Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Zunächst möchte ich den Kollegen Albrecht Feibelund Horst Schmidbauer , die in den vergan-genen Tagen jeweils ihren 65. Geburtstag feiern konn-ten, nachträglich die besten Glückwünsche des Hausesaussprechen.
Interfraktionell wurde vereinbart, die verbundene Ta-gesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführtenPunkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Verhinderung von Gentechnikprojekten
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rita Pawelski, MariaEichhorn, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU: Gleichberechtigtes Leben fürFrauen und Mädchen aus Migrantenfamilien in Deutsch-land– Drucksache 15/5017 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger AusschussInnenausschussRedetRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, SibylleLaurischk, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP: Frauenpolitik – GesellschaftlicherErfolgsfaktor– Drucksache 15/5032 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugInnenausschussRechtsausschussFinanzausschuss
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Humme, Sabine Bätzing, Ute Berg, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPD sowie derAbgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, VolkerBeck , Ekin Deligöz, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNENAuf dem Weg in ein geschlechtergerechtesDeutschland – Gleichstellung geht alle an– Drucksache 15/5029 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Berg, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Ursula Sowa, IrmingardSchewe-Gerigk, Volker Beck , weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENFrauen in Wissenschaft und Forschung stär-ken – Chancengleichheit auch als Wettbe-werbsfaktor erhöhen– Drucksache 15/5030 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendc) Beratung des Antrags der Abgeordneten DagmarSchmidt , Karin Kortmann, SabineBätzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe,Volker Beck , Irmingard Schewe-Gerigk,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENGeschlechtergerechtigkeit bleibt zentraleVoraussetzung für Entwicklung – Zehn Jahrenach der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking– Drucksache 15/5031 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniond) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBerichte für die Europäische Kommission zurUmsetzung des Europäischen Sozialfonds inder Bundesrepublik Deutschland – Zeiträume1994 bis 1999 und 2000 bis2006 –hier: Verwirklichung der Chancengleichheitvon Frauen und Männern auf dem Arbeits-markt– Drucksache 15/2049 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
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Präsident Wolfgang Thiersee) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend zu dem An-trag der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz,Irmgard Karwatzki, Dr. Maria Böhmer, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUTatsächliche Gleichberechtigung durchsetzen –Zehn Jahre Novellierung des Art. 3 Abs. 2 desGrundgesetzes– Drucksachen 15/4146, 15/5052 –Berichterstattung:Abgeordnete Christel HummeHannelore RoedelIrmingard Schewe-GerigkIna LenkeZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten RitaPawelski, Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUGleichberechtigtes Leben für Frauen undMädchen aus Migrantenfamilien in Deutsch-land– Drucksache 15/5017 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten InaLenke, Sibylle Laurischk, Dr. Karl Addicks, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDPFrauenpolitik – Gesellschaftlicher Erfolgsfaktor– Drucksache 15/5032 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile KolleginChristel Humme, SPD-Fraktion, das Wort.
„„sdgwHsgnzunAürcmBdrtWqMHgndvsRg2sw„dwwv
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, in den sechs Jah-en, in denen Rot-Grün jetzt Regierungsverantwortungrägt, wurde frauenpolitisch viel erreicht.
ir haben die Ziele, die ich gerade genannt habe, konse-uent verfolgt und Schritt für Schritt entsprechendeaßnahmen umgesetzt. Wenn Sie, meine Damen underren von der Union, behaupten, dass nach unserer Re-ierungsübernahme im Jahre 1998 auf diesem Gebietichts mehr getan worden ist,
ann kann ich dem nur entgegnen, dass Sie wohl in eineröllig anderen Welt leben.
Blicken wir doch einmal kurz zurück: Gender Main-treaming gilt seit 1999 als durchgängiges Prinzip allenegierungshandelns. Das Gleichstellungsdurchsetzungs-esetz für den öffentlichen Dienst des Bundes gilt seit002, das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsge-etz für die Bundeswehr seit Ende 2004. Damit schaffenir Chancengleichheit. Wir setzen unser ProgrammFrau und Beruf“ von 1999 damit Schritt für Schritt um;enn wir – das ist entscheidend – haben Konzepte, dieir konsequent verfolgen. Diese vermisse ich, auchenn wir uns in den Zielen einig sind, in Ihren Anträgenöllig. Das muss ich leider sagen.
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Christel Humme– Doch, ich habe sie gelesen, Frau Lenke. Das ist ja dasSchlimme.Das Gleiche gilt für die Vereinbarkeit von Familieund Beruf. Was haben wir erreicht? Flexibilisierung derElternzeit 2001, Anspruch auf Teilzeit 2002, 4 Milliar-den Euro für das Ganztagsschulprogramm 2003, Ausbauder Tagesbetreuung für unter Dreijährige 2004.
Auch hier gilt für uns: konsequente Umsetzung eines gu-ten Konzepts, das ich bei Ihnen wiederum sehr vermisse.
– Frau Lenke, ein Zwischenruf nach dem Motto „Lauthilft“ ist kein Argument.Mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewaltan Frauen hat die Bundesregierung 1999 erstmals einGesamtkonzept für alle Ebenen der Gewaltbekämpfungvorgelegt. Auch dieses Konzept setzen wir Schritt fürSchritt um. Mit dem Gesetz zum Schutz vor häuslicherGewalt von 2002 stärken wir Frauen und Kinder, dienoch immer typische Opfer von Gewalt in der Familiewerden. Wir gewähren von Menschenhandel betroffenenFrauen mit einer Änderung des Strafrechts verstärktenrechtlichen Schutz. Zwangsheirat wird als besondersschwerer Fall der Nötigung bestraft.Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Sie sehen, wir ha-ben die sechs Regierungsjahre konsequent genutzt, umdie Situation der Frauen zu verbessern. Wir haben in die-ser Zeit mehr für die Frauen erreicht als Sie von der Op-position in all den Jahren zuvor; das muss man konsta-tieren.
Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wir haben viel ge-schafft, aber eben noch nicht alles erreicht. Dafür warendie sechs Jahre im Vergleich zu den 94 Jahren zuvor et-was zu kurz. Wir arbeiten daran, unser Konzept zurChancengleichheit und zur Vereinbarkeit von Familieund Beruf weiterzuentwickeln; darauf können sich dieFrauen in der Bundesrepublik verlassen.
Denn immer wieder müssen wir erfahren, dass Frauenbesonders häufig von Diskriminierung und Benach-teiligung am Arbeitsplatz betroffen sind. Auf sich al-lein gestellt, scheuen sie häufig, sich zur Wehr zu set-zen. Mit unserem Antidiskriminierungsgesetz stärkenwir ihnen den Rücken. Wir möchten damit aber auchMentalitäten ändern und für eine andere Unternehmens-kultur werben. Deshalb freue ich mich, dass der Deut-sche Frauenrat, der Deutsche Juristinnenbund und derDGB die Ziele des Antidiskriminierungsgesetzes in derAbCDCaWdwbrg–isgntes–jer––EimMskdli
Leider habe ich eine frauenpolitische Position derDU/CSU in der Anhörung sehr vermisst.
abei fordern Sie, meine Herren und Damen von derDU/CSU, doch von der Bundesregierung – ich zitiereus Ihrem Antrag –,auf die Beseitigung bestehender struktureller Nach-teile von Frauen gegenüber Männern hinzuwirken,insbesondere auf dem Arbeitsmarkt.enn Ihnen an dieser Stelle unsere Antwort, nämlichas Antidiskriminierungsgesetz, nicht passt,
ie wollen Sie denn dann strukturelle Benachteiligungekämpfen? Sie müssen schon sagen, wie Sie etwas er-eichen wollen, sonst sage ich Ihnen: Sie sind nicht re-ierungsfähig.
Das passt Ihnen nicht, das verstehe ich; aber Wahrheitt Wahrheit.Wenn ich all die Anträge, die heute auf dem Tisch lie-en, vergleiche, dann fällt mir auf, dass wir mittlerweile,ach sechs Jahren, doch einiges erreicht haben. Alle Par-ien haben nämlich anerkannt, dass Gender Main-treaming ein wichtiges Ziel ist.
Frau Lenke, gerade Sie dürften diesen Zwischenruftzt nicht machen; denn ich erinnere mich: Vor fünf Jah-en war das für Sie noch kein Thema.
Frau Lenke, ich fahre jetzt erst einmal fort.
Wenn Sie eine Frage stellen wollen, können Sie das amnde meiner Rede tun; Zwischenrufe helfen nicht weiter.In den letzten sechs Jahren war das in der Tat nichtmer so. Mittlerweile aber wollen wir alle, dass jedeaßnahme daraufhin überprüft wird, welche Wirkungie auf Männer und Frauen hat. Sehen wir uns einigeonkrete Maßnahmen an. Meine Damen und Herren voner Union, Sie bieten uns zurzeit etwas Nettes an, näm-ch den Pakt für Deutschland. Lassen Sie uns doch
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Christel Hummeeinmal schauen, wie sich der Pakt für Deutschland gen-der-mainstreaming-mäßig auswirkt.
Sie fordern in Ihrem Antrag zum Beispiel – da müssenSie sich in Ihrer Fraktion schon einig sein, ob Sie diesenAntrag unterstützen oder nicht –,
den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf5 Prozent zu senken. Das würde für die Bundesagenturfür Arbeit eine Mittelkürzung von 12 Milliarden Eurobedeuten.
Sie müssen aber auch ins Kalkül nehmen, was dasgleichzeitig bedeutet: Damit werden nämlich wichtigearbeitsmarktpolitische Maßnahmen, von denen auchFrauen profitieren, deutlich zurückgefahren. Wie passtdas mit Ihrer Forderung, Berufsrückkehrerinnen zu för-dern, zusammen?
Ich sage Ihnen: Ihnen fehlt ein schlüssiges Konzept. Da-her bleibe ich dabei: Sie sind nicht regierungsfähig.Ich bin froh, dass wir an der Regierung sind und dasswir unsere guten und schlüssigen Konzepte, die dieFrauen brauchen, weiterentwickeln und fortsetzen kön-nen.Schönen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Hannelore Roedel,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat der SPD-Europaabgeordneten Lissy Gröner vom 28. Februar die-ses Jahres in New York:In Deutschland ist der gleichstellungspolitischeFortschritt eine Schnecke.
Wo die Kollegin Recht hat, hat sie Recht.Zehn Jahre nach Peking und der Novellierung desArt. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes gilt es heute, Bilanz zuziehen. Wie steht es um die Frauenpolitik von Rot-Grün?TRHATslAsshdFnlgtnFRsISrdlMeAnLstim
ierzu nenne ich gerne Zahlen:Nach wie vor verdienen Frauen bei gleichwertigerrbeit durchschnittlich 30 Prozent weniger als Männer.
rotz bester Bildungsabschlüsse sind Frauen in Wissen-chaft und Forschung weiterhin unterrepräsentiert undediglich 13 Prozent der Professuren in weiblicher Hand.n den außeruniversitären Forschungseinrichtungen istogar nur jede 20. Führungskraft weiblich. In den we-entlichen Gremien im Einflussbereich des Bundes – Sieätten es eigentlich in der Hand, dies zu ändern – liegter Frauenanteil bei nur 16 Prozent.
Bedrückend ist die Situation allein erziehenderrauen in diesem Lande. Sie verdienen durchschnittlichur halb so viel wie Paare mit Kindern. Über ein Drittelebt unterhalb der Armutsgrenze.Von der Bundesregierung wurden viele wohlklin-ende Aktionsprogramme mit honorigen Zielen gestar-et. Auch haben Sie richtigerweise erkannt, dass Maß-ahmen zur Erleichterung von Arbeits- undamilienleben von entscheidender Bedeutung für dieealisierung von Chancengleichheit sind. Doch wieieht denn die Lebenswirklichkeit von Frauen heute aus?ch glaube, Sie sind sich darüber nicht im Klaren.
ie leisten zwar mit Programmen eine Anschubfinanzie-ung für Ganztagsschulen. Aber was ist die Folge? Län-er und Kommunen bleiben auf den Folgekosten in vol-er Höhe sitzen.
it Ihrer Politik haben Sie den Kommunen die finanzi-lle Grundlage entzogen.
Ähnliches gilt für das Tagesbetreuungsausbaugesetz.uch hier wurde die Finanzierung von Ihnen bis heuteicht sichergestellt.
änder und Kommunen werden angesichts ihrer ange-pannten Haushaltslage Probleme haben, die Kosten zuragen. Die Bundesregierung stiehlt sich auch hier aushrer Verantwortung.Aber nicht nur in Ihren halbherzigen Programmen,eine Damen und Herren von der Regierungsbank,
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Hannelore Roedelliegen die Ursachen für den Stillstand in der Gleich-stellungspolitik sondern vor allem in der seit sechs Jah-ren von Ihnen betriebenen falschen Wirtschafts- und Ar-beitsmarktpolitik.
Angesichts von 5,2 Millionen Arbeitslosen ist es fürFrauen schwerer denn je, überhaupt eine Arbeitsstelle zufinden. Nichts gefährdet die Realisierung der Gleichbe-rechtigung mehr als die fehlende Perspektive auf einenJob.In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit ist es eine Brüs-kierung von Arbeitslosen, dass mit laxen Regeln derVisavergabe die Tore für Zehntausende von Schwarzar-beitern geöffnet wurden. Wie wollen Sie diese Praxiszum Beispiel vor einer Frau rechtfertigen, die ihren Jobdurch den Volmer-Erlass an eine „legal“ eingereisteUkrainerin verloren hat?
Sorgen muss uns insbesondere die Situation vonFrauen mit Migrationshintergrund bereiten. Das höhereRisiko, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, ist viel-fach auf geringere Bildungs- und Ausbildungsbeteili-gungen infolge traditioneller Familienstrukturen zurück-zuführen. Aber letztendlich liegt die Ursache dafürebenfalls in der schlechten Arbeitsmarktsituation, dieSie verschuldet haben.Da Sie von Gender Mainstreaming reden: Geradeauf dem Arbeitsmarkt nutzt die Implementierung von im-mer neuen Gender-Mainstreaming-Regelungen nichts,wenn Sie mit immer neuen Maßnahmen und Gesetzen dieWirkung dieser Regelungen konterkarieren. Es ist ebenein Irrweg, zu glauben, dass mit einem Übermaß an Bü-rokratie und Dirigismus auf dem Arbeitsmarkt Positivesfür Frauen erreicht werden kann.Aktuellstes Beispiel ist das Antidiskriminierungs-gesetz – ein unausgegorener Gesetzentwurf. Selbstver-ständlich treten auch wir dafür ein, die europarechtlichenVorgaben umzusetzen.
Aber das, was Sie uns vorgelegt haben, stellt einen Gip-fel an Bürokratie dar und wird nicht dazu beitragen, dassmehr Arbeitsplätze in diesem Land entstehen.
Um die Lage der Frauen zu verbessern, müssen in derWirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik endlich die not-wendigen Schritte eingeleitet werden. Von entscheiden-der Bedeutung hierfür sind Maßnahmen zur Senkung derLohnnebenkosten, Steuervereinfachungen und -entlas-tungen vor allem für den Mittelstand sowie der Abbauvon Überregulierungen auf dem Arbeitsmarkt.ltWzuFesfIdPMFsBdAiBbnnebMMggrsnewsrgWgrzvb
Wir heben in unserem Antrag hervor, dass Frauenpo-itik als Querschnittsaufgabe in Deutschland auch künf-ig einen hohen Stellenwert einnehmen muss. Um demunsch jüngerer Frauen, Familie und Beruf miteinanderu verbinden, nachzukommen, stellen die Bemühungenm eine nachhaltige Verbesserung der Vereinbarkeit vonamilie und Beruf den Kern für eine erfolgreiche Frau-npolitik dar. Gemeinsam mit den Unternehmen in die-em Land wollen auch wir auf eine frauen- und familien-reundliche Ausgestaltung der Arbeitswelt hinwirken.
n diesem Zusammenhang muss alles dafür getan wer-en, dass Frauen nach der Phase der Familientätigkeiterspektiven für den beruflichen Wiedereinstieg haben.
Handlungsbedarf besteht auch im Hinblick auf jungeädchen, deren Berufsziele vielfach noch die typischenrauenberufe sind. Deshalb muss bereits in der Grund-chule das Interesse der Mädchen an männertypischenerufen in Naturwissenschaft und Technik geweckt wer-en; denn nur so besteht die Chance, die Spaltung desrbeitsmarktes in relativ gut bezahlte Männerberufe undn die schlechter bezahlte Frauenbranche zu überwinden.Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben gestern dieeteiligung Ihrer Fraktion am Girls’ Day betont und da-ei die Frage aufgeworfen, wann die erste Frau die Män-erdomäne „Bundeskanzler“ erobert. Dazu kann ich Ih-en sagen: Vergessen Sie all Ihre zeitraubenden undrfolglosen Programme, die Frauen in Männerberuferingen sollen! Wählen Sie die Union und Angelaerkel und Sie haben 2006 eine Frau in einem typischenännerberuf!
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, in der heuti-en Debatte darf es aber nicht nur um die Gleichstellungehen, sondern auch um Frauenrechte als Menschen-echte. Frauenhandel und Zwangsprostitution sind be-onders widerwärtige Formen der organisierten Krimi-alität. Dazu höre ich von Ihnen leider sehr wenig. Es istin ausgesprochener Skandal, dass die Spitze des Aus-ärtigen Amtes Menschenhändlern und Zuhältern ihrchmutziges Geschäft dadurch erleichtert, dass sie Ein-eisevisa nach dem Motto „in dubio pro libertate“ ver-ab. Hier wurden falsch verstandene Vorstellungen voneltoffenheit de facto höher bewertet als die gerade vonrüner Seite immer wieder beschworenen Menschen-echte.
Abschließend möchte ich mich kurz einem Problemuwenden, das wir gerade heute nicht aus den Augenerlieren dürfen. Im Hinblick auf die in Deutschland le-enden Muslimas dürfen wir nicht akzeptieren, dass sich
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Hannelore Roedelin diesem Land Parallelgesellschaften entwickeln, indenen patriarchalische Ehr- und Moralvorstellungenüber die im Grundgesetz verankerten Frauen- und Men-schenrechte gestellt werden.
So genannte Ehrenmorde – in Wirklichkeit heimtücki-sche Morde – sind unerträglich.
Die in Art. 3 des Grundgesetzes verankerte Gleichbe-rechtigung gilt für alle in diesem Lande lebenden Men-schen. Daher dürfen wir niemanden unter dem Deck-mantel der Toleranz in Parallelgesellschaften mittenunter uns allein lassen; meine Kollegin Rita Pawelskiwird dies noch ausführen.Ihre oft von uns eingeforderte Solidarität können Sieheute ganz einfach unter Beweis stellen: indem Sie unse-rem Antrag zustimmen.
Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Guten Morgen, Herr Präsident, liebe Kolleginnen undKollegen! Zehn Jahre Grundgesetzänderung und der In-ternationale Frauentag haben alle Fraktionen beflügelt,Forderungen zum Thema Gleichstellung vorzulegen.Einzig die FDP hat es geschafft, vier Seiten ohne eineneinzigen konkreten Vorschlag zu bedrucken. Aber daspasst irgendwie. Sie begnügen sich mit Klamauk.
Ich will dazu zwei Beispiele nennen, Kollegin Lenke:Ihr Kollege Bahr setzt in die Welt, dass die falschenFrauen Kinder bekommen. Ich frage mich: Wen meint erdenn wohl damit? Meint er vielleicht seine KolleginKoch-Mehrin, die ihren nackten Babybauch zum Foto-shooting präsentiert?
Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen rät den al-ten Menschen, endlich den Löffel abzugeben. Sie sehen,verehrte Kolleginnen und Kollegen: Die FDP kann mangetrost vergessen.
Nun zu den Anträgen der CDU/CSU. Frau KolleginRoedel, ich hatte eigentlich eine andere Rede vorberei-tet. Aber nach dem, was Sie hier zum Besten gegebenhaben, muss ich mein Manuskript leider zur Seite legen.Sie haben allen Ernstes behauptet, die großen Erfolge indbhgWwHSskdsledDw7gAhkDVis5KntgkadgnEwvfgtegdkO
issen Sie eigentlich nicht, warum Sie 1998 abgewählturden? Wir hatten im Bereich der Frauenpolitik alleände voll zu tun, weil Sie Ihre Hände jahrelang in denchoß gelegt hatten.
Wir haben nicht nur Gesetze aufgelegt und verab-chiedet, sondern auch die frauenpolitische Wirklich-eit in Deutschland verändert.Ich nenne Ihnen einmal die Fakten, Frau Roedel: Seiter Verabschiedung des Bundesgleichstellungsgesetzesteigt die Zahl von Frauen in Leitungspositionen. In vie-n Ministerien wurden mehr Frauen als Männer beför-ert. Das Justizministerium zum Beispiel hat zweirittel Frauen und ein Drittel Männer befördert. Im Aus-ärtigen Amt wurden in den letzten Jahren zu0 Prozent Frauen eingestellt. Dank unserer Anstrengun-en im Wissenschafts- und Forschungsbereich stieg dernteil der Frauen bei den Professuren von 1998 biseute von 9 auf 13 Prozent. Das ist noch zu wenig. Sieönnen aber doch nicht sagen, es sei nichts passiert.
urch das Elternzeitgesetz verbesserte sich der Anteil deräter, die Elternzeit in Anspruch nahmen, von 1,5 – dast eine homöopathische Dosis – auf immerhinProzent. Ich frage mich, warum Sie das nicht zurenntnis nehmen wollen. Wir werden auf jeden Fallicht zulassen, dass Sie solche Schauermärchen verbrei-en und die Öffentlichkeit täuschen.
Ich will nicht verhehlen, dass es noch genug zu tunibt, gerade in der Privatwirtschaft. Weibliche Führungs-räfte, Nachwuchsförderung, gleicher Lohn – Fehl-nzeige. Die Vereinbarung mit den Spitzenverbändener deutschen Wirtschaft war ein Flop; das muss man sa-en. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn nochicht einmal die Hälfte aller Betriebe etwas von derxistenz dieser Vereinbarung weiß? Darum brauchenir ein Bündnis für Chancengleichheit, ähnlich demon der Ministerin Renate Schmidt initiierten Bündnisür Familie. Die Frauen wollen nicht darauf warten, auf-rund mangelnden männlichen Nachwuchses in einer al-rnden Gesellschaft notgedrungen auf die Chefsesselelassen zu werden.Die Union beschäftigt sich nun auch mit der Situationer Frauen mit Migrationshintergrund. Na endlich,ann ich da nur sagen. Willkommen in der Gegenwart!pposition tut Ihnen offensichtlich gut.
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Irmingard Schewe-GerigkWährend Ihrer Regierungszeit hatten ausländische Ehe-frauen, die weniger als zwei Jahre in Deutschland ver-heiratet waren und aufgrund von Gewalt in ein Frauen-haus flüchteten, zwei Möglichkeiten: Entweder siewurden abgeschoben oder sie mussten sich der Prügeldurch ihren Mann weitere zwei Jahre aussetzen, bevorsie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhielten. Wirhaben das geändert, entgegen Ihrem Widerstand.
Auch von geschlechtsspezifischer Verfolgung alsAsylgrund wollten Sie nichts wissen. Natürlich müssenwir die Migrantinnen in Deutschland schützen. DasThema Zwangsprostitution mit der erleichterten Visa-praxis zu verbinden, Frau Roedel, das eignet sich hierwirklich nicht. Die Zahlen belegen, dass auch nach demveränderten Erlass aus der Ukraine nicht mehr Krimina-lität und Zwangsprostitution zu verzeichnen sind.
Nehmen Sie die Zahlen einfach zur Kenntnis!
– Hören Sie doch einmal zu, anstatt zu schreien!Im letzten Monat wurde als sechstes Opfer in vierMonaten in Berlin die Deutschtürkin Hatun Sürücü– vermutlich durch ihre eigenen Brüder – erschossen. Ihr„Verbrechen“ war, dass sie sich dagegen wehrte, dassihre Familie Kontrolle über ihre Lebensweise, ihrenKörper und die Wahl ihres Ehemannes ausübte. Dafürmusste sie sterben.
– Stellen Sie doch einmal eine Frage! Das verlängertmeine Redezeit.
Hier nützen aber keine strafrechtlichen Verschärfungen;denn Mord ist Mord. Hilfe und Aufklärung sind ange-sagt.
– Herr Präsident, so kann ich nicht reden.Im Falle der Zwangsverheiratung war es allerdingsnötig, das ausdrückliche Verbot in das Strafgesetzbuchaufzunehmen. Das haben wir getan. Ihre Forderung istalso unnötig. Viel wichtiger aber ist, dass die ausDeutschland in das Ausland verbrachten zwangsverhei-rateten Frauen ein Rückkehrrecht nach Deutschland ha-ben, und das auch später als nach sechs Monaten.
Da sind Sie gefragt, verehrte Kolleginnen von derUnion. Hier können Sie etwas tun. Denn eines geht nichtan: Sie können nicht hier im Bundestag Krokodilstränenüber die Situation der Frauen vergießen, aber im Bun-deMsedwemIn–lswflWgDuIwhvdsugdfaIddnsF
Ja, die FDP hat doch noch nichts Schriftliches vorge-egt. – Darin haben wir durchaus Erfahrung, zum Bei-piel beim § 177 StGB oder den Unisex-Tarifen. Dasäre sowohl für den Internationalen Frauentag als auchür das zehnjährige Jubiläum des Staatsziels Gleichstel-ung im Grundgesetz ein positives Signal.Ich danke Ihnen recht herzlich.
Ich erteile Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion, das
ort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichlaube, dass das Schauspiel, das wir heute anlässlich derebatte des Internationalen Frauentags aufführen, gegenns spricht.
ch werde keine solche populistische Rede halten, wieir sie von den Abgeordneten auf der linken Seite gehörtaben.Die Frauen erwarten kein Schauspiel. Sie erwartenielmehr am Internationalen Frauentag Solidarität mit allenen, denen wir aus dem Bundestag heraus helfen müs-en. Dieses Schauspiel ist des Internationalen Frauentagsnwürdig.
Wir und andere haben den Internationalen Frauentagefeiert. Aber es stellt sich auch die Frage, ob wir mitem, was die Frauen in Deutschland erreicht haben, zu-rieden sein können. Ist das, was uns Frau Humme undndere heute vorgetragen haben, wirklich der Maßstab?ch denke, wir sollten uns in Sachen Gleichstellung anen fortschrittlichsten Ländern messen.Aber auch am Internationalen Frauentag müssen wirie Länder im Blick haben, in denen die Gleichstellungoch meilenweit entfernt ist. Wir müssen uns bewusstein, dass in einigen Ländern der Erde Mädchen undrauen noch nicht einmal elementare Menschenrechte
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Ina Lenkegewährt werden. Viele leben in patriarchalischer Unter-drückung. Wir haben erlebt, dass auch Türkinnen inDeutschland davon betroffen sind.In einigen Ländern der Erde haben Frauen keine poli-tischen Mitspracherechte, keine ausreichende Gesund-heitsversorgung und keine Bildungschancen. Es ist diePflicht zuallererst der Bundesregierung, aber auch derBundestagsfraktionen, sich entschieden für die Durch-setzung der Frauenrechte in allen Teilen dieser Welt ein-zusetzen.
Ich will aber an dieser Stelle auf die Situation vonFrauen in Deutschland zurückkommen. Die Faktenzeigen doch, dass wir Frauen meilenweit von echterTeilhabe und Chancengleichheit entfernt sind. DassSie alle Maßnahmen im Rahmen der Frauenpolitik vor1998, die Sie heute aufgezählt haben, diskriminiert ha-ben, zeigt, dass es Ihnen in diesem Bereich um Partei-politik geht statt um eine gemeinsame Politik, die – auchim Sinne von Gender Mainstreaming – mehr für dieFrauen erreicht.
Wir Frauen tragen nämlich sehr viel zu dieser Gesell-schaft bei. Wir erwirtschaften große Teile des Brutto-sozialprodukts. Wir tragen wesentlich zum Steuerauf-kommen bei und leisten Erhebliches für unser sozialesVersicherungssystem. Auch all das, was die Frauen inFamilien und für ihre älteren Mitbürger tun und was sieehrenamtlich leisten, hätte heute von Ihnen angespro-chen werden müssen. Hier gibt es aber nur Streit und dasbedaure ich außerordentlich.
Das Potenzial von Frauen ist – das wissen wir alle –in Bezug auf Erwerbstätigkeit noch längst nicht ausge-schöpft. Aber woran liegt es, dass trotz besserer Bil-dungsabschlüsse Frauen in der Wirtschaft selten gutdotierte Positionen einnehmen? Der Frauenanteil anManagementpositionen in Deutschland ist seit 1998kaum gestiegen, liebe Kolleginnen von der linken Seite.Er liegt immer noch bei 28 Prozent.Auf der höchsten Entscheidungsebene der 50 größtenbörsennotierten Unternehmen findet sich in Deutschlandkeine einzige Frau als Präsidentin und Vorstandsvorsit-zende. Unterhalb dieser Ebene liegt der Frauenanteil inDeutschland bei 12 Prozent. In Norwegen und Schwe-den ist er doppelt so hoch.
20 Prozent der Mitglieder der obersten Gerichtshöfe inDeutschland sind Frauen. In anderen EU-Staaten ist derFrauenanteil in diesem Bereich deutlich höher. Wie-derum in Norwegen ist er doppelt so hoch wie bei uns.Bei den Professoren – das hat die Kollegin von der CDUschon angesprochen – ist der Anteil der Frauen noch be-slsDRvbbBDcMi1dcIfgddVhlFdmUWwnDd
Einer der Gründe für diese typisch deutsche Misereind die schlechten Rahmenbedingungen für Frauen.as ist zwar ein alter Hut, aber ich sage ganz deutlich:ot-Grün hat in diesem Bereich bislang keine Erfolgeerzeichnen können. Zu diesen schlechten Rahmen-edingungen gehört vor allem das Problem der Verein-arkeit von Familie und Erwerbsarbeit. Hier hat dieundesregierung die Situation nicht verbessern können.
er Betrag von 1,4 Milliarden Euro, den Sie angespro-hen haben, ist ein Wolkenkukkucksheim.
ir wurde von Ihnen noch keine Berechnung vorgelegt,n der Sie nachweisen können, dass den Gemeinden,4 Milliarden Euro für die Betreuung von Kindern unterrei Jahren zur Verfügung stehen.
In unserem Antrag „Frauenpolitik – Gesellschaftli-her Erfolgsfaktor“ – Frau Schewe-Gerigk, das sage ichhnen, weil Sie ihn nicht gelesen haben –
ordern wir von der Bundesregierung erstens die Beseiti-ung bestehender Barrieren und Benachteiligungen, dieer faktischen Gleichberechtigung entgegenstehen. Iniesem Zusammenhang komme ich noch einmal auf dieereinbarkeit von Familie und Beruf zu sprechen; dennierbei geht es auch darum, die Vereinbarkeit von Fami-ie und Beruf für Väter zu gewährleisten. Nicht nurrauen haben das Recht auf ein Leben mit Kindern, son-ern auch Väter müssen die Chance haben, ohne Diskri-inierung in ihrer Firma und ihrem gesellschaftlichenmfeld Kinder zu erziehen.
enn sich ein Vater für einige Zeit der Kindererziehungidmet, wird er noch immer mit Misstrauen betrachtet,icht aber, wie es angebracht wäre, hoch gelobt.
ie Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann nur durchen Ausbau der Kinderbetreuung, auf den wir warten,
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Ina Lenkeverbunden mit gesellschaftlicher Akzeptanz und der ver-besserten Betreuung unter dreijähriger Kinder gewähr-leistet werden.Die FDP fordert von der Bundesregierung zweitens– das ist der wichtigste Punkt –, die existenzsicherndeIntegration von Frauen in den Arbeitsmarkt voranzu-treiben.
Meine Damen und Herren, das geschieht angesichts von5 Millionen Arbeitslosen nicht. Was wir brauchen, isteine kluge Wirtschaftspolitik und die Beseitigung vonFehlanreizen in Steuer- und Transfersystemen, zumBeispiel den Wegfall der Steuerklasse V,
die Sie Ihren Anträgen zufolge beibehalten wollen. Wirhaben diesen Vorschlag in den Bundestag eingebracht,Sie aber lehnen ihn ab. Wir wollen also die Beseitigungvon Fehlanreizen in Steuer- und Transfersystemen. Da-rüber hinaus fordern wir von Ihnen eine bessere Arbeits-marktpolitik und den Abbau der hohen Regulierungs-dichte auf dem Arbeitsmarkt.Drittens fordert die FDP die Tarifpartner auf, diebestehenden Arbeitsbewertungssysteme und ihre An-wendung auf diskriminierende Mechanismen zu unter-suchen. Die Beseitigung der Unterbewertung frauen-dominierter Tätigkeiten und der Überbewertungmännerdominierter Tätigkeiten in Gehaltstarifen ist dieAufgabe von Gewerkschaften und Arbeitgebern, auchund gerade im öffentlichen Dienst. Das sind einige wich-tige Forderungen, die wir in unserem Antrag stellen.Frau Schewe-Gerigk, als Opposition haben wir dieRegierung kritisch zu begleiten und selbst Vorschläge zumachen. Wenn Sie sich die Anträge, die die FDP-Frak-tion in der letzten und in dieser Legislaturperiode in denBundestag eingebracht hat, ansehen, stellen Sie fest,dass auch wir Frauenpolitik machen – allerdings auf eineandere Weise als Sie.
Zum Schluss eine persönliche Anmerkung. LiebeKollegen und Kolleginnen, Frauenpolitikerinnen ha-ben in keiner Fraktion einen leichten Stand. Dieser Poli-tikbereich hat nicht die Priorität, die er verdient. Deshalbist unser Antrag, in dem die Defizite dieser Regierungnach sechsjähriger Amtszeit angesprochen werden, so zuverstehen, dass wir damit die Kräfte in der Koalitionstärken wollen, die sich für Gender Mainstreaming, alsofür die Gleichberechtigung von Frauen und Männern,einsetzen. Auf meinem Sprechzettel habe ich folgendenSchlusssatz notiert: Lassen Sie uns heute nicht im Streitenden,
sondern das Ziel verfolgen, für Männer und Frauen Rah-menbedingungen zu schaffen, die uns allen gut tun.Vielen Dank.SDbHlaaSFmwmsnbbgurvaoerascKsP
Ich erteile das Wort Kollegin Renate Gradistanac,
PD-Fraktion.
Guten Morgen, Herr Präsident, meine sehr verehrten
amen und Herren! Der Internationale Frauentag 2005
ietet die Möglichkeit für eine gleichstellungspolitische
albzeitbilanz – ich beziehe mich nur auf die 15. Legis-
turperiode – der Gleichstellungspolitik als Querschnitts-
ufgabe mit der Strategie des Gender Mainstreaming.
eit Jahrzehnten fordert die Frauenbewegung mit ihren
rauenverbänden, dass Frauen sich nicht zwischen Fa-
ilie und Beruf entscheiden müssen, sondern dass sie
ie Männer Familie und Beruf ganz selbstverständlich
iteinander vereinbaren können.
Was für Frauen in anderen EU-Ländern wie zum Bei-
piel in Frankreich und in Schweden längst Realität ist,
ämlich eine verlässliche und umfassende Kinder-
etreuung, war in Deutschland lange Zeit undenk-
ar. Durch unser 4-Milliarden-Euro-Ganztagsschulpro-
ramm
nd das Tagesbetreuungsausbaugesetz für unter Dreijäh-
ige wurde zu meiner großen Freude in meinem konser-
ativen Schwarzwald ein fruchtbarer Gärungsprozess
usgelöst, der erste Früchte trägt.
Wenn man bedenkt, dass Bildung und Betreuung
riginäre Aufgaben der Länder und Kommunen sind, ist
s umso erfreulicher, dass es der SPD-geführten Bundes-
egierung gelungen ist, diesen gesellschaftlichen Wandel
nzustoßen.
Klar war dabei immer, dass wir auf diesem harten und
teinigen Weg vielfältige und zuverlässige Partner brau-
hen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Lenke?
Nein. Wir wollten doch in Ruhe weitermachen. – Dietrategische Kooperation zwischen den Beteiligten ausolitik, Wirtschaft und Gewerkschaften ist zwingend
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15193
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Renate Gradistanacnotwendig, um die Vereinbarkeit von Familie und Ar-beitswelt zu verbessern.
Bundesministerin Renate Schmidt hat den guten Ansatzaufgegriffen und das Projekt „Allianz für Familien“begründet.
Vor Ort haben sich inzwischen 129 „lokale Bündnissefür Familien“ entwickelt, denen sich 17 Millionen Men-schen angeschlossen haben. Angebote zur flexiblen Kin-derbetreuung und zum beruflichen Wiedereinstieg sindBeispiele für Aktivitäten, mit denen lokale Bündnisse inZusammenarbeit mit der Wirtschaft ganz konkret vorOrt die beruflichen und familiären Möglichkeiten vonFrauen verbessern.Beim Unternehmenswettbewerb „Erfolgsfaktor Fami-lie 2005“ hat sich aus meiner Heimat die Firma Bauserfür die Endrunde qualifiziert. Ich gehe davon aus, dassSie sich alle mit mir darüber freuen, dass diese beispiel-hafte Unternehmensphilosophie Raum greift.
Ich wünsche mir sehr, dass es nicht immer heißt,Wirtschaft zuerst und somit Frauenrechte als Luxus fürbessere Zeiten aufgespart werden, sondern ich schließemich hier den Worten von Frau Widmann-Mauz – daswird sie sicher erschrecken –, der Vorsitzenden derGruppe der Frauen in der CDU, ausdrücklich an.Sie sagte: Heute und in Zukunft werden die Unterneh-men in Deutschland, insbesondere angesichts der demo-graphischen Entwicklung, nicht mehr auf die überdurch-schnittlich gut ausgebildeten Frauen in Deutschlandverzichten können.
Meine Damen und Herren, trotz aller positiven Ent-wicklungen ist Deutschland auch in der Arbeitswelt lei-der immer noch keine diskriminierungsfreie Zone. ZumBeispiel sind die Lohnunterschiede – das beklagen wiralle – noch immer gravierend. Bei Vollzeiterwerbstätig-keit verdienen Frauen noch immer bis zu 30 Prozent we-niger als ihre männlichen Kollegen.
Mit unserem Antidiskriminierungsgesetz
haben Frauen in Zukunft eine wirkungsvollere Hand-habe
gegen Benachteiligungen und Diskriminierungen, zumBeispiel in der Arbeitswelt.DumDrisADaCHaihwsFsRMvvnWhgdRpD
ie Tarifvertragsparteien – Arbeitgeber, Beschäftigtend Betriebsräte – sind gefordert, aktiv eine Antidiskri-inierungskultur zu entwickeln.
aimler-Chrysler geht hier mit einer sehr guten Hand-eichung beispielhaft voran. Wie wichtig dieses Gesetzt, hat die anspruchsvolle Anhörung diese Woche zumntidiskriminierungsgesetz gezeigt.
ie wertvollen Anregungen werden wir zum Teil ein-rbeiten.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Kollegin Rita Pawelski, CDU/
SU-Fraktion.
Guten Morgen, Herr Präsident, meine Damen underren! In Deutschland leben 3,4 Millionen Frauen, dieus anderen Ländern zu uns gekommen sind. Viele vonhnen sind in unser Land gekommen, um bei uns in Frei-eit zu leben, in Freiheit, die ihnen in ihrer Heimat ver-ehrt wurde: Sie wollten leben ohne Angst vor Repres-alien des Staates, der Religionsgemeinschaften oder deramilienclans. Bei uns, in ihrer neuen Heimat, schütztie das Grundgesetz: Es sichert ihnen unveräußerlicheechte zu wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit, dieeinungsfreiheit – und auch die Gleichberechtigung.Aber von diesen Rechten können trotz Grundgesetziele dieser Frauen nur träumen. Wir haben aus falscherstandener Toleranz ignoriert, dass viele Migrantin-en in unserem Land in Unfreiheit, in Angst leben.
ir haben Themen wie Ehrenmorde oder Zwangs-eiraten leichtfertig unter dem Deckmantel der Reli-ionsfreiheit oder unter „fremde Kulturen“ verschwin-en lassen. Wir haben toleriert, dass mitten unter uns dieechte von Frauen mit Füßen getreten werden.
Nun ist so mancher ideologischer Luftballon zer-latzt. Die Schriftstellerin Necla Kelek schrieb sogar:er Traum von Multikulti ist verantwortungslos. Die
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Rita PawelskiAnwältin Seyran Ates sieht bei der Regierung – ich zi-tiere –eine unglaubliche Angst, kulturelle Minderheitenan den Grundrechten zu messen … wo die Grünensich immer so hübsch zugute halten, es mit denMenschenrechten ganz genau zu nehmen.Das Thema „Gewalt gegen türkische Frauen“ hat inden letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Ich meinejetzt nicht die Gewalt gegen türkische Frauen, ausgeübtvon türkischen Polizisten in Istanbul. Ich frage michschon, wo da die Betroffenheitsmienen einiger Ministerwaren, die sich doch sonst ständig äußern. Ich vermissteda Äußerungen der Regierung.
Meine Damen und Herren, ich spreche von dem grau-samen Mord an einer Türkin im Februar in Berlin, derdie ganze Republik erschütterte. Hatun Sürücü wurdeauf offener Straße regelrecht hingerichtet, mutmaßlichvon ihren eigenen Brüdern. Das Tatmotiv: verletzteEhre. Die junge Frau wurde mit 16 mit einem Cousinverheiratet. Sie war westlich geworden, sie wollte jetztfrei leben. Sie war innerhalb weniger Monate die sechsteFrau in Berlin, die im Namen der „Ehre“ ermordetwurde. Auslöser für derartige Menschenrechtsverletzun-gen sind archaische Familienstrukturen, zum Beispielbei den Jeziden, aber auch die strenge, traditionelle Aus-legung des Islam: Danach ist die Ehre eines Mannes ab-hängig von einem ehrbaren Verhalten seiner weiblichenFamilienangehörigen. Verstößt eine Frau dagegen, etwaindem sie sich verliebt – möglicherweise sogar in einenUngläubigen – oder sogar Geschlechtsverkehr vor derEhe hat, gilt das als Beschmutzung der Ehre der Familie,der Ehre des Familienoberhaupts. Das kann nur durchVerstoßung, Verstümmelung oder – im schlimmsten Fall,wie es ja ein paar Mal passiert ist – durch Tötung der„Täterin“ gesühnt werden. Erst dann gilt seine Ehre alswieder hergestellt. Das wird auch in Deutschland, in un-serem Land, praktiziert. Das wollen wir nicht weiter zu-lassen.
Eine Studie des Familienministeriums zeigt, dass einViertel der befragten Frauen, die mit einem türkischenPartner verheiratet sind oder waren, den Ehemann vorder Hochzeit nie gesehen haben. Das sind für michZwangsheiraten und massive Verletzungen der Men-schenrechte.
Offizielle Daten zu Zwangsehen in Deutschland liegenleider nicht vor. Das ist für mich völlig unverständlich.Der Berliner Senat sprach von 230 Fällen im Jahre 2002,in denen Frauen von Zwangsehen bedroht oder betroffenwaren. In Celle, einer Kleinstadt in Niedersachsen – dortleben sehr viele Jeziden –, waren es in den letzten Jahrenüber 200 Frauen. Jeder dort sagt, dass die Dunkelziffersehr viel höher ist.sdvdsvcgRAwodaeguCdvzuTgnRgwUBwmdSsWbdgmhMnkKK
ass alle Institutionen und Gruppen, die mit Betroffenenon Gewalt und Zwangsheirat zu tun haben, so qualifi-iert werden, dass sie die Probleme rechtzeitig erkennennd auf gute Beratungsstellen verweisen können.
Wir wollen, dass die Straftaten, bei denen die Ehre alsatmotiv angegeben wird, in den Statistiken separat aus-ewiesen werden müssen. Das geschieht bis heute leidericht. Wir fordern, dass die Opfer von Zwangsehen mehrechte erhalten. Die Pflicht zur Einhaltung der einjähri-en Frist zur Aufhebung dieser Ehe soll abgeschaffterden. Wir fordern, dass bei einer Zwangsheirat dienterhaltsansprüche nicht mehr davon abhängen, ob dieetroffene vom Ehegatten bedroht oder getäuschturde; denn sehr oft geht die Drohung auch von der Fa-ilie aus. Übrigens werden auch oft junge Männer be-roht; denn diese werden oft genauso zwangsverheiratet.ie sind also auch Opfer, um die wir uns kümmern müs-en.
ir wollen, dass die Zwangsheirat ein eigener Tat-estand im Strafgesetzbuch wird. Der Strafrahmen sollen aufenthaltsrechtlichen Ausweisungsvorschriften an-epasst werden, sodass die Täter letztlich damit rechnenüssen, ausgewiesen zu werden.Meine Damen und Herren, ein Ausweg aus der Ab-ängigkeit ist die Bildung. Aber auch sie bleibt denädchen oft verwehrt. Sie werden von ihren Eltern zu-ehmend aus dem Sport-, Schwimm- oder Sexual-undeunterricht herausgenommen und dürfen keinelassenfahrten mitmachen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage derollegin Sonntag-Wolgast?
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Ich möchte bitte zusammenhängend zu Ende reden.
Nachher gerne. – Dabei haben die muslimischen Mäd-
chen im Durchschnitt bessere Schulabschlüsse als die
muslimischen Jungen.
Sie haben aber keine Chance, aus diesen guten Schul-
abschlüssen etwas zu machen. Das wird ihnen verwehrt.
Wir wollen, dass alle Mädchen an allen Unterrichts-
fächern teilnehmen müssen. In Abstimmung mit den
Bundesländern wollen wir bereits im Kindergarten eine
Sprachförderung. Je eher wir damit anfangen, desto
besser.
– Sie wird von einigen durchgeführt, aber leider nicht
von allen.
Unser Grundgesetz, vor allem Art. 3, gilt auch für
Frauen und Mädchen aus anderen Kulturkreisen. Sie sol-
len nicht nur unter uns leben, sie sollen gleichberechtigt
mit uns leben.
Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin
Marieluise Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Kollegin Pawelski, ich stimme Ih-
nen zu, dass es in der Politik immer wieder einmal pas-
siert, dass wir zu lange brauchen, um zunächst verbor-
gene gesellschaftliche Entwicklungen zu entdecken. Das
gilt für das, was Sie beschrieben haben und was sich
zum Teil in unseren Migranten-Communities abspielt.
Das hat auch für sexuellen Missbrauch an Kindern und
Vergewaltigung in der Ehe gegolten, wo es in den Parla-
menten zunächst Widerstand dagegen gab, sich mit die-
sen Sachverhalten auseinander zu setzen und darauf ge-
setzgeberisch zu reagieren.
Nun haben Sie gesagt, wir – mir war nicht ganz klar,
wen Sie mit dem „wir“ meinten; ich hatte das Gefühl,
Sie meinten uns – hätten das Thema „Gewalt gegen
Migrantinnen“ zu lange nicht wahrgenommen. Nun hat
es in der letzten Legislaturperiode eine ganz harte Aus-
einandersetzung um die Wahrung der Rechte von
Migrantinnen gegeben, nämlich im Rahmen der Novel-
lierung des damaligen § 19 des Ausländergesetzes.
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abei stand der Schutz von Migrantinnen im Mittel-
unkt der Debatte.
Noch einmal der Sachverhalt für diejenigen, die ihn
icht kennen:
n Frauenhäusern – ich gehe viel in Frauenhäuser, weil
ch wissen möchte, was da passiert – lernen Sie, dass für
igrantinnen genau diese Änderung in § 19 Ausländer-
esetz eine der größten Erleichterungen der letzten Jahre
ewesen ist, weil sie endlich ihren gewalttätigen Mann
erlassen können.
Ein zweiter Bereich betrifft das Strafrecht. Im Februar
ieses Jahres ist auf Initiative der Regierungskoalition
ie Strafe für Zwangsverheiratung verschärft worden,
eil wir wussten, dass die Zwangsverheiratung offen-
ichtlich auch in unserem Lande ein Thema ist und aus-
ändische Frauen gegen ihren Willen in unser Land ge-
racht werden. Deswegen haben wir uns für diese
trafverschärfung eingesetzt.
Ich habe von Ihrer Seite kein „mea culpa“ dafür ge-
ört, dass Sie zu lange übersehen haben, was passiert.
assen Sie uns über diese Missstände reden. Lassen Sie
ns überlegen: Wie schützen wir die Opfer? Wie bauen
ir Netzwerke auf? Wie machen wir niedrigschwellige
ngebote, die in der Regel Aufgabe von Ländern und
ommunen sind, um auch das hier einmal zu sagen?
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Ihre Intervention bekommt ein Geschmäckle, Frauollegin, wenn Sie so tun, als ob Sie das schon immerlles gewusst hätten, und meinen, dies nun in einen
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Marieluise Beck
Angriff auf diese Regierung ummünzen zu müssen.Dann geht ein Stück Ehrlichkeit verloren. So sollten wirdiese Auseinandersetzung nicht führen.
Kollegin Pawelski, Sie haben Gelegenheit zur Reak-
tion.
Frau Staatssekretärin, man muss schon ein verdammt
schlechtes Gewissen haben,
wenn man eine allgemeine Äußerung wie „Wir haben
toleriert“ auf sich persönlich bezieht. Man zieht immer
die Pfeile an, die man verdient. Anscheinend verdienen
Sie sie.
Ich finde es schön, dass Sie mir zutrauen, dass ich
schon sehr lange im Bundestag bin. Aber ich bin erst seit
2002 hier. Ich habe jedoch die entsprechenden Unter-
lagen gelesen. Wir befinden uns im Jahre 2005. Sie hat-
ten also sechs Jahre lang Zeit, etwas zu tun. Sie haben
nicht genug getan.
Wir als CDU/CSU-Fraktion haben seit 1999 in vielen
Anträgen immer wieder auf dieses Thema hingewiesen.
Sie haben nicht genug gehandelt.
Sie, verehrte Frau Staatssekretärin, sagen jetzt, dass
der § 240 Strafgesetzbuch geändert wurde. Dazu sage
ich Ihnen: Der Tatbestand der Zwangsheirat steht nur in
einem Nebensatz im Gesetz.
Wir wollen, dass ein eigener Paragraph geschaffen wird,
damit jeder, der Zwangsehen veranlasst oder unterstützt,
weiß, dass er möglicherweise ausgewiesen werden kann.
Ich glaube, das ist eine Strafänderung, die verstanden
wird.
Ich erteile das Wort Kollegin Ursula Sowa, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
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die Unionsfraktion zur allgemeinen Erheiterung als Vor-hut der Gleichberechtigung präsentiert. Ungeachtet des-sen haben Sie in Ihren Änderungsanträgen zum BMBF-Haushalt 2005 vorgeschlagen, bei den Strategien zurDurchsetzung von Chancengleichheit für Frauen in Bil-dung und Forschung um 1,5 Millionen Euro zu kürzen,und den Ansatz beim Titel „Weiterentwicklung vonHochschule und Wissenschaft sowie Realisierung derChancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“wollten Sie gar um 29 Millionen Euro zusammenstrei-chen. Erklären Sie uns bitte, wie das mit Ihrem Anspruchals frauenpolitische Avantgarde zusammengeht!
Mehr Frauen in Wissenschaft und Forschung sindnicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit; mehrFrauen in Wissenschaft und Forschung bedeuten auchneue Forschungsfragen und neue Perspektiven. Auf diesind wir zur Lösung unserer Probleme dringend ange-wiesen.Danke schön.
Ich erteile Kollegin Conny Mayer, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Laut einer ganz aktuellen dpa-Meldung werden jedeWoche mehrere Hundert Frauen und Mädchen im Kongovergewaltigt. Die jüngsten sind gerade mal vier Jahre alt.Sie werden häufig Opfer von Massenvergewalti-gungen. Bisher wurden nur wenige Fälle – weniger alsein Dutzend – juristisch aufgearbeitet.Die CDU/CSU-Fraktion hat im November des ver-gangenen Jahres einen Antrag mit dem Titel „Frauen inden Krisenregionen Subsahara-Afrikas stärken“ einge-bracht. Wir hätten diesen Antrag gern hier diskutiert.Schade, dass das in dieser Debatte zum InternationalenFrauentag nicht möglich war! Die Koalition hat nämlichmit ihrer Mehrheit verhindert, dass wir diesen AntraghaKüsDnAnnsAilzgswgvtWssGdsDFeDSMbDPsliewwlaMssisFÄta
ie Bundesregierung hat bislang auch keinen nationalenlan zur Umsetzung der Resolution 1325 erarbeitet. Wiechon in unserem Antrag fordere ich hiermit nachdrück-ch dazu auf.Die Situation von Frauen in Krisenregionen ist dasine. Da wir von internationalen Frauenfragen reden,ill ich auf eine weitere zentrale Herausforderung hin-eisen: Gesundheitsfragen und HIV/Aids. In Deutsch-nd kommt es glücklicherweise nur sehr selten vor, dassütter oder Säuglinge während oder nach der Geburtterben. In anderen Teilen der Erde gehört dieses grau-ame Schicksal dagegen zum Alltag. Seit der Konferenzn Peking vor zehn Jahren hat sich in diesem Bereich nurehr wenig verbessert. In Westafrika stirbt jede zwölfterau an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt.hnlich hoch sind im Moment die Zahlen in Afghanis-n.
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Dr. Conny Mayer
Auch bei HIV/Aids ist die Situation dramatisch. Rund38 Millionen Menschen weltweit sind mit dem Virus in-fiziert. Der Anteil der Frauen ist hierbei in den vergange-nen Jahren auf über 50 Prozent angestiegen. Das war vorzehn Jahren noch anders. Das Risiko der Ansteckung istfür Frauen schon aus physiologischen Gründen viermalhöher. Wirtschaftliche Abhängigkeit und fehlende Kon-trolle über das sexuelle Verhalten des Partners tragen zu-sätzlich zu einer großen Infektionsgefahr bei.Neben der Herausforderung der Situation von Frauenin Krisengebieten sowie den Themen „Gesundheit“ und„HIV/Aids“ möchte ich auf eine weitere zentrale He-rausforderung hinweisen. Ich bin dankbar, dass die Kol-legin Sowa von den Grünen im nationalen Kontextschon darauf hingewiesen hat. Bildung ist ein zentralerSchlüssel für weltweite Entwicklung und insbesonderefür die Durchsetzung von Frauenrechten. Seit der Konfe-renz in Peking gab es Fortschritte. Mehr Kinder, Mäd-chen wie Jungen, haben Zugang zu Grundbildung.Trotzdem sind noch immer zwei Drittel aller Analphabe-ten weiblich. Frau Schmidt, auch im Koalitionsantrag zuPeking + 10 wird betont, dass in Subsahara-Afrika undSüdostasien die Bildungschancen für Frauen dramatischschlecht sind. Schade ist, dass diese Erkenntnis, die inder Koalition offensichtlich durchaus vorhanden ist, imBMZ so wenig Beachtung findet.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, fordern die Bundesregie-rung deshalb auf, die Bildung und insbesondere dasThema „Bildung von Frauen und Mädchen“ auf der ent-wicklungspolitischen Agenda weiter oben anzusiedeln.
Ein letzter Punkt. Kofi Annan hat gerade erst in seinerRede in New York auf eine neue Herausforderung hinge-wiesen, die es vor zehn Jahren in diesem Ausmaß – sosagt er jedenfalls – noch nicht gab: Frauen- und Kinder-handel. Auch Sie weisen in Ihrem Koalitionsantrag da-rauf hin, dass jährlich rund 2 Millionen Menschen,Frauen und Kinder, Mädchen wie Jungen, Opfer vonMenschenhandel werden. Schade, dass die Koalitionnicht mutig genug war, diesem abscheulichen Verbre-chen mehr als vier Zeilen in einem siebenseitigen Papierzu widmen!
Ich möchte noch einmal auf den Ostkongo zurück-kommen. Ich will meine Rede mit einem Zitat von einerFrau beenden, die von bewaffneten Kämpfern attackiertund vergewaltigt wurde. Ihr Mann weigert sich seitdem,mit ihr zusammenzuleben. Diese Frau sagte einer Mit-arbeiterin von Amnesty International:Wir wollen Ihnen berichten, was passiert ist. Bitteerzählen Sie unsere Geschichten weiter, damit die-sem Grauen endlich ein Ende gesetzt wird!Ich will deshalb an Sie alle, an uns alle appellieren: Las-sen Sie uns Debatten wie die heutige auch dazu nutzen,auf die Situation von Frauen in den Ländern des SüdensatAdeSukRdMwCalhnAfFnwbmpbHWsGAhmsOsMsDOeDm
eshalb trifft Hartz IV die Ostfrauen besonders hart.stfrauen haben oft Jahrzehnte gearbeitet und deshalbine vergleichsweise hohe Arbeitslosenhilfe bekommen.ie Bundesregierung hat mit dem Arbeitslosengeld II,it Hartz IV, die Frauen, die ein Jahr gearbeitet haben,
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Dr. Gesine Lötzschmit den Frauen – und Männern natürlich –, die 30 Jahregearbeitet haben, auf eine Stufe gestellt, herabgestuft.Gerechtigkeit sieht anders aus.
Meine Damen und Herren, ich war am Freitag ver-gangener Woche mit einer Gruppe von 50 Frauen aus derganzen Republik, aus Ost und West, im Frauenministe-rium. Wir hatten vorher Bescheid gesagt, dass wir zumThema „Hartz IV und Frauen“ diskutieren wollten. ZuRecht wollten die Frauen wissen, wie das Frauenminis-terium als Lobbyistin der Frauen bei der Hartz-IV-Ge-setzgebung aufgetreten ist. Die Antworten waren mehrals dürftig. Die Frauen waren enttäuscht, dass sie in die-sem Ministerium zu wenig Unterstützung gefunden ha-ben.Aber auch Frauen, die eine Arbeit oder einen Job ha-ben, brauchen dringend politische Unterstützung. Des-halb schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie uns spätestenszum Frauentag 2006 gemeinsam in eine Lidl-Verkaufs-stelle gehen. Lassen Sie uns gemeinsam mit den Verkäu-ferinnen über die katastrophalen Arbeitsbedingungensprechen. Dieses Gespräch wird sicher nicht ganz so nettwie das Gespräch mit den Karrierefrauen.
– Ich sprach von Gemeinsamkeit, meine liebe Kollegin-nen und Kollegen. –
Denn die Kassiererinnen müssen während des Gesprä-ches 40 Produkte pro Minute durch den Kassenscannerschieben.Verdi hat das Schwarzbuch Lidl herausgebracht. Esliest sich wie ein Leitfaden zur Ausbildung in der Frem-denlegion. Überwachung, Drill, Hetze stehen auf der Ta-gesordnung. Frauen erzählen in diesem Buch, dass siemindestens neun Stunden täglich gearbeitet haben,grundsätzlich ohne Pause. Wahrscheinlich haben dieseFrauen nicht unbedingt Lust auf ein solches Gespräch,müssten sie doch die verloren gegangene Arbeitszeitnacharbeiten. Trotzdem bin ich dafür, dass wir diesenVersuch starten und gemeinsam unser Augenmerk aufdie Frauen legen, die unsere Hilfe am dringlichsten brau-chen.
Was die Kollegin Lenke eingangs ihrer Rede gesagthat, kann ich nach meinem persönlichen Eindruck nurunterstützen. Gerade am Anfang dieser Debatte hat eshier eine Atmosphäre von Zwischenrufen und Gekeifegegeben, die dem Anliegen der Frauen, Gleichstellunggemeinsam durchzusetzen, sicher nicht gedient hat. Ichhoffe, dass wir uns in Zukunft gemeinsam eines Besse-ren besinnen.Vielen Dank.
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och vor 100 Jahren hatte Kaffeetrinken nämlich einen
itteren Nachgeschmack. Auf dem Boden der Tasse be-
and sich eine Schicht bitteren schwarzbraunen Schlicks,
is die Leipzigerin Melitta Bentz auf die Idee kam, den
affee in einen Löschpapierfilter zu füllen. 1908 ließ sie
ich diesen Filter patentieren. Seitdem ist die Kaffee-
iltertüte aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Das ist nur ein klitzekleines Fragment aus der langen
eschichte von Erfindungen, die Frauen gemacht haben.
er Scheibenwischer zum Beispiel, der uns beim Auto-
ahren freie Sicht beschert, ist die Erfindung einer Frau.
entilationssysteme für Schiffe, Konstruktionen für
ängebrücken, wärmeisolierende Schwimmwesten und
pikesüberzieher für Autoreifen – all das haben Frauen
rfunden und konstruiert.
Stellen Sie sich einmal vor, was uns fehlen würde,
enn wir das Potenzial von Frauen als Forscherinnen,
ngenieurinnen und Technikerinnen nicht intensiv nut-
en würden.
ieses Potenzial ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für un-
ere Wissensgesellschaft. Die Kompetenz von Frauen
st ein Pfund, mit dem wir im internationalen Wettbe-
erb wuchern können und sollten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Scheuer, CDU/CSU-Fraktion?
Gern.
Mal sehen, was er zu sagen hat.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!rau Kollegin, wir sind uns ja einig, was die vielen Be-eiligungen und guten Ideen von jungen Frauen in unse-er Gesellschaft angeht. Ich glaube aber, dass es drän-endere Fragen gibt. Was sagen Sie denn – ich darf hier
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Dr. Andreas Scheuerdie „Welt“ vom 8. März zitieren – zum steigenden Ar-mutsrisiko für allein erziehende Frauen? Das ist Realitätin Deutschland unter Rot-Grün. Was sagen Sie denn zurwirtschaftlichen Situation der Frauen in Deutschland un-ter einer rot-grünen Regierung? Was tun Sie dafür, dieseSituation zu verbessern? Das würde mich interessieren,nicht die vielen Dinge, die irgendwann in grauer Vorzeiteinmal erfunden wurden. Wir wissen, dass wir guteFrauen mit guten Ideen haben; sie müssen aber auch eineGarantie dafür haben, dass sie diese Ideen wirtschaftlichumsetzen können.
Herr Kollege Scheuer, Sie werden es mir verzeihen,dass ich meinen Vortrag jetzt nicht nach Ihren Vorstel-lungen ausrichte.
Natürlich sind die Fragen, die Sie angesprochen haben,wichtig und natürlich beschäftigt sich die Regierungauch mit diesen Fragen. Selbstverständlich haben wir eingroßes Interesse daran, Frauen auch in wirtschaftlichschwächeren, in konjunkturschwachen Zeiten massiv zuunterstützen. Nur, ich beziehe mich im Moment – Siewerden mir das verzeihen – auf das Thema Frauen in derWissenschaft. Das ist mein Part und da mache ich jetztauch weiter.Wenn wir eine Bestandsaufnahme machen und einengenaueren Blick auf die Beteiligung von Frauen inWissenschaft und Forschung werfen, dann stellen wirganz eindeutig eines fest: Frauen sind dort immer nochstark unterrepräsentiert, besonders in Führungspositio-nen.Andererseits gibt es aber seit Jahren eine positive Ent-wicklung, auf der wir aufbauen können. Bei den Stu-dienanfängern und -absolventen haben Frauen mittler-weile mit Männern gleichgezogen. Der Frauenanteil beiPromotionen ist seit 1998 von 33 auf 36 Prozent gestie-gen, bei den Professuren im selben Zeitraum von 9 auf13 Prozent. Das ist eine beachtliche Steigerung, aber beiweitem nicht ausreichend. In den USA gibt es etwa dop-pelt so viele Professorinnen wie bei uns. Einen sehr gro-ßen Schritt nach vorn haben wir aber mit der Juniorpro-fessur gemacht. Da beträgt der Frauenanteil immerhin30 Prozent.An den Hochschulen hat sich also schon einiges ge-tan. In den außeruniversitären Forschungseinrichtungenund in der industriellen Forschung ist die Situation aller-dings noch ernüchternd. Frauen in Führungspositionensind dort fast allein auf weiter Flur. Grundsätzlich giltdurchgängig für alle Bereiche des Arbeitsfelds Wissen-schaft und Forschung: je höher die Qualifikation, destogeringer die Zahl der Frauen.Deshalb fordern wir die Bundesregierung und auchdie Länder auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, umdie Beteiligung von Frauen in Wissenschaft und For-schung weiter zu steigern. Dazu gehört zum Beispiel,dgwuFwpFnpsAskALisggaVWnrHrfGHFdPcRdzdsFdEdddsirga
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 40 Prozent allerkademikerinnen entscheiden sich gegen Kinder, weilie Familie und Beruf nicht miteinander vereinbarenönnen. Das liegt im Wesentlichen an dem mangelndenngebot an Kinderbetreuung. Wir leisten uns also denuxus, dass ein großer Teil der gut ausgebildeten Frauenhr Wissen und ihre Möglichkeit, Kinder zu fördern, nieelbst ans Kind bringen können. Das ist für die Wissens-esellschaft fatal. Für sie ist die Initiative der Bundesre-ierung wichtig, Kinderbetreuungsangebote konsequentuszubauen, auch bereits für die unter Dreijährigen.
erzögerungen in der Ausbildung oder im beruflichenerdegang durch Kinderbetreuung dürfen sich nichtachteilig etwa bei Stellenbesetzungen oder bei Beförde-ungen auswirken. Die Familienfreundlichkeit einerochschule sollte bei den einschlägigen Rankings be-ücksichtigt werden.Auch die Wirtschaft hat erkannt, dass Familien-reundlichkeit ein wichtiger Standortfaktor ist. Ludwigeorg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- undandelskammertages, hat kürzlich das „Jahrhundert derrau“ ausgerufen; denn – so Braun – lange werde es sichie Wirtschaft nicht mehr leisten können, das riesigeotenzial an hoch qualifizierten Frauen nur unzurei-hend zu nutzen.
echt hat er! Das gilt nicht nur für die Wirtschaft, son-ern auch für die Wissenschaft. Auch beim Wechselwischen Positionen in Wissenschaft und Wirtschaftürfen Frauen nicht auf der Strecke bleiben. Ein Beispielind Ausgründungen aus Hochschulen. Hier spielenrauen heute nur eine geringe Rolle. Das muss sich än-ern. Das gilt nicht nur für Ausgründungen, sondern fürxistenzgründungen insgesamt. Ich finde es daher gut,ass das BMWA und das BMBF den Aufbau einer bun-esweiten Gründerinnenagentur unterstützen, die För-er- und Coachingangebote macht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Freiheit und Wohl-tand bauen auf Wissen auf. Das gilt für die Gesellschaftnsgesamt, aber auch für jeden einzelnen Menschen. Da-um müssen Frauen und Männer gleichberechtigt Zu-ang zu Wissen bekommen. Aber das reicht noch nichtus. Frauen und Männer müssen gleichberechtigt die
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Ute BergMöglichkeit haben, unsere Gesellschaft zu gestalten undweiterzuentwickeln. Darum müssen sie gleichermaßenin Führungspositionen vertreten sein. Es ist unsere Auf-gabe, die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern, da-für zu sorgen.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Markus Grübel, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Für die CDU/CSU ist Gleichstellungspolitik ein Politik-feld, das Frauen und Männer gleichermaßen angeht.
Leider – das ist an der heutigen Rednerliste erkennbargewesen –
– Rednerinnenliste, genau – geht bei der SPD und beimBündnis 90/Die Grünen Gleichstellungspolitik nurFrauen an. Die Männer in Ihren Parteien sind stumm ge-blieben. So viel zu Ihrem Einwand, Frau Sowa.
Eine gute, eine wirklich moderne Gleichstellungspoli-tik hat Frauen und Männer im Blick. Wir brauchen eineneue Partnerschaft zwischen den Geschlechtern. Da-rum fordern wir in unserem Antrag „TatsächlicheGleichberechtigung durchsetzen“ die Bundesregierungauf,in der Gleichstellungspolitik stärker als bislang aufeinen Geschlechterkonsens hinzuwirken und daraufzu achten, dass Gleichstellungspolitik Frauen undMänner im Blick hat; …Als ich vor zwei Jahren an gleicher Stelle zur Gleichstel-lungspolitik geredet habe, hat anschließend die „taz“ ge-schrieben: Die erste Männerrechtsrede im DeutschenBundestag. Es war nämlich so ungewöhnlich, dass nach50 Jahren auch einmal ein Mann zu Gleichstellungs-themen geredet hat. Dabei geht es mir aber gar nicht ein-seitig um Männerrechte. Es geht mir darum, dass dieGleichstellungspolitik aus der feministischen Ecke he-rauskommt und die Männer auf einen gemeinsamen Wegmitnimmt.
Eine moderne Gleichstellungspolitik setzt dort an, woein Mensch aufgrund seines Geschlechts Unterstützungund Förderung braucht. Das können Frauen sein, aberauch Männer. Ich gehe durchaus davon aus, dass es ineagGTTD–bADMGsbkSwwhDDGdSpsMbuu
Während die Bundesregierung jährlich einen Frauen-esundheitsbericht vorlegt, gibt es kein entsprechendesegenstück für Männer.Während sich viele Bundestagsdrucksachen mit demhema Frauen in Männerberufen befassen, ist dashema Männer in Frauenberufen nicht relevant.Es gibt Girls’ Days für Mädchen, aber keine Boys’ays für Jungen.
Dies betrifft ebenfalls das Thema Männer in Frauen-erufen. Grundschullehrer, Erzieher, Krankenpfleger,ltenpfleger etc., das sind auch Berufe für Männer.
er Girls’ Day möchte Mädchen und junge Frauen anännerberufe heranführen. Aber wo ist bei Ihnen dasegenstück dazu?Der überwiegende Teil der Schulabbrecher, Schul-chwänzer und Frühkriminellen ist männlich undräuchte dringend Förderung und Führung.Jungen weisen die größeren Defizite bei der Lese-ompetenz auf als Mädchen.Nach wie vor sind spezielle Angebote für Männer imcheidungsfall Mangelware.Während es landauf, landab Frauentage, Frauen-ochen und Ähnliches gibt, sind Männertage so seltenie die blaue Mauritius.Es gibt jetzt eine Ausnahme: einen Männergesund-eitstag unter dem Motto „MännerLeben“ in Esslingen.ie „Stuttgarter Zeitung“ schreibt dazu: „Einzigartig ineutschland“.Es wird immer wieder gesagt, dass Schweden in derleichstellungspolitik weiter sei als Deutschland. Seit-em ich weiß, dass der Gleichstellungsbeauftragtechwedens ein Mann ist, glaube ich das auch.
Nicht nur Gleichstellungspolitik, auch Familien-olitik ist mehr als Frauenpolitik. Das Thema Eltern-chaft, Kinder und Beruf ist ein Thema für Frauen undänner. Auch hier ist eine neue Partnerschaft gefragt:ei der Aufgabenverteilung im Haushalt, bei der Betreu-ng der Kinder und bei der Vereinbarkeit von Familiend Beruf.
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Markus GrübelDass die Union in der Familienpolitik bei Frauen undMännern ansetzt, ist ein entscheidender Unterschied zuden Forderungen von Rot-Grün.
Lassen Sie mich hier einen kurzen Schlenker zu denVaterschaftstests machen. Ich meine das Ansinnen derJustizministerin, Frau Zypries, dass Männer, die einenVaterschaftstest machen lassen, mit einer Freiheitsstrafevon bis zu einem Jahr bestraft werden sollen. Dieses An-sinnen macht doch deutlich, dass keine Abwägung zwi-schen den berechtigten Interessen der Mütter, der Kinderund der Väter stattgefunden hat.
Auch Männer haben Rechte.
Väter bzw. vermeintliche Väter haben ein legitimes Inte-resse, die Abstammungsverhältnisse zu klären. Daher istder Einsatz des Strafrechts zur Regelung heimlicher Va-terschaftstests durch die Väter völlig abwegig. Auch hierwäre es gut, wenn die rot-grüne Politik aus dem Blick-winkel beider Geschlechter gemacht würde. Nichts an-deres will Gender Mainstreaming.
Die selbst ernannte Frauenpartei, die Grünen, schütztim Moment nicht wirklich die Frauen. Frau Schewe-Gerigk hat das gerade wieder deutlich gezeigt. Dank derleichtfertigen Visapraxis von Rot-Grün ist der Frauen-handel zum risikoärmsten Geschäft der organisiertenKriminalität geworden.
Die Aussage Ihrer Kollegin aus Nordrhein-Westfalen,Bärbel Höhn, dass Zwangsprostituierte sich in einer vielschlimmeren Situation befänden, wenn sie illegal hierseien, als wenn sie ein gültiges Visum besäßen, ist eineDreistigkeit und nur peinlich.
Alice Schwarzer nennt die Aussage im „Spiegel“ zuRecht „blanken Zynismus“. Hier zeigt sich ganz deut-lich, dass Menschenrechte und Frauenrechte dann zu-rückbleiben, wenn es darum geht, den Kollegen JoschkaFischer rauszuhauen.
Frauenhandel und Zwangsprostitution sind aufsSchärfste zu bekämpfen, und zwar von jeder Fraktion,unabhängig davon, ob man eigene Kollegen trifft.Auch Zwangsverheiratung und Ehrenmorde sindThemen, die Männer und Frauen angehen. Wir haben esvorhin gehört. Gerade bei türkischstämmigen jungenMännern müssen wir ansetzen. Nur bei den türkischenMädchen anzusetzen greift zu kurz.EhhWdKGeFg–kTneZdwuK–SiFuaF
in Umfeld und ein Rechtsbewusstsein, die Zwangsver-eiratung normal finden, müssen verändert werden. Wiraben hier eine gute Bundesratsinitiative aus Baden-ürttemberg. Frau Staatssekretärin Beck, Sie sollteniese Initiative unterstützen.
Kollege Grübel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Schewe-Gerigk?
Ja.
Herr Kollege Grübel, ist Ihnen bekannt, dass seit der
rleichterten Visavergabe in der Ukraine die Anzahl der
rauen, die als Opfer von Zwangsprostitution bekannt
eworden sind, zurückgegangen ist?
Das passt Ihnen nicht; aber das Lagebild des Bundes-
riminalamtes sollte doch vielleicht auch für Sie eine
atsache sein. – Auch die Kriminalität hat nicht zuge-
ommen. Das Herstellen einer Verbindung zwischen
iner erleichterten Visavergabe und der Zunahme von
wangsprostitution ist unzulässig.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich möchte Ihnen ganzeutlich sagen, dass ich es für geradezu peinlich halte,ie Sie das Problem der Zwangsprostitution relativierennd das Thema beiseite schieben wollen.
ümmern Sie sich einmal um dieses Problem!
Das ist die Antwort.
Junge Männer, für die es eine Frage der Ehre ist, ihrechwestern zu züchtigen oder gar zu töten, können wirn Deutschland nicht dulden.
ür das partnerschaftliche Zusammenleben von Frauennd Männern in Deutschland gibt es ein Leitbild, dasuch die bei uns lebenden Ausländer beachten müssen.rauenpolitik allein wird dieses Problem nicht lösen.
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Markus GrübelDer vorliegende Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Auf dem Weg in ein geschlechtergerechtesDeutschland – Gleichstellung geht alle an“ lässt zwarvermuten, dass es um Männer und Frauen geht. In denkonkreten Ansätzen werden die Männer aber völlig aus-geblendet. Rechts blinken und links abbiegen – das führtnicht ans Ziel.Lassen Sie mich zum Schluss meine Aussagen in ei-nem Satz zusammenfassen: Moderne Gleichstellungspo-litik und moderne Familienpolitik – genau das ist die Po-litik der Union in diesem Bereich – setzt bei Frauen undMännern an.Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Schmidt, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegenund Kolleginnen! Ich möchte am Anfang meiner Redefeststellen: Männer sind verletzlich und Frauen sind derSchlüssel zur Entwicklung.
Frauen sind der Schlüssel zur Bekämpfung der Armut.Es kann keine Demokratie geben ohne die Gleichberech-tigung und Gleichstellung von Frauen.Vor fast genau zehn Jahren fand die Vierte UN-Welt-frauenkonferenz in Peking statt. Die Teilnehmerinnenhaben die volle Gleichberechtigung der Frauen gefor-dert – weltweit. Sie haben ihre Beteiligung in Entschei-dungsprozessen gefordert und sie haben jegliche Gewaltgegen Frauen verurteilt.Was hat sich seitdem in den Entwicklungsländernverändert? Die Bilanz ist zwiespältig. Denn in vielen Re-gionen der Erde leben die Frauen noch lange nicht aufder Sonnenseite des Lebens. Weltweit leben 1,3 Milliar-den Menschen in extremer Armut. Wie wir wissen, sindbesonders Frauen davon betroffen.Mit dem Aktionsprogramm 2015 haben wir als eineder ersten Regierungen eine konkrete Strategie zur Ar-mutsbekämpfung verabschiedet.
Viele Frauen in den Entwicklungsländern gehören zuden Verliererinnen der Globalisierung. Das ist bekannt.Führungspositionen in Wirtschaft und Politik sind in denLändern des Südens nicht nur überwiegend, sondern fastausschließlich in Männerhand.Mittlerweile finden wir fast überall Frauen in Regie-rungen und Parlamenten. Das ist ein Fortschritt. Die30-Prozent-Marke aber haben, wie von UN-Gremien ge-fordert, weltweit nur wenige Länder erreicht. Allerdingsbrauche ich gar nicht so weit zu schauen; denn ich mussmich nur an normalen Tagen in diesem Hause umsehen,uesDrwsvdgdbLsugwsssbditFmsSgdRsSiudsvEl
ch nenne die Kenianerin Wangari Maathai
nd ich nenne die Usbekin Tamara Chikunova,
er im Herbst für ihren mutigen Einsatz gegen Todes-trafe und Folter der Nürnberger Menschenrechtspreiserliehen wird.
Diese starken Frauen machen Mut. Sie sind nicht dieinzigen. Neben ihnen machen Politikerinnen, Journa-istinnen, Schriftstellerinnen und viele andere auf die
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Dagmar Schmidt
Ungerechtigkeiten in ihren Ländern aufmerksam. Dafürnehmen sie einiges in Kauf. Sie werden angezeigt, ver-folgt und bedroht. Viele machen trotzdem weiter.Es gibt Fortschritte und es gibt sie in vielen Ländern.Das Selbstbewusstsein von Frauen im Süden wächst. Siedürfen auf das Erreichte stolz sein. Ich nenne das Bei-spiel Marokko. Dieses Land hat einen großen Sprungnach vorne gemacht, vor allem wegen der Reform desFamilienrechtes im Jahr 2003. Frauen und Männern wer-den die gleichen Rechte eingeräumt, wenn auch zu-nächst per Dekret des Königs. Dennoch ist diese Reformnicht von oben aufgestülpt. Sie ist im Parlament behan-delt worden und ist zu einem umfassenden Gesell-schaftsprojekt geworden. Jahrzehntelang hatten Frauen-organisationen dafür gekämpft.Jetzt aber beginnt die Umsetzung. „Wir haben wun-derbare Gesetze; aber es mangelt an der Umsetzung“, sohaben wir das von Frauenrechtlerinnen aller Couleur inMarokko gehört. Dies ist eine Aufgabe, die Einfühlungs-vermögen und Geduld erfordert; denn zwei Drittel derMarokkanerinnen sind Analphabetinnen. Erst 35 von400 Richtern sind im neuen Recht ausgebildet. Daszeigt: Hier wie überall auf der Welt müssen auch dieKöpfe erobert werden. In der Vorstellungswelt der Men-schen muss der Grundsatz der Gleichheit zwischenFrauen und Männern Einzug halten.
Unsere Aufgabe muss es sein, engagierte Frauen vor Ort,Frauen in Institutionen und Frauen in Projekten zu unter-stützen. Dabei darf das Effizienzargument nicht im Vor-dergrund stehen. Im Sinne globaler Gerechtigkeit ist esunsere Pflicht, Frauen und Männer in ihren Anstrengun-gen zu unterstützen.In den vergangenen Jahren haben Frauen einiges er-reicht. Wir haben die reine Frauenförderung als Quer-schnittsaufgabe und -strategie zur Geschlechtergerech-tigkeit weiterentwickelt.
Denn eine reine Frauenförderung stößt an ihre Grenzen,wenn sich Strukturen nicht verändern.
Die Diskriminierung und Benachteiligung von Frauenmuss in allen gesellschaftlichen Bereichen angegangenwerden. Frauen und Männer müssen dabei an einemStrang ziehen. Dennoch möchte ich warnen: Frauen dür-fen sich nicht zurücklehnen. Auch die Frauen in denLändern des Nordens müssen wach bleiben.
Manche meinen ja, sie hätten alles erreicht. Sie meinen,Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte seien abge-frühstückt. Sie irren. Zehn Jahre nach der Konferenz inPeking muss das Erreichte gegen den neokonservativenRückwärtsgang verteidigt werden. Brauchen wir dafür,nachdem die Ausrufung des Internationalen Jahres derFrau 30 Jahre zurückliegt, wieder ein InternationalesJasrdwmgFimGZzwAmhdcwsftitgGJadNgesldhnhnSad
In der Entwicklungszusammenarbeit stehen uns ver-chiedene Instrumente zur Verfügung. Unsere Durchfüh-ungsorganisationen verknüpfen die Projekte vor Ort miten Interessen der Frau – sei es beim Bau einer Trink-asseranlage, sei es bei der Elektrifizierung einer Ge-einde. Dies ist also eine Querschnittsaufgabe. Der Zu-ang zu Land, Kapital und Bildung für Frauen steht imokus unserer Politik. Gerade unsere Stiftungen leisten Dialog mit den unterschiedlichen gesellschaftlichenruppierungen einen wertvollen Beitrag dazu.
ugang zu Bildung für Mädchen und berufliche Qualifi-ierung sowie Zugang zu Gesundheit, sauberem Trink-asser und moderner Energie sind die Dreh- undngelpunkte, an denen wir unsere Entwicklungszusam-enarbeit mit den Partnerländern orientieren. Dazu ge-ören auch das Recht auf Besitz und der Zugang zu Kre-iten.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, glei-he Rechte für Frauen und Männer sowie gleiche Ent-icklungschancen sind Menschenrechte. Nur so könnenich Gesellschaften demokratisieren. Nur so kann einriedliches Zusammenleben entstehen. Die gleichberech-gte Teilhabe von Frauen ist der Schlüssel zu Demokra-ie und Entwicklung.Schönen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-in Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Kollege Grübel, Sie haben gerade behauptet, dieustizministerin habe ein Verbot von Vaterschaftstestsusgesprochen, und gesagt, sie wolle ein Zuwiderhan-eln mit einer Strafe von bis zu einem Jahr belegen.ehmen Sie zur Kenntnis, dass das falsch ist; denn hiereht es um heimliche Vaterschaftstests. Sie sind dochbenso wie wir der Meinung, dass heimliche Vater-chaftstests verboten werden müssen, dass nicht heim-ich Genanalysen erstellt werden dürfen. Wo kämen wirenn hin, wenn wir zuließen, dass sich Versicherungeneimlich Gentests besorgen, um zu sehen, ob die Perso-en, die sie versichern wollen, möglicherweise gesund-eitlich belastet sind, oder dass Arbeitgeber prüfen kön-en, ob sie auch die richtigen Arbeitnehmer auswählen?
ind Sie nicht mit uns der Meinung, dass heimliche Gen-nalysen verboten sein müssen? Sind Sie nicht mit unser Meinung, dass es vielmehr notwendig ist, das
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Irmingard Schewe-GerigkErheben einer Anfechtungsklage zu erleichtern? Es ist jarichtig, dass manche Väter gerne Gewissheit habenmöchten. Aber hierfür gibt es Mittel und Wege; wir wer-den morgen im Rahmen einer Debatte darüber sprechen.Es gibt einen FDP-Antrag, die Verfahren der Vater-schaftstests zu vereinfachen. Sind Sie nicht mit uns derAnsicht, dass es verboten sein muss, heimliche Tests ma-chen zu lassen?
Kollege Grübel, Sie haben die Gelegenheit zur Reak-
tion.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich vermute, dass Sie
sozusagen eine Mehrheit in diesem Haus herbeireden
möchten, da die CDU/CSU hier für die Diskussion über
Wirtschaftsthemen so stark vertreten ist
und Rot-Grün, auch auf der Regierungsbank, so schwach
ist. Sie wollen also offensichtlich noch etwas Zeit ge-
winnen.
Aber zur Sache. Erstens. Das Gendiagnostikgesetz ist
der falsche Ort, um Vaterschaftstests zu regeln; denn hier
geht es nicht um Gentests und DNA-Analysen. Deswe-
gen liegen Sie hier schon einmal völlig falsch.
Zweitens. Die Vaterschaftstests in einen Zusammen-
hang mit dem Strafrecht zu bringen und darüber nachzu-
denken, für heimliche Vaterschaftstests eine Strafe von
einem Jahr auszusprechen, halte ich für völlig daneben.
Über das andere können wir in der Sache trefflich
streiten.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 15/5029, 15/5030, 15/5031 und15/2049 an die in der Tagesordnung aufgeführtenAusschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Druck-sache 15/5029 soll zusätzlich an den Ausschuss für Ge-sundheit und Soziale Sicherung überwiesen werden.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufDrucksache 15/5052 zu dem Antrag der Fraktion derCDU/CSU mit dem Titel „Tatsächliche Gleichberech-tigung durchsetzen – Zehn Jahre Novellierung desAensMcsgdfDoSdZZ
Sie wissen, was die Geschäftsordnung in einem sol-hen Fall vorsieht. Ich wiederhole die Abstimmung. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt da-egen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istamit abgelehnt.
Wir kommen zu den Zusatzpunkten 2 und 3. Inter-raktionell wird Überweisungen der Vorlagen auf denrucksachen 15/5017 und 15/5032 an die in der Tages-rdnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sindie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sindie Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und b sowieusatzpunkt 4 auf:3 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Ronald Pofalla, Karl-Josef Laumann, DagmarWöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUPakt für Deutschland– Drucksachen 15/4831, 15/4986 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Thea Dückertb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, ErnstBurgbacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPWider die Vertrauenskrise – Für eine konsis-tente und konstante Wirtschaftspolitik– Drucksachen 15/1589, 15/4985 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus BrandnerP 4 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Michael Fuchs, Dagmar Wöhrl, Karl-JosefLaumann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUKein weiterer Arbeitsplatzabbau – Antidiskri-minierungsgesetz zurückziehen– Drucksache 15/5019 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
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Präsident Wolfgang ThierseInnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile KolleginAngela Merkel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir allekennen die Lage in Deutschland. Ich glaube, niemand indiesem Hause hat einen Zweifel daran, dass sie extremernst ist.Die Arbeitslosigkeit hat mit 5,2 Millionen eine Re-kordzahl erreicht.
Das ist der höchste Stand seit Gründung der Bundesre-publik Deutschland. Die Prognosen sagen bestenfalls einWirtschaftswachstum von 1 Prozent voraus und der Sta-bilitätspakt droht zum vierten Mal gebrochen zu werden.Die Dinge so zu benennen bedeutet nicht, Deutsch-land schlechtzureden; die Dinge so zu benennen heißtvielmehr, der bedrückenden Realität nüchtern in die Au-gen zu sehen.
Sie ist bedrückend, weil dahinter Menschen stehen, näm-lich junge Menschen mit großen Hoffnungen, die ent-täuscht werden, Ältere ohne Perspektive und Familien.All dies sind Schicksale.Deshalb haben wir deutlich gemacht: Eine Haltungdes „Weiter so“, die Fortsetzung des üblichen Tagesge-schäftes verbieten sich angesichts dieser Situation.
Aus diesem Grund haben wir einen Pakt für Deutschlandvorgeschlagen, der zehn Punkte als Sofortmaßnahmenumfasst. Im Übrigen haben wir in dieser Woche auch einProgramm für Innovation vorgelegt, das leider von Ih-nen abgelehnt und nicht auf die Tagesordnung gesetztwurde. Aber das ist Ihr Stil. Sie haben alle Vorschlägeabgelehnt, und zwar in der Ihnen eigenen Sprache, HerrMüntefering. Das werden Sie sicherlich auch nachherwieder tun.Aber ich sage Ihnen: Unsere Forderungen bleiben aufdem Tisch. Wir wissen, dass wir, um die ProblemeDeutschlands zu lösen, dicke Bretter bohren müssen.Aber wir werden diese dicken Bretter bohren und sagen,was zu tun ist.
s kennzeichnet den Zustand der Bundesregierung – dasrkennt man auch, wenn man sich die Besetzung der Re-ierungsbank ansieht –, dass wir als Opposition die Ini-iative ergreifen müssen,
amit die Bundesregierung endlich einmal überlegt, obie handeln soll oder nicht.
Deshalb leisten wir mit unserem Pakt für Deutschlandinen Beitrag dazu, Deutschland aus dem „Weiter so“,em Sich-im-Kreis-Drehen und der Starre, in die es im-er wieder verfällt, zu lösen. Wir wissen: Stückwerkeicht nicht. Wir brauchen so etwas wie eine nationaleraftanstrengung, um diese Situation zu bewältigen.eine Damen und Herren, Politik darf sich nicht von Er-ignissen treiben lassen, vielmehr muss Politik führennd die Initiative ergreifen. Dafür sind wir da.
Für solch eine nationale Kraftanstrengung müssen zu-rst einmal folgende Fragen gestellt werden: Was leitetns? Was bewegt uns? Es ist vollkommen klar, dass wirns in einer globalisierten Welt einem stärkeren Wettbe-erb stellen müssen. Wir müssen uns – stellvertretendür die Menschen in Deutschland – fragen: Womit wol-en wir in Zukunft unser Geld verdienen? Auf welchenebieten können wir besser oder schneller als andereein? Wo liegen unsere Qualitäten? Unsere Stärken müs-en wir weiterentwickeln. In den Bereichen, in denen wirchwächen haben, müssen wir nachholen und uns spu-en, um wieder Weltspitze zu werden. Das ist der An-pruch, der uns leitet.
Meine Damen und Herren, auf diese Fragen habenir ganz konkrete Antworten. Ich möchte heute ganzeutlich sagen:
ls Erstes wollen wir, dass Bürokratie abgebaut wird.
ngesichts einer massiven Staatsverschuldung ist es dasllerbeste, erst einmal solche Maßnahmen zu ergreifen,ie nichts kosten, uns befreien und Initiative ermögli-hen. Deshalb sagen wir: Wir brauchen die Beschleuni-ung von Genehmigungsverfahren. Ein ganz einfacheseispiel ist in diesem Zusammenhang das Verkehrswe-eplanungsbeschleunigungsgesetz. Wir wollten, dasseine Geltungsdauer für die neuen Bundesländer, bis der
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Dr. Angela MerkelSolidarpakt im Jahre 2019 ausläuft, auf einmal verlän-gert wird, damit Planungssicherheit besteht und wir unsnicht Jahr für Jahr mit dieser elenden Bürokratie herum-schlagen müssen.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfrak-tionen, vor allen Dingen wollen wir verhindern, dass inder Situation, in der sich Deutschland gegenwärtig be-findet, zusätzlich neue Bürokratie entsteht. Deshalb sa-gen wir: Die Diskussion, die wir im Augenblick überden Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes führen,ist abenteuerlich.
Sie sollten damit aufhören, sich in Ihren eigenen Reihengegenseitig die wildesten Schuldzuweisungen zu ma-chen. Langsam kommt die Wahrheit doch auf den Tisch.Was hat denn Frau Künast über Herrn Clement gesagt?Sie hat gesagt: Das Wirtschaftsministerium hat diesenGesetzentwurf erarbeitet. Man fragt sich natürlich: Wa-rum sagt Herr Clement jetzt etwas anderes?
Das weiß ich auch nicht, sagt sie.Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Auch ich weiß es nicht;denn der Herr Wirtschaftsminister, der uns heute leidernicht die Ehre geben kann, gehört zu denjenigen, dielandauf, landab so tun, als wollten sie die Bürokratie ab-bauen.
Wenn es aber hart auf hart kommt, stellt sich heraus,dass wesentliche Teile dieses Arbeitsplätze vernichten-den Gesetzentwurfes in seinem eigenen Ministerium er-arbeitet wurden. Meine Damen und Herren, das ist Dop-pelzüngigkeit.
Deshalb erwarten wir vom Bundeskanzler nicht nur,dass er bei Kabinettsitzungen seine Minister rügt, son-dern auch, dass er, wenn er in der nächsten Woche seineRegierungserklärung abgibt, ankündigt, diesen Gesetz-entwurf zurückzuziehen und ihn bestenfalls durch eineEins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie zu ersetzen.Das wäre ein echter Beitrag zu mehr Wachstum inDeutschland.
Neben dem Abbau von Bürokratie wollen wir einenabsoluten Schwerpunkt bei Bildung und Innovationsetzen. Schwerpunkt bei Bildung und Innovation heißt,auf Wettbewerb zu setzen. Wir sind dafür, dass wir dieBesten fördern. Wir sind dafür, dass die besten Fakultä-ten an deutschen Universitäten gefördert werden, begut-achtet von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Un-swwZnmbEDdwssssmeLLdtazmDfDPFDZddubSaUAavbwWs
benso Herr Schmoldt, der Vorsitzende der IG BCE.assen Sie doch der Vernunft wenigstens eine Schneise!assen Sie die Regierung nächste Woche sagen: Wir än-ern das Gesetz. Dann wären wir ein ganzes Stück wei-er.
Meine Damen und Herren, wir könnten Innovationuch dadurch fördern, dass wir der forschenden pharma-eutischen Industrie für die patentgeschützten Medika-ente in Deutschland wieder Planungssicherheit geben.as ist ein ganz wichtiger Punkt und das gilt nicht nurür die deutschen Unternehmen, sondern es gilt vor alleningen auch für die amerikanischen Investoren, die hierlanungssicherheit brauchen. Zurzeit gehen sie nachrankreich, England und sonst wohin, aber nicht nacheutschland.Herr Müntefering, wir sind gewählt für ein einzigesiel. Wir können uns zwar freuen, wenn es anderen Län-ern gut geht, aber gewählt sind wir, um dafür zu sorgen,ass es den Menschen in Deutschland gut geht. Das istnser Auftrag.
Wir sind der Meinung, dass wir Flexibilität im Ar-eitsrecht über das bisher Erreichte brauchen. Kleinechritte sind gegangen worden,
ber wir glauben, dass für mittelständische und kleinenternehmen zum Beispiel betriebliche Bündnisse fürrbeit,
lso die Möglichkeit, während der Laufzeit eines Tarif-ertrages von dem im Rahmen des Tarifvertrages verein-arten Lohn und von der vereinbarten Arbeitszeit abzu-eichen, ein notwendiges Mittel sind, um Deutschlandsettbewerbsfähigkeit in der Welt zu erhalten. Wir wis-en von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
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Dr. Angela Merkeldass sie bereit sind, für ihren Arbeitsplatz Opfer undEinschnitte in Kauf zu nehmen.
Lassen Sie die Menschen selbst entscheiden, was für siegut ist, meine Damen und Herren! Das ist unser Ansatz.
Wir wollen, nachdem wir wie Sie der Zusammenle-gung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zugestimmt ha-ben, dass jetzt Anreize geschaffen werden, damit Arbeitauf dem ersten Arbeitsmarkt aufgenommen wird.
Die Bundesagentur hat leider bis jetzt überhaupt keineKraft, sich um die Vermittlung von Arbeitslosen zu küm-mern.
– Sie sollten nicht schreien. Hören Sie doch einmal zu.
Zurzeit fördern Sie die 1-Euro-Jobs über die Maßen. Mitden 1-Euro-Jobs sind die Zuverdienstmöglichkeiten aufdem zweiten Arbeitsmarkt exorbitant besser als auf demersten Arbeitsmarkt.
Es ist doch ein Gebot der Vernunft – ich bitte Sie –, dassman das erkennt, dass man daraus die Schlussfolgerungzieht und nicht monatelang die Menschen in die Fallelaufen lässt.
Das ist unser Ansatz und deshalb machen wir diese Vor-schläge.
GshZgbIvdJWSgdWscLurgpmDeWWsrIAsLehiW
as war die Aussage von Herrn Hartz im August desahres 2002.
enn Sie Herrn Hartz nicht mehr glauben, wenn das fürie nicht mehr wichtig ist, dann müssen Sie uns das sa-en. Aber Sie haben beim deutschen Volk damals genauiese Erwartung geweckt.
ir sagen: Lassen Sie diese teuren Instrumente jetzt bei-eite und senken Sie den Beitrag zur Arbeitslosenversi-herung! Denn wir wissen: 1 Prozentpunkt wenigerohnzusatzkosten macht 100 000 neue Jobs. Lassen Siens diesen Weg gehen! Ich hoffe darauf, dass die Regie-ung das aufnimmt.
Meine Damen und Herren, wir wollen Veränderun-en im Steuersystem. Nächste Woche – wir können esarallel zu der Regierungserklärung des Bundeskanzlersachen – wird unser Steuerkonzept 21 beraten.
arin geht es um eine Vereinfachung des Steuersystems,
twas, worauf die Menschen wirklich hoffen.
ir sind darüber hinaus angesichts der internationalenettbewerbssituation bereit, gerade für unsere mittel-tändischen Unternehmen mit einer Unternehmensteuer-eform etwas zu tun.
ch glaube, wir sollten uns hier wirklich schnell an dierbeit machen und nicht wieder monatelang Sachver-tändige befragen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch.
assen Sie uns das in Angriff nehmen, dann finden wirine Lösung! Es setzt natürlich voraus, dass Sie einse-en, dass die Unternehmensteuerreform etwas Wichtigesst für die mittelständischen Unternehmen, gerade imettbewerb mit Unternehmen in Österreich und in
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Dr. Angela Merkelanderen Ländern. Sie können noch so viel schreien – derMittelstand braucht das. Und ich gehe davon aus, dasswir hier etwas machen werden.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, der Ihnen zwarwehtut, der aber für den deutschen Mittelstand wichtigist: die Erbschaftsteuer.
Wir müssen überlegen, wie wir die Gewinne, die im Un-ternehmen bleiben, ein Stück mehr von der Erbschaft-steuer befreien. Dann können Investitionen in Deutsch-land gehalten werden und Unternehmen werden nichtgezwungen, über die Grenze zu gehen. Das ist das, waswir brauchen.
Wir wollen eine Föderalismusreform,
weil wir wissen, dass unsere Entscheidungen schnellergefällt werden müssen. – Ja, so ist das. – Das setzt vo-raus, dass Sie nicht noch den fünften, sechsten, siebenten,achten Prozess beim Bundesverfassungsgericht verlierenwie bei der Juniorprofessur und bei den Studiengebüh-ren,
sondern dass Sie einsehen, dass es eine Arbeitsteilungzwischen Bund und Ländern gibt und dass wir in derBundesrepublik Deutschland Wettbewerb brauchen.Wenn wir die Blockade der Bundesregierung
und der rot-grünen Fraktion bei der Bildungspolitik auf-heben,
bekommen wir eine wunderbare Föderalismusreform.Wir sind dazu bereit, das endlich zu Ende zu bringen.
Wir wollen also nicht mehr und nicht weniger alsdurchgreifende Strukturreformen auf allen Gebieten.Was wir mit Sicherheit nicht wollen, sind kurzfristige,durch Schulden finanzierte Konjunkturprogramme,die wieder nichts als Strohfeuer sind und die die Men-schen enttäuschen.
DkwIimSNsIdwv1kddrWbamndDddIoASSwSwEtgdee
ch sage aber auch: Wir brauchen keine Kaffeestunden,ie die Enttäuschung der Menschen zum Schluss immereiter erhöhen und ausdehnen; denn es gibt schon soiel Enttäuschung in diesem Land – und das mit Recht.
Meine Damen und Herren, wenn ein Bundeskanzler998 sagt: „Wenn es mir nicht gelingt, die Arbeitslosig-eit wesentlich zu senken, dann bin ich es nicht wert,ass ich wieder gewählt werde“,
ann hat der Mann vor Beginn seiner Amtszeit noch dasichtige Gefühl gehabt.
enn dieser Bundeskanzler den Menschen im Dezem-er – wiederum über eine große deutsche Illustrierte –ber erklärt, er habe auf dem Gebiet der Arbeits-arktreform alles getan, was möglich war, mehr seiicht drin, dann darf man sich doch nicht darüber wun-ern, dass sich die Menschen von der Politik abwenden.eshalb haben wir immer wieder gesagt: Die Agen-a 2010 ist ein erster Schritt in die richtige Richtung,iese Agenda 2010 reicht aber nicht.
ch bin ja froh, dass der Bundeskanzler nach Jahren jetztffensichtlich langsam einsieht, dass wir über diesegenda 2010 hinausgehen müssen und dass wir weiterechritte brauchen. Das dürfen aber nicht irgendwelchechritte sein, sondern wir müssen uns überlegen, wasir bereits geschafft haben und was noch vor uns steht.
Meine Damen und Herren, der Managerkreis derPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hat dieser Tageieder gesagt: Die Agenda 2010 ist so, als ob man mitsslöffeln gegen Wanderdünen angeht. Das hat man ge-an. Okay, es ist immer noch besser, mit einem Esslöffelegen eine Wanderdüne anzugehen, als gar nichts undas Falsche zu tun, ich sage aber: Wir brauchen anstattines Klein-Klein einen richtigen Quantensprung, einechte Kraftanstrengung. Dazu sind wir bereit.
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Dr. Angela MerkelEine solche Kraftanstrengung muss einem Maßstabfolgen und einen roten Faden haben. Das heißt, es mussin Deutschland schneller gehen und wir müssen flexiblerwerden. Damit wir wieder gerechter zu den Menschensind, müssen wir mit unseren Entscheidungen direkteran die Menschen heran. Das heißt, Sie dürfen nicht je-den, der in diesem Land seine Freiheiten nutzen will, un-ter einen öffentlichen Rechtfertigungszwang setzen.
Wir müssen endlich ein Klima der Freiheit schaffen undden Menschen in diesem Lande zeigen, dass wir ihnenetwas zutrauen. Das muss uns gelingen.
Wir leben ja nun im Einsteinjahr. Am Kanzleramtprangt derzeit ein kluger Satz von Albert Einstein, der dalautet:
Der Staat ist für die Menschen da und nicht dieMenschen für den Staat.
Wenn Sie das ein Stück weit berücksichtigen würdenund wenn wir mit dem Geist dieses Satzes von AlbertEinstein in diesem Jahr an die Lösung der Probleme ge-hen, dann, das sage ich Ihnen voraus, werden wir ein gu-tes Stück weiterkommen. Unser guter Wille ist da.
Das, was unserem Land hilft und Vorteile bringt, werdenwir im Sinne und für die Menschen dieses Landes mit-machen. Sie haben es verdient.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Vorsitzende der SPD-Fraktion,
Franz Müntefering.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die CDU/CSU hat den Antrag auf Drucksache15/4831 auf eigenen Wunsch hier auf die Tagesordnunggesetzt. Diesem wollen wir uns jetzt zuwenden. FrauMerkel hat verständlicherweise relativ wenig dazu ge-sagt; denn was darin steht, ist enttäuschend.
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ei dem, was Sie vorgelegt haben, ist nichts von demroßen Konzept zu erkennen, das kommen sollte.Frau Merkel hat zu Beginn ihrer Zeit als Vorsitzendeie „neue soziale Marktwirtschaft“, die kommen sollte,eschrieben. Das hat sich im Kleinkarierten und Vorder-ründigen verloren. Das einzige Fettauge auf der dünnenuppe des Antrags ist der Titel – er ist wirklich gut –:akt für Deutschland. Das können wir gerne miteinanderachen. Aber der Inhalt des Antrags wird dem Titelicht gerecht.
b das mit dem Pakt für Deutschland ehrlich gemeintst, ist eine andere Frage.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,ch kann es Ihnen nicht ersparen, Sie auf zwei Punkte an-usprechen, die sich aus den Erfahrungen der letztenochen ergeben haben. Der erste Punkt war und ist derorwurf, die SPD sei in hohem Maße für die große Zahler Nazis mitverantwortlich, die es in einigen Teileneutschlands wieder gibt.
Bleiben Sie ruhig und lassen Sie uns darüber vernünf-ig sprechen. Diesen Punkt müssen wir miteinander klä-en.
Über das, was Herr Söder und Herr Stoiber dazu ge-agt haben, müssen wir im Parlament sprechen. Wir kön-en schließlich nicht nur über Nebensächlichkeiten dis-utieren, sondern müssen auch einmal an Kernthemeneran.
ie Behauptung ist: Die hohe Zahl der Arbeitslosen sei,erschuldet durch die SPD, Grund für die hohe Zahl derazis bei uns in einigen Teilen – Gott sei Dank nichtberall – des Landes.
wei Dinge will ich Ihnen dazu sagen. Erstens. Sie be-eidigen damit die Arbeitslosen. Sie sind es heute nichtnd sie waren es auch 1933 nicht, die damals die Brau-en an die Macht gebracht haben. Es waren immer Leuten Anzug und Krawatte, die dafür gesorgt haben, dassie Braunen nach vorne gekommen sind.
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Franz MünteferingZweitens. Die demokratischen Parteien müssen an dieserStelle aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig um un-sere Möglichkeiten der Zusammenarbeit bringen.
Ich sage hier vor dem Bundestag ganz klar: Es istnicht die Schuld der CDU/CSU, dass es viele neue Nazisgibt. Es ist aber auch nicht die Schuld der SPD. Wirmüssen darauf achten, dass in diesem Lande eines klarist: An dieser Stelle dürfen wir uns nicht gegenseitig et-was unterstellen, was so nicht gerechtfertigt ist. Wer an-fängt, hier taktische Spielchen zu machen, der schadetder Demokratie.
Der zweite Punkt – auch das muss ich hier anspre-chen – ist das, was am Sonntag vor einer Woche in einerSonntagszeitung stand: CSU macht Schröder für Ver-brechen an Kindern mitverantwortlich. Helfershelfervon Kinderschändern seien Teil des „Kartells der Schul-digen“.
– Nein, das stand so in der Zeitung. Da dies in Anfüh-rungszeichen gesetzt war, war es legitimiert, dies so zuschreiben.
Eine solche Vorgehensweise ist der CDU/CSU und ihrerTradition nicht würdig. Das sollten Sie bitte bedenken.
Frau Merkel, heute wäre eine gute Gelegenheit gewesen,dazu etwas zu sagen. Dass es einen Herrn Söder gibt, derso etwas sagt, muss ich wohl respektieren. Dass aber we-der Sie noch Herr Stoiber den Mut haben, deutlich zumachen, dass dies nicht Ihre Meinung ist, ist schade undbedauerlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,nun komme ich zu Ihrem Antrag selbst.
: Ah!)
Der Beginn des Antrags macht ein Ausmaß von Vergess-lichkeit deutlich, das stark an Alzheimer erinnert; dasmuss ich Ihnen schon sagen.
Sie schreiben über die 5 Millionen Arbeitslosen so, alsob Sie vergessen hätten, dass wir miteinander ein Gesetzbeschlossen haben, das notwendigerweise dazu führenmusste, dass einige hunderttausend erwerbsfähige Sozial-hilfeempfänger in die Statistik der Bundesagentur auf-ga54zdvwcsmlSDb4wulDwd–dvegrDdA5sdmMswdzssd
Ich sage Ihnen in vollem Ernst: Es ist besser, die Ar-eitslosenzahl mit 5,2 Millionen anzugeben und die00 000 einzuschließen, die früher nicht berücksichtigtorden sind, als die Zahl von 4,8 Millionen zu nennennd die anderen zu vergessen und in der Sackgasse zuassen.
ie Zahl ist bedrückend. Das ist wohl wahr. Das, wasir jetzt haben, ist die Lage von 1998 unter Kohl plusie Statistik von Hartz.
Sie müssen ganz einfach die Zahlen zusammenzählen,ann kommen Sie auf das Ergebnis: Arbeitslosenzahlon 1998 – zu der Zeit von Helmut Kohl – plus Statistik-ffekt durch Hartz. Wenn wir so viele ABM und SAMemacht hätten wie Sie, dann läge die Zahl deutlich da-unter.
as tröstet aber die nicht, die darauf angewiesen sind,ass ihnen Hilfe zuteil wird.Was schreiben Sie in Ihrem Antrag? Der Beitrag zurrbeitslosenversicherung soll von 6,5 Prozent auf,0 Prozent gesenkt werden. Frau Merkel hat gerade ver-ucht, das noch einmal zu begründen. Wer das macht,er kürzt die Mittel der Bundesagentur für Arbeit umindestens 11 Milliarden Euro. Es können auch ein paarilliarden mehr sein. Wer das macht, der muss dafürorgen, dass entweder das Arbeitslosengeld I gekürztird oder auf Hilfsmaßnahmen für junge Menschen, dieringend in Ausbildung gebracht werden müssen, ver-ichtet wird oder die Zahlung von Lohnkostenzuschüs-en für Existenzgründer einzustellen ist. Es kann nichtein, dass wir 11 Milliarden Euro aus dem Etat der Bun-esagentur für Arbeit entnehmen – das wollen Sie –,
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Franz Münteferinggleichzeitig aber die Bundesagentur auffordern, sie sollemehr vermitteln. Das geht zumindest rechnerisch nicht.
Sie haben dann ein ganzes Kapitel, in dem Sie sichmit den Arbeitnehmerrechten auseinander setzen. DieTarifautonomie soll geschleift werden, ebenso der Kün-digungsschutz, das Betriebsverfassungsgesetz und dasJugendarbeitsschutzgesetz. Sie fordern, dass es unterta-rifliche Entlohnung für Langzeitarbeitslose geben soll,und zwar gesetzlich fixiert. Das gibt es längst in Tarif-verträgen – ich weiß nicht, ob Sie sich da genau ausken-nen –, Sie aber fordern eine gesetzliche Regelung. Dasist ein Zeichen dafür, dass Sie die Tarifautonomie nichtmehr ernst nehmen.
Das ist ein Punkt, über den wir uns nicht verständigenkönnen. Es muss in Deutschland auch in Zukunft so sein– damit ist Deutschland gut gefahren –, dass starke Ar-beitnehmer und starke Arbeitgeber ihre Interessen ver-treten und miteinander Tarifverträge aushandeln können.Wir als Gesetzgeber werden uns da heraushalten. DieTarifparteien sind klug genug, dieses miteinander zu ver-einbaren.
Sie sind übrigens auch klug genug, Wege zu finden,vernünftige Regelungen zu finden, wenn es darauf an-kommt. Sie, Frau Merkel, haben das selbst lobend in Be-zug auf das erwähnt, was jetzt bei Opel passiert ist. Zitat:Es ist gelungen, weil die Menschen vor Ort, die einenArbeitsplatz bei Opel haben, bereit waren, etwas für denErhalt ihres Arbeitsplatzes zu tun. – Das ist genau das,was wir sagen. Was glauben Sie aber, was heute bei Opelin Bochum und in anderen Städten los wäre, wenn es dieGewerkschaften und die Betriebsräte nicht gegebenhätte? Das ist doch die schlichte Wahrheit.
Tausende Male haben Betriebsräte und Gewerkschaf-ten mitgeholfen, dass Betriebe lebensfähig gebliebensind. Kluge Unternehmer wissen das ganz genau. Ge-werkschaften und Betriebsräte sind keine fünfte Ko-lonne, die versucht, die Betriebe kaputt zu machen. Siehelfen vielmehr mit, dass Betriebe bestehen bleiben, sowie es jetzt auch bei Opel gewesen ist.
Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, ist der Weg wegvon der Souveränität der Tarifparteien.
Es ist ein Stück Demokratie, um das es geht. Das werdenwir uns ganz sicher nicht wegstreichen lassen.pmWegmwSwEwsWnodhuBlTlmdgedAuKerMAikwSdfwms
So viel zu Ihrem Sofortprogramm. In Ihrem Sofort-rogramm steht allerdings nichts von den Zuverdienst-öglichkeiten. Das ist eine besonders schicke Sache.eshalb haben Sie, Frau Merkel, heute Morgen nichtinmal den Mut gehabt, zu sagen, dass Sie sich damalseirrt und darauf bestanden haben, dass die Zuverdienst-öglichkeiten im unteren Bereich nicht so hoch sind,ie die Sozialdemokraten und die Grünen das wollten?o war das nämlich im Vermittlungsausschuss: Wirollten höhere Zuverdienstmöglichkeiten erlauben.
s wäre schon gut, wenn wenigstens einmal gesagtürde, dass Sie nicht immer die Neunmalklugen sind,ondern dass Sie sich an der Stelle korrigieren müssen.enn Sie es tun, ist es gut. Darüber können wir mitei-ander sprechen.In Ihrem Antrag sind zwei Kapitel – ich weiß nicht,b Sie das noch einmal gelesen haben –: Es gibt einmalas Sofortprogramm, über das ich gerade gesprochenabe, und zum anderen gibt es ein Kapitel II, in dem esm Strukturreformen, zum Beispiel in der Steuer- undildungspolitik, geht. Da haben Sie mit der Bildungspo-itik natürlich etwas Interessantes angesprochen. Dashema Studiengebühren haben Sie aber lieber wegge-assen. Es wäre interessant gewesen, heute Morgen ein-al Ihre Meinung dazu zu hören, wie es denn so ist miten Studiengebühren. Ihre Länderfürsten haben Studien-ebühren angekündigt. Im Moment haben alle wiederin bisschen Luft abgelassen. Sie haben genau gemerkt,ass es so schnell und so einfach dann doch nicht geht.ber Sie stehen offensichtlich dazu
nd sagen: Studiengebühren, ja. Das nehme ich so zurenntnis. Das ist ein Punkt, über den man irgendwo mit-inander zu reden haben wird.
Dann haben Sie das angesprochen, was in der Föde-alismuskommission dazu stattgefunden hat. Meineeinung ist unverändert die, dass wir noch einmal einennlauf unternehmen sollten, um in Sachen Föderalismusn diesem Land voranzukommen. Weil das so ist, ver-neife ich mir jetzt jede Antwort auf das, Frau Merkel,as Sie eben dazu gesagt haben. Wer so verfährt, wieie das getan haben, der macht die Möglichkeiten, anieser Stelle zu einer Einvernehmlichkeit zu kommen,ast schon wieder kaputt. Ich zweifele, ob Sie wirklichollen.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Strukturrefor-en, auch zur Steuer- und Bildungspolitik, noch in die-em Jahr in konkrete Gesetze gefasst werden sollten.
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Franz MünteferingDarüber kann man sprechen. Das werden Sie in dernächsten Woche sicherlich auch tun. Die Frage ist: Wasmeinen Sie eigentlich damit?Über die Senkung des Spitzensteuersatzes haben Sieheute nichts gesagt. Ihrem Papier entnehmen wir: 39 Pro-zent und eine Linksverschiebung der Progressions-grenze; bei 45 000 Euro soll der Satz greifen. Das heißt,die, die unten sind, bezahlen mal wieder mehr; die, dieoben sind, werden entlastet.Sie sagen in Ihrem Antrag nichts zum Abbau vonSubventionen. Dazu hätte man zwei Dinge sagen kön-nen:Erstens. Eigenheimzulage.
Wenn wir im Bereich Bildung, Forschung und Technolo-gie etwas machen wollen, dann lassen Sie uns Folgendestun: die Eigenheimzulage abschaffen und das Geld fürForschung und Technologie einsetzen. Da wäre es fürdie nächste Zeit dringend nötig.
Zweitens hätten Sie etwas zum Steuervergünstigungs-abbaugesetz sagen sollen. Damit hätten wir eine MengeGeld für Bund, Länder und Gemeinden realisieren kön-nen. Dass Sie das am 16. Mai 2003 abgelehnt haben, hatdie öffentlichen Hände 26,9 Milliarden Euro gekostet.Es ist die blanke Heuchelei, wenn Sie und einige CDU-Länder, einige CDU-Bürgermeister oder -Oberbürger-meister darüber klagen, zurzeit kein Geld zu haben. Siehätten es haben können. Sich vor Ort beklagen und dannauf der Bundesebene keinen Mut haben, das zeugt nichtgerade von politischer Weitsicht.
Nun haben Sie noch einen Antrag zum Thema Anti-diskriminierungsgesetz nachgeschoben. Er hat eineninteressanten Einstieg. Darin beschreiben Sie nämlichzunächst einmal, wie sinnvoll so etwas eigentlich seinkönnte:Die Diskriminierung eines Menschen wegen seineräußeren Merkmale oder seiner Veranlagung istschlicht und ergreifend abzulehnen.
Dies ergibt sich aus dem christlichen Menschen-bild, welches von der Unverletzbarkeit der Würdeeines jeden Einzelnen ausgeht.
Es ist daher völlig selbstverständlich, dass sich eineGesellschaft Regeln gibt, die deutlich machen, dassnegative Diskriminierung gegen die Würde einesjeden Menschen geht und geahndet werden muss.bkgwrbvdisgEwtrIsvTfdHndteFgnegzF
Obwohl Sie dies geschrieben haben, steht obendrü-er: Antidiskriminierungsgesetz verhindern! Das ist eineomische Logik, der Sie da folgen.
Im arbeitsrechtlichen Teil des Antidiskriminierungs-esetzes bewegen wir uns akkurat auf der Höhe dessen,as uns die EU vorschreibt. Im privatrechtlichen Be-eich gehen wir darüber hinaus, weil wir Behinderte ein-eziehen möchten. Wir möchten nicht, dass Gruppenon Behinderten in Restaurants rausgeschmissen wer-en. Wir möchten, dass bei uns in Deutschland geklärtt, dass sie dahin kommen können, und zwar gesetzlicharantiert.
Wir werden die Ergebnisse der Anhörung auswerten.s gibt sicherlich Korrekturmöglichkeiten, was die Ver-irkungsfristen, gemischte Bewohnerschaft – das be-ifft das Wohnraumförderungsgesetz – oder kirchlichenteressen anbelangt. Aber das Antidiskriminierungsge-etz wird kommen. Darauf können Sie sich ganz sichererlassen.
Sie haben mit dem Antrag – ich habe mich auf dieseneil konzentriert – keinerlei Hilfestellung zur Bekämp-ung der Arbeitslosigkeit gegeben. Das wird aber fürie Debatte in der nächsten Woche ganz wichtig sein.eute war auf der Grundlage Ihres Antrags offenbaricht mehr zu erwarten. Ich bin sehr gespannt, was Sie iner Debatte über die Regierungserklärung in der nächs-n Woche einbringen werden. Die Frage ist, ob Sie,rau Merkel, sprechen werden oder Herr Stoiber. Wieesagt, wir sind sehr gespannt darauf, wie das in derächsten Woche laufen wird. Vielleicht zeigen Sie dannin bisschen mehr Augenmaß und Verantwortung für dasanze Land. Insgesamt, insbesondere mit Ihrem Antrag,eigen Sie es heute jedenfalls nicht.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Dr. Guido Westerwelle für die FDP-raktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Lage in Deutschland ist folgende: Wir habendie höchste Arbeitslosigkeit seit Gründung der Republik.Wir haben die marodesten Staatsfinanzen seit Gründungder Republik. Wir haben noch nie so viele Unterneh-menspleiten gehabt. Wir haben ein Wachstum, das ent-gegen allen optimistischen Prognosen nun nochmals zu-sammenbricht. Wir haben brüchige Sozialsysteme. Wirhaben ein Bildungssystem, das im Allgemeinen interna-tional schlechte Noten bekommt. Vor diesem Hinter-grund ist es bemerkenswert, dass es, während der Deut-sche Bundestag an einem Donnerstagvormittag – zurKernzeit! – zum Thema Massenarbeitslosigkeit tagt,gerade einmal vier von 14 Bundesministern für notwen-dig erachten, anwesend zu sein.
Das, was Sie hier sehen, ist die heutige Titelseite der„BZ“, einer großen Berliner Tageszeitung: „Keine Zeitfür Arbeitslose“.
Das ist in Wahrheit das Gefährlichste, was eine Regie-rung vermitteln kann. Nicht nur Ihre Wankelmütigkeit,sondern auch Ihre Ignoranz gegenüber dem, was not-wendig ist, das ist das eigentliche Problem.
Da Ihnen, wie ich gehört habe, diese Zeitung nicht ge-fällt, greife ich zur nächsten, zur heutigen Ausgabe der„Süddeutschen Zeitung“, die Ihnen ja näher steht. Dortheißt es auf der Titelseite: „Kanzler fordert Disziplin,Minister streiten weiter“. Wie wollen Sie denn das Landaus der Krise führen, wenn Sie sich noch nicht einmal ei-nig sind? Das kann doch nicht funktionieren.
„Der Spiegel“ steht Ihnen möglicherweise noch näher.Auf seiner Titelseite in dieser Woche macht dieses Ma-gazin mit folgendem Zitat von Gerhard Schröder – in be-wundernswerter Deutlichkeit – auf:Wenn wir die Arbeitslosenquote nicht spürbar sen-ken, dann haben wir es nicht verdient, wiederge-wählt zu werden.Als Sie 1998 die Regierung übernommen haben, gab es3,947 Millionen Arbeitslose. Nun sind es 5,216 Millio-nen Arbeitslose. Das ist das Ergebnis rot-grüner Politikund nicht irgendein Gottesgesetz oder ein Naturvorgang.
Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass esAlternativen gibt. Denn viele Menschen in der Bundes-republik Deutschland, vor allem diejenigen, die mit Rot-Grün längst abgerechnet und Schluss gemacht haben,fragen sich besorgt: Gibt es eine Alternative? Kann esaFnnVizÖumsd1dazwrfzaWnnotdgdAshMhnulnSwE
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Ich sage Ihnen: Das darf nicht passieren. Wenn es solcheRunden gibt, müssen auch strukturelle Ergebnisse mög-lich werden.Dazu sollte aus unserer Sicht vor allen Dingen die Be-erdigung eines Antidiskriminierungsgesetzes gehören.Denn das ist der Totengräber für noch mehr Arbeits-plätze.
In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit hat der Bundesvor-sitzende der Sozialdemokraten eine einzige konkreteNachricht: dass das Antidiskriminierungsgesetz kom-men wird, und zwar gegen Herrn Clement, gegen HerrnSteinbrück, gegen zahlreiche Vertreter des Bundesinnen-ministeriums und auch den Bundesinnenminister selbst– wir lesen das alles nach –, gegen Betriebsräte undübrigens auch gegen mancherlei Betroffene. DiesesAntidiskriminierungsgesetz wird nicht nur Arbeitsplätzevernichten, sondern auch genau den Minderheiten scha-den, die es zu schützen gilt, weil dann nämlich in Wahr-heit zu einem Vorstellungsgespräch ebendiese Minder-heiten gar nicht mehr eingeladen werden, aus Sorge,anschließend, wenn man aus fachlichen Gründen ab-lehnt, einer Klagewelle gegenüberzustehen.
Deswegen ist es völlig richtig, wie nicht irgendeinervon der Opposition, sondern wie der Genosse Ude, derOberbürgermeister von München, das Antidiskriminie-rungsgesetz bewertet hat. Er sagt dazu wörtlich:NmdDmrWnkSbkThGgBNdhufntessSDbwIVgu
ie guten Menschen geben ihr eigenes Geld, die Gut-enschen – wie sie da sitzen – verteilen das Geld ande-er Leute.
Wir haben einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt.ir haben gesagt, wie es geht. Es gibt von uns zu jedemotwendigen Bereich, den wir hier zu beraten haben,onkrete Gesetzentwürfe: zum Bürokratieabbau, zu denteuern, zur Unternehmensteuerreform. Wir sind dazuereit, wir wollen mitwirken. Ich sage Ihnen dazu ganzlar: Die Zusammensetzung von Runden ist nicht dashema, entscheidend ist, was hinten rauskommt. Wieeißt es so schön im „Faust“ von Johann Wolfgang vonoethe – etwas abgewandelt –: Der Briefe sind genugewechselt, jetzt lasst uns endlich Taten sehen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende vonündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsi-ent! Herr Westerwelle, nachdem ich Ihre Rede heuteier gehört habe
nd nachdem ich gehört habe, welche neuen Vorschlägeür den Arbeitsmarkt Sie unterbreiten – Sie haben auf ei-en Antrag verwiesen, den Sie hier nicht vorstellen woll-n, weil Sie uns Zitate aus Zeitungen vorhalten wollten –,age ich einmal an diejenigen, die nächste Woche zu-ammensitzen und Probleme lösen wollen: Wie gut, dassie nicht dabei sein werden!
Frau Merkel, Sie haben heute Morgen gesagt, wie Sieeutschland voranbringen wollen und was wir dazurauchen, nämlich guten Willen und dass wir schnellererden. Darauf will ich gerne in drei Punkten eingehen.Erster Punkt: Föderalismusreform. Es steht nicht inhrem Antrag, dass Sie dazu etwas beitragen wollen.
or allen Dingen haben Sie auch bisher nichts dazu bei-etragen. Als die Föderalismuskommission getagt hatnd in eine schwierige Situation geraten ist, weil Ihre
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Katrin Göring-EckardtLänderfürsten sich aufgemäntelt haben und nicht mehrweiterkommen wollten, da sind Sie, Frau Merkel, abge-taucht und haben zu dieser großen und wichtigen Re-form des Landes keinen einzigen Beitrag geleistet.
Dann haben Sie hier über das Thema Zuverdienst ge-redet. Wir müssen doch einmal ehrlich sein und sehen,dass es so nicht geht. Frau Merkel, haben Sie die Debat-ten eigentlich nicht mitbekommen? Wie lange haben wirhier im Deutschen Bundestag und im Bundesrat über dieZuverdienstmöglichkeiten geredet? Wie lange haben wirgesagt, die Zuverdienstmöglichkeiten müssten größersein, weil wir gerade für die unteren Einkommensbezie-her neue Chancen brauchen? Was haben Sie gemacht?Sie haben die Zuverdienstmöglichkeiten heruntergesetzt.Deswegen sind wir jetzt in dem Dilemma, dass wir we-niger Arbeitsplätze haben und nicht mehr. Das ist Ihreeigene Verantwortung, Frau Merkel.
Vielleicht erinnern Sie sich daran: Herr Koch wolltenoch mehr. Herr Koch wollte sogar, dass diejenigen, dieheute in 1-Euro-Jobs in gemeinnütziger Arbeit beschäf-tigt sind, überhaupt nichts zusätzlich bekommen. Wassind das für Vorschläge, an die Sie sich nach ein paarMonaten nicht einmal mehr erinnern können? Jetzt sa-gen Sie: Man hätte schneller sein können. Ja, man hätteschneller sein können. Sie hätten schneller sein können.Wir wären heute weiter.
Der dritte Punkt, den Sie angesprochen haben, ist dasThema Bildung. Auf dieses Thema haben Sie heute nureinen ganz kurzen Satz verwandt und haben gesagt, damüsse man doch vorankommen. Heute Morgen habe ichvon Herrn Pofalla gelesen, Sie wollten in der nächstenWoche ganz ernsthaft verhandeln und Sie wollten aucheigene Fehler berücksichtigen und noch einmal neu da-rüber nachdenken. Ich nenne beispielhaft einen Bereich,wo sie gut Ihre Haltung überdenken könnten. Damitwürden Sie vor allen Dingen Ihren eigenen Ländern hel-fen und für bessere Bildungsmöglichkeiten in Deutsch-land sorgen. Wir haben hier über die Eigenheimzulagegestritten. Wir haben gesagt, diese war einmal ein richti-ges Instrument, sie ist jetzt aber nicht mehr notwendig;da sie am falschen Ende ansetzt, wäre es verkehrt, sieweiter aufrechtzuerhalten. Wenn Sie unserer Argumenta-tion gefolgt wären, hätten wir schon jetzt 6 MilliardenEuro in die Bildung investieren können, Frau Merkel.Diese 6 Milliarden Euro fehlen heute dem Bund und denLändern. Dafür tragen Sie Verantwortung. Wir hätten daschneller handeln können.
Natürlich widme ich mich auch Ihrem so genanntenPakt. Ehrlich gesagt halte ich ihn mehr für ein „Päck-chen“. Wenn man es nämlich aufmacht, stellt man fest,dRtn3gotzgkadfnsFAlFüSptsDSFPFwgbAsnBiüSsdZfswssalm
Nun zu den betrieblichen Bündnissen für Arbeit: Icheiß nicht, ob Sie tatsächlich einmal in Unternehmenewesen sind. Ich weiß nicht, ob Sie mitbekommen ha-en, was im letzten Jahr geschehen ist. 50 Prozent derrbeitsverhältnisse in Deutschland sind längst flexibili-iert. Die Regelungen für 50 Prozent der Arbeitsverhält-isse in Deutschland basieren längst auf betrieblichenündnissen. Hätten Sie denn gewollt, Frau Merkel, dassn Bochum ein Streik angefangen worden wäre, den manberhaupt nicht wieder hätte einfangen können? Hättenie gewollt, dass es zu einem Dumpingwettbewerb zwi-chen Bochum und Rüsselsheim kommt? Wo stehen wirenn heute? Bei Opel arbeiten die Leute zu Osttarifen.u solchen Ergebnissen führen betriebliche Bündnisseür Arbeit. Diese wurden unter Mitwirkung der Gewerk-chaften vereinbart. Wir können stolz darauf sein, dassir in Deutschland Gewerkschaften haben, die inchwierigen Situationen auch dazu in der Lage sind, ent-prechend zu handeln.
Ich will auch noch etwas zum Thema Bürokratie-bbau sagen. Sie haben sich da ja aus dem Fenster ge-ehnt und deutlich gesagt, wo überall Bürokratieabbauöglich und notwendig wäre. Ich will in diesem Zusam-
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Katrin Göring-Eckardtmenhang gern auf das Thema Gentechnik eingehen,weil es offensichtlich sehr viele beschäftigt.
Wo wir schon über Bürokratieabbau und Gentechnik-gesetz reden, will ich Ihnen heute hier einen ganz kon-kreten Vorschlag machen. Wir können bei der Gentech-nik weiterkommen, aber nicht in dem Bereich, in demandere Länder längst viel weiter sind als wir – das warübrigens auch schon zu Ihren Regierungszeiten so –,nämlich im Bereich der Grünen Gentechnik. Wir müss-ten hier einen Aufholprozess starten, um im Wettbewerbbestehen zu können, den wir, wie ich glaube, nicht er-folgreich abschließen können. Es gibt aber auch noch dieWeiße Gentechnik. Da müssten Sie sich, Frau Merkel,und Ihre Klientel, die Bauern, jedoch bewegen. Siemüssten sagen: Ja, die Zuckermarktverordnung darf ver-ändert werden; ja, der Zuckerpreis darf um 60 Prozentsinken;
ja, wir steigen in Deutschland in die Weiße Gentechnikein. Damit würden wir es schaffen, ganz nach vorne zukommen. Hierbei handelt es nämlich um einen Zu-kunftsbereich, in dem viele Arbeitsplätze entstehen kön-nen.
An dieser Stelle will ich natürlich auch noch etwaszum Antidiskriminierungsgesetz sagen. Ich tue dasgerne, und zwar deswegen, weil ich glaube, dass all die-jenigen, die hier gesagt haben, dass dadurch Arbeits-plätze vernichtet würden, in den nächsten Wochen undMonaten eines Besseren belehrt werden.Ich bin sehr dafür, dass wir all das, was in der Anhö-rung gesagt worden ist, sehr ernst nehmen. Ich bin sehrdafür, dass wir auf der einen Seite das Ziel im Auge be-halten und auf der anderen Seite dort, wo etwas zu büro-kratisch geregelt ist, andere Lösungsmöglichkeiten su-chen. Ich glaube, dass uns das auch sehr gut gelingenwird. Ich verstehe, dass es bei Unternehmen Verunsiche-rung gibt. Deswegen bin ich auch dafür, dass wir einetransparente Regelung schaffen, die nicht zu Ängstenund Verunsicherung führt.Aber ich will Ihnen auch eines sagen: EuropäischeNationen haben sich gemeinsam darauf verständigt,etwas für Bürgerrechte, Minderheitenrechte undMenschenrechte in Europa zu tun. Wir haben inDeutschland gesagt: Ja, das wollen wir, das gehört zuuns, das gehört zu unserer Kultur und zu unserer Würde.Das ist kein kleiner grüner „Beikram“, sondern das ge-hört zu uns in Deutschland und das wollen wir; wir wol-len Menschenrechte, Bürgerrechte und Minderheiten-rechte schützen.
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– zum Beispiel in Zukunftstechnologien. Wir werden
ber „weg vom Öl“, über neue Autos in Deutschland
nd über nachwachsende Rohstoffe zu reden haben. All
as werden wir tun; aber dabei werden wir nicht unsere
ürde verlieren und wir werden auch weiterhin dafür
orgen, dass dieses Land eines ist, wo Menschenrechte
ine große Rolle spielen.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Glos,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Müntefering, damit es nicht heißt, ichätte jemanden diskriminiert: Soll ich Ihre Worte oderie von Gerhard Schröder zitieren in Bezug auf den Zu-ammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und dem Wäh-en rechtsextremer Parteien? Sie haben die Wahl.
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Herr Kollege Glos, ich beabsichtige aber nicht, darü-
ber einen Hammelsprung herbeizuführen.
Gut. – Herr Kollege Müntefering, Sie haben imNovember 2000 gesagt:Manche Wähler suchen ein Ventil für Enttäu-schung, Wut und Ängste. Arbeitslosigkeit, fehlendePerspektiven, ein beschleunigter gesellschaftlicherWandel infolge von Globalisierung und Individuali-sierung sowie Herausbildung der Wissens- und In-formationsgesellschaft treiben der extremen Rech-ten Proteststimmen zu.Der Bundeskanzler hat am 27. Mai 1998 gesagt:Das Wiedererstarken des Rechtsextremismus liegtvor allem in der Perspektivlosigkeit auf dem Ar-beitsmarkt und in der mangelnden Fähigkeit, mitFremdheit umzugehen.
Herr Müntefering, ich habe das nur deswegen gesagt– es geht ja heute um Arbeitslosigkeit –, weil Sie am Be-ginn Ihrer Rede – heute war nicht Ihr Tag; das hat mangespürt –
mit Zitaten gekommen sind, von denen Sie geglaubt ha-ben, Sie könnten sie zur Diskriminierung der CSU brau-chen. Ich bin überhaupt der Meinung, dass wir heute et-was Historisches erlebt haben, nämlich die ersteAbstimmungsniederlage von Rot-Grün.
Das muss den Fraktions- und Parteivorsitzenden derSPD natürlich umtreiben, genauso wie die Tatsache, dassdie Umfragewerte immer schlechter werden und dasssich inzwischen offener Widerstand in der Koalitionbreit macht. Schily, Clement und Steinbrück sind gegendas von der Koalition beschlossene Antidiskriminie-rungsgesetz. Herrn Steinbrück können Sie aber nicht ru-hig stellen. Er kämpft um die Verlängerung seiner Amts-zeit.Es gab auch einen wochenlangen Schlagabtauschzwischen Herrn Clement und Herrn Eichel, der vorhinnoch anwesend war.
– Ich freue mich, dass er noch da ist. Er dreht geradedem Plenum den Rücken zu. Das ist symptomatisch fürdie SPD.
Wie ich sehe, verlässt er jetzt den Saal.IdWEsiuhddHhzFleBwMdtiodfKHfSesisswdaIZ
ch befürchte nur, dass er nicht endgültig geht, sondernass er vorher noch mehr Schaden anrichtet.
Damit komme ich zu Maastricht. Eichel will unsereährung ruinieren und kaputtmachen.
r will alle Mauern, mit denen die Verschuldung ge-toppt werden könnte, niederreißen. In diesem Momentst er sicherlich auf dem Weg nach Brüssel, um diesemnseligen Tun weiter nachzugehen.
Es ist offenkundig, dass bei Ihnen Ratlosigkeiterrscht. Wir können jetzt darüber rätseln, welche Hälfteer Fraktion anwesend war, als Herr Müntefering gere-et hat: die Hälfte, die für Herrn Robbe war, oder dieälfte, die für seinen Gegenkandidaten war.
Es ist eine grausame Situation – Herr Müntefering, daaben Sie mein echtes Mitgefühl –, wenn der Vorsit-ende einer Fraktion – ich habe immerhin die drittgrößteraktion im Deutschen Bundestag zu führen – flehent-ich darum bitten muss, noch einmal nachzudenken undinen Tag bis zur Entscheidung zu warten, aber dieseitte mit Hinweis auf die Geschäftsordnung abgewiesenird. Das wäre eigentlich ein weiterer Grund, Herrüntefering, sich zu überlegen, ob Sie beiden Ämtern,em Amt des Parteivorsitzenden und dem Amt des Frak-onsvorsitzenden, gewachsen sind.
Wir haben heute die bedrückende Situation, dass esffiziell fast 5,3 Millionen Arbeitslose gibt. Wir habenie bedrückende Situation, dass es in Nordrhein-West-alen 1,1 Millionen Arbeitslose gibt. Trotzdem ist deranzler hier nicht anwesend, weil er auf der CeBIT inannover anscheinend unabkömmlich ist.Ich erinnere mich noch sehr gut an die CeBIT vorünf Jahren. Damals hat der Bundeskanzler mit Herrntaudt von IBM gesprochen und dann versprochen, dassr die Greencard einführt, um mithilfe von ausländi-chen Experten den IT-Fachkräftemangel zu beheben. Est dann manches anders gekommen. Nicht nur die Tat-ache, dass die ausländischen Experten längst wiedereg sind, ist bedrückend, sondern auch die Tatsache,ass hoch qualifizierte Arbeitsplätze aus diesem Bereichus Deutschland verlagert werden.
ch könnte in diesem Zusammenhang die „Hannover-eitung“ zitieren.
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Michael GlosFür mich ist es doppelt bedrückend, was hier vor sichgeht. Denn IBM will Rechenzentren in Hannover und inSchweinfurt schließen. In Hannover sind 250 und inSchweinfurt 330 Mitarbeiter betroffen – und das in einerDienstleistungsbranche. Wenn ich mehr Redezeit hätte,würde ich Ihnen aus den Briefen vorlesen, die ich vonbetroffenen jungen Familien, die Angst um ihre Zukunfthaben, bekommen habe.
Ich hoffe, dass der Herr Bundeskanzler die Zeit aufder CeBIT in Hannover nutzt, um nicht nur mit HerrnStaudt und anderen Führern großer amerikanischerTochtergesellschaften Champagner zu trinken, sondernauch um diese bedrückenden Sorgen anzusprechen.
Wir sprechen immer vom Wandel der Industriegesell-schaft in eine Dienstleistungsgesellschaft. Das Be-drückende ist, dass inzwischen nicht nur die industriel-len Arbeitsplätze aus Deutschland verschwinden,sondern dass auch die Dienstleistungsarbeitsplätze in ei-nem atemberaubenden Tempo aus Deutschland verlagertwerden.
Bei den Punkten, bei denen die Regierung Erfolgehatte – das waren nicht allzu viele –, haben wir als kon-struktive Opposition mitgeholfen. Ich nenne als Stich-wort nur die Gesundheitsreform. Dass jetzt die Bei-träge gesenkt werden können, ist der Mithilfe von HorstSeehofer zu verdanken, der Chefberater, und zwar ohneHonorar, für Frau Schmidt gewesen ist. Auch dass Hartzin Kraft treten konnte, ist einer konstruktiven Oppositionzu verdanken.
Wir haben nicht wie Rot-Grün in der Zeit zwischen 1994und 1998 blockiert; denn wir haben von vornherein ge-sagt: Wir wollen mithelfen, Deutschland wieder in Ord-nung zu bringen. Wir schauen auf die Menschen und aufdie Wähler. Uns hat man gewählt, weil man will, dass esvorwärts geht.
Warum man die Grünen gewählt hat, weiß ich nicht. Indiese Vorstellungswelt kann ich mich nur schwer hinein-versetzen.Herr Müntefering, Ihre Zitate, die Sie auf das Ange-bot von Frau Merkel und des bayerischen Ministerpräsi-denten und Parteivorsitzenden Stoiber hin angeführt ha-ben, fand ich sehr geschmacklos.
Es war gut, dass „Gerhard von Arabien“ aus Arabien an-gerufen und Sie zurückgepfiffen hat.–sHww–dDaüSnIddsStdrlaRiEvntd„snD
Wie die geschmacklos sein können? Sie sind ge-chmacklos, weil sie von Herrn Müntefering kommen,err Schmidt; das ist doch ganz klar.
Sie haben gesagt, es sei menschenverachtend und waseiß ich alles, dass man sich schriftlich an den Kanzlerendet, um über die derzeitige Situation zu reden.
Jetzt lese ich Ihnen das Zitat doch vor:
Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit si-gnifikant zu senken …
Das haben Sie schon einmal gehört. – Hartz hat gesagt,ie Arbeitslosigkeit werde binnen drei Jahren halbiert.as war 2002; jetzt haben wir 2005. Sie aber haben esls kaltblütig und zynisch bezeichnet, dass wir mit Ihnenber einen Pakt für Arbeit reden wollen.
ie haben gesagt, das sei moralisch verkommen. Das istoch schlimmer.
ch scheue mich, hier schlimme Worte zu wiederholen,ie andere gesagt haben; denn ich bin dann immer alserjenige verschrieen, der mit Grobheiten um sich wirft.
Kollege Westerwelle hat zu Recht darauf hingewie-en, was Betriebsratsvorsitzende geschrieben haben.ie haben den Betriebsratsvorsitzenden von Bayer zi-iert. Ich könnte, wenn meine Redezeit reichen würde,en Betriebsratsvorsitzenden von Thyssen-Krupp zitie-en. Dort wie in anderen DAX-Konzernen warnen Mil-ionen organisierte Arbeitnehmer über diejenigen, die siels Vertrauensleute gewählt haben, vor einer weiterenegierungsbeteiligung der Grünen. Sie verlangen, dassn Nordrhein-Westfalen andere Verhältnisse entstehen.Sie weisen in diesem Zusammenhang auf die hohennergiepreise hin, die bei uns in Deutschland künstlicherteuert sind; ich brauche die entsprechenden Zahlenicht zu nennen. Wir haben nach Italien die zweithöchs-en Strompreise in Europa – und das alles in erster Linieurch staatlich verordnete Nebenkosten. Wir leisten unsSubventionsräder“, die nicht nur die Landschaft ver-chandeln, sondern Strom in das Netz einspeisen kön-en, der zum Dreifachen des Marktpreises vergütet wird.as mag sich eine reiche Gesellschaft leisten können,
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Michael Glosein Land, das im Überfluss lebt. Aber wir in Deutschlandkönnen es uns nicht leisten, die höchsten Lohnkostendurch hohe Lohnzusatzkosten und gleichzeitig diehöchsten Energiekosten zu haben.
Ich meine, dass man dafür, dass sich eine Oppositionbereit erklärt, darüber zu sprechen, wie wir das allesüberwinden können, im Grunde dankbar sein müsste.Herr Müntefering, ich will Ihnen zuletzt eines sagen:Sie haben kein leichtes Amt; das gebe ich zu. Sie müssenoft den Kopf für den Bundeskanzler hinhalten. Aberganz besonders bedrückend ist es, wenn ein Partei- undFraktionsvorsitzender aus Nordrhein-Westfalen amtiert,während Nordrhein-Westfalen nach einer viel zu langenPhase der SPD-Regierung wieder zu einer CDU-Regie-rung zurückkehrt. Ich glaube, Sie werden, wenn Sie dasdurchhalten und nicht die Nerven verlieren, auch derSPD-Parteivorsitzende sein, unter dessen Regie Rot-Grün im Bund abgewählt wird.Danke schön.
Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der Par-
lamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächstmöchte ich mich für die Komplimente seitens der Oppo-sition bedanken und darauf hinweisen, Herr Glos, dassheute zum wiederholten Male nicht Ihr Tag ist.
Ich halte es für absolut gerechtfertigt, dass nach den An-würfen, die es aus Ihren Reihen in Richtung auf die so-zialdemokratische Partei, auf Herrn Münterfering undHerrn Schröder, gegeben hat, bevor mit Gesprächen be-gonnen wird, hier Worte des Anstandes und des Ausglei-ches gefunden werden. Das, so meine ich jedenfalls, ge-hört zum demokratischen Selbstverständnis.
Meine Damen und Herren, mir ist aufgefallen, dassSie sich hier hinstellen und erklären, Sie hätten alle Er-folge dieser Regierung auf dem Felde der Wirtschaftspo-litik im Wesentlichen mitgetragen. Damit meinen SieazSabdZgviDVS–uzzfdkhWeWMiwSSdwg––
ie haben Hartz IV mit uns gemeinsam im Vermittlungs-usschuss und hier, im Bundestag, beschlossen. Sie ha-en genau gewusst, dass durch diesen Einschnitt undurch eine andere Bewertung ab dem 1. Januar 2005 dieahl der Arbeitslosen in Deutschland statistisch anstei-en wird. Jetzt aber machen Sie sich aus dem Staube undersuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Dasst das Prinzip, mit dem Sie hier aufwarten.
as ist alles andere als die Übernahme demokratischererantwortung in der schwierigen wirtschaftlichenituation, in der wir uns befinden.
Ich fände es sehr viel besser, wenn Sie hier sagtenund auch dabei helfen würden –, dass die Kolleginnennd Kollegen in den Arbeitsgemeinschaften, in den So-ialämtern und in der Bundesagentur unsere Unterstüt-ung und unsere Solidarität genießen, damit dieses Re-ormwerk so schnell wie möglich Wirkung zeigt undamit tatsächlich schnell vermittelt und so Arbeitslosig-eit abgebaut werden kann.
Ich muss ganz offen gestehen, Frau Merkel, dass Sieier sehr allgemein gesprochen haben. Sie haben gesagt:ir müssen jetzt dicke Bretter bohren. Wir brauchenine große Kraftanstrengung.
ir von der CDU/CSU werden sagen, was zu tun ist. –ein Gedächtnis
st noch relativ gut intakt. Im letzten Jahr wussten Sie so-ohl in Ihrer Partei als auch in Ihrer Fraktion nicht, obie nach rechts oder links gehen wollen. Wohin wollenie bei der Gesundheitsreform? Wohin wollen Sie beien zentralen Fragen, die dieses Land beschäftigen? Mirird schwindlig, wenn ich daran denke, dass Sie uns sa-en wollen, wohin es gehen soll.
Warum das?
Ach so. Ich erspare mir, darauf einzugehen.
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar StaffeltIch verweise darauf, dass sich diese Bundesregierungim Prozess der Modernisierung dieses Landes befin-det.
Sie haben offensichtlich schnell vergessen – das ist ganzklassisch –, was wir in den letzten zweieinhalb Jahrenauf den Weg gebracht haben. Das betrifft die steuerli-chen Aspekte genauso wie unsere Offensive für den Mit-telstand. Unsere Förderkulisse lässt sich heute auf euro-päischer Ebene als erstklassig bezeichnen. Wir haben inden Bereichen der Existenzgründungen und der Kleinun-ternehmerförderung sowie bei der Handwerksordnungganz erhebliche Erfolge erzielt. Da Sie damals versuchthaben, die Reform der Handwerksordnung zu blockie-ren, will ich zitieren, was heute als Überschrift auf derersten Seite in der „Welt“ steht. Dort heißt es: „Gründer-boom im deutschen Handwerk – Anstieg bis zu 37 Pro-zent unter Lockerung des Meisterzwangs“. Das sindNachrichten, die man hier einmal verbreiten muss,
anstatt der Schwarzrederei, es werde nichts getan. Washeißt denn „Kein Weiter so!“? Ich sage Ihnen: Wir brau-chen weitere Reformschritte in der Kontinuität der öko-nomischen Philosophie, die sich diese Bundesregierungzu Eigen gemacht hat. Dazu gehören – wenn ich das an-merken darf – die Ausbildungsoffensive und der Büro-kratieabbau. Wir werden unsere Anstrengungen weiterverstärken. Es wird eine Jobcard geben. Wir werden unsauch noch nachhaltiger der weiteren Förderung unsererAußenwirtschaftsinitiativen widmen. All dies sind Re-formbausteine.An einer Stelle aber sind Sie gefordert, und zwar soll-ten Sie endlich dafür Sorge tragen, dass durch die Strei-chung der Eigenheimzulage ein ganz gewichtiger Bau-stein ermöglicht werden kann, nämlich Forschung,Entwicklung und Bildung in diesem Lande zeitgemäß fi-nanziell zu unterstützen und damit auch zu realisieren.Dies ist eine wirkliche Zukunftsaufgabe, der Sie sichbisher verschlossen haben.
– Ja, bei Ihnen bestimmt. Das weiß ich.Zum differenzierten Bild unserer Volkswirtschaftgehören auch folgende Punkte: Wir haben moderateLohnabschlüsse in diesem Land, eine gesteigerte Pro-duktivität und geringe Lohnstückkosten. Im Übrigensind – obwohl es unseren Unternehmen ja angeblich sowahnsinnig schlecht geht – höhere Gewinne und Divi-dendenausschüttungen der im Dax, M-Dax und Tec-Daxvertretenen und auch anderer Unternehmen zu verzeich-nen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Auch dasist ein Teil der Realität in unserem Lande, die es zu be-werten gilt.
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Wir werden entsprechende Gespräche führen. Derundeskanzler hat dies angeboten. Ich denke, das istuch sinnvoll, und es wäre gut, wenn von Ihrer Seiteonkrete Vorschläge unterbreitet würden. Kollegeüntefering hat bereits darauf verwiesen, dass vieleson dem, was Sie für den Pakt für Deutschland zu Papierebracht haben, weiß Gott nichts Neues ist.
m Übrigen äußere ich ausdrücklich Zweifel daran, dassie Realisierung dieser Punkte das ganz große wirt-chaftliche Heil für unser Land bedeuten würde. Dasalte ich für höchst zweifelhaft.
Ich glaube, dass wir gut beraten sind, die Debatte zuersachlichen und uns mit den tatsächlichen Gegeben-eiten in diesem Lande auseinander zu setzen, diechwierigen Felder, aber auch die ausgesprochenenachstumsfelder gegeneinander zu stellen und eine ver-ünftige Abwägung der möglichen weiteren Schritte ge-einsam vorzunehmen. Dazu sollte man immer bereitein. Das ist eine Frage des kultivierten politischen Dia-ogs über das wirtschaftliche Szenario in einem Lande.azu fordere ich Sie ausdrücklich auf.Ich denke, wir werden in diesem Land bei allenrognosen, die es gibt, auch in der Zukunft ein Wachs-um verzeichnen, das geeignet sein wird, in diesem undm nächsten Jahr Arbeitslosigkeit abzubauen. Das ist je-enfalls das Ziel, das wir entschlossen verfolgen.Danke schön.
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
Ich erteile dem Kollegen Ronald Pofalla, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufdie höchste Massenarbeitslosigkeit in Deutschland ant-wortet die Bundesregierung mit einem Parlamentari-schen Staatssekretär. Ratloser kann man auf die Lage inDeutschland überhaupt nicht reagieren.
Dies ist die dritte Debatte zur wirtschaftlichen Lage inDeutschland, die wir in diesem Jahr führen. Zum drittenMal müssen Sie von Rot und Grün die höchste Arbeits-losigkeit seit Gründung unseres Landes verantworten.
Zum dritten Mal hat die Bundesregierung dem Deut-schen Bundestag keinen einzigen Vorschlag zur Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit vorgelegt. Die Bundes-regierung ist ideenlos und perspektivlos. Sie kann nichteinmal mehr Vorschläge in den Deutschen Bundestageinbringen, wie die Massenarbeitslosigkeit in Deutsch-land wirksam bekämpft werden kann.
Wir haben Ihnen vor fast zwei Monaten einekonstruktive Zusammenarbeit, einen Pakt für Deutsch-land, angeboten. Vor über einer Woche haben AngelaMerkel und Edmund Stoiber dieses Angebot wiederholt.Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass der Bundes-kanzler nach dieser langen Zeit endlich den Weg für ge-meinsame Gespräche freigemacht hat. Das war überfäl-lig. Gefreut hat mich in diesem Zusammenhang auch,dass sich der Bundeskanzler damit – entgegen der Auf-fassung des SPD-Vorsitzenden – für überparteiliche Ge-spräche ausgesprochen hat. Herr Müntefering hat dieseGespräche nicht gewollt. Es ist gut, dass sich der Bun-deskanzler durchgesetzt hat.
Klar ist: Im Rahmen dieser Gespräche müssen wir zuErgebnissen kommen. Belanglose Kaffeerunden reichennicht aus. Deshalb müssen bis zum kommenden Don-nerstag auch Vorschläge aus dem Regierungslager vor-liegen, wie es weitergehen soll. Ihr destruktives Nein zuunseren Konzepten reicht nicht aus. Das ist zu wenig.Ich sage Ihnen voraus: Nächsten Donnerstag werden wirwieder über einen Großteil der Vorschläge reden, die Sieim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit abgelehnt ha-bspdI–Lt1–lu6bDdsrbbbnzHlbcAgsnbfKfdnwtzwmg
Herr Müntefering, vorhin haben Sie die Senkung derohnnebenkosten angesprochen und die Auffassung ver-reten, dass es kein Einsparpotenzial in Höhe von,5 Prozentpunkten gebe. Es gibt drei große Bereichedas weiß jeder, der sich mit dem Beitrag zur Arbeits-osenversicherung befasst –, über die wir reden könnennd in denen ein solches Einsparpotenzial vorhanden ist.Zunächst zum Aussteuerungsbetrag in Höhe von,7 Milliarden Euro. Er wird von all denjenigen aufge-racht, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.iese 6,7 Milliarden Euro werden in diesem Jahr nichter Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt,ondern sie werden direkt in den Haushalt der Bundes-epublik Deutschland gebucht. Über den Aussteuerungs-etrag und seine Höhe kann und muss geredet werden.
Es gibt eine Reihe gesamtgesellschaftlicher Aufga-en, die die Bundesagentur für Arbeit wahrnimmt, dieei ihr unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten aberichts zu suchen haben,
um Beispiel die nachschulische Bildung. Jeder hier imause ist der Auffassung, dass Schülerinnen und Schü-er, die beispielsweise keinen Hauptschulabschluss ha-en, die Möglichkeit erhalten müssen, diesen zu ma-hen. Mit der ureigenen Aufgabe der Bundesagentur fürrbeit hat das aber überhaupt nichts zu tun. Das ist eineesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von den dafür zu-tändigen Stellen, nicht aber von den Beitragszahlerin-en und Beitragszahlern finanziert werden muss.
Nun zu den Maßnahmen der Bundesagentur für Ar-eit. Eine ganze Reihe von Maßnahmen, die sie durch-ührt, ist völlig wirkungslos. Wenn schon Frau Engelen-efer – ich hätte nie gedacht, dass ich mich auf sie beru-en kann –
ie Auffassung vertritt, die Maßnahmen zu den Perso-al-Service-Agenturen und zu den Ich-AGs seien völligirkungslos, dann kann in diesem Haus mit allen Frak-ionen über eine Streichung oder eine erhebliche Redu-ierung dieser Maßnahmen gesprochen werden. Dasäre ein dritter Bereich, über den im Zusammenhangit der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitragesesprochen werden kann.
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Ronald PofallaHerr Müntefering, wir könnten mit der Senkung desArbeitslosenversicherungsbeitrages um 1,5 Prozent-punkte
150 000 neue Arbeitsplätze schaffen. Das wären 150 000Menschen, die wieder Brot und Arbeit haben, 150 000Menschen, die wieder Steuern zahlen, und übrigens auch150 000 Menschen, die die Bundesagentur um rund2 Milliarden Euro entlasten
und dadurch auch einen Beitrag dazu leisten, dass wirden Arbeitslosenversicherungsbeitrag jetzt und hier sen-ken können. Helfen Sie uns dabei, 150 000 neue Arbeits-plätze zu schaffen! Wehren Sie sich nicht dagegen!
Geben Sie Ihre innere Blockade auf!
Wir können den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Wirhaben Ihnen vorgeschlagen, das Jugendarbeitsschutzge-setz, das Betriebsverfassungsgesetz und das Tarifver-tragsgesetz sinnvoll so zu ändern, dass wieder mehr Dy-namik im Arbeitsmarkt entsteht, weil der Arbeitsmarktvöllig überreguliert ist und deshalb dereguliert werdenmuss. Diese Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir bietenIhnen an, am nächsten Donnerstag über die gesetzlicheVerankerung betrieblicher Bündnisse für Arbeit zu re-den, weil wir glauben, dass in einer Situation, in der dieMassenarbeitslosigkeit steigt und die Armut in Deutsch-land zunimmt, dieses Maßnahmenbündel jetzt umgesetztwerden muss.In diesem Zusammenhang möchte ich auf denArmutsbericht der Bundesregierung eingehen. DemArmutsbericht der Bundesregierung können Sie entneh-men,
dass während Ihrer Regierungszeit, in den vergangenensechs Jahren, bedingt durch steigende Arbeitslosigkeitdie Armut von über 2 Millionen Menschen in Deutsch-land zugenommen hat. Das müsste ein Ansporn für Siebei der Bekämpfung der Armut in Deutschland sein.
Sie müssten zu Reformprozessen bereit sein, zu denenSie bisher nicht bereit waren. Helfen Sie den Menschen,wieder in Arbeit zu kommen! Bekämpfen Sie wirksamArbeitslosigkeit und Armut in Deutschland!Herzlichen Dank.
DLRSbpuzrWmznsdSZFdbeDndd–nzwstdmsbmee
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!iebe Kolleginnen und Kollegen! Wegen der Kürze deredezeit möchte ich nur einige Anmerkungen machen.ie, meine Damen und Herren von der Opposition, ha-en heute hier einen Antrag vorgelegt, ein Zehnpunkte-rogramm, einen „Pakt für Deutschland“. Ich verstehe esngeheuer gut, dass Ihre Fraktions- und Parteivorsit-ende hier kein einziges Wort über diesen Antrag verlo-en hat.
arum hat sie darüber kein Wort verloren, meine Da-en und Herren? Sie hat es nicht getan, weil in diesenehn Punkten, die Sie vorschlagen, nichts, aber auch garichts enthalten ist, was tatsächlich die Beschäftigungs-ituation in Deutschland verbessern würde.
Es gibt einen einzigen Punkt in Ihrem Vorschlag, überen zu diskutieren wirklich interessant wäre, nämlich dieenkung der Lohnnebenkosten. Das ist das richtigeiel und die richtige Forderung. Nur ist das, mit Verlaub,rau Merkel und Herr Pofalla, ein leeres Versprechen;enn Sie schlagen eine Senkung des Beitrages zur Ar-eitslosenversicherung um 1,5 Prozentpunkte vor, ohneinen Vorschlag für die Gegenfinanzierung zu machen.
as ist typisch für die Union. Es ist typisch für Sie, sichach eigenen Forderungen vor der Verantwortung zurücken.
Denn was bedeutet das, 11 Milliarden? Das ist entwe-er ein wirklich gigantisches Verschuldungsprogrammund dann wagen Sie es, bei einem anderen Tagesord-ungspunkt die Einhaltung der Maastricht-Kriterien ein-ufordern – oder aber eines der größten Programme, dasir in Deutschland je gesehen haben, mit dem Men-chen, die arbeitslos waren und zum Beispiel über Exis-enzhilfen jetzt Arbeit gefunden haben, oder Menschen,ie arbeitslos sind und heute in Qualifizierungsmaßnah-en sind, Hilfestellungen angeboten werden. Der Vor-chlag, diese Maßnahmen zu streichen, ist gigantisch. Esetrifft Hunderttausende, die heute Hilfestellung bekom-en – aus der Arbeitslosenversicherung, in die sie selberingezahlt haben. Diese Menschen, Herr Pofalla, habenin Recht auf Unterstützung, auf Hilfestellung dabei,
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15224 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Dr. Thea Dückertwieder in den Arbeitsmarkt zu kommen. Ich finde es an-gesichts 5,2 Millionen Arbeitsloser zynisch, eine Sen-kung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung vorzu-schlagen, um angeblich 150 000 Arbeitsplätze zusichern bzw. zu schaffen. Denn damit müssten gleichzei-tig Hunderttausenden, die am Rande ihrer Existenz au-ßerhalb des Arbeitsmarktes stehen, die Maßnahmen ge-strichen werden.
Jugendliche verlassen heute die Schule und wollenauf den Arbeitsmarkt, Jugendliche, die von unserenSchulen – und das ist Ländersache, darauf möchte ichhier auch einmal hinweisen – zum größten Teil mitSchulabschlüssen entlassen werden, die ihnen nicht hel-fen, sodass sie nachqualifiziert werden müssen. Wirmüssen uns um diese Jugendlichen kümmern. Es hilftnichts, Herr Hinsken, dass Sie darauf verweisen, das seinicht die Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit; das istnoch kein Finanzierungsvorschlag.
Wir haben mit Hartz IV den Kommunen und den Ar-beitsagenturen vor Ort die Instrumente und die Mittelzur Verfügung gestellt, sich um diese Jugendlichen zukümmern. Wir wollen, dass das gemacht wird, und wirwehren uns dagegen, Herr Pofalla, dass Sie hier Finan-zierungsvorschläge machen, die genau diese Hilfestel-lung für die Jugendlichen unmöglich machen.Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen, FrauMerkel.
Das muss jetzt aber wirklich sehr knapp sein.
Ganz knapp, ich komme zum Schluss. – Natürlich
müssen wir über weitere Maßnahmen reden; das ist völ-
lig klar. Aber dann reden Sie doch bitte schön auch da-
rüber, welche Hilfestellungen Sie verhindert haben. Ich
meine beispielsweise den Zuverdienst. Was Sie dazu im
Vermittlungsausschuss durchgesetzt haben, ist ein Skan-
dal. Und dann machen Sie sich hier einen schlanken Fuß
und sprechen es hier nie an. Natürlich brauchen wir bes-
sere Zuverdienstmöglichkeiten. Ich hoffe, Sie stellen
sich der Realität und zeigen mehr Ehrlichkeit; dann kann
man über Ihre Vorschläge reden.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Petra Pau.
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Da sage ich mit Blick auf Ihren „Pakt für Deutsch-and“: Die Richtung ist falsch, und wer in die falscheichtung rast, der wird zum Geisterfahrer und damit zuiner Gefahr für die Allgemeinheit.
ir brauchen keinen „Pakt für Deutschland“, jedenfallseinen, wie ihn CDU und CSU vorschlagen: Alle Ele-ente, die Sie vorschlagen, wurden bereits getestet undaben in der Praxis versagt.Was wir brauchen, ist ein neuer Gesellschaftsver-rag, ein Gesellschaftsvertrag, der unter neuen Bedin-ungen trägt: sozial, solidarisch und aktiv. Schauen Sieich doch die Belege und Zahlen an: Unser Land isticht arm – es ist sogar reich. Arm sind allerdings wach-ende Teile der Bevölkerung, und das ist ein zunehmen-er Widerspruch. Unser Land ist auch nicht schwach –ir sind Exportweltmeister. Schwach ist allerdings derinnenmarkt; das ist der zweite Widerspruch. Und unserand ist auch nicht krank – es ist agil und dynamisch.chwach sind allerdings die Sozialsysteme; das ist derritte Widerspruch. Auf all diese tatsächlich vorhande-en Widersprüche geben Sie mit Ihrem „Pakt füreutschland“ keine Antworten. Im Gegenteil: Sie ver-chärfen sie noch.
Wir, die PDS im Bundestag, wollen etwas anderes.ir wollen den Sozialstaat und den Solidargedanken aufeue Füße stellen, auf Füße, die dem 21. Jahrhundert ge-äß sind. Das ist der Sinn eines neuen Gesellschaftsver-ages und deshalb werben wir für eine Agenda Sozial.Es ist richtig: Jede Zeit birgt Chancen und Risiken.as ist ein Allgemeinplatz, der auch heute hier mehrfachiederholt wurde. Konkret wird es, wenn wir nach dererteilung der Chancen und Risiken in der Gesellschaftragen. Da zeigt sich der Unterschied: Sie wollen diehancen privatisieren und die Risiken vergesellschaften.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15225
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Petra PauDeshalb verteilen Sie Steuergeschenke an die Wohlha-benden und Soziallasten weiterhin an die Armen. Wirhalten es da viel mehr mit der Bibel als die ChristlichSoziale Union, wir stehen nämlich zu dem Solidargebot,einer trage des anderen Last.
Auch deshalb sind wir für einen neuen Gesellschaftsver-trag und gegen einen Pakt für Deutschland.Der Pakt für Deutschland von CDU/CSU ist einZehnpunkteplan. Wir kennen ihn alle. Wir haben ihn imBundestag schon einmal debattiert und aus guten Grün-den mehrheitlich abgelehnt. Neu ist lediglich, dass Siediesen Pakt für Deutschland öffentlichkeitswirksam alsWerbebrief an das Bundeskanzleramt schicken. FrauMerkel, ich habe zwei Vermutungen, weshalb Sie dastun: erstens, weil in Nordrhein-Westfalen gewählt wirdund die CDU dringend Werbung braucht, und zweitens,weil Sie vielleicht einen Nebenjob bei der Post AG ha-ben.
Nun haben Bundeskanzler Schröder und später auchdie SPD und die Grünen signalisiert, sie seien gesprächs-bereit. In der nächsten Woche wird es ein Gipfeltreffengeben. Ich finde das gar nicht so widersprüchlich, wiemanche das in der öffentlichen Kommentierung zumAusdruck gebracht haben; denn mit dem Pakt fürDeutschland widerspricht die CDU/CSU der Agenda 2010des Kanzlers nicht. Im Gegenteil: Die Agenda wirddurch den Pakt nur ergänzt.
Mit der Agenda, insbesondere mit Hartz IV, wurden dieArbeitslosen zur Kasse gebeten und den Pakt fürDeutschland werden jene bezahlen, die im Moment nochArbeit haben. Die Wirkung der beiden Konzepte ist al-lerdings dieselbe: Die Reichen werden reicher und dieArmen werden ärmer, der Sozialstaat verarmt weiter undder Binnenmarkt lahmt.Deshalb wiederhole ich: Das sind keine Reformen,das sind Teufelskreise. Diese müssen aktiv durchbro-chen werden. Dazu brauchen wir ein klares gesellschaft-liches Leitbild und verlässliche Vereinbarungen. Des-halb plädiere ich für einen neuen Gesellschaftsvertrag.Er ist nicht aus dem Ärmel zu schütteln, wenn sich aberVernünftige von Links, der Mitte und anderswo zusam-mentun, dann wird es sich schon lohnen.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion.
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r hat Ihnen dann auch gesagt, dass Sie die Auseinan-ersetzung nur im Grundsätzlichen führen sollen. Zuraktik sagte er, man müsse nur anklagen und warten,ber man dürfe keine konkreten Rezepte nennen. Das istas Sonthofener Programm der Opposition.
Deshalb hat Michael Glos als alter Straußschüler
ußer Stänkereien nichts von sich gegeben.
hr Wahlprogramm und Ihren Pakt für Deutschland hatr verschwiegen. Das, was Sie als Drucksache vorgelegtaben, ist nur ein Aufguss. Sie wissen genau: Wenn dieenschen erfahren, was Ihr Paket enthält, dann werdenie die Annahme verweigern.
Nein, Sie wollen desinformieren und stehen mit derahrhaftigkeit auf Kriegsfuß. Wer sich hier hinstellt undrklärt, wir hätten heute die höchste Arbeitslosigkeit iner deutschen Nachkriegsgeschichte, der kennt die Zah-en von 1996, 1997 und 1998 nicht.
ch gebe Ihnen die Quelle. Lassen Sie sich vom Institutür Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Berechnun-en der stillen Reserve geben. Frau Merkel, ich gebe zu,ass man Ihnen das vielleicht nicht gesagt hat, sodassie mit diesem Eindruck vordergründig arbeiten können.
enn Sie aber jetzt, da Sie die Quelle kennen, trotzdemeiterhin die Unwahrheit sagen, werde ich Sie der Lügeezichtigen.
Die Wahrheit ist: Wenn wir 1997 und 1998 so gezähltätten wie heute, dann hätten die Zahlen weit über denenon heute gelegen. Ich erinnere auch an die Wahlkampf-BM von 1998, mit denen bis zum 31. Oktober
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15226 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Ludwig Stiegler– danach war Schluss – über 800 000 Menschen be-schäftigt wurden. Wer jetzt nur anklagt, der heuchelt.
Sie wollen im Trüben fischen. Sie wollen nach Straußein Krisenbewusstsein schaffen. Ich sage Ihnen: Wennwir der CDU/CSU gefolgt wären und die Hartz-IV-Re-formen erst zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft gesetzt hät-ten, hätte heute keiner Anlass, die Menschen in Furchtund Angst zu versetzen. Vielmehr würden wir über sai-sonale Arbeitslosigkeit reden. Sie sollen den Menschennicht Angst, sondern Mut machen, meine Damen undHerren!
Kehren Sie zur Wahrhaftigkeit zurück! Wir warendiejenigen, die zusammen mit Ihnen die Größe der Auf-gabe statistisch ans Tageslicht geholt haben. Wir werdenuns jetzt an dieser Aufgabe abarbeiten. Es gibt keinenGrund, der Bevölkerung den Mut zu nehmen.
– Die FDP darf nicht einmal mehr mitreden. HerrWesterwelle, wozu sind Sie eigentlich da?
Herr Westerwelle, nicht einmal die CDU/CSU nimmtSie mit ins Boot. Frau Merkel hat so ihre Probleme mitden Männern: Seehofer weg, Schäuble weg, Meyer wegund jetzt auch Westerwelle weg. Auch er darf nicht.Meine Güte, sagen Sie mir, wo die Männer gebliebensind!
– Es ist klar, dass wieder die rheinischen Knaben rufen.Das hat auch mit Herrn Stoiber zu tun.
Wir haben uns mit Ihrem so genannten Pakt auseinan-der zu setzen, den Sie sich kaum vorzutragen trauen. Siewollen schließlich nur allgemein Stimmung machen. Wirweisen darauf hin – ich will nicht alles wiederholen –,dass Sie zum Beispiel den betrieblichen Gesundheits-schutz schleifen und damit die Kosten der Berufsgenos-senschaft für die Gesundheit erhöhen wollen. Ihr Ver-such, den betrieblichen Gesundheitsschutz abzuschaffen,den Jugendarbeitsschutz zu schleifen und die Tagesar-bnuGWFsfEvsduKwWmglDvtgVRrSBndFöEm
Wer wie Sie in diesen Zeiten den Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmern die Kraft der Betriebsräte und derewerkschaften nehmen will, der macht in Zeiten desandels die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zumreiwild. Die brauchen starke Gewerkschaften undtarke Betriebsräte, damit sie sich behaupten können.
Kein Wort von Ihnen zu den DAX-Unternehmen, dieette Gewinne einstreichen, Investitionen kürzen undntlassungen ankündigen. Früher hieß es, die Gewinneon heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Dannchreiben Sie Herrn Ackermann hinter die Ohren, dassie Arbeitsplätze von morgen auch geschaffen werdennd nicht eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent aufosten der Menschen als Beute eingesteckt wird.
Das gilt für alle DAX-Unternehmen. Soziale Markt-irtschaft heißt: Eigentum verpflichtet. Es soll demohle der Allgemeinheit dienen. Wer glaubt, Unterneh-en seien nur Geldvermehrungsmaschinen für die Ei-entümer, der versündigt sich an unserer gesellschaft-ichen Ordnung. Da wäre Ihr Einsatz gefragt, meineamen und Herren von der Opposition.
Wer wie Herr Ackermann eine Eigenkapitalrenditeon 25 Prozent will, der verabschiedet sich von der Mit-elstandsförderung. 1 Million Mittelständler würdenerne investieren, wenn die Banken nicht mehr Angst alsaterlands- und Arbeitsplatzliebe hätten. So schaut dieealität aus. Wo kämpfen Sie, meine Damen und Her-en? Wo bleiben Sie?
ie nicken hier höflich. Wer von Ihnen setzt sich mit denanken auseinander? Die Mittelständler brauchen Hilfe,icht allgemeine Sprüche über Lohnnebenkosten und an-eres.
Zum Stichwort Lohnnebenkosten ist zu sagen, dassrau Merkel und auch Herr Pofalla unter die Voodoo-konomen gegangen sind.
s gibt eine Untersuchung des Instituts für Arbeits-arkt- und Berufsforschung.
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Ludwig StieglerEs hat festgestellt, dass Ihre falsche Finanzierung derdeutschen Einheit die Lohnnebenkosten auf diese Höhegetrieben hat. Das waren Sie von Schwarz und Blau-Gelb.
In dem Zusammenhang hat das Institut gesagt,150 000 Arbeitsplätze seien pro Beitragspunkt verlorengegangen. Wer glaubt, 1 Prozentpunkt weniger würde zueiner Beschäftigungsexplosion führen, der muss einenfesten Irrglauben haben.
Das Gegenteil ist der Fall, Herr Pofalla. Wir brauchendas Geld für die Bundesagentur für Arbeit,
damit wir uns um die Jugendlichen kümmern können,die uns die Kultusminister als nicht Ausbildungsfähigevor die Tür stellen.
Den Kultusministern wäre eine Aussteuerungsabgabeaufzuerlegen. Von den Jugendlichen haben 10 Prozenteines Jahrgangs keine Ausbildung. Die müssen wir fi-nanzieren. Deshalb braucht die Bundesagentur für Ar-beit das Geld. Ihre Forderungen würden den Tod fürviele dieser Maßnahmen bedeuten und den Menschenden Eintritt in den Arbeitsmarkt verwehren.
Sie wollen eine Sanierung auf Kosten des Bundes-haushalts. Sie sind entweder abgefeimt oder schizo-phren.
Einerseits sagen Sie, der Haushalt sei unsolide undkönne keine Schulden mehr vertragen, auf der anderenSeite sagen Sie, Eichel solle schlankweg 6 MilliardenEuro lockermachen. So geht es nicht. Sie müssen sichschon einigen, wohin Sie wollen. Wenn Sie mit uns et-was erreichen wollen, dann kämpfen Sie mit uns ge-meinsam dafür, dass wir Maßnahmen der Bundesagenturfür Arbeit durchsetzen. Gehen Sie auf die Arbeitsge-meinschaften vor Ort zu! Machen Sie Ihren Kommunal-politikern Beine!Die sind jetzt mitverantwortlich. Die müssen endlichetwas tun, um mit den Milliarden, die wir zur Verfügunggestellt haben, die beschlossenen Maßnahmen umzuset-zen.
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Meine Damen und Herren, wer sich mit Ihren Vor-chlägen auseinander setzt, weiß, warum Sie so wenigonkret werden. Sie wollen nur Schau, Sie wollen nurnklagen, Sie wollen nur auf einer Wahlkampfwelle rei-en und nicht einmal Ihren potenziellen Koalitionspart-er lassen Sie mitreiten. Der arme Kerl ist vom Pferd ge-allen.
rau Merkel, Sie sollten ihm wenigstens den Verbands-asten geben und ein Gespräch ermöglichen, damit erhnen vorher sagen kann, welche Sorgen er denn hat.hne Westerwelle – das muss ich Ihnen schon sagen –äre dieses geplante Gespräch sehr arm.
Also: Lassen Sie uns die Arbeit tun, die jetzt ansteht,ämlich das Instrumentarium der Agentur für Arbeit nut-en! Lassen Sie uns dafür kämpfen, dass der Mittelstandie Kredite für die Finanzierung bekommt! Lassen Siens den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in die-en Zeiten des Wandels starke Gewerkschaften sowietarke Betriebsrätinnen und Betriebsräte an die Seitetellen!Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache5/4986 zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU mitem Titel „Pakt für Deutschland“. Der Ausschuss emp-iehlt, den Antrag auf Drucksache 15/4831 abzulehnen.er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wertimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dieeschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koali-ion angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chuss für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache5/4985 zum Antrag der FDP-Fraktion mit dem TitelWider die Vertrauenskrise – Für eine konsistente undonstante Wirtschaftspolitik“. Der Ausschuss empfiehlt,
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Vizepräsident Dr. Norbert Lammertden Antrag auf Drucksache 15/1589 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Auch dieseBeschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.Wir kommen zum Zusatzpunkt 4. Es wird interfrak-tionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache15/5019 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-schüsse vorgeschlagen. Ich nehme an, dass Sie damiteinverstanden sind. – Es erhebt sich kein Widerspruch.Dann ist das so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 f sowieden Zusatzpunkt 5 auf:22 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zurÄnderung des Sprengstoffgesetzes und ande-rer Vorschriften
– Drucksache 15/5002 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeitb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom4. November 2003 betreffend den Prospekt,der beim öffentlichen Angebot von Wertpapie-ren oder bei deren Zulassung zum Handel zuveröffentlichen ist, und zur Änderung der
– Drucksache 15/4999 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeitc) Beratung des Antrags der Abgeordneten MichaelKauch, Daniel Bahr , Detlef Parr, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDPNachhaltige Entwicklung im demographi-schen Wandel fördern – Potenziale des Altersnutzen– Drucksache 15/3538 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendd) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Ulrike Flach, Hellmut Königshaus, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPImplementierung eines wirksamen Tsunami-Frühwarnsystems für den Indischen Ozeanunter Einbeziehung des deutschen For-schungsnetzwerkes– Drucksache 15/4854 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
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Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung desBundesbesoldungsgesetzes– Drucksache 15/4115 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. MaxStadler, Rainer Funke, Ernst Burgbacher, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPFür ein modernes Berufsbeamtentum– Drucksache 15/4560 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten InaLenke, Dr. Karl Addicks, Dr. Heinrich L. Kolb,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSchwangerschaftsabbruch nach Pränataldia-gnostik – Verantwortungsvolle Regelungenund Maßnahmen treffen– Drucksache 15/5034 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
RechtsausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachtenerfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 23 a bis3 c. Es handelt sich um die Beschlussbefassung zu Vor-agen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 a auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Öko-Landbauge-setzes– Drucksache 15/4735 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft
– Drucksache 15/4951 –Berichterstattung:Abgeordnete Gustav Herzog
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertMarlene MortlerFriedrich OstendorffDr. Christel Happach-KasanDer Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 15/4951, den Gesetzentwurf in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wol-len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich der Stimme? – Der Gesetzentwurf ist damitin zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzenzu erheben. – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthal-tungen? – Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig ange-nommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über Beschluss-empfehlungen des Petitionsausschusses.Tagesordnungspunkt 23 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 190 zu Petitionen– Drucksache 15/4940 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 190 ist mit auskömm-licher Mehrheit beschlossen.Tagesordnungspunkt 23 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 191 zu Petitionen– Drucksache 15/4941 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich der Stimme? – Die Sammelübersicht 191 isteinstimmig angenommen.Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der SPDHaltung der Bundesregierung zu den durchÜberschüsse möglichen Beitragssenkungen inder gesetzlichen KrankenversicherungZunächst erteile ich für die Bundesregierung das Wortder Bundesministerin Ulla Schmidt.
Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit undSoziale Sicherung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wer lange Zeit Verantwortung im deutschen Gesund-heitswesen trägt, der ist einiges gewohnt und wundertsnghfhHedWtgnduWzudesivuv2UJdntvnwitsEsbasmtndbDPd
Im vergangenen Jahr, das vor allen Dingen der Fi-anzkonsolidierung der Kassen gedient hat und in demas, was wir an Strukturveränderungen beschlossen ha-en, erst beginnen konnte zu wirken, haben vor alleningen die Versicherten durch höhere Zuzahlungen, dieraxisgebühr und auch einen Ausschluss von Leistungenazu beigetragen, dass dieses Ergebnis erzielt wurde.
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Bundesministerin Ulla SchmidtDie Versicherten haben einen Anspruch darauf, dass sieauf der anderen Seite durch Beitragssatzsenkungen ent-lastet werden. Wir werden alles tun, um hier unserenDruck aufrechtzuerhalten.
Die gesetzlichen Krankenkassen und auch die Selbst-verwaltung – Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Mitver-antwortung tragen für die Organisation der Krankenkas-sen, für ihre Aufgaben, aber auch für die Entscheidung,ob es Beitragssatzsenkungen gibt und wie der Schul-denabbau erfolgt – verkennen, dass sie mit ihrem öffent-lichen Handeln seit Monaten den großen Vertrauensvor-schuss der Versicherten und das Vertrauen in diegesetzliche Krankenversicherung verspielen.Man darf nicht vergessen – das werden viele, die anden Diskussionen im letzten Jahr beteiligt waren, wissen –,dass die Menschen die Veränderungen – wenn auch nichtzu bejubeln, aber doch – zu akzeptieren beginnen, dassviele einsehen, dass wir Veränderungen brauchten, weileine kranke Krankenversicherung keinem kranken Men-schen nutzt, der darauf vertrauen muss, dass die Kran-kenkassen in der Lage sind, seine Behandlung zu finan-zieren. Es nützt auch niemandem, wenn sichKrankenkassen immer weiter verschulden und nachherimmer mehr Beiträge gezahlt werden müssen, damit dieSchulden abgebaut werden können. Die Menschen be-ginnen dies zu akzeptieren. Wer in dieser Situation nichtdas an die Versicherten zurückgibt, was ihnen zusteht,der gefährdet den Weg, den wir gehen und auf dem dieVersicherten durch mehr Bewusstsein für ihre Eigenver-antwortung im Gesundheitswesen dazu beitragen wol-len, dass auf Dauer eine gute und gesunde Gesundheits-versorgung finanziert und organisiert werden kann.
Hinzu kommen die Veröffentlichungen darüber, dassman in manchen Krankenkassen bei der Anhebung derVorstandsbezüge nicht so zögerlich gewesen ist wie beiden Beitragssatzsenkungen. Ich habe nichts dagegen,dass Vorstände von Krankenkassen gut bezahlt werden,wenn sie gute Arbeit leisten,
wenn sie die Krankenkassen so organisieren, dass dieVersicherten im Mittelpunkt der Versorgung stehen,wenn sie mit den Krankenhäusern, mit den Ärzten undanderen Leistungserbringern gute Verträge aushandelnund wenn sie dafür sorgen, dass jeder Euro in diesemSystem genau dahin kommt, wo er den kranken Men-schen nutzt, und alles, was überflüssig oder von schlech-ter Qualität ist, im Gesundheitswesen auf Dauer vermie-den wird. Nur so bleibt es bezahlbar.
Es geht aber nicht, in Zeiten, in denen auf der einenSeite eine hohe Verschuldung abzubauen ist und in de-nen gezögert wird, den Versicherten durch Beitragssatz-sgSnkacsrvWkkgPgzHrrbjcfsnwsrDbBtmvgBIsnwa
Ich halte es auch für wirklich schändlich, wenn manrgumentiert, dass jemand drei Vorstandsgehälter brau-he, weil er insgesamt drei Kassen vorstehe, die insge-amt 221 000 Mitglieder betreuen. Wir müssen darübereden, was gemacht werden kann. Ich hoffe, die Selbst-erwaltung löst diese Probleme, wie es ihre Aufgabe ist.enn das nicht geschieht, müssen wir darüber nachden-en, ob man gesetzlich andere Wege gehen kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Beitragssatzsen-ungen sind notwendig. Sie müssen jetzt auf den Wegebracht werden. Jetzt sind die Krankenkassen in derflicht, die Strukturveränderungen auf den Weg zu brin-en, die wir mit der Reform ermöglicht haben.
Auf der einen Seite die Versicherten mit Zuzahlungenu belasten, auf der anderen Seite aber in den Fragen derausarztmodelle, der integrierten Versorgung, der besse-en Versorgung über Chronikerprogramme, einer besse-en Organisation der Zusammenarbeit und auch eineresseren Struktur der Arzneimittelversorgung – damiteder das bekommt, was er braucht, aber zu wirtschaftli-hen Bedingungen – zögerlich zu handeln und immer zuordern, da solle der Staat die nächsten Gesetze verab-chieden, das geht nicht. Managergehälter erfordern Ma-agerqualitäten. Dann wird auch niemand darüber reden,as eigentlich verdient wird; vielmehr wird man dannagen: Das hat sich so gelohnt.
Ich sage zum Schluss: Lassen Sie uns gemeinsam da-an weiterarbeiten, dass wir hier nach vorne kommen!ie Reform hat gezeigt, dass wir in der Lage sind, dasestehende System wieder auf eine gesunde finanzielleasis zu stellen. Wir erwarten jetzt aber, dass die Ak-eure, die vom Gesetzgeber die Möglichkeiten bekom-en haben, die Sache in die Hand nehmen und nachorne gehen. Ich erwarte, dass die Arbeitgeber nicht län-er sagen: Das ist alles zu wenig, wir wollen wenigereiträge zahlen.
ch erwarte, dass die Arbeitnehmerseite nicht immeragt: Wir belasten die Versicherten zu viel, wir wolleniedrigere Beiträge. Ich erwarte, dass die Beteiligten da,o sie entscheiden und wo sie handeln können, diesuch tun.Vielen Dank.
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Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/
CSU-Fraktion.
Grüß Gott, Herr Präsident, liebe Kolleginnen undKollegen! Lassen Sie mich mit zwei Feststellungen be-ginnen:Erstens. Die positive Entwicklung der Finanzlage inder gesetzlichen Krankenversicherung ist erfreulich. Dasheißt, das vorgesehene Einsparvolumen wird durch diegemeinsame Reform erreicht.Zweitens. Den entscheidenden Beitrag zu diesem Er-folg haben aber fast ausschließlich die Versicherten, diePatienten und ganz besonders die Rentner durch die er-höhten Beiträge geleistet.
Das müssen wir bei aller Diskussion mit bedenken.Nachdem die Patienten und Versicherten ihren Anteilbeigetragen haben, sind jetzt die Kassen gefordert – wirfordern sie dazu auch auf –, ihrer Verantwortung endlichgerecht zu werden und die Beiträge zu senken.
Die Beiträge müssen schon von Gesetzes wegen ge-senkt werden. Jeder, der das Gesetz genau kennt, brauchtnur in § 220 SGB V nachzuschauen. Da heißt es, dasssich der Großteil der durch das GMG erzielten Entlas-tungen voll auf die Höhe der Beitragssätze auswirkenmuss und nicht für Rücklagen oder für Schuldenabbauverwendet werden darf. Dabei handelt es sich im Einzel-nen um die Leistungseinschränkungen bei Sterilisation,künstlicher Befruchtung, Sehhilfen, nicht verschrei-bungspflichtigen Arzneimitteln, ferner um die Entlastun-gen durch Streichung des Sterbegeldes und des Entbin-dungsgeldes sowie durch die versicherungsfremdenLeistungen, die steuerfinanziert werden.Die übrigen Einsparungen, die durch Einnahmever-besserungen oder durch Ausgabenminderungen erzieltwurden, müssen – auch dies steht so im Gesetz – min-destens zur Hälfte zur Senkung der Beitragssätzeverwendet werden. In der Begründung heißt es, der Ge-setzgeber sei davon ausgegangen, dass die Aufsichtsbe-hörden die Einhaltung dieser Vorschrift besonders sorg-fältig überwachen würden. Das ist offenbar nicht derFall.Dass die Beiträge trotz der Überschüsse in der gesetz-lichen Krankenversicherung nicht in ausreichendemMaße gesenkt werden, ist aus meiner Sicht auf ein drei-faches Versagen von Bundesregierung, Aufsichtsbehör-den und Krankenkassenvorständen zurückzuführen.Noch während der Konsensverhandlungen im Som-mer 2003 ist uns seitens der Bundesregierung eine Ver-schuldung der Krankenkassen in Höhe von rund4 Milliarden Euro mitgeteilt worden. Heute wissen wir,dnlspngmthhzdeDdtggmuIktedgssssezdck
ie dieses rechtswidrige Verhalten vieler Krankenkassenntweder nicht bemerkt oder nicht geahndet haben.
adurch ist ein gewaltiger Schaden für das Ansehen undie Vertrauenswürdigkeit der Krankenkassen eingetre-en.
Wenn sich jetzt Krankenkassenvorstände für diese soenannte Meisterleistung eine saftige Gehaltserhöhungenehmigen, dann ist diese – das sage ich ganz klar – auseiner Sicht erstens unverdient, zweitens unverständlichnd drittens sogar auch unmoralisch.
ch appelliere deshalb an die Verwaltungsräte der Kran-enkassen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ver-reten sind – auch diese müssen ihrer Aufsichtspflichtndlich nachkommen –, und die Aufsichtsbehörden,iese Maßnahmen noch einmal zu überprüfen. Überle-en Sie sich einmal: Wie will ein Kassenvorstand in Ge-prächen mit Leistungserbringern Honorarsteigerungeno weit wie möglich verhindern und gegenüber den Ver-icherten Leistungseinschränkungen vertreten, wenn erich gleichzeitig sein Gehalt deutlich erhöht? Das passtinfach nicht zusammen. Das ist ein falsches Signal understört Vertrauen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fordereie Bundesregierung auf, alles zu tun, damit die gesetzli-hen Auflagen und Vorgaben für eine Beitragssatzsen-ung beachtet werden. Man sollte auch die Länder an
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Wolfgang Zöllerihre Aufsichtspflicht erinnern. Auch sie müssen ihrerAufsichtspflicht nachkommen. Da die Regierung in letz-ter Zeit häufig mit den Ländern gemeinsam Gesetzent-würfe gestaltet, sollten beide entsprechende Gesprächs-runden vielleicht auch dazu nutzen, um gemeinsamdafür zu sorgen, dass sich die Aufsichtsbehörden bewe-gen.
Mein letzter Satz: Wenn dies nicht geschieht, steht dieAkzeptanz von Reformmaßnahmen bei den Versichertenauf dem Spiel. Dies wäre dann auch ein Schaden für denStandort Deutschland.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Auch ich habe das GKV-Moderni-
sierungsgesetz damals mitverhandelt. Wie schon gesagt
wurde: Wir haben bei dieser Reform den Menschen ver-
dammt viel zugemutet.
– Das spielt keine Rolle; ich habe da gerne mitgemacht
und lasse mich dafür auch gerne in die Verantwortung
nehmen. – All diese Zumutungen geschahen vor dem
Hintergrund, dass die Lohnnebenkosten nicht steigen
sollten und dass dadurch wieder neue Arbeitsplätze ent-
stehen. Wir haben den Menschen immer gesagt, auch sie
hätten etwas davon, weil von niedrigen Kassenbeiträgen
nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch sie als Arbeit-
nehmer etwas hätten.
Den größten Posten bei den Lohnnebenkosten, die in den
letzten Jahren von 30 Prozent auf über 45 Prozent gestie-
gen sind, machen nämlich die Sozialabgaben aus. Wir
hatten es den Menschen versprochen, dass, wenn wir den
Krankenkassen zu mehr Einnahmen verhelfen, die Bei-
träge entsprechend sinken können. Jetzt komme ich mir
irgendwie verlogen vor, aber nicht, weil ich etwas Fal-
sches versprochen hätte, auch nicht, weil wir politisch
falsch entschieden hätten; denn das, was wir politisch
zusammen beschlossen haben, außer mit den Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP natürlich, wirkt.
Die Einnahmen der Krankenkassen sind gestiegen. Bei
den Verhandlungen wussten wir natürlich auch, dass es
Schulden gibt. Wir haben den Krankenkassen deshalb
gesagt, dass wir es akzeptieren, wenn ein Teil der Über-
schüsse in die Schuldentilgung fließt.
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Doch hierfür haben nicht wir in der Politik die Wei-
hen gestellt – Herr Zöller hat es vollkommen richtig ge-
agt –, sondern dies haben die Verwaltungsräte der Kas-
en entschieden.
n diesen sitzen sowohl Vertreter der Arbeitnehmer als
uch der Arbeitgeber. In einem Flyer zur zehnten Sozial-
ahl einer Kasse hieß es – ich darf hier zitieren –: Es
ibt nichts Gutes, außer man tut es. Dort wird herausge-
tellt, dass in ihrem Verwaltungsrat demokratische Mit-
lieder der Solidargemeinschaft säßen, die Ausdruck un-
erer Gesellschaft seien und aktiv die Interessen der
ürgerinnen und Bürger verträten. Es heißt dort weiter-
in: Wir haben die neuen Chancen des GKV-Moderni-
ierungsgesetzes unverzüglich genutzt. –: Jetzt frage ich
ich nur: Wo? –: Sie fordern von uns deshalb: So viel
elbstverwaltung wie möglich, so viel Staat wie nötig.
Ich habe kein Interesse daran, alles immer staatlich zu
egeln,
nd fordere deshalb die Selbstverwaltungspartner, auch
ieser Kasse, auf, endlich das zu tun, was sie mit uns zu-
ammen verhandelt und was sie versprochen haben: Sen-
en Sie die Beiträge für die Bürgerinnen und Bürger!
Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Blauerimmel über Berlin – ungetrübter Sonnenschein auchber unserem Gesundheitswesen?
nd, wenn denn schon, zu welchem Preis? Die fiskali-chen Erfolge wurden zum großen Teil auf dem Rücken
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15233
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Detlef Parrder Versicherten erwirtschaftet, ohne diesen annäherndEntlastungen geboten zu haben. Die Beiträge sinkennicht in dem Maße, in dem es mit dem GMG leichtfertigversprochen worden war. Wir sind bei 14,19 Prozentdurchschnittlichem Beitragssatz und sollten eigentlichbei 13,6 Prozent sein. Das Ziel, die Versicherten zwarmit höheren Zuzahlungen zu belasten, diese aber durchniedrigere Beiträge zu kompensieren, ist weit, weit ver-fehlt. Hinsichtlich der sozialen Balance, die HerrSeehofer – er steht dort drüben – in den Konsensgesprä-chen immer wieder eingefordert hat, Fehlanzeige.
Die Rentner haben ohne jeden Vertrauensschutz seitAnfang des Jahres 2004 massive Nettorentenkürzungendurch die volle Verbeitragung der Versorgungsbezügeund die Zahlung des Pflegeversicherungsbeitrages zuverkraften. Alle Versicherten haben die erhöhten Zuzah-lungen sowie die Praxisgebühr zu schultern. Die fastvöllige Ausgrenzung der OTC-Präparate aus der Erstat-tung ohne jede soziale Abfederung
bereitet mir und hoffentlich auch Ihnen, Frau Ministerin,ernsthafte Bauchschmerzen. Viele chronisch Kranke,Frau Selg, aber auch einfach ältere Menschen, derenNachfrage nach diesen Medikamenten nicht über dieAusnahmeliste des Bundesausschusses berücksichtigtwird, leiden täglich darunter.Schauen wir in die Heime. Unsere Heimbewohnermüssen meist von einem sehr mageren Taschengeld fürdie Zuzahlungen bis zur Obergrenze und für ihre be-währten Salben und Mittel zum Teil selbst aufkommen.Dies zu korrigieren wäre Ihre erste soziale Pflicht, FrauMinisterin.
Stattdessen wollen Sie flugs die Gunst der Stunde nut-zen, Ihr im Sommer 2003 leichtfertig gegebenes Ver-sprechen, im Gegenzug die Beiträge zu senken, einzulö-sen. Welch eine Heuchelei!
Erst zwingen Sie die Kassen aus wahltaktischen Grün-den über Jahre zu Beitragssatzstabilität und nehmen au-genzwinkernd eine drastisch steigende Verschuldung inKauf. 8 Milliarden Euro!
Jetzt wollen Sie den Schuldenabbau stoppen, nachdemdie Kassen dem Vernehmen nach gerade bei5 Milliarden Euro gelandet sind. Dabei fehlen für lang-fristige Beitragssenkungen jegliche Spielräume, vor al-lem mit Blick auf das, was die Kassen in den nächstenMonaten noch erwartet:esdiKglbglbfFwdbseduwSnWtDcTAwgsLHndd
ir waren davon überzeugt, dass das erarbeitete Finanz-ableau eine geschönte Rechnung war.
as zeigt sich heute: Die Gegenfinanzierung der versi-herungsfremden Leistungen durch eine Erhöhung derabaksteuer funktioniert eben nicht.
us unseren Reihen wird zu Recht die Frage gestellt,ie es mit dem Bundeszuschuss zukünftig aussehen soll.Hätten wir den Arbeitgeberanteil auf einem vernünfti-en Niveau eingefroren, Frau Selg, hätten wir heutechon Arbeitsmarkteffekte durch die Entlastung derohnnebenkosten.
ätten wir den Zahnersatz gänzlich aus der GKV ge-ommen und ihn in die private Absicherung gegeben,ann hätten wir schon einen ersten Schritt in die Kapital-ecklung getan.
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15234 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Detlef ParrHätten wir den Verschiebebahnhof zulasten der GKVbeendet, wäre die Einnahmesituation auch wesentlichbesser. Hätten wir die Budgetierung in allen Bereichenkonsequent abgeschafft, dann wären die Patienten vonRationierungen verschont geblieben.
Hätten wir die Bürokratie ab- anstatt aufgebaut, dannstünde mehr Geld für die medizinische Versorgung oderfür Beitragssatzsenkungen zur Verfügung.
Hätten wir den Wettbewerb der Krankenkassen durchBegrenzung des Pflichtleistungskatalogs gestärkt unddamit den Kassen die Möglichkeit gegeben, diese Leis-tungen fakultativ anzubieten, wäre viel Bewegung in dieVersicherungs- und Versorgungslandschaft gekommenmit individuell zugeschnittenen Angeboten.
Herr Kollege, würden Sie bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss.
Von alledem ist nichts zu sehen. Stattdessen: Rin in
die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln; mal Zügel an,
mal Zügel los. Deswegen stottert der Reformmotor. Sie
sind dabei, ihn gänzlich abzuwürgen. Geben Sie lieber
mit uns Gas auf der Fahrt in ein unbürokratisches, frei-
heitliches Gesundheitssystem
mit echter Eigenverantwortung, mehr Wahlfreiheiten,
fairem Wettbewerb und mehr Transparenz auf einem
beispiellosen Wachstumsfeld.
Danke.
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Schaich-Walch,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Parr, das Thema, über das wir hier reden, istsehr ernst.
Der Schluss Ihrer Rede hat mich aber mehr an eine Büt-tenrede erinnert.
Ich finde es unglaublich, in diesem Zusammenhangvon „Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ zureden.
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ir haben im Hinterkopf die Situation auf dem Arbeits-arkt gehabt.
ir haben deshalb den Menschen viel zugemutet unduch deswegen, weil wir die sozialen Sicherungssystemerhalten wollen.
Unsere Erfolgsbilanz weist einen Überschuss in Höheon 4 Milliarden Euro aus. Wir haben bestimmte Verän-erungen struktureller Art, die die Ministerin schon er-ähnt hat, in Angriff genommen. Wir wünschen uns na-ürlich alle sehr, dass die Selbstverwaltung in dieserinsicht etwas schneller handeln würde und dass sie sichntensiver mit diesen Veränderungen und weniger inten-iv mit der Frage, wie die Einkommen der Krankenkas-envorstände gesteigert werden können, auseinander set-en würde.
Herr Parr, ich will etwas zu Ihrem Ansatz sagen. Sieeklagen, dass Heimbewohner mit einem niedrigen Ta-chengeld Zuzahlungen in Höhe von 3 Euro im Monateisten müssen.
as bieten Sie den Menschen als Alternative an? Sieieten ihnen die private Krankenversicherung an, dieich die meisten Menschen überhaupt nicht mehr leistenönnen.
as kann doch kein Angebot sein. Aber Ihnen fälltichts anderes ein.
Auch während der Verhandlungen sprachen Sie im-er wieder von Privatisierungen.
Darauf komme ich noch zu sprechen. – Der Beitrag fürine private Zahnersatzversicherung sollte bei 8 bisEuro sowohl für Menschen mit einer Rente in Höheon 600 Euro als auch zum Beispiel für Abgeordnete mitinem Einkommen in Höhe von 7 000 Euro liegen.
ie wollen sich letztendlich von Menschen mit niedri-em Einkommen subventionieren lassen.
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Gudrun Schaich-Walch
Das ist nichts anderes als eine permanente Umvertei-lung.
– Das ist keine Unverschämtheit. Es ist so.
Jemand mit 1 000 Euro Einkommen bezahlt für die pri-vate Zahnersatzversicherung genauso 8 Euro wie je-mand mit 7 000 Euro Einkommen. Das ist ganz einfachMathematik.
Jetzt ein Wort zu Ihrem Verständnis von Wettbewerb.Sie haben Schutzzäune um bestimmte Apotheken errich-tet. Das haben Sie gerade vorige Woche wieder sehr er-folgreich getan.
Es soll möglichst keinen Wettbewerb geben. Dies betriffteine Gruppe, die vernünftig und gut aus den Verhandlun-gen herausgekommen ist.
Sie haben sich letztendlich allen Wettbewerbsmomentenentzogen und am Ende der Verhandlungen haben Siesich sogar der Gesamtverantwortung für das Gesund-heitssystem entzogen, indem Sie ganz einfach gegangensind.
Hier sind Sie nicht in der Lage, einen vernünftigen Vor-schlag auf den Tisch zu legen.
Jetzt bin ich mit dem Unsinn, den Sie verzapfen, fer-tig, und komme zu einem anderen Bereich. Das ist dieFrage: Wie werden wir in Zukunft mit dem umgehen,was wir haben? Wir haben gute Maßnahmen auf denWeg gebracht.
Es wird unsere gemeinsame Aufgabe sein, dafür zu sor-gen, dass diese Maßnahmen weiterhin funktionieren.WdkhD2sgsmlesSzsgStetaCDzgUtndwmsourd
ir werden das deshalb unbedingt machen müssen, weilie Menschen nicht nur hören wollen, dass es der Kran-enversicherung besser geht. Sie wollen natürlich auchören, dass es Beitragssatzsenkungen gibt.
iese müssen wir letztendlich auch einfordern. Für8 Millionen Versicherte hat es sie bereits gegeben; dasollten Sie schlicht und einfach nicht unterschätzen.
Ein weiterer Punkt ist, dass wir Beitragssatzsenkun-en dringend benötigen, um die Akzeptanz für unsereozialen Sicherungssysteme zu erhalten. Von hierausöchte ich sehr deutlich an die Selbstverwaltung appel-ieren: Wir haben der Selbstverwaltung im Gesetz nochinmal eine Chance gegeben. Die Selbstverwaltungollte diese Chance nutzen.
ie sollte sie nicht zur Erhöhung ihrer Einkommen nut-en, sondern für Strukturveränderungen, die notwendigind. Sie sollte da alle Kraft hineinlegen; denn das Ei-entliche, was wir brauchen, sind Veränderungen in dertruktur und Maßhalten bei den Einkommen der Vertre-r der Selbstverwaltung. Dann wird es weiterhin Akzep-nz für die Sicherungssysteme geben.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Storm,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie positive Botschaft vorweg: Das Jahresergebnis 2004eigt, dass die Reform greift. Die Einsparziele sind weit-ehend – aber nicht vollständig – erreicht worden. Dienion steht zu dieser Reform. Wir werden in der nächs-en Woche in einer Anhörung eine kritische Überprüfungach dem ersten Jahr dieser Reform vornehmen. Aber inen Grundsätzen sind wesentliche Reformziele erreichtorden.Wenn man fragt: „Warum wurde diese Reform ge-einsam durchgeführt?“, sollte man sich einmal veran-chaulichen, dass die gesetzliche Krankenversicherunghne eine solche Reform gegen die Wand gefahren wärend deshalb Ziel der Reform eine finanzielle Konsolidie-ung für einen Zeitraum bis unmittelbar nach der Bun-estagswahl war.
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Andreas StormDamit sind wir mit den positiven Botschaften aberschon am Ende angekommen.
Denn die Reform hat fast allen Beteiligten eine ganzeMenge abverlangt. Als Gegenleistung dazu sind sin-kende Beitragssätze unerlässlich. Sie waren ein Haupt-punkt der Verhandlungen gewesen. Wenn die Beiträgeim Moment nicht oder nur kaum sinken, dann hat dasvor allen Dingen zwei Gründe.Der eine Grund ist die Verschuldungslage der Kran-kenkassen.
Kollege Wolfgang Zöller hat schon darauf hingewiesen,dass vor einem Jahr zu Beginn der Reform nicht ein Ver-schuldungsstand von 4 Milliarden, sondern ein Verschul-dungsstand von 8 Milliarden Euro zu verzeichnen warund dass für den Fall, dass die Rücklagen der Kassenaufgefüllt werden, allein 2,25 Milliarden Euro des Über-schusses für den Abbau der Verschuldung und das Auf-füllen der Rücklagen verwendet werden. Dann bleibtaber immer noch ein Betrag übrig.Nun ist die spannende Frage: Warum wird dieser Be-trag nicht endlich an die Versicherten weitergegeben?Damit sind wir bei dem zweiten Grund, warum die Bei-träge nicht gesenkt werden, der in der Debatte bishernoch kaum eine Rolle gespielt hat. Voraussetzung fürBeitragssenkungen ist natürlich neben den Einsparungenauf der Ausgabenseite eine stabile Beitragsbasis. Davonkann im Moment leider keine Rede sein.
Um Erkenntnisse über den Beitragseingang zu gewin-nen, haben wir uns, weil diese schneller ermittelt wer-den, die Werte der gesetzlichen Rentenversicherung fürdie ersten beiden Monate dieses Jahres angesehen. Da-nach ist die Situation so, Frau Ministerin, dass die kumu-lierten Pflichtbeiträge für die Monate Januar und Februarum 1,86 Prozent gesunken und die gesamten Beiträgebis Ende Februar um 1,27 Prozent zurückgegangen sind.Statt der erhofften Erhöhung der Beitragsbasis ist dieBeitragsbasis also deutlich rückläufig. Darin spiegeltsich die dramatische Arbeitsmarktlage wider; denn jedenTag fallen mindestens 700 sozialversicherungspflichtigeVollzeitarbeitsplätze weg. Für die Frage, ob wir zur Jah-resmitte auf breiter Front Beitragssenkungen haben wer-den, ist daher entscheidend, ob es Signale für eineTrendwende auf dem Arbeitsmarkt gibt. Dafür tragenSie, Frau Ministerin, und dafür trägt die rot-grüne Koali-tion die Hauptverantwortung.
Wir haben Ihnen angeboten – darüber haben wir inder vorhergehenden Debatte diskutiert –, gemeinsam alleAnstrengungen zu unternehmen, um aus der Arbeits-marktmisere herauszukommen. Aber ohne eine Trend-wende auf dem Arbeitsmarkt und ohne eine Trendwendebeim Wachstum – wir müssen alles für mehr WachstumunrffcdhgeThkskBDdggAinradpszdüubBSkrSgGki
Damit komme ich zu Ihnen, meine Damen und Her-en von der FDP.
ie haben in dieser Aktuellen Stunde nur einen Rednerestellt. Soll es wirklich Botschaft der FDP sein, dass esründe gibt, warum es nicht zu einer Beitragssenkungommen kann? Sie sagen zum einen, wie schrecklich esst, dass wir die Menschen belastet haben,
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Anja Hajdukund zum anderen, Herr Parr, dass sich die armen Kassengar nicht anders verhalten können. Damit zeichnen Siesich wieder als Vertreter der Lobbygruppen in diesemSystem aus.
– Hören Sie einmal zu! – Ich bin wirklich entsetzt, dassSie das Verhalten der Kassen entschuldigen
und die Botschaft senden, dass es überhaupt keinenGrund für eine Beitragssenkung gibt. Das ist kein Bei-trag zu dem zentralen Problem, das wir in Deutschlandhaben. Es geht nämlich darum, mehr Beschäftigung zuschaffen.
– Ich will das noch etwas weiter ausführen, Herr Parr.Seien Sie doch einmal ruhig, hören Sie zu und denkenSie dann auch darüber nach!Wir haben zum Beispiel entschieden, mithilfe vonSteuermitteln den Bereich Gesundheit zu unterstützen.Wir haben
im Hinblick auf die Tabaksteuereinnahmen demnächstbestimmt keine leichte Situation zu erwarten. Auf dieForderung der Selbstverwaltung „so viel Selbstverwal-tung wie möglich und so viel Staat wie nötig“ – wahr-scheinlich vertreten auch Sie diese Forderung –
erwidere ich in aller Deutlichkeit: Mein Vertrauen in dieSelbstverwaltung ist durchaus begrenzt.
Ihr Kollege Fricke aus der FDP hat sehr wohl und richti-gerweise mit uns dafür gestritten. Wenn Steuermittel inden Bereich der Krankenkassen fließen, dann müssenwir auch kontrollieren, zum Beispiel mithilfe des Rech-nungshofs, ob sie effizient eingesetzt werden. Spätestensseit den vergangenen Tagen, in denen wir über die Stei-gerung der Vorstandsgehälter im zweistelligen prozentua-len Bereich gesprochen haben, ist auch einigen von Ih-nen bewusst, dass wir bei den Kassen mehr Kontrollenbrauchen, ob sie zu Strukturreformen fähig sind und dieMittel effizient einsetzen. Das werden wir machen.Sie von der FDP haben keinen Beitrag zu dieser Kri-tik geleistet. Das war sehr schwach.
– Sie haben sich heute sehr einseitig geäußert. Hoffent-lich werden Sie noch in sich gehen. – Ich sage in allerDdWevgfaddf„wvRzsbgdbsAsaCHdFsLtGthzK
ir haben aber auch bei der Bundesagentur für Arbeitrlebt, dass die dort langjährig eingespielten Verbands-ertreter, die in den Aufsichtsorganen sitzen, in den ver-angenen Jahren nicht unbedingt ein Beispiel an Re-ormfreude gegeben haben. Deswegen meine ich, dasslle Fraktionen in diesem Bundestag die Aufgabe haben,ie Reformfreude auch in dem Bereich anzustoßen, ohneass ich in Anspruch nehmen wollte, dass wir das fehler-rei machten. Aber einen Rückzug nach dem MottoLassen wir die mal machen“ halte ich für völlig falsch.Ich komme zum Schluss. Wir haben im Gesundheits-esen eine bedeutsame Senkung der Kosten in Höheon 7,5 bis 8 Milliarden Euro erreicht.
ichtig ist auch, dass diese Kostensenkung im Verhältnisu der Schuldenbelastung zu sehen ist, die bei den Kas-en geherrscht hat.
Dabei ist es aber auch wichtig, dass der Schuldenab-au in der Weise erfolgen sollte, dass in beide Richtun-en positive Effekte erzielt werden: Es geht darum, dassie Kassen die Schulden abbauen und dass die Lohnne-enkosten gesenkt werden. Beides ist möglich. Eine ein-eitige Verweigerung in einem Bereich ist angesichts derrbeitsmarktlage nicht zu verantworten. Dieses Signalollte heute gegeben werden und ich bin froh, dass dasuch für drei Fraktionen dieses Hauses gilt.
Nächster Redner ist der Kollege Gerald Weiß, CDU/SU-Fraktion.Gerald Weiß (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Ministerin Schmidt hat vorhin ausgeführt, dassie gesetzliche Krankenversicherung wieder auf gesundeüße gestellt worden sei. Es wurde eine gewisse Stabili-ierung erreicht, an der auch wir mitgewirkt haben. Dieast haben im Wesentlichen die Versicherten und die Pa-ienten zu schultern gehabt, aber wir wären ohne dasMG heute unzweifelhaft in einer noch schlechteren Si-uation. Das ist völlig klar.Aber wie weit die gesunden Füße, wie Sie es genanntaben, Frau Schmidt, wirklich tragen können, bleibt ab-uwarten. Denn es ist ein dornenvoller Weg, der von denassen zu gehen ist. Er ist mit vielen Risiken belastet.
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Gerald Weiß
Der Kollege Storm hat meines Erachtens richtig he-rausgearbeitet, dass das wesentliche Risiko darin be-steht, dass Sie es nicht schaffen, dieses Land in der Wirt-schafts- und Beschäftigungspolitik nach vorne zu brin-gen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Im siebten Jahr der Regierung Schröder ist es umWachstum und Beschäftigung in Deutschland verhee-rend bestellt. Deshalb ist es im Jahr sieben seit Schröder– das hat Kollege Storm ganz eindeutig begründet – auchum die Sozialversicherungssysteme so schlecht bestellt.Auf die entsprechenden Zahlen haben Sie selbst hinge-wiesen. Diese Indizien sprechen eine deutliche Sprache.Die Beitragsentwicklung verläuft nicht wie gewünscht.Im Februar dieses Jahres ist das Aufkommen der Pflicht-beiträge zur Rentenversicherung um 3,05 Prozent gesun-ken. Kollege Storm hat zu Recht gefragt, was das für diegesetzliche Krankenversicherung bedeutet.Bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplät-zen kommt es zu einer Erosion. Ihre Anzahl sinkt jedenTag um 700 bis 1 000. Die allgemeine Einkommensent-wicklung stagniert. Gegenwärtig ist ein Wachstum unse-rer Volkswirtschaft in diesem Jahr um nur noch 1 Pro-zent zu erwarten. Aus einem solch niedrigen Wachstumkönnen weder neue Arbeitsplätze generiert noch Sozial-versicherungsbeiträge gewonnen werden. Auf dem Weg,den die Krankenkassen auf ihren nun angeblich gesun-den Füßen gehen sollen, streuen Sie durch Ihre PolitikDornen. Sie verweigern im Grunde genommen jede ver-nünftige Antwort, die einen Beitrag zu einer zukunfts-trächtigen Entwicklung leisten könnte.Wir verlieren zu viel Arbeit an das Ausland, gewin-nen aber zu wenig Arbeit aus dem Ausland. Wir verlie-ren zu viel Arbeit an die Schattenwirtschaft. Wir verlie-ren zu viel Arbeit ans Nichts. Das bedeutet, dass dieEinnahmen und die Ausgaben der Sozialversicherungennicht ins Gleichgewicht kommen können. Natürlich sol-len die Krankenkassen ihre Beiträge, soweit es ihnenmöglich ist, senken. Frau Hajduk hat völlig Recht, wennsie sagt, dass aus der Senkung der Beiträge und damitder Lohnnebenkosten selbstverständlich mehr Beschäfti-gung erwachsen kann.
Das ist der richtige Weg. Aber den Weg, Arbeits- undSozialversicherungskosten konsequent zu entkoppeln,sind Sie nicht gegangen. Wenn es eine Strategie gibt, mitder wir vorankommen könnten, dann ist es die Entkopp-lung von Sozialversicherungs- und Arbeitskosten. Wieich Ihren Bemerkungen entnehme, nähern Sie sich unse-rem Modell einer solidarischen Gesundheitsprämie im-mer mehr an. Meinen Glückwunsch! Das finde ich gut.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Strate-gie, die im stormschen Sinne bei den Einnahmen unsererKrankenkassen, also auf der Aufkommensseite, beimWfesnvbaimvnlwmbDigsndfHkuInzIedwD
Das Wort hat die Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Ich frage mich, woran es liegt, dass ich, wenn von-eiten der CDU gesagt wird, wir müssten unser Landach vorn bringen, immer wieder Ihre Forderungen nachem Abbau des Kündigungsschutzes, der Betriebsver-assungen und der Arbeitnehmerrechte vor Augen habe.
inzu kommt, dass der hessische Ministerpräsident vorurzem gefordert hat, ausländischen Managern, die innserem Land arbeiten, einen Steuerrabatt zu gewähren.
ch sage Ihnen: Diese Forderungen bringen unser Landicht nach vorn.
Nun zur Gesundheitsprämie bzw. – besser gesagt –ur Kopfpauschale.
ch kann immer noch nicht glauben, Herr Weiß, dass Sies für richtig halten, wenn zum Beispiel eine Verkäuferinen gleichen Krankenversicherungsbeitrag zahlen sollie ich.
as kann doch nicht richtig sein.
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Erika Lotz
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch schön,dass wir heute einmal über Überschüsse in Höhe von4 Milliarden Euro bei den Krankenkassen diskutierenkönnen.
Im Frühjahr des Jahres 2003 haben wir angesichts der fi-nanziellen Situation der Krankenkassen daran alle nichtgedacht. Wir haben damals gemeinsam mit der Opposi-tion die Reform auf den Weg gebracht, damit die Bei-träge nicht weiter steigen. Die FDP war eine gewisseZeit lang daran beteiligt, hat sich dann aber auf dieFlucht begeben.
Diese Reform war eigentlich nur mit vereinten Kräftenmöglich, aber Sie haben die Flucht ergriffen,
weil Ihren Vorstellungen von Kostenerstattungen nie-mand gefolgt ist.
Sie beklagen heute die Belastung der Versicherten undvergießen dabei Krokodilstränen.
Mit der von Ihnen geforderten Kostenerstattung wäre dieBelastung der Versicherten noch höher gewesen. Von da-her ist das, was Sie sagen, doch sehr unglaubwürdig,Herr Parr.
Wir haben vor eineinhalb Jahren diese Reform aufden Weg gebracht und die Stabilisierung ist gelungen.Überschüsse bzw. Einsparungen in Höhe von 9 bis10 Milliarden Euro sind erreicht worden. Allein im Be-reich der Arzneimittelausgaben sind die Ausgaben um2,5 Milliarden Euro gesunken. Zu diesen Überschüssenhat das Reformgesetz den Kassen verholfen; das mussman auch noch einmal deutlich machen.
Wir haben mit Recht festgelegt, was mit den Über-schüssen passieren soll, dass nämlich ein Teil der Über-schüsse für Beitragssenkungen genutzt werden soll. HerrZöller, natürlich hätte die Belastung der VersichertenhSwufdmFSnnahlwwdzczsAdmBRAergdWtduHbb
ir haben damit ausreichende Möglichkeiten für wei-
ere Einsparungen bei den Krankenkassen geschaffen,
ie zunächst einmal – ein Schritt nach dem anderen –
mgesetzt werden sollten.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Ich bin Abgeordnete der PDS. – In dieser De-atte fiel der Satz „Die Gesundheitsreform greift“. Ichin der Auffassung, dieser Satz ist unvollständig.
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Dr. Gesine LötzschVollständig müsste er heißen: „Die Gesundheitsreformgreift den Patienten in die Tasche“.
Immer wenn ich die Bundesregierung auf Versäum-nisse und schwere Fehlentwicklungen im Zusammen-hang mit der Gesundheitsreform hinweise, bekomme ichzur Antwort, dass es in der Bundesrepublik kein staatlichgelenktes Gesundheitssystem gibt. Das ist richtig unddas weiß ich. Doch ich finde, das Gegenteil von staatli-cher Lenkung können doch nicht Anarchie und gierigeSelbstbedienungsmentalität sein.
Es ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel, dass die Bun-desregierung und die große Koalition von SPD, CDU/CSU und Grünen eine Gesundheitsreform verabschie-den, an die sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bür-ger halten muss, dass einige aber diese Gesundheitsre-form offensichtlich als wenig bindende Empfehlungbetrachten und auf ihre Autonomie verweisen, um sichschamlos zu bereichern.Kann es denn im Sinne des Gesetzgebers sein, meineDamen und Herren, dass viele Menschen auf einen Arzt-besuch oder auf Medikamente aus finanziellen Gründenverzichten müssen, obwohl sie jeden Monat brav ihrenKrankenkassenbeitrag zahlen? Gleichzeitig sieht der Ge-setzgeber zu, wie sich Vorstände von Krankenkassen dasGeld der Beitragszahler mit vollen Händen in die eigeneTasche schaufeln, und hebt höchstens einmal den Zeige-finger. Es ist doch nicht in Ordnung, dass zum Beispielder Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung inNordrhein-Westfalen 240 000 Euro im Jahr bekommtund darüber hinaus auch noch die Genehmigung hat, ne-benbei in seiner Praxis zu arbeiten.Die Bundesregierung misst auch bei der Gesundheits-politik mit zweierlei Maß: Dem Patienten wird die bit-tere Pille dreimal im Hals umgedreht, bevor er sie schlu-cken darf, alles wird bis ins letzte Detail kontrolliert undunerträglich reglementiert. Doch wenn es zum Beispielum die sittenwidrigen Gehälter der Vorsitzenden derKassenärztlichen Vereinigungen und der Vorstände derKrankenkassen geht, ist die Bundesregierung großzügigund hebt, wie gesagt, zwar mal den Zeigefinger, erklärtsich aber für nicht zuständig. Ich finde, das ist eine ab-surde Klientelpolitik.
An diesen wenigen Beispielen zeigt sich das Di-lemma dieser Gesundheitsreform: Sie schröpft die Pati-enten, sie trägt nicht zur Senkung der Lohnnebenkostenbei und sie hat die pervertierten Strukturen, die die Kos-ten in die Höhe treiben, eben nicht aufgebrochen. Ichfinde es deshalb unredlich, wenn hier alle im Chor dieVorstände der Krankenkassen und auch der Kassenärztli-chen Vereinigungen beschimpfen. Sie hatten es mit derGesundheitsreform in der Hand, die gesetzlichen Rege-lungen klar zu formulieren. Sie hätten zum Beispiel dieanachronistische Kassenärztliche Vereinigung abschaf-fgsSsSHmknÜstrdvsfuvshVntdnguKgdVvmsBhnmiw
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Warum es bei den Bruttoeinkommen der Vorstände vonKassenärztlichen Vereinigungen eine Spanne zwischen130 000 und 260 000 Euro pro Jahr gibt, warum Dienst-wagen teilweise Standard sind und teilweise nicht undwarum Nebentätigkeiten teilweise möglich sind und teil-weise nicht, verstehe ich als KV-Mitglied nicht und istauch all denjenigen, die das Geld letztlich aufzubringenhaben, nämlich den Beitragszahlern, nicht zu vermitteln.
In Zeiten leerer Kassen und ausbleibender Beitragssatz-senkungen sind überzogene Gehaltserhöhungen bei eini-gen Vorständen der Kassen und KVen schlicht einfalsches Signal. Das zeugt von mangelndem Fingerspit-zengefühl.
Ich möchte aber auch nicht vergessen, diejenigen zuerwähnen, die ihre Beiträge gesenkt haben. Es gibt Kran-kenkassen – große Versorgerkassen –, die ihre Beitrags-sätze gesenkt haben. Das sollten wir auch nicht verges-sen.
Unser Motto lautet weiterhin: Erwirtschaftete Über-schüsse in der GKV müssen zum Schuldenabbau und zurBeitragssatzsenkung genutzt werden. In der heute sicherschwierigen Zeit erwarte ich von allen einen angemesse-nen Umgang mit dem Geld der Versicherten durch einentsprechendes Abwägen seitens der Vorstände derSelbstverwaltungen bei ganz klarer Transparenz.
In der Konsequenz bedeutet das auch einen angemesse-nen Umgang mit den eigenen Gehältern.Gestatten Sie mir am Schluss noch ein Wort an dieOpposition.
Die FDP hat über Jahre hinweg eine stärkere Eigenver-antwortung der Patienten gefordert und sie hat die Kos-tenerstattung in ihr Programm aufgenommen.
Daneben stellt sie in einem populistischen Antrag dieForderung, die Praxisgebühr abzuschaffen. Das machtsie unglaubwürdig.LtBDwdlrClggE4tLDhsSslVdIkuD8n
assen Sie diese populistischen Anträge; denn wer Kos-enerstattung und Bürokratieabbau fordert, der will mehrelastungen für die Patienten vor Ort.
as ist kein Bürokratieabbau, das macht Sie unglaub-ürdig. Ich meine, das Thema ist zu ernst, als dass manarüber in dieser Form debattieren könnte.
Ich fordere Sie auf, diesen Populismus in Zukunft zuassen und in der Sache konstruktiv mit uns zu diskutie-en.Danke.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Georg Faust,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Sehr geschätzte Frau Kollegin Ober, Sie habenesagt, die gesetzlichen Krankenkassen hätten im ver-angenen Jahr einen Überschuss von circa 4 Milliardenuro erwirtschaftet. Diese Mehreinnahmen in Höhe vonMilliarden Euro haben die Versicherten und die Patien-en durch eine erhöhte Zuzahlung und einen Verzicht aufeistungen erwirtschaftet.
as haben wir den Bürgern im Konsens zugemutet. Wiraben ihnen dafür eine Stabilisierung des Gesundheits-ystems – heute wurde hier sogar von einer langfristigentabilisierung gesprochen – und eine Senkung des Kas-enbeitrages angekündigt.Nach Aussage des AOK-Bundesverbandes werden al-ein durch die zusätzlichen Einnahmen aus der vollenerbeitragung der Betriebsrenten 1,6 Milliarden Euro inas Kassensystem fließen.
n den alten Bundesländern sind die Ausgaben für Fahrt-osten um 8,2 Prozent, für Hilfsmittel um 15 Prozentnd für Arzneimittel um 9,4 Prozent zurückgegangen.ie Ausgaben für das Krankengeld liegen mit minus,6 Prozent auf einem historischen Tief. Das hat ebenichts mit klugem Wirtschaften der Krankenkassen zu
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Dr. Hans Georg Fausttun, sondern ist schlichtweg Ausdruck der katastropha-len Wirtschaftslage mit hoher Arbeitslosigkeit
und der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes imKrankheitsfall.Wir haben den Bürgern viel zugemutet. Die Schulden– das ist klar – müssen nach Plan über die Jahre abge-baut werden. Wir fordern aber als Signal an die belaste-ten Versicherten und an die Patienten eine signifikante,deutlich erkennbare Senkung des Beitragssatzes vonheute 14,19 Prozent.
Eine weitere Debatte über die Legitimation des GKV-Modernisierungsgesetzes wäre verheerend.Gesundheitspolitik muss wieder berechenbar werden.Das ist angesichts der großen Probleme durch die demo-graphische Entwicklung und den medizinischen Fort-schritt unerlässlich. Die Bürger wissen doch, dass es mitden bisherigen Gesetzen noch immer nicht getan ist. Siewissen, dass wir auf der Einnahmeseite die Krankheits-kosten von den Arbeitskosten trennen müssen, dass wirin den Ausgabensektor mehr Markt und mehr Wettbe-werb bringen müssen und dass wir auch eine Debatte umnotwendige Leistungen, die von der Krankenversiche-rung solidarisch finanziert werden, führen müssen.Deutschland hat sicherlich eines der besten Gesund-heitssysteme der Welt. Die Leistungen sind von hoherQualität. Das System ist objektiv, aber auch nach demEmpfinden der Bundesbürger ein gerechtes System. AlsArzt sage ich, dass sich die Leistungen für den normalgesetzlich versicherten Patienten durchaus in Sichtweiteder Leistungen befinden, die die Spitzenmedizin interna-tional anbietet, und die Gewährung dieser Leistungeneben nicht vom Geld abhängig ist. Ich meine hier nichtdas Einzelzimmer oder die Chefarztbehandlung, sondernich freue mich für unsere Bürger darüber, dass wir jedemPatienten den Facharztstandard gewähren können.Aber wenn das auch in absehbarer Zeit noch möglichsein soll, dann dürfen wir uns nicht in irgendwelche un-kontrollierten Rationierungsdebatten verlieren, damitGesundheitspolitik in den Augen der Bevölkerung ihrenErnst und ihre Verlässlichkeit behält. Wir müssen sagen,dass wir mit begrenzten Mitteln keine unbegrenztenLeistungen finanzieren können und dass die Vorstellung,dass Prävention schnell Geld spart, eine verhängnisvolleund falsche Vorstellung ist. Prävention kostet erst einmalGeld. Wenn sie schon Geld kostet, dann sollen wenigs-tens diejenigen, die das Geld bezahlen, in den Genussder Ergebnisse kommen und die Entscheidung über dieVerwendung der Mittel treffen können. Krankenkassensollen ihr Geld dazu verwenden, die Beiträge zu senken.Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe– das ist auch in der Anhörung deutlich geworden – unddarf nicht fast ausschließlich aus Mitteln der GKV be-zahlt werden.
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Die hausärztliche Versorgung ist ein Bereich, der lang-sam anläuft.Wir haben außerdem die medizinischen Versorgungs-zentren als neues Strukturelement möglich gemacht. Fürdie medizinischen Versorgungszentren gibt es mittler-weile 87 Anträge. Diese werden bearbeitet. Auch da ent-wickelt sich etwas. Es handelt sich dabei erstaunlicher-weise häufig um ehemalige Gemeinschaftspraxen oderPraxisgemeinschaften, die sich von dem Punktedruckbefreien wollen. Es sind Ärzte, die nicht immer nur aufdie Abrechnung mit der KV schauen wollen, sondernlieber ihr Gehalt haben und sich ganz auf ihre Arbeit mitden Patienten konzentrieren wollen. Ich finde, das sindermutigende Ansätze, die wir unterstützen sollten unddie von den Kassen gefördert werden müssen.
Ich glaube auch, dass wir mit den Disease-Manage-ment-Programmen den richtigen Weg eingeschlagen ha-ben. Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeitim Gesundheitswesen ist ein guter Ansatz. All dieseDinge müssen aber erst greifen. Die Kassen und die Kas-senärztlichen Vereinigungen, die Manager, die sich jetztdie hohen Gehälter genehmigt haben, sind in der Pflicht,dsahgCKtwwkbdSlfeeshAsaKtUzd–zsdeenDlNid
Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Wir alle sind froh darüber – das ist in der heu-igen Debatte deutlich geworden –, dass die Kostenent-icklung im Gesundheitswesen so ist, wie sie ist, dassir also, was die Kostensteigerungen angeht, eineleine, vielleicht auch eine etwas längere Atempause ha-en. Ich glaube nicht, dass es ein langfristiges Konsoli-ierungskonzept ist.
Denken Sie an die jetzige innenpolitische Debatte!tellen Sie sich einmal vor, wir hätten den Menschen al-es das zugemutet, was wir ihnen bei der Gesundheitsre-orm zugemutet haben – vielen, die es bezahlt haben, ists schwer gefallen; viele, etwa Ältere oder Personen, dieine Betriebsrente beziehen, sind in ihrer Lebensplanungchwer getroffen worden –, und die ganze Operationätte noch nicht einmal dazu geführt, dass wir einetempause bekommen! Lassen Sie uns also froh darüberein, dass das so ist.Wir brauchen diese Atempause, damit die Schuldenbgebaut werden können, liebe Frau Schmidt, die dierankenkassen in Ihrer Regierungszeit aufhäufen muss-en.
m nichts anderes geht es. Jetzt müssen wir erst einmalusehen, dass die Schulden abgebaut und gleichzeitigie Beiträge gesenkt werden.Nun zu dem, was in den letzten Monaten passiert istdas ist heute schon vielfach angesprochen worden –,u dem, was sich die Vorstände reingetan haben; darüberind wir uns hier einig. Ich hoffe nur, dass es nicht beiiesem allgemeinen Geklingel bleibt, dass es nicht nurin Sturm im Wasserglas ist und es am Ende bleibt, wies ist.Diese Leute finden Gehälter von 250 000 Euro ganzormal. Wenn wir das umrechnen, sind das 500 000 DM.as sind die gleichen Leute, die die Pflegesatzverhand-ungen mit den Einrichtungen führen, zum Beispiel inordrhein-Westfalen. Da gibt es eine Umbruchsituationn der Krankenhausfinanzierung und dadurch kommt esazu, dass Krankenhäuser, um überhaupt noch liquide zu
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Karl-Josef Laumannbleiben, das Weihnachtsgeld der Krankenschwesternstreichen. Das ist die Wahrheit. Ich kann Ihnen zig Kran-kenhäuser nennen, die nicht in der Lage waren, dasWeihnachtsgeld zu zahlen. Und die Leute, die diese Ver-handlungen führen, machen in ihren Vorständen dieschon beschriebene Politik! Damit dürfen sie nichtdurchkommen!
Dabei wundere ich mich schon sehr über die Selbst-verwaltung,
zumindest soweit die alten RVO-Kassen betroffen sind,bei denen Arbeitgeber und Gewerkschaften vertretensind. Dabei unterhalten wir uns auch über die BKK. Daist einiges im Bundesverband passiert. Ich werde nochheute einen Brief zu dem schreiben, was da passiert ist,weil ich seit 32 Jahren Mitglied einer BKK bin.
Da haben doch Arbeitgeberfunktionäre und Gewerk-schaftsfunktionäre zugestimmt; denn sonst wäre es janicht gegangen!
Ich sage auch einmal: Liebe Leute in den Arbeitge-berverbänden, jeden Tag die großen Reden halten, dassdie Lohnnebenkosten zu hoch sind und im Sozialsystemgespart werden muss, aber dann keinen Mumm in denKnochen haben, um in einer solchen Angelegenheit ein-mal mit Nein zu stimmen! Sie sind mir feine Herren!
Darauf, wie die Gewerkschaftsfunktionäre ihren Leu-ten erklären wollen, dass sie da zugestimmt haben, binich auch gespannt.Im Juni/Juli sind die Sozialwahlen bei den Kranken-kassen. Wir aus der Politik sollten uns in einer Sache ab-sprechen, nämlich dass es in diesem Jahr bei den Kran-kenkassen wieder einmal zu echten Wahlen kommt
und die Kartelle, die da seit Jahren bestehen – vielleichtgeht es für den einen oder anderen Verband mittlerweileum Versorgungsposten –, endlich aufgebrochen werdenund neue Listen mit frischen Kandidaten zustande kom-men, die mit diesem Gebaren in der Selbstverwaltungaufräumen. Wir müssen dort wieder zu normalen undvernünftigen Wahlen kommen. Das sollten wir einleiten.
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Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol-
ege Peter Dreßen, SPD-Fraktion.
Kollege Laumann, gut gebrüllt zum Thema neue Lis-en für die Sozialwahlen! Aber ich glaube, dass Sie nichtanz zu Ende gedacht haben.
Nein.
ollege Laumann, das gab es doch schon. Damals habenir erlebt, dass Beschäftigte Interessenlisten aufgestelltnd auf Anhieb 50 Prozent gewonnen haben, obwohl dieeute, die sie gewählt haben, nicht einmal wussten, wasie eigentlich vertreten. Hinterher ist herausgekommen,ass es sich um von Krankenkassen gesteuerte Listenandelte. Wir sollten uns genau überlegen, wie die So-ialwahlen durchgeführt werden sollen
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Peter Dreßen– das kostet natürlich wieder Geld; denn solche Wahlensind nicht billig –, und wir dürfen dabei nicht vergessen,was in der Vergangenheit zum Teil passiert ist.Der Kollege Zöller hat in seinem Eingangsreferat er-läutert, allein die Versicherten seien für den Erfolg ver-antwortlich. Zugegeben, er hat Recht. Aber, Herr Kol-lege Zöller, wir dürfen nicht vergessen, dass wirursprünglich noch mehr wollten. Wir wollten auch dieLeistungserbringer ein bisschen mehr in die Pflicht neh-men. Hier wurden uns allerdings durch die Verhandlun-gen mit Ihnen Schranken gesetzt. Ich darf außerdem da-ran erinnern, dass wir die Einführung einer Positivlistevorgeschlagen hatten, um die Pharmaindustrie etwasbesser in den Griff zu bekommen. Muss denn dieser In-dustriezweig erst Gewinne in Höhe von 25 Prozent desUmsatzes machen, bevor es ihm gut geht? Ich habe erstneulich wieder gelesen, dass eine Pharmaindustrie, dieeinen Gewinn in Höhe von 15 Prozent des Umsatzesmacht, sozusagen Halsweh hat, dass es ihr schlecht gehtund dass sie dann Leute entlassen muss. Vor diesem Hin-tergrund denke ich, dass die Einführung einer Positiv-liste nicht schlecht gewesen wäre.Ich erinnere des Weiteren daran, dass wir einen Kor-ruptionsbeauftragten haben wollten. Aber auch das istden Verhandlungen zum Opfer gefallen. Man muss jafroh sein, dass die AOK Niedersachsen eine Vorreiter-rolle eingenommen und einiges aufgedeckt hat. EinenKorruptionsbeauftragten bräuchten wir sicherlich auchin Zukunft. Kollege Zöller, ich könnte mir außerdemvorstellen, dass die Umsetzung unseres damaligen Vor-schlags für mehr Transparenz, wonach die Versichertender gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur auf Ver-langen, sondern obligatorisch eine Rechnung vom Arztbekommen sollten, einiges bewirkt hätte.Als Letztes möchte ich auf das Thema Transparenznoch genauer eingehen. Wir haben heute über die Gehäl-ter der Vorstandsmitglieder der gesetzlichen Kranken-kassen hart diskutiert. Dazu will ich nur sagen: Wenn esdas GMG nicht gäbe, würden wir darüber gar nicht dis-kutieren.
In § 35 a Abs. 6 des SGB IV steht jetzt, dass die Gehälterveröffentlicht werden müssen. Das war früher nicht derFall. Gäbe es diese Vorschrift nicht, könnten wir uns nungar nicht streiten, weil wir die Höhe der Gehälter gar nichterfahren hätten. Insofern glaube ich, dass das GMG ins-gesamt gut ist. In diesem Zusammenhang denke ich ins-besondere – deswegen kann ich Ihrer Aussage, allein dieVersicherten seien für den Erfolg verantwortlich, nichtganz zustimmen, Herr Kollege Zöller – an die I-Karte, dieDisease-Management-Programme und die Fallpauscha-len, alles Dinge, die die Leistungserbringer zwingen, et-was zu tun.Herr Parr, auf Sie möchte ich eigentlich gar nicht ein-gehen. Nur so viel: Wenn ich die Wahlprogramme IhrerPartei lese und mir die Äußerungen Ihres Vorsitzendenvor Augen führe, dann muss ich feststellen, dass Sie nurvon Privatisierung reden. Ihr Motto scheint zu sein: Abin die privaten Krankenversicherungen! Haben Sie ein-mtmkbmkAtRddnKdEwidkDdbk–dh
Ich komme zum Schluss. Ich bin froh, dass wir mitem Gesundheitsmodernisierungsgesetz die beiden Soli-argedanken – derjenige, der mehr verdient, hilft demje-igen, der weniger hat, und der Gesunde ist für denranken da – erhalten haben und dass wir in Zukunften Solidargedanken mit unserem Gesetzesvorhaben zurinführung einer Bürgerversicherung noch ausweitenollen. Denn es weitet ihn aus, wenn Besserverdienenden der gesetzlichen Krankenversicherung zum Beispielen Hartz-IV-Empfängern helfen und die Beiträge sin-en.
as ist eine gute Geschichte. Ich kann Sie nur auffor-ern, Ihre Blockadehaltung in dieser Hinsicht aufzuge-en. Wir alle sind froh, wenn die Bürgerversicherungommt, wie wir es vorsehen.
Das kann ich mir vorstellen.Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Me-dizin“Patientenverfügungen– Drucksache 15/3700 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeRené Röspel, SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. –Wie werde ich sterben? Werde ich unter starkenSchmerzen leiden müssen? Werde ich einsam sterbenmüssen? Allein in einem Krankenhauszimmer? An Ka-bel und Schläuche angeschlossen und einer nicht mehrloslassen wollenden Medizin auf Gedeih und Verderbausgeliefert?Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind Fra-gen, die für die meisten jüngeren Menschen – das istauch gut so – sicher noch kaum eine Rolle spielen. Fürviele sehr kranke oder ältere Menschen, für die der Tod– oder treffender gesagt: das Sterben – näher kommt,werden diese Fragen immer wichtiger.Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der mo-dernen Medizin“ des Deutschen Bundestages hat in derletzten Legislaturperiode vor allem Themen bearbeitet,die den Beginn des menschlichen Lebens betrafen,Forschung an embryonalen Stammzellen und Präimplan-tationsdiagnostik beispielsweise. In dieser Legislaturpe-riode befasst sich die Enquete-Kommission nun auch mitdem Ende des Lebens. Damit arbeiten wir an einemThema, das irgendwann in allen Familien besprochenwerden wird. Damit haben wir die Verantwortung ange-nommen, uns mit den Fragen zu beschäftigen, die icheingangs erwähnte.Ich bin überzeugt, dass wir auf diese Fragen Antwor-ten bieten können. Wir werden das in einem Bericht zuPalliativmedizin und Hospizbewegung tun, den wirnächstes Jahr vorstellen werden. Wir werden mit unserenAntworten vielen Menschen die Angst vor einemschmerzvollen Tod nehmen können. Wir werden Mög-lichkeiten aufzeigen, wie die Angst vor dem einsamenSterben genommen werden kann.Dennoch bleibt es die Entscheidung eines jeden ein-zelnen Menschen, seine individuelle Antwort auf dieeingangs erwähnten Fragen zu finden. Es ist auch seinunabdingbares Recht, dies zu tun. Jeder einwilligungsfä-hige Mensch, jeder, der in der Lage ist, die Bedeutungund Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken undzu beurteilen, kann sein Recht auf Selbstbestimmungwahrnehmen. Das kann auch bedeuten, dass er zum Bei-spiel eine medizinische Behandlung ablehnt, sei sie nochso vernünftig oder sogar lebensrettend. Ein Arzt dürfteihn dann nicht behandeln. Genauso gut aber könnte sichder Patient noch in der letzten Minute für die Therapieentscheiden, die er noch vor kurzem abgelehnt hat.Schwierig wird die Suche nach den richtigen Antwor-ten auf diese Fragen, wenn ein Patient nicht mehr einwil-ligungsfähig ist und Dritte die Entscheidung für ihn tref-fen müssen. In diesem Zusammenhang sehen vieleMenschen – man schätzt, bis zu 10 Prozent der Bevölke-rung – eine Lösung darin, eine Patientenverfügung zuverfassen. Unter einer Patientenverfügung versteht mangemeinhin eine Willensäußerung, mit der jemand fest-legt, in welcher Weise er medizinisch behandelt oderegmdAsiflbnhstfiDZpParf–PspdPcbdtqegwgbkhEKeehkalm
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Sie bewegt sich nach meiner Auffassung damit in einervermittelnden und abwägenden Position zwischen derabsoluten Selbstbestimmung und Durchsetzung des Wil-lens auf der einen und dem Wohl des Menschen auf deranderen Seite. Eine Minderheit der Kommission lässtdas Pendel eher zur Seite der vermeintlichen Selbstbe-stimmung ausschlagen.Diese Frage, wie man sich bei dem Konflikt zwischenWille und Wohl entscheidet, wird sicher auch die nunbeginnende parlamentarische Diskussion bestimmen.Wir geben die Entscheidung nun in die Hände des Parla-mentes und in die Verantwortung eines jeden und einerjeden einzelnen Abgeordneten. Nutzen Sie zu Ihrer Ent-scheidung die Grundlage, die wir mit unserem Zwi-schenbericht anbieten!Ich bin mir sicher, dass wir – gleich wie wir letztend-lich entscheiden werden – bei dieser schwierigen Fragedes Lebens und Sterbens immer Härtefälle haben wer-den. Deswegen wünsche ich uns allen eine glücklicheHand und eine gute Entscheidung.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Die Frage, wie man sich das Ende seinesLebens vorstellt, ist eine sehr persönliche Frage. Diemeisten Menschen werden wohl den Wunsch haben, sozu sterben, wie es die Bibel über Abraham schreibt: „altund lebenssatt“.Mit der steigenden Lebenserwartung und demmedizinischen und technischen Fortschritt erlangt dasTtmaeÖlwsAesWDHbedMggleaudesgGdcgztbdnDncuhrGmthSdmm
Bei Patientenverfügungen gibt es ein Spannungsver-ältnis zwischen dem Schutz des Lebens auf der eineneite und dem Recht auf Selbstbestimmung auf der an-eren Seite. Doch was ist das eigentlich: Selbstbestim-ung? Für Frau Zypries scheint die Antwort unproble-atisch: Sie will die aktuelle Einwilligung in eine
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Thomas Rachelkonkret in Aussicht gestellte Behandlung letztlich aufdas gleiche Niveau wie eine vor Jahren getroffene Verfü-gung stellen. Beides soll im entscheidenden Moment dasgleiche Gewicht haben. Aus dem bürgerlichen Rechtwissen wir aber, dass es schon bei weniger schwer wie-genden Festlegungen Einschränkungen gibt: Anfech-tungsgründe, Kündigungsgründe und Möglichkeiten desWiderrufs, um nur einiges zu nennen. Unser Recht gehtalso relativ vorsichtig mit dem um, was Menschenrechtsverbindlich erklären können. Ich denke, dies musserst recht bei Fragen gelten, bei denen es um Leben undTod geht.Meine Damen und Herren, Selbstbestimmung bedeu-tet zunächst etwas ganz Konkretes: Ich befinde mich ineiner bestimmten Situation und entscheide aufgrund undin Ansehung dieser Situation, was ich tue und was gege-benenfalls andere Menschen mit mir tun dürfen. Dieseaktuelle Selbstbestimmung erfährt in der Medizin keineEinschränkung. Eine Zwangsbehandlung gegen den Wil-len des Patienten ist nicht vertretbar. Hiervon zu trennenist jedoch die Möglichkeit des Menschen, im Voraus,also für die Zukunft, eine bestimmte Entscheidung zutreffen. Wir müssen uns klar machen: Menschen ändernihre Einstellungen im Laufe der Zeit. Erfahrungen, Le-bensumstände, Alter, soziales Umfeld – all dies sindFaktoren, die unsere Lebenspläne, unsere Wertvorstel-lungen und das, was wir als erstrebenswert, als erträglichoder als wünschenswert empfinden, verändern. Es sinddie großen Krisen des Lebens, die unsere eigenen Vor-stellungen und Meinungen vom Leben verändern. Dasgilt natürlich erst recht für die Sterbephase.Es besteht ein Unterschied zwischen einer Entschei-dung in der Gegenwart und einer Verfügung für die Zu-kunft. Wir müssen auch im Auge behalten, dass sich dieFestlegung für die Zukunft womöglich gegen den aktuel-len Patientenwillen in einer konkreten Situation richtenkann. Wir müssen also mit Vorausverfügungen vorsich-tig umgehen: Je schwerer eine Entscheidung wiegt undje gravierender die Folgen eines Behandlungsverzichtssind, desto mehr Vorsicht ist geboten. So stellt es zumBeispiel einen Unterschied dar, ob ein Patient, der an ei-nem tödlichen Krebsleiden erkrankt ist und in dessenGehirn sich Metastasen gebildet haben, für den Fall baldeintretender Bewusstlosigkeit darum bittet, keine wei-tere ärztliche Behandlung zu erfahren, oder ob jemandeinmal vor langer Zeit als junger Mensch verfügt hat,dass er keine Wiederbelebung nach einem Unfallwünscht, wenn die Gefahr besteht, dass er infolge diesesUnfalls an einen Rollstuhl gebunden sein wird. Beidessind doch völlig unterschiedlich gelagerte Fälle.Die Enquete-Kommission hat in der Mehrheit emp-fohlen, die Patientenverfügung auf die Fälle zu be-schränken, in denen das Grundleiden irreversibel ist undtrotz medizinischer Heilbehandlung aus ärztlicher Sichtzum Tode führen wird. Eine zeitliche Nähe zum Tod istdamit nicht erforderlich. Mit dieser inhaltlichen Reich-weitenbegrenzung versuchen wir, den Problemen undGefahren von Vorausverfügungen Rechnung zu tragen,ohne das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unver-hältnismäßig zu beschneiden.FlPvnasanhDh–dgzslßrrmfbrLwDpdTSzvdzkmsddwdD
Unter den zahlreichen Briefen, die mich zu diesemhema erreichen, schrieb mir ein Ehemann über dasterben seiner Frau folgende Zeilen: Meine Frau hatteum Schluss Selbstbestimmung, Biografie und Spracheerloren, nicht aber ihre Persönlichkeit. So weit reichtie Reduktion nicht. Anmut und Würde bleiben ihr bisum Schluss erhalten. Von außen aber, für die Tüchtig-eitsfanatiker, hätte ihr Leben sicherlich keinen Wertehr gehabt.Ich denke, diese Zeilen müssen uns alle nachdenklichtimmen. Unsere Gesellschaft sollte sich der Auseinan-ersetzung mit dem Tod stellen und diesen nicht auser Lebenswelt der Menschen verbannen. Nur so könnenir angemessene Wege für ein Sterben in Würde fin-en.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Christa Nickels, Bündnis 90/ie Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Alte, gebt den Löffel ab!“, das war der Kommentar desJungliberalen Dittrich zum Armuts- und Reichtumsbe-richt der Bundesregierung. Nein, er habe natürlich mit-nichten einen rotzfrechen Appell zum pflegekassen- underbenfreundlichen Frühableben beabsichtigt, sondern al-les ganz harmlos und anders gemeint. Aber dieser ver-giftete Pfeil haftet mit Widerhaken und er verstärkt dieunterschwellige böse Botschaft, der sich Alte, schwerund chronisch Kranke täglich ausgesetzt fühlen, wennsie auf allen Kanälen und Sendern und in Zeitungen mitimmer neuen Meldungen von explodierenden Pflegekos-ten, der so genannten Vergreisung der Gesellschaft undPflegenotständen konfrontiert werden. Sie sehen sich ei-nem aggressiven Jugend- und Vollkommenheitswahnausgesetzt, in dem ein gutes Leben im Rollstuhl, als De-menzkranker oder – wie Sie hier sehr eindrucksvoll ge-sagt haben, Herr Kollege Rachel – als Sterbender völligzu Unrecht überhaupt nicht mehr vorstellbar erscheint.Viele alte Menschen haben dieses gesellschaftlichvermittelte Zerrbild bereits verinnerlicht. Genau in die-sem Sinne haben mir etliche alte Leute geschrieben, dassein Leben als schwer Pflegebedürftiger oder Demenz-kranker nicht lebenswert sei und viel Geld zur Betreuungverschlinge, für das die Gesellschaft, ihre eigenen Kin-der und Enkelkinder sinnvollere Verwendungsmöglich-keiten hätten. Das zu lesen tut mir ziemlich weh.Die allermeisten Menschen wünschen sich ein Ster-ben ohne unnötige Leiden und Schmerzen zu Hause,pflegerisch und medizinisch gut betreut im Kreise ver-trauter und lieber Menschen. Aber ganz im Widerspruchzu diesem dringlichsten aller Wünsche sterben die meis-ten in Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen. Mitdem Tod hat die Gesellschaft auch die Sterbenden ausihrer Mitte verbannt. Schon der Philosoph WalterBenjamin hat darauf hingewiesen, dass die bürgerlicheGesellschaft ihren Mitgliedern die Möglichkeit ver-schafft hat, sich dem Anblick von Sterbenden zu entzie-hen. Er schrieb:Ehemals kein Haus, kaum ein Zimmer, in dem nichtschon einmal jemand gestorben war. … Heute sinddie Bürger in Räumen, welche rein vom Sterben ge-blieben sind, Trockenwohner der Ewigkeit, und siewerden, wenn es mit ihnen zu Ende geht, von denErben in Sanatorien oder in Krankenhäusern ver-staut.Das Wissen darum, dass wir alle einmal sterben müs-sen, steht im schroffen Gegensatz zum weit verbreitetenUnwissen über Tod und Sterben und macht uns anfälligfür vermeintlich klare und eindeutige Auswege aus die-sem Dilemma. Nur vor diesem Hintergrund ist über-haupt zu verstehen, warum viele Menschen eine ver-bindliche Patientenverfügung, die ohne jede Begrenzungauch für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen beinicht tödlich verlaufenden Krankheiten gelten soll, fürden Königsweg zum Sterben in Autonomie und Selbst-bestimmung halten. Begriffe wie Selbstbestimmung undAutonomie suggerieren, dass das eigene Sterben mit ei-ner Mentalität angegangen werden könne, die der Kar-rsdv1sdsgzowrcmutmmtluu1adnhwnvpdEonVgblWuAggw
Besonders für Demenzkranke und Wachkomapatien-en wird immer wieder die Möglichkeit einer Einstel-ng der Ernährung eingefordert. Die Kollegen Röspelnd Rachel haben schon darauf hingewiesen. Ich habe3 Jahre als Krankenschwester gearbeitet, überwiegenduf einer internistischen Intensivstation. Wir wissen auser Palliativmedizin, dass in der Sterbephase Ernährungicht angezeigt ist, weil sie eher Unwohlsein und Unbe-agen beim Patienten verursacht. Wir wissen aber nicht,ie eine Einstellung der künstlichen Ernährung zu ei-em früheren Zeitpunkt, deutlich vor der Sterbephase,om Patienten erlebt wird. Ganz klar sind aber die kör-erlichen Folgen: Die Einstellung der Ernährung hätteen Tod des Patienten nach Wochen, wenn sowohl diernährung als auch die Flüssigkeitsgabe eingestellt wird,der – bei Fortsetzung der Flüssigkeitsgabe – bis zu Mo-aten zur Folge. Im Klartext heißt das: Verhungern underdursten.Ich bin als Krankenschwester nie in eine solche Lageekommen. Es ist für mich schlechterdings unvorstell-ar, dass eine Patientenverfügung dies in Zukunft mög-ich machen könnte.
ie sollen wir Bundestagsabgeordnete den Schwesternnd Pflegern klar machen, dass es zukünftig zu ihrenufgaben gehören soll, Menschen zu pflegen und sieleichzeitig über Wochen verhungern zu sehen?Wer je Wachkomapatienten gepflegt hat – ich habe sieepflegt –, erkennt an vielen Zeichen, ob er und sie sichohl fühlt oder ob dem Betreffenden etwas fehlt. Was
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Christa Nickelssoll das für ein ärztliches Ethos sein, wenn Ärzte gesetz-lich gezwungen würden, so etwas anzuordnen? Was sollaus einer Gesellschaft werden, die im Namen von vor-geblicher Autonomie und Selbstbestimmung nicht Ein-willigungsfähige auf solche Art und Weise dem jämmer-lichen Verhungern und Verdursten anheim gibt?Frau Ministerin Zypries und Herr Kauch, niemand imBundestag verwechselt aktive und passive Sterbehilfe.Ich brauche aber kein Prophet zu sein, um vorherzusa-gen: Wenn in unseren Heimen und KrankenhäusernMenschen auf diese Art und Weise verhungern und ver-dursten, dann wird der Ruf nach aktiver Sterbehilfe so-fort laut erschallen. Das ist ganz klar.
Trotz aller Probleme gehören wir zu den reichstenLändern der Erde. Aber da, wo es um Krankheit, Alterund Sterben geht, haben wir noch beschämend viel zutun. Glücklicherweise gibt es seit Jahren eine langsam,aber stetig wachsende Bürgerbewegung für ein men-schenwürdiges Leben bis zum letzten Atemzug, maß-geblich bewegt von den Hospizvereinen. Den Hospiz-vereinen, denjenigen, die die Menschen pflegen undeinen großen Teil ihrer eigenen Lebensqualität zurück-stellen, weil es ihnen wichtig ist, dass Menschen in unse-rer Gesellschaft in Würde und gut aufgehoben krank seinund sterben können, schulden wir sehr viel Dank. Ichglaube, diesen Dank sollten wir alle immer wieder auchbei unserer Wahlkreisarbeit aussprechen. Das will ichauch hier tun: Vielen herzlichen Dank!
Diese beruflich oder ehrenamtlich Tätigen und dieFamilienangehörigen sollten wissen: Sie haben im Parla-ment gute Bündnispartner, die wirklich notwendigen,überfälligen Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Eine da-von – aber nicht die bedeutendste – ist die Verbesserungder Patientenverfügung als wichtiges Indiz für den Wil-len der Patienten. Das heißt aber auf gar keinen Fall, diePatientenverfügung zum Goldenen Kalb der Patienten-autonomie aufzublasen und sie zu vergötzen.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieFDP-Bundestagsfraktion und auch die Minderheit in derEnquete-Kommission, zu der ich gehöre, begrüßen, dasswir uns endlich auf der Grundlage des vorliegendenZPwsvFfDsegdgSMdsdeSEPeteBMaemseüledträzPumtrdg
rau Nickels, zu der peinlichen Aufforderung, den Löf-el abzugeben, möchte ich nichts sagen; das hat mit deriskussion hier nichts zu tun. Aber die Hysterie, die Siechüren, ist doch nur dazu geeignet, eine sachliche Aus-inandersetzung zu verhindern. Das ist ein gängiges Ar-umentationsmuster und zeigt, in welcher Art und Weiseie Mehrheit in der Kommission hier agiert.
Wir reden im Zusammenhang mit der Patientenverfü-ung eben nicht über aktive Sterbehilfe oder assistiertenuizid. Wir reden nicht über die gezielte Tötung vonenschen. Es geht auch nicht um die Verweigerung in-izierter und gewünschter Behandlungen. Vielmehrtreiten wir über die Regeln für Patientenverfügungen,ie vorsehen, eine Therapie abzubrechen oder gar nichtrst aufzunehmen. Es geht nicht um Töten. Es geht umterben-Lassen.
s geht darum, der Natur ihren Lauf zu lassen, wenn deratient das wünscht.Bereits im Juni 2004 haben die Liberalen als erste undinzige Fraktion einen Antrag zur Stärkung der Patien-nautonomie und Patientenverfügung in den Deutschenundestag eingebracht. Leitbild ist dabei unser liberalesenschenbild, das eines Menschen, der über sein Lebenuch in existenziellen Fragen so weit wie möglich selbstntscheiden kann, ein Menschenbild, das Selbstbestim-ung Vorrang vor Überlegungen Dritter gibt – undeien sie noch so fürsorglich.Frau Nickels, der Arzt kann gehen; der Patient kanns nicht. Wenn sich ein Arzt aus seinen ethischen Grund-berzeugungen heraus nicht in der Lage sieht, eine Wil-nserklärung eines Patienten umzusetzen, dann muss erafür sorgen, dass ein anderer Arzt den Patienten be-eut. Wenn sich kein Arzt findet, der es aufgrund seinesrztlichen Ethos für vertretbar hält, dem Patientenwillenu folgen, dann werden wir es wahrscheinlich mit eineratientenverfügung zu tun haben, die nicht anwendbarnd umsetzbar ist.Sie aber drehen die Argumentation um. Der Arztuss dies mit seinem Ethos vertreten; das ist Ihre zen-ale Argumentation. Nein, Frau Nickels, der Patient ister Schwache, der nicht gehen kann und der vom Rechteschützt werden muss.
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Michael Kauch
Die eigentliche Trennlinie zwischen den Lagern indieser Diskussion liegt zwischen einem fürsorglichenPaternalismus, der Zwangsbehandlung in Kauf nimmt,und dem Vertrauen auf die Kraft und Urteilsfähigkeit deseinzelnen Menschen.
Um es klar zu sagen: Wir haben keine naive Vorstellungvon einem autonomen Individuum. Natürlich ist derMensch in Beziehungen eingebettet. Er hat auch innereZwänge. Gerade bei der Patientenverfügung kommthinzu: Er verfügt etwas für die Zukunft, etwas, was ernicht abschätzen kann, bei dem es Unsicherheiten gibt.Der vorausverfügte Wille ist immer schwächer als deraktuelle Wille. Aber was ist die Alternative? Die Alter-native zu diesem schwächeren eigenen, vorausverfügtenWillen ist die Fremdbestimmung durch Dritte. Bei allerRelativierung des autonom handelnden Menschen kannich als Liberaler nur sagen: Wir entscheiden uns – imLeben wie im Sterben – für die Selbstbestimmung.
Meine Damen und Herren, die moderne Intensivme-dizin hat bedeutende Möglichkeiten geschaffen, Lebenzu retten und zu verlängern. Manche Menschen erlebendies als Chance, andere als unwürdige Behandlung. DieFrage, ob lebenserhaltende Maßnahmen ein Geschenkoder eine Qual sind, kann nur der einzelne Mensch fürsich entscheiden.Jede medizinische Maßnahme – und eben nicht derVerzicht darauf – ist durch die Einwilligung des Patien-ten zu rechtfertigen. Eine Zwangsbehandlung ist Kör-perverletzung; dem Arzt drohen strafrechtliche Konse-quenzen. Das gilt im Grundsatz auch für den nichteinwilligungsfähigen Patienten. Die FDP will deshalbdie rechtliche Verbindlichkeit von Patientenverfügungenstärken. Die Patienten brauchen Rechtssicherheit, insbe-sondere dann, wenn sie am schwächsten sind, weil sienicht mehr kommunikationsfähig sind und sich deshalbnicht mehr wehren können.Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenenKörper gehört zum Kernbestand der durch das Grundge-setz geschützten Würde und Freiheit des Menschen. Wirbedauern daher, dass die Mehrheit der Enquete-Kom-mission die Begrenzung der Reichweite von Patienten-verfügungen nicht ablehnt. Meine lieben Kolleginnenund Kollegen der Kommissionsmehrheit, mit Ihrem Ent-wurf setzen Sie die Patientinnen und Patienten gegen ih-ren erklärten Willen Zwangsbehandlungen aus. Damitwird das Gegenteil von dem erreicht, was sich die En-quete-Kommission ursprünglich zur Aufgabe gemachthat.DlgtKmädwtqdsdDkJafedmppBspddnFsmwtnUak
enn die Rechtsfigur des „irreversibel tödlichen Ver-aufs“ macht den Patienten von einer ärztlichen Pro-nose abhängig; diese ist aber genauso mit Unsicherhei-en verbunden wie die Vorausverfügung des Patienten.
Für den Anwendungsfall des Wachkomas geht dieommissionsmehrheit mit Blick auf die Selbstbestim-ung noch hinter die Rechtslage zurück. Die Bundes-rztekammer sagt, dass es sich nicht um Sterbende han-elt – das ist richtig – und sie deshalb auch ernährterden müssen. Allerdings sagt sie weiter: unter Beach-ung ihres Willens. Diese Einschränkung wischt die En-uete-Kommission einfach weg. Auch gegen den Willener Patienten sollen Magensonden gelegt, Sehnen zer-chnitten, Antibiotika verabreicht und Reanimationenurchgeführt werden.
as hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun.Auch über religiös motivierte Behandlungsbeschrän-ungen setzen Sie sich locker hinweg. Wenn ein Zeugeehovas sagt, niemals eine Bluttransfusion zu wollen,uch wenn er deshalb sterben muss, dann halte ich dasür tragisch und falsch, aber ich muss es achten. Durchine Zwangsbehandlung würde in diesem Fall nicht nurie Menschenwürde, sondern auch die Religionsfreiheitit Füßen getreten.
Die FDP möchte, dass Therapiebegrenzungen, Thera-iewünsche und Therapieverbote in jeder Krankheits-hase möglich sind. Das gilt ausdrücklich nicht für dieasispflege; sie muss immer sichergestellt sein, bei-pielsweise das Waschen und das Befeuchten der Lip-en. Voraussetzung ist, dass die Patientenverfügung klarefiniert und anwendbar ist und dass sie – das ist etwas,em die FDP große Bedeutung zumisst – dem Patientenoch personal zurechenbar ist. Hier kommen wir zu demall der Demenzkranken. Wenn die Patientin, wie be-chrieben, offensichtlich glücklich lebt und gar nichtehr die Persönlichkeit darstellt, die sie einmal war,enn sie auch nicht mehr weiß, dass sie einmal eine Pa-ientenverfügung abgegeben hat, dann muss man diesatürlich anders bewerten, als wenn jemand, durch einennfall verursacht, im Wachkoma liegt, seinen Willenlso nicht mehr ändern konnte und auch keine Willenser-lärung mehr abgeben kann.
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Michael Kauch– Die Prüfung und Bewertung der Anwendung haben dieEntscheider vorzunehmen,
also entweder, wie es Frau Zypries und die FDP wollen,im Falle des Konsenses der Arzt und der Betreuer bzw.Angehörige oder eben, wie Sie es wollen, das Vormund-schaftsgericht.Wir von der FDP setzen uns – darin unterscheiden wiruns von dem anderen Minderheitenvotum – nur für dieSchriftform ein, nicht für Aktualisierungs- und Bera-tungspflichten. Denn wir denken, dass es an der Lebens-wirklichkeit vor allem älterer Menschen vorbeigeht,wenn bestimmte Willenserklärungen nur deshalb un-wirksam werden, weil der Stichtag vergessen wurde, andem eine weitere Unterschrift fällig war.Kurz vor unserer Debatte hat Frau Zypries ihren Ge-setzentwurf überraschend zurückgezogen. Wir warennicht in allen Punkten mit ihm einverstanden, aber wirhaben in der Richtung übereingestimmt. Sie sind leidermit Ihrem Gesetzentwurf an den paternalistischen Hard-linern von Rot-Grün gescheitert.
Aus Sicht der FDP ist diese Entscheidung eine Bankrott-erklärung. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von derPolitik zu Recht eine Entscheidung in dieser Frage, diedie Bundesregierung aber nicht herbeigeführt hat.Die Verbindlichkeit und der Anwendungsbereich vonPatientenverfügungen müssen noch in diesem Jahr neugeregelt werden. Wir können die Neuregelung nicht wie-der auf die nächste Legislaturperiode verschieben. DieMenschen erwarten eine Antwort. Das Parlament mussjetzt handeln.Wir haben als einzige Fraktion einen Antrag zur Pati-entenverfügung in den Bundestag eingebracht. Wir wer-den auf dieser Grundlage gemeinsam mit denjenigen imParlament, die ähnlich denken wie wir, einen Gesetzent-wurf erarbeiten, um diesen als Gruppengesetzentwurf inden Deutschen Bundestag einzubringen und eine Ent-scheidung herbeizuführen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Der Streit, den wir heute erleben, und die Art undWeise, in der er geführt wird, stimmen mich sehr nach-denklich. Der Ton, den Herr Kauch eben angeschlagenhat, als er von Rechtsfiguren und Zwangsbehandlung ge-sprochen hat, verrät ein tiefes Misstrauen gegenüber al-len Strukturen, auf die wir angewiesen sind, wenn wirkerAsethlazPdunhsagvrgsulcEfKuliesgaSdebktnrLsdBddnweDV
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Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Zöller,
DU/CSU-Fraktion.
Grüß Gott! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Mit der Entwicklung der Spitzenmedizin istine Dimension der persönlichen Betroffenheit und da-it auch der persönlichen Verantwortung erreicht, die esm Zusammenhang mit medizinischen Möglichkeitenorher so nicht gegeben hat. Deshalb ist es selbstver-tändlich, dass die Menschen in solchen Situationen ver-ässliche Orientierung brauchen. Sie müssen sich darauferlassen können, dass Mediziner, Juristen und Politikerit den wachsenden Möglichkeiten der Medizin verant-ortlich umgehen.Aber trotz aller Fortschritte, trotz vieler Erfolge,rankheiten auch im hohen Alter noch wirksam zu be-ämpfen, gibt es selbstverständlich Grenzen. Sterben ist
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Wolfgang Zöllerin der Regel nicht die Folge des Scheiterns ärztlichenBemühens. Das muss man gerade vor dem Hintergrundder hohen Erwartungshaltung an die Medizin immerwieder neu betonen. Sterben lassen – das ist auch einStück Respekt vor der Würde von Menschen, die nichtmehr behandelbar sind und denen ein qualvoller Tod er-spart werden sollte.Aber wann sind diese Grenzen der Therapie und desärztlichen Heilauftrages erreicht? Gibt es Grenzen derZumutbarkeit für die Patienten? Wann kann ein Medizi-ner es überhaupt verantworten, den letzten Schritt, denTherapieverzicht, zu gehen? Ist das mit seinem Berufs-ethos vereinbar? Wann hat das Selbstbestimmungsrechtdes Patienten Vorrang vor der Garantenpflicht des Arz-tes?Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind Fra-gen, die gerade bei der Behandlung älterer und schwerst-kranker Menschen für Ärzte und Angehörige nicht nurschwer zu beantworten, sondern oft auch schwer erträg-lich sind.Die Grenzen der Behandlung kann auch der Gesetz-geber nicht Punkt für Punkt definieren. Man kann nichtin Richtlinien festhalten, wann im Einzelfall eine Thera-pie an ihre Grenzen stößt. Das ist angesichts der Kom-plexität von Krankheiten im Alter weder möglich nochwünschenswert. Damit würde sich nämlich der Staatsehr schnell zum Zensor ärztlichen Handelns machen.Das ärztliche Berufsethos steht und fällt damit, dassder Arzt keine andere Aufgabe übernimmt als den Dienstam Leben. Er ist damit ein Anwalt des Schutzes mensch-lichen Lebens und der Menschenwürde verpflichtet.Aber ebenso selbstverständlich ist es, dass es auch nichthuman sein kann, jeden Menschen, dessen Organismusdefinitiv versagt und dessen Leben zu Ende geht, mit al-len Mitteln der Technik am Leben zu erhalten.Schutz menschlichen Lebens – das kann für einenTodkranken auch heißen, ihm jede erdenkliche Hilfe inder letzten Lebensphase im Sinne einer Hilfe im Ster-ben zu gewähren. Menschen haben ein Recht darauf,dass man sie menschenwürdig sterben lässt, wobei aller-dings auch gilt: Nicht alles, was ein Patient will, zumBeispiel seine Tötung, kann der Patient erzwingen. Hierhat die Selbstbestimmung eine klare Grenze.Aber nichts, was er nicht möchte, muss er sich gefal-len lassen, zum Beispiel eine Operation zur Verlänge-rung des Sterbeprozesses. Denn nicht die Effizienz derApparatur, sondern die an der Achtung des Lebens undder Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentschei-dung bestimmt die Grenzen der Behandlungspflicht.Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, Sterbebegleitung – das heißt, Hilfeim Sterben – ist etwas ganz anderes als Hilfe zum Ster-ben. Die absichtliche Tötung, die gewaltsame Beendi-gung des Lebens, also die so genannte aktive Sterbehilfeund damit auch Tötung auf Verlangen, rühren an dieGrundlagen der Menschlichkeit in unserer Kultur.Die Enquete-Kommission hat die Patientenverfü-gung zu Recht eingebettet in das große Ganze der Bemü-hWvmvsduflhsgkGinsnguiwBmzBDrllZZcVJDtG
Neben der medizinischen Behandlung und Pflege um-asst die Sterbebegleitung aber auch eine ganz persön-iche Betreuung. Es geht um den Aufbau einer Bezie-ung, in der sich der Patient angenommen und miteinen Sorgen und auch mit seinen Ängsten nicht alleinelassen fühlt. So darf gerade Zeit am Sterbebett keinnapp kalkuliertes Gut sein. Zuwendung, insbesondereespräche mit Sterbenden über Belastendes, sind, wiech meine, unverzichtbarer Bestandteil einer angemesse-en, würdigen Begleitung im Sterbeprozess.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Auseinander-etzung darf die Gesellschaft aber nicht allein den so ge-annten Profis wie Ärzten, Krankenschwestern und Pfle-ern überlassen bzw. aufbürden. Die Bereitschaft innserer Gesellschaft muss wachsen, hier in der Familie,m Freundes- und Bekanntenkreis wieder mehr Verant-ortung zu übernehmen. Es scheint modern zu sein, ineziehungen möglichst unverbindlich zu sein. Aber wasacht Partnerschaft und Familie noch aus, wenn die Be-iehungen nicht die Tiefe haben, dass sie Fürsorge undegleitung bis zuletzt umfassen?
eshalb muss die Betreuung Sterbender insgesamt da-auf ausgerichtet sein, so viel Lebensqualität wie mög-ich zu erhalten. Dazu gehört auch jede schmerz-indernde Therapie und ganz besonders menschlicheuwendung. Wenn wir in diesem Geist gemeinsam dasiel erreichen, hätte der Bundestag eine sehr menschli-he Aufgabe positiv erledigt.Vielen Dank.
Kollege Zöller, als ich hier vor zwei Stunden vomorsitz der Sitzung abgelöst wurde, haben Sie geredet.etzt komme ich wieder, und Sie reden noch immer.
as bringt meine Vorstellungen über die von den Frak-ionen gewährten Redezeiten endgültig zum Einsturz.Das Wort hat nun die Kollegin Irmingard Schewe-erigk, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Das Selbstbestimmungsrecht gehört zum Kernbereichder grundgesetzlich geschützten Würde und Freiheit desMenschen. Es wird durch die Willensäußerung des ent-scheidungsfähigen Menschen ausgeübt. Relevante Fest-legungen können auch in die Zukunft wirken. Das deut-sche Recht stellt das Selbstbestimmungsrecht desMenschen über seinen Körper höher als die Schutz-pflichten anderer für sein Leben.
Das ist auch der Grund dafür, dass alle ärztlichen Ein-griffe nur nach einer Einwilligung zulässig und ohneEinwilligung strafbar sind.Wie steht es aber um die Selbstbestimmung undMenschenwürde der 70 Prozent aller Menschen, die inKrankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen sterben? ZweiDrittel der im Krankenhaus Beschäftigten sagen dazu,dass ein würdevolles Sterben im Krankenhaus nichtmöglich sei. Die meisten Mediziner sind sich einig: DerZeitpunkt und die Art des Sterbens werden zunehmendvon medizinischen Entscheidungen bestimmt. So sindheute, wie es der Berliner Palliativmediziner ProfessorChristof Müller-Busch sagt, Sterben und Tod zu einermedizinischen Aufgabe geworden, da es immer wenigervon den Krankheiten selbst abhängt, wann der Tod ein-tritt, sondern von medizinisch-ärztlichen Maßnahmen.Er führt weiter aus, dass Sterben innerhalb medizini-scher Institutionen letztlich immer nur dann ermöglichtwird, wenn auf Maßnahmen verzichtet wird, die zueiner, wenn auch begrenzten, Lebensverlängerung bei-tragen könnten.Aber gerade mit dieser Verzichtsentscheidung entste-hen viele ethische Probleme und sie stellt in der Tat hoheAnforderungen an alle Beteiligten. Da ist es gut, zu wis-sen, wie die Person selbst entschieden hätte. In solchenSituationen sind Patientenverfügungen und Vorsorge-vollmachten, wie sie 20 Prozent aller im Hospiz Behan-delten haben, wichtige Hilfen, um Entscheidungen zutreffen, die dem Willen der Patientin und des Patientenentsprechen. Hier stellt sich die zentrale Frage: Muss derin einer Verfügung festgelegte Wille unabhängig vomKrankheitsstadium befolgt werden – zumal wenn ergenau die Situation beschreibt – oder darf man den Wil-len missachten, weil der Patient ihn nicht mehr bestäti-gen kann und ein Dritter für ihn bzw. gegen ihn entschei-det? Ich sage dazu: Nein. Ich finde, das wäre eine falschverstandene Fürsorge.Nach einer Umfrage glauben 50 Prozent der befragtenÄrzte, es sei aktive Sterbehilfe, wenn sie aufgrund desgeäußerten Willens des Patienten die Atemgeräte abstel-len. Das macht nicht nur fehlendes juristisches Wissendeutlich, sondern das ist auch ein Indiz dafür, dass es zurNichtverwirklichung der Patientenautonomie kommt.
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Das Wort hat nun die Bundesministerin Brigitte
Zypries.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren Abgeordnete! Die Enquete-Kommission hatte sichmit allen Themen an der Schnittstelle von Ethik undRecht zu befassen. Das sind immer Themen, die ganzbesonders emotional bestimmt sind und deren rechtlicheBedeutung ganz besonders schwierig zu definieren ist.Das zeigt sich auch wieder an der Debatte um den Gel-tungsbereich der Patientenverfügung.Es stellt sich die Frage, wie diese Gesellschaft mitdem Tod umgeht. Sie steht immer im Hintergrund undwurde von den Vorrednerinnen und Vorrednern schondiskutiert. Jeder Einzelne hat aufgrund familiärer Ereig-nisse oder aufgrund von Sterbefällen im Freundeskreiseinen eigenen Erfahrungshintergrund und meint, in ge-wisser Weise mitreden zu können, wenn ich das so sagendarf. Eine andere Frage ist, welche rechtliche Verbind-lichkeit Entscheidungen in diesem Rahmen haben kön-nen.Ich finde es schön, dass die Debatte wieder einen ge-wissen Grad an Sachlichkeit erreicht hat. Insbesonderedanke ich meiner Vorrednerin dafür;
denn das ist mir wichtig. Ich möchte auch gerne, dassSie hier zur Kenntnis nehmen, dass ich das Recht desParlaments sehr wohl achte. Es kann deshalb keine Rededavon sein, dass ich einen Gesetzentwurf zurückgezogenhabe. Der entsprechende Entwurf war noch gar nichteingebracht, weil er über das Stadium eines Referenten-entwurfs überhaupt nicht hinausgekommen ist.
Anlass dafür, dass wir angefangen haben, uns mit die-sem Thema zu beschäftigen, war die Entscheidung desBundesgerichtshofs. Dass ein Bedarf besteht, sich mitder Frage „Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mitPatientenverfügungen um?“ auseinander zu setzen, er-hellt doch nicht zuletzt die Tatsache, dass es in Deutsch-land bereits 7 Millionen Patientenverfügungen gibt.
Trotzdem besteht große Rechtsunsicherheit darüber,welchen Geltungsbereich sie haben. Sie alle haben dazuviel Post bekommen. Bei uns im Ministerium ist bisherzu keinem anderen Thema so viel Post wie zu dieserFrage eingegangen. Die Mehrzahl der Menschen treibtdie Frage um: Wie kann ich mich darauf verlassen, dassdas, was ich will, tatsächlich gemacht wird? Dieses Pro-bBVrtDeApbcdhspgTjuwpDUw–TdMtFddDjiltgml–ug
Der Gesetzentwurf wurde also nicht zurückgezogen.ielmehr wird der Entwurf von Joachim Stünker, demechtspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfrak-ion, und anderen Rechtspolitikern übernommen.
ieser Gesetzentwurf ist nicht allein in unserem Hausentstanden, sondern er beruht auf der langen Arbeit einerrbeitsgruppe, in der Ärzte, Juristen, Vertreter der Hos-izbewegung, Wohlfahrtsverbände, Patienten- und Ver-raucherschutzverbände sowie die beiden großen Kir-hen mitgewirkt haben. Es ist also nicht so, dass aniesem Entwurf zwei Beamte gearbeitet und vorgegebenaben, wie er aussehen soll, sondern all diejenigen, dieich auch jetzt an diesem gesellschaftlichen Diskussions-rozess beteiligen, waren auch damals dabei.Ausgangspunkt der Überlegungen dieser Arbeits-ruppe, die ich mir zu Eigen gemacht habe, war in derat die Feststellung, dass jeder Mensch das Recht hat, ineder Phase seines Lebens für sich zu entscheiden, obnd welche medizinischen Maßnahmen für ihn ergriffenerden. Ich sage immer: Der Arzt empfiehlt die Thera-ie und der Patient muss entscheiden, ob er sie macht.as ist der normale Gang der Dinge.
mgekehrt ist schön, dass auch klargestellt wurde, dassir nicht über aktive Sterbehilfe reden. Niemand darfdas ist ganz klar – einen anderen Menschen aktiv töten.ötung auf Verlangen ist und bleibt strafbar. Darüber re-en wir in diesem Zusammenhang gar nicht.Wir stellen uns die Frage: Wie kann der Wille derenschen, die sich nicht mehr artikulieren können,ransportiert werden? Das kann sich zum einen auf dierage beziehen – das möchte ich gerne noch einmaleutlich machen –, was alles nicht gemacht werden soll;ieser Aspekt ist schon mehrfach beleuchtet worden.as kann sich zum anderen auch darauf beziehen, dassemand in seiner Patientenverfügung festlegt, dass fürhn alles medizinisch Mögliche getan wird, damit er soange wie möglich lebt. Ich möchte herzlich darum bit-en, dies bei der ganzen Debatte nicht zu vergessen. Eseht nicht um die Frage: Wie sterbe ich schneller? Viel-ehr geht es darum: Wie transportiere ich meinen Wil-en? Natürlich kann der Wille auch darauf gerichtet sein das sagte ich eben –, dass alles medizinisch Möglichenternommen wird. Diesen Punkt sollten wir nicht ver-essen.
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Bundesministerin Brigitte ZypriesIch möchte gerne noch drei Punkte ansprechen. Esmuss klargestellt werden, dass eine Patientenverfügungso lange gilt, wie keine Anhaltspunkte dafür vorliegen,dass sie widerrufen wurde. Das heißt, man muss von ei-ner bestimmten Aktualität ausgehen. Ihre Beispiele vonmehrere Jahre alten Verfügungen lassen natürlich denPatientenwillen fragwürdig erscheinen, weil man nichtweiß, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. UnsereArbeitsgruppe hat empfohlen – das hat mir eingeleuch-tet –, an das Ende eine Gesamtschau des Lebens zu stel-len und die Lebenssituation des Patienten zu beschrei-ben, damit sich Arzt oder Ärztin ein Bild über die Personmachen können.Die Patientenverfügung muss in jedem Krankheitssta-dium gelten. Die Einschränkung der Reichweite, die hierauch schon behandelt wurde, halte ich für nicht vertret-bar. Ich möchte Sie bitten, dass bei der sicherlich statt-findenden Anhörung dazu auch Verfassungsrechtler ge-hört werden.
Mir scheint es in der Tat auch ein verfassungsrechtlichesProblem zu sein, inwieweit der Staat legitimiert ist, dasSelbstbestimmungsrecht der Menschen für einen be-stimmten Zeitraum ihres Lebens einzuschränken.
Solange jemand reden kann, ist das unbestritten. Wenndie Krankheit einen irreversiblen tödlichen Verlaufgenommen hat, ist es auch unbestritten. Die Frage ist:Woraus ergibt sich die staatliche Legitimation, ineinem bestimmten Stadium festzulegen, dass nun derMensch nicht mehr selber entscheiden darf? Das müssenwir, der Gesetzgeber, legitimieren; denn sonst darf ernicht in die Grundrechte eingreifen. Das ist das kleineEinmaleins der Grundrechte.Natürlich müssen Patientenverfügungen immer in ir-gendeiner Form ausgelegt werden. Es wird selten sein– das wurde schon gesagt –, dass der Fall hundertpro-zentig eintritt. Insofern kann ich Ihr Beispiel, HerrWodarg, nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlichsteht dahinter die Einschätzung, dass nach einer be-stimmten Zeit im Koma ein bestimmter Prozess einge-treten ist. Wenn Ärzte aber bescheinigen können, dassdieser Prozess eben nicht eingetreten ist, sondern es nureine Woche länger dauert als üblicherweise,
dann ist die Auslegung der Patientenverfügung, dasser es so nicht gemeint hat, nur natürlich.
– Wir werden das alles diskutieren. Meine Redezeit läuftmir leider weg.sebzsbWndcwgmWülesMsGWWdnwrkKnkCWzkavddEi
ir wollen hinterher am Krankenbett nicht einen Streitber Formalitäten austragen. Das würde niemand wol-n.Ein Aspekt ist mir noch wichtig: Die generelle Ein-chaltung des Vormundschaftsgerichts, die Sie und dieehrheit der Enquete vorsehen, und auch die vorge-chaltete Einbindung eines Konsils scheint mir in diesereneralität nicht praktikabel.
ir müssen auch darauf achten, was vernünftig ist.enn weder beim Arzt noch beim Betreuer Zweifel überen Patientenwillen bestehen, dann kann ich nicht erken-en, warum ein Gericht angerufen werden soll. Ichürde herzlich bitten, darüber noch einmal zu diskutie-en. Das Gericht sieht die Sache völlig von außen undennt weder den Patienten noch den Arzt oder denrankheitsverlauf. Darüber hinaus hat es keinen medizi-ischen Sachverstand. Das scheint mir nicht vernünftig.Ich freue mich auf eine sachliche und intensive Dis-ussion mit Ihnen in der nächsten Zeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Granold, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ir haben uns vor wenigen Wochen erst im Rahmen derweiten Änderung des Betreuungsrechts mit der Stär-ung der Vorsorgevollmacht befasst und dabei dort unduch in anderen reformbedürftigen Punkten großes Ein-ernehmen in diesem Haus erzielt. Es bleibt zu hoffen,ass uns das jetzt mit den anstehenden Beratungen zurritten Änderung des Betreuungsrechts ebenso gelingt.s geht um die Patientenverfügung.Wir wissen, dass die Thematik ungleich schwierigerst als bei der Vorsorgevollmacht. Das kann man schon
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Ute Granoldfeststellen, wenn man sich mit dem Zwischenbericht derEnquete-Kommission befasst, aber auch wenn man dievielen Eingaben liest, die von Verbänden und Bürgernkommen. Ich nenne stellvertretend für viele die Deut-sche Hospiz-Stiftung und die beiden Kirchen.Die Erwartungen, aber auch die Ängste der Menschenin unserem Land müssen in den anstehenden Beratungenaufgenommen werden. Im Spannungsfeld zwischen demgrundrechtlich verankerten Schutz des Lebens und demebenso im Grundgesetz verankerten Recht auf Selbstbe-stimmung müssen auf breiter Basis tragbare Regelungengefunden werden.Dabei geht es auch um die Frage nach dem wertge-bundenen Maßstab von Politik, um die Frage nach demMenschenbild. Unser europäisches Menschenbild, dasauch unserer Verfassung zugrunde liegt, hat antike, jüdi-sche und vor allem christliche Quellen. Dieses Men-schenbild bestimmt sich über den Begriff der Würde, dieabsolut ist. Wer diesen Absolutheitsanspruch versagt,muss wissen, dass er damit Dritten eine Verfügungsvoll-macht zubilligt, die das Ende der Selbstbestimmung ei-nes Menschen bedeutet.
Die Würde des Menschen ist vor jeder Einschränkungzu schützen, und zwar unabhängig von seiner augen-blicklichen Verfassung. Die Würde ist unantastbar unddamit sind auch der eigenen Gestaltungsmacht Grenzengesetzt. Der Natur ihr Recht zu belassen, verlangt denVerzicht auf sterbebeschleunigende Maßnahmen und ge-bietet umgekehrt nicht den Einsatz einer lebensverlän-gernden Maßnahme um jeden Preis.Die Schlussfolgerung hieraus ist – bei einem christli-chen Menschenbild – ein unmissverständliches Verbotder aktiven Sterbehilfe. Passive Sterbehilfe hingegen,die auf ein menschenwürdiges Sterben-Lassen hinzielt,ist erlaubt, vielleicht sogar in einer größeren Zahl vonFällen geboten.Wenn nun die Frage gestellt wird: „Wer entscheidet,was zu tun oder zu lassen ist?“, dann steht sicherlich derWille des Patienten – bei Begleitung durch den Arzt –im Vordergrund. Gesetzgebung und Rechtsprechung ha-ben hierbei einen Rahmen zu setzen, in dem eine Ent-scheidung zu treffen ist. Letztlich fließen zahllose Ein-zelgesichtspunkte in die Entscheidung ein, die ein klugesund bedachtes Urteil erfordern.Eine komplette Verrechtlichung dort vorzunehmen,wo der Mensch dem Gang der Natur folgend die Grenzezwischen Leben und Tod überschreitet, bringt uns keinerLösung näher; denn dann schlägt nicht die Stunde desJuristen oder des Philosophen; dann geht es allein da-rum, dass der Mensch dem Menschen als Mensch begeg-net.Die Erfahrungen in der Palliativmedizin und der Hos-pizbewegung sind in dieser Situation identisch. KeinSchwerkranker will sterben, wenn seine Schmerzen undandere Symptome kontrolliert sind und er als Menschangenommen ist. Dieser elementare Lebenswunsch desSdmqMdvdfnvrVkdKSdwwgsssgKPzsrdgfhwgdSk8n
Wenn der Wille des Patienten wesentlicher Maßstabes Handelns sein soll, dann findet er in der Patienten-erfügung den richtigen Niederschlag und als Ausdrucker Selbstbestimmung seine Rechtfertigung in der Ver-assung. Bislang ist die Patientenverfügung gesetzlichicht geregelt, aber viel diskutiert. Fragen bestehen inielerlei Hinsicht, etwa bezüglich der Wirksamkeitsvo-aussetzungen, der Umsetzung oder der Beteiligung desormundschaftsgerichts.Der BGH hat bereits vor zwei Jahren die Verbindlich-eit einer Patientenverfügung für die Fälle bestätigt, inenen ein Patient einwilligungsunfähig ist und dierankheit einen irreversiblen Verlauf genommen hat.oweit ein solcher erklärter Wille nicht festgestellt wer-en kann, so der BGH, beurteilt sich die Zulässigkeit et-aiger Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen,obei in Betreuungsfällen bei Beendigung lebensverlän-ernder Maßnahmen die Genehmigung des Vormund-chaftsgerichts erforderlich ist.Wenn nun der Gesetzgeber mit Blick auf die Recht-prechung gefragt ist, ein Stück weit Rechtssicherheit zuchaffen, führt schon die Frage der Gültigkeit zu einerroßen Diskussion. Wir sind bereits in der Enquete-ommission unterschiedlicher Auffassung. 7 Millionenatientenverfügungen – wir haben es gerade gehört –eigen den dringenden Regelungsbedarf auf. Im Kon-ens darüber, dass die Basisversorgung, das heißt Ernäh-ung und Körperpflege, nicht zur Disposition stehenarf, scheint der von der Deutschen Hospiz-Stiftung auf-ezeigte Weg vorzugswürdig zu sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ja.
Bitte, Frau Nickels.
Frau Kollegin, die Zahl von 7 Millionen Patientenver-ügungen in Deutschland geistert durch alle Blätter. Ichabe mich intensiv darum bemüht, zu erfahren, nachelchen statistischen Erhebungen diese Zahl zustandeekommen ist. Ich habe nur eine einzige Quelle gefun-en: eine Emnid-Umfrage von Juni 1999. Das war einetichprobe. 1 000 Menschen sind generell zu Willenser-lärungen befragt worden. Daraus hat man auf alle0 Millionen Menschen – einschließlich Kinder, nochicht Volljährige, nicht Einwilligungsfähige – die Zahl
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Christa Nickelsder Patientenverfügungen hochgerechnet. Ich habe auchmit Fachleuten darüber gesprochen. Sie haben mir ge-sagt, diese Zahl sei nicht valide.Meine Frage ist: Haben Sie außer dieser Emnid-Um-frage von 1999, bei der 1 000 Personen befragt wordensind, eine aktuelle oder überhaupt eine andere Quelle?Das würde mich sehr interessieren. Ich kenne keine.
Auch ich habe nur diese Zahl. Es ist aber nicht so
wichtig, denke ich, ob es nun 7 Millionen oder
5 Millionen oder 4 Millionen sind. Solange nicht festge-
legt ist, wie eine Patientenverfügung definiert ist – es
gibt keinen festgelegten Rahmen, es gibt keinen festge-
legten Inhalt –, ist es schwer, festzustellen: Ist das eine
Patientenverfügung, wie wir sie meinen, oder ist es die
Niederlegung eines Willens dazu, wie am Lebensende zu
verfahren ist?
Auch wenn es nur 2 Millionen Patientenverfügungen
wären: Das zeigt, dass die Menschen eine Möglichkeit
erhalten sollten, für sich in Sicherheit festzulegen, wie in
einer Situation zum Lebensende, wenn nicht mehr die
Möglichkeit besteht, frei zu entscheiden, verfahren wer-
den soll. Angesichts dessen ist es unsere Aufgabe, hier-
für einen Rechtsrahmen zu schaffen. Das ist Grundlage
unseres Gesprächs.
Zurück zu dem, worüber in diesem Haus Konsens be-
steht. Die Grundversorgung, das heißt Ernährung und
Körperpflege, sollte nicht zur Disposition stehen. Meiner
Meinung nach ist der Weg, den die Deutsche Hospiz-
Stiftung aufzeigt, vorzugswürdig. Danach soll die Ver-
bindlichkeit der Patientenverfügung zwar in ihrem Kern
nicht beschränkt, wohl aber festgeschrieben werden und
ihre Grenze im geltenden Recht finden. Unsere Verfas-
sung hatte ich schon vorhin angesprochen.
Möglichen Missbrauchsgefahren kann durch erhöhte
Qualitätskriterien begegnet werden: Schriftform der
Patientenverfügung, umfassende Beratungs- und Infor-
mationspflichten sowie entsprechende Verfahrensvor-
schriften, grundsätzliche Beteiligung des Vormund-
schaftsgerichts und – ganz wichtig – das Konsil. Es ist
erfreulich, dass bezüglich des Schriftformerfordernisses
der Patientenverfügung mittlerweile keine Diskussion
mehr besteht und dass auch das Bundesjustizministerium
dessen Notwendigkeit erkannt hat. Wünschenswert wäre
außerdem, eine vorgeschaltete, umfassende Beratungs-
pflicht und eine regelmäßige Aktualisierung als zwin-
gende Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Patientenver-
fügung festzuschreiben. Ein Konsil ist meines Erachtens
in allen Fällen verbindlich festzuschreiben.
Bei der Frage, ob in jedem Fall bei Verzicht oder Ab-
bruch einer lebenserhaltenden Maßnahme das Vormund-
schaftsgericht eingebunden werden muss, sollte eben-
falls im Sinne der Empfehlung der Deutschen Hospiz-
Stiftung differenziert werden. Eine vormundschaftsge-
richtliche Entscheidung sollte nur dann erforderlich sein,
wenn eine verbindliche Patientenverfügung nicht vor-
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Christoph Strässer,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Tatsache, dass und wie wir diskutieren,eigt schon, dass es hier gesetzgeberischen Handlungs-edarf gibt. Ich bin froh, dass wir mit der heutigen De-atte in die Diskussion einsteigen und ihr – hoffentlich –inen vernünftigen sowie der Schwere und der Ernsthaf-igkeit des Problems angemessenen Rahmen geben. Ichin dezidiert der Auffassung, dass es – ich glaube, das istesellschaftlich feststellbar – einen sehr großen undringenden Bedarf gibt, die Fragen, über die wir heuteeden, gesetzgeberisch zu regeln.
abei ist es mir gleichgültig, ob es sich um mehr oder we-iger als 7 Millionen Patientenverfügungen in Deutsch-nd – diese Zahl habe ich ebenfalls in meinem Manu-kript stehen – handelt.Ich glaube, dass man die Veränderung der Einstellungu diesem Thema in der Gesellschaft sehen kann. Mitt-erweile machen sich nicht nur ältere Menschen Gedan-en darüber, wie sie mit ihrem Leben am Lebensendemgehen wollen, sondern auch zunehmend jüngere. Ichinde, dass das eine Auseinandersetzung mit der Zukunftst, die wir als Gesetzgeber ernst nehmen müssen. Ichage an dieser Stelle an die Adresse von Wolfgangodarg und anderen: Wenn wir hier, wo es Handlungs-nd Entscheidungsbedarf gibt, über das Problem aus-chließlich unter dem Aspekt der Verrechtlichung dis-utieren, dann sind wir auf einem völlig falschen Trip.ber wer, bitte schön, soll letztendlich darüber entschei-en und die Regeln festlegen können, wie eine Patien-enverfügung auszusehen hat und welche Voraussetzun-en an ihre Wirksamkeit zu stellen sind, wenn nicht daseltende Recht, die Rechtsordnung in diesem Staat? Dasst die Grenze, über die wir reden und die wir letztend-ich bestimmen müssen. Das ist genau der Punkt, um dens geht.
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Christoph Strässer
Das Urteil des BGH ist bereits angesprochen worden.Ich glaube, schon hier ist deutlich geworden, dass zwarbestimmte, nicht aber alle Fälle geklärt worden sind unddass weiterhin ein großer Klärungsbedarf besteht. Des-halb ist es wichtig, dass wir uns mit diesem Thema be-schäftigen. Wir, die SPD-Fraktion, insbesondere die Ar-beitsgruppe „Recht“, sind dezidiert der Auffassung, dasswir dieses Problem lösen müssen, und zwar im Rahmendes Betreuungsrechts. Das werden wir auf den Weg brin-gen. An dieser Stelle wollen wir mehr Rechtssicherheitund Rechtsklarheit. Ich denke, dass ist das, was die Be-troffenen von uns, dem Gesetzgeber, erwarten. Das soll-ten wir ihnen auch geben.
Ich bin zwar sehr froh, dass die Enquete-Kommissionnun einen umfassenden Zwischenbericht vorgelegt hat.Aber wir sollten, wie ich bereits eingangs gesagt habe,mit dem notwendigen Ernst und Respekt vor der Auffas-sung Andersdenkender diskutieren. Herr Kollege Kauch,ich finde es daher nicht hilfreich, wenn Sie hier behaup-ten, dass rot-grüne paternalistische Hardliner das Gesetzvom Tisch gefegt hätten. Das hilft uns nicht. Ich sagevielmehr: Es hat einen Gesetzentwurf im Hause desBundesjustizministeriums gegeben. Wenn eine Entschei-dung nicht an Fraktionsgrenzen festzumachen ist und einRegierungsentwurf nicht weiterverfolgt wird, dann findeich das einen richtigen und guten Weg, der nicht Häme,sondern Unterstützung und Beifall verdient.
Genauso wenig sollten sich diejenigen, die der Mehr-heitsmeinung der Enquete-Kommission folgen, dazuhinreißen lassen, denjenigen, die eine rechtssichere For-mulierung wollen, den Einstieg in die aktive Sterbehilfevorzuwerfen. Meine Damen und Herren, liebe Kollegin-nen und Kollegen, diesen Ansatz lassen wir uns in dieserDiskussion nicht aufzwingen. Wer der Auffassung ist,dass es eine verbindliche, eine wirksame Patientenverfü-gung auch für den Fall von nicht irreversiblen Krankhei-ten geben muss, spricht sich nicht für aktive Sterbehilfeaus. Wir sind weit davon entfernt. Ich bitte auch diejeni-gen, die das anders sehen, dies zu respektieren, damitwir eine sachliche, vernünftige Grundlage für die wei-tere Debatte haben.
Ich möchte die Dinge ansprechen, die aus meinerSicht geregelt werden müssen; ich glaube, dass das diePunkte sind, über die wir bei den verschiedenen Gesetz-entwürfen zu reden haben werden.Zunächst einmal ist für mich – dabei bin ich sehr nahean dem nicht mehr existenten
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Nun hat das Wort der Kollege Hubert Hüppe, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lebenn einer Zeit, in der Sterberituale verkümmern. Angehö-ige haben keine Zeit oder fühlen sich überfordert. Im-er mehr Menschen sterben heute, ohne dass sie selbstemals einen Sterbenden gesehen haben. Der Tod wirdns immer fremder. Das ist unnatürlich und fördert diengst vor dem Tod. Wo Sterben nicht mehr als das Teiles Lebens verstanden wird, geht die Kultur des Ster-ens verloren.Die meisten Menschen wünschen, dass das medizi-isch Notwendige und Sinnvolle getan wird. Keinensch möchte unter unerträglichen Schmerzen leiden.iemand möchte in seinen letzten Stunden abgeschobenerden und einsam sterben. Deswegen – das sage ichier noch einmal ganz deutlich – fände ich es richtiger,ir würden uns im Deutschen Bundestag erst einmal da-it beschäftigen, wie wir eine flächendeckende Pallia-ivversorgung gewährleisten, bevor wir über die Patien-enverfügung sprechen, die dann vielleicht gar nichtehr notwendig wäre.
Die Frage ist: Wie können wir erreichen, dass Men-chen zu Hause sterben können und nicht, wie jetzt, zu0 Prozent in Einrichtungen? Wie können wir ambulante
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15261
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Hubert HüppeHilfen aufbauen und die Angehörigen dabei unterstüt-zen, diese Menschen zu begleiten? Wie können wir einevernünftige Schmerzbehandlung gewährleisten? Alle,die Kutzer-Kommission, die Justizministerin und dieBioethik-Kommission Rheinland-Pfalz, haben immerbetont, dass hier in Deutschland noch viel Nachholbe-darf besteht.Doch statt diese Hilfen für Menschen zu regeln, sol-len jetzt zunächst die Patientenverfügungen geregeltwerden. Unter diesem Druck ist auch der Zwischenbe-richt der Enquete-Kommission entstanden.Immer wieder wird gesagt, durch Patientenverfügun-gen solle die Selbstbestimmung abgesichert werden.Aber ist das wirklich so? Einem Patienten wird vor ei-nem ärztlichen Eingriff eine Diagnose erklärt. Der Arztberät ihn über die verschiedenen medizinischen Mög-lichkeiten, die Risiken und Heilungschancen. Dannstimmt der Patient zu oder er lehnt die Maßnahme ab.Von der Patientenverfügung allerdings wird erwartet,dass diese Einwilligung oder Nichteinwilligung im Vo-raus festgelegt wird – selbst dann, wenn man gar nichtweiß, welche Krankheit später einmal eintritt.Kann ich heute eine Entscheidung für alle denkbarenErkrankungen treffen? Kann ich wirklich wissen, ob ichin ein, zwei oder gar zehn Jahren noch genauso denke?Würde nicht jemand, der heute eine lebensverlängerndeOperation ablehnt, später vielleicht in seiner konkretenSituation ganz anders denken – wenn er zum Beispielwüsste, dass er dann noch die Chance hätte, seinen En-kel, dessen Geburt gerade bevorsteht, einmal vor seinemTod zu sehen?
Das ist natürlich nur ein Einzelfall. Das zeigt aber, wieschwierig so etwas im Vorhinein zu beurteilen ist. Dasist für mich der viel wichtigere Punkt. Wer weiß schon,wie er empfinden würde, wenn er sich im Wachkoma be-findet oder altersverwirrt ist?Sicher, es gibt immer wieder Situationen, in deneneine Patientenverfügung sinnvoll sein kann. Das hatauch keiner hier im Hause bezweifelt. Ich meine auch, essollten nicht immer alle Dinge getan werden, die dieHochleistungsmedizin ermöglicht. Inzwischen sagen mirdie Praktiker aber, dass das nicht mehr die große Gefahrist. Ich weiß auch nicht, ob die Ängste, die im Zusam-menhang mit der Hochleistungsmedizin geschürt werden– das klang heute manchmal mit –, einen Bezug zur Rea-lität haben. Ich habe vielmehr aufgrund der Ressourcen-diskussion für die Zukunft Angst, dass wir nicht mehralle Mittel haben werden, den Menschen die Hilfen– auch die medizinischen Hilfen – zukommen zu lassen,die sie eigentlich brauchten. Ich habe nicht die Angst– ich war in vielen Einrichtungen –, dass es zu viel Zeitfür die Pflege gibt. Ich habe eher die Angst, dass es zuwenig Zeit für die Pflege gibt. Man muss einmal deutlichmachen, dass das die eigentliche Problematik ist.
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Ich füge noch etwas an: Überlegen Sie sich einmal,
was Sie dem Pflegepersonal in diesem Falle zumuten!
Bei den Pflegenden handelt es sich um Menschen, die
sich oft viel mehr um die Patienten kümmern und mehr
Zeit mit ihnen verbringen als der Arzt – das geht auch
gar nicht anders – und manchmal auch mehr als die Be-
treuer. Hauptberufliche Betreuer werden nach dem, was
wir gerade beschlossen haben, nur noch für zweieinhalb
Stunden im Monat bezahlt. Gerade die Pfleger sollen je-
doch nicht mitentscheiden. Sie müssen dann aber mit an-
sehen, wie ein Mensch, den sie gestreichelt haben, mit
dem sie gesprochen haben und den sie sauber gemacht
haben, verhungert. Sie wollen diesen Menschen also zu-
muten, mit ansehen zu müssen, wie ihre Patienten über
Tage oder Wochen oder gar, wie Frau Nickels sagte, über
Monate verhungern. Meine Damen und Herren, ich
möchte nicht, dass so etwas in Deutschland geschieht.
Das möchte ich den Pflegerinnen und Pflegern nicht zu-
muten.
Wachkomapatienten sind eben, um das noch einmal
zu sagen, keine Hirntoten, keine Sterbenden und auch
keine lebenden Toten, wie manchmal gesagt wird, son-
dern es handelt sich einfach um Menschen mit einer Be-
hinderung auf einer anderen Bewusstseinsebene.
Aufgrund Ihrer Frage kann ich meinen Redetext ver-
kürzen; dieser Punkt wäre jetzt vorgesehen gewesen. Ich
bin dankbar, dass ich jetzt noch auf etwas anderes einge-
hen kann.
Meine Damen und Herren, das Gleiche, was ich ge-
rade zu Wachkomapatienten gesagt habe, gilt auch für
Altersdemente. Deswegen hat die Enquete-Kommis-
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carolaeimann, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
rasante medizinische Entwicklung, die technischen und
medikamentösen Möglichkeiten der letzten Jahrzehnte
haben dazu geführt, dass Leben in wesentlich größerem
Ausmaß als früher gerettet, aber eben auch verlängert
werden kann. Wie so häufig besitzt diese im Grunde sehr
erfreuliche Entwicklung auch eine Kehrseite. Viele
Menschen haben Angst vor zusätzlichen Schmerzen und
Leiden durch intensivmedizinische Maßnahmen am Le-
bensende. Die Vorstellung, nicht mehr äußerungsfähig
zu sein und somit nicht mehr selbst über medizinische
Maßnahmen entscheiden zu können, ist für viele beängs-
tigend.
An diesem Punkt setzt das Instrument der Patienten-
verfügung an. Wir reden hier über Patientenverfügun-
gen, nicht über Sterbehilfe und andere Dinge. Ich bitte,
das im Sinne einer differenzierten Diskussion zu tren-
nen.
Die Patientenverfügung soll die Patientenautonomie
stärken und eine selbstbestimmte Entscheidung am Le-
bensende ermöglichen. Deshalb unterstütze ich, wie die
Kollegen, die Empfehlung der Enquete-Kommission,
dies gesetzlich zu regeln.
Im Gegensatz zu den Empfehlungen im Zwischenbe-
richt vertrete ich jedoch ein Konzept, das eine stärkere
Verbindlichkeit bei gleichzeitig größerer Reichweite von
Patientenverfügungen und somit eine deutlichere Stär-
kung der Patientenautonomie vorsieht. Zusammen mit
den Kollegen Volkmer, Mayer und der Sachverständigen
Professor Albers bin ich der Auffassung, dass die Ver-
bindlichkeit von Patientenverfügungen nicht auf
Konstellationen beschränkt sein sollte, in denen das
Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Be-
handlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führt.
Denn die Beurteilung, ob es sich in der Tat um ein ir-
reversibles, zum Tode führendes Grundleiden handelt,
ist auch für Ärzte in vielen Fällen kaum möglich.
Gleichzeitig drohen den Ärzten bei einer Fehleinschät-
zung rechtliche Sanktionen. Vor diesem Hintergrund be-
steht immer die Gefahr, dass Ärzte behandlungsableh-
nende Patientenverfügungen – über die reden wir im
Wesentlichen – nicht oder nicht vollständig beachten
und der in der Verfügung enthaltene Wille des Patienten
dann doch unberücksichtigt bleibt. Letztlich führt das zu
keiner Verbesserung der bisherigen Situation.
Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass durch die
Einschränkung der Reichweite und der Verbindlichkeit
von Patientenverfügungen, wie sie die Empfehlungen
des Zwischenberichts vorsehen, das Recht jedes Einzel-
nen auf Selbstbestimmung zu stark beschnitten wird. Bei
aller notwendigen Fürsorge des Staates darf der Gesetz-
geber die Freiheit des Einzelnen, der eine informierte
Entscheidung für sich persönlich trifft, nicht in diesem
Ausmaß begrenzen.
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Kolleginnen und Kollegen, aus diesem Grunde bin
ch der Ansicht, dass es keine Einschränkung bei der
erbindlichkeit und der Reichweite von Patientenverfü-
ungen geben sollte, wenn – das ist der entscheidende
unkt – bestimmte Wirksamkeitsvoraussetzungen er-
üllt sind. Dazu zählen die Schriftlichkeit der Patienten-
erfügung, die ärztliche Aufklärung und Information vor
er Verfassung der Patientenverfügung und eine regel-
äßige Aktualisierung der Patientenverfügung.
Die ärztliche Aufklärung dient dazu, über Krankhei-
en und denkbare Verläufe, medizinische Möglichkeiten
nd Behandlungsalternativen zu informieren. Denn na-
ürlich sind Patientenverfügungen – das ist schon ange-
lungen – Vorausverfügungen mit all den Unzulänglich-
eiten, die Extrapolationen nun einmal haben. Das muss
edem Einzelnen klar sein. In einem solchen Gespräch
önnen auch mögliche Fehlvorstellungen angesprochen
nd Ängste ausgeräumt werden sowie die Folgen eines
ehandlungsverzichts sehr deutlich gemacht werden.
Auch die Aktualisierung der Patientenverfügung
ollte mit einer erneuten Beratung einhergehen, damit
er Verfasser einer solchen Verfügung auf diese Weise
egelmäßig über medizinisch-technische Fortschritte,
ber neue Behandlungsmöglichkeiten und auch über
ntwicklungen der Palliativmedizin informiert werden
ann.
Durch die genannten Wirksamkeitsvoraussetzungen
st meiner Ansicht nach sichergestellt, dass der Einzelne
ut informiert ist und eine reflektierte Entscheidung
rifft. Denn eine Patientenverfügung zu verfassen ist et-
as anderes, als sich einfach nur ein Formular aus dem
nternet herunterzuladen und zu unterschreiben. Unter
iesen Voraussetzungen sind eine uneingeschränkte Ver-
indlichkeit und eine uneingeschränkte Reichweite von
atientenverfügungen meiner Ansicht nach verantwort-
ar.
Kolleginnen und Kollegen, Ziel muss es sein, ein
enschenwürdiges und bis zuletzt selbstbestimmtes Le-
en auf der Basis einer ausreichenden Information und
iner reflektierten Entscheidung zu ermöglichen. Die
opplung der Reichweite und Verbindlichkeit von Pa-
ientenverfügungen an die genannten – ich finde: sehr
trengen – Wirksamkeitsvoraussetzungen halte ich für
en besten Weg, dieses Ziel zu erreichen und die Patien-
enautonomie auch am Lebensende zu stärken.
Herzlichen Dank.
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält dasort die Kollegin Dr. Marlies Volkmer, SPD-Fraktion.
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15264 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Le-
ben und Sterben eines jeden Menschen sind immer ein-
malig. Was Menschen für sich ablehnen und als unzu-
mutbare Belastung oder vielleicht sogar als würdelos
empfinden, ist ganz unterschiedlich und hängt ganz ent-
scheidend von religiösen und weltanschaulichen Einstel-
lungen ab. Dieses Selbstverständnis der Betroffenen ha-
ben wir zu respektieren; denn es geht um ihr Leben und
um ihr Sterben. In den Fällen, in denen ein Patient nicht
mehr mit dem Arzt kommunizieren kann, ist der mut-
maßliche Wille des Patienten maßgeblich.
Patientenverfügungen sind ein Instrument, um diesen
mutmaßlichen Willen zu ermitteln. Menschen schließen
eine Patientenverfügung ab, weil sie nicht wollen, dass
sie zum Objekt medizinischer Eingriffe gemacht werden,
wenn sie entscheidungs- und äußerungsunfähig sind. Es
handelt sich häufig um Eingriffe, die zwar gut gemeint
sind, die aber mit den Wünschen und Vorstellungen der
Betroffenen häufig nichts zu tun haben.
Das sind zum Teil Eingriffe, die den Charakter einer
Zwangsbehandlung haben.
Patientinnen und Patienten müssen Gewissheit haben,
dass ihre Auseinandersetzung mit dem Sterben ernst ge-
nommen wird. Auch Angehörigen muss die Ohnmacht
genommen werden, mit der sie zusehen müssen, wie ihre
Mutter oder ihr Vater gegen den erklärten Willen weiter-
behandelt wird. Ärzte müssen Rechtssicherheit haben,
wenn sie lebenserhaltende Maßnahmen nicht anwenden.
Deshalb sollte die Verbindlichkeit von Patientenverfü-
gungen, die einen Behandlungsabbruch oder einen Be-
handlungsverzicht vorsehen, nicht davon abhängen, dass
das Grundleiden irreversibel ist und trotz Behandlung
zum Tode führen wird.
Aus einer ethischen Perspektive, die die Selbstbestim-
mung und die Menschenwürde achtet, ist die Verbind-
lichkeit solcher Verfügungen, die den Abbruch lebens-
erhaltender Maßnahmen fordern, genauso schützenswert
wie Verfügungen, die vorab die Einwilligung in sämtli-
che lebenserhaltende Maßnahmen erklären. Das ist ein
ganz wesentlicher Unterschied zur Mehrheitsmeinung
der Enquete-Kommission.
Patientenverfügungen sind schwer wiegende Ent-
scheidungen über eine Situation in der Zukunft, die
schwer vorauszusehen ist und die keine Kommunikation
mit der Verfasserin oder mit dem Verfasser zulässt.
Die Entscheidung ist nur dann selbstbestimmt, wenn
sie im Bewusstsein ihrer Tragweite und der Konsequen-
zen gefällt wird. Deswegen bedürfen solche Verfügun-
gen mit uneingeschränkter Reichweite der Schriftform
und der Beratung – ich plädiere für die ärztliche Bera-
tung vor der Abfassung – sowie einer Aktualisierung,
weil sich die Lebensumstände und auch die medizini-
schen Möglichkeiten ändern.
Wir alle haben Angst vor dem Sterben, insbesondere
vor Schmerzen und Einsamkeit. Die Patientenverfügung
kann uns vor unnötigen Behandlungen, die wir ablehnen,
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Zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer
eschäftsordnung hat nun der Kollege Rolf Stöckel das
ort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichöchte mich dazu äußern, dass Herr Hüppe im Zu-ammenhang mit der Gefährdung von Altersdementennd Wachkomapatienten behauptet hat, dass ich diechweizer Freitodregelung, das heißt den assistiertenuizid, befürworten würde. Ich möchte hierzu eindeutigrklären, dass wir hier über Patientenverfügungen undelbstbestimmungsrechte diskutieren und nicht übereitergehende mögliche Änderungen des Strafgesetz-uches, wozu jeder eine persönliche Meinung habenann. Ich weise von mir, gesagt zu haben, ich sei für diebernahme der Schweizer Freitodregelung.Er bezieht sich, wie ich jedenfalls vermute, auf einenrtikel im „Rheinischen Merkur“ vom heutigen Tage,er zufällig den gleichen Anfang hat wie die Rede derollegin Nickels, nämlich: „Alte, gebt den Löffel ab!“.
s geht um ein Zitat, das der betreffende Journalist imbrigen richtig wiedergegeben hat. Damit alle infor-iert sind, lese ich es hier vor:„Ich halte die Schweizer Rechtslage für sinnvoll.Ich nehme einfach zur Kenntnis, dass auch sehrviele schwer erkrankte Patienten aus Deutschlanddiese Regelung nutzen“, sagt SPD-Mann RolfStöckel. „In Deutschland müsste es dazu eine breiteDebatte geben.“Dass die hier nicht stattfindet, haben alle festgestellt.ass sie vielleicht in Zukunft stattfinden wird, weil proahr 500 schwer erkrankte Patienten Gründe dafür habenüssen, die Schweizer Regelung zu nutzen, ist ein Hin-eis darauf, dass wir vielleicht doch das eine oder an-ere regeln sollten, wenn wir ein solches Vorgehen ineutschland verhindern wollen.Wir sollten aber aufhören – die Debatte war qualitativochwertig; auf unterschiedliche Meinungen und ethi-che Vorstellungen wurde Rücksicht genommen; einigelare rechtliche Hinweise wurden gegeben –, ständigurch irgendwelche Unterstellungen demjenigen, der an-ers denkt oder eine andere Einstellung hat, aber viel-eicht auch Ahnung von dem Thema hat, etwas an dieacke zu kleben. Das möchte ich hier deutlich erklären.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15265
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Nein, es besteht keine Möglichkeit der Erwiderung,
weil es sich hier nicht um eine Kurzintervention handelt,
sondern um eine persönliche Erklärung zur Aussprache.
Die ist auch formgerecht erfolgt und insofern nicht zu
beanstanden.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3700 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht so
aus. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d auf:
5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-
Theodor Freiherr von und zu Guttenberg,
Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Für ein stärkeres Engagement der Europäi-
schen Union auf dem westlichen Balkan
– Drucksache 15/4722 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rainer Stinner, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Europäische Zukunft für Bosnien und Herze-
gowina – „Bonn Powers“ des Hohen Reprä-
sentanten abschaffen
– Drucksache 15/4406 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Dr. Rainer Stinner, Dr. Werner Hoyer, Daniel
Bahr , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Status des Kosovos als EU-Treuhandgebiet
– Drucksachen 15/2860, 15/4799 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ludger Volmer
Dr. Rainer Stinner
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung über die Ergeb-
nisse ihrer Bemühungen um die Weiterent-
wicklung der politischen und ökonomischen
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Nein. – Das impliziert, dass die Bundesregierung dientegration und die Annäherung an die Europäischenion behindere. Dies ist nun wahrlich eine Verleum-ung. Etwas anderes kann man dazu nicht sagen.
Die Bundesregierung war und ist die treibende Kraftei der Stabilisierung der Region, bei der Unterstützunger Demokratisierung, der Menschenrechte und des Auf-aus von Rechtsstaatlichkeit und der Integration in dieuroatlantischen Strukturen. Die Bundesregierung – auchas haben Sie wohl wieder vergessen – war die treibenderaft beim Zustandekommen des Stabilitätspaktes. Sieirkt in der Kosovokontaktgruppe sehr intensiv und sehronstruktiv bei der Entwicklung von Lösungsstrategienit. Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass die ent-prechenden Lösungen so einfach zu haben sind. Fast
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15266 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Uta Zapfalle Forderungen in Ihrem Antrag werden von der Bun-desregierung längst eingelöst oder werden von ihr mitEngagement verfolgt. Deshalb ist Ihr Antrag im Grundegenommen nichts als heiße Luft und Gemeinplätze.Die europäische Perspektive bleibt der positive An-kerpunkt für die südosteuropäischen Staaten; aber es isteine langfristige Perspektive. Diese Perspektive – ichweiß, wir alle sind uns darüber einig – darf nicht genom-men werden. Diese Länder müssen aber auch das Ihrigetun, um die europäischen Standards umzusetzen. Auchwenn der Stabilitätspaktkoordinator sagt, die Demokrati-sierung auf dem Balkan sei in seinen Augen unumkehr-bar, sind die Probleme der Region bei weitem noch nichtgelöst. Ich glaube, wir tun ganz gut daran, wenn wir unseinmal einen realistischen Problemaufriss vor Augenführen.Diese Debatte ist aktuell sehr angemessen, weil wirgerade Dinge erleben, die mit dieser Region zu tun ha-ben und die diese Region auch wieder in Schwierigkei-ten stürzen können. Was ist denn passiert? Vor zehn Jah-ren wurde das Abkommen von Dayton unterzeichnet.Wir alle wissen, dass die damit verbundenen Dinge ver-ändert werden müssen. Es ist aber schwer, das in die Tatumzusetzen, weil alles immer im Konsens gemacht wer-den muss.Seit fünf Jahren gibt es den Stabilitätspakt. Wir kön-nen sagen, er ist ein Erfolg. Was Sie jedoch für den Sta-bilitätspakt in Zukunft fordern, wurde doch längst umge-setzt. In den letzten paar Jahren hat er sich genau auf dieGebiete konzentriert, deren Behandlung Sie hier einfor-dern.Es wird in 2005 – deshalb wird es immer als einSchicksalsjahr für diese Region bezeichnet – den Beginnvon Statusgesprächen im Kosovo geben. Vor einem Jahrgab es Unruhen im Kosovo. Erinnern Sie sich? LetztesJahr im März waren wir hier tief besorgt.
Gestern ist Haradinaj nach Den Haag abgereist. Bos-nien-Herzegowina hat ein Kriegsverbrechertribunal ein-gerichtet. Serbien hat mehrere Generäle überstellt. DerBeginn der Verhandlungen mit Kroatien über einen EU-Beitritt ist wegen mangelnder Kooperation mit demKriegsverbrechertribunal infrage gestellt worden. Sie se-hen also, es ergibt sich ein gemischtes Bild von derLage. Kroatien war sozusagen das wunderbare Zug-pferd; die gelungene Annäherung, aus der sich dieChance ergibt, der EU beizutreten, stellte ein Vorzeige-projekt dar.In Mazedonien finden demnächst Kommunalwah-len statt, die ersten nach der Dezentralisierungsge-setzgebung. Die Wahl wird ein Test auf Umsetzungdes Abkommens von Ohrid sein. Wir werden sehr ge-spannt hinschauen, wie die Parteien in diesem Kommu-nalwahlkampf agieren.Lassen Sie mich auf einige Länder zu sprechen kom-men. Ich werde mich wohl nicht mehr zu allen äußernkönnen, aber das für mich Wichtigste wird der KosovosBudtrbfimwdRsmhfmhwdluktrw–eteeKvWmhennZtesdMKKRofsDdrRtiKA
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15267
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Das Wort hat nun der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vor drei Tagen ist im Kosovo RegierungschefHaradinaj zurückgetreten, weil er vom Haager Kriegs-verbrechertribunal angeklagt wird. Wir begrüßen, dassHaradinaj zur freiwilligen Zusammenarbeit mit demKriegsverbrechertribunal bereit ist.Für die Vertrauensbildung und Befriedung der Regiondes westlichen Balkans ist es wichtig, dass die schwar-zen Kapitel der Vergangenheit aufgearbeitet werden. Dieuneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Kriegsver-brechertribunal ist dafür unverzichtbar.Die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit Den Haagist eine wesentliche Bedingung, um die Standards zu er-füllen, die Mitte dieses Jahres überprüft werden sollen.
Wir anerkennen, dass Haradinaj engagiert für die Umset-zung dieser Standards geworben hat. Wir fordern dieNachfolgerregierung auf, den Prozess der Implementie-rung unverzüglich und mit Nachdruck fortzusetzen.
Wenn bei der Überprüfung erhebliche Verzögerungenfestgestellt werden, ist der Beginn der Statusgesprächeim Oktober dieses Jahres gefährdet. Damit droht dieGewalt erneut zu eskalieren. Was für das Kosovo gilt,gilt auch für die anderen Länder der gesamten Region.Deshalb begrüßen wir, dass sich vom Haager TribunalAngeklagte in jüngster Zeit sowohl in Serbien als auchin Bosnien und Herzegowina freiwillig gestellt haben.Das sind nur erste Schritte, die bei weitem nicht aus-reichen. Deswegen sagen wir ganz unmissverständlich:Den Ländern, die nicht überzeugend mit dem HaagerKriegsverbrechertribunal zusammenarbeiten, wird derWeg in Richtung EU und NATO verbaut bleiben, ob esdabei um die Teilnahme an dem Programm „Partner-schaft für den Frieden“, den Abschluss von Assoziie-rlhtbaddhHAdBTadnsewufKKdwKeDsSedaddmgqrr–j
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Rücktrittaradinajs und die damit zusammenhängende erhöhtelarmbereitschaft der Stabilisierungskräfte im Kosovo,ie fortgesetzte Notwendigkeit der Truppenpräsenz inosnien und Herzegowina und die Vorwürfe des Haagerribunals gegen die Regierung in Zagreb zeigen: Trotzller Fortschritte, die wir in den vergangenen Jahren aufem Balkan erreicht haben – Frau Kollegin Zapf, es sindicht wenige Fortschritte und wir leugnen sie auch nicht –,ind wir von einer stabilen Situation in der Region weitntfernt.In einzelnen Ländern wird eine weitere politische undirtschaftliche Stabilisierung erheblich erschwert: durchngelöste Fragen des politischen Status, ethnische Kon-liktpotenziale, mangelnde Rechtssicherheit, organisierteriminalität, Menschenhandel und Korruption. Dieseonfliktpotenziale stellen für Frieden und Stabilität iner gesamten Region große Risiken dar. Europa – dasissen wir alle – wäre von einem Wiederaufflammen deronflikte direkt betroffen. Wenn sich auf dem Balkanine dauerhafte Instabilität entwickelt und er zu einerrehscheibe der Kriminalität wird, werden wir die Kon-equenzen unmittelbar spüren.Darüber hinaus stellt Europa den größten Anteil dertabilisierungskräfte in der Region. Deshalb liegt es imuropäischen Sicherheitsinteresse, dass diese Herausfor-erungen möglichst bald bewältigt werden und somituch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dassie Anzahl unserer Soldaten und Polizeikräfte weiter re-uziert werden kann.Verehrte Frau Kollegin, Sie haben sich an einer For-ulierung unseres Antrags gerieben: dass die Bundesre-ierung „eine Politik des mutlosen Verharrens im Statusuo“ betreibe. Liebe Frau Kollegin, das ist nichts ande-es als eine Umschreibung dafür, dass die Bundesregie-ung schlichtweg nichts tut.
Liebe Frau Kollegin, zuerst haben Sie geredet; aberetzt rede ich.
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15268 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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)Dr. Andreas SchockenhoffWir unterhalten uns in diesem Hause regelmäßig überdie Verlängerung des Mandats.
– Derjenige, der hier heute fehlt, hat es nicht so mit derWahrheit.
Lieber Herr Kuhn, Sie sollten aufhören, von Wahrheit zusprechen; denn Sie haben Ihre Unschuld verloren.
Ich könnte nämlich auch über eine andere Region spre-chen.Wenn jemand in aller Kürze sagt, es sei unschön,wenn zehntausendfach Zwangsprostitution erfolgt,
und sich in einem anderen Halbsatz erdreistet, zu sagen,dass man Kroatien deshalb aber nicht kriminalisierendürfe,
muss ich Ihnen verdammt noch mal sagen: Diese arro-gante Hybris werden Sie noch zu spüren bekommen.
Kommen wir zurück zum Thema.
– Wir nehmen die Emotionen zurück, aber hören Sie beidiesem Minister, der nach allem, was er sich geleistethat, an seinem Amt klebt, mit Zwischenrufen zur Wahr-heit auf.
– Es ist extrem arrogant, lieber Wilhelm Schmidt. Dassihr euch dafür hergebt, ist euer Problem.Jetzt kommen wir zum Thema zurück.
Es hat auch etwas mit Wahrheit zu tun. Wir reden jedesJahr über die Verlängerung des Mandats. Was sagenwir eigentlich den Bundeswehrsoldaten, die zum Teilzum dritten, vierten und fünften Mal in ihren Turnus indas Kosovo nach Pristina oder nach Bosnien-Herzego-wina geschickt werden, ohne dass sich dort politischirgendetwas verändert hat? Gehen sie wirklich dorthin indem Bewusstsein, einen politischen Prozess zu unter-stützen? Oder gehen sie dorthin, weil uns nichts mehreinfällt?Entschuldigung, es ist nicht hinnehmbar, dass wirhohe entwicklungspolitische und militärische KostenehahudgVodrztusmdEaKvZuDSgAEEtutiDiLmB1KwsrBmn
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15269
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aradinaj hat seine Anhänger zur Ruhe gemahnt. Dieosovaren haben nämlich begriffen, dass die weiterenntscheidungen in der Statusfrage, dass ihre Unabhän-igkeit von ihrem rechtsstaatlichen Verhalten abhängen.ch bin der Meinung, dass die Implementierung dertandards und die Klärung des Status paralleler laufenüssen, damit der Teufelskreis endlich durchbrochenird, an dem es immer wieder hakt: dass einerseits Wirt-chaftswachstum zu einer der Voraussetzungen für dielärung der Statusfrage gemacht wird, Investitionen inie Wirtschaft andererseits aber ohne die Klärung destatus nicht möglich sind. Kein seriöses Unternehmennvestiert in politisch unklare Verhältnisse.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Europaann, wie ich finde, noch einiges dazu beitragen, Län-ern wie dem Kosovo auf diesem Weg unter die Armeu greifen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Europa sichinmal überlegt, inwieweit es mehr in das Kosovo inves-iert, anstatt nur zu warten, bis bestimmte Standards er-üllt sind. Es sollte von sich aus die Initiative ergreifen,amit so etwas wie eine Basisversorgung in diesem Landndlich gewährleistet wird.Wir waren erst in der letzten Woche dort und habenns die Verhältnisse angeschaut. Die Menschen sind na-ürlich nicht guten Mutes, wenn sie ohne Strom undhne Wasser leben müssen, wenn sich in ihren Straßener Müll häuft, wenn die Basisversorgung nicht gewähr-eistet ist, wenn ganz einfache Grundbedürfnisse nichtefriedigt werden, die das Leben angenehmer machennd auf denen man die Alltäglichkeiten des Lebens auf-auen kann. Da ist Europa tatsächlich gefordert, dieände zu reichen und etwas zu machen.Ebenso sollte man meiner Meinung nach überlegen,ie Frage der Rückkehr der Flüchtlinge aus den ande-en Ländern in das Kosovo noch einmal zu thematisie-en. Nach wie vor werden Leute mehr oder weniger un-reiwillig abgeschoben und zurückgeführt. Das ist einroblem: Damit tragen wir natürlich zur Instabilität deregion bei; das muss uns klar sein. Wir entlassen dieenschen in ein Leben in einer Region, wo es keine Ar-eitsplätze gibt, keine Grundversorgung. Sie wissenicht, wie und wovon sie leben sollen, und das, nachdemie hier mit ihren Kindern und Familien zum Teil seitber zehn Jahren voll integriert sind. Ich finde, das gehticht. Ich möchte, dass wir darüber noch einmal reden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa muss aner-ennen, dass der Balkan ein Teil von ihm ist. Umgekehrtüssen die Länder des Balkans anerkennen, dass dieuropäische Union eine Wertegemeinschaft ist und ih-en bestimmte Bedingungen auferlegt, wenn sie ein Teilieser Wertegemeinschaft werden wollen. Dazu gehörtuf alle Fälle – ich glaube, das ist die breite Meinung iniesem Haus –, dass Kriegsverbrecher nicht gedeckt
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15270 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Marianne Tritzwerden, sondern dass man voll kooperiert, um ihrer hab-haft zu werden, wie zum Beispiel gerade im Fall vonKroatien. Haradinaj ist mit gutem Beispiel vorangegan-gen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Rainer Stinner,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Nachdem ich mir die Reden der beiden Vertreterin-nen der Koalitionsfraktionen angehört habe, frage ichmich wie die Amerikaner: Where is the beef? Was istdort los?Frau Zapf, Sie haben uns erzählt, was alles nicht geht,und Frau Tritz, Sie haben uns erzählt, was dort allesnoch an Defiziten ist. So, wie die Bürger in diesemLande auch, erwarten wir, dass die Bundesregierung, so-lange sie noch am Ruder ist, etwas Konkretes tut und unsEntsprechendes vorlegt – nicht, was ist und welche Pro-bleme es noch gibt, sondern, was sie im Jahre 2005 ganzkonkret tun will.
Wir sitzen hier nicht in einem politischen Seminar; wirsind hier, damit wir etwas tun. Sie können jetzt noch et-was tun und ich fordere Sie dazu auf.
Frau Tritz, meine Fraktion, die FDP, hat im Gegensatzzu Ihrer Fraktion zwei ganz konkrete Anträge gestellt.Unser Antrag „Status des Kosovos als EU-Treuhand-gebiet“ ist ein Jahr alt. Auch nach dem Weggang vonHaradinaj nach Den Haag ist der Antrag noch so tau-frisch wie am ersten Tag.Frau Zapf, Sie haben heute nicht genau gesagt, wasSie eigentlich wollen. Sie werden in der Presse zitiert,dass Sie für die Unabhängigkeit des Kosovos sind. Daswill das Pentagon auch. Trotzdem sage ich: In dieserForm ist das falsch.Die Europäische Union muss sich in dieser Regionstärker engagieren. Liebe Freunde, wir können dochnicht verlangen, dass sich die Afrikanische Union umDarfur und die arabische Welt mehr um den Nahen Os-ten kümmert, wenn wir als Europäische Union nicht be-reit sind, auf dem Balkan konkret tätig zu werden. Des-halb haben wir unseren Antrag auch so konkret gestellt.Herr Schmidt, der Antrag geht nicht in die Breite, son-dern er wurde spitz, auf einen Problemkreis bezogen undganz konkret gestellt.
Herr Schmidt, wir alle – Sie hoffentlich auch – wis-sen, dass die drei Möglichkeiten, nämlich erstens dieRugBKWnbghgdOgVtgtfswsdSLpsDHlckdualiVHdHDuOdteR
ie bereit sind, einen schwierigen Dienst zu tun. Dieseoldaten erwarten von uns zu Recht, dass wir politischeösungswege aufzeigen und dass sie nicht als Ersatz fürolitische Lösungen herhalten müssen. Politische Lö-ungswege aufzuzeigen, das ist unsere Aufgabe hier imeutschen Bundestag.
Das Gleiche gilt natürlich auch für Bosnien underzegowina. Zehn Jahre nach Dayton müssen wir end-ich den Weg zu einer politischen Lösung finden, freima-hen und organisieren. Auch dazu haben wir einen kon-reten Vorschlag gemacht, über den wir hier nochiskutieren können.Vergleichen wir die Zeithorizonte von Afghanistannd Irak auf der einen Seite und Bosnien-Herzegowinauf der anderen Seite: Im Ergebnis müssen wir feststel-en, Herr Dzembritzki, dass irgendetwas falsch gelaufenst, weil wir noch nach zehn Jahren herumeiern und demolk nicht die Möglichkeit geben, die Dinge selbst in dieand zu nehmen. Deshalb sagen wir: Zehn Jahre nachem Dayton-Abkommen muss den Organen in Bosnien-erzegowina die volle Kompetenz übertragen werden.ie „Bonn Powers“ verhindern Eigenverantwortungnd die – um es mit einem neudeutschen Wort zu sagen –wnership der Politiker in diesem Lande. Diese müssenringend abgeschafft werden. Zehn Jahre nach dem Day-on-Abkommen fordern wir, dass der Hohe Repräsentantinen großen europäischen Hut trägt und die europäischeolle verstärkt zur Geltung bringt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15271
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Dr. Rainer StinnerBosnien-Herzegowina will in die Europäische Union.Wir Europäer haben dafür – das ist selbstverständlich –klare Bedingungen gestellt. Wir sind bereit, dieses Landdabei zu unterstützen. Wir müssen die Menschen aberauch ermächtigen, diesen Weg selber zu gehen. Deshalbist unser Antrag so wichtig; es muss eine Veränderungder politischen Situation herbeigeführt werden.Wir wissen, dass unsere Anträge von der noch herr-schenden Koalition abgelehnt werden. Die, wie wir sa-gen, „same procedure“ kennen wir schon.
Aber ich gehe mit Ihnen eine Wette ein: Die „Bonn Po-wers“ in Bosnien-Herzegowina werden, so wie wir esfordern, abgeschafft werden. Es gibt keine andere Mög-lichkeit. Ich wette mit Ihnen, dass noch in diesem Jahrdie europäische Rolle im Kosovo deutlich verstärktwird.
– Die Kontaktgruppe, Frau Zapf, wird dafür sorgen. Siehaben die Chance, unserem Antrag zuzustimmen. Ichbedanke mich für Ihre Zustimmung. Ich finde es gut,dass Sie zur Vernunft gekommen sind.
Das wäre ein gutes Schlusswort gewesen, Herr Kol-
lege.
Die Kontaktgruppe wird das so bestimmen.
Wir werden heute – das ist mein letzter Satz, Herr
Präsident; ich bedanke mich für Ihr Verständnis – für un-
seren Antrag keine Zustimmung bekommen; das wissen
wir. Wir wissen aber, dass uns die Realität Recht geben
wird. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist uns – ich
hoffe, Sie haben dafür Verständnis – noch wichtiger.
Vielen Dank.
Herr Kollege Stinner, ich bitte um Nachsicht, dass ich
an meiner Vermutung festhalte, dass die Aufforderung
zur Zustimmung noch wirkungsvoller war als die resi-
gnative Bemerkung, dass es wohl keine Zustimmung ge-
ben werde.
Nun hat das Wort der Kollege Detlef Dzembritzki für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Dis-kussion über die Entwicklung und die Perspektiven Süd-osteuropas in unserem Haus ist richtig. Ich denke, dasswPdnzwsvhSseVmsvedAkuudtsdpfwimhw–dnseCimlDnSJbnH
ergleichen Sie einmal die Militärpräsenz am Anfangit der heutigen. Sie werden dann erhebliche Unter-chiede und Fortschritte erkennen, weil Zehntausendeon Soldaten abgezogen wurden. Ich denke, man mussinmal deutlich machen, welche Veränderungen sichort ergeben haben.
Wir müssen uns auch die historische Perspektive vorugen führen, in welch unglaublich kurzer Zeit Demo-ratisierungsprozesse in Osteuropa stattgefunden habennd was der Wandel bewirkt hat. Wir haben gestern demkrainischen Präsidenten Juschtschenko ob der Leistunger orangenen Opposition in der Ukraine Standing Ova-ions gezollt. Wir können doch nicht einfach beiseite wi-chen, wie schwierig solche Prozesse sind. Angesichtser Entwicklung in den ehemaligen jugoslawischen Re-ubliken auf dem Balkan kann die Erfahrung diesesurchtbaren Bürgerkrieges nicht einfach weggewischterden. Sie ist eine Last, die in dieser Region zu spürenst. Wenn es der internationalen Staatengemeinschaft da-als gelungen wäre, diese zu verhindern, dann wäreeute manches einfacher. Es ist aber so, wie es ist, undir haben uns dieser Situation zu stellen.Weil wir die Verantwortung mit übernommen habendas Parlament, die internationale Gemeinschaft undie Bundesregierung –, müssen wir bereit sein, zu erken-en, dass das Licht, das im ehemaligen Jugoslawien zuehen ist, die schrecklichen Schattenseiten inzwischenin bisschen überstrahlt. Wenn ich mir den Antrag derDU/CSU-Fraktion anschaue, dann sehe ich, dass dasm Wesentlichen bestätigt wird. Darüber hinaus – dasuss ich leider feststellen – finde ich wenig Substanziel-es in diesem Antrag.
eswegen wird es Sie nicht überraschen, dass wir ihmicht zustimmen werden.Wir haben bei der politischen und wirtschaftlichentabilisierung, beim Aufbau staatlicher Strukturen, imustizwesen und bei der Rückführung von Flüchtlingeneachtliche Fortschritte erzielt. Das gilt auch für Bos-ien-Herzegowina, das mir besonders am Herzen liegt.err Kollege Dr. Stinner, selbstverständlich wird der
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15272 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Detlef Dzembritzkizehnte Jahrestag des Dayton-Abkommens Anlass sein,darüber nachzudenken, wie dieser Prozess weiterentwi-ckelt werden kann.
Wir beide sind gemeinsam bemüht gewesen, Anstöße zugeben.Es geht einmal um die Revision des Friedensvertragesund es geht zum anderen – das ist offensichtlich IhrSchwerpunkt in Ihrem Antrag – um die Abschaffung derso genannten „Bonn Powers“. Das ist vom Grundsatzher eine völlig richtige Weichenstellung.
Ich denke, dass die Diskussion, die darüber geführt wird,deutlich macht, dass erkennbare Fortschritte in Bosnien-Herzegowina gemacht worden sind. Ich weiß auch, dassSie, Herr Kollege Dr. Stinner, ein Kenner von Bosnien-Herzegowina sind. Deswegen meine ich, dass wir uns et-was Zeit nehmen müssen und nicht so vehement unsereForderungen einbringen sollten. Wir sollten den Prozessvielmehr differenzierter sehen.Nehmen wir einmal die „Bonn Powers“, die PaddyAshdown im Dezember eingesetzt hat. Es ging damalsnicht um Querelen der ethnischen Gruppen untereinan-der bzw. darüber, dass man sich nicht über Nummern-schilder von Autos oder die Mehrwertsteuerreform eini-gen konnte. Es ging vielmehr darum, dass ein Teil dieserethnischen Gruppen – sprich: die Republik Srpska undihre Regierungsverantwortlichen – nicht bereit waren,mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzu-arbeiten. Im Gegenteil: Man musste den Eindruck haben,dass Kriegsverbrecher geschützt wurden.So bedauerlich es ist, ohne die „Bonn Powers“ wäreüberhaupt nichts passiert. Dass der Prozess der Demo-kratisierung und der Staatenbildung noch nicht so weitist, dass die Kräfte vor Ort in der Lage sind, diese Leis-tung zu vollbringen, signalisiert – ob wir es wollen odernicht –, dass Korrektive in der Gestalt, die die „Bonn Po-wers“ möglich machen, noch notwendig sind.Ich meine, dass es unsere Aufgabe ist, zu helfen, so-weit wir helfen können. Wir haben darin Erfahrung. Icherinnere an die Erfolge im wirtschaftlichen oder im insti-tutionellen Bereich. Ich denke dabei an manche gesamt-staatlichen Initiativen, die verwirklicht wurden, zumBeispiel die Reform der Mehrwertsteuer oder die Vertei-digungsreform. Das sollte eigentlich die Verantwor-tungsträger in den unterschiedlichen ethnischen Gruppenermutigen – ob in Mostar, in Banja Luka oder in Sara-jevo –, sich stärker aufeinander zuzubewegen und dieBlockademöglichkeiten, die sie aufgrund des Dayton-Abkommens haben, selber abzubauen. Je mehr das ge-lingt und je mehr Verantwortungsbereitschaft der Kolle-ginnen und Kollegen in Bosnien-Herzegowina erkenn-bar ist, umso eher wird es möglich sein, das Instrumentder „Bonn Powers“, das ein Vehikel ist, das überhauptnicht ins demokratische Europa passt, rückgängig zumachen.
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Das Wort hat der Kollege Michael Stübgen, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich stimme mit meinem Vorredner darin über-in, dass in den zehn Jahren seit dem Daytoner Friedens-bkommen viele Entwicklungen auf dem Balkan gut undichtig gelaufen sind und dass es auch hoffnungsvollensätze auf dem Balkan gibt. Wir alle wissen, dass derriedens- und Demokratisierungsprozess auf dem Bal-an noch längst nicht abgeschlossen ist und dass wir dortoch einen langen Atem brauchen. Bei mir allerdingsächst die Sorge, dass gerade das Jahr 2005 für den Bal-an zu einem Jahr vieler Rückschläge werden kann undindestens von den Balkanländern als ein schwarzesahr empfunden werden kann.Ich will zu dieser komplexen Thematik nur einigeroblemfelder kurz ansprechen. Zunächst zu Kroatien.eit Mitte der 90er-Jahre hat es Kroatien Schritt fürchritt, manchmal auch Schrittchen für Schrittchen, ge-chafft, Erfolge bei der politischen und wirtschaftlichentabilisierung zu erzielen. Im letzten Jahr gab es wie ininem normalen demokratischen Land einen friedlichenegierungswechsel. Er hat die demokratische Reife desandes deutlich bestätigt. Die Erfolge Kroatiens in denetzten Jahren waren so überzeugend, dass die Europäi-che Union beschlossen hat, im März dieses Jahres Bei-rittsverhandlungen mit Kroatien zu beginnen.Diese positive Entwicklung insgesamt ist plötzlich in-rage gestellt, und zwar durch einen mindestens für Au-enstehende völlig undurchsichtigen Vorgang. Es gehtarum, dass Kroatien vom Internationalen Strafgerichts-
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Michael Stübgenhof der Vorwurf gemacht wird, bei der Festsetzung desmutmaßlichen Kriegsverbrechers Gotovina nicht inten-siv genug zu kooperieren. Die kroatische Regierung be-streitet diesen Vorwurf vehement und verweist richtiger-weise darauf, dass Herr Gotovina einen französischenPass habe, insofern in der ganzen Europäischen Union,nahezu weltweit frei herumreisen könne, weshalb sienicht verantwortlich gemacht werden könne, wenn sieihn in ihrem Land nicht festsetzen könne.Ich kann diese Vorwürfe an die kroatische Regierungund die Verteidigung der kroatischen Regierung nichtzweifelsfrei bewerten. Aber ich weiß eines: Wenn es inder nächsten Woche dazu kommen sollte, dass der ge-plante Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Kroa-tien verschoben wird, auf unabsehbare Zeit auf die langeBank geschoben wird, dann wird dieser Vorgang in Kroa-tien als unverhältnismäßig und ungerecht empfundenwerden können.
Es wird sich der fade Beigeschmack ausbreiten, dassKroatien härter behandelt wird als andere Aspirantenwie die Türkei.
Solche psychologischen Effekte sind gerade auf demBalkan gefährlich.Nach meiner Überzeugung ist das Krisenmanagementder Europäischen Union bisher unzureichend. Wenn esdenn dazu kommt, dass in der nächsten Woche der Be-schluss zum Beginn der Beitrittsverhandlungen nichtumgesetzt wird – es sieht danach aus; es steht heute auchschon in der Zeitung –, dann halte ich persönlich zweiDinge für existenziell: Erstens. Der Europäische Ratmuss einen neuen Termin, am besten noch in diesemJahr, festsetzen. Er darf nicht einfach erklären: Irgend-wann, wenn Kroatien irgendetwas umsetzt, was nichteinmal genau definiert ist, fangen wir mit den Verhand-lungen an.Zweitens. Ich erwarte, dass die Europäische Union dieHandlungsanforderungen an Kroatien klar definiert. Esreicht eben nicht aus, allgemeine Anschuldigungen vor-zubringen und auf irgendwelche Geheimdiensterkennt-nisse zu verweisen, die auch nirgendwo richtig begründetwerden. Falls Kroatien wirklich nicht ausreichend ko-operiert, gibt gerade das Kroatien die Möglichkeit, mitAusreden immer wieder auszuweichen.Es muss also klar werden: Was muss Kroatien zu wel-chem Zeitpunkt tun? Dann können wir alle, auch dieBalkanländer, bewerten, ob Kroatien mit offenen Kartenspielt oder ob es, wie der Vorwurf im Moment ist, abzu-tauchen versucht.Ich denke, die in der nächsten Woche zu treffendeEntscheidung der Europäischen Union und insbesondereihre Umsetzung werden für die Zukunft der gesamtenBalkanregion sehr wichtig sein; denn wenn die Entschei-dung nicht ordentlich umgesetzt wird, besteht langfristigdie Gefahr, dass die Destabilisierung voranschreitet unddass der fortschrittliche Prozess in Kroatien aufhört undsich ins Gegenteil verkehrt. Das wäre in jedem Fall dasSddpFHskbStggsmsasntKArsFEpwacggEnEvlgrdkd
Nehmen wir als Beispiel das Kosovo. Dort sieht auchechs Jahre nach Kriegsende die Gesamtbilanz düsterus, und zwar nicht zuletzt aufgrund des ebenso kost-pieligen wie missglückten Managements der internatio-alen Gemeinschaft. Wir müssen feststellen, dass die in-ernationale Staatengemeinschaft mit ihren bisherigenonzepten für das Kosovo schlichtweg gescheitert ist.
llein im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteu-opa wurden rund 2 Milliarden Euro investiert oder – bes-er gesagt – verpulvert.Schauen wir auf die wirtschaftliche Entwicklung!rau Zapf, Sie haben Recht: Das ist ein entscheidendeslement. Die Kollegin Tritz hat bereits auf die katastro-halen wirtschaftlichen Zustände hingewiesen. Schauenir noch ein bisschen genauer hin! Im Kosovo hat sichllenfalls eine labile Dienstleistungswirtschaft entwi-kelt, die ohne die hohe internationale Personalpräsenzar nicht lebensfähig wäre. Produzierendes Gewerbeibt es kaum. Das belegt auch das Missverhältnis voninfuhr und Ausfuhr. So exportierte das Kosovo in ei-em Wirtschaftsjahr Waren im Wert von 27 Millionenuro und importierte im selben Zeitraum ein Pendanton rund 1 Milliarde. Das muss man sich einmal vorstel-en. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass wir in eini-en Gegenden des Kosovos eine Arbeitslosenquote vonund 60 Prozent zu beklagen haben. Wie fast überall aufem westlichen Balkan sehen die Menschen im Kosovoeine Perspektive. Qualifizierte Nachwuchskräfte wan-ern ins Ausland ab. Die Kosovaren wollen aber nicht
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Siegfried Heliasnur Empfänger von Hilfsleistungen, sondern gleichbe-rechtigter Partner in der Entwicklungszusammenarbeitsein.
Eine grundlegende Verbesserung der ökonomischenSituation wird durch die unklaren politischen Vorgabenbehindert. Dafür nenne ich drei Beispiele, bei denendringender Handlungsbedarf besteht. Ausländische In-vestoren machen sich rar, solange sie ein staatliches Pro-visorium vor Augen haben. Frau Zapf, die Privatisierungder so genannten volkseigenen Betriebe ist natürlichschwer, aber nicht unmöglich. Sie kann allerdings nichtanlaufen, solange eine rechtliche Regelung der Ersatzan-sprüche von Alteigentümern aussteht. Erschwerendkommt hinzu, dass Investoren für die Altschulden haftenmüssen. Diese Zustände können wir nicht länger hinneh-men. Ich weiß zwar um die Schwierigkeiten, die entste-hen, wenn man etwas verändern will. Wenn wir abereine Regelung als schlecht und ungenügend ansehen,dann müssen wir auch die Kraft haben, sie zu ändern.Ohne Eigenstaatlichkeit kann das Kosovo außerdemkeine Kredite aufnehmen, um Infrastrukturvorhaben zuverwirklichen.Keine Frage, ohne internationale Unterstützung wirdsich in Zukunft in Kosovo nichts bewegen. Das sagenauch die Experten der renommierten International CrisisGroup, deren Vorschläge durchaus einer näheren Be-trachtung wert sind. Demnach soll die Region spätestens2006 unabhängig werden, und zwar unter der Bedin-gung, dass eine Strategie zum Minderheitenschutz erar-beitet wird. Ein UN-Vermittler soll den Einigungsent-wurf vorbereiten, der noch 2005 unter Einbeziehung derKonfliktparteien auf einer internationalen Konferenz be-raten wird. Die Kosovaren würden dann im Jahre 2006im Rahmen eines Referendums darüber abstimmen.Nun kann man über diesen Vorschlag streiten. An ei-nem Punkt kommen wir jedoch nicht vorbei: Für die EUist in diesen Plänen keine Rolle vorgesehen. Das darfnicht weiter verwundern; denn Europa hat offensichtlichkeine einheitliche Strategie für das Kosovo und für dengesamten Balkan vorzuweisen.Meine Damen und Herren, wir fordern die Bundesre-gierung auf, ein Konzept zu entwickeln, wie die Aufga-ben des Stabilitätspaktes schrittweise in die Verantwor-tung der Region übertragen werden können,
nicht nur zum Wohle des westlichen Balkans, sondernzum Wohle ganz Europas. Solange ein solches Konzeptnicht vorliegt, ist die Koalition gut beraten, die konkre-ten Vorschläge der Opposition – sowohl von der CDU/CSU als auch von der FDP – unvoreingenommen undgründlich zu prüfen.
Ich schließe die Aussprache.
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Herr Kollege Pflüger, offenkundig ist das Beobach-
ungsvermögen im Präsidium ausgeprägter als in den
rsten Reihen der Opposition.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 5 d. In-
erfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/4813 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist einvernehmlich. Dann ist die
berweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich-
tung einer „Bundesstiftung Baukultur“
– Drucksache 15/4998 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von
0 Minuten verständigt. Möchte jemand weiter gehende
nträge zur Redezeit stellen? – Das ist nicht der Fall.
ann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
rhält zunächst der Parlamentarische Staatssekretär
chim Großmann das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Das Bundeskabinett hat am 15. Dezemberetzten Jahres den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf zurrrichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“ beschlos-en. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dieertschätzung von und die Nachfrage nach hochwerti-en Planungs- und Bauleistungen zu sichern und aufauer zu steigern, in Deutschland ebenso wie gegenüberem Ausland. Dazu bedarf es für das deutsche Planungs-nd Bauwesen neuer Formen der Kommunikation und
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Parl. Staatssekretär Achim Großmannder Mobilisierung, die es in ähnlicher Form in anderenNationen oder in anderen Bereichen bereits gibt. Ichdenke an verschiedene Stiftungen in den Bereichen Kul-tur, Denkmalschutz und Umweltschutz.Mit der „Bundesstiftung Baukultur“ will die Bundes-regierung diese bundesweite Kommunikations- und Ak-tionsplattform schaffen. Die Stiftung soll das Bewusst-sein für Baukultur bei Bauschaffenden und in derÖffentlichkeit stärken und das Leistungsniveau deut-scher Planer national wie international besser herausstel-len. Wir glauben, dass es wirklich einiges gibt, was manins Schaufenster stellen kann. Ich glaube auch, dass wirin diesem Bereich international Nachholbedarf haben.
Das Stiftungsprojekt stellt nicht nur ein wichtigesVorhaben der Bundesregierung in dieser Legislaturpe-riode dar. Wir tragen damit auch dem Deutschen Bun-destag Rechnung, der das Anliegen in seinem Beschlusszur Qualitätsoffensive für gutes Planen und Bauen imOktober 2003 fraktionsübergreifend unterstützt und dieBundesregierung aufgefordert hat, einen entsprechendenGesetzentwurf einzubringen.
Die Idee einer Bundesstiftung, mit der der mit derBundesinitiative „Architektur und Baukultur“ angesto-ßene Dialog fortgeführt wird, ist im breiten Konsens mitallen Beteiligten und von Anfang an auch im engen Dia-log mit den Ländern entwickelt worden. Deshalb über-rascht es, dass der Bundesrat in seiner Stellungnahmezwar die Notwendigkeit, die Baukultur in Deutschlandzu fördern, ausdrücklich bekräftigt, zugleich aber demBund unter Hinweis auf die Kulturhoheit der Ländereine Regelungskompetenz abspricht.Die Bundesregierung hat dies in ihrer Gegenäußerungzurückgewiesen; denn der Bundesrat geht in seiner Stel-lungnahme nicht von dem Begriff der Baukultur aus, derdem Gesetzentwurf zugrunde liegt. Dieser Begriff, wiewir ihn verstehen und auch im Gesetz definieren, um-fasst nicht allein die ästhetische Dimension und auchnicht allein den Ausdruck künstlerischen Schaffens. Erbeinhaltet vielmehr das, was alle Fachleute unter Bau-kultur verstehen: die technischen und funktionalenAspekte, Planung und Planungsverfahren, Bauen und In-standhalten. Baukultur kann man nur ganzheitlich ver-stehen. Sie ergibt sich unteilbar aus dem Zusammenspielaller Disziplinen.Im Ergebnis lässt sich daher nicht sagen: EinfachesBauen ist Baupolitik, anspruchsvolles Bauen ist Kultur-politik. Wir alle, das heißt Länder, Bund, Gemeindenund Private, sind – natürlich jeder in seinem Verantwor-tungsbereich – einer Kultur des Bauens verpflichtet. DerBund hat hierbei als Bauherr mit Vorbildfunktion und alsVerantwortlicher für wichtige Rahmenbedingungen imBauwesen, im Planungsrecht und im Städtebau Vor-schlags-, Beschluss- und Gesetzesrecht. Er hat im Hin-blick auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung derBdKMrtgdDtAhdssMzkadpveBhmabmwukdSwuAkwsdtmdmL
umal über die Notwendigkeit, das Bewusstsein für Bau-ultur zu stärken, breitestes Einvernehmen besteht. Allesndere wäre eine herbe Abfuhr für die Berufsgruppener Architekten und der Ingenieure, für die Berufsgrup-en der Städtebauer und der Landschaftsplaner sowie füriele andere, die mit hohem Einsatz für die Errichtunginer bundesweiten Stiftung gekämpft haben.
Ich erinnere noch einmal an das, was ich schon imundesrat gesagt habe: Bei den Bauministerkonferenzenaben die Länder auf dem Weg zur Bundesstiftung im-er mitgestimmt. In der Bauministerkonferenz saßenuch Kolleginnen und Kollegen, die Verfassungsressortsetreuen,
it denen wir in jedem Detail besprochen haben, dassir natürlich eine bundesgesetzliche Möglichkeit haben,ns aber auf das beschränken, was der Bund machenann.Wir erwarten, dass – über die Anschubfinanzierunges Bundes hinaus – langfristig der Finanzbedarf dertiftung wesentlich von privaten Dritten mitgetragenird. Eine erfolgreiche Werbung von privaten Spendernnd Sponsoren setzt aber voraus, dass die Stiftung ihrerbeit aufnimmt, nach außen in Erscheinung tritt und alsompetente Stimme der Baukultur in der Öffentlichkeitahrgenommen wird. Wir möchten daher die Bundes-tiftung möglichst zügig noch in diesem Jahr errichten.Ich bin überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen,ass die Stiftung – in enger Kooperation mit den vielfäl-igen Institutionen und Akteuren auf Länder- und Ge-eindeebene – zu einer positiven Auseinandersetzunger Bürger mit ihrem Umfeld beiträgt, die Wahrneh-ung für die baukulturellen Aktivitäten in unseremand verbessert und die Architekten und Ingenieure auf
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Parl. Staatssekretär Achim Großmanninternationaler Ebene in eine viel bessere Positionbringt. Deshalb bitte ich Sie herzlich, das Gesetzge-bungsverfahren positiv zu begleiten und die Errichtungder „Bundesstiftung Baukultur“ zu unterstützen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Blank für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir warenuns doch parteiübergreifend im Ausschuss und im Ple-num des Bundestages einig, dass sich das Thema Bau-kultur keinesfalls für einen parteipolitischen Streit aufBundesebene eignet.
Das Thema Baukultur ist nämlich eine Daueraufgabeund dient auch dazu, um die gute Leistung von deut-schen Architekten und Ingenieuren weltweit bekannt zumachen. Deshalb haben wir dem Antrag der Koalitions-fraktionen „Die Qualitätsoffensive für gutes Planen undBauen voranbringen“ zugestimmt. Dieser Antrag fandsogar einhellige Zustimmung. Alle zehn im Antrag ent-haltenen Punkte haben nach wie vor Gültigkeit.
Von uns allen gemeinsam wurde die Bundesregierungaufgefordert, den Klärungsprozess so weit voranzutrei-ben, dass die „Stiftung Baukultur“ konkrete Gestalt an-nehmen und über ein Stiftungsgesetz beraten werdenkönne, und in Zusammenarbeit mit den zuständigenFachverbänden, Hochschulen, Institutionen und Persön-lichkeiten ein Konzept für den Aufbau einer „StiftungBaukultur“ zu erarbeiten.Das Anliegen ist richtig. Allerdings ist der Zeitablaufnicht gerade günstig gewählt worden. Die Bundesregie-rung hat nämlich den Gesetzentwurf zum denkbar un-günstigsten Zeitpunkt in die politische Arena geworfen.
Den Gesetzentwurf jetzt dem Bundesrat zur Stellung-nahme zu übermitteln, war nicht hilfreich. Es war docherkennbar, dass der Bundesrat zum gleichen Zeitpunktdie künftige Finanzierung der Akademie der Künste inBerlin zum Anlass für Grundsatzdebatten über die Kom-petenz des Bundes in Kulturfragen nimmt. Die Bun-desregierung hat damit den Bundesrat geradezu genötigt,den Gesetzentwurf zur „Bundesstiftung Baukultur“ jetztgrundsätzlich abzulehnen,
auch wenn die Fachausschüsse zustimmend votierten.Am 15. Dezember wurde im Bundeskabinett der Ent-wurf eines Gesetzes zur Errichtung einer „Bundesstif-tung Baukultur“ beschlossen. Minister Stolpe führte da-muhutAdssdUlKSdsmdB„svdSv
Meine Damen und Herren, gerade bei dem Themaultur ist der Bundesrat sehr sensibel; denn seit demcheitern der Föderalismuskommission achten die Bun-esländer noch stärker auf die Wahrung ihrer Verfas-ungsrechte. Das hätte die Bundesregierung beachtenüssen. Wenn der Bundesrat der Auffassung ist, dasser Bund für die Errichtung einer „Bundesstiftungaukultur“ – wir sprachen ja vorher immer von einerStiftung Baukultur“ – in Deutschland keine verfas-ungsrechtliche Kompetenz habe, dann ist diese nach-ollziehbar; denn der Gesetzentwurf geht nach Ansichtes Bundesratesvor allem in seinen Bestimmungen über den Kon-vent der Baukultur davon aus, dass Baukultur einTeilbereich der Kultur ist.
Baukultur ist jener Bereich, der über die bloße Bau-technik, Baustatik, Materialanalyse und -verwen-dung sowie über die bloße Funktionalität von Bau-werken hinausweist und Ausdruck künstlerischenSchaffens ist. Dementsprechend wird zu Recht auchin der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die ge-baute Umwelt in besonderer Weise Selbstverständ-nis und Werthaltungen unserer Gesellschaft, ihreModernisierungsbereitschaft und ihre Leistungsfä-higkeit widerspiegele und Baukultur einen Beitragfür attraktive Städte und Gemeinden leisten müsse,„in denen die Bürger sich wohl fühlen“ … Diessind aber kulturpolitische Zielsetzungen, deren För-derung, Entwicklung und Repräsentation allein indie Verantwortung der Länder fällt.o die Aussage der Mehrheit des Bundesrates, die nach-ollziehbar und verständlich ist.Weiter führt der Bundesrat aus:Die Kulturhoheit liegt grundsätzlich bei den Län-dern. Sie ist ihr verfassungsrechtlicher Auftrag undKernstück ihrer Eigenstaatlichkeit. Ungeschrie-bene Kompetenzen des Bundes bedürfen mit Blickauf die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder alsAusnahme daher einer besonderen Rechtfertigung.Die Gesetzesbegründung enthält jedoch keinerleiHinweis darauf, welche Kompetenzgrundlage dieBundesregierung für die Errichtung dieser neuenrechtsfähigen Stiftung des öffentlichen Rechts he-ranzieht.
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Renate BlankNach Auffassung des Bundesrates ist die Förderungder Baukultur als staatliche Aufgabe der Bundesge-setzgebung entzogen.In seiner Stellungnahme vom 18. Februar hat derBundesrat insbesondere die Frage nach der dem Gesetz-entwurf zur Errichtung einer „Bundesstiftung Baukul-tur“ zugrunde liegenden Gesetzgebungskompetenz desBundes gestellt. Nach Ansicht des Bundesrates hat dieBundesregierung diese Frage in ihrer Gegenäußerungnur unzureichend beantwortet. Ausdrücklich bekräftigtder Bundesrat jedoch die Notwendigkeit, die Baukulturin Deutschland zu fördern und das Bewusstsein für ihreBedeutung in der Öffentlichkeit und bei den Bauherrenzu stärken.
Nur müssen diese Zielsetzungen in verfassungsrecht-lich gebotener Weise realisiert und unter Wahrung derverfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit durchge-führt werden. Am 15. Dezember 2004 jedoch habe ich inder Regierungsbefragung auf meine Frage, wie sich dieLänder zu einer Bundeskulturstiftung verhalten, als Ant-wort erhalten, dass sich die Bundesregierung „von An-fang an sehr intensiv zu dem Vorhaben mit den Ländernausgetauscht“ habe,
weil auch der Bundesregierung klar sei,dass die Länder in diesem Bereich ganz klar defi-nierte Kompetenzen haben. Für uns kommt als Auf-gabenstellung all das infrage, was länderübergrei-fend oder von internationaler Bedeutung ist. Daskann natürlich nur in Übereinstimmung mit denLändern gestaltet werden.So die Aussage von Minister Stolpe.
Diese damaligen Aussagen des Ministers lassen nachder ablehnenden Haltung des Bundesrates nur den ein-deutigen Schluss zu, dass Minister Stolpe oder Staatsse-kretär Großmann mit den Ländern nicht richtig verhan-delt hat.
Zugegebenermaßen hat sich der Bundesrat mit seinemsehr kurzfristig eingebrachten Antrag nicht gerade ko-operationsfreudig gezeigt. Die Bundesregierung mussaber dafür Sorge tragen, dass der Start der „Bundesstif-tung Baukultur“ nicht von einem handfesten Verfas-sungsstreit begleitet wird. Wir sind bereit, die parlamen-tarische Beratung im Zeitablauf so zu gestalten, dass dieBundesregierung im Gespräch mit den Ländern nach Lö-sungen suchen kann, bevor der Konflikt im Bundesratweiter eskaliert.
Dem gemeinsamen Anliegen ist nicht geholfen, wenndie Koalition den Gesetzentwurf gegen den Willen desBpnbwwpAndsjwahdgmfkhSAelefwdDd–eWicrwslvQBs
ber der Deutsche Kulturrat muss sich natürlich schoninmal fragen lassen, ob er der Meinung ist, dass unend-ich viel Geld zur Verfügung steht. Er befürchtet wohlher, nicht beteiligt zu werden, weshalb er auch bezwei-elt, dass der Minister für Verkehr, Bau- und Wohnungs-esen und der Finanzminister zuständig seien. – Ja, werenn eigentlich sonst?
er Bauminister ist eben zuständig für das Bauen.Zurück zur Baukultur. Man sollte auch beachten, dassie betroffenen Berufsstände in vielen Bundesländernda könnte ich Ihnen genügend Beispiele nennen: Bay-rn, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-estfalen – bereits ein Umfeld vorfinden, in dem siehre Vorstellungen von Baukultur durchaus verwirkli-hen können.Die Aufgaben einer „Stiftung Baukultur“, unter ande-em die Sicherstellung der Qualität von gebauter Um-elt, wie sie sich in Gebäuden und Infrastrukturanlagenowie in deren Einordnung ins Landschafts- und Sied-ungsbild und im öffentlichen Raum zeigt, werden inielen Bundesländern bereits seit vielen Jahren realisiert.ualitätsvolles Bauen und Planen bestätigt diejenigenundesländer und Kommunen, die auf diesem Gebieteit langem traditionell erfolgreich handeln.Baukultur kann nicht von oben verordnet werden.
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Renate Blank– Herr Kollege Beckmeyer, in Bayern hat qualitätsvollesBauen eine sehr lange Tradition.
Ich wollte das in diesem Zusammenhang nicht ausdrück-lich erwähnen, weil ich die Situation für die gesamteBundesrepublik darstellen wollte. Ihr Land kann sich einBeispiel an Bayern nehmen.
Wie gesagt: Baukultur kann nicht von oben verordnetwerden. Sie muss als konstruktiver und kreativer Dialog-prozess in den Städten und Gemeinden unter Einbezie-hung aller Verantwortlichen entwickelt werden. Bauenist nicht nur eine Angelegenheit von Bauherren und Ar-chitekten. Immer liegt auch ein öffentliches Interessevor. Baukultur bewegt sich immer im Spannungsfeldzwischen individueller Nützlichkeit und sozialerBrauchbarkeit. Baukultur ist daher keine Nebensacheund schon gar nicht gefällige Verpackung.Nachdem die grundsätzlichen Aufgaben der „StiftungBaukultur“ – nämlich kontinuierlich eine Standortbe-stimmung zur Baukultur in Deutschland vorzunehmen,den öffentlichen Dialog über Baukultur in vielfältigerWeise anzuregen und zu fördern, ein Kommunikations-netzwerk der Akteure im Bereich der Baukultur auf-zubauen und die Leistungen deutscher Architekten, In-genieure und anderer am Planen und Bauen Beteiligtervor allem international darzustellen und bekannt zu ma-chen – Übereinstimmung finden, fordern wir die Bun-desregierung auf, mit den Ländern unverzüglich in Ge-spräche über die Lösung des Problems einzutreten.Nach der heutigen ersten Lesung könnte bei gutemWillen bis zur endgültigen Verabschiedung des Gesetz-entwurfs mit den Ländern noch nachverhandelt werden.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete FranziskaEichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist schade, Frau Kollegin Blank, dass auch Sie inzwi-schen der Kirchturmspolitik der schwarzen Mehrheit imBundesrat auf den Leim gehen, obwohl Sie doch immersehr konstruktiv über Kunst und Kultur sowie über bau-liche und städtebauliche Qualität diskutieren.Aus meiner Sicht geht es in erster Linie nicht darum,deutsche Leistungen zu vermarkten – das kann an be-stimmten Stellen sinnvoll und nötig sein –, sondern da-rum, in Deutschland den Diskurs über Schönheit undQualität von Bau und Planung im Hinblick auf Bau-materialien, Maßstabstreue, Farben und Formen sowiestädtebauliche und konstruktive Ordnung zu führen.DiWbEvsBi2MSENgdrbwDadEgsdswirgleBDr
enn uns das gelingt, dann können wir – noch sehr vielesser als jetzt – diese Qualität auch auf internationalerbene darstellen und sie mit den verschiedenen Gruppenon Bauschaffenden, die es bei uns gibt, teilweise reali-ieren.
Obwohl unser Land in seiner Geschichte sehr vielaukultur erfahren hat, mit der wir uns in hohem Maßedentifizieren – ich nenne als Beispiel die Moderne der0er-Jahre, die für uns im Hinblick auf die Qualitätaßstäbe setzt –, müssen wir sagen, dass sich in unserentädten sehr missglückte Entwicklungen zeigen.
s besteht eine Tendenz zu gewaltigen Solitärbauten.ahezu in jeder Stadt steht ein eitles oder auch miss-lücktes Projekt neben dem anderen.
Auf Baumessen wie der bautec wird mir angesichtses Kitsches und der Scheußlichkeiten, die ich dort sehe,egelrecht schlecht. Ich denke, auch über die Alltags-aukultur muss intensiver diskutiert werden.
Von daher glaube ich, dass es für uns alle eine sehrichtige Aufgabe ist, daran ein Stück weiterzuarbeiten.as geht tatsächlich am besten in einem Diskurs, der aufllen drei Stufen, auf der Ebene des Bundes und damiter Gesamtnation, auf der Ebene der Länder und auf derbene der einzelnen Kommunen, jeweils am eigenen Orteführt wird.
Ich komme jetzt zu einem weiteren Punkt. Ich ver-tehe überhaupt nicht, warum der Bundesrat meint, sichagegen sträuben zu müssen. Als Erstes muss ich ganzchlicht sagen: Wir haben einen Bauminister, also habenir doch die Zuständigkeit für das Bauen. Als Zweitesst zu sagen: Wer meint, dass die Kultur eine Art föde-ales Monopol der Länder ist, weiß nicht, dass unseranzes Leben, jede Aktion, all das, was wir gesellschaft-ich und materiell gestalten, Kultur ist. Zu sagen: „Weils eine Hoheit der Länder für Kulturpolitik gibt, darf derund keine ,Stiftung für Baukultur‘, gründen und dieseniskurs initiieren“, halte ich für eine absolut kleinka-ierte Kirchturmpolitik.
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Franziska Eichstädt-BohligDürfen jetzt über die Gehry-Architektur in Düsseldorfnur noch die Nordrhein-Westfalen diskutieren? Dürfenüber die eben gelobte bayerische Architektur nur nochdie Bayern diskutieren
und dürfen wir anderen nicht hören, nicht sehen, nichtschmecken?
Dürfen, weil das Kanzleramt zufällig in Berlin steht, nurdie Berliner sagen: „Das ist die Kanzlerwaschma-schine“, und darf kein anderer dazu ein entsprechendqualifiziertes Urteil abgeben? Liebe Frau Blank, das istschlicht unter Niveau.
– Doch, darüber diskutieren wir jetzt.
Insofern ganz schlicht mein Fazit: Formal ist es regel-recht absurd, was der Bundesrat mit seiner Mehrheit be-schlossen hat. Liebe Kollegin, es ist wirklich unter IhremLevel, dass Sie dies zumindest erst einmal unterstützthaben, auch wenn Sie versuchen, einen Verfahrensaus-weg zu finden. Ich halte ihn für überhaupt nicht nötig.Ich finde, wir sollten den Bundesrat mit unseren Mehr-heiten überstimmen.Dies ist eigentlich auch unter dem Niveau des Bun-desrats. Zu sagen, die Akademie der Künste sei der An-lass, ist eine eigene Diskussion wert. Es ist zu prüfen, obes nicht notwendig ist, dass der Bund auch in diesen Be-reichen seine eigene kulturpolitische Definition für un-sere gesamte Nation ein Stück weit vorantreibt. Wir ha-ben anlässlich der Nacht der Schiller-Lesungen erlebt,dass es sehr wichtig ist, auch auf nationaler Ebene unserkulturelles Selbstverständnis zu definieren, darzustel-len und nach außen zu tragen.In diesem Sinne wünsche ich, dass die „Bundesstif-tung Baukultur“ auf den Weg gebracht wird. Ich wün-sche mir auch – da sind wir uns einig –, dass sich die ge-sellschaftlichen Akteure mit großer Entschiedenheitdaran beteiligen. Dafür sollten wir alle werben.
Die Architekten, Ingenieure und auch die Bauwirtschaftsowie die Immobilienwirtschaft sollten mit ins Boot; dashalte ich für dringend notwendig. Aber ich lehne diesenkleinkarierten Streit ab, in dem es darum geht, dass derBundesrat wieder einmal meint, er sei mit seinen Kirch-türmen für alles zuständig und wir könnten die Nationkulturlos vertreten.
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ch will nur feststellen: In der Sache haben Sie sicherlichecht. Wenn man durch deutsche Länder fährt – icheine alle deutschen Länder, nicht nur Bayern –, dannat man den Eindruck, dass der Bauästhetik durch einenewusstseinswandel ein bisschen auf die Beine geholfenerden sollte. Deswegen ist die Idee einer Stiftung si-herlich gut.Aber ich möchte, um die Diskussion in den Ausschüs-en ein bisschen zu befruchten, jenseits der Frage deruständigkeit auf zwei problematische Punkte hinwei-en.Der erste Punkt. Lieber Herr Staatssekretärroßmann, wenn Sie darauf setzen, dass in großem Um-ang privates Kapital in diese Stiftung fließt, verstehe ichberhaupt nicht, dass diese Stiftung eine Stiftung öffent-ichen Rechts sein soll. Es spräche alles dafür, eine pri-atrechtliche Stiftung zu errichten,
umal wir auch die Kulturstiftung des Bundes als Stif-ung bürgerlichen Rechts ausgestaltet haben. Das ist, of-en gesagt, ein sehr diskussionsbedürftiger Aspekt. Wirerden das in den Ausschüssen noch erörtern.Frau Kollegin Blank, ich bin übrigens der Auffas-ung, wir könnten, wenn wir eine Stiftung privatenechts errichteten, wahrscheinlich diesen ganzen Ver-assungskonflikt mit den Ländern vermeiden und sagen:eteiligt euch doch!
enn die Länder meinen, sie seien hier zuständig, dannollen sie sich auch finanziell beteiligen.Die finanzielle Beteiligung ist der zweite Punkt, dench ansprechen möchte. Ich teile schon die Auffassung,ie der Deutsche Kulturrat und andere geäußert haben:ngesichts des Umfangs der Aufgaben ist ein finanziel-er Grundstock – ein Stiftungskapital – von 250 000 Euronterirdisch niedrig. Ich denke, wenn wir von vornhereinissen, es wird jährlich Ausgaben in Höhe von circa,5 Millionen Euro geben, dann kann doch das Stiftungs-apital nicht nur ein Zehntel davon betragen. Lieber Herrroßmann, das ist ein Etikettenschwindel, das ist keinetiftung mehr. Eine Stiftung braucht einen Kapitalstock,er einem bestimmten Zweck gewidmet ist. Wenn Sieur so wenig hineingeben wollen, dann müssen wir esein lassen.
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15280 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Hans-Joachim Otto
Mein Vorschlag ist: Lassen Sie uns wirklich in denAusschüssen noch einmal darüber reden, dass wir eineStiftung privaten Rechts errichten. Sie haben vorhin eineinteressante Rechnung aufgestellt und dabei die Beteili-gung aller Architekten und Ingenieure vorausgesetzt.Warum sollten sie sich nicht beteiligen, Frau KolleginEichstädt-Bohlig? Mit einer Stiftung privaten Rechtswerden wir möglicherweise auch diesen Verfassungs-konflikt vermeiden. Eines ist mir nämlich wichtig: Ichhalte es für abwegig und für schädlich, wenn eine guteSache dadurch belastet wird, dass wir im Bundesrat un-erquickliche Diskussionen über die Zuständigkeit füh-ren.
Mir liegt schon daran, dass wir hier eine Lösung finden.Da wir eigentlich alle der Auffassung sind, dass hier eineZuständigkeit von allen – von Bund, Ländern, Kommu-nen und der Zivilgesellschaft – gegeben ist, spricht dochalles dafür, hier eine Stiftung privaten Rechts einzurich-ten und bei der Kapitalausstattung etwas draufzulegen.Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion in denAusschüssen und kann Ihnen zusichern, dass auch dieFDP-Fraktion dem Anliegen im Grundsatz positiv ge-genübersteht.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Weis.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Blank,ich war schon sehr gespannt, wie Sie heute sozusagenIhren Kopf aus der argumentativen Schlinge ziehen,welche die Mehrheit des Bundesrates Ihnen bereitet hat.Ich muss gestehen: Mich haben Ihre Äußerungen nichtüberzeugt. Ich werde gleich noch einmal kurz darauf zu-rückkommen.
– Ja, das ist vielleicht mein Problem. Ich glaube aber, esist ein Stück weit auch unser gemeinsames Problem.Wir diskutieren ein Gesetzesvorhaben, von dem wireigentlich mit Fug und Recht sagen könnten, dass es inden letzten fünf Jahren mit einer außerordentlichen Ziel-strebigkeit vorangetrieben worden ist. Ich würde sogarso weit gehen, zu sagen, die Zielstrebigkeit ist fast vor-bildlich gewesen, jedenfalls bis vor ein paar Tagen, alswir die Stellungnahme des Bundesrates zur Kenntnisnehmen mussten.
D–sdßbuuitüvDassbdiSSdcdgJwezJIsSrsarh–Bdsosmlf–kghd
Wir haben relativ kurzfristig in einer konzertiertennd zugleich konzentrierten Aktion eine, wie ich glaube,n sich schlüssige Konzeption erarbeitet, die sich alsragfähiges Fundament eignet, um die Baukultur als einebergreifende Aufgabe zur Verbesserung der Qualitäton Bauen und Planen zu begreifen. Die Qualität diesesiskussions- und Entscheidungsprozesses ist neben demllgemeinen Problemdruck natürlich auch durch die Ein-icht und das Interesse der Beteiligten, eine voraus-chauende und gleichzeitig nachhaltige Politik zu betrei-en, geprägt.Neben ihrer originären Funktion fügt sich die „Bun-esstiftung Baukultur“, wie sie jetzt konzipiert ist, in denntegrativen Ansatz unserer Stadtentwicklungs- undtädtebauförderungspolitik ein. Wenn wir über dentadtumbau Ost und West, über die Weiterentwicklunges Programms „Soziale Stadt“, über den städtebauli-hen Denkmalschutz oder über vieles andere mehr re-en, dann reden wir immer auch über baukulturelle Auf-abenstellungen und Ziele.Die Baukultur wird in den kommenden Jahren undahrzehnten große Auswirkungen auf die Weiterent-icklung unserer Städte haben. Wir werden sicherlich inin paar Wochen aus Anlass der Vorlage des Berichtsum Städtebau darüber intensiver diskutieren können.etzt nur so viel: Der Erfolg der Attraktivierung unserernnenstädte, die Bereitschaft und der Wunsch von Men-chen, in Städten wohnen zu bleiben oder wieder intädte zu ziehen und das erfolgreiche Annehmen der He-ausforderungen, die mit einer gleichzeitig alternden undchrumpfenden Gesellschaft verbunden sind, werdenuch davon abhängen, ob es uns gelingt, den baukultu-ellen Bedürfnissen und Ansprüchen in einem ganz-eitlichen Sinne nachzukommen.Auch insofern ist und bleibt das Thema Baukulturdarin sind wir uns durchaus einig, Frau Kolleginlank – eine Daueraufgabe, die auf die Kompetenz unden guten Willen aller Beteiligten angewiesen ist, dieich wiederum nicht nur an ihren eigenen Interessenrientieren können, sondern auch ihrer gesamtgesell-chaftlichen Verantwortung bewusst sein müssen.Dass der Bund die finanziellen Verpflichtungen, dieit der Gründung der Stiftung verbunden sind, tatsäch-ich eingeht, ist eine Prioritätensetzung, die diesem zwei-ellos ambitionierten Projekt entspricht. Die Baukultur ist das habe ich schon in der letzten Debatte angemerkt –ein Luxusgut für konjunkturelle Schönwetterzeiten;leichwohl muss sie sich den finanzpolitischen Gegeben-eiten anpassen. Das bedeutet auch – Herr Großmann hatarauf hingewiesen –, dass es im Zuge der weiteren
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15281
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Petra WeisEntwicklung möglich sein muss, den Finanzbedarf lang-fristig durch Dritte tragen zu lassen. Damit waren zu-nächst einmal nicht die Länder gemeint, Herr Otto.Der Bund kann und soll einen Rahmen vorgeben undda, wo er selbst Bauherr ist, mit gutem Beispiel vorange-hen. Er soll auf nationaler, europäischer und internatio-naler Ebene für den baukulturellen Standort Deutschlandwerben, wann und wo immer es ihm möglich ist. Dasschließt ausdrücklich ein, die deutschen Planerinnen undPlaner auf dem internationalen Parkett so gut wie mög-lich zu positionieren, obwohl ich Frau KolleginEichstädt-Bohlig Recht geben muss: Der Ansatz gehtweit darüber hinaus. Aber ich glaube, dass wir auch die-sen Aspekt noch einmal betonen sollten.Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass der Bun-desrat mehrheitlich der Auffassung ist, dass wir uns miteiner „Bundesstiftung Baukultur“ verfassungsrechtlichüberheben. Das überrascht mich, nachdem wir schon ei-nige Jahre der Diskussion hinter uns haben,
und es ärgert mich, ehrlich gesagt, auch. Denn die Argu-mentation, dass es sich bei der jetzt vorgestellten Kon-zeption der Stiftung um einen Eingriff in die Kulturho-heit der Länder handelt, ist für mich und sicherlichauch für meine Kolleginnen und Kollegen schlichtwegnicht nachvollziehbar.
Weder geht der deutsche Föderalismus an der Baukul-tur zugrunde, noch wird er an ihr genesen. Ich denke,darüber sind wir uns einig.
Nach meiner und unserer festen Überzeugung kann dasgemeinsame Anliegen, die Baukultur in ihrer gesell-schaftlichen Bedeutung und Wirksamkeit zu stärken,kein Störfeuer gebrauchen. Insofern halte ich Ihre Argu-mentation für ein reines Ablenkungsmanöver, Frau Kol-legin Blank.Einen mehrjährigen, ausgesprochen engagierten Pro-zess aller Beteiligten auf diese Art und Weise nahezu zutorpedieren erscheint mir als bloße politische Taktikdurchschaubar. Deswegen hoffe ich sehr, dass Sie IhrenEinfluss geltend machen und dass wir in der Tat in denweiteren Beratungen konstruktiv diskutieren können, da-mit wir das Projekt als solches nicht gefährden.Herzlichen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/4998 an die in der Tages-
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neten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Otto
Bernhardt, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Vereinheitlichung der Umsatz-
grenze bei der Berechnung der Steuer nach
vereinnahmten Entgelten
– Drucksache 15/3193 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksache 15/4814 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lydia Westrich
Peter Rzepka
Kerstin Andreae
Carl-Ludwig Thiele
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Andreas Pinkwart, Carl-Ludwig
Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Reform der Umsatzsteuer – Durch Umstellung
von der Soll- auf die Istbesteuerung Umsatz-
steuerbetrug wirksam bekämpfen und unnö-
tige Liquiditätsbelastungen der Wirtschaft
vermeiden
– Drucksachen 15/2977, 15/4814 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lydia Westrich
Peter Rzepka
Kerstin Andreae
Carl-Ludwig Thiele
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann verfahren wir auch so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
er Abgeordnete Peter Rzepka.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Zielsetzung der Gesetzesinitiative dernionsfraktionen, die wir heute in zweiter und drittereratung diskutieren, ist es, gezielt die kleinen Unter-ehmen zu stärken, um einen Beitrag für dringend not-endige Wachstums- und Beschäftigungsimpulse zu leis-n.
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15282 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Peter RzepkaAusgangspunkt unseres Gesetzentwurfes ist dieBeobachtung, dass sich die Zahlungsmoral im Umfeldeiner anhaltend schwachen Konjunktur zunehmend ver-schlechtert. Insbesondere für mittelständische Unterneh-men kann es aufgrund schleppender Zahlungseingängezu ernsten, existenzbedrohenden Liquiditätsengpässenkommen. Die Versteuerung nach vereinbarten Entgelten,die so genannte Sollbesteuerung, verschärft diese Pro-blematik, da die Unternehmen die Umsatzsteuer unab-hängig davon an das Finanzamt abführen müssen, ob siedas Entgelt vereinnahmt haben oder nicht. Durch dieSollbesteuerung wirken sich verzögerte Zahlungsein-gänge doppelt negativ auf die Liquiditätslage der Unter-nehmen aus, was in einer bereits angespannten wirt-schaftlichen Situation zu mehr Insolvenzen führt unddamit zahlreiche Arbeitsplätze kostet.Daher fordern wir, die Regelung einzuführen, dassUnternehmen, die weniger als eine halbe Million EuroUmsatz machen, die Umsatzsteuer zeitlich unbefristeterst dann an das Finanzamt abführen müssen, wenn ihrAuftraggeber die Rechnung beglichen hat. Da sich derGrundsatz der Besteuerung nach vereinbarten Entgeltenauf kleine Unternehmen in den neuen und alten Bundes-ländern gleichermaßen nachteilig auswirkt, soll dieseRegelung nach unserem Vorschlag bundesweit einheit-lich gelten.
Die bisherige Istversteuerungsgrenze von125 000 Euro in den alten Bundesländern soll ebensowie die zeitliche Befristung für die bereits bestehendeUmsatzgrenze von 500 000 Euro in den neuen Bundes-ländern aufgehoben werden. Im Übrigen möchte ich da-rauf hinweisen, dass die Umsatzgrenze von 250 000 DMbzw. jetzt 125 000 Euro in den alten Bundesländern imWesentlichen unverändert seit 1968 gilt, sodass schonaus diesem Grund eine Erhöhung gerechtfertigt er-scheint.
Die Unionsfraktion leistet damit nicht nur einen Bei-trag zur Rechtsvereinheitlichung in Deutschland, son-dern sie reagiert damit vor allen Dingen auf die verhee-renden Entwicklungen am Arbeitsmarkt. Angesichts von5,2 Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen, ange-sichts von fast 40 000 Unternehmensinsolvenzen imJahre 2004, vor allem im Bereich kleiner und mittlererUnternehmen, und angesichts der wiederum nach untenkorrigierten Wachstumsprognosen ist es unerträglich, dieUntätigkeit der Bundesregierung im Kampf gegen dieArbeitslosigkeit zu beobachten.
Indem Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen, könnenSie ein Zeichen setzen, auf das zum Beispiel das deut-sche Handwerk seit langem wartet, und ihren Wortenendlich Taten folgen lassen.
Der Standort Deutschland lässt sich allein durch Ab-lenkungsmanöver und Ankündigungen nicht mehrssdndRlPedCDzmfDdSSeGUs–imABszstSBnwzumtpWzIipV
ass der Wirtschaftsstandort Deutschland noch vor ei-em Regierungswechsel 2006 attraktiver gemacht wer-en muss, der zuständige Finanzminister Eichel aber alleeformvorschläge blockiert.In ihrer Ausgabe vom 23. Februar 2005 hat die „Ber-iner Zeitung“ berichtet, Herr Clement wolle einen altenlan aufgreifen und dafür sorgen, dass kleine Firmenrst dann Umsatzsteuer zahlen müssen, wenn ihre Kun-en ihre Rechnungen bezahlt haben. Dafür muss Herrlement nicht erst einen alten Plan aufgreifen.
afür müssen Sie nur dem vorliegenden Gesetzentwurfustimmen und damit signalisieren, dass Sie sich nichtit dem wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands ab-inden.
ie Fortdauer des Theaters, das die Bundesregierungerzeit aufführt, und die Fortdauer der steuerpolitischentagnation kann sich Deutschland im Wettbewerb dertandorte um Investitionen und Arbeitsplätze nicht mehrrlauben.Es gehört nicht gerade zu den am besten gehüteteneheimnissen, dass es die kleinen und mittlerennternehmen sind, die in Deutschland Arbeitsplätzechaffen.
Und Ausbildungsplätze; sehr richtig. – Deshalb mussnsbesondere bei den kleinen und mittleren Unterneh-en angesetzt werden, will man im Kampf gegen dierbeitslosigkeit erfolgreich sein. Das Argument derundesregierung, durch die Senkung der Einkommen-teuersätze bereits genug für diese Unternehmen getanu haben, da Einzelunternehmen und Personengesell-chaften von der Tarifentlastung profitieren würden,rifft nicht zu.Sieht man genau hin – das Karl-Bräuer-Institut desteuerzahlerbundes hat das getan –, dann zeigt sich, dassezieher mittlerer Einkommen unter dem Strich nichtur nicht entlastet, sondern sogar zusätzlich belasteturden. Den Berechnungen des Karl-Bräuer-Institutsufolge reicht die tarifliche Entlastung zwischen 1990nd 2005 für einen Durchschnittsverdiener gerade ein-al aus, um den zwischenzeitlich eingeführten Solidari-ätszuschlag und die aus einer inflationsbedingten Tarif-rogression resultierenden Belastungen auszugleichen.er 1990 80 000 DM verdiente und 2005 bei zwischen-eitlichen Gehaltssteigerungen in Höhe der jeweiligennflationsrate 59 310 Euro verdient, dessen Belastung istn den vergangenen 15 Jahren sogar um 2,7 Prozent-unkte angestiegen. Bedenkt man, dass zwischenzeitlichergünstigungen gestrichen und damit Steuererhöhun-
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Peter Rzepkagen vorgenommen wurden, so ist endgültig das Vorurteilentkräftet, bei der steuerlichen Belastung der kleinenund mittleren Unternehmen bestehe in den nächsten Jah-ren kein Entlastungs- und Handlungsbedarf.Lassen Sie mich ergänzend feststellen, dass sich dievon uns vorgeschlagene Änderung des Umsatzsteuerge-setzes auch im Einklang mit der maßgebenden 6. EG-Richtlinie befindet.
Auch die Auswirkungen auf die öffentlichen Haus-halte sind unseres Erachtens vertretbar; denn die Steuer-mindereinnahmen sind nur temporärer Natur. Es sind nurSteuerverschiebungen und sie dürften moderat ausfallen.Jedenfalls sind sie im Interesse der kleinen Unternehmenund ihrer Liquidität gerechtfertigt.
Wenn es uns gelingt, die Insolvenzwelle im Mittel-stand durch diese und weitere Maßnahmen zu stoppen,kann dies sogar zu Steuermehreinnahmen führen. Wennwir uns eine Entlastung der Unternehmen nicht mehrleisten können, können wir uns bald gar nichts mehr leis-ten. Die Behauptungen aus der Regierungskoalition inden Ausschussberatungen, die Heraufsetzung der Um-satzgrenzen für die Besteuerung nach vereinbarten Ent-gelten sei übereilt, treffen unseres Erachtens jedenfallsnicht zu.
Der Union geht es mit dieser Initiative nicht in ersterLinie um die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges.Auf die Ergebnisse des Planspiels und der Machbarkeits-studie zu diesem Thema zu warten, ist, was unsere Ge-setzesinitiative angeht, jedenfalls nicht erforderlich. ImGegenteil, die wirtschaftliche Situation lässt fortdau-ernde Tatenlosigkeit nicht zu.
Steuerpolitische Maßnahmen zur Entlastung des Mittel-standes sind vor diesem Hintergrund nicht übereilt, son-dern überfällig.Anders stellt sich die Situation bei der von der Frak-tion der FDP vorgesehenen generellen Umstellung aufdie Istbesteuerung dar. Zwar habe ich bereits in meinerRede am 26. September 2003 – nach meinen Informatio-nen als Erster in diesem Hause – angeregt,
zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges über dieAusweitung der Istbesteuerung nachzudenken; aller-dings ist es vor dem Hintergrund der immer noch laufen-den Machbarkeitsstudie und des nach wie vor bestehen-den Beratungsbedarfs im Zusammenhang mit demUmsatzsteuerbetrug zu früh, die Praktikabilität einer ge-nerellen Umstellung auf die Istbesteuerung zu beurtei-len. Sie wissen ja auch, dass weitere Vorschläge in derDkvKbctwltgBzwmSlssvlmdtwUReetgFDFwsalrwussnEdbg
in weiteres Zögern bedeutet nicht nur Stillstand, son-ern ein weiteres Zurückfallen im internationalen Wett-ewerb, der auch auf dem Gebiete der Steuern ausgetra-en wird.
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15284 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Peter RzepkaDie Konzepte der Opposition zu den Unternehmen-steuern liegen auf dem Tisch. Wir fordern die Bundes-regierung auf, zu handeln und endlich beratungsfähigeGesetzentwürfe vorzulegen. Die Zeit drängt.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, meine Da-men und Herren.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Lydia Westrich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist schön, dass wir wieder einmal über die Umsatz-steuer reden.
– Herr Seiffert, ich bin schon sehr gespannt auf das neueKonzept, das uns heute wieder einmal angekündigtwurde. Bei Ihrem letzten Steuerkonzept haben Sie dieUnternehmensteuern ja ganz vergessen gehabt.
Wir werden sehen, was nächste Woche oder wann auchimmer von Ihnen auf den Tisch gelegt wird. Vielleichtein Bierdeckel für die Unternehmensteuer? Wir werdensehen.
Die Umsatzsteuer ist eine unserer wichtigsten Ein-nahmequellen, die wir gemeinsam immerfort hegen undpflegen. Unser Finanzminister Gernot Mittler aus Rhein-land-Pfalz hat gesagt, die Umsatzsteuer werde zur Achil-lesferse der öffentlichen Haushalte in ganz Europa wer-den. Er hat die vom Ifo-Institut angegebenenFehlbeträge, die von kriminellem Missbrauch der Um-satzsteuer herrühren, hochgerechnet. Schon in der frühe-ren EU der 15 gab es Steuerausfälle von jährlich60 Milliarden Euro. Das sind 60 Prozent des EU-Haus-haltes eines Jahres! Bei der jetzigen EU können wir nocheiniges mehr dazuzählen. Wir reden also von großenSummen und einem Missstand, den wir nicht hinnehmenkönnen.
Ich denke, darin sind wir uns alle einig; Sie haben das jaim September noch einmal sehr ausführlich erläutert.
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ie Steuerverwaltung hat Instrumente an die Hand be-ommen, die zwischenzeitlich mit gutem Erfolg ange-endet werden, Herr Seiffert.
as waren gemeinsame Anstrengungen der Bundes-egierung, der Koalitionsfraktionen und der Länder, aberie, meine Damen und Herren von der Opposition, wa-en nicht dabei. Wo bleibt Ihre Verantwortung für dieösung dieses gemeinsam beklagten Missstandes? Dasuss ich schon einmal deutlich fragen.
ch denke nur an die Diskussion, die wir damals über dienangekündigte Nachschau geführt haben. Heute sagenns in der Anhörung sogar die Vertreter von Wirtschafts-erbänden, dass wir damit ein hilfreiches Instrument fürie Finanzverwaltungen eingeführt haben.
ie hatten damals nicht den Mut, dazu Ja zu sagen.
Wir alle wissen, dass die Umsatzsteuerhinterziehungicht nur den Staat und die Steuerzahler, sondern natür-ich auch die Wirtschaft in sehr hohem Maße schädigt.eswegen arbeitet die Wirtschaft mit daran, den Miss-rauch einzudämmen. Steuerehrliche Unternehmen kön-en mit steuerunehrlichen Unternehmen nicht konkurrie-en, sie werden vom Markt verdrängt. Wirtschaftskraftnd Arbeitsplätze gehen verloren. Natürlich können wirabei nicht zusehen.Da wir heute über Ihren Antrag bzw. Ihren Gesetz-ntwurf reden, ist klar, dass Sie sich dieses Problems,ieses großen Missstandes sehr wohl bewusst sind, auchenn Sie nicht mutig genug sind, dabei mitzumachen,ie Verwaltung in ihrem Kampf gegen die kriminellenlemente wirksam zu unterstützen.Sicher gibt es immer verschiedene Wege, bestimmteiele zu erreichen. Der Antrag der FDP auf sofortigemstellung der Umsatzsteuererhebung von der Soll- aufie Istbesteuerung, um den Umsatzsteuerbetrug wirk-am zu bekämpfen und gleichzeitig für mehr Liquiditätn den Unternehmen zu sorgen, ist aber leider nur alsaum ernst zu nehmender Schnellschuss zu bezeichnen.as hat Herr Rzepka schon ausgeführt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15285
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Lydia WestrichSie wissen genau: Auch, wenn wir wollten, könnenwir das gar nicht so schnell realisieren. Die EU hat dabeinämlich noch ein Wort mitzureden. Wir sind an die6. EG-Richtlinie gebunden und die Signale aus Brüsselin dieser Richtung sind nicht allzu ermutigend. Danebenwissen Sie genau, dass wir Planspiele in Gang gesetzthaben, durch die die Möglichkeiten eines anderen Mehr-wertsteuersystems ausgelotet werden.
Ich nenne das Reverse-Charge-Modell und die Istbesteu-erung verbunden mit einem Cross-Check. Warten Siedoch wenigstens diese Ergebnisse ab. Dann können wirauch mit handfesten Argumenten in Brüssel auftreten,sodass wir uns nicht mehr mit neuen, unausgegorenenVorschlägen gleich ins Hintertreffen bringen.Wir sind uns einig, dass wir mit unseren gesetzgeberi-schen, technischen und organisatorischen Mitteln bei derBekämpfung des Umsatzsteuermissbrauchs nicht mehrviel weiter kommen. Die Länder können bei der Steuer-fahndung und bei der Intensität ihrer Prüfungstätigkeitsicher noch einiges mehr tun. Das können sie ruhig nochhöher fahren. Wir hier sind gefordert, zu überlegen, wiewir das Mehrwertsteuersystem so verändern können,dass es sich nicht mehr zum Bedienungsfeld kriminellerElemente eignet. Dies muss seriös und mit Hand undFuß geschehen. Schnellschüsse, bei denen wir nicht ein-schätzen können, welche neuen betrügerischen Möglich-keiten damit verbunden sind, können wir uns nicht mehrleisten.
Herr Solms, ob die Steuerberater damit einverstandensind, die Haftung und Verantwortung für ein solch unge-prüftes Feld zu übernehmen, wage ich zudem zu bezwei-feln. Wir müssen Ihren Antrag zum jetzigen Zeitpunktalso ablehnen.
Wir haben an Sie aber die Bitte, dass Sie fundiert weitermit uns diskutieren, wenn die Erkenntnisse aus den Plan-spielen vorliegen.
Die CDU/CSU verfolgt mit ihrem Gesetzentwurf eineandere Intention, das ist klar. Sie wollen Liquiditätseng-pässen von kleinen und mittleren Unternehmen entge-genwirken.
Leider ist der Gesetzentwurf ebenfalls untauglich.
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leinunternehmen hilft dieses Durcheinander nicht wei-er. Sie täten besser daran, diese kriminellen Machen-chaften mit uns wirksam zu bekämpfen
nd mit uns ein Mehrwertsteuersystem zu erarbeiten, dasicht mehr in diesem Maße betrugsanfällig ist.
hrlich gesagt, würden Sie in Ihren Ländern – das wis-en Sie selbst ganz genau – weder für den Antrag nochür den Gesetzentwurf eine Mehrheit finden.
arum legen Sie uns Gesetzentwürfe vor, von denen Sieissen, dass sie im Bundesrat auf jeden Fall scheiternerden? Es tut mir sehr Leid, dass wir den Gesetzent-urf und den Antrag ablehnen müssen.Vielen Dank.
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15286 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Lydia Westrich
Jetzt hat das Wort der verehrte Herr Kollege Hermann
Otto Solms.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Wenn man genau zugehört hat,
stellt man fest, dass wir uns in der Diagnose parteiüber-
greifend einig sind. Die Umsatzsteuer hat im Erhebungs-
verfahren erhebliche Nachteile. Sie belastet die Liquidi-
tät von kleinen und mittleren Unternehmen und
Handwerksbetrieben. Sie ist zudem international beson-
ders betrugsanfällig. Es ist gut, dass wir uns in dieser
Diagnose einig sind. Ich freue mich auch, zu hören, dass
man im Finanzministerium große Anstrengungen unter-
nimmt, die richtigen Korrekturverfahren zu ermitteln,
um dann die entsprechenden Vorschläge zu machen.
Die CDU/CSU hat den Vorschlag gemacht, die Istbe-
steuerung in Ost- wie in Westdeutschland auf Unterneh-
men mit einem Umsatz von bis zu 500 000 Euro auszu-
dehnen. Der Vorschlag geht nach unserer Meinung in die
richtige Richtung, weil er gerade bei kleineren Unter-
nehmen eine Liquiditätsentlastung bewirkt. Deswegen
können wir diesem Vorschlag ohne weiteres zustimmen.
Wir haben vorgeschlagen, generell auf die Istbesteue-
rung überzugehen. Ich bin auch nach längerer Lektüre
der entsprechenden Fragen der Meinung, dass dies wahr-
scheinlich der richtige Weg sein wird. Ich bin allerdings
auch der Meinung, dass die Kombination mit einem auf-
wendigen Cross-Check-Verfahren in die Irre führt.
Großbritannien hat es uns vorgemacht. Dort wird mit ei-
ner Bagatellgrenze von meinetwegen 5 000 oder
10 000 Euro Umsatz gearbeitet. Diese geringen Umsätze
brauchen dann nicht mehr speziell geprüft zu werden.
Ansonsten wird mit Stichproben gearbeitet. In der heuti-
gen Computerwelt ist es nicht schwer, auffällige größere
Umsätze durch Stichproben besonders zu prüfen. Ich
denke, dass der Weg dahin führen wird.
Jedenfalls scheint mir die Umstellung von der Soll-
auf die Istbesteuerung auch europarechtlich der einfa-
chere und gangbarere Weg zu sein. Wie ich höre, ist das
Finanzministerium der gleichen Meinung. Allerdings
wollen wir gerne die Machbarkeitsstudie genauso wie
das Planspiel beim Reverse-Charge-Verfahren abwarten,
welches dann allerdings europarechtlich auf größere
Schwierigkeiten stoßen dürfte und eine Vereinbarung in
Europa über die Länder hinweg zur Voraussetzung hätte.
Diese dürfte sehr schwer zu erreichen sein.
Entscheidend ist, dass jetzt gehandelt wird. Wir haben
unseren Antrag vor einem Jahr eingebracht. Ich hatte
vorher schon in einem Artikel der „FAZ“ die Richtung,
in die wir denken, angedeutet. Wir müssen handeln, weil
durch Groß- wie durch Kleinbetrug zweistellige Milliar-
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Deswegen hoffe und erwarte ich, dass die Bundesre-
ierung nach der Überprüfung der Verfahren möglichst
och in diesem Jahr einen Vorschlag macht, dem wir
offentlich alle zustimmen können; denn diese Sache ist
wischen den Parteien nicht umstritten. In diesem Sinne
ehe ich unseren Antrag als Antrieb für eine solche Ent-
cheidung. Auch wenn er heute keine Mehrheit findet,
lauben wir, dass wir das richtige Signal gesetzt haben.
ir hoffen, noch in diesem Jahr gemeinsam zu einer Lö-
ung zu kommen. Das würde für die Haushalte von
und und Ländern eine entscheidende Entlastung bedeu-
en.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Jutta Krüger-Jacob.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!m es vorwegzunehmen: Die Grünen werden gemäß dereschlussempfehlung des federführenden Finanzaus-chusses den Gesetzentwurf der Union sowie den Antrager FDP ablehnen.
a der Antrag und der Gesetzentwurf aber aus unserericht ein eminent wichtiges Thema betreffen und derennhaltliche Richtigkeit nicht pauschal infrage gestellterden soll, ist uns an einer sachlichen Auseinanderset-ung gelegen.Die aktuelle Debatte darüber, kleinen Unternehmenie Möglichkeit einzuräumen, bei der Umsatzsteuer statter Soll- die Istbesteuerung anwenden zu dürfen, hatwei Stoßrichtungen: Zum einen handelt es sich um einittel zur Betrugsbekämpfung, zum anderen um eineirtschaftspolitische Maßnahme. Diese beiden Zieleollten wir unbedingt auseinander halten.Der Umsatzsteuerbetrug verursacht jährlich einenteuerausfall in Höhe von etwa 20 Milliarden Euro. Hät-en wir diese Einnahmen, dann läge das Haushaltsdefizitnter 3 Prozent, wäre damit Maastricht-konform und wirätten weniger sonstige Debatten. Allein diese Größeeigt, dass wir keinerlei Alternative zur wirksamen Be-ämpfung des Umsatzsteuerbetruges haben. Zurzeit gibts durchschnittlich nur alle 50 Jahre eine Prüfung pronternehmen in Bezug auf die Umsatzsteuer. Der Grundierfür ist zu wenig Personal. Das Problem liegt dabei in
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15287
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Jutta Krüger-Jacobder Aufdeckung der Betrugsfälle. Hingegen ist die Bear-beitung der bekannt gewordenen Fälle einfacher.Als großes Hindernis stellt sich dabei die Tatsachedar, dass wir keine Bundessteuerverwaltung haben.Eine zentrale Verwaltung mit allen Daten in einer Handwürde einen schnelleren länderübergreifenden Abgleichermöglichen.
Dadurch würde die Aufdeckung von Betrugsfällen ge-rade bei der Umsatzsteuer erheblich vereinfacht. Da zurBetrugsbekämpfung ein Mehr an Prüfung notwendig ist,prüft das BMF zurzeit das so genannte Cross-Check-Verfahren. Wesentliche Voraussetzung hierfür ist eineflächendeckende elektronische Umsatzsteuerbearbei-tung.
Um einen Abgleich von Umsatzsteuer und Vorsteuer zuermöglichen, muss jeder Unternehmer elektronisch imRahmen einer monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungdie einzelnen Rechnungsbeträge und die darauf entfal-lende Umsatzsteuer anmelden, und zwar bei einer nocheinzurichtenden Zentralbehörde. Diese gleicht dann denAusgangsumsatz bei Unternehmer A mit dem entspre-chenden Eingangsumsatz bei Unternehmer B ab. Aufdiese Weise kann festgestellt werden, ob die Vorausset-zungen des Vorsteuerabzugs für den Leistungsempfän-ger vorliegen. Bagatellumsätze bis 500 Euro sind vondiesem Verfahren ausgenommen.Die hierzu laufende Machbarkeitsstudie wird bisMitte dieses Jahres abgeschlossen sein. Wir sollten dieStudie abwarten und bei Reformbemühungen deren Er-gebnisse berücksichtigen. Nordrhein-Westfalen wird üb-rigens als erstes Bundesland zur Koordinierung allerMaßnahmen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugesein Zentralfinanzamt einrichten und damit einen wichti-gen Schritt in die richtige Richtung gehen.
Der FDP-Antrag befasst sich leider nicht mit der Be-trugsbekämpfung, sondern ist im Kern ein Vorschlag füreine Umsatzsteuerreform. Jedoch kann alleine mit demÜbergang von der Soll- zur Istbesteuerung der Umsatz-steuerbetrug nicht bekämpft werden, denn bei beiden Al-ternativen muss vom Finanzamt gleichermaßen geprüftwerden. Dies im Übrigen auch deshalb, weil ein Konto-auszug ebenso leicht gefälscht werden kann wie eineRechnung. Insbesondere bei Onlinebanken, wo man dieKontoauszüge zu Hause ausdrucken kann, ist der Rech-nungseingang ebenso betrugsanfällig, wenn kriminelleEnergie vorhanden ist.Auch wenn die Einführung der Istbesteuerung, inwelchen Grenzen auch immer, ohne Cross-Check undohne Ausweitung der Prüfmöglichkeiten keine Betrugs-bekämpfung darstellt, könnte sie eine Maßnahme sinn-voller Wirtschaftspolitik sein. Eines jedenfalls ist offen-sLmnewnmdsWSuNmvndDeDbeSezmBteGe1BD
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir die klei-en und mittleren Unternehmen auch weiterhin stärkenüssen;
enn sie sind unverzichtbarer Kern unserer Volkswirt-chaft.
enn aber diese Stärkungsmaßnahmen zu enormenteuerausfällen führen, müssen wir offen über Kostennd Gegenfinanzierungen sprechen.
ach den Berechnungen des BMF würde es einen ein-aligen Steuerausfall in Höhe von 4,2 Milliarden Euroerursachen, wenn gemäß dem FDP-Antrag alle Unter-ehmen, deren Umsatz unter 2,5 Millionen Euro liegt,ie Möglichkeit der Istbesteuerung erhalten würden.ies stellt für unseren Haushalt zumindest zurzeit einchtes Problem dar.
ie Union hat die Umsatzgrenze mit 500 000 Euro zwarescheidener angesetzt, aber auch hier entsteht ein Steu-rausfall in Höhe von 2,8 Milliarden Euro.
olange wir keine Möglichkeit haben, diese – und seiens nur vorübergehende – Steuerausfälle gegenzufinan-ieren, können wir diese Anträge nicht umsetzen undüssen sie ablehnen. Im Hinblick auf die wesentlicheedeutung des Themas muss es jedoch in unser aller In-resse sein, die Umsatzsteuer immer wieder zu unseremesprächsthema zu machen.Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetz-ntwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache5/3193 zur Vereinheitlichung der Umsatzgrenze bei dererechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten.er Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerBeschlussempfehlung auf Drucksache 15/4814, den Ge-setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmender Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-tion abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfälltdamit die weitere Beratung.Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4814 dieAblehnung des Antrags der Fraktion der FDP aufDrucksache 15/2977 mit dem Titel „Reform derUmsatzsteuer – Durch Umstellung von der Soll- auf dieIstbesteuerung Umsatzsteuerbetrug wirksam bekämpfenund unnötige Liquiditätsbelastungen der Wirtschaft ver-meiden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegendie Stimmen der FDP und eine Stimme aus der CDU/CSU bei sonstiger Enthaltung der CDU/CSU angenom-men.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENStabilitätspolitik im Kaukasus und die Zu-kunft Tschetscheniens– Drucksache 15/4855 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Markus Meckel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist gut, dass Tschetschenien heute wieder Thema un-serer Debatte ist. Wir alle wissen, dass – nicht bei uns imBundestag, aber in der öffentlich stattfindenden politi-schen Debatte – über Tschetschenien und den dort vor-herrschenden Krieg und Terror allzu oft und allzu langegeschwiegen wird.Es ist gewiss richtig – das betrifft nicht nur uns Deut-sche, sondern den Westen überhaupt –, dass wir Russ-land als Partner brauchen. Das wird auch künftig so sein.Doch das darf nicht dazu führen, dass wir diesen Kon-flikt, der bis zum heutigen Tag viele zivile Opfer fordert,ausblenden. Schreckliche Terroranschläge, wie zuletzt inBeslan, rütteln uns auf. Vor wenigen Monaten haben wirhier der vielen Kinder, der russischen und inguscheti-schen Opfer gedacht. Doch dann gehen wir allzu schnellwieder zur Tagesordnung über.Die Tschetschenen sind seit Jahrhunderten ein schwergeprüftes Volk. Nach der Unterwerfung im Zarenreichnutzte Stalin den Zweiten Weltkrieg, um große Teile desVolkes unter dem Vorwand, sie würden mit Hitler-D5a1SUpWrUzTzdGv1zalrzuwamdisnkSslVmnGlnfnsTsZTcrlDdsJTt
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Noch im März soll es in Straßburg einen runden Tisch zuden Fragen Tschetscheniens mit verschiedenen Partnerngeben.SEAMGuEddeSlcsAssBsorsoSugPwItgewEbKMwnsrs
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Claudia Nolte.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!s ist wichtig, dass wir ein wiederholtes Mal eine De-atte über Tschetschenien führen, einen Schauplatz vonriegen, Vertreibung, Terrorismus und massenhaftenenschenrechtsverletzungen; denn die Dramatik nimmteiter zu.Allerdings legen Sie von der Koalition uns heute ei-en Antrag vor, bei dem man förmlich spürt, dass Sieich gedrängt fühlten, irgendetwas vorzulegen. Viele Ih-er Kolleginnen und Kollegen setzen sich für eine politi-che Lösung im Tschetschenienkonflikt und gegen die
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Claudia NolteMenschenrechtsverletzungen dort ein; ich nehme IhnenIhr Engagement auch ab. Zu Ihrem Antrag kann manaber nur sagen: Es wäre besser gewesen, Sie wären beidem Beschluss der Grünen von ihrem Bundesparteitagim letzten Jahr geblieben.
Dieser Beschluss ist dadurch, dass ihn die FDP in ihremhier eingebrachten Antrag inhaltlich aufgreift, nichtschlechter geworden; wir können uns dem Antrag derFDP gut anschließen.Ihr Antrag liefert eigentlich nur eine zusätzlicheRechtfertigung unserer Kritik an der Bundesregierung,die sich einfach nicht traut, gegenüber dem russischenPräsidenten einen ganz klaren Kurswechsel in derTschetschenienpolitik einzufordern.
Ihr Antrag macht die Diskrepanz zwischen dem, was Siefür richtig halten, und dem, was Sie opportun finden, erstrichtig deutlich. Meinen die Grünen, sie wären mit demjetzt vorliegenden Antrag auf ihrem Parteitag durchge-kommen? Das, was Sie hier machen, grenzt schon anSelbstverleugnung.
Herr Erler, Sie hatten in der letzten Debatte zu diesemThema im Dezember in einem Zwischenruf gefragt, obman sich nicht vorstellen könne, eigene parlamentari-sche Initiativen zu ergreifen. Auch wenn das keineRechtfertigung für das Nichtstun der Bundesregierungist, sage ich Ihnen: Natürlich, Sie haben Recht. Aber wosind denn diese Initiativen? Bringen Sie doch einen ent-sprechenden klaren Antrag ein. Sie hätten die Chancedazu gehabt.Ihr Antrag enthält kaum ein kritisches Wort zuTschetschenien. In Ihrem Parteitagsbeschluss haben Siedie Wahl in Tschetschenien noch klar als Farce be-zeichnet. Warum ist kein Wort dazu in Ihrem Antrag zufinden? Dabei ist diese Wahl doch symptomatische fürden Tschetschenienkonflikt, nämlich für die Frage, wiesich Russland einbringt, wie es durch Härte die Gewalt-spirale immer wieder selber anheizt, und dafür, dass esGelegenheiten zu Dialog und politischen Lösungen nichtwahrnimmt.Das nimmt auch kein Ende. Mit der Tötung vonMaschadow wird die Gewaltspirale wieder verschärftwerden. Man hat sich im Kreml erneut die Chance ge-nommen, Wege eines Dialogs zu beschreiten, und das,obwohl Maschadow über Rückhalt bei den Tschetsche-nen verfügte und damit ein verhandlungsfähiger Dialog-partner gewesen wäre.Im April 1995 schrieben einige SPD-Kollegen – Siewaren dabei, Herr Erler und Herr Meckel – an den dama-ligen Bundeskanzler Helmut Kohl sinngemäß, er mögegegenüber dem Präsidenten Jelzin wie auch öffentlich inaller Klarheit die Position des Deutschen BundestagesdzSdtdbstvKWmwbbBdmAdeLdStPtlswsmtMdkssGRwG
Die georgische Parlamentspräsidentin hat vergangeneoche in einem Vortrag in Berlin gesagt, die beste Rah-enbedingung für die Weiterentwicklung Georgiensäre es, wenn Russland auf dem demokratischen Wegleibt. Ich denke, man kann das noch weiter fassen: Sta-ilität im Kaukasus ist nur durch das glaubhafteekenntnis Russlands zur Demokratie zu erreichen;enn Demokratie in Russland ist Bedingung für eine de-okratische Politik Russlands. Wenn man die russischermee, die Polizei und die Geheimdienste zur Achtunger Menschenrechte bewegen will, dann braucht manine demokratische Kontrolle. Wenn man eine politischeösung im Tschetschenienkonflikt möchte, bedarf esort demokratischer Strukturen und Wahlen. Wenn mantabilität im Kaukasus möchte, bedarf es dort demokra-ischer Staaten in Selbstbestimmung. Für all dieseunkte ist ein demokratisches Russland der zentrale Fak-or.Vor einigen Wochen hatte die deutsch-russische Par-amentariergruppe ein Gespräch mit Vertretern der Men-chenrechtsorganisation Memorial. Auf die Frage, inelcher Weise Deutschland Unterstützung bieten könne,agten sie sinngemäß: Es würde schon helfen, wenn Sieanchmal schwiegen. Die Umarmung unseres Präsiden-en diskreditiert zum Teil unsere Arbeit.
an bezog das nicht zuletzt auf die Äußerung des Bun-eskanzlers, dass er bei den Wahlen in Tschetschenieneine empfindlichen Störungen feststellen konnte. Die-er Kommentar war eben nicht nur nicht nötig, er warogar schädlich.
erade wenn es um einen so wichtigen Partner wieussland geht, darf man ganz fundamentale Grundwerteie Demokratie und Wahrung der Menschenrechte beiesprächen nicht hinten herunterfallen lassen.
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Claudia NolteSie haben ja für Ihren Antrag den Titel gewählt: „Sta-bilitätspolitik im Kaukasus und die Zukunft Tschetsche-niens“. Diese Passage ist die anspruchsvollste im ganzenAntrag. Allzu viel Zukunftsweisendes zu Tschetschenienfindet man nicht. Das ist zugegebenermaßen auchschwierig. Da steht im Beschluss der Grünen – wir sindja dankbar, dass die FDP ihn in die parlamentarische De-batte eingebracht hat – mehr drin.
– Das reicht uns. Wir können uns dem anschließen; dasist ganz einfach.
Zum Kaukasus finden Sie die vage Formulierung,man möge die Möglichkeiten einer umfassenden Strate-gie der Stabilisierung und Vertrauensbildung ausloten.Eigentlich gäbe es ja ein Instrument dafür, eine Organi-sation, die ausdrücklich diese Aufgabe hat: die OSZE.Es ist nur eben ein Dilemma, dass die OSZE kaum hand-lungsfähig ist, weil sie sich in einer tiefen Krise befindet.Das hat etwas mit dem Vertrauen der Mitgliedstaaten derOSZE untereinander zu tun. Wir wissen, auch bei derLösung dieser Frage kommt Russland eine ganz wich-tige Schlüsselstellung zu. Deswegen ist auch das einThema, das der Bundeskanzler mit dem russischen Prä-sidenten Putin besprechen muss. Ich kann es nur nocheinmal deutlich unterstreichen: Das besonders gute Ver-hältnis zwischen dem Bundeskanzler und dem russi-schen Präsidenten bringt eben auch eine besondere Ver-antwortung unseres Bundeskanzlers in dieser Frage mitsich.
Es gibt einen Punkt in Ihrem Antrag, den ich aus-drücklich unterstreichen möchte, nämlich dass jede poli-tische Lösung des Tschetschenienkonflikts bei einerUntersuchung und Verfolgung der Menschenrechtsver-letzungen ansetzen muss. Die Menschen in Tschetsche-nien brauchen eine Perspektive. Erst dann kann es eineBefriedung geben. Was wird aus den Kindern, die heutein Tschetschenien aufwachsen, in einem Klima derGewalt und Zerstörung? Es besteht die Gefahr, dass siedie Terroristen der Zukunft sein werden. Wir müssenalso alle Anstrengungen unternehmen, um dies zu ver-hindern.
Das Wort hat der Abgeordnete Fritz Kuhn.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Die Eskalation in Tschetschenien und im gesam-ten Nordkaukasus insbesondere seit 1999 ist der Nähr-boden für weitere Gewalt, für Verzweiflung undinsbesondere für weiteren Terrorismus und das Anwach-sen des Einflusses islamistischer Fundamentalisten. Da-rüber müssen wir nicht streiten. Wir müssen hier auchnlhVsLtuDdasRVsWsafsnnnnmseddsSwPdb–drp
Wir sind der Überzeugung, dass es zu Lösungen viaerhandlungen und Gesprächen, also zu politischen Lö-ungen, keine Alternative gibt. Weder Krieg noch dieogik von Schlag und Gegenschlag bieten hier eine Al-ernative. Ich glaube, an dieser Stelle unterscheiden wirns nicht.
ies gilt auch für die so genannte Tschetschenisierung;abei handelt es sich ja um nichts anderes als um einendere gewaltsame Methode von Schlag und Gegen-chlag. Deswegen geht es uns um politische Lösungen.Die Tötung Maschadows ist wahrscheinlich einückschlag, weil damit letzten Endes Perspektiven fürerhandlungen und Gespräche zunichte gemacht wordenind.
er die Differenzierung zwischen Leuten, die in Tschet-chenien aus separatistisch-nationalistischen Gründengieren und kämpfen, und solchen, die aus islamistisch-undamentalistischen Gründen agieren und kämpfen, be-eitigt, kann am Schluss nur noch einen Weg gehen,ämlich die totale Vernichtung aller, die in Tschetsche-ien gegen die Russen aufgestellt sind. Die totale Ver-ichtung aller Gegner führt dazu, dass die Chance, zu ei-er Verhandlungslösung zu kommen – das wäre jaöglich; eine solche Lösung muss immer möglichein –, zunichte gemacht wird. Deswegen waren die Er-ignisse in dieser Woche mit Blick auf den Frieden, aufie Möglichkeit eines Wegs zum Frieden sehr negativ.Zu dem Antrag, Frau Nolte. Ich kann nicht verstehen,ass Sie hier so über die Antragslage reden, wenn Sieelber gar keinen Antrag einbringen.
elbstverständlich macht es einen Unterschied aus, obir – darüber müssen wir ganz offen reden – auf einemarteitag eine Resolution bzw. einen Antrag verabschie-en oder ob unsere beiden Fraktionen, die die Koalitionilden
jetzt hören Sie einmal zu, Sie kommen ja nachher dran –,araus einen Bundestagsantrag machen, der die Regie-ung zu einem bestimmten Handeln auffordern und ver-flichten will.
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Fritz KuhnWir haben in unserer Parteitagsresolution unsere Grund-sätze und unsere Einschätzung der Menschenrechtsver-letzungen in Tschetschenien dargelegt. Daraus ist in demAntrag von Rot und Grün, der heute hier vorliegt,
das geworden, was wir jetzt von der Bundesregierung inihrem Agieren kurzfristig umzusetzen verlangen.Wissen Sie, Frau Nolte, es geht in der Politik undauch im Dialog, in den Gesprächen mit der russischenRegierung um den feinen Unterschied zwischen Rechthaben und Recht bekommen.
Wenn der Bundeskanzler und der Außenminister in denGesprächen mit der russischen Regierung fordern sollen– wie Sie es vorgeschlagen haben –, zuerst einmal im ei-genen Land eine Demokratie zu schaffen, bevor die Lö-sung der Probleme angegangen werde,
dann kann ich Ihnen voraussagen, dass wir da nichts er-reichen werden.
Ich weiß aus meiner Teilnahme an den Gesprächen mitPutin oder anderen Vertretern der russischen Regierung,dass immer gefragt wird, wie die Schritte zur Stabilisie-rung im nördlichen Kaukasus, insbesondere in Tschet-schenien, aussehen, und dass auf diesem Thema ein-dringlich beharrt wird.Ich kann verstehen, dass Sie in der Opposition dieFrage der konkreten Umsetzung, wie wir tatsächlich et-was für die Menschen schaffen, nicht so arg interessierenmuss. Aber uns muss sie interessieren. Darin liegt dieDifferenz der beiden Anträge, über die wir hier reden.Dass Sie, Frau Nolte, unseren Antrag banalisiert ha-ben, finde ich nicht gut; denn er enthält zentrale Ele-mente dessen, was jetzt helfen würde und notwendigwäre. Er enthält einen klaren Appell, wie ihn der Euro-parat formuliert hat, zur Beachtung der Menschen-rechte. Er plädiert dafür, dass wir Lösungen finden, wieJournalisten und Hilfsorganisationen in Tschetschenienihre Arbeit aufnehmen können. Das ist, wie wir wissen,ein ganz entscheidender Punkt, damit sich überhauptetwas verändern kann. Denn in dieses Land kommt – ab-gesehen von einigen Mitgliedern des Europarates, dievorsichtige Reisen unternehmen – praktisch überhauptniemand mehr hinein.sptgsedvagdwbwVwnwuMAdnislIasBsTcRmhusgndi
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!or wenigen Tagen ist Aslan Maschadow gestorben,ahrscheinlich ermordet worden. Die Umstände sindoch nicht ganz klar; vielleicht werden wir es nie genauissen. Es ist zu befürchten, dass der Kampf weiter gehtnd eskaliert, dass blutige Rache geübt wird.aschadow hatte sich von den verabscheuungswürdigennschlägen durch tschetschenische Terroristen immeristanziert. Es mag sein, dass sein mäßigender Einflussoch vermisst werden wird.Präsident Putin hatte bei seinem Deutschlandbesuchm Dezember noch verkündet, der Tschetschenienkriegei seit drei Jahren beendet. Die Realitäten, auch deretzten Tage, sprechen leider eine ganz andere Sprache.mmer wieder berichten Nichtregierungsorganisationen,ber auch Fachleute, nicht zuletzt Vertreter des Deut-chen Bundestages im Europarat, wie der Kollegeindig, von Menschenrechtsverletzungen durch russi-che Sicherheitskräfte. Die Literatur, die in den letztenagen dazugekommen ist – nicht zuletzt das beeindru-kende Buch von Anna Politkovskaja über Putinsussland –, unterstreicht die Dringlichkeit, dass wir unsit diesem Thema erneut befassen müssen. Es ist einöchst aktuelles Thema und es ist sehr wichtig, dass wirns von der Befassung mit diesem Thema durch die Be-chwichtigungsbemühungen aus Moskau nicht abbrin-en lassen.Rot-Grün hat einen Antrag zur Lage in Tschetsche-ien eingebracht. In diesem Antrag wird die Bereitschafter russischen Regierung, nach einer politischen Lösungn Tschetschenien zu suchen, ausdrücklich gelobt.
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Dr. Werner HoyerIch muss aber sagen, dass ich diese Bereitschaft nicht er-kennen kann. Ich würde mich einer solchen Bewertunggerne anschließen, aber ich kann sie mir nicht zu Eigenmachen. Ich wundere mich nicht darüber, dass Sie überdiesen Antrag am liebsten schon heute abgestimmt hät-ten, damit das Thema vom Tisch kommt und im Aus-schuss nicht beraten werden muss. Dieser Antrag kannnach meiner Auffassung die kritische Prüfung im Rah-men einer Ausschussberatung nicht bestehen.
Es ist interessant – dafür habe ich volles Verständnis –,dass der Kollege Markus Meckel über diesen Antragvorsichtshalber nichts gesagt hat,
sondern nur über die sehr bedrückende Situation inTschetschenien selbst. Es ist außerdem sehr erhellend,dass heute die Bundesregierung, obwohl durch Staats-minister Bury vertreten, zu dieser Thematik hier keineStellung nehmen will. Die Menschenrechtsverletzungenin Tschetschenien werden in dem Antrag nur stark ver-klausuliert angesprochen. Das reicht nicht. Der Bundes-tag muss diese Menschenrechtsverletzungen klar beimNamen nennen.
Die Grünen hatten auf ihrem Parteitag einen sehr vielweiter gehenden, einen sehr viel mutigeren Antrag ver-abschiedet. Wir haben diesen richtigen und wichtigenAntrag wortgleich im Bundestag eingebracht. Wir warenallerdings nicht bereit, ihn im Rahmen dieser Debatte so-zusagen zu konsumieren. Wir werden Ihnen aber nochGelegenheit geben, ausführlich dazu Stellung zu neh-men. In einer namentlichen Abstimmung können Siesich dazu bekennen oder auch nicht.Wir werden noch vor der Sommerpause auf diesesThema zurückkommen. Wir sollten aber abwarten, wiedie Entwicklung in den nächsten Wochen verläuft, ob dieBefürchtung, dass es in den nächsten Wochen zu einerVerschärfung des Konfliktes kommt, eintritt, was wiralle nicht hoffen, oder ob die in jüngster Zeit durchauserkennbar gewordenen Anknüpfungspunkte für einepolitische Lösung aufgegriffen werden.Das Memorandum, das Vertreter Tschetscheniens undder russischen Soldatenmütter – Markus Meckel hattedas bereits erwähnt – unter Vermittlung und Beteiligungvon Parlamentariern des Europäischen Parlaments unddes Europarats für das Treffen am 24. Februar in Londonvorgelegt haben, bietet Präsident Putin und der russi-schen Regierung die Chance, ihren Friedenswillen dochnoch unter Beweis zu stellen. Wir werden diese Ent-wicklung abwarten und dann zu einer endgültigen Be-wertung kommen. Die Grünen werden aber nicht daranvorbeikommen, zu ihrem eigenen Antrag Ja oder Neinzu sagen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Melanie Oßwald.
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Was ist bis dato geschehen? Nichts! Überhaupt nichtsst geschehen. Herr Bury, da Sie auf der Regierungsbankitzen, möchte ich Sie gerne fragen, warum der Kanzlerazu schweigt. Wo ist hier der kritische Dialog? Wo isteine Besorgnis über Russlands Umgang mit den funda-entalen Bestandteilen der Demokratie, mit der Rechts-taatlichkeit, mit dem Minderheitenschutz, mit der Mei-ungs- und Pressefreiheit und seine Besorgnis über denmgang mit der Opposition?Ist der Bundeskanzler wirklich derart realitätsfremd?räsident Bush hat doch gezeigt, wie es geht.
r hat bei seinem Treffen mit Putin all diese Punkte of-en angesprochen und die beiden verstehen sich trotz-em blendend. Das wäre ein tolles Vorbild für den Kanz-r.
ch frage mich, wovor er Angst hat, dass er nicht die lei-este Kritik an der russischen Autokratie anzubringenagt.
Der Bundeskanzler begnügt sich auch nicht damit,elbst zu schweigen. Erst verpasst er seinem Koalitions-artner einen Maulkorb und heute lässt er nicht einmalen Tschetschenienexperten aus seinen eigenen Reihenprechen.
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Melanie Oßwald– Es hätte Ihnen, glaube ich, sehr gut getan, wenn er ge-sprochen hätte.Es ist beschämend, dass aus dem an sich unterstüt-zenswerten – das möchte ich betonen – Beschluss desParteitags der Grünen ein armseliges, inhaltsleeres An-träglein geworden ist.
Wo steht in Ihrem Antrag, dass alle russischen Staatsor-gane, insbesondere Armee und Geheimdienste, auf diestrikte Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet wer-den müssen? Wo steht, dass Verbrechen, die von Vertre-tern staatlicher Organe begangen werden, in öffentlichenVerfahren aufgeklärt und Schuldige verurteilt werdenmüssen?Sie trauen sich nicht, Menschenrechtsverletzungenmit eigenen Worten zu beschreiben. Lediglich auf dieFeststellungen des Europarates verweisen Sie. Das istwirklich der Gipfel der Feigheit!
Immerhin wollen Sie sich Ihrem Antrag zufolge dafüreinsetzen,dass künftige Wahlen in Tschetschenien nach inter-nationalen Standards vorbereitet und durchgeführtsowie internationale Wahlbeobachtung ermöglichtwerden …Ich frage mich, warum. Die letzte Wahl war doch nachdes Kanzlers Worten durchaus akzeptabel. Wir bräuch-ten doch diese Debatte heute gar nicht.Das ist Wahrheitsbeugung, die an Realitätsverleug-nung grenzt. Aber da befindet sich der Bundeskanzler inallerbester Gesellschaft. Schließlich behauptete seinFreund Putin, in Tschetschenien gebe es – wir haben esbereits gehört – seit drei Jahren keinen Krieg mehr. Ichsage: Das ist wirklich beschämend.Richtig ist, dass der Tschetschenienkonflikt in denletzten Jahren islamisiert wurde. Genauso richtig ist,dass dieser Konfliktdurch das unterschiedslos brutale Vorgehen der rus-sischen Sicherheitskräfte … selbst zu einer Brut-stätte immer neuer Gewalthandlungen gewordenist.
Das ist ein unglaubliches Zitat aus Ihren eigenen Reihen.Demnach hatten Sie die Wahrheit schon einmal erkannt.Ich frage Sie, wo Ihre Einsicht jetzt bei diesem neuenAntrag bleibt. Übrig geblieben ist dieses Pamphlet, indem Sie geradewegs bedauernd feststellen, dass – ichzitiere –lPRdnddDnfhtßgdkmlOlLingDdAün
enken Sie über folgende Worte des toten Maschadowsach: Es gibt keine militärische Lösung für diesen Kon-likt. Es gibt keinen Sieger. Wer das nicht verstandenat, ist weit von der Realität entfernt.Von einem Bundeskanzler erwarte ich mehr Reali-ätsnähe und vor allem mehr Verantwortung in der Au-enpolitik. Dazu braucht es klare und offene Worteegenüber dem russischen Präsidenten. Aber der Bun-eskanzler redet sich stattdessen Putins gelenkte Demo-ratie lupenrein, wie überall zu lesen war. Schröders de-okratischer Persilschein macht aus Putin damit nochange keinen weißen Riesen.Ich jedenfalls gedenke Maschadows und der anderenpfer des Tschetschenienkrieges. Er stand für eine mög-iche Verhandlungslösung und für Frieden in einemand, dessen Volk wie jedes andere auch das Recht hat,n Würde zu leben. Putin sagt ja, es gebe in Tschetsche-ien noch viel zu tun. Ich hoffe, Sie werden ihm da fol-en und es endlich anpacken.
Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage aufrucksache 15/4855 zur federführenden Beratung anen Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an denusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zuberweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das isticht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 d auf:a) Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenErnst Burgbacher, Marita Sehn, Dr. ChristelHappach-Kasan, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPProbleme des Tourismus in Deutschland trotzdes weltweiten Aufschwungs dieser Zukunfts-branche– Drucksachen 15/2033, 15/3287 –b) Erste Beratung des von den Abgeordneten ErnstBurgbacher, Dirk Niebel, Klaus Haupt, weiteren
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerAbgeordneten und der Fraktion der FDP einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Jugendarbeitsschutzgesetzes– Drucksache 15/2664 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss fürBildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismusc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Burgbacher, Helga Daub, Daniel Bahr ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSommerferienregelung verbraucherfreundli-cher gestalten – Gesamtferienzeitraum auf90 Tage ausdehnen– Drucksachen 15/3102, 15/4121 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus Brähmigd) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Klimke, Klaus Brähmig, Edeltraut Töpfer, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUMarketing für die Hauptstadt Berlin– Drucksachen 15/3491, 15/5014 –Berichterstattung:Abgeordnete Annette FaßeNach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-sprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die FDP soll fünfMinuten erhalten. Gibt es Widerspruch? – Das ist nichtder Fall. Dann ist auch so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Morgen beginnt in Berlin die weltgrößte Tourismus-messe, die ITB. Dass die FDP die heutige Debatte bean-tragt hat, zeigt, welchen Stellenwert wir dem Tourismuseinräumen. Angesichts dieser großen Messe ist es wich-tig, dass sich auch der Deutsche Bundestag mit demThema Tourismus beschäftigt.
Wir alle kennen die Zahlen: 2,8 Millionen Arbeits-plätze in Deutschland hängen am Tourismus. Der Touris-mus trägt rund 8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.Über 100 000 junge Leute werden in der Tourismusbran-che ausgebildet. Das sind Zahlen, die sich sehen lassenkönnen. Es sind Arbeitsplätze, die zum großen Teilstandortgebunden sind und nicht einfach irgendwohinverlagert werden können. Es gibt ein Potenzial an zu-sätzlichen Arbeitsplätzen. Deswegen muss uns dieserBereich so sehr beschäftigen.EracDgeRwDBusbEwßdmshbmumtsdm1oChhddedleeF
as war der Grund dafür, dass wir die Große Anfrageestellt haben. Die Antwort hat uns bestätigt, dass esine Menge hausgemachter Probleme gibt. Wenn dieseegierung sie endlich anpackte und löste, dann könntenir Zigtausende von zusätzlichen Arbeitsplätzen ineutschland schaffen.
ei einer Zahl von über 5 Millionen Arbeitslosen ist esnverständlich, dass es nicht getan wird.Ich will in der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügungteht, nur ein paar Punkte nennen:Liberalisierung der Sperrzeiten. Man stelle sich vor,ei der Fußballweltmeisterschaft 2006 kommt es zumndspiel Deutschland gegen Brasilien. In der Halbzeitürden bei uns die Bürgersteige hochgeklappt, weil Au-engastronomie nur bis 22 Uhr möglich ist. Wenn wiren Slogan „Die Welt zu Gast bei Freunden“ glaubhaftachen wollen, müssen wir das ändern, und zwarchnell.
Thema Jugendarbeitslosigkeit. Wir legen Ihneneute einen Gesetzentwurf zur Änderung des Jugendar-eitsschutzgesetzes vor. Es ist völlig realitätsfern, wennan heute einem 16- oder 17-Jährigen, der in der Hotel-nd Gastronomiebranche ausgebildet wird, sagt: Duusst um 22 Uhr aufhören. – Das ist weltfremd, reali-ätsfern und führt dazu, dass junge Menschen – Haupt-chüler, Realschüler – keine Chance auf einen Ausbil-ungsplatz mehr haben. Deshalb sage ich: Endlich wegit dieser unsinnigen Regelung! Es sind keine kleinen7-jährigen Kinder; sie können sehr wohl bis 23 Uhrder bis Mitternacht arbeiten und haben damit auch einehance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Thema Sommerferienregelung. Auch hierzu liegteute ein Antrag der FDP-Fraktion vor. Wir müssen da-in kommen, dass die Sommerferienzeit wieder ausge-ehnt wird. Es ist der größte Unsinn und schädlich füren Deutschlandtourismus, die Sommerferien auf solchinen kurzen Zeitraum zu reduzieren. Das führt dazu,ass im Juli die Betten leer sind und dass im August al-s überfüllt und damit teurer ist. Im Sinne einer famili-nfreundlichen Politik muss man es schaffen, dass dererienzeitraum wieder auf 90 Tage ausgedehnt wird.
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Ernst Burgbacher
Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.Thema Bürokratieabbau. Wir werden das Thema nochan anderer Stelle diskutieren. Er ist eine der angesagtes-ten Maßnahmen.Etwas ganz Aktuelles: Thema Kerosinbesteuerung.Es gibt dazu Meldungen. Der Deutsche Bundestag hatsich für Kerosinbesteuerung ausgesprochen, aber sie sollin ganz Europa gelten. Alles andere würde nur dazu füh-ren, dass die Flughäfen und die Luftverkehrsgesellschaf-ten bei uns vom Markt verdrängt werden. Es wäre einBeschäftigungsprogramm für das Ausland. Hören Siemit dieser Gespensterdiskussion auf! Machen Sie es eu-ropaweit oder gar nicht!
Schließlich ein Thema, das uns jetzt immer wiederbeschäftigt: das Antidiskriminierungsgesetz. Was Siemit diesem Horrorszenario vorhaben, ist unglaublich.Damit wird eine enorme Bürokratie geschaffen. Sieschränken die Vertragsfreiheit in unerträglicher Weiseein. Wenn Sie dieses Horrorwerk eines Antidiskriminie-rungsgesetzes durchpeitschen, dann werden Sie geradeauch im Tourismus Zigtausende von Arbeitsplätzen aufsSpiel setzen. Deshalb wird die FDP alles tun, dass dasAntidiskriminierungsgesetz in der von Ihnen vorgeleg-ten Fassung nicht beschlossen wird.
Lassen Sie mich zum Schluss den Präsidenten des In-ternationalen Bustouristikverbandes, Richard Eberhardt,zitieren, der heute in einem Zeitungsartikel festgestellthat:Was die Menschen hierzulande wirklich brauchen,um entspannt eine Reise zu buchen, ist private Pla-nungssicherheit. In besonderem Maße ist dabeiPolitik gefordert. Renten müssen berechenbar sein,Sozialabgaben und Gesundheitsfürsorge auch. Ins-gesamt brauchen wir ein Klima, das von Optimis-mus getragen sein muss und nicht von fast täglichenNegativmeldungen.Wir wollen mit unseren Initiativen zum Optimismusbeitragen.
Herr Kollege, bitte.
Lassen Sie uns seitens der Politik die Rahmenbedin-
gungen dafür schaffen, dass der Tourismus in diesem
Land zu dem Erfolg wird, der möglich ist!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anette Faße.
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Man kann in diese Debatte eigentlich alles hineinpa-ken. Ich möchte mich aber auf die Punkte konzentrie-en, die auf der Tagesordnung stehen, damit wir nichtauernd alles wiederholen. Denn wir sind bereits in derituation, dass wir alte Themen wiederholen.
on der FDP werden keine neuen Forderungen erhoben.Die vorliegenden Anträge sind reine Showanträge.ch will das an zwei Beispielen belegen. In dem Antragit der Überschrift „Marketing für die Hauptstadt Ber-in“ machen Sie, meine Damen und Herren von derDU/CSU, die Regierung für vieles verantwortlich. Zunserer Verantwortung soll es jetzt auch gehören – dazuerden wir aufgefordert –, uns für eine weltweite Be-usstseinsänderung bei den Besuchern Berlins einzuset-en.Ich wiederhole: Wir sollen mit einem Marketing fürie Stadt Berlin erreichen, dass alle Bürger dieser Weltit dem Begriff „Hauptstadt der Deutschen“ inhaltlichesser umgehen. Ich frage mich, wie Sie zu der Behaup-ung kommen, dass sich die Besucher Berlins nicht da-über klar sind, dass sie sich in der Hauptstadt Deutsch-ands, einer bunten, vielfältigen Stadt mit einer großeneschichte und Kultur, befinden. Ihrem Antrag fehltöllig die Basis.
Der Antrag greift zudem in die Hoheit der Länder ein.ch habe heute Diskussionen geführt, in denen die Be-eutung der Länder hervorgehoben wurde; Stichwort:öderalismus. Sie hingegen fordern eine verstärkte För-erung der Hauptstadt Berlin auf Bundesebene.Sie haben die Föderalismuskommission wegen deruständigkeiten im Kulturbereich scheitern lassen. Aberetzt fordern Sie Geld von uns. Berlin boomt. Sie forderneld von der Regierung für das Marketing einer Stadt,ie im vergangenen Jahr die meistbesuchte Stadt ineutschland war.
ie fordern Geld für das Marketing einer Stadt, die imergangenen Jahr die Rekordzahl von 13 Millionen Be-uchern erreicht hat. Sie fordern Geld für das Marketing
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Annette Faßeeiner Stadt, die ein Wachstum der Gästezahl von traum-haften 16,1 Prozent zu verzeichnen hatte. Ich frage Siein diesem Zusammenhang, ob Sie nicht an Realitätsver-lust leiden.Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Grundan-nahme entbehrt jeglicher gesicherter und nachvollzieh-barer Basis. Unsinnige Forderungen können wir nichtunterstützen. Dafür sind uns die Steuergelder zu schade.Ich habe mich gefreut, dass die FDP im Ausschuss un-sere Meinung geteilt hat.
Nun zum Werk der FDP. Ich greife einen Punkt he-raus: die Sommerferienregelung, über die wir schonhundertmal diskutiert haben. Wir haben hier das gleicheZiel und haben auf den verschiedensten Ebenen sehrviele Gespräche geführt.
In dem Antrag, den Sie heute vorlegen, heißt es:Der Deutsche Bundestag fordert die Kultusminis-terkonferenz … auf, die Sommerferienregelung sozu entzerren, dass sich ein Gesamtferienzeitraumvon 90 Tagen ergibt.
Das Ziel ist zwar richtig, aber der Weg – meine Herren,das wissen Sie ganz genau – ist falsch;
denn der Bundestag wird sich nicht in die Angelegenhei-ten der Länder einmischen.
Sie wissen ganz genau, wie sensibel dieses Thema ist.
Wir haben mithilfe von DTV und BTW und gemeinsammit den Ministerpräsidenten und Kultusministern ver-sucht, den Schaden vom Tourismus abzuwenden. Wirhaben immerhin erreicht, dass die Kultusministerkonfe-renz die Zeitspanne von ursprünglich 75 Tagen auf83 Tage erhöht hat.
Das ist zwar keine optimale Lösung, aber ein Teilerfolg.
Sie wissen, dass wir nicht par ordre du mufti handelnkönnen.
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o war es. Daher muss ich sagen: Wenn wir Einflussehmen wollen, dann sollten wir mit diesen Ländern an-angen. Die Bundesregierung kann das allerdings nichtnordnen und erst recht kein entsprechendes Gesetz aufen Weg bringen. Darum sage ich ganz klar: Ihr Antragst für mich in höchstem Maße unseriös.
Nun noch ein paar Worte zur Großen Anfrage derDP, über die ich sagen muss: Ihr negativer Titel passtur FDP und auch zur CDU/CSU.
n ihrer Überschrift heißt es „Probleme des Tourismus“.ann folgen 108 Fragen. Wenn Sie 108 Fragen stellenüssen, frage ich mich, was Sie über den Tourismus ineutschland wissen.
iele der Fragen, die Sie stellen, sind nicht etwa nachorne gerichtet, sondern rückwärtsgewandt. In der Über-chrift Ihrer Großen Anfrage sprechen Sie von großenroblemen, anstatt deutlich zu machen, dass wir es mitinem boomenden Markt zu tun haben.
Bei Übernachtungen ausländischer Gäste ist ein Pluson 9 Prozent, bei inländischen Ankünften ein Plus von,1 Prozent zu verzeichnen. Die Gesamtzahl der Über-achtungen zeigt einen geringen Zuwachs in Höhe von,2 Prozent. Die Fachpresse spricht von einer Konsoli-ierung auf hohem Niveau.
ie Hotellerie verzeichnet ein Plus von 3 Prozent, dieimmerauslastung ist um 4,2 Prozent gestiegen.
ie Anzahl der Fluggäste stieg im Vergleich zu 2003 um5,1 Millionen; das ist ein Plus von 9,3 Prozent. Dieeiseveranstalter rechnen mit einem Plus von 5 Prozent.eisebüros verzeichnen positive Bilanzen. Bei den Aus-ildungsplätzen im Tourismus gibt es einen Boom. In
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Annette Faßeder Gastronomie ist das nicht so; das räume ich ein. Aberauch hier sind die Probleme rückläufig.Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, sage ich Ih-nen: Wenn man eine Branche schlechtreden will, dannfängt man mit einer solchen Überschrift an. Herr Kol-lege Burgbacher, das haben Sie leider wieder einmal ge-schafft. Aber Sie sollten einmal die positiven Zahlen inden Mittelpunkt rücken und nennen.
Dann würde man sehen, dass Sie auch positive Bilanzenakzeptieren; denn mit dem Tourismus in Deutschlandgeht es in Richtung Wachstum.Danke, meine Damen und Herren.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brähmig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Am Vorabend der Internationalen Tourismus-börse 2005 diskutiert der Deutsche Bundestag über dieSituation der Tourismuswirtschaft. So werden in denkommenden Tagen in den Hallen unter dem Funkturmnicht nur die neuesten Trends und Reiseziele durch dieBranche präsentiert. Vielmehr sind wir als Tourismuspo-litiker dazu aufgefordert, hier im Parlament neben denStärken auch die Probleme des Wirtschaftssektors Tou-rismus am Standort Deutschland zu thematisieren.Fest steht jedenfalls: Deutschland besitzt als Reisezielfür Gäste aus nah und fern eine hohe Attraktivität unddie deutsche Bevölkerung ist als Kunde im eigenen Landund weltweit ein gern gesehener Gast.Betrachtet man den Tourismusstandort Deutschland,so kann man aber wahrlich nicht behaupten, den deut-schen Unternehmen der Branche gehe es blendend. Ge-rade der Dienstleistungssektor ist aufs Engste mit derBinnenwirtschaft und der Stimmungslage der Konsu-menten verbunden. Diese gleicht aber zurzeit eher demZustand einer Depression, ohne dass sich ein Silberstreifam Horizont abzeichnen würde.
Die rot-grüne Bundesregierung hat die Bevölkerungunseres Landes nach nur sechseinhalb Jahren Amtszeitzutiefst verunsichert. Kein einziges ihrer Reformvorha-ben ist bislang geglückt. Bei einigen ihrer Politikansätzekonnte allerdings dank einer wachsamen OppositionSchlimmeres verhindert werden.
Meine Damen und Herren, die hohe Arbeitslosigkeitwirkt weiterhin äußerst dämpfend auf den Binnenkon-sum und legt sich wie Mehltau über unser Land.Fde„agsDknShgsaBnnsI2zsnLDzudsgDbbsnlsWud
ür unser Land sind die hohen Arbeitslosenzahlen undie dahinter steckenden Einzelschicksale schlichtwegine Katastrophe. So wollen wir zum Beispiel mit demPakt für Deutschland“ erreichen, die rot-grünen Orgienn zusätzlicher Bürokratie mit ihren enormen Belastun-en für den deutschen Mittelstand, soweit es geht, abzu-chwächen.
ass das geplante Antidiskriminierungsgesetz ein Job-iller ersten Ranges wird, bezweifelt inzwischen dochur noch die grüne Bundestagsfraktion.
elbst große Teile der SPD wünschen sich heute, manätte sich nur auf die Eins-zu-eins-Umsetzung der Vor-aben der Europäischen Union beschränkt.Meine Damen und Herren, wenn wir in die USAchauen und sehen, wie sich der dortige Tourismussektorls Jobmotor mit einer enormen binnenwirtschaftlichenedeutung entwickelt, kann man hierzulande geradezueidisch werden. So rechnet beispielsweise die amerika-ische Gastronomie im kommenden Jahr mit einem Um-atzwachstum von 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
n den letzten Jahren wurden jährlich durchschnittlich70 000 neue Stellen geschaffen und in den kommendenehn Jahren sollen weitere 1,8 Millionen neue Jobs ent-tehen. Die SPD interessiert das allerdings offensichtlichicht. Selbst wenn man die unterschiedliche Größe deränder in Rechnung stellt, ist der Unterschied zueutschland eklatant.Meine Damen und Herren, ich bin fest davon über-eugt: Wenn wir auf dem deutschen Arbeitsmarkt kurz-nd mittelfristig etwas Positives bewirken wollen, wirdies nur durch den Dienstleistungssektor und hier insbe-ondere durch den Tourismus und das Handwerk gelin-en.
abei muss unser Hauptaugenmerk der Sicherung derestehenden Unternehmen gelten. Diese sichern die Ar-eitsplätze in Deutschland und würden bei besserer Um-atzsituation und besseren Rahmenbedingungen mehreue Arbeitsplätze schaffen.Die Union hat die Regierung immer wieder eindring-ich darauf hingewiesen, dass es die tief greifendentrukturellen Probleme des Arbeitsmarktes und desachstums sind, die unseren Arbeitsmarkt und damitnser Land vor riesige Probleme stellen. Auch hier ister Tourismussektor als arbeitsintensive Branche mit
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Klaus Brähmignicht exportierbaren Arbeitsplätzen in besonderem Maßebetroffen.Natürlich möchte ich auch auf Positives hinweisen,damit man der Union nicht vorwerfen kann, sie würdealles in unserem Land nur schwarz malen. Der Anteil derausländischen Gäste, die im vergangenen JahrDeutschland besucht haben, war so groß wie nie zuvor inder Geschichte. Dies ist für unser weltoffenes und tole-rantes Land ein großer Erfolg. Unsere Deutsche Zen-trale für Tourismus hat hieran einen sehr großen An-teil.Jedoch muss immer wieder betont werden, dassDeutschland noch immer ein Defizit in der touristischenAußenhandelsbilanz von fast 40 Milliarden Euro hat.58 Milliarden Euro gaben die Deutschen im Jahr 2004während ihrer Reisen im Ausland aus; nur rund21 Milliarden Euro wurden von ausländischen Gästenbei uns im Land eingenommen.Wie gelingt uns der Ausgleich? Erstens durch eineStärkung des Binnentourismus, zweitens durch eine Er-höhung des Anteils ausländischer und kaufkraftstarkerGäste, die unser Land besuchen, und drittens durch dieAusstattung der DZT mit einem höheren Budget.
Meine Damen und Herren, die Union hat hier immerwieder Anträge auf Erhöhung des Budgets gestellt, dieleider im Fachausschuss abgebügelt wurden. Bei Besu-chen und Gesprächen in Auslandsvertretungen der DZThaben wir wiederholt festgestellt, dass deren Einspar-potenzial beinahe ausgeschöpft ist. Mit einem zusätzli-chen Marketingbudget von bis zu 5 Millionen Eurokönnte im Ausland eine große Werbewirkung erzieltwerden.
Die Bundesregierung investiert aber lieber in kostspie-lige Kampagnen des Bundespresseamtes, die in der Be-völkerung schon lange keine Resonanz mehr hervorru-fen.
Meine Damen und Herren, zur Budgeterhöhung gibt eskeine Alternative: Denn wir müssen die traditionellenMärkte pflegen und die Erschließung neuer Märkte vo-rantreiben; ich denke hier vor allem an die VereinigtenArabischen Emirate, an Indien, an China, an Osteuropaund natürlich an Russland. Das Gebot der Stunde ist, beiInlandswerbung und Auslandswerbung die Kräfte zubündeln. Unser Nachbar Schweiz geht hier mit gutemBeispiel und großem Erfolg voran.
Lassen Sie mich zum Abschluss auf einen einzigenPunkt des vorliegenden Berlin-Antrags eingehen, liebeKollegin Faße, nämlich den Wiederaufbau desBerliner Stadtschlosses. Warum soll in der HauptstadtnkestMdkNaaDmbBGlhüFTwDmGsAFUdmhtwBingdsDwr
Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth vonündnis 90/Die Grünen.Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-egen! Sehr geehrte Gäste auf den Rängen! Wir redeneute hier, wie das schon mehrfach gesagt worden ist,ber vier Punkte: erstens über eine Große Anfrage derDP mit dem in meinen Augen schon etwas sonderbarenitel „Probleme des Tourismus in Deutschland trotz deseltweiten Aufschwungs dieser Zukunftsbranche“.ann fehlt irgendwie ein Wort: „benennen“, „zusam-enstellen“, „ändern“? Zweitens reden wir über einenesetzentwurf zur Änderung des Jugendarbeitsschutzge-etzes, auch von der FDP-Fraktion; drittens über einenntrag zur Sommerferienregelung, wiederum von derDP-Fraktion, und viertens über einen Antrag dernion, die der Meinung ist, dass die Bundesregierungas Marketing für die Hauptstadt Berlin in die Hand neh-en sollte.Das alles soll Ihrer Meinung nach dem Tourismuselfen. Ob das so ist, darüber kann man ganz sicher strei-en. Auf jeden Fall gibt es uns die Gelegenheit, über denichtigen Wirtschaftsfaktor Tourismus und über dieedeutung der Tourismuswirtschaft für die Arbeitsplätzen Deutschland zu reden. Das kann man gar nicht oft ge-ug machen, finde ich. Das ist das Gute an Ihren Anträ-en: Wir führen wieder einmal eine Debatte über die Be-eutung der Tourismuspolitik. Damit hört es aber auchchon fast auf.
enn ich frage mich: Hilft es der Tourismuswirtschaftirklich, wenn wir über Öffnungszeiten von Biergärteneden?
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Undine Kurth
Wir wissen doch genau: Das wird vor Ort entschieden.
Hilft es der Tourismuswirtschaft, wenn wir über Verän-derungen im Jugendarbeitsschutzgesetz reden, Verände-rungen, über die letztendlich die Tarifpartner entschei-den? Ich denke, meine Kollegin Renate Gradistanacwird noch etwas dazu sagen. Hilft es der Tourismuswirt-schaft, wenn Sie verminderte Mehrwertsteuersätze ein-fordern, obwohl uns eine ganz sicher nicht rot-grüneEuropäische Kommission als Ergebnis eines Experimen-tes dargelegt hat, dass dadurch weder mehr Arbeitsplätzeentstehen, noch Schwarzarbeit zurückgedrängt wird?Wozu immer wieder diesen Popanz bemühen? Und wasden Antrag zur Sommerferienregelung angeht, da sindwir doch alle einer Meinung, Herr Burgbacher; das wis-sen wir doch. Aber es ist nicht unsere Sache – die KMKentscheidet.
– Sicher, wir können der KMK zum x-ten Male sagen,dass sie das ändern soll, und werden das auch tun.Ich glaube, wir können die heutige Debatte zumindestals eine Art Zwischenbilanz rot-grüner Tourismuspolitikbegreifen. Ich finde es gut, dass wir darüber noch einmalreden können. Dann sollten wir aber auch über positiveDinge reden, zum Beispiel über die Entwicklung inOstdeutschland. Herr Brähmig, dazu hätten Sie dochauch etwas sagen können – wir beide kommen ausOstdeutschland –: Dort hat der Tourismus unglaublichviel Positives geleistet.
Sorgenkind, was die Arbeitslosigkeit angeht, ist der Os-ten oft. Aber Ostdeutschland konnte zum Beispiel imZeitraum von 1992 bis 2003 seinen Anteil an der Ge-samtzahl der Übernachtungen in Deutschland von10,1 auf 20,2 Prozent verdoppeln; das ist eine guteBilanz. Von den rund 2,5 Millionen Gästebetten inDeutschland entfallen inzwischen 22 Prozent auf Ost-deutschland. Auch das ist keine schlechte Bilanz.
In Sachsen-Anhalt werden heute 45 000 Arbeitsplätzedurch die Tourismuswirtschaft gesichert.
1992 waren es noch 32 000. In Mecklenburg-Vorpom-mern ist jeder sechste Arbeitsplatz durch die Tourismus-wirtschaft gesichert.
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Die „Mitteldeutsche Zeitung“ – ich weiß nicht, weron Ihnen sie kennt; sie ist mit Sicherheit keine Zeitung,er man eine ganz besondere Nähe zu Rot-Grün unter-tellen muss – hat vor wenigen Tagen, am 22. Februar005, getitelt: „Sachsen-Anhalt legt die beste Touris-usbilanz seit 1990 vor“.
an sieht also: Die in den Tourismus investierten För-ergelder rechnen sich. Ich denke, das ist ein Grund, da-über zu reden.Ich komme nun zu einem zweiten Punkt, den icherne noch ansprechen möchte, nämlich zur Barriere-reiheit. Wir alle reden immer wieder darüber, dass wirie zum Qualitätsmerkmal des Deutschlandtourismusachen wollen.
ir sagen, die Barrierefreiheit ist ein ganz wichtiger As-ekt. Meine Herren auf der rechten Seite des Hauses – esaben ja nur Herren geredet –: Wie steht Ihre Aussageum Antidiskriminierungsgesetz dazu? Gerade wir, dieir uns mit dem Tourismus beschäftigen, wissen doch,ie viel Diskriminierung es noch gibt und wie wichtigeeignete Maßnahmen wären.
Genau, es gibt leider immer noch Gastronomen, die sa-en: Sie dürfen nicht mit dem Rollstuhl hinein, Sie dür-en nicht mit Ihrem Blindenhund hinein und eine Gruppeon Behinderten wollen wir hier schon gar nicht haben.
enau das ist doch mit ein Grund, für ein Antidiskri-inierungsgesetz zu stimmen, wenn man es mit demarrierefreien Tourismus ernst meint.
Da meine Redezeit zu Ende ist
nd ich natürlich nicht überziehen möchte, Herr Präsi-ent, möchte ich zum Schluss nur noch sagen: Es gibtanz gewiss eine Menge zu tun; das wissen wir.
ir wollen das auch tun. Ich glaube aber, dass es klügert, wirklich darüber nachzudenken, womit wir dem Tou-ismus erstens in der öffentlichen Wahrnehmung undweitens in der politischen Diskussion helfen können,nstatt sich an der Wein- oder Biersteuer und Ähnlichemestzubeißen.
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Undine Kurth
Es ist eine Menge Gutes passiert, aber natürlich müssenwir weitermachen und weiter dafür werben. Niemand istwirklich jemals fertig, aber man muss die Dinge tun, dieauch wirklich nützlich sind.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ernst Hinsken von der
CDU/CSU.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Es ist heute Abend schon mehrmals gesagt worden, dassmorgen die Internationale Tourismus-Börse beginnt.10 000 Aussteller aus 180 Ländern auf der einen Seiteund viele Tausend Besucher auf der anderen Seite wer-den erwartet. Das Schönste ist: Deutschland ist der Aus-richter der diesjährigen Internationalen Tourismus-Börse.
Wir haben die Möglichkeit, unser Land als weltoffenes,gastfreundliches und interessantes Land besonders he-rauszustellen. Diese Chance wird sicherlich genutzt wer-den.
So weit zur schönen Seite, dem Beginn der Internatio-nalen Tourismus-Börse. Wir sind heute aber hier imPlenum versammelt, um die Tourismuspolitik unter dieLupe zu nehmen. Dort liegt vieles im Argen. Meine Vor-redner, Kollegen Brähmig und Burgbacher, haben be-reits darauf verwiesen. Verehrte Frau Kollegin Faße, esdarf uns einfach nicht entgehen, dass die Tourismuswirt-schaft in der Bundesrepublik Deutschland stagniert.
Im Jahre 2002 hatten wir in Deutschland 338,2 Mil-lionen Übernachtungen, ein Jahr später waren es338,5 Millionen und wieder ein Jahr später waren es338,8 Millionen.
Diese Zahlen sind in erster Linie darauf zurückzufüh-ren, dass die Quote der Ausländer, die zu uns gekommensind, um Urlaub zu machen, Gott sei Dank um 9 Prozentgestiegen ist. Währenddessen ist es für den InländerüfhgSnSleliBAkgsWd1tetaMdrAg–fuDZtbbpgzbedLz
ie sagen sich: Wer weiß, was den Rot-Grünen noch al-s einfällt, ich muss das Geld sparen. – Die Sparquoteegt bei uns bei 10,7 Prozent, in den USA liegt sie zumeispiel bei nur 1,5 Prozent. Warum? Die Leute habenngst vor den Schreckgespenstern, die von Ihnen nochommen können.
Der Vorschlag der FDP, das Jugendarbeitsschutz-esetz zu ändern, findet, lieber Kollege Burgbacher, un-ere volle Unterstützung.
arum? Weil er in die richtige Richtung geht. Es istoch ein Ding der Unmöglichkeit, zu sagen, einem über6-Jährigen sei es nicht zuzumuten, bis 23 Uhr zu arbei-n, noch dazu, wenn er einen Tag vor dem Berufsschul-g spätestens um 21 Uhr nach Hause gehen darf.
eine Damen und Herren, haben Sie denn übersehen,ass gerade Hotellerie und Gastronomie diejenigen wa-en, die im letzten Jahr 6 Prozent mehr Arbeits- undusbildungsplätze geschaffen haben? Das ist doch eineroßartige Sache.
Sie würden noch viel mehr Ausbildungsplätze schaf-en, wenn sie nicht diesen bürokratischen Hemmnissennterworfen wären.
as spricht eine eindeutige Sprache. Angesichts dieseruwachsraten und angesichts der Tatsache, dass in Ho-ellerie und Gastronomie schon 94 000 Auszubildendeeschäftigt sind, will ich all denjenigen Danke sagen, dieereit sind, unserer Forderung nach mehr Ausbildungs-lätzen nachzukommen.
Eine Möglichkeit, für weitere Zuwachsraten zu sor-en, wäre, die Sommerferienregelung zu ändern. Jederusätzliche Tag würde 1 Million mehr Übernachtungenringen. Jede Übernachtung bringt im Schnitt 70 Euroin. Rechnen Sie sich einmal aus, was sich hier der Staaturch die Lappen gehen lässt, nur weil wir nicht in derage sind, in dieser Hinsicht eine vernünftige Regelungu finden!
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Ernst HinskenDa sind nicht nur die Kultusminister der Länder, sondernauch wir als Tourismuspolitiker gefordert, neben der Bil-dungspolitik vor allen Dingen die Tourismuspolitik imAuge zu behalten und dabei nicht nur durch die bil-dungspolitische, sondern auch durch die ökonomischeBrille zu sehen.
Ich meine, dass Hotellerie und Gastronomie vor allenDingen durch die enorme Bürokratie belastet werden.In den letzten Jahren wurden zwar 700 Verordnungenabgeschafft, aber mehr als 1 700 neue Verordnungen er-lassen. Damit ist niemandem geholfen; das passt dochnicht zusammen.
Sie haben zum Beispiel den Rechtsanspruch auf Teilzeit-arbeit per Gesetz durchgesetzt. Was ist das Ergebnis?Ein Minus von 250 000 Arbeitsplätzen in der Bundes-republik Deutschland! Jetzt kommen Sie mit den ver-heerenden Änderungen bei der Umsetzung des Anti-diskriminierungsgesetzes, das überhaupt niemand mehrversteht. Reden Sie einmal mit den betroffenen Unter-nehmern vor Ort! Sie haben einen Horror vor dem, wasihnen tagtäglich an Neuem geboten wird.
Das ist nicht die Politik, die die BundesrepublikDeutschland und vor allen Dingen die Tourismusbranchebraucht. Deutschland ist wahrlich ein schönes Land.Deutschland ist ein kulturell reiches Land. Deutschlandverdient es, dass viele Touristen zu Besuch kommen.Wir waren letzte Woche bei unserer verehrten KolleginFrau Falk in Xanten und haben dort festgestellt, dassDeutschland nicht nur in Bayern und im Osten, sondernzum Beispiel auch im Westen schön und durchaus berei-senswert ist.
Ich meine, dieses Erlebnis sollte allen gegönnt wer-den. Wir sind aufgefordert, hier tätig zu werden und vorallen Dingen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit esunserer Tourismuswirtschaft in der BundesrepublikDeutschland wieder besser geht. Ihr Versagen muss an-geprangert und abgestellt werden. Dafür werden wir sor-gen.
Das dauert zwar noch ein bisschen, aber spätestens imnächsten Jahr sitzen wir auf der Regierungsbank undwerden die notwendigen Weichenstellungen vornehmen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Gradistanac
von der SPD-Fraktion.
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ch nehme zur Kenntnis, werte Kolleginnen und Kolle-en, dass Sie ein wenig dazugelernt haben.
emeinsam mit dem DEHOGA bewegen Sie sich in dieichtige Richtung, nämlich in die Richtung des bestehen-en guten Jugendarbeitsschutzes.
Wenn Sie schon meinen, Ihre bereits abgelehnten An-räge noch einmal in den Deutschen Bundestag einbrin-en zu müssen, dann habe ich eine große Bitte: Schrei-en Sie doch nicht Ihre alten Anträge einfach ab. Lassenie sich neue und vor allem gute Argumente einfallen.
alter Kaffee wird nicht dadurch besser, dass man ihnmmer wieder aufwärmt. Damals wie heute behauptenie, es gehe Ihnen darum,
ie Aussichten der meist unter 18-jährigen Haupt- undealschüler auf eine Ausbildung im Gaststätten-ewerbe zu verbessern. Sie sehen damals wie heute eineevorzugung der Abiturientinnen und Abiturienten beier Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, da diese iner Regel über 18 Jahre sind. Dieses Argument istchlichtweg falsch. Die Antwort der Bundesregierungom 14. Juni 2004 auf Ihre Große Anfrage zeigt diesindrücklich anhand der amtlichen Statistik.
er Anteil der Auszubildenden mit Hochschulreife – Sieaben das sicher gelesen – im Gastgewerbe ist gesunken.bsolut gestiegen – das haben wir schon lobend be-erkt – ist allerdings die Zahl der jugendlichen Auszu-ildenden.
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Renate GradistanacIn der Realität ist das Gastgewerbe nach wie vor also dieBranche, in der gerade jugendliche Haupt- und Real-schüler gute Ausbildungsperspektiven haben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, meinAnliegen ist: Übernehmen Sie doch nicht immer unre-flektiert die Forderungen der Wirtschaft, in diesem Falldes DEHOGA.
Tatsache ist, dass das Jugendarbeitsschutzgesetz be-reits heute den Anforderungen des Gastgewerbes nach-kommt. Normalerweise dürfen Jugendliche bis 20 Uhrarbeiten, im Gastgewerbe ist dies für Auszubildende ab16 Jahren bis 22 Uhr möglich, wenn ein Schichtbetriebvorhanden ist, bis 23 Uhr. Das Jugendarbeitsschutzge-setz ist für uns jedenfalls ein Schutzgesetz. Entsprechendihrem Entwicklungsstand schützt es junge Menschen vorÜberforderung,
Überbeanspruchung und Gefahren am Arbeitsplatz. Hö-ren Sie endlich auf, von Bürokratieabbau zu reden, wennSie eigentlich den Abbau von Schutzbestimmungen undRechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernmeinen.
– Du brauchst dich gar nicht aufzustellen, ich sage ehNein.
Meine SPD-Fraktion und ich halten es mit HarryBelafonte, der sagt: Rühre nie an einer Grundidee, wennsie Qualität besitzt.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/2664 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Tourismus auf Drucksache 15/4121 zu dem
Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Sommerferien-
regelung verbraucherfreundlicher gestalten – Gesamtfe-
rienzeitraum auf 90 Tage ausdehnen“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3102 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
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ur Verbesserung der amtlichen Statistik in Deutschland.ch weiß, Statistik ist kein besonders beliebtes Thema.ie steht eher in dem Ruf, eine Belästigung der Bürge-innen und Bürger und Unternehmen darzustellen. Lei-er wird das auch von Verantwortlichen, insbesondereon der Opposition, noch unterstützt.
Dabei ist nicht nur unter den Herstellern, sondernuch unter den Nutzern amtlicher Statistiken und Datennbestritten, dass sie ein Schlüsselelement in Wirtschaftnd Gesellschaft darstellen. Diejenigen, die diese Datenutzen, wissen ihren Wert einzuschätzen. Die Nachfra-en nach Daten der amtlichen Statistik, so der Präsident
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Dr. Sigrid Skarpelis-Sperkdes Statistischen Bundesamtes, Professor Hahlen, hat la-winenartig zugenommen.Deswegen sage ich allen Vorurteilen zum Trotz: Einezuverlässige Datenbasis und die Fülle der von ihr zu er-haltenden Informationen sind für die Beurteilung deswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels wichtig.
Nur mit ihrer Hilfe können Ökonomen und Gesell-schaftswissenschaftler in Unternehmen, Wissenschaftund Verwaltung Analysen ausarbeiten, die für rationaleEntscheidungen unentbehrlich sind. Das weiß übrigensniemand besser als die Unternehmen, die Konsumgüterherstellen; aber auch Banken und Versicherungen ken-nen die Vorteile. Sie alle legen Wert auf diese Statistiken.Auf dem viel zitierten Weg in die Wissens- und Infor-mationsgesellschaft sind aussagekräftige und verläss-liche Daten ohnehin ein wesentliches strategisches Ele-ment: Sie sind der Rohstoff, ohne den ihr das Fundamententzogen wäre. Fehlen nämlich zuverlässige Daten undInformationen, kommt es zu einer erheblichen Unsicher-heit. Das kann für alle, die Entscheidungen fällen, sehrteuer, ja katastrophal werden. Wenn Sie sich über denWert von Daten und Informationen informieren wollen,empfehle ich Ihnen eine berühmte Schrift aus dem ver-gangenen Jahrhundert: Clausewitz hat auf den Wert vonInformationen für strategische Entscheidungen deutlichhingewiesen.Wir sollten nie vergessen, dass nicht nur Wirtschaftund Staat ein Interesse an amtlicher Statistik haben. Ineinem demokratischen Staat ist eine allgemein zugängli-che Informationsquelle ein öffentliches Gut: Sie ist zu-verlässig und vertrauenswürdig, die Nutzung ist grund-sätzlich kostenlos für jeden Bürger, jedes Unternehmen,die Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft und die Wis-senschaft.Die Erhebung der Daten ist natürlich nicht kostenlos,weder für die befragten Bürger und Unternehmen nochfür den erhebenden Staat. Deswegen müssen Statistikenmöglichst effizient und unbürokratisch ermittelt und dieBefragten so wenig wie möglich belastet werden. DieErhebung der Daten muss sich auch an den Bedürfnissender Nutzer orientieren, das heißt, sie muss aktuell undzuverlässig sein und sich hinsichtlich Umfang und Fra-gestellungen gesellschaftlichen und wirtschaftlichenVeränderungen kontinuierlich anpassen.Fast zwei Jahrzehnte lang hat man diese Zusammen-hänge in der deutschen Politik gröblich vernachlässigt.Die deutsche Statistik war, was die Aktualität betrifft,weit hinter die USA und viele europäischen Länder zu-rückgefallen. Seit dem Europäischen Aktionsplan, deram 29. September 2000 beschlossen wurde, wird dasnun erfreulicherweise, kräftig unterstützt von der Bun-desregierung, systematisch nachgeholt. So wurde imJahre 2003 zum Beispiel ein wichtiger Schritt hin zu ei-ner effektiveren Nutzung vorhandenen Datenmaterialsgetan. Primärerhebungen können so vermieden und Un-ternehmen entlastet werden.seeta–kbHsblzlSbmSüwtfsnBedl–VdnesdisdüCKwVeg
Ich kann es ebenfalls nicht verstehen; denn die meistenorschläge des Bundesrates sind ja aufgenommen wor-en, außer einigen Petitessen.Wer in Statistik – das sage ich Ihnen nachdrücklich –ur Erbsenzählerei auf Kosten des Steuerzahlers sowieine Belastung für Bürger und Unternehmen sieht, demei zugerufen: Wissen und Information sind in einer mo-ernen Produktions- und Dienstleistungsgesellschaft, diem internationalen Wettbewerb steht, keine Belästigung,ondern ein strategisches Gut, ein Produktionsfaktor,essen Nutzen für unser Land seine Kosten bei weitembertrifft.
Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Wir beraten über den Ent-urf eines Statistikgesetzes, das laut Drucksache zurermeidung neuer statistischer Erhebungen durch eineffizientere Nutzung bereits vorhandener Daten beitra-en soll. Es handelt sich also eigentlich um ein Bürokra-
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Alexander Dobrindttieabbaugesetz. Aber leider steht das so nicht drin. Es istvielmehr ein klassisches Mehr-Bürokratie-Gesetz, dasim Ergebnis dazu beiträgt, dass mehr Lasten auf denMittelstand verteilt werden, dass mehr Kosten vom Mit-telstand zu tragen sind und dass wieder weniger Freiheitanstatt mehr Freiheit bei den Unternehmen ankommt.Wie kann man das sonst verstehen? Mit der Novellie-rung der Handwerksordnung, Ihrem Frontalangriff aufdas deutsche Handwerk 2003, wollten Sie die Zahl der inder Anlage A aufgeführten zulassungspflichtigen Ge-werbe von 94 auf 29 verringern. Wir haben durch unsermassives Dagegenhalten dafür gesorgt, dass 90 Prozentaller Betriebe das Meisterprivileg erhalten. Nun stellenSie fest, dass die nicht mehr in der Anlage A befindli-chen Betriebe im Statistikregistergesetz nicht mehr er-fasst sind. Sofort stellen Sie die Forderung auf, dass einestatistische Erfassung sein muss. Dazu wird der Versuchunternommen, ein Bürokratieabbaugesetz zur Einfüh-rung zusätzlicher Statistikpflichten zu missbrauchen. Siehaben zwar den Unternehmen die Privilegien genom-men, wollen aber bei den Pflichten immer wieder drauf-satteln. Da machen wir nicht mit. Wir wollen die Mittel-ständler von bürokratischen Gängeleien entlasten. Dazugehört, dass wir weniger Statistiken von den Unterneh-men einfordern.
Herr Kollege Dobrindt, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Skarpelis-Sperk?
Gerne.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die von Ihnen
beklagte Belastung der Unternehmen, diese statistische
Ergänzung, ausgerechnet vom Zentralverband des Deut-
schen Handwerks ausdrücklich gewünscht wurde?
Liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, genau das istvielleicht Ihr Problem. Sie können sich in den Cham-pagneretagen mit den Kollegen aus dem ZDH undsonstwo unterhalten.
Gehen Sie doch bitte einmal in Ihren Wahlkreis! RedenSie mit den Handwerkern vor Ort und fragen Sie die, wiesie zu den statistischen Erfassungen stehen! Dann wer-den Sie sehen, wie die Menschen das wirklich sehen.
– Das ist zitierfähig.–pdsAlblmdvMxds2dumsSndmDmHBHmkttdBslLuoe
Das dürfen Sie gerne zitieren.Es wäre auf jeden Fall sinnvoller, die zulassungs-flichtigen wie auch die zulassungsfreien Gewerbe voner kompletten Statistik zu befreien. Wenn Sie schontatistische Aufgaben verlangen, dann sollten Sie dieuskunft begehrende Stelle auch entsprechend bezahlenassen. Offensichtlich kann man den Drang nach Erhe-ungen nicht anders eindämmen.Frau Skarpelis-Sperk, weil Sie nicht wahrhaben wol-en, dass Ihr Gesetz zu zusätzlichen Belastungen undehr Bürokratie führt, lese ich gerne aus der Begrün-ung zu Nr. 03 der Beschlussempfehlung zu dem Gesetzor:… ein Stichprobenumfang von 10 000 Einheiten
häufig nicht aus …, um im Falle eines kurz-
fristig auftretenden Datenbedarfs oder zur Klärungwissenschaftlich-methodischer Fragestellungen hin-reichend gesicherte statistische Aussagen zu ge-winnen. Eine Aufstockung der Obergrenze auf20 000 schafft mehr Flexibilität …eine Damen und Herren, für wen schafft das mehr Fle-ibilität? Für die Unternehmen? Für die Betriebe? Fürie Betroffenen? Sicher nicht. Sie verdoppeln mit die-em Gesetz die Stichprobengröße von 10 000 auf0 000 und reden dabei von Bürokratieabbau. Sie wollenoppelt so viele Mittelständler wie bisher mit Statistikennd Kosten belasten und reden von Bürokratieabbau. Daachen wir schlichtweg nicht mit.
Ihnen fällt nicht nur nichts ein, wie man die Wirt-chaft entlasten könnte; Sie legen immer noch einechaufel drauf. Masterplan Bürokratieabbau? Bis heuteicht vorhanden. Was ist mit der Ankündigung des Bun-eskanzlers, die Verwaltung schlanker und effizienter zuachen und hemmende Bürokratie rasch zu beseitigen?as Gegenteil ist passiert.Bürokratieabbau bedeutet mehr Eigenverantwortung,ehr Freiheit, weniger Staat, mehr Mut zum Risiko. Dieälfte der Unternehmer in Deutschland sagen, dass dieürokratie nach Steuer- und Abgabenlast das größteindernis für den betrieblichen Erfolg sei. 3 500 Eurouss heute ein Mittelständler pro Arbeitsplatz an Büro-ratiekosten ausgeben. International ist Deutschland un-er den Industrienationen Spitzenreiter, was die bürokra-ische Regelungsdichte betrifft.Anstatt diese Erkenntnisse zum Anlass zu nehmen,arüber nachzudenken, wie man die stetig anwachsendeürokratie in den Griff bekommt, fehlt Rot-Grün inzwi-chen sogar der Mut, sich gegen restlos unsinnige Rege-ungen aus Brüssel zur Wehr zu setzen.Ich erzähle Ihnen hier gern ein interessantes Beispiel.etzte Woche haben wir im Ausschuss für Wirtschaftnd Arbeit die so genannte europäische Richtlinie zurptischen Strahlung beraten. In dieser Richtlinie wirdine Dokumentationspflicht für all diejenigen Betriebe
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Alexander Dobrindtverordnet, deren Mitarbeiter dem Sonnenlicht ausgesetztsind, grob gesagt also all diejenigen, die auf dem Bau ar-beiten, im Gartenbau, im Pflasterbau.
Diese Unternehmen sollen künftig Aufzeichnungen da-rüber machen, welche Mitarbeiter sich einer erhöhtenGefährdung durch Sonnenlicht aussetzen, auch noch ge-staffelt nach Risikogruppen.
Selbst die Berufsgenossenschaften warnen vor einersolchen Regelung. Sie sagen vernünftigerweise, dass dasSonnenlicht während der Arbeit kaum ein anderes alswährend der Freizeit ist und deswegen die Gefährdungoder Nichtgefährdung während der Freizeit genausogroß oder klein wie während der Arbeitszeit ist. Es istvollkommen sinnlos, Aufzeichnungen zu verlangen, umvielleicht nach 20 Jahren festzustellen, wie viel Sonnejemand während der Arbeitszeit theoretisch ausgesetztwar.Wir haben einen Antrag dazu vorgelegt, damit dieBundesregierung in Brüssel darüber verhandelt. Sie ha-ben ihn abgelehnt, mit der üblichen Begründung – dies-mal von Staatssekretär Schlauch –, die Bundesregierungglaube nicht, dass hier zusätzliche Belastungen für dendeutschen Mittelstand entstünden.Meine Damen und Herren, 45 Prozent aller Betriebewerden auf eine konsequente Entbürokratisierung mitmehr Investitionen und mit mehr Personaleinstellungenreagieren. Angesichts von 5,2 Millionen Arbeitslosen indiesem Land sollte das Grund genug sein, endlich mitdem Bürokratieabbau anzufangen.Danke schön.
Die Rede des Kollegen Werner Schulz vom Bündnis
90/Die Grünen soll zu Protokoll genommen werden.1)
Ich denke, Sie sind damit einverstanden.
Dann kommen wir jetzt zur Rede des Kollegen
Dr. Karl Addicks von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetz-entwurf, den wir hier heute abschließend beraten, wirdvon uns, der FDP-Fraktion, im Grundsatz begrüßt. Den-noch werden wir uns wahrscheinlich – wie schon imAusschuss – der Stimme enthalten.Warum? Wir wollen mit dieser Enthaltung dokumen-tieren, dass wir den Entwurf zwar für einen Schritt in diergkzthdelusluboiWFfBDazNuHsKzgDcEWwswdBnd1) Anlage 2
nd seien Sie dabei ein bisschen energischer! Die Ar-eitsmärkte würden wirklich aufatmen.Was erleben wir stattdessen? Lange Ankündigungenhne tatkräftige Folgen. Herr Staatssekretär Staffelt, wasst denn mit dem Masterplan Bürokratieabbau?
as ist denn mit den Modellregionen? Das alles sindata Morganas, die sich verflüchtigen, wenn man ihnenolgt. Land und Leute verdursten dabei, um in diesemild zu bleiben.Das Gesetz macht durchaus Sinn: Statt gänzlich neueaten zu erheben und damit den Auskunftspflichtigenuf die Nerven zu fallen, werden vorhandene Statistikenusammengeführt, was zu neuen Möglichkeiten in derutzung dieser Daten führt. Allerdings geht es hier nurm eine redaktionelle Anpassung an die reformierteandwerksordnung und um eine Koordinierung der ver-chiedenen Statistikdienste auf Bundes-, Landes- undommunalebene. Wir begrüßen diese geplante Vernet-ung der einzelnen Datenpools. Nur, warum geht das ei-entlich alles so langsam?
ie Bundesregierung ist immer noch in ruhigem Schne-kentempo unterwegs, obwohl es an allen Ecken undnden brennt.
achen Sie auf und tun Sie endlich etwas! Wenn Sieollen, können Sie doch mit Schnellschüssen kommen,iehe Versammlungsgesetz.Dieser Entwurf ermöglicht die Datenverknüpfung, soeit, so gut. Jedoch bleibt es bei unser Kritik: Warumehnen Sie den Bürokratieabbau nicht endlich auf alleereiche der Wirtschaft aus? Warum hat Herr Clementicht die Kraft, unserer Wirtschaft die Statistikfron-ienste endlich zu erlassen?
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Dr. Karl AddicksDas Institut für Mittelstandsforschung hat die Kostender aufgeblasenen Bürokratie auf rund 50 MilliardenEuro berechnet – was für ein Wettbewerbsnachteil fürdieses Land und seine Unternehmen!
Wie soll man als Global Player dabei eigentlich kon-kurrenzfähig sein?Im Zusammenhang mit den so genannten Innova-tionsregionen haben Sie viele schöne Vorschläge ge-macht. Passiert ist so gut wie gar nichts. Herr Clementlamentiert wegen des Kraken Bürokratie, aber die Leutewollen ein bisschen mehr als Lippenbekenntnisse.Wenn Sie also Ernst machen wollen, dann bleiben Sienicht bei diesem ersten Schritt stehen, sondern schreitenSie mutig voran und bringen Sie uns allen endlich dielange überfälligen Erleichterungen! Das Land lechzt jageradezu danach.
Aber kommen Sie uns bitte nicht mit neuen Belastun-gen! Insbesondere braucht dieses Land keine Ausbil-dungsplatzabgabe und kein Antidiskriminierungsgesetz,zumindest nicht in der vorliegenden Fassung.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Um zu signalisieren, dass die Bundesregierung weiter inder Pflicht ist, stimmen wir heute diesem Gesetz nichtzu. Wir enthalten uns oder stimmen dagegen;
das hängt von den Mehrheitsverhältnissen ab, die wirgleich testen werden.
Vielleicht wirkt das ja als kleiner Stimulus für Ihren wei-teren Bürokratieabbau.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Addicks, ich gratuliere Ihnen im Namen
des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
Herr Kollege Addicks, beim nächsten Mal werde ich al-
lerdings etwas strenger auf die Redezeit achten.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angela Schmid von
der CDU/CSU-Fraktion.
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m so eine Gleichbehandlung mit den zulassungspflich-igen Handwerken zu erreichen. Auch dieses Ziel maguf den ersten Blick noch vertretbar erscheinen; denn dieerpflichtung zu statistischen Angaben nur den zulas-ungspflichtigen Gewerbebetrieben aufzuerlegen, wäreweifellos willkürlich und ungerecht.Enttäuschend ist nur, meine Damen und Herren voner Regierungskoalition, dass Ihnen zur Schließungieser Gesetzeslücke nur eine Idee gekommen ist: dieulassungsfreien Gewerbe gleichermaßen wie die zulas-ungspflichtigen Gewerbe mit Auskunftspflichten übertatistische Angaben zu belasten. Andere Wege undöglichkeiten kamen für Sie natürlich nicht in Betracht.abei haben Sie doch im letzten Sommer in Ihrem eige-en Gesetzentwurf noch selbst festgestellt, dass weitereaßnahmen zum Abbau von Statistiken notwendigeien, um die Berichtspflichtigen und die statistischenmter zu entlasten.Fest steht auch, dass im Rahmen der parlamentari-chen Selbstkontrolle und der Gesetzesfolgenabschät-ung bei jedem neuen Gesetzentwurf geprüft werdenollte, welcher Aufwand und welche Kosten für Bürgernd Unternehmen mit dem neuen Gesetz verbunden seinerden. Es verwundert daher schon sehr, dass Sie geradeei dem nun vorliegenden Entwurf nicht auch die Frageeprüft haben, inwieweit auf statistische Angaben so-ohl von zulassungsfreien als auch von zulassungs-flichtigen Gewerben verzichtet werden kann. Sie wis-en selbst: Statistische Erhebungen bringen besondersür mittelständische Unternehmen eine enorme Zeit- undostenbelastung mit sich.
ie Bürokratiekosten betragen derzeit beispielsweise inleineren Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten400 Euro pro Arbeitsplatz. Entsprechend groß ist dereitliche Aufwand: Bis zu 64 Stunden im Jahr gehen proitarbeiter dafür drauf. Die CDU/CSU-Fraktion fordertaher seit langem eine deutliche Reduzierung dertatistischen Auskunftspflichten und damit eine erhebli-he Bürokratieerleichterung für Unternehmen.
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Angela Schmid
Für alle Statistikpflichten sollte die Regel gelten: Wereine Statistik bestellt, muss sie auch bezahlen.
Im Bereich der Statistik ist dieser Gedanke im Prinzipder Ressortdeckung umgesetzt worden, wie es in Bayernseit vergangenem Jahr erprobt wird: Alle Ausweitungenvon Statistikanforderungen gehen danach zu Lasten desfachlich federführenden Ressorts, das die dadurch ent-stehenden Kosten bei der Haushaltsaufstellung deckenmuss. Damit soll das Kostenbewusstsein der Fachseitegestärkt werden. Mit Durchsetzung des Ressortde-ckungsprinzips wird die Arbeit der statistischen Ämterals Datenlieferant für Entscheidungsträger in allen Be-reichen des täglichen Lebens auf einem tragbaren Ni-veau gehalten.
Zudem besteht dadurch die Chance, Betrieben und Un-ternehmen keine weiteren Lasten durch die Erstellungvon Statistiken aufzubürden. Derzeit kostet die staatlichverordnete Bürokratie die deutschen Unternehmen 46 Mil-liarden Euro im Jahr.
Daran wird sich auch mit diesem Gesetzentwurfnichts ändern.
Der von Bundesminister Clement propagierte Abbauvon Bürokratiekosten kommt einfach nicht voran. Ange-sichts dessen ist es kaum zu glauben: Nach offiziellenBekundungen des Bundeswirtschaftsministeriums sollder Bürokratieabbau Chefsache sein.Der vorliegende Entwurf setzt ein völlig falsches Si-gnal. Bei all Ihren Bemühungen, Gerechtigkeit zu schaffenund zulassungspflichtige und zulassungsfreie Gewerbe imHinblick auf ihre statistischen Auskunftspflichten gleichzu behandeln, übersehen Sie wieder einmal mögliche ge-setzgeberische Alternativen.Obwohl das Problem der Bürokratiebelastung durchstatistische Auskunftspflichten für die Unternehmen er-kannt ist und ein weiter gehender Abbau von Wirt-schaftsstatistiken versprochen wurde, werden hier neueWege, wie beispielsweise von unserer Fraktion vorge-schlagen, schlicht und einfach ignoriert – ein erneuterBeweis für mangelnden Sachverstand und fehlenden po-litischen Weitblick.Danke schön.
Frau Kollegin Schmid, auch Ihnen gratuliere ich im
Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-
schen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
Ich schließe die Aussprache.
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Ich bin froh darüber, dass es auch in Zeiten der innen-olitischen Konfrontation gelungen ist, dieses Themaber die Parteigrenzen hinweg zu behandeln. Wir versu-hen, für unser Anliegen eine Mehrheit zu finden. Ichäre froh, wenn dieses Thema über alle Parteigrenzeninweg weiterhin auf der Tagesordnung bliebe. Wir wol-en alles dafür tun, dass dies so bleibt.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Geschichteuss erfahrbar sein. Gestern haben wir von Präsidentuschtschenko gehört, dass die Freiheit erlebbar ist. Siest insbesondere dann erlebbar, wenn man weiß, was Un-reiheit tatsächlich bedeutet. Wenn wir nichts mehr überie Unfreiheit wissen, dann haben wir auch nicht mehrie Möglichkeit, die Freiheit als besonderes Gut zu emp-inden. Deshalb muss die Geschichte an diesem zentra-en Ort erfahrbar werden, damit sich diese Geschichteicht wiederholt und damit nie wieder Willkür und Ideo-ogie über Menschenrechte und Menschenwürde gestellterden.Ich bedanke mich im Vorhinein für die Mitarbeit undoffe auf konstruktive Beratungen, damit dieser Antragm gesamtdeutschen Interesse und im Interesse der Men-chen, die wir hier im Bundestag repräsentieren, tatsäch-ich zu dem Ergebnis führt, dass dieser zentrale Ort auf-ewertet wird – in welcher Form, darüber werden wiriskutieren – und dieser zentrale Ort, wie wir es im An-rag formuliert haben, für die Teilung Deutschlands, Ber-ins und der Welt, aber auch für die Überwindung dereilung und für die Freiheit steht.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Meckel von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Ich spreche hier für Stephan Hilsberg, der, wie eben
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Markus Meckelschon erwähnt worden ist, heute aus Krankheitsgründennicht anwesend sein kann.Ich kann deshalb mit umso größerer Unbefangenheitden Initiatoren dafür danken, dass sie diese Initiative er-griffen haben. Denn ich muss klar sagen: Hier ist ein De-fizit aufgegriffen worden, das endlich zur Sprache kom-men muss und dem man sich widmen muss. Dass dies indieser parteiübergreifenden Weise geschehen ist, ver-dient unser aller Dank.
Ich habe es, ehrlich gesagt, nicht verstanden, warumwir die Mauer in Berlin an allen grundlegenden Stellenweggerissen haben. Dass wir sie 1989 als politischeGrenze niedergerissen haben, war überhaupt keineFrage; das war die Voraussetzung für die deutsche Ein-heit. Aber es ist richtig: An diese Teilung, an diese un-sere gemeinsame nationale Geschichte – denn die Tei-lung war unsere gemeinsame Geschichte in Ost undWest, wenn auch für uns im Osten natürlich noch vielschmerzlicher und schwieriger – muss gemeinsam erin-nert werden.Wo, wenn nicht hier in Berlin? Ich muss auch sagen:Wo, wenn nicht hier am Brandenburger Tor? Denn dasBrandenburger Tor war – die Geschichte dieser Jahr-zehnte macht es deutlich – das Symbol der deutschenund europäischen Teilung und es wurde das Symbol derdeutschen und europäischen Einigung. Das heißt, eswurde zum Signal, dass der Kalte Krieg zu Ende ist unddass Europa wieder zusammenwächst.Heute kommen aus aller Welt Millionen nach Berlin.Sie haben Berlin als die Stadt im Kopf, die für die Tei-lung Europas und die Teilung Deutschlands, ja für dieTeilung dieser Welt stand. Viele suchen Orte, wo mansich dessen erinnern kann, und finden keine bis auf einpaar kleine Zeichen für Fachleute – so muss man fast sa-gen –, wie etwa den Kopfsteinpflasterstreifen oder diewahrhaftig gut gemeinte Gedenkstätte an der Ber-nauer Straße, die übrigens von der Kirchengemeindedort mit großem Engagement gepflegt wird. Dort wurdemit großem Einsatz ein Museum, das leider ein privatesMuseum ist, errichtet. Man hat eine Versöhnungskapelleeingerichtet. Auch das war ein ganz wichtiger Akt.Aber man muss feststellen: Sowohl der Bund als auchdie Stadt Berlin haben die Aufgabe, eine Gedenkstättezu gestalten, bis heute nicht in angemessener Weise auf-gegriffen. Dass dies jetzt in dieser Weise passiert, ist einwichtiges Zeichen. Es ist gut, dass die Zahl der Kollegin-nen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, die dieErfüllung dieser Aufgabe parteiübergreifend gemein-sam fordern, zunimmt. Dass die zuständige Staatsminis-terin sagt: „Ja, wir wollen uns dieses Defizites annehmenund es gemeinsam bearbeiten“, ist wahrhaftig ein wichti-ges und gutes Zeichen.
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abei mitgespielt haben, auf dieses Defizit aufmerksamu machen. Auch ich finde übrigens, dass man Frauildebrandt dafür danken muss, dass sie mit den Kreu-en nicht nur auf die grundsätzliche Frage der deut-chen Teilung aufmerksam gemacht hat, sondern ganzezielt an die Opfer erinnert und versucht hat, die Na-en der Opfer ins Gedächtnis zu rufen. Damit hat manen Menschen und auch ihren Familien einen Ort gege-en. Dass das wahrscheinlich nicht so bleiben kann, istie eine Sache; aber es ist ein ganz wesentlicher Punkt,ass wir dies als einen Aufruf nehmen, auch dieseimension in die künftige Gestaltung der Erinnerung anie deutsche Teilung aufzunehmen.Ich erinnere an die Mauergalerie in der Nähe desstbahnhofes, die bis heute leidet; die Gemälde gehenaputt. Ich denke auch: Das Geld für die Pflege muss daein!
a haben 1990 Künstler aus aller Welt die Mauer voner Ostseite bemalt – das war wahrhaftig etwas Beson-eres –, als Zeichen dafür, dass sie niedergerissen ist.eshalb muss dieses Mauerstück erhalten und entspre-hend gestaltet werden.
Ich glaube, dass der Antrag die richtigen Akzenteetzt. Ich bin froh, dass es eine parteiübergreifende Ge-einsamkeit dabei gibt, dies zu gestalten. Ich persönlichöchte sogar ein Stück weiter gehen. Ich glaube, dassir in Bezug auf die Geschichte der zweiten Hälfte des0. Jahrhunderts im Endeffekt ein Museum der deut-chen und europäischen Teilung brauchen, das daran er-nnert. Wir werden sehen, ob das Deutsche Historischeuseum, das hoffentlich demnächst eröffnet wird, einerolchen Aufgabe gerecht wird. Es wäre meines Erach-ens der richtige Ort dafür. Man wird es sehen. Die lang-ristige Perspektive sollte man vielleicht nicht aus demlick verlieren.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-ohlig, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!uch ich kann mich dem nur anschließen, was der Kol-ege Thiele und der Kollege Meckel eben schon berichtetaben. Es ist tatsächlich so: Bis auf die amerikanischeotschaft ist der Pariser Platz, die gute Stube Berlins, in-
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Franziska Eichstädt-Bohligzwischen perfekt fertig gestellt, mit Kugelbäumen, Lam-pen und edlem Pflaster zum Flanieren. Es erinnert abernichts mehr daran, dass all dies von 1961 bis 1989 Teileines unüberwindlichen Todesstreifens war.Ich selbst weiß nicht mehr, obwohl ich sehr oft zwi-schen West und Ost gependelt bin, wo eigentlich dieHinterlandmauer war. Die auf der Westseite gelegeneMauer finden wir im Asphalt. Man muss aber schon sehrgenau hinschauen und ziemlich gut Bescheid wissen, da-mit man das überhaupt entdeckt. Wir sehen auch an denweißen Kreuzen – wir alle wissen, es sind die Kreuze,die unten an der Spree hinter dem jetzigen Paul-Löbe-Haus waren – und an den Blumen, die dort hingelegtwerden, wie groß das Bedürfnis ist, auch an dieser Stelleder Toten, die bei dem Versuch, die Grenze zu überwin-den, getötet worden sind, zu gedenken.Bis vor kurzem kam niemand auf die Idee, dass andiesem Ort tatsächlich die Erinnerung an die Zeit derdeutschen Teilung gesucht wird und dass gerade dasBrandenburger Tor der Ort ist, wo nicht nur die Berli-ner, nicht nur die Deutschen, sondern die Menschenweltweit die Geschichte der deutschen Teilung, des Ei-sernen Vorhangs und des Kalten Krieges suchen. Ichglaube schon, dass man sich wirklich darüber im Klarensein muss, dass gerade auch Touristen hier ihre eigeneGeschichte suchen oder junge Menschen die Geschichteihrer Eltern an diesem Ort suchen.Mir wurde vorgehalten, das sei ja nur für den Touris-mus. Ich muss deswegen mit Entschiedenheit sagen: Dasist doch überhaupt kein Argument. Wenn ich nach Hiro-shima komme, dann erwarte ich, dass die Stadt mir dieGeschichte von Hiroshima in eindringlicher Weise deut-lich macht. Wenn die Menschen am Brandenburger Tordie Erinnerung suchen, dann muss dort auch in eindrück-licher Weise auf die Geschichte der deutschen Teilungund der Teilung der Welt hingewiesen werden.
Es ist auch gesagt worden, es sei eine Konkurrenzzum Holocaust-Mahnmal. Ich glaube nicht, dass es dasist. Wir haben sehr deutlich gesagt: Die deutsche Ge-schichte hat sich die Nähe zwischen diesen unterschied-lichen Phasen – es geht nicht darum, sie in einen Topf zuwerfen – gesucht, nicht wir, die gesagt haben: Das mussein Ort des Gedenkens werden.Von daher meine ich, dass das Holocaust-Mahnmalund die Erinnerung an die Roma und Sinti – ich hoffe,dass bald auch ein solches Mahnmal geschaffen wird –und die ermordeten Homosexuellen zusammengehören.Das alles sind Mahnmale unserer eigenen Geschichte.Wenn sie so dicht beieinander liegen, dann sollten wirdas nicht beklagen; wir sollten sie vielmehr als Mahn-male in dem Sinne nehmen, dass sie uns an das erinnern,was sowohl im Faschismus als auch in Zeiten des sozia-listischen Regimes in Deutschland und Berlin passiertist.Insofern möchte ich dafür werben, dass all diejenigen,die zumindest in den letzten Wochen sehr skeptisch wa-ren, diese Skepsis überwinden und das Thema mutig an-gsinkeThrfGsaaEgwvnmTaskaZkdBsdhddmsssCgfihdfdDvM
Das Wort hat der Kollege Werner Kuhn von der CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Es ist eine Ehre für mich, heute den Gruppenantragür die CDU/CSU-Fraktion mit über 100 Unterstützernm Deutschen Bundestag einbringen zu können. Ichätte in meinen kühnsten Träumen nie daran gedacht,ass ich eines Tages im Reichstag einen solchen Antragür meine Fraktion einbringen kann. Ich glaube, dassiese Debatte gerade für uns Ostdeutsche, die in derDR groß geworden sind, mit sehr starken Emotionenerbunden ist. Ich habe das auch bei den Kollegeneckel und Hilsberg gespürt.
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Werner Kuhn
Wenn man als Nordlicht gefragt wird, was einen andiesem Antrag berührt oder was einen dazu bewegt, einesolche Initiative in Angriff zu nehmen, die bewunderns-werterweise vom Kollegen Thiele initiiert worden ist,dann antworte ich: Auch wir an der Ostseeküste habenletztendlich die Teilung schrecklich erfahren müssen.Dort durfte man sich nach Sonnenuntergang nicht mehram Ostseestrand aufhalten. Das Meer wurde mit großenLampen nach denjenigen abgeleuchtet, die den Weg indie Freiheit suchten. Wenn wir das eine oder andere Malmit unserem Trabbi nach Berlin gekommen sind, dannwar die Wilhelmstraße Endstation. Wir haben das Bran-denburger Tor, das mit Sichtblenden versperrt war, in derFerne sehen können. Dann hat man sich schon gefragt,ob dieses Tor wohl eines Tages in die Freiheit geöffnetwird. Viele haben dazu beigetragen, dass das passiert ist.Wichtig waren auch der Mut, die Besonnenheit und derunbändige Wille zu Freiheit und Demokratie der Bürger-bewegung in der DDR.
Viele von uns haben dabei mitgeholfen und etwas ge-wagt. Auch mit den Friedensgebeten, die wir gemeinsamgestaltet und durchgeführt haben, als die Mauer nochstand, war ein gewisses Risiko verbunden. Niemandwusste genau, wie das ausgeht.Wir müssen uns nun gemeinsam Gedanken darübermachen, wie wir auf der einen Seite derer gedenken kön-nen, die um der Freiheit willen ihr Leben gelassen ha-ben, und wie wir auf der anderen Seite unsere Freudedarüber zum Ausdruck bringen können, dass diese wi-derliche Vernichtungsmauer am 9. November 1989 nie-dergerissen werden konnte. Dazu haben wir gemeinsamIdeen entwickelt, von denen Frau Eichstädt-Bohlig ei-nige angerissen hat. Ich denke, es ist wichtig und not-wendig, dass wir diejenigen, die dort umgekommensind, verlässlich bei ihren Namen nennen können, wie esauch in der Bibel steht.Frau Kulturstaatsministerin Weiss – ich finde es ange-messen, dass auch Sie an dieser Debatte teilnehmen; esist sehr gut, dass Sie uns unterstützen wollen –, in die-sem Zusammenhang sollten wir einen Auftrag zur wis-senschaftlichen Fundierung der Aufarbeitung der Ge-schichte erteilen.
Wir müssen darüber nachdenken, wo wir unserer Totenbzw. derjenigen, die an der Mauer Menschen verlorenhaben, letztendlich am besten gedenken können. Ichkönnte mir vorstellen, dass die Möglichkeit besteht, inunmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor eine Tafelzu errichten. Dort gibt es bereits den „Raum der Stille“.Die Freude darüber, dass die Mauer niedergerissenwurde, wird durch die Bilder, die um die Welt gegangensind, dokumentiert, auf denen Menschen zu sehen wa-ren, die auf den Mauerresten und Panzersperren tanzten.Damit werden wir identifiziert. Auch MinisterpräsidentJuschtschenko, der die orangene Revolution vorantrieb,sagte: Da haben wir gesehen: Wir sind das Volk bzw. wirsind ein Volk. Die gleichen Probleme, die wir in derUbBEhikiddmwsIgeGswMnBgwdgtfDfvs
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/4795 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten DagmarSchmidt , Karin Kortmann, DetlefDzembritzki, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD, der Abgeordneten ChristaReichard , Dr. Christian Ruck, Dr. RalfBrauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenUndine Kurth , Thilo Hoppe,Volker Beck , weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NENBiologische Vielfalt schützen und zur Armuts-bekämpfung und nachhaltigen Entwicklungnutzen– Drucksache 15/4661 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsAuswärtiger AusschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismusb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungFortschrittsbericht zur deutschen bilateralenEntwicklungszusammenarbeit im Waldsektor– Drucksache 15/4600 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Kollegin Dagmar Schmidt von derSPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieWeltgemeinschaft steht vor der Herausforderung des21. Jahrhunderts: Armutsbekämpfung und Umwelt-schutz – so der Wissenschaftliche Beirat der Bundesre-gierung „Globale Umweltveränderung“ in seinem Jah-resgutachten 2004.Die Entwicklung der armen Länder setzt eine wirk-same Umweltpolitik voraus. Diese grundlegende Er-kenntnis wird sicherlich von allen Anwesenden geteilt.Was aber bedeutet dies für unsere zukünftige Politik?Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden ge-meinsamen Antrag folgen wir dieser Erkenntnis. Wirmachen deutlich: Der Schutz der biologischen Vielfaltist nicht nur ein globales Umweltproblem; er ist ebenauch ein globales Entwicklungsproblem. Wir machendamit deutlich: Armutsbekämpfung ist nur dann mög-lich, wenn auch beim Erhalt der biologischen Vielfalt einDurchbruch erzielt wird. Unser Ziel ist klar: In Johan-nesburg vor drei Jahren hat die Weltgemeinschaft ver-einbart, die Verlustrate an biologischer Vielfalt bis zumJahr 2010 signifikant zu reduzieren.Was tun wir für die Zukunft unseres Planeten? DieBundesrepublik leistet international einen überproportio-nal hohen Anteil. Unsere Entwicklungszusammen-arbeit genießt deshalb im Bereich des Umwelt- undRessourcenschutzes seit vielen Jahren international einhohes Ansehen. Das finanzielle Volumen hat bei der rot-grünen Regierung in drei Jahren eine Steigerung vonrund 27 Prozent auf insgesamt 710 Millionen Euro er-fahren. Noch gewaltiger ist die Steigerungsrate des deut-schen Anteils bei den multilateralen Gebern.ausr1VtrrsSwR1rghrkwMPnnkAliwmuEdgtrudzovgdgdzdgmimNwdw4Ndimrs
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Unter Rot-Grün hat die Bundesrepublik weltweit eineorreiterrolle in der Entwicklungs- und Umweltschutz-olitik eingenommen. Vor ziemlich genau einem Jahrat Papst Johannes Paul II. dieses dem Bundespräsiden-en gegenüber betont. Deutschland genießt internationallso ein hohes Ansehen. Unser ganzer Einsatz wird auchn Zukunft darauf gerichtet sein, diesem Lob gerecht zuleiben.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Entschul-igen Sie, dass ich die Themen so durchgehechelt binnd Ihnen kaum Gelegenheit gegeben habe, zu applau-ieren.
Das Wort hat die Kollegin Christa Reichard von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielenenschen ist es überhaupt nicht klar: Die biologischeielfalt, die Variabilität des Lebens in all seinen Formen,st in vielerlei Hinsicht die Grundlage für nachhaltigentwicklung. Die Beseitigung der Armut, die Ernäh-ungssicherheit, die Versorgung mit Trinkwasser, derchutz der Böden und die Gesundheitsversorgung sindllesamt unmittelbar auf die Erhaltung und Nutzung deriologischen Vielfalt der Welt angewiesen. Sie garantiertie Bereitstellung von Produkten und Leistungen, dieas Wohlergehen von Mensch und Natur ermöglichennd erhalten helfen.In besonderer Weise ist die biologische Vielfalt auchür die Menschen von Bedeutung, deren Existenz-rundlage direkt von den an ihrem Wohnort verfügbarenessourcen abhängig ist. Das ist uns sehr wohl bewusstnd uns nicht erst nach der Debatte über diesen Antraglar geworden. Doch der Verlust von Arten und die Zer-törung von Ökosystemen beschleunigen sich in besorg-iserregender Weise und bedrohen somit die natürlicheebensgrundlage der Menschen vor allem in den Ent-icklungsländern. Das Gefährliche an dieser Entwick-ung ist, dass sie ziemlich lautlos abläuft und ohne un-ittelbar sichtbare Folgen bleibt.Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen. Von denrsprünglichen Urwäldern der Erde existieren heute nuroch 20 Prozent. Jährlich gehen weltweit rund5 Millionen Hektar Wald verloren. Das ist in etwa soiel wie die Flächen der Bundesländer Bayern, Hessennd Niedersachsen zusammengenommen. Diese Ent-icklung ist nicht folgenlos geblieben. Mit dem Verlustieser Flächen versiegen Flüsse und Bäche, der Grund-
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Christa Reichard
wasserspiegel sinkt, wertvolle Naturressourcen gehenverloren, die Bodenerosion nimmt zu und der Klima-wandel verstärkt sich.Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten vollziehtsich heute, wie bereits gesagt, hundert- bis tausendmalschneller als in der Vergangenheit. Das hat also auch et-was mit unserem Agieren zu tun. Manche Experten ge-hen davon aus, dass pro Tag etwa 150 Arten aussterben.Ich weiß allerdings nicht, mit welcher Methode das ge-zählt wird. Ur- und Regenwälder beherbergen über zweiDrittel aller auf dem Land lebenden Arten, womit geradeihnen eine besondere Bedeutung für den Arterhalt zu-kommt. Selbst das Aussterben einer einzelnen Tierartkann die Fähigkeit eines Ökosystems schwächen, sichwechselnden Umweltbedingungen anzupassen.Auf einen Aspekt möchte ich ganz besonders hinwei-sen: Für Säugetierarten auf dem Festland stellen derVerlust oder die Zerstörung von Lebensraum und nicht,wie das oft gesagt wird, ihre Nutzung durch den Men-schen die größte Bedrohung dar. Im Gegenteil: In vielenFällen kann gerade durch eine kontrollierte nachhaltigeNutzung wild lebender Arten deren Ausrottung verhin-dert werden.Alarmierend ist auch der Zustand der Weltmeere undBinnenseen. Hier ist in der Tat die Übernutzung durchden Menschen in Form der kommerziellen Fischerei fürden Artenschwund und den Rückgang der Fischbeständeverantwortlich. Zudem führt die zunehmende Meeres-verschmutzung zu einer großflächigen Gefährdung undZerstörung von wertvollen Küsten-Ökosystemen.Natürlich liegt es auch in unserer gesellschaftlichenVerantwortung, die Vielfalt der Schöpfung und die öko-logische Integrität wichtiger Ökosysteme für zukünftigeGenerationen zu bewahren. Sie werden mir sicher zu-stimmen: Leider haben Appelle dieser Art in der Vergan-genheit selten etwas bewirken können, vor allem in Ent-wicklungsländern nicht, in denen die Politiker auchandere dringende Probleme zu lösen haben.Ich möchte daher eine Lanze für die Umweltökono-mie und für ihre Methoden zur monetären Bewertungder Kosten der Umweltzerstörung brechen. Dank derUmweltökonomie wissen wir heute, dass die Natur-zerstörung auch ein handfestes ökonomisches Problemdarstellt. Es ist ganz einfach so: Die Naturzerstörungausgedrückt in volkswirtschaftlichen Kosten bleibt vieleher in den Köpfen der Entscheidungsträger hängen alsökologische Appelle allein.
Die ökonomische Bewertung der Biodiversität und derdamit verbundenen Produkte und Leistungen hat in vie-len Fällen schon geholfen, die Vernichtung bedeutenderNationalparks und Ökosysteme zu verhindern.Ich denke in diesem Zusammenhang aber auch an dasgroße Potenzial der Regenwälder oder anderer Wildnis-gebiete für Forschung, Wissenschaft und Medizin, wel-ches uns zunehmend verloren geht.Gleiches gilt für den ökonomischen Wert von biologi-schen Ressourcen und Ökosystemleistungen.vmHSvBmDKsDTTnrvzAzhwbstShtAKENgVbtlIglUwpgtepeFfpaatä
nter der Unionsregierung wurde im BMZ die Tropen-aldreserve und unter dem Dach der GTZ das „Begleit-rogramm Tropenökologie“ ins Leben gerufen. Die rot-rüne Regierung hat Letzteres zum Entsetzen der Exper-n abgeschafft und das deutsche Engagement im Tro-enwaldsektor zurückgefahren. Um dieser Entwicklungntgegenzusteuern, wurde auf Initiative der CDU/CSU-raktion letztes Jahr eine Expertenanhörung durchge-ührt. Ich möchte die Äußerung eines der namhaften Ex-erten zitieren: Gemessen an den globalen Trends istuch der Beitrag der deutschen Entwicklungszusammen-rbeit als viel zu gering und ineffizient beim Biodiversi-tserhalt zu bewerten.
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Frau Kollegin Reichard, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Eid?
Bitte.
Bitte schön, Frau Eid.
Frau Reichard, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, dass die Bundesrepublik Deutschland, die Bundes-
regierung und speziell die Kreditanstalt für Wiederauf-
bau, der größte Geldgeber der Friedensparks sind?
Gerade heute war eine Delegation aus Südafrika – ein
Mitglied dieser Delegation ist für diese Friedensparks
zuständig – zu Besuch. In einem Gespräch mit der Ent-
wicklungsministerin wurde noch einmal zugesagt,
dass wir die Erweiterung und Ausdehnung dieser Parks
über die Grenzen hinweg nach Mosambik in einem wei-
teren Schritt unterstützen werden.
Allein die Tatsache, dass die Ministerin oder die Par-
lamentarische Staatssekretärin auf einer Konferenz nicht
anwesend ist, kann doch – ich bitte Sie, mir darin zuzu-
stimmen – nicht als Beweis dafür gelten, dass wir nichts
tun. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Frau Abgeordnete Eid, natürlich nehme ich das gerne
zur Kenntnis. Trotzdem ist das Projekt der Friedensparks
nur ein Ausschnitt dieses weltweiten Netzes. Ich be-
grüße es ausdrücklich, wenn wir uns daran beteiligen.
Ich halte es aber nicht für ausreichend, was durch die
Bundesregierung in diesem Rahmen geleistet wird.
Ich bin froh, dass wir uns auf einen interfraktionellen
Antrag einigen konnten, in dem wir gemeinsam die Bun-
desregierung auffordern, das deutsche Engagement zum
Schutz der globalen Biodiversität wieder auszuweiten.
Mein besonderer Dank gilt in diesem Fall auch den Kol-
legen von Rot-Grün im Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, die uns der Sache
wegen bei diesem Antrag unterstützt haben und bei dem
wir eine gemeinsame Linie finden konnten.
Ich möchte auf einige Forderungen des gemeinsamen
Antrags eingehen, die der CDU/CSU-Fraktion beson-
ders wichtig sind. Wir fordern zum Beispiel die Bundes-
regierung auf, unseren biodiversitäts- und tropenwald-
reichen Partnerländern folgendes Angebot zu machen:
Wir sollten ihnen anbieten, sie zusätzlich zu den in Re-
gierungsverhandlungen vereinbarten Kooperationssekto-
ren im Bereich Schutz und nachhaltige Nutzung natürli-
cher Ressourcen zu unterstützen. Des Weiteren erwarten
wir von der Bundesregierung, dass sie endlich die ent-
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Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Heinrich, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur deutschen
bilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Wald-
sektor ist eine sehr gute Grundlage für zukünftige Ent-
wicklungspolitik und rückt den Wald in seiner großen
Bedeutung in das richtige Licht und in den Vordergrund.
Trotz allen politischen Streits im Bundestag ist mit Ge-
nugtuung zu registrieren, dass unsere Beamten einen le-
senswerten Bericht geschrieben haben, den ich allen In-
teressierten zur Lektüre nur wärmstens empfehlen kann.
Trotz aller Gemeinsamkeiten gibt es aber einiges, was
uns trennt. Ich möchte einige Punkte aufführen, die be-
gründen, warum wir den gemeinsamen Antrag von SPD,
CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen noch nicht un-
terstützen.
Lassen Sie mich zuerst aber einige grundsätzliche
Dinge nennen. Neben den geläufigen Funktionen des
Waldes, die wir alle kennen und jeden Tag mehr oder
weniger herunterbeten, wird häufig vergessen, die Funk-
tion der CO2-Senke anzusprechen. Diese Funktion ver-setzt die Entwicklungsländer in eine gute Position, durch
den Handel mit Emissionszertifikaten die einheimische
Wirtschaft zu stärken und gleichzeitig interessante zu-
sätzliche Aufforstungsprojekte auf den Weg zu bringen.
Zu überlegen wäre ebenfalls, ob aus diesen Gründen die
KfW nicht eine verstärkte Förderung von Neuauffors-
tungen ins Auge fassen sollte,
und dies nicht nur aufgrund des Handels mit Zertifika-
ten, sondern auch, um in kritischen Regionen einer wei-
teren Versteppung und Verkarstung entgegenzuwirken.
Dass der Wald nur durch eine nachhaltige Bewirt-
schaftung, und zwar im Sinne der Agenda 21, seine
volle Funktion erfüllen kann, ist unbestritten. Die
Agenda enthält drei Säulen, die im Hinblick auf die
Nachhaltigkeit gleichberechtigt nebeneinander stehen:
die wirtschaftlichen Ziele, die sozialen Ziele und die
ökologischen Ziele. Dem widerspricht allerdings die
dritte Forderung des Antrags auf Drucksache 15/4661
eindeutig. Hier wird gefordert, dass die bestehenden
Zielkonflikte zwischen internationalen Handelsvereinba-
rungen und Umweltkonventionen zulasten Ersterer ge-
löst werden sollen. Das ist eine einseitige Bevorzugung
der ökologischen Seite. Hier müssen wir eine Korrektur
anbringen.
Dies widerspricht auch den Interessen der Entwicklungs-
länder und damit dem partizipatorischen Ansatz der Ent-
wicklungszusammenarbeit.
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Die Forderungen 11 und 12 des Antrages widerspre-
hen diesem Ansatz ebenfalls. Wir können und wollen
en HIPC-Ländern nicht vorschreiben, die durch Ent-
chuldung frei werdenden Mittel zum Schutz und zur
achhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen einzuset-
en. Den Ländern muss es selbst überlassen bleiben, wie
ie ihre Armutsstrategien gestalten.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Forderung 22,
n der nur von FSC als Zertifizierungssystem die Rede
st. Ich rufe in Erinnerung: Es gibt acht unabhängige
ysteme und die FAO fordert zu Recht, alle acht zu be-
ücksichtigen. Die Politik täte gut daran, sich aus den
arktwirtschaftlichen Entscheidungen der Entwick-
ungsländer herauszuhalten. Es muss den Entwicklungs-
ändern überlassen bleiben, die ihnen am sinnvollsten er-
cheinenden Zertifizierungssysteme einzusetzen. Die
DP jedenfalls lehnt jede einseitige Bevorzugung eines
ertifizierungssystems rundweg ab.
Herr Kollege Heinrich, denken Sie bitte an Ihre Rede-
eit.
Das ist der letzte Satz.
Wir beraten heute erstmals über den vorliegenden An-
rag. Wenn wir die von mir angesprochenen Punkte noch
ndern können, dann gibt es eine gute Chance, einen ge-
einsamen Antrag mit der FDP auf den Weg zu bringen.
ir wollen jedenfalls eine sehr breit angelegte Zusam-
enarbeit.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 15/4661 und 15/4600 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannst so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBericht der Bundesregierung über ihre Ex-portpolitik für konventionelle Rüstungsgüterim Jahre 2003
– Drucksache 15/4400 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger AusschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Parlamentarischen Staatssekretär DitmarStaffelt das Wort.D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich möchte Ihnen den Rüstungsexportberichtvorstellen, den die Bundesregierung nunmehr zum fünf-ten Mal vorlegt. Seit dem ersten Bericht 1999 ist das Be-richtsformat ständig weiterentwickelt worden. Ichglaube, man kann mit Recht sagen, dass es auf breite Zu-stimmung gestoßen ist und sich auch dem internationa-len Vergleich sehr wohl stellen kann.Auch für 2003 haben wir eine weitere Verbesserungder Berichtspraxis erreicht. Der Bericht ist nunmehrnoch transparenter, als er in der Vergangenheit war. ImAbschnitt über die erteilten Ausfuhrgenehmigungen fürRüstungsgüter wurde erstmals der Anteil der Genehmi-gungen, die sich auf Kriegswaffen beziehen, offengelegt. Vorbild war hier der schwedische Rüstungs-exportbericht. Dem Vorschlag einer Nichtregierungs-organisation folgend, wurde der Abschnitt über die tat-sächlichen Ausfuhren von Kriegswaffen ergänzt. Dortwird nunmehr über alle Empfängerländer statt wie bishernur über die 20 wichtigsten berichtet. Dem eigentlichen Bericht vorangestellt wurde auchdiesmal eine ausführliche Schilderung der deutschenExportkontrolle für Rüstungsgüter und der wichtigstenEntscheidungsgrundlagen. Auch für zukünftige Be-richte werden wir weiterhin Anregungen zur Weiterent-wicklung prüfen. Wir unterstützen im Übrigen die Be-strebungen zu einer Harmonisierung des Berichtswesensinnerhalb der Europäischen Union.Den Kern des Berichts bildet die Darstellung derrechtlichen und politischen Entscheidungsgrundlagenfür die Rüstungsexportpolitik. Diese Darstellung wirddurch umfangreiches Zahlenmaterial insbesondere in derAnlage 5 vervollständigt, die lückenlos über alle erteil-ten Ausfuhrgenehmigungen Auskunft gibt.Ein besonderer Schwerpunkt der Berichterstattunglag wiederum in den Genehmigungen für die Ausfuhrvon Kleinwaffen. Das hierfür gewählte Berichtsformat– die Auflistung aller Drittländer, für die Genehmigun-gen für Kleinwaffen und Munition erteilt wurden, samtStückzahl, Wert und Waffenart – wurde erstmals im Vor-jahr praktiziert und fand ebenfalls ausdrückliche inter-nationale Anerkennung.
Meine Damen und Herren, diese Schwerpunktsetzungspiegelt die besondere Aufmerksamkeit wider, die dieBundesregierung dieser Waffenkategorie beimisst.Deutschland setzt sich zusammen mit den europäischenPartnern für eine strikte Kontrolle von Kleinwaffenaus-fdGKlrD1jGg1DgggdvNagKfGWdvÜIstgaDAGrUismfswsbDs
Der Anteil der Rüstungsexporte an den deutschenesamtausfuhren ist nach wie vor sehr gering. Beiriegswaffen liegen statistische Daten über die tatsäch-ich erfolgten Ausfuhren vor. Sie machten im Jahre 2003und 0,2 Prozent der deutschen Gesamtausfuhren aus.er Gesamtwert aller ausgeführten Kriegswaffen lag bei,3 Milliarden Euro. Gegenüber dem sehr geringen Vor-ahreswert bedeutet dies allerdings einen Anstieg. Dieründe hierfür sind aber sehr plausibel zu erläutern.Im Jahre 2003 wurden Einzelausfuhrgenehmigun-en im Wert von 4,9 Milliarden Euro erteilt. Das sind,6 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Mehr als zweirittel gingen allerdings in EU-, NATO- und NATO-leichgestellte Länder. Nur 33 Prozent entfallen auf soenannte andere Länder, also Drittländer. Für die Kate-orie der Kleinwaffen ist der Gesamtwert im Jahre 2003eutlich auf 53 Millionen Euro zurückgegangen. Hier-on entfallen rund 84 Prozent auf EU-, NATO- undATO-gleichgestellte Länder.Die Steigerungen bei den Genehmigungswerten fürlle Rüstungsgüter sind durch einige Einzelentscheidun-en zu erklären. Hier sind zum einen insbesondere dieorvetten für Südafrika und Malaysia hervorzuheben,ür deren Auslieferung es einen außerordentlich gutenrund gab, nämlich die internationale Sicherung derasserwege der durch Piraterie bedrohten Gewässer iniesen Regionen, und zum anderen auch die – ich denke,on diesem Hause sehr wohl unterstützte – leihweiseberlassung von zwei Flugabwehrraketensystemen ansrael.Ungeachtet dieser wertmäßig herausragenden Ent-cheidungen für Drittländer entfallen mehr als zwei Drit-el des Gesamtwerts der erteilten Ausfuhrgenehmigun-en auf EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder.Diese Zahlen und die dahinter stehenden Fälle zeigenus meiner Sicht, dass die Bundesregierung gegenüberrittländern eine verantwortungsbewusste Politik mitugenmaß betreibt. Genehmigungen werden auf derrundlage der politischen Grundsätze der Bundesregie-ung für Rüstungsgüterexporte erteilt. Dabei werden allemstände des Falles, insbesondere auch die innere Lagem Empfängerland einschließlich der dortigen Men-chenrechtssituation, berücksichtigt. Bei Kriegswaffenuss vor einer Genehmigungserteilung darüber hinausestgestellt werden, dass die Ausfuhr unseren außen- undicherheitspolitischen Interessen entspricht.Meine Damen und Herren, ich darf an dieser Stelleohl sagen, dass wir Rüstungsexportpolitik seitens die-er Bundesregierung mit Zurückhaltung und Augenmaßetreiben.
ies wird auch weiterhin Gegenstand unseres politi-chen Handelns sein. In diesem Rahmen haben wir auch
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffeltgegenüber anderen Bundesregierungen ganz erfolgreichund ganz herausragend eine neue Transparenz undNachvollziehbarkeit unserer Politik realisiert.Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Erich Fritz von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe verbliebene Kolleginnen undKollegen! Die Bundesregierung glänzt gern mit deut-schen Erfolgen in der Exportpolitik. Im Jahreswirt-schaftsbericht rühmt sie sich ihrer Exporterfolge, dieDeutschland 2003 den Titel des Exportweltmeisters ein-gebracht haben und es voraussichtlich 2004 wieder tunwerden. Auch Panzer und Gewehre sind deutscheExportschlager.Die deutschen Kriegswaffenausfuhren haben 2003mit 1,3 Milliarden Euro – viermal so viel wie 2002 – ei-nen neuen Höchststand erreicht. Auch die Genehmigun-gen für Rüstungsexporte schnellten in die Höhe. Wäh-rend 2002 Genehmigungen für Rüstungsexporte in Höhevon rund 3,3 Milliarden Euro erteilt wurden, waren es2003 mit 4,9 Milliarden Euro fast 50 Prozent mehr alsim Vorjahr. So viel zu der restriktiven Politik, die derStaatssekretär gerade vorgestellt hat.
Diese Entwicklung steht in deutlichem Widerspruchzu dem, Herr Staffelt, was Ihr Kollege Gerd Andres letz-tes Jahr in dieser Debatte, die etwa um die gleiche Zeitstattfand, gesagt hat. Er sagte:Auch in Zukunft wird die Bundesregierung ihre mitZurückhaltung und Augenmaß betriebene Rüs-tungsexportpolitik fortsetzen.Deutsche Waffen – Panzer, Hubschrauber, Schiffe –waren 2003 bestimmt für die USA, Griechenland,Malaysia, die Türkei und Südafrika. Nach dem Stock-holmer SIPRI ist Deutschland von Rang 5 auf Platz 4 derHitliste der Rüstungsexporteure geklettert. Ein beein-druckender Erfolg rot-grüner Politik, meine Damen undHerren!Bemerkenswert sind die in 2003 erneut gestiegenenLieferungen in Entwicklungsländer. Etwa ein Vierteldes Gesamtwertes bei den genehmigten Rüstungsausfuh-ren entfällt auf Staaten, die der Entwicklungshilfeaus-schuss der OECD als Empfänger offizieller Entwick-lungshilfe erfasst. Die Bundesregierung spricht dagegenvon einem Ausfuhranteil in Entwicklungsländer von nur12 Prozent und unterläuft – das ist zumindest die berech-tigte Kritik der Kirchen in Deutschland – internationalvereinbarte Kriterien über die Definition von klassischenEntwicklungsländern. Das Schönen der Statistik gehörtnun auch in diesem Politikbereich zum Handwerkszeugder Bundesregierung.gdDDKzSKKMsmWdtuIgBphfVsdf–VwewgAEüRlirJ„rezaärdJ
Sie kommen gleich dran.Der Berichtszeitraum, für den Herr Staffelt gerade dieeränderung der Rüstungsexporte dargestellt hat, liegtiederum zwölf Monate zurück. Das ist wirklich nichturopäischer Standard, Herr Staffelt. In Großbritannienird vierteljährlich jeweils im Nachhinein berichtet. Eseht also noch besser. Mangelnde Zeitnähe, lückenhaftengaben über Art, Stückzahlen und vor allen Dingenndempfänger zeichnen den Bericht aus. Das kritisiertbrigens auch die Parteivorsitzende der Grünen, Frauoth.
Meine Damen und Herren, Rot-Grün praktizieren po-tisch das – das ist das Ergebnis des Studiums dieses Be-ichts –, was sie bis 1998 aufs Heftigste kritisiert haben.
a, Sie sind sogar, wenn man sich die Zahlen anschaut,besser“ als von der Union und der FDP geführte Regie-ungen. Die Einzelausfuhrgenehmigungen erreicheninen Wert, der zuletzt 1996 erzielt wurde, als die gan-en NVA-Bestände verramscht wurden und SIPRI dieselle mit Neupreisen ansetzte. Wie schnell sich die Zeitenndern und wie schnell Realpolitik und Pragmatismusot-grüne Maximen verdrängen, ist doch erstaunlich. Iner „Financial Times Deutschland“ vom 27. Mai letztenahres wird der Kollege Weigel zitiert. Eine weniger
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Erich G. Fritzrestriktive Politik gegenüber etwa der Türkei oder Ägyp-ten könne womöglich mehr erreichen.„Außenpolitisch schafft RüstungszusammenarbeitBindungen und Einflussnahme …“Man hat Rüstungsexportpolitik jetzt als Teil der Außen-politik erkannt.Gernot Erler wird in einem „Spiegel“-Artikel vomOktober 2004 mit den Worten zitiert, de facto würde sichniemand um die Endverbleibsklauseln scheren, eine sys-tematische Kontrolle gebe es nicht. Herr Kollege Erler,ich gebe Ihnen Recht. Aber schon damals, als Sie dasfestgestellt haben, haben wir gesagt, das sei im Binnen-markt ein schwieriges Unterfangen und erfordere einenAufwand, den vermutlich keine Regierung leisten kann.Es muss also in jedem Einzelfall abgewogen werden.Anders geht es nicht. Interessen müssen beim Namengenannt werden, Grundsätze muss man ernst nehmen.Was hier vorgetragen worden ist, ist schon ein wenigscheinheilig.Blickt man nach vorne und sieht man sich die neuenPläne der rot-grünen Bundesregierung für Rüstungsge-schäfte an, stellt man fest, dass es eine Reihe von Zusa-gen gibt. Kernnormen deutscher Rüstungsexportpolitikgeraten damit auch in Zukunft regelmäßig in Konflikt.Das ist abzusehen. Denken Sie an die weitere Lieferungvon Atom-U-Booten der Dolphin-Klasse an Israel. Esgeht offensichtlich überhaupt nicht mehr um die Frage,ob umgerüstet wird.
– Natürlich haben Sie Recht, Herr Kollege. Ich meinedie Lieferung von U-Booten;
ich habe den Begriff Atom schon im Kopf gehabt. – Da-bei wird doch von Israel gar nicht mehr bestritten, dassdie Abschussvorrichtungen eben für atomwaffenfähigeTrägersysteme umgerüstet wurden. Die israelische Zei-tung „Ma’ariv“ schreibt, die Bundesregierung habe ihrenWiderstand gegen eine mögliche Umrüstung der Booteaufgegeben
– sie schreibt es; ich zitiere nur –, weil sie plane, künftigeine aggressivere Rüstungsexportpolitik zu verfolgen.Das ist, finde ich, eine klare Erkenntnis. Der Bundes-kanzler belegt ziemlich regelmäßig, dass es in dieseRichtung geht.Es gibt die Genehmigung der Schützenpanzer für denIrak. Darüber kann man in anderem Zusammenhangdurchaus sprechen. Aber es muss auch erwähnt werden,dass es möglicherweise Lieferungen von Leo-II-Panzernan die Türkei gibt. Dass die Unterstützung der Annä-hrung der Türkei an die EU durch Rot-Grün ausgerech-net bei der Modernisierung der Streitkräfte anfängt, ver-wundert mich schon sehr. Wenn ich daran denke, wiedort in den vergangenen Tagen Demonstranten niederge-prügelt wurden, und mir vorstelle, es könnte zu ernsthaf-tkmaDSpsafnebVDrsziwgWdDbmde–krSduhvßsdessCws
as alles scheint den Bundeskanzler aber nicht groß zuerühren.Das Argument der Bundesregierung, ein gemeinsa-er EU-Verhaltenskodex für Waffenexporte könneas Waffenembargo sozusagen ersetzen, halte ich fürine abenteuerliche Behauptung.
Moment! Aus Ihren Reihen ist behauptet worden, manönne das Embargo ruhig aufheben, man habe ja den eu-opäischen Kodex.
ie wissen aber, dass überhaupt nicht entschieden ist, obieser Verhaltenskodex nun den Charakter einer rechts-nverbindlichen Richtschnur für die nationale Politik be-alten wird, den er jetzt hat, oder ob er tatsächlich eineerbindliche EU-Richtlinie wird. Wenn Sie sich die Äu-erungen in Frankreich und Großbritannien ansehen,tellen Sie fest, dass überhaupt nichts darauf hinweist,ass es in kurzer Zeit gelingen kann, aus dem Kodexine solche verbindliche Richtlinie zu machen. Dafürind auch die Interessen viel zu unterschiedlich. Sie wis-en genau, dass die Franzosen ihre Fühler schon nachhina ausgestreckt haben und dass sie die Ersten seinerden, die bei einer Aufhebung des Embargos bereitein werden, in großem Umfang zu liefern. Das kann
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Erich G. Fritzeigentlich nicht in unserem Sinne sein. Gerade wenn wirdie Zusammenarbeit mit China intensivieren wollen,dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, dass sichdie Menschenrechtssituation dort nicht verbessert hatund dass das Verhältnis zu Taiwan eher schwieriger wer-den dürfte.Setzen Sie sich also für eine echte Harmonisierungein! Die gegenwärtige Bearbeitung des Kodex bietetvielleicht Chancen dazu. Ich hoffe, dass es solche Chan-cen gibt. Verlässlichkeit auf europäischer Ebene ist ge-fragt, damit Rüstungsexportpolitik als Teil einer gemein-samen Außen- und Sicherheitspolitik sinnvoll gestaltetwerden kann, und zwar im europäischen Interesse undweniger von den Interessen geleitet, die jetzt vorherr-schen, zum Beispiel aufgrund von Exportdruck durchÜberkapazitäten, die es nach wie vor in einigen Länderngibt.Wir hoffen, dass es auf EU-Ebene zu einer baldigenEinigung kommen wird. Sollte der VerhaltenskodexRechtsverbindlichkeit erlangen, wäre das durchaus einwichtiger Schritt. Dann allerdings bräuchten wir auchkeine nationalen Sonderwege mehr zu gehen, die ja, wiesich nicht nur am Beispiel der Endverbleibsregelungzeigt, nicht immer sinnvoll sind. Vor allen Dingen abersind solche Reservatrechte in Zukunft dann nicht mehrsinnvoll, wenn es tatsächlich gelingen sollte, eine ge-meinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zubetreiben. Dann muss auch dieser Bereich deutlich ein-heitlich geregelt sein.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollege Fritz, Sie haben einige Beispiele genannt, diezeigen, warum Rüstungsexporte immer wieder beson-ders heiße Eisen sind. Gestatten Sie mir aber zunächstzwei Klarstellungen.Erste Klarstellung. Solange es Streitkräfte gibt, wirdAusrüstung benötigt. Aber Ausrüstung gibt es nicht ohneRüstungsproduktion. Da sich kein Land eine autarkeRüstungsproduktion leisten kann, gibt es grundsätzlicheinen Handel mit Rüstungsgütern. Zugleich aber sindWaffen und Rüstungsgüter keine Waren wie andere. Siehaben erhebliche sicherheitspolitische und friedenspoli-tische Bedeutung und Brisanz. Deswegen gibt es Rüs-tungsexportgesetze und die Rüstungsexportrichtlinie.Zweite Klarstellung. Die Entscheidungsbefugnisüber Rüstungsexporte liegt in Deutschland allein in derHand der Exekutive. Diese Entscheidungen unterliegeneiner sehr großen Geheimhaltung. Das Parlament kanndie Rüstungsexporte nur im Nachhinein bewerten. Darinliegt ein Unterschied zu etlichen Verbündeten, in derenLändern im Vorhinein eine gewisse Mitkontrolle stattfin-det.UD4r1–swtddKwegZiidsMdlsEvEsfdnHblwwbDWmTfazßEnZ
Richtig.Solche pauschalen Zahlen sind aber nur begrenzt aus-agefähig. Entscheidend ist vor allem die Aussage, inelche Länder welche Rüstungsgüter und Waffen expor-iert wurden. Es wurde schon darauf hingewiesen, dasser Anstieg im Jahre 2003 zu 85 Prozent durch drei Son-erfaktoren verursacht wurde: Es wurden jeweils zweiorvetten an Malaysia – die Gründe für diese Lieferungurden schon genannt – und an Südafrika geliefert unds wurde ferner Bundeswehrmaterial an Verbündete ab-egeben. Man kann feststellen: Insgesamt gab es eineurückhaltung bei deutschen Kriegswaffenexportenn Drittländer. Es ist ausdrücklich festzustellen, dass esm Jahr 2003 keine Kriegswaffenexporte aus der Bun-esrepublik in arme Entwicklungsländer gegeben hat.Neben den Kriegswaffen gibt es noch den Bereich deronstigen Rüstungsgüter, zum Beispiel Ersatzteile fürunitionsfabriken, die in den 80er-Jahren geliefert wur-en. Hier greift das Außenwirtschaftsgesetz, das erheb-ich weniger restriktiv ist und in dem nur schwer zu be-chränkende Genehmigungsansprüche enthalten sind.in solches Entgegenkommen gegenüber Produzentenon so genannten sonstigen Rüstungsgütern gibt es inuropa übrigens nur noch in Österreich. Wegen der Sen-ibilität vieler sonstiger Rüstungsgüter sind die Abschaf-ung des grundsätzlichen Genehmigungsanspruchs undie Anpassung an die europäische Regel angesagt.
Kritisch bewerten wir etliche Rüstungsexporte in ei-ige Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und Asiens.ier ist längst nicht immer erkennbar, dass ein Miss-rauch hinsichtlich systematischer Menschenrechtsver-etzung und Förderung von Spannungen ausgeschlossenerden kann. Es ist auch längst nicht immer erkennbar,orin das in den Rüstungsexportrichtlinien geforderteesondere außen- und sicherheitspolitische Interesseeutschlands besteht.
enn die Lieferung an Drittländer begründet werdenüsste, wäre das ein großer Fortschritt hinsichtlichransparenz und Kontrolle. Die Begründungspflichtür Rüstungsexporte wird zum Beispiel von den Kirchenusdrücklich gefordert.Bei Kleinwaffen ist die Differenzierung nach Stück-ahl und Waffenart in dem vorliegenden Bericht ein gro-er Fortschritt hinsichtlich der Transparenz. Die realentwicklung ist beunruhigend. Kleinwaffen werdenicht selten an Staaten geliefert, bei denen ich erheblicheweifel an einem sicheren Endverbleib habe. Hier be-)
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Winfried Nachtweisteht die akute Gefahr, dass die restriktiven Exportkrite-rien unter dem Anspruch „Bekämpfung des internationa-len Terrorismus“ aufgeweicht werden. Hier ist einGegensteuern notwendig.
Im Jahr 2003 führte die Bundesregierung beim Exportvon Kleinwaffen den wichtigen Grundsatz „Neu für alt“ein, um dem besonderen Risiko von Überschusswaffenentgegenzuwirken. Hierbei hat sich herausgestellt, dassdieser Grundsatz nicht auf freiwilliger Grundlage umge-setzt wird. In diesem Bereich sollten wir offensichtlichzu einer verbindlichen Regelung kommen.Eine restriktive Rüstungsexportpolitik ist ein Eck-pfeiler einer vorbeugenden, kollektiven und damit realis-tischen Sicherheitspolitik. Eine solche Rüstungsexport-politik erfordert eine wirksamere parlamentarischeKontrolle. Sie benötigt ein systematisches Lernen vonden Erfahrungen anderer Verbündeter. Sie braucht nichtzuletzt die kritische Begleitung der Zivilgesellschaft.Auch wenn die Bundesregierung und Rot-Grün überdie alljährliche Stellungnahme der Gemeinsamen Konfe-renz Kirche und Entwicklung zum Rüstungsexportbe-richt nicht erfreut sein können –
Denken Sie bitte an die Zeit!
– ich komme sofort zum Schluss –, hilfreich ist diese
zivilgesellschaftliche Kontrolle dennoch. Dafür danken
wir den Autoren dieser Stellungnahme.
Guten Abend.
Das Wort hat jetzt der Kollege Harald Leibrecht von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung
macht eines deutlich: Deutsche Hightechrüstung entwi-
ckelt sich unter Rot-Grün zu einem Exportschlager. In
der Tat, deutsche Rüstungsgüter sind überall in der Welt
hoch angesehen und begehrt. Dennoch ist und bleibt die
entscheidende Frage der Rüstungsexportpolitik: Wohin,
also an wen und in welche Länder, werden Rüstungsgü-
ter geliefert?
Es ist schon erstaunlich, welche Tendenzen sich unter
Rot-Grün beim Verkauf deutscher Waffen zeigen. Wir
erinnern uns: Die rot-grüne Bundesregierung trat 1998
damit an, Rüstungsexporte grundsätzlich zu beschrän-
ken. Die Wahrheit ist eine andere.
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st es in dieser Situation klug und richtig, ausgerechnet
iese Regime, die von außen überhaupt keine Bedro-
ung haben, mit modernen Rüstungsgütern auszustat-
en? Mir scheint, dem Bundeskanzler ist derzeit nur noch
ichtig, dass der Rubel rollt. Jedoch kann eine solch un-
ensible Waffenexportpolitik schnell zu einem russi-
chen Roulette werden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
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15324 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute über einen Bericht der Bundesregie-
rung, der den Grünen eigentlich richtig wehtun müsste.
Es geht um deutsche Rüstungsexporte. Die Bilanz ist er-
nüchternd. Das Geschäft mit dem Tod boomt.
Friedens- und Menschenrechtsorganisationen haben
erneut hochgerechnet, mit dem Ergebnis: Die deutschen
Rüstungsexporte nehmen Jahr für Jahr zu. Die PDS im
Bundestag hält das für grundfalsch und auch für gefähr-
lich.
Übrigens: Selbst in Krisengebiete – darüber haben
die Kollegen schon gesprochen – werden Waffen und
Kriegsgüter geliefert, was SPD und Grüne früher aus-
drücklich verhindern wollten. Aber auch diese Grund-
sätze sind offensichtlich passé. Ich habe sehr wohl ver-
nommen, welche geschäftigen Botschaften von
Bundeskanzler Schröder bei seiner jüngsten Reise durch
den arabischen Raum ausgegangen sind: Die Rüstungs-
exporte sollen weiter zunehmen. Damit verliert auch der
jährliche Bericht über die Rüstungsexporte seinen ur-
sprünglichen politischen Sinn; denn ursprünglich sollten
Rüstungsgeschäfte transparenter werden, um sie einzu-
schränken. Daraus ist aber nichts geworden.
Worum es dabei vorrangig geht, verrät übrigens ein
Zitat. Es stammt nicht etwa aus einem altlinken Lehr-
buch, sondern vom Vorsitzenden der Diehl-Stiftung, ei-
nem Konzerngeflecht im weltweiten Rüstungsgeschäft.
Dr. Diehl sagte schon im Jahre 2000:
Die Regierung muss im Blick behalten, dass Unter-
nehmen Rendite erzielen müssen, und dies geht bei
Rüstungsgütern nur selten, wenn man sich allein
auf die Belieferung der nationalen Streitkräfte be-
schränkt. … Deutschland hat ein großes Interesse
an … dem Ausbau einer gemeinsamen europäi-
schen Hochtechnologie- und rüstungsindustriellen
Basis.
Dafür müsse sich Deutschland mit Gewicht einbringen,
so Diehl. Die Bundesregierung hat diesen Appell offen-
bar sehr wohl vernommen. Man könnte auch sagen: Sie
beugt sich dem Druck der Rüstungslobby.
Im Interesse Deutschlands, wie Dr. Diehl behauptet,
ist das natürlich überhaupt nicht. Es geht, wie er selbst
einräumt, schlicht um Rendite und Profit. Sie können
das für wichtig halten. Die PDS tut das nicht. Sie sollten
dann allerdings auch so ehrlich sein und die eigene Rüs-
tungspolitik nicht auch noch mit friedensbewegten oder
menschenrechtlichen Floskeln verhüllen. Das wird Ih-
nen ohnehin immer weniger abgenommen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15325
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/4400 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des von der Bundesregierung einge-brachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zurÄnderung des Wohngeldgesetzes– Drucksache 15/4977 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOHier sollen alle Reden zu Protokoll genommen wer-den. Es handelt sich um die Reden der KollegenWSB
2)
in Iris Gleicke.1)Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 15/4977 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esnderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannst die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten GittaConnemann, Dr. Peter Jahr, Peter H. Carstensen
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSUProjekt des Umweltbundesamtes zur so ge-nannten unangekündigten Feldbeobachtungendgültig stoppen– Drucksache 15/4935 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Christel Happach-Kasan, Hans-MichaelGoldmann, Dr. Volker Wissing, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDPVerdeckte und unangekündigte Feldbeobach-tung durch Umweltbundesamt stoppen– Drucksache 15/5033 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAuch die Reden zu diesen Tagesordnungspunkten sol-en zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich umie Reden der Kollegen Gabriele Lösekrug-Möller voner SPD-Fraktion, Gitta Connemann und Arthur Auern-ammer von der CDU/CSU-Fraktion, Friedrichstendorff, Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Christelappach-Kasan von der FDP-Fraktion.2)Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufrucksachen 15/4935 und 15/5033 an die in der Tages-rdnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Aus-chuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-bschätzung vorgeschlagen, wobei die Federführungeweils beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undeaktorsicherheit liegen soll. Sind Sie damitinverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-eisungen so beschlossen.Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 buf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedNachtwei, Ernst Bahr , Götz-Peter Anlage 3 Anlage 4
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15326 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsLohmann, Ingrid Arndt-Brauer, Cornelia Behmund weiterer AbgeordneterDie Regionalentwicklung in Brandenburg undMecklenburg-Vorpommern braucht Klar-heit – Die zivile Nutzung der Kyritz-RuppinerHeide ist überfällig– Drucksache 15/4792 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismusb) Beratung des Antrags der Abgeordneten GüntherFriedrich Nolting, Helga Daub, Jörg van Essen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSinnvolles Nebeneinander von Tourismus undBundeswehr– Drucksache 15/4956 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Parlamentarischen Staatssekretär WalterKolbow das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieBundeswehr verfolgt in der Tat seit Übernahme desTruppenübungsplatzes Wittstock die Absicht, das Ge-lände als Luft-Boden-Schießplatz für die Luftwaffeund für die Ausbildung von Bodentruppen zu nutzen,um ihre Aufgaben umfassend erfüllen zu können. Esliegt in der politischen Verantwortung aller an der Ent-scheidung zum Einsatz von Streitkräften beteiligtenMandatsträgerinnen und Mandatsträger, also des Deut-schen Bundestages, die Rahmenbedingungen dafür zuschaffen, dass die Soldatinnen und Soldaten auf ihre mitGefahr für Leib und Leben verbundenen Aufgaben best-möglich vorbereitet werden können.
Somit obliegt dem Dienstherrn und der Politik dieVerpflichtung, bestmögliche Vorsorge dafür zu treffen,dass das Leben und die körperliche Unversehrtheit derLuftfahrzeugbesatzungen sowie Dritter keinen Schadennehmen. All dies macht die Bereitstellung ausreichenderÜbungsmöglichkeiten unabdingbar. Das Parlament musssein Parlamentsheer bestmöglich schützen.pBzsnEdTvpuBbdWlDktlpfnrjm1–sDwWsuPAdKausRsvüfDL
s besteht also auch zukünftig militärischer Bedarf füren Betrieb von Luft- und Bodenschießplätzen und voniefflugübungen in Deutschland. Das regelmäßige Übenon Waffeneinsatzverfahren auf Luft-Boden-Schieß-lätzen ist ein wesentlicher Bestandteil einer wirksamennd am Auftrag orientierten Ausbildung von fliegendenesatzungen in Kampfflugzeugen. Dies trifft auch nochei dem Einsatz von Abstands- und Präzisionswaffenurch unsere Luftwaffe zu.Der Übungsplatz Wittstock bietet für die fliegendenaffensysteme der Luftwaffe, auch aufgrund der räum-ichen Ausdehnung, als einziger Übungsplatz ineutschland die Möglichkeit, Einsatzverfahren streit-räftegemeinsam und im Rahmen der vernetzten Opera-ionsführung realistisch zu üben. Dabei wird ausschließ-ich nicht detonierende Übungsmunition verwendet.Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, den Trup-enübungsplatz neben der fliegerischen Nutzung auchür die Ausbildung von Bodentruppen gemeinsam zuutzen. Auf dem Platz sind Übungen von Flugabwehr-aketenverbänden, elektronischen Kampfführungs-, Ob-ektschutz-, Radarführungs- und Einsatzführungskräftenit Truppenstärken bis zu 1 000 Soldaten an 80 bis00 Tagen im Jahr geplant.Die Stationierung eines Luftausbildungsbataillonscirca 800 Soldaten und 150 Zivilbedienstete – in Witt-tock war von Anfang an Teil der Gesamtüberlegungen.as wurde mit dem Stationierungskonzept der Bundes-ehr auch bestätigt.Im Zuge der Nutzung des Truppenübungsplatzesittstock werden auch schnellstmöglich die von denowjetischen Truppen hinterlassenen Altlasten beseitigtnd die stark munitionsbelasteten Flächen des gesamtenlatzes entmunitioniert. Der Umfang der festgestelltenltlasten wird zurzeit ermittelt. Man geht davon aus,ass die Beseitigung zehn bis 15 Jahre dauern wird undosten in Höhe von mehr als 200 Millionen Euro zu ver-nschlagen sind. Im Rahmen der Munitionsräumungnd Altlastenbeseitigung werden temporär durch-chnittlich 400 Arbeitskräfte aus der Region bei zivilenäum- und Entsorgungsfirmen beschäftigt werden.Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zu-ammenhang nicht unerwähnt lassen, dass bereits seitielen Jahren etwa 75 Prozent der jährlichen Schieß-bungen der deutschen Luftwaffe im Ausland durchge-ührt werden. Eine weitere Reduzierung der Übungen ineutschland ist nicht geplant und wäre auch unserenuftwaffenverbänden nicht vermittelbar.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15327
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Parl. Staatssekretär Walter KolbowEine gerechte und solidarische Verteilung der mitdem Übungsbetrieb der Bundeswehr hier in Deutschlandverbundenen Lasten muss selbstverständlich sein. Dieparlamentarischen Diskussionen über das Truppen-übungsplatzkonzept der Bundeswehr in den Jahren 1992und 1993 reflektieren, dass die Gesamtbelastungendurch den Übungsbetrieb der Bundeswehr zukünftigmöglichst ausgewogen, auch unter Einbeziehung derneuen Bundesländer, zu verteilen seien. Der Verteidi-gungsausschuss des Deutschen Bundestages hat darauf-hin mehrheitlich festgestellt, dass er die Aufteilung desnoch in Deutschland verbleibenden Anteils der Luft-Boden-Schießausbildung auf die drei ÜbungsplätzeNordhorn in Niedersachsen, Siegenburg in Bayern unddas heute in Rede stehende Wittstock erwarte.Das Bundesministerium der Verteidigung hält an die-sem Grundsatz und an einer Beschränkung des Übungs-umfanges auf das unabdingbare Mindestmaß fest undbittet den Deutschen Bundestag, dabei zu folgen.Meine Damen und Herren, ohne die Aufteilung aufalle drei Luft-Boden-Schießplätze sind jedoch die zurEntlastung der Bevölkerung im Umland von Siegenburgund Nordhorn dringend erforderlichen weiteren Redu-zierungen der Einsätze und eine ausgewogene regionaleVerteilung nicht möglich. Durch die Nutzung des Trup-penübungsplatzes Wittstock wird ein maßgeblicher Bei-trag zu dieser Lastenverteilung erreicht. Deswegen drän-gen auch die Anliegergemeinden, die ich genannt habe,nachhaltig darauf, dass alsbald auch der Truppenübungs-platz Wittstock militärisch genutzt wird. Das wird sicherin der Debatte noch gesagt werden.
Lassen Sie mich auch hier hervorheben, dass im Rah-men der Entscheidung zur zukünftigen Nutzung desTruppenübungsplatzes Wittstock als Luft-Boden-Schießplatz die unterschiedlichen zivilen und militäri-schen Belange sorgfältig gegeneinander abgewogenwurden. Dabei kam es natürlich darauf an, der Verpflich-tung gegenüber unseren Soldaten gerecht zu werden.
Andererseits war sicherzustellen, dass die Belastungender Bevölkerung so gering wie möglich gehalten wer-den. Im Zuge der Entscheidung wurden auch die mögli-chen Auswirkungen der Nutzung des Platzes auf denTourismus und die Naturlandschaft in der Region ge-prüft.
Die Abwägung hat ergeben, dass die Beschreibungen imAntrag der Kolleginnen und Kollegen der FDP richtigsind und bei Nutzung gewissermaßen also auch Wirk-lichkeit werden.
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er Antrag der FDP-Fraktion setzt dagegen auf ein sinn-olles Nebeneinander von Tourismus und Bundeswehrn dieser Region.
Sämtliche Argumente hinsichtlich des Für und Widerer militärischen Nutzung von Wittstock werden seitahren diskutiert, ausgetauscht und abgewogen. Umsorstaunlicher ist, dass die Antragsteller aus den Reihener Grünen, der SPD und der PDS weiterhin mit frag-ürdigen Annahmen operieren.
s fehlt dem Gruppenantrag an sicherheitspolitischerubstanz.
hr Kernargument lautet: Das Nutzungskonzept der Bun-eswehr habe infolge des zurückgehenden Übungs-edarfs der Luftwaffe seine Grundlage verloren. Wirlle wissen: Die Bundeswehr ist gegenwärtig und künf-ig vor allem im internationalen Krisenmanagement ak-iv. Die Luftwaffe muss daher permanent für vielfältigezenarien gewappnet sein. Zum einen kann der Übungs-edarf des fliegenden Personals je nach Krisenlage raschnsteigen. Zum anderen spielt Wittstock für bodenge-undene Einheiten eine Schlüsselrolle: Auf dem Platzind Übungen verschiedener Truppenverbände mit Trup-enstärken von bis zu 1 000 Soldaten geplant. Dieseakten finden sich im Gruppenantrag nicht, weil sie füren hohen militärischen Stellenwert von Wittstock spre-hen. Denn er bietet der Bundeswehr wie kaum ein an-
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15328 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Anita Schäfer
derer Übungsplatz die Möglichkeit, Streitkräfte gemein-same Einsatzverfahren proben zu lassen. Nur so kann dieBundeswehr in internationalen Krisen handlungsfähigbleiben.Meine Damen und Herren, wer so einseitig wie dieAntragsteller argumentiert, legt die Axt an der Bündnis-fähigkeit unserer Bundeswehr an.
Dies verdeutlicht auch ein weiterer Eckpunkt IhresGruppenantrages: Sie behaupten, künftige Einsätze wür-den die Fähigkeit zum Tiefflug kaum noch erfordern.
Die Umrüstung auf Präzisionsabstandswaffen, so dieAntragsteller, würde das Nutzungskonzept für Wittstocküberflüssig machen. Auch in diesem Punkt, verehrte An-tragsteller, liegen Sie falsch. Denn erstens hat die Um-rüstung der Luftwaffe auf Präzisionsabstandswaffennoch lange nicht den Stand erreicht, um auf Tiefflügeverzichten zu können, und zweitens ist eine umfassendeAusrüstung der Luftwaffe mit Präzisionsabstandswaffenteuer. Wenn Sie Tiefflugübungen reduziert haben wol-len, müssen Sie im Gegenzug die Ausrüstung mit Präzi-sionsabstandswaffen beschleunigen. Dann erklären Sieuns aber bitte, woher Sie die Mittel dafür kurzfristig neh-men wollen. Das zeigt: Ihr Antrag ist auch in finanziellerHinsicht fragwürdig.Weiterhin behaupten die Antragsteller, dass dieUmweltbelastung für die Bevölkerung unzumutbar sei.Dies wird mit dem Hinweis untermauert, dass Wittstockwährend des Kalten Krieges schon durch die Sowjetsextrem belastet gewesen sei.
Dabei wissen die Antragsteller ganz genau, dass dasneue militärische Nutzungskonzept strikte Auflagen vor-sieht. Ein Vergleich mit den Zuständen vor der Wende istabwegig: Die Sowjets flogen jährlich bis zu25 000 Einsätze und schossen mit scharfer Munition.Zum Vergleich: Die Planungen der Bundeswehr gehenvon bis zu 1 700 Einsätzen jährlich aus, maximal 30 proTag und einer pro Nacht – und dies ohne scharfe Muni-tion. Nicht geflogen werden soll an Wochenenden,Feiertagen und in den Sommerferien. In diesem Zusam-menhang unterschlagen die Antragsteller außerdem,dass die Bundeswehr eine vollständige Räumung desÜbungsplatzes von Munitionsaltlasten vorsieht.
Es ist irritierend, dass ein maßgeblich von den Grüneninitiierter Antrag dieses ökologische Sanierungspoten-zial mit keiner Silbe erwähnt.
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azu kann ich als Mitglied des Verteidigungs- und desourismusausschusses nur sagen: Wir brauchen eine ver-ünftige Balance zwischen einem modernen Tourismus-onzept und einer sinnvollen militärischen Nutzung vonittstock durch die Bundeswehr, wie es die FDP mit ih-em Antrag fordert. Leider verkennen die Initiatoren desruppenantrags die positiven strukturpolitischenffekte, die von der Bundeswehr ausgehen.
urch die Nutzung des Standorts und die Stationierungines Luftwaffenausbildungsbataillons wird eine erheb-iche Kauf- und Wirtschaftskraft in die Region getragen.er Gruppenantrag zur zivilen Nutzung der Kyritz-Rup-iner Heide steht im Ergebnis auf schwachen Füßen.
Verehrte Antragsteller von der SPD und von den Grü-en, Sie setzen damit ein Signal des Misstrauens gegenhren eigenen Verteidigungsminister Dr. Peter Struck.ie Zerstrittenheit in den Reihen der Koalitionsparteienst evident. Sie können den Menschen in der Kyritz-Rup-iner Heide mit Ihren Vorstellungen keine Zukunftsper-pektive bieten.
Ich war zweimal zu Podiumsdiskussionen dort.
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichpreche zu diesem unserem Gruppenantrag aus einerweifachen Perspektive:
um einen spreche ich als Obmann im Verteidigungs-usschuss und als sicherheitspolitischer Sprecher. Inso-ern bin ich mitverantwortlich für die Einsatzfähigkeiter Bundeswehr.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15329
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Winfried Nachtwei
Staatssekretär Kolbow und ich haben hier selbstver-ständlich ein gemeinsames Interesse. Das äußere ich hiergenauso. Zum anderen spreche ich hier als Westdeut-scher, der seit 1996 des Öfteren in der dortigen Regionwar und die Menschen und die Landschaft dort kennenund schätzen gelernt hat.
Ich erlebe einen auffälligen Widerspruch: Auf der ei-nen Seite wachsen die Bewegung für die zivile Nutzungder Kyritz-Ruppiner Heide und die Opposition gegen diemilitärische Nutzung seit Jahren – noch heute hat dieLandesregierung von Mecklenburg-Vorpommern denGruppenantrag offiziell unterstützt –, auf der anderenSeite hält sich in Berlin – das erfahren wir alle; ich er-fahre das vor allem im Verteidigungsbereich – die Ab-wehrhaltung gegen dieses Ansinnen sehr stark.Ich höre hier folgende Haupteinwände: Erstens wirdgesagt, ein solcher Platz sei militärisch unverzichtbar– Frau Schäfer, Sie haben gesagt: Wer dagegen ist, derlegt die Axt an die ganze Bundeswehr –, zweitens wirdgesagt, Bundesinteressen müssten vor Regionalinteres-sen gehen und drittens wird der Anspruch einer gerech-ten Lastenverteilung in solchen Fragen gestellt. Hierzumöchte ich etwas sagen.Zunächst komme ich zur militärischen Notwendig-keit. Es ist bekannt, dass es der neue Auftrag der Bun-deswehr ist, zur Kriseneindämmung und Krisenbewälti-gung im Dienste kollektiver Sicherheit und im Rahmender Vereinten Nationen beizutragen. Hierbei lautet dieVorgabe der Luftwaffe, bei Luftwaffeneinsätzen immereine besondere Präzision zu erreichen und Distanz zuwahren. Andere Arten von Kriseneinsätzen sind kaumnoch vorstellbar. Das heißt, für das, was in Wittstock ge-übt würde, nämlich Bombenabwürfe im Tiefflug, wirdder Bedarf seitens der Bundeswehr immer geringer. Manmuss immerhin auch feststellen, dass die Einsatzfähig-keit der Bundesluftwaffe ohne Wittstock in den ganzenJahren offensichtlich nicht gefährdet oder beeinträchtigtwar. Ich habe niemals etwas anderes gehört.
Die Region um die Kyritz-Ruppiner Heide hat eineEntwicklungschance, nämlich die des sanften und natur-nahen Tourismus.
Hier sind inzwischen sehr viele Arbeitsplätze entstan-den. Bei einer militärischen Nutzung würde hier einigesauf dem Spiel stehen.Ich komme nun zur Forderung einer gerechtenLastenverteilung. Diese ist zunächst einmal plausibel.DgrShfDztsIwsvzDaepBsgBmmunOdcPuVBKidRgdr
ie Sache mit der gerechten Lastenverteilung ist zwaruf den ersten Blick richtig, aber auf den zweiten Blickine unangemessene Anforderung.Die Bewegung für die zivile Nutzung der Kyritz-Rup-iner Heide hat in den letzten 13 Jahren eine beispiellosereite erfahren. Sie ist inzwischen – das muss man fest-tellen – die breiteste demokratische Bürgerbewegunganz Deutschlands.
eispiellos ist, wie sehr sie inzwischen von Unterneh-ern und Selbstständigen in der Region, von Bürger-eistern, zwei Landtagen und zwei Landesregierungennterstützt wird. Deshalb appelliere ich an die Kollegin-en und Kollegen des Bundestages, sich noch mehr vorrt zu informieren, das Gespräch mit der Bevölkerungort zu suchen und sich wirklich darüber kundig zu ma-hen, was auf dem Spiel steht. Wir Politikerinnen undolitiker dürfen uns über ein so breites, glaubwürdigesnd sich seit 13 Jahren entwickelndes demokratischesotum nicht hinwegsetzen. Die Regionalentwicklung inrandenburg und Mecklenburg-Vorpommern brauchtlarheit. Die zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heidest überfällig.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach derede des Kollegen Nachtwei kann ich nur festhalten: Eseht ein Riss durch die rot-grüne Koalition. Diese Bun-esregierung hat nicht mehr die volle Unterstützung ih-er eigenen Fraktionen.
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15330 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Günther Friedrich Nolting
Ich sage als FDP-Bundestagsfraktionsmitglied: Übungs-tätigkeiten von Streitkräften rufen oft einen Zielkonfliktmit dem berechtigten Anspruch der betroffenen Bevöl-kerung auf Lärm- und Gesundheitsschutz sowie mit Be-langen des Umweltschutzes und der Regionalentwick-lung hervor. Wir als FDP-Bundestagsfraktion habendafür Verständnis. Deshalb gilt es, die Belastungen fürBevölkerung und Umwelt so gering wie möglich zu hal-ten. Dieses trifft in besonderem Maße für den Luft-Boden-Schießplatz Wittstock zu, da ein naturnaherTourismus im Raum um die Kyritz-Ruppiner Heideeine wesentliche Entwicklungschance darstellt. Deshalbmüssen die Nutzungsbedingungen des ÜbungsplatzesWittstock ganz besonderen Restriktionen unterworfenwerden. Das haben wir in unserem Antrag berücksich-tigt. Der FDP-Antrag ist ein tragfähiger Kompromiss,der hier im Bundestag eine Mehrheit bekommen sollte.Wir haben über dieses Thema schon vor drei Jahrendiskutiert. Auch damals hatten die Grünen einen Antraginitiiert. Aber dieser Antrag wurde nie zur Abstimmunggestellt. Das Verfahren ist nur zu offensichtlich: Es wirdein Antrag geschrieben, mit dem Stimmung gemachtwird. Den betroffenen Menschen wird alles Möglicheversprochen. Aber es besteht zu keinem Zeitpunkt dieAbsicht, diese Versprechen einzulösen.
Wie anders ist es zu erklären, Frau Kollegin, dass eineAbstimmung über diesen Antrag bewusst vermiedenwurde und er nach der ersten Lesung im Papierkorb ver-schwand? Welche Gründe auch immer für dieses doppel-bödige Verhalten verantwortlich gewesen sein mögen:Dieses Spiel spielen wir nicht mehr mit.
Auf Veranstaltungen in der Kyritz-Ruppiner Heidefordert Herr Nachtwei immer wieder lautstark dieSchließung des Luft-Boden-Schießplatzes Wittstock. InNordhorn oder Siegenburg fordert er nicht weniger ve-hement die Schließung der dortigen Übungsplätze. InBeisein der Bundeswehr im Verteidigungsausschuss be-kennt er sich hingegen staatstragend zur Notwendigkeitvon Übungsmöglichkeiten für die Soldaten. Auch diesesDoppelspiel, Herr Nachtwei, machen wir nicht mehr mit.Ein derartiges Verhalten ist einfach infam.
Wir haben einen Antrag zu einem sinnvollen Neben-einander von Tourismus und Bundeswehr einge-bracht. Die FDP handelt zum Wohle der BundeswehrugtelaSdsnssrWszÜ–PdDdbbACKRWRsgvimfPsgn
Die FDP-Fraktion wird dafür sorgen, dass es einer-eits zu keinen unverantwortlichen Belastungen für Tou-ismus und Bevölkerung in den betroffenen Räumen umittstock, Nordhorn und Siegenburg kommt. Wir müs-en aber auch der Bundeswehr klare Perspektiven auf-eigen und gewährleisten, dass sie die Möglichkeit zumben hat.
Herr Kollege Ströbele, wir werden Ihre doppelbödigeolitik entlarven. Sie von Rot-Grün schicken die Bun-eswehr in alle Regionen dieser Welt.
ann müssen Sie auch dafür Sorge tragen, dass die Sol-atinnen und Soldaten eine entsprechende Ausbildungekommen und entsprechende Übungsmöglichkeiten ha-en.
lles andere wäre unverantwortlich.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Kues von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Ich bin Abgeordneter für dieegion Nordhorn, für die Region Emsland. In meinemahlkreis liegt der Bombenabwurfplatz Nordhorn-ange. Ich erlebe es nun seit Jahrzehnten und nicht ersteit 13 Jahren, dass sich die Bevölkerung in Nordhornegen diesen Bombenabwurfplatz wehrt. Seit drei bisier Generationen – das betrifft alle meine Vorgänger –st die Unerträglichkeit der Belastungen anerkannt, aberan hat immer gesagt, dass wir Übungsmöglichkeitenür die Bundeswehr bräuchten, dass das verantwortlicheolitik sei und man die Bevölkerung deshalb um Ver-tändnis bitten müsse, dass es in Nordhorn nicht anderseht. Das sagen wir dort als direkt gewählte Abgeord-ete.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15331
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Dr. Hermann KuesDas, was Sie, Herr Kollege Nachtwei, machen, ist et-was anderes. Sie stellen sich hier hin und sagen, Sieseien der verteidigungspolitische Sprecher der Grünenund hätten natürlich Verständnis dafür, dass die Bundes-wehr leistungsfähig sein müsse. Der ParlamentarischeStaatssekretär, der für die rot-grüne Bundesregierungspricht, hält den Bombenabwurfplatz in Wittstock fürnotwendig. Sie sagen, dass Sie die Menschen in Witt-stock verstehen, und verweisen darauf, dass sich dorteine Bewegung gebildet hat. Für diese Haltung gibt esein schönes Wort: Das ist Schizophrenie.
Sie glauben, damit durchzukommen. Das ist Opportunis-mus pur, weil Sie den Menschen in Wittstock nach demMunde reden wollen.
Sie haben nicht die Courage, den Zusammenhang derDinge aufzuzeigen. Das ist Ihre Politik.
– Sie haben sich vor drei Jahren schon darüber aufge-regt, aber Ihr Opportunismus hat sich nicht geändert.
– Das ist keine Unverschämtheit. Es ist eine Unver-schämtheit, wie Sie mit den Menschen umgehen. Ihr In-teresse gilt nicht den Menschen. Sie wollen sich in derpolitischen Auseinandersetzung Vorteile verschaffen.
Sie sind letztlich regierungsunfähig. Sie müssten sichfür ein Truppenübungsplatzkonzept einsetzen. Das,was die Regierung tut, tragen Sie im Endeffekt nicht mit.Das muss ich so sagen. Die Menschen in Nordhorn – dereine oder der andere wird das auch mitkriegen; dafürwerde ich schon sorgen – werden feststellen, wie oppor-tunistisch die Grünen sind. Das erleben wir bei allenThemen. Sie werden feststellen, dass auch die großeVolkspartei SPD im Grunde genommen nicht bereit ist,die Dinge, die für die Bundeswehr notwendig sind, mit-zutragen. Das finde ich ganz schlimm.Ich könnte Ihnen an vielen Beispielen deutlich ma-chen, dass alle Argumente, die hier genannt wordensind, in gleicher Weise für Nordhorn zutreffen. Deswe-gen habe ich immer die Auffassung vertreten, man sollzu einer fairen Lastenverteilung kommen. Das halte ichfür gerecht. Der Verteidigungsminister hat – das darf ichIhnen anvertrauen – mir auch schon gesagt, wie er sichdas weitere Schicksal des Antrags vorstellt. Das ist ebenangedeutet worden. Da haben Sie aufgeschrieen. Wirwerden es ja sehen. Beim letzten Mal ist es so gewesen,ddDwegutB–nbmwigruws–gDrtengesBi
Ich will nicht verhehlen, dass es mich sehr ärgertdas sage ich als Wahlkreisabgeordneter –, dass man ei-en Garnisonsstandort in unmittelbarer Nähe des Bom-enabwurfplatzes dichtmacht, unter anderem weil dieilitärische Führung der Bundeswehr, speziell der Luft-affe, zu wenig politische Sensibilität gezeigt hat. Dasst – das soll die Luftwaffe ruhig hören – ein großes Är-ernis für die Bevölkerung. Das kann ich nicht akzeptie-en.Als Abgeordnete haben wir die verdammte Pflichtnd Schuldigkeit, uns Gedanken darüber zu machen,as für das Gemeinwohl und was für den Staat insge-amt richtig ist. Wir müssen die Courage aufbringenCourage haben Sie nicht –, auch einmal etwas zu sa-en, was nicht von vornherein auf tosenden Beifall stößt.
as ist verantwortlich.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die Bürgerinitiative Freie Heide lädt für Ostersonn-ag zur 94. Protestwanderung für die „FREIE HEIDE“in. Das Motto dieser Wanderung lautet: Hier nicht undirgendwo. Ich finde dieses Motto sehr gut; denn esreift offensiv die Vorwürfe auf, die da lauten: Ihr wollts nur bei euch schön ruhig haben. Was anderswo pas-iert, ist euch egal. Das stimmt nicht. Die Mitglieder derürgerinitiative und ihre Unterstützer wollen nicht nurn ihrer Umgebung Ruhe und Frieden haben.
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15332 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Dr. Gesine LötzschSie setzen sich für die Begrenzung von Militär und fürfriedliche Lösungen weltweit ein.Lange haben die Menschen rund um die Kyritz-Rup-piner Heide auf diesen Antrag zur zivilen Nutzung derHeide gewartet. Nun ist es endlich gelungen, dass58 Mitglieder des Bundestages ihn mit ihrem Namen un-terstützen. Beim Ostermarsch wird sicher die Frage ge-stellt werden, welche Aussicht der Antrag hat und biswann über ihn entschieden sein wird. Die Frage ist be-rechtigt. Darum bitte ich alle Antragsteller, ihre Frak-tionskollegen von der Richtigkeit dieses Antrages zuüberzeugen. Falls ich es richtig überblicke, liegt bishernur von der PDS die hundertprozentige Zustimmung vor.Erinnern wir uns: Die deutsch-deutsche Vereinigungbedeutete auch das Ende des Kalten Krieges. Für vieleMenschen schienen Abrüstung, weniger Geld für Rüs-tung und weniger Truppenübungsplätze eine logischeFolge der Beendigung des Kalten Krieges zu sein. Da-rum waren sie erst verwundert und dann empört, als derdamalige Verteidigungsminister Volker Rühe die militä-rische Nutzung der Heide plante.Am 15. August 1992 fand die erste Demonstrationgegen die weitere militärische Nutzung der Heidestatt. Mit phantasievollen Aktionen machten die Men-schen die Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam.Im Jahre 1994 erklärte der damalige SPD-Vorsitzendeund Kanzlerkandidat Rudolf Scharping vor 500 De-monstranten, im Falle eines Wahlsieges der SPD werdedieser Truppenübungsplatz verschwinden. Inzwischenhat die SPD zwei Bundestagswahlen gewonnen. Es istalso höchste Zeit, das damals gegebene Versprechen ein-zulösen.
Ein Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide istkein lokales Problem. Darum finde ich es gut, dass Ab-geordnete, die weit entfernt von dieser Heide ihre Wahl-kreise haben, diesen Antrag unterstützen.
Ich möchte noch einmal unterstreichen: Die Heideverdient eine friedliche Nutzung. Die Menschen in die-ser Region haben nach dem Ende des Kalten Krieges im-mer wieder ihren Wunsch bekräftigt, endlich eine freie,offene und friedliche Heide haben zu wollen. Ich finde,wir sollten diesen Wunsch respektieren. Geben wir denMenschen Sicherheit. Sie haben hier touristische Ange-bote und damit nicht nur Erholungsmöglichkeiten füruns Großstädter, sondern auch Arbeitsplätze geschaffen.Sorgen wir gemeinsam dafür, dass wir spätestens Ostern2006 sagen können: Die Heide ist frei!Vielen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-en und Kollegen! Frau Lötzsch, aus Ihrem parlamenta-ischen Verständnis kann man ableiten, was Sie gesagtaben. Dass man aber innerhalb einer Koalition in einerachfrage unterschiedlicher Meinung sein kann, die sichitunter in einer parlamentarischen Diskussion zumusdruck bringt, ist, denke ich, und eine ganz natürlicheache. Trotz unseres Antrags stehen wir zur Regierungs-olitik. Das sage ich auch an die Adresse der FDP under CDU/CSU. Wir haben überhaupt nicht die Absicht,ie Koalition mit einem Riss zu versehen.Wir vertreten in der Verteidigungspolitik die Auffas-ung, dass die Bundeswehr – so sehr wir ihre durch denerteidigungsminister bestimmte Aufgabenstellung be-rüßen – den Übungsplatz in Wittstock nicht braucht.as ist unsere zentrale Aussage. Diese haben wir sehrachlich und fundiert begründet. Frau Schäfer, Ihre Aus-agen treffen dagegen nicht zu. Sie sollten sich unserenruppenantrag ruhig noch einmal vornehmen. Ein soachlich und präzise begründeter Antrag wie in diesemall ist selten
ingebracht worden.Herr Nolting, die FDP-Fraktion sollte ihren Antragurückziehen, weil er keinen Sinn macht.
r sieht nur eingeschränkte Übungsmöglichkeiten fürie Bundeswehr vor. Wenn es tatsächlich so ist, wie Sieehaupten, und der Übungsplatz tatsächlich gebrauchtird, muss er sowieso eingerichtet werden und Kostenerden entstehen. Die Frage ist dann nicht mehr, wieiele Übungsmöglichkeiten vorhanden sind. Wenn Siehren Antrag zurückziehen und unseren Gruppenantragnterstützen, dann werden wir ein Stückchen weiterkom-en.
Der Staatssekretär vertritt die Regierungsposition undir vertreten die Position, dass die Bundeswehr diesenbungsplatz nicht braucht.Die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutsch-nd stellen wir jedenfalls nicht infrage. Wir sind dereinung, dass Übungsmöglichkeiten für die Bundes-ehr gegeben sind, und zwar ohne dass man zusätzlicheld ausgeben und zusätzliche Belastungen für Men-chen in anderen Regionen schaffen muss.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15333
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Ernst Bahr
Zur Lastenverteilung: Wer wie Sie sagt, die Lastenzwischen Ostdeutschland und Westdeutschland seiennun gleichmäßig verteilt, der weiß nicht, was zu Zeitender sowjetischen Übungen stattgefunden hat. Es warnicht allein die Zahl der Übungen. Vielmehr gab es auchLuftwaffenübungen, beispielsweise mit Hubschraubern,sowie Kanonen- und Panzerübungen mit scharfer Muni-tion. Solche unvorstellbaren Belastungen über 40 Jahremusste keine bundesdeutsche Gemeinde nach demZweiten Weltkrieg erleben. Insofern kann von einergleichmäßigen Lastenverteilung keine Rede sein.
Zu den Präzisionswaffen: Frau Schäfer, Sie habengesagt, hier könne man Einsparungen vornehmen. Dasist in Wahrheit nicht möglich. Präzisionswaffen werdenbeschafft und es wird mit ihnen geübt, weil sie für zu-künftige Einsätze benötigt werden. Deswegen kann nachunserer Meinung auf den Abwurf von Bomben, wie er inder Kyritz-Ruppiner Heide geübt wird, verzichtet wer-den. Des Weiteren haben Sie behauptet, dass wir die Ent-sorgung unterschlagen würden. Das stimmt nicht. Wirwissen, dass auf dem Übungsplatz Wittstock eine Ent-sorgung durchgeführt werden muss. Das wird auch ge-schehen, selbst wenn die Bundeswehr diesen Übungs-platz nicht nutzen sollte.Das Ziel unseres Gruppenantrags ist die Unterstüt-zung derjenigen Menschen, die eine nicht militärischeEntwicklung dieser Region verlangen. Dazu gehört imWesentlichen die Tourismuswirtschaft, die große Bedeu-tung hat und die sich sehr gut entwickelt hat. Die Bun-deswehr braucht nach meiner Meinung diesen Übungs-platz nicht und daher sollte dieser Platz der friedlich-zivilen Nutzung zugeführt werden. Wir brauchen Klar-heit, und zwar möglichst schnell, damit die getätigten In-vestitionen nicht umsonst waren und damit die beabsich-tigten Investitionen umgesetzt werden können. Wirfordern, dass möglichst schnell eine Entscheidung ge-troffen wird, damit Sicherheit für die Region und ihreEntwicklung gegeben ist. Die 13 Jahre gerichtliche Aus-einandersetzung, in denen Kommunen und Privatperso-nen Geld investieren mussten, waren aus meiner Sichtnicht notwendig. Ich freue mich und begrüße es, dassBundesverteidigungsminister Struck nun zumindestdazu übergegangen ist, die rechtlichen Probleme, soweitsie Eigentumsfragen betreffen, von sich aus zu klären,und dass er nicht wie die Vorgängerregierung die Ge-meinden darauf verweist, dass sie klagen können, wennsie etwas haben wollen.
Wir haben eine Situation, die einer Lösung zugeführtwerden muss. Ich möchte an dieser Stelle den Bürger-initiativen herzlich dafür danken, dass sie mit ihrem En-gagement dafür gesorgt haben, dass dieses Thema bun-desweit ins Gedächtnis gerufen wurde und dass es weiterverfolgt wird. Ich darf all denjenigen danken, die das or-gprzw–DWbdgvBzÜbCurgFibdbhdvwRArWSH
Herr Kues, Sie wissen doch, wie es war –, sondern deriskontinuität zum Opfer gefallen.
ir haben das damals zu spät eingebracht. Diesmal ha-en wir es zur rechten Zeit eingebracht in der Hoffnung,ass die Ausschussberatungen, die wir sehr intensiv be-leiten werden, ein Ergebnis zeitigen werden, sodassiele Kolleginnen und Kollegen unserem Antrag imundestag zustimmen können. Die Bundeswehr musswar aufgabengerecht ausbilden. Aber sie kann auf denbungsplatz in Wittstock verzichten, weil sie ihn nichtenötigt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Werner Kuhn von der CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Die wirtschaftliche Entwicklung im Be-eich der Kyritz-Ruppiner Heide und in der Müritz-Re-ion befindet sich in einer ganz schwierigen Situation.ür mein Dafürhalten haben wir einen Zielkonflikt. Dasst das große Problem.Die Tourismusbranche ist die einzige Wachstums-ranche in dieser strukturschwachen Region. Parallelazu gibt es eine militärische Nutzung des Gebiets, ver-unden mit den entsprechenden Belastungen. Dazu ge-ören Tiefflüge; Kollege Kues hat eindrucksvoll geschil-ert, wie das in seiner Region in den letzten Jahrenonstatten gegangen ist. Deshalb muss man überlegen,as von höherem volkswirtschaftliche Nutzen ist.Ich unterstütze das Anliegen des Antrages aus deneihen von Rot-Grün.
ber dann müssen Sie doch auch einmal an die Regie-ung herangehen. Der Verteidigungsminister und derirtschaftsminister müssen an einen Tisch und diesenachverhalt klären. Sie haben das letztendlich in derand. Aber über 14 Jahre hinweg haben wir hier über-
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15334 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005
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Werner Kuhn
haupt keine Aktivitäten erlebt, die zielführend gewesenwären.In unterschiedlichen Bürgerinitiativen haben Sie mitIhren Matadoren vonseiten der SPD – das wurde hier do-kumentiert – den Leuten immer wieder Hoffnungen ge-macht: Wenn Sie uns wählen, wird es diesen Schießplatznicht geben. Das Gegenteil haben Sie gemacht. Das halteich für einen Wortbruch. So kann man mit den Bürgerin-nen und Bürgern in der Müritz-Region und in der Kyritz-Ruppiner Heide nicht umgehen.
Denken Sie an Rheinsberg! Denken Sie an die Mü-ritz! Bedenken Sie, welche Investitionsmöglichkeitenbei einer Arbeitslosigkeit von 23,5 Prozent überhauptnoch bestehen! Wenn ein Hotelunternehmer, der Zu-wächse an Übernachtungen verzeichnen kann, in einenAnbau investieren will, braucht er neben dem Eigen-kapital eben auch Fremdkapital. Da die Entscheidung,ob die Kyritz-Ruppiner Heide militärisch genutzt wird,immer noch aussteht, besteht Unsicherheit und diese Un-sicherheit belastet. Wir brauchen endlich Klarheit. Fürdiese Klarheit muss die Regierung sorgen.Bei der Anhörung im Ausschuss für Angelegenheitender neuen Länder zu dem Antrag, der damals vorlag– warum er nicht zur Vollendung gekommen ist, kannich nicht nachvollziehen –, haben wir gemerkt, dass mansich in dieser Region mit Bürgermeistern, die der Unionangehören, mit Landräten, die der Union angehören, undmit Vertretern auf der Seite der Nordbrandenburger, dieder SPD angehören, darüber einig war, dass – –
Herr Kollege, ich muss Sie unterbrechen, weil Sie re-
den, ohne Luft zu holen.
Der Kollege Manzewski würde gerne eine Zwischen-
frage stellen. Erlauben Sie das?
Kollege Manzewski ist wie ich für diese Region zu-
ständig. Wir haben letztendlich in unseren Überzeugun-
gen – –
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Manzewski?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Kuhn, zur Richtigstellung: Ich bin für
die Region zuständig, weil ich direkt gewählter Abge-
ordneter bin.
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–
ber ich erkenne an, dass auch Sie sich um diese Region
emühen.
Ich habe zwei Fragen, weil ich aus Ihrem Vortrag
icht schlau werde.
Erstens. Könnten Sie mir sagen, ob Sie nun für den
ntrag sind oder nicht?
Zweitens. Sie kritisieren hier die Bundesregierung.
ie kritisieren leider nicht Ihre eigene Fraktion. Geben
ie mir Recht, dass, wenn die CDU/CSU diesen Antrag
emeinsam mit den Unterzeichnern unterstützen würde,
ieser Antrag durchginge?
Erstens. Ich unterstütze diesen Antrag.
Zweitens. Sie haben die Regierungsverantwortung.
err Kollege Manzewski. Zudem kommt dieser Antrag
us Ihren Reihen. Sie haben also die Verantwortung,
ass die Zielstellung erreicht wird. Wir sind in der Oppo-
ition. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir die Rollen
eim nächsten Mal wechselten und Sie nicht mehr als
ertreter einer die Regierung tragenden Fraktion rede-
en. Es wird höchste Zeit, dass sich da etwas ändert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem
usammenhang bitte ich ganz inständig darum, dass sich
ie Verantwortlichen in der Exekutive, die verantwort-
ichen Minister, des Problems annehmen und eine fach-
iche und sachliche Beurteilung hinsichtlich der Ent-
icklung der Region, auch was den Tourismus betrifft,
rarbeiten. Ich habe den Eindruck, dass die Entwick-
ungsziele, die hier vorgegeben worden sind, nur im Be-
eich des Tourismus liegen können.
ir wissen genau, dass diese Branche weltweit operiert.
Herr Kollege Kuhn, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir werden so Nachteile erleiden. Das können wiricht kampflos hinnehmen. Das ist auch die Überzeu-ung unserer Unternehmerschaft.
Ja.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. März 2005 15335
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(D)
Werner Kuhn
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/4792 und 15/4956 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 11. März 2005, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.