Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-
gesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung
des Vermittlungsausschusses zu Fernabsatzverträgen auf
Drucksache 15/4062 zu erweitern. Der Punkt soll nach
Tagesordnungspunkt 18 aufgerufen werden. Sind Sie mit
dieser Vereinbarung einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Verbesserung des unfallversicherungs-
rechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Enga-
gierter und weiterer Personen
– Drucksache 15/3439 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung des unfallversicherungs-
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rechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Enga-
gierter und weiterer Personen
– Drucksache 15/3920 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit und Soziale Sicherung
– Drucksache 15/4051 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen de
des Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein Entsc
antrag der Fraktion der FDP vor.
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Das gilt auch für Auszubildende. Auch sie müssen einRecht auf Hilfe nach einem Unfall haben. Wir halten esim Sinne eines sozialen Rechtsstaates nicht für verein-bar, diese jungen Menschen von wesentlichen Teilen desSchutzes der Unfallversicherung auszuschließen.Dass bei den Berufsgenossenschaften bzw. den Un-fallkassen im Organisationsbereich einiges verbessertwerden muss, pfeifen inzwischen die Spatzen von denDächern. Dabei können, nein müssen wir über die inhalt-lichen Ziele, über Fusionen, sicherlich neue Wege gehen.Die Erfahrungen mit der Rentenorganisation oder denlandwirtschaftlichen Alterskassen zeigen uns aber, dassman hier nichts über das Knie brechen darf.Ich finde es gut, dass wir, SPD und Bündnis 90/DieGrünen, hierzu einen Entschließungsantrag eingebrachthaben. Ziel ist, dass auf Staatssekretärsebene eineArbeitsgruppe eingerichtet wird, die in spätestens vierJahren Ergebnisse vorlegen soll. Bis dahin gilt ein Mora-torium, das verhindern soll, dass diejenigen, die bei dergewerblichen Berufsgenossenschaft versichert sind,durch Umfirmierung wechseln können.Abschließend möchte ich noch einmal verdeutlichen:Heute ist ein guter Tag für bürgerschaftlich Engagierte.Ihre Tätigkeit wird sicherer; denn nicht selten sind dieehrenamtlich geleisteten Tätigkeiten mit Gefährdungsri-siken verbunden. Diese Tätigkeiten erfordern den solida-rischen Schutz der Gesellschaft, der nun durch das Ge-setz verstärkt wird.
Man stelle sich vor, es gäbe bei uns keine Sportver-eine, Musikvereine oder andere kulturelle Vereine. Wirwären in diesem Land ein ganzes Stück ärmer. Mancheunserer Kinder könnten keinen Teamgeist oder sozialeKompetenz entwickeln. Auch manche Rettungseinrich-tungen wären ohne ehrenamtliche Mitarbeiter nicht zuhalten. Etliche Kommunen bedienen sich ebenfalls derKompetenz und des Engagements vieler Bürger, was– nebenbei bemerkt – dem Steuerzahler sehr viel Geldspart.Mit dem Gesetz wollen wir den ehrenamtlich Tätigennicht – wie sonst üblich – einen warmen Händedruck ge-ben und Dankeschön sagen, sondern einen Schutz imEhrenamt bieten. Ich bitte Sie daher, dem Gesetzentwurfzuzustimmen.
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Die eher grundlegenden Regelungen, die mit der Geset-zesvorlage des Bundes getroffen werden, gehen dem lan-desseitigen Sicherheitsnetz vor.Mit dem heutigen Beschluss werden der Kreis der ge-setzlich und freiwillig zu Versichernden ausgeweitet, dieMöglichkeit geschaffen, per Satzung Ehrenamtliche inden Versicherungsschutz zu bringen, Zuständigkeitender öffentlichen Unfallversicherungsträger und der ge-werblichen Berufsgenossenschaft geregelt, Regelungenüber das Entstehen des Versicherungsschutzes sowie Re-gelungen zur Beitragsberechtigung getroffen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bei den Bera-tungen Ihres Gesetzentwurfes gelegentlich auftretendeBedenken zurückgestellt und den nach der Stellung-nahme des Bundesrates von der Regierungskoalition ein-gebrachten Änderungsanträgen weitgehend und dem Ge-setzentwurf in der geänderten Fassung am Ende ganzzugestimmt.Lediglich zur Regelung der Zuständigkeit der Ver-sicherungsträger und zur Frage, wie im Zuge einer Ge-samtreform der Sozialversicherung die Unfallversiche-rung auf die gewandelten Bedingungen des europäischenBinnenmarktes auszurichten ist – der Kollege GeraldWeiß wird sich dieses Themas nachher annehmen –, ha-ben wir einen Entschließungsantrag – er wurde nochnicht eingereicht – erarbeitet, der sich von dem der Ko-alition wesentlich unterscheidet.Ihre Ablehnung unseres Antrags – er ist zumindest imGesundheitsausschuss abgelehnt worden; so viel möchteich dazu nur sagen – wird die Notwendigkeit der Beant-wortung der damit verbundenen Fragen nicht von derTagesordnung verschwinden lassen. Das Ganze wird unsbegleiten.
Im Gegenteil: Bei Nichtstun werden sich die Pro-bleme der gesetzlichen Unfallversicherung verschärfen.Insofern besteht dringender Handlungsbedarf. Wir müs-sen noch in dieser Wahlperiode und nicht erst in dernächsten nach Wegen suchen, um die gesetzliche Un-fallversicherung auf gesunde Füße zu stellen.AFrsdwdmFsAgKsgmdASPta–adeawBgsnmssssbwVweswrfisvseVkin
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Deshalb muss unbedingt eine Regelung geschaffen wer-den, die für alle durchsichtig ist. Da ist eine Nachbesse-rung notwendig.
– Jeder fühlt sich betroffen.Noch ein Wort zur Schülerunfallversicherung, weilsie vorhin angesprochen worden ist. Dabei ging es nurum die Differenz zwischen Gesundheitsschadenaus-gleich und Erwerbsschadenausgleich, darum, ab wanndie Rente gezahlt wird, ab dem Tag, an dem die Schuleoder das Ausbildungsverhältnis beendet wird, oder auchschon vorher.Alles in allem – damit bin ich schon am Schluss –kommen wir mit unserer Zustimmung zu den Änderun-gen des SGB VII der schon lange erhobenen Forderungnach, dem bürgerschaftlichen Engagement in Deutsch-land Anerkennung zu zollen und der zunehmenden Be-deutung des Ehrenamts in unserer Gesellschaft Rech-nung zu tragen.Ich danke fürs Zuhören und freue mich unwahr-scheinlich darüber, dass wir endlich einmal etwas ge-meinsam verabschieden. Das könnten wir öfter tun.
Ich erteile Kollegen Markus Kurth, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
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Bürgerschaftliches Engagement ist ein Engagementür den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft.er sich ehrenamtlich betätigt, übernimmt Verantwor-ung für andere und für die Gesellschaft. Gerade in Zei-en, in denen wir den Sozialstaat umbauen und die Ei-enverantwortung erhöhen, nimmt bürgerschaftlicheshrenamtliches Engagement auf jeden Fall zu. Es isticht so, dass wir professionelle Angebote durch ehren-mtliches Engagement ersetzen wollten; aber allein daseispiel der rechtlichen Betreuung zeigt, dass wir ohnehrenamtlich Engagierte in Teufels Küche kämen. Wennir zum Beispiel keine ehrenamtlichen Betreuer vonicht Geschäftsfähigen hätten, wenn wir das alles übererufsbetreuer leisten müssten, wären die Kosten füren Staat sehr hoch.Aus diesem Grund ist es für Bündnis 90/Die Grünenegrüßenswert, dass mit dem vorliegenden Gesetzent-urf ein bedeutendes Zeichen gesetzt wird. Dass dieolidargemeinschaft auch für die Gefährdungsrisikenintritt, die mit dem ehrenamtlichen Engagement ver-unden sind, ist ein wichtiges Symbol.Die Enquete-Kommission „Bürgerschaftliches En-agement“ hat in ihrem Bericht sehr deutlich darauf hin-ewiesen, dass es nicht Sache des einzelnen Engagiertenein kann, die mit dem Engagement verbundenen Risi-en abzusichern. Es kann auch nicht erwartet werden,ass sich diejenigen, die sich unentgeltlich für unser Ge-einwesen einsetzen, im Schadensfalle mit der eigenenrivaten Haftpflichtversicherung auseinander setzenüssen. Erst recht geht es nicht an, dass sie völlig ohneersicherungsschutz dastehen.Von daher sehen wir es in diesem Hause gemeinsamit der CDU/CSU als vordringliche engagementpoliti-che Aufgabe an, für einen angemessenen Unfallversi-herungsschutz der Engagierten zu sorgen. Aus diesemrunde freue ich mich sehr, dass wir nun hier und heuteiesen Gesetzentwurf verabschieden und vom nächstenahr an mehr als 1,5 Millionen Menschen einen umfas-enden Unfallversicherungsschutz bieten können.Im genannten Bericht der Enquete-Kommission wirdoch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sichäufig weder die Engagierten noch die Vereine oder Or-anisationen der Gefahren bewusst sind, denen ehren-mtlich Engagierte alltäglich ohne eine ausreichendebsicherung ausgesetzt sind. Anlässlich dieses Gesetz-ntwurfs habe auch ich mir noch einmal Gedanken da-über gemacht, wie ich selbst als Jugendlicher und jun-er Erwachsener unbekümmert als Jugendgruppenleiterosgezogen bin. Welche Risiken ich dabei teilweise ein-egangen bin, wird mir erst jetzt klar, da wir über diesenesetzentwurf beraten. Ich freue mich, dass wir hieretzt für eine grundlegende Sicherheit sorgen können.
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Markus KurthEs geht aber nicht nur darum, diejenigen versiche-rungsrechtlich abzusichern, die sich bereits seit langemehrenamtlich engagieren. Vielmehr verfolgen wir mitdem vorliegenden Gesetz auch das Ziel, die Akzeptanzunentgeltlicher Arbeit zu stärken. Gemäß dem Ur-sprungsentwurf profitierten vor allem diejenigen vondieser Neuerung, die sich in Kommunen, Kirchen, Ge-werkschaften und Arbeitgeberorganisationen engagie-ren. Ich möchte auf eine wichtige Änderung, die wir vor-genommen haben, hinweisen: Wir eröffnen nun auchden Unfallversicherungen die Möglichkeit, individuellin ihren Satzungen zu regeln, welche weiteren Gruppenehrenamtlich Tätiger in den Versicherungsschutz einbe-zogen werden können. Dadurch können auch gemein-nützige Vereine und freie Initiativen leichter für Unfall-versicherungsschutz ihrer Engagierten sorgen. Damitkommen wir dem Ziel näher, alle Formen freiwilligerTätigkeit in ihrer ganzen Breite in den Versicherungs-schutz einzubeziehen.Vergessen wir nicht: Die Zukunft unserer Demokratieund unseres Gemeinwesens hängt im Wesentlichen da-von ab, ob wir es schaffen, dass sich in Deutschland einelebendige Zivilgesellschaft entwickelt, die das Engage-ment möglichst vieler zur Entfaltung bringt. Demokratielebt von Beteiligung, auf allen Ebenen und in allen Or-ganisationsformen.Im Laufe des Gesetzgebungsverfahren haben dieFraktionen von SPD und Bündnisgrünen weitere Ände-rungen eingebracht, die vor allen Dingen darauf abziel-ten, die Zustimmung des Bundesrates zu erhalten, umdas Gesetz pünktlich zum Jahresanfang in Kraft treten zulassen. Dazu gehört auch die Regelung, dass für privati-sierte Unternehmen der Länder und Kommunen für dieDauer von fünf Jahren der derzeitige Unfallversiche-rungsträger zuständig bleibt. Meine Damen und Herrenvon der Opposition, Sie haben diese Regelung zwar kri-tisiert, aber wollen deswegen dem Gesetz Ihre Zustim-mung nicht verweigern. Das freut mich. Man muss je-doch sehen, dass auch die unionsgeführten Länder imBundesrat sehr vehement auf einer dementsprechendenRegelung bestanden haben. Indem wir einem Wunschder Länder nachgekommen sind, wollen wir dafür sor-gen, dass dieses Gesetz schneller den Bundesrat passiertund in Kraft treten kann.
Ich denke, dass wir mit dem genannten Moratoriumund den Berichten, die gemäß unserem Entschließungs-antrag eingefordert werden sollen, Regelungen gefundenhaben, wodurch sichergestellt wird, dass die Länderkam-mer zustimmen kann. Damit kann das von diesem Ge-setz ausgehende Signal zu mehr Engagement möglichstbald seine Wirksamkeit entfalten.Vielen Dank.
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ollten wir jetzt nicht den Eindruck erwecken, als ob dernfallversicherungsrechtliche Schutz Ehrenamtlicherit dem heutigen Tag vollkommen neu erfunden würde.chon heute können sich viele Betroffene, zum Beispielewerkschaftlich Tätige, auf eine gute, teilweise sogaressere – wie wir in der Anhörung gehört haben – Absi-herung stützen. Wäre es anders, müsste aus unserericht auch die Frage, ob sich die Mehrausgaben für alleommunen zusammen tatsächlich bei nur 150 000 Euroewegen, neu aufgeworfen werden.
Leider – das ist der Wermutstropfen, den ich in dieebatte einbringen muss – entscheiden wir heute nichtur über die von uns unterstützten Verbesserungen fürhrenamtlich Engagierte, sondern auf Wunsch der Re-ierungskoalition und zugegebenermaßen auf Drängenes Bundesrats zugleich über Zuständigkeitsabgren-ungen zwischen öffentlichen Unfallkassen und ge-erblichen Berufsgenossenschaften bei Unternehmenit öffentlicher Beteiligung. Die FDP lehnt die sachwid-ige Verbindung dieser beiden zusammenhanglosen Ma-erien in einem Gesetzgebungsverfahren ab. Die Neure-elung der Zuständigkeiten in der Unfallversicherungetrifft grundlegende Fragen der Abgrenzung zwischenffentlicher und gewerblicher Unfallversicherung undedarf deswegen einer sorgfältigen Vorbereitung. Aus
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Dr. Heinrich L. Kolbdiesem Grund fordern wir, dass die Ergebnisse der ge-meinsamen Arbeitsgruppe der Unfallkassen und der Be-rufsgenossenschaften, die an Lösungen der Zuständig-keitsabgrenzungen arbeitet, abgewartet werden.Die FDP-Fraktion lehnt die vorgelegte Neuregelungder unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeiten vonBerufsgenossenschaften und öffentlichen Unfallkassenaber auch inhaltlich ab. Der Gesetzentwurf der Regie-rungskoalition sieht vor, die grundsätzliche Zuständig-keit der gewerblichen Berufsgenossenschaften für er-werbswirtschaftlich tätige Unternehmen mit öffentlicherBeteiligung abzuschaffen und eine generelle Zuständig-keit der öffentlichen Unfallkassen für Unternehmen mitöffentlicher Beteiligung oder ausschlaggebendem öf-fentlichen Einfluss festzulegen.Erwerbswirtschaftlich tätige Unternehmen mit öffent-licher Beteiligung würden damit im Ergebnis nicht mehram Lastenausgleichsverfahren der Berufsgenossenschaf-ten beteiligt werden. Das führt – das muss man deutlichsehen und auch benennen – zu Wettbewerbsvorteilen
– nein, das ist ein wichtiger Punkt, Herr Dreßen; ichwerde ihn gleich noch vertiefen – gegenüber privatenWettbewerbern, die bei den BerufsgenossenschaftenBeiträge entrichten und am Lastenausgleichsverfahrenbeteiligt sind.Aus unserer Sicht bedeutend ist, dass es bei diesenstrittigen Fällen nicht nur um Unternehmen aus dem Be-reich der Daseinsvorsorge geht, beispielsweise Kranken-häuser, die mehr oder weniger zufällig in privaterRechtsform betrieben werden. Die neue Rechtslage führtdazu, dass beispielsweise auch kommunale oder andereöffentliche Gebäudereinigungsbetriebe, die zum Beispielin Nordrhein-Westfalen insgesamt Lohnsummen imdreistelligen Millionenbereich auszahlen, von den Bei-trägen an die Berufsgenossenschaften und vom Lasten-ausgleich ausgenommen würden, weil dann die Unfall-kassen für sie zuständig wären. Das ist aus unserer Sichtnicht tragbar,
nicht nur weil es aus einzelwirtschaftlicher Sicht zu Ver-zerrungen kommt, sondern auch weil – das ist ganz ent-scheidend – dadurch einzelne Berufsgenossenschaftenbis zu 25 Prozent ihres Mitgliederbestandes verlierenwürden und damit selbst im Bestand gefährdet wären,was in der Konsequenz zu einer weiteren Verschärfungin der Frage des Lastenausgleichs zwischen den Berufs-genossenschaften führen würde.Deswegen hat die FDP-Bundestagsfraktion einenEntschließungsantrag eingebracht, in dem sie fordert,dass erwerbswirtschaftlich tätige Unternehmen – obmit oder ohne öffentliche Beteiligung – gleichen Wettbe-werbsbedingungen unterstellt werden. Wegen der darge-legten ordnungspolitischen Bedenken gegen die sach-widrige Erweiterung wird sich die FDP-Fraktion,obwohl sie das Grundanliegen der Ausweitung des un-ftikmgztÜntkWWasmsGswrrEnMmWltSrJivcAn
nsgesamt der Stimme enthalten.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatsse-
retär Franz Thönnes.
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Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kolle-en! Herr Dr. Kolb, Sie haben über den Teil des Geset-es gesprochen, der durch eine Initiative des Bundesra-es in den Entwurf aufgenommen wurde. Wir haben einebergangsregelung gefunden, die Ihrer Skepsis Rech-ung trägt und zu einem guten Ergebnis führt. Wir soll-en aber auf den Kern der heutigen Beratungen zurück-ommen.
ir beraten ein Gesetz, von dem wir hoffen, dass seineirkung nie genutzt werden muss. Denn wir wünschenll denjenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, dassie bei ihrem Engagement keine Unfälle erleiden. Dannuss dieser Schutz auch nicht greifen. Aber die Men-chen sollen bei ihrem ehrenamtlichen Engagement dieewissheit haben, dass sie den Unfallversicherungs-chutz der Solidargemeinschaft haben, wenn einmal et-as passiert.
Gerade die ehrenamtlich Engagierten haben ein An-echt darauf, dass wir ihnen diese Sicherheit und Solida-ität in unserer Gesellschaft geben. Sie sorgen mit ihremngagement dafür, dass unser Gemeinwesen funktio-iert. Sie sorgen dafür, dass alte und pflegebedürftigeenschen Zuwendung bekommen, vielleicht sogarehr, als das ansonsten in unserer durchorganisiertenelt möglich wäre.Sie sorgen auch dafür, dass bei schwieriger finanziel-er Lage in den Kommunen die eine oder andere Leis-ung fortgeführt werden kann, sei es der Betrieb deschwimmbades und der Bibliothek, sei es die Renovie-ung des Klassenzimmers. Sie sorgen mit dafür, dass dieugendlichen in ihrer Freizeit auf dem Fußballplatz oderm Schachclub ihre Zeit sinnvoll gemeinsam mit anderenerbringen können. Ferner sorgen sie in vielen Berei-hen dafür, dass kranke oder behinderte Menschen einennsprechpartner haben, auf den sie sich verlassen kön-en.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das gesellschaftliche Leben wird durch bürgerschaftli-
ches Engagement bunter und vielfältiger. Vor allen Din-
gen gilt: Unser soziales Netz wird dadurch viel dichter
und sicherer, als wir es jemals durch gesetzliche Rege-
lungen gestalten könnten.
Deswegen will ich all denjenigen, die sich in diesen
Bereichen engagieren und einsetzen, ein großes Danke-
schön von dieser Stelle sagen. Sie leisten einen uner-
messlichen Beitrag für die Stabilität unserer Gesell-
schaft. Sie sind sozusagen das soziale Gesicht der
Gesellschaft in Deutschland.
Nun sagt man zwar „Ehre, wem Ehre gebührt“, aber
die bildhaften Lorbeeren, die man sich damit vielleicht
verdienen kann, schmücken zwar das Haupt, schützen es
allerdings nicht. Deswegen wollen wir zur Anerkennung
und zum Schutz des bürgerschaftlichen Engagements
den Kurs fortsetzen, den wir in der Vergangenheit mit
Erleichterungen und Verbesserungen eingeschlagen ha-
ben.
Ich erinnere daran, dass die Übungsleiterpauschale
auf 1 848 Euro angehoben worden ist. Inzwischen gilt
sie als steuerfreie Einnahme. Ich erinnere daran, dass
auch die Neuregelung der 400-Euro-Minijobs in Kombi-
nation mit der Übungsleiterpauschale neue Gestaltungs-
spielräume geschaffen hat,
die dazu beitragen, dass die Honorierung der Übungslei-
ter im Sportbereich steuer- und abgabenfrei ist. Das sind
nur zwei Beispiele.
Wir führen mit dem heutigen Gesetz weitere Verbes-
serungen ein. Wir wollen, dass diejenigen, die sich für
die Mitmenschen und für das Gemeinwohl engagieren,
Dankbarkeit erfahren und dass ihnen soziale Anerken-
nung zuteil wird. Und wir wollen ihnen den dringend
notwendigen Schutz zukommen lassen.
Nun wissen wir, dass wir nicht jede einzelne Tätigkeit
gesetzlich versichern können. Wir konzentrieren uns da-
her auf bestimmte Gruppen. Ich will zwei Gruppen he-
rausgreifen. Künftig ist derjenige versichert, der im Auf-
trag und mit Einwilligung der Kommune Aufgaben
erledigt, die eigentlich kommunale Aufgaben sind.
– Nein. Hier ist eine Einwilligung notwendig. – Die
Menschen sollen wissen, dass sie gesetzlich versichert
sind, wenn sie beispielsweise helfen, das Klassenzimmer
zu renovieren oder im Sommer Aufsicht in einem
Schwimmbad zu führen.
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Kollege Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Riegert?
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Aber selbstverständlich.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Problem derchieds-, Kampf- und Wertungsrichter nur kurz ge-treift. Es besteht in der Tat das Problem, dass dieseicht gewählt und daher keine Amtsträger im Vereinind. Ich möchte eine Aufforderung in eine Frage
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Klaus Riegertkleiden: Sind Sie mit mir einer Meinung, dass wir versu-chen sollten, diesen Bereich, der im Sport eine wichtigeFunktion hat, aber ähnlich wie die Justiz unabhängigsein muss, in den Versicherungsschutz des Gesetzes auf-zunehmen?F
Herr Riegert, wir hatten eine ähnliche Fallkonstella-
tion – Herr Kolb hat dies angesprochen – bei den Ge-
werkschaften. Wir hatten zunächst vorgesehen, dass die-
jenigen, die bei den Gewerkschaften und den
Arbeitgeberverbänden in einem Ehrenamt tätig sind,
„zwangsversichert“ werden. Wir haben uns darüber in-
formiert, wie es dort mit dem Versicherungsschutz aus-
sieht, und haben dann gesagt: Lasst uns das auf freiwilli-
ger Basis regeln; denn es gibt bereits eine Menge an
Versicherungsvereinbarungen, die die Verbände selbst
getätigt haben.
Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen: Unsere
Grundlinie ist zwar klar; aber wir wollen versuchen, in
Gesprächen mit dem Deutschen Sportbund ein bisschen
mehr Klarheit zu erreichen. Dann werden wir schauen,
welche Möglichkeiten es an dieser Stelle gibt, damit
auch die von Ihnen genannten Personen versichert sind.
Wir müssen aber auch sehen, inwieweit sie schon jetzt
versichert sind. Ich glaube, darin sind wir uns einig.
Ich freue mich auch darüber, dass wir uns hier im
Hause insgesamt einig sind. Denn eigentlich ist die heu-
tige Stunde eine Nagelprobe – ich bitte Sie, das nicht ab-
wertend zu verstehen – in Bezug auf unsere sonntäg-
lichen Reden auf Verbandstreffen.
Da sagen wir auch immer, dass wir das Ehrenamt stärken
wollen. Heute können wir das durch Handaufheben ge-
meinsam beweisen und helfen, dass dies in der Praxis
umgesetzt wird. Ich hoffe, alle tragen dazu bei, dass der
Bundesrat das ebenfalls möglich machen wird. Denn ich
bin mir sicher: Der Dank der Ehrenamtlichen
wird unserer gesamten Gesellschaft zugute kommen und
mit dazu beitragen, dass wir in dieser sich rasant verän-
dernden Welt weiterhin ein gutes, stabiles Netz sozialer
Sicherheit haben.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Gerald Weiß, CDU/
CSU-Fraktion.
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Deshalb machen wir mit – dies ist ein Stück Gemein-
amkeit und findet parteiübergreifend statt –, wenn es
arum geht, den Unfallversicherungsschutz Ehrenamtli-
her zu verbessern. Das ist ein großer Schritt in die rich-
ige Richtung. Er schafft bessere Rahmenbedingungen
ür die Menschen im Ehrenamt. Diese Leistungsverbes-
erung wurde im Konsens beschlossen. Dieser Konsens
st die angemessene Antwort auf das, was in der Gesell-
chaft an Selbstverantwortung und Mitverantwortung
eleistet wird. So weit, so gut!
Nicht gut finden wir, dass die rot-grüne Regierungs-
oalition – nach dem Prinzip „Gute Fracht, schlechte
eiladung“ – sachwidrig eine im Ergebnis falsche Rege-
ung in dieses Gesetzeswerk, das wir gemeinsam befür-
orten, hineingepackt hat. Diese Kritik können wir Ih-
en nicht ersparen.
Es geht um eine Neuregelung der Zuständigkeit für
etriebe und Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung:
n Zukunft sind die öffentlichen Unfallkassen und nicht
ehr die Berufsgenossenschaften für sie zuständig.
ollege Kolb hat das hier völlig zutreffend dargestellt.
Heute ist es so, dass die Unternehmen, die in den ge-
erblichen Berufsgenossenschaften organisiert sind, am
astenausgleichsverfahren teilnehmen. Das gilt natür-
ich auch für die Unternehmen, die privatisiert wurden,
eispielsweise kommunale Krankenhäuser, die etwa als
tadtkrankenhaus GmbH rechtlich neu organisiert wur-
en. Mit diesem Gesetz wird die Möglichkeit eröffnet,
en Unfallkassen beizutreten. Im Ergebnis heißt das:
an kann sich auf recht billige Weise aus der Solidari-
ät, die es bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften
urch den Lastenausgleich gibt, herausstehlen.
as ist selbstverständlich in keiner Weise zu akzeptieren.
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage desollegen Dreßen?Gerald Weiß (CDU/CSU):Ja, bitte.
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Damit halte ich es immer gut. – Kollege Weiß, das,was Sie jetzt anmahnen, steht nicht im Gesetz, sondernist in der Entschließung – in ihr wird das Moratorium ge-fordert – enthalten. Sie sind mit mir einer Meinung, dasses hierzu bei Bund und Ländern verschiedene Auffas-sungen gibt? Denn die Länder wollen eine entspre-chende Regelung. Halten Sie es deshalb nicht für richtig,dass wir diesen Weg beschreiten und ein Moratoriumbrauchen?In vier Jahren schauen wir – ich selbst habe erwähnt,dass es einige Ungereimtheiten gibt –,
ob es sich bewährt hat. In diesen vier Jahren können wireine ordentliche Reform der Berufsgenossenschaftenund der Unfallkassen hinbekommen, bei der auch fürdieses Problem eine Regelung gefunden werden kann.Sie müssen doch zugestehen, dass diejenigen, die daranarbeiten, gegensätzlicher Meinung sind. Wenn ich sehe,wie lange wir für die Rentenorganisationsreform oderfür die Reform der landwirtschaftlichen Alterskassen ge-braucht haben, dann muss ich feststellen, dass vier Jahresogar ein sehr kurzer Zeitraum sind. Die anderen habennämlich Jahrzehnte gebraucht, um die Angelegenheiteneinigermaßen in Ordnung zu bringen. Mit der Entschlie-ßung wollen wir erreichen, dass wir Zeit gewinnen unddas Problem in Ruhe behandeln können.Gerald Weiß (CDU/CSU):Herr Kollege Dreßen, manchmal stehen die Sichtwei-sen und Interessenslagen der Länder – ich selbst war25 Jahre in der Landespolitik aktiv und war vier JahreStaatssekretär in einer Landesregierung – im Wider-spruch zu dem, wofür der Bund Sorge tragen muss: Wirmüssen auch im Interesse der Beitragszahler in der ge-setzlichen Unfallversicherung handeln. Die Gewerk-schaften und die Arbeitgeber, die Selbstverwaltung, ha-ben zu Recht ihre Stimme erhoben und gesagt, dass esdurch die Regelung, die Sie treffen, im Ergebnis Wettbe-werbsverzerrungen geben wird, weil öffentliche Unter-nehmen aus den Berufsgenossenschaften austreten undzu den Unfallkassen wechseln. Diejenigen, die in denBerufsgenossenschaften zurückbleiben, müssen dannnatürlich eine höhere Beitragslast tragen.
– Nein, ich bin noch nicht fertig.
Der Beitragsdruck in der Sozialversicherung und inder Unfallversicherung, besonders in Krisenbranchen, istdoch weiß Gott schon heute viel zu groß. Deshalb ist derWeg, den Sie eröffnen, falsch.
–SbwnDvDtrBmcHDkvemSasbdwndvldgdF
as kann kein Mensch mehr korrigieren, wenn es schonier Jahre Geltung hat.
as ist eine Sackgasse. Man muss abwägen, welches In-eresse man berücksichtigen will. Wir stellen das Inte-esse der gesetzlichen Unfallversicherung und dererufsgenossenschaften in den Vordergrund. Deshalböchten wir nicht gern eine solche Regelung ermögli-hen. Auch Sie fühlen sich nicht ganz wohl in Ihreraut.
as hat Ihre Zwischenfrage bewiesen.Ich nenne folgenden Fall: Was heute eine Stadtkran-enhaus GmbH ist, kann morgen durch Umgründungielleicht Gesundheitszentrum GmbH heißen. Das wäreine neue Firma, für die dann die Unfallkasse und nichtehr die Berufsgenossenschaften zuständig wäre.
chon hat man sich auf billige Weise aus dem Lasten-usgleich gestohlen, den wir in der Berufsgenossen-chaft haben. Das ist ein völlig inakzeptabler Weg.
Ihre Reaktion im Ausschuss war bezeichnend. Sie ha-en gesagt: Wir geben jetzt noch einmal zu Protokoll,ass wir diesen Missbrauch nicht wollen. – Auch wirollen ihn nicht. Deshalb darf man ihn gesetzlich garicht erst möglich machen. Das ist unsere Folgerung ausiesem Sachverhalt.
Wir als Union sind jetzt in der Situation, dass wir denerbesserten Unfallversicherungsschutz für ehrenamt-ich Tätige, den wir wünschen, nur bekommen, wenn wiriese unliebsame Ergänzung in Kauf nehmen. Sie brin-en uns damit in eine erpresserische Situation. Aller-ings ziehen wir daraus eine andere Folgerung als dieDP.
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Gerald Weiß
Wir sagen: Der Inhalt dieses Gesetzes insgesamt ist unsnatürlich wichtiger als der Fremdkörper, den Sie drauf-setzen. Deshalb werden wir nach verantwortlicher Ab-wägung, obwohl Sie uns – das sage ich noch einmal – inunangenehmer Weise in die Situation „Friss, Vogel, oderstirb!“ bringen, diesem wichtigen Gesetz zustimmen.
Jetzt greife ich den Reformimpetus auf, den mehrereRedner in dieser Debatte angesprochen haben: Auch inder gesetzlichen Unfallversicherung gibt es Reformbe-darf. Diese Reformen dürfen nicht erst im Jahr 2008– bis dahin soll nach Ihrem Willen eine Bund/Länder-Kommission tagen – stattfinden.
Dieser Reformbedarf ist – Kollegin Kaupa hat es mitRecht ausgeführt – noch in dieser Legislaturperiode an-zugehen. Sie wollen den Zeitrahmen bis 2008 stecken.
– Nein, Sie haben gesagt, dass die Kommission bis 2008Ergebnisse vorlegen soll.Bis 2006 muss etwas passieren. Das Dringendstemuss jetzt angegangen werden. Ich nenne die Stich-worte: Verbesserung des Lastenausgleichs, Erhöhungder Effizienz und der Effektivität in der Berufsgenossen-schaft. Die organisatorische Flurbereinigung in der Be-rufsgenossenschaft muss fortgesetzt werden, und zwarbeschleunigter als in der Vergangenheit.
Es gibt ja viele sinnvolle Vorschläge. Als Beispielnenne ich: Einmalzahlung statt der lebenslangen Aus-zahlung einer Kleinrente. Wir wissen, dass viele Klein-renten, die als Ausgleich für leichtere Unfälle ein Lebenlang gezahlt werden, für die Berufsgenossenschaften ei-nen unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand be-deuten. Man sollte über eine Einmalzahlung nachden-ken.Es gibt also Reformansätze zur Flurbereinigung derOrganisation der gesetzlichen Unfallversicherung, diefortgesetzt werden müssen. Aus dieser Diskussion darfsich der Deutsche Bundestag vor dem Hintergrund derzu schaffenden Bund/Länder-Kommission nicht ausklin-ken. Vielmehr müssen wir die elende Entparlamentari-sierung der Politik beenden. Der Bundestag muss sich andieser Reformdebatte beteiligen. Er muss diese Fragenparallel zu den lobenswerten Bemühungen, die in denLändern und in der Kommission unternommen werden,aktiv erörtern und voranbringen. Daher kommen wir zufolgendem Ergebnis: In verantwortungsvoller Abwä-gung werden wir diesem wichtigen Gesetzentwurf zu-stimmen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!erte Gäste und Besucher!
ch werde etwas näher auf den Sportbereich eingehen,
icht, weil wir denken, dass der Sport etwas Besonderesst, sondern, weil es nun einmal eine unbestrittene Tatsa-he ist, dass der Deutsche Sportbund, in dem7 Millionen Bürgerinnen und Bürger organisiert sind,ie größte Bürgervereinigung in der Bundesrepublikeutschland ist. Deshalb werde ich ein paar Aspekte auser Sicht des Sports ansprechen. Es ist zwar das Schick-al der Redner, die zum Schluss an der Reihe sind, dassanches schon gesagt wurde,
ber ein paar Sätze möchte ich noch anbringen.Vor kurzem war der Präsident des Deutschen Sport-undes, Manfred von Richthofen, sowohl im Sportaus-chuss als auch im Unterausschuss „Bürgerschaftlichesngagement“ zu Gast. Ich kann mich gut daran erinnern,ass er unseren Gesetzentwurf sowohl im Sportaus-chuss als auch im Unterausschuss „Bürgerschaftlichesngagement“ begrüßt hat. Daher möchte ich diese Gele-enheit nutzen, um mich bei den Mitgliedern des Unter-usschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ ganzerzlich für ihre Arbeit zu bedanken.
Durch die geschaffenen Neuregelungen wird – auchas ist schon gesagt worden – eine Lücke im Unfallver-icherungsschutz für ehrenamtlich engagierte Bürgerin-en und Bürger geschlossen. Dadurch können bis zuMillionen weitere ehrenamtlich Tätige in den Genussieses Versicherungsschutzes kommen,
er bisher nur für ausgewählte ehrenamtliche Funktions-räger die Folgen von Unfällen im Rahmen ihres bürger-chaftlichen Engagements abfederte. Dieser Schutz wirdlso zukünftig ausgedehnt. Es werden nicht nur Trainernd Übungsleiter, sondern darüber hinaus auch alle ge-ählten Funktionsträger versichert sein.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12467
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Götz-Peter LohmannMeine Damen und Herren, lassen Sie mich ein paarZahlen nennen. Wie gesagt, in Deutschland treiben rund27 Millionen Menschen aktiv Sport, neuerdings übrigensauch wieder verstärkt Bundestagsabgeordnete. Sie tundas in fast 90 000 Turn- und Sportvereinen. Allein in denSportvereinen – diese Zahl muss man sich auf der Zungezergehen lassen – werden Jahr für Jahr von rund 2,7 Mil-lionen überwiegend ehrenamtlich tätigen Mitarbeiternrund 500 Millionen Arbeitsstunden geleistet.
Rund ein Fünftel der im Sportbereich bürgerschaftlichEngagierten sind gewählte Ehrenamtsträger, denen nunendlich die Möglichkeit eines umfassenden Unfallversi-cherungsschutzes gewährt wird.Die übrigen Zahlen, die ich noch nennen wollte, sindgrößtenteils bereits angesprochen worden. Lassen Siemich daher noch folgenden Gedanken äußern: Das Ri-siko eines gewählten Funktionsträgers in einem Sport-verein ist in der Regel geringer als das eines Trainersoder Übungsleiters, der mehrfach in der Woche aufSportplätzen oder in Sport- bzw. Schwimmhallen aktivist. Wenn einem ehrenamtlich tätigen Funktionsträger– aus welchen Gründen auch immer – dennoch etwaspassiert, soll er nach unserer Auffassung gleichermaßenabgesichert sein. Denn es ist nicht einzusehen, dass einTrainer, der in diesen Tagen während der Übungszeit aufder Sportanlage auf nassem Herbstlaub ausrutscht, inden Genuss von berufsgenossenschaftlichen Unfallversi-cherungsleistungen kommt, der Vereinsvorsitzende hin-gegen, dem auf dem Weg zur Vorstandssitzung das glei-che Missgeschick passiert, jedoch nicht.Mit dieser Ungleichbehandlung soll in ZukunftSchluss sein,
und das – darauf hat Herr Staatssekretär Thönnes hinge-wiesen – bei im Vergleich zum Nutzen relativ geringenKosten und unbürokratisch. Die Landessportbünde rech-nen mit einer sehr geringen zusätzlichen finanziellen Be-lastung; die Zahlen wurden genannt. Der zuständigeLandessportbund soll in einem einfachen Verfahren dieZahl der Versicherten melden und den Versicherungsbei-trag entrichten. Erst im Leistungsfall müssen die persön-lichen Daten des Einzelnen erfasst werden. Besonderswichtig und beruhigend für alle Ehrenamtlichen ist auch,dass die Leistungen von den Berufsgenossenschaften un-abhängig von der Schuldfrage zur Verfügung gestelltwerden müssen; damit erübrigt sich jede Art von Streitmit dem Unfallversicherungsträger über die Ansprüchedes Versicherten.
Kollege Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Kaupa?
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ass der Vorsitzende jetzt mitversichert sein soll, wissen
ir, aber es gibt ja noch mehr Leute, die ehrenamtlich tä-
ig sind.
Es ist eigentlich nicht meine Aufgabe, aber ich
öchte dennoch um etwas Ruhe bitten.
ch schätze in der Tat sehr an der hochgeschätzten Kolle-
in Kaupa, dass sie in ihrer Heimat im Kreissportbund
ine ausgezeichnete, engagierte Arbeit leistet. Ich erin-
r hat ausgeführt, dass zurzeit Gespräche zwischen deministerium und dem Deutschen Sportbund geführt wer-en. Ich weiß, dass noch Klärungsbedarf besteht; da-über sind wir uns einig. Der DSB hat das, was wir heuteeschließen wollen, begrüßt. Er will, dass es heute be-chlossen wird und dass das, was noch offen ist und ge-lärt werden müsste, besprochen wird. Wir werden ge-einsam darauf achten, dass das auch passiert.Es fällt mir jetzt doppelt schwer, doch noch auf dasinzugehen, was Sie gesagt haben, Kollegin Kaupa. Sieissen genau – ich erinnere mich an die Situation importausschuss und in dem Unterausschuss „Bürger-chaftliches Engagement“ –, dass es eine Bundesrats-nitiative gab und einen Mehrheitsbeschluss der unions-eführten Länder im Finanzausschuss des Bundesratesdiese Initiative kam aus Ihrer Richtung –, mit der al-en Ernstes die Streichung von Art. 1 Nr. 4 des Gesetz-ntwurfes, über den wir hier sprechen, verlangt wurde.ch hätte das jetzt nicht angeführt, wenn nicht dieseritik gekommen wäre, aber nun muss ich meine Zu-ückhaltung doch ablegen. Ich weiß aber auch – wir alleissen das –, dass dieser Unfug mittlerweile vom Tischst. Für uns stellt sich nur die Frage: Was ist die Ursa-he dafür, dass dieser Unfug nun Gott sei Dank vomisch ist? War es der entschiedene Brief von Manfredon Richthofen oder war es der gesunde Menschenver-tand?
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Götz-Peter LohmannZum Schluss möchte ich nur noch sagen:Menschen, die sich engagieren, haben Anspruchauf den Schutz der Solidargemeinschaft.
So lautete kürzlich die Überschrift einer Veröffentli-chung des Deutschen Sportbundes. Diese Aussage sollteunseren ungeteilten Beifall finden.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des unfall-
versicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Enga-
gierter und weiterer Personen, Drucksache 15/3439.
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4051, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und
Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der FDP
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie bei der
zweiten Beratung angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4051 empfiehlt der Ausschuss für Ge-
sundheit und Soziale Sicherung, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 15/3920 zur Verbesse-
rung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bür-
gerschaftlich Engagierter und weiterer Personen für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Diese
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen.
Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4076. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit
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Änderung der Vorschriften über Fernabsatz-
verträge bei Finanzdienstleistungen
– Drucksachen 15/2946, 15/3483, 14/3870,
15/4062 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Joachim Hacker
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
as ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
ünscht? – Das ist ebenso nicht der Fall.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Vermitt-
ungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
chäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
ag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
er stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
ngsausschusses auf Drucksache 15/4062? – Wer stimmt
agegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
st einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Helge Braun, Katherina Reiche, Thomas Rachel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Abwanderung deutscher Nachwuchswissen-
schaftler und akademischer Spitzenkräfte
– Drucksachen 15/1824, 15/3185 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
atherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Deutschland ist ein starkes Exportland und unsereuerster Exportartikel sind kluge Köpfe.Die Initiative „Neue soziale Marktwirtschaft“ hat ininer sehr drastischen Kampagne auf den Exodus derlügsten aufmerksam gemacht.
ie sehen auf dem Plakat ein Gehirn in Plastik einge-chweißt; es ist quasi versandfertig. Mit diesem Export-rtikel verdienen wir kein Geld. Das kommt uns teuer zutehen.
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Katherina ReicheBundesbildungsministerin Bulmahn hält den Brain-drain für einen Mythos; denn was nicht sein darf, daskann auch nicht sein. Wir wollten dem auf den Grundgehen und haben eine Große Anfrage gestellt. Sie habenuns geantwortet und teilten uns mit, dass Sie keine ge-sicherten Aussagen über dauerhafte oder zeitweilige Ab-wanderungen von Hochschulabsolventen und Wissen-schaftlern machen können. Gleichzeitig verkündete dieBundesbildungsministerin, es gebe keinen Braindrain.Wie das zusammenpasst, weiß ich nicht.Die Studien, auf die Sie sich beziehen, stützen IhreThesen keineswegs. Die DFG hat ehemalige Stipendia-ten befragt und festgestellt, dass von den vor zehn bis15 Jahren geförderten deutschen Wissenschaftlern heute12 bis 14 Prozent im Ausland leben. Von denen, dieEnde der 90er-Jahre gefördert wurden, leben bereits22 Prozent im Ausland. Auch andere Studien zeigen,dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu-nehmend auswandern, insbesondere in die USA.Der Braindrain ist nicht nur ein quantitatives, sondernvor allem ein qualitatives Problem. Die Besten gehen.Und von diesen Besten bleiben die Allerbesten dauerhaftweg. Schlag auf Schlag haben zwischen 1998 und 2001Deutsche für Physik und Medizin Nobelpreise geholt;allerdings forschten alle vier Laureaten in den USA.Der HRK-Präsident, Professor Gaehtgens, beschreibtden Alltag an den Hochschulen mit folgenden Worten:Wir können die Besten nicht halten. – Er schätzt, dass inden USA 400 000 in Europa ausgebildete Akademikerleben. Professor Bullinger, sonst der Kronzeuge derBundesregierung in Fragen der Innovation und Wissen-schaft, von der Fraunhofer-Gesellschaft hat genau die-selbe Erfahrung gemacht. Er sagt: Wir haben einen ho-hen Wechsel von Wissenschaftlern in die USA. Schlimmist nicht, dass die Leute gehen. Schlimm ist, dass sienicht wiederkommen.Warum geht die Elite? Warum wendet sie Deutsch-land den Rücken zu? Die Gründe des Weggangs liegenauf der Hand.
Es sind die besseren Arbeitsbedingungen; jede Befra-gung und jede Studie – ob vom Stifterverband, Berlin-Polis oder wem auch immer – weisen darauf hin. DieEliten suchen die Offenheit, den Leistungswillen, wert-volle Kontakte, flache Hierarchien und offensichtlichdas akademische Reizklima in den USA. Der Nobel-preisträger Wolfgang Ketterle bringt es wie folgt auf denPunkt: In den USA werden die jungen Leute systema-tisch aufgebaut. Wer sich bewährt, bekommt eine Stelle.In Deutschland herrscht für junge Forscher zu große Un-sicherheit. Das demotiviert. – Seit 1990 forscht er in denUSA.
Das MIT hat ihm einen Blitzaufstieg ermöglicht. Alsdann 1997 das Traumangebot von der Max-Planck-Ge-sellschaft kam, war es schon zu spät.vdkdAskkstrnrawgaWüssmnIfadMGsfDgIFBmdwwsPwkvSV
an kann es nur gebetsmühlenartig wiederholen: Grüneentechnik wird blockiert, Deutschland verabschiedetich von der Kernenergieforschung und der Transrapidährt in Schanghai.
as ist zwar alles nicht neu, aber leider hat sich nichtseändert.
Der Siemens-Vorstand Klaus Wucherer resümiert:deologische Abwehrkämpfe gegen Technik treiben dieorscher aus dem Land. – Wie reagiert die zuständigeundesbildungsministerin darauf? Wie üblich: erstensit Wirklichkeitsverweigerung, zweitens mit PR undrittens mit einem Diktat. Tolle Wissenschaftspreiseurden ausgelobt – das ist übrigens auch deshalb gut,eil man so eine Menge PR hat –, aber diese Preisechaffen keine Trendumkehr. Es gibt den Wolfgang-aul-Preis und den Sofja-Kovalevskaja-Preis, die je-eils mit mehr als 1 Million Euro dotiert sind. Damitönnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fürier Jahre in Deutschland forschen. Aber nach diesemtipendium kehren sie Deutschland wieder den Rücken.on den 14 Paul-Preisträgern blieben ganze vier in
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12470 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Katherina ReicheDeutschland, von den 29 Kovalevskaja-Preisträgernblieben ganze zehn hier.Die Ursache ist klar: Die Preisgelder helfen über eineDurststrecke hinweg, aber sie lösen nicht das strukturelleProblem.
Die Juniorprofessur hat gezeigt, dass man trotz einesrichtigen Gedankens eine fulminante Bruchlandung hin-legen kann. Frau Bulmahn ist für die Chaostage, die imHerbst 2004 an den deutschen Hochschulen stattgefun-den haben,
verantwortlich. Weil die Wahlfreiheit eingeschränktwurde und weil die Karrieremöglichkeiten unsicher sind– durch ein miserabel vorbereitetes Gesetz, das das Bun-desverfassungsgericht einkassiert hat –, hat sie es zu ver-antworten, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler verunsichert sind.
Schlimm ist in diesem Zusammenhang, dass Sie in IhrerNotreparaturnovelle die Befristungsregeln, die sich alsuntauglich erwiesen haben, eins zu eins in Kraft setzenwollen. Sie sind damit Lichtjahre von den Bedürfnissender Forscherinnen und Forscher entfernt. Wir stellen Ih-nen gerne unseren Gesetzentwurf zur Verfügung.Ich glaube, wir brauchen eine neue Politik, insbeson-dere einen anderen Ansatz für die Hochschulen. Wirmüssen dafür sorgen, dass sich die Hochschulen ihreStudenten selbst auswählen können. Wir dürfen ihnennicht verweigern, ihre finanziellen Mittel für Forschungund Lehre aufzubessern. Frau Bulmahn hat zwar mit gi-gantischen Werbeinitiativen versucht, ausländische Stu-dierende nach Deutschland zu holen, was wir begrüßen,weil wir den Kontakt zu den jungen Eliten brauchen,aber die Aktion ist nicht zu Ende gedacht. Am Mittwochhat der DAAD-Präsident im Ausschuss gesagt, dass dieAbbruchquote der ausländischen Studierenden bei über50 Prozent liegt.
Realistisch betrachtet hält er eine bessere Betreuung undHeranführung der ausländischen Studierenden an dasStudium nur dann für möglich, wenn Geld oder Beiträgeeingeworben werden können. Da weigern Sie sich ganzhartnäckig. Machen Sie den Weg für eine Stärkung derHochschulen frei, machen Sie den Weg für mehr Freiheitder Hochschulen frei! Ich glaube, das ist der richtigeWeg.
Sie werden, meine Damen und Herren von der Koali-tion und von der Bundesregierung, darauf hinweisen,dass sich auch die Länder bewegen müssen. Ja, sie müs-sen sich bewegen, aber wir sind hier im Deutschen Bun-dHTHrkwuDSzDasgmO–dsBdnWagsdtBz
erden Sie ihn in diesem Jahr erneut kürzen, und zwarm 63 Millionen Euro.
iesmal geschieht das durch die Hintertür, durch eineperrung des Titels bis zur Abschaffung der Eigenheim-ulage.
as ist eine unseriöse Politik. Dieser Betrug wird Ihnenuf die Füße fallen.
Ein letzter Punkt: Viele exzellente deutsche Wissen-chaftler haben den Eindruck, dass sie in Deutschlandar nicht erwünscht sind und man sich nicht um sie küm-ert. Es gibt eine Privatinitiative, die German Scholarsrganization –
hinter ihr stehen insbesondere Unternehmen –, die sicharum bemüht, deutsche Wissenschaftlerinnen und Wis-enschaftler nach Deutschland zurückzuholen. ImMBF hat man gesagt, das sei eine klasse Idee, man be-anke sich – und die GSO hat nie wieder etwas vom Mi-isterium gehört.
enn Sie das effektive Politik nennen, dann weiß ich esuch nicht.Wir müssen jetzt alle Kräfte bündeln, die notwendi-en Reformen vorantreiben und den Nachwuchswissen-chaftlern in Deutschland eine Chance bieten, damit ausem Braindrain ein Braingain wird.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Ute Berg, SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!raindrain, das Bild abwandernder Gehirne, geistert zur-eit durch viele bildungspolitische Diskussionen, so
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Ute Bergauch heute hier. Das ist ein Szenario, das sicherlich somanchen Horrorfilmregisseur inspirieren würde. Ichkann Ihnen aber versichern: Das Bild ist falsch.
Die dauerhafte Abwanderung von hoch qualifiziertenWissenschaftlern ins Ausland – auf gut neudeutsch:Braindrain – findet so nicht statt. Deutsche Wissen-schaftler und deutsche Studierende gehen zwar ins Aus-land, aber sie kehren auch zurück. Genauso kommenausländische Forscher hierher und kehren später in ihreHeimatländer zurück. Es handelt sich also um einenAustausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern.
nau das wollen wir!)Um im Fachjargon zu bleiben: Es handelt sich um Brain-circulation. Dies ist in Zeiten zunehmender Internationa-lisierung ausdrücklich gewünscht und erforderlich. DieDeutsche Forschungsgemeinschaft zum Beispiel hat ineiner Studie festgestellt, dass drei Viertel ihrer Stipendia-ten Auslandserfahrungen sammeln, von denen aber85 Prozent später wieder in Deutschland arbeiten.Dass Deutschland eine weitgehend ausgeglicheneWanderungsbilanz an Wissenschaftlern hat, hat auchdie OECD in einer internationalen Untersuchung vomJuni 2001 festgestellt. Darin weist sie auch darauf hin,dass der internationale Austausch für die beteiligtenLänder große Vorteile hat und insbesondere stimulierendfür innovative Entwicklungen wirkt.Nicht ohne Grund verlangen Arbeitgeber in Wirt-schaft und Wissenschaft Fremdsprachenkenntnisse undinternationale Erfahrung.
Besonders für Forscher, die sich auf dem internationalenParkett bewegen wollen, sind Auslandsaufenthalte vonexistenzieller Bedeutung. Aber auch die Erfahrungenmit den kulturellen Gepflogenheiten im Gastland sowiedie gesellschaftlichen Kontakte, die sich dort ergeben,nützen unserem Land langfristig.Nicht von ungefähr legen Firmen und Hochschulenzunehmend Wert auf interkulturelle Kompetenz. Auchdeshalb arbeiten wir mit aller Kraft daran, das deutscheBildungswesen zu internationalisieren. Deshalb ist unszum Beispiel auch der Erfolg des Bologna-Prozesses sowichtig. Wir wollen die Einführung von Bachelor- undMasterstudiengängen in Deutschland und europaweitforcieren. Wir brauchen nämlich den wissenschaftlichenAustausch. Deshalb wollen wir vergleichbare Ab-schlüsse und Studieninhalte, um bis zum Jahr 2010 eineneinheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen.Wir wollen, dass sich unsere Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler international vernetzen. Darüber hi-naus wollen wir ausländische Spitzenwissenschaftler inueRnewinsszh3suDsinRfslfERsSdPsStubbr–ü
Nach der verfehlten Technologiepolitik der Kohl-egierung,
ach drastischen Kürzungen im Forschungshaushalt undinem enormen Rückgang der Forschungs- und Ent-icklungsaktivitäten in den 90er-Jahren –
n diesem Zusammenhang empfehle ich die Lektüre ei-es „Spiegel“-Artikels vom 9. September 1996, über-chrieben mit dem Titel „Wir verlieren die Köpfe“ – hatich diese Bundesregierung von Anfang an darauf kon-entriert, Bildung und Forschung zu stärken. Seit 1998aben wir die Ausgaben in diesem Bereich um rund6 Prozent erhöht. Aber nicht nur in finanzieller Hin-icht, sondern auch strukturell wurde seitdem viel getan,m die Attraktivität des Wissenschaftsstandortseutschland zu steigern.
Mit ihrer Initiative zur Einführung der Juniorprofes-ur – die Sie allerdings kurzfristig gestoppt haben; aberzwischen geht die Entwicklung wieder in die richtigeichtung – hat die Bundesregierung attraktive Stellenür junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ge-chaffen, auf denen sie früh selbstständig forschen undehren können.
Dank der Reform des Hochschulzugangs und der Pro-essorenbesoldung können die Hochschulen autonomentscheidungen treffen, die – das wird Sie freuen, Fraueiche – bei der Anwerbung von Spitzenkräften wichtigind. Aber auch mit speziellen Förderprogrammen – dieie eben in Misskredit zu bringen versucht haben – wieem Bio-Future-Preis und dem Emmy-Noether-rogramm bietet die Bundesregierung dem wissen-chaftlichen Nachwuchs interessante Förderangebote.o erhält dieser die Möglichkeit, sich frühzeitig für Lei-ngsaufgaben zu qualifizieren.Bedeutende Schritte zur Verbesserung der Rahmen-edingungen für den Wissenschafts- und Forschungs-ereich sind zudem die Modernisierung des Zuwande-ungsrechts und der Ausbau der Kinderbetreuung.
Genau: gegen den erklärten Widerstand der CDU/CSUber einen langen Zeitraum.
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12472 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Ute BergAuch Frau Süssmuth konnte Sie leider nicht rechtzeitigauf die richtige Bahn bringen.Aber wir dürfen uns nicht auf unseren Erfolgen ausru-hen. Vielmehr müssen wir stetig an Verbesserungen ar-beiten.In Ihrer Großen Anfrage zum Braindrain sprechenSie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wich-tige Punkte an, nämlich die Investitionen in Bildung undForschung und die Spitzenförderung. Vor genau siebenTagen haben Sie in diesem Haus den Vorschlag der Bun-desregierung abgelehnt, durch die Streichung der Eigen-heimzulage ungefähr 6 Milliarden Euro für Forschung,Wissenschaft und Bildung zu mobilisieren.
Sie fordern zwar permanent höhere Bildungsausgaben,lehnen es aber ab, die notwendige Finanzierung sicher-zustellen und dafür eine Subvention abzubauen, die an-erkanntermaßen nicht mehr zeitgemäß ist.
Genau das gleiche Verhalten legen Sie bei der Spit-zenförderung an den Tag. Sie bestätigen zwar, dass aka-demische Spitzenkräfte ein wichtiger Standortfaktorsind, und fragen, ob die Bundesregierung wirklich vor-hat, die wissenschaftliche Elite zu fördern, wohl wissendim Übrigen, dass die Regierung bereit ist, allein im Rah-men ihrer Exzellenzoffensive dafür 285 Millionen Eurojährlich zur Verfügung zu stellen.
– Richtig, zusätzlich. – Aber gleichzeitig blockieren dieunionsgeführten Länder dieses Vorhaben. Seit drei Mo-naten liegt der Vorschlag der Bundesregierung zur Ex-zellenzförderung in der Bund/Länder-Kommission aufEis. Es wäre sehr verdienstvoll, wenn Sie mit der ganzenIhnen zur Verfügung stehenden Überzeugungskraft Ein-fluss auf Ihre Parteifreunde in den Bundesländern neh-men würden, meine lieben Kolleginnen und Kollegenvon der CDU/CSU-Fraktion.
Dann würde sich unsere Position im Hinblick auf dieAnwerbung von Spitzenkräften nach Deutschland– „Braingain“ genannt – weiter verbessern. Dann könn-ten auch Sie ruhiger schlafen, ohne sich mit Albträumenüber „abwandernde Gehirne“ quälen zu müssen.Sie sehen, dass die Bundesregierung eine Menge tut,um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu för-dern und Deutschland als Standort attraktiv zu machen.Nun müssen aber auch Sie sich fragen lassen, liebe Kol-leginnen und Kollegen von der Opposition, welchenBeitrag Sie dazu leisten wollen.
Meine Empfehlung: Reden Sie den Standort Deutsch-land nicht weiter schlecht und geben Sie Ihre Blockade-hbwnutfdtlümtcDdHuOwgnagüwWEquisaahebmk
Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Frak-
ion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aus-ührungen von Frau Reiche und Frau Berg haben eineseutlich gezeigt: Unser großes Manko – auch in der heu-igen Debatte – ist, dass wir nicht über verlässliche Zah-en debattieren. Wir führen eine fast virtuelle Debatteber etwas, das wir alle offensichtlich erahnen und im-er wieder sehr gerne ansprechen, nämlich dass die bes-en Köpfe dieses Land verlassen. Aber die diesbezügli-hen Statistiken sind alles andere als aussagekräftig.eshalb lautet unsere erste Forderung: Die Bundeslän-er müssen sich endlich bereit erklären, verlässlicheochschulstatistiken auf den Tisch zu legen. Das istnser Problem.
bwohl Sie diesen Gedanken im Rahmen der KMK, dieir seit langem abschaffen wollen, offensichtlich verfol-en, kann ich keine Verbesserung der Situation erken-en. Das ist das eine.Ich stimme der Bundesregierung in ihrer Antwortusdrücklich zu, dass eine quantitative Bewertung des soenannten Braindrains deutlich zu kurz greift. Wenn wirber dieses Thema ernsthaft debattieren wollen, müssenir selbstverständlich auch über die Gewinnung vonissenschaftlern aus dem Ausland sprechen.
s ist richtig, wenn deutsche Wissenschaftler und Hoch-ualifizierte ins Ausland gehen. Wir unterstützen diesnd fordern das auch von jedem jungen Menschen, dern diesem Lande in Forschung und Wissenschaft tätigein will. Aber die jungen Menschen müssen natürlichuch wieder zurückkommen. Vor diesem Hintergrundber war Ihre Aktion, Herr Kasparick – Sie vertreten jaeute die Ministerin –, aus Sicht der FDP mehr mitleid-rregend. Das, was Sie uns bisher als Erfolg verkauft ha-en, ist alles andere als überzeugend und bewegt sichehr im virtuellen Raum, genauso wie die ganze Dis-ussion.
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Ulrike FlachIch möchte an dieser Stelle betonen: Wenn wir For-scher in dieses Land zurückholen wollen, dann müssenwir uns auch der Tatsache bewusst sein, dass es nicht nurdas Geld ist, das immer lockt. Ich kann für die FDP nursagen: Die Atmosphäre in diesem Lande stimmt nicht.Es ist die Freiheit, die den Menschen hier fehlt. Eben dasaber bekommen sie in den USA geboten. Frau Reiche,ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Die Offenheit derForschungsatmosphäre in dem Lande jenseits desOzeans lockt natürlich jeden jungen Menschen.Nach unserer ersten Forderung – bessere Statistiken –lautet unsere zweite deswegen: Ermöglichen Sie endlichdie Gedankenfreiheit, die wir in diesem Land so drin-gend brauchen!
Herr Tauss, ich sehe, was Sie mit allerlei Aktionenversuchen. Was Sie da so in Gang setzen, ist allerdingsmehr instrumentarisch. Frau Reiche hat es aufgezeigt:Vieles greift nicht. Sie haben mithilfe Ihres grünen Ko-alitionspartners nicht nur die Atmosphäre eindeutig ver-düstert, sondern Sie sind mit Ihren entscheidenden Ak-tionen auch gescheitert. Gehen Sie doch einmal in eineVersammlung mit jungen Forschern! Erleben Sie docheinmal, wie das Urteil zur bundesweiten Einführung derJuniorprofessur gewirkt hat! Es hat geradezu vernich-tend gewirkt.Oder verfolgen Sie doch einmal eine Debatte darüber,wie sich der Föderalismus in diesem Lande auswirkt!Die Föderalismusdebatte hat Unsicherheit bis weit überdie Grenzen dieses Landes hinaus hervorgerufen. Wirhaben uns vorige Tage von den Wissenschaftsattachésunserer benachbarten Länder fragen lassen müssen, wielange wir uns in dieser Debatte eigentlich noch verfan-gen wollen.
Kollegin Flach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Ungern, aber ich tue es.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Flach, Sie haben hier eine ganze
Menge Punkte angesprochen. Hatten Sie Gelegenheit,
das Protokoll unserer Anhörung zum Thema Juniorpro-
fessur nachzulesen? Zu dieser Anhörung hatten wir
Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren geladen.
Diese haben allesamt ihre Arbeitsmöglichkeiten nicht
nur als hervorragend beurteilt, sondern auch dringend
darum gebeten, dieses Instrumentarium aufrechtzuerhal-
ten und auf weitere Nachwuchsgruppen auszudehnen.
Die Anhörung hat ergeben, dass der eingeschlagene Weg
genau richtig ist. Können Sie das nicht einfach einmal
zur Kenntnis nehmen, anstatt die Situation des Wissen-
schaftsstandorts Deutschland hier mit wirklich falschen,
an den Haaren herbeigezogenen und inakzeptablen Pole-
miken, mit Ihrem – Entschuldigung! – Geschwätz be-
wusst schlecht zu machen?
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Herr Präsident, muss ich mir das eigentlich bieten las-
en?
Sie können hemmungslos widersprechen.
Ich werde auch hemmungslos widersprechen.Im Gegensatz zu Ihnen, „lieber“ Herr Tauss, war ichit der Ministerin vor wenigen Tagen auf einer Podiums-iskussion, zu der auch eine ganze Reihe von Juniorpro-essoren geladen waren. Von dieser Aktion – sie gingbrigens von der Organisation der Juniorprofessoren ineutschland aus – haben wir beide, Frau Bulmahn undch, mit nach Hause nehmen müssen, dass diese Men-chen durch dieses Hickhack natürlich schwer verun-ichert sind.
Sie wissen doch ganz genau – Herr Tauss, Sie brau-hen sich gar nicht so künstlich aufzuregen –, dass dieDP immer für die Juniorprofessur war. Wir sind aller-ings immer ein entschiedener Gegner Ihres Vorgehensm Gesetz gewesen.
ir wussten doch, dass die Länder dagegen klagen wer-en. Wir wussten doch, dass die Länder Ihnen Knüppelwischen die Beine werfen werden. Das haben wir auchn diesem Hause immer wieder besprochen.
Die FDP ist für die Juniorprofessur; aber man kannie nicht gegen die Länder durchsetzen. Bei diesem Ver-uch haben Sie Ihre große Schlappe erlebt. Herr Tauss,ir werden in wenigen Tagen erleben, wie Sie beimhema Studiengebühren erneut eine Schlappe erleiden.
assen Sie uns das doch einfach einmal nüchtern be-rachten: Die Juniorprofessur ist eine gute Sache; aberie ist von Ihnen grottenschlecht umgesetzt worden.
Wenn man sich heute die Situation in Deutschland an-chaut, erkennt man auf der einen Seite sehr schlechtmgesetzte Gesetze und auf der anderen Seite den im-er wieder unternommenen Versuch – vor allen Dingenes grünen Koalitionspartners –, Forschungsfreiheit iniesem Lande zu behindern. Unser Land wirkt nachußen doch nicht optimistisch und nicht aufbruchge-timmt. Es ist vor allen Dingen von Konsenssuche, vonnirschenden Reformrädern und von langatmigen
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12474 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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)Ulrike FlachDebatten bestimmt. Das ist doch der Grund, warum vieleLeute hier abgeschreckt werden. Wenn ich ein jungerForscher wäre, würde ich mir dreimal überlegen, ob ichhier bleibe.Ich bin geradezu entsetzt – Herr Kasparick, vielleichtkönnen Sie uns das gleich einmal erklären –, dass derHerr Bundeskanzler mitten in diesen Debatten jetztplötzlich neue Denkkulturen im Bereich der Gentechnikfordert. Herr Kasparick, während die CDU und wir seitJahren versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass wir indiesem Land auf diesem Gebiet vorangehen müssen,fängt der Bundeskanzler jetzt an zu denken.
Fazit dieser Situation: Wenn wir über abwanderndeEliten reden, dann müssen wir uns der Tatsache stellen,dass unser Land nach außen nicht mehr Forschungsop-timismus und Forschungsfreiheit ausstrahlt. Das mussverändert werden und dafür werden wir sorgen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union,in Ihrer Anfrage zur Abwanderung deutscher Nach-wuchswissenschaftler haben Sie schon im zweiten Satzeinen großen Fehler gemacht. Sie schreiben, dassDeutschland aufgrund des Rohstoffmangels besondersauf Humanressourcen angewiesen ist. Richtig ist, dassDeutschland arm an fossilen, atomaren und metallischenRohstoffen ist. Aber Deutschland ist reich an nach-wachsenden Rohstoffen und erneuerbaren Energien.Allerdings – das gebe ich zu – braucht es dafür die Er-schließung großer Humanressourcen, vor allem damitsich bei Ihnen und der FDP endlich die Erkenntnisdurchsetzt, dass wir hier große Chancen haben.
Ihre Forschungsfeindlichkeit zeigt sich genau daran,dass Sie die Blockaden für den WissenschaftsstandortDeutschland in diesen Bereichen aufrechterhalten, Sie,Frau Flach, mit Ihrem Beharren auf der Grünen Gen-technik, die 80 Prozent aller Verbraucherinnen und Ver-braucher ablehnen, Sie, Frau Reiche, mit Ihrem Behar-ren auf der Atomenergie. Glauben Sie endlich an dieanderen Bereiche! Wir haben da den besten Wissen-schaftsstandort. Sie reden ihn immer schlecht. Es ist ge-nau Ihre Wissenschaftsfeindlichkeit, die diesen Standortschlecht macht.
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Die von Ihnen gesehene Gefahr einer Abwanderungird von der OECD als völlig überschätzt bezeichnet.o kehren nach einer Studie der DFG 85 Prozent allertipendiaten wieder nach Deutschland zurück. Die An-ahl der Deutschen, die im Ausland studieren, wird füras Jahr 2000 – ich gebe zu, dass die Basis für dieseahlen erweitert werden müsste, um verlässliche Ergeb-isse zu haben – mit 50 000 angegeben. Diese Zahl isteutlich geringer als die Anzahl der Bildungsausländer,ie in Deutschland studieren, nämlich 113 000. Auchies ist ein Zeichen für den hohen Rang des Wissen-chaftsstandorts Deutschland.
Natürlich müssen wir auch dafür Sorge tragen, dassiele Studierende sowie Spitzenforscher hier in Deutsch-and beste Bedingungen bekommen. Die Bundesregie-ung hat bereits erfolgreiche Maßnahmen dazu ergriffen,um Beispiel das Emmy-Noether-Programm für exzel-ente Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, dieraduiertenkollegs, hoch attraktive Förderpreise wieen Sofia-Kovalewskaja-Preis oder den Bio-Future-reis.
All diese Maßnahmen müssen von weiteren begleitetnd ergänzt werden; denn der internationale Wettbewerbm die besten Köpfe ist eine Daueraufgabe. Sie, meineamen und Herren von der Union, haben die Bundesre-ierung erst in der letzten Woche in Ihrem Antrag zum. Forschungsrahmenprogramm aufgefordert, den Aus-ausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlernwischen forschenden Unternehmen und öffentlichenorschungseinrichtungen weiter zu erleichtern und zurhöhen. Als Mittel dafür nennen Sie einen deutlichen fi-anziellen Ausbau der Fördermaßnahmen. D’accord!
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12475
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Hans-Josef FellAber das reicht nicht aus. Hier müssen vor allem dieBundesländer dazu angehalten werden, sich im Rah-men der Tarifverhandlungen endlich für einen Wissen-schaftstarifvertrag einzusetzen. Das wäre eine ent-scheidende Basis auch für die Unterstützung, die Sieimmer anmahnen.Eine Erhöhung der Forschungsmittel, vor allem derProjektmittel, wird dazu beitragen, dass junge Wissen-schaftler überhaupt genügend Arbeit bekommen können.
Die Zwänge des engen Bundeshaushalts – das will ichhier durchaus zum Ausdruck bringen – bereiten mir tat-sächlich Sorgen. Aber ich appelliere auch an Sie, HerrKretschmer: Gehen Sie auf die Unionsministerpräsiden-ten zu mit dem Ziel, damit auch die Länder endlich ihrenBeitrag zur Erhöhung der Forschungsmittel leisten, sowie wir auf Bundesebene unseren Beitrag längst erbrachthaben!
Das ist nicht nur eine Aufgabe des Bundes. Wir stehenzur Mischfinanzierung. Also leisten auch Sie Ihren poli-tischen Input hierzu!Diese Woche hat das Kabinett einen wichtigen Schrittgetan, um die Arbeitsbedingungen an DeutschlandsHochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zu verbes-sern. Die HRG-Novelle gibt als Reaktion auf die Verfas-sungsgerichtsentscheidung nun den mehr als 600 Junior-professorinnen und -professoren genauso
wie den Ländern, die die Juniorprofessur in ihren Lan-deshochschulgesetzen verankern wollen, Rechtssicher-heit. Gemäß der Novelle liegt es nun in der Hand derLänder, den gesicherten Aufstieg von der Juniorprofes-sur zur Vollprofessur zu regeln. Das haben sie ja immerlautstark gefordert. Die Regelungen zur Befristung se-hen wir Grüne nach wie vor sehr kritisch. Die Zwölf-Jahres-Regel mit ihren starren Anforderungen ist lebens-fremd. Angesichts des Kompetenzstreites um die Hoch-schulen in der Föderalismuskommission war aber eineWiederherstellung des alten Zustandes derzeit die einzigmögliche Lösung. Dennoch bleibt unser Ziel weiterhinein Wissenschaftstarifvertrag. Helfen Sie mit, die Län-dervertreter zurück an den Verhandlungstisch zu brin-gen.
Ein weiterer Schritt der Bundesregierung ist der Paktfür Forschung und Innovation. Wir freuen uns beson-ders, dass auch die Förderung von Frauen in Wissen-schaft und Forschung ein wichtiger Bestandteil seinwird. Vorgestern im Ausschuss beschämte uns ProfessorFrühwald von der Alexander-von-Humboldt-Stiftungmit dem Hinweis, dass Korea ein Mittel gegen das merk-würdige Phänomen des vermeintlichen Fehlens vonFwphsBBsbBSlhhasathlWazssdasPgwstnGci–s
Zwei Bemerkungen noch am Schluss:Erstens. Bei aller Spitzenförderung dürfen wir diereite nicht vergessen. Nur aus einer qualifiziertenreite kann eine herausragende Spitze kommen. Dasage ich mit aller Deutlichkeit als einer, der sich imayerischen Bildungssystem auskennt, insbesondere mitlick auf Bayern. Dort geht es nämlich oft nur um diepitze und die Breite wird sehr vernachlässigt.Auch meine zweite und letzte Bemerkung geht vor al-em, aber nicht nur in diese Richtung: Sie von der Unionaben lange verhindert, dass der Anwerbestopp füroch qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerus den Beitrittsstaaten und für hoch qualifizierte Wis-enschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Weltufgehoben wird. Wenn wir als Forschungsstandort in-ernational attraktiv sein wollen, müssen wir endlich auf-ören, Forscherinnen und Forscher statt nach ihrer Qua-ität nach ihrer Nationalität zu beurteilen.
enn andere Nationen derzeit den Fehler machen, sichbzuschotten, sollten wir diese Gelegenheit gerade nut-en, um als weltoffenes Land Menschen mit Ideen, Wis-en und Tatkraft in unser Land einzuladen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staats-
ekretär Ulrich Kasparick.
Ul
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Vor-bbemerkungen, die den Kanzler betreffen. Mich hatehr gefreut, dass er gemeinsam mit dem französischenräsidenten die Idee verfolgt – das hat er auch öffentlichesagt –, darüber nachzudenken, ob wir die Gelder, dieir für Forschung ausgeben, nicht innerhalb des europäi-chen Stabilitätspaktes als Investitionen behandeln soll-en. Das würde uns und Frankreich in unseren jeweiligenationalen Haushalten erhebliche Spielräume eröffnen.enau in diese Richtung müssen wir denken. Wir brau-hen mehr Mittel im System, damit wir noch mehr fürnternationale Forschung tun können.
Herr Kretschmer, Sie handeln ja sonst immer sehrorgfältig.
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Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick
Deshalb möchte ich Sie noch einmal auf die Zahlen hin-weisen, die wir Ihnen in der Antwort auf die Große An-frage mitgeteilt haben.Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtesgab es im Jahre 1998 45 000 deutsche Studierende imAusland, aber 55 900 im Jahre 2002. Im Jahre 1999 gabes 113 000 ausländische Studierende in Deutschland;im Jahre 2003 waren es mittlerweile schon 180 000. Dasentspricht in diesem Zeitraum einem jährlichen Zuwachsvon 10 bis 25 Prozent an ausländischen Studierenden,die nach Deutschland kommen. Es ist wichtig, sich dieseZahl vor Augen zu halten. Wenn Sie hier heute behaup-ten, das Land blute aus, uns liefen die Leute weg, dannsollten Sie sich wenigstens an die Zahlen halten, die unsdas Statistische Bundesamt mitgeteilt hat.
Wir alle, die aus der Forschungsszene sind, wissen,dass Wissenschaft mittlerweile international ist. Michfreut diese Situation. Es ist wünschenswert, wenn jungeWissenschaftler ins Ausland gehen.
Wir wollen, dass sie ins Ausland gehen, und wir wollen,dass sie zurückkommen. Deswegen freut mich, dassselbst diese sehr merkwürdige Studie von berlinpolis zudem Ergebnis kommt, dass nur 18 Prozent nicht zurück-kehren wollen. Das heißt, der übergroße Teil der jungenWissenschaftler will sogar nach dieser wissenschaftlichsehr merkwürdigen Studie zurückkommen. Man musssich einmal klarmachen, dass nur 304 Personen auf dieInternetbefragung von berlinpolis geantwortet haben.Wer um die erforderliche Seriosität von wissenschaftli-chen Befragungen weiß, dem muss ich das näher nichtkommentieren.
Kollege Kasparick, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kretschmer?
U
Jederzeit.
Herr Staatssekretär, bevor Sie weitere Studien zitie-
ren, die Sie selbst für merkwürdig halten, möchte ich Sie
fragen, wie es sein kann, dass Wissenschaftler und Präsi-
denten von Forschungsorganisationen wie Bullinger und
Professor Winnacker sowie Wirtschaftsführer wie Sie-
mens-Vorstände uns sagen, die Besten gingen weg oder
kämen nicht wieder, aber Sie hier sagen, das Problem
existiere gar nicht. Ist es nicht besser, dem Problem in
die Augen zu schauen und eine Lösung zu finden, als
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Ich sage Ihnen noch ein Zweites: Wir sind uns miterrn Bullinger, Herrn Gaehtgens, Herrn Winnacker,en Spitzen der deutschen Wissenschaft völlig einig,ass wir diesen Wettbewerb noch längst nicht gewonnenaben, sondern dass der Wettbewerb zunimmt. Dierage, die ich Ihnen jetzt stellen muss, lautet: Glaubenie, dass Ihre Beiträge heute hier im Plenum junge Leutermutigen, nach Deutschland zu kommen?
lauben Sie das wirklich? Wir wollen, dass jungen Leu-en aus dem Ausland die ganz klare Botschaft entgegen-chlägt: Ihr seid in Deutschland willkommen; das, wasir zu eurer Unterstützung tun können, werden wirerne tun. Das ist die wichtige Nachricht, die ins Aus-and gehen muss.
Ich will noch ein Weiteres sagen. Wir haben neulichm Ausschuss – wie ich fand, sehr beeindruckende –ahlen von den deutschen Unternehmen gehört, die sichm dieses Themenfeld professionell bemühen. Wir wis-en, dass das internationale Marketing Deutschlands alsildungs- und Forschungsstandort in den Jahren bis
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12477
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Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick2001 nicht den Stellenwert hatte, den es brauchte. Wirhaben eine Baustelle übernommen und kommen Schrittfür Schritt voran. Das betrifft beispielsweise den sehrkomplizierten Bereich der Statistik. Wir brauchen ver-lässlichere Zahlen. Mich freut sehr, dass die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, der Deutsche AkademischeAustauschdienst und die großen Stiftungen, die die inDeutschland Studierenden unterstützen, zunächst einmalin ihrem eigenen Bereich die Daten zusammentragen,die wir dringend brauchen.
Kollege Kasparick, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Volker Beck?
U
Jederzeit.
Durch die Einwürfe des Kollegen von der CDU/CSU
wurde ich zu folgender Frage angeregt, Herr Kasparick:
Wie erklären Sie sich, dass die Union in der Forschungs-
politik eigentlich Braindrain allerorten sieht,
einerseits bei dem normalen Wechsel von deutschen
Wissenschaftlern und Spitzenkräften ins Ausland, ande-
rerseits zum Beispiel bei dem Wechsel aus Indien und
den USA nach Deutschland, wo im Zusammenhang mit
der Diskussion über das Zuwanderungsgesetz befürchtet
wurde, durch eine liberale Regelung der Aufenthaltstitel,
die es attraktiv macht, nach Deutschland zu kommen – –
– Doch, ich habe gefragt, wie sich der Redner das er-
klärt. Herr Rachel, das müssen Sie schon aushalten.
In Ihren Aussagen ist eine gewisse Widersprüchlich-
keit enthalten. Ist es vielleicht so, dass für die Union
angesichts ihrer Politik das größte Problem ist, zu akzep-
tieren, dass ein Austausch im Bereich der Hochleis-
tungsträger und der Wissenschaftler mittlerweile selbst-
verständlich ist?
Es gibt Wissenschaftler, die von Deutschland ins Aus-
land gehen, und es gibt andere, die zu uns kommen. Das
ist ein Austausch von wissenschaftlicher Kompetenz und
damit wirtschaftlicher – –
– Es ist unmöglich, wie Sie hier dazwischen krakeelen.
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ie sind offensichtlich nicht in der Lage, meine Syntax
u verfolgen. Seien Sie einmal ruhig! Sie haben nicht
as Wort.
Wollen Sie jetzt sprechen? Lassen Sie mich bitte zu
ort kommen!
Wie erklären Sie sich dieses Durcheinander in der
ufstellung der Union? Teilen Sie meine Ansicht, dass
ie Union die Herausforderungen der Gegenwart offen-
ichtlich nicht meistern kann?
U
Herr Abgeordneter, ich habe für das Phänomen, das
ie gerade sehr zutreffend beschrieben haben, nur die
rklärung, dass man nicht zu Ende gedacht hat.
Worum geht es uns? Es geht uns darum, dass wir im
nternationalen Wettbewerb besser werden. Der Wettbe-
erb um die besten Leute ist einer der härtesten Wettbe-
erbe, die wir überhaupt haben, härter noch als in vielen
ereichen der Wirtschaft.
Kollege Beck, Sie müssen schon stehen bleiben und
ich die Antwort auf Ihre Frage anhören.
U
Die Frage ist beantwortet. Schönen Dank.
Uns liegt daran, dass noch wesentlich mehr im Be-eich Bildung und Forschung getan wird, als wir in derergangenheit bereits getan haben. Ich fordere Sie vonieser Stelle noch einmal auf: Begreifen Sie, dass es kei-en wichtigeren Politikbereich in Deutschland gibt alsie Stärkung von Bildung und Forschung!
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12478 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Parl. Staatssekretär Ulrich KasparickWir brauchen eine nationale Kraftanstrengung. Aber wirbrauchen kein Gerede darüber, dass das Land angeblichausblutet; denn alle Zahlen, die uns vorliegen, wider-sprechen klar dieser Aussage.
Das Statistische Bundesamt, eine sehr seriöse Quelle,sagt, dass es eine Zuwanderung nach Deutschland mitWachstumsraten von jährlich bis zu 25 Prozent gibt.
Hören Sie also auf, den Standort Deutschlandschlechtzureden! Wir brauchen die jungen Wissenschaft-ler in Deutschland. Wir brauchen aber auch mehr Geld.Machen Sie den Weg dafür frei, indem Sie der Abschaf-fung der Eigenheimzulage zustimmen! Das würde7 Milliarden Euro ins System bringen.
Meine herzliche Bitte an die Kollegen der Opposition istdeswegen: Mehr Mut!
Ich erteile das Wort dem Kollegen Helge Braun,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich bin mit dieser Debatte so, wie sie läuft, nichteinverstanden.
Herr Staatssekretär und Frau Berg, welchen Eindruckmuss ein junger Wissenschaftler, der am Fernsehschirmoder auf der Tribüne diese Debatte verfolgt, mitnehmen?Wir haben heute nichts davon gehört, dass die Bundesre-gierung oder die sie tragenden Fraktionen den Ansatz ei-ner Bereitschaft zeigen, über weitere Verbesserungen deraktuellen Arbeitsbedingungen in Deutschland für Wis-senschaftler nachzudenken.
Sie haben die ganze Zeit nur berichtet, was Sie allesschon gemacht haben und wie wundervoll die Maßnah-men der Bundesregierung greifen. Sie führen Scheinge-fechte über die Eigenheimzulage oder über das Urteildes Bundesverfassungsgerichts zur Juniorprofessur.Das alles ist nicht das Problem, das junge Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland ha-ben.
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Aber das Kernproblem ist ein anderes: Man kann denraindrain aus meiner Sicht nicht immer nur an Zahlen,n dem Saldo von Zu- und Abwanderung, festmachen.enn wenn die fünf Besten gehen und dafür Hundert an-ere kommen, dann ist das für Deutschland unter demtrich keine positive Entwicklung.
eispiele helfen an dieser Stelle häufig auch nicht wei-er. Viele Einrichtungen haben einen berühmten Wissen-chaftler gesucht. Dieser ist dann aus den USA zurück-ekommen, weil man ihm die Leitung eines Max-lanck-Institutes übertragen hat. Daraufhin wird gesagt:eht ihr, wir in Deutschland können es doch; wir könnenissenschaftler zurückholen. Wenn man den Wissen-chaftler nach seiner persönlichen Motivation, warum erurückgekommen ist, fragt,
ann erhält man oft die Antwort, dass der Grund hierfürst, dass seine Frau der Überzeugung war, dass die Kin-er ihre Schulausbildung in Deutschland erhalten undier kulturell aufwachsen sollen und nicht in dem Land,n dem es die besten Forschungsrahmenbedingungenibt.
as alles sind Entwicklungen, die wir wahrnehmen müs-en.Wenn sich in diesen Tagen 11 000 Wissenschaftler ineutschland zu der Initiative „Wir wollen forschen – ineutschland“ zusammenschließen – Wissenschaftler
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Helge Braunsind meist nicht diejenigen, die sehr stark politisch moti-viert sind und sich zu irgendwelchen politischen De-monstrationen zusammentun; die wollen in aller Regelin ihrem Erkenntnisgewinn fortschreiten –, dann aber ineiner langen Liste Probleme beschreiben, die sie inDeutschland haben, dann kann man das nicht einfachübergehen und sagen: Die Bundesregierung tut alles,was notwendig ist. Wir haben kein Problem; wir machenso weiter.
Das ist die falsche Botschaft dieser Debatte heute.
Wir müssen in ganz vielen Bereichen etwas tun. Siehaben die ausdrückliche Bereitschaft der CDU/CSU-Fraktion und von mir persönlich, an diesen Punkten mit-zuwirken.
Das beginnt bei einem flexiblen Dienstrecht an unserenHochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich-tungen. Wir brauchen Rechtssicherheit im Bereich derDrittmitteleinwerbung, damit derjenige, der seine Auf-gabe erfüllt und für seine Forschungsprojekte Gelder ausder Industrie akquiriert,
nicht am Ende vom Staatsanwalt konsultiert wird.Wir müssen das Forschungsklima in Deutschlandgrundlegend verändern.
Das beginnt bei der Umsetzung der Biopatentrichtlinie.Auch in vielen anderen Fällen besteht doch, wenn einerforscht, die Frage, ob er in diesem Moment potenziellnur für jemanden gehalten wird, der anstößige Dinge tut,der mit Risiken zu tun hat und der der Gesellschaft etwaszumutet, oder ob er für jemanden gehalten wird, der eineChance für neue Produkte und Innovationen in einemLand bietet, das auch in Zukunft noch Arbeitsplätzebraucht und sich weiter ein hohes Lohnniveau leistenkann, weil wir in Deutschland Spitzentechnologie pro-duzieren und keine einfachen Produkte.Zur DFG-Studie, die hier mehrfach angesprochenworden ist. 15 Prozent der ehemaligen DFG-Stipendia-ten bleiben langfristig im Ausland. Wer ist es denn, derlangfristig im Ausland bleibt? Das sieht man wundervollan den Nobelpreisen. Seit 1995 ist kein einziger Nobel-preis mehr an Deutschland vergeben worden. Seit 1998haben zwar immerhin vier deutsche Wissenschaftler denNobelpreis erhalten; diese üben aber ihre wissenschaftli-che Tätigkeit in den USA aus. Das ist die Exzellenz ganzoben. Diese vier tun mehr weh als manchmal Hundertandere.Dann wurde mehrfach im Hinblick auf die Hochschu-len angesprochen, wie viele Studenten wir nachDeutschland holen können. Das ist in vielerlei Hinsichtgar nicht das Problem. Bei den vielen Ausländern an denHochschulen, die Sie als positiven Aspekt verzeichnen,saknaDsat–swfdfdiwaSKdupBgajsWEnsbsAwzdwwezvNDSg
ie zum Beispiel Chinesen
ür ein Studium in Deutschland werben. Dort gibt esann einen Vergleich der Auslandsstudienmöglichkeitenür Chinesen. Dort kann man die Angebote und damitie Attraktivität eines jeden Landes vergleichen.Die Chinesen sind mittlerweile die größte Gruppe dern Deutschland studierenden Ausländer. Bei der Frage,as sie bewegt, in Deutschland zu studieren, stößt manuf zwei Kernpunkte: Kernpunkt 1 ist das kostenlosetudium, Kernpunkt 2 das ausdifferenzierte Angebot anulturwissenschaften. Das ist gut, das Problem ist aber,ass es uns bei der zentralen Frage der Zukunftsfähigkeitnseres Landes mehr um innovationsträchtige Studien-lätze und einen Austausch von Wissenschaftlern in denereichen gehen muss, aus denen Innovationen hervor-ehen. Das wird an der Stelle nicht bearbeitet.
Insofern ist die Kernfrage, an deren Beantwortung wirrbeiten müssen, wie wir es schaffen können, dass mehrunge Wissenschaftler – die durchaus ins Ausland gehenollen; Herr Fell hat das heute angesprochen, Frauicklein in der letzten Woche bei der Diskussion um dieU-Forschung – ins Ausland gehen. Man darf jedochicht auf der einen Seite mehr Mobilität bei den For-chern fordern und auf der anderen Seite sagen: Wir ha-en Angst vor Abwanderung. Das darf kein Widerspruchein. Kernaufgabe ist es deshalb, den internationalenustausch zu intensivieren. Es ist wahr, dass die bundes-eite Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsseur Internationalisierung der Studiengänge beiträgt. Aberurch diese Internationalisierung steigt auch der Wettbe-erb. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass die Leute,enn sie einmal ins Ausland gehen, auch dort bleiben.Die Antwort darauf misst sich an der Frage, was wirigentlich tun, um jemanden wieder nach Deutschlandurückzuholen. Hier müssen wir die Angebote erheblicherbessern. Natürlich ist der Hinweis auf das Emmy-oether-Programm richtig. Das ist ein guter Ansatz.as kann aber noch lange nicht alles sein. An diesertelle ist das Bessere immer des Guten Feind. Werlaubt, dass die deutschen Wissenschaftler alle freiwillig
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12480 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Helge Braunins Ausland gehen und sich die Entscheidung, ob siewegbleiben oder wieder zurückkommen, leicht machen,liegt falsch. Jeder, der in Deutschland geboren und auf-gewachsen ist, ist in seinem Heimatland verwurzelt undwill in der Regel sehr gerne auch langfristig in Deutsch-land bleiben. Die Wenigsten – das wissen wir aus Um-fragen der DFG – verlassen Deutschland von vornhereinmit dem Ziel, dauerhaft wegzubleiben.Die Frage ist, ob wir ihnen ein Angebot zur Rückkehrmachen können, nachdem sie im Ausland zusätzlicheQualifikationen erworben haben, ob wir ihnen eine Lan-debahn bieten können in der Form, dass sie bei ihrerRückkehr kein schwieriges Bewerbungsverfahren mehrdurchlaufen müssen. Möglicherweise kann man schondann, wenn sie ins Ausland gehen, das Angebot unter-breiten, dass eine Rückkehr möglich ist, nachdem siezwei Jahre im Ausland ihre wissenschaftliche Qualifika-tion erhöht haben, dass vielleicht eine eigene Forscher-gruppe geboten wird. In diesem Bereich müssen wir vielmehr machen.
Wenn das geschieht, bin ich sehr zuversichtlich, dassDeutschland als große Forschungsnation eine wirklicheZuwanderung aus dem Ausland erhält, wir aber gleich-zeitig diejenigen, die wir in Deutschland mit unseremGeld teuer ausbilden, nutzbringend für Forschung und In-novationen und wirtschaftliches Wachstum in Deutsch-land einsetzen können.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Ernst Dieter Rossmann,
SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vergleichen wir den ersten Beitrag der CDU/CSU und
die eben von Herrn Braun gehaltene Rede. Frau Reiche,
Ihnen muss ich leider sagen: Die Art, wie Sie hier immer
aseptisch kalt, von nichts ankränkelbar und ohne etwas
zu hinterfragen den Einstieg in Debatten setzen, ist zum
Glück von Herrn Braun positiv widerlegt worden.
Ich möchte an den Blickwinkel anknüpfen, den Herr
Braun in die Debatte gebracht hat, indem er fast symbo-
lisch gesagt hat: Stellen wir uns einmal vor, exzellente
Wissenschaftler deutscher oder ausländischer Herkunft
hätten diese Debatte im Parlament verfolgt. Welchen
Eindruck hätten sie? Ich glaube, sie hätten sich über ei-
nes gewundert, nämlich dass die größte Oppositionspar-
tei in diesem Bundestag eine Große Anfrage mit nur der
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Der Grundsatz muss doch das Leitbild von Interna-
ionalität sein und Internationalität heißt eben gerade
icht nationale Betrachtung und auch nicht Monopolisie-
ung nach dem Motto „Wir wollen alles und nur für un-
ere Leute“. Das Leitbild für Internationalität schließt
ielmehr den Grundgedanken ein: Kompetenz vor Pass.
n dieser Leitlinie müssen wir uns orientieren. Ich kann
s auch einfacher formulieren: Was wäre, wenn alle
eutschen hier blieben? Wir wären verdammt arm. Was
äre, wenn alle Besten in einem Land wären? Die Welt
äre arm. Ich wollte an diesen einfachen Fragen noch
inmal grundsätzlich deutlich machen, dass wir zu Ba-
ancen kommen müssen. – So weit meine Grundbemer-
ungen.
Ich möchte jetzt eine analytische Bemerkung machen:
rau Flach, Sie haben Recht, das statistische Material
st noch nicht so differenziert aufbereitet, wie wir es uns
ünschen; das gilt vor allem dann, wenn es den Bereich
er Spitzenkräfte, der Exzellenzen betrifft. Denn diese
erden sich schwerlich mit statistischen Methoden er-
assen lassen.
Betrachtet man das Mosaik von Statistiken – sie fal-
en auf EU-Ebene mal besser, mal schlechter aus –, kann
an aber immerhin ein paar Grundtendenzen ausma-
hen. Wir haben einen deutlichen Nettozugewinn an
usländischen Studenten in Deutschland; das gilt
uch für die Doktoranden. Es promovieren mehr Auslän-
er bei uns als Deutsche im Ausland. Wir verzeichnen
uch einen Zugewinn bei den Akademikern; es gibt ei-
en deutlichen Import – vor allem aus Europa – an Aka-
emikern.
In Bezug auf die Spitzenkräfte ist die Situation of-
en. Ich glaube aber, dass wir mit fast allen Ländern
die Ausnahme bilden die USA – eine positive Bilanz
aben. Die Ausnahme muss man analytisch betrachten.
s sind wahrscheinlich mehr Spitzenkräfte aus Deutsch-
nd in den USA als US-amerikanische Spitzenkräfte in
eutschland. Ich halte das auch für plausibel.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage derollegin Flach?
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12481
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Ich möchte gern meinen Gedanken zu Ende führen,
dann komme ich auf den Fragewunsch zurück.
Ich halte es deshalb für plausibel, weil das so etwas
wie ein Creaming-Effekt ist. Der Creaming-Effekt be-
steht darin, dass von dem Land, wo die größte ökonomi-
sche und wissenschaftliche Kompetenz liegt, auch die
meisten angezogen werden. Wir können uns so stark an-
strengen, wie wir wollen, es bleibt dabei: Den Effekt,
den wir in Deutschland bezüglich der anderen Länder er-
leben, erleben wir in umgekehrter Weise zu den USA.
Dieser Erkenntnis darf man sich nicht verweigern, man
muss sich mit ihr langfristig auseinander setzen. Ich will
gleich im dritten Teil meiner Rede ausführen, wie man
darauf reagieren kann.
Bitte schön, Frau Kollegin Flach.
Herr Kollege Rossmann, ich stimme Ihrer quantiati-
ven Bewertung zu. Meine Aussage war aber eine andere
und deshalb möchte ich eine Frage an Sie richten. Wie
gehen Sie mit dem Umstand um, dass offensichtlich ge-
rade die Forscher, die in den Spitzentechnologien, den so
genannten Schlüsseltechnologien, tätig sind, den erklär-
ten Drang haben, in die USA zu gehen und dort zu blei-
ben? Das war meine Aussage. Als Beispiel möchte ich
anführen, dass zurzeit jeder zweite Stammzellforscher
überlegt, Deutschland zu verlassen.
– Herr Tauss, ich habe Herrn Rossmann gefragt.
Ich kann da nahtlos an den dritten Teil meiner Redeanknüpfen. Ich glaube, wir tun gut daran, in zwei Rich-tungen zu denken. In Bezug auf die USA kann es nur eineeuropäische Antwort geben, weil Europa nur insgesamtdie ökonomisch – wissenschaftliche Potenz aufbringt,sich gegen Amerika zu behaupten. An dieser Stelle sindSie wie wir darüber erfreut – wir haben uns dafür auchengagiert –, dass es ein siebtes europäisches Rahmenpro-gramm geben wird, das dazu beiträgt, Europa endlichvon einem Agrarinfrastrukturverbund in einen For-schungsverbund umzuwandeln. Die Verdoppelung derMittel ist die beste Antwort auf die amerikanische Domi-nanz.Die zweite Antwort ist eine nationale Antwort. Da ichdazu längere Ausführungen machen werde, bitte ich Sie,sich wieder zu setzen. Der dritte Teil ist Ihnen gewidmet.Die nationale Antwort kann nur so aussehen, dassman in der ganzen Breite versucht, Deutschland für in-ternationale, auch für amerikanische Potenzen attraktivzu machen. Wenn wir objektiv betrachten, was seit 1998passiert ist, sehen wir, dass dort auf drei Ebenen gearbei-tet wurde.Zuerst ist da die wissenschaftliche Angebotsseite. Eswird versucht, exzellente Wissenschaftler zu gewinnen.AaHlzezsnanttnWdsfPanDHhdsMsmfWesvzdkmMbslgesfB
enn wir das nicht anerkennen, dann verdrängen wiras, was auf der Tribüne zu Recht als Reflexion aus un-erem Kreis erwartet wird.Die zweite Ebene betrifft die soziale Betreuung. Ichinde, es ist kein Sich-Herablassen, wenn sich auch einrofessor Winnacker Gedanken darüber macht, dasskademisch hoch qualifizierte Frauen und Männer Part-er haben, für die auch Stellen gesucht werden müssen.ass sich ein Herr Gruss, ein Herr Winnacker und einerr Frühwald um diese Fragen kümmern, zeigt, dassier eine neue Qualität erreicht wird,
ie etwas Positives in die Entwicklung unserer Hoch-chulen und Wissenschaftseinrichtungen bringt. Bei derax-Planck-Gesellschaft ist man sich nicht dafür zuchade, sich auch über Kindertagesstätten Gedanken zuachen. In Amerika, zum Beispiel in Harvard und Stan-ord, geschieht das schon seit langem.
enn wir Ideen von dort übernehmen, dann ist auch dasine Antwort.Die dritte Ebene betrifft die Netzwerke im akademi-chen und im wirtschaftlichen Bereich. Denjenigen, dieon Deutschland ins Ausland gehen, müssen Wege ge-eigt werden, sich so zu vernetzen, dass sie sich besser inen Wissenschafts- bzw. Wirtschaftsbereich integrierenönnen. Wenn jetzt auch in Deutschland eine Auflösungancher Zerklüftungen stattfindet, sodass sich auch dieax-Planck-Gesellschaft wieder stärker universitär an-indet, dann kann dies zu einem wichtigen Transfer zwi-chen Wissenschaft und Wirtschaft beitragen. Deshalbautet meine Antwort auf Ihre Frage: Ich glaube, es istut, dass man die große Komplexität dieser Fragen seitiner gewissen Zeit stärker berücksichtigt. Nicht alle Zu-tände in diesem Bereich sind gut; aber es kommt Schrittür Schritt zu Verbesserungen.Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich meine letzteemerkung etwas einfacher formuliere: Dieser Prozess
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12482 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Dr. Ernst Dieter Rossmannhat seit 1998 deutlich an Dynamik gewonnen; das er-kennt jeder an. Das erkennen auch die kompetentenLeute aus Wissenschaft und Wirtschaft an. Man kann dasaber auch anders formulieren: Wenn Herr Rüttgers, die-ser famose Zukunftsminister, nicht so lange geschlafenhätte, dann hätte Frau Bulmahn mit ihren Initiativen aufeinem anderen Sockel anfangen können.
Es ist ein positives Fazit, dass unsere Ministerin mit ih-rer Dynamik auf diesem Gebiet sehr viel getan hat. Aberes ist ein bedauerliches Fazit, dass es in der Wissen-schafts- und Forschungspolitik der letzten 15 Jahre inDeutschland leider keine Kontinuität gegeben hat. Es istgut, dass wir jetzt eine andere Richtung einschlagen.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Zu diesem Tagesordnungspunkt sind keine Abstim-
mungen durchzuführen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier,
Sabine Bätzing, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD sowie von den Abgeordneten
Volker Beck , Irmingard Schewe-Gerigk,
Claudia Roth , weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Überarbeitung des Lebenspartner-
schaftsrechts
– Drucksache 15/3445 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Rainer Funke, Jörg van Essen, Sibylle
Laurischk, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartner-
– Drucksache 15/2477 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 15/4052 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Olaf Scholz
Daniela Raab
Irmingard Schewe-Gerigk
Jörg van Essen
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich meine, dass dies auch für die Zulassung dertiefkindadoption gelten sollte. Wenn das leiblicheind eines Lebenspartners in einer Lebenspartnerschaftufwächst und wenn sich der andere Lebenspartner umieses Kind kümmern und dauerhaft Verantwortung fürs übernehmen will, dann muss man diese Verbindungechtlich absichern können.
Die Bedenken, die gegen diese Regelung angeführterden, halte ich nicht für stichhaltig. Auf der eineneite wird vorgetragen, dass die Verbindung des Kindesu einem leiblichen Elternteil gekappt werde und da-urch erbrechtliche und unterhaltsrechtliche Ansprücheerloren gingen. Das ist natürlich richtig. Aber klar istuch: Der leibliche Elternteil muss in die Adoption ein-ewilligt haben. Dann muss man sich natürlich fragen,elche Verbindung zu einem leiblichen Elternteil
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Bundesministerin Brigitte Zypriesbestand, der einwilligt, dass sein Kind adoptiert wird.Zum anderen ist es ja so, dass das Kind gleichzeitig an-dere Ansprüche – neue Unterhaltsansprüche und neueErbrechtsansprüche – erhält: von dem Lebenspartner,der es adoptiert. Die Einwilligung eines Elternteils kannzudem nur dann erfolgen, wenn dieser Elternteil auchbekannt ist. Wir wissen, dass es gerade in dieser Formvon Lebensgemeinschaften häufig Kinder gibt, bei de-nen der Vater, der es in aller Regel ist – nein, der es im-mer ist –,
nicht bekannt ist.
– Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Das sind insbeson-dere die Fälle, in denen eine künstliche Inseminationstattgefunden hat; davon gibt es ja verhältnismäßig viele.Ich meine, wir müssen diesen Fällen besonders gerechtwerden, denn ein Kind, das in einer Lebenspartnerschaftvon zwei Frauen aufwächst, hat damit die Chance, eineweitere verantwortliche – unterhaltspflichtige und sorge-berechtigte – Person zu bekommen, die für es eintretenkann, falls der leiblichen Mutter etwas zustößt, die aberauch sonst für es da ist – mit einer anderen rechtlichenRelevanz, als wenn sie nur mit in der Wohnung lebt. Ichglaube, diesem Ansinnen, das eine ganze Zahl betroffe-ner Paare vorgebracht hat, sollten wir nachkommen.Selbstverständlich ist, dass staatliche Behörden nach-prüfen werden, ob die Stiefkindadoption dem Wohl desKindes entspricht; das bleibt so wie bei allen anderenAdoptionen auch.Dem Antrag der FDP, gemeinsame Adoptionen durchzwei Lebenspartner vorzusehen, können wir nicht zu-stimmen, einfach deshalb, weil wir daran im Momentdurch internationale Verpflichtungen gehindert sind. Ab-gesehen davon haben wir immer die Auffassung vertre-ten, dass man das Recht der gesellschaftlichen Entwick-lung entsprechend anpassen sollte. Wir sind dabei, imEuroparat eine Überarbeitung des entsprechenden Über-einkommens zu betreiben; wir werden sehen, inwieweitwir dafür auf europäischer Ebene Zustimmung finden.Ein weiterer Gesichtspunkt, der mir wichtig erscheintund wo wir eine Anpassung vornehmen, ist die Rege-lung der Hinterbliebenenversorgung. Die Regelungwird vorsehen, dass die Hinterbliebenenversorgung beihomosexuellen Paaren genauso geregelt wird wie bei he-terosexuellen Paaren. Jetzt habe ich nachgelesen, dassvonseiten der CDU/CSU in den AusschussberatungenBedenken geltend gemacht wurden, dass enorme Kostenauf uns zukommen können. Meine Damen und Herren,Sie wissen, wir haben derzeit 5 000 eingetragene Le-benspartnerschaften, bei denen das Ganze überhaupt re-levant werden kann. Bei dieser Zahl brauchen wir unskeine Sorgen um die Rentenkassen zu machen. Zum an-deren ist es so, dass wir aus den Daten der Lebenspartnerwissen, dass es sich in der Regel um Personen handelt,die beide arbeiten, weshalb die Problematik sowiesonicht eintritt. Wenn sie aber eintritt, wenn es so ist, dassedeupldkrmldsGMlhCSdtuörAstsannIdAt–kIßh
nd dann gibt es überhaupt keinen Grund, dem Lebens-artner diese zu verweigern.Insgesamt bin ich der Auffassung, dass wir der recht-ichen Gleichstellung lesbischer und schwuler Paare mitiesem Gesetzentwurf wieder einen Schritt näher ge-ommen sind. Im nächsten Schritt wird die Bundesregie-ung einen Gesetzentwurf vorlegen, der die zustim-ungspflichtigen Teile enthält. Sie wissen: Das ist in deretzten Legislaturperiode im Bundesrat an den Parteien,ie hier die Opposition stellen, gescheitert. Ich hoffeehr, dass sich Ihre Ankündigungen, Sie wollten demesetz keine Steine in den Weg legen, auch auf Ihreehrheit im Bundesrat beziehen und wir auch hinsicht-ich der steuerlichen und der erbrechtlichen Gleichbe-andlung einen Schritt weiterkommen können.
Das Wort hat nun die Kollegin Daniela Raab, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seiteptember, als wir uns hier im Plenum das erste Mal mitem Lebenspartnerschaftsgesetz und dessen Überarbei-ung befasst haben, hat sich doch einiges ereignet. Fürnsere Fraktion hat es aber nichts gebracht. Es gab eineffentliche Anhörung und am Dienstagabend ein sehrudimentäres und kurzes Berichterstattergespräch dazu.ll das hätte uns einander vielleicht etwas näher bringenollen und können. Meine persönliche ablehnende Hal-ung und auch die meiner Fraktion zu Ihren beiden Ge-etzentwürfen, die wir heute beraten, hat sich dadurchber nicht geändert.Die von Ihnen geplanten Änderungen im Lebenspart-erschaftsrecht sind für uns so, wie sie vorliegen, absoluticht akzeptabel.
n relativ kurzer Zeit haben Sie einen Entwurf gepinselt,er von dem Bemühen geprägt ist, eine größtmöglichennäherung der eingetragenen Lebenspartnerschaf-en an die Ehe herzustellen.
Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, Sie be-ommen doch ohnehin alles, was Sie wollen. – Das isthnen in dieser kurzen Zeit auch durchaus gelungen.Fraglich dabei ist aber nicht nur die Verfassungsmä-igkeit Ihres Vorgehens, sondern vielmehr auch die Sinn-aftigkeit der von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen. Das
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Daniela RaabBundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom17. Juli 2002 über die Verfassungsmäßigkeit des Le-benspartnerschaftsrechts von 2001 nämlich ausdrücklichfestgestellt, dass die eingetragene Lebenspartnerschaftgerade keine Ehe ist, sondern ein Aliud, also etwas ande-res.
Was aber machen Sie? – Sie übernehmen die Vorschrif-ten zur Ehe aus dem BGB kritiklos in Ihren Entwurf undstülpen sie einfach der Lebenspartnerschaft über, ohneeinmal zu hinterfragen, ob das alles überhaupt zusam-menpasst und ob nicht an manchen Stellen eigenständigeneue Regelungen für die Lebenspartnerschaften ange-brachter wären.
Ich möchte unseren verdienten Handwerkern im Landenicht allzu nahe treten, aber das ist wieder einmal keinehandwerkliche Meisterleistung, da wohl mit relativ hei-ßer Nadel gestrickt wurde.
Nicht nur das: Der größte Klops im rot-grünen Ent-wurf – das wissen Sie natürlich auch – ist für uns dieEinführung der Stiefkindadoption für eingetragene Le-benspartnerschaften. Vom FDP-Entwurf, in dem gleichan ein allgemeines Adoptionsrecht herangegangen wird,möchte ich vorerst nicht sprechen. Bei Ihnen von Rot-Grün soll es also die Stiefkindadoption sein.Ein homosexueller Lebenspartner soll das leiblicheKind seines Lebenspartners bei Zustimmung des immernoch existierenden Lebenspartners aus einer früherenBeziehung adoptieren können, sofern dieser zustimmt.Das lehnen wir schlicht und ergreifend ab,
und zwar nicht nur, weil sich stark der Verdacht auf-drängt, dass der Fuß in die Tür gebracht werden soll, umbald ein allgemeines Adoptionsrecht durchzusetzen– das ist in den letzten Beratungen durchgedrungen; dieFDP ist mit ihrem Entwurf hier übrigens viel ehrlicherund direkter –,
sondern auch, weil es das so genannte kleine oder abge-leitete Sorgerecht für Lebenspartner gibt. Das ist in § 9des Lebenspartnerschaftsgesetzes bereits normiert. Er-schwerend kommt hinzu, dass im Unterschied zu einerherkömmlichen Adoption, wie wir sie bisher kennen, dasKind hier keine Vollwaise oder Sozialwaise ist, sondernregelmäßig noch einen Elternteil hat.sdtstPpeluWfikgDKddEdESbsNäuvsdhSIL
Ihre Argumentation, das Kind ziehe nur Vorteile ausiner solchen Adoption, läuft definitiv ins Leere. Bei al-er juristischen und technischen Diskussion darf einzignd allein das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen.ir werden uns in Zukunft überraschen lassen, wie dasunktioniert.
Wie selbst einer Ihrer Experten, Professor Willutzki,n der öffentlichen Anhörung zugeben musste, sind Dis-riminierungserfahrungen bei Kindern mit einemleichgeschlechtlichen Elternpaar nicht auszuschließen.ie Folgen sind nach wie vor nicht abzusehen.
inder sind untereinander gnadenlos. Das gilt selbstann, wenn es sich nur um kleine Auffälligkeiten han-elt. Abstehende Ohren, das Gewicht, aber auch daslternpaar können der Grund sein, weswegen sich Kin-er dem Gerede von anderen Kindern oder auch derenltern ausgesetzt sehen.
Das mögen Sie verurteilen; das ist Ihr gutes Recht.
ie können das sagen, was auch Ihre Experten gesagt ha-en: Dann wird es Zeit, dass sich das in unserer Gesell-chaft ändert.
ur: Vielleicht wollen viele Menschen das gar nicht ge-ndert haben, weil sie einfach noch nicht so weit sindnd weil Sie die Gesellschaft bei Ihrer Gesetzgebungielleicht noch nicht richtig mitgenommen haben. Es isticherlich zu viel verlangt, dies dann die Kinder ausba-en zu lassen.Aus diesem Grund reicht, wie ich schon erwähntabe, das bisher zugesprochene kleine oder abgeleiteteorgerecht für eingetragene Lebenspartnerschaften aus.ch denke, das ist genug Einflussnahme auf das Kind desebenspartners und muss nicht noch mehr ausgeweitet
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Daniela Raabwerden. Für uns soll dies auch so bleiben. Das ist für unsder einzig gangbare und akzeptable Weg, weshalb wirheute Ihren Entwürfen leider nicht zustimmen können.Danke.
Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute istein guter Tag für die Lesben und Schwulen. Auf demlangen Marsch zur Gleichberechtigung der Homo-sexuellen kommen wir heute wieder einen entscheiden-den Schritt voran.Wir beobachten heute auch, dass es eine gewisse ge-sellschaftliche Entspannung in der Debatte um dieRechtsstellung homosexueller Paare gibt. Das sehen wirzum einen daran, dass die Zahl derjenigen, die diesenGesetzentwurf mittragen, gewachsen ist; ich freue michausdrücklich, dass die FDP unser Anliegen unterstützt.Das sehen wir zum anderen daran, dass die Aufregung indieser Debatte trotz der Rede über die langen Ohren er-heblich abgenommen hat.
Es hat sich herausgestellt, dass alle Befürchtungen,die bei der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzesgeäußert wurden, nicht eingetreten sind. Das Abendlandist nicht untergegangen, es wurde nicht weniger geheira-tet und die Geburtenrate ist nicht zurückgegangen. Allesist auf einem guten Weg, und die Schwulen und Lesbenhaben in dieser Gesellschaft endlich mehr Rechte.
Bei dem Lebenspartnerschaftsgesetz ist es ein biss-chen wie in jeder guten Ehe: Irgendwann wagt man dengroßen Schritt und will heiraten, macht eine Hochzeits-liste und wünscht sich so allerhand; manches bekommtman und manches bekommt man nicht. So war das auchbei der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgeset-zes in der letzten Wahlperiode. Heute sind wir dabei, denHausrat zu komplettieren, etwa bei der Hinterbliebenen-versorgung und beim Verlöbnis. Wir führen die Stief-kindadoption für leibliche Kinder des Lebenspartners einund beseitigen Ungereimtheiten beim Güterrecht, beimUnterhaltsrecht und beim Scheidungsrecht.Der Gesetzentwurf, den wir heute beschließen, isteine sehr gute Grundlage. Als die will ich es eindeutigverstanden wissen, und zwar für ein Lebenspartner-schaftsergänzungsgesetz, das wir als Koalition nach derVerabschiedung dieses Gesetzentwurfs in Angriff neh-men wollen und in dem wir die steuerrechtliche undbeamtenrechtliche Gleichstellung dieser Paare voran-treiben wollen.DsWdGwesguSdmasnosKFhgmWtkngtuigrPEeBznmgdlea
as Ergebnis wird dann nicht allein von der Koalition,ondern auch von der Mehrheit im Bundesrat abhängen.ir wollen die Diskriminierung beseitigen. Ich heiße je-en in dem Bündnis, das überparteilich und über dierenzen von Koalition und Opposition hinweg entsteht,illkommen, hieran mitzuwirken, um in beiden Häusernine Mehrheit zu erreichen.Die Anhörung – Sie von der Union haben sie ange-trebt, das ist Ihr gutes Recht – hat gezeigt, dass man ge-en den vorliegenden Gesetzentwurf mit vernünftigennd guten Argumenten nicht ankommt. Einer Ihrerachverständigen, Professor Helge Sodan, hat erklärt,ass er die Regelungen dieses Gesetzentwurfs nichtag, aber verfassungsrechtlich seien sie in Ordnung. Einnderer von Ihnen benannter Sachverständiger, Profes-or Wolf, hat gesagt, die Lebenspartnerschaft sei viel zuah an der Ehe. Das gefalle ihm nicht, weil für ihn diebligatorische Zivilehe nach deutschem Muster abge-chafft gehöre. – Das ist eine interessante Position deronservativen in diesem Haus.
rau Vonholdt, die dritte Sachverständige aus Ihren Rei-en, hielt es mit dieser Frage ein bisschen anders. Sie istegen das Lebenspartnerschaftsgesetz, weil sie die Ho-osexualität abschaffen will, und zwar durch Heilung,egbeten oder was sie sonst noch alles in ihren Schrif-en vertritt.
Das zeigt: Mit einer vernünftigen Argumentationann man gegen die Gleichstellung homosexueller Part-erschaften nicht sein. Niemandem wird eine Extrawurstebraten, sondern für uns gilt: Wer die gleichen Pflich-en in der Partnerschaft übernimmt und damit dem Staatnd der Gesellschaft Verantwortung abnimmt und diesen die Lebensgemeinschaft verlagert, der muss auch dieleichen Rechte bekommen. Das Bundesverfassungsge-icht hat zu Recht erklärt: Die gleichgeschlechtlicheartnerschaft bzw. die Lebenspartnerschaft nimmt derhe in ihrer Stellung und Bedeutung nichts weg, weil sieinen anderen Personenkreis betrifft.Deshalb ist es ein Aliud. Aus der Aliudtheorie desundesverfassungsgerichts folgt gerade die Erlaubnisur vollständigen Gleichstellung und zur Nichtdiskrimi-ierung der homosexuellen Paare.
Ich habe heute gelesen, dass sich der hessische Justiz-inister Wagner zu der Frage der Stiefkindadoptioneäußert hat. Er versucht, das Anliegen der Koalition mitem Wort von der „schrankenlosen Gleichstellungsideo-ogie“ zu denunzieren. Bei der Gleichberechtigung gibts kein Übermaß; das schließt sich denklogisch schonus. Es geht vielmehr darum, dass man in der
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Volker Beck
Gesellschaft fair miteinander umgeht. Die Menschen-würde unseres Grundgesetzes drückt sich gerade imGleichbehandlungsartikel aus. Er besagt, dass alle Men-schen, ob heterosexuell oder homosexuell, ob schwarzoder weiß, ob Mann oder Frau, welcher Religion auchimmer, in Bezug auf Würde und Rechte gleich sind. Esist für Homosexuelle auch nach dem heutigen Tag nochnicht gänzlich Wahrheit geworden, dass sie gleich anRechten sind. Aber diese Koalition wird nicht müdewerden, daran zu arbeiten, dass dieses eines Tages Wahr-heit wird.
Ich erteile dem Kollegen Jörg van Essen für die FDP-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ausgangspunkt aller Überlegungen der FDP-Bundes-
tagsfraktion in dieser Frage ist die simple Feststellung,
dass es für die Gesellschaft ein Fortschritt und wün-
schenswert ist, wenn zwei Menschen füreinander Ver-
antwortung übernehmen und das nach außen hin auch
dokumentieren.
Deswegen haben wir uns immer für die Stärkung die-
ser Möglichkeiten eingesetzt. Das Bundesverfassungs-
gericht hat festgestellt, dass das verfassungskonform ist.
Es hat aber auch Kritik geübt. Einige Regelungen haben
die Ehe benachteiligt. Das muss natürlich beseitigt wer-
den, und zwar schnell. Auf der anderen Seite müssen wir
feststellen, dass es zwar unglaublich viele Pflichten in
der jetzigen Regelung gibt, aber einen großen Mangel an
Rechten.
Nach über zwei Jahren macht die Koalition jetzt einen
ersten Schritt – aus meiner Sicht viel zu spät. Sie hätten
das schon viel früher tun können.
Es ist aber ein Schritt in die richtige Richtung. Deswe-
gen will ich für die FDP sagen: Wir werden mitstimmen,
weil es ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Trotzdem ist es nur der erste Schritt. Viele weitere
Dinge sind noch zu erledigen. Deshalb teile ich die Eu-
phorie nicht, die Sie, Herr Beck, hier verbreitet haben.
Sie selbst haben angedeutet, dass Sie noch ein weiteres
Gesetz vorlegen werden. Das ist dringend notwendig.
Ich lade Sie ein: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf
zu!
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Herr Kollege van Essen, würden Sie mir zustimmen,
ass das Plenum dem FDP-Entwurf eines Lebenspart-
erschaftsergänzungsgesetzes sinnvollerweise nicht zu-
timmen kann, sondern ihn nur als positive Anregung
itnehmen kann, weil darin Gesetze geändert werden
ollen, die es gar nicht mehr gibt? Ich nenne zum Bei-
piel das Bundessozialhilfegesetz, das inzwischen als
GB XII die Regelungen schon beinhaltet, die Sie in
iesem Gesetz vorschlagen.
Herr Kollege Beck, ich bin Ihnen für diese Frage au-erordentlich dankbar, weil Ihre Frage deutlich macht,ie früh die FDP ihren Vorschlag bereits vorgelegt hat.
ir sind in dieser Frage sehr viel schneller als Sie aktiveworden. Deshalb ist es natürlich möglich, dass in derwischenzeit das eine oder das andere geändert wurde.a, es gibt eine Fraktion in diesem Bundestag, die sichm diese Fragen sehr viel intensiver gekümmert hat, alss die Grünen getan haben.
ielen Dank für die Frage!
Es gibt einen Punkt, über den wir wesentlich andereruffassung sind als die Koalition, nämlich die Frage dertiefkindadoption. Wir meinen, die Stiefkindadoptioneicht nicht aus. Das haben im Übrigen auch die von Ih-en benannten Sachverständigen deutlich gemacht.
err Beck, wenn Sie diese Auffassung teilen, dann fragech Sie, warum Sie das in der Koalition nicht durchge-etzt haben.
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Jörg van Essen
Sie haben diese Frage immer wieder an uns gerichtet.Jetzt sind Sie in der Regierung und damit in der Verant-wortung.
In den vergangenen Tagen habe ich immer wiederKommentare gelesen, in denen festgestellt wurde, esgehe bei der Stiefkindadoption um die Selbstverwirkli-chung homosexueller Menschen. Das ist aber nicht derGrund, warum wir uns für die Möglichkeit der Stief-kindadoption einsetzen. Vielmehr kann es – das ist völligklar – nur um die Kinder und damit um das Kindeswohlgehen.
Das Kindeswohl entscheidet darüber, wer als Adop-tionseltern ausgesucht wird. Dabei kann es sich zeigen,dass heterosexuelle Paare nicht geeignet sind; es ist abergenauso gut möglich, dass homosexuelle Paare nicht ge-eignet sind. Es gibt aber auch homosexuelle Paare, diesich genauso wie andere mit viel Liebe und Einsatz umdie Kinder kümmern, denen dies zugute kommt. AufLetztgenanntes kommt es schließlich an.Im Übrigen hat die Anhörung gezeigt, dass es in Ber-lin sehr viele positive Erfahrungen mit homosexuellenElternpaaren gibt. Ich möchte in dieser Debatte deutlichmachen, dass es sie in unserer Gesellschaft schon seitlangem gibt. Das ist vielen nicht bekannt. Mir sind keinenegativen Erfahrungen bekannt. Deshalb denke ich, dasswir diesen Schritt gehen können. Viele Länder in Europatun das bereits. Deshalb hat mich Ihr formales Argumentnicht überzeugt, Frau Ministerin.
Herr Kollege!
Herr Präsident, Sie wollen mich sicherlich auf die Re-
dezeit hinweisen. Sie haben völlig Recht. Sie ist abge-
laufen.
Ich denke, die heutige Debatte zeigt, dass wir einen
kleinen Schritt vorangehen. Aber es werden noch wei-
tere Schritte dringend notwendig sein. Die FDP wird
weiter entsprechenden Druck machen.
Ich halte das für die Pflicht einer liberalen Partei.
Vielen Dank.
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Wie gesagt, wir könnten schon viel weiter sein. Da-als haben Sie noch die Meinung vertreten, dass einengleichung bzw. eine eingetragene Lebenspartner-chaft nicht mit Art. 6 des Grundgesetzes vereinbar sei,eil sie gegen den Schutz der Ehe und Familie verstoßenürde. Mittlerweile sind wir etwas weiter – Frau Raabat darauf hingewiesen –: Aus einem Urteil des Bundes-erfassungsgerichts geht hervor, dass die eingetrageneebenspartnerschaft keinen Verstoß gegen Art. 6 desrundgesetzes darstellt; sie ist mit der Verfassung ver-inbar.Frau Raab hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dieingetragene Lebenspartnerschaft ein Aliud darstellt. Siest etwas völlig anderes als die Ehe. Insofern geht es da-um, die unterschiedlichen Lebenssachverhalte nebenei-ander zu betrachten und nur die künstlichen Unter-chiede nach Möglichkeit aufzuheben. Das ist innserem Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Lebens-artnerschaftsrechts zu einem großen Teil geschehen.Es ließe sich viel zu den einzelnen Themen ausführen.eispielsweise wird das Verlöbnis eingeführt; das ziehtls logische Konsequenz beispielsweise ein Zeugnisver-eigerungsrecht im Strafprozess nach sich. Warumollte dieses Recht gegenüber dem Partner nicht gegebenein, sei es in einer Ehe oder in einer eingetragenen Le-enspartnerschaft?Wir beantworten aber auch eine Frage, die uns immerieder gestellt wurde: Warum sollte die Adoption nichtöglich sein? Wir haben darauf mit der Stiefkindadop-ion eine Antwort gegeben, die wir gesellschaftlich ver-ntworten können. Damit ist Rot-Grün keinesfalls ir-endein neues Teufelswerk eingefallen; vielmehr gibt esie Stiefkindadoption schon seit langem und es liegenereits entsprechende Erfahrungen damit vor.Im Übrigen gibt es auch bisher bei der Adoption nichtur den Fall, dass eine Waise adoptiert wird und deswe-en keine Rechte gekappt werden, Frau Raab. Selbstver-tändlich werden in Deutschland auch Kinder adoptiert,eren leibliche Eltern noch leben. Durch die Adoptionird das Verhältnis zu den leiblichen Eltern ersetzt.
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Christine LambrechtMan sollte den Gesetzentwurf gründlich lesen. Sie ha-ben im Vorfeld drei Punkte kritisiert, die ich kurz anspre-chen will, um die geltende Rechtslage zu verdeutlichen,um deren Anwendung es schließlich geht.Eine Adoption ist heutzutage nur möglich – das stehtausdrücklich in § 1741 BGB –, wenn diese dem Wohldes Kindes entspricht. Das Kindeswohl ist das Aller-wichtigste. Wenn eine Adoption nicht dem Wohl desKindes dient, wird es sie nicht geben. Das ist richtig sound auch wichtig.
Das wird ausführlich von den Experten des Jugendamtesund darüber hinaus von einem Vormundschaftsrichtergeprüft. Es entscheidet also kein Schwulen- oder Les-benverband über eine Adoption. Vielmehr wird bei jederAdoption – egal ob es sich um eine Stiefkindadoptionoder eine andere Adoption handelt – als Erstes geprüft,ob sie dem Kindeswohl dient. Das ist richtig so und auchwichtig.Hinzu kommt, dass zwischen dem Kind und dem An-nehmenden ein Kind-Eltern-Verhältnis bestehen mussbzw. dass die Prognose ein solches erwarten lassenmuss. Auch das steht im Gesetz. Wenn das Kind es alsonicht will, wird es keine Adoption, auch keine Stief-kindadoption, geben. Gegen den Willen des Kindes läuftnichts.
Es ist auch nicht möglich, dass eine Adoption gegenden Willen des natürlichen Elternteils durchgeführtwird, das heißt, dass ihm das Kind genommen wird,wenn eine Kind-Eltern-Beziehung besteht, weil eine ent-sprechende Einwilligung erforderlich ist. Eine solcheEinwilligung kann schon jetzt nur in einer sehr geringenAnzahl von Ausnahmefällen ersetzt werden. Daher kanneinem liebenden Vater oder einer liebenden Mutter nichtdas Kind genommen werden, weil sich zwei Schwuleoder zwei Lesben ihren Lebenstraum erfüllen wollen.Das ist auch richtig so; denn das Kind-Eltern-Verhältnisdarf nicht gekappt werden.Sie haben des Weiteren behauptet, dass Kinder durcheine Adoption ihrer Rechte bezüglich des natürlichen El-ternteils beraubt würden. Das gehört natürlich zum We-sen der Adoption. Aber auch hier erfolgt vorab eine Prü-fung, ob dies zum Vorteil bzw. Wohl des Kindes ist. Nurdann wird diese Rechtsfolge möglich sein. Das allesmuss geprüft werden, wobei die vermögensrechtlicheFrage beim Wohl des Kindes nicht im Vordergrund ste-hen kann bzw. darf; denn es gibt sicherlich viele andereAspekte, die in Bezug auf eine positive Entwicklung derPersönlichkeit entscheidend sind. Das alles macht aberdeutlich, dass Ihre Argumente gegen eine Stiefkindadop-tion völlig ins Leere laufen; denn diese Form der Adop-tion gibt es schon längst, hat sich bewährt und ist dort,wo Probleme auftreten, nicht möglich.Zu der von Ihnen angesprochenen Diskriminierungder Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemein-sjsngbspjKbvBdiudslgDbddgtdfdhjaevtAAw
Frau Kollegin Lambrecht, gestatten Sie eine Zwi-
chenfrage der Kollegin Noll?
Ja, bitte.
Frau Kollegin Noll.
Sehr geehrte Kollegin Lambrecht, Sie haben gerade
ermanent auf das Kindeswohl verwiesen. Ich möchte
etzt die Diskriminierung und die Stigmatisierung der
inder ansprechen, die in gleichgeschlechtlichen Le-
enspartnerschaften leben. Wie steht das, was Sie gerade
orgetragen haben, im Einklang mit der Antwort der
undesregierung – Bundestagsdrucksache 15/3607 –, in
er festgestellt wird, dass diese Jungen und Mädchen in
hrem Alltag Diskriminierung erleiden? Diskriminierung
nd Stigmatisierung stehen schließlich in krassem Wi-
erspruch zum Kindeswohl.
Es ist schade, dass Sie bei der betreffenden Sachver-tändigenanhörung nicht zugegen waren. Dort ist näm-ich die Leiterin eines Jugendamtes auf diese Frage ein-egangen. Sie hat zwar bestätigt, dass esiskriminierung von Kindern gibt, die in solchen Le-enspartnerschaften leben. Aber sie hat auch aufgezeigt,ass die betroffenen Kinder damit umzugehen wissen,ass sie gelernt haben, wie man solchen Diskriminierun-en, die teilweise noch auf Gründen aus dem vorvorletz-en Jahrhundert basieren, begegnen kann. Wenn Sie Kin-ergärten und Schulen besuchen, dann werden Sieeststellen, dass die Familienstrukturen heute ganz an-ers sind. Deshalb können Kinder damit ganz gut umge-en.Wie gesagt, solche Diskriminierungen gibt es schonetzt. Sie werden also nicht erst durch eine Stiefkind-doption entstehen. Wenn ein Kind darunter leidet, wenns das als belastend empfindet, dann kann es das selbst-erständlich bei der Prüfung im Rahmen eines Adop-ionsverfahrens vortragen. Wenn es sagt, dass einedoption zusätzlich belastend ist, dann wird es keinedoption geben, weil das Wohl des Kindes gefährdetäre.
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Christine LambrechtDie Anhörung hat ziemlich deutlich gezeigt, dass wiruns mit dem Gesetz in verfassungsrechtlicher Hinsichtnicht aufs Glatteis begeben bzw. dass wir damit keinNeuland betreten und dass wir nur im Interesse der Kin-der handeln. Das Wohl der Kinder steht eindeutig imVordergrund. Die Sachverständigen haben das in einerOffenheit bestätigt, die – das muss ich zugeben – schonverwunderlich war, bis auf eine Sachverständige, die dieUnion benannt hatte. Die Ausführungen dieser Personhabe ich aber in meiner Entscheidungsfindung nicht son-derlich berücksichtigt. Für diese Frau ist nicht nur dieAdoption durch Schwule und Lesben Teufelszeug. Sievertritt darüber hinaus beispielsweise die Position, dassdas Leben in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaftzu einer tiefen Verunsicherung, zu einer Identitätsver-wirrung und zu einer Zerstörung der Existenz führt.
Frau Kollegin Lambrecht!
Wer solch mittelalterliche Positionen vertritt, dessen
Meinung sollten wir hier bei der Beratung moderner und
zukunftsgerichteter Gesetzesvorhaben nicht berücksich-
tigen.
Vielen Dank.
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erteile ich
das Wort der Kollegin Ute Granold für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Beck, Sie haben es auf den Punkt gebracht:Heute ist ein guter Tag für Lesben und Schwule und eintrauriger Tag für alle Kinder, die in diesen Beziehungenleben.
Sie haben die Anhörung offenbar gänzlich missver-standen. Das Einzige, was Sie daraus mitgenommen ha-ben, ist die Diskriminierung und die Verunglimpfung dervon uns benannten Sachverständigen, die seriöse Datenvorgetragen haben.
– Frau Kollegin, ich habe Sie ausreden lassen. Vielleichtlassen auch Sie mich ausreden.
Ich möchte auch an dieser Stelle darauf hinweisen,dass die Kollegin Antje Vollmer von den Grünen schonin der ersten Lesung und nun erneut – es liegt eine per-sönliche Erklärung vor – zum Ausdruck gebracht hat,dktfPngAKsgBwwBdMüfdPbCLEnsHhddmLmzitamdwWäFrngDb
ie Kinder sind dem, was Erwachsene hier auf den Wegringen, schutzlos ausgeliefert.
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Ute Granold
Ich muss sagen: Das ist – nicht nur angesichts der we-nigen Fälle, die zu regeln sind – ein mehr als fragwürdi-ges Unterfangen. Die soziale und materielle Sicherheitder Kinder in Lebenspartnerschaften können die Lebens-partner durch die vertragliche Übernahme von Unter-haltsverpflichtungen oder durch Begründung von Erb-recht auch ohne Adoption gewährleisten. Schon nachgeltendem Recht sind die eingetragenen Lebenspartnermit den jeweiligen Stiefkindern verschwägert. Es stehtihnen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Es kann zu ih-ren Gunsten im Todesfall des mit ihnen verpartnerten El-ternteils eine Verbleibeanordnung für das Kind ausge-sprochen werden.Mit der beabsichtigten Stiefkindadoption würde einKind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichenKindes der eingetragenen Lebenspartner erlangen.Gleichzeitig würde aber – das ist das Gravierende – dieRechtsbeziehung zu dem biologischen Elternteil unddessen Verwandten definitiv abgeschnitten.
Wir haben in der Anhörung erfahren – ich rate denHerren und Damen von der Koalition, die Stellungnah-men noch einmal sorgfältig durchzulesen –, dass derGrundrechtsschutz der Kinder, ihr Recht auf Vater undMutter, höherrangig zu bewerten ist als das Recht derLebenspartner auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit,auf Selbstverwirklichung und auf – das ist nur ein ver-meintliches Recht – ein Kind.
Im Mittelpunkt, Frau Kollegin Lambrecht, steht in derTat das Kindeswohl. Das allein ist Maßstab für die Ent-scheidung. Es geht nicht um kinderlose Partner, die gernein Kind haben wollen,
sondern es geht um die elternlosen Kinder, die eine Fa-milie bekommen sollen. Das ist das Grundprinzip derAdoption. Gerade in Stieffamilien haben die Kinder inden weitaus meisten Fällen noch einen leiblichen erzie-hungsfähigen und auch erziehungswilligen Elternteil.
Wenn sich die Eltern trennen, ist diese Bezugspersonnach wie vor da.
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eil das bei Ihnen offensichtlich nicht angekommen ist,
rage ich: Stimmen Sie mit mir darin überein, dass dann,
enn ein erziehungsfähiger und erziehungswilliger El-
ernteil da ist, der seine Rechte auch ausüben will und in
ie Adoption nicht einwilligt, eine Adoption, eine Stief-
indadoption in diesem Fall, rechtlich nicht möglich ist?
Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass dann, wenner leibliche Elternteil nicht zustimmt, die Adoption aus-eschlossen ist. Wir wissen aber von Fällen, in denenus sachwidrigen Erwägungen, um sich nämlich Unter-altspflichten zu entziehen, einer Stiefkindadoption zu-estimmt wird.
ier ist das Kind den Erwachsenen schutzlos ausgelie-ert.
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Ute GranoldDie Bundesregierung hat in der Antwort auf eineKleine Anfrage der Kollegin Noll selbst zugegeben, dasses Benachteiligungen, Diskriminierungen und Stigma-tisierungen der Kinder aus diesen Lebenspartnerschaftengibt und die Kinder Angst vor Ausgrenzung haben.Wenn Sie sagen, die Kinder hätten schon gelernt, damitumzugehen, dann muss ich fragen: Warum muten Sieden Kindern überhaupt zu, dass sie damit umgehen müs-sen
und dass sie diesen Stress erleben müssen? Das soll jetztauch noch legalisiert werden!Es gibt keine aussagekräftigen Studien – weder inDeutschland noch im Ausland; Sie erklären das zwar im-mer wieder, aber es gibt sie nicht; das hat uns die Anhö-rung gezeigt –, die belegen, dass die Kinder keinerleiSchäden erleiden. Ganz im Gegenteil, es gibt Hinweisedarauf, dass die Kinder psychische Schäden erleiden,wenn sie in einer solchen Beziehung – sie soll auch nochlegalisiert werden – aufwachsen.Die Kollegin Renate von Renesse, eine SPD-Kolleginaus der letzten Legislaturperiode,
– das ist egal –,
hat im Rahmen der Beratungen eindeutig gesagt – ich zi-tiere –: Das Adoptionsrecht darf niemals als ein Instru-ment der Normalisierung gleichgeschlechtlicher Exis-tenz missbraucht werden. – Genau das ist es aber, washier auf den Weg gebracht werden soll.
Sie wollen genau das zum Schaden der Kinder tun. DieKinder sind diejenigen, die sich nicht wehren können.Deshalb noch einmal unsere Aufforderung an Sie:Setzen Sie dieses unsägliche Verfahren aus! Geben Sieeine Langzeitstudie in Auftrag, um zu erforschen, wiesich Kinder in solchen Beziehungen entwickeln! Dannkönnen wir weiter darüber reden.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Mir liegen zwei persönliche Erklärungen nach § 31der Geschäftsordnung vor: zunächst eine der KolleginVollmer zur zweiten und dritten Beratung des Gesetzent-wurfs der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-nen sowie eine zweite persönliche Erklärung des Kolle-gen Volker Beck zum Gesetzentwurf der FDP. Bei derzweiten könnte man sich über die Notwendigkeit dieserpersönlichen Erklärung sehr streiten,nGsgemdAdwafDsGlezuGWeutHebHszzdewd1)
achdem der Kollege als Redner in der Debatte nicht nurelegenheit hatte, zum Sachverhalt Stellung zu nehmen,ondern das auch getan hat. Aber da wir keinen unnöti-en Streit zum Wochenende entfachen wollen,
mpfehle ich, beide Erklärungen zu Protokoll zu neh-en1). – Dagegen erhebt sich offenkundig auch kein Wi-erspruch.Wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächst zurbstimmung über den von den Fraktionen der SPD undes Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-urf zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechtsuf der Drucksache 15/3445. Der Rechtsausschuss emp-iehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 15/4052, den Gesetzentwurf in der Aus-chussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-en, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wernthält sich der Stimme? – Der Gesetzentwurf ist damit inweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-ntwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionennd der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak-ion und des fraktionslosen Abgeordneten Martinohmann angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-ntwurf der Fraktion der FDP zur Ergänzung des Le-enspartnerschaftsgesetzes auf Drucksache 15/2477.ier empfiehlt der Rechtsausschuss unter Buchstabe beiner Beschlussempfehlung, diesen Gesetzentwurf ab-ulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmtagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Gesetz-ntwurf ist in zweiter Beratung mehrheitlich abgelehntorden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnungie weitere Beratung.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, ThomasStrobl , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUEinsatz der automatisierten Erfassung vonKraftfahrzeugkennzeichen durch den Bundes-grenzschutz– Drucksache 15/3713 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Anlagen 2 und 3
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eineDebattenzeit von 30 Minuten vorgesehen. – Dazu höreich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Kollege Dr. Ole Schröder für die CDU/CSU-Frak-tion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vom Bundesinnenminister hören wir immerwieder markige Ankündigungen, wie die innere Sicher-heit in Deutschland verbessert werden kann. Schade istnur, dass Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderfallen. Den Bürgern ist mit bloßen Versicherungen, eswerde alles getan, nicht geholfen. Innere Sicherheit kannnur durch Taten erreicht werden. Mit einer besonderseinfachen Tat könnte die Regierung mehr Sicherheit fürdie Bürger vor grenzüberschreitender Kriminalität errei-chen. Sie könnte dafür sorgen, dass die Beamten vomBGS bei ihrer Arbeit durch die automatisierte Erfassungvon Kraftfahrzeugkennzeichen unterstützt werden. Sehrgeehrte Kolleginnen und Kollegen, helfen Sie den Be-amtinnen und Beamten vom BGS bei ihrer Arbeit.
Warum besteht so ein Handlungsbedarf? Die Anzahlder zur Fahndung ausgeschriebenen Kraftfahrzeuge undKraftfahrzeugkennzeichen steigt. In diesem Frühjahrwaren es bundesweit circa 557 000 Kennzeichen undcirca 327 000 Kraftfahrzeuge. Hier geht es nicht nur umAutodiebstahl, hier geht es auch um die so genanntenAnschlussstraftaten wie Einbrüche, Raubüberfälle undGeiselnahmen.Es kommt noch dicker, meine Damen und Herren:Die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität inEuropa nimmt zu. Kriminelle Vereinigungen handelnmit Menschen, Frauen werden zur Prostitution gezwun-gen, organisierte Banden verschieben Autos europaweit,Terroristen agieren ohne Rücksicht auf unsere Grenzen.Die grenzüberschreitende Kriminalität stellt eine we-sentliche Gefahr für die Sicherheit in unserem Landedar.
Wir bemühen uns zwar schon heute, diese Kriminellenzu fassen. Es wird versucht, die Kraftfahrzeugkennzei-chen im Rahmen von Fahndungen zu erkennen und dannmit dem geführten Fahndungsregister abzugleichen.Doch selbst die besten Beamten des Bundesgrenzschut-zes sind nicht in der Lage, bei hoher Verkehrsdichte undhoher Geschwindigkeit den schnell fließenden Verkehrzu erfassen. So schnell kann kein Beamter schauen; dastoßen die Beamten an ihre menschlichen Grenzen.Jeder verantwortungsvolle Innenpolitiker sollte sichüberlegen, ob und wie wir den Beamten helfen können.DnlAHSSKlgßKtFigufwnuklehshPwfzfwanKkgErngd
uch in Deutschland – in Bayern, Brandenburg undessen – ist diese Technik getestet worden.Sehr geehrte Kollegen von den Grünen und von derPD, hier droht Ihnen kein weiteres Mautdesaster.
ie können unserem Antrag beruhigt zustimmen. Dasfz-Kennzeichen-Scanning ist bereits heute effektiv,eistungsfähig und hat in der Praxis gute Fahndungser-ebnisse gebracht. Damit können nämlich aus dem flie-enden Verkehr heraus Kraftfahrzeugkennzeichen durchameras erkannt werden. Diese Daten werden dann au-omatisch mit dem Fahndungsbestand abgeglichen. Derahndungsbestand bezieht sich nur auf Kennzeichen, diem Zusammenhang mit Straftaten ausgeschrieben undesucht werden.
Hier geht es nicht um die Erfassung von Kennzeichennbescholtener Bürger. Ist das Kennzeichen des vorbei-ahrenden Fahrzeugs nicht im Fahndungsbestand, dannird es sofort und unwiederbringlich gelöscht und ebenicht gespeichert. Insgesamt ergeben sich für den BGSngeahnte Präventions- und Strafverfolgungsmöglich-eiten von einer ganz neuen Dimension.Vergessen wir aber nicht, liebe Kolleginnen und Kol-gen, von wem wir das Mandat, für die innere Sicher-eit zu sorgen, erhalten haben. Überlegen wir uns: Wieieht denn eine herkömmliche Kontrolle für die Bürgereute aus? Ihre Fahrt wird unterbrochen. Sie müssen ihreapiere vorzeigen, je nach Termindruck eine mehr odereniger unangenehme Prozedur. In der Zwischenzeitährt auf der Autobahn ein gestohlenes Kraftfahrzeug,um Beispiel mit einem Schleuser, unbehelligt vorbei.Wie sieht die Alternative für unsere Bürger aus? Sieahren an einem Kontrollpunkt vorbei. Ihr Kennzeichenird automatisch gelesen, mit dem Fahndungsregisterbgeglichen und anschließend sofort gelöscht. Sie kön-en unbehelligt weiterfahren. Gleichzeitig wird dasennzeichen des gesuchten Schleusers erfasst. Der BGSann nun seine eigentliche Arbeit aufnehmen und denesuchten Schleuser dingfest machen.Meine Damen und Herren, was stellt den größereningriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger dar?Wir dürfen dem BGS die Nutzung dieser funktionie-enden Technologie nicht weiter verwehren. Es hilft we-ig, wenn wir immer mehr Fahndungsdaten des Schen-ener Systems zur Verfügung haben, diese aber aufgrunder fehlenden Technik nicht nutzen können.
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Dr. Ole SchröderEuropa wächst zusammen. Eine größere Anzahl Bür-ger kann sich in einem größeren Gebiet frei bewegen.Das begrüßen wir alle. Doch wir müssen alles tun, um zuverhindern, dass der Freiheitsgewinn für unsere Bürgermit zusätzlichen Spielräumen für Kriminelle einhergeht.Ich appelliere daher an den Bundesinnenminister, sichdieser funktionierenden und innovativen Technik nichtweiter zu versperren
und sich dem Einsatz des Kfz-Kennzeichen-Scanningsnicht länger zu widersetzen. Meine Damen und Herrenvon der Regierungskoalition, ich bitte Sie: Stimmen Sieunserem Antrag zu!
Das Wort hat nun der Kollege Frank Hofmann für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Dr. Schröder, das Bild, das Sie von
der inneren Sicherheit hier zeichnen, stimmt nicht mit
der Realität überein.
Weder das Lagebild „organisierte Kriminalität“ noch die
Polizeiliche Kriminalstatistik oder das Lagebild
„Schleusungskriminalität“ bestätigen Ihr Bild von der
inneren Sicherheit.
Erstens. Der Diebstahl von Kraftfahrzeugen ist von
2002 auf 2003 um mehr als 10 Prozent zurückgegangen.
Seit zehn Jahren gibt es hier – so die Kriminalstatistik –
einen sinkenden Trend. Die Wagensperre ist eine effi-
ziente Maßnahme, um Diebstähle zu verhindern.
Zweitens. Was unerlaubte Einreisen betrifft, haben
wir im Jahre 2003 einen Rückgang von 24,5 Prozent zu
verzeichnen. Der Rückgang bei den Schleusungen be-
trägt 16 Prozent.
Drittens. Das Bundeslagebild „Schleusungskrimina-
lität“ betrachtet als bedeutsam: Schiffsschleusung nach
Europa, Benutzung von Flugzeugen und der Bahn sowie
den grenzüberschreitenden Buslinienverkehr, nicht je-
doch das gestohlene Kfz, das mit Originalkennzeichen
über die Grenze gefahren wird.
Viertens. Sie behaupten, die Erfassung und der Ab-
gleich von Kfz-Kennzeichen an Grenzübergängen diene
der Aufdeckung unerlaubter Grenzübertritte, insbeson-
dere der Aufdeckung von Schleusungsdelikten, sowie
der Fahndung nach flüchtigen Straftätern. Mir ist nicht
bekannt, dass Kfz-Diebe insbesondere gestohlene Kfz
ohne Kennzeichendublette und ohne frisierte Papiere be-
nutzen, um damit Personen über die Grenze zu schleu-
sen.
In der Summe kann man also sagen: Sie kochen die
Gefahr für die innere Sicherheit hoch. Ihre Darstellun-
gen entsprechen aber nicht der Realität.
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s muss Ihnen doch klar sein, dass man mit diesem Ein-
atz nicht auf großen Fischfang gehen kann.
Sie bezeichnen die automatisierte Erfassung von
raftfahrzeugkennzeichen und den automatisierten Ab-
leich mit dem Fahndungsbestand als effiziente Techno-
ogie. Soweit ich höre, handelt es sich um eine effiziente
echnologie bei Sonnenschein, aber nicht bei Regen.
ie Erfassungsgeräte schaffen es wohl nicht, bei jedem
etter das Kennzeichen vollständig abzulesen. Von ei-
er effizienten Technologie kann deshalb meines Erach-
ens noch keine Rede sein. Ich sehe keinen Quanten-
prung für die Fahndung.
Herr Kollege Hofmann, darf der Kollege Schröder Ih-
en eine Zwischenfrage stellen?
Wenn er unbedingt muss, darf er das.
Danke, Herr Kollege Hofmann, dass Sie mir diese
wischenfrage erlauben.
In Bayern wurden im Rahmen eines halbjährigen, eng
efassten Testbetriebs 114 Treffermeldungen für zur
ahndung ausgeschriebene Personen und Kfz-Kennzei-
hen nach Diebstahl bzw. Unterschlagung erzielt. Ist Ih-
en das bekannt? Sie reden aber davon, dass wir in
eutschland keine Probleme mit unterschlagenen und
estohlenen Fahrzeugen haben.
Sie haben mich missverstanden. Sie sollten das Endeeiner Rede abwarten. Ich habe davon gesprochen, dasss diesen Quantensprung nicht gibt. Es gibt in Bayern82 Treffermeldungen. Darunter sind die 114 Meldun-en, die Sie gerade erwähnt haben. Die Anzahl der Tref-ermeldungen sagt aber noch nichts über die Qualitätus. Die Qualität muss erst noch festgestellt werden.
arten Sie meine weiteren Ausführungen ab. Sie wer-en dann erkennen, welchen Weg wir vorschlagen.Richtig ist – soweit ich das weiß –, dass dieses Sys-em in den Ländern Bayern, Berlin, Brandenburg,heinland-Pfalz und Thüringen erprobt worden ist. Inayern ist man da wohl am weitesten. Ich kenne auchen entsprechenden Gesetzentwurf.Sie fordern dieses System für den BGS an den Grenz-bergängen. Welche Grenzen kommen denn dafür nochnfrage? Die Grenzen zur Schweiz, nach Polen und nach
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Frank Hofmann
Tschechien. Der größte Teil der Grenze nach Tschechienwird von der bayerischen Polizei abgedeckt. Für denBGS bleiben ein kleiner Teil der Grenze nach Tsche-chien sowie die Grenze nach Polen und die Grenze zurSchweiz übrig. Wie lange könnten diese Maßnahmen anden Grenzen noch vom BGS durchgeführt werden? Innaher Zukunft ist die vollständige Einbeziehung Polens,Tschechiens und auch der Schweiz in den Schengen-Ver-bund zu erwarten.Stationäre Kennzeichenlesesysteme könnten deshalbnur noch bis 2007 betrieben werden. Danach sind diesEU-Binnengrenzen und können nicht mehr wie EU-Au-ßengrenzen behandelt werden. Man muss sich deshalbdie Frage nach Effizienz, Verhältnismäßigkeit, Daten-schutz und Sinnhaftigkeit stellen. Möglicherweise wirddadurch der BGS mit kleineren Verfahren belastet, wasihn von anderen wichtigen Aufgaben abhält.Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass in-ternationale Kfz-Verschieberbanden ihre Autos bereitsüber die EU-Grenzen hinaus gebracht haben, bevor derDiebstahl überhaupt in das Schengener Informationssys-tem eingestellt wird. Auch bei anderen bekannten Ver-bringungsweisen, wie zum Beispiel zerlegter Transportoder Verladung auf LKWs, hilft uns das Kennzeichen-Scanning nicht weiter. Hier zeigt sich: Auch wenn dasLesegerät bei Nacht sowie bei Wind und Wetter erfolg-reich ist, wird es keine Treffer landen.Schwerpunkte des Einsatzes beim BGS sind die Ver-hinderung der unerlaubten Einreise, die Bekämpfung derSchleuserkriminalität, die internationale Kfz-Verschie-bung sowie die Verhinderung der Ein- und Ausreise po-tenzieller Gewalttäter zu Großveranstaltungen in derBundesrepublik. Ich sehe nicht, wie dieses Lesesystembei der Verhinderung der unerlaubten Einreise helfenkann. Wer benutzt denn zur unerlaubten Einreise Autos,die in der Fahndung ausgeschrieben sind?Bei der Schleuserkriminalität habe ich aufgezeigt, mitwelchen Verkehrsmitteln geschleust wird. Bei der inter-nationalen Kfz-Verschiebung habe ich aufgezeigt, dassman Autos ohne Dubletten bzw. ohne andere Verände-rungen gerade nicht über die Grenze bringt. Wo ist alsoder Fortschritt für den BGS?Vor einer abschließenden Entscheidung für den BGSsind die Ergebnisse der laufenden Modellversuche undinsbesondere die Ergebnisse der Untersuchungen zu denrechtlichen und technischen Möglichkeiten zur Einfüh-rung eines automatischen Lesesystems abzuwarten. Da-mit befassen sich die Fachleute im Rahmen der ständi-gen Konferenz der Innenminister. Dem werden wir nichtvorgreifen.Natürlich ist es unsere Aufgabe, neue Techniken zuerproben und sie, wenn sie ausgereift sind, auch einzu-setzen. Für Schnellschüsse sind wir jedoch nicht zu ha-ben.Ich danke Ihnen.
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Leider beschränken Sie sich nicht auf den Grenzüber-ritt. Dieses Kennzeichen-Scanning soll nach Ihrer Auf-assung demnächst im Zuständigkeitsbereich des Bun-esgrenzschutzes umfassend eingesetzt werden,
lso in einem Umkreis von bis zu 50 Kilometern.
Der BGS erfüllt mittlerweile mehr Aufgaben als nuren reinen Grenzschutz. Das bedeutet, dass es bis zu ei-em flächendeckenden Kennzeichen-Scanning nur einleiner Schritt ist. Mit welcher Argumentation wollenie eigentlich eher kleineren Ländern entgegentreten,ei denen schon 50 Kilometer nach dem Grenzübertrittie Hälfte des Landes erreicht ist? Würde man Ihre Vor-tellung umsetzen, gäbe es bald ein komplettes Kennzei-hen-Scanning.Es ist ja so – dies stärkt uns in unseren Befürchtun-en –, dass Bayern, Hessen und Thüringen das allesteilweise ohne Rechtsgrundlage – schon getestet ha-en. Darüber hinaus will der Bundesinnenminister, wieir wissen, den Bundesgrenzschutz zur Bundespolizeimbauen. Wenn es im Rahmen dieses Umbaus noch eineompetenzerweiterung gibt, finden solche Maßnahmenben nicht nur im Grenzbereich statt. Damit würden wirm deutschen Recht völlig neuen Boden betreten.
Absolute verdachtsunabhängige Kontrollen sind demeutschen Recht bisher gänzlich fremd.
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Gisela PiltzDie FDP hat sich stets mit guten Gründen gegen eineAushöhlung dieses Ausdruckes einer souveränen undbewährten Rechtsstaatlichkeit ausgesprochen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entschei-dung zur präventiven Telefonüberwachung vom Märzdieses Jahres bereits festgestellt, dass die Voraussetzun-gen im Rahmen der präventiven Überwachung umsokonkreter gefasst werden müssen, je weiter sie im Vor-feld vorgenommen werden. Damit macht das Bundes-verfassungsgericht klar, dass an eine präventive Maß-nahme in diesem Bereich strenge Maßstäbe zu stellensind, weil der Betroffene „von einer Überwachung keineKenntnis hat und sich deshalb nicht selbst wehren kann“.An diese Maßstäbe müssen sich glücklicherweise nichtnur FDP-Kollegen in diesem Haus halten.Im Übrigen haben schon die Datenschutzbeauftragtender Länder und des Bundes vor dieser Kfz-Überwachunggewarnt. Ich weiß, dass Sie die Bedenken der Daten-schützer meist belächeln. Ich tue das nicht und meine ge-samte Fraktion auch nicht.
Ich möchte dazu noch einmal zitieren:Es ist zu befürchten, dass mit dem Einsatz der auto-matischen Kfz-Kennzeichenerfassung eine neue In-frastruktur geschaffen wird, die künftig noch weittiefer gehende Eingriffe in das Persönlichkeitsrechtermöglicht.Die Frage, die ich heute an Sie stelle, lautet: Wollenwir wirklich die Voraussetzungen schaffen, die bei ei-nem weniger verantwortungsvollen Umgang eine totaleÜberwachung des Bürgers so drastisch vereinfachen?Nicht nur ich hoffe, dass Sie sich das noch einmal über-legen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar vonNeuforn, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich findees zum einen zunehmend köstlich, dass sich bei dieseninnenpolitischen Debatten zeigt, dass Rot und Grün auchinhaltlich eine politische Gemeinschaft bilden, dass wiralso eine gemeinsame rot-grüne Innenpolitik machen,
in der auch ein Abwägungsprozess stattfindet.Zum anderen finde ich den Hinweis des DreamteamsMerkel und Westerwelle, ab 2006 gemeinsam zu regie-ren, zunehmend köstlich. Ich frage mich: Soll das eineZnibgIüFCarmlSvgrFzugrgSlBDcbswmnnKwrbzDS
ch bin fest davon überzeugt, dass Rot-Grün noch weitber 2006 hinaus für die Sicherheit, aber auch für diereiheit unserer Bürgerinnen und Bürger eintreten wird.
Ich spreche jetzt zur Sache, nämlich zum Antrag derDU/CSU. Ich finde es interessant – hier habe ich einendere Einschätzung als die FDP –, dass die von Ihnenegierten Länder den Begriff Bundespolizei und die da-it verbundene Zuständigkeitserweiterung generell ab-ehnen.
ie aber nehmen mit Ihrem Antrag eine Vermengungon landespolizeilichen Aufgaben und der derzeitigenrenzpolizeilichen Aufgaben des BGS vor. Die Gefah-enabwehr, also die Strafverfolgung beispielsweise inällen von Kfz-Diebstahl, gehört heute aber eben nichtur Kernaufgabe des BGS. Dies ist originäre Aufgabenserer Landespolizeien.
Ich finde es aber – das möchte ich auch deutlich sa-en – geradezu erschreckend, wie mit Grundsätzen unse-es Rechtsstaates umgegangen wird. Wir haben nichtsegen die Technik des Scannings von Autokennzeichen.ie aber wollen dies verdachtsunabhängig, permanent,agebildunabhängig und unterschiedslos gegen jedenürger und gegen jede Bürgerin an jedem Ort einsetzen.as bedeutet eine völlige Abkehr von dem rechtsstaatli-hen Grundsatz der Unschuldsvermutung.
Sie müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen – hiereziehe ich mich auf die Stellungnahme der Daten-chützer, die ernst zu nehmen ist –: Selbstverständlichird ein Eingriff in das informationelle Selbstbestim-ungsrecht nicht dadurch besser, dass die Bürgerin-en und Bürger keine Kenntnis davon haben und auchicht merken, dass sie permanent überwacht und ihrefz-Kennzeichen mit Fahndungsdateien abgeglichenerden. Die Eingriffstiefe wird doch nicht dadurch ge-inger, dass der Bürger die Kamera an der Autobahn-rücke nicht bemerkt, die das Kennzeichen seines Fahr-euges erfasst und mit der Fahndungsdatei abgleicht.er nächste Schritt ist dann – wie in England – eincanning der Autoinsassen. Danach wird dann in jedem
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Silke Stokar von NeufornFußballstadion geprüft, ob dort nicht vielleicht ein Ta-schendieb sitzt.Sie begründen die von Ihnen – unter Missachtung derverfassungsschutzrechtlichen und datenschutzrechtli-chen Regelungen – vorgeschlagenen Maßnahmen mitdem lapidaren Hinweis: Es ist doch nicht so schlimm,wenn wir eine permanente Überwachung aller Bürgerin-nen und Bürger in unserem Land mit verschiedenentechnischen Überwachungsmitteln, die auch noch mit-einander vernetzt werden, zulassen. So weit werden wirnicht gehen.
Wir können doch nicht so weit gehen, dass wir an Au-tobahnen, auf Bahnhöfen, in Fußballstadien und anGrenzübergängen mit technischen Überwachungsinstru-menten arbeiten. Wir können doch nicht überall Autos,Gesichter, biometrische Merkmale und DNA registrie-ren. Sie müssen doch einmal die Summe Ihrer Anträgeund Forderungen bilden! Mir wird dabei angst.
Wir werden eine vernünftige Innenpolitik mit Augen-maß betreiben. Dafür steht Rot-Grün. Wir werden in je-dem einzelnen Punkt weiterhin abwägen, ob ein Mittelgeeignet und verhältnismäßig ist.Danke schön.
Zum Schluss dieser Debatte hat das Wort der Kollege
Ronald Gewalt für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-legin Stokar von Neuforn, Sie haben ein flammendesPlädoyer für den Rechtsstaat gehalten. Schauen Sie sichFrankreich, Großbritannien und die Schweiz an! Dassind alteingesessene europäische Demokratien, die dasKennzeichen-Scanning längst eingeführt haben. Also einbisschen gemach an dieser Stelle.Das Scannen und Registrieren von Kfz-Kennzei-chen zu Fahndungszwecken ist in vielen europäischenLändern längst Praxis bei der Polizei. Ich nenne das Bei-spiel der Schweiz: Der Fahndungscomputer in der Zen-tASeFdK–VcgmAbdEunMwRBfcrlgheIuckhugnemciI
on den Kameras in der Schweiz werden das Kennzei-hen, die Frontpartie, die Marke und das Modell des Wa-ens erfasst. In Sekundenbruchteilen werden die Infor-ationen an den Computer weitergegeben, der dann denlarm auslöst.Die Erfolge – ich habe sie soeben angerissen – sindeeindruckend. Sie waren ausschlaggebend dafür, dassie Videoüberwachung von Kraftfahrzeugen überall inuropa auf dem Vormarsch ist. Großbritannien, Italiennd die Schweiz haben hier eine Vorreiterrolle über-ommen. Mittlerweile sind auch in Deutschland dreiodellversuche gelaufen, in Brandenburg gab es deneitestgehenden, und zwar unter sozialdemokratischeregierungsverantwortung.
ayern und Hessen haben begrenzte Versuche durchge-ührt. Überall ist das Urteil der Polizei eindeutig.
Das Kfz-Kennzeichen-Scanning ist ein viel verspre-hendes Fahndungsmittel. So fällt auf, dass seit Einfüh-ung der Videoüberwachung von Kraftfahrzeugen in Ita-ien der Autodiebstahl – dort bekanntermaßen einroßes Problem – deutlich zurückgegangen ist. Ich habeeute früh die Zahlen für Norditalien erhalten. Dort gabs einen Rückgang des Autodiebstahls um 22 Prozent.ch glaube, das kann sich sehen lassen, meine Damennd Herren von der SPD.
Man kann davon ausgehen, dass die Videoüberwa-hung von Kraftfahrzeugen nicht nur eine Fahndungs-omponente, sondern auch eine präventive Komponenteat, die für den Bürger die entscheidende ist. Frau Piltz,m den Bedenkenträgern gleich den Wind aus den Se-eln zu nehmen: Datenschutzprobleme bestehen ebenicht. Die Daten und Bilder, die von der Videokamerarfasst werden, werden nicht gespeichert, sondern nurit den Daten abgeglichen, die bereits im Fahndungs-omputer sind. Eine Speicherung über Stunden und Tagest überhaupt nicht vorgesehen und nicht notwendig.
nsofern verstehe ich Ihre Bedenken nicht.
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Roland GewaltGerade in Zeiten, in denen die Grenzkontrollen inner-halb der Europäischen Union wegfallen – Ihr Argument,Herr Kollege Hofmann, ist daher eher ein Argument fürdie Einführung des Kennzeichen-Scannings –,
braucht man eine Kompensation hinter den Grenzen.Deshalb sollte nicht nur der Polizei der Länder, sondernauch dem Bundesgrenzschutz die Möglichkeit gegebenwerden, die Videoüberwachung von Kraftfahrzeugeneinzuführen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich daran er-innern, dass nicht nur die Innenminister der Union, son-dern auch die der Sozialdemokraten – zum Beispiel HerrBehrens aus Nordrhein-Westfalen und Herr Körting ausBerlin – Interesse am Kfz-Kennzeichen-Scanning ge-zeigt haben.
Allerdings wollen die sozialdemokratischen Innenminis-ter – offensichtlich, um die Landespolizeigesetze nichtändern zu müssen – anders bezogene Kontrollen.
Diese Kontrollen, Frau Kollegin Stokar – das zeigen diePilotprojekte in Brandenburg, Bayern und Hessen –, sindjedoch nicht ausreichend. Gerade die regelmäßigen Auf-nahmen durch fest installierte Kameras und die anlass-unabhängigen Kontrollen sind für einen Erfolg maßgeb-lich. Deshalb setzen wir uns für sie ein.
Herr Staatssekretär, der Bundesinnenminister hat imÜbrigen nicht dasselbe Problem wie seine sozialdemo-kratischen Kollegen in den Ländern. Er braucht keineAngst davor zu haben, bei einer Gesetzesinitiative zurEinführung anlassunabhängiger Kontrollen an der ei-genen Fraktion zu scheitern;
denn im Bundesgrenzschutzgesetz sind bereits anlassun-abhängige Videokontrollen vorgesehen. Es ist übrigenseines der ganz wenigen bundesweit gültigen Polizeige-ssDsSdrDfEsddkdWGsedsrsr
eshalb richte ich folgenden Appell an Sie, Herr Staats-ekretär, bzw. an die gesamte Bundesregierung: Wendenie dieses fortschrittliche Gesetz bitte an und geben Sieem Bundesgrenzschutz die Möglichkeit, diese erfolg-eiche Fahndungsmethode einzusetzen!Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/3713 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu stelle ich
invernehmen fest. Dann ist die Überweisung so be-
chlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung der Europäischen Gesellschaft
– Drucksache 15/3405 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 15/4053 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Olaf Scholz
Dr. Norbert Röttgen
Jerzy Montag
Rainer Funke
Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag
er CDU/CSU-Fraktion vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache 45 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
er Kollege Olaf Scholz für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!ir führen heute eine sehr wichtige Diskussion über denesetzentwurf zur Einführung der Europäischen Gesell-chaft. Hierbei geht es nicht nur darum, formal irgend-inen Gesetzentwurf zu beschließen. Vielmehr geht esarum, dass unsere Unternehmen mit anderen europäi-chen Unternehmen auf einer guten Grundlage fusionie-en können. Diese Grundlage schaffen wir heute. Das istehr wichtig, weil in zusammenwachsenden Wirtschafts-äumen nicht darauf verzichtet werden kann, dass den
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Olaf ScholzMenschen und den Unternehmen Rechtsformen zur Ver-fügung gestellt werden, in denen sie sich zusammen-schließen können. Das wird nun geschehen. Ich glaube,das ist ein richtiger Schritt und ein guter Erfolg.Diese Diskussion ist immer schwierig gewesen, weilnicht klar war, wie die insbesondere in der Frage derMitbestimmung bestehenden unterschiedlichen Tradi-tionen in den verschiedenen europäischen Ländern mit-einander zu vereinbaren sind. Das hat dazu geführt, dasses lange gedauert hat, bis auf europäischer Ebene eineentsprechende Richtlinie ausgearbeitet wurde, die wirjetzt in nationales Recht umsetzen können. Letztendlichist dabei allerdings etwas Gutes herausgekommen. Diegute Botschaft für unser Land lässt sich wie folgt zusam-menfassen: Die deutsche Form der Unternehmensmitbe-stimmung wird auf europäischer Ebene gut funktionie-ren.
Die Europäische Gesellschaft und die europäische Wirt-schaft sind mit der deutschen Mitbestimmung vereinbar.Das ist die Botschaft, die heute vom vorliegenden Ge-setzentwurf ausgeht. Diese Botschaft ist positiv und wirsollten sie weitersagen.
Meine Damen und Herren, das sehen auch andere so.
Erst vor kurzem hat Herr Schrempp verkündet, dass ergute Erfahrungen mit der Mitbestimmung gemacht hat,dass er es auf der Arbeitnehmerseite überall, wo er zu-ständig gewesen ist, mit kompetenten Menschen zu tunhatte und dass es, wenn es wirklich einmal Schwierig-keiten gegeben hat, oft daran lag, dass sich diejenigen,die eine unternehmerische Entscheidung zu treffen hat-ten, diese nicht zugetraut haben, obwohl sie im Auf-sichtsrat ein Zweitstimmrecht hatten. Also noch einmal:Die Mitbestimmung ist europarechtskonform und auchviele wichtige deutsche Unternehmerpersönlichkeitenfinden, dass sie etwas Gutes ist und wir sie in diesemLand bewahren sollten.Was ist in der Diskussion hier passiert? Sie haben ver-sucht, zum Kampf gegen die Mitbestimmung zu blasen.Sie haben gesagt: Das geht alles nicht. Der kleine Vor-wand Europa sollte herhalten für ein Ende der Mitbe-stimmung in Deutschland, insbesondere der paritäti-schen. Der große Wind, den Sie da gemacht haben, ist inder fachlichen Anhörung ein bisschen untergegangen.
Denn was ist herausgekommen? Eine einzige kleineBotschaft: In dem Fall, dass man sich in Deutschlandnicht für das bekannte dualistische System mit Vorstandund Aufsichtsrat entscheidet, sondern für das monisti-sche System eines Verwaltungsrates, zu dem die ge-schäftsführenden Direktoren gehören, in diesem einenshksrksnCrmSsidisAcTTsdHnkBtvucgdzgNeagdn
Deshalb vielleicht eine letzte Bemerkung, auch alstrategische Warnung: Passen Sie auf, dass Sie sich hiericht die zweite Kopfpauschale holen!
Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Röttgen,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unterneh-ensmitbestimmung steht wieder auf der Tagesordnung.ie ist ein Sachverhalt, mit dem man sich politisch be-chäftigen muss, den man nicht ignorieren kann. Zur Klarstellung: Die Unternehmensmitbestimmungst nicht – das wissen wir, aber ich sage es hier bewusst –ie Mitwirkung von Arbeitnehmern im Betriebsrat. Dasst nicht das Thema, sondern wir reden über die Mitbe-timmung von Arbeitnehmern und Gewerkschaften imufsichtsrat großer Kapitalgesellschaften, nämlich sol-her, die mehr als 2 000 Beschäftigte haben. Dieseshema ist im Zusammenhang mit Europa wieder auf dieagesordnung gekommen.Nun gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, mit die-er Wirklichkeit umzugehen. Eine Möglichkeit bestehtarin, zu sagen: Wir nutzen das für unsere Interessen.err Rogowski hat gesagt: Wir wollen diese Gelegenheitutzen, um einen – angeblich – historischen Fehler zuorrigieren. Das ist nicht die Auffassung der CDU/CSU-undestagsfraktion und nicht die Auffassung der Par-eien CDU und CSU. Wir halten die Auffassung, die erertreten hat, für falsch.
Es gibt eine zweite Möglichkeit, die auch taktisch istnd die Sie, Herr Kollege Scholz, zu meiner persönli-hen Enttäuschung geradezu exemplarisch wieder vor-eführt haben. Ich persönlich habe mich eigentlich sehrarüber gefreut, dass der Verlust Ihres Amtes bei Ihnenu einer vernunfttreibenden Persönlichkeitsentwicklungeführt hat.
un haben Sie in dieser positiven Entwicklung geradeinen kleinen Stopp eingelegt und sind wieder in Ihrelte Rolle zurückgefallen. Schon ist es wieder schief ge-angen. Bleiben Sie ein vernünftiger Parlamentarier,ann werden Sie auch an dieser Debatte bereichernd teil-ehmen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12499
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Dr. Norbert Röttgen
Das ist die persönliche Empfehlung, die ich Ihnen ge-ben möchte.Sie haben uns die zweite Möglichkeit vorgeführt, tak-tisch auf dieses Thema zu reagieren, das uns die Wirk-lichkeit – nichts sonst – serviert. Sie haben gesagt: Wirignorieren das, weil es parteitaktisch zu unserem Vorteilist – das ist Ihr wahrer Grund – und weil wir es partei-taktisch nutzen wollen: gegen diejenigen, die sich in derSache mit einem real existierenden Wirtschafts- und Ar-beitsmarktthema unserer Gesellschaft beschäftigen wol-len. Sie haben ja die Warnung ausgesprochen, dass Siedieses Thema zur Verhetzung nutzen, die Gewerkschaf-ten mobilisieren und die SPD stabilisieren wollen, aberum die Sache nicht ringen wollen. Das ist der Vorwurf,den ich Ihnen mache.
Das ist vielleicht parteitaktische Interessenwahrneh-mung, aber Sie verletzen Ihre Pflichten, weil es hier umdeutsche Interessen geht. Es geht um Arbeitsplätze undUnternehmen in Deutschland. Das ist die Frage, keinKulturkampf. Es geht um die ganz nüchterne, aber ge-sellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch grundsätzli-che Frage: Welche Bedeutung hat die Unternehmensmit-bestimmung für die Wettbewerbsfähigkeit unseresLandes als Standort internationaler Unternehmen? Sie istnicht akademisch oder theoretisch, sondern bedrohlich.Es ist bedrohlich, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende undder Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank erklären,dass im Falle eines Zusammenschlusses die Holdingihren Sitz ganz sicher nicht in Deutschland, sondernvielleicht in Luxemburg oder in Amsterdam haben wird.
– Sie halten das für einen Skandal. Das ist aber die Wirk-lichkeit. Herr Kollege, unsere Aufgabe ist es, die Wirk-lichkeit zu gestalten und sie nicht zu ignorieren, was Ihrebevorzugte Variante der Behandlung des Themas ist. Wirmüssen gestalten.
Ansonsten ist Deutschland als Unternehmenssitz und alsSitz von Arbeitsplätzen der Verlierer.Rhône-Poulenc und Hoechst haben sich zu Aventiszusammengeschlossen. Der Sitz der Holding ist nicht inDeutschland, sondern Straßburg. Wir könnten eine ganzeLatte von Unternehmen auflisten, die Deutschland nichtnur aus Gründen der Unternehmensmitbestimmung, son-dern auch aus steuerlichen Gründen meiden. Hier spielteine Vielzahl von politischen und rechtlichen Rahmen-bedingungen eine Rolle, die durch Sie so gestaltet wer-den, dass Deutschland als Sitz internationaler Unterneh-men nicht attraktiv ist.Entscheidend ist, dass es schlicht nicht funktioniert,Deutschland zu verriegeln. Aus wirtschaftlichen undrechtlichen Gründen kann es nicht gelingen, Deutsch-land abzuriegeln, indem verhindert wird, dass Unterneh-mEfEbntadRrghmgdaidzsädUwRdehGfFrndwdsaEsauDcmvgnbemzV
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Wir können dem Thema nicht entfliehen. Dafür gibts drei konkrete Gründe. Über einen davon reden wireute, nämlich die Europäische Gesellschaft. Der ersterund ist die Eingeführung einer europäischen Rechts-orm einer Kapitalgesellschaft. Der zweite Grund ist dieusionsrichtlinie, die verhandelt wird. Wenn Sie das er-eichen sollten, was Sie bei der Aushandlung der Richtli-ie über die Europäische Gesellschaft erreicht haben,ann werden deutsche Unternehmen fusionsunfähigerden und als Partner nicht mehr infrage kommen. Derritte Grund, sich mit diesem Thema befassen zu müs-en, weil sich die Wirklichkeit sonst von der Politik ver-bschiedet und ihr eigenes Reglement schafft, ist deruropäische Gerichtshof, der inzwischen in drei Ent-cheidungen geurteilt hat, dass Unternehmen gezielt eineusländische Rechtsform wählen können, um nationalenternehmensrechtliche Bestimmungen zu umgehen.as ist kein Missbrauch, sondern nach der Rechtspre-hung des Europäischen Gerichtshofes die Wahrneh-ung der Niederlassungsfreiheit. Sie können es nichterhindern. Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür, zulauben, wir wären eine Insel in Europa und könntenoch etwas regeln. Das wird nicht der Fall sein.Verantwortlich handelt der, der der Unternehmensmit-estimmung eine europäische Perspektive bietet. Das istine Aufgabe, die verantwortungsbewusst wahrgenom-en werden muss. Taktisches Geschrei und Verhet-ung – ich weiß nicht, ob das zu Ihrem parteipolitischenorteil ist. Dem Land dienen Sie damit nicht.
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12500 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Dr. Norbert RöttgenNun zum konkreten Gegenstand der EuropäischenGesellschaft. Wir haben hier darüber zu entscheiden, obdieses Recht Wirklichkeit werden soll, ob es also Euro-päische Gesellschaften in Deutschland geben soll, oderob dieses Recht in Deutschland totes Recht bleibt undnur in anderen Ländern Wirklichkeit wird. Das istschwierig genug, weil diese Bundesregierung eine Auf-fangregelung ausgehandelt hat: Wenn man sich nichtauf ein Mitbestimmungsmodell verständigen kann, greiftdas Mitbestimmungsrecht mit dem höchsten Niveau indem betroffenen Land. Das ist immer das deutscheRecht. Allein mit dieser Regelung, die die deutsche Bun-desregierung auf europäischer Ebene als Gesetzgeberdurchgesetzt hat, tragen Sie dazu bei, dass Deutschlandals Sitz eines Unternehmens nicht attraktiv ist, weil esam Ende dazu kommen kann, dass das deutsche Rechtdurchgesetzt wird. Diese Verantwortung tragen Sie.Nun geht es aber darum, den verbliebenen Spielraumzu nutzen oder diese Gesellschaftsrechtsform rechtlichtotzumachen; das ist der Vorschlag der Bundesregierung.Es geht nicht darum, die Unternehmensmitbestimmungabzuschaffen. Unser Vorschlag ist an keiner einzigenStelle darauf gerichtet. Wir unterscheiden uns gerade da-rin, dass wir all diejenigen respektieren, die die existie-rende deutsche Unternehmensmitbestimmung aufrecht-erhalten wollen.
Herr Kollege Röttgen, der Kollege Scholz möchte den
von Ihnen vermuteten Persönlichkeitsschub durch eine
Zwischenfrage verdeutlichen.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Zwischenfrage
und lasse sie selbstverständlich zu. Wir sollten ihm per-
manent Rehabilitierungschancen einräumen.
Ich möchte Ihnen nur eine Frage im Hinblick auf Ihre
Ausführungen stellen. Sie haben gesagt, dass die europäi-
sche Richtlinie dazu führt, dass die Mitbestimmung, die
in Deutschland eine Rolle spielt, auch dann gilt, wenn
ein deutsches Unternehmen in großem Umfang beteiligt
ist und kein Sitz in Deutschland gewählt wird. Welchen
Sinn machen dann Ihre Ausführungen zu Deutschland
als Firmensitz?
Meine Ausführungen machen im Hinblick auf die At-traktivität eines deutschen Unternehmens als Partner undTeil einer Europäischen Gesellschaft Sinn. Das ist dieAuswirkung.
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Den von Ihnen aufgebauten Zaun kann man nichturchdringen. Die einzige Möglichkeit ist, dass deutschenternehmen unser Land verlassen, entweder unter Ver-leib als deutsches Unternehmen oder unter Annahmeiner ausländischen Rechtsform, was der EuGH ermög-icht hat. Das ist der Punkt: Sie zwingen die Unterneh-en zur Flucht: entweder aus der Rechtsform oder ausem Land.Der Unterschied zwischen uns liegt im Kern darin,ass wir den Unternehmen nicht vorschreiben wollen,as für sie die bessere Unternehmensmitbestimmung ist.ie haben uns eben unterstellt, dass wir die Unterneh-ensmitbestimmung abschaffen und an der Möglichkeit,ach geltendem Recht Unternehmensmitbestimmunguszuüben, etwas verändern wollen. Das stimmt schlichtnd ergreifend nicht; das ist die Unwahrheit. Ich möchteies ganz ausdrücklich zurückweisen. Wir wollen jedemnternehmen, das die gegenwärtige Unternehmensmit-estimmung aufrechterhalten möchte, diese Möglich-eit einräumen. Wir erkennen durchaus das Recht undie Vorteile, die die Unternehmensmitbestimmung hat,ämlich die Integration von Arbeitnehmern und Ge-erkschaften in die Verantwortung des Unternehmensuch in schwierigen Phasen. Das bestreitet doch keinensch. Aber im Gegensatz zu Ihnen sagen wir: Wir ha-en nicht das Recht, den Unternehmen von Gesetzes we-en vorzuschreiben, dass dies der einzig denkbare Wegst. Wenn die Unternehmensmitbestimmung des gelten-en Rechts so attraktiv ist, wie Sie das immer betonen:arum müssen Sie sie dann unter Monopolschutz stel-en? Warum können Sie nicht die Wahlfreiheit ermögli-hen, wie wir es attraktiv vorgeschlagen haben?Herr Schrempp mag es so halten, wie er möchte. Abers gibt vielleicht auch Unternehmen, die auf der Grund-age des monistischen Systems, des bekannten Systemser angelsächsischen Welt, das ihnen vertraut ist, ineutschland – der deutsche Standort bietet auch Vorteile –rbeiten, Gewinne machen und Arbeitsplätze zur Verfü-ung stellen wollen. Für sie wollen wir ein Signal set-en, das einen pragmatischen, vernünftigen Kompromisswischen der Wahrung des Niveaus deutscher Unterneh-ensmitbestimmung und einem Unternehmensfüh-ungssystem aus der angelsächsischen Welt beinhaltet.erade dieser Kompromiss ist es, der beide Prinzipieniteinander in Übereinstimmung bringt und darum einchtes Angebot an die Wirtschaft, aber auch ein
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12501
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Dr. Norbert RöttgenFriedensangebot an alle, die guten Willens sind, ist. Ichhoffe, Sie, die Koalition, werden sich bald zu diesem gu-ten Willen bekennen, weil es um deutsche Interessen,um die Interessen von Unternehmen in Deutschland undvon deutschen Arbeitnehmern geht.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für das
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich finde, man muss schon vorweg einigeSätze über die Mitbestimmungsdiskussion, die gerade inDeutschland tobt, verlieren. In einer Situation, in der wirbei Opel und Karstadt doch offensichtliche Probleme derUnternehmensführung und der langfristigen strategi-schen Orientierung der Unternehmensführung haben,treten Teile des Kapitals, in diesem Fall vertreten durchden BDI-Chef, auf und sagen, die Mitbestimmung seiein historischer Irrtum. Das ist nicht zu akzeptieren.
Ich freue mich, dass Sie klar und deutlich gesagt ha-ben, dass Sie das für Quatsch halten, was Rogowski for-muliert hat.Allerdings ist der Angriff auf die Mitbestimmungbreiter. In der schriftlichen Stellungnahme anlässlich derAnhörung zu der Europäischen Gesellschaft, die wir imAusschuss durchgeführt haben, formulieren BDI undBDA übereinstimmend, die Mitbestimmung in Deutsch-land sei ein ernsthaftes „Investitionshindernis für dieBundesrepublik Deutschland“.
Jetzt sind wir an einer spannenden Stelle. Sie sagen,Rogowski täusche sich, wenn er von einem historischenIrrtum spreche, aber Sie propagieren die These, die Mit-bestimmung sei ein Investitionshindernis. Da sind Sienicht weit weg von Rogowski. Darauf will ich hinaus.Wenn Sie öffentlich in Europa und in der Welt erzählen,wir in Deutschland hätten die Mitbestimmung irgend-wann einmal eingeführt, hielten sie aber für ein Investi-tionshindernis, dann führen Sie einen ideologischenKampf gegen die Mitbestimmung in Deutschland.
Wenn ich in England oder in den USA mit Leutenaus der Wirtschaft über diese Frage rede, dann sagendiese, Mitbestimmung sei für sie schwer zu verstehenund passe vielleicht nicht gut in ihr System, aber ichmüsse erklären, warum viele deutsche Verbandsfunktio-näre und deutsche Politiker, vor allem auf der rechtenSr–mlwnzrmamasmiedtdhsdmDnrESGsursviSldssssGgew
Etwas anderes ist, dass wir die Mitbestimmung refor-ieren können. Es gibt nichts, das so gut wäre, dass esmmer so bleiben könnte, wie es ist. Also lassen Sie unsrnsthaft und aufrichtig über die Punkte, die man verän-ern kann und verändern müsste, diskutieren. Das be-rifft zum Beispiel die Frage, wie hoch die Gesamtzahler Vertreter in den Aufsichtsräten sein muss. Ichöre von vielen Aufsichtsräten, dass sie einfach zu großind, um praktikabel sein zu können. Das betrifft sowohlie Seite des Kapitals als auch die Seite der Arbeitneh-er.
a hilft Ihr Vorschlag, die Zahl der Vertreter der Arbeit-ehmer auf ein Drittel zu stutzen und ihnen nur eine be-atende Funktion zuzugestehen, nicht weiter.
s ist doch die Abschaffung der Mitbestimmung, wasie unter dem Stichwort Reform vorgeschlagen haben.
Wir diskutieren hier und heute über die Europäischeesellschaft. Ich möchte Ihnen an einer Stelle wider-prechen. Was wir jetzt gesetzlich umsetzen, ist ein guternd praktikabler Vorschlag. Es heißt, es wird zuerst da-über verhandelt, wie man es machen will. In einem ge-etzlich festgelegten Verhandlungsgremium wird alsoerhandelt, ob man es anders machen will, als es der Fallst, wenn man zu keinem Verhandlungsergebnis kommt.ie haben eben in Ihrer Rede gesagt, dass sich die Rege-ung auf jeden Fall nach dem Land mit der weitestgehen-en Mitbestimmung richten wird. Ich glaube, dass Sieich darin täuschen. In den Verhandlungen wird ver-ucht, die beste Lösung – das gilt auch für die Mitbe-timmung – zu finden. Die Verhandlungen werdenchließlich von Akteuren geführt, die die Europäischeesellschaft wollen. Das in unserem Gesetzentwurf vor-esehene Modell ist konstruktiv; Ihre Feststellung, dasss destruktiv sei und zu einer schlechten Lösung führenerde, ist nicht richtig.
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Fritz KuhnWir sehen das Problem an einer anderen Stelle, alsonicht in der Debatte über den Gesetzentwurf zur Einfüh-rung der Europäischen Gesellschaft, den wir von denGrünen unterstützen, sondern hinsichtlich der Fusions-richtlinie. In diesem Zusammenhang stellt sich dieFrage, ob wir sozusagen im Gleichklang zu einer Ent-scheidung über die Europäische Gesellschaft kommenkönnen oder ob es zu einer schlechteren, die Mitbestim-mung diskreditierende Lösung kommen wird. DieseFrage ist noch nicht geklärt. Wir von den Grünen haltenaber den vorliegenden Gesetzentwurf für den richtigenSchritt und werden ihm deshalb zustimmen.Ich rate abschließend, die Diskussion über die Mitbe-stimmung aus dem ideologischen Kreuzfeuer herauszu-halten, wenn es uns darum geht, etwas für Deutschlandund für die Arbeitsplätze zu tun.
– Machen Sie sich deutlich, was das heißt: Wir redenüber die Mitbestimmung im Aufsichtsrat! Sie hat sich imGroßen und Ganzen bewährt.
– Die FDP spielt in dieser Debatte keine Rolle. Es istdoch klar, dass Westerwelle eine andere Art von Kapita-lismus in Deutschland will; ihm geht es nicht um die so-ziale Marktwirtschaft. Das ist doch evident. Allein IhrGerede zum Kündigungsschutz zeigt, welche RichtungSie einschlagen wollen.
Zurück zum Thema: Man kann zwar durchaus einigesreformieren, aber Sie – ich appelliere an die Union –sollten in der Diskussion über die Reform der Mitbe-stimmung den Verdacht entkräften, dass Sie die Mitbe-stimmung via Reform erledigen wollen.
Von diesem Verdacht sind Sie nicht frei. Stimmen Sieheute dem Gesetzentwurf zu! Das wäre eine vertrauens-bildende Maßnahme, um zu zeigen, dass Sie es mit derMitbestimmung ernst meinen.Ich danke Ihnen.
Für die Bundesregierung erhält jetzt der Parlamentari-
sche Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.
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Ich glaube schon, dass er es richtig verstandenat. – Wenn Sie glauben, dass die Aktiengesellschaft miter überbordenden überbetrieblichen Mitbestimmungin gutes Modell ist, dann kann man sich in der Bundes-epublik, aber auch im europäischen Ausland der Kon-urrenz mit anderen Gesellschaftsformen stellen.ann hätten Sie mit den Regelungen betreffend die SEie Möglichkeit eröffnen können, nicht nur eine betrieb-iche Mitbestimmung, beispielsweise im Aufsichtsrat,inzuführen, sondern auch die überbetriebliche Mitbe-timmung durch Gewerkschaftsfunktionäre zu beseiti-en. Dann gäbe es die traditionelle Aktiengesellschaftuf der einen Seite und die SE auf der anderen Seite. Dieolge wäre ein Konkurrenzkampf zwischen diesen un-erschiedlichen Gesellschaftsformen. Aber Sie haben eininheitliches System der überbetrieblichen Mitbestim-ung gewählt.
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Rainer FunkeWenn Sie einen solchen Konkurrenzkampf zugelas-sen hätten, hätten wir in fünf oder sechs Jahren genausehen können, welches Modell von der Wirtschaft an-genommen wird. Es geht doch nicht darum, Gewerk-schaftsfunktionäre aus den Aufsichtsräten zu drängen,sondern darum, dass in der Bundesrepublik investiertwird und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das wollenwir. Wenn aber ein ausländischer Investor hier wegender Mitbestimmung nicht investiert – dafür mag essicherlich auch steuerliche Gründe geben –, dann habenwir in der Bundesrepublik das Nachsehen. Das kannnicht im Interesse beispielsweise von Herrn Eichel– denn er braucht mehr Steuereinnahmen – und der deut-schen Arbeitnehmerschaft sein.Wir wollen, dass in Deutschland wieder Arbeitsplätzeentstehen, und nicht, dass unter dem Dach von Holding-gesellschaften Produktion und Arbeitsplätze in die Nie-derlande, nach Luxemburg oder – wie im Falle vonAventis/Sanofi – nach Frankreich verlagert werden. Wirwollen, dass hier bei uns ein Konkurrenzkampf zwi-schen den einzelnen Systemen entsteht. Ein solcherKonkurrenzkampf wird durch Ihr Gesetz aber nicht er-möglicht. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich mit besonderem Vergnügen das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär Alfred
Hartenbach.
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Sie sind auch mein Lieblingspräsident.Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Bei der Opposition ist es wie mit den pawlow-schen Hunden: Immer wenn wir über Wirtschafts-, Ge-sellschafts- oder Arbeitsrecht reden, geht der Kiefer aufund es wird das Lied vom Untergang Deutschlands – im-merhin nicht vom Untergang des Abendlandes – durchunsere Wirtschaftspolitik angestimmt. Es hat immer diegleiche Melodie. So ist es auch hier. Ich bin natürlich an-derer Meinung.
Mit der Einführung der Europäischen Gesellschaftstärken wir die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unter-nehmen. Immer mehr deutsche Unternehmen sind euro-paweit tätig. Die neue Rechtsform erleichtert ihnen diesegrenzüberschreitende Betätigung und macht sie so fit fürden globalen Wettbewerb.
Zukünftig können Unternehmen mit Niederlassungen inmehreren Mitgliedstaaten der EU eine Europäische Ge-sSdtTswgElrUnsamsudDHufcGRgsmhsskSssamvtszsWSmtVsgfkDm
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12504 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
So ist halt das Belieben der Opposition. In diesem Falle
war allerdings nicht Belieben, sondern unsere vernünf-
tige Entscheidung ausschlaggebend. Ich denke, wir wer-
den dieses Gesetz mit deutlicher Mehrheit verabschie-
den.
Herr Präsident, ich habe eine Punktlandung hingelegt.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
Ich hätte Ihnen wegen Ihrer Freundlichkeit glatt zehn
Sekunden zusätzlich zugebilligt. Ich mache eine Notiz
für die nächste Debatte.
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang
Meckelburg für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Ver-treter einer „gespaltenen Politik“ fällt es mir ein bisschenschwer, hier zu sprechen. Ich sehe eher eine Schwierig-keit in unserer gespaltenen Diskussionslage.
– Den will ich Ihnen gerade klar machen.Das Verhetzungspotenzial bestimmter politisch disku-tierter Begriffe haben Sie, Herr Scholz, mit Ihrer Ein-gangsrede eben sehr deutlich aufgezeigt. Sie haben amEnde Ihrer Rede die Union aufgefordert, sich keinezweite Kopfpauschale zu schaffen. Dahinter steckt dochdie Drohung – ich sage es so, wie Sie es sonst formulie-ren –, dass Sie durch das ganze Land laufen werden, ummit den üblichen Fallbeilargumenten bei der Diskussionüber die Themen „Mitbestimmung“, „Kündigungs-schutz“ und „Tarifautonomie“ den Gralshüter zu spielen.Gleichzeitig will ich Ihnen sagen: Diese Rolle habenSie längst aufgegeben. Wir brauchen eine sachliche De-batte über all diese Themen.
Ich habe wirklich die Bitte an Sie – ich bin Vertreter derArbeitnehmergruppe; ich bin Mitglied des Ausschussesfür Arbeit und Wirtschaft; Herr Brandner, wir kennenudsbzfsMdFgKDGDckWsvrtSbfVfblipdvbguafdLKSdpeziehm
ennoch trauen Sie sich zu, bei diesem Stichwort alsralshüter aufzutreten, der Sie längst nicht mehr sind.as musste einmal gesagt werden, weil ich eine sachli-he Debatte haben möchte.
Was die Mitbestimmung angeht, so gibt es eine Dis-ussion. Die muss man nicht erfinden; die ist einfach da.
as der BDI-Präsident Rogowski dazu gesagt hat, waricherlich sehr dumm; denn historisch gesehen ist nach-ollziehbar, warum das so gemacht worden ist und wa-um das bis heute gilt. Es gibt viele Aussagen von Ver-retern der Wirtschaft, die ich hier zitieren könnte – vonchrempp bis ich weiß nicht was –, die zum Inhalt ha-en: Wir sind mit der deutschen Mitbestimmung gut ge-ahren, weil es einen Teil sozialen Frieden, einen Teilerlässlichkeit sowie die Möglichkeit bedeutet, länger-ristige Absprachen zwischen Arbeitnehmern und Ar-eitgebern zu treffen. – Darin stimmen wir alle sicher-ch überein.Es besteht für uns in der Union kein Grund, über diearitätische Mitbestimmung in Unternehmen, wie sieenn existiert, zu diskutieren. Das hat niemand von unsorgeschlagen. Das haben wir nicht vor. Nehmen Sie dasitte zur Kenntnis! Aber wir können doch nicht die Au-en vor Themen verschließen, die da sind. Wir werdenns damit zunehmend beschäftigen müssen, und zwaruf sachlicher Ebene. Das bedeutet, dass wir die Heraus-orderungen, die neu gestellt werden, die 1976 so nichta waren, diskutieren müssen. Ich flehe Sie geradezu an:assen Sie uns diese Diskussion in einem sachlichenlima führen! Es geht nämlich um die Zukunft destandortes Deutschland und nicht um die Frage, ob Sieurch Nennen bestimmter Begriffe ein Verhetzungs-otenzial haben.Wir können nicht einfach darüber hinweggehen, dasss ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gibt, dasum Beispiel eine Ltd. in den Niederlanden zulässt. Dasst so; da können wir beschließen, was wir wollen. Da isttwas im Gange, bei dem wir Gestaltungsmöglichkeitenaben müssen. Sie haben sich beim Thema Mitbestim-ung letztlich auch schon in eine bestimmte Richtung
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12505
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Wolfgang Meckelburgbewegt, sodass Sie nicht mehr als Gralshüter auftretenkönnen. Helmut Kohl konnte das noch. Er hat die paritä-tische Mitbestimmung versprochen und hat versucht, siein Europa durchzusetzen. Wir haben es nicht geschafft.Auch Sie haben es nicht geschafft. Sie haben Verhand-lungslösungen zugelassen. Das ist der erste Schritt ineine Richtung, bei der man zumindest formal zulässt,über Alternativen zu reden und zu entscheiden.Wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen; sie isteinfach da. Wenn man eine Holding mit Sitz in derSchweiz bilden kann und alle auf dem Papier bestehen-den Mitbestimmungsrechte in ein anderes Land ver-schwinden, dann kann uns das nicht egal sein. Wir soll-ten uns zeitig, rechtzeitig und mit Gelassenheit damitbefassen; die Zeit dafür müssen wir uns nehmen. Wirmüssen eine Diskussion darüber führen, weil sonst etwaspassiert – das befürchte ich –, was ich hier häufig erlebthabe, nämlich dass bestimmte Bevölkerungsteile dieProbleme, die anstehen, frühzeitig diskutieren, Sie aberdastehen und „nein, nein, nein“ rufen. Dafür gibt es zigBeispiele aus der Zeit, die ich dem Bundestag angehöre.Es dauert dann immer drei, vier Jahre, bis der Druck sogroß ist, dass auch Sie das diskutieren.Weil es viele Felder gibt, auf denen wir mit ansehenmüssen, dass Sie Gesetze verabschieden und dann rela-tiv schnell wieder Korrekturen vornehmen, habe ich dieBitte, dass Sie das in dem Fall nicht tun, sondern dasswir eine Debatte über die Mitbestimmung führen, an derdas Parlament als gestaltende Kraft teilnimmt. Wir soll-ten nicht zusehen, dass zehn, 20, 30, 40 deutsche Unter-nehmen ins Ausland gehen – möglicherweise machenSie schon bei der Fusion eine Bauchlandung, weil Siedas, was Sie in der nächsten Sitzungswoche im Bundes-tag beschließen wollen, nicht durchsetzen können –, son-dern rechtzeitig eine Diskussion führen, die auf die Zu-kunft gerichtet ist und bei der mit diesem Thema positivumgegangen wird.Deswegen sage ich am Schluss: Machen Sie nicht denFehler, durchs Land zu laufen und zu sagen, die CDU seigegen die Mitbestimmung in Unternehmen! Wir haltennämlich daran fest. Aber wir müssen die Diskussion füh-ren. Wenn wir nichtstuend zusähen, würden wir Gestal-tungsmöglichkeiten aus der Hand geben. Darum bitte ichSie von Rot-Grün einfach, die Diskussion zu führen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner, SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Europa hat viel in Bewegung ge-setzt: Die Zahl der grenzüberschreitend tätigen Unter-nehmen nimmt zu; Fusionen, Übernahmen und dieEinrichtung von Zweigstellen im Ausland sind mittler-weile Normalität in Europa geworden. Im Zuge dieserEdDDmdlMDkAiCMtrMIdiSgsmnfmluddtgWMmPsmddwndmdUH
ind Ihre Arbeitnehmer für die Mitbestimmung oder sa-en sie: Ja, die Stimmungslage draußen im Lande istchlecht, die Unternehmen wollen nicht mehr so; wirüssen einfach diesen Diskussionsstand zur Kenntnisehmen und ducken uns weg.
Ich frage mich, was für ein Bild von Unternehmens-ührung hinter solchen Forderungen steht. Mitbestim-ung – das möchte ich hier sagen – ist einer der grund-egenden Erfolgsfaktoren des deutschen Wirtschafts-nd Sozialsystems und ein Garant für den sozialen Frie-en in unserem Land. Deshalb lassen wir auch nicht zu,ass der Export der Mitbestimmung von Teilen der Frak-ion der CDU/CSU als Hirngespinst und marktschädi-end bezeichnet wird. Ihr Generalsekretär sagt ja sogar:ir müssen die Mitbestimmung auf ein vernünftigesaß zurückführen. Daran sieht man doch, wie die Argu-entation der Arbeitgeberverbände in Ihren Reihenlatz gegriffen hat. Wenn Sie ernsthaft für die Mitbe-timmung und das damit verbundene Gesellschafts-odell eintreten wollen, dann helfen Sie doch bitte mit,ass die Argumente, die für sie sprechen, vermehrt wer-en, Fuß fassen und damit an Gewicht gewinnen. Dannäre Ihre Argumentation ehrlich, dann könnten wir Ih-en zustimmen.Uns allen, meine Damen und Herren, ist doch klar,ass die zunehmende Globalisierung von den Unterneh-en flexible Strukturen und dynamische Reaktionen aufie Wettbewerbslage fordert.
ns allen sollte aber auch bewusst sein, sehr geehrtererr Göhner, dass die Unternehmen diesen Anforderungen
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12506 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004
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Klaus Brandnerohne die Motivation und ohne den Einsatz ihrer Arbeit-nehmer nicht gerecht werden können.
Deshalb sage ich ganz deutlich: Für uns, für die SPD,sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also dieMenschen, die wichtigste Ressource eines Unterneh-mens. Deshalb sind wir für die Teilhabe auf einer gesetz-lichen Grundlage.
Unsere Unternehmen bestehen im internationalenWettbewerb nur dann, wenn zwischen Unternehmens-führung und Mitarbeitern ein hohes Maß an Identifika-tion mit den Zielen und dem Aufgabenverständnis desUnternehmens einhergeht. Grundlage hierfür ist eine of-fene und ehrliche Beteiligung der Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer sowie eine umfassende Informations-und Anhörungspolitik der Unternehmen.
Wir wollen nicht, dass das, wie von Ihnen angesprochen,vom Goodwill abhängt. Herr Funke sprach ja sogar voneinem Angebotsmodell, in dessen Rahmen die Beteili-gung angeboten werden soll und quasi nur der, der siemöchte, auch beteiligt wird.Nein, in einem Rechtsstaat wollen wir eine gesetzli-che Grundlage dafür haben, weil wir aus der Geschichtewissen, dass diese Beteiligungsrechte erst erstritten wer-den mussten und den Arbeitnehmern nicht geschenktworden sind. Mitbestimmung und Teilhabe sind Angele-genheiten, für die wir über Jahrzehnte politische Aus-einandersetzungen führen mussten.
Deshalb wollen wir nicht, dass ein Teil der Mitbestim-mung auf einer allgemeinen Goodwillbasis beruht. DasPrinzip der gleichen Augenhöhe lässt sich nur dann ver-wirklichen, wenn es dafür auch einen Rechtsgrundsatzgibt.Dass Mitbestimmung auch Mitverantwortung bedeu-tet, zeigen im Übrigen eindrucksvoll die Krisen, die wirin den letzten Jahren erlebt haben, und auch aktuell dieBeispiele Karstadt-Quelle und Opel.In diesem Zusammenhang recht zynisch davon zu re-den, dass die Mitbestimmung diese Krisen nicht verhin-dern konnte, bedeutet, den Menschen in diesem Lande,die Teilhabe organisieren und Verantwortung überneh-men, mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.
Denn wir wissen doch nur zu gut: Mitbestimmung be-deutet eben nicht, dass man das wirtschaftliche Sagenhat, sondern bedeutet, dass man Teilhabe auf einerEbene hat, auf der soziale Verantwortung eingefordertwerden kann.hbnfzHdidzdDFnunEmsssbladdqDSrulhmgmbt
Das Wort hat der Kollege Hans-Jürgen Uhl, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieeue Gesetzgebung bietet die Chance, Mitbestimmungnd Mitverantwortung der Arbeitnehmer in den Unter-ehmensorganen zum Standard in Europa zu machen.in soziales Europa muss die Beteiligung der Arbeitneh-er und der Gewerkschaften an den Unternehmensent-cheidungen auch in einer Europäischen Aktiengesell-chaft gewährleisten.Mit unserem Gesetz sichern wir die bewährte deut-che Mitbestimmung. Ich zitiere: Wer die deutsche Mit-estimmung infrage stellt, riskiert Produktivitätsver-uste der deutschen Wirtschaft. Das sagte kürzlich dermerikanische Wirtschaftsforscher Edward Lazear voner Stanford University. Ich hoffe, Herr Rogowski hatas wahrgenommen.Recht hat dieser amerikanische Wissenschaftler; dennualifizierte Mitbestimmung ist ein Standortvorteil füreutschland.
ie hat mit dafür gesorgt, dass wir nach wie vor die füh-ende Exportnation sind. Sie hat stabile gesellschaftlichend betriebliche Beziehungen hervorgebracht. Deutsch-and ist streikarme Zone. So wenige Streiktage wie wirat kein vergleichbares Industrieland.Das zeigt: Mitbestimmung ist ein effektives Instru-ent des Interessenausgleichs und der Konfliktbewälti-ung. Das kann nur funktionieren, wenn sich Arbeitneh-ervertreter und Manager auf gleicher Augenhöheegegnen.Was erleben wir in diesen Monaten? Verbandsfunk-ionäre aus dem Arbeitgeberlager wollen Mitbestim-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12507
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Hans-Jürgen Uhlmung, Tarifautonomie und Kündigungsschutz kippen.Meine Damen und Herren von der Opposition, auch inIhren Reihen wollen das viele. Wer sagt, Mitbestimmungsei ein Investitionshindernis, wie wir das eben hier alsZwischenruf gehört haben, der stellt letztlich die Mitbe-stimmung infrage. Wenn BDI-Präsident Rogowski dieMitbestimmung als Irrtum der Geschichte bezeichnet,dann legt er die Axt an den in Deutschland bewährtensozialen Frieden.
Fragen wir uns: Wie wäre wohl der Strukturwandelim Bergbau, bei Eisen und Stahl und in der Autoindus-trie in Deutschland ohne Mitbestimmung abgelaufen?Das kann jeder in den Regionen des sozialen Kahl-schlags in England und den USA besichtigen. So etwasin Deutschland auch künftig zu verhindern, dafür tretenwir ein. Wir stehen für den Sozialstaat und nicht für Ka-pitalismus pur.
Meine Damen und Herren, Mitbestimmung vermitteltden Arbeitnehmern bei notwendigen Veränderungs-prozessen Sicherheit. Die Herausforderungen der Glo-balisierung müssen gemeinsam mit den Arbeitnehmernund ihren Gewerkschaften und nicht ohne sie beantwor-tet werden. Unternehmerische Zukunftsentscheidungenwerden durch Mitbestimmung nicht verhindert, wohlaber optimiert und abgefedert. Hätte man bei Opel inRüsselsheim und in Bochum mehr auf die Arbeitneh-mervertreter gehört, wäre man dort jetzt nicht in dieserMisere.
Im Gegensatz zu Herrn Rogowski und seinen politi-schen Freunden wissen viele Manager dies nur allzu gut.Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp und Por-sche-Chef Wedekind bekennen sich offen zur deutschenMitbestimmung. Sie wissen die soziale und wirtschaftli-che Kompetenz der Arbeitnehmervertreter zu schät-zen. Deshalb sind Rogowski und Co. völlig auf demHolzweg. EnBW-Chef Utz Claassen bringt es auf denPunkt:Nur wer die Menschen im Unternehmen mitnimmt,kann erfolgreich reformieren und restrukturieren.
Der Sanierungserfolg der EnBW wäre ohne dieMitwirkung der Arbeitnehmer so nicht möglich ge-wesen.
Um hier einer weiteren Legendenbildung vorzubeu-gen: Auch ausländische Investoren sehen die Mitbestim-mung nicht als Hindernis. Das hat der Geschäftsführerder Amerikanischen Handelskammer in Deutschland inder „Financial Times Deutschland“ unter der Überschrift„Mitbestimmung schreckt US-Firmen nicht ab“ erklärt.deEnfrgzGawlbbEsKmkmueBfsBsHCsÄKdHD
uropäische Regelungen dürfen in keinem Fall zu ei-em Wettlauf um die geringsten Arbeitnehmerrechteühren. Deutsche Mitbestimmungs- und Beteiligungs-echte können Vorbild für Europa sein. Es gibt sie übri-ens auch in Tschechien und in der Slowakei. Dort sit-en ebenfalls Arbeitnehmervertreter und externeewerkschafter in den Aufsichtsräten. Wir kennen dasuch aus Österreich.
Denn wer hat mehr Interesse an der positiven Ent-icklung eines Unternehmens als ein sozial verantwort-ich handelnder Betriebsrat und Gewerkschaftler, deresser als jeder andere weiß, dass die Zukunft der Ar-eitsplätze im globalen Wettbewerb vom ökonomischenrfolg und einer nachhaltigen, flexiblen Unternehmens-trategie abhängt?Deshalb wollen wir auch zukünftig wirtschaftlicheompetenz und soziale Verantwortung in den Unterneh-en sicherstellen, indem die Entscheidungen über Zu-unftsinvestitionen, Innovationen und Beschäftigung ge-einsam von Kapitalvertretern, Arbeitnehmervertreternnd Vorständen getroffen werden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Die Mitbestimmung ist kein Auslaufmodell. Sie kann
in Exportschlager für Europa und die ganze Welt sein.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von derundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ein-ührung der Europäischen Gesellschaft auf Druck-ache 15/3405. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seinereschlussempfehlung auf Drucksache 15/4053, den Ge-etzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.ierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/SU vor, über den wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-ache 15/4075? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dernderungsantrag ist mit der Mehrheit der Stimmen deroalition abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf iner Ausschussfassung zustimmen wollen, um dasandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –er Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerStimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istmit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen derCDU/CSU und der FDP angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, ThomasStrobl , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUHäftlingshilfestiftung erhalten und finanziellausreichend ausstatten– Drucksache 15/3763 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeHartmut Büttner, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein42-seitiger Bericht des Bundesinnenministeriums vom13. Januar dieses Jahres kam so ganz harmlos daher. Ei-gentlich sollte diese Ausarbeitung nur ausloten, ob esMöglichkeiten gibt, die Gerechtigkeitslücken für Ent-schädigungsleistungen von bisher zu kurz gekommenenOpfergruppen der beiden Diktaturen in Deutschland zu-mindest etwas zu schließen.Die Notwendigkeit hierfür sahen nicht nur wir vonder CDU/CSU, sondern beispielsweise auch die 22. Or-dentliche Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen. In ei-nem – angenommenen – Antrag forderten die Grünenneben vielen einzelnen Verbesserungen eineBestandsgarantie und ausreichende finanzielle Aus-stattung der Stiftung der ehemaligen Häftlinge desDDR-Systems.Im Zusammenhang mit der Koalitionsvereinbarungfür diese Legislaturperiode wurde von SPD und Grünenzudem beschlossen: Wir wollen weiter dafür sorgen,dass Menschen, die für die Demokratie gekämpft haben,nicht vergessen werden. Die Stiftung für ehemalige poli-tische Häftlinge soll gestärkt werden.
Damit haben Sie bei uns und – das ist noch viel wichti-ger – bei den Betroffenen zu Recht die Erwartungshal-tung erzeugt, dass mit Vorschlägen für Verbesserungenzu rechnen ist.StJdSwl–nzrGsctdlmFBnfasrBDHVEZwtZnslZhdeAbs
ie Bundesregierung will also eine Abwicklung deräftlingshilfestiftung bis Ende 2005.Das Bekanntwerden dieses Vorhabens löste unter denerbänden der Opfer der SED-Diktatur einen Sturm dermpörung aus.
ahlreiche Betroffene protestierten. So lehnte beispiels-eise der Bund der Stalinistisch Verfolgten die Bewer-ung der Bundesregierung, die Stiftung habe ihrenweck erfüllt und die Unterstützungsleistungen seienach dem Häftlingshilfegesetz abzuwickeln, ganz ent-chieden ab. Der BSV verlangte, dass die Stiftung soange bestehen bleiben soll, wie noch Betroffene leben.
ur Erinnerung: Die letzten Haftopfer des SED-Staatesaben die Kerker erst im Herbst 1989 verlassen können.In dem Antrag meiner Fraktion haben wir diesen Ge-anken aufgegriffen. Wir wollen, dass die Stiftung fürhemalige politische Häftlinge bis zur Erledigung ihrerufgaben bestehen bleibt und mit den zu ihrer Aufga-enerfüllung nötigen Finanzmitteln ausgestattet wird.
Herr Ludwig von der Stiftung für ehemalige politi-che Häftlinge erläuterte in einer Meldung der Nachrich-
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Hartmut Büttner
tenagentur ddp, dass viele ehemalige Häftlinge nach derHaft nur schlecht bezahlte Jobs bekamen und heute häu-fig arbeitslos oder arbeitsunfähig sind. Im Jahr 2003 sind7 069 Unterstützungsanträge gestellt worden, von de-nen 5 477 von der Stiftung bewilligt worden sind. Es istschon ein entwürdigender Zustand, dass die StiftungJahr für Jahr darum kämpfen muss, Leistungen aus vor-liegenden genehmigten Anträgen auch tatsächlich be-zahlen zu können. Ich halte das für entwürdigend.
So lagen Ende September dieses Jahres mehr als1 300 bewilligungsfähige Anträge vor. Dafür wurden2,2 Millionen Euro benötigt. Alle für 2004 verfügbarenMittel waren aber bereits im April verbraucht.
– Das sage ich gleich, Herr Edathy. – Außerdem gab esnoch nicht bearbeitete Anträge mit einem Volumen von2,3 Millionen Euro. Der Finanzbedarf für 2004 beträgtalso insgesamt 4,5 Millionen Euro.Als Antwort auf Ihren Zwischenruf sage ich: Es istein sehr gutes Beispiel für die Wahrnehmung der Fürsor-gepflicht des demokratischen Deutschland gegenüberden Opfern der SED-Diktatur, dass es uns in diesem Jahrgelungen ist, zumindest den größten Teil des Finanzbe-darfs für 2004 zu decken.
So konnten wenigstens 2,7 Millionen Euro der in diesemJahr nötigen 4,5 Millionen Euro zur Verfügung gestelltwerden.Frau Stokar von den Grünen und Herr Wiefelspütz– ihn sehe ich hier heute nicht – von der SPD haben invielen gemeinsamen Gesprächen über die Lage derSED-Opfer immer wieder betont, dass eine Schließungder immer größer werdenden Gerechtigkeitslücke mit ih-nen nicht zu machen sei. Ich erinnere nur daran, dassdiese neue Lücke erst durch jüngste Urteile des Bundes-verfassungsgerichts entstanden ist. Vor allem ehemalsstaatsnahe Personen bis hin zu den Schergen des Staats-sicherheitsdienstes sollten verbesserte Rentenzahlungenerhalten. Der Deutsche Bundestag hatte diese Urteile ge-setzlich umzusetzen.Gleichzeitig haben sich SPD und Grüne aber gewei-gert, unseren Anträgen auf Besserstellung auch derSED-Opfer zuzustimmen. Sie wollten keine neuen Leis-tungsgesetze. Dafür – auch das will ich sagen – solltenaber die vorhandenen Stiftungen finanziell so ausgestat-tet werden, dass sie diesen schwer geprüften Menschenauch weiterhin in wirtschaftlichen Notlagen helfen kön-nen. Das war Ihr Grundsatz, richtig?Wenn Sie jetzt den abenteuerlichen Plan der Bundes-regierung, die Abwicklung der Stiftung für ehemaligepolitische Häftlinge bis spätestens 2005 zu betreiben,durchgehen lassen, dann haben Sie die Öffentlichkeitund die Opfergruppen jahrelang an der Nase herumge-führt.hSthRFHWgsgDabdvdtdBFHTsshzaZA
In ähnlicher Weise wurde auch der stellvertretenderaktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Hans-Joachimacker, in der „Berliner Zeitung“ zitiert.
örtlich sagte er:Es wäre paradox, die Stiftung zu schließen oder ihrdie Aufgaben wegzunehmen. Dort arbeitet einhochkompetentes Team mit viel Erfahrung im Um-gang mit diesen Anträgen. Das kann man nicht ein-fach bürokratisch abarbeiten.Das ist auch meine Auffassung, zumal erst vor eini-en Monaten alle Fraktionen des Bundestages gemein-am die Antragsfristen für die Rehabilitierung ehemali-er DDR-Häftlinge bis Ende 2007 verlängert haben.ie Stiftung, welche über die Anträge entscheidet, sollber im nächsten Jahre ihre Arbeit einstellen.Mit unserem Antrag, den wir heute in erster Lesungeraten, geben wir Ihnen jetzt Gelegenheit, dem Rechtes Parlaments gegenüber der Regierung Geltung zuerschaffen. Tun wir gemeinsam Gutes: Lassen Sie unsie Häftlingshilfestiftung erhalten! Statten wir die Stif-ung mit den nötigen Finanzmitteln aus und zeigen wir,ass die Opfer der SED-Diktatur in diesem Deutschenundestag doch eine Lobby haben!
Das Wort hat der Kollege Sebastian Edathy, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Herr Büttner, wer Ihre Rede gehört hat, die ineilen sachlich war, die aber auch von einer einge-chränkten Wahrnehmung der Realität zeugte, kann fest-tellen: Ihr heutiger Antrag ist schon deswegen nichtilfreich, weil Sie zum einen aktionistisch vorgehen undum anderen in Ihrem Antrag unrichtige Behauptungenufstellen.
um Dritten haben Sie hier auch keine perspektivischentwort auf die Herausforderungen gegeben,
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Sebastian Edathydenen sich die Stiftung für ehemalige politische Häft-linge gegenübersieht.
Worum geht es bei der Thematik? Herr Büttner, wirhaben seitens des Innenausschusses die Bundesregie-rung, das Bundesinnenministerium, einvernehmlich ge-beten, einen Bericht vorzulegen, aus dem unter anderemdie Situation der Stiftung für ehemalige politische Häft-linge hervorgeht. Diesem Anliegen ist – das wurde vondem Kollegen der CDU/CSU zumindest im Ausschussgewürdigt – in einer hervorragenden Form Rechnung ge-tragen worden. Das umfangreiche Material, das uns vor-gelegt worden ist, ist für die politische Willensbildungim Parlament sehr gut geeignet.Herr Kollege Büttner, eines ist klar: Auch die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag sollte so vielSelbstbewusstsein besitzen, um festzustellen, dass dieWeiterentwicklung der Häftlingshilfegesetzgebung na-türlich ein ureigenes Anliegen des Parlamentes ist. Eswird nicht von der Regierung entschieden und die Regie-rung hat auch nicht – Sie haben das in Ihrer Rede andersdargestellt – die Frage der Leistungsgewährung themati-siert.
Ich stelle für die SPD und den Koalitionspartner fest,Herr Kollege Büttner: Während Sie durch die Lande zie-hen und die Leute unnötig auf die Palme treiben, habenwir, seit wir in der Regierung sind, in einem seriösenVerfahren,
auch durch die Bereitstellung finanzieller Mittel, dafürSorge getragen, dass politischen Opfern der SED-Dikta-tur Gerechtigkeit widerfahren konnte. Wir haben in derSache gearbeitet und Sie machen Polemik.
Wir haben das auch bei der Haushaltsaufstellung be-wiesen. Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie darauf hin-gewiesen haben, dass wir es trotz aller Sparzwänge, de-nen auch der Einzelplan 06 unterliegt, geschafft haben,2,7 Millionen Euro zusätzlich für die Stiftung für ehema-lige politische Häftlinge zur Verfügung zu stellen.
Das ist eine politische Leistung, die sich sehen lassenkann.Ich habe ein Problem mit dem, was Sie, Herr Büttner,im Zusammenhang mit der Organisation ausgeführt ha-ben. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass für SieOrganisationsfragen wichtiger sind als die politischeZielsetzung. Ich will hier deutlich sagen: Für uns stehtnicht die Organisation im Mittelpunkt, für uns stehen dieOpfer im Mittelpunkt. Deren Lage gilt es zu betrachtenutesnwskwFhtckadasrsiagRtskatdeda–dStBMsdgsvrwEuSttd
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Das Wort hat der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Der Antrag der Union stellt, wie wir soeben ge-
hört haben, vor allem die Reaktion auf den Bericht des
Innenministeriums dar. Allerdings war ich, als ich mich
als Haushälter in dieses Thema einarbeiten durfte, über
die Reaktion insbesondere der Kollegin Stokar über-
rascht. Denn die Kollegin Stokar hat uns vorhin, als wir
über einen anderen Tagesordnungspunkt diskutiert ha-
ben, gesagt, dass sie immer Hand in Hand mit dem In-
nenminister gehe.
– Das hat sie gesagt. Das können Sie im Protokoll nach-
lesen.
Nun hat sie aber gesagt, dass das, was hier vorgelegt
wurde, nicht mit den Regierungsfraktionen abgestimmt
worden sei. Ich bin sehr gespannt, wie das ausgeht; denn
– das muss ich als Haushälter sagen – es geht um Geld.
Die Haushälter der Koalition haben sich bei diesem
Thema nicht zu Wort gemeldet. Auch im Rahmen der
Berichterstattergespräche war noch keine derartige Re-
aktion festzustellen.
Nichtsdestotrotz müssen wir eines ganz klar sehen:
Wir haben es letztendlich mit „Kriegsfolgeschäden“ zu
tun, mit all dem, was uns Deutschen durch den Krieg an-
getan wurde, sei es über mehrere Ecken, sei es durch
einen Unrechtsstaat, der auf einem Teil des deutschen
Territoriums existiert hat. Wir müssen den Opfern ge-
genüber Fairness walten lassen und ihnen eine klare Per-
spektive geben. Darüber hinaus müssen wir zwischen
der Leistungsgewährung und der Frage, wer die Leis-
tung gewährt, trennen. Dabei müssen wir uns einigen,
wie die einzelnen Bereiche miteinander zu vereinbaren
sind.
Hier gibt es – da werden Sie mir zustimmen – im Mo-
ment noch ein paar Unklarheiten. Herr Büttner, auch Sie
haben gesagt: Es passt nicht zusammen, dass man einer-
seits Fristen bis 2007 verlängert, andererseits aber die
Stiftung auflösen will. Hier muss – das ist die Hauptauf-
gabe des Innenausschusses – in allen Bereichen Klarheit
geschaffen werden. Das gilt auch für die Heimkehrer.
Hier erwarte ich eine klare Richtlinie. Ich bin gespannt,
ob Herr Körper nachher etwas dazu sagen wird.
Wenn Herr Körper sich dazu äußert, wird Herr Diller
skeptisch gucken, weil es dabei immer wieder um Fi-
nanzfragen geht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik ist in der
Pflicht, endgültig klarzustellen, wie hinsichtlich der
Kriegsfolgeleistungen zu verfahren ist. Ich sage ganz
deutlich: Einerseits müssen wir 60 Jahre nach Kriegs-
ende – im Mai nächsten Jahres werden es 60 Jahre sein –
selbstbewusst sein, was unsere Vergangenheit in den
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as muss man klar sagen. Ich bitte die Vertreter der
oalition, nicht im Fachausschuss zu sagen, dass man
as schon schaffen wird, während man im Haushaltsaus-
chuss sagt, dass kein Geld zur Verfügung steht. Wir ha-
en nämlich wirklich kein Geld. Es muss jetzt eine klare
inie gefunden und auch abgestimmt werden. Denn wir
üssen uns – Frau Präsidentin, ich komme zum
chluss – für diejenigen, die sich für unsere Demokratie
ingesetzt haben, und für diejenigen, die nicht in den Ge-
uss der Vorteile unserer Demokratie gekommen sind,
ngagieren. Wir dürfen sie nicht in der Luft hängen las-
en.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/ie Grünen.
Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich willicht zu weiterer Verwirrung, sondern zur Schaffung vonlarheit beitragen. Ich denke, dass ich in den Debattenber die Häftlingshilfestiftung, aber auch in denen überie anderen Themen der Vergangenheitsaufarbeitung,mmer sehr deutlich und unmissverständlich Position iminne der Betroffenen bezogen habe.Ich verstehe allerdings nicht, warum Sie Ihren Antragum jetzigen Zeitpunkt einbringen. Denn wir haben überen Bericht des Bundesinnenministeriums sowohl imlenum als auch im Innenausschuss eine intensive De-atte geführt, aus der auch heute zitiert wurde. Damalsabe ich dazu eine ganz klare Position vertreten, dieelbstverständlich auch heute noch gilt. Ich habe gesagt,ass der Inhalt dieses umfangreichen Berichts sehr gutst. Genauso klar und deutlich habe ich hier gesagt, dassir – damit meine ich meine gesamte Fraktion – das Zieles Berichts, die Auflösung der Stiftung bis zumahr 2005, nicht teilen.
Dafür habe ich zwei Gründe angeführt: zum einen dieier angesprochene Verlängerung der Frist für die Stel-ung von Anträgen, die wir vorgenommen haben, undum anderen das Argument – das ist inhaltlich für unsin sehr wichtiger und tragender Grund –, dass in einertiftung Betroffene über die Anträge Betroffener
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Silke Stokar von Neufornentscheiden sollten. An diesem Grundsatz halten wirweiter fest.
Nächster Punkt, zu den Haushaltsmitteln. Von denHaushältern ist gesagt worden – das ist richtig –, dass dieBereitstellung von Mitteln bei dieser Haushaltssitua-tion ein Kampf und eine Auseinandersetzung ist: In allenStiftungsbereichen wurden die Mittel global gekürzt.Davon kann es auch hier keine Ausnahme geben. Es istuns aber gelungen, die Deckungslücke zu schließen. Wirhaben hier 2,7 Millionen Euro mobilisiert, meine Damenund Herren! Da erwarte ich, dass Sie uns nicht angreifen,sondern dass Sie sagen: Toll gemacht, Rot-Grün; gut,dass ihr das hingekriegt habt. – Das geht zurück auf dasEngagement Einzelner; dann haben wir es in der Frak-tion gemeinsam durchgesetzt.
Zum letzten Punkt, den Sie hier angesprochen haben.Ich bitte, die Frage der Opfergruppen sehr differenziertzu betrachten. Ich habe die Versprechungen, die ich aufunserem Parteitag und auch hier gemacht habe, einge-halten. Ich habe gesagt: Weil wir finanzielle Problemehaben, können wir keine neuen Opfergruppen in denLeistungsgesetzen bedenken; dazu stehe ich heute. Siehaben hier Anträge gestellt, die Leistungen auf zusätzli-che Opfergruppen auszuweiten. Ich habe gesagt: Daskönnen wir nicht finanzieren, für uns ist hier eineGrenze; auch dazu stehe ich. Gleichzeitig haben wir dieLeistungen, die die anerkannten Opfer aus diesen Stif-tungsgesetzen bekommen, schrittweise verbessert. Auchin diesem Punkt habe ich mein Versprechen – ich gebezu: in kleinen Schritten, aber so ist das nun einmal in derPolitik – erfüllt.Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu IhremAntrag sagen, damit das hier deutlich wird: Es kann undwird keinen dauerhaften Bestand von Stiftungen in die-sem Bereich geben. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für sol-che Anträge, weil es dort noch genug zu tun gibt und dieBetroffenen das auch machen werden. Natürlich wirdimmer wieder neu diskutiert. Aber was Sie hier in IhremAntrag fordern – die Stiftung bestehen zu lassen, bis so-zusagen der letzte Häftling Leistungen von ihr erhaltenhat –, können wir nicht machen, und zwar aus einemganz einfachen Grunde: Wir tragen die Verantwortungdafür, dass die Steuermittel, die wir für die Opfer bereit-stellen, auch bei den Opfern ankommen. Wir machenkeine Politik für Funktionäre in Geschäftsstellen, um dassehr deutlich zu sagen.
Deshalb werden wir immer wieder das Verhältnis zwi-schen den Stiftungsmitteln, die an die Opfer gehen, unddenen, die für die Verwaltung verwendet werden, über-prüfen. Dieses Verhältnis muss stimmen. Diese Diskus-saFdDjrgbgsdgHsCrdbIISdtszPAIkdDsddJtwca
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
ritz Rudolf Körper.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er Bericht vom 13. Januar 2004 zu dieser Thematik ista schon des Öfteren angesprochen worden. Dieser Be-icht ist auf Wunsch der Kolleginnen und Kollegen Ab-eordneten erstellt worden, die sich mit dieser Thematikeschäftigten und in Zukunft beschäftigen. Im Grundeenommen handelt es sich hierbei nicht um eine Ent-cheidung, nicht um einen Beschluss und auch nicht umie Auffassung der Bundesregierung, sondern um Erwä-ungen des Bundesinnenministeriums zur Zukunft deräftlingshilfe und der Heimkehrerstiftung.Lieber Hartmut Büttner, ich muss ganz offen einge-tehen: Ich finde es ein wenig schade, dass von derDU/CSU-Fraktion – lassen Sie es mich so formulie-en – offensichtlich kein Wert darauf gelegt wird, sich iner Sache auseinander zu setzen und eine sachliche De-atte zu führen.
ch sage auch, warum: Bezeichnenderweise gehen Sie inhrem Antrag nicht auf die institutionelle Schwäche destiftungsmodells ein. Darum geht es aber, wenn maniese Diskussion führt. Wir erkennen, dass dieses Stif-ungsmodell aufgrund der vorgesehenen Interessenreprä-entation aus dem Kreis der Betroffenen an seine Gren-en stößt und es zunehmend Schwierigkeiten bereitet,ersonen aus den Interessenverbänden zu finden, dieufgaben in den entsprechenden Gremien übernehmen.ch denke, das ist ein Faktum, an dem man nicht vorbei-ommt. Darüber muss man einfach diskutieren. Ich bittearum, sich das sehr sorgfältig anzuschauen und dieseiskussion nicht mit Emotion und Polemik in eine fal-che Richtung zu lenken.
Ich sage auch noch etwas zur Finanzausstattung. Beier grundsätzlichen Neuregelung der Finanzausstattunger Stiftungen Anfang der 90er-Jahre des vergangenenahrhunderts wurde davon ausgegangen, dass beide Stif-ungen ihre Aufgaben bis zum Jahre 2005 erfüllt habenürden. Das ist keine Erfindung von uns. Dementspre-hend sind die Stiftungsvermögen seinerzeit nochmalsufgestockt worden, um eine Deckung der Verwaltungs-
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körperausgaben bis zu diesem Zeitpunkt zu ermöglichen. Es istsehr wichtig, dass man diesen Hintergrund kennt.Indessen wird das Stiftungsvermögen der Häftlings-hilfestiftung bereits im Jahre 2005 nicht mehr vollstän-dig ausreichen, um alle Verwaltungskosten bestreiten zukönnen. Vorsorglich eingeholte Schätzungen über denmutmaßlichen Kostenaufwand einer administrativen Lö-sung, das heißt, einer Ausführung des Häftlingshilfege-setzes, des Heimkehrerstiftungsgesetzes und des Straf-rechtlichen Rehabilitierungsgesetzes durch dasBundesverwaltungsamt, haben ergeben, dass sich imJahre 2006 voraussichtlich erhebliche Einsparungen anVerwaltungskosten ergeben würden. Auch das ist über-legt worden.Jetzt komme ich zu einem Punkt, den ich Ihnen einwenig verüble.
Es ging nie um die Infragestellung der Zahlung vonLeistungen oder der Hilfeleistungen, die diese Stiftun-gen vorsehen. Es ging um die Frage, ob man sich an-stelle des Stiftungsmodells auch andere administrativeLösungen vorstellen könne oder nicht. Lieber HartmutBüttner, ich finde es ein bisschen schade, ja, sogar einbisschen schäbig, wie Sie mit dieser Frage umgegangensind.
Ich gebe zu, dass uns diese Überlegungen dazu geführthaben, über die „Lebensdauer“ der Stiftungen nachzu-denken. Ich denke, das ist in der Tat nicht verboten.Abschließend will ich daran erinnern, dass im Inte-resse einer klaren Willensbildung verschiedene Aspekteauseinander gehalten werden sollten. Dies ist zum einendie Unterscheidung zwischen der Frage, ob man weitereHaushaltsmittel für die Gewährung von Unterstützungs-leistungen bereitstellen soll, und der Frage, welche Ein-richtung zweckmäßigerweise mit der Leistungsgewäh-rung betraut werden kann. Zum anderen ist dieUnterscheidung zwischen den Leistungsanlässen not-wendig. Hier muss die Thematik der Kriegsfolgeleistun-gen von der Sonderthematik der SED-Unrechtsbereini-gung unterschieden werden, auf die im Unterschied zuden Kriegsfolgeleistungen ein Rechtsanspruch besteht.Die Antragsbegründung ist eines von vielen Beispielen,in denen Sie beide Themenkreise miteinander vermi-schen.Die im Bericht des Bundesministeriums des Innernfestgestellte so genannte Deckungslücke betrifft Leistun-gen nach dem Häftlingshilfegesetz, auf die, wie bereitserwähnt, kein Rechtsanspruch besteht.Diese so genannte Deckungslücke, die im Übrigenaufgrund einer überplanmäßigen Ausgabe des Bundes-ministeriums des Innern in einer Gesamthöhe von3,5 Millionen Euro für beide Stiftungen weitgehend ge-schlossen ist, hat nichts mit den Unterstützungsleistun-gen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zutun, außer der Tatsache, dass beide Arten von Unterstüt-zwbEsDfvsrGtdGDidDdmWwtg1)
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/3763 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Gründung einer Bundesanstalt für Immo-bilienaufgaben
– Drucksache 15/2720 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-ausschusses
– Drucksachen 15/4056, 15/4066 –Berichterstattung:Abgeordnete Franziska Eichstädt-BohligJochen-Konrad FrommeBernhard Brinkmann
Anja HajdukJürgen KoppelinDie Redner Bernhard Brinkmann, SPD, Jochen-Kon-ad Fromme, CDU/CSU, Anja Hajduk, Bündnis 90/Dierünen, und Otto Fricke, FDP, haben ihre Reden zu Pro-okoll gegeben.1)Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den voner Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zurründung einer Bundesanstalt für Immobilienaufgaben,rucksache 15/2720. Der Haushaltsausschuss empfiehltn seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf iner Ausschussfassung anzunehmen,
rucksachen 15/4056 und 15/4066. Ich bitte diejenigen,ie dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-en wollen, um das Handzeichen. –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-urf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-ion gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP an-enommen. Anlage 5
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerDritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Koali-tion gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP an-genommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Werner Hoyer, Dr. Claudia Winterstein,Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPDie finanzielle Vorausschau der EU den neuenAufgaben anpassen– Drucksache 15/2978 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheitender Europäischen Union
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Dr. Claudia Winterstein, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Heute vollzieht die EU einen sehr wichtigenSchritt, nämlich die feierliche Unterzeichnung des euro-päischen Verfassungsvertrages.
Ein zweiter wichtiger Schritt steht uns bevor, nämlichdie Finanzplanung der EU.Im Februar hat die Europäische Kommission ihrenVorschlag für die nächste mittelfristige Finanzplanungfür die Jahre 2007 bis 2013 vorgelegt und dann im Julikonkretisiert. Dieser Vorschlag enttäuscht. Mehr Geldfür neue Aufgaben soll her, ohne aber alte, lieb gewon-nene Töpfe in ausreichendem Maße anzurühren. Kurz:Es fehlt der Mut zur überfälligen Reform.
1,14 Prozent des europäischen Bruttonationaleinkom-mens will die Kommission ausgeben. Das jährliche Bud-get liegt zurzeit bei 100 Milliarden Euro und würde biszum Jahre 2013 auf etwa 143 Milliarden Euro ansteigen.Deutschlands Anteil am EU-Haushalt liegt zurzeit beietwa 22 Milliarden Euro. Nach den Schätzungen desBundesfinanzministeriums würden die Deutschen imJahre 2013 letztendlich Bruttozahlungen in Höhe vonsatten 40 Milliarden Euro zu leisten haben. Das istschlicht nicht finanzierbar, schon gar nicht für Deutsch-land. Die desaströse Haushaltspolitik von Rot-Grün hatin Deutschland Schulden in Rekordhöhe verursacht.DzdkEaRtVFEdkwArdsHgsdSriugabidslFnduEsGbwfdd
ine Konzentration der Mittelvergabe auf die struktur-chwächsten Regionen ist deshalb zwingend geboten.ebiete, die aus der Förderung herausfallen, sollen eineefristete Übergangsfinanzierung erhalten. Das habenir schon besprochen.Ich möchte auch daran erinnern, dass die Strukturhil-en nur Hilfe zur Selbsthilfe sind. Das heißt, sie schadenem Entwicklungspotenzial der Regionen, wenn sie alsauerhafte Alimentation selbstverständlich werden.
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Dr. Claudia WintersteinDie Mittel aus dem Kohäsionsfonds wollen wir aus-schließlich in die neuen Mitgliedstaaten fließen lassen.Die dynamischen Volkswirtschaften in Osteuropa brau-chen Unterstützung, und zwar vor allem beim Aufbauder Infrastruktur, bei Innovationen und beim Umwelt-schutz.Wir wollen die Ausweitung der Kofinanzierung in dergemeinsamen Agrarpolitik durch die nationalen Haus-halte der Mitgliedstaaten. Dadurch kann ein verantwor-tungsvollerer Umgang der Mitgliedstaaten mit den be-reitgestellten Mitteln bewirkt werden. Wir fordernaußerdem generell kurze Verfallsfristen für Projektmit-tel. Noch immer fließen große Summen an bereitgestell-ten Geldern überhaupt nicht ab. Zurzeit sind das105 Milliarden Euro.
Frau Kollegin, Sie hatten bereits fünf Minuten. Sie
müssen jetzt zum Ende kommen.
Bei den Verhandlungen über die Agenda 2007 geht es
um Konsequenzen, die weit über die nächste Legislatur-
periode hinausreichen. Die Bundesregierung ist aufge-
fordert, ihre Prioritäten klar auf wachstumsrelevante Be-
reiche auszurichten. Dabei muss die 1-Prozent-Grenze
auf jeden Fall Verhandlungsgrundlage bleiben.
Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der heute zur Diskussion stehende Antrag der FDP-Fraktion zeigt trotz mancher Bemerkungen der KolleginWinterstein, dass es doch in den wesentlichen Punktender finanziellen Vorausschau einen überparteilichenKonsens gibt. Die von Deutschland zusammen mitFrankreich, Großbritannien, Österreich, Schweden undden Niederlanden eingenommene Position, die Ausga-benobergrenze bei 1 Prozent des Bruttonationaleinkom-mens festzusetzen, ist kritisch und realistisch. Sie ent-spricht sowohl der tatsächlichen Situation in der EU– wir liegen zurzeit bei 0,98 Prozent – als auch der zu-sätzlichen Verantwortung der erweiterten Gemeinschaft.Sie beinhaltet ein Wachstumsszenario mit Augenmaßund Steigerungsraten für den EU-Finanzrahmen, dieüber die Steigerungsraten der nationalen Haushalte hi-nausgehen.Dies zeigt: Deutschland ist bereit, seinen Beitrag zuleisten, um Europa zu einem dynamischen, wissensba-sierten und zukunftsorientierten Wirtschaftsraum weiter-zuentwickeln. Nur zur Erinnerung: Das ist die FormeldAlsDkbdNEwstedsuWjmswbhzedSeddnsDKlkfpwmn3asEfBA
Ebenso wie die deutsche Politik muss auch der euro-äische Haushalt auf die Lissabon-Strategie ausgerichteterden. In den vergangenen Jahren hat Deutschlandassive Anstrengungen im Forschungsbereich unter-ommen. Das für das Jahr 2010 vorgesehene Ziel,Prozent des Bruttonationaleinkommens für Forschunguszugeben, haben wir in den öffentlichen Haushaltenchon fast erreicht. Wir werden diesen Sektor auf EU-bene weiter unterstützen. Allerdings können wir nichtür die fehlenden Ausgaben anderer Länder in diesemereich aufkommen. Es gibt bekanntlich kein 3-Prozent-usgabenziel für Forschung auf EU-Ebene.
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Axel Schäfer
Für die Regionalpolitik wollen wir eine Konzentra-tion auf die bedürftigsten Regionen erreichen. EineStreuung der Fördermittel nach dem Gießkannenprinzipwird auch von uns abgelehnt. Die EU-Kommission hathierzu bereits in der letzten Finanzperiode wichtige Vor-arbeiten geleistet, indem sie die Ziele von sieben auf dreisowie die Gemeinschaftsinitiativen von 14 auf vier redu-ziert hat. Im Zusammenhang mit den vor wenigen Mo-naten erfolgten Beitritten ist die Gesamtzahl der Ziel-1-Regionen von insgesamt 50 in der EU der 15 Staaten auf69 in der EU der 25 angestiegen. Selbstverständlich be-steht hier noch weiterer Handlungsbedarf. Doch solltenwir nicht vergessen, dass jede Veränderung, ob nachoben oder nach unten, auch Auswirkungen auf die För-derregionen in Deutschland hat.Im Bereich der Eigenmittel setzen wir uns auch füreine gerechtere Lastenverteilung ein. Eine Entlastungbei übermäßigen Nettosalden darf nicht weiterhin aufnur ein EU-Mitglied beschränkt sein. Denn es existiertfür keinen anderen europäischen Staat ein so ungünsti-ges Verhältnis zwischen Wohlstandsniveau und jährli-chen Nettosalden wie für Deutschland. Die EU-Kom-mission hat dazu einen guten Vorschlag unterbreitet, derin die richtige Richtung weist. Auch in dieser Frage,glaube ich, gibt es in diesem Hause grundsätzlich keineMeinungsverschiedenheiten.Wir sind der Auffassung, dass das Eigenmittelsystemder EU klarer strukturiert werden muss und dass die Not-wendigkeit, den „Britenrabatt“, der – das wissen Sie si-cherlich – während der Zeit der CDU/CSU-FDP-geführ-ten Regierung auf Druck von Maggie Thatchereingeführt worden ist, zu hinterfragen, auf der Tagesord-nung bleiben muss. Wir haben das bereits im Jahre 1999– im Rahmen der finanziellen Vorausschau für 2000 bis2006 – etwas begrenzt.Lassen Sie mich zusammenfassen: Im EU-Haushalt– das ist das Besondere – bestimmen die Einnahmen dieAusgaben. Eine Verschuldung gibt es nicht. Das europäi-sche Haushaltsverfahren ist also ein bisschen anders alsunseres.Deutschland hat während seiner Ratspräsidentschaftim Jahre 1999 den Finanzrahmen für 2000 bis 2006 soli-darisch und fair geregelt, das heißt, es wurde eine Eini-gung gefunden. Die Bundesregierung hat in den vergan-genen fünf Jahren europapolitisch exzellente Arbeitgeleistet, vom Konvent zur Grundrechte-Charta, über dieBewältigung der Kosovokrise, den Rücktritt der Santer-Kommission, die erfolgreiche Einführung des Euros, denZwischenschritt des Nizza-Vertrages über den Beitrittvon zehn neuen Mitgliedern bis zur heutigen feierlichenUnterzeichnung des Vertrages über eine Verfassung fürEuropa.
Auf diesem Fundament und in diesem Bewusstseinwird die deutsche Europapolitik bei der finanziellen Vo-rausschau 2007 bis 2013 nach einem klaren Maßstabhandeln. Dieser lautet: Es reicht nicht, nur den Preis, nurdie Zahlen zu kennen; man muss auch den Wert wissen.DgrdmgddeFlBVRudmdJtszFwtdhvfdfLMidanwDDssrgf
Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-
raktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-egen! Wie viel Geld braucht die Europäische Union?ei allen Detaildiskussionen über die Höhe bzw. dieerteilung der Mittel für Agrarhaushalt, Strukturhilfe,egionalförderung, Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheitnd vieles mehr – das sind ja wichtige Punkte – ist esiese damit verbundene Grundsatzfrage, welche immerehr in den Vordergrund rückt. Vor dem Hintergrunder bisher größten Erweiterung der EU im Mai diesesahres, des gemeinsamen Willens, die Integration zu ver-iefen, und am Vorabend einer gemeinsamen europäi-chen Verfassung bietet sich die Chance, mit der finan-iellen Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 dieserage vielleicht ein bisschen besser als bisher zu beant-orten.Die Beiträge der Mitgliedstaaten bilden den wich-igsten Teil auf der Habenseite der EU. Sie sind auchiejenigen, um die – zumal in Zeiten klammer Haus-alte – am stärksten gerungen wird und die bei der Be-ölkerung sehr sensibel wahrgenommen werden. Geradeür unser Land, das sich durch die Wiedervereinigung inen eigenen Grenzen noch in einem Aufholprozess be-indet und im Gegensatz zu den meisten anderen EU-ändern in unmittelbarer Nachbarschaft zu den neuenitgliedstaaten liegt, ist dies von großer Bedeutung.Wir sind mit Abstand der größte Nettozahler, aber nurn absoluten Zahlen. Prozentual gesehen – bezogen aufas Bruttoinlandsprodukt – haben wir diesen Rang leidern andere Länder abgetreten. Dies ist im Umkehrschlussatürlich ein unmissverständlicher Indikator dafür, dassir in hohem Maße an Wirtschaftskraft eingebüßt haben.azu gehört auch die Tatsache, dass wir in punktourchschnittseinkommen nur noch in der Bezirksligapielen.
Blicken wir zurück. Im Jahre 1999 wurde unter deut-cher Ratspräsidentschaft für die zurzeit laufende Pe-iode – sie geht bis 2006 – erneut eine Beitragsober-renze von 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommensestgesetzt.
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Patricia LipsBereits Ende vergangenen Jahres unterzeichnetensechs Nettozahler, auch Deutschland – das ist also nichtganz neu –, einen Brief an die Europäische Kommissionmit der grundsätzlichen Absage an ein Mehr an finan-zieller Unterstützung. Dies geschah 48 Stunden nachdem ersten Scheitern der damaligen Verhandlungen überden Vertrag über die europäische Verfassung und war– Kolleginnen und Kollegen der Koalition, lassen Sie esmich wiederholen – in Form, Stil, Zeitpunkt und vor al-lem vor dem Hintergrund Ihres Zieles äußerst kontra-produktiv.
Diese Vorgehensweise fördert nicht ein gesundes Ver-handlungsklima, sondern sie reißt zusätzliche Gräbenauf.Zu Beginn dieses Jahres gab die Europäische Kom-mission bekannt – wir haben es schon gehört –, dass fürdie finanzielle Vorausschau der kommenden Periodeeine Fortschreibung der Beitragsgrenze von 1,24 Prozent– diese Zahl wurde später um ein Zehntel Prozentpunktreduziert – gewünscht sei.Wir kommen zu der in diesem Land gängigen Argu-mentationslinie.Erstens. In der Realität zeigte sich, dass selbst diespro Jahr in der Regel nicht ausgeschöpft wurde. DerHaushalt für das laufende Jahr 2004 – es ist immerhindas Jahr der Erweiterung; dieser Haushalt wurde aufge-stellt für 25 Mitgliedstaaten – erreicht tatsächlich nurplus/minus 1 Prozent und er bildete in dieser Größe wohlkeine Ausnahme.Zweitens. Deutschland ist hoch verschuldet undgleichzeitig größter Nettozahler in der EU. Der Impuls,auch den nächsten Haushaltsrahmen bei diesen 1 Prozentzu deckeln – der vor allem, aber nicht nur auf die reflex-artige Forderung der Bundesregierung zurückging –, istverständlich, soweit das symbolhaft dazu dienen mag, zugrundsätzlich größerer Sparsamkeit aufzufordern.Zudem wurde festgestellt, dass auch ein hoher Anteilan Fördermitteln der EU gar nicht abgerufen wurde.Auch wenn die Ausgaben auf 1 Prozent gedeckeltwerden, steigen – je nach Wirtschaftswachstum in dennächsten Jahren – die zugrunde gelegten absoluten Zah-len. Deutschland ist mit seinem Beitrag daran nicht un-maßgeblich beteiligt.Wenn heute schon 1 Prozent des Bruttonationalein-kommens der 25 Mitgliedsländer ausreicht, dann stelltsich logischerweise die Frage, weshalb die EuropäischeKommission für die Zukunft eigentlich mehr benötigt.Von der Kommission werden als Grund weitere Aufga-ben genannt, denen sich die Europäische Union künftigstellen will oder muss. Die Ausgabenkategorien wurdenhierfür neu gegliedert.Darüber hinaus ist manche Passage in der geplanteneuropäischen Verfassung mehr als ehrgeizig im Hinblickauf die Kompetenzerweiterung der EU, also auf eineweitere Verlagerung von Aufgaben auf die europäischeEggbbrmnsuvKFbugZoik–rtghmRnntiwBarmdntAdwr2bpifnShsnhm
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hat die Aufgabe, verbindend und vermittelnd statt spal-tend zu wirken; denn das können wir uns politisch undfinanziell nicht leisten.Wir hatten gestern eine sehr emotionale Debatte zumThema Türkeibeitritt.
– Es war auch eine sehr gute Debatte. Emotionale Dingekönnen manchmal sehr gut sein. – Ich möchte jetzt abernicht noch einmal alle Argumente, das Für und Widerbringen. Wir alle sind uns doch über Folgendes im Kla-ren: Auch wenn es noch so viele Jahre dauern mag, bises zu einem endgültigen Beitritt kommt – mit einer Vor-gehensweise wie der, die Sie aktuell zum EU-Haushaltan den Tag legen, können Sie dieses große Land nicht in-tegrieren.Wie viel Geld braucht Europa? Die neue finanzielleVorausschau für die Zeit ab 2007 muss sich an den tat-sächlichen und notwendigen Aufgaben der EU orientie-ren. Eine Neuausrichtung der Beitragsobergrenzen mageine Möglichkeit sein, ist aber zu kurz gesprungen. Siekann nur Auslöser für Folgedebatten sein. Erst aus derAufgabendefinition kann das für die Aufgaben notwen-ddFdsEzgmbhtlarAnnNHHvwtazssuFuwnSA–hnfzwstrFVu
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Europäische Kommission hat uns einenaushaltsvorschlag für die Periode von 2007 bis 2013orgelegt. Ich glaube, wir täten gut daran, einmal zuürdigen, was die Kommission hier an positiven Aspek-en dargestellt hat. Ich halte diesen Haushalt nämlich fürusgesprochen ausgewogen.Wir stehen ja vor großen Herausforderungen. Eineentrale europäische Herausforderung, vor der wir alletehen, ist es, die Erweiterung der Europäischen Unionolidarisch zu gestalten. Außerdem müssen auch die vorns liegenden Aufgaben wie Bildung, Innovation undorschung stärker in den Vordergrund gestellt werdennd die europäische Gesellschaft zukunftsfähig gemachterden. Angesichts dieser Herausforderungen, vor de-en wir stehen, ist dieser Haushaltsentwurf aus meinericht vernünftig.Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir dieuseinandersetzung um die finanzielle Vorausschaudas ist ja eine der wichtigsten Debatten im Zusammen-ang mit dem Europa der Zukunft – nicht als reine Fi-anzdebatte, also nur als Debatte um eine Prozentzahl,ühren, sondern in dieser zentralen Zukunftsdiskussionunächst einmal fragen, welche politischen Prioritätenir beschlossen haben und was wir eigentlich mit die-em Europa leisten wollen.Um wettbewerbsfähig zu bleiben und eine nachhal-ige Entwicklung zu fördern, reicht es nicht aus, auf eu-opäischen Gipfeln oder heute an diesem europäischeneiertag anlässlich der Unterzeichnung der europäischenerfassung den EU-Organen neue Aufgaben zuzuweisennd der Europäischen Union neue Pflichten aufzubür-
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Rainder Steenblockden. Wenn wir Europa zur dynamischsten und wettbe-werbsfähigsten wissensbasierten Region ausbauen wol-len, wenn wir gleichzeitig den Lebensstandard in denBeitrittsländern an den Durchschnitt in der EU heranfüh-ren wollen, wenn wir wollen, dass auch von europäi-scher Seite der internationale Terrorismus bekämpft undder Korruption und der organisierten Kriminalität begeg-net wird, dann brauchen wir hierfür natürlich auch einematerielle Unterfütterung; denn wir wären doch un-glaubwürdig, wenn wir nur Ziele definierten, aber mate-riell nichts dazu beitrügen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Winterstein?
Gerne.
Herr Steenblock, soweit ich weiß, haben sich Regie-
rung und Koalitionsfraktionen für die Einhaltung einer
Höchstgrenze von 1 Prozent des Bruttonationaleinkom-
mens ausgesprochen. Wenn ich Sie eben richtig verstan-
den habe, dann haben Sie sich als Sprecher der Grünen
hier für den Vorschlag der Kommission, der von einer
Höchstgrenze von 1,14 Prozent ausgeht, ausgesprochen.
Könnten Sie diesen Widerspruch vielleicht aufklären?
Das tue ich gerne, liebe Frau Kollegin. Ich habe mich
für gar keine Zahl ausgesprochen. Wenn Sie mir auf-
merksam gelauscht hätten, dann hätten Sie tatsächlich
meinen Gedankengang verstanden. Ich habe nämlich ge-
sagt, wir dürfen diese Debatte nicht als reine Finanzde-
batte führen, sondern müssen auch schauen, welche Auf-
gaben wir Europa übertragen haben. Natürlich muss der
EU-Haushalt effizient gestaltet werden und muss spar-
sam mit den Geldern umgegangen werden. Liebe Kolle-
gin, ich bitte Sie, dabei auch zur Kenntnis zu nehmen,
dass die nationalen Haushalte in den letzten sieben Jah-
ren doppelt so schnell gestiegen sind wie der EU-Haus-
halt. Zugleich ist der EU-Haushalt der einzige, der ohne
eine Verschuldung auskommt.
– Das stimmt; diese Zahlen können Sie gerne in einer
Drucksache der EU-Kommission nachlesen. Die genaue
Nummer reiche ich Ihnen gerne noch nach. Sie können
gerne schauen, bei wie viel Prozent des Bruttonational-
produktes die jeweiligen nationalen Haushalte liegen. Im
Durchschnitt der EU-Staaten kommt man auf
45 Prozent, während der EU-Haushalt bei 1 Prozent
liegt. Schauen Sie sich dann auch an, welche Einsparpo-
tenziale realisiert werden. Sie sagen ja zu Recht, dass
immer ein Teil – Sie können ruhig stehen bleiben, liebe
Kollegin, ich antworte noch auf Ihre Frage – –
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Darauf gehe ich als Nächstes ein; jetzt handelt es sich
och um die Antwort auf Ihre Frage.
Ich halte es vor diesem Hintergrund für wichtig, liebe
ollegin, sich erst einmal genau anzuschauen, welche
ufgaben durch die neue Verfassung an die EU übertra-
en wurden; dann kann man sagen, ob 1,0 oder 0,95 oder
ielleicht 1,14 Prozent als Höchstgrenze angemessen
ind. Das ist eine inhaltliche Debatte. Ich habe mich al-
erdings dafür ausgesprochen, diese inhaltliche Debatte
u führen. Das ist wichtig. Da unterscheiden wir uns
uch innerhalb der Koalition überhaupt nicht. – Vielen
ank.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar
es Kollegen Kalb?
Aber gerne.
Herr Kollege, würden Sie mir Recht geben, dass dierage, ob Europa die dynamischste Wirtschaftsregionerden kann oder nicht, nicht von dem Finanzvolumen,as der EU zur Verfügung steht, abhängig gemacht wer-en kann? Diese Aufgabe kann doch nicht gelingen,enn die Mitgliedstaaten ihre Hausaufgaben nicht ma-hen. Und würden Sie zweitens zur Kenntnis nehmen,ass sowohl im Unterausschuss zu Fragen der Europäi-chen Union als auch im Haushaltsausschuss des Deut-chen Bundestages einstimmig und mit großem Nach-ruck beschlossen wurde, die Regierung in demestreben zu unterstützen, dass der EU-Haushalt aufProzent des Bruttonationaleinkommens begrenzt wird?
Ich bin gerne bereit, den letzten Punkt zur Kenntnisu nehmen, frage mich aber, ob der Haushaltsausschussn seinen Beratungen auch schon einmal darüber nachge-acht hat, den nationalen Haushalt auf x Prozent desruttonationalprodukts zu begrenzen.
ch persönlich halte das für eine fragwürdige Strategie,m das einmal deutlich zu sagen.Aber ich will auch den ersten Teil Ihrer Frage beant-orten: Natürlich ist es richtig, dass wir das Ziel der Lis-abon-Strategie, die Sie hier ansprechen, also Europaettbewerbsfähig zu machen, nur dann erreichen, wennir eine europäische Strategie haben, der sich alle Mit-liedsländer verpflichtet fühlen.
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Rainder SteenblockNatürlich müssen die Mitgliedsländer dafür in ihren je-weiligen Haushalten sorgen; das ist überhaupt keineFrage. Aber wir können – das wissen Sie ganz genau –zum Beispiel im Forschungsbereich, wie Sie an der Pla-nung für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm erken-nen können, an vielen Stellen einen Mehrwert erreichen,wenn wir das auf europäischer Ebene organisieren. Dasheißt – um die von Ihnen gestellte Frage zu beantwor-ten –, wir brauchen Mittel nicht nur auf nationaler, son-dern auch auf europäischer Ebene. Wir brauchen einenationale und eine europäische Strategie, die allerdingszusammenpassen müssen.
Ich glaube, dass wir in der Debatte über die Frage, umdie es heute geht, Ehrlichkeit brauchen. Auch die nieder-ländische Ratspräsidentschaft hat das deutlich gemacht.Sie verfolgt die Strategie der politischen Prioritätenbil-dung. Frau Lips hat das bereits angesprochen; in diesemPunkt kann ich mich ihr anschließen. Zur Debatte überdie finanzielle Vorausschau ist von der niederländischenRatspräsidentschaft die Building-Block-Methode ein-geführt worden. Hierbei werden die Finanzberatungenauf eine breitere Grundlage gestellt, damit stärker aufden Inhalt der verschiedenen Politikbereiche eingegan-gen werden kann. Dies ist aus meiner Sicht ein richtigerAnsatz, um zu erreichen, dass Anspruch und Wirklich-keit in Europa wieder zusammenpassen. Wir dürfennicht politische Ziele formulieren, die Erwartungen beiden Bürgerinnen und Bürgern wecken, aber dann nichtdie notwendigen finanziellen Mittel dafür bereitstellen.Sonst besteht die Gefahr, wie Wim Kok hinsichtlich derHalbzeitbilanz der Lissabon-Strategie schon gesagt hat,dass die Europäische Union zu einem Synonym für ver-fehlte Ziele und gebrochene Versprechen wird. Wir müs-sen dafür sorgen, dass die Europäische Union nicht nurmit hehren politischen Zielen, sondern auch mit den da-für notwendigen Mitteln ausgestattet wird. Denn sonst,liebe Kolleginnen und Kollegen, verlieren wir das Wich-tigste: das Vertrauen der Menschen in die Zukunft Euro-pas.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2978 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatz-
punkt 5 auf:
24 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
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– Drucksache 15/3419 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksachen 15/4055, 15/4054 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Olaf Scholz
Marco Wanderwitz
Jerzy Montag
Rainer Funke
P 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim
Stünker, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker
Beck , Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Anwendung internationaler Rechnungsle-
gungsstandards in Deutschland sachgerecht
und transparent fortentwickeln
– Drucksache 15/4036 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
entarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
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Frau Präsidentin! Verehrtes Präsidium! Liebe Kolle-innen! Liebe Kollegen! Es ist schön, Sie alle zu dieserachmittäglichen Stunde hier zu sehen.
Ich freue mich, dass ich Sie alle sehe.Zu einem attraktiven Kapitalmarkt gehört ein moder-es und transparentes Bilanzrecht. Mit den beiden Ge-etzen, also mit dem Bilanzrechtsreformgesetz und demilanzkontrollgesetz, die wir heute beschließen, werdenir unsere Bilanzregeln auf hohem internationalen Ni-eau fortentwickeln.
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Parl. Staatssekretär Alfred HartenbachIch darf mich an dieser Stelle herzlich für die kon-struktive Atmosphäre bei der Beratung der beiden Ge-setzentwürfe bedanken. Es ist gut, wenn bei diesen fürunseren Finanzplatz wichtigen Weichenstellungen allean einem Strang ziehen, und das – auch das muss ichhier sagen – mit großer Sachkompetenz. Es war einereine Freude.Mit dem Bilanzrechtsreformgesetz und dem Bilanz-kontrollgesetz setzen wir weitere bedeutende Punkte un-seres Zehn-Punkte-Programms zur Stärkung der Unter-nehmensintegrität und des Anlegerschutzes um. Mit demBilanzrechtsreformgesetz tragen wir der Internationali-sierung des Bilanzrechts Rechnung. Wir geben den Un-ternehmen in Deutschland sachgerechte Möglichkeitenzur Anwendung der International Accounting Standards.Wir stärken außerdem die Unabhängigkeit der Ab-schlussprüfer. Als Ausgangspunkt dient eine General-klausel. Sie lautet: Die Besorgnis der Befangenheit führtzum Ausschluss des Abschlussprüfers – ein altehrwürdi-ger juristischer Grundsatz. Niemand soll in eigener Sa-che prüfen und urteilen. Wir unterfüttern diesen Grund-satz mit einer Liste von Ausschlussgründen, die alsRegelbeispiele die Besorgnis der Befangenheit vermutenlassen.Der Grundgedanke ist dabei vor allem das Selbstprü-fungsverbot. Es versteht sich von selbst, dass es für dieUnabhängigkeit schädlich ist, wenn Abschlussprüferin-nen und Abschlussprüfer in die Situation kommen kön-nen, bei einer Prüfung selbst das Resultat der eigenenvorangegangenen Beratung, sprich: Dienstleistung, be-werten zu müssen.Verschärfte Anforderungen gelten für Kapitalmarkt-unternehmen. So sind Abschlussprüfer von der Prüfungeines solchen Unternehmens ausgeschlossen, wenn siezugleich auch gestaltende Rechts- oder Steuerberatungs-leistungen für das Unternehmen erbringen. Ich möchteaber betonen, dass das Gesetz für mittelständische Wirt-schaftsprüfungsgesellschaften, die keine Kapitalmarkt-unternehmen prüfen, keine so weit gehenden Regelun-gen vorsieht. Das heißt also: so viel Belastung undRegulierung wie nötig, so viel Freiheit wie möglich.Die Bilanzskandale der letzten Jahre haben leider ge-zeigt, dass es auch in der Wirtschaft ohne Kontrolle nichtgeht. Aber gerade im Wirtschaftsleben wollen wir dort,wo es möglich ist, auf das Prinzip der Selbstregulierungsetzen und erst dann hoheitlich eingreifen, wenn es un-vermeidlich ist. Diesen Weg gehen wir beim Bilanzkon-trollgesetz. Wir schaffen ein zweistufiges so genanntesEnforcementverfahren. Es geht um die Überprüfungder Richtigkeit der Jahres- und Konzernabschlüsse vonKapitalmarktunternehmen.Auf der ersten Stufe soll eine privatrechtlich organi-sierte Prüfstelle tätig werden. Sie begegnet den Unter-nehmen auf gleicher Augenhöhe. Die Zusammenarbeitmit dieser Stelle ist freiwillig. Verweigert das betroffeneUnternehmen die Zusammenarbeit mit dem privatenEnforcementgremium, kommt auf der zweiten Stufe– deswegen ist Herr Diller noch anwesend – die Bundes-anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zum Einsatz.SzrGTndwgtndddgddwCBWdRBsnmdünDdiuBügDdssBFem
Nächster Redner ist der Kollege Marco Wanderwitz,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!evor ich in der Sache ausführe, möchte auch ich einigeorte des Dankes sagen; denn die Beratung dieser bei-en sachlich verbundenen Gesetzentwürfe, für die ich imechtsausschuss der Berichterstatter der CDU/CSU-undestagsfraktion bin, ist nach meiner Meinung bei-pielhaft für eine gelungene Arbeit des Parlaments. Mei-en Berichterstatterkollegen der anderen Fraktionenöchte ich für die sachliche und konstruktive Beratunganken, in deren Folge wir in einem straffen, aber niebereilten Verfahren im Konsens nahezu alle Punkteicht nur zu unserer Zufriedenheit, sondern vor alleningen sachgerecht und allen Betroffenen gerecht wer-end klären und einer Lösung zuführen konnten.Mein Dank gilt auch den Sachverständigen, die unsm Rahmen eines erweiterten Berichterstattergesprächesnterstützten. Die Zusammenarbeit sowohl mit demundesjustizministerium als auch mit den Ländern, dieber die Stellungnahme des Bundesrates wertvolle Anre-ungen gaben, kann und will ich nur loben. Meinenank dafür!Gleichwohl das Bundesjustizministerium und damiter Rechtsausschuss federführend sind, haben die Ge-etzentwürfe vor allen Dingen einen finanz- und wirt-chaftspolitischen Hintergrund. Mein Kollege Ottoernhardt sprach als Berichterstatter der CDU/CSU iminanzausschuss in der ersten Lesung der beiden Gesetz-ntwürfe zu deren gesetzgeberischem Ziel. Daheröchte ich mich an dieser Stelle ein wenig beschränken.
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Marco WanderwitzGemeinsam ist beiden Gesetzen, dass Bilanzskandaleder letzten Jahre – nicht nur, aber eben auch in Deutsch-land – die Anleger erheblich verunsicherten. Um dasVertrauen in den Finanzplatz Deutschland zu sichern,mussten wir als Gesetzgeber handeln. Dieses Vertrauenbetrifft sowohl die Rechnungslegung der Unternehmenwie auch das Institut der Abschlussprüfung. Der Anle-gerschutz ist ein gewichtiges Schutzgut, dem wir vor al-lem mit den Regelungen zur Unabhängigkeit der Ab-schlussprüfer Rechnung tragen.Im Bilanzrechtsreformgesetz werden die internatio-nale Vereinheitlichung der Rechnungslegung und damitdie Vergleichbarkeit durch die Übernahme interna-tionaler Rechnungslegungsgrundsätze gesichert. DasVerfahren IAS steht somit auch für die internationaleWettbewerbsfähigkeit kapitalmarktorientierter deutscherUnternehmen.Langfristig wird allerdings die Frage zu beantwortensein, inwieweit die parallele Erstellung eines IAS-Ab-schlusses und eines Abschlusses nach dem Handelsge-setzbuch sinnvoll ist. Der HGB-Abschluss ist und bleibtMaßstab für die Gewinnausschüttung und insbesonderefür steuerliche Zwecke und geht teilweise von funda-mental anderen Grundlagen aus. Der IAS-Abschlusskann dies nicht leisten.Im Bilanzrechtsreformgesetz wird die Unabhängig-keit der Abschlussprüfer gesichert. Damit werden dieEmpfehlungen der EU-Kommission umgesetzt. Hierzeigt sich aber auch ein Spannungsfeld zwischen demnotwendigen Anlegerschutz, dem durch die Unabhän-gigkeitsregelungen Rechnung getragen wird, und den In-teressen der mittelständischen Wirtschaft und deren Prü-fern. Regelungen, die auf die Abschlussprüfungen vonso genannten Unternehmen öffentlichen Interesses aus-gerichtet sind, passen nicht notwendig auch auf mittel-ständische Unternehmen. Hier galt es, genau auf diepotenziellen Wirkungen der Gesetzgebung zu achten.Das ist uns meiner Einschätzung nach im Verfahren gutgelungen.Die Vorschriften sollen die gesetzgeberischen Zieleerfüllen. Sie sollen aber auch so wenig nachteilige Wir-kungen wie möglich haben. Der Nutzen muss wie bei je-der Gesetzesfolgenabwägung überwiegen. Hier wies derRegierungsentwurf eine ganze Reihe von Verbesse-rungsnotwendigkeiten auf.Daneben sei mir an dieser Stelle gestattet, zu sagen,dass das Bundesjustizministerium im Laufe der Beratun-gen an für meinen Geschmack zu vielen Stellen redak-tionelle Änderungen vornehmen und Schreibversehenbeheben musste. Derartige Fehler sind leider ein weitverbreitetes Übel der letzten Jahre, auch wenn es sich indiesem Fall zwar um zahlreiche, aber zugegeben nur umkleine Fehler handelte.In der Sache weiter: Eine der gewichtigsten Verände-rungen ist die Herausnahme der nicht kapitalmarktorien-tierten Banken und Versicherungen aus dem Anwen-dungsbereich der verschärften Unabhängigkeitsregelnfür Prüfer. Damit wurde eine unnötige Belastung vonkndfPiwgwrugpfBdngnvsrAUrPvwAvssbFgecmdgRkbdDnlssbnlA
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12523
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ie Bundesregierung hat im Maßnahmenkatalog vomebruar 2003 die Werkzeuge genannt, mit denen wir so-ohl den Schutz der Anleger als auch die Integrität dernternehmen stärken wollen. Das Bilanzrechtsreform-esetz und das Bilanzkontrollgesetz setzen ganz konkretmpfehlungen des Maßnahmenkatalogs um.Das Enforcementverfahren und die einzurichtenderüfstelle schaffen ein Instrument der Selbstkontrolleer Wirtschaft. Wir setzen dabei gerade nicht auf mehrtaat, Herr Kollege Wanderwitz, sondern auf mehr En-agement der Wirtschaft selbst, um die Richtigkeit vonapitalmarktinformationen zu stärken.
as Bilanzrechtsreformgesetz stärkt die Abschlussprüfern ihrer Unabhängigkeit und Neutralität.Es gibt aber auch Entwicklungen im deutschen unduropäischen Bilanzrecht, die uns mit Sorge erfüllen.anz konkret geht es um den Verlust von Transparenznd Demokratie bei der Entwicklung und Übernahmenternationaler Rechnungslegungsstandards, der so ge-annten IAS. Durch das Bilanzrechtsreformgesetz wirdas nationale Bilanzrecht an vier europäische Rechts-kte, darunter auch an die EU-Verordnung zu den IASngepasst. Das heißt konkret: Ab dem 1. Januar 2005erden kapitalmarktorientierte Unternehmen in Deutsch-and nach diesen Regeln bilanzieren müssen.Die Erarbeitung der darin festgelegten Rechnungsle-ungsstandards erfolgt jedoch nicht – wie es bisher ineutschland rechtsstaatlicher Standard war – in einememokratisch legitimierten nationalen Gesetzgebungs-erfahren, sondern im so genannten IAS-Board, einemrivaten 14-köpfigen Gremium mit Sitz in London, dason Industrieunternehmen, Banken, Versicherungsunter-ehmen und Wirtschaftsprüfern finanziert wird.
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Jerzy MontagFolglich wird die Transparenz, die auf dem Kapital-markt durch die Anwendung der neuen Standards er-reicht werden soll, in einer Dunkelkammer geboren. In-transparenz soll Transparenz schaffen, ein im Grundsatzparadoxes und unmögliches Verfahren.Der auf EU-Ebene im Rahmen des Komitologiever-fahrens für die Übernahme der Regeln – zuerst in euro-päisches und dann in nationales verbindlich geltendesRecht – eigens eingesetzte Regelungsausschuss unterdem Vorsitz der Kommission kann diese Standards le-diglich annehmen; mitmachen und mitgestalten kann ersie aber nicht und ändern auch nicht.
Das Europäische Parlament ist außen vor und auch wirals deutsches Parlament werden nicht gefragt. Auch diesist ein im Grundsatz unmögliches Verfahren.
Der von mir beschriebene Demokratie- und Transpa-renzverlust ist ein großes Problem, die mit weiteren gra-vierenden Konsequenzen verbundene Einführung derIAS-Regeln birgt aber noch weitere Probleme. Ich nennehier die zu erwartenden Auswirkungen auf den Mittel-stand und den kaum abschätzbaren Einfluss auf die künf-tigen Besteuerungsgrundlagen von Unternehmen inDeutschland.
Für mittelständische und nicht kapitalmarktorientierteUnternehmen besteht nach der EU-Verordnung zwar einWahlrecht, entweder wie bisher zu bilanzieren oder nachden neuen IAS-Regeln. Es steht aber zu befürchten, dasssich auch der Mittelstand gezwungen sehen wird, dieseRechnungslegung umzustellen, wenn Banken zuneh-mend IAS-Bilanzen verlangen und auch Kooperations-partner, insbesondere in der internationalen Zusammen-arbeit, nach den neuen Regeln bilanzieren werden. Dieswird enorme Kosten verursachen, die der Mittelstandnicht oder nur sehr schwer schultern kann. Deshalb hal-ten wir es für erforderlich, dass für mittelständische Un-ternehmen so rasch wie möglich eine abgespeckte Ver-sion der IAS-Regeln, die so genannten IAS light, fertiggestellt wird.Was den Einfluss auf die Steuerbilanz betrifft, sokonnten wir bereits der „Frankfurter Allgemeinen Zei-tung“ vom 25. Oktober dieses Jahres entnehmen, dass esschon Urteile des Europäischen Gerichtshofs gibt, die indie Richtung deuten, dass die neuen IAS-Regeln in Zu-kunft auch die Grundlage der Besteuerung darstellenwerden. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dassder Deutsche Bundestag gegensteuert. Gefordert sindgesetzliche Vorgaben für die Steuerbilanz, die weiterhinauf dem Realisationsprinzip aufbauen und übermäßigeSchwankungen bei der Berechnung von Steuereinnah-men vermeiden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch unseren Ent-schließungsantrag, den wir gleichzeitig mit den beidenGesetzentwürfen in den Bundestag eingebracht haben,msseseFngmaskdiguBdDwzBvdsfssuMVuuzdadnwinddgn
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Funke, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-ächst einmal möchte ich mich dem Dank an die Kolle-en, die als Berichterstatter an diesen Gesetzentwürfenitgewirkt haben, anschließen. Ich möchte mich auchusdrücklich beim Bundesjustizministerium und insbe-ondere bei Herrn Dr. Ernst bedanken, der eine wirklichomplizierte Materie so dargestellt und erläutert hat,ass sie jeder von uns verstanden hat. Ebenfalls möchtech mich bei den Sachverständigen bedanken, die unserade in der letzten Phase der Beratungen sehr geholfennd mit dazu beigetragen haben, dass eine Reihe vonestimmungen, die vielleicht zu bürokratisch waren undie Dinge verkompliziert hätten, beseitigt worden sind.Dazu zählt in meinen Augen die Vermeidung deroppelprüfung nach § 44 des Kreditwesengesetzes. Esird vermieden, dass die betroffenen Unternehmen einerusätzlichen Belastung ausgesetzt werden und dass dasaFin eine unnötige, kostenintensive Doppelprüfungornehmen muss.Ich glaube, dass die gute Zusammenarbeit zwischenen Berichterstattern notwendig war, da mit beiden Ge-etzentwürfen wichtige volkswirtschaftliche Ziele ver-olgt werden.Mit dem Bilanzkontrollgesetz sollen der Anleger-chutz und die Unternehmensintegrität nachhaltig ge-tärkt werden. Diese Ziele finden, wenn sie praktikabelnd sinnvoll umgesetzt werden, unsere Unterstützung.it dem Bilanzrechtsreformgesetz werden zunächstorgaben des europäischen Bilanzrechts umgesetzt,m die europäischen Unternehmen auf dem internationalmworbenen Kapitalmarkt, insbesondere in Konkurrenzum US-Kapitalmarkt, zu stärken. Auch zur Stärkunges Vertrauens in die Aussagekraft von Unternehmens-bschlüssen sowie in die Unabhängigkeit und das Testates Abschlussprüfers waren gute Regelungen dringendotwendig; denn wir alle erinnern uns noch an Skandaleie die um Enron und Parmalat.Im Rahmen der Berichterstattergespräche haben wirm Einverständnis zwischen allen Fraktionen bereits ei-ige wichtige Änderungen am Gesetzentwurf der Bun-esregierung vornehmen können. Unter anderem wur-en der Ausschlussgrund der gerichtlichen Vertretungestrichen, die Regelungen zur internen Rotation ver-ünftig geändert und die nicht kapitalmarktorientierten
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2004 12525
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Rainer FunkeBanken und Versicherungen von den Unabhängigkeits-regeln vollständig befreit. Auch die Schaffung einerSonderregelung für genossenschaftliche Prüfungsver-bände war zu befürworten. Das Verbot der Verbindungvon Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung hat unsnicht gefallen, aber das ist nun einmal eine Konzessionin einem Kompromiss; wir werden hierüber sicherlichnoch häufiger zu reden haben.
Herr Kollege, darf ich Sie an die Zeit erinnern?
Vorletzter Satz. – Die Fragen des europäischen und
des weltweiten Bilanzrechts werden uns beschäftigen,
weil die Kapitalmärkte immer globaler werden und des-
wegen auch kompatibler sein müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Olaf
Scholz, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wirsprechen über ein in der Tat sehr wichtiges Gesetz, das– wie man erkennen kann – die Aufmerksamkeit der Öf-fentlichkeit in unserem Land, die es verdient, wohl nichtbekommen wird. Es geht um Wirtschaftspolitik, ganzhandfeste sogar. Alles, worüber wir hier entscheiden, hatetwas damit zu tun, wie sich unsere Unternehmen aufden internationalen und nationalen Kapitalmärkten refi-nanzieren können, ob es ihnen gelingt, im Wettbewerbkräftig dazustehen oder nicht. Wer kein Gefühl für dasThema hat, wird dies vielleicht nicht gleich denken, aberman muss wissen, dass es von großer Bedeutung ist, Bi-lanzen trauen zu können. Deshalb ist es richtig, Bilanzenfür die internationalen Finanzmärkte so zu erstellen, dassihnen geglaubt wird.Im Wettbewerb der verschiedenen Bilanzierungsmög-lichkeiten hat diesbezüglich eine Entwicklung stattge-funden. International akzeptiert wird das, was auf demamerikanischen Kapitalmarkt üblich ist, die dortigen Ac-counting Standards und eine internationale Variante da-von, die jetzt für die Europäische Union und damit auchfür uns verbindlich wird. Das muss man zur Kenntnisnehmen. Wäre unser Markt kapitalisierter, würden sichunsere Unternehmen an den Börsen besser refinanzieren,als sie das real tun, dann hätte das deutsche Bilanzrechtdabei sicherlich eine größere Rolle gespielt. Aber so istes eben nicht; man muss die Realität anerkennen. Dashat Europa getan und das tun auch wir mit dem Gesetz,das wir heute beschließen wollen.Natürlich stellen sich damit auch neue Fragen: Wiekommen diese Bilanzierungsregeln zustande? Es ist zu-nächst einmal nicht wichtig, ob dabei ein Mangel an De-mokratie vorliegt. Wir haben letztendlich schon vor län-gerer Zeit entschieden, dass Unternehmen internationaleREnwngfpsttGEWnigRGndwwwssgrWnsgBiadUudnkeGMdmvDwnw
as über Jahrzehnte richtig funktioniert hat, wird jetzticht mehr ohne weiteres akzeptiert; wir als Gesetzgebern Deutschland können dabei kaum helfen. Das Gleicheilt – juristisch und intellektuell abgeleitet analog zurechtsprechung und Meinungsbildung bezüglich desenossenschaftskapitals – für die Bilanzierung des Ge-ussrechtskapitals. Wir haben vor kurzem lesen können,ass ein Unternehmen eine ganz neue Konstruktion ge-ählt hat, weil es darauf reagieren musste, dass etwas,as immer ging, jetzt nicht mehr geht.Es ist also notwendig, etwas zu tun. Darum wollenir nicht nur diese beiden Gesetze einvernehmlich be-chließen, sondern wir wollen heute auch einen Ent-chließungsantrag auf den Weg bringen, über den wirerne gemeinsam weiter diskutieren wollen. Es geht da-um, herauszufinden: Was sollen wir eigentlich wollen?as könnten wir politisch bewegen, damit wir in Europaicht immer nur vor der Wahl stehen „Friss, Vogel, odertirb“, wenn es etwa um die Frage geht, wie wir uns ge-enüber IAS 32 und IAS 39 verhalten; um die erwähnteneispiele wieder aufzugreifen. Das haben wir getan undch glaube, das war richtig.Das Gesetz insgesamt ist von meinen Vorrednern sousführlich besprochen worden, dass ich nicht alles wie-erholen will. Ich erwähne aber noch einmal die besserenabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer börsennotierternd börsenorientierter Unternehmen. Dies war unbe-ingt richtig und das haben wir erreicht. Wir sind aberur so weit gegangen, wie wir glaubten, verantworten zuönnen. Es macht auch Sinn, dass man als Gesetzgeberrst einmal schaut, was man anrichtet; denn durch diesesesetz werden wir natürlich Verschiebungen auf demarkt der Wirtschaftsprüfer verursachen. Vielleicht wer-en sich auch weitere Kosten daraus ergeben. Das mussan ja immer mit bedenken.Deshalb glaube ich, dass es richtig war, stückweiseorzugehen und zu schauen, was eigentlich geschieht.adurch können wir später Veränderungen vornehmen,enn wir erste Erfahrungen gesammelt haben. Aus mei-er Sicht ist dies der richtige Weg. Die Unabhängigkeitird trotzdem gleichzeitig gestärkt.
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Olaf ScholzIch habe mir bis zum Schluss aufgehoben, Folgendeszu sagen: Ich denke, dass wir hier eine sehr gute Gesetz-gebung machen. Das Ministerium hat ein intellektuellsehr hoch stehendes Gesetz entwickelt. Ich glaube, dassdas in der öffentlichen Debatte gegenwärtig ein weniguntergeht. Deutschland verfügt über eine Rechtsord-nung auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau.
Dieses Niveau zu erreichen ist uns mit der vorgelegtenGesetzgebung wieder gelungen. Wir als Abgeordnetehaben uns bemüht, mitzuhalten, weshalb wir hier ge-meinsam ein sehr gutes Gesetz vorgelegt haben.Warum sage ich das? Bei all dem, was gegenwärtig indiesem Bereich geschieht, kommt es immer auch daraufan, dass wir das hohe Niveau unserer Rechtsordnung be-wahren; denn sie ist auch ein Standortvorteil. Diesen be-rücksichtigen die Unternehmen, wenn sie sich entschei-Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen gibt es keine, Enthaltungen auch nicht.Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit denStimmen des ganzen Hauses angenommen.Noch zu Tagesordnungspunkt 24: Abstimmung überden von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei-nes Bilanzrechtsreformgesetzes auf Drucksache 15/3419.Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 15/4054, den Gesetzentwurf inder Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-men.den, wo ihr Konzernsitz sein soll. Darüber wird immerwieder diskutiert. Es gibt in der Debatte viele Schlag-worte. Unsere gut funktionierende Rechtsordnung inDeutschland, auf die man sich verlassen kann und die in-tellektuell gut durchdrungen ist, ist für die Unternehmenoft viel wichtiger als das, was uns sonst aufregt. Insofernleisten wir heute auch einen wichtigen Beitrag zur Wirt-schaftsförderung.Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Bilanzkon-
trollgesetzes auf Drucksache 15/3421. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4055, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.
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Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
egenstimmen und Enthaltungen gibt es nicht. Damit ist
er Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen
es ganzen Hauses angenommen.
Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird Überweisung der
orlage auf Drucksache 15/4036 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
amit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
berweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 10. November 2004, 13 Uhr,
in.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
itarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Besuchern
uf der Tribüne ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.