Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen allen ei-
nen guten Morgen und uns gute Beratungen.
Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 16:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Olaf
Scholz, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-
Gerigk, Volker Beck , Jutta Dümpe-
Krüger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung europäischer Antidiskriminierungsricht-
linien
– Drucksache 15/4538 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
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Redet
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Olaf Scholz für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!mehr als 200 Jahren haben die Menschen in Fin England und in den späteren Vereinigten SAmerika die Demokratie erkämpft und sich
Worum geht es? Wir als anständige Bürgerinnen undBürger wollen Folgendes einfach nicht mehr hinnehmen:Eine Gruppe Behinderter hat ein Hotel gebucht, er-scheint dort und dann wird ihr gesagt: Ihr könnt hierollen nicht, dass ihr als behinderte Men-tuhlfahrer die übrigen Gäste stört. – Dasn, die unerträglich ist und die wir nichtn wollen. Vor etwasrankreich,taaten vonfür Grund-nicht sein; wir wschen, als Rollsist die Situatiomehr hinnehme
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Olaf Scholz
Meine Damen und Herren, das ist die Situation, dieSie immer vor Augen haben müssen, wenn Sie das, wasSie hier vorhaben zu sagen, sagen,
wenn Sie aufschreiben, was Sie an verschiedenen Stellenschon aufgeschrieben haben und was Sie auch anderswonachlesen können, nämlich dass es uns angeblich darumgehe, in die Privatbeziehungen der Bürger hineinzu-gehen.
Wenn man sich klar macht, was die Gefühle eines behin-derten Menschen sind, der dort nicht eingelassen wird,
dann kommt man zu dem Schluss, dass es zynisch ist,wenn man liest und hört, dass es ein unangemessenesVorgehen des Staates wäre, sich in diese Angelegenheiteinzumischen. Wir wollen uns einmischen – im Sinnedes Anstands, den wir hier in diesem Land zu vertretenhaben.
Es ist auch so, dass wir ein sehr pragmatisches Gesetzgemacht haben. Das wichtigste Kennzeichen für denPragmatismus, den wir in diesem Gesetz haben waltenlassen,
ist, dass man sich ohne besondere Lektüre dieses Geset-zes gesetzeskonform verhalten kann.
Wer so ist, wie wir alle sein wollen – trotz Ihrer Aufre-gung glaube ich, dass Sie persönlich etwas für das Ge-setz übrig haben – und wie ein anständiger Bürger seinsollte, der wird mit diesem Gesetz keine Probleme habenund braucht auch keinen Rechtsanwalt.
Es ist auch nicht notwendig, dass jetzt viele Unterneh-men die teuren Seminare besuchen, die überall angebo-ten werden: „Wie bereite ich mich auf das Antidiskrimi-nsWmRsmdSbVrllvgnaVmItegvmndViwdsEDwsnd
er sich schon angemeldet hat, sollte sich wieder ab-elden. Das ist nicht notwendig. Wenn Sie einenechtsanwalt gefunden haben, der sagt, man müsse vor-orgen und dokumentieren – was man überhaupt nichtuss –,
ann sollten Sie ihn auf Schadenersatz verklagen, weil erie falsch beraten hat. Das ist die Situation.
Ich glaube, dass wir uns in einer rechtlichen Kulturefinden, die man folgendermaßen beschreiben kann:erbandsvertreter, Rechtsanwälte und alle, die einen be-aten – auch Politiker –, handeln ganz marktwirtschaft-ich: Wenn man laut schreit, gibt es mehr Geld. Sicher-ich hat die Tatsache, dass wir unseren Gesetzentwurfor Weihnachten vorgestellt haben, auch dazu beigetra-en, dass mancher Verbandsvertreter mehr an die Weih-achtsprämie und an die Zusatzvergütung gedacht hat,ls er gesagt hat: Ihr müsst noch einmal Geld an meinenerband überweisen, weil ich euch vor etwas warnenuss. Das war aber falsch und nicht notwendig.
nsofern, glaube ich, ist hier eine angemessene Betrach-ung angebracht.Das beliebteste Beispiel zu diesem Thema – ich wills gerne aufgreifen; jeder darf dabei etwas Falsches sa-en und sich dennoch gut fühlen – ist immer wieder – inerschiedenen Varianten falsch nacherzählt –, dass je-and, der sich um eine Wohnung beworben und sieicht bekommen habe, nur behaupten müsse, er werdeiskriminiert, weil er homosexuell sei; schon müsse derermieter beweisen, dass das Gegenteil der Fall sei. Dasst grober Unfug. Das steht nicht im Gesetz. Das Gesetzird auch niemals so ausgelegt werden können. Aber allie, die das immer wieder behaupten, leben davon, dassie auf lauter Leute treffen, die erst einmal annehmen:in Abgeordneter lügt nicht.
iese Leute denken sich: Wenn er das sagt, wird dasohl so im Gesetz stehen. – Es steht aber nicht im Ge-etz. Deshalb sage ich Ihnen: Das werden Sie im Gesetzicht finden.
Damit Sie es nicht so leicht haben, haben wir uns beier Gesetzgebung einen ganz wichtigen Schritt überlegt.
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Olaf ScholzWir haben nämlich gesagt: In der Frage der Beweis-erleichterung, die uns die EU in vielen Fällen vorge-schrieben hat und die wir auch gerne umsetzen wollen,greifen wir das auf, was wir schon in unserer Rechtsord-nung haben. In § 611 a BGB steht, dass es eine Beweis-erleichterung gibt, wenn jemand im Arbeitsleben wegenseines Geschlechts diskriminiert worden ist. Das ist einepragmatische Regelung, bei der man all die unwahren,schrillen Töne abtesten kann, die jetzt erklungen sind. Esgab wegen dieses Paragraphen nämlich keine Prozess-flut. Es hat auch keine Dokumentationspflichten undkeinen strukturellen Missbrauch wegen dieser Regelunggegeben. Ja, am Anfang haben sich fünf naseweisemännliche Jurastudenten auf Frauenjobs beworben, inder Hoffnung, dass jemand sagt: Ich nehme keine Män-ner. Das hat halb geklappt, halb nicht. Nun hat dieRechtsprechung das klargestellt. Sie können jedenfallsan wenigen Händen abzählen, wie viele Verfahren es zudiesem Thema gibt. Dann wissen Sie, dass es einfach dieUnwahrheit ist, zu sagen, hier drohe Bürokratie und hierdrohe eine Prozessflut. Das ist nichts weiter als Propa-ganda, die keine Rechtfertigung in diesem Gesetzesvor-haben hat.
Die letzte der beliebten falschen Behauptungen lautet,wir gingen hier unglaublich über die Vorgaben der Euro-päischen Union hinaus. Zunächst einmal ist dazu zu sa-gen: Wir machen das Gesetz nicht, weil die EU uns dazuzwingt, sondern deshalb, weil wir das für richtig halten.Wir bekennen uns zu dem, was wir da machen.
Es ist auch richtig, dass es mittlerweile vier Richtliniengibt, die wir umsetzen müssen. Aber jeder, der den Satzsagt oder schreibt, wir gingen über die Vorgaben hinaus,hofft, dass ihn keiner fragt, was er eigentlich damitmeint. Denn dann müsste man antworten, dass damitnicht gemeint ist, wir gingen bei der Ausgestaltung derRechte zu weit, etwa in Bezug auf Beweiserleichterung,in Bezug auf die Unterstützung durch Antidiskriminie-rungsverbände oder in Bezug auf ähnliche Dinge – diesesind ja vorgeschrieben; das sollen wir machen –, sonderndass wir in dem Punkt darüber hinausgehen, dass wirzum Beispiel Menschen mit Behinderungen einbezie-hen. Wenn Sie der Meinung sind, wir sollten für dieMenschen mit Behinderungen nichts tun, dann sagen Siedas auch, statt sich auf einen so abstrakten, nicht hinter-fragbaren Satz wie den zurückzuziehen, wir gingen überdie Vorgaben hinaus.
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s war fast ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig.
ielleicht können Sie sich einmal dazu äußern.
Ich bedanke mich für Ihre Frage.
s ist in der Tat so, dass mittlerweile eine ganze Reiheon Richtlinien, die umgesetzt werden müssen, aufge-aufen ist, und manche davon hätten schon umgesetztein müssen. Das ist gar nicht zu bestreiten.
in wenig müssen Sie sich – ich weiß nicht, wie Sie sichier einlassen wollen – oder wenigstens die Vertreter Ih-er Partei und von der Union schon darauf verständigen,as Sie sagen wollen. Wollen Sie sagen, wir gingen zueit, oder wollen Sie sagen, wir seien nicht rechtzeitigenug fertig geworden? Beides ist nicht dasselbe.
Deshalb will ich Ihnen gerne sagen, dass wir das sehrewusst so gemacht haben. Manchmal ist es nämlich so,ass eine längere Beratungszeit dazu beiträgt, dass maninen umfassenden und sorgfältig abgewogenen Gesetz-ntwurf zustande bringt, so wie wir es jetzt geschafft ha-en.
eshalb glaube ich, dass sich die lange Beratungszeit ininem guten Ergebnis niedergeschlagen hat.
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Olaf ScholzLetzte Bemerkung: Wir hielten es für richtig, auf derEbene der Zivilgesellschaft und des Privatrechts zu blei-ben.
Wir haben uns das, was die französischen konservativenJuristen im Rechtsausschuss vorgetragen haben, nicht zuEigen gemacht. Diese haben vorgeschlagen, eine hoheBehörde einzurichten, die in alle Privatbeziehungen in-tervenieren kann, und das Strafrecht zu verschärfen. Wirhaben gesagt, die Menschen sollen das untereinander re-geln. Dabei helfen wir ihnen. Das ist ein Fortschritt fürdieses Land.Schönen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrScholz, wir sind zwar in der Faschingszeit, aber diesesGesetz ist so weit reichend, dass es es verdient hätte,sich ernsthaft mit ihm auseinander zu setzen. Das wer-den wir tun.
Meine Damen und Herren, vor dem Gesetz sind alleMenschen gleich. Art. 3 unseres Grundgesetzes und ver-schiedene Vorschriften schützen die Bürgerinnen undBürger vor Benachteiligungen aufgrund bestimmterMerkmale wie Geschlecht, Abstammung, Religion, Be-hinderung usw. Dieses unbestrittene Grundrechtsprinziphat Konsequenzen: Einer Frau darf nicht deshalb ein Ar-beitsplatz verweigert werden, weil sie eine Frau ist. Wielässt sich dieses nachweisen? Steht dem nicht das Prin-zip der Vertragsfreiheit entgegen? Es sollte doch jederVerträge abschließen können, mit wem er will.Die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtliniendurch das vorliegende Gesetz gibt der Politik der Anti-diskriminierung in Deutschland einen völlig neuen Stel-lenwert. Der Gesetzentwurf geht weit über die von derEU vorgeschriebenen notwendigen Regelungen hinaus.
Das gilt sowohl für die Diskriminierungstatbestände alsauch für die betroffenen Rechtsgebiete. Die EU verlangtnur ein zivilrechtliches Diskriminierungsverbot auf-grund der Rasse und der ethnischen Herkunft.
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nd ändern die Wertmaßstäbe.
s drängt sich die Frage auf, ob das Ziel wirklich die Be-eitigung von Diskriminierung ist oder bereits der Schrittur Bevorzugung von Bevölkerungsgruppen mit be-timmten Merkmalen.
iese Frage muss erlaubt sein.So sucht man den Schutz der Familie bei den ge-chützten Gruppen vergeblich.
ie bildet unverändert auch heute noch die Basis unsereresellschaft und die Basis der Finanzierung unserer So-ialversicherungssysteme. Es stellt sich daher die Frage,b nicht auch gesellschaftliche Gruppen ohne politischend weltanschauliche Extrempositionen den Schutz un-erer Gesellschaft verdienen.
Das Gesetz bringt weit gehende Einschnitte im ar-eitsrechtlichen Bereich mit analoger Anwendung aufeamte. Im Zivilrecht sind das Versicherungs- und dasietrecht besonders betroffen. So schaffen Sie zusätz-che Bürokratie und sorgen für eine noch stärkere Über-egulierung unserer Gesellschaft.
leine und mittelständische Betriebe werden besondersarunter leiden. Das Gesetz ist ein Arbeitsplatzverhinde-ungsgesetz,
nd das bei einer Rekordzahl von 4,4 Millionen Arbeits-osen. Das ist unverantwortlich.
Mit der Einrichtung einer Antidiskriminierungs-telle, die beim Familienministerium vorgesehen ist,eht der Gesetzentwurf ebenfalls über die EU-Richtli-ien hinaus. Diese Richtlinien sehen eine solche Stelleur für die Benachteiligung wegen Rasse, ethnischererkunft und Geschlecht vor. Zusätzliche Bürokratientsteht bei dieser Stelle durch die detaillierte Regelung
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Maria Eichhornder Rechtstellung des Leiters und durch einen 16-köpfi-gen Beirat, der Anspruch auf umfangreiche Geldleistun-gen hat.Eine der Hauptaufgaben dieser Stelle ist die Öffent-lichkeitsarbeit, und das für schätzungsweise 5,6 Mil-lionen Euro jährlich. Aber bei unserer hervorragendenHaushaltslage sind das ja nur Peanuts.Wenn man die eigentlichen Aufgaben der Stelle nach-liest, stellt sich zugleich die Frage nach der Wirksamkeitdieser Einrichtung. Erfahrungen mit der Ombuds-mannstelle in Schweden zeigen jedoch, dass diese Stellezwar vermittelt, aber faktisch nichts durchsetzen kann.Also viel Wind, aber kein Erfolg.
Was ist Diskriminierung? Diskriminieren bedeutetherabsetzen, herabwürdigen. Eine Rollstuhlfahrerin be-richtet, ein Hotelbetreiber, der nach seinen eigenen Wor-ten über einen barrierefreien Zugang verfügt und auchZimmer anbietet, die für Rollstuhlbenutzer geeignetsind, habe ihr mitgeteilt, dass er nicht gerne Zimmer anRollstuhlfahrer vermiete. Weiter sagte er zu der darauf-hin sprachlosen Frau, nebenan gebe es ein Altenheim;sie solle doch dort nachfragen, ob ein Zimmer zur An-mietung frei sei.
Behinderte erfahren ebenso Diskriminierungen zumBeispiel bei Reisen, bei Veranstaltungen, in der Gastro-nomie, beim Abschluss von Versicherungsverträgen.Dies wurde bei einem Werkstattgespräch der CDU/CSU-Fraktion im Oktober bestätigt.
Diese Diskriminierungen müssen wir aufdecken und fürAbhilfe sorgen.
Die Behindertenverbände haben zum vorliegenden Ge-setzentwurf bereits Verbesserungsvorschläge gemacht.Diese werden wir aufgreifen und im Gesetzgebungsver-fahren wohlwollend prüfen.Ich will einen weiteren Fall schildern. Einem 70-jäh-rigen Bankkunden wurde mit Hinweis auf sein Alter derDispositionskredit gekündigt, obwohl sich seine Vermö-gensverhältnisse nicht geändert hatten. Auch Jüngeresind von Diskriminierung betroffen. Über 50-Jährige– das wissen wir – haben kaum noch Chancen auf demArbeitsmarkt.
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ie unklaren Definitionen im Gesetzentwurf werfeniele Fragen auf. Die Formulierungen sind vielfach we-er rechtlich noch fachlich durchdacht. Rechtsanwältend Gerichte können sich über viel zusätzliche Arbeitreuen. Wer meint, diskriminiert worden zu sein, brauchtiesen Verdacht nur noch glaubhaft zu machen. Der Be-chuldigte muss dann vor Gericht seine Unschuld bewei-en. Dies führt zu langen und schwierigen Gerichtsver-andlungen.Ein Vermieter wird danach künftig nachweisen müs-en, dass er einen Mieter abgelehnt hat, weil er an seinerahlungsfähigkeit zweifelt, und nicht etwa deswegen,eil er zum Beispiel eine dunkle Hautfarbe hat. Dieeweislastumkehr wird für viele zur Diskriminierungs-alle.
as zeigen Erfahrungen in den USA und in Großbritan-ien.Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dassegelungen, die eigentlich schützen sollten, kontrapro-uktiv waren. Ich erinnere nur an die von Ihnen einge-ührte gesetzliche Regelung zur Teilzeitarbeit.Meine Damen und Herren, das Ziel des vorliegendenesetzentwurfes, bestimmte Personenkreise umfassendu schützen, mag vielleicht juristisch erreicht werden. Esst jedoch äußerst zweifelhaft, ob der Schutz dieser Per-onen tatsächlich erreicht werden kann. Hinzu kommt,ass das Risiko von Schadensersatzansprüchen dazuühren kann, dass der Kontakt mit den Geschützten vonornherein vermieden wird. So sagt der Haus- undrundbesitzerverein: Die geplanten gesetzlichen Verän-erungen im Bereich des Mietrechts helfen nicht den ge-chützten Personen, sondern erschweren die Integration
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Maria Eichhornvon Minderheiten. Andere wiederum, die wie der Deut-sche Juristinnenbund das Gesetz begrüßen, stellen fest,dass die Verbesserungen gering ausfallen.
Nikolaus Piper warnt in einem Kommentar der „SZ“vom 1. Dezember 2004 – Herr Scholz, die „SüddeutscheZeitung“ ist ja keine Zeitung, die Ihnen schlecht geson-nen ist – vor einer überzogenen Antidiskriminierungs-politik, die in eine Falle gerate. Ich zitiere:Das gut Gemeinte richtet sich in der Überdosis ge-gen das eigentlich verfolgte Ziel. Nicht der Erfolgder potenziell Diskriminierten ist das Ergebnis, son-dern die ökonomische und gesellschaftliche Läh-mung.
Er fährt fort:Die Bundesregierung wäre gut beraten, die vonBrüssel verordnete Politik so behutsam wie mög-lich umzusetzen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bei-trag der Union lässt mich – das muss ich Ihnen geste-hen – etwas ratlos zurück.
Man sollte sich schon entscheiden, ob man, wie es man-che, insbesondere die betroffenen Verbände, tun, kritisie-ren will, dass man noch mehr hätte machen können undwir nicht weit genug gegangen seien, oder ob man kriti-sieren will, dass wir viel zu weit gegangen seien. Dasollte man sich schon entscheiden.
Die Tatsache aber, dass es in beide Richtungen Kritikan unserem Gesetzentwurf gibt, zeigt, dass wir einenausgewogenen Kompromiss
zwischen einerseits einem wirksamen Diskriminierungs-schutz und andererseits keiner unnötigen Belastung derWirtschaft und der Anbieter von Dienstleistungen gefun-den haben.Ziel dieses Gesetzes ist es, jedem Bürger und jederBürgerin in unserem Land einen gleichberechtigten Zu-gang zum Markt, zum Handel mit Waren und Dienstleis-tsvEZcüggdaAdflsFanglWvKddnnwgMswswswaDkPAsOkcg
In der Tat gehen wir mit diesem Gesetz an einer Stelleeutlich über das uns von der EU Vorgeschriebene hi-aus: Wir wollen die Diskriminierung im Zivilrechticht nur hinsichtlich Rasse, ethnischer Herkunft und,ie wir dies neuerdings tun müssen, Geschlecht untersa-en. Man soll auch Behinderte, alte Menschen, religiöseinderheiten wie Juden und Muslime sowie Homo-exuelle nicht diskriminieren dürfen; das scheint Sie,enn ich das richtig vernommen habe, am meisten zutören.Ich kann mir angesichts unserer Geschichte – wirerden jetzt den 60. Jahrestag der Befreiung vom Fa-chismus begehen – schlichtweg nicht vorstellen, dassir in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz ver-bschieden, nach dem Behinderte und Juden nicht voriskriminierung geschützt werden.
Die Werteordnung des Grundgesetzes erteilt der Dis-riminierung und der Ausgrenzung aufgrund bestimmterersönlichkeitsmerkmale eine klare Absage. Das ist inrt. 3 des Grundgesetzes geregelt. Art. 3 des Grundge-etzes bindet aber unmittelbar nur den Staat und seinergane. Das heißt: Der Staat darf den Bürger nicht dis-riminieren. Wir wollen aber, dass die Bürger die glei-hen Möglichkeiten haben, wenn es zum Beispiel darumeht, Versicherungsverträge abzuschließen oder eine
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)Volker Beck
Wohnung zu mieten, und nicht aufgrund bestimmterMerkmale, zum Beispiel weil sie zu alt sind, weil sieeine Frau oder eben ein Mann sind, weil sie schwul oderheterosexuell sind oder weil sie behindert sind, davonausgeschlossen sind. Wir wollen jedem die gleichenChancen und Möglichkeiten eröffnen.Was ist heute Realität? Es ist zwar nicht flächen-deckend der Fall, kommt aber immer wieder vor, dassFrauen höhere Tarife bei Kranken- und Lebensversiche-rungen zahlen. Homosexuellen werden Lebensversiche-rungsverträge pauschal verweigert. Menschen nichtdeutscher Herkunft, Schwule und Lesben sowie Behin-derte erfahren vergleichbare Diskriminierungen im Gas-tronomiebereich. Solche Leute will man nicht bedienen,man will sie dort nicht haben. Ausländisch aussehendenjungen Männern wird der Zugang zu einer Diskothekverweigert. Behinderte Menschen werden oft in einemFerienhotel nicht aufgenommen, weil man unterstellt, siewürden die anderen Gäste stören. Das wollen wir abstel-len. Bislang ist dies durch unsere Rechtsprechung ge-deckt. Es gibt Gerichtsurteile, nach denen der Wert derLeistung eines Reiseveranstalters gemindert werdenkann, wenn Behinderte am Nebentisch ihre Mahlzeiteinnehmen. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie könnendoch nicht wollen, dass das so bleibt.
Besonders gravierend sind die Benachteiligungen imArbeitsleben, bei der Einstellung, beim beruflichen Auf-stieg, bei den Arbeitsbedingungen und bei der Entloh-nung. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass das abge-stellt wird.Lassen Sie mich kurz zum Schluss kommen.
Möchten Sie, bevor Sie zum Schluss kommen, eine
Zwischenfrage zulassen?
Aber selbstverständlich.
Der Kollege Scheuer hatte sich gemeldet. Bitte schön.
Herr Kollege Beck, Sie malen hier das Bild von einer
Gesellschaft in Deutschland, die voller diskriminierter
Gruppen und voller ekliger verschiedener Auffassungen
ist. Sind Sie allen Ernstes der Meinung, dass in Deutsch-
land solch eine Gesellschaft voller Diskriminierung,
Neid und Hass vorherrscht?
Ich bin der Meinung, dass ich die Gesellschaft richtig
beschrieben habe und dass sie nicht voller Diskriminie-
rung ist. Ich habe das eben in meiner Rede ausgeführt:
Solche Diskriminierungen kommen nicht flächen-
deckend vor, aber in bestimmten Bereichen immer wie-
der.
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ibt es dafür, dass Frauen mehr zahlen als Männer, ei-
en guten Grund? Wir wissen aus versicherungsmathe-
atischen Berechnungen, dass es andere Kriterien gibt,
ie für den Schadensverlauf und für das Risiko des Ver-
icherers wesentlich relevanter sind.
Wir werden mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass
ersicherer in Zukunft nur aufgrund von versicherungs-
athematischen Kriterien unterschiedliche Tarife auslo-
en können. – Sie wollen nicht mehr lernen, deshalb er-
pare ich Ihnen den Rest. Bitte setzen Sie sich, Herr
ollege!
Geschlechtergerechtigkeit und der Ausbau des Diskri-
inierungsschutzes sind keine Luxusartikel, sondern
otwendige Zutaten einer wirksamen Modernisierungs-
olitik. International kann keine Volkswirtschaft beste-
en, die nur nach Altvätersitte geführt wird. Im Zeitalter
er Globalisierung ist die Anerkennung von Diversity
in wichtiges Element für wirtschaftlichen Erfolg. Nie-
and hat die Illusion, dass Diskriminierung nun per
nopfdruck über Nacht verschwindet. Ein Antidiskrimi-
ierungsgesetz ist aber ein wichtiges gesellschaftspoliti-
ches Signal der Integration: ein Signal für das ernsthafte
emühen um Geschlechtergerechtigkeit und ein Signal
egen die Herabwürdigung und Ausgrenzung von Men-
chen, weil sie anders sind. Es wäre schön, wenn wir we-
igstens darüber einer Meinung wären.
Das Wort hat nun der Kollege Heinrich Kolb für die
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichill zu Beginn meiner Rede hier sehr deutlich und un-issverständlich sagen: Die FDP-Bundestagsfraktion
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Dr. Heinrich L. Kolbwendet sich wie schon bisher auch heute und in der Zu-kunft mit aller Entschiedenheit gegen Diskriminierungund Intoleranz.
Wir treten dafür ein, bestehende Diskriminierungen zubeseitigen und die Rechte von Minderheiten zu stärken.Wir wollen die gleichen Rechte und auch die gleichenChancen für alle Menschen,
und das unabhängig von ihrer Rasse, ihrer ethnischenHerkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Religion, ihrer Welt-anschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrersexuellen Identität.
Die FDP-Bundestagsfraktion steht auch für EU-Ver-tragstreue. Herr Kollege Beck, für uns folgt daraus un-zweifelhaft, dass die geltenden EU-Antidiskriminie-rungsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen sind,und zwar in einer Weise, die sicherstellt, dass die mit denRichtlinien verbundenen Zielsetzungen erreicht werden.Dabei fangen wir übrigens nicht bei null an; denn schonbisher tragen viele Vorschriften unseres deutschenRechts dazu bei, Diskriminierung und Benachteiligungzu verhindern und Chancengleichheit zu fördern.
Ich denke, die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert mitRecht, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung zurUmsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EGnicht rechtzeitig nachgekommen und erst nach Andro-hung eines Vertragsverletzungsverfahrens tätig gewor-den ist. Das steht doch in klarem Widerspruch dazu, dassSie, Herr Scholz, und Sie, Herr Beck, sich hier hinstellenund sagen: Das ist uns ein wichtiges Anliegen. – Wennich heute hier auf die Regierungsbank schaue, muss ichfeststellen: Nicht ein Minister Ihrer Regierung ist hiervertreten! Das zeigt, wie ernst und wie wichtig Sie die-ses Thema nehmen.
Wahrscheinlich sind Frau Renate Schmidt und FrauZypries gerade noch dabei, sich über die Zuständigkeitzu streiten; sonst wären sie möglicherweise hierher ge-kommen. Die Besetzung der Regierungsbank ist einSkandal, Herr Beck.
Die FDP-Bundestagsfraktion – Herr Beck, das sageich, um Gemeinsamkeiten festzuhalten – will, dass diegeltenden EU-Antidiskriminierungsrichtlinien umge-hend umgesetzt werden,uiaEÜJWGsEgWnlsrGKloWPnmkU–tsNzw
nd zwar nicht nur diejenigen, die überfällig sind, weilhre Umsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, sondernuch die Richtlinien, deren Umsetzungsfrist noch läuft.s macht aus unserer Sicht keinen Sinn, jetzt nur dasberfällige zu erledigen und in einem Jahr oder in zweiahren wieder anzufangen.
ir sagen Ja zur Umsetzung der Richtlinien aus einemuss.
Die FDP-Bundestagsfraktion – Herr Beck, das unter-cheidet uns; ich bitte Sie, jetzt zuzuhören – will eineins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinien – nicht weni-er, aber auch nicht mehr.
ir lehnen den Gesetzentwurf der Koalition ab, weil erach unserer Auffassung – das will ich in der Folge be-euchten – weit über die EU-Richtlinien hinausgeht. Die-er Gesetzentwurf ist für uns ein erneuter Ausdruck derot-grünen Staatsgläubigkeit. Er atmet den Geist derutmenschen, die den widerspenstigen Bürger mit dereule des Gesetzes Mores lehren wollen.
Aber wir meinen: Der Abbau von Diskriminierungenässt sich nicht – jedenfalls nicht allein – per Gesetz ver-rdnen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.ir brauchen eine Veränderung des Bewusstseins, keinerozessflut; denn damit wäre niemandem, der diskrimi-iert wird, geholfen. Was wir brauchen und entwickelnüssen, ist eine Kultur des Miteinanders, in der Dis-riminierung und Vorurteile geächtet und Vielfalt undnterschiedlichkeit akzeptiert und toleriert werden.
Ich will Ihnen ja sagen, was unserer Meinung nach ge-an werden kann und soll.Bei der Umsetzung der Richtlinien muss man einesehen:
icht alles, was im Hinblick auf die EU-Richtlinien neuu regeln ist, muss in einem eigenen Gesetz geregelterden.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14265
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Dr. Heinrich L. Kolb
Wir glauben zum Beispiel, dass der zivilrechtliche Rege-lungsteil der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien – so-wohl aus rechtssystematischer Sicht als auch um für dieBürger die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit desRechtssystems zu erhalten und zu vergrößern – besserim BGB als in einem Antidiskriminierungsgesetz enthal-ten sein sollte.
– Herr Beck, am Schluss meiner Rede mache ich Ihnenein Angebot.
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den von der Koali-tion vorgelegten Entwurf eines Antidiskriminierungsge-setzes insbesondere aufgrund folgender Regelungen desGesetzentwurfs ab:
Die nach § 24 des Entwurfs vorgesehene Unterstützungdurch Antidiskriminierungsverbände und die Ermög-lichung der Abtretung der Forderung Benachteiligter aufSchadensersatz oder Entschädigung in Geld an dieseVerbände führt zu einem modernen Ablasshandel in Sa-chen Antidiskriminierung.
Es mag sein – ich bin mir sogar sicher –, dass hier einneuer, blühender Wirtschaftszweig einstehen würde unddass es in Antidiskriminierungsverbänden und in derFolge auch in Rechtsanwaltskanzleien und bei Gerichtenzu Beschäftigungswundern käme. Aber die Wirkung derRegelungen des § 24 auf weite Bereiche unseres Alltags-und Wirtschaftslebens wäre verheerend. Hier – das mussman sagen – schütten Sie das Kind mit dem Bade aus.Unsere Zustimmung bekommen Sie für diese Regelungnicht.
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Umkehr der Be-weislast geht nach unserer bisherigen Einschätzung zuweit. Sie öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Hier müs-sen im Hinblick auf die im deutschen Rechtssystem an-sonsten geltende Unschuldsvermutung die in den Richt-linien vorgesehenen Spielräume bei der Anpassung desnationalen Rechts genutzt werden.Mit dem § 18 des Gesetzentwurfs werden den Ge-werkschaften neue Rechte im Betrieb zugewiesen. Die-slvnggmsassBHlFTmskAhHmdgfwAkimwdddWsazbVdh
rau Schewe-Gerigk hat, wie es heute Morgen in einerickermeldung hieß, gesagt, dass sich die Grünen nochehr Stellen gewünscht hätten. Auch diese Aussagepricht Bände.Wir meinen, die EU-Richtlinien machen diese Büro-ratie nicht erforderlich. Stattdessen wäre nach unsereruffassung die inhaltliche Stärkung der auch schon bis-er vorhandenen Beauftragten sinnvoll; Frau Beck underr Haack sind ja heute Morgen hier oder waren zu-indest hier. Eventuell auftretende Lücken hinsichtlicher nach EU-Recht notwendigen Kompetenzen und Ziel-ruppen können durch eine Stelle im Bundesministeriumür Familie, Frauen, Senioren und Jugend geschlossenerden.
ber wir brauchen kein neues bürokratisches Monstrum,eine neue Behörde.Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, willch an Sie appellieren – Herr Kollege Beck, wenn Sieir freundlicherweise Ihre Aufmerksamkeit schenkenürden –: Es wäre schön, wenn es gelingen könnte, füras wichtige Vorhaben der Umsetzung der EU-Anti-iskriminierungsrichtlinien einen breiten Konsens iniesem Hause herzustellen.
ir sind dazu bereit, bisher wollen Sie das aber offen-ichtlich nicht. Jedenfalls ist der Entwurf, den Sie, ohneuch nur ansatzweise Rücksprache mit der Oppositionu halten, vorgelegt haben, hierfür keine Basis. Das istedauerlich, weil wir in der Vergangenheit bei ähnlichenorhaben, etwa bei der Verbesserung der Rechte behin-erter Menschen, einen solchen Konsens immer habenerstellen können.
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Dr. Heinrich L. KolbDeswegen meine Bitte, bei den jetzt anstehendenAusschussberatungen den Versuch dazu zu unterneh-men – auf der Basis des jetzt gültigen Rechts wird un-sere Zustimmung zum ADG jedenfalls nicht möglichsein.Danke schön.
Ich hätte die Redezeit des Kollegen Kolb ja allzu gern
durch eine Zwischenfrage verlängert. Der Wunsch nach
einer Zwischenfrage hätte aber rechtzeitig angezeigt
werden müssen.
– Um Gottes Willen, diese Anregung habe ich nicht ein-
mal gehört.
Nun hat die Kollegin Christel Humme für die SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Ich freue mich von ganzem Herzen, dass es uns gelun-gen ist – nach zähem Ringen; das gebe ich zu –, heuteendlich ein Antidiskriminierungsgesetz in der ersten Le-sung im Bundestag zu haben. Ich danke beiden Fraktio-nen und allen Beteiligten recht herzlich dafür.
Denn ich weiß ganz genau, dass dieses Antidiskriminie-rungsgesetz von den Betroffenen wirklich sehr ungedul-dig erwartet worden ist. Leider zeigt ein Blick in dieWirklichkeit – Frau Eichhorn, Sie haben das ja schondurch viele Beispiele beschrieben –, dass dieses Antidis-kriminierungsgesetz dringender denn je vonnöten ist.Erst im letzten Jahr wurde eine Studie von ProfessorHeitmeyer von der Universität Bielefeld veröffentlicht,die bestätigt hat, dass wir es in unserer Gesellschaft zu-nehmend mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben. Wasuns fehlt, ist eine Antidiskriminierungskultur, wie siein angelsächsischen Ländern und auch in nordeuropäi-schen Ländern in den letzten 30 bis 50 Jahren zu einerSelbstverständlichkeit entwickelt worden ist. Darum– das sage ich Ihnen ganz offen – habe ich überhauptkein Verständnis dafür, dass Sie, meine Herren und Da-men von der Opposition, mit so einer Vehemenz und mitviel Polemik gegen unser Gesetz agieren.
Denn Schutz vor Diskriminierung sollte unsere gemein-same Aufgabe sein. Diesem Schutz haben wir uns ver-pflichtet – Sie in Ihrer Regierungszeit auch –: In denletzten 50 Jahren haben wir die verschiedensten völker-rechtlichen Übereinkommen ratifiziert. Wir haben damitdsrnvfwgfwdurlgBZfrImfkDsGEbggvdrdAtavugMdnbgnBtn
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich habe gesternit Erstaunen in der „Welt“ gelesen, die Arbeitgeberühlen sich durch unser Antidiskriminierungsgesetz dis-riminiert.
iese Arbeitgeber sagen, wir brauchten kein neues Ge-etz, unsere gesetzlichen Regelungen seien ausreichend.enau diese Arbeitgeber frage ich, warum Frauen – Frauichhorn hat das bestätigt – für eine gleichwertige Ar-eit heute noch immer im Durchschnitt 30 Prozent weni-er Gehalt bekommen als Männer. Im europäischen Ver-leich ist das übrigens ein Negativrekord. Warumerdienen Frauen weniger, haben aber höhere Aufwen-ungen für die Kranken- und Rentenversicherung? Wa-um müssen Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie Kin-er bekommen, noch immer Benachteiligungen amrbeitsplatz befürchten?Ich frage die Arbeitgeber, die so argumentieren, wei-er: Wie erklären Sie den Menschen, die über 50 Jahrelt sind, dass sie allein aufgrund ihres Lebensalters undöllig unabhängig von ihrem Können, ihrer Erfahrungnd ihrer Einsatzbereitschaft aus dem Arbeitsleben aus-egrenzt werden? Welche Begründung geben Sie denenschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe als nichteutsch wahrgenommen werden und denen die Teil-ahme am öffentlichen Leben – in Discos und Kneipen,ei der Wohnungssuche, bei Auswahl- und Bewerbungs-esprächen – allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu ei-er ethnischen Gruppe erschwert wird? Ich denke, dieseeispiele machen deutlich, dass wir unserer Verantwor-ung, die Menschen vor Diskriminierung zu schützen,och nicht ausreichend gerecht geworden sind.
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Christel HummeKritiker – vor allen Dingen Sie von der Opposition –warnen davor, dass Unternehmen durch eine Klageflut,durch Bürokratie und durch Verwaltungsaufwand belas-tet würden. Ich halte das für Horrorszenarien und vorge-schobene Argumente.
Ich möchte das anhand eines Beispiels belegen.Am vergangenen Dienstag hat die Bundesvereini-gung der Deutschen Arbeitgeberverbände eine Veran-staltung zum Antidiskriminierungsgesetz durchgeführt.Ziel war es natürlich, das Antidiskriminierungsgesetz inwesentlichen Punkten zu kritisieren. Erstaunlich dabeiwar, dass am Nachmittag, als die eingeladenen Unter-nehmer zu Wort kamen und ihr Unternehmenskonzeptvorstellten, ganz schnell klar wurde, dass sie sich vordem Gesetz nicht fürchten. Gerade die mittelständischeIndustrie ist im Großen und Ganzen sehr gut vorbereitet;denn viele Unternehmer haben bereits heute erkannt,dass es ihnen auch ökonomisch nützt, wenn sie dazu bei-tragen, ein tolerantes, offenes und familienfreundlichesArbeitsklima mit dem Blick auf Vielfalt zu schaffen.Kurzum: Wer eine Personalpolitik betreibt, die den Plus-punkt Vielfalt in der Personalstruktur erkennt, der wirdbereits präventiv Benachteiligungen verhindern.Lassen Sie uns das ganze Gesetz ein wenig unaufge-regter diskutieren. Ich glaube zwar, dass die gesell-schaftliche Wirklichkeit auf der einen Seite viel Diskri-minierung widerspiegelt, auf der anderen Seite gibt es inihr aber bereits Entwicklungen, die sehr weit über das hi-nausgehen, was wir hier diskutieren. Es geht um Schutzvor Diskriminierung. Dieses Ziel erreichen wir mit unse-rem Gesetz, wenn es nicht mehr zu Klagen und Scha-densersatzprozessen kommt. Optimal wäre es deshalb,wenn sich Arbeitgeber und Tarifparteien bereits im Vor-feld für Antidiskriminierung einsetzen würden, wie esim Gesetz ja auch vorgesehen ist.An dieser Stelle sage ich aber auch sehr deutlich:Funktioniert das im Vorfeld, also präventiv, nicht, dannnützt den Benachteiligten ein Gesetz als Papiertigerüberhaupt nichts.
In Konfliktsituationen brauchen sie Hilfe und Beistanddurch Verbände, um ihre Rechte durchzusetzen. Ichdenke, das ist von großer Bedeutung; denn Personen, diesich, allein auf sich gestellt, gegen eine Benachteiligungwehren müssen, schrecken zunächst einmal vor einerDurchsetzung ihrer Rechte zurück, weil sie wiederumpersönliche Benachteiligungen erfahren bzw. befürch-ten. Das hat die jetzige Praxis gezeigt.Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist – das sageich hier noch einmal ganz deutlich –, mit dem Gesetzauch die Verbände zu stärken, die sich seit Jahrzehntenin verantwortungsbewusster und beeindruckender Weisefür die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminie-rung eingesetzt haben. Diesen Verbänden, die die Dis-kthtrdddSsnrNpEmtudswJglwaUmdvubskhnm
Lassen Sie mich zum Abschluss noch zu einem wich-igen Baustein des Gesetzes kommen, nämlich der Ein-ichtung der nationalen Gleichstellungsstelle. Ich halteiese Stelle wirklich für den wichtigsten Baustein; dennort werden die Betroffenen nicht nur beraten, sondernort wird auch Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Herrcheuer, Sie haben vorhin gesagt, dass unsere Gesell-chaft umdenken muss und dass wir eine Antidiskrimi-ierungskultur benötigen. Nur diese Stelle kann das er-eichen. Dieser Stelle wird ein Beirat zugeordnet, in demichtregierungsorganisationen zusammen mit den Tarif-arteien vertreten sind. Dadurch haben die Tarifparteieninflussmöglichkeiten und die Chance – das werden wirit dieser Stelle bewirken –, präventive Streitschlich-ng zu erreichen. Darum geht es.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben es iner Hand. Die Gleichbehandlung aller Menschen musselbstverständlich sein. Damit dies selbstverständlichird, brauchen wir dieses Gesetz.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort Karl-
osef Laumann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichlaube, dass wir einvernehmlich der Debatte vorwegstel-en dürfen, dass die Diskriminierung eines Menschenegen äußerer Merkmale oder Veranlagung für einennständigen Menschen schlicht und ergreifend etwasnanständiges ist.
Gerade für uns Unionsabgeordnete hängt das zutiefstit unserem christlichen Menschenbild zusammen;enn das christliche Menschenbild ist immer von der un-erletzbaren Würde eines jeden Menschen ausgegangennd hat im Übrigen immer ein sehr tolerantes Menschen-ild vertreten. Das wird es auch in Zukunft tun.
Ich halte es für völlig richtig, dass sich eine Gesell-chaft Regeln gibt, die allen deutlich machen, dass Dis-riminierung schlecht ist und geahndet werden muss. Ichabe also im Grundsatz nichts gegen ein Antidiskrimi-ierungsgesetz. Uns liegt heute ein Gesetzentwurf vor,it dem wieder einmal EU-Recht umgesetzt wird. Wir
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Karl-Josef Laumannwissen, dass Brüssel gerne und viel regelt. Das ist auchhier passiert.Es liegen uns drei EU-Richtlinien vor, die die Diskri-minierung wegen des Geschlechtes, die Diskriminierungwegen Rasse und ethnischer Herkunft und die Diskrimi-nierung wegen Religion, Weltanschauung, Alter, Behin-derung und sexueller Ausrichtung verbieten und sanktio-nieren. Diese Richtlinien betreffen überwiegend denBereich des Arbeitsrechtes, also das Verhältnis zwischenArbeitgeber und Beschäftigten. Die Richtlinie zur Nicht-diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunftbetrifft darüber hinaus auch den zivil- und sozialrechtli-chen Bereich. In einem vereinten Europa, in dem die na-tionalen Grenzen immer mehr an Gewicht verlieren, istes richtig und im Interesse aller, einheitliche Regelungenfestzuschreiben. Trotzdem betreffen die drei EU-Richt-linien Deutschland in anderer Weise als andere Länder.So kennen zum Beispiel der angloamerikanische, aberauch der skandinavische Rechtsraum kaum Arbeit-nehmerschutzrechte. Sie haben den Arbeitnehmer-schutz vorwiegend über Antidiskriminierungsgesetzegeregelt. Was hier bei uns passiert, ist, dass wir imGrunde unserer Rechtstradition eines ausgeprägten Ar-beitnehmerschutzes die Antidiskriminierungsgesetze andie Seite stellen, die teilweise den gleichen Sachverhaltregeln. Da haben jetzt die Arbeitgeber – das kann ichauch nachvollziehen – das Gefühl, von zwei Rechtsräu-men eingeschränkt zu werden. Ich finde, das hätten Sieschlicht und ergreifend bedenken müssen.
Was ziehe ich daraus für eine Schlussfolgerung?Wenn unsere Rechtstradition nun einmal so ist, dass sieSchutzrechte vorsieht, dann hätten Sie bei der Umset-zung der EU-Richtlinie darauf achten müssen, dass Siesie restriktiv umsetzen. Dass die EU-Richtlinie umge-setzt wird, ist in Ordnung. Aber Sie hätten nicht über denStandard der EU-Richtlinie hinausgehen müssen.
– Dazu komme ich gleich.Ein weiterer Tatbestand: So wie die Bundesregierungdas EU-Recht umsetzen will, befürchte ich, dass sich dasZusammenleben in den Betrieben in Deutschland verän-dern wird. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Ein vor-sichtiger Arbeitgeber wird in Zukunft bei Einstellungenimmer darauf achten, sich an formale, objektiv nach-weisbare Kriterien zu halten.
Das sind – das ist auch die Einstellungspraxis des öffent-lichen Dienstes – vor allen Dingen Zeugnisnoten undBenotungen von Abschlüssen. Auf der anderen Seitewissen wir doch auch, dass bei jeder Einstellung nebenden Noten die Sympathie, Empfehlungen und die Frage,ob der Bewerber ins Team passt, wichtig sind. DiesesGesetz wird in Wahrheit dazu führen, dass diejenigen,dsPgzaDElibkeSDdEdesaDESmbgdvdVtutermBabmdavGeZ
er Mensch ist mehr als die Summe formaler Kriterien.r ist vielmehr – das wissen wir alle – auch eine Persön-chkeit. Ich finde, sie darf dabei nicht auf der Streckeleiben. Letzten Endes können Kriterien wie Persönlich-eit, Sympathie und Teamfähigkeit vor Gericht nicht soindeutig nachgewiesen werden wie Examensnoten,chulnoten oder Noten von Gesellenbriefen.
eswegen geht damit ein gutes Stück Menschlichkeit iner Arbeitswelt verloren.
Es gibt noch einen weiteren Punkt. Natürlich sieht dieU-Richtlinie vor, dass Diskriminierung geahndet wer-en muss. Aber es wäre richtig gewesen, wenn wir, wies bisher in Deutschland in § 611 a des Bürgerlichen Ge-etzbuches geregelt ist, die Höhe des Schadenersatz-nspruchs begrenzt hätten, damit das kalkulierbar ist.
ie unbegrenzte Höhe des Schadenersatzes schreibt dieU-Richtlinie nicht zwingend vor.
ie hätten sich an dem § 611 a orientieren und damitehr Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit in den Ar-eitsbeziehungen erreichen können.Ich will ein anderes Beispiel nennen. Ich meine die soenannten Abmahnvereine. Sie wissen, dass ich immerafür war, dass Verbände ihre Mitglieder vor Gerichtertreten können. Ich habe es immer für richtig gehalten,ass Gewerkschaften, Behindertenverbände oder derdK ihre Klientel vor Sozialgerichten oder Verwal-ngsgerichten in ihren sozialen Angelegenheiten vertre-n, weil ich weiß, dass viele kleine Leute nicht vor Ge-icht gehen würden, wenn sie das Prozessrisiko tragenüssten. Es ist völlig in Ordnung, dass das über eineneitrag beispielsweise zum VdK geschieht. Ich habeuch nichts dagegen, dass Antidiskriminierungsver-ände die Vertretung ihrer Leute vor Gericht überneh-en. Was aber machen Sie? Sie haben die neue Idee,ass ein Mensch einem Verband seinen Schadenersatz-nspruch abtreten kann, der Verband diesen Anspruchor Gericht geltend macht und unter Umständen daseld oder Teile des Geldes behält, das als Schaden-rsatz gezahlt wird. Das ist gegenüber dem bisherigenustand eine ganz andere Qualität.
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Karl-Josef Laumann
Damit tun Sie sich keinen Gefallen. Viele Antidiskri-minierungsverbände werden in Zukunft geradezu fürFälle werben. Sie werden medienwirksam Prozesse füh-ren, um weitere Fälle zu finden. Sie werden sich daranauch noch bereichern. Ich verstehe nicht, was an dieserPolitik sozial sein soll.
Ich befürchte, dass Sie auch noch auf die Idee kommen,das Klagerecht im Sozialrecht und im Verwaltungsrechtfür den VdK und andere in dieser Weise zu ändern.
Sie sollten sich wegen dieser Denke wirklich schämen,weil Sie das Kind mit dem Bade ausschütten.
Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Die EU-Richtlinie sieht auch nicht die Haftung der Arbeitgeberwegen des diskriminierenden Verhaltens Dritter vor.
In Ihrem Gesetzentwurf ist sie aber enthalten. Das hättenSie nicht zu tun brauchen. Unterstellt, in eine Bank, inder viele weibliche Mitarbeiter beschäftigt sind, kommtein muslimischer Mitbürger – das ist ein sehr realer Fall,den ich jetzt beschreibe –, der sich in Geldangelegenhei-ten nicht von einer Frau beraten lässt. Es ist völlig klar,dass das eine Diskriminierung ist. Das ist nicht in Ord-nung. Da sind wir uns völlig einig. Aber was soll jetztder arme Arbeitgeber machen? Er könnte die Frau aufeinen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt versetzen undeinen Mann mit ihrer Aufgabe betrauen, damit das Pro-blem für diesen Kundenbereich – diese Kunden will manja behalten – gelöst wird. Wenn die Frau aber mit dieserVersetzung nicht einverstanden ist und der Kunde seinVerhalten nicht ändert, ist der Arbeitgeber dafür haftbar.Er kann aber für diese Situation nichts. Es ist doch gera-dezu irrsinnig und weltfremd, was Sie hier vorschlagen.Dafür werden wir Ihnen unsere Hand nicht reichen kön-nen.
Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf sehr deutlichmacht, dass Rot-Grün von unserer Gesellschaft ein völ-lig anderes Bild hat als wir von der Unionsfraktion undwahrscheinlich auch die FDP-Fraktion.
Dieses Bild beruht auf der Vorstellung, dass man allesbis in die letzte Kleinigkeit durch Gesetze regeln undstrafbewehren muss.
Das würde bedeuten, dass man den Menschen nichtmehr traut.uddzzMrcWnVeERBGLzAShndfcs–i
Wir trauen den Menschen in Deutschland etwas zu.ir wollen keinen Staat, der in jeden Lebensbereich hi-einplant und mit der Gesetzeskeule kommt. Wir habenertrauen zu unseren Bürgern und deswegen können wirs uns auch erlauben, in vielen Punkten auf staatlicheingriffe zu verzichten. Das unterscheidet uns sehr vonot-Grün.Schönen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Schewe-Gerigk,ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herraumann, Sie haben sich heute nicht gerade als Vorsit-ender des Arbeitnehmerflügels geoutet.
Es waren die Grünen, die vor 20 Jahren als erste einntidiskriminierungsgesetz vorgelegt haben, das denchutz vor Ungleichbehandlung von Frauen zum Zielatte. Heute beraten wir ein umfassendes Antidiskrimi-ierungsgesetz,
as alle Diskriminierungsmerkmale erfasst und sowohlür das Arbeits- als auch für das Zivilrecht gilt.Ich frage Sie, Herr Laumann, welchen Sinn es ma-hen soll, wenn man Frauen vor Diskriminierungchützt, aber behinderte Menschen nicht.
Weil das im Zivilrecht nicht zwingend vorgeschriebenst. Wir machen ein Gesetz, das Diskriminierung und
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Irmingard Schewe-GerigkAusgrenzung aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerk-male eine klare Absage erteilt. Es ist ein Gesetz mitAugenmaß, das nicht jegliches unterschiedliches Han-deln verbietet, sondern Differenzierung zulässt, wenn esdafür eine sachliche Begründung gibt. Ich nenne nur dieStichwörter Jugendtarife, Seniorenteller und Frau-ensauna. All dies wird noch möglich sein. Trotzdemmacht der von uns eingebrachte Gesetzentwurf deutlich,dass Privatautonomie da endet, wo andere Menschendiskriminiert werden. Das Gesetz wird zur Modernisie-rung der Gesellschaft beitragen.Ich frage mich, was der Hauptgeschäftsführer der Ar-beitgeberverbände und CDU-Abgeordnete Göhner – lei-der ist er heute nicht anwesend, aber wir wissen ja, dasser sein Abgeordnetenmandat als Nebentätigkeit betreibt;wenn es um die eigenen Angelegenheiten geht, kannman wohl nicht immer hier sein – mit seinen Horror-szenarien über das Gesetz beabsichtigt. Ich halte das,was in diesem Zusammenhang betrieben wird, für eineganz miese Stimmungsmache.
Selbstverständlich ist auch mit Klagen zu rechnen.Blieben diese aus, dann wäre ein solches Gesetz garnicht notwendig; dann hätten wir uns die Arbeit sparenkönnen. Aber von einer Klagewelle zu sprechen soll nurdie Menschen im Lande verunsichern.Gerade für die Geschlechtergerechtigkeit ist das Anti-diskriminierungsgesetz ein wichtiger Baustein. Darumwar uns Grünen der horizontale Ansatz – das heißt, dassalle Diskriminierungsmerkmale erfasst werden – beson-ders wichtig. Denn gerade Frauen sind häufig von Mehr-fachdiskriminierung betroffen. Frauen mit Migrations-hintergrund oder Behinderung sowie ältere Frauentragen das höchste Risiko, auf dem Arbeitsmarkt be-nachteiligt zu werden.Das schon bestehende arbeitsrechtliche Verbot derDiskriminierung aufgrund des Geschlechts werdenwir jetzt erweitern. Vor Benachteiligung im Arbeitsle-ben, bei der Einstellung, dem beruflichen Aufstieg, denArbeitsbedingungen, aber auch bei der Entlohnung, gibtes jetzt einen wirksamen Schutz. Dieser ist gerade beider Entlohnung notwendig; denn heute, im21. Jahrhundert, verdienen Frauen im Durchschnitt im-mer noch 30 Prozent weniger als Männer. Ich finde, esist an der Zeit, dies zu beenden.
Bei einem groben Verstoß gegen das Diskriminie-rungsverbot können jetzt der Betriebsrat oder eine imBetrieb vertretene Gewerkschaft vom Arbeitgeber ver-langen, die Benachteiligung zu unterbinden. Das ist dochwohl eine Selbstverständlichkeit. Anderenfalls könnensie auch dagegen klagen.Das Benachteiligungsverbot gilt nun auch für privat-rechtliche Versicherungen aller Art. Unisextarife wer-den damit zwar noch nicht automatisch durchgesetzt,wstbVehdtn3ldvSfwsdttdPumsnEd2nh–Ddgf–d
Für mich ist das Entscheidende an dem Gesetz dererspektivwechsel. Bisher waren Diskriminierte Opfernd Bittsteller. Nun sind sie es nicht mehr. Sie könnenithilfe des Gesetzes ihre Rechte einfordern und durch-etzen.Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich möchteur noch darauf hinweisen, dass 2005 nicht nur dasinstein-Jahr, sondern auch – das wird oft vergessen –as Schiller-Jahr ist. Da wir in diesem Jahr den00. Todestag Schillers begehen, haben wir darüberachgedacht, ob es nicht sinnvoll ist, einige seiner Zitateier im Bundestag zu verwenden.
Nein, es ist ganz kurz. – Ich finde, zu unserer heutigenebatte passt nach 20-jähriger Diskussion über ein Anti-iskriminierungsgesetz folgendes Schiller-Zitat ganzut: „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasset Tatenolgen.“
Doch, das ist das Original.Ich danke Ihnen.
Ich habe keinen Zweifel, dass uns der gute Schiller iniesem Jahr noch sehr oft begleiten wird.
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertIch weise nur vorsichtshalber darauf hin, dass das inner-halb der Redezeit erfolgen sollte.
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
PDS im Bundestag begrüßt, dass endlich der Entwurf ei-
nes Antidiskriminierungsgesetzes zur Beratung vorliegt;
denn ein solches Gesetz ist überfällig. Der Anspruch auf
Schutz vor Diskriminierung ergibt sich aus Art. 1 des
Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen un-
antastbar ist, und zwar die Würde jedes Menschen, und
aus Art. 3 des Grundgesetzes, wonach alle Menschen
vor dem Gesetz gleich sind. Der Anspruch auf recht-
lichen Schutz ergibt sich aber vor allem aus dem tägli-
chen Leben. Denn es gibt vielfach Diskriminierungen im
Alltag und im Arbeitsleben: Diskriminierung von
Frauen, Migranten, Juden sowie Menschen mit Behinde-
rungen. Man könnte diese Liste ohne weiteres fortsetzen.
Wir begrüßen ebenfalls, dass SPD und Bündnis 90/
Die Grünen den umfassenden Entwurf eines Antidiskri-
minierungsgesetzes vorgelegt haben. Das war nicht im-
mer so beabsichtigt, obwohl es die PDS ständig gefor-
dert hat. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht die
Ahndung von Diskriminierungen wegen der ethnischen
Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Welt-
anschauung, einer Behinderung, des Alters oder der se-
xuellen Identität vor. Diesem komplexen Ansatz stim-
men wir zu, allemal weil es bereits hinreichend
Widerspruch dagegen gibt, und zwar nicht nur aus der
Wirtschaft.
Unsere grundsätzliche Zustimmung gilt dem Anlie-
gen und dem Ansatz, nicht aber allen Details und vorge-
schlagenen Lösungen. Der Entwurf lässt zum Beispiel
zu viele und zu vage formulierte Ausnahmen zu. Wir ha-
ben außerdem Fragen zur Berechnung und zur Wirksam-
keit der Sanktionen, wenn wider das Gesetz diskrimi-
niert wird. Wir haben des Weiteren Diskussionsbedarf
hinsichtlich der Ausgestaltung und der Arbeitsweise der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Darüber sollten
wir in den kommenden Wochen im Interesse der Men-
schen, deren Würde im Alltag durch das Gesetz ge-
schützt werden soll, sachlich streiten.
Die PDS ist jedenfalls bereit, den Gesetzentwurf zu
verbessern. Deshalb werden wir uns zugleich gegen alle
Versuche wenden, den Entwurf zu verwässern.
Danke schön.
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Gradistanac für
SPD-Fraktion.
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Wir jedenfalls setzen mit unserem Antidiskriminierungs-gesetz ein weiteres Zeichen zur Anerkennung unter-schiedlicher sexueller Identitäten.Lesben und Schwule, aber auch bisexuelle, transsexu-elle und zwischengeschlechtliche Menschen
können künftig selbstbewusster und selbstverständlicherihre Identität leben und besser am gesellschaftlichen Le-ben teilnehmen, so auch am Arbeitsplatz. Viele Schwuleund Lesben verheimlichen ihre sexuelle Identität, weilsie Diskriminierungen durch Kollegen und Kolleginnenoder auch durch Vorgesetzte befürchten. Eine Studiekommt zu dem Ergebnis, dass nur 4 Prozent am Arbeits-platz immer offen mit ihrer Homosexualität umgehenkonnten. Man könnte jetzt einwenden, dass die sexuelleIdentität etwas Privates ist. Dieser Einwand kann nichtgelten, wenn Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identi-tät gegen Vorurteile und Benachteiligungen im Beruf zukämpfen haben, wenn sie in der Angst leben, den Ar-beitsplatz zu verlieren oder erst gar nicht zu bekommen.
Lesben und Schwule sollen zukünftig auch wenigerProbleme bei der Wohnungssuche, beim Abschluss vonVersicherungen, bei der Hotelsuche und bei Restaurant-besuchen haben; da würde sich noch einiges mehr anfüh-ren lassen.Als Feministin mit dem typisch schwäbischen NamenGradistanac
weiß ich, dass Gesetze Diskriminierungen, die Herabset-zung und Entwürdigung von Menschen nicht immer ver-hindern. Aber künftig können sich die Betroffenen bes-ser und wirkungsvoller zur Wehr setzen. Unterstützungerfahren sie einmal durch die Antidiskriminierungs-stelle, die berät, informiert und vermittelt, und zum an-deren durch die Verbände, die Diskriminierte ermutigen– das wünsche ich mir jedenfalls –, damit Diskriminiertezu ihrem Recht kommen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen
für die CDU/CSU-Fraktion.
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Das ist kein Unsinn. – Kollege Scholz, wenn sich inukunft, nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten seinird, die Vermieter in Deutschland nicht mehr den alsieter aussuchen können, den sie gern als Mieter hätten,ann hat Vertragsfreiheit in unserem Land nicht mehr dieleiche Qualität.
ie legen die Axt an die Vertragsfreiheit in unseremand.
inen vergleichbar massiven Angriff auf die Vertrags-reiheit in unserem Land hat es seit Jahren, selbst in Ihreregierungszeit, nicht gegeben.
Vertragsfreiheit ist nicht irgendeine Petitesse. Ver-ragsfreiheit ist ein elementarer Bestandteil der Freiheiter Person. Unsere Rechtsordnung basiert auf denrundrechten. Unser Grundgesetz nennt das Recht aufie freie Entfaltung der Persönlichkeit gleich nachrt. 1, ganz vorn. Das ist ein Basiswert unserer Grund-echtsordnung.
nsere Gesellschaftsordnung, unsere Wirtschaftsverfas-ung sind ohne Freiheit nicht denkbar.
arauf zielen Sie ab.Die Freiheit ist Element der Menschenwürde.
Unsere Vorstellung vom Menschen ist die, dass er einreier Mensch ist.
Ich komme gleich auf die Normierung im Grundgesetzum Thema Diskriminierung zu sprechen. – Weil das sost, weil Freiheit ein Fundamentalwert in unserer Gesell-chaft ist, weil unsere Gesellschaft davon lebt, machtieser Gesetzentwurf die grundlegend unterschiedlichenesellschaftspolitischen Vorstellungen von CDU/CSU,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14273
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Dr. Norbert Röttgenauch FDP, auf der einen Seite und Rot-Grün auf der an-deren Seite deutlich.
Wir wollen diese Gesellschaft, die sich vom Einzel-nen ableitet, die sich von der Autonomie des Einzelnenableitet, die auf die Freiheit des Einzelnen setzt,
auch auf die Verantwortungspflicht des Einzelnen setzt.Wir wollen sie, weil wir dem Einzelnen etwas zutrauen.Wir trauen ihm Leistung zu. Wir trauen ihm allerdingsauch Anstand zu. Dafür braucht er nicht einen Gesetz-geber, der ihn über das belehrt, was anständiges Verhal-ten ist.
Sie trauen dem Einzelnen offenbar nicht. Sie sind da-rin auch ganz offen. Herr Kollege Ströbele hat eben da-zwischengerufen: Kontrolle ist besser als freie Entschei-dung des Einzelnen. – Sie haben ein anderesStaatsverständnis. Sie wollen den Staat, der den Einzel-nen bevormundet, der den Einzelnen erzieht, der denEinzelnen moralisch bewertet. Sie wollen sozusagen denfreien Menschen überwinden zu einem guten Menschen.Was gut ist, bestimmt die rot-grüne Regierung. Darinkommt Ihre politische Ideologie zum Ausdruck.
– Sie brauchen sich gar nicht zu bemühen. Sie sind in derheutigen Debatte sehr offen gewesen – das begrüße ichsehr –; damit werden die fundamentalen Unterschiededeutlich.Kollege Scholz hat hier wörtlich gesagt „Wir“ – alsoSie, der eine Teil des Hauses und der Bevölkerung – „alsanständige Bürgerinnen und Bürger“. Ihr Kollege Becksagte – ich habe das mitgeschrieben –: Wir wollen dochden Menschen nicht vorschreiben, was sie denken. Wel-che Großzügigkeit spricht daraus, dass Sie den Men-schen das Denken nicht vorschreiben können!
Ich möchte Sie als Kollege im Haus und als Bürgerdieses Landes fragen: Wer gibt Ihnen das Recht zu einerderartigen Hybris und Arroganz, wissen zu wollen, wasfür die Menschen gut ist und wie der Einzelne leben soll.Wie können Sie wollen, dass es der Staat ihnen vor-schreiben soll? Wer gibt Ihnen das Recht zu einer sol-chen Hybris und Arroganz?
Sie wollen nicht die Freiheit des Einzelnen.
Sie setzen den Einzelnen, der von seiner Freiheit Ge-brauch macht, auf die Beklagtenbank des Gerichts.Technisch heißt das Beweislastumkehr. Für die Nicht-jdnawdssdrEnktdfgrDzwWgiisdd–BdMnDgdk
r muss den Beweis führen, dass er sich nicht diskrimi-ierend verhalten hat. Sie bringen den Bürger in eine Be-lagtenposition, er muss sich für sein Verhalten rechtfer-igen. Das ist das Gegenteil von Freiheit, wie wir sieefinieren.
Ich will noch einmal betonen: Wir führen heute eineachliche Debatte, aber es ist auch eine Grundsatzdebatteesellschaftspolitischer Art. Der intellektuelle Keim Ih-es Gesetzentwurfs ist das Misstrauen. Wer die fachlicheebatte verlässt und ideologisch anfängt, den Menschenu misstrauen, der handelt in dem Geist Ihres Gesetzent-urfs.
er anfängt, das Misstrauen zu organisieren, der endetanz zwangsläufig in Bürokratie,
n Regulierungswut, in Absurditäten und am Ende auchn Ungerechtigkeiten, von denen ein paar schon darge-tellt worden sind.
Dass kein einziges Mitglied der Bundesregierung anieser Debatte teilnimmt, unterstreicht die Bedeutunges Gesetzentwurfs.
Vielleicht schauen Sie einmal ins Grundgesetz. Dieundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler unden Bundesministern. Manche fühlen sich vielleicht wieitglieder der Bundesregierung, sind es gleichwohlicht. Kein Mitglied der Bundesregierung ist bei dieserebatte anwesend. Sie sollten sich also überlegen, ob eserechtfertigt ist, die Abwesenheit einzelner Mitgliederer CDU/CSU-Fraktion in denunziatorischer Weise zuritisieren, wie das die Kollegin getan hat.
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Dr. Norbert RöttgenSie werden in Ungerechtigkeit landen und die Verlie-rer sind diejenigen, die unternehmerische Freiheit gel-tend machen wollen oder Mietverträge abschließen wol-len. Die Bürger sind die Verlierer. Eine Familie, die sichnicht auf eine diskriminierende Eigenschaft berufenkann – Familien gehören in diesem Land nach Ihrer Auf-fassung nicht zu den Diskriminierten –, hat keinenSchutz vor Ihnen. Normale Bürger, die nicht irgendeinenMinderheitenstatus aufweisen, sind die Verlierer IhresGesetzentwurfs. Die Mehrheit ist der Verlierer.
Nun sagen Sie, dagegen sei schon argumentiert wor-den.
Herr Kollege Röttgen, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Rezzo Schlauch?
Ja, gern.
Herr Kollege Röttgen, ich gehe davon aus, dass Sie
mit mir der Meinung sind, dass ein Land, das wir alle
kennen, nämlich die USA – das von sich selber behaup-
tet, es sei der Hort der Freiheit; ob das so ist, kann jeder
selber beurteilen –, und seine Repräsentanten den Ge-
danken der Antidiskriminierung in viel schärferem Maße
als wir gesetzlich festgelegt haben. Würden Sie daraus
den Schluss ziehen, dass dieses Land die Freiheit ge-
nauso missachtet, wie Sie es unserem Gesetzentwurf un-
terstellt haben?
Ich bedanke mich für die Frage, die Sie mir als Abge-
ordneter gestellt haben. Ich möchte sie Ihnen auch unter
Berücksichtigung Ihrer Eigenschaft als Parlamentari-
scher Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium
beantworten. Ich will die Antwort offen gestanden nicht
selbst formulieren, sondern antworten, indem ich Ihnen
Teile eines Schreibens der amerikanischen Handels-
kammer in Deutschland, das an mich gerichtet ist, zi-
tiere.
Ich glaube, dass die amerikanische Handelskammer
in Deutschland eine Vorstellung vom amerikanischen
Diskriminierungsrecht hat.
Ich zitiere nun aus dem Schreiben, das an mich und
sicherlich auch an viele andere gegangen ist – vielleicht
hören Sie zu, Herr Schlauch, während ich zitiere –:
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as ist also eine klare Aussage darüber, wie amerikani-
che Unternehmer in Deutschland dieses Gesetzge-
ungsvorhaben beurteilen. Es handelt sich völlig zutref-
end um eine Einschränkung von Freiheit,
ie es in Amerika in dieser Weise nicht gibt. Sie gibt es,
ie Kollege Laumann dargestellt hat
vielleicht hören Sie einfach einmal zu –, in Form einer
umulation und Kombination eines hohen, detailorien-
ierten Arbeitsschutz- und Kündigungsschutzrechts mit
inem Diskriminierungsrecht in den USA definitiv nicht.
ie Kombination beider Rechte gibt es nirgendwo. So
twas wird es in Zukunft nur in Deutschland geben.
Herr Kollege Röttgen, lassen Sie eine weitere Zwi-
chenfrage zu?
Die lasse ich gerne zu.
Bitte schön.
Herr Kollege Röttgen, ich kann Ihnen in diesemunkt nicht folgen,
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Rezzo Schlauchund zwar deswegen, weil das amerikanische Antidiskri-minierungsgesetz, wie Sie genau wissen, viel schärfereNormen vorsieht als unseres. Stimmen Sie mit mir über-ein, dass die amerikanische Handelskammer in Deutsch-land eine eindeutige Interessenvertretung der Industrieist und dass ihre Aussagen nicht mit den Intentionen ei-nes amerikanischen oder deutschen Gesetzgebers zu ver-gleichen sind, der selbstverständlich die politische Auf-gabe hat, unterschiedliche Interessen auszugleichen?
Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass die ameri-kanische Handelskammer in Deutschland die Interessenamerikanischer Unternehmen und Investoren inDeutschland repräsentiert. Darum ist dieses Gesetz, dasSie heute einbringen, ein schlechtes Signal für denStandort Deutschland, wenn es darum geht, für Investi-tionen ausländischer Unternehmen in Deutschland zuwerben.
– Ja, meine Damen und Herren, so ist es.Sie sagen immer, das Gesetz sei gut. Wir reden heuteaber nicht allein über einen innenpolitischen Tatbestand,sondern auch über Wirtschaftspolitik, lieber KollegeSchlauch aus dem Wirtschaftsministerium.
Wir sind eine exportorientierte Nation. Wir brauchenausländische Investitionen. Wir als CDU/CSU wollen,dass Deutschland attraktiv für Investitionen ausländi-scher Unternehmen ist, weil diese Arbeitsplätze inDeutschland schaffen. Deshalb dürfen wir sie nicht ab-schrecken.
Mit diesem Gesetz schrecken Sie aber Unternehmen,insbesondere auch ausländische, von Investitionen inDeutschland ab. Darum ist dieses Gesetzesvorhabenfalsch.
Ein weiterer Gesichtspunkt: Sie wollen dieses Gesetzdadurch rechtfertigen, dass Sie auf die Bedeutung desSchutzes vor Diskriminierung verweisen. Das wardurchgängig Ihr Argument. Gegen dieses Argumentmuss ich Ihnen vortragen – Sie selber haben das zumTeil ausgeführt –, dass im geltenden deutschen Recht,vom Zivil- über das Arbeitsrecht bis hin zum Grundge-setz – die Vorschriften sind zitiert worden –, ein umfas-sender Diskriminierungsschutz gewährleistet ist. Dieserreicht vom einfachen Recht bis hin zum Grundgesetz.Art. 3 und Art. 1 des Grundgesetzes bilden schon dieGrundlage für einen umfassenden Diskriminierungs-schutz.sNwEnSnDnFusdlAhRPgmggRASsdBEhhDPvMrsNds
Ihr zweiter Vorwand lautet, dass Sie europäischeichtlinien umsetzen müssen. Dazu will ich Ihnen zweiunkte sagen.Erstens. Es gibt drei europäische Richtlinien, die frist-erecht umzusetzen Sie versäumt haben. Das lässt zu-indest Rückschlüsse auf Ihre Motivation und Ihr En-agement zu. Wenn die CDU/CSU die Bundesregierungestellt hätte, dann hätte sie anders verhandelt. Dieichtlinien hätten dann im Ergebnis anders ausgesehen.uch das wäre eine Einwirkungsmöglichkeit gewesen.Zweitens. Sie setzen nicht nur diese Richtlinien um.ie gehen sogar weit über das hinaus, was das europäi-che Recht verlangt.
Nun mögen Sie nicht akzeptieren, dass wir es sind,ie das kritisieren. Darum möchte ich an dieser Stelle dieundesjustizministerin als Zeugin sprechen lassen.
s ist ganz interessant, was sie zu diesem Thema gesagtat. Im Übrigen hätte ich es gut gefunden, wenn sieeute an dieser Debatte teilgenommen hätte.
enn die Minister haben auch Pflichten gegenüber demarlament.Die Bundesjustizministerin Zypries hat dieses Gesetzon Anfang an und bis zum heutigen Tage abgelehnt.an stelle sich einmal vor: Die verantwortliche Ministe-in der von Ihnen gestellten Bundesregierung lehnt die-es Gesetz dezidiert ab. Sie hat sich auch – das ist nichtseues – in vielen anderen Punkten in der Koalition nichturchgesetzt. Aber dieser Gesetzentwurf ist das wahr-cheinlich wichtigste rechtspolitische Vorhaben in dieser
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Dr. Norbert RöttgenLegislaturperiode, das nicht von der Bundesjustizminis-terin getragen wird. Dass die Federführung vom Justiz-ministerium auf das Familienministerium übertragenwurde, dokumentiert ihre Niederlage und ihre Schwä-chung als politisches Führungsorgan in dieser Bundesre-gierung.
Da die Ministerin in dieser Debatte nicht anwesendist, möchte ich wenigstens zitieren, was sie in der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8. März 2003geäußert hat.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt gegebenenfalls die
Kurzfassung dieses Zitats vortragen. Sonst klappt es
auch bei großzügiger Interpretation Ihrer Redezeit nicht
mehr.
Ich denke, dass es alle – insbesondere die Kollegin-
nen und Kollegen von SPD und Grünen – interessiert,
was die Justizministerin dazu sagt. Ich verkürze das Zitat
und führe nur die schönsten Passagen an. Sie wendet
sich gegen das Gesetz ihrer Amtsvorgängerin Däubler-
Gmelin
mit dem Argument, es würde die Privatautonomie in
weiten Bereichen aushebeln.
Weiterhin sagt sie, dass zudem etliche Ausnahmerege-
lungen erforderlich seien, etwa um Frauenparkplätze
und Altenrabatte zu gestalten. Ohnehin glaube sie nicht,
dass es im Alltagsleben so viele Diskriminierungen
gebe, dass neue Vorschriften erforderlich seien. Sie
glaube ebenfalls nicht, dass man durch Rechtspolitik
eine Gesellschaft gestalten könne. Frau Zypries hat
Recht. Aber sie ist bei Ihnen zum Schweigen verurteilt.
Eine allerletzte Bemerkung.
Es ist eine grundsätzliche gesellschaftspolitische De-
batte, die wir führen werden. Ihr Gesetzentwurf ist eine
Kampfansage an die Freiheit in unserem Land. Dement-
sprechend werden wir diese Debatte mit Ihnen führen.
Herzlichen Dank.
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er sagt, wir wollen den Geist des Grundgesetzes auchur Grundlage für das Arbeits- und Zivilrecht nehmen,er hat Recht. Aber wer sagt, das sei wider die Freiheiterichtet, der hat Unrecht. Der Freiheitsbegriff, denerr Röttgen hier für die CDU/CSU vorgetragen hat, be-nhaltet die Freiheit, zu diskriminieren. Das ist aber nichtie Freiheit, die wir meinen.
Ich finde die Rolle der Liberalen in diesem Bereichesonders problematisch. Ich werde gleich noch daraufingehen.
Frau Lenke, schreien Sie hier bitte nicht herum!
Wir sind der Gesetzgeber in diesem Land. Was wäreine zentralere Aufgabe des Gesetzgebers in Deutsch-and, als Bürgerrechte zu sichern und gerade denen bei-ustehen, die in einem freien Markt immer die Schwä-heren sind? Es ist Aufgabe der Demokratie und desozialen Rechtsstaates Bundesrepublik, für einen Aus-leich zu sorgen. Das kann man doch nicht ernsthaft in-rage stellen.
Wir handeln übrigens – das sei in Richtung einigerollegen gesagt, die gemeint haben, wir gingen zueit – lange nicht so weitgehend wie zum Beispielroßbritannien und die Niederlande. Auch die USA sindn diesem Zusammenhang vom Kollegen Schlauch mitecht erwähnt worden.Wir handeln mit Grund.
ir tun gut daran, an einer Stelle über eine Eins-zu-eins-msetzung der EU-Richtlinien hinauszugehen, nämlich
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Sebastian Edathyan der Stelle, wo es um die Frage geht: Schaffen wirdurch eine Beschränkung auf den Aspekt „Diskriminie-rung wegen ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit“ unddurch Ausblendung anderer Diskriminierungsmerkmaleeine Hierarchisierung von Diskriminierungsopfernoder wollen wir das nicht? Wir wollen das nicht.Frau Eichhorn, mich würde einmal interessieren, wasSie der Behinderten antworten, die sich an Sie gewandtund gesagt hat, es sei für sie verletzend, nicht nachzu-vollziehen und empörend, dass sie von einem Hotelnicht aufgenommen wurde. Was sagen Sie ihr denn? Siesehen zwar das Problem. Aber wie sieht Ihre Antwortaus?Rot-Grün gibt eine Antwort.
Es soll keine Selektion mehr in Diskotheken und keineAbweisung von Behinderten und homosexuellen Paarenin Hotels geben. Das alles, Herr Röttgen, ist nicht durchdas Grundgesetz gedeckt; das wissen Sie doch ganz ge-nau.
Art. 3 des Grundgesetzes bindet die staatlichen Organebzw. staatliches Handeln.
Es ist aber so, dass das Zivilrecht kein grundrechtsfreierRaum in diesem Land sein kann.
Ich will etwas zum Thema „Angriff auf die Freiheit“sagen. Herr Röttgen hat gesagt, das, was wir machten,sei ein Angriff auf die Freiheit. Er hat weiter ausgeführt,die Vertragsfreiheit in diesem Land nehme, wenn derEntwurf, den wir vorgelegt haben, beschlossen werde,Schaden.
Herr Röttgen, dazu will ich sagen: Zur Vertragsfreiheitgehören immer zwei Parteien. Wenn Sie sagen, Sie woll-ten die Vertragsfreiheit wahren, dann heißt das für mich,dass Sie den Regelungen, die wir schaffen wollen unddie den Menschen die Gewährleistung geben, dass sienicht aufgrund eines bestimmten Merkmales willkürlichvon der Eingehung eines Vertrages ausgeschlossen wer-den dürfen, zustimmen müssten. Denn,
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as ist denn mit der Vertragsfreiheit der Behinderten,ie abgewiesen worden ist, des Jugendlichen, der auslän-isch aussieht und nicht in die Diskothek kommt, undes älteren Menschen, dem der Dispositionskredit ge-ündigt wird?
Herr Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Fricke?
Ja.
Lieber Kollege Edathy, man kann auch durch eine ge-
isse Lautstärke andere Leute diskriminieren. Auch das
st eine Art Diskriminierung.
Ich frage Sie, ob Sie es vorhin wirklich ernst gemeint
aben, als Sie gesagt haben, dass das Zivilrecht der
undesrepublik Deutschland ein grundrechtsfreier
aum sei. Ist es nicht vielmehr so, dass wir dahin ge-
end übereinstimmen, dass die Regelungen des Grund-
esetzes in das Zivilrecht an sehr vielen Stellen dadurch
ineingekommen sind, dass wir dort Allgemeinklauseln
aben, in denen klar geregelt wird, dass das Grundrecht
rittwirkung auch zwischen Zivilpersonen entfaltet?
Herr Kollege, ich will Ihnen eine Geschichte erzäh-en; ich versuche, mich kurz zu fassen.
ch habe zu Beginn dieser Wahlperiode in Berlin dieohnung wechseln wollen. Ich habe mir eine Wohnungngesehen. Der Hausbesitzer wohnt in Frankfurt. Esing also nicht um eine Einliegerwohnung; ihm gehört
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Sebastian Edathyvielmehr ein ganzes Mietshaus. Ich habe dann ein ent-sprechendes Formular ausgefüllt und Angaben zu mei-nen Einkommensverhältnissen und zu dem, was ich be-ruflich tue, gemacht.
Ich dachte, es würde ein paar Tage dauern und dann be-käme ich den Mietvertrag zugeschickt. Stattdessen riefder Hausbesitzer meine Mitarbeiterin in meinem Büro anund sagte: Edathy, das klingt irgendwie ausländisch. Wasist das denn für einer? Meine Mitarbeiterin hat am Tele-fon geantwortet: Der Vater ist gebürtiger Inder. Dannkam die Nachfrage, ob auch ich Inder sei. Daraufhinmeinte meine Mitarbeiterin richtigerweise, dass mandeutscher Staatsbürger sein müsse, um Mitglied desBundestages werden zu können. Daraufhin sagte dieserVermieter: Wenn der Vater Inder ist, kocht der Sohndoch bestimmt mit ganz scharfen Gewürzen. Den Ge-stank bekomme ich nicht mehr aus der Wohnung, ver-mutlich muss ich den Putz abklopfen. – Ich habe dieWohnung nachher zwar angeboten bekommen – ichhabe sie aus Anstand nicht genommen –, aber eines kannich Ihnen sagen: Wäre ich nicht der Abgeordnete Edathygewesen, sondern der Schlossermeister oder der StudentEdathy, wäre mir die Wohnung nicht angeboten wordenund das ist eben keine schützenswerte Freiheit im Zivil-rechtsverkehr, sondern diskriminierendes Handeln.
Wir sollten Diskriminierungsopfern die Möglichkeit indie Hand geben, dagegen tätig werden zu können. Dasmuss möglich sein.Ich würde gar nicht in einem Land leben wollen, indem der reine Markt herrscht. Es kann doch nicht sein,dass wir in diesem Hause grundsätzlich darüber diskutie-ren müssen, dass auch der Markt Regelungen braucht.Ich persönlich halte es für überfällig – das hat auch et-was damit zu tun, dass wir im Gegensatz zu andereneuropäischen Ländern keine Kultur der Antidiskriminie-rungsgesetzgebung haben –, die Bestandteile des Grund-gesetzes, die staatliches Handeln im Sinne einer fairendemokratischen Gesellschaft binden, auf den Zivil-rechtsverkehr zu übertragen. Ich verstehe nicht, was da-gegen einzuwenden ist, es sei denn, Sie sagen, dass Sieauch in Zukunft wollen, dass sich der Gastwirt aufgrundbestimmter Merkmale wie Behinderung, ausländischesAussehen oder offensichtliche Homosexualität aussu-chen kann, wen er bedient und wen nicht. Das kann aberdoch nicht ernsthaft die Position der Liberalen sein.Lassen Sie mich als Abschluss der Beantwortung Ih-rer Frage einen Satz von Hannah Arendt zitieren, der inder Bibliothek des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus nachgelesen werden kann. Dieser Satz– man kann ihn nur unterstreichen – lautet:Freiheit ist denkbar als Möglichkeit des Handelnsunter Gleichen.SaLDmswumpiEwHewdtuTlnvsassbvzdavssAZwiDBd
iese Gleichheit bei der Wahrnehmung von Chancenuss durch Spielregeln unterstützt werden, die der Ge-etzgeber mit Augenmaß definiert. Genau dies machenir mit dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben.
Ich wünsche uns intensive Beratungen. Wir werdenns natürlich in den Ausschüssen hinreichend Zeit neh-en, um mit den Vertreterinnen und Vertretern der Op-osition darüber zu diskutieren. Eines aber müssen wirm Auge behalten: Dieses Gesetz ist kein Selbstzweck.s wird, soll und muss einen Beitrag dazu leisten, dassir unserer Gesellschaft einen besseren Rahmen für ihrandeln geben.Damit ist kein Misstrauen verbunden. Herr Röttgen,s hat mich gewundert, dass Sie als Rechtspolitiker – dasar einer Ihrer zentralen Vorwürfe – gesagt haben, iniesem Gesetz werde unterstellt, die Menschen verhiel-en sich falsch. Dass ein anständiger Mensch nicht Mordnd Totschlag verübt, ist klar. Trotzdem sind Mord undotschlag verboten. Dass man, wenn man eine Dienst-eistung anbietet, einen Menschen mit Behinderungicht ablehnt, muss auch klar sein. Ebenso muss selbst-erständlich sein, dass kein Mensch wegen seines Alters,einer sexuellen Orientierung oder seines Geschlechtsbgelehnt werden darf. In vielen Fällen ist dies auchelbstverständlich. Ich bin ganz sicher, dass dieses Ge-etz nur zur Anwendung kommen wird, dann aber ebenegründet, wo diese Selbstverständlichkeit im Handelnerletzt wird. Ich glaube daher auch nicht, dass wir Pro-esslawinen zu erwarten haben. Aber jedem Bürger iniesem Lande, egal in welcher Eigenschaft er auftritt, obls Arbeitgeber, als Kneipenbesitzer oder als Wohnungs-ermieter, muss klar sein, dass die Grundlagen des Zu-ammenlebens in diesem Land Respekt und Achtungind. Nichts anderes als die Erreichung von Respekt undchtung und die Durchsetzung von Bürgerrechten istiel dieses Gesetzes.Noch einen Satz zum Schluss: Es ist mehrfach gesagtorden, dass Ministerin Renate Schmidt heute nicht hierst. Sie ist erkrankt und daher entschuldigt.
iese Diskriminierung gegenüber einem Mitglied derundesregierung wollen wir Ihnen bis zur Verabschie-ung des Gesetzes noch durchgehen lassen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertInterfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 15/4538 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlichnicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, ThomasStrobl , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUProbleme mit der Türkei nicht ausblenden– Drucksache 15/4496 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieAussprache 45 Minuten dauern. – Ich höre dazu keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst demKollegen Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion dasWort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsi-denten mit einem Zitat beginnen:Die leitenden Staatsmänner der europäischen Na-tionen und die Mitglieder der bisherigen wie derneuen EU-Kommission sind im Begriff, uns alleleichtfertig zu überfordern. Überforderung undÜbereifer können zum Zerfall des Jahrhundert-Vor-habens der Integration Europas führen. Am Endekönnte eine bloße Freihandelszone übrig bleiben.Das war am 25. November vergangenen Jahres in einemgroßen Artikel in der „Zeit“ nachzulesen. Der Artikelstand unter der Überschrift: „Bitte keinen Größenwahn“.Der Verfasser dieses Artikels ist kein Geringerer als Alt-bundeskanzler Helmut Schmidt, der ja bekanntermaßender Sozialdemokratischen Partei angehört.Nun, die SPD hat nicht immer auf Helmut Schmidtgehört und auch in dieser Frage scheint sie es nicht zutun. Denn in dem Artikel warnt Helmut Schmidt ein-dringlich vor einem Beitritt der Türkei zur EU und amEnde des Artikels lehnt er ihn mit guten Argumentenrundweg ab. Ich zitiere nochmals aus demselben Artikel:Monnet und Schuman, Adenauer und de Gaspari,Churchill und de Gaulle waren Staatsmänner vonungewöhnlichem Weitblick – keiner von ihnen hatdie europäische Integration bis über die kulturellenGrenzen Europas ausdehnen wollen. Die heutigenEpigonen sollten jedenfalls wissen: Nur dann, wennsie sorgfältig einen Schritt nach dem anderen tun,können sie hoffen, ihre Nationen auf dem Wegemitzunehmen.mSTShdsrdvdgsrDimvstaswcsRTKMrlmwTsIüsMswrmhz
ie haben sich in der EU massiv dafür eingesetzt, Ver-andlungen mit der Türkei zu führen, die einen Beitrittieses großen Landes in die EU zum Ziel haben. Beidesind politische Entscheidungen, die diese Bundesregie-ung kraft ihres Mandates fällen kann. Sie wird sie aller-ings 2006 vor den Wählerinnen und Wählern auch zuerantworten haben.
Eigenartig mutet jedoch die Art und Weise an, mit deriese Regierung einen EU-Beitritt offensichtlich erzwin-en will. Während bei innenpolitischen Reformen zwi-chenzeitlich wieder des Kanzlers ruhige Hand zu spü-en ist, wird der EU-Beitritt der Türkei mit großemruck und einer fast schon fahrlässigen Leichtfertigkeit Umgang mit den Problemen, die die Türkei nach wieor hat und macht, betrieben. Viel schlimmer noch: Escheint, als würden jegliche Bedenken und viele dochtsächlich vorhandenen Probleme mit der Türkeichlicht unbeachtet beiseite geschoben. Es hat dochahrlich nichts mehr mit vernünftiger und verantwortli-her Politik zu tun, wenn Berichte und Fakten über mas-ive Verletzungen von deutschem oder internationalemecht und internationalen Gepflogenheiten durch dieürkei von der Bundesregierung offiziell nicht zurenntnis genommen werden.
anche solcher Vorgänge werden von der Bundesregie-ung regelrecht vertuscht und vor der deutschen Öffent-ichkeit zurückgehalten.
Rot-grüne Politiker sprechen immer gern davon, manüsse die Menschen mitnehmen, wenn man sie von et-as überzeugen wolle. Das ist wahr. Aber in Sachenürkei-Beitritt haben Sie sich offensichtlich dazu ent-chlossen, gar nicht erst zu versuchen, die Menschen vonhrer ja wahrlich falschen und unvernünftigen Politik zuberzeugen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen las-en.
eine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie müssenich den Problemen schon stellen und deswegen habenir heute diesen Antrag eingebracht.Eines der genannten Probleme betrifft die Praxisechtsmissbräuchlicher Wiedereinbürgerungen ehe-als Türkischer mit deutschem Pass. Was ist gesche-en? – In § 25 des deutschen Staatsangehörigkeitsgeset-es ist vorgesehen, dass ein Deutscher seine
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Thomas Strobl
Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischenStaatsangehörigkeit verliert. Das heißt: Ein türkisch-stämmiger Deutscher, der sich in der Türkei wiederein-bürgern lässt, verliert kraft Gesetzes die deutsche Staats-angehörigkeit.Diese Regelung hat ihren Grund. Wir haben immergesagt – und an diesem Standpunkt hat sich nichtsgeändert –, dass wir keine doppelten Staatsbürgerschaf-ten wollen. Wer Deutscher werden will, soll und musssich zu unserem Staat bekennen und dies dadurch doku-mentieren, dass er sich für eine, nämlich die deutscheStaatsbürgerschaft entscheidet. Nun war nachzulesen,dass es von der türkischen Regierung einen Runderlassgibt, in dem den Gouverneursämtern die Weisung erteiltwird, die in Deutschland verlangten Registerauszüge zumanipulieren
und so den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehö-rigkeit gegenüber den deutschen Behörden zu vertu-schen. Nach Angaben des türkischen Außenamtsstaatse-kretärs handelt es sich um 40 000 bis 50 000 Fälle– möglicherweise mehr – von türkischen Staatsangehöri-gen, die durch Verstoß gegen die Regeln des deutschenStaatsangehörigkeitsrechts illegal im Besitz eines deut-schen Passes sind.
Meine Damen und Herren, verehrte Frau Staatssekre-tärin, ich frage Sie ganz konkret: Wie gehen Sie mit die-sem schweren Verstoß gegen unser deutsches Recht um?Haben Sie diesen Vorgang überhaupt zur Kenntnis ge-nommen? Haben Sie das gegenüber der türkischen Re-gierung thematisiert?
Oder ist das ein Fall, der erneut beweist, dass es die Bun-desregierung mit der Durchsetzung deutschen Rechtsnicht so genau nimmt, wenn es ihr politisch nicht in denKram passt,
wie wir es auch vom im Zusammenhang mit demFischer/Volmer-Erlass entstanden Schleuserskandal umdie massenhafte und unkontrollierte Erteilung vonSchengen-Visa durch verschiedene deutsche Botschaftenkennen?
Diese und andere Fragen werden wir Ihnen heute undin Zukunft stellen, bis die deutsche Öffentlichkeit vonIhnen, meine Damen und Herren von der rot-grünenBundesregierung, eine zufrieden stellende Antwort be-kommt. Es wäre wirklich unerträglich, wenn diese skan-dalöse Vertuschungsaktion der türkischen RegierungnwsdSdztdjsnUGdnmwgbTbPdEdHhdothWkghimleVdgrbV
as gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser völ-errechtswidrigen Praxis ein Ende zu setzen? Auch hierilt: Es reicht nicht aus, auf die anstehenden Beitrittsver-andlungen zu verweisen, wie es die Bundesregierungmer gerne tut. Sie verfahren nach dem Motto: Das al-s wird sich schon klären. Nein, die Beendigung solcherorgänge ist erst die Voraussetzung dafür, dass man miter Türkei in Beitrittsverhandlungen eintritt.Ich zitiere noch einmal Helmut Schmidt im bereitsenannten Artikel der „Zeit“:... so kann es doch nicht Aufgabe der EU sein, ihrenMitgliedsstaaten den Rechtsstaat, Demokratie undpersönliche Freiheit zu bringen. Alle bisherigenMitgliedsstaaten haben diese Grundwerte entschei-dend aus eigenem Antrieb im eigenen Land ver-wirklicht, bevor sie sich der EU angeschlossen ha-ben – und nicht etwa zum Zwecke des Beitritts.Die Bundesregierung scheint angesichts der gravie-enden Sicherheitsprobleme, die die Türkei mit sichringt, ganz ähnlich verfahren zu wollen. Dem jüngstenerfassungsschutzbericht zufolge sind in den aktiven
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Thomas Strobl
islamistischen Organisationen, die eine Mitgliederzahlvon über 30 000 Personen aufweisen, 27 000 türkischeStaatsangehörige.
Daraus folgt zunächst einmal, dass Millionen Menschentürkischer Herkunft in Deutschland friedlich leben.
Aber auch der Verweis auf die friedliebende und schwei-gende Mehrheit darf nicht dazu führen, dass man dieAugen vor den Problemen mit den extremistischen Isla-misten unter der türkischen Bevölkerung verschließt,wie es die rot-grüne Regierung bis heute tut.
Meine Damen und Herren, Sie verschließen die Augenvor der „türkischen Realität“ in Deutschland.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit!
Das hat auch die öffentliche Anhörung des Deutschen
Bundestages zum Thema „Islamistische Einflüsse auf
die Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf Integration
und Sicherheit“ klar erbracht.
Herr Kollege!
– Ich komme sofort zum Ende.
Meine Damen und Herren, wir können nicht zulassen,
dass die Türkei auf diese Art und Weise ihre eigenen
Probleme nach Deutschland verlagert – übrigens insbe-
sondere wegen der großen Mehrheit der hier lebenden
Türken: Auch deren Integration wird durch eine solche
Politik letztlich erschwert.
Besten Dank fürs Zuhören.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ute
Vogt das Wort.
Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kol-
lege Strobl, Sie haben Fragen gestellt, die ich Ihnen gern
beantworten möchte. Ich kann Ihnen einen Blick ins Ge-
setz empfehlen; das erleichtert zuweilen die Rechtsfin-
dung.
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Zur Erwiderung, Herr Kollege Strobl.
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14282 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005
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Herr Präsident! Ich bin dankbar, dass Frau Staatsse-
kretärin Vogt hier einräumt – ich höre das im Übrigen
zum ersten Mal von einem Mitglied der Bundesregie-
rung –, dass es ein handfestes Problem gibt. Vielleicht
sagen Sie auch zu anderen angesprochenen Problemen
etwas, zum Beispiel zu den Ausbürgerungen, die die
Türkei vornimmt und mit denen sie Abschiebungen aus
Deutschland verhindert, oder zu den 27 000 extremisti-
schen, islamistischen Türken, die in der Bundesrepublik
Deutschland leben. Ich bin jedoch schon dankbar, dass
Sie zu dem einen Punkt konzedieren, dass es ein Pro-
blem gibt. I
Frau Staatssekretärin, ich möchte Ihnen dazu eine
Frage stellen. Am 5. Januar 2005 stand in der „Frankfur-
ter Rundschau“ – das ist ja nicht gerade ein rechtsradika-
les, ausländerfeindliches Hetzblatt –:
Die Europäische Union muss sich langfristig
auf den Zustrom von nahezu drei Millionen Zuwan-
derern einstellen, wenn sie den Türken nach einem
eventuellen Beitritt Freizügigkeit gewährt. Zu die-
ser Einschätzung kommt die Statistikbehörde DIE
in Ankara. Einer Studie des staatlichen Statistik-
amts der Türkei zufolge wollen 2,7 Millionen Tür-
ken in den ersten 15 Jahren nach einem EU-Beitritt
ihres Landes in eines der 25 Mitgliedsländer aus-
wandern.
In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union leben
ungefähr 4 Millionen Türken, 2,5 Millionen davon in
Deutschland. Im gleichen Artikel ist davon die Rede,
dass bis zu 4 Millionen Türken nach Europa kommen
könnten. Ein Großteil davon wird wiederum nach
Deutschland kommen.
Schauen Sie sich diese Zahlen an! Das wird dazu führen,
dass die Anzahl der in Deutschland lebenden Türken
massiv zunehmen und sich möglicherweise verdoppeln
wird.
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Glauben Sie wirklich, dass diese massiven Probleme
– ein Problem hat Frau Vogt gerade eben eingeräumt –
kleiner werden, wenn die Anzahl der aus der Türkei
nach Deutschland kommenden Menschen sehr viel grö-
ßer wird und es durch die Freizügigkeit und den EU-Bei-
tritt möglicherweise sogar zu einer Verdoppelung der in
Deutschland lebenden Türken kommen wird?
Nächste Rednerin ist die Kollegin Lale Akgün, SPD-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Herr Strobl, ich danke Ihnen für Ihre Ausfüh-ungen; denn seit ich diesen Antrag gelesen habe, habech mir wirklich Gedanken darüber gemacht, was Sie mitiesem Bauchladenantrag „Probleme mit der Türkeiicht ausblenden“ wollen. Sie haben nach dem Mottoehandelt: immer rein in den Antrag.Sie selbst haben jetzt gesagt, dass der Antrag vom4. Dezember 2004 der vergebliche Versuch war, dreiage vor dem Europäischen Rat der Öffentlichkeit nochinmal die letzten Argumente zu präsentieren, um ineutschland Stimmung gegen die Türkei zu machen. Ihrunsch war es ja, die Türkei als nicht europatauglicharzustellen und damit den Beschluss der EU zu torpe-ieren, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzu-ehmen. Wir alle wissen, dass sich der Europäische Raton Ihrem Papier nicht sonderlich hat beeindrucken las-en. Er hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungeneschlossen. Das ist gut so. Trotzdem müssen wir unseute mit Ihrem Gemischtwarenantrag beschäftigen.
Es sind Gemischtwaren, weil Sie ganz unterschiedli-he Probleme in einen Topf geworfen haben. Ich nenneas Problem der Islamisten, das Problem der Staatsbür-erschaft usw. Ich will versuchen, Ordnung in diesenntrag zu bringen, und beginne mit dem ersten Punkt,ei dem es um die Staatsangehörigkeit geht.Sie behaupten, türkischstämmige Deutsche würdenich mithilfe der türkischen Regierung heimlich und ille-al eine zweite Staatsangehörigkeit aneignen.
Hören Sie doch einmal zu. – Um es klarzustellen: Esibt keine rechtsmissbräuchliche Wiedereinbürgerung.ede und jeder Deutsche ist völlig frei darin, jede Staats-ngehörigkeit jedes Staates anzunehmen, die ihm erteiltird.
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Dr. Lale AkgünDas Problem dabei ist, dass die Annahme einer ausländi-schen Staatsangehörigkeit den automatischen Verlust derdeutschen Staatsbürgerschaft zur Folge hat.
Das steht in § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes.Diese Regelung gilt seit dem 1. Januar 2000, also seitIn-Kraft-Treten des von uns initiierten Staatsangehörig-keitsrechts. Bis dahin galt das alte Staatsangehörigkeits-recht, durch das allen in Deutschland lebenden und ein-gebürgerten Türkischstämmigen und anderen sehr wohldie Möglichkeit eingeräumt wurde, eine zweite Staats-bürgerschaft wiederzuerlangen, ohne die deutsche zuverlieren.Viele der jetzt Betroffenen haben die Wiedereinbürge-rung übrigens schon lange vor dem 1. Januar 2000 bean-tragt.
Sie haben dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit ver-loren, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. DieseMenschen haben schlichtweg den Fehler begangen, dieÄnderungen in einem Paragraphen des Staatsangehörig-keitsrechtes im Jahr 2000 nicht verfolgt zu haben unddie Rechtsfolge des Verlustes der deutschen Staatsange-hörigkeit nicht zu kennen.
Dies betrifft die Wiedereinbürgerung in die Türkei,wie die Staatssekretärin eben ausgeführt hat, aber auchehemalige sowjetische Staatsbürger, die die Staatsange-hörigkeit eines der Nachfolgestaaten der Sowjetunionbeantragt haben. Diese Menschen werden für ihr fehlen-des Wissen sanktioniert, und zwar mit dem Verlust derdeutschen Staatsbürgerschaft. Sie hingegen, Kolleginnenund Kollegen von der Union, dürfen Ihr geballtes juristi-sches Unwissen sogar in Form eines Antrages in dieWelt hinausposaunen. Ich frage Sie: Sind Sie wirklichnicht in der Lage, zwischen einer Rechtsfolge und einemRechtsmissbrauch zu unterscheiden? Das kann ich nichtglauben. Ich fürchte, Sie vertauschen die Begriffe ab-sichtlich, weil sich der Ausdruck Rechtsmissbrauchleichter dazu benutzen lässt, Menschen in die Nähe kri-mineller Handlungen zu rücken und einen ganzen Staatals nicht rechtsstaatlich zu diskreditieren.
In der Tat gibt es in diesem Themenbereich einen Pro-blemdruck.
Es geht aber nicht etwa darum, die Handlungsweise tür-kischer Behörden infrage zu stellen, sondern darum, dasswDzhBwweSPwsonbundWufmAzStuohwsdlatetüinrBanadSSinm
ir sind dabei, eine Broschüre in deutscher, türkischernd russischer Sprache herauszubringen, um die Betrof-enen aufzuklären und ihnen Wege aufzuzeigen, im Rah-en der bestehenden Gesetze wieder einen sicherenufenthaltsstatus zu erlangen.Im zweiten Punkt Ihres Antrages geht es um eine An-ahl von circa 300 bis 400 Personen, die der türkischetaat ausgebürgert hat – in der Regel wegen Nichtableis-ng des Wehrdienstes –, und zwar unabhängig davon,b diese Leute kriminell sind oder nicht, und auch unab-ängig davon, ob sie durch die Ausbürgerung staatenloserden oder nicht. Diese Praxis ist ein Problem. Wirind damit überhaupt nicht einverstanden.
Im Gegensatz zum Titel Ihres Antrages jedoch blen-en wir diese Probleme nicht aus, sondern gehen sie seitngem und nachdrücklich an. Besonders Bundesminis-r Schily hat dies in den vergangenen Monaten bei derrkischen Seite nachdrücklich angemahnt. Dies betrifftsbesondere die Reform des türkischen Staatsangehö-igkeitsrechts und die Harmonisierung im Rahmen dereitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dieser Prozess istuf dem Weg und wir werden ihn kritisch begleiten.Der dritte Punkt Ihres Antrages hat nun wirklichichts mehr mit Unwissenheit zu tun. Entschuldigen Sie,ber er ist schlicht eine Unverschämtheit, weil Sie erneutie Anwesenheit türkischstämmiger Menschen als einicherheitsrisiko darstellen.
ie schüren Ängste, um politisch Stimmung zu machen,dem Sie die Begriffe Kriminalität, Islamismus, Extre-ismus, Türken, Mitgliedschaft der Türkei in der EU,
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14284 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005
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Dr. Lale AkgünBildungsferne und Einbürgerung einfach aneinanderrei-hen, muslimische Jugendliche als tickende Zeitbombenbezeichnen und alle Bemühungen um eine Integrationgezielt torpedieren.
Sie fragen nach dem Gesamtkonzept dieser Bundes-regierung zur Bewältigung von Sicherheitsrisiken. WennSie sich anschauen, was diese Regierung im Bund tut,und wenn Sie sich einmal vor Augen führen, was sozial-demokratisch geführte Landesregierungen in Deutsch-land tun, dann werden Sie ein Gesamtkonzept erkennen.Unser Gesamtkonzept besteht aber eben nicht nur aus si-cherheitspolitischen Maßnahmen. Ein Gesamtkonzeptzur gesellschaftlichen Integration besteht aus vielen poli-tischen Bereichen. Dazu gehören das Bekämpfen vonExtremismus, das Fördern des demokratischen Islam inDeutschland, aber auch eine gezielte Förderung von Ar-beit, Bildung und Ausbildung. Ihr Gesamtkonzept lautethingegen: Bildung kürzen, Schüler früher selektieren,bundesweite Studiengebühren, die Politik aus dem Be-mühen um Ausbildungsplätze heraushalten, Gelder fürIntegration in den von Ihnen regierten Bundesländernkürzen, Turbokapitalismus und Entsolidarisierung. Ihrpolitisches Konzept ist ein Risiko für Integration und Si-cherheit in unserem Land.
Der Berliner „Tagesspiegel“ schrieb am 7. Januar die-ses Jahres zu Ihrer ratlosen Programmatik:In CDU und CSU geht Angst um. Es ist die Angstvor der eigenen Schwäche.Ihre Schwäche soll nicht unsere Sorge sein. Aber wirkönnen es nicht tolerieren, wenn Sie versuchen, Ihre ei-gene Angst vor Bedeutungslosigkeit zu bekämpfen, in-dem Sie in der Gesellschaft Vorurteile gegenüber ande-ren Menschen schüren, indem Sie Angst vornotwendigen politischen Veränderungen schüren. Daskönnen wir nicht zulassen. Ich werde Ihnen bei jedemVersuch dieser Art immer ganz deutlich sagen: Ihre Poli-tik ist schäbig.
Ich würde mir wünschen, Sie würden in den Zuge-wanderten, vor allem in den muslimischen Zugewander-ten, nicht nur Gewalt und Terrorismus sehen.
Ich würde mir wünschen, Sie würden auch die Bereiche-rung durch die Zuwanderung sehen.
AKBiDwFEszhLfdnddtuasgdrDäKdmbddMrrsdhw
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ine Vorbemerkung will ich jetzt doch machen. Ich bineit 9 Uhr im Plenum. Es wurde heute Morgen – auchur Kernzeit – noch kein Minister der Bundesregierungier gesehen.
iebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs-raktionen, ich fordere auch Sie auf, diese Brüskierunges Parlaments durch die Bundesregierung nicht hinzu-ehmen. Wir dürfen das nicht mitmachen!
Zur Sache: Dieser Antrag muss unter zwei verschie-enen Aspekten behandelt werden, einmal in Bezug aufie Zielrichtung, zum anderen in Bezug auf die konkre-en Punkte. Zunächst zur Zielrichtung, liebe Kolleginnennd Kollegen von der Union. Sie haben diesen Antragm 14. Dezember im Zusammenhang mit der EU-Ent-cheidung eingebracht. Die Entscheidung, Verhandlun-en mit der Türkei aufzunehmen, ist gefallen. Es istoch keine Frage, dass sich auch eine Nachfolgeregie-ung im Jahr 2006 an diese Entscheidung halten müsste.eshalb müssen Sie zumindest den Punkt des Antragesndern, damit er wirklich ernst genommen werden kann.ein Mensch kann davon ausgehen, dass eine Regierungie Verhandlungen nicht weiterführen würde. Das solltean hier klarstellen.
Was die Einzelfragen, die Sie hier aufgelistet haben,etrifft, muss ich sagen, dass es sicherlich richtig ist,ass der Runderlass der türkischen Regierung bezüglicher Staatsangehörigkeit aus dem Jahr 2001 imärz 2004 aufgehoben wurde. Aber, Frau Staatssekretä-in Vogt, es kommt jetzt darauf an, wie die Durchfüh-ung aussieht. Es ist völlig richtig, Frau Akgün, wir müs-en auch an die Betroffenen denken und daran, wie wirenen, die zum Teil aus Unwissenheit gehandelt haben,elfen können. Wir müssen uns aber auch fragen, wieir eigentlich darüber informiert werden,
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Ernst Burgbacher
ob diese deutschen Staatsbürger wieder die türkischeStaatsangehörigkeit angenommen haben oder nicht.Diese Frage müssen Sie uns schon noch genauer beant-worten. Das Problem ist da und das müssen wir lösen.
Wir müssen auch bei den Ausbürgerungen nicht nurauf das Recht schauen, sondern auch auf die Rechtspra-xis. Es kann nicht sein, dass Menschen, die bei uns kri-minell werden, ausgebürgert werden und damit nichtmehr abgeschoben werden dürfen. Das werden wir nichtmittragen.
Auch das ist in der Praxis zu behandeln.Es ist richtig, dass wir ein Gesamtkonzept zur Bewäl-tigung aktueller und künftiger Sicherheitsrisiken brau-chen. Ich warne allerdings auch hier vor Verallgemeine-rungen und davor, den Islam pauschal zu verurteilen.
Wir müssen sehr differenziert vorgehen. Darüber, dasswir Sicherheitskonzepte brauchen, sind wir uns, glaubeich, in diesem Hohen Haus alle einig.
In Wirklichkeit geht es doch um eine andere Frage.Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden auf-genommen. Tatsache ist, dass heute weder die Türkeibeitrittsfähig noch die EU fähig ist, die Türkei aufzuneh-men.
Deshalb gibt es – das hat die FDP in der damaligen De-batte auch deutlich gemacht – für uns zwei unverrück-bare Grundsätze. Der eine Grundsatz lautet: Die Ver-handlungen werden sehr lange dauern. Ein Zeitraumvon zehn bis 15 Jahren ist realistisch. Wir werden unsgegen alles zur Wehr setzen, was zu einem Automatis-mus der Beschleunigung führt. Die Verhandlungen wer-den, wie gesagt, sehr lange dauern.
Der zweite Grundsatz lautet: Die Verhandlungenmüssen ergebnisoffen sein. Es geht nicht an, mit derAufnahme der Verhandlungen das Ergebnis vorwegzu-nehmen;egDiDvDDTsPwacrUedtNGlnNKdpDsgB
s muss völlig klar sein, dass am Ende der Verhandlun-en ein Ja oder ein Nein stehen kann.
abei ist sowohl die Situation in der Türkei als auch diennerhalb der Europäischen Union zu berücksichtigen.Es gibt vieles, was die Türkei selbst leisten muss.
er Schutz von Minderheiten ist in der Türkei nach wieor bei weitem nicht gewährleistet.
ie Religionsfreiheit ist dort bis heute nicht gegeben.er Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen ist in derürkei nicht garantiert. Es ist noch nicht zu einer Ein-tellung jeglicher Art von Folter gekommen. In diesenunkten muss in den Verhandlungen eine Lösung erzielterden;
ndernfalls ist der Beitritt der Türkei nicht möglich.Zu berücksichtigen sind auch die von Ihnen angespro-henen Punkte, Herr Strobl. Notwendig sind nicht nurechtliche Regelungen, sondern es geht auch um diemsetzung in der Rechtspraxis.Insofern stelle ich abschließend fest: Wenn Ihr Antragrnsthaft weiter beraten werden soll, dann muss er geän-ert werden. Wir werden an unseren Prinzipien festhal-en. Die Entscheidung ist gefallen. Sie ist auch von einerachfolgeregierung 2006 mitzutragen. Aber die beidenrundsätze – lange Dauer und ergebnisoffene Verhand-ungen – müssen gelten und Bestand haben.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Josef Winkler, Bünd-is 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich bin immer wieder beeindruckt, wie starker Einfluss der rot-grünen Bundesregierung auf euro-äischer Ebene aus Sicht der Opposition sein muss.enn Sie gehen offenbar davon aus, dass wir es mit un-eren verqueren Ansichten schaffen, alle Staats- und Re-ierungschefs der gesamten Europäischen Union vonundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer
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Josef Philip Winklerüberzeugen zu lassen, wider besseres Wissen Beitritts-verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen.Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]:Wenn sie sich in anderen Fragen in Europaauch so einbringen würden, wäre es gut!)– Vielleicht sollten Sie sich zukünftig mit Ihren Außen-politikern abstimmen, Herr Strobl. – Dieses Lob für dieBundesregierung nehmen wir gerne an.Allerdings sind die Vorschusslorbeeren, die Sie unsgewähren, nicht ganz angemessen. Denn alle Bedenken,die Herr Burgbacher vorgebracht hat, sind in dem Be-schluss der Staats- und Regierungschefs berücksichtigtworden. Es trifft nicht zu, dass beschlossen wurde odervon Rot-Grün in irgendeiner Form befürwortet würde,dass die Türkei der EU um jeden Preis beitreten sollte.Die von Ihnen vorgebrachten Bedenken sind Schein-argumente gegen von uns gar nicht vorgebrachte Argu-mente. Insoweit weise ich es zurück, dass wir uns an ei-ner solchen Diskussion überhaupt beteiligen müssten.Ich komme jetzt zu dem Staatsangehörigkeitsrecht,das Sie angesprochen haben, Herr Strobl. Die von Ihnenaufgeworfene Frage wurde seitens der Bundesregierungschon einmal dem Kollegen Jüttner beantwortet. Dasliegt allerdings schon etwas zurück und ist Ihnen viel-leicht entgangen, weil er kein Innenpolitiker ist. Aberdass der Erlass im März 2004 aufgehoben wurde, istschon seit November bekannt und wurde in einer Bun-destagsdrucksache schriftlich dokumentiert.Sie haben von einem gewissen Ruch der Illegalitätgesprochen. Eines ist sicher: Vor der Reform war esdeutschen Staatsbürgern möglich, durch eine Einbürge-rung im Ausland bei gewöhnlichem Aufenthalt ganz le-gal eine doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten. Es han-delt sich dabei um eine Gruppe, die ihre Anträge zumTeil weit vor dem In-Kraft-Treten der Reform gestellthat. Da nicht jeder eine so gute juristische Bildung auf-weist wie Sie, konnten nicht alle Betroffenen wissen,dass die Reform mit ihrem In-Kraft-Treten auch rück-wirkend für früher gestellte Anträge gilt.
Die Betroffenen sind jetzt zum Teil in einer sehr mise-rablen Situation, weil sie aufgrund des Erlasses der tür-kischen Regierung die deutsche Staatsbürgerschaft ver-loren haben. Sie sind aber keine Kriminellen. Wir sinduns sicherlich einig, dass die Erlasslage in der Türkei in-akzeptabel war. Dies ist inzwischen auch aufgrund derIntervention der Bundesregierung abgestellt worden.Nun muss es darum gehen – wie bereits die KolleginDr. Akgün ausgeführt hat –, in Dialog mit den Betroffe-nen zu treten und ihnen zu helfen, wieder Deutsche zuwerden, wenn sie es möchten. – An dieser Stelle wäreein bisschen Applaus durchaus angemessen, Herr Kol-lege Ströbele.
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Ich merke es.Von offizieller türkischer Seite ist bestätigt worden,ass es sich um etwa 50 000 Anträge handelt. Ich habe jaereits ausgeführt, dass die entsprechende Regelung vonns abgelehnt wird. Wenn ich einmal von den aktuellenällen absehe und mir die Altfälle anschaue, bin ich den-och der Meinung, dass wir mehr als 40 Jahre nach dernwerbevereinbarung mit der Türkei noch einmal da-über nachdenken sollten – ich weiß, dass Sie das nichterne hören –, ob nicht zumindest für die erste Genera-ion der Einwanderer, die enorme Hilfe beim Aufbau derundesrepublik Deutschland geleistet haben, eineoppelte Staatsbürgerschaft ein gutes Angebot derundesrepublik wäre, um ihre Leistungen zu würdigen.
ch kann jedenfalls für meine Fraktion sagen, dass wiras nicht für alle Zeiten ausschließen.
Herr Strobl, ich gebe es zu: Sie haben mich entlarvt.
nsere Beschlusslage dazu ist immer klar gewesen. Ichleibe dabei, dass auch die Migranten enorme Leistun-en beim Aufbau Deutschlands erbracht haben.
ch weiß, dass das nicht die Zustimmung des ganzenauses findet. Aber wir bleiben dabei, dass das durchausngemessen wäre.Abschließend möchte ich noch etwas zu Punkt 4 Ihresntrags sagen, meine Damen und Herren von der CDU/SU. Sie vermischen ständig Extremismus, türkischeitbürger, Islamismus, Zuwanderung und „Verdoppe-ng der Türken in Deutschland“ miteinander. Ich binbrigens der Meinung, dass sich nur die Zahl der Türkenerdoppeln kann, dass sich aber die Türken selber nichterdoppeln können. Bei deutschen Mitbürgern sind Sieielleicht ein bisschen genauer in der Idiomatik. Ihreermischung von Begriffen aus dem Staatsbürger-chaftsrecht mit den eben genannten lehnen wir jeden-alls ab.
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Josef Philip WinklerMan kann es schon als schäbig bezeichnen, wenn SieDinge, die völlig legal sind, und Mitbürger, die hier beiuns friedlich ihrer Arbeit nachgehen, mit einer extremenMinderheit, die sich prozentual kaum beziffern lässt, inZusammenhang bringen und fordern, dass man dagegenetwas tun müsse.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Bun-destagsfraktion, Ihren Versuch, sich politisch auf Kostender türkischstämmigen Migranten in Deutschland zuprofilieren, weisen wir entschieden zurück. Das, was ge-tan werden muss, damit die Abkommen mit der Türkeiso eingehalten werden, wie wir das als gleichberechtig-ter Partner erwarten können, wird die rot-grüne Bundes-regierung tun.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Winkler, Frau Kollegin Akgün, man merkt
an Ihren Ausführungen sehr deutlich, dass die Bundesre-
gierung die Probleme, die im Vorfeld einer Vollmitglied-
schaft der Türkei in der Europäischen Union bestehen,
viel offensiver hätte aufgreifen müssen. Aber dazu sind
Sie nicht bereit. Sie versuchen vielmehr, diese Probleme
entweder auszublenden oder zu bagatellisieren.
Herr Kollege Winkler, Sie müssen sich schon ent-
scheiden: Halten Sie es für ein Problem, dass deutsche
Staatsangehörige türkischer Herkunft durch zahlreiche
Aufrufe türkischer Behörden auch die türkische Staats-
angehörigkeit im Sinne einer doppelten Staatsangehörig-
keit angenommen haben, und sollte die Bundesregierung
Ihrer Meinung nach dagegen vorgehen? Oder sind Sie
eigentlich doch für die doppelte Staatsbürgerschaft
– Sie haben sich in diesem Sinne geäußert –, und zwar
nicht nur von Türken in Deutschland mit deutscher
Staatsangehörigkeit, sondern auch von anderen Zuwan-
derern?
Sie müssen sich schon entscheiden.
Der türkische Staat hat durch Runderlass aktiv für ein
Aushöhlen unseres Staatsangehörigkeitsrechts ge-
worben. Das haben Sie quasi als Kavaliersdelikt be-
zeichnet.
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Liebe Frau Kollegin Akgün, Sie haben sich über die
ormulierung „tickende Zeitbombe“ in unserem Antrag
ünstlich aufgeregt. Liebe Frau Kollegin Akgün, ich will
ie darauf hinweisen, dass diese Formulierung ein Ex-
erte bei der Anhörung des Bundestagsinnenausschusses
um Thema „Probleme des Islamismus in Deutschland“
enutzt hat. Von den rund 30 000 vom Bundesamt für
erfassungsschutz festgestellten Islamisten in Deutsch-
and sind 27 000 türkischer Herkunft.
Hinzu kommt all das, was wir bei der Anhörung des
undestagsinnenausschusses gerade im Hinblick auf die
ürkische Gemeinschaft in Deutschland von Fachleuten
auch von einem türkischen Journalisten; was er dazu
esagt hat, war sehr beeindruckend – gehört haben. Das
lenden Sie hier einfach aus. Daran merkt man, dass Sie
n Bezug auf Probleme im Zusammenhang mit der Voll-
itgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union
cheuklappen angelegt haben und dass Sie nicht wollen,
ass hier die wirklichen Probleme debattiert werden.
Es gibt doch ernst zu nehmende Warnungen. Der Kol-
ege Strobl hat Helmut Schmidt zitiert. Ich möchte den
ehr bemerkenswerten Aufsatz von Valéry Giscard
’Estaing in der „FAZ“ erwähnen. Ich verweise auf
en Historiker Heinrich August Winkler, Mitglied der
PD, und den Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang
öckenförde. Außerdem verweise ich auf die klare Posi-
ion – dafür bin ich dankbar –, die die beiden großen
irchen in Deutschland in dieser Frage eingenommen
aben. Ich erinnere an das, was Kardinal Lehmann und
ischof Huber dazu gesagt haben. Sie haben auf die un-
elösten Probleme in den Bereichen der Religionsfrei-
eit, der Gleichstellung von Mann und Frau und der
enschen- und Minderheitenrechte in der Türkei ver-
iesen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Gloser?
Herr Kollege Gloser, bitte.
Herr Kollege Koschyk, Sie haben aufgegriffen, washr Kollege Strobl vorhin ausführlich dargelegt hat. Aufem Europäischen Rat 1997 haben die Mitglieder derchwarz-gelben Bundesregierung der Türkei die Per-pektive gegeben, der Europäischen Union beizutreten,bwohl die Türkei damals, was Demokratie, innere
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Günter GloserStrukturen und anderes angeht, weit hinter dem zurück-lag, was sie heute aufgrund des eingeleiteten positivenProzesses erreicht hat.
1997 war die Europäische Union der 15 von der Per-spektive einer europäischen Verfassung und der damitverbundenen Handlungsfähigkeit weit entfernt. Warumhat die schwarz-gelbe Regierung dann diese Beitritts-perspektive gegeben? Diese Position ist durch denCSU-Landesgruppenvorsitzenden Michael Glos im De-zember 1997 nachdrücklich bekräftigt worden. Wie er-klären Sie diesen Widerspruch? Müssten Sie heute nichtwenigstens „Das war zumindest grob fahrlässig“ sagen?
Herr Kollege Gloser, die Union hat sich immer fürenge und über die jetzigen Bindungen hinausgehendeBindungen der Türkei an die Europäische Union ausge-sprochen, ganz im Sinne einer privilegierten Partner-schaft,
wie wir, die Union, und übrigens auch der österreichi-sche Bundeskanzler Schüssel – in Österreich wird eseine Volksbefragung zu diesem Thema geben – sie indieser Frage vertreten.Eines ist doch interessant, Herr Gloser.
Sie von der Koalition von SPD und Grünen, die sich im-mer so offen für plebiszitäre Elemente im Grundgesetzzeigen, haben eines doch schon sehr deutlich gemacht:Es könnte in Deutschland über alles eine Volksabstim-mung geben, aber über das Thema Türkei – das habendie Verantwortlichen Fischer und Müntefering klarge-stellt – würden Sie nie eine Volksbefragung zulassen.
Das zeigt, Herr Kollege Gloser, dass Sie unsicher gewor-den sind.Ich möchte in Erinnerung rufen, dass wir vom Innen-ausschuss im Juni letzten Jahres unter Ihrem Vorsitz,Frau Kollegin Akgün, eine Reise in die Türkei durchge-führt haben, bei der wir sehr deutlich gespürt haben, wievieles im Hinblick auf die Rechtssituation der Kirchenvöllig ungeklärt ist. Wir haben erfahren, dass die Nut-zung von Eigentum für religiöse und karitative Zweckesystematisch behindert wird und dass zudem eine ganzeReihe von faktischen Problemen besteht, nicht so sehr– das will ich einräumen – bei den deutschen evange-lischen und deutschen katholischen Kirchengemeindendort, aber – liebe Frau Kollegin Akgün, das haben wirsdtAvPtFüBBwdBsFd1SgnsdggwcdnheTbncszksEJssrBEDEm
r habe die große Sorge, dass die Vollmitgliedschaft derürkei in der Europäischen Union die Gefahr in sichirgt, dass sich die Europäische Union nicht mehr zu ei-er handlungsfähigen politischen Gemeinschaft entwi-kelt, sondern zu einer Freihandelszone auseinandertrebt.Ich mache mir auch die Worte von Kardinal Lehmannu Eigen, der die Probleme durch einen Beitritt der Tür-ei zur Europäischen Union, durch eine Vollmitglied-chaft, in eine Frage gekleidet hat: Die Frage ist doch, oburopa eine Identität hat, die stark auf Christentum undudentum, auf Antike und Aufklärung gründet. Ergebenich da nicht Abgrenzungen? – Ich meine, da ergebenich Abgrenzungen.Lieber Herr Kollege Beck, Sie haben auf die Äuße-ungen von Bischof Huber im „Tagesspiegel“ mit deremerkung reagiert, Sie setzten sich dafür ein, dassuropa Wertegemeinschaft und nicht Christenclub wird.
amit haben Sie sich dieses unsägliche Wort von Herrnrdogan von Europa als Christenclub zu Eigen ge-acht – und dies in einer Auseinandersetzung mit dem
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Hartmut KoschykVorsitzenden des Rates der EKD. Dies zeigt, welch trau-rige Wertvorstellungen Sie von Europa als Wertegemein-schaft auf dem christlich-jüdischen Fundament haben.
Diese Debatte – wir haben die Probleme in unserem An-trag aufgezeigt – muss geführt werden.Der Kollege Winkler hat an einer Stelle seiner Redeschon sehr deutlich auf den Teil des Beschlusses des Eu-ropäischen Rates verwiesen, der derzeit in der TürkeiKatzenjammer auslöst, nämlich dass die Verhandlungenin der Tat – das ist der große Erfolg der Union beim Be-schluss des Europäischen Rates – ergebnisoffen geführtwerden
und dass diese Verhandlungen abgebrochen werden kön-nen, wenn zum Beispiel eine bestimmte Zahl von Mit-gliedstaaten der Europäischen Union dies will. Das zeigtdoch, wie unsicher sich die Staats- und Regierungschefsbei der Entscheidung des Europäischen Rates am17. Dezember gewesen sind. Es zeigt übrigens auch,dass hier Politik über die Köpfe der Mehrheit der Bevöl-kerung in den europäischen Ländern hinweg gemachtwird.Sie wissen auch – zumindest spüren Sie es –, dass Siefür Ihre Position in dieser Frage in der deutschen Bevöl-kerung keine Mehrheit haben. Wir werden nicht zulas-sen, dass die bestehenden Probleme von Ihnen einfachweggedrückt, ausgeblendet oder bagatellisiert werden.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Koschyk! Meine verehrten Kollegen der CDU/
CSU-Fraktion, offenbar können Sie es nicht lassen. Sie
wissen doch, dass die Zeit über Sie hinweggegangen ist,
dass die EU am 17. Dezember den Auftakt der Beitritts-
verhandlungen beschlossen hat. Sie wissen darüber hi-
naus, dass Sie sich europäisch isoliert haben. Jetzt spie-
len Sie die schlechten Verlierer und gerade der letzte
Beitrag hat bewiesen:
Sie müssen stören und sticheln, Sie wollen Angst und
Misstrauen säen
und Sie vermengen in unzulässiger Weise Islamismus
mit Türkei. Das geht nicht.
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Frau Kollegin, Sie wissen, dass Sie mit diesem Be-
riff sehr unparlamentarisch argumentiert haben. Ich
itte Sie, den Begriff zurückzunehmen.
Ich nehme ihn zurück. Ich glaube, es ist im Beitrag
es Kollegen deutlich geworden, was er damit bezweckt.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen
trobl?
Ja.
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, was veranlasst Sie
u solch schwerwiegenden Vorwürfen gegen die CDU/
SU-Bundestagsfraktion, die lediglich darauf hingewie-
en hat, dass von den 30 000 extremistischen Islamisten,
ie es in der Bundesrepublik Deutschland gibt und von
enen eine erhebliche Gefahr für unser Land ausgeht –
das können Sie mit mir gemeinsam im aktuellen
erfassungsschutzbericht nachlesen, Herr Kollege
tröbele –, eben 27 000 aus der Türkei kommen? Was ist
aran eine unzulässige Vermengung? Was ist daran
etze?
Die unzulässige Vermengung geht aus dem Gesamtte-or eindeutig hervor. Ich beziehe mich auf die Wortwahlhres Antrags. Darin wird gehäuft von „rechtsmiss-räuchlicher Wiedereinbürgerung“, von „Schwerkrimi-ellen“, von „Drogen- und Gewaltdelikten“, von „Si-herheitsrisiken“, von „Rechtfertigung von Gewalt“, vonterroristischer Bedrohung“ und von „geistig-politi-chem Einfluss von Islamisten“ gesprochen. Das ist der
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14290 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005
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Dr. Cornelie Sonntag-WolgastGrund dafür, dass ich dies in aller Schärfe anprangernmuss.
– Ich gehe von der Wortwahl Ihres Antrags und vor al-lem vom Beitrag des Kollegen Koschyk aus.
– Ich komme jetzt dazu, wenn Sie mir die Gelegenheitgeben. Keiner behauptet, Herr Kollege, dass der Beitritts-prozess ein Spaziergang bei schönem Wetter sein wird.Niemand blendet Probleme mit der Türkei aus. Genausowenig sollten übrigens die Probleme mit anderen Bei-trittskandidaten ausgeblendet werden. Es stimmt, dass esSchwierigkeiten bei der Wiedereinbürgerung oder beider Ausbürgerung gibt.
Die Türkei ist – auch das muss ich sagen – für ihreStaatsbürger verantwortlich. Sie hat die anstehendenProbleme zu lösen und darf sie nicht bei uns abladen, vorallen Dingen nicht bei den hier lebenden Migranten tür-kischer Herkunft, aber ebenso wenig bei den in der Tür-kei lebenden Bürgern aus anderen Staaten. Das ist völligunstrittig. Um dies zu verdeutlichen, ist die Bundesregie-rung, wie wir gehört haben, seit langer Zeit tätig.Die bestehenden Konflikte etwa bei der Frage, wasmit den Anträgen von Menschen türkischer Abstam-mung auf Einbürgerung geschieht, die die Anträge schonvor dem 1. Januar 2000 gestellt haben, aber von der Tür-kei die entsprechenden Bescheide noch nicht bekommenhaben, und, da sie sich auf altes Recht bezogen, noch mitihrer Wiedereinbürgerung rechneten, müssen auf der so-liden aktuellen rechtlichen Grundlage gelöst werden,und zwar human. Das ist doch völlig klar.
All diese Bemühungen haben aber doch viel größereAussicht auf Erfolg, wenn sie mit der Perspektive einesEU-Beitritts verbunden sind – man kann ruhig sagen,dass das ein permanentes, willkommenes Druckmitteldarstellt –, als dann, wenn sie mit einer Politik der Ab-weisung und des Misstrauens verbunden werden, wieSie sie betreiben.Das ist ganz offensichtlich. Wir sind uns doch hof-fentlich darüber einig, dass es darum gehen muss, dasssich möglichst viele der dauerhaft hier bei uns lebendenAusländer einbürgern lassen. Dafür haben wir die Be-mühungen im neuen Gesetz klar und einfach gefasst.Wir haben Anforderungen an die Sprachkenntnisse undan die Hinwendung zu unserer Verfassung aufgestellt.Wir wollen eben diese Menschen mit vollen Rechtenund Pflichten auf gleiche Augenhöhe und mit voller po-litischer Teilhabe hier bei uns integrieren.vmdenttIbaN–SkafDdaKmgRhadqmWAbIarwdti
ch darf an die deutsch-türkische Enkeltochter des Alt-undeskanzlers Helmut Kohl, an Otto von Habsburg undndere erinnern. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.atürlich gilt auch das Prinzip der Gegenseitigkeit.
Ich rede von Ihrer Neigung, schon wieder die doppeltetaatsbürgerschaft zu verteufeln.Viele Menschen streben nun einmal danach – dasönnen Sie doch gar nicht leugnen –, ihre jetzige Staats-ngehörigkeit mit der ihres Herkunftslandes zu verknüp-en.
abei müssen sie – das muss man ihnen klar machen –ie aktuelle Gesetzeslage beachten; ebenso muss dasuch der Herkunftsstaat tun. Es ist aber falsch, sie zuriminellen abzustempeln. Das tun Sie aber praktischit Ihrem Antrag. Dagegen wehren wir uns.
Es ist, wie ich finde, nicht nur falsch, sondern direktefährlich, wenn Sie aus Mängeln der türkischenechtspraxis – die, um das noch einmal zu betonen, be-oben werden müssen – eine terroristische Bedrohungbleiten. Das haben Sie heute Vormittag getan. Was sollenn in diesem Zusammenhang diese unselige Ver-uickung mit Kriminalität und islamistischem Extre-ismus?
as soll in Ihrem Antrag der Schwenk zu „Zahlen undktivitäten radikaler Islam-Anhänger“ in Deutschlandei Freizeitaktivitäten und in Ferienlagern?
ch habe da wahrhaftig nichts zu beschönigen. Es giltber schon festzuhalten, Herr Kollege, dass nach jünge-en Untersuchungen die türkischen Zuwanderer, die, wieir wissen, überwiegend muslimisch geprägt sind, dieeutsche Gesellschaftsordnung in hohem Maße akzep-eren und dass lediglich 1 Prozent – das muss ich jetzt
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14291
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Dr. Cornelie Sonntag-Wolgasteinmal Ihren Behauptungen entgegenhalten – der Mus-lime in Deutschland islamistischen Organisationen zuzu-rechnen sind. Diese sind aber fest im Blick der Sicher-heitsbehörden.
Was soll also, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieBrunnenvergifterei, die offenbar mit diesem Antrag be-zweckt wird?
Ihre Haltung ist sonnenklar, Herr Kollege Strobl: DieEuropapolitik der Bundesregierung muss verunglimpftwerden, das Klima zwischen Türken und Deutschenmuss verschlechtert werden und es muss Stimmungsma-che betrieben werden – das alles im Hinblick auf dieLandtagswahlen.
Das ist doch der Sinn Ihres Antrages. Ich prophezeie Ih-nen, Sie werden damit Schiffbruch erleiden. Für meinLand Schleswig-Holstein kann ich sagen:
Wir wollen friedlich mit diesen Menschen leben; wir las-sen uns nicht in irgendeiner Weise in eine feindseligeEcke stellen, Herr Kollege Koppelin. Wir pflegen gutePartnerschaft mit den bei uns lebenden Migranten undanderen – nationalen – Minderheiten. In Nordrhein-Westfalen werden Sie mit solchen Methoden ebenso we-nig punkten.Die Zeiten, in denen Doppelpasskampagnen gegendoppelte Staatsangehörigkeit wie in Hessen noch funk-tionierten, sind vorbei. Das funktioniert jetzt nicht mehr.Schon bei der Kampagne „Kinder statt Inder“ von HerrnRüttgers hat sich herausgestellt, dass dies nicht mehrzieht. Lassen Sie also solche Manöver bleiben!Eine letzte Anmerkung. Sie fordern wieder einmalschnell ein neues Gesamtkonzept „zur Wahrung der in-neren Sicherheit und zum Kampf gegen den islamistischgeprägten Terrorismus“.
Es gibt aber längst ein Gesamtkonzept. Ich nenne dieAnti-Terror-Pakete I und II, die demnächst evaluiertwerden. Ich nenne ferner die umfassenden Gepäck- undSicherheitskontrollen an den Flughäfen, die Verbote isla-mistischer Organisationen – vom Kalifatsstaat bis al-Aqsa –, die Maßnahmen gegen Hassprediger, die imneuen Zuwanderungsgesetz enthalten sind. Aber vor al-lem gilt unser Prinzip: erhöhte Wachsamkeit, hoher Er-mittlungsdruck auf der notwendigen gesetzlichen Basis,aber auch verstärkte Bemühungen um Integration undPrävention. Dabei müssen wir – in diesem Punkt unter-sVWtnFIcrDfesAkmHinkdcnsdHlvA–usk
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/4496 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
inverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
ung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts
– Drucksache 15/4533 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Justiz-
inisterin Brigitte Zypries.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Die akustische Wohnraumüberwachung hat vonhrer Einführung im Jahre 1998 bis heute für Diskussio-en in der Öffentlichkeit und in der Politik gesorgt wieaum ein anderes Gesetzgebungsvorhaben im Bereiches Strafprozesses. Dabei wird die Wohnraumüberwa-hung tatsächlich nur in ganz wenigen Fällen angeord-et. Im Jahre 2003 waren es ganze 37 Fälle und damitogar etwas mehr als der bis dahin vorhandene Jahres-urchschnitt von 30 Fällen.Die akustische Wohnraumüberwachung stellt in jederinsicht eine Ausnahme dar. Durch kein anderes Ermitt-ungsinstrument ist es möglich, derartig weit in den pri-aten Bereich der Bürgerinnen und Bürger einzudringen.ndererseits ist die akustische Wohnraumüberwachung wenn alle anderen Mittel versagen – das letzte Mittel,m schwer zugängliche Kriminalitätsstrukturen zu erfor-chen, schwerste Straftaten aufzuklären und für die Zu-unft zu verhindern.
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Bundesministerin Brigitte ZypriesSeit der Einführung dieses Instruments 1998 sind dieGefahren für die Sicherheit in Deutschland nicht weni-ger geworden. Die Aufhebung der Grenzen, der ver-stärkte Reiseverkehr und der verstärkte Tourismus habenzur Folge, dass Hindernisse für international operierendeFormen der Kriminalität wegfallen. Das sehen wir zumBeispiel an der Betäubungsmittelkriminalität. Dort wur-den in fast 90 Prozent aller Verfahren, in denen man dieakustische Wohnraumüberwachung durchgeführt hat,Bezüge zur international organisierten Kriminalität fest-gestellt. Es ging jeweils um sehr massive Taten. Bei denDrogendelikten wurde pro Verfahren durchschnittlichwegen 62 Kilogramm Heroin bzw. 47 Kilogramm Ko-kain ermittelt. In Einzelfällen ging es um Rauschgift ineiner Menge von 1 000 Kilogramm.Auch die Ereignisse von Madrid haben gezeigt, dassDeutschland Ziel von terroristischen Anschlägen seinkann und dass die Wohnraumüberwachung auch im Zu-sammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus einwichtiges Mittel ist und bleiben muss.Nun darf aber das Ziel, Straftaten zu bekämpfen unddie Rechtsordnung zu schützen, nicht dazu führen, dassder Schutz des Einzelnen vor der staatlichen Kontrollevöllig aufgegeben wird.
Der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit zeigt sichhier in zugespitzter Form. Denn die Menschen fürchtensich nicht nur vor terroristischen Anschlägen, sie fürch-ten sich auch davor, dass sie am Ende keine Rückzugs-möglichkeiten ins Private mehr haben, dass sie am Endekeine Räumlichkeiten mehr haben, wo sie ungeschütztmit nahen Angehörigen oder Freunden sprechen können,ohne dass sie Gefahr laufen müssen, diese Gesprächespäter einmal ausgebreitet zu sehen.Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zuletzt des-halb in der Entscheidung vom 3. März 2004 deutlich ge-macht, dass der Staat durch die akustische Wohnraum-überwachung nicht in den unantastbaren Kernbereichprivater Lebensgestaltung eingreifen darf. Der absolutgeschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung ist vorAbhörmaßnahmen zu schützen.Die Vorgaben der Entscheidung aus Karlsruhe hat dieBundesregierung in dem Ihnen jetzt vorliegenden Ent-wurf umgesetzt. Mit diesem Entwurf werden sowohl einumfassender Schutz der Menschenwürde als auch diePraktikabilität der Maßnahme der Wohnraumüberwa-chung gewährleistet, soweit sie mit den Vorgaben desBundesverfassungsgerichts vereinbar ist.Lassen Sie mich kurz auf die Eckpunkte zu sprechenkommen. Abhören wird künftig überhaupt nur dann zu-lässig sein, wenn es um den Verdacht einer besondersschweren Straftat geht, einer Straftat also, für die dasGesetz eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren vor-sieht. Ich nenne Mord, Totschlag, schwere Betäubungs-mitteldelikte oder die Bildung einer terroristischen Ver-einigung.Die Wohnraumüberwachung darf künftig nur dannangeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher An-hdsrgPsztolnmcSmwcrBzpGdkvsgrddmrdsdCdsT3AGfad
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,ie Sie sich fraktionsübergreifend zu dieser Mittags-tunde tapfer – ich finde das sehr löblich – zu diesemhema eingefunden haben! In seinem Urteil vom. März 2004 hat das Bundesverfassungsgericht Art. 13bs. 3 unseres Grundgesetzes als verfassungsrechtlicherundlage für die akustische Wohnraumüberwachungür verfassungsgemäß erklärt. Das ist zwar erfreulich,ber für uns alle sicherlich wenig überraschend.Allerdings kommt das Gericht zu dem Schluss, dassie einfachgesetzlichen Regelungen des so genannten
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Daniela Raabgroßen Lauschangriffs in der Strafprozessordnung zumTeil nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Ge-richt geht von einem bereits erwähnten absolut geschütz-ten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus. Die-ser Kernbereich bezieht sich überwiegend auf diePrivatwohnung. Ein Abhören des gesprochenen Wortessoll dort in Zukunft nur unter sehr strengen Vorausset-zungen möglich sein. Das Gericht verlangt deshalb vonden strafverfolgenden Behörden vor Beginn der Abhör-maßnahme eine Prognose, inwieweit die Gefahr besteht,dass in diesen Kernbereich unzulässigerweise eingegrif-fen wird. Wird das Abhören nach dieser Prognose durch-geführt, hat es sich auf strafverfahrensrelevante Inhaltezu beschränken. Die Anforderungen an die Recht-mäßigkeit der akustischen Wohnraumüberwachung sol-len also umso strenger sein, je größer die Wahrschein-lichkeit ist, dass Gespräche mit höchstpersönlichemInhalt abgehört werden. Deshalb sollen Überwachungs-maßnahmen auch hier nur dann ergriffen werden dürfen,wenn schon vor der Maßnahme keine Anhaltspunkte da-für bestehen, dass geschützte Gesprächsinhalte zu erwar-ten sind. Sollten sich diese Gesprächsinhalte dennochwährend des Abhörens ergeben – die Frau Ministerin hatdas erwähnt –, muss die Abhöraktion sofort abgebrochenwerden. – So weit in aller Kürze die Forderungen desBundesverfassungsgerichts.Ich möchte wirklich keine Majestätsbeleidigung be-treiben, aber doch gerne anmerken, dass ich persönlichnicht erkennen kann, weshalb weitere Einschränkungenbei der akustischen Wohnraumüberwachung überhauptnotwendig waren,
gerade wenn man weiß, dass mit diesem Instrument inder Praxis höchst sensibel umgegangen wird und seinEinsatz immer nur letztes Mittel ist, um Ermittlungenvoranzutreiben oder zum Ende zu bringen; die FrauMinisterin hat das bereits angesprochen. Jedem Richter,jedem Staatsanwalt, jedem Polizisten und jedem von unsist selbstverständlich klar, dass beim Abhören von Pri-vaträumen in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird.Deshalb gibt es ja auch diesen sensiblen Umgang damit.Liegen jedoch Anhaltspunkte vor, dass eine Personschwere Verbrechen begangen haben könnte oder kon-kret vorhat, sie zu begehen, muss das Schutzbedürfnisunserer Bevölkerung gegenüber dem Persönlichkeits-recht des Tatverdächtigen klar überwiegen.
Bisher wurde diese Abwägung immer in verantwortli-cher Weise getroffen. Anzeichen für eine leichtfertigeAnordnungspraxis gibt es nicht. Leider hat dies das Bun-desverfassungsgericht etwas anders gesehen.Die Bundesregierung hat nun versucht, die betreffen-den Vorschriften der Strafprozessordnung dem Urteil an-zupassen. Man muss zugeben, dass das nicht leicht war.Nun liegt uns dieser wirklich nicht begeisternde Entwurfvor. Besonders bedenklich stimmt meine Fraktion dieNeuregelung von § 100 c der Strafprozessordnung, derdie konkrete Durchführung einer Abhörmaßnahme re-geln soll. Nehmen Sie dessen Abs. 4 in diesem Entwurf:DnrrKtDFtsfPlwPWfD–bdEdemsbZnsuulgiokf
Um das Überwachungsverbot für Gespräche im unan-astbaren Kernbereich überhaupt einhalten zu können,ind nun bereits vor der Beantragung der Abhörung um-angreiche Ermittlungen nötig; das bestätigen uns dieraktiker. In der Praxis wird man also zunächst feststel-en müssen, wie die Wohnung tatsächlich genutzt wird,er dort wie regelmäßig verkehrt, ob die betreffendenersonen Tatbeteiligte sind oder nicht und wie hoch dieahrscheinlichkeit ist, dass tatrelevante Gespräche ge-ührt werden.
ie Praktiker werden ihre reine Freude damit haben.
Richtig, das erfordert Wahrsagerei.
Der akustischen Wohnraumüberwachung werden soereits in der Anordnungsphase massive Hindernisse inen Weg gestellt. Warum eigentlich?
ine Untersuchung des Max-Planck-Instituts, die voner Ministerin bereits zitiert worden ist, hat ausdrücklichrgeben, dass das Abhören von Wohnräumen im Rah-en von Ermittlungen immer letztes Mittel ist und nurehr restriktiv angewandt wurde. Im Jahr 2003 wurdenundesweit nur 37 Überwachungsverfahren registriert.war ist die Tendenz seit 2001 steigend. Dies hat aberichts mit leichtfertiger Anwendung zu tun, sondernchlicht und ergreifend damit, dass die Kriminalität innserem Lande nun einmal nicht zurückgeht.Besonders häufig wird in Betäubungsmittelverfahrennd bei Tötungsdelikten abgehört, auch bei Drogende-ikten, um teilweise hochprofessionelle Strukturen zu er-ründen, und bei Verdacht auf Totschlag oder Mord, umn einem letzten Versuch die Beweislage zu verbessernder überhaupt erst in eine beweiswürdige Situation zuommen. In letzter Zeit geht es natürlich auch sehr häu-ig darum, Terrorakte zu verhindern oder aufzuklären.
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Daniela RaabIn der Studie wird ausdrücklich betont, dass eine Ab-hörmaßnahme in jedem Verfahren, in dem sie bisherdurchgeführt wurde, Einzelfallcharakter hat und immersubsidiär zu anderen Ermittlungsmethoden erfolgt.Noch einmal von mir also die Frage: Warum bereitsbei Beantragung diese immensen Hindernisse, die mitzügigen Ermittlungen und Praktikabilität nichts, aberauch gar nichts zu tun haben?
– Ich habe das Urteil vorhin zitiert und angemerkt, dassich das sehr kritisch sehe.
– Das muss man ja auch einmal sagen dürfen.
– Das sehe ich auch so.Eine weitere Problematik bietet § 100 c Abs. 5 StPO.Entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsge-richts ist eine Maßnahme sofort zu unterbrechen, wennhöchstpersönliche Unterhaltungen beginnen. Die Er-mittlungsbeamten dürfen vom weiteren Gesprächsver-lauf keine Kenntnis mehr nehmen; das heißt, die Gerätewerden sofort abgeschaltet. Die Abhörmaßnahme kannnur unter den bereits ausführlich erläuterten Vorausset-zungen wieder aufgenommen werden. Auch das haltenwir für deutlich zu umständlich und zu kompliziert.
– Und so wird es vom Bundesverfassungsgericht, HerrStröbele, auch nicht gefordert. Ich empfehle die Lektüredes Urteils.
Ganz abgesehen davon, dass ein erhöhter Zeit- und Per-sonalaufwand vorprogrammiert ist, was nicht in unseremSinne sein kann. Ich werde Ihnen gleich sagen, wie wires regeln würden. Wir sind ja in der ersten Lesung; dasheißt, wir können uns nachher gern darüber unterhalten.Der Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf bereitsStellung genommen und ich möchte erläutern, was derBundesrat zu § 100 c Abs. 5 StPO vorschlägt. Ich haltediesen Vorschlag für nicht allzu schlecht. Der Bundesratsagt: Die Aufzeichnungsgeräte dürfen weiter laufen, so-bald höchstpersönliche Gespräche beginnen, nur, die Er-mittlungsbeamten müssen den Raum verlassen und dür-fen nicht mehr weiter zuhören.
Dem zuständigen Gericht werden dann die komplettenAufzeichnungen vorgelegt. Der Richter kann dann überdie Zulässigkeit dieser Aufzeichnungen und womöglichütdehrwmslIVsnKzbaSabdSctuAldzkVnternEdzcdvB
ch denke, diese Lösung widerspricht auch nicht denorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Der vorge-chriebene Grundrechtsschutz bleibt genauso, wennicht noch besser, erhalten.Unser Ziel muss es schließlich sein, trotz des engenorsetts, das uns das Bundesverfassungsgericht aufge-wungen hat, den immer noch verbleibenden gesetzge-erischen Spielraum zu nutzen.Was den Straftatenkatalog angeht, regen wir, wieuch der Bundesrat, an, Straftaten gegen die sexuelleelbstbestimmung gemäß den §§ 177 ff. StGB ebenfallsufzunehmen. Auch bei solchen Straftaten – denken Sieitte nur an die Kinderschänderringe! – besteht das Be-ürfnis, oft wirklich hochprofessionelle kriminelletrukturen durch eine Wohnraumüberwachung aufzude-ken. Warum diese Straftaten bisher nicht in den Strafta-enkatalog aufgenommen worden sind, erschließt sichns nicht ganz.
ber ich denke, auch bei dieser Frage gibt es Verhand-ungsspielraum.Ich bin der Meinung: Wir tragen die Verantwortungafür, dass die akustische Wohnraumüberwachung keinahnloser Papiertiger wird, den keiner mehr anwendenann, weil er die Voraussetzungen nicht erfüllen kann.ielleicht ist es möglich, in diesem Fall eine einver-ehmliche Lösung zu finden. An uns soll es nicht schei-rn. Wir sind selbstverständlich zu Verhandlungen be-eit.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bünd-
is 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!in Wort zur Vorgeschichte. 1997 haben die CDU/CSU,ie FDP und auch die SPD eine Verfassungsänderungur Ermöglichung der akustischen Wohnraumüberwa-hung in diesem Hause durchgesetzt. Die FDP hat beiieser Auseinandersetzung eine Bundesjustizministerinerloren. Die Grünen haben aus verfassungsrechtlichenedenken heraus gegen eine solche Regelung gestimmt.
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Jerzy MontagIm März letzten Jahres erging eine Entscheidung desBundesverfassungsgerichts. In ihr hält das Bundesver-fassungsgericht fest, dass die Verfassungsänderung, derneue Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes, nicht verfas-sungswidrig ist und dass eben nicht jede akustischeÜberwachung von Wohnraum gegen die in Art. 1 desGrundgesetzes garantierte Menschenwürde verstößt.Dieser Entscheidung können wir entnehmen, dassdarüber auch beim Bundesverfassungsgericht keine Ei-nigkeit bestand. Die Minderheit, zwei Richterinnen, hateine andere Position vertreten, konnte sich aber nichtdurchsetzen. Frau Kollegin Raab, die Mehrheit gilt, auchfür uns, die Grünen. Ich persönlich halte an meiner Posi-tion fest, dass wir mit der akustischen Wohnraumüber-wachung zu weit gegangen sind und dass sie mit derVerfassung nicht vereinbar ist. Das ist meine Positionund vielleicht die meiner Fraktionskolleginnen und -kol-legen. Vielleicht haben auch Kolleginnen und Kollegenaus anderen Fraktionen diese Auffassung.
Aber die Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts giltauch für Sie. Sie können mosern, so viel Sie wollen,Frau Kollegin Raab: Das Bundesverfassungsgericht hatgesagt, dass wir einen engsten Rahmen setzen müssen.Diesen engsten Rahmen haben wir, so gut es geht, prak-tisch wortgleich in unseren Gesetzentwurf übernommen.
Meine Damen und Herren, die akustische Wohnraum-überwachung ist erlaubt, sofern sie den absoluten Kern-bereich der privaten Lebensgestaltung nicht verletzt.Wann das der Fall ist, hängt nicht von den Örtlichkeitenab. Es kommt nicht darauf an, ob die Küche oder dasSchlafzimmer betroffen ist, sondern es kommt auf denInhalt der Kommunikation und auf das Verhältnis dermiteinander kommunizierenden Menschen an. Wenn dieGefahr besteht, dass bei einer solchen polizeilichenMaßnahme Gespräche mit höchstpersönlichem Inhaltbetroffen werden, dann darf nicht abgehört werden. DasBundesverfassungsgericht sagt, dass ein solches Risiko,das zum Ausschluss der Abhörung führt, typischerweisebeim Abhören von Kommunikation in privilegiertenVerhältnissen besteht: in Ehe und Partnerschaft, mit na-hen Familienangehörigen, engsten Freunden und Ver-trauten.Mit unserem Gesetzentwurf haben wir den Polizeibe-hörden und den Richtern die Aufgabe übertragen – FrauKollegin Raab, hier haben Sie völlig Recht –, im Vorausabzuklären und prognostisch zu bewerten, ob bei der ge-planten Maßnahme in den höchstpersönlichen Bereicheingegriffen wird. Dazu sagt das Bundesverfassungsge-richt klar und knapp in einem Satz: Das geht auch. Tat-sächlich geht es auch. Man muss genau die Bedingungenabklären, von denen Sie gesprochen haben. Das ist keineKaffeesatzleserei. Diese Bedingungen müssen im Vorausso intensiv wie möglich abgeklärt werden.DdBsssPmdtesmPGzrdkinrfinbtrfmdASsnbErrchbSF
as ist auch handhabbar; denn dann kann die Polizeiem Gericht nach bestem Wissen und Gewissen einenericht vorlegen, in dem sie ihre Prognose tatsachenge-tützt offen legt. Dann kommt es darauf an, was in die-em Bericht steht.Wenn die geplante Abhörung der Aufdeckung vonchwersten Straftaten dient, dann darf sie erfolgen. Dieolizei muss dafür Sorge tragen, dass nicht in den inti-en Bereich eingegriffen wird. Das führt in Fällen, inenen man befürchten muss, sowohl Verfahrensrelevan-s wie auch Intimes zu hören – das ist in vielen Fälleno –, dazu, dass in Echtzeit abgehört werden muss. Dannuss abgeschaltet werden. In anderen Fällen kann dieolizei prognostisch davon ausgehen, dass keine intimenespräche geführt werden. Ich finde, dass dann aufge-eichnet werden könnte; denn das Bundesverfassungsge-icht spricht in solchen Fällen von einer Grobsichtunges Materials, um im Nachhinein etwas feststellen zuönnen.Meine Damen und Herren, die weiteren Kautelen sind einem Satz rasch gesagt: Durch die akustische Wohn-aumüberwachung dürfen nur schwerste Straftaten ver-olgt werden. Dieses Gebot dürfen wir nicht umgehen,dem wir Straftaten willkürlich hochsetzen. Und esleibt dabei: Der absolute Schutz von Berufsgeheimnis-ägern bleibt in unserem Gesetzentwurf in vollem Um-ang erhalten. Wir laden Sie ein, in den Ausschüssen ge-einsam mit uns über diesen Gesetzentwurf weiter zuiskutieren.Danke.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!uch das Jahr 2004 war für die Bürgerrechte aus meinericht ein verlorenes. Seit 2001 sind sie verstärkt imtaatlichen Visier von Rot-Grün, bei der CDU/CSU oh-ehin. Der Trend zum autoritären Staat ist leider unge-rochen.
inen der wenigen Lichtblicke für verbriefte Grund-echte gab es im März des vergangenen Jahres in Karls-uhe: Das Bundesverfassungsgericht kritisierte wesentli-he Teile des so genannten großen Lauschangriffs. Ichabe das für die PDS im Bundestag ausdrücklichegrüßt. Der große Lauschangriff wurde mit dentimmen der CDU/CSU, der SPD und der Mehrheit derDP eingeführt. Ich danke Ihnen, Frau Kollegin
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Petra PauSchnarrenberger, und auch Herrn Burkhard Hirsch– beide FDP –, dass Sie sich der Mehrheitsmeinung IhrerFraktion damals nicht angeschlossen haben und dieÜberprüfung durch das Bundesverfassungsgericht bean-tragt haben; Sie bekamen in wesentlichen PunktenRecht. Deshalb diskutieren wir heute über ein modifi-ziertes Gesetz zum großen Lauschangriff. Das ist abernur die kleine Lösung. Das Karlsruher Urteil hätte aucheine große Lösung ermöglicht: die Chance zur Umkehr.Seit Jahren werden immer mehr Bürgerrechte einervorgeblichen Sicherheit geopfert und der Staat dringtimmer tiefer in die Privatsphäre der Bürgerinnen undBürger ein. Die PDS lehnt das ab, so wie wir 1998 gegenden großen Lauschangriff und 2001 gegen die so ge-nannten Otto-Pakete waren.
Trotz des Urteils gibt es kein Umdenken. Die tiefer ge-hende Botschaft des Karlsruher Urteils, nämlich denStaat abzurüsten und die Bürgerrechte bewusst zu stär-ken, wird mit diesem Gesetzentwurf weiter in den Windgeschlagen, im Übrigen auch von den Grünen. Und na-türlich in Bayern: Das Urteil war kaum verkündet, daforderte Innenminister Beckstein mehr statt wenigerÜberwachung. Auch hier im Bundestag werden Grund-rechte weiter angegriffen. Das zeigt sich leider auch imheute vorliegenden Gesetzentwurf. Kommentar derStrafverteidigervereinigung: Der Wille der Bundesregie-rung zum großen Lauschangriff ist ungebrochen. Selbstdort, wo das Bundesverfassungsgericht grundsätzlichgegen das Lauschen und Spähen ist, also in der absolu-ten Privatsphäre, öffnet der vorliegende GesetzentwurfHintertüren und weitere Einstiegstore.Zur Bürgerrechtskritik kommt aber auch die Effizi-enzfrage: Das Max-Planck-Institut Freiburg hat sie ge-stellt und kam zu dem Ergebnis: Der große Lauschan-griff nützt wenig. Ich füge hinzu: Er schadet aber sehrviel.
Deshalb teilt die PDS im Bundestag den Standpunktzahlreicher Kritiker: Der große Lauschangriff ist nichtneu zu regeln, er ist schlicht abzuschaffen.
Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wieder-holt darauf hingewiesen worden, aber vielleicht sollteich auch selber darauf hinweisen: Die großen Schlachtenzum Thema der akustischen Wohnraumüberwachung– oder dem „Lauschangriff“, wie wir es frei übersetztimmer genannt haben – sind mit dem Karlsruher UrteilvddddzGIBEWl1iwhswtnFgizssswastbdhsidDcmhhdSdgwgsm–wtü
ir müssen uns wohl an die Realitäten halten. Die Rea-ität ist ganz einfach, Herr Kollege Röttgen: Das, was998 noch unter der Kohl-Regierung verfassungswidrign der Strafprozessordnung geregelt worden ist, habenir jetzt verfassungsgemäß zu gestalten. Ich denke, wiraben deutlich gemacht, dass wir die Ausgestaltung jetzto vornehmen müssen, dass wir sie in den Bereichen, woir die Wohnraumüberwachung für unverzichtbar hal-en, nämlich in den Bereichen der organisierten Krimi-alität, des Terrorismus und bei besonders schwerenormen der Kriminalität, zu verbessern haben. Dabeieht es insbesondere darum, mit diesem Ermittlungs-nstrument die Hauptverantwortlichen für Straftatenu erreichen, nämlich die Organisatoren, die Finanziers,prich die Drahtzieher, die nicht so sehr im Vordergrundtehen, die Hintermänner, die die eigentlichen Täterind. Vor diesem Hintergrund haben wir den Gesetzent-urf im letzten Sommer erarbeitet. Wir haben uns dabein den Leitgedanken gehalten, den das Bundesverfas-ungsgericht vorgegeben hat: Vorkehrungen dafür zureffen, dass Eingriffe in den absolut geschützten Kern-ereich der privaten Lebensgestaltung unzulässig sind.Damit komme ich zu Art. 1 des Grundgesetzes, inem es um die Würde des Menschen geht. Das Gerichtat uns gesagt, dass wir hier Vorkehrungen treffen müs-en. Ich meine, von diesem Leitgedanken haben wir unsn dem Gesetzentwurf stringent leiten lassen. Wir habeniesen Gedanken präzise und rechtsstaatlich umgesetzt.as heißt, es muss eine Prognose erstellt werden, mögli-herweise muss das Gerät abgeschaltet werden und manuss mit den Erkenntnissen, die man dabei gewonnenat, in einer bestimmten rechtsstaatlichen Weise umge-en.Frau Justizministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar,ass die Bundesregierung in der Gegenäußerung zurtellungnahme des Bundesrates genau diesen Leitge-anken des Urteils präzise herausgearbeitet und den ins-esamt zwölf Vorschlägen des Bundesrates, die zu einereiteren Aufweichung dieses Leitgedankens vorgetra-en worden sind, wie ich meine, zu Recht nicht zuge-timmt hat. Ich denke, sie konnte auch gar nicht zustim-en; denn in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wir werden das bei den weiteren Beratungen sehen –urden dezidierte Vorgaben dafür gemacht, wie die un-erverfassungsrechtliche Ausgestaltung der Wohnraum-berwachung in der Strafprozessordnung letzten Endes
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Joachim Stünkeraussehen soll. Daran werden wir nicht vorbeikommen,wenn wir hier eine verfassungskonforme Regelung ver-abschieden wollen.Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, dass das zukünf-tig mit einem höheren Aufwand für die Ermittlungsbe-hörden verbunden sein wird. Das ist eine der in dem Ur-teil angelegten Konsequenzen, die so gewollt waren. Ichmeine, dieser Mehraufwand ist in der Praxis leistbar. Esist bereits darauf hingewiesen worden, dass in diesemBereich der Kriminalitätsbekämpfung Männer, Frauenund Gerichte arbeiten, die jahrzehntelange Erfahrungenhaben. Diese werden die notwendigen Grundlagener-mittlungen durchführen und Prognosen stellen, um Ent-scheidungen treffen zu können. Das gilt insbesondere fürdie Gerichte. Einer erfahrenen Strafkammer, die eineEntscheidung zu treffen hat, ist genau bekannt, welchePrognosen, Kautelen und Voraussetzungen sie dabei zuprüfen hat. Wie ich schon sagte: Das Gericht hat diesenMehraufwand zu Recht bewusst in Kauf genommen, umeinen der obersten Werte unserer Verfassung, nämlichdie Menschenwürde, zu wahren.Die Menschenwürde ist der letzte schützbare Raumdes Menschen im privaten, intimen Bereich. Hier ist diesonst übliche Abwägung des öffentlichen Interesses aneiner Strafverfolgung oder das Einbauen der einen oderanderen Kautele oder Öffnung absolut unzulässig. Vondaher kann man das nur so regeln, wie wir das hier getanhaben.Ich lade Sie – auch Sie, Frau Kollegin Raab, von derCDU/CSU-Fraktion – ein, mit uns gemeinsam imRechtsausschuss zu beraten. Wir werden eine Anhörungdurchführen. Sollten noch Verbesserungsvorschläge vor-handen sein, so hören wir sie uns gerne an. Den Gestal-tungsspielraum, den uns das Gericht vorgeben hat, ha-ben wir aber bis an die Grenzen ausgenutzt. Darüberhinaus wird es nichts geben können. Von daher meineich, dass wir zügig zu einem Ergebnis kommen können.Somit könnten ab dem 1. Juli 2005 verfassungskonformeRegelungen in der Strafprozessordnung stehen, sodasswir die Geräte nicht abschalten müssen, weil es keinegesetzliche Regelung gibt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Rainer Funke, FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei derDiskussion über die akustische Wohnraumüberwachungstehen wir vor der schwierigen Abwägung zwischen derSicherung und Wahrung der Grundrechte der Bürger aufder einen Seite und der Freiheitsbedrohung durch die or-ganisierte Kriminalität und deren Bekämpfung auf deranderen Seite.Unabdingbar war und ist es für die FDP, dass zumSchutz der Grundrechte der Bürger strenge rechtsstaat-lkJetGdGdGznJddZtdemrSbbsVendzwhkhrdhsfzadDtüddf
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ichtige Beiträge zum Aufbau, Betrieb und zur Fortent-icklung eines sicheren und kostengünstigen Systemser Energieversorgung sind dringend notwendig. Vonem, was bisher geleistet wurde, zehren wir noch heute,ie übrigens in vielen anderen Forschungsbereichenuch. Wir sind aber schlecht für die Zukunft gewappnet.
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Axel E. Fischer
Die Qualität der Energieforschung in Deutschland ist inernster Gefahr.
Die Mittel für die Energieforschung des Bundes sinkenvon 700 Millionen Euro im Jahr 1991 auf etwa400 Millionen Euro im Jahr 2004. Das ist weniger alsdie humanitäre Hilfe, die der Bundeskanzler jetzt denTsunamiopfern zugesagt hat.
Das ist zudem weit weniger als die 2 200 MillionenEuro, die die Verbraucher mit ihrer Stromrechnung imJahr 2004 zusätzlich für so genannten Ökostrom zahlenmussten. Zukunftsträchtige Forschungsbereiche werdenvon Ihnen gezielt ausgedünnt und viel versprechendeEntwicklungen abgewürgt.
Meine Feststellung ist: Diese Entwicklung darf so nichtweitergehen.
Wir haben derzeit ein grobes Missverhältnis zwischenForschungsförderung und Markteinführung. Sie sa-gen, wie wichtig Wissenschaft und Forschung seien, för-dern jedoch den Einsatz unrentabler Techniken um einMehrfaches stärker als die Forschung zur Verbesserungdieser Techniken. Impulse in der Grundlagenforschungfehlen. Stattdessen setzen Sie auf Markteinführung. EinBeispiel ist die Förderung der Einführung erneuerbarerEnergien. Die Gesamtkosten steigen stark, ohne riesigeSubventionen sind sie auf absehbare Zeit nicht marktfä-hig und mit der geplanten Verteuerung der Energiever-sorgung durch die Erstellung und den Betrieb unrenta-bler Anlagen wird von Ihnen gezielt Wohlstandvernichtet.
Wenn bei einem Auto, das fährt, die Handbremse an-gezogen wird, braucht man sich nicht zu wundern, wenndie Bremse heiß wird und der Motor zu stottern anfängt.So sieht es aus, meine Damen und Herren. Die langfris-tige Wirkung dieser Politik ist eine Schädigung derVolkswirtschaft in unserem Land.Gleichzeitig erklärt Umweltminister Trittin, bei derFotovoltaik fehlten immer noch Entsorgungskonzepte.Was soll denn mit den defekten Solarkollektoren passie-ren?
Wo sollen diese entsorgt werden? Auch dafür haben Siekein Konzept, predigen aber ständig die angeblich um-weltfreundliche Energie, ohne dass bisher untersuchtwurde, welcher Forschungsbedarf besteht. Auch in die-sem Bereich ist Forschung dringend notwendig.ggSrABerdwekJzmtMeStuRnKIdtIrdfÄr
Bundesumweltminister Trittin mag durchaus Rechtehabt haben, als er am vergangenen Wochenende fest-estellt hat: Die Fotovoltaik kann in Regionen ohnetromnetz schon heute mit Dieselaggregaten konkurrie-en.
ber in Deutschland gibt es nun einmal ein Stromnetz.ei unserem bestehenden Stromnetz ist die Fotovoltaikben nicht rentabel und konkurrenzfähig. Bei Taschen-echnern ist das etwas anderes. Würden die Milliarden inie Forschung statt in die Markteinführung fließen, dannürde das dazu beitragen, dass wir in diesem Bereichntsprechend vorankommen.
Heute aber werden dank Rot-Grün Investitionen in er-ennbar unrentable Anlagen gefördert, in denen aufahrzehnte hin das Geld von Stromkunden und Steuer-ahlern verbrannt und damit Wohlstand und Volksver-ögen vernichtet wird.Ein anderes Beispiel ist die Kernenergie. Die Bedeu-ung der Kernkraft nimmt weltweit zu.
ehr als 30 Kernkraftwerke sind in Bau. Weltweit istin Vielfaches davon projektiert. Länder wie China undüdafrika entwickeln in Deutschland stillgelegte Reak-ortypen weiter
nd werden diese Reaktoren betreiben und verkaufen.ot-Grün aber vermittelt ein völlig anderes Bild und ver-ebelt die Realitäten. Aber es ist eine Tatsache: Dieernenergie ist weltweit auf dem Vormarsch, auch wennhnen das nicht passen mag.
Mit dem rot-grünen Ausstieg aus der Kernenergie under Kernforschung ist es wie mit dem Fahrer auf der Au-obahn, der im Radio hört: „Auf der Autobahn kommthnen ein Falschfahrer entgegen. Fahren Sie äußerstechts und überholen Sie nicht! Wir melden uns, wennie Gefahr vorüber ist.“ Daraufhin sagt sich der Auto-ahrer: „Einer? – Tausende!“
hnlich ist es mit Ihrer Politik, meine Damen und Her-en!
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Axel E. Fischer
Wie sieht es aktuell in Deutschland aus? In der Si-cherheitsforschung war Deutschland früher führend. Dereuropäische Druckwasserreaktor wird ständig weiterent-wickelt und verbessert. Mit dem ITER entwickeln Staa-ten der EU gemeinsam mit den Vereinigten Staaten vonAmerika, Russland, Südkorea, Japan und China einenKernfusionsreaktor, der im Erfolgsfall sicher verfügba-ren Strom an praktisch jedem Ort der Erde erschwinglichmachen wird.
Mit der industriellen Umsetzung der Transmutationwird die Voraussetzung geschaffen, die hoch strahlendenradioaktiven Abfälle bzw. Kernwaffenplutonium zurStromproduktion zu nutzen. Das Ergebnis sind kurzle-bige Spaltprodukte. Das würde in Fragen der Entsorgungradioaktiven Abfalls völlig neue Perspektiven bieten.
Die Endlagerproblematik würde entsprechend ent-schärft. Aber dieser Bereich wird von Ihnen stiefmütter-lich behandelt.
In all diesen Bereichen zeichnen sich viel verspre-chende Entwicklungen ab, an denen sich deutsche For-scher und die Forschung in Deutschland beteiligen soll-ten. Der Forschungsstandort Deutschland – in derKerntechnik einst führend – soll hierbei jedoch nachdem Willen von Rot-Grün außen vor bleiben. Sie wollenaus rational nicht nachvollziehbaren, rein ideologischenGründen nach dem Ausstiegsbeschluss hinsichtlich derStromproduktion in Kernkraftwerken auch noch aus derKernforschung aussteigen. Das ist eine einäugige Poli-tik, die wir so nicht mittragen.
Was sind nun die Ziele einer zukunftsweisendenEnergieforschung? Wir müssen eine schlüssige Perspek-tive für die langfristige Energieversorgung in Deutsch-land eröffnen. Wir müssen den Zielen der Versorgungs-sicherheit, der Wirtschaftlichkeit, der Kostengünstigkeitund der Umweltverträglichkeit gleichermaßen Rechnungtragen. Für zukünftige Generationen brauchen wir des-halb Know-how in allen Bereichen. Wir brauchen keineDenkverbote, sondern Freiheit der Forschung. Das musszu unserer Maxime in diesem Bereich werden.
Angesichts der Unübersichtlichkeit und der offenkun-digen Abstimmungsprobleme zwischen den Ministerienauf Bundesebene wäre die Bündelung der Kompetenzenin einem Ministerium von entscheidender Bedeutung.Energieforschung aus einer Hand! Deshalb fordere ich– genauso wie in unserem Antrag –, die Energiefor-schung beim Bundesministerium für Bildung und For-schung anzusiedeln. Dorthin gehört sie.SCLmrFWtDAFevbwStAIakWdBuagHalpnFKeDsWEdgz
Das Wort hat der Kollege Dr. Axel Berg, SPD-Frak-
ion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Liebe Kollegen! Der CDU/CSU-ntrag, über den wir heute diskutieren, beinhaltet einigeeststellungen, mit denen meine Fraktion durchaus über-instimmt. Lieber Axel Fischer, was ich aber nicht ganzerstanden habe, ist, warum Sie so viel über die Netzaus-austudie der dena gesprochen haben. Das ist zwar einichtiges Thema. Aber nun geht es um die Forschung.ie haben ein bisschen wenig zu dem Antrag Ihrer Frak-ion gesagt. Insofern fällt es mir nicht leicht, auf Ihreusführungen einzugehen.Wir freuen uns jedenfalls, dass viele Erkenntnisse zuhnen durchgedrungen sind, zum Beispiel – ich zitiereus Ihrem Antrag – dass die „energetischen Ressourcennapp sind“, dass die „Energieforschung in besonderereise überlebenswichtig“ für Deutschland ist und dassie „erneuerbaren Energien einen zunehmend wichtigeneitrag leisten“ sollten. Solche Aussagen kann ich vollnd ganz unterstützen. Aber mit dem Erkenntnisgewinnllein ist es noch nicht getan. Wir müssen auch die richti-en Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen ziehen.ier hapert es bei Ihnen noch ein bisschen.Wie Sie eben zu Recht ausgeführt haben – so steht esuch in Ihrem Antrag –, wollen Sie bei der für Deutsch-and überlebenswichtigen Energieforschung die Schwer-unkte auf Kernfusion und Kernenergie legen. Sie schei-en Folgendes vergessen zu haben: Trotz 50-jährigerorschung liegt der Energieversorgungsbeitrag derernfusion heute bei 0 Prozent. Zum Thema Kern-nergie muss ich Ihnen ebenfalls mitteilen, dass ineutschland die Stilllegung aller Kernkraftwerke be-chlossen wurde, und zwar aus mehreren guten Gründen.ir wissen nicht, wohin mit dem atomaren Abfall.
s gibt nach wie vor noch kein Konzept dafür. Außer-em sind diese Technologien schlichtweg zu teuer. Ausuten Gründen gibt es in der Bevölkerung keinerlei Ak-eptanz für ihren Einsatz.
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Dr. Axel BergLetztlich sprechen noch sicherheitspolitische Gründedagegen. Seit dem 11. September 2001 ist uns die Ge-fahr zunehmend bewusst geworden, dass Kernkraft-werke zum Ziel terroristischer Anschläge werden kön-nen. Dagegen können wir nichts, aber auch gar nichtstun.Sie mogeln sich ebenfalls um die Beantwortung derFrage nach der Finanzierbarkeit herum. Natürlich wärees prima, flächendeckend Forschung in allen Bereichenzu betreiben. Doch den Goldesel, der das alles bezahlensoll, haben wir trotz aller Forschung bisher noch nichtzüchten können. Insbesondere gilt das für die Kerntech-nik. Nach meinem Wissen ist das Verhältnis von For-schungsaufwand zu Energieausbeute auf keinem Gebietso schlecht wie bei der Atomkraft.Wir müssen sicherlich Schwerpunkte bei der For-schung setzen. Diese dürfen – jedenfalls nach meinerAuffassung – aber nicht auf der Kernfusions- und derKernenergieforschung liegen. In Deutschland müssenwir Entscheidungen zugunsten bestimmter Forschungs-felder fällen, die sich an unserer langfristigen Energiepo-litik orientieren. Priorität sollten dabei die Felder erhal-ten, die die größten Chancen haben, Innovationen vonmorgen zu liefern, und die als Wachstumstreiber neueBeschäftigung schaffen. Doch Entschlusskraft bei derPrioritätensetzung vermisse ich leider bei der Union. Siewollen gerne, dass überall ein bisschen geforscht wird.Ich fürchte, dass uns das letztlich gar nichts bringenwird.In Ihrem Antrag fordern Sie mehr Versorgungssi-cherheit durch „die Entwicklung hin zu einer dezentra-len Energieversorgung“. Aber „die heutige Struktur derStromversorgung mit Großkraftwerken“ soll erhaltenbleiben. Was wollen Sie denn nun? Entscheiden Sie sichdoch, ob Sie eine dezentrale oder eine zentrale Strom-versorgung wollen. Wie heißt es so schön: Ein entschlos-sener Mensch kann mit einem Schraubenschlüssel mehranfangen als ein unentschlossener mit einem ganzenWerkzeugladen.Unser Ziel ist eine am Leitbild der Nachhaltigkeitausgerichtete, qualitativ hochwertige und umweltver-trägliche Energieversorgung. Das erfordert den Einsatzmodernster Technologien und natürlich den Ausbau dererneuerbaren Energien.Deutschland ist heute Europas führender Energie-standort in Bezug auf Produktion, Verbrauch und Tech-nologie. Nur mit Spitzenleistungen bei Forschung, Ent-wicklung und modernsten Energieerzeugungsanlagenwird der Energie- und Industriestandort Deutschlandauch weiterhin für hochwertige Dienstleistungen undProdukte international attraktiv und wettbewerbsfähigbleiben.
Das gilt für die Versorgung in unserem Land genausowie für den Export. Was brauchen wir dafür? Ich denke,wir brauchen dafür eine optimierte Verknüpfung von pri-vater und öffentlicher Forschung und Entwicklung.FbzdMifGndMIfDrdbKaGwdEonfliuvieWebFIPsSFAKwbtedhnKw
Des Weiteren brauchen wir Markteinführungs- undodernisierungsanreize. Damit stärken wir wieder diennovationseffizienz. Damit schaffen wir Wertschöp-ung, Investitionen und Beschäftigung in Deutschland.urch die Liberalisierung ist der Wettbewerbsdruck be-eits angestiegen. Deutschland steht unter Handlungs-ruck. Da geht es uns nicht viel anders als unseren Nach-arn in der Europäischen Union. Rund 80 Prozent allerraftwerke in Europa sind älter als 30 Jahre. Man nimmtn, dass ab 2010 der europaweite Neubaubedarf einerößenordnung von rund 200 000 Megawatt habenird. Das ist ungefähr das Doppelte des derzeitigeneutschen Kraftwerkbestandes.Weltweit wird die nachholende Industrialisierung derntwicklungsländer und der Schwellenländer zu einerrdentlichen Steigerung der Nachfrage nach sicherer,ach umweltverträglicher und nach bezahlbarer Energieühren. Diese Entwicklungen sehen wir alle ganz deut-ch in China und in Indien. Der Energiehunger ist enormnd er wird noch steigen. Wir müssen also ohnehin in-estieren. Bei diesen ohnehin notwendigen Investitionenn Deutschland und im internationalen Kraftwerksparkrgeben sich riesige Chancen, auch für den Klimaschutz.ir wollen eine Initiative „Hightech für Effizienz undrneuerbare Energien“, deren Früchte wir natürlich aucheim Export ernten werden.Mir ist der Punkt wichtig, wie wir die Ergebnisse beiorschung und Entwicklung zeitnah in ganz konkretenvestitionsvorhaben umsetzen. Dabei müssen wirotenziale ausschöpfen, aber auch politische und wirt-chaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigen. Alstichworte nenne ich: Emissionshandel, Regulierung,inanzierung in Bezug auf Binnenmarkt und Steuern.ll das müssen wir zusammenbringen.Das Ziel dabei sollte sein: die Stärkung der deutschenompetenz im Anlagenbau, bei Forschung und Ent-icklung sowie bei IT im Sinne eines Forschungsver-undes. Lasst uns die Komponenten Anlagenbau, Sys-mtechnik und Netzintegration zusammenführen!Das Erringen der Marktführerschaft auf dem Gebieter fossilen Kraftwerke bildet die Grundlage für einenohen deutschen Wertschöpfungsanteil. Was die Moder-isierung von deutschen, aber auch von ausländischenraftwerken, insbesondere ab 2010, angeht: Pro Kraft-erksblock – nehmen wir einmal, Pi mal Daumen, einen
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Dr. Axel BergWert von 600 Megawatt an – können Modernisierungs-maßnahmen im Anlagenbau inklusive Zulieferer, Ingeni-eure etc. einen Beschäftigungseffekt von über6 000 Arbeitsplätzen ausmachen. Das ist doch etwas.Hinzu kommt der substanzielle Klimaschutzeffekt.Allein die konsequente Umsetzung auf der Grundlagedes heutigen Standes der Technik und eine Steigerungder Effizienz bei deutschen Kraftwerken von 35 Prozentauf 47 Prozent könnte eine Kohlendioxidreduzierungvon 2,5 Milliarden Tonnen bis 2020 möglich machen.Das bedeutete bis 2020 eine CO2-Reduktion von40 Prozent und entspräche damit den Zielen der „Ener-gieagenda 2010“.Wir müssen die Energieforschungsmittel also ver-stärkt in Technologieforschung auf dem Erneuer-bare-Energien-Sektor und in den Sektor der Effizienz-technologien umleiten und die Ergebnisse müssen wirauch den mittelständischen Unternehmen zugänglichmachen.
Public-Private-Partnership-Modelle sind bei diesen For-schungsprojekten unter Beteiligung der Industrie beson-ders zu fördern.Deswegen schließe ich mich Ihrer Forderung nach ei-nem nationalen ressortübergreifenden Energiefor-schungsprogramm an. Wir wissen, dass die Zeit despreiswerten, stets verfügbaren Erdöls zu Ende geht. Wirmüssen jetzt die Weichen für eine positive wirtschaftli-che Entwicklung in Deutschland stellen. Die Energiefor-schung gehört genauso wie die Bildungs- und die Wis-senschaftspolitik insgesamt zu den Grundpfeilernunserer Vorsorge.
Inhalte eines solchen Programms müssen sein: DieVerringerung des Energiebedarfs ist anzustreben. Die Ef-fizienz muss mindestens um den Faktor 4 erhöht werden.Erneuerbare Energien und Effizienztechnologien solltenhöchste Priorität haben – bei der Grundlagen- und beider Projektforschung. Die Zusammenarbeit der For-schungseinrichtungen mit dem Forschungsverbund Son-nenenergie und anderen Wissenschaftsbereichen, die et-was mit Energie zu tun haben, muss besser vernetztwerden. Außerdem müssen wir natürlich an die Spei-chertechnologien denken. Sie sind in Deutschland bisheretwas stiefmütterlich behandelt worden, was auch ver-ständlich ist. Man hat ja kein Problem, Kohle oder Erdöljahrelang zu lagern; es funktioniert danach genauso gutwie vorher. Aber die Energiespeicherung in dezentralenSystemen und die Mehrfachverwertung von Energiemüssen wir jetzt richtig angehen.Wir haben hier Potenziale von bisher nicht vorstellba-ren Quellen. Denken Sie an Geothermie! Denken Sie andie Meere, die Wellen-, Strömungs- und Gezeitenkraft-werke! Es gibt viele spannende und schöne Sachen. Ichdenke auch an die biogenen Kraftstoffe.dSDSEzavs–hkAwlühduSphzßFTmsdglgFrnSvl
urch die Aufstockung der Mittel gemäß der Lissabon-trategie müsste das locker zu machen sein.Wir haben unseren Antrag mit dem Titel „Nationalesnergieforschungsprogramm vorlegen“ im letzten De-ember eingebracht. Nach der politischen Dynamik unduch marketingtechnisch ist es verständlich, dass Sieon der CDU/CSU einen eigenen Antrag vorlegen müs-en.
Lieber Axel Fischer, Ihre Aufregung darüber, dasseute nicht über den SPD-Antrag beraten wird, ist etwasünstlich. In der sich anschließenden Beratung wird Ihrntrag einbezogen. In der zweiten und dritten Lesungerden die beiden Anträge gemeinsam behandelt. Viel-eicht ist das auch wieder einmal eine Chance, von denblichen Ritualen entsprechend den herrschenden Mehr-eiten abzugehen.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Danke. Ich komme zu meinem letzten Satz. – Nach
en üblichen Ritualen kommt im Zweifelsfall natürlich
nser Antrag durch. Deswegen – das wirklich als letzten
atz – bitte ich Ihre Energiepolitiker und Forschungs-
olitiker, die wirklich eine konstruktive Arbeitshaltung
aben, ihre Vorstellungen einfach in unseren Antrag ein-
ubringen. Es gibt jede Menge Überschneidungen – au-
er halt bei der Atomkraft.
Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In derat, es gibt viele Überschneidungen – das kann man im-er wieder feststellen –, es gibt aber auch viele Unter-chiede. Wir haben beispielsweise schon 2003 die Bun-esregierung aufgefordert – insofern stimmen wir,laube ich, mit der CDU/CSU überein –, uns doch end-ich einmal ein aktualisiertes Energieforschungspro-ramm vorzulegen. Da müssen nicht immer nur dieraktionen tätig werden; wir haben auch eine Bundes-egierung. Eine solche Aktualisierung haben wir immeroch nicht. Obwohl der Bundesregierung eine riesigechar von Experten im eigenen Apparat sowie auch vonermeintlichen und tatsächlichen Experten aus ihrem po-itischen Milieu zur Verfügung steht, ist dazu bisher
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Hellmut Königshausnoch nichts gekommen. Alle Ihre Redner tun immer so,als könne man Ihre Parteitagsbeschlüsse eins zu eins um-setzen. Was ist denn nun? Wann kommen Sie da endlichaus dem Knick? Muss die Opposition alles machen
oder können wir damit rechnen, dass hier auch einmaldie Bundesregierung aktiv wird?
Es geht hierbei schließlich um eine existenzielle Fragefür unser Land; denn wir brauchen wirklich neueEnergien. Das meine ich jetzt ausnahmsweise einmal
– auf Sie komme ich gleich zu sprechen – nicht nur imübertragenen Sinn.Energieforschung ist wirklich eine der entscheiden-den Herausforderungen unserer Zeit. Noch, trotz der rot-grünen Eskapaden, besitzt Deutschland die Fähigkeiten,die wirtschaftliche Kraft sowie das wissenschaftlicheund technische Potenzial, sich den künftigen Herausfor-derungen und insbesondere der eben schon angesproche-nen Verknappung der herkömmlichen Energieträger zustellen. Aber Sie müssen die Mittel dann natürlich auchzielgerichtet dafür einsetzen.Heute importieren wir bereits über zwei Drittel derPrimärenergie und wir befinden uns demzufolge in einerextremen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeitvon anderen. Diese Abhängigkeit – das ist völlig klar –wird sich noch weiter verschärfen.
– Ich gehe gleich auf Sie ein.Für Deutschland steht also sehr viel auf dem Spiel.Wir müssen deshalb bei der Lösung der energiepoliti-schen Aufgaben ohne ideologische Scheuklappen, dafürmit Verlässlichkeit und Berechenbarkeit vorangehen.
Rot-Grün tut das, wie wir wissen, nicht.
Wir reden über die Energieforschung. In der Lehremuss aber ebenfalls Kontinuität gewahrt bleiben; auchdas passiert nur zu selten. Denn auch dort, wo es Ihnennicht in den Kram passt, müssen wir weiterforschen,etwa in der Kernforschung. Ich meine – das habe ichauch in Ihren Beiträgen gehört –, dass es nach wie voreine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Hochschu-len, den Forschungsinstituten und der Wirtschaft in derEnergieforschung gibt. Diese müssen wir stärken.70 Prozent der Forschung werden von der Wirtschaft ge-tragen. Die Wirtschaft braucht aber eine zeitnahe Amor-tisation; sie kann nicht einfach in die Welt hineinfor-schen. Sie braucht Verlässlichkeit.vdlasgddWwcDwHvadSdd––hWhsmrDAkgtkut
Natürlich tun Sie das.
Nein, ich höre nicht auf. Auch wenn Sie es nicht gerneören, müssen wir es Ihnen sagen.Die Bundesregierung geht einen sehr gefährlicheneg der Abkopplung, den wir uns international über-aupt nicht leisten können. Wir sind jedoch nicht so ein-eitig wie Sie. Wir haben nie gesagt, dass alles, was Sieachen, falsch sei. Unbestreitbar spielen die erneuerba-en Energien im Gesamtkontext eine bedeutende Rolle.as wollen wir überhaupt nicht in Abrede stellen.
ber sie müssen für einen breiten Einsatz in ein Gesamt-onzept eingebunden sein, insbesondere bei den Ener-iespeichertechnologien oder beim Wasserstoff.
Wir wollen zu rationellen Energieübertragungs-echnologien kommen. Wir wissen, dass das viel Geldostet. Wir müssen dieses Geld aber aufbringen, weilns Sparsamkeit am falschen Ende nach aller Erfahrungeurer zu stehen kommt. Deshalb wollen wir mit Ihnen
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Hellmut Königshauszusammenarbeiten. Schließlich handelt es sich um Zu-kunftsinvestitionen in den Standort Deutschland. Wirsind zur Kooperation bereit.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Josef Fell,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich will ein paar Worte zu Herrn Fischer sagen.Ein großer Teil Ihrer Rede hat das Thema verfehlt;
denn wir reden heute über Energieforschung und nichtüber Markteinführung, über dena-Studien oder sonst et-was. Ich denke, es hätte Ihnen gut getan, wenn Sie sichdarauf konzentriert hätten.Dass Sie die Energieforschungsmittel, die auch ausunserer Sicht zu gering angesetzt sind, mit den Mittelnaufrechnen, die wir als Soforthilfe für die Tsunamiopferzur Verfügung stellen –
– Sie haben das in Ihrer Rede aufgerechnet –, ist fürmich ganz schlimm; denn die Opfer brauchen diese Mit-tel ganz dringend, und zwar unabhängig davon, wie hochdie Mittel für die Energieforschung sind. Ich muss schonsagen: Das hat mich sehr entsetzt.
Energie – da stimme ich all meinen Vorrednern zu,ausdrücklich auch denen von der Opposition – ist dasFundament der Weltwirtschaft. 80 Prozent unserer Ener-gie wird aus fossilen und atomaren Ressourcen erzeugt.Dabei muss man wissen, dass dieses Fundament derWeltwirtschaft und das Fundament für unseren Wohl-stand selbst die größte Bedrohung für unseren Wohl-stand und die Weltwirtschaft darstellt. Warum?Zum einen kommen 80 Prozent aller Klimagasemis-sionen aus der Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erd-gas. Wie stark die Klimaveränderungen in dieser Weltbereits unsere Wirtschaft und die Menschen bedrohen,das wissen wir seit einigen Jahren; denn seitdem nehmendie Schäden immer mehr zu. Das hat die MünchnerRück aufschlussreich zusammengestellt.Zum anderen müssen wir feststellen, dass diesesEnergiesystem zu fast 90 Prozent auf begrenzten und zurNeige gehenden Ressourcen, einschließlich der atoma-ren, begründet ist. Dies muss uns doch noch mehr er-sFkddRFsarlEeibSctSfEkSttdssslwMKk5DdbddzeMwd
ie sprechen hauptsächlich von Kernenergie und vonossilen Energien.
rneuerbare Energien spielen für Sie nur eine ganzleine Rolle. Den Aspekt der Energieeinsparung habenie übrigens völlig vergessen. Das ist nicht unsere Inten-ion in Bezug auf den Umgang mit Energie.Auch die Energieforschung muss sich anderen Gebie-en zuwenden. Es reicht nicht alleine ein Beharren aufer Kernenergie. Das wird schon deutlich, wenn manich anschaut, wie viele Mittel für die Kernenergiefor-chung ausgegeben wurden. Mein Kollege Axel Berg istchon darauf eingegangen. Ich will Ihnen aber die Zah-en noch einmal genau nennen: In den letzten 50 Jahrenurden in der gesamten OECD etwa 80 Prozent allerittel für Energieforschung für die Erforschung vonernspaltung und Kernfusion ausgegeben. Herausge-ommen ist dabei ein minimales Ergebnis: NurProzent des Weltenergiebedarfs werden so gedeckt.ieses stellt also den größten Forschungsflop der Weltar; dem hohen Aufwand an Forschungsmitteln steht eineschämendes Ergebnis gegenüber.
Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass mithilfeer Kernfusion, in die riesige Geldbeträge gesteckt wur-en, noch nicht eine einzige Kilowattstunde Strom er-eugt wurde und auch in den nächsten 50 Jahren keinntsprechender Reaktor zu erwarten ist.
an redet davon, dass man den ITER implementierenill. 7 Milliarden Euro Forschungsgelder sollen allein inen Bau gesteckt werden. Aber auch dann werden wir
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Hans-Josef Fellerst in 30 Jahren wissen, ob wir in 50 Jahren einen ent-sprechenden Reaktor zur Stromerzeugung bauen kön-nen. Ich halte solche Pläne für absurd.Wir müssen also die Mittel konzentrieren. Vor diesemHintergrund will ich etwas zur Kohleforschung sagen.Das CO2-freie Kohlekraftwerk rückt ja immer mehr inden Blick. Von der Kohleindustrie werden große Geld-beträge für die Forschung daran angemahnt. Ich kannmich gut erinnern: Letzte Woche hat der Präsident desWorldwatch Institute, Christopher Flavin, angeregt, dassdoch die Energiewirtschaft selbst, die in den letztenJahrzehnten mit ihren Kohlekraftwerken Dutzende,wenn nicht Hunderte Milliarden Euro verdient hat undzugleich die Atmosphäre mit Kohlendioxid vollgepumpthat, die Mittel für die Finanzierung der Forschung an derClean-Coal-Technik aufbringen sollte. Ich halte diesenVorschlag des Präsidenten des Worldwatch Institute fürgut.Ich möchte noch einen Vorschlag unterbreiten. Wirsollten heute festlegen – das würde ich gerne mit demKoalitionspartner diskutieren –, dass ab 2020 kein Koh-lekraftwerk mehr CO2 emittieren darf.
Daraus würde sich eine enorme Dynamik für die Erfor-schung dieser Technologie ergeben. Dann werden wirsehen, ob sie sich am Markt etablieren kann und ob siekostengünstig umgesetzt werden kann. Ich glaube aber,dass das nicht der Fall sein wird.Die Enquete-Kommission hat uns vorgerechnet, dassdie Zusatzkosten für CO2-Sequestrierung zwischen3,5 und 9 Cent im Jahr 2020 liegen werden. Diese Kos-ten kommen zu den Kosten der Stromerzeugung hinzu.Damit würden die CO2-freien Kohlekraftwerke höhereStromerzeugungskosten haben, als sie heute bei einemgroßen Teil der erneuerbaren Energien anfallen. Dieskann nicht das Ziel sein.Ich denke, wir sollten uns – so wie wir das vor-schlagen – auf erneuerbare Energien und Energieeinspa-rungen konzentrieren. Im Gegensatz zu den Aussagenvon Herrn Axel Fischer ist klar: Hier hat die Bundes-regierung bereits neue und effektive Maßnahmen ergrif-fen. Wir haben beispielsweise bei der solarthermischenStromerzeugung, bei der Geothermie, bei der Wind- undWasserkraft herausragende Erfolge zu verzeichnen, diejetzt in unternehmerisches Handeln umgesetzt werden.Auf diesem Weg werden wir weitermachen. Wir wer-den die Forschungsförderung im Bereich der Energieein-sparung und der erneuerbaren Energien weiter ausbauen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich,
CDU/CSU-Fraktion.
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Wenn Sie diese Frage mithilfe der exzellenten deut-chen Wissenschaftler beantworten wollen, dann müs-en Sie optimale Rahmenbedingungen für ihre Arbeitchaffen. Sie von Rot-Grün machen aber genau das Ge-enteil. Sie schaffen keine optimalen Rahmenbedingun-en, sondern Sie zerstören sie.
um einen kürzen Sie in unverantwortlicher Weise dieorschungsmittel im Energiebereich. Zum anderen ver-ngen Sie das Spektrum der Forschung, indem Sie be-timmte Bereiche von vornherein aus ideologischenründen ausblenden. Ich nenne beispielsweise die Kern-nergie.
Sie sind mit dieser Politik dabei, deutsche wissen-chaftliche Exzellenzen auf dem Gebiet der Kernenergie,er Sicherheitstechnik und im Bereich des Ingenieurwe-ens zu gefährden. Nachwuchsforscher verlassen diesesand – ich sage das, lieber Herr Küster, weil Sie sichorhin so echauffiert haben –, da sie unter der rot-grünenegierung in ihrem Forschungsbereich Kernkraft keineerspektive mehr sehen.
ie zerstören damit das volkswirtschaftliche Gut Wissennd Sie schädigen damit das wissenschaftliche Potenzialieses Landes in unverantwortlicher Weise.
Herr Berg, Sie haben vorhin Ihren Antrag vom De-ember erwähnt. Darin stellen Sie fest, dass Sie eineachhaltige Energiegewinnung wollen.
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Dr. Hans-Peter Friedrich
Daneben wollen Sie eine größere Unabhängigkeit vonden fossilen Energieträgern. Aber Sie ziehen die fal-schen Schlussfolgerungen. Wenn wir nämlich unabhän-gig von Öl oder Gas werden wollen, dann dürfen Sie dieKernenergie als alternative Energie zu Öl und Gas nichtausblenden, sondern müssen sie in den Fokus Ihrer Be-trachtungen stellen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fell?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Dr. Friedrich, Sie haben gesagt, dass die
Wissenschaftler und auch die Unternehmen aus
Deutschland abwandern würden, weil hier entspre-
chende Rahmenbedingungen nicht vorhanden wären. Ist
Ihnen bekannt, dass in Garching bei München der große
Weltkonzern General Electric ein neues Forschungszen-
trum in Deutschland aufgebaut hat?
Die Begründung dafür war, dass am Wirtschaftsstandort
Deutschland – nicht am Wirtschaftsstandort Bayern –
die Forschungsaktivitäten herausragend sind und dass
die rot-grüne Bundesregierung und das Parlament politi-
sche Rahmenbedingungen geschaffen haben, die das
Fundament in der Energieforschung in Bezug auf erneu-
erbare Energien sind, worauf das Unternehmen seine
Aktivitäten besonders konzentrieren will.
Lieber Herr Kollege Fell, das ist der entscheidendePunkt. Nicht zufällig sind nämlich diese Unternehmerbzw. Investoren nach München gegangen.
Dort hat die Bayerische Staatsregierung das ThemaGarching seit vielen Jahrzehnten zu einem Schwerpunktder bayerischen Forschungspolitik gemacht. Es istBayern gewesen, das die Rahmenbedingungen in dieserFrage sehr exzellent herausgearbeitet hat.
Darauf sind wir – das sage ich hier als Bayer – stolz.
Ihre Politik hilft uns nicht weiter. Die Politik des Aus-stiegs aus der Kernenergie, liebe Kollegen von Rot-Grün, macht uns abhängiger von Öl und Gas als jemalszuvor. Wir brauchen deshalb einen Energiemix, einenMix aus allen Energieträgern, und eine Energiefor-schung, die innerhalb dieses Mix die Nutzung laufendverbessert und optimiert.slzWasEhDtGDddwrdedugjlBgfEaMJmÜsmwbbSgecd
ie Energieforschung muss die Wettbewerbsfähigkeiter Energieträger verbessern, selbstverständlich auch dieer regenerativen Energien. Aber es ist ein Denkfehler,enn Sie glauben, die Wettbewerbsfähigkeit der regene-ativen Energien dadurch stärken zu müssen, dass Sieie anderen Energieträger sozusagen künstlich verteu-rn. Die Konsequenz ist nämlich, dass die Industrie undamit Arbeitsplätze aus unserem Land verschwindennd Sie in Deutschland sozusagen künstlich eine Ener-iekrise schaffen, von der wir wissen, dass sie die Kon-unktur abwürgt und Möglichkeiten eines konjunkturel-en Aufschwungs vernichtet.
Die Energieforschung findet – das ist vom Kollegenerg angesprochen worden – auch in der Wirtschaft inroßem Umfang statt, aber leider nicht mehr in dem Um-ang, wie es noch vor zehn Jahren der Fall war. Wenn Sienergieforschung wollen – das hat Kollege Königshausngesprochen –, dann müssen Sie den Unternehmen dieöglichkeit geben, ihre Kapitalbasis zu verbreitern.ede Entlastung der Unternehmen ermöglicht es ihnen,ehr – auch in die Energieforschung – zu investieren.
Deswegen appelliere ich an die Forschungspolitiker:berlassen Sie die Umsetzung von Forschungsergebnis-en den Unternehmen! Denn sie wissen am besten, wiean das, was in der Grundlagenforschung erarbeitetorden ist, in marktfähige Produkte umarbeitet. Dazurauchen sie keine politischen Ratschläge.
Letzter Punkt. Es gibt in der Bevölkerung ein Grund-edürfnis nach individueller Mobilität. Das ist eintück Freiheit; das brauchen unsere Bürger. Die Ener-ieforschung muss diesen Bereich schwerpunktmäßiginbeziehen; denn die Lebensqualität auch in den ländli-hen Räumen in unserem Land hängt davon ab, wie wiriese Mobilitätsmöglichkeiten in der Zukunft absichern.
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Dr. Hans-Peter Friedrich
Es wäre gut, wenn wir als Land der Automobilindustrieunsere führende Rolle gerade in der Antriebstechnik be-halten würden.Die Energieforschung ist einer der Schlüsselbereichein der Forschungspolitik. Sie ist ökonomisch, ökologischund sozial von größter Relevanz. Schaffen Sie in derEnergieforschung endlich ein Klima der Vielfalt, derFreiheit, der Innovationen und der Offenheit nach allenRichtungen und hören Sie auf, rot-grüne Ideologie zumMaßstab für die Forschungspolitik in Deutschland zumachen! Nur so können Sie den weiteren Absturz diesesLandes verhindern.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dieter Grasedieck, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Dr. Friedrich, wir müssen aus dem Jam-mertal heraus. Das, was Sie hier dargestellt haben, istnicht die Realität in Deutschland.
Ich muss Ihnen sagen: Ich habe manchmal das Ge-fühl, dass Sie Ihre eigenen Anträge nicht richtig durchle-sen. Denn in vielen Bereichen stimmen wir – das mussman feststellen – absolut überein. In einem Kernbereichunterscheiden wir uns natürlich; aber in vielen Bereichensind wir einer Meinung. Ich will gleich einige Punkte an-führen.Herr Königshaus, Sie sprachen von der Sicherheitder Nuklearenergie. Schauen Sie sich doch einmal un-seren Haushalt an! Die Bundesregierung fördert schonseit Jahren die Sicherheitsforschung im Bereich der Nu-klearenergie, und zwar konstant mit rund 120 Millionen.Sie sollten sich unseren Haushalt einmal etwas genaueransehen.Wir wollen eine zukunftsfähige und zukunftssichereEnergieforschung, die in den kommenden Jahren ver-antwortungsvoll gestaltet werden kann. Sie fordern vonder Bundesregierung mehr Geld für erneuerbare Ener-gien. Wir stellen dafür schon seit 1998 mehr Mittel zurVerfügung und dies bauen wir immer weiter aus. Auchhier ist es wichtig, sich einmal den Haushalt etwas de-taillierter anzusehen.
Sie stellen unter anderem fest – das ist ganzinteressant –, dass die Förderung der erneuerbaren Ener-gien zu mehr Arbeitsplätzen führt. Das ist eine völligneue Erkenntnis seitens der CDU/CSU.Sab–SssdfwmKsIsdrCtsduhnENcWegKWbuKCdtM
chauen Sie sich einmal die Situation in diesem Bereichn! Seit 1998 haben wir eine Steigerung der Zahl der Ar-eitsplätze zu verzeichnen.
Sie können gleich eine Zwischenfrage stellen, wennie Lust haben. Das ist ja möglich.
1998 gab es 60 000 qualifizierte Arbeitsplätze, heuteind es über 120 000 Arbeitsplätze im Bereich des Ma-chinenbaus und der Windenergie. Ich könnte noch an-ere Punkte aufführen.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sieordern auch mehr Forschungsmittel für Biomasse. Dasird bereits seit 1998 gemacht. Außerdem fordern Sieehr Mittel für Kompetenznetzwerke. Wir fördernompetenznetzwerke bzw. Clusterbildungen bereitseit 2000 sehr intensiv. Wir legen Wert darauf, dass diendustrie mit den Universitäten und den Instituten zu-ammenarbeitet. 94 Clusterbildungen sind dort entstan-en.Sie sehen also, dass die Bundesregierung viele Forde-ungen erfüllt hat. Ich kann nur sagen: Das ist späteDU/CSU-Erkenntnis. Abschreiben ist wahrlich ein gu-es Kompliment für die Politik der Koalition.Die CDU/CSU fordert allerdings auch mehr For-chungsmittel für den Bau von Kernkraftwerken. Anieser Stelle sagen wir: Nein, wir brauchen eine sicherend verantwortungsvolle Forschung. Herr Fischer, Sieaben Nachhaltigkeit in der Forschung gefordert. Ist esachhaltig, wenn man weiß, dass es keine Lösung für diendlagerung des radioaktiven Abfalls gibt?
ein, wir glauben, dass unsere Kinder eine zukunftssi-here und zukunftsfähige Energieerzeugung brauchen.ir setzen deshalb auf erneuerbare Energien sowie aufffiziente Gas- und Kohlekraftwerke und auf Einsparun-en.Die CDU/CSU schreibt in ihrem Antrag, dass wirernenergie für die heimische Anwendung brauchen.er baut denn Kernkraftwerke und wo werden sie ge-aut? Wenn Sie sich einmal mit Vertretern der Industrienterhalten, werden Sie feststellen, dass niemand einernkraftwerk bauen will. Vor zehn Jahren hat der Veba-hef in einer Diskussion in Bonn darauf hingewiesen,ass es sich nicht lohne, Kernkraftwerke zu bauen. Ers-ens seien sie zu teuer – das ist ein wichtiger Faktor; imoment kostet es 2 Milliarden – und zweitens sei das
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Dieter GrasedieckUranvorkommen begrenzt. Seine Aussage war, dass dieUranvorräte in 25 Jahren erschöpft sein werden. Interes-sant ist auch der Bericht der „Financial Times“, in demdarauf hingewiesen wird, dass die Uranpreise enorm ge-stiegen sind. Im Januar 2004 kostete ein Pfund Urannoch 7 Dollar, heute müssen 21 Dollar dafür gezahltwerden. Mit weiteren Preissteigerungen ist zu rechnen.So schreibt die „Financial Times Deutschland“.Ferner muss man berücksichtigen: Fast die Hälfte derUranvorräte stammt aus Militärbeständen. Diese Vorrätewerden aber in 15 Jahren zu Ende gehen; das kann manberechnen. Deshalb sagen die Vertreter der Energiewirt-schaft: Ein Kernkraftwerk ist nicht wirtschaftlich. –Nein, wir brauchen eine zukunftsfähige und sichereEnergieforschung.Deshalb setzen wir erstens auf erneuerbare Ener-gien.
Kollege Fell sprach schon davon, dass dadurch viele Ar-beitsplätze geschaffen wurden. 60 000 Arbeitsplätzesind im Bereich der Windenergie entstanden. Sie forderndas doch auch in Ihrem Antrag, Herr Fischer. Lesen Siesich doch Ihren Antrag einmal durch! Auf diesem Gebietsind die Bundesregierung und die Koalition erfolgreich.Wir sind bei den erneuerbaren Energien Weltmeister.Zweitens brauchen wir von der Industrie, aber auchvon der Bundesregierung Mittel zur Erforschung effi-zienter Techniken bei der Erzeugung von Strom ausBraun- und Steinkohle. Wir brauchen die Clean CoalTechnology, die uns hilft, die Wirkungsgrade erheblichzu verbessern. Wir sind auf diesem Sektor weltweit füh-rend. Da müssen wir weitermachen, weil unser Ziel dasCO2-freie Kraftwerk ist. Das wäre zudem auch noch einExportschlager für unsere Industrie.Drittens wollen wir auch noch weitere Potenziale beider Energieeinsparung ausschöpfen.Wir Sozialdemokraten sind für eine sichere, zukunfts-fähige und verantwortungsvolle Forschung. Machen Sieeinfach dabei mit und lesen Sie sich Ihren Antrag etwasgenauer durch! Wir haben ja noch Zeit; wir werden dasberaten.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage aufDrucksache 15/4507 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse zu überweisen, wobei die Federfüh-rung, abweichend von der Tagesordnung, beim Aus-schuss für Wirtschaft und Arbeit liegen soll. Gibt es dazuanderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.AhmÜcaasZH1)
Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, VeronikaBellmann, weiteren Abgeordneten und der Frak-tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Verlängerung der Übergangsfristbei der Weiterbildungsförderung im Falle ge-setzlich festgelegter Ausbildungsdauer– Drucksache 15/4385 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussb) Erste Beratung des von den Abgeordneten DirkNiebel, Daniel Bahr , Rainer Brüderle,weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDPeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Si-cherung der Weiterbildungsförderung bei ge-setzlich festgelegter Ausbildungsdauer– Drucksache 15/4147 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussDie Rednerinnen und Redner Hans-Werner Bertl,lexander Dobrindt, Markus Kurth und Gudrun Koppaben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deshalb kom-en wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wirdberweisung der Gesetzentwürfe auf Drucksa-hen 15/4385 und 15/4147 an die in der Tagesordnungufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazunderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstFriedrich , Hans-Michael Goldmann,Joachim Günther , weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDPTransparenz und Wettbewerb im öffentlichenSchienenpersonennahverkehr– Drucksache 15/2752 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
HaushaltsausschussDie Rednerinnen und Redner Karin Rehbock-ureich, Enak Ferlemann, Albert Schmidt ,orst Friedrich und die Parlamentarische Anlage 2
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14309
(C)
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerStaatssekretärin Angelika Mertens haben ihre Redenebenfalls zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wirdÜberweisung der Vorlage auf Drucksache 15/2752 andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Mittwoch, den 26. Januar 2005, 13 Uhr, ein.Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unserenZuhörern auf der Besuchertribüne ein schönes Wochen-ende.
Die Sitzung ist geschlossen.