen sich als Fördersaubermänner hinstellen;
aber Sie bleiben in wesentlichen Fragen moderner Stu-
dienfinanzierung die Antworten schuldig.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir haben die Bildungsdarlehen eingeführt!)


Sie haben noch nicht gemerkt, dass ihr antiquiertes Den-
ken nicht tauglich ist für die Studienfinanzierung der
Zukunft. Ihr Denken führt zu nichts anderem als zum
Studienplatzabbau und zur Verdrängung von leistungs-
bereiten jungen Leuten aus den Hochschulen. Sie führen
hier eine Debatte über die Abfahrt eines Zuges und ha-
ben noch nicht gemerkt, dass der Zug längst angefahren
ist. Springen Sie auf!


(Willi Brase [SPD]: Die armen Menschen, Frau Seib!)


Werden Sie ein bisschen schneller! Sie verpassen sonst
die Debatte um innovative Studienförderung. Die Frau
Kollegin Reiche hat Ihnen in ihrer Rede aufgezeigt, um
was es an dieser Stelle geht. Schade, dass Sie nicht zuhö-
ren.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie haben ja auch nichts gesagt!)


Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516909200

Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske von

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind uns alle einig, dass wir mehr Studierende wollen,
dass wir mehr Chancengleichheit wollen und dass wir
mehr Qualität in der Bildung wollen. Das sind die
Grundvoraussetzungen und deswegen müssen wir jedes
Instrument vor dem Hintergrund dieser Ziele betrachten.
Das will ich in meinem Beitrag tun.

Erstens will ich mich der Frage widmen, ob wir die-
sem Ziel in den letzten Jahren näher gekommen sind.
Wohl wissend, dass Zahlen allein natürlich noch keine
Auskunft geben, habe ich mir im Vorfeld dieser Debatte
einmal die für das BAföG relevanten Zahlen angeschaut.
Zunächst zur Gesamtzahl der Geförderten. Zwischen
1994 und 1998, als der Bildungs- und Forschungsminis-
ter – der Zukunftsminister – Rüttgers hieß, ist die Ge-
samtzahl der Geförderten um 27 Prozent zurückgegan-
gen, nämlich von 467 000 auf 341 000. Wenn sich dieser
Trend fortgesetzt hätte, würden wir im Jahre 2005 bei
130 000 liegen. Stattdessen ist es aber so, dass unter Rot-
Grün seit dem Regierungswechsel 1998 die Zahl der Ge-
förderten um 48 Prozent gestiegen ist. Ich denke, das ist
ein relevanter Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Axel E. Fischer [KarlsruheLand] [CDU/CSU]: Das ist kein Qualitätsmerkmal!)


Die Zahl der voll Geförderten sank zwischen 1994
und 1998 um 20 Prozent, nämlich von 143 000 auf
114 000. Wenn sich dieser Trend fortgesetzt hätte, wür-
den wir heute bei nur noch 60 000 voll Geförderten lie-
gen. Tatsächlich liegen wir aber bei 235 000, weil die
Zahl zwischen 1998 und 2004 um 122 Prozent zuge-
nommen hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)


Auch diesen Unterschied kann man, denke ich, klar he-
rausarbeiten.

Kommen wir zur Finanzierung durch den Bund. Im
Zeitraum von 1994 bis 1998, als Rüttgers Bildungsmi-
nister war, sank der Beitrag des Bundes zur Finanzierung
der Ausbildungsförderung um 22 Prozent, nämlich von
1 Milliarde Euro auf 780 Millionen Euro. Wenn sich die-
ser Trend fortgesetzt hätte, wären wir heute im Jahre
2005 bei knapp 400 Millionen Euro. In dem Jahr also, in
dem sich Rüttgers anschickt, in Nordrhein-Westfalen
Ministerpräsident zu werden, wäre die Finanzierung
durch den Bund auf einem lächerlich niedrigen Niveau
gewesen. Tatsächlich aber haben wir diesen Betrag seit
1998 um 67 Prozent gesteigert, nämlich von
780 Millionen Euro auf 1,3 Milliarden Euro. Ich denke,
auch diese Zahlen sprechen für sich.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske

Zwischen 1994 und 1998 ist die Zahl der Studienan-

fänger in etwa konstant geblieben. Von 1998 bis heute ist
die Zahl von 260 000 auf knapp 350 000 gestiegen.

Das sind die Zahlen, mit denen wir uns dieser Debatte
stellen. Wir sehen das immer vor dem Hintergrund der
Forderung nach mehr Chancengleichheit, nach mehr
Studienanfängern und nach mehr Qualität. Ich denke,
dass die Antwort ganz eindeutig ist: Unter der Regierung
von SPD und Grünen wurden die Mittel für BAföG vom
Bund deutlich aufgestockt, die BAföG-Sätze wurden an-
gehoben, es wurde eine höhere Inanspruchnahme durch
die Studierenden ermöglicht, es wurde – dadurch, dass
wir das Auslands-BAföG eingeführt haben – eine ver-
stärkte Internationalität gefördert und insgesamt hat Rot-
Grün das BAföG transparenter und einfacher gemacht.
Die Zahlen sprechen in der Tat eindeutig für sich.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)


Zweitens müssen wir, denke ich, aufpassen, dass der
Schuldenberg am Ende des Studiums für die Studieren-
den nicht zu erdrückend wird. Das würde nämlich fak-
tisch bedeuten, dass wir diesen Leuten die Türen der
Hochschulen zuschlagen. Das wollen wir nicht; alle Sei-
ten müssen bedenken, dass das nicht sein kann. Wenn
aber demnächst die Lebenshaltungskosten voll abge-
deckt werden müssen und die Finanzierung des Stu-
diums hinzukommt, dann würde der Schuldenberg so
stark ansteigen, dass er beängstigende Ausmaße anneh-
men würde. Das würde viele abschrecken und damit
ganz klar mit dem Ziel kollidieren, mehr Studierende an
unsere Universitäten zu bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)


Das wollen wir nicht. Wir wollen die Tür weiter aufrei-
ßen und sie nicht zustoßen. Das muss man ganz klar sa-
gen.

Drittens dazu, wie sich die Förderung in Zukunft zu-
sammensetzen muss. Richtig ist – das war immer unsere
Position; da hatten wir eine gewisse Übereinstimmung
mit der FDP –: Wir wollen, dass es eine einkommensun-
abhängige Grundfinanzierung gibt, weil wir die Studie-
renden als mündige junge Erwachsene und nicht als Ab-
hängige behandeln wollen. Deswegen sind wir immer
der Meinung gewesen – wir sind dies nach wie vor –,
dass wir alle Transferleistungen zusammenfassen und
diesen Sockel als einkommensunabhängige Komponente
an die Studierenden weitergeben sollten.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Warum habt ihr das dann nicht gemacht? – Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht zur Finanzierung von Studiengebühren!)


Das ist der erste Teil des Konzeptes.
Der zweite Teil ist eine einkommensabhängige Förde-

rung. Die ist ganz wichtig. Es ist eine Aufgabe des Staa-
tes, Chancengleichheit sicherzustellen. Wenn er das
nicht tut, wird er seiner Aufgabe nicht gerecht. Wir brau-
chen das BAföG weiterhin, um die Universitäten attrak-
tiv zu gestalten. Wir werden darüber hinaus ein Element
der Eigenverantwortung einführen, zum Beispiel das
Bildungssparen und anderes, was ich hier nicht vertiefen
kann.

Wir sollten diese Debatte ruhig führen. Eines aber ist
klar: Es geht nicht, dass sich Herr Rüttgers, der die Bil-
dungspolitik zwischen 1994 und 1998 – damals noch in
Bonn – heruntergewirtschaftet hat, jetzt anschickt, mit
Parolen pro Bildung die Wahlen zu gewinnen. Das wird
ihm nicht gelingen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dieses Thema werden wir immer wieder auf die Tages-
ordnung setzen. Er hat bildungspolitisch versagt. Deswe-
gen darf er in Nordrhein-Westfalen kein Ministerpräsi-
dent werden. Er wird es auch nicht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516909300

Das Wort hat der Kollege Thomas Rachel von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1516909400

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lei-

der hat der Schluss des letzten Beitrags gezeigt, worum
es Ihnen eigentlich in dieser Aktuellen Stunde geht,


(Ute Berg [SPD]: „Herr Laumann“ kann ich da nur sagen!)


nämlich ausschließlich darum, einen Beitrag für den nord-
rhein-westfälischen Landtagswahlkampf zu leisten. Ih-
nen geht es in Wirklichkeit nicht um die Anliegen der
Studierenden. Ich muss sagen: Es ist schade, dass Sie
eine solche Aktuelle Stunde in dieser Form missbrau-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um eines ganz klar vorauszuschicken:


(Jörg Tauss [SPD]: Niemand will das BAföG abschaffen!)


Das BAföG hat sich als ein wichtiges Instrument be-
währt, das den geeigneten Personen ein Studium ermög-
licht. Dies hat auch die Bundesvorsitzende der CDU
Deutschlands, Frau Merkel, klar bekräftigt. Das ist die
Position der CDU/CSU.

Wir können feststellen – ich finde, man sollte die po-
sitiven Elemente betonen –, dass von den 2 Milliarden
Euro, die zurzeit für das BAföG ausgegeben werden,
65 Prozent vom Bund und 35 Prozent von allen Bundes-
ländern getragen werden. Rund 300 000 Studierende be-
kommen zurzeit BAföG, davon ein Drittel eine Vollför-
derung.

Kommen wir zu den Problemen. In wenigen anderen
Ländern ist der Anteil der Studierenden aus sozial
schwachen Familien so gering wie in der Bundesrepu-






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Rachel

blik Deutschland. Nach einer Auswertung des Studen-
tenwerks ist der Anteil der Studierenden aus Familien
mit sozial hohem Niveau zwischen 1997 bis 2003 von
31 auf 37 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil
der Studenten aus sozial schwachen Familien von 14 auf
12 Prozent gesunken.


(Ulrike Flach [FDP]: Hört! Hört!)

Dafür trägt allein die rot-grüne Bundesregierung die Ver-
antwortung. Denn sie regiert seit mehreren Jahren und
hat nichts dafür getan, Frau Bulmahn, um diesen Trend
ernsthaft umzukehren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bereits im Jahr 2003 hat diese Bundesregierung in ih-

rem vorletzten BAföG-Bericht angekündigt – das war
Ihre Ankündigung, Frau Ministerin –, die Einkommens-
freibeträge und die Bedarfssätze zu erhöhen. Passiert ist
nichts.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Im aktuellen BAföG-Bericht, den die Regierung im Fe-
bruar 2005 vorgelegt hat, wird erneut festgestellt, dass es
erforderlich sei, die BAföG-Freibeträge um 4,5 und die
BAföG-Bedarfssätze um 3,5 Prozent zu erhöhen. Wir
stellen fest: Es passiert wieder nichts.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Der Hintergrund für die Notwendigkeit der Bedarfser-

höhungen besteht darin, dass sich die durchschnittlichen
Lebenshaltungskosten mittlerweile in der Größenord-
nung von 750 Euro befinden und insofern weit über dem
derzeitigen BAföG-Höchstsatz liegen. Eine Anpassung
der Fördersätze, die Sie als Ministerin in Ihren BAföG-
Berichten 2003 und 2005 selber gefordert haben, hat die
rot-grüne Bundesregierung bis heute nicht umgesetzt.
Das ist die nüchterne Realität der rot-grünen BAföG-Po-
litik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Wie war es bei euch? Warum wollt ihr es abschaffen?)


Notwendig wäre auch eine Erhöhung der BAföG-Ver-
mögensfreibeträge. Das BAföG ist eine Sozialleistung,
bei deren Gewährung nur ein Vermögen von 5 200 Euro
erlaubt ist. Als das BAföG 1971 eingeführt wurde, durf-
ten die Auszubildenden noch einen Vermögensfreibetrag
von 20 000 DM, also von heute 10 000 Euro, haben. Da-
bei ist noch nicht einmal der Kaufkraftausgleich mitbe-
rücksichtigt. Hier ist dringend eine Anpassung erforder-
lich. Was tut die Regierung? Wieder nichts.


(Willi Brase [SPD]: Ich denke, Sie wollen es abschaffen!)


Frau Ministerin, statt zu handeln, schlagen Sie und
Ihre Helfershelfer in der Fraktion der SPD in unqualifi-
zierter Weise auf die Opposition ein, die sich bemüht,


(Lachen des Abg. Jörg Tauss [SPD])

neue und zukunftsweisende Konzepte einer Studienfi-
nanzierung aus einem Guss zu erarbeiten.

(Jörg Tauss [SPD]: „Hat sich bemüht“ ist ein schlechtes Zeugnis!)


Dazu können selbstverständlich auch zusätzliche Ange-
bote gehören wie zum Beispiel der Ausbau von staatli-
chen Stipendien, die abhängig von der Studienleistung
vergeben werden sollen. Auch Bildungskredite sowie
private Stiftungs- und Stipendieninitiativen gehören
dazu. Perspektivisch sind in meinen Augen auch eltern-
unabhängige Konzepte diskussionswürdig.

Zu begrüßen ist an dieser Stelle der Vorschlag der
KfW, ein eigenes Kreditmodell als Ergänzung zum be-
stehenden BAföG anzubieten. Die KfW schlägt vor, dass
Studierende elternunabhängige Kredite bis zu 650 Euro
monatlich aufnehmen können, die marktüblich verzinst
werden. Die Rückzahlung soll nach dem Studium erfol-
gen, sofern ein entsprechendes berufliches Einkommen
vorhanden ist. Ich finde, es ist gut, dass die KfW eigene
Konzepte in diese Diskussion einbringt und der Banken-
sektor in dieser Frage endlich in Bewegung kommt.

Wir fordern die Bundesregierung auf, den Verpflich-
tungen aus ihrem eigenen BAföG-Bericht endlich nach-
zukommen und sich außerdem zusätzlichen Wegen der
Bildungsfinanzierung zu öffnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516909500

Das Wort hat die Bundesministerin Edelgard

Bulmahn.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Mach mal ein bisschen Nachhilfe für die da drüben!)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Es ist so viel, wo das nötig wäre. – Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Das
unsägliche Hin und Her der CDU/CSU in den vergange-
nen Tagen und Wochen zur Studienfinanzierung und
auch zum BAföG wäre eigentlich ein köstliches Kaba-
rettprogramm,


(Beifall bei der SPD)

wenn es nicht so unverantwortlich gegenüber den jungen
Menschen wäre,


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


deren bestmögliche Qualifizierung wir alle und sie selbst
so dringend benötigen. Nach den sehr großspurigen An-
kündigungen der CDU-Landesregierungen, sofort nach
dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Studiengebühren
zu erheben – das haben ja die CDU-Landesregierungen
gesagt –, folgte die Einsicht, doch lieber sorgfältig zu
schauen, mit welchen Implikationen das verbunden sein
könnte.


(Ulrike Flach [FDP]: Wir sind eben doch lernfähig!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Ein Dauerbrenner blieb dabei die unzählig oft wieder-
holte lautstarke Beteuerung, dass selbstverständlich Stu-
dienbeiträge, also Studiengebühren, sozialverträglich
ausgestaltet sein müssen. Das begann zunächst nebulös
als Leerformel und mauserte sich dann zu einem Wider-
spruch in sich, indem nämlich die soziale Abfederung
bei den Gebühren im Gewand erheblicher Darlehensbe-
lastungen für die sozial Schwachen, die Studierenden
selbst und die einkommensschwachen Familien, daher-
kam.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Dieses mit der Studiengebührenfrage begonnene

Trauerspiel steigerte sich dann aufseiten der CDU/CSU
zu einem wirklich schrillen Konzert über die Frage einer
kompletten Abschaffung des BAföG,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt!)


nämlich des Zuschusses zum Lebensunterhalt der Stu-
dierenden. Hier taten sich besonders die CDU-Kollegin-
nen und -Kollegen aus Baden-Württemberg hervor. Ich
würde sagen: Frau Schavan ist ein Mensch, Herr Rachel.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Was?)

– Wenn Sie sagen: „Kein Mensch“, stellen Sie das ja in-
frage. Frau Schavan ist ein Mensch.


(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Darum geht es doch gar nicht!)


Frau Wanka aus Brandenburg ist ein Mensch; Herr
Stratmann aus Niedersachsen ist ein Mensch.


(Jörg Tauss [SPD]: Und alle sind in der CDU!)

Herr Dräger aus Hamburg ist ein Mensch.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ihre Rede ist unter Niveau, Frau Bulmahn!)


Alle haben sie gefordert, dass das BAföG abgeschafft
und die Studienfinanzierung voll auf Kredite umgestellt
wird.


(Beifall bei der SPD)

Das würde dazu führen, dass die Jugendlichen das Stu-
dium mit einem Schuldenberg von 60 000 bis
90 000 Euro – je nachdem, wie viel sie in Zukunft ab-
zahlen müssten, 500 Euro oder 200 Euro pro Monat –
beenden würden. Dann kommen noch die Studiengebüh-
ren hinzu.


(Ulrike Flach [FDP]: Was sagt denn Herr Glotz dazu?)


– Ich sage Ihnen ganz klar, Frau Flach: Auch wenn Herr
Glotz das für richtig halten würde, halten ich, meine
Fraktion, die SPD, und das Bündnis 90/Die Grünen die-
ses nicht für richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir halten es für falsch, die junge Generation mit einem
derart riesigen Schuldenberg in das Berufsleben zu ent-
lassen.

(Jörg Tauss [SPD]: So ist es!)

Das ist eine riesige Belastung, die ich als Bundesminis-
terin nicht verantworten will und die weder die SPD
noch das Bündnis 90/Die Grünen mitmachen würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Das dürfen Sie ja auch nicht!)


– Das ist keine Frage des Dürfens. Ich will es nicht, liebe
Frau Flach, und zwar aus voller Überzeugung.

Den vorläufigen Schlussakkord hat jüngst Frau Kolle-
gin Merkel mit bangem Blick auf die bevorstehende
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gesetzt; das war
offenkundig. Offensichtlich hat die größte Landtagsfrak-
tion Feuer gemacht, sodass sie sich genötigt sah, etwas
zu diesem Thema zu sagen. Jetzt erfährt die staunende
Öffentlichkeit, dass sie alles missverstanden hat


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, wie immer bei denen!)

– Herr Rachel hat das eben noch einmal gesagt –,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Unsere Position ist klar! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


dass das BAföG zwar bestehen bleibt, dass es irgendwie
aber doch durch Bankdarlehen ersetzt werden soll. Das
geht deutlich aus Ihren Anträgen hervor, Herr Rachel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Nein!)


– Ja, wollen Sie uns denn wirklich für dumm verkaufen?

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Gucken Sie sich doch die Anträge der Bundestagsfraktion an und behaupten Sie nicht solche Unwahrheiten!)


Vier Landesminister der CDU vertreten in diesem Punkt
eine ganz klare Position, die auch in Ihren Anträgen zu
lesen ist. Das ist noch gar nicht lange her, Herr Rachel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Sie müssen gelegentlich auch einmal Ihre eigenen An-
träge lesen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Gucken Sie sich die Anträge unserer Bundestagsfraktion an! Lesen bildet!)


– Eben, das gilt für Sie. Darauf komme ich gleich noch
zu sprechen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Gucken Sie sich die Anträge an! Dann wissen Sie Bescheid!)


Was geradezu lächerlich ist, ist, dass sich dazu ausge-
rechnet der ungeduldig mit den Hufen scharrende Oppo-
sitionsführer in Nordrhein-Westfalen äußert. Er mag ja
vielleicht in der Hoffnung leben, dass sich niemand






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

mehr daran erinnert, was er als Bundesminister für Bil-
dung und Forschung von 1994 bis1998 getan hat
– Kollege Loske hat darauf hingewiesen –: Damals hat
er das BAföG, für das er die Verantwortung trug, wirk-
lich in Grund und Boden gewirtschaftet.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ja, und darauf war er stolz!)


Das hatte dramatische Folgen für die Jugendlichen und
war mit einem sehr starken Rückgang der Anzahl der
Studienanfänger verknüpft, besonders in den Fachberei-
chen, die wir dringend brauchen


(Jörg Tauss [SPD]: Im Ingenieurwesen!)

und für die wir noch immer alles tun müssen, um diese
Folgen zu kompensieren. Er trug damals die Verantwor-
tung für den Niedergang des BAföG.

Was viele anscheinend auch vergessen haben, ist, dass
er damals den ersten Entwurf eines 17. BAföG-Ände-
rungsgesetzes in den Bundesrat eingebracht hat, mit dem
er zu einer vollständigen Kreditfinanzierung des BAföG
übergehen wollte.


(Nicolette Kressl [SPD]: Genau so ist es!)

Herr Rüttgers, der jetzt sagt, er wolle das gegenwärtige
System erhalten, hat als Bundesbildungsminister in der
Legislaturperiode von 1994 bis 1998 einen Gesetzent-
wurf in den Bundesrat eingebracht, in dem er die voll-
ständige Kreditfinanzierung des BAföG gefordert hat –
so viel zur Glaubwürdigkeit der Position, die Sie in der
heutigen Debatte geäußert haben.


(Ulrike Flach [FDP]: Wir nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen Sie sich

nichts vor: Wer ein solch falsches Spiel betreibt, wird
der verdienten Quittung nicht entgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katherina Reiche [CDU/CSU]: Warten wir erst einmal ab!)


Daher will ich sowohl für die Bundesregierung als auch
für die Koalitionsfraktionen ganz deutlich sagen: Dieje-
nigen, die die Studierenden durch Studiengebühren be-
lasten – die Länder –, müssen auch dafür Sorge tragen,
dass es Stipendien gibt. Diejenigen, die die Studierenden
belasten, müssen sie auch entlasten. Das ist der erste
Punkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der zweite Punkt: Ich sage hier im Bundestag noch

einmal ganz klar, wofür ich stehe und wofür wir stehen:
Das BAföG bleibt, und zwar in Form einer Zuschussfi-
nanzierung, bestehen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


als eine bewährte Sozialleistung zur Sicherung der
Chancengleichheit für Einkommensschwache, als genau
dies und nichts anderes. Basta.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Nicolette Kressl [SPD]: Haben wir heute schon von der Opposition etwas dazu gehört?)


Die große BAföG-Reform, die die Bundesregierung
durchgeführt hat, hat im Übrigen dazu geführt – Herr
Rachel, deshalb sage ich: Lesen bildet –, dass, wie in der
Studie des Studentenwerkes, die Sie zitiert haben, aus-
drücklich gesagt wird, die Zahl der Kinder aus so ge-
nannten bildungsfernen Schichten, die ins Studium ge-
langen, zum ersten Mal seit den 80er- und 90er-Jahren
um 5 Prozentpunkte gestiegen ist. Das ist das genaue
Gegenteil dessen, was Sie hier erzählt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ach was!)


– Ich kann den Auszug aus dem Bericht des Studenten-
werkes gerne dem Protokoll beifügen, damit Sie das im
Zusammenhang mit dem Protokoll nachlesen können.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Der Anteil der sozial Schwachen ist in den letzten fünf Jahren von 14 Prozent auf 12 Prozent gesunken! Gucken Sie sich das doch an!)


– Nein, Herr Rachel, Sie haben Unrecht.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Nein, Sie haben Unrecht! Gucken Sie sich die Papiere doch an!)


Sie behaupten etwas Falsches. Deshalb sage ich Ihnen:
Ich werde den Bericht dem Protokoll des Deutschen
Bundestages beifügen. Dann kann sich jeder selber in-
formieren, dann kann jeder selber lesen und sehen, dass
Sie hier etwas Falsches behauptet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


Der zweite Punkt: Mein Kollege Loske hat darauf
hingewiesen, dass es die Bundesregierung von Sozial-
demokraten und Bündnis 90/Die Grünen war, die es
durch ihre große BAföG-Reform erreicht hat,


(Ulrike Flach [FDP]: Das war aber eine kleine! Eine große sieht doch ganz anders aus!)


eine deutlich größere Zahl junger Menschen zum Stu-
dium zu motivieren. Ich will noch einmal die Zahlen
insgesamt nennen: 1998 begannen 257 601 junge Men-
schen ein Studium. 2004, im letzten Jahr, waren es
366 000. Ich betrachte das als einen Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich halte die Äußerungen, die ich gelegentlich immer
wieder von einigen aus der CDU/CSU höre, dass ein
Studierendenanteil von 20 Prozent oder 25 Prozent eines
Jahrgangs für eine moderne, leistungsfähige Volkswirt-
schaft ausreichte, für naiv und auch für falsch.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat doch kein Mensch behauptet! Da werden wieder Unwahrheiten verbreitet!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Wir brauchen viel mehr gut ausgebildete Menschen. Das
ist unsere Politik; darauf setzen wir und das unterschei-
det uns von Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu Ihnen, Frau Flach, nur einen ganz kurzen Hinweis:
Ich stimme Ihnen völlig zu, dass man Kindergeld und
BAföG auch als Gesamtheit betrachten muss. Deshalb
haben wir ja mit der großen BAföG-Reform erreicht und
sichergestellt, dass das Kindergeld jetzt voll zusätzlich
zum BAföG gezahlt wird.


(Jörg Tauss [SPD]: Und nicht mehr angerechnet wird!)


Bei Ihnen, unter der CDU/CSU/FDP-Regierung, wurde
es quasi abgezogen.


(Ulrike Flach [FDP]: Das ist doch aber nur ein Stückchen!)


Das heißt, es wurde nicht voll zusätzlich gezahlt. Bei uns
wird es voll zusätzlich gezahlt, mit dem Ergebnis, dass
wir jetzt einen BAföG-Höchstbetrag von 586 Euro zu-
züglich Kindergeld haben. Indem damals unter der
CDU-Regierung das Kindergeld angerechnet wurde,


(Ulrike Flach [FDP]: Das ist ein anderes System, Frau Bulmahn!)


haben gerade die einkommensschwächsten Familien
wieder gelitten und hatten nichts davon.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516909600

Frau Kollegin Bulmahn, ich weise Sie darauf hin,

dass Ihre ordentliche Redezeit abgelaufen ist. Sie dürfen
als Ministerin natürlich weiterreden. Dann laufen Sie
aber Gefahr, dass aus dieser Aktuellen Stunde eine or-
dentliche Debatte wird, die dann neu eröffnet wird.


(Ulrike Flach [FDP]: Oh ja! – Katherina Reiche [CDU/CSU]: Das wurde aber Zeit!)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ich schließe meine Rede. – Uns geht es um die jungen
Menschen, uns geht es um die Hochschulen. Deshalb
lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Über die dpa-
Nachrichten läuft zurzeit, dass die Ministerpräsidenten
die Exzellenzinitiative, die Förderung von Spitzenfor-
schung in Deutschland, wieder auf Eis legen wollen.


(Jörg Tauss [SPD]: Pfui! Unglaublich!)

Ich sage hier ausdrücklich an die Adresse von Frau
Merkel – auch wenn sie nicht da ist –: Ich fordere Sie
auf, endlich ein Machtwort zu sprechen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Die Union lässt sich von dem hessischen Ministerpräsi-
denten am Nasenring durch die Arena ziehen. Wenn die
CDU/CSU-Ministerpräsidenten heute so entschieden ha-
ben, dann ist das eine schallende Ohrfeige für die
15 Wissenschaftsminister, die in der letzten Woche ge-
sagt haben: Wir wollen die Exzellenzinitiative. Es ist vor
allen Dingen aber eine schallende Ohrfeige für die
Hochschulen, die auf diesen Wettbewerb drängen.


(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Sie haben die Hochschulmittel doch erst einmal gekürzt! Sie sollten nicht so groß herumtönen!)


Sie nehmen den Studierenden damit wichtige Zukunfts-
chancen. Und es ist eine schallende Ohrfeige für die
Wissenschaft in unserem Land insgesamt. Die Hoch-
schulen wissen spätestens seit heute,


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Könnten Sie irgendwann auf Ihre Redezeit achten! Mein Gott, das nimmt ja überhaupt kein Ende! – Willi Brase [SPD]: Ist Ihnen das unangenehm?)


dass der CDU die Hochschulen und die Wissenschaft
nichts wert sind, wenn sich diese Nachricht bewahrhei-
tet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516909700

Das Wort hat der Kollege Axel Fischer von der CDU/

CSU-Fraktion.

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich frage mich:
Wie tief müssen Sie gesunken sein, Frau Ministerin, hier
eine solche Debatte zu führen und sich an dem Wort
„BAföG“ so festzuklammern?


(Nicolette Kressl [SPD]: Am Inhalt, nicht am Wort!)


– Am Wort halten Sie sich fest!

(Nicolette Kressl [SPD]: Sie haben nichts zum Inhalt gesagt!)

Ich will Ihnen sagen, was ein chinesischer Philosoph ge-
sagt hat:

Willst du für ein Jahr vorausplanen, so baue Reis
an. Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, so
pflanze Bäume. Willst du für ein Jahrhundert pla-
nen, so bilde Menschen.

Genau das ist die Grundposition der Union: Wir möch-
ten Menschen bilden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb, Frau Ministerin, ist für uns der Grundsatz: Ob
jemand studiert oder nicht, darf nicht vom Geldbeutel
der Eltern oder vom eigenen Geldbeutel abhängen,


(Zurufe von der SPD: Oh!)

es darf auch nicht vom Geschlecht abhängen, es muss
einfach davon abhängen, ob er in der Lage ist, ein Stu-
dium zu absolvieren – das müssen die Kriterien sein.






(A) (C)



(B) (D)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Können Sie das beweisen?)


Frau Ministerin, ich gebe Ihnen vollkommen Recht:
Wir brauchen mehr gut ausgebildete Menschen. Bildung
wird aber nicht nur in der Hochschule vermittelt. Wir ha-
ben auch gut ausgebildete Menschen im Bereich der
Lehrlinge und Meister. Sie werden oft genug vergessen.
Auch das sind gut ausgebildete Menschen, die wir för-
dern müssen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Da bleibt das Wort „Meister-BaföG“ zu sagen!)


Wenn man Sie so reden hört, dann fragt man sich, ob
Sie die Historie des BAföG überhaupt kennen. „BAföG“
heißt „Berufsausbildungsförderungsgesetz“. In den letz-
ten Jahrzehnten – 1971 wurde es eingeführt – wurde es
immer wieder mal geändert. Das BAföG gab es mal als
Teildarlehen und mal als Volldarlehen, weil die Finan-
zierung eben nicht gesichert war. Erinnern Sie sich an
Bundeskanzler Helmut Schmidt, unter dem es reduziert
werden musste.


(Zuruf von der SPD: Unter Kohl!)

Zurzeit ist es ein Teildarlehen. Sie standen eben hier und
haben so getan, als müsse das BAföG nicht zurückbe-
zahlt werden. Selbstverständlich muss das BAföG zu-
rückbezahlt werden. Wir als Union sagen, dass das auch
richtig ist; denn wer hinterher mehr verdient, der darf ru-
hig einen Teil der Förderung, die ihm zuteil wurde, zu-
rückbezahlen. Das muss eine Grundposition bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)


Frau Ministerin, Sie haben sich hier hingestellt und
verkündet, dass es der Erfolg Ihrer BAföG-Politik ist,
dass zukünftig mehr Studierende BAföG empfangen.


(Willi Brase [SPD]: Das ist richtig!)

Ich muss Ihnen sagen: Das ist mit Sicherheit kein Er-
folgskriterium. Das zeigt lediglich, dass ein größerer An-
teil der Studierenden BAföG braucht, um studieren zu
können.


(Lachen bei der SPD)

Das heißt, dass der Wohlstand in unserem Land gesun-
ken ist.


(Ute Berg [SPD]: Die Bemessungsgrundlage ist erweitert worden!)


Schauen Sie sich doch den Armutsbericht, den wir vor
kurzem hier im Plenum debattiert haben, an. Steigende
BAföG-Empfängerzahlen sprechen auch dafür, dass die
Armut in Deutschland zunimmt. Im Armutsbericht steht
das klipp und klar drin. Wir folgern daraus: Rot-Grün
macht arm.


(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Und danach dumm!)


Wir legen Wert darauf, dass jemand, der BAföG emp-
fängt, einen Teil davon zurückbezahlen muss. Vorausset-
zung dafür ist aber, dass er hinterher auch einen entspre-
chenden Arbeitsplatz findet. Auch das ist ein wichtiger
Aspekt. Ich muss Ihnen sagen: Hier muss eine entspre-
chende Wirtschaftspolitik gemacht werden. Das haben
wir hier in den letzten Wochen schon zur Genüge behan-
delt. Die steigende Arbeitslosigkeit zeigt uns, dass Sie
auch in diesem Bereich große Lücken haben. Ich kann
Sie nur auffordern: Machen Sie Druck auf Ihre Bundes-
regierung, dass endlich eine vernünftige Wirtschaftspoli-
tik gemacht wird und dass wir auch hier vorankommen,
sodass die, die vom Studium ins Berufsleben gehen wol-
len, die Möglichkeit haben, Arbeitsplätze zu finden. Das
wäre dringend notwendig.

Frau Ministerin, weil Sie davon gesprochen haben,
möchte ich Ihnen Zahlen vom Deutschen Studentenwerk
vorlesen. Ich habe die Statistik in meinen Händen. 1997
hatten14 Prozent der Studierenden eine niedrige soziale
Herkunft. 2003 waren es gemäß der Statistik noch
12 Prozent. Das ist eine klare Abnahme.


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Aha!)

Auch hieran sehen Sie deutlich, dass Sie das, was Sie
uns hier erzählen, nicht erreicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb kann ich abschließend nur sagen, dass die

Debatte, die Sie hier angezettelt haben, nur einer Sache
dient: Sie wollen von Ihren Misserfolgen ablenken und
im Wahlkampf Stimmung für Nordrhein-Westfalen ma-
chen.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es! – Zurufe von der SPD: Oh!)


Lesen Sie sich die Aussage von Frau Schavan einmal
durch. Sie hat nie gesagt, sie wolle das BAföG abschaf-
fen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Ich habe es Ihnen vorhin vorgelesen!)


Die Frage an Frau Schavan lautete – ich zitiere –:
Der Bund weigert sich, das Bafög in neue Studien-
finanzierungsmodelle mit einzubeziehen. Wäre das
ein anzustrebendes Reformprojekt im Falle eines
Wahlsieges der Union im Bund 2006?

Antwort von Frau Schavan – ich zitiere –:
Ganz sicher, denn Studiengebühren und Studien-
finanzierung müssen zusammen gesehen werden.


(Zurufe von der SPD: Aha!)

– Studienfinanzierung heißt nicht, dass es keine Zu-
schüsse gibt, liebe Frau Kressl. – Weiter sagt sie:

Allerdings muß das Bafög noch so lange erhalten
bleiben, bis es einen tatsächlich attraktiven Markt
der Bildungsfinanzierung gibt.


(Willi Brase [SPD]: Ja!)

Wenn Sie daraus lesen, dass Bildungsfinanzierung be-
deutet, dass alles zurückgezahlt werden muss, dann sind
Sie auf dem falschen Dampfer. Wir sind durchaus der
Meinung, dass das nicht unbedingt sein muss und dass






(A) (C)



(B) (D)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)


für besonders gute Studenten oder für die, die es nötig
haben,


(Nicolette Kressl [SPD]: Oh, oh!)

die Möglichkeit bestehen muss, Geld vom Staat hinzu-
zubekommen. Das muss möglich sein; denn die Rück-
zahlung muss wirklich davon abhängen, ob man hinter-
her einen entsprechenden Beruf findet oder nicht. Aber
um diesen Punkt müssen Sie sich dringend kümmern.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Peinlich!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516909800

Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1516909900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, wir müssen in dieser Debatte wieder
etwas redlich werden. Die CDU/CSU hat schon zweimal
Zahlen angeführt, aber nicht ein einziges Mal die Quelle
dazu genannt.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: 17. Sozialerhebung!)


Ich empfehle Ihnen, sich den Bericht der
17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes an-
zuschauen. Dort steht, dass die Zahl derer, die aus einer
Arbeitnehmerfamilie kommen und BAföG erhalten, von
15 auf 21 Prozent gestiegen ist. Das liegt schlicht und
einfach daran, dass wir die Grenze für die Freibeträge er-
höht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diejenigen, deren Einkommen knapp über dieser Grenze
lagen und kein BAföG bekamen, erhalten es jetzt. Da-
rauf ist die Erhöhung dieser Zahl zurückzuführen.

Wir haben hier schon eine ganze Reihe von Fakten
genannt. Es bleibt dabei: Der letzte Bildungsminister der
Regierung Kohl, Jürgen Rüttgers, hat das BAföG herun-
tergewirtschaftet. Bis 1998 ist die Zahl der BAföG-Emp-
fänger auf ein Rekordminimum zurückgegangen. Erst
seitdem Rot-Grün die Regierung übernommen und das
BAföG reformiert hat, indem zum Beispiel die Sätze und
Freibeträge erhöht wurden, steigt die Zahl der BAföG-
Empfänger wieder. Wir investieren in die Köpfe der
Menschen; dazu ist genug gesagt worden. Wir fördern
die Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht muss man die Diskussion ohne die Zahlen
führen und überlegen, was es für die betroffenen jungen
Menschen bedeutet. Ich wohne nach wie vor in dem
Stadtteil meiner Heimatstadt Hagen, in dem ich groß ge-
worden bin. Das ist ein Stadtteil mit vielen Arbeitern
und einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Sozial-
hilfeempfängern, Arbeitslosen, normalen Arbeitnehmer-
familien und Alleinerziehenden. Die Tatsache, dass ich
in meinem Wahlkreis relativ viel zu Fuß und mit Bussen
unterwegs bin, zeigt mir die Situation der Menschen in
meiner Umgebung. Ich sehe, wie die Kinder aufwach-
sen. Ich weiß, dass viele ihre Kinder, obwohl sie ein hö-
heres Bildungsniveau verdient hätten, traditionell auf
eine Realschule schicken, auch wenn sie sehr gut sind.
Alles andere ist eher selten.

Was bedeutet es für eine normale Arbeitnehmer-
familie aus einer solchen Gegend, wenn Jürgen Rüttgers
Ministerpräsident in NRW wird und sich die Politik der
CDU durchsetzt? Dadurch wird diese Arbeitnehmerfa-
milie mehr denn je vor die Frage gestellt werden: Kön-
nen wir uns ein Studium unseres Kindes überhaupt leis-
ten?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Reine Polemik!)


– Nein, das ist keine Polemik. Das, was Frau Schavan
gesagt hat, ist oft genug zitiert worden, nämlich die For-
derung nach der kurzfristigen Abschaffung des BAföG,
die von den Bildungsministern aus Niedersachsen und
Brandenburg unterstützt wird. Zwei Tage später hat der
Sprecher von Frau Schavan, Schanz, in der „Tages-
zeitung“ vom 8. April gesagt:

Wir stellen das Bafög in den nächsten zwei, drei
Jahren nicht in Frage.


(Beifall bei der SPD)

Was heißt das? Sie können es gar nicht, weil wir noch
mindestens zwei Jahre regieren werden. Ich glaube, Frau
Schavan hat die Wahrheit gesagt.


(Nicolette Kressl [SPD]: So ist es! Es ist ihr rausgerutscht!)


Viele aus der CDU haben sich hinter sie gescharrt. Ihnen
ist es schlicht und einfach peinlich, dass diese Wahrheit
schon jetzt ans Licht gekommen ist. Es wird noch peinli-
cher, wenn Sie in der Debatte eine Erhöhung des BAföG
fordern, eine Einrichtung, die Sie eigentlich ablehnen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)


Gleichzeitig will Jürgen Rüttgers Studiengebühren
von bis zu 1 000 Euro im Jahr zulassen. Ich kann mir das
als Abgeordneter für meine ersten beiden Kinder viel-
leicht noch leisten, aber beim dritten Kind wird es
schwierig, Studiengebühren zu zahlen. Aber wie wird
eine Arbeitnehmerfamilie entscheiden müssen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für sie wird es unmöglich werden, ein Studium zu finan-
zieren, wenn sie kein BAföG mehr erhalten und dann
auch noch Studiengebühren zahlen müssen. Das ist die
Realität. Sie müssen einfach einmal auf die Straße gehen
und sich die Leute anschauen, die zumindest uns am
Herzen liegen.






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel

Wir wollen keine Studiengebühren. Wir wollen eine

umfassende Bildungspolitik machen. Wir wollen bessere
Betreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen. Wir
investieren 4 Milliarden Euro in ein Ganztagsschulpro-
gramm, damit Frauen, die berufstätig sein wollen, die
Sicherheit haben, dass ihre Kinder vernünftig betreut
werden – das ist eine freiwillige Institution –, und damit
die Kinder den Tag über beaufsichtigt und gefördert wer-
den und nicht auf der Straße herumhängen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Eltern merken, wie gut dieses Angebot ist. Ich er-
lebe mittlerweile auch in den CDU-regierten Kommunen
in Nordrhein-Westfalen – diese gibt es leider – und in
den CSU-regierten Kommunen in Bayern, dass die
CDU/CSU gar nicht umhinkommt, dem Willen und dem
Druck der Eltern nachzugeben und Angebote für Ganz-
tagsschulen zu machen. Das ist schlicht und einfach so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie leben in einer anderen Welt!)


Wir wollen, dass auch Menschen aus Arbeitnehmerfa-
milien studieren können. Sie wollen oder nehmen zu-
mindest in Kauf – das ist der Unterschied –, dass künftig
wieder die soziale Herkunft stärker als jetzt – das ist uns
durch die PISA-Studie bescheinigt worden – darüber
entscheidet,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch die Unwahrheit! Das ist eine bösartige Unterstellung!)


wer ein Studium aufnehmen kann. Es werden wieder
weniger Arbeitnehmerkinder studieren können. Die so-
ziale Herkunft wird über die Bildungschancen entschei-
den. Es werden nicht mehr die klugen Köpfe darüber
entscheiden, ob sie studieren oder nicht. Ich werde es
nicht hinnehmen, dass ein junger Mensch nur deshalb
nicht studieren kann, weil sein Vater Stahlarbeiter ist
oder seine Mutter Verkäuferin. Wir werden uns für die
jungen Menschen einsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516910000

Das Wort hat der Kollege Dr. Christoph Bergner von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1516910100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt in

der Freiheit jeder Fraktion, die Aktuelle Stunde zu bean-
tragen, die ihrem politischen Aktionshorizont entspricht.
Ich muss für mich gestehen, dass ich das, was Sie hier
beantragt und thematisiert haben, gemessen an den ei-
gentlichen bildungspolitischen Problemen, die wir im
Lande haben, nicht für ausgesprochen weiterführend
halte.

(Beifall bei der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Vorsichtig!)


Ich bringe es nicht fertig, Ihnen ein intellektuelles Ni-
veau zu unterstellen, wonach Sie nicht in der Lage gewe-
sen wären, das, was Frau Schavan gesagt hat, wirklich
zu verstehen. Wenn Sie das auf den simplen Satz „Die
CDU will das BAföG abschaffen“ reduzieren


(Jörg Tauss [SPD]: Nach 2006!)

und dies mit der diffamierenden Behauptung verbinden,
es wäre der CDU egal, welche soziale Flankierung für
Studierende angeboten wird, dann haben Sie nicht die
Absicht, sich über die Zukunft einer Ausbildungsförde-
rung zu unterhalten, sondern dann haben Sie die Absicht,
Ihren politischen Wettbewerber zu verleumden.


(Widerspruch bei der SPD)

Denn etwas zu sagen, von dem Sie wissen, dass es nicht
der Wahrheit entspricht, ist zumindest nach der Defini-
tion unseres Strafgesetzbuches Verleumdung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie brauchen bloß einmal den Versuch zu unterneh-

men, bei einer Suchmaschine die Worte „Abschaffung
BAföG“ einzugeben.


(Nicolette Kressl [SPD]: Dann kommt „Frau Schavan“!)


– Es kommt ein anderes Zitat. Ich darf es mit Genehmi-
gung des Präsidenten vorlesen:

An die Stelle des heutigen BAföG möchten wir
nach wie vor ein mit mehr Eigenverantwortung und
Elternunabhängigkeit verbundenes Modell der Fi-
nanzierung des studentischen Lebensunterhalts set-
zen.

Das steht unter der Überschrift „BAFF statt BAföG“ im
Positionspapier des Bündnisses 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun will ich nicht so argumentieren, dass die Grünen
das BAföG abschaffen wollen. Ich will Ihnen nur sagen,
wie unsinnig es ist, die Diskussion auf eine solche These
zu reduzieren. Herr Tauss, wenn Sie den Versuch unserer
Bundesvorsitzenden, wenigstens öffentlich Klarheit her-
zustellen, hier im Parlament mit einem Ulbrichtzitat ver-
binden – ich habe es auf der Webseite der Jusos gefun-
den; da gehört es wohl hin –, dann bewegen Sie sich an
der Grenze zur Geschmacklosigkeit. Das muss ich Ihnen
in aller Deutlichkeit sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Was ich für sehr viel schwieriger bei dieser Art der
Debatte halte, ist, dass Sie damit, dass Sie gewisserma-
ßen eine künstliche Ewigkeitsgarantie für das BAföG
einfordern, eine Diskussion ideologisieren, die unbe-
dingt geführt werden muss. Es hat Gott sei Dank in der
Debatte genug Beiträge gegeben, die auf die eigentli-
chen Entscheidungsprobleme, vor denen wir stehen, hin-
gewiesen haben. Wenn Studiengebühren eingeführt wer-
den, dann kann sich die soziale Flankierung doch nicht






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christoph Bergner

allein auf die Grundsicherung des Lebensunterhaltes be-
schränken, sondern dann muss sie sich auch auf die Ab-
sicherung der Studienkosten erstrecken.


(Jörg Tauss [SPD]: Studiengebühren!)

Wenn wir den Weiterbildungsgedanken – Kollegin

Flach hat das angesprochen – so ernst nehmen, wie wir
es alle in unseren Sonntagsreden immer wieder verkün-
den, dann muss doch auch einmal die Frage erlaubt sein,
ob denn das System, das wir jetzt haben, hierauf eine
Antwort gibt. In diesem Zusammenhang wird es noch
interessant: Es geht auch darum, die Überlegungen, die
mit der Quotierung konsekutiver Studiengänge gerade in
Nordrhein-Westfalen transportiert werden, mit der Frage
zu verbinden, wie sie in ein solches System einzuordnen
ist.

Wir müssen auch darüber diskutieren, wie wir in ge-
eigneter Weise eine abschreckende Signalwirkung ver-
hindern.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, wie?)

Denn niemand in der Union, der zugunsten einer intelli-
genten Kostenbeteiligung der Studierenden argumentiert,
möchte diese Abschreckungswirkung; es geht vielmehr
um die hohe begabungsgerechte Bildungsbeteiligung aller
Bevölkerungsschichten.

Wir müssen letztlich – ich glaube, dass wir uns an
dieser Stelle alle etwas vormachen – auch die Frage der
Sicherung nachhaltiger Finanzierungsvoraussetzungen
stellen.


(Jörg Tauss [SPD]: Eigenheimzulage! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Jäger 90!)


– Nicht schon wieder die Eigenheimzulage! Wir können
über alles Mögliche diskutieren. Ich kann aber nur davor
warnen, uns im Wahlkampf mit Versprechen auf Ausga-
ben der öffentlichen Hand allzu hemmungslos zu profi-
lieren.


(Willi Brase [SPD]: Was Sie den Menschen nehmen wollen: 1 000 Euro Studiengebühren! Es ist nicht zu fassen!)


Die finanzpolitische Wirklichkeit unseres Landes – der
Länder wie des Bundes – sieht ganz anders aus. Gerade
deshalb ist eine verantwortungsbewusste Diskussion
über die geeigneten Instrumente notwendig. Die heutige
Aktuelle Stunde, die von Ihnen beantragt wurde, war aus
meiner Sicht kein Beitrag zum verantwortungsbewuss-
ten Umgang mit dem Thema.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516910200

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Schmitt von der

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1516910300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Schauspiel, das die verantwortlichen Politiker Ihrer Par-
tei in den letzten Tagen geboten haben,


(Nicolette Kressl [SPD]: Und heute!)

wird heute fortgesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe einige Zitate herausgegriffen. Herr Rachel

zum Beispiel fordert die Erhöhung des BAföGs, wäh-
rend die Bildungssprecherin seiner Partei die Abschaf-
fung des BAföGs und einen Markt der Bildungsfinanzie-
rungen fordert. Herr Fischer hat gesagt: Rot-Grün macht
arm, weil die Zahl der BAföG-Empfänger steigt. Dazu
stelle ich fest: Schwarz macht dumm. Denn die Zahl der
BAföG-Empfänger ist deshalb gestiegen, weil wir ent-
sprechende Gesetze geschaffen und die Freibeträge er-
höht haben. Vor allen Dingen sind wieder mehr Kinder
von Eltern mit Hauptschulabschluss an die Universitäten
gekommen als zuvor. Wir haben insofern die soziale
Schieflage klar verbessert.

Herr Bergner, bei Ihnen war eher ein Hü und Hott he-
rauszuhören; eine klare Bildungspolitik beim BAföG
wie auch bei den anderen Bildungsthemen ist schwer zu
erkennen. Dazu passt auch, dass der „Spitzen-Koch“ aus
Hessen uns bei der Förderung von Spitzenforschung an
Universitäten wieder einmal die Suppe versalzen hat.
Aus derselben Ecke wird auch das Ganztagsschulpro-
gramm der Bundesregierung verneint.


(Beifall der Abg. Nicolette Kressl [SPD])

Alles zusammengenommen wird klar: Es fehlt Ihnen

an schlüssigen Konzepten in der Bildungspolitik. Sie
missbrauchen Bildungs- und Forschungspolitik für
Machtspiele. Ihre Vorstellungen von Bildungspolitik ha-
ben eine soziale Schieflage.

In Ihren Sonntagsreden stellen Sie immer wieder fest,
wie wichtig Bildung und Forschung für unser Land sind.
Gleichzeitig sorgen Sie aber dafür, dass die Mittel, die
die Bundesregierung bereitstellt, nicht dort ankommen,
wo sie dringend benötigt werden, nämlich in den Schu-
len und Universitäten, wo man händeringend auf dieses
Geld wartet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das sind Machtspielchen, die verwerflich sind, weil sie
auf dem Rücken der Jugend und zulasten der Zukunft
unseres Landes ausgetragen werden.

Ich komme noch einmal auf die soziale Schieflage zu
sprechen. Wir alle wissen doch spätestens seit der PISA-
Studie, dass besonders in Deutschland die soziale Her-
kunft stark über den späteren Bildungserfolg entschei-
det. Das ist zwar auch Ihnen bekannt, aber ich muss es
an dieser Stelle wiederholen.

Gerade Ganztagsschulen bieten die Möglichkeit, sozia-
le Benachteiligungen auszugleichen und ein besseres
Schulangebot zu unterbreiten. Die großen unionsgeführ-






(A) (C)



(B) (D)


Heinz Schmitt (Landau)


ten Länder aber schlagen die diesbezüglichen Angebote
der Bundesregierung weitgehend aus.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Union,
alles so lassen, wie es ist, dann schreiben Sie letztlich die
Ungerechtigkeiten fort, die durch die PISA-Studie deut-
lich beschrieben wurden. Hinzu kommt, dass die Einfüh-
rung von Studiengebühren bereits jetzt hohe Hürden für
Schulabgänger aus einkommensschwachen Familien
schafft. Ich kann hier aus eigener Erfahrung mitreden.
Studiengebühren wirken abschreckend. Auch dies ist Ih-
nen bekannt. Wenn Sie jetzt noch einen draufpacken und
das BAföG abschaffen, dann schließen Sie in letzter
Konsequenz junge Menschen aus einkommensschwa-
chen Familien von höheren Bildungsabschlüssen aus.


(Beifall bei der SPD)

Denn dann würde ein Studium automatisch einen großen
Schuldenberg nach sich ziehen.

Ich finde es ebenfalls bemerkenswert, dass Frau
Schavan bei ihren BAföG-Äußerungen davon gespro-
chen hat, man müsse einen „attraktiven Markt der Bil-
dungsfinanzierung“ schaffen. Ich nehme an, dass die bil-
dungspolitische Sprecherin der Union weiß, was „Markt“
bedeutet.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist das Gegenteil von Sozialleistungen!)


– Richtig. – Klarer kann man das Leitbild der Union im
Augenblick nicht fassen. Markt, Konkurrenz, Wettbe-
werb, damit rechtfertigen Sie alles, sei es die Abschaf-
fung von Arbeitnehmerrechten oder sei es, wie Sie nun
fordern, die wenig christliche Abschaffung des BAföG.
Ich sage Ihnen: Sie sollten auch einmal wieder über Be-
griffe wie „Solidarität“ und „Chancengleichheit“ nach-
denken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gehört zu den Binsenweisheiten, dass der Markt
auf dem sozialen Auge blind ist. Dies gilt gerade in der
Bildungsförderung. Das sollten Sie bedenken, wenn Sie
nicht riskieren wollen, dass in Zukunft wieder der Geld-
beutel über die Ausbildung junger Menschen entschei-
det. Was wir in Zukunft brauchen, sind möglichst viele
junge Menschen mit einem akademischen Abschluss
und keine neuen Geschäftsfelder, damit die Banken auch
dort Geld verdienen können.

Abschließend: Werte Kolleginnen und Kollegen von
der Union, sagen Sie uns, wofür Sie stehen, damit die
Menschen in diesem Land entscheiden können, ob sie
Ihren Vorschlägen folgen wollen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516910400

Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile

ich das Wort dem Kollegen Willi Brase von der SPD-
Fraktion.

Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1516910500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die
CDU/CSU ein Problem mit der Glaubwürdigkeit ihrer
Aussagen hat. Wenn ich mir anschaue, welche Hoch-
schulpolitik Sie in den letzten Jahrzehnten gemacht ha-
ben, dann kann ich Ihnen nicht ersparen, darauf hinzu-
weisen, dass es Herr Rüttgers war, der das BAföG mit
der Strukturreform 1996 radikal verändern und den Stu-
denten bankübliche Zinsen für den Darlehensanteil ab-
nehmen wollte. Nur weil SPD-geführte, aber auch uni-
onsgeführte Länder Druck gemacht haben, hat er sich
nicht durchsetzen können.


(Beifall bei der SPD)

Er wollte mit dieser Politik


(Jörg Tauss [SPD]: Damals schon!)

in vier Jahren 1,6 Milliarden DM einsparen. Wenn wir
heute über das BAföG reden und darüber, ob die Union
das BAföG irgendwann einmal abschaffen will, dann er-
innern wir uns sehr genau daran, dass Sie das BAföG be-
nutzt haben, um an anderer Stelle Löcher zu stopfen. Das
lehnen wir ab.


(Beifall bei der SPD)

Als Helmut Kohl 1982 die Regierungsgeschäfte über-

nahm, war eine der ersten Amtshandlungen – deshalb
haben Sie ein Glaubwürdigkeitsproblem –, das BAföG
auf reine Darlehensförderung umzustellen und den Zu-
schussanteil abzuschaffen.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie heute sagen, das BAföG solle erhalten bleiben,
dann kann ich nur darauf verweisen, dass ich bislang von
Ihnen keine einzige Aussage darüber vernommen habe,
ob auch der Zuschuss erhalten bleiben soll. Tatsächlich
wollen Sie das BAföG wieder völlig auf Darlehensförde-
rung umstellen. Zahlen müssen dafür die Betroffenen.
Das lehnen wir ab.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund ist klar, warum Frau Merkel
sozusagen die wahltaktische Notbremse gezogen hat und
möchte, dass darüber nicht weiter diskutiert wird. Aber
Ihr Glaubwürdigkeitsproblem bleibt bestehen. Wir wer-
den in der Auseinandersetzung deutlich machen, dass
Sie das BAföG abschaffen wollen, wenn Sie die Chance
dazu haben. Die Beispiele aus der Vergangenheit bele-
gen das.

Was steckt nun hinter dem Vorhaben der Union? Die
Wende der Union in der Hochschulpolitik bedeutet nach
unserer Auffassung die Aufkündigung des Generatio-
nenvertrages.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Die ältere Generation erklärt also der jüngeren, dass sie
nicht länger gewillt sei, durch Steuern die Kosten der
Ausbildung zu tragen. Die Studierenden sollen ihr Stu-
dium selbst bezahlen, und zwar entweder durch Studien-
gebühren in Höhe von 500, 1 000 Euro und mehr pro






(A) (C)



(B) (D)


Willi Brase

Semester oder unmittelbar durch Darlehen wie in der
Vergangenheit. Sie sollen kräftig in ihre Zukunft inves-
tieren, damit sie das Geld verdienen, das die Älteren als
Rente oder Pension von ihnen erwarten. Eine solche Ein-
bahnstraßensolidarität wird die jüngere Generation nicht
hinnehmen.


(Beifall bei der SPD)

Soll doch die ältere Generation selbst für ihre Alterssi-
cherung sorgen, wird sie sagen und die Abkehr vom So-
zialstaat beschleunigen. Dieser Weg soll zumindest ein
Stück weit beschritten werden. Ich glaube, es ist wichtig,
das im Hinterkopf zu behalten.

Ich will durchaus anerkennen, dass es Frau Schavan
und anderen auch um die Sozialverträglichkeit von Stu-
diengebühren ging. In diesem Zusammenhang fällt doch
auf: Der Bund soll seinen BAföG-Haushalt um den Be-
trag erhöhen, den die Länder dann in Form von Studien-
gebühren von den BAföG-Studenten verlangen. Erst
wird der Bund in dieser Frage herausgekegelt und an-
schließend zur Kasse gebeten. Ich finde, das ist ein biss-
chen dreist. Das sollten wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der SPD)

Die Union hat hochschulpolitische Vorschläge ge-

macht: Einführung von Studiengebühren, Streichung des
BAföG, Umstieg auf Volldarlehen und damit Abschaf-
fung des Zuschusses, Vergabe von Studienkrediten. Ich
bin der Auffassung: Dies sind Ausleseinstrumente, da-
mit vor allen Dingen Kinder aus Arbeitnehmerhaushal-
ten, aus sozial- und einkommensschwachen Verhältnis-
sen den Weg zur Hochschule nicht mehr gehen können.


(Ulrike Flach [FDP]: Das tun sie doch jetzt schon nicht mehr!)


Ich sage Ihnen: Als Sie 1982 an die Macht gekommen
sind und sofort auf Volldarlehen umgestellt haben, woll-
ten Sie, dass nicht zu viele Kinder aus Arbeitnehmer-
haushalten den Weg zur Hochschule finden. Das wollen
und werden wir ablehnen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Ich kann diese Behauptung begründen, Frau Flach.
Nach der 14. DSW-Sozialerhebung stieg seit 1982 die
Zahl der Studentinnen und Studenten aus der obersten
sozialen Schicht von 18 Prozent auf 27 Prozent, wäh-
rend der Anteil Studierender aus einkommensschwächs-
ten familiären Verhältnissen von 25 Prozent auf 14 Pro-
zent absackte. Das haben Sie zu verantworten. Wir
werden das nicht mitmachen. Wir wollen, dass alle Kin-
der in unserem Land eine vernünftige Chance erhalten.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich einen letzten Aspekt ansprechen. Ich

glaube, Ihre Absicht ist die Privatisierung eines öffent-
lichen Gutes.


(Ulrike Flach [FDP]: Nein!)

Damit Banken mehr Geld erwirtschaften können, wird
aus dem Sozialgesetz BAföG ein Bankenförderungsge-
setz. Die alte Abkürzung „BAföG“ kann so zwar auf-
rechterhalten werden; dennoch ist dieser Weg falsch,
weil durch ihn zu viele junge Leute in diesem Land aus-
gegrenzt werden.

Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516910600

Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (12. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Anton Schaaf, Sabine
Bätzing, Ute Berg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Jutta Dümpe-Krüger, Irmingard Schewe-Gerigk,
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Zukunft der Freiwilligendienste – Ausbau der
Jugendfreiwilligendienste und der genera-
tionsübergreifenden Freiwilligendienste als zi-
vilgesellschaftlicher Generationenvertrag für
Deutschland
– Drucksachen 15/4395, 15/5175 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anton Schaaf
Thomas Dörflinger
Jutta Dümpe-Krüger
Ina Lenke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er-
teile ich der Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel für
die Bundesregierung das Wort.

Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staats-
sekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Gesellschaft, die
der Leitidee des Engagements, der Beteiligung und der
Mitgestaltung durch die Bürgerinnen und Bürger ver-
pflichtet ist, baut auf Freiwilligkeit und Initiative der Eh-
renamtlichen. Außerdem hat sie die Verpflichtung, Mög-
lichkeiten der Eigeninitiative, der Mitgestaltung, der
Verantwortungsübernahme und der Beteiligung zu eröff-
nen.

Unsere Gesellschaft ist – das wissen und erfahren wir
alle immer wieder – auf die demokratische Kompetenz
und das soziale Kapital derer angewiesen, die sich frei-
willig und ehrenamtlich engagieren. Ich möchte an die-
ser Stelle auch einmal jenseits des Tages des Ehren-
amtes all denen, die ehrenamtlich arbeiten, herzlich
danken.


(Beifall im ganzen Hause)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel

Kinder und Jugendliche erfahren und lernen durch

das gemeinwohlorientierte Arbeiten der älteren Genera-
tion geradezu spielend die Wichtigkeit und die Notwen-
digkeit des freiwilligen Füreinandersorgens ebenso wie
das Einander-Spaß-und-Freude-Bereiten.

In Deutschland gibt es die unterschiedlichsten Mög-
lichkeiten und Formen zivilgesellschaftlichen Engage-
ments. Eine besondere Form stellen die gesetzlich gere-
gelten Freiwilligendienste dar. Deutschland ist das
einzige Land Europas, das bereits seit 40 Jahren Erfah-
rungen damit machen konnte. 2004 – Sie erinnern sich –
haben wir 40 Jahre freiwilliges soziales Jahr und
10 Jahre freiwilliges ökologisches Jahr richtiggehend
feiern können.

Zum Feiern bestand wirklich Anlass; denn das Inte-
resse an diesen Diensten ist in der jungen Generation un-
gebrochen. Deshalb ist es gut, dass die Einsatzbereiche
um die Bereiche Sport und Kultur erweitert werden
konnten; das Gleiche gilt für das tatsächliche Platzange-
bot. Die Weiterentwicklung ist gewünscht, sinnvoll und
notwendig.

Zurzeit werden die Gesetze zur Förderung eines frei-
willigen sozialen und eines freiwilligen ökologischen
Jahres evaluiert. Voraussichtlich in der zweiten Hälfte
dieses Jahres werden wir eine breite Datenbasis haben,
die es uns ermöglicht, die weiteren Schritte zielgenau zu
planen und zu gehen.

Die von der Bundesministerin Renate Schmidt einge-
setzte Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“
hat in ihren Strukturempfehlungen die Sinnhaftigkeit
und auch die Notwendigkeit von generationenüber-
greifenden Freiwilligendiensten deutlich gemacht. Der
demographische Wandel ermöglicht unserer Gesell-
schaft, die Potenziale der älteren Generation verstärkt zu
nutzen. Neue Formen und Möglichkeiten dafür, das Wis-
sen, die Kompetenzen und die Fähigkeiten der Älteren
für die Allgemeinheit einzubringen, sind wichtig. Eine
Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit für alle Alters-
gruppen soll sich in unserem Land weiterentwickeln
können. „Alt und Jung gemeinsam“ in der Freiwilligen-
arbeit soll und kann in bestimmten Formen vor Ort ge-
lebt werden.

Deshalb haben wir das Bundesmodellprogramm „Ge-
nerationenübergreifende Freiwilligendienste“ auf den
Weg gebracht. Über 50 Einzelprojekte und Projektver-
bünde sind aufgenommen worden. Das Haushaltsvolu-
men im Jahr 2005 beträgt 10 Millionen Euro. Die ersten
Projekte sind Ostern 2005 gestartet.

Bürgerinnen und Bürger jeden Alters, Männer und
Frauen übernehmen nach ihren Fähigkeiten und Mög-
lichkeiten Verantwortung nicht nur für sich, sondern
auch für andere, für Junge, für Alte, für Behinderte, für
Migrantinnen und Migranten, für Schülerinnen und
Schüler oder auch für besonders belastete Familien.
Durch diese neue Form von Freiwilligendiensten wollen
wir auch neue fachpolitische, das heißt familien-, senio-
ren-, gleichstellungs- und jugendpolitische, Akzente set-
zen.
Der Aufbau generationenübergreifender Freiwilligen-
dienste wird weitere Initiativen, besonders auf örtlicher
Ebene, anstoßen. Wir erwarten auch eine Verknüpfung
mit den inzwischen über 135 lokalen Bündnissen für die
Familie.

Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des
Modellprogramms wird ein fortlaufendes Programm-
Monitoring betreiben, die Ergebnisse sichern und uns
ihre Empfehlungen zum weiteren Handlungsbedarf auf
Bundes-, Landes- und lokaler Ebene geben.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend hat den Aufbau generationenüber-
greifender Freiwilligendienste gestartet. Diese Freiwilli-
gendienste werden in der Regel durch hauptamtliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Projekt bei den ein-
zelnen Trägern aufgebaut.

Ein anderer Weg – das als Beispiel – wird durch die
Weiterentwicklung des Modellprogramms „Erfahrungs-
wissen für Initiativen“, EFI, beschritten. In einem ersten
Schritt werden im Programm EFI Berufsexperten und er-
fahrene Ehrenamtliche im Übergang zur nachberuflichen
Phase, also im zeitlichen Übergang von der Arbeit zur
Rente, zu Seniortrainern und Seniortrainerinnen ausge-
bildet. Sie haben in Workshops trainiert, ihr Wissen und
ihre Fähigkeiten einzusetzen und vor allem eigene Pro-
jekte zu managen. Seniortrainer und Seniortrainerinnen
einer Kommune bilden nun zur Zusammenarbeit Teams,
so genannte Seniorkompetenzteams.

In einem zweiten Schritt ist jetzt geplant, die Ent-
wicklung lokaler Freiwilligendienste durch Seniorkom-
petenzteams zu erproben. Hierzu soll in den beteiligten
Kommunen von den örtlichen Seniorenbüros, Freiwilli-
genagenturen und Selbsthilfekontaktstellen ein runder
Tisch für freiwilliges Engagement im Alter aufgebaut
werden. An diesen runden Tischen sollen und können
dann die so genannten kommunalen Bedarfslagen er-
forscht werden. Durch die Projekte und durch die Arbeit
der Seniorenkompetenzteams mit den Trägern können
dann auch Programme für die entsprechenden Bedarfe
entwickelt werden. Träger artikulieren ihren Bedarf an
Projekten und entwickeln gemeinsam mit den Senior-
kompetenzteams entsprechende Umsetzungsmöglichkei-
ten. Dies führt zu einer Stärkung der Bürgerverant-
wortung für das Gemeinwesen und bietet vor allem
auch kleineren Trägern die Möglichkeit, Freiwilligen-
dienstler für ihr Projekt einzusetzen.

Ziel ist es, das Interesse älterer Menschen an einem
freiwilligen Engagement und an der Übernahme einer
Verantwortungsrolle für die Gesellschaft mit den aktuel-
len Bedarfen in der Kommune zu verknüpfen. Voraus-
setzung für die Aufnahme dieser Art der freiwilligen
Tätigkeit ist die Bereitschaft, sich zu einem kontinuierli-
chen, aber zeitlich begrenzten Engagement zu verpflich-
ten. Der Einsatz ist arbeitsmarktneutral.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ehrenamtliches Engagement und
Freiwilligendienste in den unterschiedlichen Formen ha-
ben in Deutschland Zukunft. Die Bundesregierung wird
in den kommenden Monaten zu prüfen haben, was sich






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel

bewährt hat und welche Weiterentwicklungen nötig sind.
Im Antrag der SPD-Bundestagsfraktion und der Bundes-
tagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sind deut-
liche Aufgaben für die Bundesregierung formuliert wor-
den, die wir entsprechend erfüllen werden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1516910700

Das Wort hat der Kollege Thomas Dörflinger von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1516910800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß gar
nicht, wie viele Male ich mich sowohl im Plenum des
Deutschen Bundestages als auch in unserem Ausschuss
zu Recht über die Tatsache beschwert habe, dass das Be-
ratungsverfahren aus meiner Sicht ungenügend war. Nun
gehört es nicht nur zur Vollständigkeit, sondern auch zur
Ehrlichkeit, besonders zu erwähnen, wenn es einmal an-
ders gelaufen ist. Ich will ausdrücklich anerkennen und
lobend herausheben, Herr Kollege Schaaf, Frau Dümpe-
Krüger, Frau Lenke, dass wir uns im Vorfeld dieser Be-
ratungen mehrmals getroffen haben, dass wir ausrei-
chend Zeit hatten, das Thema sowohl unter den Bericht-
erstatterinnen und Berichterstattern als auch in unseren
Arbeitsgruppen sowie mit den Kollegen mitberatender
Arbeitsgruppen in unseren Fraktionen zu diskutieren.
Die Koalitionsfraktionen haben sich ausdrücklich flexi-
bel gezeigt, um insbesondere auch der Bundestagsfrak-
tion der CDU/CSU letztlich eine Zustimmung zu diesem
Antrag zu ermöglichen. Ich will das anerkennen. An die
Bürgerinnen und Bürger gewandt möchte ich sagen:
Merken Sie sich den heutigen Tag, den 14. April, gut.
Streichen Sie ihn rot im Kalender an. Heute kann ich
feststellen: Wenigstens in der kurzen Zeit, in der wir
über dieses Thema debattieren, hat Rot-Grün einmal et-
was richtig gemacht.

Gleichwohl haben wir einen Dissens in Abschnitt II
des Antrages, meine Damen und Herren, in dem auf die
Bestimmungen des Zweiten Zivildienständerungsgeset-
zes rekurriert wird. Wir als Union bleiben dabei: Wir ha-
ben seinerzeit in der Beratung dieses Gesetzes unsere
Zustimmung verweigert, weil wir erstens grundsätzliche
Bedenken bei dem Zusammenwirken von Zivildienst,
also einem Pflichtdienst, und Freiwilligendiensten haben
und zweitens nach wie vor der Meinung sind, dass es
eine Ungleichbehandlung von männlichen Freiwilligen
nach § 14 c und weiblichen Freiwilligen nach § 14 b Zi-
vildienstgesetz gibt. Dieser Dissens bleibt, aber für uns
wiegt der grundsätzliche Ansatz dieses Antrages, näm-
lich Freiwilligendienste auszubauen und einen genera-
tionsübergreifenden Aspekt bei Freiwilligendiensten mit
einzubeziehen, schwerer als der Dissens in diesem
Punkt. Deswegen haben wir im Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend zu Abschnitt II unsere Zu-
stimmung verweigert, werden aber heute im Plenum des
Deutschen Bundestages dem Antrag insgesamt zustim-
men.

Meine Damen und Herren, wenn Sie die Berichte der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem Parlamentari-
schen Patenschaftsprogramm zwischen dem US-Kon-
gress und dem Deutschen Bundestag nachlesen – ich
habe in diesen Tagen wieder einen Bericht bekommen –,
werden Sie feststellen, dass die deutschen Teilnehmerin-
nen und Teilnehmer an diesem Programm teilweise
durchaus erstaunt von einer Freiwilligenkultur in den
USA berichten, die wir so in Deutschland nicht haben. In
den USA gehört es nicht nur zum guten Ton, sondern es
spielt beispielsweise auch bei Bewerbungsgesprächen
durchaus eine Rolle, ob sich jemand vor dem Eintritt ins
Berufsleben, zwischen Schule und Beruf oder auch be-
gleitend während der Ausbildung, als Volunteer verdingt
hat und welche Erfahrungen er oder sie damit gemacht
hat.

Der Arbeitgeber erkennt also durchaus an, dass das,
was an sozialer Kompetenz in solcher Tätigkeit erwor-
ben wird, für den eigenen Betrieb bzw. das eigene Unter-
nehmen von Nutzen sein kann. Das ist etwas, was wir in
Deutschland in dem Maße nicht kennen. Insofern kön-
nen wir in diesem Punkt von der Ehrenamtskultur bzw.
der Freiwilligenkultur in den USA durchaus noch etwas
lernen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Ich bin der festen Überzeugung, dass für eine solidari-

sche Gesellschaft, die wir letztlich alle wollen, genau
diese Elemente – ehrenamtliches Engagement und Frei-
willigenkultur – konstitutiv sind. Ohne diese werden wir
das Ziel einer solidarischen Gesellschaft entweder nicht
oder nicht in dem Maße erreichen, wie wir das alle wün-
schen. Deswegen ist es richtig und positiv, dass das, was
an sozialer Kompetenz in diesen Diensten erworben
wird, für das Arbeitsleben von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern auch nutzbar gemacht wird.

Dabei ist es mir wichtig, meine Damen und Herren,
dass der Ausbau von Freiwilligendiensten nicht nur ei-
nen wirtschaftlichen Ansatz verfolgt. Vor dem Hinter-
grund zurückgehender Möglichkeiten des Staates, nicht
nur in finanzieller Hinsicht, sondern generell, spielt die-
ser Punkt mit in eine Diskussion hinein, die in die Rich-
tung geht, mehr Eigenverantwortung an die Bürgerin-
nen und Bürger zurückzugeben, und zwar nicht nur
deswegen, weil der Staat gewisse Dinge nicht mehr leis-
ten kann, sondern weil wir der Überzeugung sind, dass
Bürgerinnen und Bürger in vielen Bereichen vieles letzt-
lich besser können, weil sie näher dran sind und durch-
aus auch die notwendigen Kenntnisse haben, um be-
stimmte Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es soll also das Bewusstsein gestärkt werden, dass der
Staat letztlich nur die Summe Einzelner ist und je größer
die Sozialkompetenz der Einzelnen, desto größer letzt-
lich auch die Sozialkompetenz einer Gesellschaft oder
eines Staates ist.






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Dörflinger

Nun wissen wir alle, sei es aus den Vereinen, in denen

wir Mitglied sind, sei es aus den Verbänden, in denen
wir als Ehrenamtliche selbst Verantwortung tragen, dass
insbesondere unter jüngeren Leuten die Bereitschaft
zum Ehrenamt nicht mehr ganz so ausgeprägt ist wie
früher. Ich will nicht sagen, dass die Motivierung hierzu
schwierig geworden ist, aber sie ist in Teilen vielleicht
etwas schwieriger geworden als früher.


(Ute Kumpf [SPD]: Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache, Herr Dörflinger!)


Gleichzeitig erleben wir aber, dass die Bereitschaft zu
zeitlich begrenztem ehrenamtlichem Engagement nicht
nur gleich bleibt, sondern wächst. Das unterstreicht, dass
wir uns mit dem Ansatz, der diesem Antrag zugrunde
liegt, nämlich diese Bereitschaft, sich zeitlich befristet
ehrenamtlich und freiwillig zu engagieren, zu fördern,
auf dem richtigen Weg befinden. Hier geht es, wie ge-
sagt, nicht um eine Alternative zum klassischen Ehren-
amt, sondern um eine Heranführung an das klassische
Ehrenamt. Das eine soll also das andere nicht ersetzen,
sondern ergänzen.

Nun haben wir gestern gelesen, dass der Sprecher des
Bundesarbeitskreises Freiwillige Soziales Jahr noch ein-
mal unterstrichen hat, dass die freien Träger bereit sind,
die Zahl der angebotenen Plätze zu erhöhen. Wir greifen
diese Bereitschaft mit dem vorliegenden Antrag auf. Ich
will aber gleichfalls dazu sagen – auch das gehört zur
Vollständigkeit –, dass wir mit der Schlussfolgerung, die
aus dem weiteren Abbau der Zivildienstplätze frei
werdenden Mittel – eine Forderung, die die Zentralstelle
KDV heute auch noch einmal erhoben hat – hin zur Fi-
nanzierung von Freiwilligendiensten umzuswitchen, so
nicht einverstanden sind,


(Ute Kumpf [SPD]: Es passiert praktisch schon!)


und zwar aus dem Grund, weil der Abbau von Zivil-
dienstplätzen kein Vorgang ist, der gottgewollt vom
Himmel gefallen ist, sondern dahinter eine politische
Strategie steckt, die wir so nicht teilen.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einberufungsgerechtigkeit!)


Deswegen lautet unsere Position, dass wir bei der Um-
schichtung von Mitteln zum Ausbau von Freiwilligen-
diensten innerhalb des Bundeshaushaltes mitmachen, al-
lerdings nicht zulasten des Zivildienstes.


(Ina Lenke [FDP]: Aber da wird doch im Haushalt schon gespart, Herr Dörflinger!)


Wir wollen nicht das eine als Ersatz für das andere, son-
dern das eine als Ergänzung des anderen.

Noch ein anderer Punkt ist mir an dieser Stelle wich-
tig, weil der in der Diskussion um Freiwilligendienste
wenigstens in der Vergangenheit nicht so zum Tragen
kam. Es geht um den generationsübergreifenden An-
satz. Die Frau Staatssekretärin hat zu Recht auf den de-
mographischen Wandel in der Bundesrepublik Deutsch-
land hingewiesen, über den wir in der Vergangenheit
hauptsächlich unter Arbeitsmarktgesichtspunkten disku-
tiert haben. Festgemacht werden kann diese Diskussion
beispielsweise an der Frage, ob wir das Renteneintritts-
alter, insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung der
sozialen Sicherungssysteme, erhöhen sollen. Diese De-
batte müssen wir heute nicht führen. Aber etwas anderes
hängt damit ganz sicherlich auch zusammen: Wenn die
Leute dankenswerterweise alle älter werden und wäh-
rend dieses Prozesses des Älterwerdens auch länger fit
bleiben, dann müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob
wir die sozialen Kompetenzen oder beispielsweise die
im Arbeitsleben erworbenen Kompetenzen, die bei ei-
nem Rentner oder einer Rentnerin bzw. einer Pensionä-
rin oder einem Pensionär immer noch vorhanden sind,
nicht durch verstärkten Einsatz von Seniorinnen und Se-
nioren in Freiwilligendiensten für die Gesellschaft nutz-
bar machen. Insofern ist das ein wichtiger Ansatz, der
ausdrücklich unsere Unterstützung findet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gleiches gilt für den internationalen Aspekt. Wir ha-

ben als CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dieser Woche
eine Kleine Anfrage nachgeschoben, die sich speziell
mit diesem Thema, nämlich den Konditionen für frei-
willige internationale Dienste, befasst und den Versuch
unternimmt, an einigen spezifizierten Punkten Daten
aufzuarbeiten, die anschließend Grundlage für die ge-
meinsame Diskussion über die folgenden Fragen sein
können – selbstverständlich im Benehmen mit internatio-
nalen Partnern, nicht nur den Trägern, sondern beispiels-
weise auch unseren Nachbarländern in der Europäischen
Union –: Erstens. Was machen wir zum Beispiel beim
Aufenthaltsrecht? Zweitens. Wie gestalten wir die Dinge
so, dass es keine Probleme beim Sozialversicherungs-
recht gibt? Beispielsweise könnten andere europäische
Länder aufgrund ihrer nationalen gesetzgeberischen Vor-
gaben zu der Einschätzung kommen, dass ein Freiwilli-
ger, der sich eine gewisse Anzahl von Monaten oder
möglicherweise länger als ein Jahr im europäischen Aus-
land befindet, dort als Arbeitnehmer zu klassifizieren ist.
Das könnte in der Sozialversicherung sowohl dort als
auch bei uns zu gewissen Problemen führen, was dem ei-
gentlichen Ansatz dieser Geschichte nicht dienlich wäre.

Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass die Erfahrungen
aus diesen Gesprächen einfließen können in die Diskus-
sion bzw. in die Untersuchung der Bundesregierung, die
uns bis zum Beginn der Haushaltsberatungen für den
Etat 2006, mindestens aber bis zum Ende der Legislatur-
periode vorgelegt werden soll.


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Schöner Abschluss der Regierungszeit!)


– Das wäre mindestens ein schöner Abschluss dieser Re-
gierungszeit. Auf diese Weise könnte aber auch ein
Strich unter die Diskussionen gezogen werden. Dann
könnte gemeinsam die Frage erörtert werden, ob die vor-
handenen Erfahrungen und die unterschiedlichen gesetz-
lichen Regelungen, die wir jetzt noch haben, beispiels-
weise in einem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder
einem Bundesfreiwilligendienstplan zusammengefasst
werden können, um sowohl für die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer als auch für die freien Träger ein bisschen
mehr Transparenz zu schaffen.






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Dörflinger

Fazit, meine Damen und Herren: Die Arbeit, die wir

uns in der einen oder anderen Berichterstatterrunde ge-
macht haben, hat sich durchaus gelohnt. Ich erkenne an,
dass die Bereitschaft vorhanden war, auf unsere Vorstel-
lungen einzugehen und uns die Zustimmung zu diesem
Antrag zu ermöglichen.

Wir waren gestern Abend – ich weiß nicht, wer von
Ihnen Gelegenheit hatte, dabei zu sein – auf Einladung
der Kirchenbeauftragten der Fraktion im Otto-Wels-
Saal, wo wir Gäste der evangelischen und der katholi-
schen Kirche waren. In diesem Rahmen wurden wir über
den Fortgang der Vorbereitungen des Evangelischen
Kirchentages in Hannover und des Weltjugendtages
der katholischen Kirche in Köln informiert. Ein ermuti-
gendes Zeichen neben vielen anderen, die aus diesen Be-
richten hervorgingen, war, dass sich bei beiden Veran-
staltungen sehr viele junge Leute als Freiwillige für die
Vorbereitung und Durchführung verdingt haben. Das be-
weist, dass wir mit dem hier gewählten Ansatz der Frei-
willigendienste – nicht nur für junge Leute, sondern ge-
nerationsübergreifend und mit einer internationalen
Dimension – auf dem richtigen Weg sind.

Ich freue mich in diesem Sinne auf eine gute weitere
Beratung und danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516910900

Ich erteile das Wort der Kollegin Jutta Dümpe-

Krüger, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ju-
gendliche sind engagiert, motiviert und packen vor allen
Dingen da mit an, wo es ihnen selbst sinnvoll erscheint.
Für uns Erwachsene bedeutet das, dass wir sie da abho-
len müssen, wo sie stehen. Das machen wir mit unserem
Antrag zur Zukunft der Freiwilligendienste. Denn die
wichtigste Forderung in diesem Antrag ist: Wir wollen
verbesserte Rahmenbedingungen für die klassischen, ge-
setzlich geregelten Freiwilligendienste und die Aus-
landsdienste schaffen, um sie nachhaltig weiterzuentwi-
ckeln.

Wir wollen vor allen Dingen die Jugendfreiwilligen-
dienste ausbauen, und zwar auf die 30 000 Plätze, die
uns die Träger angeboten haben. Wir wissen, dass der
Bedarf noch weitaus größer ist. Im freiwilligen sozialen
Jahr und im freiwilligen ökologischen Jahr ist die Nach-
frage momentan drei- bis viermal so hoch, wie über-
haupt freie Plätze zur Verfügung stehen.

Ich meine, es ist ein schöner und großer Erfolg, dass
die vier Fraktionen dieses Hauses hier und heute – biswei-
len mit Abstrichen – letztendlich hinter dem Beschluss
stehen, die Freiwilligendienste für junge Menschen aus-
zubauen. Ich möchte unmissverständlich deutlich ma-
chen: Nicht nur wir, sondern auch die jungen Leute, die
Träger und die Einsatzstellen erwarten von der Bundesre-
gierung einen großen und forschen Schritt, um jugendli-
ches Engagement weiter voranzubringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU] und der Abg. Ina Lenke [FDP])


Auch die Länder sind hier in der Pflicht. Denn eines
ist doch klar bewiesen: Wer früh lernt, sich bürgerschaft-
lich zu engagieren, der bleibt in der Regel, wenn er älter
wird, in diesem Bereich aktiv. Diesen Grundstein für un-
sere Gesellschaft können wir gar nicht früh genug legen.

Das freiwillige soziale Jahr gibt es seit 1964 und das
freiwillige ökologische Jahr seit 1993. Seitdem haben
sich für diese ganz besondere Form des bürgerschaftli-
chen Engagements mehr als 300 000 Jugendliche ent-
schieden.

Im freiwilligen sozialen Jahr waren zunächst vor allen
Dingen Krankenhäuser, Altenheime, Einrichtungen für
Kinder und Jugendliche und Einrichtungen für Men-
schen mit Behinderungen die klassischen Einsatzfelder,
in denen sich junge Menschen engagiert haben. Durch
die rot-grüne Bundesregierung sind die Einsatzfelder er-
heblich erweitert worden. Seit 2002 können junge Frei-
willige auch ein FSJ in den Bereichen Kultur, Sport, Me-
dien oder beim Denkmalschutz leisten. Das hat noch
einmal einen Attraktivitätsschub gegeben, vor allen Din-
gen für junge Männer.

Das freiwillige ökologische Jahr ist ein attraktiver
Freiwilligendienst für all diejenigen, die sich bewusst
dazu entschlossen haben, sich für eine lebenswerte Um-
welt zu engagieren. Gleichzeitig lernen sie dabei, ökolo-
gische und umweltpolitische Zusammenhänge besser zu
verstehen. FÖJler engagieren sich rund um den grünen
Bereich, das heißt vom Einsatz im Nationalpark bis hin
zur Untersuchung von Schadstoffen im Labor.

Auch die Auslandsdienste im FSJ und FÖJ boomen.
In diesem Bereich können und wollen wir ebenfalls
mehr tun. Auch das bringen wir in unserem gemeinsa-
men Antrag zum Ausdruck. Wir fordern nämlich, dass
auch die Auslandsdienste nachhaltig weiterentwickelt
und ausgebaut werden. Wir fordern außerdem die Har-
monisierung sozialrechtlicher und aufenthaltsrechtlicher
Bestimmungen für Freiwilligendienste im außereuropäi-
schen Ausland und in Europa.

Was macht die Jugendfreiwilligendienste so attraktiv?
Ich meine: Es ist die spannende Mischung aus neuen und
wichtigen Lernerfahrungen, durch die sich Jugendliche
weiterentwickeln und an Selbstständigkeit gewinnen. Es
ist auch das Gefühl, etwas bewirken zu können und Ver-
antwortung zu übernehmen. Wichtig ist auch der Kon-
takt zu anderen, gleich gesinnten Jugendlichen aus dem
In- und Ausland, die man kennen lernt und mit denen
man Freundschaften schließen kann. Es kommt daher
nicht von ungefähr, dass 91 Prozent der jungen Men-
schen ihr FSJ oder FÖJ mit der Note sehr gut oder gut
beurteilen. Das hat auch mit guten Rahmenbedingun-
gen wie einem ordentlichen Vertragsverhältnis, pädago-
gischer Begleitung und Versicherungsschutz zu tun.






(A) (C)



(D)


Jutta Dümpe-Krüger

Ich finde es super, dass sich auch vor dem Hintergrund

unseres gemeinsamen Antrages die Bundesarbeitskreise
des freiwilligen sozialen Jahres und des freiwilligen öko-
logischen Jahres erstmals zu einer gemeinsamen Aktion
zusammengetan haben, die viele Kolleginnen und Kolle-
gen aus allen Fraktionen unterstützen. Unter dem Motto
„Sympathiekampagne 2005 – Freiwilligendienste haut-
nah“ haben sie die Öffentlichkeit und auch alle Abgeord-
neten des Deutschen Bundestages eingeladen, sich direkt
vor Ort über den gesellschaftlichen Wert von Freiwilli-
gendiensten zu informieren oder – besser noch – sich ak-
tiv zu beteiligen und die Begeisterung junger Menschen
in ihren Freiwilligendiensten sozusagen hautnah mitzu-
erleben.

Ich kann nur sagen: Raus in die Einsatzstellen! Es ist
unglaublich spannend. Bisweilen ist es ratsam, man hat
Gummistiefel oder Turnschuhe dabei. Die Einsatzmög-
lichkeiten sind vielfältig; da kann man echt ins Staunen
kommen. Ich glaube, wir alle können vor Ort noch eine
Menge lernen.


(Anton Schaaf [SPD]: Das ist immer so!)

Woher soll das Geld für den Ausbau der klassischen

Jugendfreiwilligendienste kommen? Wir Grünen ma-
chen dazu eine ganz klare Ansage – sie unterscheidet
sich von dem, was Herr Dörflinger gesagt hat –: aus den
Mitteln des Zivildienstes. Warum ist das logisch und
konsequent? Wir haben bereits mit der Änderung des Zi-
vildienstgesetzes in 2002 in einem ersten Schritt Mittel
des Zivildienstes in den Bereich der Freiwilligendienste
transferiert. Seitdem ist es nämlich nach § 14c ZDG
möglich, einen gesetzlich geregelten Freiwilligendienst
anstelle des Zivildienstes zu machen. Und siehe da: Seit
dieser Zeit haben immer mehr Kriegsdienstverweigerer
ein FSJ oder FÖJ statt ihres Zivildienstes gemacht. In
den Jahren 2003 und 2004 leisteten 6 500 junge Männer
ein FSJ oder FÖJ nach § 14c ZDG.

Mit dem In-Kraft-Treten des 2. Zivildienständerungs-
gesetzes im Oktober 2004 sind wir einen weiteren
Schritt in die richtige Richtung gegangen. So gilt nun
zum Beispiel hinsichtlich der Tatbestände zur Befreiung
der Wehrpflicht bzw. des Zivildienstes, dass alle, deren
zwei Geschwister ein FSJ oder FÖJ von mindestens
neun Monaten geleistet haben, keinen Wehr- oder Zivil-
dienst mehr leisten müssen. Diese Entwicklungen ma-
chen deutlich: Wir setzen von Anfang an auf eine starke
Zivilgesellschaft. Auch darum sind Freiwilligendienste
im Gegenatz zum Auslaufmodell Zivildienst ein Zu-
kunftsmodell. Das sehen übrigens auch Fachleute so. Ich
zitiere die Mitgliedsverbände der Zentralstelle des KDV:

Die heutigen Zivildienstplätze dürften schnell in
Plätze des Freiwilligen Sozialen und Ökologischen
Jahres umgewandelt werden können. Freiwillige
auf diesen Plätzen werden damit mindestens in ei-
ner Übergangszeit faktisch die bisher durch Zivil-
dienstleistende erbrachten sozialen Tätigkeiten
übernehmen.

Jugendfreiwilligendienste sind eine ganz besondere
Form bürgerschaftlichen Engagements. Allen jungen
Leuten draußen im Land, die eine Unterschriftenaktion
für den Ausbau dieser Dienste gestartet und die inner-
halb kürzester Zeit Hunderte von Unterschriften, und
zwar aus allen Bundesländern – täglich werden es mehr:
momentan hat Bayern die Nase vorn,


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Dass wir in Bayern von Ihnen einmal gelobt werden – unglaublich!)


aber ich bin sicher, dass NRW noch aufholt –, gesam-
melt haben, sage ich: Heute ist ein ganz besonderer Tag
für die Jugendfreiwilligendienste in Deutschland. Denn
alle Fraktionen des Bundestages machen sich dafür
stark, dass euer Wunsch an die Bundesregierung in Er-
füllung gehen wird – für euch und für uns alle.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516911000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDP-

Fraktion.

Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1516911100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Freiwilli-

gendienste und damit bürgerschaftliches Engagement
voranzubringen ist – das haben wir ja gehört – der Inhalt
dieses Antrags. Die FDP unterstützt den Ausbau von Ju-
gendfreiwilligendiensten und auch von, jetzt ganz neu,
generationsübergreifenden Freiwilligendiensten. Wir brau-
chen nun aber neue Konzepte, die zukunftsfähig sind.
Das wird deshalb nicht der letzte Antrag sein; von den
verschiedenen Fraktionen wird in den nächsten Monaten
sicher noch eine Weiterentwicklung ausgehen.

Dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages dem
Antrag im Prinzip zustimmen, Herr Dörflinger, finde ich
sehr gut. Ich bedanke mich noch einmal bei unserem
Kollegen Schaaf, der heute nicht spricht, dass er so ko-
operativ war.


(Anton Schaaf [SPD]: Das ist auch sonst gar nicht meine Art! – Heiterkeit)


– Es ist sonst auch nicht unsere Art, uns gegenseitig zu
loben.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Das ist auch bald wieder zu Ende!)


Diesmal musste es aber sein, Herr Schaaf.
Die FDP begrüßt die Erhöhung der Zahl der Plätze

für Freiwilligendienste für junge Leute auf 30 000. Das
ist ein willkommener Anlass, darauf hinzuweisen, dass
bei den Jugendlichen bereits ein sehr hohes Interesse an
FSJ und FÖJ besteht. Von Frau Dümpe-Krüger haben
wir gehört, wie das Dach des freiwilligen sozialen Jahres
auch für Kultur und Sport genutzt werden kann. Frau
Dümpe-Krüger, Sie sagten, dass es für manche Plätze
drei bis vier Bewerber gibt. Das zeigt, dass das Interesse
sehr groß ist. Insofern ist meine Position recht ähnlich
wie Ihre und die der Grünen: Auch wir wollen, dass
beim Zivildienst nicht immer gekürzt wird, um den

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke

Haushalt von Herrn Eichel etwas zu entlasten, sondern
dass das Geld für die Umgestaltung des Zivildienstes in
andere Dienste verwendet wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Dörflinger, Ihnen möchte ich gerne sagen, dass
in Deutschland die Arbeitgeber, wenn sich ein junger
Mann – oder auch eine junge Frau – bewirbt, schon
schauen, was er neben seiner Ausbildung gemacht hat.
Hat er ehrenamtlich gearbeitet? Hat er sich vielleicht in
Jugendorganisationen von politischen Parteien enga-
giert? All das sind, glaube ich, Pluspunkte für ihn, wenn
er in den schwierigen Zeiten von heute, in denen die Ar-
beitslosigkeit so groß ist, einen Job bekommen will.
Denn er will sich ja in unsere Gesellschaft einbringen.
Auch das gehört dazu, wenn man seinen Beruf sehr gut
ausüben will.

Aufgrund Ihres Antrages möchte ich auf die Möglich-
keit hinweisen, dass statt des Zivildienstes auch das FSJ
und das FÖJ abgeleistet werden können. Das ist, Frau
Dümpe-Krüger, nicht allen Jugendlichen bekannt. Hie-
rüber sollte die Bundesregierung wesentlich mehr infor-
mieren.

Die Bundesregierung sollte zum Beispiel über Home-
pages aber auch über etwas Weiteres informieren: Wehr-
pflicht und Zivildienst können heute – auch das ist ge-
setzlich geregelt – zeitlich in Abschnitten abgeleistet
werden. Wenn ich in Schulen gehe, stelle ich fest, dass
die jungen Leute über diese Möglichkeit gar nicht infor-
miert sind. Diese Möglichkeit bedeutet: Wenn man Stu-
dent ist und die neun Monate des Wehr- oder Zivildiens-
tes absolvieren will, verliert man nur ein Semester und
keine zwei, wenn man seinen Dienst stückelt. Ich
glaube, es ist wichtig, dass wir, wenn wir zu Diskus-
sionsveranstaltungen gehen, darüber Auskunft geben.
Auch dazu bietet der vorliegende Antrag eine gute
Grundlage.


(Beifall bei der FDP)

In diesem Antrag ist die Entwicklung vom Zivil-

dienst hin zu Freiwilligendiensten klar erkennbar. Wir
alle wollen ja die außerordentlich gute Arbeit der Zivil-
dienstleistenden in eine breite Palette freiwilligen bür-
gerschaftlichen Engagements in geordneter Form über-
führen. Die Einrichtungen, die Zivildienstleistende
beschäftigen, orientieren sich – das wissen wir – schon
jetzt um und ermöglichen vermehrt den FSJ-Dienst.

Schon die damalige Arbeitsgruppe, die die vorherige
Familienministerin Anfang 2000 ins Leben gerufen hat,
stellte fest, dass Veränderungen notwendig und wün-
schenswert sind, um den Ertrag des Zivildienstes nicht
nur für die nächsten Jahre zu sichern, sondern auch An-
sätze zu schaffen, wertvolle Aufgabenfelder des Zivil-
dienstes als wichtige Lernfelder von jungen Menschen
unabhängig vom Zivildienst aufzubauen. Die neue Kom-
mission „Impulse für die Zivilgesellschaft“, Frau
Hanewinckel, hat die Wichtigkeit dieser generations-
übergreifenden Dienste hervorgehoben.
Die Debatten von heute sind wichtig, damit beim
Wegfall des Zivildienstes für die Bürger und Bürgerin-
nen nicht die Welt zusammenbricht. Denn wir wissen,
dass es viele Ängste gibt: Wenn es keine Zivildienstleis-
tenden mehr in den entsprechenden Einrichtungen gibt,
dann fehlt die zusätzliche Zuwendung durch Zivildienst-
leistende. In dieser Debatte sollten wir sehr deutlich sa-
gen, dass wir in der Politik darauf achten, dass so etwas
nicht passiert. Wir wollen solchen Menschen durch ei-
nen Mix von vielen verschiedenen Möglichkeiten hel-
fen.

Ein Wort zu den generationsübergreifenden Diens-
ten. Das freiwillige Ehrenamt endet nicht – das hat Frau
Dümpe-Krüger schon gesagt – bei einer bestimmten Al-
tersgrenze. Ich komme aus einem Ort in Niedersachsen
mit 15 000 Einwohnern. Männer, die ihr Berufsleben
schon mit 55 oder 60 beendet haben, haben kaum An-
knüpfungspunkte und wissen nicht, an wen sie sich wen-
den und was sie machen sollen. Wir haben Sportvereine,
den Kirchenvorstand, einen Gesangsverein. Aber die Pa-
lette des bürgerschaftlichen Engagements ist wesentlich
größer. Die demographische Entwicklung zeigt, dass wir
nicht immer nur die jungen Leute auffordern sollten. Wir
haben ein Stück Eigenverantwortung, dass auch wir in
unserem Alter vielleicht einmal etwas Ehrenamtliches
machen


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


und dies nicht immer nur den jungen Leuten überlassen.
Meine Redezeit ist leider sehr begrenzt. Ich habe zum

Schluss noch einen Appell – das ist ein sehr ernsthafter
Appell –: Bundes- und Landespolitiker sollten dem
Pflichtdienst für junge Menschen nicht mehr das Wort
reden.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es muss endlich Schluss damit sein, zu sagen: Wir müs-
sen alle jungen Männer und Frauen verpflichten. Die
müssen etwas lernen; die müssen sich ehrenamtlich betä-
tigen. Wir sehen doch, dass es in einer liberalen Bürger-
gesellschaft mit dem freiwilligen Engagement viel bes-
ser geht. Ich bitte Sie sehr herzlich, Ihre Kollegen darauf
aufmerksam zu machen, dass sie dann, wenn wieder ein-
mal jemand die komische Idee eines Pflichtjahrs für alle
jungen Menschen hat, einen Punkt setzen und genau wie
bei dem vorliegenden Antrag sehr eindeutig ihre Mei-
nung sagen sollten. Denn die ist besser und wichtiger
und wird eine Zukunft haben und nicht die andere Mei-
nung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516911200

Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas Weigel,

SPD-Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)



Andreas Weigel (SPD):
Rede ID: ID1516911300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Lenke, Pflichtdienste sind nicht das, was wir
wollen. Deswegen ist es sehr wichtig, gerade heute hier
über die Freiwilligkeit zu sprechen. Ich denke, diesem
Prinzip gehört die Zukunft. Man merkt es an dem An-
trag: Wir sind einer Meinung. Das ist gut für dieses Haus
und für uns; für die Debatte ist es vielleicht nicht ganz so
gut, weil sie dadurch harmonischer und nicht kontrovers
geführt wird.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Wir können auch anders!)


Aber wir sollten uns darüber auch hier aussprechen und
diskutieren.

Was wir heute hier vorgelegt haben, hat eine klare
Aussage: Freiwilligendienste sind ein wichtiger Baustein
für unsere Zivilgesellschaft. Bürgerinnen und Bürger,
junge wie alte Menschen – für sie ist es selbstverständ-
lich mitzumachen und sie verdienen unsere Unterstüt-
zung. Mit der jetzt vorliegenden Beschlussempfehlung
soll der Gesetzgeber angestoßen werden, konkrete Maß-
nahmen zur Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
umzusetzen. Die Beschlussempfehlung ist die Fortset-
zung von Initiativen, die Rot-Grün im Sinne der Stär-
kung von Freiwilligendiensten bereits eingeleitet hat.

So wurden zuletzt im Jahre 2002 hier im Plenum Än-
derungsgesetze verabschiedet und die Rahmenbedin-
gungen für Freiwilligendienste im In- und Ausland fle-
xibilisiert. Damit wurde ein weiterer Ausbau der
Freiwilligendienste gefördert.

In dieselbe Richtung zielt auch der Antrag, den wir
heute beschließen werden. Ich freue mich sehr, dass alle
Fraktionen des Deutschen Bundestages den Antrag jetzt
mittragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein gemeinsamer Beschluss des ganzen Bundestages
setzt ein sehr deutliches Zeichen der Anerkennung; das
ist ein richtiges und wichtiges Signal für die Freiwilli-
gendienste. Denn leider genießen Freiwilligendienste
eben nicht die Anerkennung und vor allem nicht die öf-
fentliche Wahrnehmung, die sie verdienen. Auch dage-
gen wollen wir mit den Forderungen, die im Antrag ste-
hen, etwas tun. Einerseits wollen wir der hohen
Nachfrage in den bereits existierenden Freiwilligenpro-
grammen besser Rechnung tragen; andererseits sollen
neue Zielgruppen und Einsatzfelder für Freiwilligen-
dienste erschlossen werden. Die Einrichtung von Mo-
dellprojekten ist dazu ein erster Schritt, der bereits um-
gesetzt wird. Zur Erprobung generationsübergreifender
Freiwilligendienste haben die Trägerorganisationen Pro-
jektvorschläge eingereicht, Projektvorschläge, deren
Vielzahl und innovativer Charakter beeindruckend sind.
Auch haben die Trägerorganisationen des freiwilligen
sozialen Jahres angeboten, die Anzahl der FSJ-Plätze in-
nerhalb kurzer Zeit auf 30 000 pro Jahr zu erhöhen. Jetzt
muss der Bund die finanzielle Förderung entsprechend
anpassen. Auch das steht in unserem Antrag.
Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang
auch die internationalen Freiwilligendienste. Bei den
Auslandsdiensten ist die Nachfrage nach Freiwilligen-
plätzen besonders hoch. Das Angebot ist aber begrenzt.
Auch hier wäre eine Anhebung des Fördervolumens
wünschenswert. Denn die Erfahrung zeigt: Gerade im
Sinne intensiver interkultureller Begegnung leisten die
internationalen Freiwilligendienste schon jetzt Pionierar-
beit. Um auch der Bedeutung der Freiwilligendienste im
Ausland besser gerecht zu werden, haben wir die ur-
sprüngliche Fassung unseres Antrages ergänzt.

Mit Beschluss dieses Antrages ist die Arbeit natürlich
noch lange nicht getan; schließlich ist der Antrag in ers-
ter Linie als „to do“-Liste zu verstehen. Er enthält zahl-
reiche Prüf- und Arbeitsaufträge.

Mir persönlich ist der letzte Abschnitt besonders wich-
tig. Darin fordern wir die Regierung auf, die Einrichtung
eines eigenständigen Haushaltstitels und die Vorlage ei-
nes Rahmengesetzes für Freiwilligendienste auf Bundes-
ebene zu prüfen. In beiden Maßnahmen sehe ich eine er-
hebliche Chance, die Wahrnehmung und Anerkennung
von Freiwilligendiensten nachhaltig zu verbessern. Ein
aus dem Kinder- und Jugendplan ausgegliederter Haus-
haltstitel würde Freiwilligendienste sichtbarer machen
sowie Kontinuität und Planungssicherheit für alle Betei-
ligten erhöhen. Ein Freiwilligendienstegesetz könnte zur
Klärung des Rechtsstatus für alle Freiwilligen beitragen.
Dazu kann auf bestehende Bundesgesetze zum freiwilli-
gen sozialen und zum freiwilligen ökologischen Jahr auf-
gebaut werden.

Ich verspreche mir davon zweierlei: Erstens würde
ein rechtlich definierter Status ermöglichen, dass Frei-
willige Anerkennung durch konkrete materielle Vorteile
erfahren, wie zum Beispiel die finanzielle Ermäßigung
bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Zweitens dürfte eine Verrechtlichung dazu beitragen,
dass Freiwillige ihre während des Dienstes erworbenen
Kompetenzen und Qualifikationen leichter nachweisen
und somit für ihren weiteren Lebensweg besser nutzbar
machen können.

In diesem Zusammenhang kommt auch der Definition
eindeutiger Qualitätsstandards für Freiwilligendienste
eine wichtige Rolle zu. Im Jahr 2004 wurden Trägeror-
ganisationen erstmals mit einem neu entwickelten Quali-
tätssiegel ausgezeichnet, dem so genannten Quifd-Sie-
gel. Dieses Siegel sollte ähnlich bekannt gemacht
werden wie das Logo der Stiftung Warentest. – Mit Ge-
nehmigung des Präsidenten möchte ich es kurz zeigen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516911400

Ich habe es zwar nicht gesehen, aber das ist in Ord-

nung.

(Heiterkeit im ganzen Hause – Anton Schaaf [SPD]: Es ist jugendfrei!)


Andreas Weigel (SPD):
Rede ID: ID1516911500

Wir werden im Vorfeld einer umfassenden rechtlichen

und gesetzlichen Regelung über die Frage der Zuständig-
keit des Bundes diskutieren und diese klar beantworten






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Weigel

müssen. Eine bundeseinheitliche Regelung dürfte in die-
sem Fall ganz im Interesse aller Beteiligten sein. Ich
würde es sehr begrüßen, wenn wir uns im Zuge der wei-
teren Überlegungen erneut auf ein gemeinsames, frak-
tionsübergreifendes Vorgehen einigen könnten. Ange-
messen wäre es diesem Thema allemal.

Auch ich möchte abschließend die Zusammenarbeit
zwischen den Berichterstattern der verschiedenen Frak-
tionen würdigen und insbesondere unseren Kollegen
Toni Schaaf erwähnen, der durch sein Bemühen sehr
dazu beigetragen hat, dass wir eine gemeinsame inhaltli-
che Basis gefunden haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Dann müssen Sie uns auch einmal loben!)


Besonderen Dank möchte ich auch jenen Vertreterinnen
und Vertretern der Träger von Freiwilligendiensten so-
wie allen aktiven und ehemaligen Freiwilligen ausspre-
chen, die zur Erarbeitung dieses Antrags konstruktiv bei-
getragen haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns gemeinsam an der Umsetzung dieses Antrags arbei-
ten. Die Freiwilligendienste sind es wert, dass wir wei-
terhin zusammenarbeiten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516911600

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Andreas Scheuer,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1516911700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich wollte anfangs die gute und konstruktive Kom-
munikation zwischen den Berichterstattern hervorheben.
Da das bereits jeder meiner Vorredner getan hat, muss
der Kollege Anton Schaaf aufpassen, dass er nicht ab-
hebt. Deswegen mache ich es nur indirekt: Anton, die
Zusammenarbeit war völlig okay.

Spaß beiseite. Die Opposition im Deutschen Bundes-
tag ist kritisch, an der richtigen Stelle aber auch kon-
struktiv, nämlich dann, wenn es den Beteiligten hilft.
Von daher haben wir einen fairen Umgang erlebt und die
Kommunikation war gut. Das könnten wir eigentlich öf-
ter so machen.

Aber uns ist auch klar, dass das zuständige Ministe-
rium die Wünsche des Parlaments umsetzen muss. Hier
wird die CDU/CSU sehr genau hinschauen; denn die
Schwerpunkte, die die Koalitionsfraktionen und die
Bundesregierung beim Thema Freiwilligendienste ge-
setzt haben, waren bis dato, um es vorsichtig auszudrü-
cken, etwas anders gelagert. Das werden wir, wenn eine
gewisse Zeit vergangen ist, noch einmal analysieren
müssen.

Die bürgerschaftlich Engagierten, die Aktiven leisten
für unsere Gesellschaft einen herausragenden Dienst. Sie
bringen sich ein und verkörpern eine solidarische Leis-
tungsgesellschaft, in der ein Zusammenspiel von Rechten
und Pflichten besteht und in der mehr Teilkaskomentalität
mit Eigenverantwortung und weniger Vollkaskomentali-
tät mit staatlicher Rundumversorgung vorherrschen. Ich
glaube, das muss auch der Weg in die Zukunft sein.

Heute debattieren wir über einen besonderen Teil des
bürgerschaftlichen Engagements, die Freiwilligendienste.
Neben den vielen älteren Menschen, die ihre Potenziale
auf diesem Gebiet für unsere Gesellschaft einbringen,
möchte ich insbesondere die jungen Freiwilligen hervor-
heben. Die Bewerberzahlen zeigen – das wurde bereits
angesprochen –: Die Nachfrage nach Plätzen in Jugend-
freiwilligendiensten ist hoch. Es mag an den Problemen
in der Wirtschaft insgesamt und auf dem Arbeitsmarkt
liegen, ausgelöst durch eine miserable Politik von Rot-
Grün,


(Nicolette Kressl [SPD]: Jetzt hat er das Lob zurückgenommen!)


dass junge Menschen hier eine Chance sehen, wenn sie
keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz bekommen. Dass
die Konzepte von Rot-Grün falsch sind, hat die Debatte,
die wir am heutigen Vormittag zum Themenbereich Ju-
gend geführt haben, gezeigt.

Was ich hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass es
sehr viele junge Bewerber für Freiwilligendienste gibt.
Unsere Jugend will sich in die Gesellschaft einbringen
und etwas leisten. Dass auf jeden Freiwilligendienstplatz
rund drei Bewerber entfallen, spricht eine deutliche
Sprache. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion findet es
ausgesprochen begrüßenswert, dass sich so viele junge
Menschen für Ehrenamt und Freiwilligendienste interes-
sieren; das ist eine Investition in die Zukunft unserer Ge-
sellschaft. Unser Staatsgefüge wäre schlimm dran, wenn
es dieses Engagement nicht gäbe. Deshalb tragen wir Ih-
ren Antrag mit, wenn auch mit der Einschränkung des
Punktes II; mein Kollege Dörflinger hat ja schon darauf
aufmerksam gemacht.

Ich möchte etwas vielleicht Lustiges von den Bera-
tungen im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engage-
ment“ erzählen. Jetzt meinen manche der Kollegen, die
nicht in diesem Ausschuss sitzen, vielleicht: Oh, jetzt
wird es langweilig; im Gegenteil, meine Damen und
Herren. Als Abgeordneter will man sich ja stets gut in-
formieren und auf die Beratung im Ausschuss vorberei-
ten. Man wundert sich, wenn die dazu notwendigen Un-
terlagen aus dem Ministerium nicht geliefert werden.
Man geht dann schon etwas grimmig in seine Sitzung.
Und oh Wunder, zu diesem Punkt werden zwei arme
Mitarbeiter aus dem Ministerium vorgeschickt, weil der
zuständige Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer anschei-
nend nicht den Mumm gehabt hat, Rede und Antwort zu
stehen.

Dann erklären manche Abgeordnete, dass die Unter-
lagen in den Postfächern – ganz zufällig und bei allen
Kollegen auf einmal – verschwunden sind, unauffindbar.
Es geht dabei um die Projekte zu den generationsüber-
greifenden Freiwilligendiensten, Volumen 10 Millionen
Euro. Nach unseren heftigen Protesten – dankenswerter-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Scheuer

weise, wenn auch etwas dosiert, auch von den Kollegin-
nen und Kollegen von SPD und Grünen unterstützt – hat
der Mitarbeiter des Ministeriums plötzlich – was er vor-
her bestritten hat – aus seinem hohen Stapel doch – wie-
derum ganz zufällig – eine Liste von 50 Projekten her-
vorgezaubert. Alle Projekte sind Anfang April gestartet.
Dabei hat der zuständige Staatssekretär Ruhenstroth-
Bauer genau gewusst, dass wir bis dahin keine Sitzungs-
woche mehr haben würden und darüber deshalb erst
Ende April im Ausschuss beraten können.

Dahinter vermutet man eine gewisse Methodik. Ich
möchte die Frage stellen, was er da zu verbergen gehabt
hat. Warum informieren Sie das Parlament nicht recht-
zeitig über die Verteilung von 10 Millionen Euro? Auf
unsere Nachfrage konnte uns kein Katalog der Förder-
kriterien genannt werden, gesagt wurde nur ganz vage:
Zeitlich müssen die halt flexibel sein. Nicht beantwortet
wurde, ob das im Haushalt veranschlagte Geld reicht
oder nicht, mit wie viel die einzelnen Projekte gefördert
werden usw.

Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordern
die Bundesregierung und das zuständige Bundesministe-
rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf, uns
einen Kriterienkatalog vorzulegen, die Höhe der Förde-
rung für die einzelnen Projekte genau darzustellen und
weitere genaue Erläuterungen zu geben. An die Adresse
von Herrn Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer – Frau
Staatssekretärin Riemann-Hanewinckel wird ihm das si-
cher weiterleiten –: Wir fordern, dass Sie in der nächsten
Ausschusssitzung Rede und Antwort stehen. Machen Sie
gefälligst Ihre Arbeit ordentlich, damit die gute Sache
der Freiwilligendienste nicht unter Ihren Fehlern leidet!
Wir sind die gewählten Vertreter der Bürgerinnen und
Bürger und haben das Recht, zu wissen, was mit dem
Geld der Bürger – in diesem Fall 10 Millionen Euro –
gemacht wird.

Meine Damen und Herren, eine überaus hohe Anzahl
von jungen Frauen bringt sich durch Freiwilligendienste
für die Gesellschaft ein. Eine Tatsache ist auch, dass vor
allem junge Menschen mit höherem Schulabschluss
diese Angebote wahrnehmen. Für Hauptschüler müssen
wir die Attraktivität der Freiwilligendienste also noch zu
erhöhen versuchen. Freiwilligendienste bieten Charak-
terbildung und Orientierung, tragen zur Qualifizierung
im Bereich der Werte und der Schlüsselkompetenzen
bei. Frau Kollegin Lenke hat ja schon darauf verwiesen,
dass das für den Einstieg ins Berufsleben entscheidend
sein kann und die Unternehmen ein gesteigertes Inte-
resse daran haben, dass sich junge Bewerber auf eigene
Kosten und freiwillig weiterbilden.

Gerade bei der Ausbildungsplatzknappheit können
Freiwilligendienste jungen Menschen einen wichtigen
Anker bieten, ohne dass dieses Freiwilligenjahr zu einer
regelrechten Warteschleife werden darf; darin sind wir
uns, wie ich glaube, auch alle einig. Mit dieser Initiative
beleben wir die Diskussion neu: hin zu einer Kultur des
generationenübergreifenden Helfens.

Was sind die Erwartungen junger Menschen an eine
freiwillige Tätigkeit? Eine Umfrage unter 14- bis 24-Jäh-
rigen hat ergeben: Es muss Spaß machen – dies sagen
93 Prozent –, Kontakte zu Menschen knüpfen – 83 Pro-
zent –, eigene Erkenntnisse und Erfahrungen erweitern
– 74 Prozent –, anderen Menschen helfen – 70 Prozent –,
etwas fürs Gemeinwohl tun – 70 Prozent – usw. Das sind
erfreuliche Zahlen. Das heißt, dass wir ein positives
Klima über unsere Jugend in Deutschland vermitteln soll-
ten. Sie ist leistungsbereit, wissbegierig und freiwillig en-
gagiert.


(Ina Lenke [FDP]: Jawohl!)

Bei den vielen jungen Herrschaften, die heute unsere
Debatte verfolgen, kann man nur dafür werben, sich
auch freiwillig zu engagieren, sich zu überlegen, ein
Freiwilligenjahr einzulegen.

Es ist auch klar, dass wir die Freiwilligendienste kei-
ner Altersgrenze unterwerfen dürfen. Die Botschaft
muss lauten: Wer sich engagiert, gewinnt, egal welchen
Alters. Wir bauen dabei auch auf die Erfahrungen der äl-
teren Menschen in unserem Land. Die Entwicklung
neuer, generationsübergreifender Freiwilligendienste er-
fordert aber auch Veränderungen in der Trägerorganisa-
tion und in den Einsatzstellen sowie eine weitere Öff-
nung der Einsatzbereiche.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, für solche
Initiativen ist meine Fraktion immer offen. Man muss
auch dazu sagen: Vielleicht kann das für manchen
Hauptschüler – die Zahlen belegen leider, dass sie dieses
freiwillige Jahr nicht so oft in Anspruch nehmen – auch
eine Hilfe zur Selbsthilfe und zur Weiterbildung sein.
Wir müssen vielleicht noch einmal gemeinsam daran ar-
beiten, dass sich gerade auch die Jugendlichen mit einem
geringeren Schulabschluss hier mehr engagieren.

Bei Punkt II, wonach so genannte Nichtheranzie-
hungsgründe für den Zivildienst verstärkte Anerkennung
finden sollten, werden wir nicht mitmachen. Kollege
Dörflinger ist darauf eingegangen.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
die Aufgabe, 2006 einen Bericht vorzulegen. Normaler-
weise ist Papier ja geduldig. Wir als Opposition werden
aber genau hinschauen. Schließlich müssen wir mit dem
Bericht nach der Bundestagswahl 2006 weiterarbeiten.


(Anton Schaaf [SPD]: Als Opposition!)

– Nein, als Regierung werden wir mit dem Bericht wei-
terarbeiten müssen, Herr Kollege Schaaf. – Wir werden
auch genau hinschauen, ob das Ministerium die Freiwil-
ligendienste gemäß der Haltung des Parlaments aus- und
umbaut. Vor der Veröffentlichung dieses Berichts rate
ich der Bundesregierung und der Koalition – die in die-
sem Fall Kontrahenten sind –, sich in ihrer Auffassung
über die Schwerpunktlegung einig zu werden; denn wir
werden bei der Analyse genau hinschauen und uns den
Bericht ganz genau vornehmen.

Der vorliegende Antrag ist für uns weitgehend tragfä-
hig. Machen Sie im Sinne unserer Engagierten und der
am Engagement Interessierten etwas daraus.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516911800

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält die

Kollegin Ute Kumpf für die SPD-Fraktion das Wort.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1516911900

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal finde ich es erfreulich, dass sich die
Opposition bei den Beratungen zu diesem Antrag, der
vor dem Tag des Ehrenamtes im Dezember eingebracht
wurde, gemeinsam mit uns auf diesen Weg begeben hat
und bereit ist – wenn vielleicht auch nur in Teilen, wie
die CDU/CSU –, diesen Antrag zu unterstützen. Herr
Dr. Scheuer, das ist jetzt auch ein Lob an Sie und an
Herrn Dörflinger.


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Danke!)

Ich glaube, wir alle sind gut beraten, die Bürgergesell-

schaft nicht für parteitaktische Spielchen zu benutzen.
Wir Abgeordnete loben bei unseren Sonntagsreden näm-
lich immer, wie toll alles ist. Sie kennen das aus Ihrem
Wahlkreis. Wenn ich hier nach oben schaue, dann sehe
ich, wie viele junge Menschen hier sind. Meine Besu-
chergruppe ist gerade von der Tribüne gegangen, was
schade ist. Diese Gruppe, ein Jugendorchester des Mu-
sikvereins Stuttgart-Hofen, zeichnet sich aus durch ihr
musikalisches Engagement, die Lebensqualität in Stutt-
gart zu erhöhen. Die Mitglieder bringen sehr viel ehren-
amtliches Engagement ein und vollziehen freiwillig ihre
Dienste wie so viele andere auch. Wir, die SPD, und
auch die Regierungskoalition haben dafür gesorgt, dass
auch im Bereich des Jugendfreiwilligendienstes neue
Einsatzfelder möglich gemacht wurden. Ich denke insbe-
sondere an das ökologische Jahr und an den Bereich der
Kultur.

Wir alle wissen und betonen es auch immer wieder,
wie toll das ist und dass es sich für die jungen Menschen,
die sich engagieren, lohnt. Darüber hinaus betonen wir
auch immer, wie toll das für uns, die Gesellschaft, ist. Ir-
gendwann einmal kommt es dann aber zum Bruch. Sie
von der Opposition haben hier einiges zitiert. Wir haben
von Ihnen heute gehört, dass das Engagement in der
Bürgergesellschaft da ist. Ich hoffe, dass das von uns al-
len hier im Hause durch eine entsprechende Unterstüt-
zung in Form von Gesetzen politisch begleitet wird.

Ich möchte ganz gerne einige Ausführungen von
Herrn Dörflinger und Herrn Scheuer korrigieren. Es ist
nicht so, dass das Engagement zurückgegangen ist. Sie
kennen die Zahlen vom zweiten Freiwilligensurvey. Der
Ministerin und ihrem Haus ist zu danken, dass dieses
überhaupt wieder durchgeführt wird. Es zeigt sich, dass
das Engagement insgesamt von 34 Prozent auf
36 Prozent gestiegen ist. Letztes Mal haben wir bereits
geschaut, wie es vor allem bei den aktiven Älteren aus-
sieht. Auch dort gibt es inzwischen einen Zuwachs an
Engagement. Wenn wir es uns genauer betrachten, dann
sehen wir, dass es bei den 56- bis 65-Jährigen einen Zu-
wachs von 36 Prozent auf 40 Prozent gibt.

Erstaunlich ist – das freut uns natürlich –, dass auch
bei den 66- bis 75-Jährigen, also den aktiven Alten, ein
Zuwachs zu verzeichnen ist. Besonders schön ist, dass
auch die Zahl der Engagierten bei den über 76-Jährigen
zugenommen hat. Das ist für uns ein Indiz dafür, dass
wir dieses Engagement abholen und mit neuen Formen
begleiten müssen.

Wir brauchen dieses Engagement, um eine solidari-
sche Gesellschaft zu entwickeln; das haben auch Sie be-
tont, Herr Dörflinger. Wir brauchen nicht nur einen
quantitativen Ausbau der Freiwilligendienste, sondern
auch einen qualitativen Ausbau. Ich denke, dass wir den
jungen Menschen, die sich freiwillig engagieren, ein
größeres Angebot an Freiwilligendiensten machen müs-
sen. Sie alle haben betont, dass die Freiwilligendienste
ein wichtiges Bindeglied zwischen Schule und Beruf
sind.

Früher waren es – um das noch einmal ins Gedächtnis
zu rufen – nur die Mädel – dazu sage ich gleich noch
etwas –, ausgehend von der Diakonie in Stuttgart in den
60er-Jahren, die damals eine Arbeitsmarktlücke schlie-
ßen mussten – ich wünsche mir, dass die Situation auf
dem Arbeitsmarkt heute besser wäre –, weil dieses En-
gagement im sozialen Bereich gefehlt hat. Damals
wurde dieses Angebot für die Mädchen entwickelt. Das
freiwillige soziale Jahr war eine ausgesprochene Mäd-
chendomäne.

Heute kommen Gott sei Dank auch die Jungen dazu.
Inzwischen ist dieses Angebot eine attraktive Alternative
für die Zivildienstleistenden. Viele Träger stellen vom
Zivildienst auf Freiwilligendienste um, weil sie so die
jungen Menschen länger in ihrer Organisation haben und
sie mehr mit ihnen machen können. Dies wird von den
jungen Menschen dankbar angenommen, weil sie sehen,
dass dieser Freiwilligendienst eine Möglichkeit ist, Er-
fahrungen zu sammeln, um ihr Leben sozusagen plane-
risch in die Hand zu nehmen und eine berufliche Per-
spektive zu erhalten.

Das Gleiche gilt auch für die älteren Menschen. Viele
Vorruheständler – das wurde vorhin beschrieben –, die in
Altersteilzeit oder in den Vorruhestand gegangen sind,
haben den Wunsch, eingebunden zu werden, und finden
auch Möglichkeiten, sich aktiv einzubringen. In Ihren
Wahlkreisen werden Sie schon mit neuen Formen der
Freiwilligendienste konfrontiert. Viele Ältere unterstüt-
zen inzwischen die Grundschulen im Bereich Lesen. Es
gibt in Berlin dazu eine ganze Reihe toller Projekte.
Viele ehrenamtliche Initiativen unterstützen die Ganz-
tagsschulen. Ich erinnere nur an Rheinland-Pfalz. Auch
Baden-Württemberg will diesen Weg gehen. Ebenso
sind die Bayern mit dabei. Wenn wir uns die Situation
einmal vor Augen führen, stellen wir fest: Wir brauchen
einen neuen Generationenvertrag der Engagierten. Wir
müssen für diesen neuen Generationenvertrag der Enga-
gierten die Weichen entsprechend stellen.

Noch ein Wort an die Christdemokraten bzw. die Kir-
chen, weil sie aufgrund des Todes von Papst Johannes
Paul zurzeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.
Ich will Claudio Kardinal Hummes zitieren, Erzbischof
von Sao Paulo. Er hat zu einem anderen Thema gesagt:
„Man kann auf neue Fragen keine alten Antworten ge-
ben.“ Wir sind gut beraten, dieses Zitat auf die Freiwilli-
gendienste anzuwenden.






(A) (C)



(B) (D)


Ute Kumpf


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])

Ich habe schon gesagt, dass die Freiwilligendienste so

begehrt wie noch nie sind und dass die Zahl der Inan-
spruchnahme in den letzten Jahren kontinuierlich gestie-
gen ist. Wir als Bund haben mit der Hilfe und der Unter-
stützung des Ministeriums dafür gesorgt, dass wir hier
Aufbauarbeit leisten konnten.


(Anton Schaaf [SPD]: So ist es!)

Jetzt noch einmal zu den jungen Menschen. Die jun-

gen Menschen brauchen ein verstärktes Angebot. Aber
auch für die älteren Menschen brauchen wir Modelle,
die die Zukunft der Freiwilligendienste sicherstellen.
Dies tun wir mit unserem Antrag. Hier stehen wir alle
erst am Anfang. Ich wünsche mir, dass sich keiner in die
Büsche schlägt. Während hier nämlich einige verbal ra-
dikale Forderungen stellen und Unterstützung signalisie-
ren, sagen sie beim nächsten Schritt: Wir warten erst ein-
mal ab und schauen, was die anderen machen.


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wer macht denn das?)


– Das richtet sich vor allem an Sie, Herr Dr. Scheuer.
Wir brauchen für diesen Weg auch Ihre Unterstützung,
besonders wenn Sie mit uns übereinstimmen.

Die FDP ist an unserer Seite. Sie von der CDU/CSU
aber verquicken das nach unserer Meinung zu sehr mit
dem Thema Zivildienst. Wir sagen: Unabhängig davon,
wie über die Wehrpflicht entschieden wird, sehen wir die
Chance und die Möglichkeit, finanzielle Mittel freizu-
machen, um den Ausbau der Freiwilligendienste für
Junge wie auch für die Älteren voranzubringen.

Wichtig ist, dass wir bei den Freiwilligendiensten
Qualität bieten. Wichtig ist auch, dass für die Engagier-
ten klar ist, dass sie nicht als Ersatzarbeitskraft miss-
braucht werden. Sie brauchen eine soziale Absicherung
und es dürfen keine regulären Arbeitsstellen wegfallen.
Daher ist das Gütesiegel von Bedeutung. Das Gütesiegel
„Quifd“ wurde mit Unterstützung der Bosch-Stiftung auf
den Weg gebracht, die mit ihrem eigenen Management
der Qualitätssicherung die Entwicklung des Gütesiegels
betrieben hat. Ich habe die Ehre gehabt, die Präsentation
des Gütesiegels unterstützen zu dürfen.

Wir sind ist oft auf Appetit und Genuss aus. Die Ge-
sellschaft hat Appetit auf Engagement. Ich wünsche mir
deshalb einen Guide Michelin, der den Appetit in Sa-
chen Ehrenamtlichkeit und Freiwilligendienste unter-
stützt. Das wird den Menschen wieder Mut machen und
ihr Engagement unterstützen. Ich lade Sie ein, mit uns
gemeinsam voranzuschreiten.

Danke.

(Beifall bei der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516912000

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/4395 zur Zukunft der Freiwilligen-
dienste. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 15/5175, den Antrag in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Es ist vereinbart, dass über die Be-
schlussempfehlung getrennt abgestimmt wird. – Dazu
gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann können wir
so verfahren.

Wir stimmen zunächst über die Ziffern I und III der
Beschlussempfehlung ab. Wer dafür stimmt, den bitte
ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Das ist einstimmig so be-
schlossen.

Wer stimmt für die Ziffer II der Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Die Ziffer II der Beschlussempfehlung ist
mehrheitlich angenommen. Insgesamt ist damit die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Ich rufe jetzt entsprechend unserer geänderten Tages-
ordnung die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie den
Zusatzpunkt 6 auf:
9 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk

Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus
W. Lippold (Offenbach), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgeset-
zes
– Drucksache 15/5102 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgeset-
zes
– Drucksache 15/4536 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegepla-
nungsbeschleunigungsgesetzes
– Drucksache 15/5258 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1516912100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rot-Grün

verspielt mit langen Planungszeiten für die Verkehrs-
infrastruktur und mit ausufernder Bürokratie die Zukunft
Deutschlands.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Es ist doch schon seit langem bekannt, dass der Zeitauf-
wand für die notwendigen Verwaltungsverfahren zur Er-
stellung der Infrastruktur häufig Anlass politischer Dis-
kussionen auf allen Ebenen ist. Niemand wird bestreiten:
Die Planung des öffentlichen Verkehrswegebaus, egal ob
Straße, Schiene oder Wasserstraße, nimmt in Deutsch-
land einen unangemessen langen Zeitraum in Anspruch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kritik der Bürgerinnen und Bürger ist hier voll

angebracht, zumal bei vielen Projekten die Planungszei-
ten schon bei über 30 Jahren liegen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Davon haben wir nur knapp sieben Jahre regiert!)


Rot-Grün hat zwar mit einem Federstrich einige dieser
Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan aus ideolo-
gischen Gründen gestrichen und damit Planungskosten
in den Sand gesetzt, die bis zu 20 Prozent der Kosten
ausmachen und nun leider bei den Ländern, die die Pla-
nungskosten zu tragen haben, hängen bleiben, aber die
Planungszeiten bleiben nach wie vor zu lang. Die Zeit
drängt gerade im Hinblick auf eine leistungsfähige Infra-
struktur, die in unserer heutigen Umbruchsituation der
Dreh- und Angelpunkt für die internationale Mobilität
von Gütern und Personen ist. Notwendig sind daher eine
ideologiefreie, bedarfsorientierte Infrastrukturplanung,
eine solide Finanzierungsbasis für die Infrastruktur in
den öffentlichen Haushalten, verstärkt privatwirtschaft-
lich orientierte Finanzierungsalternativen und die be-
schleunigte Umsetzung von Infrastrukturprojekten.

„Nicht reden, sondern zügig handeln“ lautet das
Motto, nach dem wir einen Gesetzentwurf zur Änderung
des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes ein-
gebracht haben, da selbst die Bundesregierung in den
kommenden Jahren ein kräftiges Wachstum im Perso-
nen- und Güterverkehr erwartet, das nur mit einer gut
ausgebauten Infrastruktur zu bewältigen sein wird. Aber
was macht die Bundesregierung? Es liegt immer noch
kein Gesetzentwurf vor, obwohl vollmundig getönt wird,
dass noch in diesem Jahr Maßnahmen zur Vereinfachung
und Beschleunigung von Planungsverfahren ergriffen
werden sollen, „sodass den neuen Ländern mit Ablauf
des Jahres 2005 ein gleitender Übergang in ein für ganz
Deutschland geltendes vereinfachtes Planungsrecht er-
möglicht wird“. So die Aussage der Bundesregierung.


(Unruhe)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516912200

Einen Augenblick, Frau Kollegin. – Ich möchte doch

sehr dafür werben, dass unvermeidliche Gespräche zwi-
schen den Kollegen gegebenenfalls außerhalb des Ple-
narsaals, jedenfalls nicht in den vorderen Reihen durch-
geführt werden. Das erschwert nämlich die
Verständigung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bitte schön.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1516912300

Vielen Dank, Herr Präsident.
Da hat doch tatsächlich der Bundeskanzler seine Re-

gierungserklärung vom 17. März mit der Ankündigung
eines Planungsvereinfachungsgesetzes abgegeben,
ohne sich mit den Grünen abzustimmen. Das bedeutet
Streit und Ärger in der Koalition.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt täuschen Sie sich aber! Das würde Ihnen so passen!)


Es ist ja durchaus anzuerkennen, dass beim Bundes-
kanzler eine Sinnesänderung eingetreten ist. Denn als es
im Jahr 1991 um das Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
gungsgesetz ging, war er der größte Gegner. Die heftigs-
ten Widersacher waren der damalige niedersächsische
Landesminister Trittin und der frühere niedersächsische
Ministerpräsident Schröder. Aber anscheinend haben die
Ankündigungen von Minister Stolpe – ich zitiere: „Ver-
zögerungstaktiken durch Umweltverbände darf es nicht
mehr geben“, die „Einspruchsfrist von Umweltverbän-
den muss auf zehn Wochen begrenzt werden“, „das
plötzliche Auffinden von Hamstern, um begonnene Bau-
vorhaben zu blockieren, wird nicht mehr möglich sein“
oder „Vorarbeiten und Ausschreibungen sollen künftig
auch während einer Klage möglich sein“ – die Grünen so
erschreckt, aufgeregt und auf den Plan gerufen, dass ein
Regierungsentwurf rasch wieder zurückgezogen wurde
bzw. werden musste.

Man kann nun gespannt sein, wie sich der Streit zwi-
schen den Koalitionspartnern entwickelt und ob auf-
grund dieses Streits der geplante Zeitrahmen eingehalten
werden kann. Wird es überhaupt ein Gesetz geben? Wer
wird sich letzten Endes durchsetzen: die Grünen mit ih-
rem heimlichen Verkehrsminister Albert Schmidt


(Zurufe von der SPD: Oh! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bitte aufstehen und grüßen!)


oder die SPD mit Minister Stolpe?
Laut Zeitungsberichten soll das neue Gesetz zwar ein-

facher werden als die bisherigen Vorschriften, jedoch
komplizierter als das bisher im Osten geltende Recht. So
kritisiert auch der Sprecher der ostdeutschen SPD-Bun-






(A) (C)



(B) (D)


Renate Blank

d
Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1516912400



(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Guter Mann!)


Der Vorteil aus dem ostdeutschen Recht für die Rea-
lisierung von Straßenbauvorhaben geht zum großen
Teil verloren. Die Bundesregierung will ohne Not
auf die alten westdeutschen Rechtsstandards zu-
rück.

Bei dieser Aussage kann man sich des Eindrucks
nicht erwehren, dass eine Vereinfachung planungsrecht-
licher Vorschriften wahrscheinlich nicht zustande kom-
men wird. Ich bin auf den Gesetzentwurf gespannt. Bei
Ihnen ist sicherlich die Erkenntnis vorhanden – Sie ha-
ben das nach der EU-Osterweiterung auch immer wieder
angeführt –, dass schnellere Planungszeiten und Be-
schleunigungsverfahren notwendig sind. Die Erkenntnis
ist zwar vorhanden, aber Ihr Handeln erfolgt diametral
zu dieser Erkenntnis. Es gilt im Übrigen für viele Ge-
setzentwürfe von Rot-Grün, dass Reden und Handeln
auseinander klaffen.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber klaffen als kläffen!)


Unverkennbar herrscht bei Rot-Grün das Interesse
vor, Planungen hinauszuzögern. Der Streit in der Koali-
tion um eine Planungsvereinfachung und -beschleuni-
gung könnte im Interesse des Erhalts und der Entwick-
lung der Verkehrsinfrastruktur und damit der Sicherung
von Mobilität und Wachstum sofort beendet werden,
wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Rot-Grün mit dem Ankündigungsminister Stolpe fehlt

es an programmatischer Realisierung. Deshalb sollten
Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516912500

Für die Bundesregierung erhält der Parlamentarische

Staatssekretär Achim Großmann das Wort.
Ac
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1516912600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Wir haben in Deutschland eine
moderne und leistungsfähige Infrastruktur: eine gute
städtische Infrastruktur, gute Transportsysteme, leis-
tungsfähige Straßen sowie ein dichtes Netz von Energie-
versorgungsleitungen. Diese Infrastruktur ist ein Pfund,
mit dem Deutschland im internationalen Wettbewerb der
Standorte nach wie vor wuchern kann. Dies soll so blei-
ben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung setzt daher genau die richtigen
Signale für den weiteren Ausbau der Infrastruktur. Der
Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am
17. März dieses Jahres die zentralen Entscheidungen
noch einmal genannt: zusätzlich 2 Milliarden Euro für
die Verkehrsinfrastruktur,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

ein Beschleunigungsgesetz für öffentlich-private Part-
nerschaften und ein Gesetz zur Vereinfachung von Pla-
nungsprozessen.


(Zuruf von der SPD: Genau!)

Wir brauchen mehr Effizienz bei der Planung. Beschlos-
sene Infrastrukturprojekte müssen zügig realisiert wer-
den. Hinsichtlich der Bedeutung zügiger und effizienter
Planungsverfahren sind wir uns einig. Frau Blank, ich
glaube, hier brauchen wir keinen Dissens zu suchen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Warum liegt dann noch nichts vor?)


Eine Verlängerung bzw. Modifizierung des Verkehrs-
wegeplanungsbeschleunigungsgesetzes, wie Sie es for-
dern, reicht aber nicht aus. Das ist eindeutig zu wenig.
Wenn wir heute den Anforderungen einer effizienten In-
frastrukturplanung Rechnung tragen wollen, muss uns
Neues einfallen. Was wir jetzt brauchen, sind einfache,
transparente und insbesondere kalkulierbare Verfahren
in ganz Deutschland, und zwar sowohl bei den Verkehrs-
wegen als auch bei den Energieversorgungsleitungen.
Es geht dabei auch darum, die Voraussetzungen für ei-
nen wachsenden Anteil erneuerbarer Energien an unse-
rer Energieversorgung zu schaffen, ein Schritt der Zu-
kunftsvorsorge ersten Ranges.

Unkalkulierbar ist heute zum Beispiel, dass nach dem
geltenden Planungsrecht Stellungnahmen von Vereinen
noch immer ohne Fristen, das heißt noch nach Abschluss
der regulär vorgesehenen Verfahrensschritte abgegeben
werden können. Damit wird der Planungsverlauf völlig
unkalkulierbar. Daher wollen wir als Kernelement unse-
res Gesetzes eine umfassende Präklusion für alle Verei-
nigungen einführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alle Beteiligten, die Planungsträger, die Firmen und
auch die Verwaltung, brauchen mehr Rechts- und
Planungssicherheit und weniger Bürokratie. Nicht zu-
letzt führt das auch zu einer spürbaren Beschleunigung
solcher Verfahren.

Wir werden deshalb den Entwurf eines
Infrastrukturplanungsvereinfachungsgesetzes vorle-
gen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wann?)

– Wir sind kurz davor, darüber im Kabinett zu beraten.
Ich denke, dass wir einen solchen Entwurf bis zum Som-
mer dieses Jahres vorlegen können.

Ich hoffe, dass die Opposition und die Länder ihrem
Bekenntnis zur Planungsbeschleunigung dann auch Ta-
ten folgen lassen, damit das Gesetz zum 1. Januar 2006
in Kraft treten und das Verkehrswegeplanungsbeschleu-
nigungsgesetz ablösen kann. Genau deshalb können wir
den heute zur Diskussion stehenden Gesetzentwürfen






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Achim Großmann

nichts abgewinnen. Sie bringen uns nämlich in zentralen
Fragen nicht weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erst mit unserem Gesetz und den neuen Instrumenten,
von denen ich eines plakativ und beispielhaft erwähnt
habe, werden wir die Planungsphase für unsere wichti-
gen Infrastrukturprojekte um mehrere Monate verkürzen
und besser kalkulieren können, wann wichtige Verkehrs-
wege, städtische Bauvorhaben und Versorgungsleitun-
gen fertig sein werden. Die Attraktivität Deutschlands
als Investitionsstandort wird damit deutlich gewinnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516912700

Das Wort hat nun der Kollege Horst Friedrich für die

FDP-Fraktion.

(Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn das Manuskript?)



Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1516912800

Herr Kollege, es gibt auch Leute, die ohne Manu-

skript reden können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Herr Präsident! Wir beraten heute zum wiederholten

Male über Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes. Das ist
zuerst einmal zu begrüßen; denn die Regierungskoalition
hatte noch Ende 2002/Anfang 2003 die Meinung vertre-
ten, es bedürfe keiner weiteren Gesetze und man könne
das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz aus-
laufen lassen.

Wir sehen nun mit großer Begeisterung, dass die Bun-
desregierung, allen voran der Bundeskanzler, auf einmal
erklärt, das gehe nun doch nicht. Deswegen beraten wir
heute wieder über mehrere Gesetze. Allerdings wurden
sie vom Bundesrat, von der CDU/CSU-Fraktion und von
der FDP-Fraktion eingebracht. Was die Bundesregierung
oder die sie tragenden Koalitionsfraktionen angeht, gilt
wie immer: Fehlanzeige.

Das Ganze geschieht angesichts einer in mittlerweile
15 Jahren gewonnenen Erfahrung im Umgang mit dem
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz in den neuen
Bundesländern. Als wir dieses Gesetz damals verab-
schiedet haben, bedeutete es angeblich den Untergang
der Bürgerrechte. Die Bundesregierung selbst weist da-
rauf hin – das steht in ihrem Erfahrungsbericht –, dass in
den Planungsverfahren in den neuen Ländern mit diesem
Instrument sorgfältig umgegangen und ganz offensicht-
lich nicht gegen den Bürger entschieden worden ist. Der
große Unterschied ist: Die Rechtsansprüche sind auf den
Weg der Klage beim Bundesverwaltungsgericht, also auf
einen Rechtszug, begrenzt. Das macht Sinn und das hat
sich offensichtlich ausgezahlt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Staatssekretär, warum versuchen Sie jetzt, ein
völlig neues Instrument aus der Taufe zu heben? Sie
kündigen an, dass Sie bald das Kabinett erreichen; dann
müssen Sie sich auch mit Ihrem Kollegen Trittin einigen.
Ich glaube an die Existenz solcher Gesetzentwürfe mit-
tlerweile erst dann, wenn sie dem Bundestag vorliegen.

Fakt ist: Der Bundeskanzler hat etwas im März voll-
mundig verkündet und Sie sind, obwohl Ihnen dank ei-
nes riesigen Ministeriums die besseren Instrumente zur
Verfügung stehen, noch nicht einmal in der Lage, jetzt
einen Gesetzentwurf vorzulegen. Sie vertrösten uns da-
mit, dass Sie vielleicht vor der Sommerpause so weit
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Sehr verehrter Staatssekretär, das Fluglärmgesetz
wollten Sie eigentlich schon in der letzten Legislaturpe-
riode verabschieden. Es ist noch immer in der Mache,
weil man sich offensichtlich nicht einigt. Wenn die Ver-
abschiedung des neuen Infrastrukturplanungsverein-
fachungsgesetzes – es muss erst einmal durch alle
Gremien – genauso lange dauert wie die des Fluglärmge-
setzes, dann haben auch die zusätzlichen Verkehrswege-
investitionsmittel in Höhe von 2 Milliarden Euro, die Sie
zur Verfügung stellen wollen, wenig Sinn. Was die
Haushaltszahlen angeht, ist mir ohnehin ein bisschen der
Glaube abhanden gekommen, woher das entsprechende
Geld kommen soll. Wie wollen Sie das Ganze denn fi-
nanzieren?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie dieses Geld wirklich hätten, dann hätten Sie es
ja bereits in den Haushalt einstellen können.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ja, wo ist es denn?)


Das, was jetzt passiert, geschieht wieder einmal nach
dem bekannten Motto: ein bisschen vertrösten, ein biss-
chen angeben, aber dann nichts bringen. Wir werden Sie
jetzt testen.

Ich bin einmal gespannt, wie der Verkehrsminister auf
die beiden Gesetzentwürfe der Opposition reagiert
– dankenswerterweise ist auch die Union mittlerweile
dazu bereit, das Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
gungsgesetz auf beide Teile unseres Landes auszudeh-
nen; sehr verehrter Herr Vorsitzender, so weit waren wir
schon vor zwei Jahren; es wäre ein bisschen schneller
gegangen, wenn ihr gleich Ja gesagt hättet – und mit
welcher Begründung Rot-Grün diese Gesetzentwürfe ab-
lehnt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516912900

Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt,

Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Das Thema, das wir heute diskutieren – Verkehrs-
wegeplanungsbeschleunigungsgesetz –, ist ein abgenag-
ter Knochen; da ist nichts mehr dran, was uns für die
Zukunft weiterhilft.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Komisch!)

Das erkennen Sie übrigens auch am schwachen Interesse
in meiner Fraktion; die Mitglieder meiner Fraktion kön-
nen das Ganze bald nicht mehr hören.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das ist eine faule Ausrede!)


Wer dieses Thema auch heute noch zu einer Frage er-
klärt, deren Beantwortung über die Zukunft der deut-
schen Verkehrsinfrastruktur entscheidet, der bläst in
Wirklichkeit einen ideologischen Luftballon auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da hat der Herr Staatssekretär aber gerade etwas anderes erzählt!)


– Hören Sie doch einmal auf mich statt auf den Staats-
sekretär. Jetzt rede doch ich, oder? Herr Kollege
Friedrich, meine Redezeit hat begonnen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Noch ist er nicht Verkehrsminister!)


– Ich stehe schon im Ruf, mich in Rom bei der Papst-
wahl zu bewerben. Beides gleichzeitig kann ich nicht
machen.

Worum geht es denn? Was sind die schlichten und
nüchternen Fakten? Eine Umfrage unter allen Baumaß-
nahmeträgern, die damit zu tun haben, hat für den Be-
richtszeitraum 1. Januar 2000 bis 31. Juli 2003 ergeben
– ich zitiere aus dem Bericht des Bundesverkehrsminis-
teriums; er hat sicherlich auch etwas mit dem Staats-
sekretär zu tun –:

Die Auswertung dieser Daten – gemeint sind die
über Verfahren nach dem Beschleunigungsgesetz –
lässt nach Aussage der Vorhabenträger keine Unter-
schiede zu den Verfahren erkennen, bei denen die
Regelungen des Beschleunigungsgesetzes nicht zur
Anwendung kamen.

Was heißt das im Klartext? In den Jahren 2000 bis
2003 hat dieses Gesetz gar nichts mehr beschleunigt. Be-
schleunigt hat es in der Tat in den ersten Jahren nach
Wiederherstellung der deutschen Einheit. Aber jetzt, 14,
15 Jahre danach, dieses Sonderrecht Ostzone noch be-
haupten zu wollen und krampfhaft daran festhalten zu
wollen,

(Dr. Peter Danckert [SPD]: „Ostzone“ weise ich zurück! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: „Ostzone“ ist unmöglich!)


obwohl es erkennbar nicht mehr wirkt, ist blanker Un-
sinn;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ich könnte auch sagen: „blankscher Unsinn“; aber das
sage ich nicht.


(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Reden Sie einmal mit den Ministerpräsidenten!)


Der eigentliche Regelungsgehalt, den dieses Gesetz
noch hat, ist die Verkürzung des Rechtswegs auf die
eine Instanz Bundesverwaltungsgericht Leipzig. Na-
hezu alles andere wurde längst in das Planungsvereinfa-
chungsgesetz übernommen, das unbefristet und geogra-
fisch unbeschränkt, also für die ganze Republik, gilt. Da
hinein können wir gar nichts mehr übernehmen. Eine
Verlängerung der Geltungsdauer des Ende des Jahres
auslaufenden Beschleunigungsgesetzes wäre nicht nur
nicht nötig, sondern sogar falsch. Warum?

Erstens. Wenn der Antrag auf Plangenehmigung ge-
stellt ist, dann gelten die Regeln des Beschleunigungsge-
setzes noch über das Jahresende hinaus, und zwar unbe-
fristet. Das heißt, Projekte, die unter der Maßgabe des
Beschleunigungsgesetzes begonnen worden sind, haben
insofern sozusagen Bestandsschutz, nämlich Anspruch
darauf, nach diesem Verfahren zu Ende geführt zu wer-
den, auch wenn es noch so lange dauert. Also, regt euch
gar nicht auf!


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Noch regen wir uns auf, wenn wir es selber wollen, nicht nach Maßgabe der Grünen, auch wenn Claudia Roth die empörungspolitische Sprecherin Deutschlands ist!)


Punkt zwei. Der eigentliche Grund für die Schaffung
des Gesetzes damals, nämlich dass die Verwaltungsge-
richtsbarkeit in den neuen Bundesländern einfach noch
nicht verfügbar war, ist erkennbar entfallen. Die Ober-
verwaltungsgerichte arbeiten. Sie arbeiten gut. Sie haben
es gar nicht nötig, sich bevormunden zu lassen.

Dritter Punkt. Der Präsident des Bundesverwaltungsge-
richts, Herr Eckart Hien, hat in diversen Expertengesprä-
chen mit den Bundestagsfraktionen glaubhaft ausgeführt,
dass es bei Verfahren vor Oberverwaltungsgerichten
nach allem, was ihm bekannt ist und was statistisch be-
kannt ist, in aller Regel bei dieser einen Instanz bleibt.
Nur in 5 Prozent aller Fälle ist jemand, ein Einzelner
oder ein Verband, in die nächste Instanz gegangen.


(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Das sind die entscheidenden Fälle!)


Jetzt so zu tun, als sei die Verkürzung des Instanzenwe-
ges die eigentliche Beschleunigung, ist sachlich grund-
falsch und daneben.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr wollt nicht bauen!)







(A) (C)



(B) (D)


Albert Schmidt (Ingolstadt)


Herr Hien hat auch dargelegt, um welche Projekte es

dabei geht. Es geht ausdrücklich nicht um VDEs, also
Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, Großprojekte; in
den 5 Prozent der Fälle, in denen überhaupt nur die
nächste Instanz angerufen wird, geht es in aller Regel
um kleine, lokal bedeutsame Ortsumfahrungen. Er sagt
sogar – das ist auch unsere Einschätzung –, dass eine
Verlängerung der Geltungsdauer dieses Gesetzes, das
Ende des Jahres auslaufen soll und wird, letztlich kontra-
produktiv wäre; denn dann würde man den einen Senat,
den es dazu derzeit beim Bundesverwaltungsgericht
gibt, überlasten; ein zweiter müsste erst noch etabliert
werden – und das für ein Sonderrecht, das wir nicht
mehr brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fasse zusammen: Was verlangsamt unsere Planun-

gen wirklich? Es ist weder der Verzicht auf die Verlänge-
rung der Geltungsdauer des Beschleunigungsgesetzes
noch sind es der Hamster und seine Hilfstruppen beim
Bund Naturschutz usw.


(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Nicht der Hamster, der Zaunkönig! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ich bin gegen die Aussetzung von Hamstern!)


Was die Planung verlangsamt, ist Folgendes – das finde
ich hochinteressant, liebe Kolleginnen und Kollegen –:
Zunehmend reißt die Unsitte ein, dass bei Ausschreibun-
gen unterlegene Bewerber vor der Vergabekammer kla-
gen und dort ein langes Verfahren anstrengen,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die Ausschreibung vor der Planung?)


um doch noch in den Genuss des Auftrags zu kommen
oder sich wenigstens als Beteiligter einzuklagen. Interes-
sant sind ferner Verfahrensverkürzungen, die in der Zu-
ständigkeit der Länderbehörden möglich wären. Die ha-
ben nicht alles getan, um ein unbürokratisches Vorgehen
zu gewährleisten.

Unsere Vorgehensweise, die in der Koalition übrigens
verabredet ist – da können Sie gar keinen Dissens
hineininterpretieren –, ist die, dass wir mit einer Geset-
zesinitiative unter der Überschrift „Bauen einfacher ma-
chen“ verfahrenstechnische Vereinfachungen mit be-
schleunigenden Effekten auf den Weg bringen werden.
Das wird garantiert keine Bürgerbeteiligung unzulässig
verkürzen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Aha!)

Das wird – da brauchen Sie keine Angst zu haben –
keine Ökostandards bzw. Umweltstandards aushebeln.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Grünen blocken wieder! Immer dasselbe!)


Aber es wird helfen, verfahrenstechnische Dinge, soweit
es möglich ist, zu beschleunigen und das schneller auf
die Schiene bzw. die Straße zu bringen. Dagegen haben
wir nie etwas gehabt. Dagegen werden wir auch künftig
nichts haben. Aber einen abgenagten Knochen – das ist
das veraltete Gesetz nämlich – länger als notwendig im
Maul zu behalten ist einfach dumm und unzeitgemäß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Gequälter Beifall bei der SPD!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516913000

Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz, CDU/CSU-

Fraktion.

Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1516913100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der heutige Tag eignet sich hervorragend zur
Diskussion des Themas „Bürokratie im Verkehrswege-
bau“, denn heute wurde der vorläufige Höhepunkt im
Desaster der Berliner Flughafenpolitik erreicht: Es ist
wieder einmal Stillstand zu verzeichnen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ein Desaster!)

Das hat jetzt nicht unbedingt direkt etwas mit Ihren Äu-
ßerungen zu tun


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat nichts mit dem Beschleunigungsgesetz zu tun!)


– das habe ich gerade gesagt –,

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich weiß schon jetzt: Das war der Hamster!)


aber wir alle wissen, welche Philosophie hinter dieser
Verzögerungstaktik steht. Man kann sie mit Ihrer Rede
vergleichen, Herr Schmidt. Dieselbe Philosophie haben
auch Sie hier vorgetragen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, ich spreche jetzt ganz ein-
f
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1516913200
Herr Staatssekretär, Sie
haben uns gerade ein Infrastrukturplanungsbeschleu-
nigungsgesetz vorgeschlagen. Bedauerlicherweise sind
wir als Opposition bis jetzt noch nicht in den Genuss des
Referentenentwurfes Ihres Hauses zu diesem Gesetz ge-
kommen. Gegenüber der Presse waren Sie zum Glück
etwas gnädiger, sodass wir Gelegenheit hatten, uns ein
wenig mit dem Inhalt zu befassen.

Es zeigt sich in der Tat, dass Ihre Ankündigungen und
die Ankündigungen des Kollegen Schmidt wider-
spruchsfrei sind. Warum? Der ganz einfache Grund ist,
dass Sie den wesentlichen Punkt des bisherigen
Bundesverkehrswegebeschleunigungsgesetzes, den wir
verlängern möchten, nämlich die Einzügigkeit des Ge-
richtsverfahrens, in Ihrem Referentenentwurf aufge-
ben, weil Sie ihn gegenüber den Grünen nicht durchset-
zen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sind 5 Prozent aller Fälle! Kein Richter in Deutschland will das! – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ein Kardinalfehler!)







(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz

Das zeigt, dass Ihr Argument, Sie wollten eine Gesamt-
lösung schaffen und könnten sich deshalb mit punktuel-
len Lösungen, wie sie in den drei heute vorliegenden
Anträgen beschrieben sind, nicht anfreunden, nicht
stimmt. Die drei vorliegenden Anträge von Bundesrat,
CDU/CSU-Bundestagsfraktion und FDP-Fraktion zielen
alle in dieselbe Richtung.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Alle drei sind falsch!)


Sie haben die Absicht, den Rechtszug auf einen zu be-
schränken und die derzeit geltende Regelung zeitlich
auszudehnen. Die beiden Fraktionsanträge verfolgen au-
ßerdem das Ziel, das Gesetz auch räumlich auf ganz
Deutschland zu übertragen.

Diese Forderungen lehnen Sie ab, weil Sie sich ge-
genüber Ihrem Koalitionspartner nicht auf die Reduzie-
rung der Rechtszüge einigen können. Damit geben Sie
das wesentliche beschleunigende Argument – Sie haben
nämlich nicht Recht, Herr Schmidt – auf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kompletter Unsinn! Sie haben keine Ahnung!)


Gehen wir noch einen Schritt weiter, meine Damen
und Herren. Selbst wenn wir sagen, der Bedarf sei nicht
mehr gegeben, wie das der Kollege Schmidt behauptet,
fällt mir schon Ihre methodische Herangehensweise auf.
Wenn ich Ihren Argumenten folge,


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hören ja gar nicht zu!)


fällt mir auf, dass Sie immer dann, wenn ein Gesetz oder
ein Verfahren einigermaßen reibungslos läuft,


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es läuft eben nicht mehr! Es hat 0,0 Effekt!)


nach Begründungen suchen, um ein Gesetz verkompli-
zieren zu können oder komplizierte Regelungen beste-
hen zu lassen. Wir wollen einen anderen Geist in diese
Diskussion bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)


Die Öffentlichkeit in Deutschland fasst sich allmählich
an den Kopf und fragt: Wieso streitet sich dieser Bundes-
tag Jahr für Jahr über dieselben Dinge? Wieso kommen
die Abgeordneten Jahr für Jahr zu dem Thema Bundes-
verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz zusammen,
reden immer über dieselben Argumente, verlängern das
Gesetz dann um ein Jahr und vertrödeln so ihre Zeit? Der
Bürger möchte Entscheidungen haben, auf die er sich
langfristig einstellen kann, und unsere Kommunalpoliti-
ker wollen Planungssicherheit haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen mit dem Abbau der Bürokratie Ernst
machen und wir möchten noch etwas einfordern, Herr
Staatssekretär. Wir haben schon mehrmals gesagt und
haben Ähnliches auch schon aus Ihren Reihen gehört:
Wenn sich bestimmte Regelungen oder Deregulierungen
in Ostdeutschland als zweckmäßig erwiesen haben,


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


sollte man versuchen, sie auf Gesamtdeutschland zu
übertragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was Sie hier machen, ist vergleichbar mit der verknö-
cherten Politik der alten Bundesrepublik Deutschland,
die es strikt ablehnte, sich mit Dingen, die in Ost-
deutschland erfolgreich waren, überhaupt zu befassen.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vieles haben wir bereits übertragen!)


Wenn Sie so weitermachen, meine Damen und Herren,
werden wir aus der wirtschaftlichen Klemme, in der sich
dieses Land befindet, bis auf Weiteres nicht herauskom-
men und die derzeitige Arbeitsmarktsituation nicht
verbessern können.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist der Punkt! Jetzt ist es raus!)


Die Bürger sagen zu Recht: Wir sind frustriert von die-
sen Leuten in Berlin, weil sie dieses Land nicht nach
vorne bringen. Das ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich Sie ganz

herzlich

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Treten Sie zu rück! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)

– das wäre eine Hoffnung, der ich gerne Ausdruck ver-
leihen würde, wenn in Bezug auf die Fähigkeit der Koa-
lition, ihr Leistungsvermögen richtig einzuschätzen, ir-
gendeine Chance auf Erfolg bestehen würde, aber ich
glaube, dass diese Chance nicht gegeben ist, und aus
dem Grunde denke ich an etwas anderes –: Lassen Sie
uns aus den drei vorliegenden Vorschlägen – dem Be-
schluss des Bundesrates und den beiden Anträgen von
zwei Fraktionen – ein vernünftiges Gesetz machen, das
den Politikern in den Ländern und Kommunen Pla-
nungssicherheit für die nächsten Jahre gibt, lassen Sie
uns die Befristung aufheben und erst dann wieder über
eine Befristung reden, wenn diese aus irgendeinem an-
deren vernünftigen Grund erforderlich wird. Damit ge-
winnen Sie das Vertrauen der Öffentlichkeit zurück und
bringen den Standort Deutschland nach vorne.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU: Bravo! – Sehr gut! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Du musst öfters reden!)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516913300

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Peter Danckert, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Jetzt kommt wieder Ordnung in die Debatte!)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1516913400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Vaatz, die ganze Aufregung, die Sie hier verbreitet
haben, ist eigentlich völlig unverständlich. Wenn man
Ihre drei vorliegenden Anträge daraufhin untersucht,
was sie an Substanziellem enthalten, kommt man zu dem
Schluss, dass das gegen null tendiert.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gegen minus sogar!)


Bezüglich der Planungsvereinfachung findet sich darin
überhaupt nichts. Sie wollen nur das bestehende Sonder-
recht auf ganz Deutschland ausdehnen, und das ist es
dann schon. Sie haben nicht einen einzigen substanziel-
len neuen Gedanken in Ihre Gesetzentwürfe gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Schäbig!)


Die Kollegen von der FDP haben ihren Antrag mit so
heißer Nadel gestrickt


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Nee!)


– der Antrag ist vom 13. April –, dass ihnen noch nicht
einmal aufgefallen ist – das geht jedenfalls aus dem Text
ihres Gesetzentwurfs hervor –, dass das geltende
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz nicht
2004 ausläuft, sondern 2005.


(Zuruf von der SPD: Peinlich, peinlich!)

Sie sollten sich wenigstens die Mühe machen, in Ihren
Entwürfen auch die aktuelle Rechtslage zu berücksichti-
gen. Nicht einmal das bekommen Sie hin. Es tut mir
Leid, wenn ich das an der Stelle so sagen muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Erste Lesung, Herr Kollege!)


Abgesehen von all dem, was noch an Substanziellem
zu sagen wäre, möchte ich an dieser Stelle nicht ver-
schweigen – der Kollege Vaatz ist mir da leider zuvorge-
kommen –, dass heute aus der Sicht der Flughafenplaner
ein bedauerlicher Tag ist. Warum? Weil den Eilanträgen
der Flughafengegner stattgegeben worden ist. Wir alle
sollten vielleicht einmal gemeinsam überlegen, ob wir
uns da auf dem richtigen Weg befinden. Das gilt übri-
gens auch für die Frage der Kosten des Flughafens.
Auch dazu werden wir vielleicht in nächster Zeit noch
einiges hören. Es geht also nicht nur darum, ein Pla-
nungsrecht zu schaffen, sondern man muss auch tatsäch-
lich die Voraussetzungen schaffen, um einen wirksamen
bestandsfähigen Planfeststellungsbeschluss zustande zu
bringen. Das scheint das entscheidende Defizit in Bran-
denburg und Berlin zu sein. Aber auch der Bund ist,
meine Damen und Herren Kollegen, an dieser Sache be-
teiligt.

Zurück zu dem eigentlichen Thema des heutigen Ta-
ges. Der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner
wegweisenden Rede vom 17. März gesagt, dass es ein
gesamtdeutsches Planungsvereinfachungsrecht ge-
ben wird, und hat, wie es der Staatssekretär Großmann
eben auch deutlich gemacht hat, hinzugefügt, dass das
sogar noch auf den Energiebereich ausgedehnt wird, in-
dem auch für diesen Bereich eine entsprechende Novelle
eingebracht wird. Auch das ist, wie ich denke, ein wich-
tiger Gesichtspunkt, auf den Sie bisher nicht eingegan-
gen sind; auch in Ihren Gesetzentwürfen steht dazu kein
Wort. Das werden wir aber umsetzen. Dieses Vorhaben
muss jedoch sorgfältig vorbereitet werden.

Der Kollege Dirk Fischer – ich weiß gar nicht, wo er
im Moment ist


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sein Geist schwebt immer über uns!)


– gut, also richten Sie ihm das aus; aber dahinten steht er
ja – hat uns ja zumindest eine Frist bis zum 31. März ge-
setzt. Aber nicht einmal die wurde abgewartet. Der
CDU/CSU-Gesetzentwurf wurde 15 Tage früher einge-
reicht. Wenn ich das einmal tendenziell bewerten soll,
kann ich dazu nur sagen, dass Sie einmal in aller Hektik
– zu welchen Fehlern das führt, haben wir gerade gese-
hen – etwas auf den Tisch legen wollten, ohne sich sub-
stanziell Gedanken darüber zu machen, was man eigent-
lich verbessern könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Peinlich!)


Wenn Sie, Frau Blank, jetzt hier so tun, als würden
beim Planungsrecht 30 Jahre ins Land gehen, dann muss
ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass 16 Jahre davon Sie
regiert haben. Was wollen Sie uns also eigentlich damit
sagen? Sie hätten doch all das, was Sie heute beklagen,
in diesen 16 Jahren realisieren können. Das haben Sie
aber nicht getan. Wir gehen das nun substanziell an,
Schritt für Schritt. Verbesserungen, die wir erreichen,
werden wir auf den Tisch legen.

Ich denke, das darf ich sagen, Herr Staatssekretär: Mir
persönlich – ich rede jetzt nicht für die gesamte Frak-
tion – wäre es schon lieber gewesen, wenn wir heute
auch über einen abgestimmten Entwurf hätten diskutie-
ren können.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist doch wenigstens ein ehrliches Wort!)


Aber die Materie ist natürlich kompliziert; das räume ich
ein. Man sollte vielleicht auch noch einmal darüber
nachdenken, ob man nicht die Freunde von Bündnis 90/
Die Grünen vielleicht doch davon überzeugen kann,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird schwer!)

auch das zu tun, was sich bewährt hat, was den einzügi-
gen Gerichtsweg angeht, da das der Verfassungslage
entspricht.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/CSU])

Zu einer Rechtsverkürzung, lieber Herr Verkehrsminis-
ter Albert Schmidt, führt das ja nicht. Aus der Sicht der
Bürger geht es einfach darum, dass wir sie in der Phase
der Planung beteiligen und ihnen alle Rechte einräumen.
Wenn es nachher um die Überprüfung des Planfeststel-
lungsbeschlusses geht, könnten wir uns ja vielleicht mit
einer Instanz zufrieden geben. Wir sollten darüber noch
einmal reden. Ich weiß, dass das ein Knackpunkt in der
Diskussion ist.


(Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Unterbrich mal, er will eine Zwischenfrage stellen!)


Aber wir werden uns darüber vielleicht noch verständi-
gen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516913500

Herr Kollege Danckert, darf Ihnen – –


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1516913600

Meine Bitte ist, dass uns jetzt zügig ein kompletter

Entwurf vorgelegt wird, über den wir dann gemeinsam
diskutieren können. Ich bin sicher, dass Ihre Gesetzent-
würfe dann keine Rolle mehr spielen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt hat er nicht einmal Luft geholt und Herrn Vaatz keine Möglichkeit zu einer Zwischenfrage gegeben! – Gegenruf des Abg. Rainer Fornahl [SPD]: Von dem haben wir ja nur Mist gehört!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516913700

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wird

die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksa-
chen 15/5102, 15/4536 und 15/5258 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
den Zusatzpunkt 7 auf:
6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rolf

Mützenich, Uta Zapf, Gernot Erler, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander
Bonde, Marianne Tritz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Verbreitung der Kernwaffen verhindern und
die nukleare Abrüstung stärken – Die Über-
prüfungskonferenz 2005 des Atomwaffen-
sperrvertrags (NVV) zum Erfolg führen
– Drucksache 15/5254 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

gierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der
Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüs-
tung und Nichtverbreitung sowie über die Ent-

(Jahresabrüstungsbericht 2003)

– Drucksachen 15/3167, 15/5143 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Fritz Kuhn
Dr. Werner Hoyer

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Werner Hoyer, Harald Leibrecht, Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbrei-
tungsregimes stärken – US-Nuklearwaffen aus
Deutschland abziehen
– Drucksache 15/5257 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

Die Fraktionen haben hierzu eine Aussprache von ei-
ner Stunde vereinbart. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1516913800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

wenigen Wochen wird erneut über die Wirksamkeit des
Atomwaffensperrvertrages beraten. Alle fünf Jahre fin-
det diese Überprüfungskonferenz statt. Delegationen
aus 189 Vertragsstaaten werden in New York Bilanz zie-
hen. Diese Bilanz wird nicht ohne Widersprüche sein
können. Einerseits ist der Atomwaffensperrvertrag der
Eckpfeiler in den weltweiten Bemühungen, die Verbrei-
tung der Atomwaffen zu verhindern und die nukleare
Abrüstung zu stärken. Nur noch Indien, Pakistan und
Israel befinden sich außerhalb des Vertrages. Nordkorea
hat seinen Austritt erklärt. Andererseits existieren welt-
weit noch immer über 28 000 Kernwaffen. Nach dem
Ende des Ost-West-Konflikts wurde eine Chance vertan,
die nukleare Abrüstung zwischen den Kernwaffenstaa-
ten umfassend und unumkehrbar zu machen. Auch in
Deutschland sind weiterhin taktische Atomwaffen statio-
niert. Die anhaltende Krise um die Atomprogramme
Nordkoreas und des Iran macht zudem deutlich, wie ge-
fährdet das Nichtverbreitungsregime ist.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich

Deshalb ist es gut, wenn Deutschland ein verlässli-

cher Partner des Atomwaffensperrvertrages bleibt. Alle
Bundesregierungen haben das Abkommen in den ver-
gangenen Jahren zu stärken versucht. In unserem Land
gibt es zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die
den Atomwaffensperrvertrag mit ihren Mitteln stützen.
Deutschland verfügt über hervorragenden wissenschaft-
lichen Sachverstand, um weitere Ideen für die nukleare
Rüstungskontrolle zu entwickeln.

Darum ist es ein guter Zeitpunkt, wenn wir heute die
Überprüfungskonferenz zum Anlass nehmen, Stärken
und Schwächen des Nichtverbreitungsvertrages zu be-
nennen. Wir wollen mit unserem Antrag Anregungen
vortragen, damit die nukleare Abrüstung wieder voran-
kommt. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposi-
tion unserem Antrag zustimmen könnte.

Eine besondere Verantwortung für die nukleare
Nichtverbreitung kommt den Atomwaffenstaaten zu.
Sie müssen verbindliche Abrüstungsschritte vereinba-
ren. Wir Sozialdemokraten engagieren uns weiterhin für
eine atomwaffenfreie Welt. Der Moskauer Vertrag vom
Mai 2002 über die weitere Reduktion amerikanischer
und russischer Atomwaffen kann dazu beitragen. Aller-
dings stellt das Übereinkommen die Zerstörung der
Sprengköpfe nicht sicher, verzichtet auf die Überprüfung
der Bestimmungen und ist zeitlich befristet.

Gravierender aus meiner Sicht ist allerdings, dass die
Atomwaffenmächte ihre Arsenale umstrukturieren und
Kernwaffen in der militärischen Planung wieder einen
bedeutenden Platz bekommen. Die USA arbeiten an
bunkerbrechenden Atomwaffen. Russland stellt neue
Mehrfachsprengköpfe in Dienst. Auch Großbritannien,
Frankreich und die Volksrepublik China modernisieren
ihr atomares Potenzial. Weiterhin halten die Regierun-
gen am atomaren Ersteinsatz fest. Vorzeitige, präventive
Militäreinsätze gehören mittlerweile zur Sicherheitsphi-
losophie.

Unterm Strich: Die offiziellen Kernwaffenmächte ge-
hen mit schlechtem Beispiel voran. Dies erschwert die
Bemühungen, andere Staaten innerhalb des Atomwaf-
fensperrvertrages zu halten und außenstehende zu einem
Beitritt zu bewegen. Daher sollten die Kernwaffenstaa-
ten endlich wieder über wirksame Maßnahmen zur nu-
klearen Abrüstung verhandeln, weitere vertrauens- und
sicherheitsbildende Maßnahmen einleiten und auf die
Ersteinsatzoption verzichten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Atomwaffenmächte müssen die Abrüstungsver-
pflichtung aus Art. VI des Nuklearen Nichtverbreitungs-
vertrages ernst nehmen. Diese Bestimmung steht in
einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Verpflich-
tung anderer Staaten, keine Kernwaffen besitzen zu wol-
len. Doch selbst dann kann es zu Verstößen kommen.

Nordkorea hat sich atomwaffenfähiges Material be-
schafft, obwohl es Vertragsstaat war. Auch der Iran hat
nicht alle Aktivitäten offen gelegt, obwohl er dazu ver-
pflichtet gewesen wäre. Wie wir wissen, hat Libyen jah-
relang geheime nukleare Aktivitäten betrieben. Der
Überprüfungsteil des Atomwaffensperrvertrags ist also
unzureichend. Deshalb war es gut, das Zusatzprotokoll
zu schaffen. Damit können wirksamere Überprüfungen
stattfinden. Doch bisher haben immer noch nicht alle
Vertragsstaaten dieses Sicherungsabkommen ratifiziert.
Das muss sich ändern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir sollten noch weiter gehen: Der Internationalen
Atomenergie-Organisation müssen weitere Rechte ein-
geräumt werden. Die UN-Behörde hat in den vergange-
nen Jahren sicherlich Fehler gemacht. Vielleicht hat sie
an der einen oder anderen Stelle zu nachlässig gearbei-
tet. Aber ohne die Internationale Atomenergie-Organisa-
tion hätte der Atomwaffensperrvertrag weniger Biss.
Tatsächlich kann die Internationale Atomenergie-Orga-
nisation nur dann gut und effektiv arbeiten, wenn alle
Staaten ausreichend Finanzen, geheimdienstliche Er-
kenntnisse und Personal zur Verfügung stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die iranische Atomkrise dokumentiert erneut einen
entscheidenden Mangel des Atomwaffensperrvertrags:
Einerseits sollen die Staaten auf Atomwaffen verzichten,
andererseits sollen sie beim Aufbau des gesamten zivilen
Brennstoffkreislaufs unterstützt werden. Die iranische
Regierung beruft sich auf diese Verknüpfung, wenn sie
die Urananreicherung in Übereinstimmung mit interna-
tionalem Recht und aus nationalem Prestige fordert.

Es gibt Vorschläge, wie mit diesem Problem umge-
gangen werden könnte. Regionale Ansätze oder Liefer-
garantien durch internationale Organisationen könnten
eine Alternative sein. Anstelle des Transfers von Atom-
technologie könnte aber auch ein Protokoll treten, wo-
nach Länder Technologien für erneuerbare Energien er-
halten könnten. Kurzum: Wir brauchen an dieser Stelle
Beweglichkeit von allen Staaten.

Der Atomwaffensperrvertrag ist nicht das einzige In-
strument, um die Verbreitung der Kernwaffen zu verhin-
dern. Weitere Maßnahmen müssen das Abkommen in
seiner Wirksamkeit ergänzen. Dabei ist für uns Sozialde-
mokraten klar: Das Völkerrecht und der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen bleiben unverzichtbar für eine
Nichtverbreitungspolitik. Nebenbei bemerkt: Jede Über-
einkunft zur nuklearen Rüstungskontrolle stärkt die An-
strengungen, mit denen verhindert werden soll, dass Ter-
roristen in den Besitz von atomaren Waffen und Material
kommen.

Wir hoffen, dass die Überprüfungskonferenz zum
Atomwaffensperrvertrag erfolgreich sein wird. Die Vo-
raussetzungen sind leider nicht optimal. Die gegenseiti-
gen Behinderungen erschweren einen Dialog und not-
wendige Kompromisse. Doch wir brauchen einen Er-
folg.

Europa hat Jahrzehnte unter der atomaren Bedrohung
gelitten. Heute haben wir – mit Glück und Verstand –
eine Zone des Friedens geschaffen. Mithilfe von Abrüs-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich

tung und Rüstungskontrolle könnten solche Friedenszo-
nen auch in anderen Regionen befördert werden. Der
Atomwaffensperrvertrag ist hierfür unentbehrlich. Die
Überprüfungskonferenz muss dazu beitragen, die Nicht-
verbreitung zu stärken. Ein gemeinsames Schlussdoku-
ment wäre ein deutliches Signal zugunsten kooperativer
Rüstungssteuerung.

Wir danken der Bundesregierung, dass sie seit mehre-
ren Monaten versucht, die Voraussetzungen für eine er-
folgreiche Überprüfungskonferenz zu schaffen. Die
SPD-Fraktion unterstützt sie bei diesen Bemühungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Bundesre-
gierung, jedenfalls die zum Auswärtigen Amt gehören-
den Teile, dieser Debatte gefolgt hätte.


(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516913900

Nächster Redner ist der Kollege Ruprecht Polenz,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1516914000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Mützenich, in Ihrem letztgenannten Punkt stimmen
wir sicherlich alle überein. Wenn ich mir die Regie-
rungsbank anschaue, dann sehe ich zwar ganz hinten die
verdienten Botschafter, die uns – wofür wir dankbar
sind – auch im Unterausschuss immer zur Verfügung ste-
hen, aber wir schicken doch auch nicht unsere Mitarbei-
ter ins Parlament, um unsere Reden zu halten.


(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben aber auch nicht viele Abgeordnete hier, Herr Polenz!)


Insofern ist dies meines Erachtens ein bezeichnendes
Zeichen für den Zustand des Auswärtigen Amtes, das of-
fensichtlich nur noch die Akten für den Visa-Untersu-
chungsausschuss vorbereitet und der heutigen Debatte
nicht folgen will.

Meine Damen und Herren, es geht bei der Überprü-
fungskonferenz um fünf Hauptthemen. Zum Ersten sollen
möglichst alle Staaten in den Nichtverbreitungsvertrag
einbezogen werden; zurzeit sind es 188 Vertragspartner.
Wie man erreichen kann, dass Nordkorea wieder dazuge-
hören wird, ist eine der Fragen, die es zu diskutieren gilt.
Wir alle gemeinsam wollen Iran im Sperrvertragsregime
halten.

Sie haben das Thema angesprochen, dass Indien, Pa-
kistan und Israel als Kernwaffenstaaten nicht Mitglieder
des Nichtverbreitungsvertrages sind. Nun fordert die
Koalition in ihrem Antrag, diese Länder sollten „als
Nichtkernwaffenstaaten“ dem Vertrag beitreten. Das ist
vergleichsweise illusionär.


(Zuruf von der SPD: Gut, aber fordern kann man es ja!)


Deshalb stellt sich die Frage, ob man nicht schon einen
Schritt weiter käme, wenn man von diesen drei Staaten
forderte, ihre zivile Nutzung der Kernenergie dem Zu-
satzprotokoll zu unterstellen. Meines Erachtens wären
wir dann immerhin einen Schritt weiter.

Im Hinblick auf Indien möchte ich auf eine Inkonsis-
tenz in der Außenpolitik der Bundesregierung hinwei-
sen. Bekanntlich hat der Bundeskanzler auf seiner
Asienreise im Schulterschluss mit Indien für beide Staa-
ten einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat gefordert. Er
hat es als großen diplomatischen Erfolg gefeiert, dass In-
dien die deutschen Ambitionen unterstütze und umge-
kehrt. Nun muss man sich Folgendes vorstellen: Indien
– dann also gegebenenfalls ständiges Mitglied des Si-
cherheitsrates – muss Sanktionen mitbeschließen, die
wegen der Nichtbefolgung des Nichtverbreitungsre-
gimes gegen den Iran verhängt werden, obwohl Indien
selbst an dem ganzen Regime nicht teilnimmt. Das ist
ein gewisser Widerspruch in der Außenpolitik der Bun-
desregierung, denn offensichtlich hat dieses Thema bei
der Bündnispolitik im Hinblick auf die Sicherheitsrats-
ambitionen keine Rolle gespielt.

Zum Zweiten wird es in New York darum gehen, dass
es möglichst keine neuen Atomwaffenstaaten geben
soll. Allerdings macht der Technologietransfer, der im
Nichtverbreitungsregime garantiert ist, Probleme. Ihr
Antrag unterschätzt die Bedeutung, die die Teilnahme an
der friedlichen Nutzung der Kernenergie für die Schwel-
lenländer auf der Welt hat. Es ist etwas naiv, zu glauben,
dass man das Recht zur friedlichen Nutzung der Kern-
energie gegen den angebotenen Technologietransfer von
Windrädern und Sonnenkollektoren eintauschen wird;
im Prinzip steht das ja so in Ihrem Antrag.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist eine Alternative!)


In Ihrem Antrag haben Sie aus nahe liegenden Grün-
den nicht in die Bilanz aufgenommen, dass es auf der
Welt im Augenblick 442 Kernkraftwerke gibt und 25
weitere im Bau sind, und zwar mit steigender Tendenz.
Die Begründung für den Ausstieg aus der Kernenergie,
die Sie der bundesdeutschen Bevölkerung gegeben ha-
ben, nämlich dass sich dadurch die Sicherheit erhöhen
werde, dass das ein weltweites Beispiel sei und andere
Länder schrittweise dem leuchtenden Beispiel Deutsch-
lands folgen würden, hat sich damit nachhaltig als illu-
sionär erwiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist Ihre Konsequenz?)


– Die Konsequenz ist, dass wir die Welt so nehmen, wie
sie ist, und unsere Maßnahmen, lieber Kollege
Nachtwei, nicht alleine daran festmachen, wie wir sie
gerne hätten.


(Zuruf des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz

– Stell eine Zwischenfrage! Dann bekomme ich ein biss-
chen mehr Redezeit. Anderenfalls sollten wir das Zwie-
gespräch nicht fortsetzen.

Die Anreicherungsfähigkeit bei der zivilen Nutzung
der Kernenergie ist die technologische Voraussetzung
für die Waffenfähigkeit. Deshalb kommt dieser Frage
eine besondere Rolle zu.

Damit bin ich beim dritten Schwerpunkt der Konfe-
renz, nämlich bei der Frage, wie man die Anreicherung
begrenzen könne. Da gibt es den Vorschlag eines Mora-
toriums. Den lehnen Sie ab. Es geht dabei um eine Be-
grenzung auf die Staaten, die jetzt anreichern, und zu-
sätzlich um eine Liefergarantie zu Weltmarktpreisen für
die Staaten, die bisher nicht anreichern. Ein anderer Vor-
schlag sieht eine multilaterale Anreicherung unter inter-
nationaler Kontrolle vor.

Wir halten es für nicht richtig, einen Weg von vorn-
herein auszuschließen; denn der erste Weg wird wahr-
scheinlich in Bezug auf den Iran von den EU-Drei ver-
folgt. Das schließen Sie in Ihrem Antrag aus.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Nein, nein!)

– Doch. – Deshalb sind wir dafür, beide Wege zu verfol-
gen und nach individuellen Lösungen zu suchen, wie
man in dieser Anreicherungsfrage zu einer Begrenzung
kommen kann.

Wir haben als vierten Punkt auf der Tagesordnung,
wie wir die Verifizierung der Verpflichtungen besser
und handfester gestalten können. Da ist Ihre Forderung,
das Zusatzprotokoll praktisch zum Bestandteil des Ver-
trages zu machen, richtig.

Aber darüber hinaus ist zu nennen: Wir müssen se-
hen, dass die IAEO besser ausgestattet wird; denn es gibt
heute neue Möglichkeiten des Aufspürens von nuklearen
Aktivitäten, die die IAEO gerne wahrnehmen würde,
wozu sie aber kein Geld hat. Das wäre ein wichtiger
Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der fünfte Punkt betrifft die Kündigungsfrist bzw. die
Kündigungsmodalitäten, die im Zusammenhang mit
dem Sperrvertrag gelten. Wir haben es bei Nordkorea
schmerzlich gesehen: Die Fristen sind kürzer als ge-
meinhin im deutschen Arbeitsrecht erlaubt. Binnen drei
Monaten kann gekündigt werden.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Da wollen Sie hin!)


Sie fordern als ein Instrument eine – ich sage es einmal
mit meinen Worten – Rechtfertigungskonferenz. In ei-
nem solchen Kündigungsfall gehört aber auch die Ver-
pflichtung der Rückgabe von Nukleareinrichtungen und
der Rückgabe spaltbaren Materials dazu. Das müsste
nach unserer Auffassung hinzukommen.

Jetzt komme ich zu der Frage, wie man das alles er-
reicht. Sie erwecken ja mit Ihrem Antrag den Eindruck,
als werde daran der Erfolg der Konferenz gemessen, ob-
wohl eigentlich alle – jedenfalls alle, die jetzt hier sind –
wissen, dass die Erwartungen eher bescheiden sind. Das
liegt auch daran, dass wir es nicht geschafft haben, zu ei-
ner gemeinsamen Position der Europäischen Union zu
kommen. Ich frage mich: Wo sind denn die Anstrengun-
gen Deutschlands, überhaupt eine solche gemeinsame
Position der Europäischen Union im Hinblick auf die
Überprüfungskonferenz zu bewerkstelligen? Hier wäre
gut Raum für eine deutsch-französische Initiative zur
Vorbereitung einer gemeinsamen EU-Position gewe-
sen. Dies wäre eine geradezu klassische Aufgabe im Zu-
sammenhang mit der deutsch-französischen Führungs-
rolle im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik gewesen. Warum? Klassischerweise
nimmt Deutschland diese Aufgabe zusammen mit
Frankreich wahr. Denn wenn der Rest der Europäischen
Union das Gefühl hat, die Franzosen mit ihrem speziel-
len Politikverständnis und die Deutschen mit ihrem et-
was anders gelagerten haben sich auf etwas geeinigt,
können das eigentlich alle mittragen.

Wenn man das in diesem Fall versucht hätte, hätten
sich Frankreich als Nuklearwaffenstaat und Deutschland
als Nichtatommacht auf eine Initiative geeinigt und sie
vielleicht in der Europäischen Union durchgesetzt. Dann
stünden wir natürlich insgesamt viel besser da. Denn die
schwierigen Mentalitätsfragen zwischen „haves“ und
„havenots“ wären viel leichter zu adressieren, wenn man
mit einer Position käme, auf die man sich europaweit
verständigt hätte. Das ist ein großes Versäumnis deut-
scher Außenpolitik; aber der Außenminister hat ja be-
kanntlich anderes zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich noch etwas zum FDP-Antrag sagen,
in dem gefordert wird, dass die amerikanischen Nuklear-
waffen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Ich
weiß nicht, ob die FDP der Meinung ist, dass die US-
Truppen gleich mit abgezogen werden sollen, oder ob sie
der Meinung ist: Die amerikanischen Truppen sollten
schon in Deutschland bleiben. Wenn sie aber Letzteres
meint – was ich vermute –, dann spricht eigentlich vieles
dafür, die Frage, wie die Truppen geschützt und wie sie
bewaffnet werden sollen, denen zu überlassen, die sie
stellen.

Die zweite Frage, die sich im Zusammenhang mit Ih-
rem Antrag stellt, ist: Wollen Sie auf den amerikanischen
Nuklearschirm für Deutschland verzichten?


(Harald Leibrecht [FDP]: Was hat das denn damit zu tun?)


Wenn nein – ich nehme an, dass Sie darauf nicht ver-
zichten wollen –, dann, glaube ich, spricht viel dafür,
diese Frage nicht in der Form zu adressieren, wie Sie es
getan haben. Ich glaube, das schafft nur neue Probleme
im transatlantischen Verhältnis. Ich halte den FDP-An-
trag insoweit für nicht zu Ende gedacht.


(Uta Zapf [SPD]: Fehlt nur noch der Erstschlag!)







(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz

Lassen Sie mich zu dem Abrüstungsversprechen des

Art. VI des NVV, das ja auch in Ihrem Antrag eine große
Rolle spielt, nur so viel sagen: Das Ziel einer atomwaf-
fenfreien Welt halte ich für illusionär.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Aber es ist ein schönes Ziel!)


Dadurch würde auch nicht mehr Sicherheit in der Welt
geschaffen. Denn das Wissen, wie man die Bombe baut,
ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Von daher sind
wir gut beraten, wenn wir realistische Ziele formulieren
und sicherlich an dem Vertrag in dem Punkt deklamato-
risch festhalten. Aber wir sollten nicht unsere Argumen-
tation hauptsächlich darauf abstützen. Nicht zuletzt aus
diesem Grund werden wir Ihrem Antrag nicht zustim-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rolf Mützenich [SPD] und Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Schade!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516914100

Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei,

Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516914200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sprechen heute zu den beiden Anträgen, einerseits zu
dem von der Koalition und andererseits zu dem von der
FDP, darüber hinaus in zweiter Lesung zum Jahresabrüs-
tungsbericht 2003. Gestatten Sie, dass ich zunächst zu
dem Bericht einige Worte sage.

Das Jahr 2003 und die Monate, die seither vergangen
sind, waren wahrhaftig keine gute Zeit für weltweite
Rüstungskontrolle und Abrüstung. Die Rüstungskon-
trollverhandlungen – als besonders schlechtes Beispiel
möchte ich die Verhandlungen in Genf anführen – ka-
men ganz und gar nicht voran. Die kriegerische
Zwangsabrüstung des Saddam-Hussein-Regimes im Jahr
2003 ging einher mit enormen Aufrüstungsschüben ei-
nerseits terroristischer und militanter Gruppen im Irak
und andererseits der USA. Das Gesamtbild ist eher de-
primierend. Aber um sich davon nicht lähmen zu lassen,
ist es besonders wichtig, auf die Punkte etwas näher ein-
zugehen, bei denen es doch ein wenig vorangeht und es
gewisse Chancen gibt.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Ich möchte zuerst auf die Abrüstungszusammen-
arbeit und Nichtverbreitung zu sprechen kommen.
Große Gefahren für die internationale Sicherheit und die
Umwelt gehen immer noch von Altlasten des für uns in-
zwischen ja so lange zurückliegenden Kalten Krieges
aus, und zwar vor allem von Altlasten in Ländern auf
dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Deshalb war
die von Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin im
Jahr 2002 gestartete G-8-Initiative „Globale Partner-
schaft“ von enormer strategischer Bedeutung. Bei ihr
geht es vor allem um drei Felder, nämlich erstens um die
Vernichtung chemischer Waffen – immerhin hat Russ-
land 40 000 Tonnen deklariert –, zweitens die Entsor-
gung der russischen Atom-U-Boote, die in fürchterli-
chem Zustand in verschiedenen Häfen vor sich hin
dümpeln und verrotten, und drittens um den Schutz nu-
klearer Materialien, in Bezug auf die man sagen muss:
Wenn man dazu Genaueres aus Russland hört, dann kann
man zunächst einmal nicht glauben, unter welchen Be-
dingungen dort mit solchen Stoffen noch umgegangen
wird. Für dieses Programm sind immerhin 20 Milliarden
Dollar angesetzt. Die Bundesrepublik hat sich zu einem
Beitrag von 1,5 Milliarden Euro bereit erklärt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Gute ist – Mitglieder aller Fraktionen haben das
festgestellt –, dass der bilaterale Beitrag der Bundesre-
publik, zum Beispiel zur Chemiewaffenvernichtung,
ausgezeichnet, leider aber auch einmalig ist. Aufgrund
der bundesdeutschen Hilfe konnte die Anlage in Gorny
schon längst ihren Betrieb aufnehmen. In Kambarka ist
die nächste Inbetriebnahme geplant. Danach wird wahr-
scheinlich sogar die Vernichtung von Nervenkampfstof-
fen durchgeführt, was eigentlich mit US-amerikanischer
Hilfe geschehen sollte.

Ein anderer Bereich sind die konkreten Abrüstungs-
maßnahmen. Wir haben heute schon viel über Massen-
vernichtungswaffen gesprochen; das ist richtig und not-
wendig. Aber dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die
realen Massenvernichtungswaffen in diesen Tagen und
Jahren weiterhin Kleinwaffen und leichte Waffen sind.
Dass die Bundeswehr im Jahr 2003 190 000 kleine und
leichte Waffen vernichtet hat, ist ein sehr gutes Signal,
nicht nur hierzulande, sondern auch auf internationaler
Ebene. In vielen Krisenregionen trägt deutsches staatli-
ches und nichtstaatliches Engagement zu Projekten der
Demilitarisierung, Demobilisierung und Reintegration
sowie zum humanitären Minenräumen bei. Ohne diesen
Dreiklang allerdings ist jede Entwaffnung zum Scheitern
verurteilt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Immer deutlicher erkennen wir: In Konflikt- und
Nachkriegssituationen ist die Reform des Sicherheits-
sektors eine Schlüsselaufgabe. Sie zielt auf die Ein-
dämmung privatisierter Gewalt und die Förderung
rechtsstaatlicher Gewaltmonopole. Sie ist so etwas wie
strukturelle Abrüstung. Hierzu leisten verschiedene
Ministerien – das Außenministerium, das Verteidigungs-
ministerium, das Entwicklungsministerium und auch das
Innenministerium – hervorragende einzelne Beiträge. Es
ist ein sehr guter Schritt vorwärts, dass jetzt vorgesehen
ist, im Rahmen des Aktionsplans „Zivile Krisenpräven-
tion, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ die
Reform des Sicherheitssektors zu einem ganz zentralen
und kohärenten Projekt der Bundesregierung zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun zu den Themen Abrüstung und Europäische Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik. In den ersten Jahren
der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-
politik spielten die Themen Rüstungskontrolle und






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei

Abrüstung auf dieser Ebene eigentlich kaum eine Rolle.
Es war vor allem die Rede von der Verbesserung der mi-
litärischen Fähigkeiten der Europäischen Union.

Angesichts der Diskussionen, die in den letzten Mo-
naten über die EU-Verfassung geführt wurden, muss an
dieser Stelle allerdings sehr deutlich der Vorwurf, die eu-
ropäische Verfassung sei eine Aufrüstungsverfassung,
der von Teilen der Öffentlichkeit erhoben wird, zurück-
gewiesen werden. Dies ist eine Verzerrung und stimmt
mit der Wirklichkeit nicht überein. Denn wenn in der
europäischen Verfassung davon gesprochen wird, dass
militärische Fähigkeiten verbessert werden müssten,
dann bedeutet das in Wirklichkeit, dass heute vorhan-
dene, äußerst teure Unfähigkeiten reduziert werden müs-
sen. Darum geht es de facto.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zum Operationsspektrum im Rahmen der Europäi-
schen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehören seit
dem Verfassungsentwurf ausdrücklich auch gemeinsame
Abrüstungsmaßnahmen. Was das bedeutet, wird bei den
verschiedenen EU-Missionen deutlich, zum Beispiel in
Bosnien und Mazedonien.

Nun komme ich zum Antrag der Koalition zur nu-
klearen Nichtverbreitung und Abrüstung. 60 Jahre nach
Hiroshima und Nagasaki ist es um die Themen Atomrüs-
tung und nukleare Abrüstung ziemlich ruhig gewor-
den. Auch wenn heutzutage nicht mehr so etwas wie ein
Weltuntergang droht, was zu Zeiten des Kalten Krieges
stellenweise der Fall war, soll das Risiko, dass Atom-
waffen eingesetzt werden, nach entsprechender Exper-
tenmeinung heute sogar höher als in früheren Jahrzehn-
ten sein.


(Harald Leibrecht [FDP]: Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen!)


Es besteht also kein Grund zur Verdrängung dieses The-
mas, es besteht auch kein Grund zur Verdrängung der
Tatsache, dass es sich hier um ganz besonders grausame,
unterschiedslos wirkende Waffen handelt, die eigentlich
völlig allen Grundsätzen des humanitären Kriegsvölker-
rechts widersprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Nichtverbreitungsvertrag ist ein Eckpfeiler des
weltweiten Bemühens, die Verbreitung von Atomwaffen
zu verhindern und nukleare Abrüstung zu stärken. In
Kürze beginnt die Überprüfungskonferenz in New York.
Nicht zu vergessen ist, was dieser Vertrag in den letzten
Jahren und Jahrzehnten leistete: Er brachte etliche Staa-
ten dazu, von ihren Bemühungen, atomar zu rüsten, Ab-
stand zu nehmen. Immerhin sind die allermeisten Staa-
ten der Welt Mitglieder dieses Vertrages, wenn auch
wichtige Staaten wie Indien, Pakistan, Israel nicht – und
Nordkorea nicht mehr.

Unübersehbar ist aber auch die Krise der Nicht-
verbreitung: nicht nur dass ungefähr 40 Staaten über
die entsprechenden industriellen und wissenschaftlichen
Voraussetzungen verfügen; auch wächst bei den Nicht-
kernwaffenstaaten die Ungeduld darüber, wie sich die
Kernwaffenstaaten verhalten. Diese negieren nämlich
das Gebot zur nuklearen Abrüstung im Grunde und er-
greifen, wie bereits angesprochen, im Gegenteil ver-
schiedenste Modernisierungsmaßnahmen. Deshalb sind
neue Impulse zur Stärkung und Revitalisierung des
Nichtverbreitungsvertrages äußerst dringend. Andern-
falls wird die Proliferation, die Verbreitung von atoma-
ren Waffen, einen Schub bekommen. Als Erste sind die
fünf Kernwaffenstaaten gefordert, glaubwürdige Maß-
nahmen in Richtung ihrer Abrüstungsverpflichtung zu
ergreifen und rechtlich verbindliche Sicherheitsgarantien
gegenüber den Nichtkernwaffenstaaten zu entwickeln.
Wieder zu beleben sind die amerikanisch-russischen Ab-
rüstungsverhandlungen über substrategische und takti-
sche Atomwaffen. Wir sagen in unserem Antrag: Vor al-
lem die taktischen Kernwaffen sollen auf beiden Seiten
reduziert und demontiert werden. Das heißt im Klartext:
Für die Stationierung der amerikanischen Atomwaffen
auf deutschem Boden gibt es keinerlei Rechtfertigung
und auch keinerlei militärische Begründung mehr. Das
gilt, so meine ich, erst recht für die Vorbereitung von
bundesdeutschen Tornadopiloten darauf, auch solche
Waffen gegebenenfalls einsetzen zu können.

Bei der in Kürze in New York beginnenden Überprü-
fungskonferenz werden viele Nichtregierungsorganisa-
tionen als Beobachter dabei sein, unter anderem auch die
„Bürgermeister für den Frieden“. Ihnen allen möchte ich
ausdrücklich für ihr Engagement und ihr Drängen auf
nukleare Abrüstung danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie halten in Erinnerung und bewusst, dass wir uns nicht
an ein Leben mit der Bombe gewöhnen dürfen, dass das
Eintreten für nukleare Abrüstung kein Relikt der 80er-
Jahre ist, sondern hochaktuell und dringlich. Vor allem
wünsche ich aber den Verhandlern der Bundesregierung
und ihren Verhandlungspartnern in New York möglichst
viel Erfolg.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1516914300

Ich erteile dem Kollegen Harald Leibrecht, FDP-

Fraktion, das Wort.


Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1516914400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des Kal-
ten Krieges wird kaum noch über Abrüstung gespro-
chen. Dabei sollten Fragen der Abrüstung und auch der
Rüstungskontrolle als Teil der Außen- und Sicherheits-
politik wieder viel stärker gewichtet werden.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. KarlTheodor Freiherr von und zu Guttenberg [CDU/CSU])







(A) (C)



(B) (D)


Harald Leibrecht

Abrüstungspolitik könnte zum Beispiel bei der Suche
nach Lösungsansätzen für etliche Regionalkonflikte, die
wir haben, eine wesentlich wichtigere Rolle einnehmen,
so etwa im Hinblick auf den Broader Middle East. Da
sollte man durchaus mit den im KSZE-Prozess in Europa
erfolgreich angewendeten Ansätzen der Rüstungskon-
trolle, aber auch der Vertrauensbildung arbeiten und die
regionalen Akteure zu einem Thema an einen Tisch brin-
gen, an dem wirklich alle Interesse haben müssen.

Noch klarer wird die Bedeutung der Abrüstungspoli-
tik bei der Bekämpfung der Verbreitung von Massen-
vernichtungswaffen. Wenn der Iran eines Tages über
Nuklearwaffen verfügen sollte, würde dies ein nukleares
Wettrüsten einleiten. Das Gleiche befürchte ich auch bei
Nordkorea.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)

Es wäre eine unvorstellbare Bedrohung für uns alle,
wenn über solche Länder eines Tages Nuklearwaffen in
die Hände von internationalen Terroristen geraten wür-
den.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Meine Damen und Herren, der Welttrend läuft zurzeit

leider nicht in Richtung Ab-, sondern eher in Richtung
Aufrüstung. Die weltweiten Rüstungsausgaben bewe-
gen sich laut dem Stockholmer Friedensforschungsinsti-
tut SIPRI weiter im Rekordbereich des Kalten Krieges.
Der Waffenhandel befindet sich weltweit im Aufwärts-
trend. Auch Deutschland mischt bei den Rüstungsexpor-
ten kräftig mit. Gerade heute gab es eine Schlagzeile in
der „Zeit“ mit der Überschrift: „Der peinliche Exporter-
folg Deutschlands“. China rüstet im Rekordtempo auf;
das hat bedrohliche Auswirkungen auf das Kräftegleich-
gewicht in Asien. Was in diesem Zusammenhang die
Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China
bedeuten würde, war heute Morgen bereits Thema einer
Debatte. Sie wissen, dass wir, die FDP, strikt gegen die
Aufhebung dieses EU-Waffenembargos sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die ehemaligen „Kalten Krieger“, die USA und Russ-

land, drohen in eine Phase nuklearen Wettrüstens einzu-
treten mit immer neuen Plänen für neue Nuklearwaffen.
Bei den Bemühungen um weltweite Abrüstung herrscht
heute hingegen weitgehend Stillstand. Die Genfer Ab-
rüstungskonferenz ist seit sieben Jahren vollständig blo-
ckiert. SPD und Grüne haben in einem von uns, der FDP,
mit unterstützten Antrag zwar vielsagend und für Regie-
rungsparteien durchaus auch selbstkritisch festgestellt,
dass sich die Rüstungskontrolle heute „in der Krise be-
findet“ und dass es neuer Impulse bedürfe. Im Jahresab-
rüstungsbericht der Bundesregierung liest sich dies je-
doch ganz anders. Ich vermisse bis heute die geforderten
Impulse der Bundesregierung, um die Abrüstungspolitik
aus ihrer Krise zu führen.


(Beifall bei der FDP)

Wir als Liberale kritisieren aber nicht nur, wir machen

auch konkrete Vorschläge. Wir alle sind uns einig, dass
die im Mai anstehende Überprüfungskonferenz zum
Nichtverbreitungsvertrag erfolgreich sein muss. Der
nukleare Nichtverbreitungsvertrag beruht auf drei wich-
tigen Säulen. Das sind erstens die Verpflichtung zur
Nichtverbreitung, zweitens das Recht der Nichtnuklear-
staaten auf zivile Nutzung der Kernenergie und drittens
die Abrüstungsverpflichtung der Nuklearmächte. Nur
dieser Dreiklang macht das Nichtverbreitungsregime
glaubwürdig und tragfähig und nur bei Beachtung aller
drei Säulen können die Proliferationskandidaten dieser
Welt glaubwürdig aufgefordert werden, sich an die
Nichtverbreitung zu halten.

Wir Liberale unterstützen deshalb die EU-3-Initiative,
den Iran auf diplomatischem Wege von seinen Nuklear-
waffenambitionen abzubringen und Teheran dafür auf
dem Gebiet der zivilen Nutzung entgegenzukommen,
wie das im Nichtverbreitungsvertrag nun einmal vorge-
sehen ist.

Wir meinen aber, dass der dritten Säule des Nichtver-
breitungsvertrages, der Abrüstungsverpflichtung der Nu-
klearmächte, mehr Nachdruck verliehen werden muss.
Deshalb fordern wir in unserem heute eingebrachten An-
trag den Abzug der in Deutschland stationierten etwa
150 US-amerikanischen taktischen Nuklearwaffen.
Diese Bomben sind ein Relikt des Kalten Krieges. Sie
spielen im Umgang mit den heutigen Bedrohungen keine
Rolle mehr und sind angesichts der gültigen NATO-Stra-
tegie für Deutschland nicht zwingend erforderlich.

Die Tatsache, dass diese taktischen Nuklearwaffen bis
heute in Deutschland lagern und dass auch unsere Solda-
ten mit diesen Waffen üben müssen, werden in Deutsch-
land weitgehend totgeschwiegen. Rot-Grün traut sich of-
fensichtlich nicht an dieses Thema heran.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Steht im Antrag!)

Wir fordern die Bundesregierung auf, in der NATO

und in Gesprächen mit den USA auf einen baldigen Ab-
zug dieser Waffen zu drängen. Es wäre ein wichtiges Si-
gnal an all die Länder, die wir auffordern, abzurüsten,
wenn wir selbst mit gutem Beispiel vorangingen und
diese Waffen aus unserem Land verbannten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516914500

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Weigel.

Andreas Weigel (SPD):
Rede ID: ID1516914600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Das Fazit des vorliegenden Jahres-
abrüstungsberichtes 2003 ist eindeutig: Das Jahr 2003
war für die Politik der Abrüstung ein schwieriges Jahr.
Dennoch sind auch Erfolge zu verzeichnen: Bei der Ab-
rüstung der konventionellen Waffen konnte 2003 beim
Ottawa-Übereinkommen eine positive Bilanz gezogen
werden. Der Export von Antipersonenminen ist zum Er-
liegen gekommen. Ebenfalls positiv ist die Bilanz beim
VN-Waffenübereinkommen. Ein neues Protokoll über
Kampfmittelrückstände wurde verabschiedet.

Nun aber zu den schlechten Nachrichten. Die nukle-
are Bedrohung ist mit dem Ende des Kalten Krieges






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Weigel

nicht verschwunden. Der Atomwaffensperrvertrag ist
löchrig geworden. Die internationale Kontrolle der
Atomwaffentechnik zerfällt. Die Liste der unmittelbaren
Probleme ist lang und leider auch heute noch aktuell:
Nordkorea ist aus dem Atomwaffensperrvertrag ausge-
stiegen. Der Iran steht weiterhin unter Verdacht, angerei-
chertes Uran für den Bau von Atomwaffen nutzen zu
wollen. Auch die Kernwaffenstaaten Indien und Pakistan
werfen immer wieder Fragen auf.

Ausdruck dafür ist zum Beispiel das internationale
Netz von Atomschmugglern, hinter denen pakistanische
Nuklearforscher stehen. Angesichts der globalen Terror-
netzwerke ist das eine sehr ernste Entwicklung. Deshalb
bereiten auch die Tausenden Tonnen schlecht geschützten
Spaltmaterials auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjet-
union weiterhin große Sorge.

Inzwischen hat man – auch auf Initiative der Bundes-
regierung – gehandelt. So verabschiedete der Europäi-
sche Rat 2003 die EU-Strategie gegen die Verbreitung
von Massenvernichtungswaffen.

Worum geht es bei dieser Strategie? Grundlegend ist
zuerst einmal, dass alle Verträge universelle Reichweite
haben; ansonsten bleiben sie wirkungslos. Die Kontrolle
und die Verifikationsmechanismen der Verträge müssen
gestärkt werden. Das gilt auch für die institutionellen
Strukturen der Kontrollregime. Schließlich setzt die EU-
Strategie auf eine weitere Verstärkung der Kooperation
mit den Vereinigten Staaten. Das ist die Grundlage unse-
res Handelns. Auf dieser Grundlage wurden 2003 kon-
krete Initiativen entwickelt und weiterverfolgt.

Von besonderer – ich möchte sogar sagen: zentraler –
Bedeutung sind hier die Proliferationssicherheitsinitia-
tive, PSI, und die Initiative „Globale Partnerschaft“. Die
PSI zur Sicherstellung der Nichtverbreitung von Mas-
senvernichtungswaffen ist eine globale Reaktion auf ein
globales Problem. Ziel ist es, die Bekämpfung der Ver-
breitung von Massenvernichtungswaffen mit polizeili-
chen und strafrechtlichen Mitteln zu verbessern. Bei der
zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und beim Informa-
tionsaustausch kann und muss noch viel getan werden.
Der Handel mit Massenvernichtungswaffen und Träger-
systemen muss konsequent bekämpft werden. Der
Transport auf dem See-, Luft- und Landweg muss unter-
bunden werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganz wichtig ist es, Verbreitungsnetzwerke zu zer-
schlagen und Strafverfolgungsbemühungen zu koordi-
nieren.

Neben der Eindämmung der Proliferation gilt es – das
zeigen die Erfahrungen und Ergebnisse –, die Initiative
„Globale Partnerschaft“ zu festigen und weiterzuent-
wickeln. Die G-8-Staaten haben im Rahmen der „Globa-
len Partnerschaft“ bekräftigt, für die Umsetzung von
Programmen in den nächsten zehn Jahren bis zu 20 Mil-
liarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen.

In dem Rahmen der „Globalen Partnerschaft“ steht
auch die Politik der Abrüstungszusammenarbeit mit
Russland. Wir unterstützen Russland bei der Vernich-
tung chemischer Waffen. Wir helfen Russland auch bei
der Entsorgung von nuklear angetriebenen Booten und
von Spaltmaterial. Außerdem investieren wir in die
Sicherung von Nuklearmaterial. Deutschland hat die In-
betriebnahme der Chemiewaffenvernichtungsanlage in
Gorny unterstützt. Jetzt helfen wir beim Bau einer zwei-
ten Anlage in Kambarka. Damit konnte Russland seine
Verpflichtungen bei der Chemiewaffenvernichtung er-
füllen. Mit der Vernichtung der russischen Bestände des
chemischen Kampfstoffes Lost ist erstmals eine ganze
Kampfstoffklasse abgerüstet worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sind konkrete und nachhaltige Erfolge der Abrüs-
tungspolitik. Die Bundesrepublik spielt hierbei eine füh-
rende Rolle.

Weiterhin hat sich Deutschland mit Russland auf eine
Zusammenarbeit bei der Zerlegung von nuklearen U-Boo-
ten geeinigt. Schließlich setzt sich Deutschland für eine
Verbesserung der Sicherung von Nuklearmaterial und
Nuklearanlagen in Russland ein. Dazu gehört auch, für
die Beschäftigung und Umschulung ehemaliger Waffen-
forscher zu sorgen.

Die Initiative zur Sicherstellung der Nichtverbreitung
von Massenvernichtungswaffen, PSI, und die Initiative
„Globale Partnerschaft“ sind zwei wichtige Säulen in der
globalen Reaktion auf globale Probleme. Der verstärkte
Einsatz polizeilicher und strafrechtlicher Mittel zur
Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungs-
waffen entspricht den Notwendigkeiten unserer Zeit.
Gleichzeitig ist die Abrüstungszusammenarbeit mit
Russland im Rahmen der „Globalen Partnerschaft“
zwingend geboten. Wir sollten unsere Überlegungen nun
darauf richten, dieses Modell einer Partnerschaft auf an-
dere Staaten und Regionen auszudehnen. Vielleicht
könnte das Modell der „Globalen Partnerschaft“ auch ei-
ner von vielen Bausteinen zu einem regionalen Sicher-
heitssystem im Nahen Osten werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Jahres-
abrüstungsbericht zeigt vor allem eines: Er zeigt, was zu
tun ist. Erste Initiativen sind ergriffen. Wie weit diese
Initiativen in die richtige Richtung weisen und ob sie
ausbaufähig sind, wird unter anderem der nächste Ab-
rüstungsbericht zeigen. Wir sind gespannt darauf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516914700

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Freiherr von und

zu Guttenberg.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg


(CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Kollege Leibrecht wies richtigerweise auf ein
gelegentlich bedauernswertes Dasein der Abrüstungspo-
litik hin. Man ist als Parlamentarier am heutigen Tage
geneigt, wild stöbernd nach außenpolitischen Themen-






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

feldern zu suchen, über die noch kein Gedankenembargo
verhängt wurde.


(Lachen bei der SPD)

Es war nicht zuletzt dieses Hohe Haus, das in Jahrzehn-
ten, oft im grundsätzlichen Konsens – heute nicht in al-
len Feldern –, die Abrüstung und Rüstungskontrolle mit
einem beachtlichen Fundament versehen hat. Es sollte
daher in unser aller wohlverstandenem Interesse sein,
dass auch diese Grundlage zukünftig nicht wider-
spruchslos der bemerkenswerten Wucht des außenpoliti-
schen Selbstverständnisses des Bundeskanzlers geopfert
wird.

Insbesondere im sensiblen Bereich der Abrüstung
sollte der Idealfall einer mit breiter parlamentarischer
Mehrheit getragenen und gegebenenfalls ergänzend be-
gleitenden Politik von der Bundesregierung befördert
und nicht ausgeblendet werden. Das aktuellste Beispiel
bildet in dieser Hinsicht die bereits mehrfach angespro-
chene und im Jahresabrüstungsbericht 2003 nun endlich
auch benannte Problematik des iranischen Nuklear-
programms.

So hat eine Initiative aus der Mitte des Parlaments in
gemeinsamer Anstrengung – einige der Kollegen sind
heute hier – bewiesen, dass in Zeiten stagnierender Ab-
stimmungsprozesse zwischen der Europäischen Union
und den Vereinigten Staaten durchaus flankierend Wir-
kung erzielt werden kann, gerade seitens der parlamenta-
rischen Ebene. Mit der Vorlage einer erstmalig gemein-
samen und auf beiden Seiten überparteilichen deutsch-
amerikanischen Initiative zur iranischen Nuklearproble-
matik konnte zunächst aufgezeigt werden, dass eine Zu-
sammenführung der amerikanischen und der europäi-
schen Positionen grundsätzlich möglich ist. Das war in
dieser Situation als Anstoß bitter notwendig. Gerade in
den Vereinigten Staaten konnte auf parlamentarischer
Ebene im Kongress die Diskussion um wichtige Aspekte
erweitert werden, die schließlich auch bei der Erarbei-
tung eines gemeinsamen Vorgehens auf der Ebene der
dortigen Administration Berücksichtigung gefunden ha-
ben.

Die Initiative wird von der Überzeugung getragen,
dass eine dauerhafte Verhandlungslösung in der Iran-
frage nur dann möglich ist, wenn die Europäische Union
und die Vereinigten Staaten in dieser Frage eng aufei-
nander abgestimmt zusammenarbeiten und sich nicht er-
neut auseinander dividieren lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier in groben Zügen der Inhalt der gemeinsamen

Position: Grundsätzlich ist dem Iran ein Recht auf die
friedliche Entwicklung nuklearer Technologie gemäß
NVV einzuräumen. Gleichzeitig aber ist die Grundvo-
raussetzung für ein Abkommen, dass Teheran als ver-
trauensbildende Maßnahme das Zusatzprotokoll des
NVV unverzüglich ratifiziert und strikt einhält. Zusätz-
lich muss sich der Iran zur vollständigen Zusammenar-
beit mit und zur Transparenz gegenüber der Internatio-
nalen Atomenergiebehörde verpflichten.
Im Einklang – ich betone: im Einklang – mit den
ausgewiesenen Standpunkten der EU-3 sollte ein lang-
fristiges Abkommen folgende Konditionen enthalten:
Der Iran hat seine Bemühungen zur Erlangung eines
geschlossenen Brennstoffkreislaufs sowie jedwede Pro-
gramme zur Anreicherung von Uran sowie zur Produk-
tion von Uranhexafluorid und dessen Zwischen-
produkten dauerhaft einzustellen. Das Gleiche gilt für
die Gewinnung von Plutonium und iranische Bemühun-
gen zur Erlangung eines nuklearen Schwerwasserreak-
tors. Zur Überprüfung ist ein umfassendes Inspektions-
regime zu etablieren.

Erfüllt der Iran diese Konditionen, hätten folgende
Gegenleistungen in Kraft zu treten – im Übrigen Gegen-
leistungen, die für die amerikanische Seite einen bemer-
kenswerten Fortschritt bedeuten würden –: bilaterale
Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran mit
dem Ziel der Wiederaufnahme diplomatischer und Han-
delsbeziehungen. Darüber hinaus würden die USA und
die EU-3 den Beitritt des Landes zur WTO unterstützen;
Condoleezza Rice hat sich schon in diese Richtung be-
wegt.

Die EU-3 ihrerseits würden ihre Verhandlungen mit
dem Iran über ein Handels- und Kooperationsabkommen
wieder aufnehmen. Zudem würden die EU-3 und die
USA den Iran beim Erwerb eines einzelnen nuklearen
Leichtwasserreaktors und beim Zugang des Irans zum
internationalen Brennstoffmarkt unterstützen.

Falls der Iran schließlich formal und nachweisbar auf
jegliche nukleare – offensive wie defensive – Bewaff-
nung verzichtet, soll ein Nichtangriffspakt zwischen dem
Iran und allen Parteien der Vereinbarung geschlossen
werden. In Ergänzung dazu sollen zwischen der EU-3
und dem Iran parallel Gespräche über zentrale ungelöste
Fragen geführt werden. Entscheidend ist hierbei die An-
erkennung des Existenzrechts Israels als jüdischer
Staat in der Region durch den Iran.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Des Weiteren geht es um einen internationalen Kon-

sens, wie dem Terrorismus entgegenzutreten ist, ein En-
gagement zur Friedenssicherung im Irak, die Berück-
sichtigung des transatlantischen Verhältnisses sowie um
die legitimen Sicherheitsinteressen und die ökonomi-
schen Interessen des Iran, um dort das Interesse für ein
Entgegenkommen zu wecken.

Versäumt es der Iran schließlich, den genannten Vor-
gaben nachzukommen, befürworten auch die EU-3 die
Überweisung des iranischen Nuklearproblems an den Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen. Die EU wird ihrer-
seits unverzüglich umfassende Sanktionsmaßnahmen
gegenüber dem Iran ergreifen.

Die Reaktion des amerikanischen Präsidenten auf
diese Initiative war positiv; sie wurde ihm in Mainz vor-
gestellt. Die Reaktion des Bundeskanzlers war, milde
gesagt, verhalten. Er reagierte mit der Äußerung, parla-
mentarische Initiativen seien für die laufenden Verhand-
lungen nicht sinnvoll. Dies war erneut ein Moment, in
dem er mit seinem außenpolitischen Selbstverständnis
im Grunde einsamer denn je wirkte. Trotzdem sollten






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

wir die verbliebene Butter auf unserem parlamentari-
schen Brot mit Zuversicht betrachten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516914800

Das Wort hat die Abgeordnete Uta Zapf.

Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1516914900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Weigel hat gerade auf den nächsten Jahresabrüs-
tungsbericht hingewiesen. Er wird uns bald vorliegen. Es
wäre gut, wenn wir über diesen etwas zeitnäher im Ple-
num diskutierten.


(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])

Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit beim Aus-

wärtigen Amt für den Bericht und für die gute Zusam-
menarbeit im Unterausschuss ganz herzlich bedanken,
und zwar nicht nur mit dem Auswärtigen Amt, sondern
auch mit den Kolleginnen und Kollegen von den anderen
Fraktionen.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich glaube, wir hätten es nicht sehr schwer, mit Herrn
von und zu Guttenberg und Herrn Leibrecht gemeinsame
Anträge zu erarbeiten.


(Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg [CDU/CSU]: Jetzt wird es schwerer!)


Herr Polenz, ich warne Sie davor, hier falsche Be-
hauptungen aufzustellen. Es gibt einen gemeinsamen
Standpunkt der EU – über diesen wird heute abgestimmt –
und ein gemeinsames deutsch-französisches Papier.
Aber Sie kennen ja das Abrüstungsgeschäft vor solchen
großen Ereignissen. Manchmal wird erst am letzten Tag
entschieden und deutlich, was sich durchsetzt. Aber es
gibt einen gemeinsamen Standpunkt.

Ich erinnere mich gerade am heutigen Tage an die
große Debatte, die wir hier vor fast genau zehn Jahren
– das Haus war damals übrigens wesentlich voller – über
die Verlängerungskonferenz zum Nichtverbreitungsver-
trag geführt haben. Ich hatte damals als Rednerin eine
erstaunliche Übereinstimmung mit dem Kollegen
Dregger. Das war mir noch nie passiert und wird in der
Folge sicherlich nicht mehr geschehen sein. Aber wir
alle waren uns einig, einen Antrag der FDP als gemein-
same Grundlage für einen überparteilichen Antrag zu
nehmen. Über diesen haben wir dann abgestimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich denke, wir sollten uns zukünftig ein Beispiel daran
nehmen.

Es wurde schon erwähnt, dass der Nichtverbrei-
tungsvertrag eigentlich eine Erfolgsstory ist. Als er
1968 zur Zeichnung aufgelegt wurde, hat man befürch-
tet, dass es in kürzester Zeit 25 Nuklearstaaten geben
wird. Heute gibt es, soweit bekannt, nur acht. Alleine das
ist als ein Erfolg dieses Vertrages zu betrachten. Es gibt
Staaten, die ihre Programme offen gelegt haben, davon
Abstand genommen haben und dem Vertrag beigetreten
sind. Das waren 1991 Südafrika – dort war man schon
relativ weit –, 1995 Argentinien und 1998 Brasilien. Es
gibt natürlich auch Sorgenkinder; darauf ist schon hinge-
wiesen worden. Libyen gilt sozusagen als gerade ent-
sorgtes Sorgenkind.

Es gab auch einen Abrüstungsprozess, der durchaus
in Konformität mit dem Nichtverbreitungsvertrag gewe-
sen ist. Ich erinnere an INF sowie an START I und II.
Auch der Moskauer Vertrag ist noch hinzuzurechnen.
Wir haben also eine tatsächliche Reduzierung der Zahl
an Nuklearwaffen erreicht. Trotzdem haben wir heute
Angst, dass das Nichtverbreitungsregime auseinander
fällt. Warum ist das so? Das ist deshalb so, weil andere
Dinge, die im Zusammenhang mit dem Nichtverbrei-
tungsvertrag als sehr wichtige Bestandteile vereinbart
worden sind, nicht umgesetzt wurden. Das Erste ist das
Atomteststoppabkommen. Es war kurz zuvor ausge-
handelt worden und wurde 1996 fertig gestellt. Es wurde
von 174 Staaten unterzeichnet und mittlerweile von 120
ratifiziert. Aber es wird auf absehbare Zeit nicht in Kraft
treten, weil wichtige Länder es nicht ratifizieren werden.
Beispielsweise haben sich die USA aus diesem Vertrag
zurückgezogen. Das ist die erste Krise.

Die zweite zeichnet sich im Moment ab. Noch immer
gibt es im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz
keine Möglichkeit, über einen Produktionsstopp für
waffenfähiges Nuklearmaterial zu verhandeln. Die
Verhandlungen über die Tagesordnung stecken weiterhin
fest. All diese Dinge waren ein großer Hoffnungsträger
für diejenigen, die verzichtet haben.

Als Drittes sind die Sicherheitsgarantien zu nen-
nen. Natürlich stellen Indien und Pakistan ein großes
Problem dar, genauso wie Israel. Ich glaube, wir müs-
sen zwei Dinge im Zusammenhang mit der ganzen Dis-
kussion – das trifft auch auf Nordkorea zu – in den Blick
nehmen: Wir brauchen auf der einen Seite das, was von
denjenigen, die die Einzelheiten des Antrags dargestellt
haben, bereits benannt worden ist. Auf der anderen Seite
brauchen wir eine Strategie, die darüber hinausgeht.
Diese Strategie muss die Sicherheitsängste in den Regio-
nen, in denen Konflikte heranwachsen, berücksichtigen.
Notwendig sind also regionale Strategien der Vertrau-
ensbildung, der Verständigung und der gegenseitigen
Absicherung, sodass klar ist, dass man keine bösen Ab-
sichten hat.

Diese Strategien sind angesichts der beiden Kerne der
Instabilität besonders wichtig. Der eine Kern ist Ost-
asien; Nordkorea steht dabei im Mittelpunkt. Aber ei-
gentlich sind auch China und Pakistan große Sorgenkin-
der. Für China gilt das wegen seines momentanen
Konflikts mit Japan und mit Taiwan. Warum sollte nicht
auch Japan auf die Idee kommen – diesen Gedanken ha-
ben einige schon geäußert –, dass man vielleicht ein
Stückchen sicherer wäre, wenn man ebenfalls Nuklear-
waffen hätte. Pakistan ist ein enorm instabiler Staat, der
über Atomwaffen verfügt. Der Konflikt zwischen Indien
und Pakistan ist bei weitem noch nicht befriedet. Wir
brauchen also eine Strategie der regionalen Konfliktbe-






(A) (C)



(B) (D)


Uta Zapf

arbeitung, die über die Abrüstungsmaßnahmen wesent-
lich hinausgeht.

Dasselbe trifft auf den Nahen und Mittleren Osten
zu. Die Frage ist, wie man mit dem Iran umgeht. Herr
von und zu Guttenberg hat dazu einiges gesagt. Das
kann ich nur unterstreichen. Ich glaube, dass wir dort
eine doppelte Strategie anwenden müssen, um zu einem
einigermaßen guten Ergebnis zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der FDP)


Wir müssen die Risiken durch halbstaatliche und
nichtstaatliche Proliferation stärker minimieren. Herr
Weigel hat dazu einiges gesagt. Die Netzwerke von
Abdul Qadir Khan haben sich als technologisch sehr po-
tent erwiesen. Man hat ganze Pakete inklusive Anleitun-
gen zur Herstellung nuklearer Sprengkörper nach Libyen
verschickt. Wir wissen, dass diese Netzwerke ziemlich
gut verzweigt sind. Sie können auf in unterschiedlichen
Ländern vorhandene Technologien zurückgreifen und
sie illegal weitergeben. Damit können sich einigermaßen
entwickelte Länder diese Technologien jederzeit ver-
schaffen, um in den Besitz von Atomwaffen zu kommen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516915000

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.

Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1516915100

Ich komme sofort zum Ende.
Meine Konsequenz daraus lautet: Wir müssen die

Atommächte an ihre Abrüstungsverpflichtungen erin-
nern. Wir müssen sie daran erinnern, Art. VI des Atom-
waffensperrvertrags einzuhalten. Aber wir müssen da-
rüber hinaus etwas gegen die schleichende illegale oder
halb legale Verbreitung von Nukleartechnologie, die
waffenfähig gemacht werden kann, tun.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516915200

Jetzt hat der Abgeordnete Hans Raidel das Wort.

Hans Raidel (CSU):
Rede ID: ID1516915300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Jahresabrüstungsbericht 2003, ergänzt durch
die Unterlagen der Bundeswehr, ist eigentlich längst ver-
altet. Aber er bildet die Grundlage der heutigen Diskus-
sion.

Gestatten Sie mir am Anfang, Ihnen, Herr Botschafter
Schmid, und Ihnen, Herr Botschafter Gröning, recht
herzlich zu danken. Wir stehen in einem guten Einver-
nehmen. Wir haben in all diesen Fragen eigentlich die-
selben Grundauffassungen, nämlich die einzelnen Ab-
rüstungsregime, die Nichtverbreitungsverträge etc. zum
Erfolg zu führen. Natürlich gibt es im Detail verschie-
dene Betrachtungsweisen. Wir wollen aber gemeinsam
dafür sorgen, dass Deutschland in einer Position ist, die
es ihm erlaubt, Impulse zu geben, die uns in den einzel-
nen Bereichen vorwärts bringen.

Wir haben im Zusammenhang mit Iran, Pakistan und
Nordkorea mittlerweile sehr viel über die Atomfrage ge-
hört. Wir haben die Konferenz in New York angespro-
chen. Wir wollen, dass sie erfolgreich sein wird. Wir
haben aber nicht von der auch vorhandenen Bedro-
hungslage im B- und C-Bereich gesprochen. Die terro-
ristische Gefahr ist da möglicherweise viel stärker als im
A-Bereich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen sollten wir heute auch über die Bereiche B
und C sprechen. Hierzu müssen wir feststellen, dass je-
der im Bereich B und C halbwegs Kundige leicht in der
Lage ist, entsprechende Waffen herzustellen, die not-
wendigen Trägermittel zu besorgen und die Waffen dann
auch einzusetzen.

Das Problem hat sich deswegen zugespitzt, weil die
technische Leistungsfähigkeit sehr vieler Länder der
Dritten Welt zunimmt. Man wird dort nicht mehr auf
teure Importe angewiesen sein, sondern künftig vieles
im Land selbst herstellen können. Was früher aus tech-
nisch entwickelten Ländern beigebracht werden musste
– beispielsweise Dual-Use-Produkte oder direkte
Kriegswaffengerätschaften –, ist heute in jedem Land
der Dritten Welt vorhanden. Das heißt, die Anzahl der
potenziellen Lieferanten wird dementsprechend zuneh-
men.

Ein Problem mit erheblichen Auswirkungen ist dann
der Abfluss von Know-how, Fertigungsunterlagen, Ma-
terialien sowie Fachpersonal aus diesen Staaten. Da-
durch ist der Zeitraum für die Entwicklung von Pro-
grammen für Massenvernichtungsmittel natürlich um
Jahre verkürzt. Das bedeutet, dass die Entwicklung zu-
nehmend weniger kontrollierbar und auch unumkehrbar
wird.

Leider besteht nicht mit allen Vertragsregimes und
Kontrolleinrichtungen der beschworene Konsens. Viele
Länder haben die Verträge nicht unterschrieben oder
nicht ratifiziert; sie haben Vorbehalte oder halten sich
einfach nicht an die Regelungen. Es ist nicht meine Ab-
sicht, die USA zu kritisieren, aber ich möchte sie gern
auf ihre ganz besondere Verantwortung in verschiedenen
Bereichen hinweisen, weil sie eine Vorbildfunktion ha-
ben und uns in anderen Bereichen an unsere Vorbild-
funktion erinnern.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Leibrecht [FDP] und des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn sie sich schon nicht an die Regimes, an die einzel-
nen Vertragsstatuten binden lassen wollen, dann – ich
sage das hier ganz offen – könnten sie das eine oder an-
dere beispielsweise auch im Rahmen einer vorbildlichen
Selbstverpflichtung leisten.

Welche Möglichkeiten haben wir überhaupt? Ich
nenne ein Instrument, das heute noch nicht angespro-
chen worden ist, das Instrument der Exportkontrolle.






(A) (C)



(B) (D)


Hans Raidel

Es ist eines der wesentlichsten Instrumente, die wir bei
allen Regimes, bei allen Kontrollverträgen haben. Dieses
Instrument gilt es entsprechend weiter auszubauen, weil
wir damit vonseiten der Lieferländer die Proliferation
zumindest verzögern können, sodass die Politik Zeit und
Spielräume zum Überlegen und Handeln gewinnt.

Wenn wir Kontrollinstrumentarien zur Exportpolitik
ansprechen, dann haben wir zwei Stichworte besonders
hervorzuheben. Das eine ist das Transparenzgebot, das
überdacht werden muss, um je nach Fall Transparenz in
die Sache hineinzubringen. Das wichtigste Stichwort da-
bei aber ist die Endverbleibsklausel. Heute ist es doch
überall so, dass ein Gut geliefert wird, dass die Wege
aber verschlungen sind und der erste Zielort nicht der
Endverbleibsort ist, sondern vom ersten Zielort aus über
neue Exportwege das richtige Zielland angesteuert wird.
Erst dort erfolgt der Zusammenbau – gegebenenfalls
müssen die Hilfsmittel dafür noch gesammelt werden –
oder der Gebrauch der Massenvernichtungswaffe.

Das bedeutet aus meiner Sicht für uns – es wurde
schon angesprochen –, dass Abrüstungsfragen derzeit
keine Konjunktur haben. Aber vielleicht sind wir, meine
Damen und Herren, als Parlament ein klein wenig mehr
selbst gefordert, um dieses Thema öfter und nachhaltiger
in die Politik einzubringen und zum Beispiel auch ent-
sprechende Diskussionen hier zu gestalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das bedeutet für mich: Wir brauchen in diesem Bereich
eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, um das Bewusst-
sein für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbrei-
tung von Waffen wieder zu schärfen. Wir müssen uns die
Zeit nehmen, im Sinne einer Effizienzsteigerung alle
Kontrollverträge einmal kritisch zu überprüfen und alle
Überwachungsregime zu unterstützen. Der Kollege
Weigel ist darauf teilweise schon eingegangen.

Wir haben kein gemeinsames europäisches Sprach-
rohr. Wir sprechen nicht mit einer Stimme.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Frau Zapf hat aber etwas anderes behauptet!)


Jeder spricht immer noch zu sehr aus seiner Ecke. Dabei
will ich gar nicht bezweifeln, dass es Ansätze gibt. Diese
Ansätze sind aber noch nicht zu dem Erfolg gebracht
worden, den wir brauchen und den wir uns alle wün-
schen. Die europäische Exportpolitik zusammen mit der
Abrüstungspolitik zu harmonisieren bleibt für uns ein
ebenso anspruchsvolles wie notwendiges Thema.

Wenn wir jetzt alle anlässlich der Konferenz zur UNO
nach New York schauen, wäre es im Sinne einer Neuor-
ganisation der UNO durchaus hilfreich, einmal darüber
nachzudenken, die UNO auch im Bereich von Abrüs-
tung und Rüstungskontrolle zu einer entscheidenden
Drehscheibe auszugestalten, wo Ideen gesammelt wer-
den können. Wenn dann auch noch der Generalsekretär
mit einem gewissen Instrumentarium ausgestattet wer-
den könnte und selbst ein gewisses Maß an Entschei-
dungsmacht bekäme, –

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516915400

Herr Kollege, achten Sie bitte ein wenig auf Ihre Re-

dezeit.


Hans Raidel (CSU):
Rede ID: ID1516915500

– wären wir sicherlich ein ganzes Stück weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet zusammengefasst, meine Damen und
Herren: Wir haben jetzt die Chance, im Rahmen der
Neuorganisation der UNO auch den Fragen von Abrüs-
tung, Rüstungskontrolle, Proliferation und Vertrauens-
bildung einen neuen Stellenwert zu geben. Ich glaube,
dass das ein Stück weit gelingen könnte, wenn wir alle
mithelfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516915600

Ich schließe damit die Aussprache. Die Abgeordnete

Petra Pau hat gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zu
dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? – Dann verfah-
ren wir so.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/5254 mit dem Titel „Verbreitung der
Kernwaffen verhindern und die nukleare Abrüstung stär-
ken – Die Überprüfungskonferenz 2005 des Atomwaf-
fensperrvertrages (NVV) zum Erfolg führen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der beiden Opposi-
tionsfraktionen angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zum Jahresabrüstungsbericht 2003 der Bundesregierung
auf den Drucksachen 15/3167 und 15/5143: Der Aus-
schuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Gibt es Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen worden.

Zusatzpunkt 7: Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 15/5257 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck,

1) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Entschuldung voranbringen – Gute Regie-
rungsführung und Armutsbekämpfung unter-
stützen
– Drucksache 15/4659 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Peter Weiß.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1516915700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Das Jahr 2005 wird ein entscheidendes Jahr für die
internationale Entwicklungszusammenarbeit werden:
Entweder verdoppeln jetzt die Industrienationen und die
Entwicklungsländer ihre Anstrengungen zum Erreichen
der vor fünf Jahren bei der UN-Millenniums-Sonderge-
neralversammlung gemeinsam definierten Ziele wie zum
Beispiel die Halbierung der extremen Armut bis zum
Jahre 2015 oder wir werden scheitern. Eine zentrale
Rolle dabei spielt, wie die massive Überschuldung aus-
gerechnet der ärmsten Länder der Welt abgebaut werden
kann.

Die Weltbank hat erst in der vergangenen Woche in
ihrem Bericht zur globalen Entwicklungsfinanzierung
erneut davor gewarnt, dass viele Entwicklungsländer
Gefahr laufen, immer weiter in die Schuldenfalle zu ge-
raten. In großen Teilen der Entwicklungsregionen der
Welt, so stellt die Weltbank fest, seien die Außenschul-
den des öffentlichen Sektors weiter gewachsen. Über-
schuldung ist immer ein massives Entwicklungshinder-
nis.

Doch statt die Dinge anzugehen und einen Rahmen
für eine neue Entschuldungsrunde zu erarbeiten, prä-
sentieren sich die Industrienationen und ihre Regierun-
gen überwiegend ratlos und zögerlich. Auf der Herbstta-
gung von IWF und Weltbank im vergangenen Oktober
wurde zwar eine neue internationale Entschuldungs-
runde ausgerufen, aber die Behandlung der Frage, was
genau zu tun ist und wie es zu finanzieren ist, ist vertagt
worden. Auch innerhalb der Bundesregierung herrscht
offensichtlich große Verwirrung darüber, wie es nun mit
der internationalen Entschuldung weitergehen soll. Da-
bei gibt es Vorstöße für neue Entschuldungsrunden, zum
Beispiel vom britischen Schatzkanzler Gordon Brown.
Außer freundlichen Floskeln war aber von der Bundesre-
gierung hierzu wenig zu hören.


(Markus Löning [FDP]: Zum Glück!)

Wenn sich die Bundesministerin für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, Frau Wieczorek-Zeul,
offen zeigt für die Ausweitung der Liste der zu entschul-
denden Länder und sich für einen 100-prozentigen Er-
lass der multilateralen Schulden einsetzt, wird sie gleich
von ihrem Kollegen Finanzminister Eichel wieder einge-
fangen und mit Worten abgekanzelt wie: Es reicht nicht,
mit dem Herzen dabei zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie in ande-
ren Politikbereichen auch ist das Bild dieser Bundesre-
gierung in diesem Bereich völlig konfus. Millenniums-
ziele lassen sich aber nicht mit Konfusion,


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Konfuzius!)

sondern nur mit klarer Zielsetzung und Strategie errei-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es nützt eben nicht, herumzulavieren und sich für eine
weitere Entschuldungsrunde auszusprechen, aber auf die
Frage, wie das geschehen soll, die Aussage zu verwei-
gern. Ein typisches Beispiel dafür bot die gestrige Frage-
stunde, in der Sie, sehr geehrte Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Hendricks, auf meine Fragen, wie sich
die Bundesregierung bezüglich eines möglichen Einsat-
zes der IWF-Goldreserven verhalten will und mit wel-
chem Konzept die Bundesregierung überhaupt in diese
neue Entschuldungsrunde gehen will, sozusagen die
Aussage verweigert und sich auf den Standpunkt zurück-
gezogen haben, dass Sie darüber weiter beraten wollen.
Heute lesen wir in den Zeitungen, dass die deutsche De-
legation schon gar nicht mehr mit einem positiven Er-
gebnis bezüglich des Schuldenerlasses rechnet. Die
„taz“ spricht sogar von einer Blockade beim Schuldener-
lass.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Die Bundesregierung legt offensichtlich die Hände in
den Schoß und tut nichts, um diese Blockade zu über-
winden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor dem Start in eine weitere Entschuldungsrunde

sollten zunächst einmal die Konsequenzen aus der letz-
ten internationalen Entschuldungsrunde, also aus
HIPC II, gezogen werden. Ich möchte drei Punkte nen-
nen, die mir dabei besonders wichtig sind:

Erstens. Zentrale Bedingung für den Schuldenerlass
ist die Erarbeitung einer nationalen Armutsbekämp-
fungsstrategie. Bei den Anforderungen an künftige
Strategiepapiere solcher Art muss mehr als bisher auf
Wachstumsorientierung gesetzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wachstum ist eine Hauptvoraussetzung für einen nach-
haltigen Erfolg von Entschuldungsmaßnahmen. Armuts-
bekämpfung wird nicht gelingen ohne Wachstum, das
auf breitenwirksamer und produktiver Beschäftigung






(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)


beruht. Dieser Aspekt ist in den Armutsbekämpfungs-
strategien bislang nicht ausreichend betont worden.

Zweitens. Alle gut gemeinten Entschuldungsabkom-
men helfen nichts, wenn an den Schuldenerlass nicht
eindeutige und unmissverständliche Konditionen zur gu-
ten Regierungsführung geknüpft sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Good Governance ist das Schlüsselkriterium für den
Erfolg der Armutsbekämpfung. Dazu gehört auch ein
transparenter Nachweis über die Verwendung der durch
den Schuldenerlass frei werdenden Mittel. Wir fordern
daher in unserem Antrag eine klarere Konditionierung
als bisher. Wenn wir wollen, dass die Entschuldung den
gewünschten Beitrag zur Entwicklung unserer Partner-
länder leistet, müssen wir konsequenter auf gute Regie-
rungsführung drängen.

Drittens. Bei der Erarbeitung von Armutsbekämp-
fungsstrategien für die Entwicklungsländer wurde die
Beteiligung der lokalen Zivilgesellschaften als eine
Bedingung aufgeführt. Die Erfahrungen haben gezeigt,
dass diese Bedingung durchaus ein geeignetes Mittel ist,
um die Zielgenauigkeit der Armutsbekämpfung zu erhö-
hen und außerdem die demokratische Beteiligung zu
verbessern. Wir tun gut daran, bei künftigen Schuldener-
lassen verstärkt auf die Mitwirkung der Zivilgesellschaf-
ten zu setzen.

Allerdings muss man feststellen, dass die Beteiligung
der Zivilgesellschaften in den einzelnen von den Schul-
denerlassen begünstigten Ländern höchst unterschiedlich
ausgefallen ist. Vielfach war es nur eine rein symbolische
Beteiligung. Von einigen Nichtregierungsorganisationen
wird sogar der Vorwurf erhoben, die Einbeziehung der
Zivilgesellschaften sei mancherorts zur reinen Farce ge-
raten. Deshalb müssen wir hier nacharbeiten. Ich fordere
die Bundesregierung auf, sich im Sinne der Forderung
vieler Nichtregierungsorganisationen endlich dafür ein-
zusetzen, dass wenigstens Mindeststandards für die zi-
vilgesellschaftliche Beteiligung bei der Erarbeitung von
Armutsbekämpfungsstrategien festgelegt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die HIPC-II-Initiative hat gezeigt, dass wir von den

Entwicklungsländern mehr verlangen müssen. Dafür
müssen wir, die Industrienationen, sie im Gegenzug wir-
kungsvoll davor bewahren, erneut in die Schuldenfalle
zu geraten. Deshalb ist zu begrüßen, dass bei den Wie-
derauffüllungsverhandlungen der IDA beschlossen
wurde, den Zuschussanteil am Gesamtvolumen zu erhö-
hen. Die Zuschüsse sind also gegenüber früher gestie-
gen. Das ist sicher auch ein Beitrag zur Verringerung des
Wiederverschuldungsrisikos für die von der Entschul-
dung begünstigten Länder.

Allerdings sollte damit klar sein, dass auf uns in den
kommenden Jahren die Verpflichtung zukommen wird,
für die nächste Wiederauffüllung durch die IDA höhere
Finanzmittel aufzubringen als in der Vergangenheit. In
diesem Zusammenhang halte ich die Aussage für nicht
besonders ehrlich, dass man sich über dieses Problem,
das uns im Jahr 2015 erreichen wird, heute keine Gedan-
ken machen muss. Denn klar ist: Diese Großzügigkeit
funktioniert nur, wenn in Zukunft mehr Gelder aus dem
deutschen Haushalt für die Entwicklungszusammen-
arbeit aufgewendet werden als bislang.

Meine Damen und Herren, der Kern des Problems,
warum sich die Diskussion über eine neue Entschul-
dungsrunde im Kreis dreht, ist: Anspruch und Wirklich-
keit, Worte und Taten in der Entwicklungspolitik gerade
dieser rot-grünen Bundesregierung haben inzwischen
nichts mehr miteinander zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es darf heute einmal daran erinnert werden, dass sich
1999 der Bundeskanzler selbst an die Spitze des Kölner
Entschuldungsgipfels gesetzt hat.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Große Sprüche und nichts dahinter!)


Die Bundesrepublik ist sogar öffentlich dafür belobigt
worden. Heute, wo es darum geht, den Erklärungen von
damals konkrete Entwürfe und Entscheidungen folgen
zu lassen, wo die Zeit für die Umsetzung der internatio-
nalen Armutsbekämpfungsziele knapp wird, gibt diese
Bundesregierung ein mehr als erbarmungswürdiges Bild
ab.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie haben keine Konzepte. Ihre großen Ankündigungen
zerplatzen. Auf einige Fragen wie zum Beispiel auf die
Frage, ob der IWF die Entschuldung über die Verwen-
dung der Goldreserven finanzieren soll, können Sie
keine Antwort geben. Auch zur internationalen Finan-
zierungsfazilität haben Sie letztlich keinen Standpunkt.

Am Montag dieser Woche hat die OECD die neue
ODA-Statistik für 2004 vorgestellt. Damit haben wir es
amtlich: Die deutsche Entwicklungspolitik ist endgültig
am unteren Ende der internationalen Tabelle angekom-
men. Allen Beteuerungen zum Trotz: Sie haben es ge-
rade geschafft, die 0,28 Prozent aus dem Vorjahr zu hal-
ten. Es muss also deutlich gesagt werden: Der Beitrag
der Bundesrepublik Deutschland zum Fortschritt bei der
Armutsbekämpfung in der Welt ist im Jahr 2004 im Ver-
gleich zum Jahr 2003 nicht um ein Quäntchen gestiegen.
Er beträgt also null Komma null.

Natürlich können wir davon ausgehen, dass Sie uns
nächstes Jahr trotzdem eine Erfolgsbilanz präsentieren
werden, weil Sie das international zugesagte 0,33-Pro-
zent-Ziel dadurch erreichen werden, dass der Schul-
denerlass für den Irak eingerechnet wird. Damit demons-
trieren Sie öffentlich, was Sie derzeit machen: Sie
ersetzen eine effektive Entwicklungspolitik durch Ent-
schuldungsmaßnahmen. Sie erreichen die international
zugesagten Verpflichtungen nicht durch tatsächliches
Handeln, sondern schlichtweg durch finanzielle Ta-
schenspielertricks.


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Löning [FDP]: Geld ist Geld! Das Geld ist trotzdem weg!)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)


Ich bin der Auffassung, dass die Diskussion um so ge-

nannte neue Finanzierungsinstrumente und um neue
Ideen zur Entschuldung, die die Bundesregierung derzeit
öffentlich inszeniert, letztendlich nichts anderes ist als
die Verzweiflungstat einer Regierung, die zu einer ech-
ten Entwicklungsfinanzierung nicht in der Lage ist.

Gestern war der neue Entwicklungskommissar der
Europäischen Union, Louis Michel, in Berlin. Er hat das
Problem eindeutig angesprochen:

Die Debatte über innovative Finanzierungsquellen
darf uns keinesfalls ablenken von unserer unmittel-
baren Aufgabe, nämlich den Anteil der Entwick-
lungshilfe in den öffentlichen Haushalten zu erhö-
hen. Das ist immer noch das schnellste, einfachste
und transparenteste Mittel, um die Entwicklungs-
hilfe aufzustocken.

Michel sagte weiterhin:
Innovative Finanzierungsquellen können die Erhö-
hung der Haushalte nicht ersetzen, sondern nur er-
gänzen.

Weil die Zeit drängt und sich die Uhr bis 2015 nicht
anhalten lässt, fordern wir von Ihnen: Sorgen Sie in dem
Wirrwarr von Finanzierungs- und Entschuldungsvor-
schlägen endlich für Klarheit. Zurzeit ersetzt Rot-Grün
glaubwürdige Entwicklungspolitik durch Diskussionen
über finanzielle Taschenspielertricks.

Meine Damen und Herren, entweder sind Sie bereit,
bei der Entwicklungsfinanzierung einen echten Schritt
nach vorn zu gehen, oder Sie müssen ehrlich bekennen,
dass Sie das Geld nicht haben und dass Deutschland von
der Erreichung der Millenniumsziele abrückt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516915800

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlef

Dzembritzki.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1516915900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist immer faszinierend, zu beobachten, wie hier über
die finanziellen Beiträge diskutiert wird. Herr Kollege
Weiß, Sie haben gerade den Kommissar Michel zitiert.
Auch ich fand seine Aussagen sehr interessant. Sie wa-
ren für mich zum Teil überzeugend. Denn Entwicklungs-
politik ist mehr als Geld.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Markus Löning [FDP])


Wenn Sie sich fragen, warum HIPC I – diese Initia-
tive wurde in den 90er-Jahren zur Entschuldung einiger
der ärmsten und am meisten verschuldeten Länder der
Welt durchgeführt – nicht erfolgreich war, dann erhalten
Sie nun die Antwort: Diese Initiative war deswegen
nicht erfolgreich, weil die begleitenden Konzepte und
die Konditionalität gefehlt haben.
Der Beschluss zur Durchführung von HIPC II auf
dem Kölner Gipfel brachte bemerkenswerte Fortschritte.
Es wurde nicht nur der Kreis der durch eine Teilent-
schuldung zu entlastenden Länder vergrößert. Durch die
Anforderungen, die den betroffenen Ländern durch diese
von der rot-grünen Bundesregierung wesentlich voran-
gebrachte Initiative auferlegt wurden, ergaben sich auch
Innovationen und substanzielle Erfolge. Es wurde erst-
mals der Versuch unternommen, eine dauerhafte Lösung
des Verschuldungsproblems armer Entwicklungsländer
zu formulieren. Ein zentraler Aspekt von HIPC II war
die Verknüpfung der Entschuldung mit der Bedingung,
dass die durch den Schuldenerlass frei werdenden Mittel
konkret für die Armutsbekämpfung eingesetzt werden,
und zwar – Sie haben das zum Teil schon erwähnt – nach
einer Armutsbekämpfungsstrategie, die das zu entschul-
dende Land selbst erarbeiten sollte, damit es sich mit
dem Entschuldungsprojekt wirklich identifiziert.

Wir wissen alle, dass die HIPC-II-Initiative von vorn-
herein als zeitlich begrenzte Maßnahme vorgesehen war.
Herr Weiß und liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, neben vielen anderen Publikatio-
nen, die sich – teils lobend, teils kritisch – mit den bis-
lang gemachten Erfahrungen auseinander gesetzt haben,
begrüße ich auch Ihren Antrag als Beitrag zur Diskus-
sion. Wir können gemeinsam feststellen, dass HIPC II
bereits heute zu einer spürbaren Entlastung vieler zuvor
hoch verschuldeter armer Länder geführt hat. Wir kön-
nen auch gemeinsam feststellen, dass trotz dieser aner-
kannten Fortschritte Einigkeit darüber besteht, dass im
Bereich der Entschuldung noch mehr getan werden muss
und dass dabei die langfristige Schuldentragfähigkeit der
Partnerländer stärker im Mittelpunkt stehen muss. Ich
glaube, niemand muss sich etwas anderes einreden.

Die nächste Initiative zur Entschuldung – und diese
muss kommen – sollte durchaus vorhandene Schwächen
des aktuellen Programms korrigieren. Sie sollte vor allen
Dingen aber auch die Ursachen der Verschuldung und
nicht nur ihre Symptome bekämpfen. An diesem Punkt
sind wir gefordert. Wenn Sie von der Notwendigkeit des
Wachstums sprechen – insofern möchte ich Ihnen zu-
stimmen –, dann müssen Sie aber auch hinzufügen, dass
im Süden nur Wachstum möglich sein wird, wenn wir im
Norden unsere Verhaltensweisen verändern. Wir werden
überhaupt nicht umhin kommen, darüber zu diskutieren,
wie wir unsere Märkte für Produkte aus den Schuldner-
ländern öffnen und wie wir durch massiven Abbau von
Exportsubventionen der OECD-Länder, vor allem im
Agrarbereich, einen Beitrag dazu leisten, dass die Ent-
wicklungsländer eine Chance haben, ihre Schulden ab-
zubauen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das nicht be-
wältigen, dann werden wir immer wieder in einen Kreis-
lauf der ständigen Überschuldung auf der einen Seite
und der sich daraus ergebenden Entschuldungsfrage auf
der anderen Seite geraten. Das kann aber doch nicht






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki

langfristig die Konzeption sein, die wir im Norden ver-
treten wollen.

Die notwendige Stärkung der Exporte der HIPC-II-
Länder zur Abfederung externer Schocks setzt einen
langwidrigen Prozess der Veränderung der Wirtschafts-
struktur voraus. Bis es so weit ist, dürfen wir diesen Län-
dern nicht auch noch die wenigen Exportmöglichkeiten
vorenthalten, die sie bereits jetzt haben können. Es ist
ein wenig kennzeichnend für Ihren Antrag, dass dieser
Zusammenhang keinerlei Erwähnung findet. Vielmehr
richtet sich ein Großteil des Forderungskataloges an die
Akteure in den verschuldeten Partnerländern, und es
kommt mir angesichts Ihrer Forderungen so vor, als ob
der in Ihrem Antrag mehrfach erwähnte Begriff „Owner-
ship“ in der Weise verstanden werden soll, dass die Ge-
ber entscheiden, was die Nehmer letztlich zu machen ha-
ben. Ich glaube, dann kommen wir genau in die
Situation, die nicht eintreten darf. Wir sind nämlich im-
mer der Meinung gewesen, dass die Zusammenarbeit
mit den Entwicklungsländern zwischen Nord und Süd
auf gleicher Augenhöhe stattzufinden hat und dass wir
„Ownership“ so zu verstehen haben, dass die Verantwor-
tung in den Ländern selbst gestärkt wird.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516916000

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Heinrich?


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1516916100

Kollege Heinrich, bitte.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1516916200

Lieber Herr Kollege, Sie haben gerade im Zusam-

menhang mit Ownership und Bevormundung wahre
Sätze gesagt.


(Zuruf von der SPD: Wie immer!)

Ich frage Sie deshalb: Warum haben Sie gestern meinem
Antrag nicht stattgegeben, in dem ich genau diesen
Punkt angesprochen habe? Dabei ging es darum, dass
möglichst alle frei werdenden Mittel für die Verbesse-
rung der Biodiversität einzusetzen sind. Man hat erneut
vorgeschrieben, wie die Mittel zu verwenden sind. Das
ist ein absoluter Widerspruch zu dem, was Sie gerade ge-
sagt haben.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1516916300

Herr Kollege Heinrich, wir sind ja gemeinsam im

Ausschuss tätig und aktiv. Wir beraten. Sie kennen die
Situation, dass manche Details in den Vorschlägen sehr
vernünftig sind, dann aber im Gesamtbild möglicher-
weise eine Relativierung erfahren, weil sich die Gesamt-
situation anders darstellt.

In der Diskussion, die wir im Augenblick gemeinsam
zu führen haben, macht uns stark, dass wir viele Schnitt-
mengen haben, in denen wir übereinstimmen. Wir kön-
nen sagen: Wenn wir eine vernünftige Entwicklungspoli-
tik machen, kommt es auf den Grundsatz an, dass wir die
Verantwortung in den Ländern selbst stärken. Ich werde
im Verlauf meiner weiteren Ausführungen – ich habe
mir die Pläne von Gordon Brown bzw. die der USA an-
geschaut – darauf zurückkommen. Denn ich meine, dass
mit unseren Partnern in der EU und mit den USA zu er-
arbeiten ist, wie wir es schaffen, das Verantwortungsbe-
wusstsein weit über die Good Governance hinaus zu
stärken, was offensichtlich auch Sie befürworten. So ge-
sehen freue ich mich, dass Sie dem, was ich gesagt habe,
letztendlich zustimmen, Herr Kollege Heinrich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will festhalten – damit komme ich zur anderen

Oppositionspartei zurück –, dass Sie sich erfreulicher-
weise – das gehört mit in das Verantwortungspaket, das
ich hier eben versucht habe zu skizzieren – dafür aus-
sprechen, dass sozial und verantwortungsvoll gestaltete
Steuersysteme vorzusehen sind. Ich begrüße das aus-
drücklich, insbesondere deswegen, weil ich manchmal
den Eindruck habe, dass Sie diese Position hier bei uns
im Land seltener vertreten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Gerade da! – Markus Löning [FDP]: Na, na!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe an man-
chen Stellen Gemeinsamkeiten in unseren Positionen.
Die Schnittmengen, die ich eben dem Kollegen Heinrich
in der Antwort auf seine Zwischenfrage versucht habe zu
offerieren, sehe ich auch hier, wenn ich mir zum Beispiel
Ihren achten Forderungspunkt anschaue, in dem Sie da-
rauf hinweisen, dass allzu optimistische Wachstumspro-
gnosen seitens der Weltbank dazu geführt haben, dass
zum Beispiel der Umfang des Entschuldungsvolumens
als viel zu gering eingeschätzt worden ist, man da also
nacharbeiten muss. Denn die Folge dieser Fehleinschät-
zung war häufig, dass wir zu so genannten Topping-ups
gekommen sind, wobei im Verfahren des Entschul-
dungsweges das Volumen der Entschuldung erhöht wer-
den musste, also nicht ausreichend Zeit zur Verfügung
stand, um wirklich flexibel vorzugehen.

Ich denke, dass eine größere Flexibilität, eine Verbes-
serung der Analyseinstrumente zur Beurteilung der
Schuldentragfähigkeit der Empfängerländer und eine
stärkere Berücksichtigung der individuellen Problem-
lage bei den Partnern notwendig sind. Darüber sollte
man sich ein klares Bild machen.

Das muss man auch bei der künftigen Ausgestaltung
von Entschuldungsinitiativen sehen. Im Zusammenhang
mit Entschuldungsmaßnahmen wird zurzeit über ver-
schiedene Vorschläge zur Erreichung der Schuldentrag-
fähigkeit diskutiert. Hierzu gehören die im Antrag der
CDU/CSU-Fraktion angesprochenen Vorschläge der
USA und Großbritanniens im Hinblick auf 100-prozen-
tige Schuldenerlasse für die HIPC-Länder.

Zu beiden Vorschlägen muss ich – ich hoffe, darin
sind wir uns weiterhin einig – gewisse Vorbehalte an-
melden. Der amerikanische Vorschlag einer pauschalen
und unkonditionierten Entschuldung aller HIPC-Län-
der führt meiner Ansicht nach dazu, dass diejenigen
Länder, die aufgrund einer besseren wirtschaftlichen
Performance, eines besseren Schuldenmanagements, ei-
ner besseren Regierungsführung oder einer besseren Prä-
vention gegen externe Schocks nicht zu den HIPC-Län-






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki

dern gehören, in der Tendenz quasi bestraft werden. Ich
glaube, dass hier falsche Anreizstrukturen geschaffen
werden


(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP])

und zu wenig differenziert vorgegangen wird.


(Beifall bei der SPD)

Wenn es dazu kommt, dass Good Governance bestraft

und nicht belohnt wird, dann muss man sagen: Das, was
wir mit dem Entschuldungsprozess vorhaben, ist im
Grunde kontraproduktiv. Deswegen melde ich an dieser
Stelle Bedenken an.

Der britische Vorschlag, der den Kreis der zu berück-
sichtigenden Länder erweitert, enthält gleichzeitig die
Konditionierung, dass frei werdende Mittel zur Armuts-
reduzierung einzusetzen sind. Da würden wir alle vom
Grundsatz her erst einmal zustimmen. Ich melde nur
wieder bei der Auswahl der Kandidatenländer, die der
britische Schatzkanzler Brown getroffen hat, Bedenken
an und schlage vor, dass man sich auch vonseiten der
Bundesregierung – ich sage es einmal sehr freundlich
und vorsichtig – den Kreis der betroffenen Länder noch
einmal anschaut.

Darüber hinaus bleibt es bei meiner grundsätzlichen
Reserviertheit gegenüber einer 100-prozentigen Ent-
schuldung des ausgewählten Länderkreises. Ich be-
fürchte, dass eine nicht abgestufte Vorgehensweise ge-
eignet ist, eine mangelnde Verantwortungswahrnehmung
zu befördern.

Die Frage nach der Finanzierbarkeit weiterer Ent-
schuldungsmaßnahmen kann nicht ausbleiben. Herr Kol-
lege Weiß, natürlich wird die Opposition das immer an-
ders betrachten. Aber man muss objektiv sehen, dass wir
da in einem Spannungsfeld stehen – das ist doch über-
haupt nicht zu leugnen –, das sich einerseits aus dem
Wunsch, die ärmsten Länder umfassend zu entschulden,
und andererseits aus der Notwendigkeit ergibt, unseren
eigenen Haushalt in Ordnung zu bringen und die
Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Ich finde es sehr ge-
fährlich, lieber Herr Kollege Weiß, wenn Sie in dieser
Diskussion im Parlament den Eindruck entstehen lassen,
dass die Entschuldung, also der Verzicht darauf, sich
Schulden zurückzahlen zu lassen, die Bundesrepublik
nichts kosten würde, dass das ein Nullsummenspiel
wäre.


(Beifall bei der SPD und der FDP)

Kolleginnen und Kollegen, diesen Eindruck darf man
nun wirklich nicht entstehen lassen. Alle, die den Haus-
haltsplan kennen – die Staatssekretärin könnte sofort ei-
niges über den betreffenden Titel sagen –, wissen, dass
wir mit erheblichen Rückflüssen rechnen können. Wenn
wir darauf verzichten, wäre das eine Leistung, die von
den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern unseres Landes
mit erbracht werden müsste. Das zu verniedlichen, halte
ich für gefährlich. Das darf nicht so ohne weiteres ak-
zeptiert werden.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516916400

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß? –

Ja.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1516916500

Herr Kollege Dzembritzki, ich stimme Ihnen natür-

lich voll und ganz zu; das war auch der Punkt, auf den
ich hinweisen wollte: Entschuldung kostet Geld. Ich
denke, dass die Koalition und die Bundesregierung zur-
zeit den Eindruck erwecken, eine neue Entschuldungs-
runde sei quasi ohne Geld machbar. Was bedeutet denn
der Vorschlag anderes, der IWF möge die Entschul-
dungsrunde mit seinen Mitteln finanzieren? – Entschul-
digung, wo hat der IWF das Geld her? Oder nehmen Sie
Ihren Vorschlag, man solle eine Kerosinsteuer einführen,
um die Entschuldung oder andere Maßnahmen im Rah-
men der Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren.
Das ist doch eine zusätzliche Steuer.

Ich frage Sie: Wie sieht denn der Vorschlag der Koali-
tionsfraktionen und der Bundesregierung aus, um eine
neue Entschuldungsrunde zu finanzieren und die Mittel
für die Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen? Dann
sagen Sie auch klar und deutlich, dass das Geld kostet,
das entweder jetzt oder in Zukunft – Stichwort „interna-
tionale Finanzierungsfazilität“; das heißt, es werden An-
leihen aufgenommen – von uns refinanziert werden
muss.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1516916600

Herr Kollege, wenn Sie mit Ihrer Zwischenfrage si-

gnalisieren, dass auch Sie wissen, dass es uns, wenn die
Bundesregierung bzw. die Bundesrepublik einen Schul-
denerlass ausspricht, Geld kostet, wenn wir also in dieser
Frage Klarheit haben, dann bin ich ein Stückchen zufrie-
dener als zu dem Zeitpunkt, als ich zum Rednerpult ge-
gangen bin. Dass wir uns über Finanzierungsmodelle,
die über die traditionellen Haushaltsmittel hinausgehen,
Gedanken machen, zeigen ja auch die Diskussionen, die
wir zum Beispiel im Ausschuss führen.

Wenn Sie von der Kerosinsteuer sprechen, dann muss
ich Ihnen sagen, dass das ja mehrere Facetten hat. Man
könnte sich zum Beispiel überlegen, durch die Einnah-
men aus einer solchen international erhobenen Steuer
Aufgaben im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit
zu finanzieren. Wir könnten durch den Einsatz dieser
Mittel allerdings auch Entscheidendes tun, um etwas ge-
gen die im Wesentlichen von den Industrieländern verur-
sachten Belastungen öffentlicher Güter zu unternehmen,
um jene Länder, die darunter am stärksten leiden, im
Rahmen einer weltweit vorzunehmenden Aufgabentei-
lung zu entlasten.

In diesem Zusammenhang könnte man eine sehr inte-
ressante und, wenn Sie so wollen, modellhafte Diskus-
sion darüber führen, wie die Situation, dass zum Beispiel
der Norden weitaus mehr öffentliche Güter als der Süden
verbraucht, weltweit etwas gerechter zu gestalten ist.
Deswegen ist das nicht nur eine Frage der Entwicklungs-
finanzierung, sondern auch eine Frage, in der es darum
geht, die Belastungen weltweit so zu verteilen, dass es
nicht nur Verursacher und Empfänger gibt, sondern dass






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki

sich die Verursacher auch an der Beseitigung der Belas-
tungen beteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend will
ich sagen, dass wir uns als Entwicklungspolitikerinnen
und Entwicklungspolitiker – das gilt zumindest für jene,
die in Regierungsverantwortung stehen – den Zwängen,
die sich aus unserer Finanzsituation ergeben, zu stellen
haben. Jede Ausgabenerhöhung muss gegenfinanziert
und in unserer Gesellschaft akzeptiert werden. Diese
Verantwortung müssen im Wesentlichen die Regierungs-
parteien tragen. In den Forderungen, die Sie in Ihrem
Antrag erhoben haben, berücksichtigen Sie dieses Pro-
blem weniger.

Es ist unsere Aufgabe, die Verschuldung sowohl im
Inland als auch in unseren Partnerländern des Südens zu
bekämpfen. Diese Aufgabe nehmen wir ernst. Ich denke,
dass wir mit HIPC II gut vorangekommen sind und dass
im Rahmen einer weiteren Runde des vernünftigen
Schuldenerlasses die Kriterien, über die hier diskutiert
worden ist, und die Lernprozesse, die im Rahmen von
HIPC II stattgefunden haben, berücksichtigt werden.
Dann befinden sich die weitere finanzielle Entlastung
und die Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd auf ei-
nem guten Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516916700

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Markus Löning.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1516916800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Dzembritzki, ich bin sprachlos. Ich weiß gar nicht,
was ich noch sagen soll, weil Sie und alle meine Vorred-
ner mir das, was ich sagen wollte, schon aus dem Mund
genommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings finde ich es schade, dass die Ministerin das,
was Sie über den verantwortlichen Umgang mit Haus-
haltsmitteln gesagt haben, nicht gehört hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn sie ist diejenige, die immer wieder genau das for-
dert.

Ich muss sagen – das habe ich sicherlich schon des
Öfteren, auch im Ausschuss, vorgetragen und ich
glaube, hier sind wir uns einig –: Ich finde es manchmal
verantwortungslos, wie hier über große Summen disku-
tiert wird. Da werden zum Beispiel mit einem Feder-
strich 4 Milliarden Euro für den Irak zur Verfügung ge-
stellt. Manchmal entscheiden wir hier über eine sehr
große Menge Geld leichtfertig – zu leichtfertig, wie ich
finde.
Herr Weiß, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das ist es,
was mich an Ihrem Antrag am meisten stört: die Leicht-
fertigkeit, mit der aus Gebersicht argumentiert wird. Es
fehlt mir die Einforderung der Verantwortung derjeni-
gen, die sich verschuldet haben und die nun verschuldet
sind. Sie wird in Ihrem Antrag zwar angesprochen, aber
mir fehlt die Gewichtung. Die eigene Verantwortung der
verschuldeten Länder müsste viel stärker herausgearbei-
tet werden.

Auch finde ich es nicht richtig, wenn Sie sich hier
hinstellen und einfach sagen, wir müssten die ODA-
Quote erhöhen und mehr Geld ausgeben. Auch hier gilt:
Wir müssen verantwortungsvoll mit Geld umgehen. Sie
wissen so gut wie ich, dass es in einer Situation der tota-
len Verschuldung, in der wir uns befinden, nicht verant-
wortungsvoll ist, zu fordern, dass mehr Geld ausgegeben
werde.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist insbesondere bei Fragen der Entschuldung der
Fall.

Sie beschreiben zu Recht, dass es in vielen Bereichen
an Konditionierung und Auflagen fehlt und dass vieles
schief gegangen ist; wir alle kennen das Beispiel Boli-
vien. Fast alle Punkte, die Sie anführen, halte ich für
richtig und unterschreibenswert. Aber es fehlt die letzte
Konsequenz. Es geht eben nicht nur darum, zum Bei-
spiel darauf zu achten, dass ein Steuersystem eingeführt
wird, sondern es geht darum, dass auch Steuern gezahlt
werden. Es kann nicht sein, dass nach Guatemala Ent-
wicklungshilfe fließt und gleichzeitig die Reichen dort
keinen Pfennig Steuern bezahlen. Das geht nicht; da
fehlt die Konsequenz.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sprechen Gordon Brown an. Ich nehme an, Sie
meinen die Finanzierungsfazilität. Ich finde das in un-
serer derzeitigen Situation unverantwortlich. Das kön-
nen die Briten gut und richtig finden – wir als Deutsche
können in der derzeitigen Verschuldungssituation keine
neuen Schulden machen, auch nicht wenn wir sie IFF
nennen oder Schuldverschreibungen. Deswegen ist der
IFF aus meiner Sicht für Deutschland kein diskussions-
würdiges Modell.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich habe meine Redezeit schon überschritten; inso-

fern werde ich es abkürzen: Es gibt noch viele Punkte zu
diskutieren. Ich würde mir wünschen, dass wir das im
Ausschuss noch einmal ausführlich behandeln und an
der einen oder anderen Stelle nachbessern. Dann wären
wir auch bereit, den Antrag zu unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Sehr gut!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516916900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thilo Hoppe.






(A) (C)



(B) (D)



Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516917000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich erinnere mich noch lebhaft, aber ungern an eine von
der CDU/CSU anberaumte Aktuelle Stunde im
Jahre 2003, die unter dem Motto stand „Im Ausland die
Schulden eintreiben“.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das haben wir nie getan! Wir wollten das Geld in Russland holen, wo Sie es großzügig verschenkt haben!)


Ich freue mich, dass Sie inzwischen dazugelernt haben
und von populistischen Forderungen nach hartem
Durchgreifen gegenüber den ausländischen Schuldnern
– wohlgemerkt: auch den armen und ärmsten Ländern –
ablassen und sich jetzt im Dienste der Armutsbekämp-
fung für eine Entschuldung einsetzen. Es geht nicht nur
um Russland, es ging auch um Mosambik und um an-
dere Staaten; „Bild“-Zeitung-Interviews von Friedrich
Merz. Es ging auch um die Eintreibung von Schulden in
der so genannten Dritten Welt.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wenn Sie meiner damaligen Rede zugehört haben, Herr Hoppe, dann können Sie das jetzt nicht sagen!)


Das heißt, sie loben jetzt mit dem Antrag das, was die
Bundesregierung zum Programm gemacht hat. Ich zi-
tiere wörtlich aus Ihrem Antrag:

Der für HIPC II gewählte ... Ansatz ist weitreichend
und nachhaltig: Entschuldungsmaßnahmen werden
unabdingbar mit der Armutsbekämpfung in den
Schuldnerländern verknüpft; die Schuldnerländer
sollen im Zuge der Entschuldung anhaltendes En-
gagement etwa bei der Verbesserung der Sozial-
standards, der Bildung und der Gesundheitsfürsorge
zeigen.

Das steht in Ihrem Antrag und das ist eine sehr zutref-
fende Beschreibung unserer Politik.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ha!)

Von den 42 HIPC-Ländern haben sich mittlerweile
27 für die Entschuldung qualifiziert. Die Entwicklung
geht so weiter, dass sich der Schuldenstand in diesen
Ländern um bis zu zwei Drittel reduzieren wird. Als bis-
herige Erfolge treten Tansania und Uganda ganz beson-
ders bei der Primärschulbildung hervor: Beiden Ländern
hat der Schuldenerlass erlaubt, die Schulgebühren abzu-
schaffen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516917100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Löning?


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516917200

Ja, gerne.


Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1516917300

Herr Kollege Hoppe, wie verträgt sich die Entschul-

dung, die ja im Wesentlichen durch Neuverschuldung in
Deutschland finanziert wird, mit den Prinzipien von
Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit, die Ihre
Partei zu Recht oft hochhält?


(Ulrich Heinrich [FDP]: Die haben ihre Ideale alle aufgegeben!)



Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516917400

Herr Kollege Löning, die Entschuldung der ärmsten

Länder, in denen Menschen verhungern, in denen Men-
schen ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können,
steht in keinem Verhältnis zu der wirtschaftlichen Situa-
tion in unserem Land. Die Schulden von Ländern im
südlichen Afrika mit unserem Schuldenstand zu verglei-
chen halte ich für unredlich.

Aber zurück zu meinen Ausführungen: Ich habe über
die Erfolge der Entschuldungskampagnen gesprochen.
Beiden Ländern – Tansania und Uganda – hat der Schul-
denerlass erlaubt, die Schulgebühren abzuschaffen und
damit die Zahl der Kinder, die eine Grundschule besu-
chen können, zu verdoppeln. Beide Länder waren auch
im Bereich Gesundheitsfürsorge erfolgreich. Auch in
Benin, um ein weiteres Beispiel zu nennen, konnten
durch den Schuldenerlass Mittel für den Aufbau eines
umfänglichen Netzes von ländlichen Kliniken freigesetzt
werden. In Mali konnten durch die Entschuldung 5 000
zusätzliche Dorfschullehrer eingestellt werden. Wir ha-
ben hier viel von Misserfolgen und von Schwarzmalerei
gehört. Aber auch die Erfolge müssen einmal klar und
deutlich benannt werden und dürfen nicht verschwiegen
werden.

Selbstverständlich gibt es Fehlentwicklungen; wir
waren gemeinsam in Bolivien und haben uns dort über
die doch recht trostlose Situation informiert. Die Ent-
schuldungsinitiative muss ausgeweitet werden; das ist
klar. Vor allem gilt es, die multilateralen Schulden zügig
zu erlassen.

Wir haben es heute immer noch mit einer verkehrten
Welt zu tun, in der die ärmsten Länder täglich
100 Millionen Dollar in den Norden – in den Schulden-
dienst – transferieren. Das ist mehr als doppelt so viel,
wie sie an Entwicklungshilfe erhalten. Dieses Geld fehlt
bei der Armutsbekämpfung dringend. Jede Woche ster-
ben infolge von extremer Armut mehr Menschen, als der
Tsunami-Katastrophe zum Opfer gefallen sind. Wir kön-
nen mehr tun; darin stimmen wir überein. Wo ein Wille
ist, ist auch ein Weg. Ich habe es schon erwähnt: Dieser
Weg muss kurzfristig über einen qualifizierten, kondi-
tionierten Schuldenerlass der Weltbank und des IWF
führen.

Ich setze mich dafür ein, dass die kurzfristige Befrei-
ung der ärmsten Länder von den Schulden des IWF über
eine Neubewertung und auch über den Verkauf von
IWF-Goldreserven erfolgt. Im Gegensatz zu Ihren Aus-
führungen in Ihrem Antrag reden wir nicht um den hei-
ßen Brei herum, sondern benennen ganz klar Wege, die
zum Erfolg führen könnten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Frau Hendricks und Herr Eichel wollen das ja nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe

– Ich spreche hier für meine Fraktion. Es gibt aber auch
mehrere Stellungnahmen aus der Bundesregierung, aus
denen hervorgeht, dass dieser Weg, den sich auch IWF-
Chef Rato vorstellen kann, begrüßt wird; man will ihn
positiv gehen.

Ein kleiner Schlenker zur Bundesbank ist an dieser
Stelle angebracht. Es ist nicht angemessen, dass sich die
Bundesbank explizit gegen einen solchen Schritt aus-
spricht,


(Markus Löning [FDP]: Natürlich ist das angemessen!)


ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, eine Alter-
native aufzuzeigen. Ich halte das für nicht angemessen.

Bei den Goldreserven des IWF ist eine Wertberichti-
gung von bis zu 37 Milliarden Dollar möglich, genug,
um den ärmsten Ländern Luft zum Atmen zu geben und
sie darin zu unterstützen, die Millenniumsziele zu errei-
chen. Letzteres ist unabdingbare Bedingung; darin stim-
men wir überein. Diese Konditionalität sollte aber nicht
nur von IWF und Weltbank ausgelegt und überwacht
werden, sondern hier ist eine noch stärkere Einbezie-
hung der Zivilgesellschaft absolut notwendig. Dies gilt
auch bei einer Neugestaltung der Schuldentragfähig-
keitsanalysen. Wir stimmen darin überein, dass in der
Vergangenheit viel zu optimistische Berechnungen ange-
stellt und externe Schocks nicht berücksichtigt wurden.

Jetzt bin ich schon am Ende der Redezeit angekom-
men, eines will ich aber in Richtung CDU/CSU und
auch in Abgrenzung zur FDP deutlich unterstreichen:
Selbstverständlich geht es nicht nur um Schuldenredu-
zierung, selbstverständlich müssen wir auch Fresh
Money in die Hand nehmen. Unsere Fraktion hat dazu
einen Beschluss gefasst, der jetzt vom Länderrat bestä-
tigt wurde.


(Markus Löning [FDP]: Ihr nehmt jedes Jahr Fresh Money in die Hand!)


Wir möchten und hoffen sehr, dass die Bundesregie-
rung in den nächsten 14 Tagen bis drei Wochen einen
verbindlichen Fahrplan in Richtung 0,7 Prozent verkün-
den wird. Die Ministerin hat sich ähnlich geäußert und
auch die Kolleginnen und Kollegen Entwicklungspoliti-
ker sind der gleichen Meinung. Wir hoffen stark, dass
sich das durchsetzt und dass auch die gesamte Koalition
in den nächsten Wochen zu diesem Schritt bereit ist.


(Markus Löning [FDP]: Und Sie können Geld drucken, Herr Hoppe!)


Schuldenerlass ist das eine – er ist notwendig –, wir
kommen aber nicht um zusätzliche Anstrengungen he-
rum, um die Millenniumsziele zu erreichen. Das Geld,
das wir in die Armutsbekämpfung investieren wollen,
wird gut angelegt sein. Es ist auch eine Investition in un-
sere Sicherheit.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516917500

Danke schön. – Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/4659 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold
Hemker, Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta Däubler-
Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Ernährung als Menschenrecht

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bernhard

(Nordstrand)

neter und der Fraktion der CDU/CSU
Welternährung sichern – eine globale Ver-
antwortung für die nationale und europäi-
sche Agrarpolitik

– Drucksachen 15/3956, 15/3940, 15/4408 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhold Hemker
Bernhard Schulte-Drüggelte
Ulrike Höfken
Hans-Michael Goldmann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider-
spruch höre ich keinen. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Reinhold Hemker.


Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1516917600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Ich habe in der letzten Woche ein Empfehlungspa-
pier der Regierung von Sambia zugeschickt bekommen.
Darin fand ich eine sehr interessante Formulierung zu
unserem heutigen Thema. Sie spricht nämlich nicht von
der Ernährung als Menschenrecht bzw. sie zitiert die
Leitlinien nämlich nicht einfach, sondern sie spricht im
zweiten Teil dieser Formulierung davon, dass es um eine
angemessene Ernährung für alle Menschen geht. Wenn
das, was die Sambianer formuliert haben, richtig ist, be-
deutet das, dass wir uns vor diesem Hintergrund zu-
nächst einmal über die Bedeutung dieser Leitlinien klar
werden müssen, die nun schon seit einigen Monaten in
der Diskussion sind und über die sich verschiedene Re-
gierungen Gedanken hinsichtlich der Implementierung
in nationale Programme machen.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhold Hemker


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben sich schon das letzte Mal bedankt!)

– Ich habe mich noch gar nicht bedankt, Herr Kollege.
Sie greifen jetzt dem Rest meiner Rede vor. Aber in der
Tat lohnt es sich, sich bei einigen zu bedanken. – Ich ver-
weise darauf, was in einigen Entwicklungsländern pas-
siert und was auf der Basis der Empfehlungen der FAO
in den reicheren Ländern geschehen muss. Der stellver-
tretende Generaldirektor der FAO, Hartwig de Haen, hat
deutlich darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen
Leitlinien „nur“ um ein zusätzliches Instrument handeln
kann.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Bedeu-
tung der Nichtregierungsorganisationen in Deutsch-
land, in Europa und auch in den Entwicklungsländern
hinweisen. Diese Nichtregierungsorganisationen – ich
nenne hier ganz bewusst FIAN, ein Netzwerk, das sich
als internationale Menschenrechtsorganisation für das
Recht auf Nahrung einsetzt – haben bei der Vermittlung
und Organisation von Kampagnen für die notwendige
Aufklärung bei beteiligten Regierungen gesorgt. Es wäre
im letzten Jahr – das ist meine Einschätzung – nicht zum
Durchbruch gekommen, wenn nicht in einigen Ländern
– ich nenne hier besonders die USA – christlich geprägte
Organisationen dafür gesorgt hätten, dass dieses Thema
immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Da-
für, denke ich, muss man sich, Herr Kollege Goldmann,
auch bedanken.

Wichtig ist dabei, dass wir uns klar machen, dass
nicht allein die FAO mit ihren Programmen und dem zu
wenig bereitgestellten Geld die Umsetzung organisieren
kann, sondern dass dies ein Wechselspiel zwischen den
bereits „aktiven“ Ländern, die die Implementierung im
Rahmen ihrer agrarwirtschaftlichen und ernährungswirt-
schaftlichen Programme vornehmen, und den Möglich-
keiten ist, die die FAO und die Geberländer haben. Von
daher gesehen, wird es jetzt bei der Implementierung auf
die Kooperation zwischen den verschiedenen internati-
onalen Organisationen und den jeweiligen staatlichen In-
stitutionen – dabei geht es nicht immer nur um die
Agrarpolitik, sondern auch um vor- und nachgelagerte
Bereiche genau wie bei uns – ankommen, und zwar im
Wechselspiel mit den Nichtregierungsorganisationen,
die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind.

Ich will dazu einige wichtige Kernpunkte nennen,
die sich für die praktische Politik aus den Leitlinien er-
geben.

Erstens. Es geht darum, dass aus diesen Leitlinien so
etwas wie ein integraler Bestandteil der Gesamtprogram-
matik wird. Das ist es bisher nicht. Es ist so etwas wie
eine Basis. Diejenigen, die in den internationalen Orga-
nisationen und in den nationalen Programmen tätig sind,
müssen hier eng zusammenarbeiten.

Zweitens. Es geht darum, dass man länder- oder regi-
onalspezifisch für die Implementierung Konzepte entwi-
ckelt, die viele der Entwicklungsländer noch gar nicht
haben, insbesondere diejenigen Entwicklungsländer, die
auf ein, zwei oder drei Agrarprodukte für den Export set-
zen und so an international verhandelbares und einsetz-
bares Kapital kommen. Man muss sich also sowohl am
internationalen als auch am nationalen Markt orientieren
und entsprechend handeln.

Dafür ist Kommunikation und Training notwendig.
Ebenso ist Unterstützung für die bereits „aktiven“ Län-
der wichtig. Deutsche Organisationen wie INWENT,
aber auch die GTZ müssen auf diesen Schwerpunkt ver-
stärkt eingeschworen werden, was bisher noch nicht der
Fall ist. Ländliche Agrarpolitik und Entwicklungspolitik
sind noch kein Thema.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann würde ich das in dem Antrag fordern!)


– Das haben wir in unserem Antrag alles angedeutet,
Kollege Goldmann. Das wissen Sie. Sie können in einem
kurzen Antrag für die parlamentarische Debatte nicht die
Gesamtprogrammatik, die wir entwickeln und die noch
zu entwickeln ist, aufnehmen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Vier Seiten hat er!)


Wichtig ist jetzt, dass wir die verschiedenen Agrar-
sektoren einer Gesamtbetrachtung unterziehen. Wichtig
ist außerdem, dass wir den Subsistenzsektor betrachten
und über die Politik der Entwicklungszusammenarbeit
und die entsprechenden Maßnahmen deutlich machen,
dass der Subsistenzsektor in Richtung Marktfähigkeit
weiterentwickelt werden muss.


(Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])

Das Gleiche gilt für kleine landwirtschaftliche Be-

triebe, die oft gar nicht in der Lage sind, ihre Produkte
auf lokalen, regionalen, geschweige denn nationalen
Märkten abzusetzen.

Hier haben die mittelgroßen Farmen und insbeson-
dere die kommerziellen Großfarmen mit ihrem Know-
how in den Entwicklungsländern eine ganz wichtige
Aufgabe. Als Hinweis: Es gibt bereits einige Entwick-
lungsländer, in denen Weiterbildungsinstitutionen ge-
rade von den Vertretern des Großfarmsektors unterhalten
werden.

Dabei ist auch wichtig, dass wir bei der Weiterent-
wicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft vor
Augen haben, dass standortgerecht produziert wird, und
zwar mit solchen Produkten, die zu den heimischen Pro-
duktsorten gehören. Gerade im afrikanischen Kontext
konnte ich in den letzten Jahren sehen, dass man ver-
stärkt auf traditionelle Produkte im Grundversorgungs-
bereich setzt. Dafür muss die Marktfähigkeit erzielt wer-
den.

Dazu ist es nun wichtig, dass wir uns Gedanken da-
rüber machen, wie es mit den vor-, nach- und zugeordne-
ten Sektoren aussieht. Wir wissen, dass gerade im
Bereich der Konservierung große Probleme in den Ent-
wicklungsländern bestehen. Sie alle wissen, wenn Sie
bei Reisen in Entwicklungsländer auf Märkten gewesen
sind, dass immer ein Geruch in der Luft liegt, was daran
liegt, dass viele Produkte verfaulen, bevor sie auf die
Märkte kommen, weil Lager- und Konservierungsmög-
lichkeiten nicht bestehen.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhold Hemker

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift der Welthunger-

hilfe wird dieses Problem anhand des Milchsektors
dargestellt. Sie wissen alle, dass Milch in den Entwick-
lungsländern weitestgehend durch kleine Händler ver-
marktet wird und die Vermarktung sehr produktionsnah
erfolgen muss. Deswegen ist es wichtig, dass wir in der
Entwicklungszusammenarbeit durch die Projektarbeit
entsprechende Konservierungsmethoden unterstützen.
Manche sind nicht kostengünstig bzw. gar nicht durch-
setzbar, weil man bestimmte Kühlungssysteme in vielen
Entwicklungsländern gar nicht einsetzen kann.

Es geht also um den Ausbau der Maßnahmen für
Infrastruktur. Das alles ist in den Leitlinien erwähnt
und wird als Auftrag für die Programmumsetzung for-
muliert. Es geht um Transport, es geht um die Erfassung
aller Möglichkeiten, zum Beispiel Lagerung und Kon-
servierung, die ich eben erwähnt habe. Sehr spannend ist
dabei die immer wieder gehörte Aussage, dass es zur
Professionalisierung der Beteiligten, also zur Entwick-
lung der Fähigkeiten der Menschen kommen muss.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein Buch
verweisen, das sich wie ein kleines Kompendium zu un-
serem Thema liest. Es ist ein Buch, das von einigen Mit-
gliedern von FIAN herausgegeben worden ist. Es heißt
provokativ: „Wirtschaft global – Hunger egal?“ In die-
sem kleinen Kompendium wird so etwas wie eine Be-
wertung nach ethisch-moralischen Grundsätzen und
werden Handlungsperspektiven vorgegeben. Es wird
aber auch eines deutlich gemacht, was mir angesichts
der Debatte, die in den letzten Tagen über China auch
hier im Hause geführt worden ist, aufgefallen ist. Es gibt
eine ganze Reihe von wirtschaftlich unheimlich starken
Ländern: Brasilien, Indien und China. Wenn man sich
einmal anschaut, wie groß der Anteil unter- bzw. fehl-
ernährter Menschen in diesen Ländern ist, dann sieht
man, dass die Binnenstrukturen in diesen Ländern verän-
dert werden müssen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Klar!)

Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Das heißt aber:
Wenn, liebe Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung
auf bestimmte Ankerländer setzt, zu denen Brasilien,
Indien und China gehören, dann muss man in den bilate-
ralen Gesprächen deutlich machen, dass es um eine Ver-
änderung der binnenorientierten Agrar- und Ernährungs-
politik und der Wirtschaftspolitik dieser Länder
insgesamt gehen muss.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht nicht in Ihrem Antrag!)


– Lieber Kollege Goldmann, die Debatten sind – das
wissen Sie doch ganz genau – dazu da, dass man zusätz-
lich zu dem, was man aufschreibt, noch einige Erläute-
rungen gibt. Ich könnte das Satz für Satz anhand unseres
Antrags nachweisen, weil ich diesen Antrag mit Herz-
blut geschrieben habe.

Vor diesem Hintergrund müssen wir alle politischen
Methoden einbeziehen. Wir haben eben über die HIPC-
Initiative gesprochen. Wir müssen aber auch darüber
sprechen, wie wir unsere Agrarsubventionen in den
nächsten Jahren gestalten. Denn ein Abbau der Agrar-
subventionen würde bei einer entsprechenden Entschul-
dung dazu führen, dass mehr Investitionen für die natio-
nal verantwortete Implementierung der Leitlinie „Recht
auf Nahrung“ möglich wären und es zum anderen zu ei-
nem größeren Handlungsspielraum käme.

Vor diesem Hintergrund möchte ich mit einer Aus-
sage aus dem kleinen Büchlein schließen:

Die Durchsetzung von Menschenrechten erfordert
den Widerstand und die Gegenmacht der Opfer so-
wie die Unterstützung von Menschenrechtsorgani-
sationen und anderen sozialen Bewegungen. Diese
Solidarität ist auch jetzt schon möglich!

In beiden vorliegenden Anträgen wird auf dieser
Grundlage argumentiert. Ich gehe davon aus, dass wir
das in den Fachdiskussionen noch weiter zu konkretisie-
ren haben. Zurzeit stehen wir am Anfang der Implemen-
tierung auf der Grundlage dieser Leitlinien. Ich denke,
dass wir als Abgeordnete aus den verschiedenen Fachbe-
reichen einen solidarischen Beitrag für die Umsetzung
und Implementierung leisten können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516917700

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marlene Mortler.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1516917800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hemker, ich
schätze Sie wirklich sehr, vor allem Ihren Einsatz für die
ärmsten Menschen in unserem Lande wie auch auf der
ganzen Welt. Lassen Sie mich trotzdem den Blick auf Ih-
ren Antrag lenken.

„Wer Gutes tun will, muss es verschwenderisch tun“:
Ihr Antrag mit dem Titel „Ernährung als Menschen-
recht“ folgt zwar im Wortlaut Martin Luther, aber nicht
in seinem Geiste. Ihr Anspruch ist hoch, aber die Wirk-
lichkeit sieht anders aus. Eine Meldung der OECD
macht deutlich, dass die staatliche Hilfe Deutschlands
zur Förderung der Entwicklung der ärmsten Länder 2004
geringer geworden ist.

Die Ursachen für Hunger und Unterernährung in vie-
len Teilen der Welt sind vielfältig. Hungerbekämpfung
ist in erster Linie Armutsbekämpfung. Entscheidende
Faktoren sind der Zugang zu Boden und Kapital, eine
bessere Bildung und Ausbildung, die Bekämpfung von
Korruption und die Vermeidung von kriegsähnlichen Zu-
ständen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


So ist Nordkorea ein eklatantes Beispiel für politisch
verursachten Hunger. Das dortige diktatorische Regime
drangsaliert seine Bevölkerung seit Jahrzehnten mit ei-
ner verfehlten Agrarpolitik. Schlagworte wie Abbau von
Subventionen – wie gerade zu hören war – und Protek-
tionismus mögen zwar im Zusammenhang mit der Ar-






(A) (C)



(B) (D)


Marlene Mortler

mutsbekämpfung populär sein; sie helfen aber bei der
Bekämpfung von Hunger nicht weiter.

Einen wichtigen Beitrag zur Hungerbekämpfung lie-
fert aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion die moderne
Agrarforschung. Darauf bezieht sich auch die zentrale
Forderung in unserem Antrag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Zahlen der FAO machen nämlich deutlich, dass die
pro Kopf zur Verfügung stehende landwirtschaftlich
nutzbare Fläche unaufhaltsam kleiner wird. Während
zum Beispiel 1961 noch für jeden Erdenbürger
1,5 Hektar zur Verfügung standen, waren es 2002 nur
noch 0,81 Hektar. Ich frage mich, ob dieser Rückgang
mit konventionellen oder gar ökologischen Bewirtschaf-
tungsmethoden noch ausgeglichen werden kann.

Bündnis 90/Die Grünen haben in ihrem Antrag vom
Juli 2003 ebenfalls gefordert, dass Aktivitäten der inter-
nationalen Agrarforschung dem Ziel einer nachhaltigen
Nahrungssicherung entsprechen sollten. Im aktuellen
Antrag der Regierungskoalition steht kein Wort mehr
vom Nutzen der Agrarforschung bei der Hungerbekämp-
fung. Damit wollen Sie wohl jeden Zusammenhang mit
der Pflanzengentechnik vermeiden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Hunger kann man nicht mit Ideologien bekämpfen, son-
dern nur mit der Nutzung aller Chancen und einem ganz-
heitlichen Ansatz.

Wie eingleisig in diesem Zusammenhang gedacht und
gehandelt wird, zeigt auch die Versetzung von Professor
Schlagheck in den einstweiligen Ruhestand. Ich habe
das überhaupt nicht verstanden; denn ich habe Professor
Schlagheck als einen loyalen Mitarbeiter Ihres Hauses
kennen gelernt, Herr Dr. Thalheim. Aber er war sicher-
lich auch ein Mitarbeiter, der beim Thema Gentechnik
über den Tellerrand hinausgeschaut hat. Wir reden heute
über eine ausreichende Versorgung der Menschen in den
Entwicklungsländern mit Nahrungsmitteln und Wasser
und Frau Ministerin konzentriert sich zurzeit auf die Ver-
sorgung ihres grünen Umfelds.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie groß muss die Panik sein, wenn sie die Zusammen-
arbeit mit hoch qualifizierten Mitarbeitern einfach auf-
kündigt? Der politische und wirtschaftliche Schaden,
den sie damit anrichtet, scheint ihr egal zu sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Beim Thema Agrarbiotechnologie setzen Sie auf

Ängste, sprechen Sie nur von Risiken und beeinflussen
so einseitig die Stimmung der Menschen in unserem
Land. Dabei ist die Agrarbiotechnologie aus meiner
Sicht eine der zukunftsträchtigsten Entwicklungen in der
modernen Wissenschaft. Aber die Spielregeln müssen
eingehalten werden; denn wir sind uns durchaus in der
Bewertung des illegalen Exports von Bt-10-Mais aus
den USA in die EU einig. Die Vorgehensweise des welt-
größten Biotechnologiekonzerns, aber auch der US-Be-
hörden ist aus meiner Sicht durch nichts zu entschuldi-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Agrarbiotechnologie kann aber zusammen mit tradi-
tionellen oder konventionellen Pflanzenzüchtungsme-
thoden herausragende Leistungen erbringen. Die erfolg-
reiche Maniokforschung in Afrika ist hierfür ein gutes
Beispiel. Deshalb ist es aus meiner Sicht verantwor-
tungslos und unvernünftig, Forschung und Erprobung im
eigenen Land massiv zu behindern.

Auch die vielfach geforderte Liberalisierung des
Weltagrarhandels ist kein Segen für die Entwicklungs-
länder. Vom totalen Freihandel profitieren nicht die
Kleinbauern oder die Landarbeiter, sondern wenige
große Familien zum Beispiel in Brasilien, die mit ihrem
Einfluss das Land gestalten und den Acker bestellen las-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es darf nicht sein, dass eine falsch verstandene Ent-

wicklungshilfe, etwa die zum Teil umweltzerstörerische
Zuckerproduktion, zum Nachteil unseres heimischen
Anbaus gefördert wird. Deshalb kann ich persönlich die
Vorschläge der EU-Kommission zur Reform der Zucker-
marktordnung nicht nachvollziehen; denn sie würden die
Exporterlöse der AKP-Länder drastisch mindern und da-
mit dort die Kaufkraft, aber auch die Ernährungssiche-
rung beeinträchtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516917900

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1516918000

Jawohl, Frau Präsidentin. – Die internationale Han-

delspolitik kann also das Ernährungsproblem nicht al-
leine lösen.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, den heuti-
gen Worten Taten folgen zu lassen, um so den Ärmsten
zu einem besseren Leben zu verhelfen, und zwar ganz
im Sinne von Molière: „Ich lebe von guter Suppe und
nicht von schöner Rede.“

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516918100

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thilo Hoppe.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516918200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind uns darin einig, dass die katastrophal hohe Zahl
der Hungernden nicht hinnehmbar ist und eine riesige He-
rausforderung darstellt. Die große Mehrheit der Hungern-
den lebt auf dem Lande. Wir sind uns deshalb darin einig,
dass mehr für die ländliche Entwicklung, insbesondere






(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe

für die Entwicklung des ländlichen Raumes in den Län-
dern der so genannten Dritten Welt getan werden muss. In
der nächsten Woche wird es im Entwicklungsausschuss,
im AwZ, eine Anhörung geben, die genau das zum Ziel
hat: den Stellenwert der ländlichen Entwicklung zu erhö-
hen. Ich prophezeie Ihnen: Es wird neue Konzepte geben
wird und es wird in Zukunft mehr Geld in diesen Sektor
fließen.

Die Union hebt in ihrem Antrag darauf ab, dass die
Agrarproduktion gesteigert werden muss. Sie meint, dies
mit einer Art zweiten grünen Revolution bewerkstelligen
zu können. Große Hoffnungen werden dabei in die
Grüne Gentechnik gesetzt. Die FDP hat zwar keinen An-
trag vorgelegt, hat aber in vielen Debatten deutlich ge-
macht, dass für sie die Liberalisierung des Welthandels,
der Agrarmärkte, der Königsweg ist.

Über die Chancen und Risiken der Grünen Gentech-
nik haben wir hier schon viel diskutiert. Ich möchte da-
rauf heute nicht vertieft eingehen; aber aufgrund der
jüngsten Ereignisse – sie wurden schon angesprochen,
Stichwort Bt-10-Mais – ist in mir die Skepsis gegenüber
der Grünen Gentechnik eher noch gewachsen.

Das, was wir auf einer AwZ-Delegationsreise im
Herbst in Argentinien erlebt haben, war sehr gruselig.
Dort hat der industriemäßige Anbau von Gensoja zu
schweren ökologischen und sozialen Verwerfungen ge-
führt. Er hat einige wenige Großinvestoren reicher ge-
macht; aber er hat viele Indigene und Kleinbauern ins
Elend getrieben und verdrängt. Wir haben da erschüt-
ternde Berichte von Vertretern der Kleinbauern und der
Indigenen gehört. Wir haben Berichte von verseuchtem
Grundwasser gehört. Die Vertreter der Indigenen, der
Kleinbauern, die Hilfswerke der katholischen und der
evangelischen Kirche, alle erheben schwere Vorwürfe
gegen die argentinische Agrarpolitik, die von dem US-
Konzern Monsanto ganz stark geprägt ist.

Aber auch unabhängig von der Gentechnikproblema-
tik wird hier ein Dilemma deutlich. Natürlich ist es rich-
tig und notwendig, dass wir aus Gründen der Nord-Süd-
Gerechtigkeit auch unsere Agrarmärkte für die Entwick-
lungs- und Schwellenländer öffnen müssen. Doch eine
Liberalisierung der Agrarmärkte führt nicht automa-
tisch zur Hungerbekämpfung. Manchmal geschieht ge-
nau das Gegenteil,


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


nämlich dann, wenn die Ausweitung der Agrarproduk-
tion für den Export nur einer winzig kleinen Oberschicht
oder internationalen Konzernen zugute kommt und wenn
die Exportorientierung dazu führt, dass der Anbau von
Grundnahrungsmitteln vernachlässigt wird. Es gibt dafür
einige besonders krasse Beispiele: Zierblumen, Winter-
tomaten, Erdbeeren, die unter großer Wasserverschwen-
dung in Ländern der Sahelzone angebaut werden.

Ricardos Lehre von den angeblich komparativen Kos-
tenvorteilen musste sogar schon dafür herhalten, zu
rechtfertigen, dass in einigen Hungerländern Afrikas auf
bis zu 70 Prozent der Anbauflächen Futter für Schweine
und Rinder der Europäischen Union angebaut wurde.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich plädiere kei-
neswegs für eine Abschottung unserer Märkte – das
wäre die falsche Schlussfolgerung –; aber eine Öffnung
muss von Reformen in den Entwicklungsländern selbst
flankiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ein hervorragendes Instrument dafür können die frei-
willigen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf
Nahrung sein, die im Herbst letzten Jahres von der FAO
beschlossen wurden und die auf eine starke Initiative
von Renate Künast zurückgehen. Diese Leitlinien sehen
vor, dass jedes Land, in dem Hunger herrscht, zunächst
ein Kataster erstellen muss. Damit muss jedes dieser
Länder folgenden Fragen nachgehen: Welche Bevölke-
rungsgruppen in welchen Regionen leiden an Hunger?
Was sind die Ursachen? Die mit dieser Bestandsauf-
nahme verbundenen Fragen müssen mit einer nationalen
Strategie beantwortet werden, nach dem Prinzip: Food
first! Das bedeutet: Zunächst muss die Verfügbarkeit von
Grundnahrungsmitteln gesichert werden.

Den Entwicklungsländern muss das Recht zugestan-
den werden, im Sinne der Ernährungsouveränität ihre ei-
genen Märkte vor Dumping durch die Industrienationen
abzuschotten und zu schützen. In diesem Bereich spielt
die Abschaffung der Agrarexportsubventionen wirk-
lich eine ganz große Rolle.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bitte die CDU/CSU, hier endlich einmal Farbe zu be-
kennen. Da gibt es eine große Diskrepanz: Die Entwick-
lungspolitiker sagen das Richtige und sie fordern die
Abschaffung der Agarexportsubventionen; aber die
Agrarpolitiker betreiben mehr Klientelpolitik und sagen
etwas anderes. Ich wiederhole: Da müssen Sie endlich
Farbe bekennen und eine einheitliche, also kohärente
Stellungnahme entwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Auf jeden Fall müssen die Agrarexportsubventionen
radikal heruntergefahren werden, und zwar auf null. Die
Marktöffnung muss umgestaltet werden. Es ist noch eine
Menge Gehirnschmalz notwendig, um das Ganze richtig
auszubalancieren. Im EU-Parlament wird momentan
über den Begriff „qualitativer Marktzugang“ nachge-
dacht. Man möchte die Marktöffnung im Rahmen von
bilateralen und von regionalen Abkommen an die Ein-
haltung ökologischer und sozialer Standards und auch an
vernünftige nationale Strategiepapiere zur Umsetzung
des Rechts auf Nahrung koppeln. So flankiert kann
Marktöffnung wirklich zur Hungerbekämpfung beitra-
gen, nicht flankiert kann sie den Hunger sogar noch ver-
schärfen.

Zusammengefasst: Abbau der Agrarexportsubventio-
nen, qualitative Marktöffnung und zusätzliche Investitio-
nen direkt in die ländliche Entwicklung, das sind die
Wege, die geeignet sind, um den Welthunger wirklich ra-
dikal zu bekämpfen.






(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516918300

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael

Goldmann.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1516918400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sollten dieses Thema aus meiner Sicht schon ein
bisschen konkreter angehen. Wir können hier natürlich
sehr grundsätzliche Reden darüber halten, wie engagiert
wir alle dafür eintreten, die Armut in der Welt zu be-
kämpfen und das Recht auf Nahrung für jedermann zu
sichern. Wir sollten uns heute aber vielleicht eher etwas
genauer mit diesen beiden Anträgen befassen.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, sind
zwei sich gegenseitig ergänzende grundsätzliche Schritte
notwendig, Kollege Hoppe. Der eine Schritt ist eine
klare Liberalisierung. Die Liberalisierung ist genau we-
gen der Maßnahmen notwendig, die Sie selbst eben an-
gesprochen haben, nämlich Absenkung von Exportbei-
hilfen oder sogar Verzicht darauf, Verzicht auf direkte
Hilfen und Senken von Schutzzöllen. Das müssen wir
gemeinsam vorantreiben. Das sollten wir nicht mit Pro-
blemen vermischen, die es in Märkten selbstverständlich
gibt; da bestimmen Starke natürlich einen Teil der Mu-
sik. Aber – auch wenn es flapsig und platt klingt, Herr
Kollege Hoppe –: Nur von einem gedeckten Tisch kön-
nen möglichst viele ernährt werden. Deswegen sollte
man hier keinen Widerspruch zwischen den Großen und
den Kleinen aufbauen, sondern gemeinsam dafür sorgen,
dass bei allen Verhandlungen und Gesprächen, zum Bei-
spiel bei der WTO, ein Einklang hergestellt werden
kann. Wir sollten dabei grundsätzlich daran festhalten,
dass gerade wir gefordert sind, der Liberalisierung und
der Marktöffnung mehr Chancen zu geben. Das ist der
einzige wirklich zielführende Weg, den wir aus dem Par-
lament heraus beschreiten können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt einen zweiten Schwerpunkt. Ich bitte Sie,
Kollege Hoppe, und auch die Kollegen von der Sozial-
demokratischen Partei, Agrartechnik und Agrarfor-
schung nicht zu verengen auf Probleme im Bereich der
Grünen Gentechnik, die Sie hier angesprochen haben.
Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten: Der Fall
„Bt 11 und Bt 10“ war sehr schädlich und da war nach
meiner Einschätzung Bösartigkeit im Spiel. Aber das ist
nicht das, was sich hinter Agrartechnik und Agrarfor-
schung verbirgt.

Stellungnahmen der FAO sagen ganz eindeutig: Wir
müssen zu einer Ausdehnung der landwirtschaftlichen
Nutzfläche kommen. Wir müssen zur Verbesserung der
Bodenqualität durch kluge und moderne Bewässerungs-
systeme und durch einen Einsatz effektiver Düngemittel
kommen. Wir müssen zur Steigerung des Ertrags pro
landwirtschaftlicher Nutzfläche kommen. Wenn wir
diese Bereiche der modernen Technologie, der moder-
nen Form von Bearbeitung, der nachhaltigen Bearbei-
tung, entwickeln, dann haben wir auch Chancen, über
den Bereich der Grünen Gentechnik hinaus ein Zusätz-
liches zu erreichen.


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP] sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Ich bin davon überzeugt, dass ein kluges Miteinander in
dieser Frage der richtige Weg ist.

Wenn ich die Anträge bei Licht betrachte, Kollege
Hemker, dann stelle ich fest, dass der Antrag der CDU/
CSU wesentlich richtungsweisender ist als der der Ko-
alition. Die allgemeinen Ausführungen, die Sie in Ihrem
Antrag niedergelegt haben, sind blumig, aber nicht sehr
effektiv. Deswegen werden wir dem CDU/CSU-Antrag
zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516918500

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Schulte-

Drüggelte.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1516918600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bedanke mich erst einmal für die Beurteilung des
CDU/CSU-Antrags als „wesentlich richtungsweisen-
der“. Ganz genau der Meinung sind wir natürlich auch.

Ich möchte einiges zur Situation sagen. Wir haben nur
noch genau zehn Jahre Zeit, um das UN-Millenniums-
ziel zu erreichen, die Zahl der Menschen, die unter Ar-
mut und Hunger leiden, zu halbieren. Nach der Debatte,
die wir vorhin geführt haben, und der Debatte, die im
Augenblick in den Medien läuft, kann man sich natürlich
die Frage stellen: Wer glaubt denn noch daran, dass die-
ses Ziel erreicht wird, zumal in den letzten Jahren die
Zahl der Hungernden eher zugenommen hat? Wenn die
Regierungen in Nord und Süd – ich sage bewusst: in
Nord und Süd – nicht schnellstmöglich handeln, dann
wird dieses Ziel nicht erreicht.

Die Zahlen wurden auch schon in der Armutsdebatte
vorhin genannt. Die Weltbank hat festgestellt: Im Au-
genblick werden 70 Milliarden Dollar für Entwicklungs-
hilfe aufgewandt. Es sollten mindestens 120 Milliarden
Dollar sein, wenn man die Ziele erreichen will.

Das Bedauerliche ist, dass Deutschland unter den Ge-
berländern leider nur einen der hinteren Ränge ein-
nimmt, weit hinter Norwegen, Luxemburg, Dänemark
oder Portugal. Dabei haben sich alle EU-Staaten ver-
pflichtet, ihre Entwicklungshilfe auf 0,39 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zu steigern.

Deutschland will bis 2006 leider nur 0,33 Prozent er-
reichen. Und wie sieht es zurzeit aus? Seit zwei Jahren
stagniert der Anteil bei 0,28 Prozent. Um einen Begriff






(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Schulte-Drüggelte

aus der Entwicklungspolitik zu verwenden: Das ist kein
gutes Regierungshandeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich sehr bald ändern!)


Im Augenblick scheint eine Trendwende in Sicht.
Man hat den Eindruck, UN-Generalsekretär Annan habe
das Erreichen von 0,7 Prozent zur Bedingung für einen
Sitz im Sicherheitsrat gemacht. Die Frage, die gerade
schon einmal angesprochen wurde, stelle ich mir natür-
lich auch: Wie will diese Bundesregierung das finanzie-
ren? In der Presse liest man, dass ihr zur Finanzierung
nur Steuererhöhungen einfallen. Das ist die Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal die Gründe für den niedrigen

Anteil von 0,28 Prozent nennen. Ich glaube, es liegt
nicht daran, dass die Fachpolitiker nicht für eine deutli-
che Erhöhung des Anteils sind. Den Fachpolitikern
möchte ich den guten Willen nicht absprechen. Ich sage
deutlich: Die Gründe für diesen niedrigen Prozentsatz
liegen ganz eindeutig in der verfehlten rot-grünen
Wirtschaftspolitik in diesem Land


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


und Folge dieser verfehlten rot-grünen Wirtschafts-
politik ist eine katastrophale Haushaltslage. Das ist die
Situation.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine gewisse Ernsthaftigkeit würde Ihnen ausgezeichnet zu Gesicht stehen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516918700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Schmidt?


Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1516918800

Ich möchte das noch zu Ende bringen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das wäre sehr schön! Dafür wären wir dankbar!)

Unter den Folgen dieser verfehlten rot-grünen Wirt-
schaftspolitik leiden offenbar nicht nur die über
5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516918900

Wie sieht es aus? Würden Sie jetzt eine Zwischen-

frage gestatten?


Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1516919000

Wir sind zwar Nachbarn, aber lassen Sie mich das

noch zu Ende bringen.

(Zuruf von der SPD: Feigling!)


Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1516919100

Bitte. Das war jetzt eine Herausforderung. Wir sind

Nachbarn; sie kommt aus einem Nachbarkreis.


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1516919200

Ich wusste gar nicht, dass Sie Kartoffellandwirt sind –

rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Erst durfte
ich, dann durfte ich nicht. Aber jetzt darf ich.

Meine erste Frage interessiert gerade mich als Ent-
wicklungspolitikerin: Ist Ihnen bewusst, dass wir auch
schon in wirtschaftlich weit besseren Zeiten, in denen
die ODA-Quote bei 0,42 Prozent lag, heruntergewirt-
schaftet worden sind, nämlich unter einer Regierung von
CDU/CSU und FDP?

Die zweite Frage: Sehen Sie ein – solche Aussagen
höre ich zumindest in meiner Region, also in Ihrer Nach-
barschaft –, dass mit fairen Preisen sowohl für unsere
Landwirte als auch für die Landwirte in den armen Län-
dern vielleicht doch etwas erreicht werden könnte für
mehr Gerechtigkeit in der Welt? Ich kann zumindest für
das Sauerland sagen, dass man viele Landwirte auf sei-
ner Seite hat, wenn man sich für die faire Produktion von
landwirtschaftlichen Produkten und für faire Preise ein-
setzt. Ich würde gerne einmal von Ihrer Seite hören, wie
Sie sich in dieser Beziehung gegenüber Ihrer Verbands-
politik verhalten.


Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1516919300

Wir sind Nachbarn und deshalb will ich die Fragen

kurz beantworten. Ich bin Vertreter eines Wahlkreises
und vertrete nicht irgendwelche Verbandspolitik. Das
möchte ich ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe mich auch in den anderen Debatten für einen

freien und fairen Welthandel ausgesprochen, genau
wie Sie ihn jetzt gerade gefordert haben. Diese Forde-
rungen sollen auch bei den WTO-Verhandlungen durch-
gesetzt werden. Ich erwähne in dem Zusammenhang
auch die Zuckermarktordnung, über die wir beim letzten
Mal gesprochen haben.

Ich hoffe, diese Antworten helfen Ihnen weiter, und
lasse es nun dabei bewenden.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Ich setze mich genau wie mein Kollege für einen
freien Welthandel ein, der aber fair geführt werden soll
und in dem auch die Interessen der europäischen Land-
wirte berücksichtigt werden müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da Sie wie ich aus Nordrhein-Westfalen kommen,

möchte ich die Folgen der verfehlten rot-grünen Wirt-
schaftspolitik für Nordrhein-Westfalen noch einmal prä-
zisieren: Ergebnis dieser Wirtschaftpolitik sind bundes-
weit 5 Millionen Arbeitslose, davon allein in Nordrhein-
Westfalen über 1 Million Arbeitslose.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Schulte-Drüggelte

Die Leitlinien – um noch einmal darauf zurückzu-

kommen –, die ein Recht auf Nahrung vorsehen, und der
Aktionsplan 2015 sind wichtige Maßnahmen. Ich er-
kenne das auch deutlich an. Sie werden aber nur zu Er-
folgen führen, wenn die Regierungen, also auch
Deutschland, klare Leitlinien in der Entwicklungspolitik
verfolgen.

Ich möchte einmal Jacques Chirac zitieren, der auf
dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos von den stillen
Tsunamis gesprochen hat – ich weiß nicht, ob Sie das
verfolgt haben; ich fand dieses Bild sehr gut –, die in
weiten Teilen der Welt in Form von Hungersnöten, In-
fektionskrankheiten, Aufruhr und Gewalt auftreten. Die-
ses Bild mag für viele erschreckend sein, aber beschreibt
die Situation zutreffend. Ich möchte auch noch einmal
die Fakten nennen: Derzeit sind circa 815 Millionen
Menschen unterernährt, darunter 160 Millionen Kinder.
Jeden Tag – ich will es noch einmal erwähnen – sterben
24 000 Menschen an den Folgen von Hunger. Drei Vier-
tel davon sind Kinder unter fünf Jahren. Man stelle sich
das einmal bildhaft vor: Das bedeutet, dass die Entwick-
lungsregionen Südasien und Afrika quasi alle 14 Tage
einen Tsunami mit 300 000 Toten erleiden müssen. Alle
14 Tage ein Tsunami! Das ist die Situation, die im Au-
genblick in der Welt herrscht.

Ich möchte Ihnen noch einen anderen Zusammenhang
vor Augen führen: 70 Prozent der Armen leben auf dem
Lande. Die Weltbevölkerung wächst jährlich um
80 Millionen Menschen. Die steigende Nachfrage nach
Nahrungsmitteln trifft auf die nur begrenzt vorhande-
nen Ressourcen Ackerland und Wasser. Die FAO sagt
ganz klar, dass eine Mehrproduktion von Nahrungsmit-
teln nur über höhere Flächenerträge erreicht werden
kann. Diese Tatsache macht ganz deutlich


(Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– zweimal ist genug –, dass der Weg aus der Armut nicht
mehr in erster Linie über den Bau von Straßen, Brücken
und Schienenwegen führt, sondern über gut koordinierte
Institutionen und Entwicklungspolitik sowie Boden-
reformen in den betroffenen Ländern, also über gute Po-
litik, und – ich will es noch einmal sagen – über einen
freien, aber auch fairen Welthandel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516919400

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie

haben Ihre Redezeit schon weit überschritten.

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1516919500

37 Sekunden.

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516919600

Nein, Herr Kollege. Es ist fast eine Minute. Die Uhr

hat zu lange gestanden.

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1516919700

Ach so, Entschuldigung. – Zum Schluss darf ich sa-

gen, dass die Überwindung von Hunger nicht nur eine
Sache von besserem Wissen, besserer Technologie und
guter Politik ist. Es ist auch eine Sache von Macht und
Recht und besonders von Mitverantwortung. Die viel zu
lange Dauer


(Heiterkeit)

dieses Problems sollte uns nicht Anlass dazu geben, uns
daran zu gewöhnen. Wir, auch Sie, die Sie angesichts ei-
nes so ernsten Problems lachen – eigentlich sind Sie ja
ordentliche Leute, aber angesichts eines solchen Pro-
blems sollte man keine Späße machen –, sollten stetig
dafür kämpfen, dass dieses Problem gelöst wird.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516919800

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft auf Drucksache 15/4408.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 15/3956 mit dem Titel: „Ernährung als
Menschenrecht“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen von der CDU/CSU und der FDP an-
genommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 15/3940 mit dem Titel: „Welternährung sichern –
eine globale Verantwortung für die nationale und euro-
päische Agrarpolitik“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen von der CDU/CSU und der FDP an-
genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Gudrun Kopp, Rainer Funke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gegen die Zerfaserung wettbewerbsrecht-
licher Kompetenzen
– Drucksache 15/4561 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-

gin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1516919900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Es

ist an der Zeit, dass wir uns – das geschieht heute
Abend – wieder einmal der Frage von Wettbewerb und
ordnungspolitischen Rahmenbedingungen am Standort
Deutschland widmen. Ein funktionierender Wettbewerb
– das wissen wir alle – schafft Wachstum, Beschäftigung
und Innovation. Vor allen Dingen wirkt ein funktionie-
render Wettbewerb gegen eine Konzentration wirtschaft-
licher Macht und sorgt stattdessen für eine Verteilung
der Macht, was sich positiv auf die Vielfalt, die Qualität
und die Preise auswirkt. Insofern ist dies ein ganz wich-
tiger Bereich im allgemeinen Wirtschaftsprozess, den
man möglichst nicht stören sollte.

Wir haben aber gerade in der letzten Zeit bemerkt,
dass die rot-grüne Bundesregierung an der einen oder
anderen Stelle tiefe Einschnitte vorgenommen hat. Das
Register dieser wettbewerbs- und ordnungspolitischen
Sünden ist schon recht lang. Ich nenne ein paar Bei-
spiele.

Sie haben erstens gegen jeden Sachverstand von Bun-
deskartellamt und Monopolkommission die Fusion von
Eon und Ruhrgas genehmigt. Das Resultat sind zum
Beispiel sehr hohe Gaspreise, worunter die Wirtschaft
und auch die Privatverbraucher leiden. Jetzt ist das Kar-
tellamt mit Abmahnverfahren zur Schadensbegrenzung
beschäftigt, soweit dies möglich ist.

Sie haben zweitens im Telekommunikationsgesetz
ein Einzelweisungsrecht des Ministers durchgesetzt. Das
ist ein einmaliger Vorgang, ein Eingriff, der mit Blick
auf die Entscheidungen der Regulierungsbehörde eine
permanente Bedrohung bedeutet. Dieses Sonderrecht im
TKG gehört schnellstens gestrichen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Sie betreiben drittens mit dem Wettbewerbsrecht sek-

torale Industriepolitik, indem Sie das Pressefusions-
recht ausgehöhlt haben und damit die Pressefreiheit
nachhaltig stören.


(Beifall bei der FDP)

Bei solcherlei Eingriffen stirbt die Freiheit scheibchen-
weise. Das darf nicht auf die leichte Schulter genommen
werden.

Sie leisten viertens der Zersplitterung der Wettbe-
werbsaufsicht Vorschub, indem Sie für die Energieregu-
lierung statt des Bundeskartellamts der Regulierungsbe-
hörde für Post und Telekommunikation den Zuschlag
gegeben haben. Damit öffnen Sie der sektoralen Regu-
lierung in anderen Branchen Tür und Tor. Gleichzeitig
schwächen Sie das Bundeskartellamt personell und in-
haltlich. Auch das ist eine Tendenz, die wir mit großer
Sorge sehen.


(Beifall bei der FDP)

Eigentlich sollte die Regulierungsbehörde ja abgeschafft
werden. Jetzt aber erfährt sie in personeller Hinsicht ei-
nen immer stärkeren Aufwuchs. Das ist das Gegenteil
von schlanker Regulierung.

Was fordern wir in unserem Antrag? Wir möchten,
dass die bestehenden Wettbewerbsbehörden in ihrer
Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gestärkt werden.
Wir wollen, dass das Einzelweisungsrecht, das ich eben
erwähnt habe, zurückgenommen wird. Wir wollen, dass
die Wettbewerbsbehörden von politischer Einfluss-
nahme befreit werden. Das heißt, dass einer beamten-
rechtlichen Besetzung der Spitze der Regulierungsbe-
hörde der Vorzug zu geben ist. Wir brauchen auf keinen
Fall einen weiteren Vizepräsidenten oder eine weitere
Vizepräsidentin der Regulierungsbehörde für Post und
Telekommunikation.


(Hubertus Heil [SPD]: Die FDP hat doch schon eine!)


Für uns ist die Stärkung des Wettbewerbs wichtig;
denn sie nutzt den Verbrauchern und der Wirtschaft. Der
Wettbewerb ist die Säule einer sozialen Marktwirtschaft.
Sie sollten daher aufhören, an dieser Säule zu sägen. Sie
sollten sich vielmehr auf das besinnen, was ordnungs-
politisch notwendig ist. Sie sollten dem Populismus und
der Zerfaserung der Wettbewerbsstrukturen in Deutsch-
land keinen Vorschub leisten.


(Beifall bei der FDP)

Zu guter Letzt fordern wir Sie auf, mit dafür Sorge zu

tragen, dass das Wettbewerbsrecht auf EU-Ebene einen
ebenso großen Stellenwert erhält, wie er derzeit in
Deutschland noch zu finden ist. Deshalb unsere Auffor-
derung an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu und han-
deln Sie im Sinne einer Stärkung des Wettbewerbs und
damit einer Stärkung unserer Wirtschaftskraft!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516920000

Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil, SPD-Frak-

tion.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1516920100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kollegin Kopp, eigentlich ist Ihr Antrag mehr als flüssig,
nämlich überflüssig. Sie hätten durchaus die Gelegenheit
gehabt, diesen Antrag im Rahmen der Debatte um die
Novellierung des GWB, des Grundgesetzes der Markt-
wirtschaft, zu stellen. Sie hätten diesen Antrag in die
morgige Debatte über das Energiewirtschaftsgesetz ein-
bringen können. So aber vergeuden wir heute Abend un-
sere Zeit, weil wir uns mit Ihrem Antrag auseinander set-
zen müssen, einem Antrag, über den man bei allem
Wohlwollen sagen muss, dass er nicht nur hochgradig
widersprüchlich, sondern einfach nur unsinnig ist.


(Gudrun Kopp [FDP]: Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen nichts dazu einfällt!)


Ich möchte Ihnen die Widersprüche an der einen oder
anderen Stelle darlegen. Ich bin froh, dass die Fernseh-
kameras nicht mehr zugeschaltet sind und die Leute sich






(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil

diese Debatte nicht ansehen müssen. Aber wir müssen
uns jetzt mit Ihrem Antrag auseinander setzen, der, wie
gesagt, an einigen Stellen widersprüchlich ist. Vielleicht
können wir die Gelegenheit zur gegenseitigen Aufklä-
rung nutzen.

Wir haben in Deutschland eine Wettbewerbsord-
nung, die sich im internationalen Vergleich trotz man-
cher Probleme sehen lassen kann. Aus unserer Sicht
kann von Zerfaserung keine Rede sein. Im Gegenteil:
Wir haben eine Arbeitsteilung. Ich bin sehr stolz auf die
Arbeit, die das Bundeskartellamt, die Monopolkommis-
sion und auch die Regulierungsbehörde für Telekommu-
nikation und Post leisten. Diese Arbeit sollten wir nicht
schlechtreden.

Ich möchte einmal erklären, warum es vernünftiger ist,
eine Arbeitsteilung vorzunehmen, als die Arbeit in eine
einzige Mammutbehörde zu schaufeln. Das Kartellamt
hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
die Aufgabe, allgemeines Kartellrecht durchzusetzen.
Die Monopolkommission hat den gesetzgeberischen
Auftrag, eine regelmäßige Beurteilung von Unterneh-
menskonzentrationen vorzunehmen. Sie hat auch die
Aufgabe, die Vorschriften im Bereich der Zusammen-
schlusskontrolle zu würdigen. Last, not least hat sie die
Aufgabe, Stellungnahmen zu allgemeinen wettbewerbs-
politischen Fragen abzugeben.

Warum, so fragen Sie, gibt es dann noch eine Regulie-
rungsbehörde in diesem Bereich? Zugegebenermaßen ist
die Bezeichnung „Regulierungsbehörde“ nicht sehr pas-
send. Denn der Auftrag beinhaltet ja das Gegenteil.
Deswegen werden wir morgen den Namen in „Netz-
agentur“ ändern. Damit soll etwas deutlicher werden,
warum wir in diesen Bereichen eine sektorspezifische
Regulierung brauchen, die Sie kritisieren.

Es handelt sich in diesem Bereich um netzgebundene
Industrien, die auf dem Weg zur Liberalisierung sind.
Zurzeit kann man von einem funktionierenden Wettbe-
werb noch nicht reden. Das betrifft die Telekommunika-
tionsbranche, den Postbereich, die Bereiche Strom und
Gas – entsprechende Regelungen werden morgen im
Rahmen des Energiewirtschaftsgesetzes verabschiedet
werden – sowie den Bereich der Schiene.

Hier geht es nicht wie in anderen Sektoren um Wett-
bewerbsaufsicht, sondern hier geht es darum, durch
Regulierung, vor allen Dingen durch eine Ex-ante-Regu-
lierung, die morgen für den Bereich Strom und Gas be-
schlossen wird, Wettbewerb erst einmal herzustellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Das ist doch in Ordnung!)


Ich glaube, dass diese Aufgabe bei der Regulierungs-
behörde gut angesiedelt ist. Sie hat nämlich über die
Jahre im Bereich Telekommunikation Kompetenz er-
worben. In diesem Bereich sind wir schon weiter als im
Strom- und Gasbereich. Ich weiß nicht, warum es ein
ordnungspolitischer Sündenfall sein soll, wenn Profis
auch für den Bereich Gas und Strom sowie für den Be-
reich Schiene verantwortlich sind.
Der zweite Punkt, den Sie in Ihrem Antrag anspre-
chen, ist die Forderung nach einem europäischen
Kartellamt. Wir finden diesen Vorschlag sehr sympa-
thisch. Er wird auch von der Bundesregierung unter-
stützt. Sie wissen aber auch, dass wir uns mit dieser For-
derung, die wir im Rahmen der Diskussion über die
europäische Verfassung aufgestellt haben, nicht haben
durchsetzen können. Deswegen schlagen wir vor – wir
haben das im GWB gegen Stimmen aus Ihren Reihen
beschlossen –, zumindest zu einer Koordinierung der
europäischen Kartellbehörden zu kommen. Das wäre ein
pragmatischer Schritt.

Ich würde gern noch etwas zu Ihrem Lieblingsthema,
zum Thema der Einzelweisungen, sagen. Frau Kollegin
Kopp, Ihr Antrag behauptet und Sie sagten es auch, wir
hätten dieses Instrument im letzten Jahr in das TKG ein-
geführt. Das stimmt nicht. Sie haben es zusammen mit
uns und der CDU bei der Reform des TKG 1996/97 ein-
geführt. Das wurde nicht von uns im vergangenen Jahr
gemacht. Es geht auch nicht darum, dass wir in irgendei-
ner Form direkten politischen Einfluss auf die Regulie-
rungsbehörde nehmen. Im Gegenteil: Das Telekommu-
nikationsgesetz, das wir im letzten Jahr novelliert haben,
sieht Transparenz vor. Es gibt eine Veröffentlichungs-
pflicht für den Bereich der Weisungen, sofern sie das
Außenverhältnis, also die Wirtschaft und die Unterneh-
men, betreffen. Deshalb ist meine herzliche Bitte, keinen
Regentanz aufzuführen. Das immer wieder hochzuzie-
hen, wenn Sie an dem Gesetz sonst nichts zu kritisieren
haben, ist wirklich ein Popanz.

Wir Sozialdemokraten bekennen uns zum Wettbe-
werb als dem ordnungspolitischen Prinzip unserer
Marktwirtschaft. Wir wissen, dass wir in diesem Bereich
wachsam gegenüber Konzentrationsprozessen sein müs-
sen. Wir wissen, dass viel zu tun ist, um in den netzge-
bundenen Industrien funktionsfähigen, nachhaltigen,
wirksamen Wettbewerb einzuführen. Wir haben die In-
strumente geschaffen. In diesem Bereich haben wir, wie
gesagt, keine Zerfaserung, sondern eine Bündelung der
Strukturen. Auch im Interesse der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die wirklich harte Arbeit leisten, bitte ich,
das nicht kaputt zu reden.

Ich habe, nachdem ich, Frau Kollegin Kopp, den An-
trag gelesen habe, noch eine darüber hinausgehende
Bitte. Sie betrifft die Art der Auseinandersetzung. Wir
können in der Sache ja in vielen Bereichen unterschiedli-
cher Meinung sein; deswegen sind wir in unterschiedli-
chen Fraktionen. Ihr Antrag – nicht Sie persönlich –
schlägt manchmal einen Ton an, den ich für skandalisie-
rend und in einer politischen Auseinandersetzung für
nicht angemessen halte. Wenn man unterschiedlicher
Meinung ist, kann man sich heftig streiten. Dafür bin ich
gern zu haben. Es ist aber die Frage, ob man, wenn man
anderer Meinung ist, alles skandalisieren muss. Denn
tatsächliche Skandale sind vielleicht nicht mehr erkenn-
bar, wenn man immer „Skandal“ ruft


(Zuruf von der FDP: Kann man bei Ihrer Regierung auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil

und sozusagen alarmistisch den Untergang der Markt-
wirtschaft predigt. Ich finde, das ist nicht so sonderlich
hilfreich und in jedem Fall der Sache nicht angemessen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das betrifft auch etwas, was in Ihrem Antrag gar
keine Rolle spielt, was Sie aber in Ihrer Rede angespro-
chen haben, nämlich die Debatte um die Reform der
Pressefusionskontrolle. Ich erspare mir und dem Kolle-
gen Schauerte, mit dem ich mich verschiedentlich über
das Thema ausgetauscht habe, mich darüber heute noch
einmal in epischer Breite auszulassen. Aber so viel: Wir
wollen Wettbewerb auch am Zeitungsmarkt; das ist gar
keine Frage. Wir müssen uns aber gerade wegen der
Meinungsvielfalt Gedanken darüber machen, ob Wettbe-
werb nicht eine wirtschaftliche Basis braucht und ob wir
es nicht mit strukturellen Veränderungen am Zeitungs-
markt zu tun haben.


(Gudrun Kopp [FDP]: Konzentration!)

– Nein, es geht überhaupt nicht um Konzentration, es
geht um Kooperation. So müssen wir zum Beispiel im
Bereich der Anzeigen die Möglichkeit für Kooperatio-
nen schaffen. Wir wollen Meinungsvielfalt, aber Mei-
nungsvielfalt darf sich nicht darauf beschränken, dass
Zeitungen immer dünner und die Inhalte immer dümmer
werden, weil nur noch Agenturmeldungen zusammenge-
stückelt werden, für tatsächliche redaktionelle Arbeit
aber keine wirtschaftliche Basis mehr vorhanden ist. Ge-
nau darum geht es aber, weil sich die Bedingungen des
Zeitungsmarktes verändert haben. 1976, als das Presse-
fusionsrecht in der jetzigen Form geschaffen wurde, gab
es noch kein Internet. Rubrikenanzeigen waren damals
noch nicht in neue Medien migriert, weil es noch kein
Privatfernsehen und keine SMS gab. Heute gibt es all
diese Konkurrenz – mit dem Ergebnis, dass sich bei Zei-
tungen die Finanzierungsquote verschoben hat. Es ist
nicht mehr so wie früher, dass sich Zeitungen zu zwei
Dritteln aus Anzeigen und zu einem Drittel aus Ver-
triebserlösen finanzieren. Vielmehr lautet die Quote
heute 50 : 50. Darauf ist, wenn einem an Meinungsviel-
falt in Deutschland gelegen ist, zu reagieren. Wir haben
Vorschläge gemacht, die der Bundestag beschlossen hat.
Wir sind sehr gespannt, wie das im Bundesrat und im
Vermittlungsverfahren, das wir bekommen werden, wei-
tergehen wird. Keiner von uns hat in der ganzen Ge-
schichte die Wahrheit gepachtet und jeder kann irren.
Aber die Unterstellung, wir würden uns an der Presse-
freiheit zu schaffen machen,


(Gudrun Kopp [FDP]: Ist ja auch so!)

ist, mit Verlaub, unter Demokraten ein ziemlich harter
Vorwurf. Ich finde, Sie sollten das unterlassen.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, schöpfe
ich meine Redezeit nicht aus. Ihr Antrag ist dünn und ei-
gentlich auch widersprüchlich. Das habe ich, wie ich
glaube, an ein paar Punkten sehr deutlich gemacht. Ich
wünsche Ihnen einen schönen Abend und ich wünsche
uns, dass wir uns das nächste Mal die Zeit für ernsthaf-
tere Debatten nehmen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: Diese Arroganz ist zum Davonlaufen! Mein Gott!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516920200

Der nächste Redner ist der Kollege Hartmut

Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1516920300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich kann im Namen der Fraktion der CDU/CSU
dem FDP-Antrag nicht zustimmen, weil bereits Ent-
scheidungen getroffen worden sind, die wir nicht wieder
mit der Zustimmung zu diesem Antrag zerfasern und
rückgängig machen sollten. Die Grundentscheidung,
dass wir eine Behörde für die Energieregulierung brau-
chen, ist gefallen. Schade, dass es so weit gekommen ist!
Aber das ist nun einmal so. Es ist auch die Grundent-
scheidung getroffen worden, dass diese Regulierungsbe-
hörde alle Netze – und nur die Netze und nichts sonst –
kontrolliert.

Ursprünglich hatten wir eine Einbindung in die Kar-
tellbehörde vorgezogen. Aber es gibt auch eine Menge
Argumente für die jetzige Regelung. Das war eine
knappe Entscheidung, eine Entscheidung von 48 : 52.
Denn es gibt in der Anfangsphase der Regulierung, über
die wir jetzt reden, auch dann ein paar Abgrenzungspro-
bleme, wenn wir diese Aufgabe in das Kartellamt inte-
griert hätten. Insoweit können wir mit der Entscheidung,
dass man die Aufgabe in einer getrennten Organisation
wahrnimmt, leben.

Wir verlangen allerdings – ich denke, das klingt bei
Ihnen durch, wenn Sie davon sprechen, dass es keine
weitere Zerfaserung geben soll –, dass all das, was die
Netze betrifft, in eine Behörde gehört. Es sollte nicht
wieder eine weitere Behörde aufgebaut werden. Das ist
das eine.

Dann müssen wir darauf achten, dass sehr sorgfältig
abgegrenzt wird, was in der Zuständigkeit des Kartell-
amts bleibt und was in die Zuständigkeit der Netzbe-
hörde – so nenne ich sie jetzt einfach einmal – fällt. Da
gibt es unterschiedliche Auffassungen. Da müssen wir
bei der Abgrenzung noch einmal genau hinsehen.

Das hängt auch damit zusammen, wie man diese Be-
hörden personalmäßig bestückt. Ich darf daran erinnern,
dass das Bundeskartellamt eine relativ kleine Behör-
denstruktur hat und sehr viele Aufgaben zu leisten hat.
Für die Regulierungsbehörde, die wir jetzt einrichten
– das gilt auch für die, die wir zum Teil schon haben –,
sind mittlerweile aufgeblähte Personalstrukturen vor-
gesehen. Wir werden für die neue Regulierungsbehörde
allein 180 höhere Dienststellen schaffen. Das gesamte
Kartellamt hat heute 150. Die Regulierungsbehörde soll
nichts anderes tun, als die Netzregulierung zu betreiben.


(Hubertus Heil [SPD]: Ein bisschen schwieriger ist es schon!)







(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Schauerte

– Ja. Aber es geht im Wesentlichen um die Netzregulie-
rung mit allen technischen Fragen, die damit in Verbin-
dung stehen. Insbesondere die technischen Fragen will
ich nicht unterbewerten. – Das Kartellamt hat eine viel
umfassendere Aufgabenstellung. Ich habe den Eindruck:
Weil sich die Regulierungsbehörden ausschließlich aus
Gebühren der beteiligten Marktteilnehmer finanzieren,
ist man großzügig. Da das Kartellamt ausschließlich aus
Steuern finanziert wird, bleibt man da im Hinblick auf
die Ausgaben eng. Ich halte von dieser Gewichts- und
Einflussverschiebung, die damit auch verbunden ist,
nichts. Ich halte sie für gefährlich.

Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen: Das Kartell-
amt hat einen Personalkostenanteil von 13,8 Millionen
Euro pro Jahr und einen Gesamthaushalt von 18 Millio-
nen Euro. Die Regulierungsbehörde, die bereits jetzt be-
steht, hat einen Haushalt von 108 Millionen Euro und
Personalkosten in Höhe von 94 Millionen Euro. Jetzt
kommen die 180 neuen Regulierer hinzu. Das heißt, es
wird noch einmal aufgebläht.

Das machen wir mit einer Behörde, von der wir ei-
gentlich sagen – Herr Heil, es wäre mir sehr wichtig,
wenn wir uns darüber noch einmal unterhalten könn-
ten –: Sie ist zur Einführung von Wettbewerb in schwie-
rigen Marktsegmenten, in denen wir mit Netzen zu tun
haben, die sich nicht einfach so sortieren lassen, notwen-
dig. Aber diese Behörde soll endlich sein. Sie soll nicht
für immer bestehen, sondern soll, wenn sie ihre Aufgabe
erledigt hat – ich bin immer noch nicht bereit, diesen
schönen Traum aufzugeben – und der Wettbewerb eini-
germaßen hergestellt ist, aufgelöst werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Aber das dauert noch ein bisschen!)


Das mag fünf Jahre oder zehn Jahre dauern. Aber in die-
sem Zeitraum muss das gelungen sein. Dann sind die
Restaufgaben, die Verhinderung von Missbrauch und
Ähnliches, durchaus von der Kartellbehörde zu schaffen.
Dann kann man die Behörde wieder einstampfen.

Meine Bitte für die Union ist deswegen, in diesen Be-
reichen bei der Personalbewirtschaftung nicht zu lang-
fristig zu denken. Wir haben hier eine Sonderaufgabe zur
Einführung von Wettbewerbselementen in einem
schwierigen Segment. Wir halten diese Aufgabe für zeit-
lich befristet lösbar. So bauen wir die Behörde auf.

Dazu sage ich Ihnen: Wenn Sie jetzt zusätzlich sehr
viel Personal hineinknallen, wird es eines Tages sehr
problematisch, wenn man es wieder abbauen muss. Wir
kennen ja die Prozesse, die dann stattfinden. Deswegen
sollte man mit Befristungen arbeiten, an die Zeitschiene
denken und die Personalplanung nicht gleich in lebens-
längliche Träume verwandeln. Sehr lange brauchen wir
nicht zur Einführung von Wettbewerb in unsere Netzsys-
teme.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Langfristig sind alle tot!)


– Frau Kollegin Hustedt, diese Behörde könnte gerade
noch während Ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin, die
möglicherweise zu erwarten ist, existieren. Spätestens
dann, wenn Sie die Altersgrenze erreicht haben, müsste
aber Schluss sein.


(Hubertus Heil [SPD]: Sollen wir die CDUVizepräsidenten rausschmeißen?)


Bitte gehen Sie also auf der Zeitschiene und auch im
Hinblick auf die Aufblähung vorsichtig an dieses Thema
heran! In beiden Bereichen scheinen Sie bisher entschie-
den zu weit zu gehen.

In diesem Zusammenhang ist mir auch noch einmal
wichtig, klar zu machen, dass wir auch die Bahnnetze in
dieses System einbauen und wirklich keine zusätzliche
Sonderregelung mehr fassen.

Um Wettbewerb auf dem Energiemarkt zu schaffen,
reicht natürlich ein diskriminierungsfreier Netzzugang
allein nicht aus. Er ist fast nur ein technisches Problem
mit vielen rechtlichen Fragestellungen. Der ganze Rest
bleibt beim Kartellamt und gehört weiterhin in den Be-
reich des Kartellamtes. Sonst bekommen wir Abgren-
zungsschwierigkeiten.


(Hubertus Heil [SPD]: Es gibt noch Netzregulierung!)


Alles, was nicht mit Netzzugang zu tun hat, ist im Prin-
zip Aufgabe der eigentlichen Wettbewerbsbehörde, die
interessanterweise eine größere Unabhängigkeit hat als
die Regulierungsbehörden und diese auch haben und be-
halten soll.

Lassen Sie mich noch einen anderen Gedanken ein-
führen. Ich würde auch empfehlen, bei den Regulie-
rungsbehörden die Beamtenstruktur in der Leitung ein
Stück beizubehalten. Wenn wir sie wie ein freies Unter-
nehmen behandeln, dann geht das in die Kosten. Denn
ein Präsident nach Gesichtspunkten der Wirtschaft und
ein Präsident nach öffentlich-rechtlichen Gesichtspunk-
ten finanzieren sich unterschiedlich. Meine Bitte ist,
diese Kosten wirklich schmal zu halten.

Eine Frage ist in diesem Zusammenhang sicherlich
bald zu beantworten. Daran haben wir durchaus Inte-
resse. Es geht um die Entkopplung von Öl- und Gas-
preis. Das haben Sie in Ihrem Antrag angesprochen. Ich
finde es in Ordnung, dass wir das problematisieren. Ich
gehe davon aus, dass sich das Kartellamt in kürzester
Zeit mit dieser Frage beschäftigt.


(Hubertus Heil [SPD]: Das ist keine gesetzliche Bestimmung! Das ist ein Vertrag!)


– Ja, aber trotzdem: Wenn Marktgeschehen falsch läuft,
liegt es meistens nicht am Gesetz, sondern am Verhalten
der Beteiligten. Insoweit ist das genau der Punkt, an dem
das Kartellamt eingreifen muss.


(Hubertus Heil [SPD]: Aber Sie wollen keinen politischen Einfluss auf das Kartellamt! Das machen die schon selber!)


– Das wird aber, wenn man ihm an dieser Stelle die Frei-
heit lässt, gern nachsehen, ob es denn bei dieser Koppe-
lung bleiben muss. Ich meine, ihre Sinnentleerung
schreitet fort. Ob der Zeitpunkt schon da ist, sie abzubre-
chen, ist eine andere Frage. Aber ob es richtig ist, dass






(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Schauerte

der Ölpreis letztlich den Gaspreis bestimmt, das muss
man berechtigt fragen können.

Ich denke, viel mehr muss man im Moment gar nicht
dazu sagen. Ihr Antrag wird, wie gesagt, von uns so
nicht akzeptiert, weil wir an einigen Punkten unter-
schiedlicher Meinung sind und wir den Ansatz, das jetzt
noch zusammenlegen zu wollen, für ein Stück irreal hal-
ten. Als Idee kann man es tatsächlich verfolgen. Unser
Ziel ist aber eher, die Fristigkeit des ganzen Prozesses
deutlich zu machen und dafür zu sorgen, nicht in Verges-
senheit geraten zu lassen, dass wir eigentlich eine große
Behörde für den Übergang planen und bitte nicht für län-
ger. Alle Beteiligten sollten wissen, dass wir sie als
Übergangsbehörde sehen und sie endlich ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516920400

Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1516920500

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

verstehe nicht ganz, warum dieser Antrag – wir hatten
nachgefragt, ob es nicht möglich sei – nicht doch mor-
gen im Paket mit dem Energiewirtschaftsgesetz behan-
delt werden kann oder schon vorher – er liegt schon län-
ger in der Pipeline – im Zusammenhang mit dem GWB
verhandelt werden konnte.

Ich habe nur eine Erklärung dafür, dass Sie es abge-
lehnt haben, nämlich dass dann absolut klar geworden
wäre, wie hoffnungslos veraltet dieser Antrag ist. Die
Entscheidung darüber, dass die RegTP die Regulie-
rungsbehörde für den Strom-, Energie- und Gassektor
werden wird, ist vor über einem Jahr gefallen. Von daher
ist diese Debatte völlig rückwärts gewandt.

Es wäre natürlich denkbar gewesen, dass das Bundes-
kartellamt zuständig wird. Das Bundeskartellamt hat
sich in der Vergangenheit ziemlich gute Meriten erwor-
ben, in diesem Vakuum der Verbändevereinbarung zu
retten, was zu retten ist. Ich habe dafür große Hochach-
tung und bin auch ständig im Gespräch mit dem Kartell-
amt. Das ist überhaupt nicht die Frage.

Aber man muss doch eines sagen: Es sind gerade ein-
mal zehn Leute, die sich im Kartellamt mit dieser Frage
beschäftigen. Es ist doch sehr unwahrscheinlich, wenn
man eine ernsthafte Regulierung eines Sektors wie des
Energie- und Gassektors will, dass man dann mit zehn
Leuten auskommt. Natürlich muss man auf 100 oder
150 Leute aufstocken, auch bei einer schlanken Be-
hörde. Das ist klar. Wir sind uns einig, dass so wenige
wie möglich eingestellt werden sollen. Aber wenn man
diesen komplizierten Sektor tatsächlich regulieren will,
dann muss es auch ein paar kompetente Menschen ge-
ben, die den Stromkonzernen tatsächlich in die Akten
gucken können.

Dann kann es nicht bei nur zehn Leuten bleiben. Das
bedeutet, dass wir so oder so eine neue Abteilung hätten
aufbauen müssen, entweder beim Kartellamt oder bei
der RegTP.


(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)

Die RegTP ist durchaus gut geeignet. Es gibt ein gu-

tes Argument, sich für die RegTP zu entscheiden: dass
sie auch für die Regulierung in den Bereichen Post und
Telekommunikation zuständig ist und auf Wunsch des
Bundesrates jetzt auch noch die Zuständigkeit für das
Schienennetz bekommt. Jetzt befindet sich also die Zu-
ständigkeit für alle monopolistisch organisierten Infra-
strukturen unter einem Dach.

Angesichts all der Unterschiede, die zwischen ihnen
bestehen, ist dieser Prozess unglaublich spannend. Ich
erwarte, dass große Synergieeffekte entstehen werden
und dass man im Hinblick auf die unterschiedlichen Re-
gulierungsansätze voneinander lernen wird. Das sieht
die RegTP – ihr neuer Name, an den wir uns langsam ge-
wöhnen sollten, lautet Netzagentur – genauso. Es gibt
bereits Pläne, ihre Mitarbeiter zum Beispiel im Kreis zu
schicken, damit sie etwas Distanz bekommen und von-
einander lernen. Ich glaube, dass das Kartellamt geeignet
gewesen wäre. Ich bin aber sicher, dass die neue Netz-
agentur einen spannenden Prozess in Gang setzen wird.

Herr Schauerte, auch Sie wissen, dass nur ein sehr
kleiner Teil der vielen Mitarbeiter der Regulierungsbe-
hörde für Telekommunikation und Post für die Regulie-
rung zuständig ist. Es handelt sich um etwa 150 bis
180 Mitarbeiter. Die übrigen Mitarbeiter sind für Ange-
legenheiten des ehemaligen Postministeriums zustän-
dig, die mit Regulierung gar nichts zu tun haben, zum
Beispiel für Frequenzen. Für den harten Kern der The-
men Wettbewerb und Regulierung ist eine überschau-
bare Anzahl von Leuten zuständig. Wenn diese Arbeits-
plätze überflüssig werden, muss man sie in der Tat
abbauen; hier stimme ich Ihnen zu.

Ein zweiter Punkt ist die weitgehende Unabhängig-
keit der Behörde. Ich glaube, auch hier besteht kaum
ein Unterschied zwischen dem Kartellamt und der neuen
Bundesnetzagentur. Beide sind dem Wirtschaftsministe-
rium unterstellt und für beide besteht die Möglichkeit
der Weisung. Wir sind uns einig, dass von dieser Mög-
lichkeit nur äußerst sparsam Gebrauch gemacht werden
darf. Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe nicht die Gefahr,
dass das ausufert. Zwar hat auch mir das eine oder an-
dere Mal etwas nicht gefallen. Aber ich muss ehrlich sa-
gen: Das beste Mittel, die Anzahl von Bundesweisungen
einzuschränken, ist die Öffentlichkeit, die kontrollieren
und auch protestieren kann.

Abschließend komme ich zum Thema Vizepräsi-
dentschaft. Das ist wirklich verlogen. Derzeit stellt die
SPD den Präsidenten, die CDU/CSU den Vizepräsiden-
ten und die FDP hat eine Vizepräsidentin benannt. Ent-
weder werden die Posten dem Parteienproporz entspre-
chend besetzt – dann müssen wir allerdings alle Parteien
„in the long run“ gleich behandeln – oder wir entschei-
den uns gegen den Einfluss der Parteien. Ich hoffe, Sie
sind der Überzeugung, dass die von Ihrer Partei be-
stimmte Vizepräsidentin kompetent ist.


(Gudrun Kopp [FDP]: Ja, natürlich!)







(A) (C)



(B) (D)


Michaele Hustedt

– Also, bitte. – Wenn wir uns nur an der Sachkompetenz
orientieren, dann muss aber auch das für alle Parteien
gelten. Ich sage Ihnen: Wenn wir die Umstrukturierung
der Behörde abgeschlossen haben, werden wir uns auch
dieser Frage ganz sachlich stellen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516920600

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/4561 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Engel-

bert Wistuba, Horst Kubatschka, Annette Faße,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

(Quedlinburg)

Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Die vielfältigen Potenziale des Wirtschaftsfak-
tors Kulturtourismus weiter erschließen
– Drucksache 15/5120 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(19. Ausschuss)

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Ernst Burgbacher, Marita Sehn, Helga
Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP zu der Beratung der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Tourismuspolitischer Bericht der Bundes-
regierung – 14./15. Legislaturperiode –

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Tourismuspolitischer Bericht der Bundesre-
gierung – 14./15. Legislaturperiode –

– Drucksachen 15/1799, 15/1303, 15/4623 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brähmig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Engelbert Wistuba, SPD-Fraktion.


Engelbert Wistuba (SPD):
Rede ID: ID1516920700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! „Hier ist’s jetzt unendlich schön“ –
das könnte das Zitat von einem der täglich 5 500 Besu-
cher sein, die über unseren Köpfen in der Reichstags-
kuppel nach oben laufen und von dort den Blick über
Berlin genießen. Der Reichstag und erst recht unsere
Hauptstadt sind kulturtouristische Attraktionen. Berlin
verzeichnete im vergangenen Jahr bei den Übernachtun-
gen ein Plus von 15,7 Prozent. Auch andere Städte konn-
ten von dem überdurchschnittlichen Wachstumstrend bei
Städtereisen profitieren.

„Hier ist’s jetzt unendlich schön“ – das werden viele
der 50 Millionen Deutschen sagen, die laut einer Unter-
suchung der „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Rei-
sen“ aus dem Jahr 2003 in den letzten drei Jahren in
ihrem Urlaub kulturelle oder historische Sehenswürdig-
keiten besucht haben.

„Hier ist’s jetzt unendlich schön“ ist aber das Zitat ei-
nes Kulturreisenden aus dem Jahre 1778: Der 29-jährige
Goethe schrieb dies an Freifrau von Stein und
schwärmte von seinem Besuch im Wörlitzer Park.


(Horst Kubatschka [SPD]: Goethe ist immer gut!)


Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich gehört heute zu den
30 UNESCO-Welterbestätten in Deutschland. Es gehört
– wie im Übrigen auch Goethe selbst – zum kulturellen
Reichtum unseres Landes. Dieser Reichtum zieht jedes
Jahr Millionen von Gästen aus dem In- und Ausland an.
Aus tourismuswirtschaftlicher Sicht stellt er eine wert-
volle Ressource dar. Er ist die entscheidende Basis für
wirtschaftliches Wachstum, Einkommen und Arbeits-
plätze im Kulturtourismus.

Im Kulturtourismus arbeiten zwei starke Partner zu-
sammen. Das wirtschaftliche Potenzial, das dieser Part-
nerschaft innewohnt, weiter zu erschließen ist das Ziel
unseres Antrages. Tourismus und Kultur können sich bei
ihren gemeinsamen Anstrengungen auf die Unterstüt-
zung der SPD-Bundestagsfraktion verlassen.


(Beifall bei der SPD)

Wie eine solche erfolgreiche Kooperation zwischen

Tourismus und Kultur aussehen kann, haben die zehn
Bewerberstädte um den Titel der Europäischen Kultur-
hauptstadt 2010 in den vergangenen Monaten ein-
drucksvoll gezeigt. Angesichts dieser Kreativität und des
Engagements unterstützen wir die Idee eines gemeinsam
von Bund und Ländern getragenen Wettbewerbs für eine
nationale Kulturhauptstadt.

Kulturtourismus liegt im Trend, es ist ein wachsender
Markt. Davon profitieren insbesondere die Städte, aber
auch ländlichen Regionen bietet er Chancen zur Gestal-
tung ihrer ökonomischen und sozialen Entwicklungsstra-
tegien. Ich bin dankbar, dass das Bundeswirtschafts-
ministerium bereits eine Studie zur ökonomischen
Bedeutung des Städte- und Kulturtourismus in Auftrag






(A) (C)



(B) (D)


Engelbert Wistuba

gegeben hat. Eine vergleichbare Untersuchung mit dem
Fokus auf ländliche Tourismusdestinationen halten wir
für notwendig.


(Beifall bei der SPD)

Denn auch der ländliche Raum hat seinen Gästen kultu-
rell viel zu bieten.

Kultur und Tourismus sind starke Partner; dies gilt in
Deutschland, das gilt aber auch im europäischen Rah-
men und weltweit. Durch den Maastrichter Vertrag und
aktuell durch den Vertrag über eine Verfassung für Eu-
ropa haben wir die Chance für eine europäische Kul-
turpolitik, die das Bewusstsein für die kulturelle Viel-
falt Europas einerseits und die gemeinsamen kulturellen
Wurzeln andererseits vertieft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für die Förderung einer europäischen Identität ist der
Tourismus ein wichtiger Partner und ein Motor des euro-
päischen Integrationsprozesses. Darum ist es uns Sozial-
demokraten wichtig, dass die Kulturförderung im euro-
päischen Kontext auf hohem Niveau fortgeführt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das betrifft Städtepartnerschaften, das betrifft den Ju-
gendaustausch, das betrifft die Weiterentwicklung des
EU-Programms „Kultur 2000“ über das Jahr 2006 hi-
naus. Grenzüberschreitende Projekte wie aktuell die Eu-
ropäische Route der Backsteingotik verdienen in diesem
Zusammenhang unsere ganz besondere Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Kultur und Tourismus, das ist auch ein spannungsrei-
ches Verhältnis: Aus tourismuswirtschaftlicher Sicht
muss Kultur buchbar und vermarktbar sein. Das kultu-
relle Angebot muss zielgruppenspezifisch aufbereitet
werden und barrierefrei zugänglich sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses marktwirtschaftliche Interesse mit dem Ziel der
Bewahrung des kulturellen Erbes in Einklang zu bringen
ist nicht immer einfach. Ich habe aber den Eindruck,
dass es immer besser gelingt. Dazu wird in Zukunft auch
der neue Ausbildungsberuf zum Kaufmann bzw. zur
Kauffrau für Tourismus und Freizeit beitragen. Dazu
sollten aber auch alle Beteiligten beitragen, indem sie
den Dialog zwischen Tourismusfachleuten und Kultur-
schaffenden fördern und diesen Themenbereich in der
Aus- und Weiterbildung fest verankern.

In Kultur zu investieren lohnt sich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dabei sind Bund, Länder und Gemeinden ganz beson-

ders gefordert. Als ostdeutscher Abgeordneter will ich
betonen, dass in den letzten 15 Jahren bei der Sanierung
kultureller Einrichtungen gerade in Ostdeutschland
Eindrucksvolles geleistet worden ist. Kulturtourismus ist
in vielen ostdeutschen Regionen ein wichtiges wirt-
schaftliches Standbein. Darum sind Investitionen in die
kulturelle Infrastruktur nachhaltige Investitionen in den
wirtschaftlichen Aufbau Ost.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Engagement der Bundesregierung für Kulturgü-
ter in Ostdeutschland von internationaler und nationaler
Bedeutung kann sich sehen lassen. Ich begrüße aus-
drücklich den Vorschlag der Kulturstaatsministerin an
die Ministerpräsidenten der Länder, 1 Prozent der Soli-
darpakt-II-Mittel für den Kulturbereich einzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist eine sehr sinnvolle Verwendung von Solidarpakt-
mitteln.

In die Kultur investiert nicht nur der Staat, in die Kul-
tur investieren auch engagierte Bürgerinnen und Bür-
ger. Die Zugänglichkeit von kulturellen Angeboten wäre
ohne ihre Investitionen von Zeit und Geld nicht denkbar.

In einer Untersuchung zum Freiwilligenengagement
kam das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend 1999 zu dem Ergebnis, dass im Kul-
turbereich 2,1 Millionen Menschen ehrenamtlich aktiv
sind. Diesen Menschen gelten unser Dank und unsere
Anerkennung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie erhalten Dorfkirchen verlässlich offen, betreiben
Heimatmuseen, inszenieren Musik- und Theaterveran-
staltungen und vieles mehr. Auch den vielen Stiftungen
und Vereinen, die sich mit großem finanziellen und zeit-
lichen Aufwand für den Erhalt unseres kulturellen Erbes
stark machen, soll an dieser Stelle ausdrücklich gedankt
werden.


(Beifall im ganzen Hause)

Die SPD-Fraktion wird konsequent weiter daran ar-

beiten, dass sich die Rahmenbedingungen für das bür-
gerschaftliche Engagement in unserem Land Schritt für
Schritt verbessern.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516920800

Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.


Engelbert Wistuba (SPD):
Rede ID: ID1516920900

Ich komme gleich zum letzten Satz. – Das liegt auch

im Interesse des Kulturtourismus.
Ich komme jetzt zum Schluss. Meine Damen und

Herren, die kulturelle Vielfalt ist ein Aushängeschild un-
seres Landes und des Deutschlandtourismus.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich mit Nachdruck
für Initiativen und Maßnahmen ein, die dieses Aushän-
geschild auf Hochglanz polieren und mit denen die gro-






(A) (C)



(B) (D)


Engelbert Wistuba

ßen wirtschaftlichen Wachstumspotenziale engagiert ge-
nutzt werden können.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516921000

Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1516921100

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Wir debattieren heute über die Situation der Tou-
rismuswirtschaft in Deutschland und sprechen über die
Potenziale des Wirtschaftsfaktors Kulturtourismus. Ein
gutes Jahr vor Beginn der Fußballweltmeister-
schaft 2006 ist dies auch dringend notwendig; denn das
einmalige Großereignis, das unserem Land im kommen-
den Jahr bevorsteht, muss unbedingt dafür genutzt wer-
den, der seit Jahren mit den strukturellen Problemen
unseres Wirtschaftsstandorts kämpfenden Reise-, Hotel-
lerie- und Gastronomiebranche zu neuen Geschäfts- und
Wachstumsimpulsen zu verhelfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer in den vergangenen Wochen die Bewerbung um

die erste Tranche von WM-Tickets mitverfolgt hat, kann
sich ein ungefähres Bild davon machen, welche Reise-
und Besucherströme unser schönes Land in den vier Wo-
chen zwischen dem 9. Juni 2006 und dem 9. Juli 2006
erwarten wird.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl!)

Darüber freuen wir uns. Gemäß dem Motto der Welt-
meisterschaft „Die Welt zu Gast bei Freunden“ wird die
deutsche Tourismuswirtschaft ihren Beitrag dazu leisten,
dass sich die Besucher aus dem In- und Ausland auch
auf dieser Reise wie zu Hause fühlen werden. Wir sind
natürlich sehr froh und stolz, dass unser Ausschussvor-
sitzender, Kollege Hinsken, in den entsprechenden Gre-
mien mitwirkt und vor allen Dingen – wie sich das ge-
hört – auch immer den Finger auf die noch offenen
Wunden legt.

Bei aller Vorfreude auf das kommende Jahr sollten
wir aber die tatsächliche Lage der Reisebranche unseres
Landes nicht aus den Augen verlieren. Es ist zwar rich-
tig, dass das Hotelgewerbe bei den Übernachtungszah-
len von Ausländern derzeit Zuwächse verzeichnen kann
– deutsche Reiseveranstalter melden Buchungszuwächse
und haben endlich auch die große Bedeutung des Inlands
als Reiseziel der Deutschen erkannt –, das Problem
bleibt jedoch der Binnenmarkt. Die Zahl der Gästeüber-
nachtungen von Bundesbürgern im eigenen Land ist seit
Jahren rückläufig. Darüber hinaus existiert nach wie vor
ein deutliches Reisebilanzdefizit in Höhe von circa
36 Milliarden Euro.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Dies bedeutet, dass die Deutschen nach wie vor deutlich
mehr Geld im Ausland ausgeben, als ausländische Gäste
bei uns im Lande lassen.

Die Kaufzurückhaltung, die sich die Bundesbürger an-
gesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage in unse-
rem Land seit Jahren auferlegen, trifft auch die deutsche
Tourismusbranche. Wer dennoch verreist, gibt deutlich
weniger Geld aus. Dies gilt sowohl für die Reiseleistung
selbst als auch für die Nebenkosten vor Ort. Man kann es
den Menschen auch nicht verdenken, dass sie angesichts
des desolaten Erscheinungsbildes der Bundesregierung
eher an morgen denken und abwartend agieren; denn wer
weiß schon heute, was bei der Regierung Schröder be-
reits morgen auf der Agenda stehen wird.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr! – Weiterer Zuruf der CDU/CSU: Das weiß er selbst nicht!)


Welche zusätzlichen Opfer werden den Bürgern noch
abverlangt, ohne dass diese dafür ein schlüssiges Ge-
samtkonzept und tragfähige Visionen für die Zukunft er-
warten dürfen?


(Brunhilde Irber [SPD]: Bierdeckel!)

Eines haben die Menschen im Lande schon lange mitbe-
kommen: Bei dieser Regierung fehlt jede Verlässlich-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [FDP] – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir schicken Herrn Schröder für lange Zeit in Urlaub!)


Wenn wir über die mittelständischen Unternehmen in
diesem Lande sprechen – hierzu gehört die Tourismus-
branche in großem Umfang –, ist es zwingend notwen-
dig, die Regierung immer wieder auf die Hauptursache
für die Probleme unseres Landes hinzuweisen. Diese
sind nicht konjunktureller Natur, sondern zutiefst struk-
tureller Art. Gerade die Tatsache, dass ein guter Umsatz
hierzulande noch lange keinen ausreichenden Gewinn
bedeutet, stellt für alle Gewerbetreibenden einen enor-
men Wettbewerbsnachteil dar. Durch anhaltend hohe
staatliche Gebühren und Abgaben wird die Wettbe-
werbsfähigkeit unserer Unternehmen in grotesker Art
und Weise untergraben.

Da die am Markt durchsetzbaren Preise zum großen
Teil völlig ausgereizt sind, bleiben mit dem Gewinn
auch die zukunftsweisenden Investitionen aus. Das
heißt, weniger neue Arbeitsplätze werden geschaffen
und weniger wird in die betriebliche Infrastruktur der
Unternehmen investiert. So werden beispielsweise un-
sere Hotel- und Pensionsbetriebe mit völlig überzogenen
und steigenden Forderungen der GEMA, anderer Ver-
wertungsgesellschaften für Urheberrechte sowie mit ho-
hen Rundfunkgebühren belastet.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das liegt nicht in der Verantwortung der Bundesregierung!)


Was als Service für die Gäste gedacht ist, erweist sich
als ein erheblicher Kostenfaktor, der bei mittelständi-
schen 100-Zimmer-Häusern mit fast 20 000 Euro pro






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brähmig

Jahr zu Buche schlägt und bei größeren Hotels leicht das
Drei- bis Vierfache erreicht. Frau Kollegin Irber, es ist
richtig, dass dies keine Aufgabe des Bundes, sondern
eine Aufgabe der Länder ist. Dafür haben wir uns frak-
tionsübergreifend verwandt, aber hierfür leider kein Ge-
hör gefunden.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das müssen Sie den Kollegen in den Ländern sagen!)


Aber nicht nur bei der reinen Betrachtung inländi-
scher Problemlagen sieht sich der Reise- und Verkehrs-
standort Deutschland enormen Herausforderungen ge-
genüber. Wir sollten daher die heutige Debatte auch dazu
nutzen, die Bundesrepublik Deutschland als Transit-
bzw. Umsteigeland in den internationalen Reiseströmen
unter die Lupe zu nehmen; denn gerade im direkten in-
ternationalen Vergleich wird umso deutlicher, dass wir
uns kein verlorenes Jahr für wohlgemeinte Sonntagsre-
den mehr leisten können.

Die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise
legen derzeit ein gewaltiges gesamtstaatliches Investi-
tionsprojekt im Luftverkehr auf.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Die staatliche Fluglinie Emirates ordert mehr als doppelt
so viele Großraum-Airbus-Flugzeuge vom Typ A380
wie die traditionsreiche Lufthansa, die dieser Tage ihren
50. Geburtstag feiert. Zwar profitieren die Unternehmen
am Persischen Golf derzeit noch von reich fließenden
Einnahmen aus dem Ölgeschäft, die direkt investiert
werden können. Aber gleichzeitig muss auch hier deut-
lich darauf hingewiesen werden, dass diese Flugzeug-
käufe zum Teil von der Bundesregierung durch Hermes-
bürgschaften unterstützt werden. Somit fördert der
deutsche Steuerzahler den Aufbau von Überkapazitäten
am Golf, die dann zu Niedrigpreisen auf den bundes-
deutschen Markt geworfen werden können.

Daneben vernachlässigt die rot-grüne Bundesregie-
rung auf sträfliche Weise die Interessenvertretung deut-
scher Fluggesellschaften bei der Vergabe von Lande-
rechten in Deutschland. Dies gilt ebenso für die
Behandlung von luftverkehrsrechtlichen Themen auf
europäischer Ebene, wo andere Mitgliedstaaten ihre Vor-
stellungen und Standards EU-weit durchsetzen können.

Aber nicht nur in Brüssel ist diese Bundesregierung
zu schnellem Handeln aufgefordert. Auch hierzulande
muss es uns in große Alarmbereitschaft versetzen, dass
das Genehmigungsverfahren für den Bauantrag einer
neuen Wartungshalle für den Airbus A380 am Frank-
furter Flughafen länger dauert als die komplette Errich-
tung eines neuen Flughafenterminals mit sechs Lande-
bahnen in Dubai.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist unglaublich, aber wahr! – Brunhilde Irber [SPD]: Das ist Ländersache! Dafür ist Herr Koch in Hessen zuständig!)


Bislang wurden im Planungsverfahren über fünf lau-
fende Meter Akten produziert. Dies zeugt nicht gerade
von Entbürokratisierung und Aufbruchstimmung.
Hier müssen wir mit klaren und schnellen Entschei-
dungen Handlungsfähigkeit beweisen, wenn wir im
Wettbewerb mittel- und langfristig bestehen wollen. Wir
fordern daher die Bundesregierung auf, tatkräftig daran
mitzuwirken, dass der dringend notwendige Ausbau des
Frankfurter Flughafens endlich Gestalt annimmt und die
privatwirtschaftlichen Investitionen endlich stattfinden
können.


(Brunhilde Irber [SPD]: Sagen Sie das einmal den Hessen!)


Andernfalls wäre die Rolle Frankfurts als internationales
Drehkreuz langfristig ernsthaft in Gefahr. Von dem
Schönefelder Flughafen in Berlin will ich erst gar nicht
sprechen.

Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz
muss auch für die wichtigen Infrastrukturprojekte in
Westdeutschland schnellstens Anwendung finden. Bei
5,2 Millionen Arbeitslosen gilt es, zukunftsfähige Ar-
beitsplätze in Deutschland zu sichern und nicht nach
Gründen zu suchen, die großen Investitionen zu verhin-
dern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Beim für den Tourismus so bedeutenden Luftverkehr

ist aber auch auf die von der rot-grünen Bundesregierung
angestoßene Debatte um eine Besteuerung von Kerosin
hinzuweisen. Im Interesse der vielen Menschen, die mit
dem Flugverkehr in Deutschland ihren Lebensunterhalt
verdienen, muss man Bundeskanzler Schröder mit Nach-
druck auffordern, seinen Bundesumweltminister Jürgen
Trittin endlich an die kurze Leine zu nehmen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er soll ihn an die frische Luft setzen!)


Wir können auch hier keine deutschen Alleingänge
gebrauchen, die nur als ideologischer Seelenbalsam der
Grünen zu gebrauchen sind.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sagen Sie mal etwas zur Kultur!)


Denn ansonsten drehen sich in Deutschland bald nur
noch die Rotorblätter der Windkraftwerke an den Küsten
von Nord- und Ostsee und auf den Feldern im Lande.


(Horst Kubatschka [SPD]: Was hat das mit Kulturtourismus zu tun?)


Man muss sich wirklich die Frage stellen: Wann fängt
diese Bundesregierung endlich damit an, nicht nur für
die Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Nach-
barn Politik zu machen? Wann beginnt sie endlich damit,
die richtigen Rahmenbedingungen für den Abbau von
Arbeitslosigkeit in Deutschland zu setzen?


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Damit hat sie schon längst angefangen!)


Dabei ist es doch gerade im Dienstleistungsbereich rela-
tiv einfach, Wachstumsimpulse zu setzen. Wenn jedes
deutsche Tourismusunternehmen von einer wirklich
ernst betriebenen Entbürokratisierung und einem Abbau
von EU-Wettbewerbsverzerrungen profitierte und nur je






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brähmig

einen Mitarbeiter einstellen würde, könnten Hunderttau-
sende neuer Arbeitsplätze geschaffen werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Interessant!)

Um Deutschland als Tourismusstandort optimal zu

positionieren, müssen wir uns aber auch auf unsere Stär-
ken besinnen. Wie das derzeit laufende Schillerjahr
zeigt, hat der Name Deutschland besonders als Heimat
hochwertiger Kulturgüter international einen sehr guten
Ruf. Herr Kubatschka, da werden Sie mir doch bestimmt
zustimmen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Woran das wohl liegt! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Schiller klingt auch besser als Kubatschka!)


Aus diesem Grunde ist der heute ebenfalls debattierte
Antrag der Regierungsfraktionen über die weitere Er-
schließung des Wirtschaftsfaktors Kulturtourismus in
Ansätzen zu begrüßen. Die in ihm geforderte Bereitstel-
lung zusätzlicher Bundesmittel für den Erhalt und die
Restaurierung von UNESCO-Welterbestätten wäre ein
wertvoller Beitrag zur Sicherung historischer Bau-
substanz. Herr Wistuba, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass
Sie intensiv auf dieses Thema eingegangen sind. Unsere
Arbeitsgruppe war vor wenigen Tagen in Xanten am
Niederrhein im Wahlkreis unserer Kollegin Falk. Diese
große Römerstadt würde massiv von der kulturellen und
finanziellen Unterstützung profitieren. Wir nehmen Sie
hier beim Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses Geld würde natürlich sinnvoll investiert. Da

haben Sie unsere Unterstützung. Die Unionsfraktion
wird jedoch genau prüfen, wo und in welcher Höhe Sie
diese geforderten Mittel in den Bundeshaushalt einstel-
len. Denn die Ankündigung hier ist das eine und das Ein-
stellen in den Bundeshaushalt und die Umsetzung bei
den Kulturstätten das andere.

Auch eine enge Kooperation zwischen der Deutschen
Welle, dem Auswärtigen Amt und der Deutschen Zen-
trale für Tourismus bei der Darstellung Deutschlands als
kulturhistorisches Reiseziel würde mit Sicherheit im
Ausland für zahlreiche neue Gäste sorgen können.
Jedoch muss an dieser Stelle erneut auch an eine alte
Unionsforderung erinnert werden. Wir können die Deut-
sche Zentrale für Tourismus, die im Auslandsmarke-
ting einen hervorragenden Job für Deutschland macht,
nicht immer weiter mit zusätzlichen Aufgaben belasten,
ohne gleichzeitig ihre Finanzausstattung nachhaltig zu
verbessern.

Hier verlangen die Regierungsfraktionen Unmögli-
ches und hätten es dabei doch in der Hand, in überflüs-
sige Regierungspropaganda fehlinvestierte Gelder ge-
winnbringend in die Marketingaktivitäten der Deutschen
Zentrale für Tourismus zu investieren.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Die gibt es ja nicht!)


Das sind die Fakten.
Der Tourismusstandort Deutschland steht großen He-

rausforderungen gegenüber. Betreiben Sie endlich eine
Politik, die sich mit der Lösung der drängenden Pro-
bleme unseres Landes beschäftigt!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Würden Sie endlich einmal überzeugende Lösungen prä-
sentieren, dann wäre den Menschen in Deutschland ein
großes Stück geholfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516921200

Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/

Die Grünen.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Rängen! Herr
Brähmig, es ist ja schön, dass Sie wenigstens zum
Schluss noch die Kurve zum eigentlichen Thema ge-
kriegt haben.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Zwei Punkte!)

Man muss daran erinnern: Wir wollten hier über die

Potenziale des Wirtschaftsfaktors Kulturtourismus reden
und außerdem über den tourismuspolitischen Bericht der
Bundesregierung, zu dem die FDP einen Antrag einge-
bracht hat. Ich kann nicht verstehen, dass Sie jede touris-
muspolitische Debatte – auch ich würde mir wünschen,
dass wir sie vor einem volleren Haus führten – benutzen,
um darzustellen, dass der Tourismus in Deutschland ei-
gentlich überhaupt nichts taugt und alles ganz furchtbar
und schrecklich ist. Den Eindruck kann ich nicht teilen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat er auch nicht gemacht! Er hat Pro und Kontra herausgestellt!)


– Es ist eine Interpretationsfrage, ob er das gemacht hat.
Jedenfalls hat er kaum zum Thema gesprochen. Er hat
vielmehr einen Rundumschlag gemacht, wie schrecklich
alles ist.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Zum tourismuspolitischen Bericht hat er eine themenbezogene Rede gehalten!)


– Herr Hinsken, ich möchte jetzt gerne zum Thema Kul-
turtourismus zurückkommen.

In der „Kölnischen Rundschau“ zum Beispiel – es ist
schließlich immer schwierig, so etwas einzugrenzen –
war neulich zu lesen, Tourismusforschung erinnere oft
an das berühmte Lesen im Kaffeesatz. Trends kämen
und gingen, ohne dass diese daran dächten, den Voraus-
sagen zu folgen. Keiner könne wirklich wissen, wie sie
sich entwickelten. Eines aber stehe fest: der Boom der
Städte- und Kulturreisen.

Ob man die Einschätzung der „Kölnischen Rund-
schau“ generell teilt oder nicht, mag dahingestellt sein.
Auf jeden Fall trifft es zu, dass Kultur und deren Ver-
marktung immer stärker in das Blickfeld von Städten






(A) (C)



(B) (D)


Undine Kurth (Quedlinburg)


und ganzen Regionen rücken. Es wird auch erkannt, dass
die Schnittmenge der Kulturinteressen von Einheimi-
schen und Gästen erstaunlich groß ist.

Zu dem Thema Kulturtourismus hat der Kollege
Wistuba schon sehr viel gesagt. Ich könnte auf weitere
Ausführungen verzichten, wenn Sie es geschafft hätten,
festzustellen, dass nicht ausschließlich die SPD-Frak-
tion, sondern die Koalition für das Verfolgen der in die-
sem Bereich angestrebten Ziele eintreten wird. Denn ich
glaube, dass wir mit dem, was wir erreichen wollen,
ziemlich dicht beieinander liegen.

Ich möchte noch einmal auf das Thema Denkmal-
schutz zu sprechen kommen; denn oft und zu Recht wird
es als sehr wichtig hervorgehoben, das Denkmal zu erle-
ben. Es gibt den inzwischen berühmten Gegensatz zwi-
schen der Aufforderung, auch Denkmäler zeitgemäßen
Nutzungsformen zuzuführen, und dem Problem, dass der
so genannte klassische Denkmalschutz in dem Sinne
verstanden wird, Historisches als Zeugnis der Ge-
schichte zu bewahren. Auf der einen Seite steht die Hal-
tung „Nicht berühren!“ und „Nicht betreten!“, auf der
anderen Seite wird zu Recht eine Nutzung eingefordert.

Auf der Jahrestagung der Landesdenkmalpfleger im
vergangenen Jahr hat man sich dieses Problems ange-
nommen. Dabei wurde sehr deutlich herausgestellt, dass
es Baudenkmäler ohne Nutzung schwer haben. Es ist
unabdingbar, Kompromisse für die Nutzung zu finden,
damit die Baudenkmäler nicht untergehen; denn – ich
zitiere –: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.“

Vorgeschlagen wurde unter anderem, zum Beispiel
Denkmalgruppen zu touristischen Alleinstellungsmerk-
malen bestimmter Regionen oder Länder zusammenzu-
fassen. Das ist eine sehr kluge und richtige Idee, die auch
greift. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel ist
das in der Bäderarchitektur erfolgt, in Sachsen-Anhalt in
der Gartenkunst. 40 der bedeutendsten, für Einheimi-
sche wie für Touristen gleichermaßen reizvolle Anlagen
sind in dem Netzwerk „Gartenträume – Historische
Parks in Sachsen-Anhalt“ zusammengefasst. Im nächs-
ten Jahr sollen diese „Gartenträume“ das touristische
Schwerpunktthema des Bundeslands Sachsen-Anhalt
werden.

Die wichtige Rolle der Stiftungen – zum Beispiel der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt – ist bereits hervor-
gehoben worden. Ich möchte noch einmal betonen, dass
auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt in diesem
Bereich sehr aktiv ist. Auch die UNESCO ist bereits an-
gesprochen worden.

Lassen Sie mich aber in diesem Zusammenhang da-
rauf hinweisen, dass sich Kulturtourismus nicht allein
auf das Erleben von Denkmälern beschränkt. Im Vorteil
sind die Touristiker, die bei der Produktgestaltung auf
weitere kulturelle Angebote zurückgreifen können, so-
fern es diese noch gibt. Vielerorts war man nämlich der
Meinung, in touristisch interessanten Gegenden könne
man gut und gerne auf ein Museum oder Theater ver-
zichten; man könne diese Einrichtungen schließen und
trotzdem weiter gute Geschäfte machen. Das ist eine
irrige Auffassung. Wir müssen diejenigen, die über gute
kulturelle Angebote verfügen, darauf hinweisen, dass sie
diese erhalten müssen, um auch dem Wirtschaftszweig
Tourismus wirkungsvoll unter die Arme greifen zu kön-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


– Es freut mich, dass es dafür Zustimmung gibt, und ich
hoffe, dass wir mit diesem Antrag gemeinsam eine gute
Grundlage dafür schaffen, dass die Bedeutung von Kul-
tur auch für den Wirtschaftszweig Tourismus viel besser
und mit einer größeren Breitenwirkung berücksichtigt
wird.

Auch über die Barrierefreiheit ist schon etwas ausge-
führt worden, sodass ich darauf nicht näher eingehen
möchte.

Ich hoffe, wie gesagt, dass wir zu einer breiten Ver-
ständigung darüber kommen, wie wichtig kulturelle An-
gebote sind, um touristische Angebote weiterzuentwi-
ckeln, sodass sie eine gute Grundlage bilden können, um
diesen Wirtschaftszweig nach vorne zu bringen. Ich
hoffe deshalb, dass wir mit dem vorliegenden Antrag,
der heute an die Ausschüsse überwiesen werden soll, ein
gutes Ergebnis erzielen werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516921300

Das Wort hat der Kollege Ernst Burgbacher, FDP-

Fraktion.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1516921400

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin,

wenn Sie so erkältet sind, kann ich Ihnen nur empfehlen:
Kommen Sie nach Baden! Dort sollten Sie sich von der
Sonne und dem guten Wein verwöhnen lassen; auch das
ist Deutschlandurlaub. Dann erholen Sie sich wieder
ganz schnell.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516921500

Sofort über das Wochenende, Herr Kollege.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1516921600

Da ich nur wenig Zeit habe und zu beiden Bereichen,

über die wir heute reden, etwas sagen möchte, kann ich
nur ein paar Stichworte nennen. Zum Thema „Touris-
muspolitischer Bericht der Bundesregierung“: Liebe
Frau Kollegin Kurth, es geht nicht darum, dass wir sa-
gen, dass überhaupt nichts läuft. Wir haben ja einiges ge-
tan, manches auch gemeinsam. Das sei ausdrücklich ge-
sagt. Ich möchte nur auf die Berichte aus der 14. und
15. Legislaturperiode verweisen. Manches ist auch auf
Initiative und massiven Druck der FDP geschehen. Ich
denke dabei beispielsweise an die Abschaffung der
Trinkgeldbesteuerung


(Lachen bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Ernst Burgbacher

und an die Neuregelung touristischer Beschilderungen.
Das hat dem Tourismus durchaus geholfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle sind froh, dass sich die Zahl der Übernach-
tungen ausländischer Gäste sehr gut entwickelt. Auch
die Zahl der Übernachtungen inländischer Gäste ist
leicht gestiegen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass
wir auf einem sehr tiefen Stand waren und dass einiges
weit besser laufen könnte. Wenn wir im Bereich der Bü-
rokratie, auf dem Arbeitsmarkt und bei den Energiekos-
ten, die hoch sind, endlich entgegensteuerten, dann
könnten wir ganz andere Zahlen haben und mehr Ar-
beitsplätze im touristischen Bereich schaffen. Das ist der
Punkt, um den es uns geht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Thema Kulturtourismus ist entscheidend und

wichtig. Nun sagen viele Forscher in diesem Bereich,
dass Kulturtourismus ein Trend ist, der weiter zunehmen
wird, und dass Deutschland mit vielen kulturellen High-
lights in allen Bereichen hier hervorragend aufgestellt
ist. Herr Kollege Wistuba, das meiste, was Sie gesagt ha-
ben, unterschreibe ich. Deshalb möchte ich zwei Berei-
che nennen, die noch nicht so ausführlich geschildert
worden sind:

Erstens. Kulturtourismus ist sehr häufig Bustouris-
mus. Viele Ziele und Reisen gerade im Bereich Kultur
werden von Busreiseveranstaltern angeboten. Deshalb
geht es auch darum, diesen das Leben zu erleichtern und
endlich einen solchen Unsinn wie eine Ökosteuer für
Busse abzuschaffen. Wir dürfen die Busunternehmen
nicht benachteiligen, sondern wir müssen ihnen faire
Wettbewerbschancen geben. Das muss einmal gesagt
sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zweitens. Frau Staatsministerin Dr. Weiss, ich freue

mich, dass Sie heute hier sind. Wir haben vor kurzem
eine Debatte über die Breitenkultur geführt. Neben den
kulturellen Highlights sollten wir viel stärker herausstrei-
chen, dass wir – ich behaupte: wie kein anderes Land –
eine breite und qualitativ hochwertige Laienkultur haben.
Ich selbst bin im Bereich der Laienmusik ehrenamtlich
tätig. Wir haben riesengroße Feste von hervorragender
Qualität. Ich kann nur dafür werben, hier mehr zu tun und
die Verbindung zwischen der Laienkultur und dem Tou-
rismus in Deutschland viel mehr in den Vordergrund zu
stellen. Ich hoffe, dass die DZT hier noch mehr einsteigt,
als sie das bisher schon getan hat; denn hier gibt es
enorme Chancen, die wir nutzen sollten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Das meiste, was

in Ihrem Antrag steht, unterstützen wir durchaus. Des-
halb mache ich den Vorschlag, uns zusammenzusetzen
und zu sehen, ob wir nicht einen interfraktionellen An-
trag erarbeiten können. Wir haben in der Vergangenheit
im Tourismusausschuss vieles gemeinsam erreicht. Das
könnte eine Gelegenheit sein, erneut einen gemeinsamen
Versuch zu unternehmen. Ich jedenfalls biete Ihnen Zu-
sammenarbeit an.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516921700

Das Wort hat die Kollegin Annette Faße, SPD-Frak-

tion.

Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1516921800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Nachfrageschub im neuen Jahr“ und „Mit Dynamik ins
Jahr 2005: Reiseland Deutschland boomt“, das sind zwei
Überschriften von Presseerklärungen der DZT, zu der
wir alle stehen und die wir alle gelobt haben. Seit Januar
dieses Jahres haben wir einen deutlichen Zuwachs so-
wohl bei der Zahl der ausländischen Gäste als auch bei
der Zahl der Inlandsbuchungen zu verzeichnen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dort schaut es nicht so gut aus!)


Eine Umfrage hat ergeben, dass die Hotelbranche im
laufenden Jahr eine Steigerung von bis zu 5 Prozent er-
wartet. Das sichert Einkommen und Arbeitsplätze in der
Branche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Uns liegt ein sehr umfangreicher Tourismuspoliti-
scher Bericht vor. Ich möchte dafür herzlich danken.
Wir, die SPD-Fraktion, haben in den vergangenen Jahren
konsequent zur Stärkung der Tourismusbranche beige-
tragen. Das wird auch so bleiben.

Aber wir sollen hier eher darüber diskutieren, wofür
der Bund zuständig ist, und nicht darüber, wofür die
Länder zuständig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Frankfurter Flughafen liegt immer noch in Hessen,
weswegen das Land Hessen zuständig ist.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Bund ist doch Anteilseigner!)


Wir können auch das Thema Kerosinbesteuerung er-
örtern. Es gibt über alle Parteigrenzen hinweg einen
breiten Konsens, dass diese Angelegenheit nicht auf na-
tionaler Ebene geregelt werden kann. Wie Sie wissen, ist
das auch auf europäischer Ebene kaum zu regeln. Man
kann der Bundesregierung daher keinen Vorwurf ma-
chen. Man muss die Tatsachen zur Kenntnis nehmen und
versuchen, Veränderungen vorzunehmen. Der Finanzmi-
nister hat dieses Thema erst vor kurzem wieder auf euro-
päischer Ebene angesprochen. Er hat also versucht, die-
sen Weg zu gehen.

Mein lieber Kollege Brähmig, Sie haben sich hier mit
der Verkehrsinfrastruktur ganz massiv auseinander ge-
setzt. Aber Sie haben leider nicht erwähnt – das tue ich
dafür heute sehr gern –, dass uns für einen Zeitraum von
vier Jahren 2 Milliarden Euro mehr für alle Bereiche der
Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Annette Faße

Das wird dem Tourismus helfen, Herr Brähmig.

Wir haben in den vergangenen Jahren Anträge einge-
bracht, die sich mit dem barrierefreien Reisen, mit dem
Tourismus in, an und auf dem Wasser, mit Chancen des
Tourismus auf europäischer Ebene befasst haben. Heute
beraten wir unseren Antrag zum Kulturtourismus. Herr
Kollege Burgbacher, vielleicht hätten auch Sie auf die
Idee kommen können, so einen schönen Antrag zu stel-
len. Möglicherweise können wir zusammenarbeiten. Ich
will das heute nicht ausschließen.

Wir alle treten für die DZT ein. Die DZT ist kontinu-
ierlich mit Mitteln ausgestattet worden. Jeder kann sich
mehr wünschen. Wir geben ihr mehr, nämlich
3 Millionen Euro mehr für die Erstellung des Gastgeber-
konzeptes für die Fußballweltmeisterschaft. Sie hat
also eine neue Aufgabe und mehr Geld.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen diese Fußballweltmeisterschaft nutzen,
uns der Welt, also nach außen, positiv darzustellen. Wir
wollen für Nachhaltigkeit sorgen. Da sind wir alle, der
Tourismus, aber auch alle Bereiche um ihn herum, gefor-
dert. In der nächsten Ausschusssitzung werden wir uns
mit diesem Thema noch einmal sehr ausführlich befas-
sen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Diese Auffassung teile ich!)


Wir haben eine weitere Konsequenz gezogen, indem
wir ein neues Berufsbild geschaffen haben. In Mecklen-
burg-Vorpommern gibt es die erste vollständige Berufs-
schulklasse für diesen neuen Beruf; die DZT und die ers-
ten Freizeitparks bilden aus. Wir sind also flexibel
gewesen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammer-
tag geht von bis zu 800 Ausbildungsverträgen aus.

Wir machen uns stark und wir erreichen auch etwas
für die Branche. Das zeigen die Aktivitäten der letzten
Jahre. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Wir haben
uns auch im Ausschuss mit den neuen Berechnungssys-
temen auseinander gesetzt, und zwar sehr strittig. Aber
wir brauchen natürlich seriöse europäisch und internatio-
nal vergleichbare Zahlen; darauf sind wir angewiesen.
Ich denke, es ist klar und es besteht weitgehend Einig-
keit darüber, dass wie bisher zusätzliche Bereiche in die
Berechnung aufgenommen werden sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Heute liegt auch ein FDP-Antrag vor. Wir lehnen ihn
aus mehreren Gründen ab:


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ach, das kann doch nicht wahr sein!)


Was die Mehrwertsteuersätze angeht, liegen wir im
guten Mittelfeld. Wir haben daher keinen Anlass, die
Steuersätze zu senken.

Was die Fragen zum Jugendarbeitsschutzgesetz an-
geht, muss ich wirklich sagen: Wer meint, dadurch mehr
Ausbildungsplätze schaffen zu können, dass die Nacht-
arbeitszeiten endlos ausgedehnt werden, der liegt falsch.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung, Frau Kollegin!)


Die Arbeitsplätze, die dadurch entstünden, wären dem
unteren Lohnniveau zuzuordnen. Es ginge zum Beispiel
darum, abends noch aufzuräumen; zu lernen gäbe es da
nichts mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage noch einmal ganz klar und deutlich: Der

Tourismus in Deutschland boomt. Jeder hat eine Vorstel-
lung davon, wie man etwas verbessern kann.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir machen es ja auch besser!)


Das gilt auch für uns. Wir glauben, dass unter anderem
die Verabschiedung unseres heutigen Antrags zu einer
Verbesserung beiträgt. Das Reiseland Deutschland hat
von der weitestgehend guten Arbeit der DZT im Ausland
wie im Inland profitiert. Deutschland ist in und das las-
sen wir uns von Ihnen nicht schlechtreden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516921900

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/5120 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 10 b: Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Tourismus auf Drucksache 15/4623. Der Ausschuss
empfiehlt, in Kenntnis des Tourismuspolitischen Be-
richts der Bundesregierung für die 14. und 15. Wahlpe-
riode auf Drucksache 15/1303 den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1799 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegen-
stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo
Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Bürokratieabbau bei der Kreditvergabe vo-
ranbringen
– Drucksache 15/4842 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

Die Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger, Otto
Bernhardt, Stefan Müller (Erlangen), Jutta Krüger-Jacob






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

und Dr. Volker Wissing haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4842 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea

Wicklein, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard Loske, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Rahmenbedingungen für die industrielle stoff-
liche Nutzung von nachwachsenden Rohstof-
fen in Deutschland schaffen
– Drucksache 15/4943 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael
Goldmann, Michael Kauch, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Die vielfältigen Potenziale nachwachsender
Rohstoffe für die nachhaltige Entwicklung
ausschöpfen
– Drucksache 15/3358 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Die Abgeordneten Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Andrea Wicklein, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),
Helmut Lamp, Dr. Antje Vogel-Sperl und Dr. Christel
Happach-Kasan haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/4943 und 15/3358 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
1) Anlage 7
2) Anlage 8
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Karin
Kortmann, Detlef Dzembritzki, Siegmund
Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Volker Beck (Köln), Antje Hermenau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Entwicklungszusammenarbeit der EU
konstruktiv weiterentwickeln – Effizienz
und Nachhaltigkeit verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ralf
Brauksiepe, Dr. Christian Ruck, Peter Hintze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Mehr Mut zur Reform der EU-Entwick-
lungszusammenarbeit

– Drucksachen 15/2338, 15/1215, 15/4972 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Kortmann
Dr. Ralf Brauksiepe
Thilo Hoppe
Markus Löning

Die Abgeordneten Karin Kortmann, Dr. Ralf
Brauksiepe, Thilo Hoppe und Markus Löning haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.3)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung auf Drucksache 15/4972. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2338 mit
dem Titel „Die Entwicklungszusammenarbeit der EU
konstruktiv weiterentwickeln – Effizienz und Nachhal-
tigkeit verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 15/1215 mit dem Titel „Mehr Mut zur Reform der
EU-Entwicklungszusammenarbeit“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU
und der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Energieeinsparungsgesetzes
– Drucksache 15/5226 –

3) Anlage 9






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Achim Großmann.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1516922000


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das energiesparende Bauen hat in Deutschland in den
letzten Jahrzehnten große Bedeutung erlangt und ist fast
schon zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Seit der
ersten Ölkrise haben wir große Fortschritte gemacht. Im
Vergleich zu den Anforderungen von 1974 müssen die
Gebäude zunehmend besser gegen Wärmeverluste ge-
dämmt werden. Auch die Heizungsanlagen sind immer
energieeffizienter geworden. Der Heizenergieverbrauch
je Quadratmeter Wohnfläche ist in den letzten 20 Jahren
um etwa 40 Prozent gesunken. Neubauten nach der Ener-
gieeinsparverordnung haben rechnerisch einen durch-
schnittlichen Heizenergiebedarf von umgerechnet nur
noch 7 Litern Heizöl pro Quadratmeter und Jahr. Zum
Vergleich: Altbauten in Deutschland haben einen durch-
schnittlichen Heizenergiebedarf von rund 20 Litern
Heizöl pro Quadratmeter und Jahr.

Diese Entwicklung hat für Aufträge in der Bauwirt-
schaft gesorgt und wichtige Impulse zur nachhaltigen
energetischen Verbesserung der Gebäudesubstanz gege-
ben. Sie leistet einen wichtigen Beitrag für den Klima-
schutz. Bei steigenden Energiepreisen hat sie auch zur
Begrenzung des Anstiegs der Wohnnebenkosten beige-
tragen.

Rund 30 Jahre nach der Einbringung des ersten Ener-
gieeinsparungsgesetzes in den Deutschen Bundestag
muss nun die europäische Richtlinie über die Gesamt-
energieeffizienz von Gebäuden in deutsches Recht um-
gesetzt werden. Vieles von dem, was uns Brüssel auf-
trägt, ist im deutschen Recht bereits verankert. Dies
betrifft zum Beispiel die ganzheitliche Bewertung des
Energiebedarfs von Neubauten, die energetischen Anfor-
derungen an Bauteile, die von Änderungen eines beste-
henden Gebäudes betroffen sind, die Ausstellung und
Vorlage von Energieausweisen für Neubauten und unter
gewissen Voraussetzungen auch für den Gebäudebestand
und schließlich die regelmäßige Inspektion von Hei-
zungsanlagen und vieles mehr.

Wir müssen unser Recht aber in einigen Punkten er-
gänzen, um den besonderen Anforderungen der Gebäu-
derichtlinie zu entsprechen. Dies soll in zwei Schritten
geschehen.

Erstens. Die inhaltliche Umsetzung der einzelnen Re-
gelungen soll durch eine Novellierung der Energieein-
sparverordnung erfolgen.

Zweitens. Zuvor müssen wir aber das Energieein-
sparungsgesetz ändern, damit sich der Verordnungsgeber
bei der Novellierung der Energieeinsparverordnung auf
sicherem Boden bewegen kann. Das Energieein-
sparungsgesetz bildet die gesetzliche Grundlage zum Er-
lass dieser Energieeinsparverordnung. Die geltenden
Verordnungsermächtigungen müssen deshalb erweitert
werden, um den Verordnungsgeber in die Lage zu ver-
setzen, die Gebäuderichtlinie vollständig umzusetzen. In
anderen Worten: Mit der Änderung wird der Gestal-
tungsrahmen des Verordnungsgebers abgesteckt.

Die Richtlinie ist bis Anfang 2006 in nationales Recht
umzusetzen. Da die fristgerechte Umsetzung europäi-
scher Rechtsakte für die Bundesregierung hohe Priorität
hat, beschränkt sich der vorliegende Gesetzentwurf da-
rauf, die für eine rechtzeitige Umsetzung unbedingt er-
forderliche Änderung des Energieeinsparungsgesetzes
vorzusehen.

Mit der Gesetzesänderung werden keine inhaltlichen
Vorentscheidungen getroffen. Ich möchte deshalb nur
kurz auf die wesentlichen Erweiterungen der gesetzli-
chen Verordnungsermächtigungen eingehen.

Wir müssen verbindliche Energieausweise für den
Fall des Verkaufs und der Vermietung bestehender Ge-
bäude einführen. Dazu gehört auch die Pflicht des Aus-
hangs von Energieausweisen in öffentlichen Gebäuden
mit großem Publikumsverkehr. Die Richtlinie spricht in
ihren Erwägungsgründen ausdrücklich die Vorbildfunk-
tion der öffentlichen Hand an. Neu ist ferner die Pflicht
zur regelmäßigen Inspektion von Klimaanlagen.
Schließlich gilt es, die Energieanteile von Beleuchtung
und Klimaanlagen in Nichtwohngebäuden in den Ge-
samtenergiebedarf mit einzubeziehen.

Besondere Aufmerksamkeit gebührt dem obligatori-
schen Energieausweis im Gebäudebestand. Er wird
zweifellos die größte Breitenwirkung in der Umsetzung
der Richtlinie entfalten. Das zeigt schon die zunehmende
und sehr lebhafte Diskussion in der Öffentlichkeit. Des-
halb ist die neue Ermächtigung der Bundesregierung, In-
halt und Ausgestaltung von Energieausweisen für beste-
hende Gebäude vorzugeben, das Kernelement des
Gesetzentwurfs.

Bestandsausweise werden die Informationslage von
Käufern und Mietern spürbar verbessern. Diese können
Einsicht in Daten über die energetische Qualität des je-
weiligen Gebäudes nehmen und verschiedene Objekte
überschlägig miteinander vergleichen. Diese Transpa-
renz nützt dem Verbraucher. Sie erweitert den Wettbe-
werb auf dem Immobilienmarkt. Wir setzen darauf, dass
viele Eigentümer unter diesen Bedingungen verstärkt in
energetisch modernisierungsbedürftige Häuser investie-
ren. Das ist gut für Deutschland und wird auch zur Si-
cherung von Arbeitsplätzen führen.

Deshalb haben wir uns entschlossen – Kanzler
Schröder hat das im März in seiner Regierungserklärung
verkündet –, das KfW-Programm zur energetischen Ge-
bäudesanierung in 2006 und 2007 weiter mit jährlich
360 Millionen Euro zu unterstützen. Damit stoßen wir
Investitionen in Höhe von circa 5 Milliarden Euro an


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wollen wir noch mehr!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Achim Großmann

und es werden etwa 35 000 bis 40 000 Arbeitsplätze im
Baugewerbe und im vor- und nachgelagerten Bereich
gesichert oder neu geschaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei den Energieausweisen ist klar: Sie müssen zen-
trale Kriterien erfüllen. Sie müssen einfach erstellt wer-
den können, für den Verbraucher leicht verständlich sein
und der Preis muss stimmen. Wichtig ist auch, dass die
Anforderungen an die Qualifikation der Fachleute ange-
messen sind.

Wenn uns eine optimale Gestaltung dieser Ausweise
gelingt, kann der Ausweis das Schlüsselelement einer
modernen Informationspolitik zum energiesparenden
und umweltgerechten Bauen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beratungen in
den Ausschüssen geben Gelegenheit, über den engeren
formalen Rahmen der Gesetzesänderungen hinaus die
inhaltlichen Grundsätze und Eckpunkte gerade bei den
Energieausweisen für den Gebäudebestand zu erörtern.

Mit dem Gesetzentwurf, der heute vorgelegt wird, le-
gen wir den Grundstein zur Umsetzung der EU-Gebäu-
derichtlinie. Ich möchte Sie schon heute um eine breite
Unterstützung dieser Vorlage bitten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516922100

Das Wort hat der Kollege Thomas Dörflinger, CDU/

CSU-Fraktion.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1516922200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem
Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten,
schaffen wir sozusagen den rechtlichen Rahmen für die
Umsetzung der erwähnten EU-Richtlinie, aber wir neh-
men mit der Schaffung des Rechtsrahmens auf Basis des
Regierungsentwurfs, wie er uns vorliegt, in einigen
Punkten auch Weichenstellungen vor; insofern unter-
scheiden wir uns etwas, Herr Staatssekretär. Über diese
Weichenstellungen müssen wir, wenngleich man unter-
schiedlicher Auffassung darüber sein kann, ob sie quali-
tativ hoch oder weniger hoch anzusiedeln sind, in den
Beratungen reden.

Wir sind uns sicher über das Ziel Energieeinsparung
völlig einig. Angesichts von Kioto und Rio ist diese
Frage in diesem Hause sicherlich keiner Debatte wert.
Ich signalisiere einmal mehr für die Unionsfraktion im
Deutschen Bundestag die Bereitschaft zu konstruktiver
Mitarbeit an diesem Gesetzentwurf wie auch bei den Be-
ratungen zum Energiepass. Das habe ich auch schon bei
der ersten Lesung eines von uns eingebrachten Antrags
getan, der zum Inhalt hatte, sich darüber Gedanken zu
machen, wie wir den Energiepass inhaltlich ausgestalten
sollen. Nun haben wir allerdings mit einigem Missmut
zur Kenntnis genommen, dass die Beratung dieses An-
trags im zuständigen Ausschuss und im Plenum des
Deutschen Bundestages nicht fortgesetzt wurde. Jetzt ist
uns auch klar, warum: Sie mussten Zeit gewinnen, damit
der Bundeskanzler am 17. März in seiner Regierungser-
klärung das KfW-Programm ankündigen und sich quasi
als Erfinder des Pulvers darstellen konnte. Die Abfolge
der Dinge war eine andere. Wir beide, Herr Kollege
Fischer, wissen das, nehmen das aber so zur Kenntnis.

Gegenstand unseres damaligen Antrags war, dass wir
uns auch die Erfahrungen in anderen europäischen Staa-
ten, die diese Richtlinie schon umgesetzt haben, vor Au-
gen führen, um davon bei ihrer Umsetzung hierzulande
zu profitieren. Wir hätten uns auch gewünscht und wün-
schen es uns nach wie vor, die Erfahrungen aus den
Feldversuchen der Dena und des GdW-Bundesverbandes
deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen
quasi synoptisch nebeneinander zu legen, um so zusam-
men mit den in anderen europäischen Staaten gesammel-
ten Erfahrungen eine vernünftige Grundlage zu haben,
wenn wir anschließend darangehen, die Dinge in natio-
nales deutsches Recht umzusetzen. Ich erinnere an die
Beratungen zum Europarechtsanpassungsgesetz Bau, wo
sowohl die Bundesregierung als auch die Berichterstatter
der im Bundestag vertretenen Fraktionen in einer, wie
ich fand, sehr konstruktiven Atmosphäre dafür gesorgt
haben, dass eine Eins-zu-eins-Umsetzung des europäi-
schen Rechts in das nationale Recht geschah, und wün-
sche mir, Herr Staatssekretär, dass wir das hier auch ma-
chen. Ich werde an einigen Punkten versuchen,
nachzuweisen, dass Sie bereits mit dem Gesetzentwurf,
der uns heute zur Beratung vorliegt, über diese Eins-zu-
eins-Umsetzung hinausgehen. Weil wir in vielen anderen
Bereichen berechtigterweise davon reden, europäisches
Recht auch mit Blick auf diejenigen, die davon betroffen
sind, nicht zuletzt in der Wirtschaft, eins zu eins umzu-
setzen und nichts hinzuzufügen, sollten wir auch bei
dem vorliegenden Gesetz keine Ausnahme machen.

Bei der Materie, die wir heute beraten, haben wir den
klassischen Fall, dass ein Erfolg erst dann sichtbar wird,
wenn das, was wir hier gesetzgeberisch tun, bei den Be-
troffenen – das ist letztlich der einzelne Bürger oder die
einzelne Bürgerin, der oder die ein Haus besitzt – Ak-
zeptanz findet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen halte ich es schon für ein bisschen übertrie-
ben, wenn gleich mit dem § 8 „Bußgeldvorschriften“ die
Kostenkeule geschwungen wird. Ich muss doch den
Leuten zunächst einmal erklären, was ich mache, warum
ich es mache, was das Gesetz zum Inhalt hat und was es
für den Verbraucher oder die Verbraucherin möglicher-
weise für Vorteile, auch ökonomischer Natur, hat. Nach-
dem ich dann auch die Sanktionsmöglichkeiten erklärt
habe, kann ich eventuell mit dem Bußgeld kommen.

Diese Materie hat zwar unter den Fachleuten dieses
Hauses und auch auf Verbandsseite eine recht breite Öf-
fentlichkeit gefunden – da stimme ich Ihnen zu, Herr






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Dörflinger

Staatssekretär –, aber diejenigen, die es schlussendlich
angeht, nämlich der einzelne Hausbesitzer oder die ein-
zelne Hausbesitzerin, sind nicht im Bilde, was da auf sie
zukommt. Deswegen wäre es schön, wenn das die Bun-
desregierung, die ja ansonsten in Sachen Öffentlichkeits-
arbeit sehr fleißig ist, zum Anlass nehmen würde, eine
breite Informationskampagne zu starten, die sich gerade
an die Adresse von Hausbesitzerinnen und Hausbesit-
zern richtet, damit diese wissen, was möglicherweise auf
sie zukommt, und sich mit dieser Materie vertraut ma-
chen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir versprechen uns ja – ich komme noch einmal auf die
Beratung im Rahmen der ersten Lesung unseres Antrags
zurück – von diesem Gesetz und dem Energiepass nicht
nur einen ökologischen, sondern letztlich auch einen ar-
beitsmarktpolitischen Effekt. Der arbeitsmarktpolitische
Effekt entsteht allerdings nur dann, wenn wir die Akzep-
tanz der Betroffenen – nicht nur der Wirtschaft, sondern
auch der Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer – für das,
was wir tun, finden.

Jetzt komme ich zu den Punkten, bei denen ich den
Eindruck habe, dass hier über das europäische Recht hi-
nausgegangen wird. Erster Punkt. Sie regeln in § 5 a den
Zeitpunkt für Ausstellung und Aktualisierung der Ener-
gieausweise. Wie wäre es denn gewesen, wenn wir in
Punkt 3 die Gültigkeitsdauer der Energieausweise be-
schrieben und festgelegt hätten? Damit hätte sich die
Aktualisierung von Energieausweis und Kennwerten er-
übrigt, da sie sich durch die Gültigkeitsdauer und den
Ablauf der Gültigkeit quasi ergeben hätte. So einfach
können die Dinge manchmal sein. Statt dass wir es uns
schwer machen, indem wir eine große gesetzgeberische
Aktion starten, die anschließend nur bedingte Akzeptanz
findet, sollten wir es uns lieber einfach machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweiter Punkt. Die europäische Richtlinie spricht

ausdrücklich von Kostengünstigkeit der Empfehlungen
für Verbesserungen der Energieeffizienz. Das Wort „kos-
tengünstig“ findet sich im Regierungsentwurf nicht. Ich
bedaure das. Denn insbesondere für die Verbraucherin-
nen und Verbraucher ist das Wort „kostengünstig“ an
dieser Stelle elementar, da Akzeptanz nur dann gegeben
ist, wenn der Energieausweis für den Verbraucher und
die Verbraucherin eben nicht mit überbordenden Kosten
verbunden ist.

Dritter Punkt. In Punkt 6 des § 5 a ist geregelt, dass
– das hat mich, ehrlich gesagt, etwas erheitert – der
Energieausweis Behörden und – so wörtlich – „bestimm-
ten Dritten“ zugänglich gemacht werden muss. In Bezug
auf Behörden ist das in Ordnung. Nur, wer in drei Teu-
fels Namen sind „bestimmte Dritte“? Sind das Sie oder
ein anderer oder ist das mein Nachbar oder meine Fami-
lie? Wer sind „bestimmte Dritte“? Das ist ein unbe-
stimmter Rechtsbegriff. Wie wäre es gewesen, wenn wir
in das Gesetz geschrieben hätten, dass der Energieaus-
weis potenziellen Käufern oder potenziellen Mietern zu-
gänglich gemacht werden muss? So einfach und klar de-
finiert hätte das sein können; damit wäre der Fall erledigt
gewesen.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Aber kompliziert ist es schöner!)


Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der nicht
ganz unerheblich ist und den der Gesamtverband der
Wohnungswirtschaft zu Recht erwähnt hat, nämlich die
Frage, ob wir im Gesetz eine mögliche Auswirkung des
Gesetzes auf das Mietrecht regeln müssen. Die Bundes-
regierung schreibt in ihrer Begründung zum Gesetzent-
wurf, eine solche Regelung sei nicht notwendig, weil
Käufer und Verkäufer bzw. Mieter und Vermieter das in
ihrem Vertragsverhältnis regeln könnten. Das ist so weit
nicht falsch. Nur, was passiert, wenn sie es nicht tun?
Was passiert, wenn Käufer und Verkäufer diese Rege-
lung in ihrem Kaufvertrag nicht treffen? Dann greift
§ 311 Bürgerliches Gesetzbuch, wenigstens nach meiner
rechtlichen Auffassung. Dann entsteht letztendlich mög-
licherweise die Forderung nach Schadensersatz aus die-
sem Vorgang. Deswegen wäre es der sauberere Weg,
wenn wir in § 5 a beispielsweise einen Absatz einfügten,
in den wir hineinschreiben, dass der Energieausweis
– wie es übrigens auch in der Richtlinie steht – eine In-
formationsfunktion für den Käufer und den Verkäufer
bzw. den Mieter und den Vermieter hat, dass er aber in
Bezug auf den Kaufvertrag keine rechtliche Wirkung
entfaltet. Dann wären die Dinge klar.

Zum Schluss, meine Damen und Herren, noch einmal
die herzliche Bitte, dass wir uns bei der Umsetzung von
europäischem Recht in nationales Recht am Maßstab
eins zu eins orientieren und nicht darüber hinausgehen.
Ich signalisiere gerne für meine Fraktion, sowohl was
diesen Gesetzentwurf als auch was die zukünftige kon-
krete Beratung über den Energieausweis angeht, eine
konstruktive Mitarbeit – aber, wie gesagt, orientiert an
einem Eins-zu-eins-Maßstab und an der Praxis, wie wir
sie seinerzeit beim EAG Bau miteinander gepflegt ha-
ben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516922300

Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-

Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dies ist eine gute Debatte, weil das Thema Klimaschutz
am Bau eigentlich fraktionsübergreifend und wohl auch
in weiten Teilen der Gesellschaft und der Wirtschaft ein
Konsensthema, ein Win-Win-Thema ist. Außerdem ist
Energiesparen im Baubereich ganz elementar in Bezug
auf die Bauwirtschaft und die Arbeitsplatzsituation.

Rot-Grün hat in den vergangenen Jahren schon sehr
viel in diesem Bereich getan. Wir haben im Jahr 2001
die Energieeinsparverordnung in der heutigen Form ein-
geführt. Wir haben ein sehr umfassendes Gebäudesanie-






(A) (C)



(B) (D)


Franziska Eichstädt-Bohlig

rungsprogramm auf den Weg gebracht, das wir im Jahre
2003 erweitert haben. Dieses Programm ist ein ganz
wichtiger Faktor für unsere Bauwirtschaft und dient der
Erhaltung von Arbeitsplätzen.

Wir haben ferner die Mittel für die Energieforschung
aufgestockt. Wir haben die Energieberatung vor Ort, die
wir für sehr wichtig halten, sowie die Information in
den entsprechenden Fachzeitschriften für Bauherrn, In-
genieure und Handwerker bewusst ausgeweitet. Herr
Kollege Dörflinger, Sie sehen also, dass wir seit langem
an diesem Thema dran sind. Wir alle sind sehr daran in-
teressiert – wir werden das auch tun –, die Anstrengun-
gen auf dem Gebiet der Informationsweitergabe zu ver-
stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schon 2001 habe ich gesagt, dass sich die Energieein-
sparverordnung dann durchgesetzt hat, wenn man in den
Immobilienannoncen nicht nur lesen kann, wie groß eine
angebotene Wohnung ist und ob sie über eine Terrasse
verfügt, sondern auch die Information über die energeti-
sche Qualität der Wohnung findet. Ich war schon damals
davon überzeugt, dass es von diesem Tag an eine regel-
rechte Revolution im Immobilienbereich geben wird.
Denn diese Annoncen sind ein deutlicher Beleg, dass das
Thema Energieeinsparung für die Immobilienwirtschaft,
für Vermieter und Mieter sowie für Verkäufer und Käu-
fer in den Vordergrund gerückt ist.

Ich freue mich also, dass wir heute an diesem Punkt
sind. Es gibt zwar noch Dissens im Detail. Darüber wer-
den wir in der anstehenden Beratung zur Änderung des
Energieeinsparungsgesetzes reden müssen. Beispiels-
weise müssen wir an der Ausgestaltung des Energieaus-
weises noch intensiv arbeiten. Wir wissen, dass wir noch
längst nicht auf einem gemeinsamen Nenner sind. Aber
im Grundsatz sind wir alle für die Umsetzung der EU-
Gebäuderichtlinie. Sie ist sehr zielgerichtet und wird
uns, was den Klimaschutz und die Arbeitsplätze am
Bau angeht, deutlich nach vorne bringen. Ich wünsche
mir, dass sie so ausgestaltet wird, dass sie einen Impuls
für die Bauwirtschaft und für die Immobilienwirtschaft
in Bezug auf eine Modernisierung der Gebäude bringt,
die wir brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesen Zusammenhang gehört auch – dieser Punkt
wird viel zu wenig beachtet –, dass in Zukunft an öffent-
lichen Gebäuden, bei denen es eben nicht um Mieten
und Vermieten bzw. um Kaufen oder Verkaufen geht,
kenntlich gemacht wird, wie deren energetische Qualität
ist. Ich glaube, auch in diesem Bereich muss es den
wichtigen Impuls zur Sanierung und damit zur energeti-
schen Optimierung geben. So entsteht auch bei diesen
Gebäuden eine Win-Win-Situation: Sparen bei den Ener-
giekosten, bei den Heizkosten und Nebenkosten, und im
Gegenzug investieren!

Da meine Redezeit nur sehr kurz ist, will ich jetzt zu
den einzelnen Punkten nichts im Detail sagen. Darüber
werden wir noch im Ausschuss beraten. Ich würde mich
freuen, wenn wir parteiübergreifend zu einem Konsens
kommen würden und wenn es das sonst übliche Hick-
hack zwischen Koalition und Opposition nicht geben
würde. Dies würde der Sache sehr gut tun.

Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen, dass für
den öffentlichen Bereich der wirtschaftliche Impuls sehr
wichtig ist. Gerade dort muss investiert werden. Wir
sollten gemeinsam daran arbeiten – ich hoffe, dass auch
der Bundesrat mitspielt –, dass das Konzept entspre-
chend ausgestaltet wird und dass wir optimale Bedin-
gungen für Investitionen bekommen. Unsere Bauwirt-
schaft und unsere Immobilienwirtschaft – bei der wir
noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten müssen –
brauchen diesen Modernisierungsschub, der mit der
energetischen Optimierung der Gebäude einhergeht.

In dem Sinne hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeit
zwischen Regierung, Koalition, Opposition und last, not
least Bundesrat. Das täte der Sache gut und würde die
öffentliche Meinung über unsere Arbeit verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516922400

Das Wort hat die Kollegin Angelika Brunkhorst,

FDP-Fraktion.


Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1516922500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-

liegende Entwurf der Novelle zum Energieeinsparungs-
gesetz soll die EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz
von Gebäuden umsetzen. Das ist löblich. Die Experten
sagen ganz eindeutig: Im privaten Bereich lassen sich bis
zu 25 Prozent an Energie problemlos einsparen. Da
sollte man auch wirklich rangehen.

Das Vorhaben ist beim Bauministerium und beim
Wirtschaftsministerium in Kooperation und nicht beim
Umweltministerium angesiedelt, obwohl ein weiteres
Vorhaben zur Umsetzung dieser EU-Richtlinie, nämlich
das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, gleichzeitig beim BMU
erarbeitet wird. Die Tranchierung auf mehrere Ministe-
rien lässt vermuten, dass die Regierung daraus ein größt-
mögliches Konjunkturprogramm machen will. Das ist
ja nicht von Schaden.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Genau! Da müssten Sie Beifall klatschen!)


Wir befürchten aber gleichzeitig, dass es dann nicht bei
einem schmalen Energieausweis bleibt. Wir fordern aber
ganz rigoros ein, dass es kein monströser, ins Detail ge-
hender, restriktiver Ausweis wird.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Aber er muss aussagekräftig sein!)


Das ist unsere ganz klare Botschaft.
Des Weiteren bemängeln wir, dass das gesamte Ge-

setzesvorhaben nicht in ein klimapolitisches Gesamtkon-
zept eingebunden ist. Darauf komme ich gleich noch zu
sprechen. Hauptsächlich regelt die Novelle, dass der
schon angesprochene Energiepass eingeführt wird. Er






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst

kann – das ist ganz klar – zu mehr Energieeffizienz füh-
ren. Nach unserer Auffassung kann er aber nur ein erster
Baustein für mehr Transparenz im Energiebereich sein,
sodass der Verbraucher weiß, wie es um die Energie-
effizienz seiner Immobilie steht. Vor allem aber kann der
Ausweis zu einem bewussteren und zu einem selbstbe-
stimmten Umgang mit Energie im Hausbereich führen.
Ich denke, letztlich ist das aber im Ermessen der Bewoh-
ner. Man kann technisch alles richtig machen, man kann
von Gesetzes wegen alles richtig machen, aber man kann
den Verbraucher nicht dressieren. Insofern kann noch et-
was schief gehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Energiepass ist im Moment von noch nicht so
guter Kontur, dass er schon das Prädikat „gut“ erhalten
sollte. Ich meine, wir müssen daran noch arbeiten. Im
Moment hilft es auch nicht, darüber zu debattieren, ob
der Ausweis kennwertbasiert oder referenzbasiert sein
soll. Vielmehr müssen wir die grundlegende Schwäche
des Gesetzes ausmerzen. Wir müssen eine Verbindung
zum Emissionshandel und die Einbindung in das klima-
politische Gesamtkonzept schaffen, anstatt – wie aus un-
serer Sicht mit dem EEG geschehen – den Emissions-
handel in seiner Wirkung auszubremsen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Bringen Sie da nicht etwas durcheinander?)


Deshalb wollen wir dazu auch weitere Vorschläge erar-
beiten. Die Überraschung mache ich Ihnen dann in der
nächsten Rede.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516922600

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Groneberg, SPD-

Fraktion.

Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1516922700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ach, Frau Brunkhorst, wir lieben Überraschungen. Was
wäre das Leben ohne Überraschungen? Es wäre doch ei-
gentlich todlangweilig.

Ich habe in der Debatte heute Abend große Überein-
stimmung gesehen. Herr Dörflinger, Frau Brunkhorst,
wenn wir – ich sage das einmal so – unter Baufachleuten
über solche Themen reden, haben wir eigentlich immer
einen vernünftigen Umgang miteinander und kommen
auch zu vernünftigen Ergebnissen. Über die Anregun-
gen, die Sie heute gemacht haben, werden wir dann noch
in Ruhe reden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Letzten beißen
die Hunde. Wenn man bei einem solchen einvernehmli-
chen Thema als Letzte reden soll, bleibt ja gar nicht
mehr viel. Trotzdem möchte ich einmal festhalten, dass
wir die Novellierung des Gesetzes und die Beratungen
zur Verordnung zügig durchführen werden, um die voll-
ständige Umsetzung der Gebäuderichtlinie in deutsches
Recht rechtzeitig zum 4. Januar 2006 zu gewährleisten.
Einiges von dem, was in der Gesamtenergieeffizienz-
richtlinie gefordert wird, ist bereits Bestandteil unserer
Gesetzgebung bzw. unserer Verordnungen. Insofern wird
das nicht das Problem sein.

Die Einzelheiten der Änderungen sind schon von
Herrn Großmann ausführlich dargelegt worden.

Der Knackpunkt, an dem sich mit Sicherheit Diskus-
sionen entzünden werden, ist der Energieausweis, den
es bereits für neue Gebäude gibt, der jetzt aber auch für
Gebäude im Bestand eingeführt werden soll und der
Käufern und Mietern einen Menge Informationen bieten
und insofern Transparenz schaffen wird, die wir uns alle
doch eigentlich wünschen.

Ich frage mich manchmal, warum man sich, wenn
voller Elan über einen solchen Pass diskutiert wird, da-
rüber so vehement aufgeregt. Als ob wir etwas ganz
Schlimmes tun würden! Kühlschränke und Waschma-
schinen werden schon seit langem klassifiziert. Schauen
Sie sich einmal das Käuferverhalten an: Die Leute kau-
fen nicht generell das billigste Gerät. In der Werbung
wird als Erstes auf die Energieeffizienz der Geräte hin-
gewiesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Warum machen wir uns – Frau Eichstädt-Bohlig hat dies
ausdrücklich erwähnt – nicht das Wissen und die Bereit-
willigkeit zunutze, die schon bei den Nutzern existieren,
um diesen Pass zu einem Erfolgserlebnis zu machen?
Frau Brunkhorst, was ist daran schlecht, wenn dies dann
auch noch ein wirklich gutes Konjunkturprogramm
wird?

Herr Dörflinger, es ist nicht so, dass wir Ihren Antrag
auf die lange Bank geschoben haben. So alt ist er ja noch
nicht. Bisher hat noch keiner dessen Aufsetzung im Aus-
schuss gefordert. Wir werden ihn, denke ich, zusammen
mit dem Gesetzentwurf beraten. Ich glaube, dass Ihre
Vorstellung, wir hätten mit der Beratung Ihres Antrages
so lange gewartet, bis wir mit der Regierungserklärung
durch sind, vollkommen fehlgeleitet ist. Wir haben unter
uns schon lange darüber diskutiert, wie und mit welchen
Mitteln wir eine Ausweitung des erfolgreichen KfW-
Programms vornehmen können. Wenn Sie es gut finden,
dass wir der Konjunktur und der Bauwirtschaft helfen
wollen, wenn Sie es gut finden, dass wir Mietern und
Vermietern Sicherheit geben wollen, dann werden wir
auch zu einem guten Ergebnis kommen.

Ich setze schon voraus, dass wir eine Eins-zu-eins-
Umsetzung der Richtlinie vornehmen. Ich sehe es nicht
so, dass die Punkte, die Sie genannt haben, über eine
Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen. Das kann ich mir
im Moment nicht vorstellen. Wir werden aber im Aus-
schuss in Ruhe darüber reden.

Besonders interessant finde ich, dass wir so nahe bei-
einander sind, wenn wir über die Ziele des Klimaschut-
zes reden. Frau Brunkhorst, Ihre Kritik, dass wir hier
kein Konzept haben, ist einfach nicht richtig.






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein Ziel unserer Regierung und unserer Koalition – da-
ran haben wir vehement gearbeitet – ist der nachhaltige
Klimaschutz. Die jetzige Energieeinsparverordnung ist
ein zentrales Element der Energie- und Klimaschutzpoli-
tik der Bundesregierung. Sie selber wissen: Sie dient
ebenso der Daseinsvorsorge und gibt in Zukunft noch
mehr wichtige Impulse für die Baukonjunktur. Wir ha-
ben also ein Gesamtkonzept und der Energiepass passt
hier hervorragend hinein. Wir gehen davon aus, dass
dies zu einem Innovationsschub führen wird, der den

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 15/5226 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Silvia
Schmidt (Eisleben), Angelika Krüger-Leißner,
Gudrun Schaich-Walch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Ursula Sowa, Volker Beck (Köln), Birgitt
Beschäftigten in der Bauwirtschaft ganz massiv zugute
kommen wird. Mit der Gesetzgebung, die wir vorhaben,
schlagen wir schlichtweg zwei Fliegen mit einer Klappe,
indem wir diese beiden Elemente miteinander kombinie-
ren.

Herr Dörflinger, eines muss ich noch loswerden: Sie
haben in Ihrem Antrag im Zusammenhang mit der Dis-
kussion über den Gebäudepass von der Bundesregierung
eine Reihe von Berichten abgefordert. Ich möchte an
dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir es uns nicht leis-
ten können, nicht leisten sollten und nicht leisten wollen,
durch ein Einfordern all dieser Berichte das Risiko ein-
zugehen – Sie sind anscheinend bereit, ein solches
einzugehen –, dass sich Verzögerungen bei der zeitlichen
Umsetzung ergeben. Ich glaube, wir sollten zügig an die
Beratungen gehen. Wir können dies schaffen. Der Tatsa-
che, dass uns Informationen zur Verfügung gestellt wer-
den müssen, wird in der Regel nachgekommen. Seien
Sie ehrlich: Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern
und Mitarbeiterinnen des Ministeriums war doch – Sie
selber haben die Baugesetzgebung erwähnt – hervorra-
gend.


(Beifall bei der SPD)

Bringen wir es also zügig über die Bühne! Ich glaube,

wir werden ein sehr gutes Ergebnis bekommen. Es wäre
schön, wenn wir die Entscheidung einvernehmlich hier
im Hause treffen könnten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit zu so später
Stunde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1516922800

Ich schließe die Aussprache.
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Stärkung der Künstlersozialversicherung
– Drucksache 15/5119 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Die Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Silvia
Schmidt, Matthias Sehling, Vera Lengsfeld, Birgitt
Bender und Hans-Joachim Otto haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/5119 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. April 2005,
9 Uhr, ein.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Besu-
cherinnen und Besuchern auf der Tribüne einen schönen
Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.