Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass aus demKuratorium der Stiftung „Erinnerung, Verantwortungund Zukunft“ der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl als stell-vertretendes Mitglied ausscheidet und an seine Stelle derKollege Stephan Mayer treten soll. Sind Siedamit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.Dann ist der Kollege Stephan Mayer in das Kuratoriumder Stiftung entsandt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal-tung der Bundesregierung zu Plänen, eine Ausbildungs-platzabgabe einzuführen
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung desMAD-Gesetzes
– Drucksache 15/1959 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
RedetInnenausschussRechtsausschussb) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, derCDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN undder FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zurÄnderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften– Drucksache 15/1975 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschuss
a) Zweite und dritte Beratung des von der Buneingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zuaufsichtsrechtlicher Bestimmungen zuund Liquidation von VersicherungsunterKreditinstituten
Ausschusses für Kultur und Medien zudem Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, BerndNeumann , Renate Blank, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der CDU/CSU: Umsetzung desBundestagsbeschlusses zur Wiedererrichtung des Ber-liner Stadtschlosses– Drucksachen 15/1094, 15/2002 –Berichterstattung:Abgeordnete Eckhardt Barthel
Günter NookeDr. Antje VollmerHans-Joachim Otto
4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Die aktuelle Russlandpolitik der Bundesregierung5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Nooke,Bernd Neumann , Renate Blank, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-ten Hans-Joachim Otto , Dr. Wolfgang Gerhardtextund der Fraktion der FDP: Staatsvertrag für die Haupt-stadtkultur– Drucksache 15/1973 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für TourismusHaushaltsausschuss6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesgrenz-schutzgesetzes– Drucksachen 15/1861, 15/1965 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordne-n Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomastrobl , weiteren Abgeordneten und derraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei-s Gesetzes zur wirksamen Bekämpfung organisier-
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– Drucksache 15/1560 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses
– Drucksache 15/2005 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Peter KemperGünter BaumannSilke Stokar von NeufornDr. Max Stadlerb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts desInnenausschusses zu dem Antrag der Ab-geordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk,Thomas Strobl , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSU: Bundesgrenzschutz für dieEU-Osterweiterung tauglich machen– Drucksachen 15/1328, 15/2005 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Peter KemperGünter BaumannSilke Stokar von NeufornDr. Max StadlerVon der Frist für den Beginn der Beratung soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden.Außerdem ist vereinbart, die Tagesordnungspunkte 19– EU-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie – und 24 b– Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebensauf See – abzusetzen. Sind Sie mit den Vereinbarungeneinverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann istdas so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Erneuerbare-Energien-Geset-zes
– Drucksache 15/1974 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeFlach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPEnergiespeicherforschung vorantreiben –Höchsttechnologien für die Speichertechnikentwickeln– Drucksache 15/1605 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Beratung des Antrags der AbgeordnetenAngelika Brunkhorst, Birgit Homburger, MichaeldhFmEgaPic
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungMitteilung der Kommission an den Rat unddas Europäische ParlamentNukleare Sicherheit im Rahmen der Euro-päischen UnionKOM 605 endg.; Ratsdok. 15875/02– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungVorschlag für eine Richtlinie desRates zur Festlegung grundlegender Ver-pflichtungen und allgemeiner Grundsätzeim Bereich der Sicherheit kerntechnischerAnlagenVorschlag für eine Richtlinie desRates über die Entsorgung abgebrannterBrennelemente und radioaktiver AbfälleKOM 32 endg.; Ratsdok. 8990/03– Drucksachen 15/503 Nr. 1.3, 15/1153 Nr. 2.20,15/1781 –Berichterstattung:Abgeordnete Horst KubatschkaDr. Rolf BietmannMichaele HustedtBirgit HomburgerNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich erteile dem Kollegen Horst Kubatschka, SPD-raktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichöchte mich zuerst mit den Richtlinienvorschlägen derU-Kommission zur Sicherheit kerntechnischer Anla-en und zur Entsorgung abgebrannter Brennelementeuseinander setzen. Sie sind für uns ein Trojanischesferd, mit dem sich Brüssel zusätzliche Kompetenzenm Bereich der Energiepolitik aneignen will. Die Wei-hen zugunsten der Atomenergie sollen neu gestellt wer-
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Horst Kubatschkaden. Unter dem Etikett der Verbesserung der Sicherheitsollen erhebliche Kompetenzen nach Brüssel verlagertwerden. Sie sollen den Einzelstaaten entzogen werden.Aber: Ein Oberkontrolleur aus Brüssel ist nicht not-wendig. Die Pro-Atom-Haltung der zuständigen Gene-raldirektion Energie und Verkehr der EU-Kommissionwird von uns nicht geteilt. Sie ist mit unserer Politik derBeendigung der Atomkraftnutzung und der Modernisie-rung unserer Energieversorgung nicht deckungsgleich.
Die Zeichen der Nachhaltigkeit werden nicht erkannt.Wir werden die Rückgängigmachung des Atomaus-stiegs durch die Brüsseler Hintertür nicht mitmachen.
Vielmehr ist es unsere Aufgabe, auf einen europäischenKonsens beim Ausstieg aus der Kernenergie hinzuwir-ken. In der heutigen Europäischen Union ist nur eineMinderheit für die weitere Nutzung der Kernenergie. DieMehrheit der heutigen EU-Staaten ist in die Nutzung derAtomenergie nicht eingestiegen bzw. plant den Ausstieg.Daraus müsste die EU eigentlich die notwendigen Kon-sequenzen ziehen.Hinzu kommt, dass die Vorschläge der Kommissionkaum materielle sicherheitstechnische Verbesserungenbringen. Vielmehr ist zu befürchten, dass der Status quofestgeschrieben werden soll. Damit ist eine dynamischeWeiterentwicklung des Standes von Wissenschaft undTechnik nicht mehr ausreichend berücksichtigt.Die Vorgaben der Kommission zur Entsorgung radio-aktiver Abfälle sind angesichts der weiterhin bestehen-den Kontroverse über geeignete Endlagerstätten unrealis-tisch. Schlimmer: Sie sind geeignet, falsche Erwartungenzu wecken. Es besteht auch die Gefahr, dass es zu unzu-reichenden Lösungen kommt. Wir wollen nicht die Op-tion zur Errichtung europäischer Endlager. Sie hebelt denGrundsatz der Betreiberverantwortung aus. Unsere Posi-tion war bisher – das galt eigentlich parteiübergreifend –:Die Entsorgung radioaktiver Abfälle muss in nationalerZuständigkeit erfolgen. Wir stehen nach wie vor zu demPrimat der nationalen Entsorgungsverantwortung.Einen europäischen Atommülltourismus wird es mit unsnicht geben.
Die SPD-Fraktion will ebenfalls den Vorrang dernicht nuklearen Energieforschung in der Gemeinschafterreichen. Die nukleare Energieforschung soll auf dieFragen des Gesundheitsschutzes, der Sicherheit sowieder Zwischen- und der Endlagerung begrenzt werden.Die mittel- und osteuropäischen Länder sollen weiterhinbei der Verbesserung der Sicherheit der bestehenden An-lagen unterstützt werden. Dies gilt auch für die Entsor-gung.Die SPD-Fraktion bzw. die rot-grüne Koalition lehntdie Richtlinienvorschläge der EU-Kommission in derzurzeit vorliegenden Fassung ab. Wir sehen keine Not-wKkNPKwtBEsewHvDwhalltdwiaggddsedsewBAweGWghgtb
Morgen wird ein erstes sichtbares Zeichen des Atom-onsenses gesetzt: Das Atomkraftwerk Stade geht vometz.
er Knopfdruck wird der mittelfristige Ausstieg aus derernenergie in Deutschland eingeleitet. Das Atomkraft-erk Stade wird abgeschaltet, weil die rot-grüne Koali-ion am 12. Dezember 2001 das Gesetz zur geordneteneendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichenrzeugung von Elektrizität – in Kurzform: Atomkon-ens – beschlossen hat. Nach ausführlichen und nichtinfachen Verhandlungen mit der Atomwirtschafturde dieser Konsens erreicht. Wir haben nie einenehl daraus gemacht, dass wir uns einen anderen undor allem einen schnelleren Ausstieg gewünscht haben.er Atomkonsens war sozusagen keine Liebesheirat. Erar ein Kompromiss zwischen den Beteiligten. Wir ste-en aber zu diesem Konsens. Auf unsere Politik unduf die mit uns geschlossenen Vereinbarungen ist Ver-ass. Ich appelliere mit allem Nachdruck an alle Betei-igten, sich auch ihrerseits an den Atomkonsens zu hal-en, und zwar auch im Geiste.
Eon nennt wirtschaftliche Gründe für die Abschaltunges Kernkraftwerkes Stade. Das zeigt wieder einmal, wieenig Verlass auf die Aussagen der EVUs ist und wie siehre Argumentation nach der jeweiligen Interessenlageusrichten. Als vor vier Jahren die ersten Gespräche be-annen, wurden erhebliche Schadensersatzforderun-en der Betreiber für den Fall angedroht, dass Rot-Grünie Atomkraftwerke per Gesetz und ohne Zustimmunger EVUs abschalten werde. Genannt wurde eine wirt-chaftliche Lebensdauer von 60 Jahren, die den Schadens-rsatzberechnungen zugrunde gelegt wurde. Jetzt wirdas Atomkraftwerk Stade nach 31 Betriebsjahren abge-chaltet. Nach Angaben der Betreiber geschieht das, weils sich nicht mehr rechnet. Ist das glaubwürdig?
Natürlich hat die Stilllegung der Kernkraftwerke Aus-irkungen auf die Arbeitsplätze, auf die Arbeitnehmer.eim allmählichen Ausstieg aus der Kernenergie hat dierbeitsplatzfrage für uns Sozialdemokraten immer eineichtige Rolle gespielt. Als Berichterstatter für Kern-nergie der SPD-Fraktion habe ich selbstverständlichespräche mit meiner Fraktionskollegin Dr. Margritetzel geführt und sie hat mir versichert: Die Lichterehen nicht aus! Der Konsens zum Kernenergieausstiegat vielmehr das Ende der Kernkraftwerke berechenbaremacht. Das gilt für alle Kernkraftwerke.Es gibt auch keine Auswirkungen auf die energiein-ensive Industrie der betroffenen Region. Für die Mitar-eiter in den Kernkraftwerken ist die Zukunft durch den
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Horst KubatschkaKonsens planbar. Außerdem bleibt das KernkraftwerkStade noch viele Jahre als Arbeitgeber erhalten. DerRückbau beschäftigt die Hälfte der Mitarbeiter für dienächsten zehn Jahre. Wer wollte, konnte an andereStandorte innerhalb des Konzerns versetzt werden. LautAussage der Eon-Sprecherin Petra Uhlmann wird sichfür die 300 Beschäftigten voraussichtlich fast nichts än-dern. Sie sagte wörtlich:Die Mitarbeiter werden am Samstag ganz normalzur Schicht gehen.Wir erleben eigentlich eine merkwürdige Situation:Das AKW Stade wird abgeschaltet; gleichzeitig führeneinige Stromkonzerne eine halb öffentliche Diskussionüber eine Verlängerung der Laufzeiten der Reaktoren.Ich frage mich: Passt das zusammen? Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Döring fordert alstreu sorgender Vertreter der Interessen der heimatlichenEnBW eine Verlängerung der Laufzeit auf 50 Jahre, da-mit das AKW Obrigheim nicht 2005, sondern erst 2018vom Netz geht, und droht mit einer Klage vor dem Bun-desverfassungsgericht.Der Eon-Vorstandsvorsitzende setzt noch einen draufund verlangt gleich eine Verlängerung auf 60 Jahre, wo-mit die Meiler seines Unternehmens noch länger laufendürften, als sie schon in Betrieb sind. Auch der RWE-Vorstand Maichel lässt in seiner Eigenschaft als Präsi-dent des Deutschen Atomforums keine Gelegenheit un-genutzt, den Atomausstieg als Unsinn zu bezeichnen.
Wenn sich diejenigen Stromkonzerne, die den Atom-konsens mit ausgehandelt und unterzeichnet haben, di-rekt oder indirekt aus der Vertragstreue stehlen und denKonsens zur Disposition stellen, dann halte ich das fürunverantwortlich und für eine nicht hinnehmbare Provo-kation.
Das geht gegen den Geist des Konsenses.Es gibt auch Spekulationen über eine deutsche Betei-ligung an Atomkraftwerken in Frankreich. Diese Speku-lationen wurden von den Stromkonzernen zwar zurück-gewiesen; ich möchte trotzdem klar sagen: EineBeteiligung der deutschen EVUs an den Kernkraftwer-ken in Frankreich würden wir als ein Bekenntnis zumWiedereinstieg in die Kernenergie auslegen. Dies würdesicherlich ein erneutes Nachdenken über den Konsenserforderlich machen.Dietmar Kuhnt, einer der vier Unterzeichner desAtomkonsenses seitens der EVUs, hat vor kurzem einezum Teil beachtenswerte Rede gehalten, als er von derKerntechnischen Gesellschaft zum Ehrenmitglied er-nannt wurde. Er hat in der Höhle des Löwen ausgeführt,dass die Nutzung der Kernenergie mit erheblichen Proble-men verbunden sei, die man nüchtern und selbstkritischanalysieren sollte. Die Nutzung der Kernenergie sei nichtmehrheitsfähig. Es mangele an gesellschaftlichem Ver-trauen in den sicheren Betrieb von Kernkraftwerken. –DceEghwDuhWetigisadewmFdeszespzsanDRWevp
Ich erteile dem Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-
raktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Augustieses Jahres hat der Umweltminister seinen Referenten-ntwurf zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Ge-etzes vorgelegt. Seitdem konnten wir einen langen Streitwischen Umwelt- und Wirtschaftsminister mitverfolgen,inen Streit, der die Branche der erneuerbaren Energientark verunsichert, Investitionen behindert und Arbeits-lätze gefährdet hat, einen Streit, der aber auch die Kon-eptionslosigkeit dieser Bundesregierung in der Klima-chutz- und Energiepolitik deutlich gemacht hat.
Nach wie vor fehlt es der rot-grünen Bundesregierungn einem in sich schlüssigen Energieprogramm für dieächsten 30 Jahre.
ies stellt sich gerade jetzt als ein großes Versagen deregierung heraus.
enn wir über die zukünftige finanzielle Förderung derrneuerbaren Energien diskutieren, dann kann dies sinn-ollerweise nur auf der Grundlage eines breiten energie-olitischen und Klimaschutzkonzepts erfolgen. Wir kön-
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Dr. Peter Pazioreknen den Stellenwert und die Größenordnung dererneuerbaren Energien nicht losgelöst von einer solchenGrundsatzentscheidung betrachten. Wir fordern von Ih-nen seit Jahren die Vorlage eines solchen energiewirt-schaftlichen Konzepts. Sie leisten dies nicht. Der ehema-lige Wirtschaftsminister Müller hat noch vor kurzemhier in Berlin erklärt, dass bisher, also auch zu seinerZeit als Minister, alle Versuche gescheitert sind, in derrot-grünen Koalition einen solchen energiepolitischenRahmen zu verabschieden.Eine Klimaschutz- und Energiepolitik, die heute et-was zum Atomausstieg, morgen etwas zu den erneuerba-ren Energien und irgendwann auch zu der Erneuerungdes konventionellen Kraftwerkparks beschließt, ohneletztlich zu prüfen, wie das eigentlich zusammenpasst,wird scheitern. Die Folgen Ihrer Streitigkeiten, die Fol-gen Ihrer Konzeptionslosigkeit treten heute offen zutage.
Sie haben die Branche der erneuerbaren Energien zu-tiefst verunsichert.
Das von Ihnen verursachte Durcheinander hat zu einerGefährdung der Existenz bestimmter Branchen wie Photo-voltaik, Biomasse und Biogas geführt. In diesen Berei-chen sind die Märkte fast vollständig zusammengebro-chen und Tausende von Arbeitsplätzen gefährdet.
Das haben Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,ganz allein zu verantworten.
Es ist auch nicht akzeptabel, wie bei den absehbar unter-schiedlichen Positionen der beiden Minister für Umweltund Wirtschaft in dieser Koalition der Abstimmungspro-zess stattgefunden hat. Sie hätten dafür sorgen müssen, dassSie rechtzeitig zu vernünftigen Entscheidungen kommen.So wie Sie in die Beratungen zur Novellierung des Erneuer-bare-Energien-Gesetzes hineingestolpert sind, darf man inder Umweltpolitik nicht agieren. Das spüren immer mehrMenschen in Deutschland, die sich für Umweltpolitikeinsetzen.
Inzwischen wird das von Ihnen wohl auch so gesehen.Anders ist der heute hier vorliegende Entwurf eines Vor-schaltgesetzes zur Novellierung des Erneuerbare-Ener-gien-Gesetzes gar nicht zu verstehen. Sie unternehmendamit jetzt den Versuch, die Versäumnisse und Fehler Ih-rer Politik aus den letzten Wochen und Monaten zumin-dest bei der Photovoltaik zu heilen.Wir sehen, wozu die Handlungsunfähigkeit in den letz-ten Wochen geführt hat. In einem Hauruckverfahren solldas Vorschaltgesetz zur Photovoltaik jetzt durch dasParlament gepeitscht werden, um so ein In-Kraft-TretenztzRFRzmPptrBemdussrwzlfWdDAsassnNwSrswnlirP
Darüber hinaus hat der Minister die Chuzpe gehabt – dasuss man einmal deutlich sagen –, sich vor dem Bran-enburger Tor hinzustellen und zu erklären: „Wir habenns hervorragend geeinigt“, in seiner Rede aber nicht zuagen, wie die Einigung für Biomasse und Biogas aus-ieht. Für diese Bereiche soll unter der rot-grünen Regie-ung der Förderzeitraum von 20 auf 15 Jahre reduzierterden. Die Eckpunkte, die Sie vereinbart haben, führenu dem Ergebnis, dass Biomasse und Biogas in Deutsch-and keine Chance haben. Da kann man nur sagen: Sieahren die Politik für die erneuerbaren Energien vor dieand.
Wie lange wissen Sie denn schon von dem Auslaufenes 100 000-Dächer-Programms für Photovoltaik?
ie Tatsache war schon seit Juni dieses Jahres bekannt.ber Sie haben das Problem nicht angepackt und es ver-äumt, rechtzeitig entsprechende Nachfolgeregelungenuf den Weg zu bringen. Sie haben einfach die Dingechleifen lassen und greifen nun zum Notnagel Vor-chaltgesetz, weigern sich aber, uns zu erläutern, obicht eventuell auch ein anderes Förderprogramm in derachfolge des 100 000-Dächer-Programms möglich ge-esen wäre.
ie haben die Angelegenheit vor die Wand gefahren undufen nun das Parlament um Hilfe an. Sie sind inzwi-chen zu Vertretern einer völlig konzeptionslosen Um-eltpolitik geworden. Peinlich, peinlich, kann man daur sagen.
Es ist ja nicht das erste Mal – das sage ich, weil Sieaufend dazwischenrufen –, dass Sie so verfahren. Ich er-nnere nur an das überstürzte Vorgehen bei der Härtefall-egelung im vergangenen Jahr. Jetzt wollen Sie bei derhotovoltaik das Gleiche wiederholen. Was Sie, meine
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Dr. Peter PaziorekDamen und Herren, bei den erneuerbaren Energien be-treiben, ist reine Flickschusterei.
In diesem Zusammenhang möchte ich für die Uniongrundsätzlich feststellen: Das beschleunigte Verfahrenmithilfe eines Vorschaltgesetzes werden wir aufgrundder besonderen Situation der Photovoltaikbranche in die-sem Fall akzeptieren.
Die Photovoltaikbranche darf nicht zum Opfer Ihrer fal-schen und verfehlten Politik werden.
Bei der großen Novelle zum Erneuerbare-Energien-Ge-setz wird es aber ein Durchpeitschen mit uns nicht ge-ben.In dem Zusammenhang ist auf einen weiteren Aspekthinzuweisen: Es war ja schon interessant, wie die Ar-beitsteilung zwischen dem Umwelt- und dem Wirt-schaftsministerium in den letzten Wochen und Monatenverlaufen ist.
Während der Umweltminister bei Umweltverbändenund Vertretern der erneuerbaren Energien eine bessereFörderung versprochen hat, sagte der Wirtschaftsminis-ter bei den Wirtschaftsverbänden genau das Gegenteil.So berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“ vom 31. Okto-ber 2003 von einer Vortragsveranstaltung der Handels-kammer Deutschland-Schweiz, an der auch Wirtschafts-minister Clement teilgenommen hat. Da wird wie folgtüber den Minister geschrieben – ich darf zitieren, HerrPräsident –:Andererseits geißelte der Superminister der rot-grü-nen Regierung jedoch die ständig neuen Auflagenim Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz, denendie Industrie genügen muss …Das, Herr Müntefering, wäre ein berechtigter Anlass füreinen Zwischenruf; aber ich sehe ja an Ihrem Gesicht,dass Sie völlig konsterniert und entgeistert schauen.
Das ist genau das Problem Ihrer Politik: Sie reden so,wie es Ihrer Klientel gerade passt.
Deshalb kann ich Ihnen für meine Fraktion ausdrück-lich sagen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekenntsich zum Verdopplungsziel der Europäischen Union beiden erneuerbaren Energien. Wir bekennen uns damit auchzu dem Teilziel, das Deutschland innerhalb der Europäi-schen Union bis zum Jahre 2010 erreichen soll, nämlichden Anteil der erneuerbaren Energien auf 12,5 Prozentbeim Stromverbrauch zu erhöhen. Genauso deutlichsage ich aber auch: Jetzt schon bei den erneuerbaren En-eJWsgddgnZaSbKrdntDfsZtbdmAntbStWkmGDbnMrgD
eshalb ist Ihre Klimaschutzpolitik so unredlich: Sieormulieren Ziele bis 2050,
ind aber noch nicht einmal in der Lage, selbst gesteckteiele bis 2005 zu erreichen. Das muss man Ihnen vorhal-en.
Für uns stehen bei einer Novellierung des Erneuer-are-Energien-Gesetzes die folgenden vier Ziele im Vor-ergrund: erstens die Förderung einer nachhaltigen Kli-aschutzpolitik, zweitens die Schaffung effizienternreize, die zu einer weiteren Verbesserung der einzel-en Technologien und zu einer Senkung der Produk-ionskosten führen, drittens die Begrenzung der Kosten-elastung durch die EEG-bedingte Förderung für dietromverbraucher, insbesondere aber auch für stromin-ensive Unternehmen, und viertens die Schaffung vonettbewerbsfähigkeit und damit auch von Exportfähig-eit der erneuerbaren Energien.Die Förderung der erneuerbaren Energien dient dazu,öglichst schnell deren Marktreife zu erreichen – einrundsatz übrigens, der für alle Förderinstrumente gilt.araus folgt natürlich auch, dass die Förderung zeitlichegrenzt sein muss und dass sie vom Gesamtrahmen hericht aus dem Ruder laufen darf.Aber noch haben die erneuerbaren Energien diearktreife nicht erreicht, auch wenn in den letzten Jah-en erhebliche technische Fortschritte und Effizienzstei-erungen erreicht werden konnten.
ieser Prozess muss beschleunigt werden.
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Dr. Peter PaziorekDeshalb sage ich für meine Fraktion sehr deutlich:Wer jetzt die Förderung der erneuerbaren Energien sobeschneiden will, dass sie in ihrer Existenz gefährdetwerden, wird bei der Union keine Unterstützung finden.
Denn eines muss man in diesem Zusammenhang hervor-heben: Wir fördern hier eine junge Industrie, deren Ge-schäftsfelder sich international gesehen erst entwickeln.Wir gehen davon aus, dass auf diesem Gebiet zukünftiggroße Chancen im Export liegen werden.
Wir möchten nicht, dass, wenn in einigen Jahren neueGeschäftsfelder erschlossen werden – wie im Offshore-bereich, im Repowering, also bei der Leistungssteige-rung der Windkraft, oder bei Biomassekraftwerken, diemit nachwachsenden Rohstoffen arbeiten –, diese dannvon ausländischen Anbietern besetzt werden und wir– wie schon in anderen Bereichen – das Nachsehen ha-ben.Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitsplätze beiuns geschaffen werden, dass deutsche Unternehmen aufden Weltmärkten bestehen können, dass die Technologiebei uns entwickelt wird.Aber dafür muss ein klarer Zeithorizont vereinbartwerden. Eine Dauerförderung lehnen wir ab. Verbindli-che Zielvorstellungen, die über 2010 hinausgehen, sindohne ein energiepolitisches Gesamtkonzept, das festlegt,wo wir insgesamt hinwollen, ein völlig falsches Signal.Wir, die Unionsfraktion, wollen die Unsicherheit inder Photovoltaikbranche beseitigen und für die Unter-nehmen Rechts- und Planungssicherheit und damitInvestitionssicherheit schaffen. Der heute hier vorge-legte Gesetzentwurf findet nur deshalb unsere Unterstüt-zung, weil wir uns unserer Verantwortung für die Photo-voltaikbranche und die vielen Tausend Arbeitsplätzebewusst sind. Entscheidend für unser Abstimmungsver-halten in der nächsten Sitzungswoche wird aber sein, obdie angedachten Fördersätze in dieser Höhe eine Über-förderung bedeuten oder nicht. Eine Überförderung, wiees sie zum Teil bei der Windkraft gab, darf nicht erneutbei der Photovoltaik auftreten.So stellt sich zum Beispiel die Frage, warum in IhremGesetzentwurf der Degressionssprung von heute 45,7 auf43,4 Cent pro Kilowattstunde im Jahre 2004 nicht mehrauftaucht. Sie planen damit eine Erhöhung gegenüber derim EEG vorgesehenen Regelung. Auch müssen die Zu-schläge in ihrer Wirkung überprüft werden: Ein Zubauenvon Freiflächen in großem Umfang durch Photovoltaik-anlagen wäre unter den Gesichtspunkten des Landschafts-und Naturschutzes kontraproduktiv. Die entscheidendeFrage wird für uns bei der Prüfung somit sein: Wie wer-den sich die Zuschläge auswirken?Meine Damen und Herren, wir wollen bei diesemVorschaltgesetz zu einer ökonomisch und ökologischsinnvollen Lösung kommen, die der Photovoltaikbran-che neue Chancen und Perspektiven eröffnet. Wir wollendBkDgEvsbmdnsWdgZuShkgMgDhdwmutuEwfAmm
Gestern wurde in Neustadt-Glewe das erste Erdwär-ekraftwerk eingeweiht. Wenn auch das eine das an-ere nicht konkret ersetzt, so sind diese beiden Ereig-isse doch Ausdruck der rot-grünen Energiepolitik.
Ein Eckpunkt der zukünftigen Energieversorgungteht, nämlich das gemeinsame Ziel der Minister fürirtschaft und für Umwelt sowie der beiden Fraktionen,ass wir bis zum Jahr 2020 20 Prozent der Stromversor-ung durch erneuerbare Energien bereitstellen wollen.Ich freue mich, dass die CDU/CSU das mittelfristigeiel, bis 2010 einen Anteil von 12 Prozent zu erreichen,nterstützt. Damit ist klar, dass all diejenigen, die in derommerpause und auch jetzt Fundamentaloppositioninsichtlich der erneuerbaren Energien betrieben haben,eine Chance haben, ihre Position durchzusetzen. Esibt im Parlament und in der Gesellschaft eine breiteehrheit, die für die Förderung der erneuerbaren Ener-ien ist.
ie erneuerbaren Energien kommen aus der Ökonischeeraus; denn sie werden ein substanzieller Bestandteiler zukünftigen Energieversorgung sein.Es gibt die verlogene Debatte, Windkraft sei keineertvolle Energie. Vor dem Hintergrund, dass in Däne-ark die Windenergie einen Anteil von 22 Prozent hatnd es dort keine Probleme damit gibt, und vor dem Hin-ergrund, dass wir einen schwankenden Verbrauch habennd die Energieversorger auch mit einer schwankendennergieproduktion umgehen könnten – sie müssen nurollen und einen entsprechenden Kraftwerkspark schaf-en; Pumpspeicherwerke, die durch den Ausstieg aus dertomenergie frei werden, könnten genutzt werden –,uss ich sagen, dass der Ausbau der Windenergie absolutachbar und finanzierbar ist.
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Michaele HustedtDeswegen sage ich: Diese Diskussion ist reine Propa-ganda.
Das EEG ist ein reines Innovationsgesetz. Wir habenin der letzten Zeit eine Kostenreduktion von 60 Prozenterreicht. Herr Paziorek, Sie blasen die Backen so dickauf für einen Erfolg der erneuerbaren Energien. Ich freuemich darüber. Trotzdem muss ich sagen: Zum einen ha-ben Sie beim ersten Mal gegen das EEG gestimmt;
wir haben es gegen Ihren Widerstand durchsetzen müs-sen. Zum anderen werden wir sehen, ob Ihre Backen im-mer noch aufgeblasen sind, wenn es zur Abstimmungüber das Gesetz kommt. Ich hoffe, dass Sie es diesmalunterstützen.
Wir jedenfalls wollen die breite Entwicklung der er-neuerbaren Energien. Wir wollen eine Perspektive fürOffshore-Windparks, aber auch für den weiteren Aus-bau im Binnenland. Wir wollen eine dynamische Ent-wicklung im Bereich der Biomasse. Wenn die Vergü-tungssätze nicht ausreichen, werden wir in diesem Punktnachbessern. Wir wollen eine dynamische Entwicklungbei der Nutzung der Erdwärme und die Modernisierungder Großen Wasserkraft. Wir sagen auch klar, dass sichdas Land Baden-Württemberg positiv zum EEG verhal-ten muss. Denn es ist ein Widerspruch, auf der einenSeite die Ausgaben, die mit dem EEG verbunden sind,erhöhen zu wollen und auf der anderen Seite gegen dasEEG zu sein. Das geht nicht!
Wir wollen auch eine dynamische Entwicklung bei derKleinen Wasserkraft.Bei der Photovoltaik haben wir uns zu einem Vor-schaltgesetz entschlossen. Wir wollen nämlich, dass dienächste Photovoltaiksaison schon genutzt werden kann.Die Menschen entscheiden sich im Frühjahr, wenn dieSonne wieder länger scheint, dass sie sich eine Anlageaufs Dach setzen.
Diese Branche braucht Rechtssicherheit. Deswegen bitteich Sie, dass Sie das zügige Verfahren mittragen unddass wir zum Wohle der Photovoltaikindustrie mit dieserBeratung schnell vorankommen.Ein Wort zur FDP. Erstens. Sie sagen zwar immer, Sieseien für die erneuerbaren Energien. Auf der anderenSeite sagen Sie aber, dass Sie einen Wechsel wollen.Dieser Wechsel der Instrumentarien würde eine großeVerunsicherung der Branche bewirken. Denn alleinschon die Diskussion, die Herr Paziorek angeführt hat,verunsichert die Branche. Ein Wechsel des Modells hättedramatische Folgen. So weit zu diesem Punkt.zWGadaWmDeCSpvduÖsaRtFvGzbssp
eien Sie also ehrlich!
Die Vision von einem Anteil in Höhe von 20 Prozent,erspektivisch von 50 Prozent – die Grünen sprechenon 100 Prozent – ist eine machbare und eine notwen-ige Vision; denn wir brauchen den Klimaschutz jetztnd in der Zukunft. Wir müssen die Abhängigkeit voml reduzieren; wir dürfen nicht mehr am Tropf von fos-ilen Energieträgern aus Krisenregionen hängen.Wir sind auf einem guten Weg. Solange wir Grünenn der Regierung beteiligt sind, solange es eine rot-grüneegierung gibt, werden wir diesen Weg unbeirrbar wei-er beschreiten.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dason den Koalitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Dierünen vorgelegte Zweite Gesetz zur Änderung des EEGeigt vor allem eines: Das neue Hätschelkind der erneuer-aren Energien soll die Solarenergie sein. Zur Kompen-ation des 100 000-Dächer-Programms wird mal ebenchnell ein Vorschaltgesetz eingebracht. Das ist Klientel-olitik.
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Angelika BrunkhorstEntgegen jeder Vernunft und Logik soll damit die un-wirtschaftlichste aller Regenerativenergien als erste be-dient werden. Laut Aussagen des BSi, des Bundesver-bandes Solarindustrie, wird Solarstrom erst am Ende desJahrhunderts mit herkömmlichem Strom konkurrierenkönnen. Das ist Schneckentempo.
– Das hat der BSi auf einem Kongress vor acht Tagenselbst gesagt.
Die Bedeutsamkeit des Anteils der Solarenergie anden erneuerbaren Energien insgesamt lässt sich auch anfolgenden Zahlen ermessen: So wird durch Wasserkraftein Anteil von 53,9 Prozent erzeugt, Windkraft erbringteinen Anteil von 37,9 Prozent, Biomasse immerhin8 Prozent und weit abgeschlagen folgt die Solarenergiemit 0,2 Prozent. Da frage ich mich an dieser Stelle: Wel-chen nennenswerten Anteil kann die Solarenergie hier inDeutschland überhaupt zur Erreichung des Klimazielserbringen?
Mit dem heute hier eingebrachten Vorschaltgesetz solldie Basisvergütung noch einmal angehoben werden. Esgibt eine Reihe von Aufschlägen zu den verschiedenenInstallationsvarianten. Insgesamt ist es eine komfortableVerbesserung der Vergütungssätze. Auch Flächeninstal-lationen will man besonders forcieren. Eines ist merk-würdig: An anderer Stelle erteilt der Umweltausschussdem TAB den Auftrag, zu untersuchen, wie man die Flä-cheninanspruchnahme zurückfahren könnte.
Meine Überzeugung ist: Die Solartechnologie sollteman vorwiegend in den Ländern installieren, die als son-nenreich bekannt sind,
vor allem auch in den Entwicklungsländern, in denenein sehr großer Energiebedarf bislang nicht ausreichendgedeckt werden kann.
Ich möchte auch noch einmal auf folgende Kosten-konstellation hinweisen: Die Vermeidung einer TonneCO2 mit Solarenergie kostet in Deutschland 500 Euro, inden Entwicklungsländern dagegen nur 5 Euro, ein Hun-dertstel. Das sollte man doch bitte einmal auf sich wir-ken lassen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbst inder ökonomischen Debatte liegen Sie weit zurück.
Ich verweise auf einen Beitrag des „Economist“ in dervorletzten Woche. Darin wird deutlich herausgestellt,dass, wenn auf dem Energiesektor überhaupt eine Zu-kunftschance bestehen soll, dies nur die massive Förde-rung der Solarenergie und der erneuerbaren Energiensein kann. Bei Ihnen gibt es in diesem Zusammenhangeinen zentralen Widerspruch. Sie sagen, Sie wolltendiese Energien. Aber Sie wollen nichts dafür tun. Dasgeht nicht.
Da gibt es Konflikte und diese Konflikte muss man aus-tragen.Das Grundproblem im Energiebereich ist, dass es hierum lange Nutzungszyklen und hohe Kapazitäten geht.Deshalb müssen am Anfang die notwendigen Weichendurch den öffentlichen Sektor, auch durch den Staat, ge-stellt werden – natürlich mit dem Ziel, dass sich die er-neuerbaren Energien bald selbst tragen. Ohne eine Wei-chenstellung des Staates werden sie sich nichtdurchsetzen. Genau um diesen Punkt drücken Sie sichherum. Aber an diesem Punkt kommen Sie nicht vorbei,wenn Sie es mit den erneuerbaren Energien ernst meinen.
Es ist gut, dass das Parlament eine Energiedebatte führt.Denn wir stehen wie kaum zuvor in einem Jahrzehnt mitgrundlegenden Weichenstellungen im Energiebereich. Aufder einen Seite läuft eine alte Energiephilosophie aus. Diesealte Energiephilosophie war ausschließlich darauf ausge-richtet, hohe Kapazitäten zu schaffen und möglichstniedrige Erzeugerpreise zu gewährleisten. Dabei wurdeaber nie darüber nachgedacht, ob das wirklich effizientund zukunftsfähig ist. Auf der anderen Seite müssen wirin diesem Jahrzehnt darüber entscheiden, wie die Ener-giepolitik der Zukunft aussieht. Deshalb ist es gut, dasswir im Bundestag intensiv darüber debattieren.Ich stelle fest: Mit den beiden zentralen Weichenstel-lungen, die Rot-Grün bisher vorgenommen hat – der Ab-schied von der verschwenderischen Atomenergie, mitder in der Tat keine Zukunft zu machen ist, und der Ein-stieg in mehr Effizienz und in die Solarenergie –, liegenwir auf der richtigen Seite – das ist bei aller Kritik imEinzelnen der entscheidende Punkt –, Sie aber stehen aufder falschen Seite.
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Wir stehen vor einer grundlegenden Weichenstellung.ie Notwendigkeit dieser Weichenstellung ist in denetzten Monaten überall deutlich geworden, beispiels-eise bei den großen Stromausfällen in Schweden, Nord-merika und Italien. Da hat man gesehen, dass im Strom-ereich der Markt allein, besonders wenn er nur auf dieurzfristige Sicherung von hohen Kapazitätsauslastun-en ausgerichtet ist, keine Sicherheit geben kann. Derisherige Weg ist heute ökonomisch, ökologisch und ge-ellschaftspolitisch fraglich. Diesen Weg, den Weg derroßkapazitäten im alten Sinne, werden wir nicht gehen.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist: Heute können wirurch die Verwendung von Informations- und Kommu-ikationstechnologien dezentrale Energietechnikenehr viel besser miteinander verbinden. Wir brauchenicht mehr die alte Philosophie, zu der immer größereraftwerke, immer größere Reserveleistungen und im-er größere Entfernungen vom Kunden gehörten. Diesehance müssen wir nutzen. Diese kleinteiligen Struktu-en braucht die Energiepolitik der Zukunft. Auch da sindie auf der falschen Seite.Herr Teufel spekuliert nämlich darüber, ob es zu ei-em Neueinstieg in die Atomenergie kommt. Dietomenergie wird nicht nur aus Sicherheitsgründen undegen der Entsorgungsproblematik von uns abgelehnt,ondern auch weil sie einer modernen, effizienten undmweltverträglichen Energieversorgung im Wege steht.as ist der entscheidende Punkt. Wir öffnen den Weg inie Zukunft und Sie hängen an der Vergangenheit. Dasst in der Energiepolitik deutlicher als in anderen Berei-hen.
Klimaschutz werden wir nicht mit den ineffizientenroßstrukturen der Vergangenheit erreichen, bei denenwei Drittel der Energie als Abwärme verloren gehen.as ist nicht der Weg; das kann er nicht sein. Zur Ener-iepolitik der Zukunft gehören vielmehr Effizienz in derrzeugung, Einsparen und Solarenergie. Diese drei Säu-en bestimmen den Weg von Rot-Grün. Das ist der Weger Modernisierung unserer Gesellschaft und Wirtschaft.
Ich komme auf den „Economist“ zurück. Wir müssenernen, was die großen Abhängigkeiten von den fossilen
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Michael Müller
Energieträgern bedeuten. Die Abhängigkeit vom Uranist übrigens mindestens genauso groß. Das wird immerverschwiegen. Was ist denn in der Golfregion passiert?Was passiert im Bereich des Kaspischen Meeres? Waspassiert in großen Teilen der Welt? 2 Milliarden Men-schen haben keinen guten Zugang zur Energieversor-gung. Wir lösen dieses Konfliktpotenzial nur mit dezen-tralen, kleinräumigen, effizienten Strukturen. Wir stoßenhier einen Teil einer friedlichen Weltinnenpolitik an.
Wir führen keinen Glaubenskrieg über große undkleine Kraftwerke. Die entscheidende Frage ist: Wie in-novativ, wie erneuerungsfähig, wie modern ist das Ener-giesystem? Die Bewältigung der Herausforderungen derZukunft ist unser Maßstab.
– Das ist Herr Kauder aus Baden-Württemberg, wo manzu 60 Prozent vom Atomstrom abhängt, aber vom ver-nünftigen Energiemix redet. Da fasst man sich doch anden Kopf.
Sie sind so sehr von einem Energieträger abhängig undreden von Modernität!
Hier kommen die Sünden der Vergangenheit heraus, woSie einseitig auf Atomkraft gesetzt haben, die erkennbarnicht zukunftsfähig ist.
Diese Sünden holen Sie ein. Das ist doch heute Ihr Pro-blem.
– Wir haben auch bei der Biomasse mehr angestoßen alsSie in Ihren 16 Jahren Regierungszeit. So ist doch dieWirklichkeit. Das wissen Sie ganz genau.
Welche Fördersätze gab es denn zu Ihrer Zeit? – Die gabes doch gar nicht.
Meine Damen und Herren, den Anstoß zur verstärk-ten Nutzung erneuerbarer Energien hat diese Bundes-regierung gegeben. Da beißt die Maus keinen Faden ab.Da können Sie noch so toben. So ist es eben. Das solltenSie zugestehen. Es ist auch eine Frage der Psychologie:EenWdePsdgdgNgSitgfsnAdhauirfngaDA–dkDd–DrAh
Wenn ich Sie immer höre, bedaure ich es wirklich,ass Herr Baum nicht mehr im Parlament ist. Mit demonnte man über solche Fragen immer gut diskutieren.as ist auch ein Zeichen dafür, dass sich sehr viel geän-ert hat.
Da war die FDP noch eine Partei der Umweltpolitik.as war damals ein positiver Beitrag für unser Land.Wir wollen einen Kurswechsel erreichen. Die Förde-ung erneuerbarer Energien ist ein Fortschritt und einnsatz gegen die Einfallslosigkeit, die in der Vergangen-eit geherrscht hat.
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Michael Müller
Wir debattieren heute über zwei wichtige Punkte, undzwar zum einen über den nationalen Allokationsplan,den wir gleich verhandeln, und zum anderen über dasEEG. Die Novelle des EEG, über die das Parlament nochausführlich beraten wird, ist ein Zeichen für Kontinuitätund Weiterentwicklung. Ich danke Ihnen übrigens dafür,dass Sie uns entgegen Ihrer bisherigen öffentlichen Aus-sagen dabei helfen, jetzt so kurzfristig über die Frage derPhotovoltaik zu entscheiden. Das ist positiv. Das er-kenne ich auch an.
Hinsichtlich der zwei gerade angesprochenen Punktebitte ich darum, dass wir zu mehr Gemeinsamkeit fin-den. Zum Thema Klimaschutz herrschte in diesem Landeinmal große Gemeinsamkeit und das ist diesem Landgut bekommen. Bei der großen Aufgabe, die Energiesys-teme zu erneuern, sollten wir wieder zu mehr Gemein-samkeit finden, unbeschadet dessen, dass wir in Einzel-punkten immer wieder kontroverse Auffassungen habenwerden. Es wird unserem Land aber gut tun, wenn wirVorreiter bei einer neuen, effizienten und solaren Ener-gieversorgung sein werden.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Joachim Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Diskussion um erneuerbare Energien wird häu-fig ideologisch oder emotional oder gar mit einer Mi-schung aus beidem geführt, wie es ja hier heute Morgenwieder lebhaft vorgeführt wurde. Das ist aber falsch. DasThema ist nüchtern und sachlich anzugehen. Und dieWahrheit ist immer konkret. Die erneuerbaren Energienhaben ihre Berechtigung und sollen zukünftig eine ver-stärkte Rolle spielen. Der Kollege Paziorek hat vorhinausgeführt, welche Position die Union dabei einnimmt.Aber die erneuerbaren Energien sind eben kein Allheil-mittel.Bei aller Begeisterung über die erneuerbaren Ener-gien ist deren Förderung vor allem an den finanziellenund wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu orientieren.Energiepolitik findet nicht im luftleeren Raum oder garim Raumschiff „Enterprise" statt. Energiepolitik istStandortpolitik. Dabei geht es um Arbeitsplätze, um In-vestitionen, um die Attraktivität des Standortes Deutsch-land.
Die Energiepolitik und insbesondere die Energie-preise sind wichtige Wettbewerbsfaktoren für unsereUnternehmen; ebenso sind günstige Energiepreise fürden privaten Konsum wichtig. Wir brauchen in Deutsch-lbkuugzaEtnEces4nuzodBEIssgÖabdd2f8JrdmnvR
ch greife exemplarisch den Stromsektor heraus. Dietaatlich verursachte Belastung aller Stromkunden hatich seit 1998 verfünffacht. Ich wiederhole, meine sehreehrten Damen und Herren: verfünffacht!
Ich erläutere Ihnen das im Einzelnen: Sie haben diekosteuer beim Strom neu eingeführt, die Konzessions-bgaben sind gestiegen, die Belastung durch die erneuer-aren Energien ist geradezu explodiert und Sie habenas KWK-Gesetz neu eingeführt. Im Jahre 1998 betrugie Belastung der Stromkunden in Deutschland,28 Milliarden Euro. Diese Belastung ist in den letztenünf Jahren über 4 Milliarden Euro, 7 Milliarden Euro,,5 Milliarden Euro und 9,5 Milliarden Euro in diesemahr auf 12,6 Milliarden Euro angestiegen. Das Ergebnisot-grüner Energiepolitik ist also eine Verfünffachunger Belastung gegenüber dem Jahr 1998.
Bei diesen Zahlen wird einem schwindelig. Wennan jetzt noch die Ökosteuer auf Kraftstoffe dazu-immt, dann sind wir wirklich in Absurdistan. Rot-Grünerfährt hier aber offensichtlich nach dem Motto: Ist deruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert.
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)Dr. Joachim PfeifferBei der Neuverschuldung für das Jahr 2003 waren imHaushalt zunächst 18,9 Milliarden Euro veranschlagt,am Ende werden es 43,3 Milliarden Euro sein.
– Die kommen gleich. – Bei der Maut fehlen 1 bis 2 Mil-liarden Euro. Sie rechnen offenbar damit, dass bei IhremChaos die Milliarden bei der Energie irgendwie mit un-tergehen. Bisher – das muss ich Ihnen in der Tat attestie-ren – ist Ihre Rechnung aufgegangen. Die Abzocke imEnergiebereich ist in der politischen und in der öffentli-chen Diskussion untergegangen. Das werden wir ändern,meine sehr geehrten Damen und Herren.Jetzt werde ich noch konkreter: Was bedeutet dieseBelastung – die Milliarden sind ja immer nur sehr virtu-ell und für den einzelnen Bürger nicht so greifbar – fürden einzelnen Bürger, die Familien und die Unterneh-men in diesem Land? Wir haben einmal ausgerechnet,was Ihre Politik, Ihre Beschlüsse für eine Familie mitzwei Kindern, einer Wohnung mit 100 Quadratmetern,einem durchschnittlichen Stromverbrauch von 5 000 Ki-lowattstunden im Jahr, einem Heizölverbrauch von2 500 Litern pro Jahr sowie einem PKW mit einemDurchschnittsverbrauch von 8,9 Litern auf 100 Kilo-meter und einer durchschnittlichen Fahrleistung von12 700 Kilometern im Jahr bedeuten. Sie belasten dieseFamilie im Jahr 2003 mit staatlich verursachten Abga-ben in Höhe von 421,33 Euro.
Zum Vergleich: Das Vorziehen der dritten Stufe Ihrervermurksten Steuerreform von 2005 auf 2004 bringtbrutto eine Entlastung von einmalig 16 Milliarden Euro.Wenn man das umrechnet, kommt man zu dem Ergebnis,dass für den einzelnen Bürger gerade einmal ein Bruch-teil dessen übrig bleibt, was Sie ihm über die Energie-und Stromabrechnung auf subtile Weise aus der Tascheziehen – Prinzip „rechte Tasche, linke Tasche“! Das istmoderne Wegelagerei und nichts anderes.
In der Wirtschaft sieht es nicht anders aus. Sie beein-trächtigen auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeitunserer Unternehmen. Ich kann Ihnen ein konkretesBeispiel aus meinem Wahlkreis in der Region Stuttgartnennen
– ich spreche gerade über die Zukunft Ihrer Energiepoli-tik –: Ein mittelständisches Unternehmen aus dem Auto-mobilzuliefererbereich hat eine Investitionsentscheidungnicht zuletzt aufgrund der explodierenden Stromkostengegen Deutschland gefällt. Das werden wir nicht weitermitmachen. Verbraucher und Wirtschaft sind nicht unbe-grenzt belastbar.Jetzt zum EEG. Wie hat sich das EEG im Detail ent-wickelt? Am Anfang stand das Stromeinspeisungsge-sn–luwdeavudwvHRdwubmtaTspMPdtefinaEWfavD6wgbgebEsEswf
Richtig, zusammen mit der FDP. – Das Vergütungsvo-men betrug 50 Millionen DM pro Jahr. In diesem Jahrird das Vergütungsvolumen eine Höhe von 2,7 Milliar-en Euro erreichen. Mir ist klar, dass man den Wert desingesparten Stroms entsprechend abzuziehen hat, aberuch dann bleibt noch immer ein Subventionsvolumenon knapp 2 Milliarden Euro übrig, das die Verbrauchernd die Wirtschaft zu tragen haben. Wenn Sie das miter bisherigen Dynamik so weitertreiben, dann kommenir im Jahr 2010 auf ein direktes Vergütungsvolumenon bis zu 7 Milliarden Euro allein aus dem EEG.
inzu kommen die Kosten für den Netzausbau und dieegelenergie. Das ist nicht zu schultern. Die Union wirdaher in den nächsten Wochen ein Konzept vorlegen,ie wir den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreibennd gleichzeitig die Belastung für Wirtschaft und Ver-raucher begrenzen und das gesamte System effizienterachen können.
Zum Photovoltaik-Vorschaltgesetz: Die Photovol-ik ist unstrittig eine interessante und zukunftsträchtigeechnologie, und zwar nicht nur begrenzt auf den Ein-atz in Deutschland, sondern vor allem auch für den Ex-ort. Auf diesem Feld wollen wir Technologieführer,arktführer bei der Produktion und im Verkauf sein. Diehotovoltaik ist bei der regulären Stromerzeugung under Einspeisung in das Netz – das gilt zumindest für Mit-leuropa – noch weit von der Wettbewerbsfähigkeit ent-ernt. Wir befinden uns in der Entwicklungs-, bestenfalls der Versuchs- und Demonstrationsphase. Es geht inbsehbarer Zeit also nicht, wie bei anderen erneuerbarennergien, um die Markteinführung oder gar um dieettbewerbsfähigkeit mit anderen Energieträgern ausossilen oder erneuerbaren Energiequellen, sondern vorllem um Technologieforschung. Das wird auch an denon Ihnen vorgeschlagenen Vergütungssätzen deutlich.iese reichen von 45,7 Cent pro Kilowattstunde bis2,4 Cent pro Kilowattstunde. Damit bewegen wir uns,as die Kosten gegenüber anderen Energieträgern an-eht, im Bereich von Faktor 10.Die Photovoltaik ist heute aber bereits für den Insel-etrieb und vor allem für die Nutzung in anderen, sonni-eren Länder interessant. Um Märkte erschließen undxportieren zu können, sind Größendegressionseffekteei der Fertigung zu erzielen. Die Frage ist nur: Soll diexportförderung – das frage ich Sie ernsthaft – der ehchon über Gebühr belastete Verbraucher zahlen? Ist diexportförderung nicht vielmehr Aufgabe von For-chungs- und Technologieförderung oder von Außen-irtschaftsförderung? Ihr Vorschlag ist insofern system-remd.
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Dr. Joachim PfeifferKommen Sie mir nicht mit der Haushaltslage. Wo einWille ist, ist auch ein Weg. Bei der Förderung der Zu-kunftstechnologie Photovoltaik geht es um einige hun-dert Millionen Euro. Das ist zwar viel Geld, aber Siesind auch nicht bereit, diese Mittel zur Verfügung zustellen. Herr Müller, Sie haben gerade dampfplauderndüber viele Bereiche gesprochen, den Bereich Steinkohlehaben Sie aber vergessen. Ich will Ihnen in Erinnerungrufen: In dieser Woche hat Ihr Kanzler in den öffentli-chen Haushalten en passant 17 Milliarden Euro für dieSteinkohle bereitgestellt.Sie haben wertvolle Zeit verplempert und die gesamteBranche verunsichert. Spätestens seit Frühjahr diesesJahres wissen Sie dies. Nachdem Sie ein halbes Jahrnichts unternommen haben, können Sie jetzt nicht an-dere für Ihre Fehler verantwortlich machen. Machen Sieendlich Ihre Hausaufgaben und beantworten Sie die ge-stellten Fragen, damit wir für diese und für andere Bran-chen Planungs- und Investitionssicherheit erreichen kön-nen!
Lassen Sie mich abschließend noch zu einem ande-rem Thema, das in dieser verbundenen Debatte auch auf-zurufen ist, einige Sätze sagen. Es geht um das „Nuklear-package“. Wir lehnen – auch meine Vorredner haben dasgesagt – den Eingriff in originäre nationale Zuständig-keiten ab. Die Rückstellungen der deutschen Energiever-sorgungsunternehmen gehören zu den wenigen Wettbe-werbsvorteilen, die wir innerhalb Europas noch haben.
Für den Rückbau der Nukleartechnik und die Entsor-gung in Deutschland haben die deutschen Energieversor-gungsunternehmen Rückstellungen in einer Größenord-nung von 30 Milliarden Euro getätigt.
In Frankreich, das im Bereich der Kerntechnik einen we-sentlich höheren Anteil hat, sind es weniger als20 Milliarden Euro. Andere haben noch viel geringereRückstellungen gebildet.Wir lehnen die Sozialisierung dieser Rückstellungeninnerhalb Europas, die einen Wettbewerbsvorteil für un-sere Unternehmen darstellen, im nationalen Interesse abund rufen die Bundesregierung auf, dies bei den jetzt an-stehenden Beschlüssen zu verhindern, damit wir nebenden anderen Benachteiligungen, die Sie uns mit IhrerPolitik schon auferlegt haben – ich habe es aufgeführt –,nicht auch noch in diesem Bereich ins Hintertreffen ge-raten und den letzten Wettbewerbsvorteil innerhalbEuropas verlieren.Vielen Dank.
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Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-chutz und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich be-eide die Kollegin Merkel nicht um ihre Aufgabe, die di-ersen Positionen, die es in der Union gibt, zusammen-uhalten. Heute muss sie den Herrn Pfeiffer und denerrn Paziorek zusammenbinden. Herr Paziorek sagt, esebe viel zu wenig für die Biomasse, und Herr Pfeifferagt, wir müssten mit der Förderung drastisch herunter-ehen. Dies zusammenzubinden kann man nur im Pfeif-erschen Drüsenfieber oder solange man auf der Opposi-ionsbank sitzt.
Morgen geht das Kernkraftwerk Stade vom Netz.as ist der sichtbare Beleg dafür, dass die Atomenergie Deutschland keine Zukunft hat.
n den USA sollen diese Altanlagen 60 Jahre laufen; wiralbieren die Laufzeit. Damit wird der Weg für eine si-here und zukunftsfähige Energiestruktur frei. Abge-chriebene und über Jahre hoch subventionierte Altanla-en dürfen die Investitionen in die Energiestruktur vonorgen nicht länger blockieren.
llein in Deutschland müssen wir Kraftwerkskapazitä-en von 40 000 MW ersetzen; in ganz Europa sind es00 000 MW. Die Mehrheit der Staaten in der Europäi-chen Union ist heute frei von Atomenergie oder aufem Weg heraus aus der Atomenergie. Explizit nennech Belgien, Schweden und die Bundesrepublik; implizitrifft das auch auf das Vereinigte Königreich und dieiederlande zu.Kein Land steigt aber so schnell aus wie die Bundes-epublik Deutschland. Bis 2020 werden wir die Kraft-erke abgeschaltet haben. Das heißt, bis dahin gehen0 Prozent der Kraftwerkskapazitäten allein aufgrundieser Tatsache vom Netz. Für uns alle gemeinsam be-eutet das: Kein Land muss sich so schnell um Ersatz-apazitäten bemühen wie die Bundesrepublik Deutsch-and. Das geht nur mit einer Energiepolitik, die sich vonllen Vereinseitigungen verabschiedet. Sie muss auf dreiäulen begründet sein: auf erneuerbare Energien, auf Ef-izienz und auf Energieeinsparung.Wir haben uns in der Koalition zusätzlich vorgenom-en, bis 2020 40 Prozent der Treibhausgase ineutschland einzusparen. Wenn wir dies bis 2020 errei-hen wollen – Herr Paziorek, das ist der Grund füriese Maßzahl –, dann geht das nur mit konsequenternergieeinsparung. Man kann nicht hier im Bundestag
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6421
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Bundesminister Jürgen TrittinEnergieeinsparung fordern und gleichzeitig alle dafürerforderlichen Instrumente bekämpfen. Aus der vonIhnen beschimpften Ökosteuer zahlen wir die 340 Mil-lionen Euro für die CO2-Einsparungen im Bereich vonGebäuden. Sie haben dafür 12 Millionen Euro aufge-wendet.
Wenn wir die Energieeffizienz wirklich verdoppelnwollen, brauchen wir einen ökonomischen Anreiz für ef-fizientere Kraftwerke. Dafür gibt es das Instrument desEmissionshandels. Wir müssen den Ausbau erneuerbarerEnergien forciert fördern. Das ist Zweck des Gesetzes.Deswegen haben wir in dem Gesetzentwurf quantifi-ziert, dass wir bis zum Jahre 2020 20 Prozent unseresStroms aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen. Esspricht Bände, Herr Paziorek, wenn Sie immer betonen,Sie seien für die erneuerbaren Energien, sich abergleichzeitig gegen diese Zweckbestimmung wenden.
Diese beiden Ziele, Steigerung der Energieeffizienzund Ausbau erneuerbarer Energien, dürfen nicht gegen-einander ausgespielt werden. Beides kann nur miteinan-der funktionieren. 20 Prozent zu erreichen ist das Zieldes Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Aber wir wollendenjenigen, die in diesem Sektor tätig sind, klar machen:Am Ende muss für sie die Marktfähigkeit stehen. Des-wegen haben wir die Degression durchgehend auch dafestgeschrieben, wo es dem einen oder anderen wehtut,beispielsweise im Bereich der Biomasse, was Sie ange-sprochen haben.
Dabei müssen wir auch darauf achten, dass die Kos-ten für die erneuerbaren Energien die Haushalte nichtübermäßig belasten. Deswegen haben wir dafür Sorgegetragen, dass beispielsweise nicht nur große, sondernauch mittlere Unternehmen von der Härtefallregelungprofitieren können, aber gleichzeitig eine Deckelungvorgenommen: Wenn heute der Klimaschutz durch dieFörderung erneuerbarer Energien 1 Euro pro Haushaltund Monat kostet, dann darf das künftig nur 1,10 Eurosein. Das ist Politik mit Augenmaß: Förderung der er-neuerbaren Energien und Beachtung der Kostenseite,aber keine Umgestaltung des Erneuerbare-Energien-Ge-setzes in eine reine Konsumentenumlage!
Die Koalitionsfraktionen beschließen heute ein Vor-schaltgesetz für die Photovoltaik, das die Mindestvergü-tung für Strom aus diesen Anlagen auf 45,7 Cent pro Ki-lowattstunde festschreibt. Ich will darauf verweisen,dass wir die bürokratische Deckelung bei den großenAnlagen abschaffen und dass die Fördersätze für die In-svctirdsFfd1bbaadldSgzmvSggbVADg–zdktf
Reden Sie mal mit den Investoren von Ostwind, redenie mit denen, die beispielsweise nicht nur Windanla-en, sondern auch Biomasseanlagen in Bayern genehmi-en lassen wollten!Dann wissen Sie, was bayerische Regelungswut undayerische Bürokratie alles bewirken kann, nämlich dieerhinderung von Investitionen und der Schaffung vonrbeitsplätzen.
as passt nicht mit den Reden über erneuerbare Ener-ien zusammen.
Über das Dosenpfand brauchen Sie mir nichts zu er-ählen. Ich habe gegen die Bayerische Staatsregierungie Vernichtung der bayerischen mittelständischen undleinen Brauereien verhindert. Das sehen die genauso.
Zu der Frage der Energieeffizienz in der Energiepoli-ik.
Herr Kollege Trittin, gestatten Sie eine Zwischen-rage des Kollegen von Klaeden?
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Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Bitte schön, Herr von Klaeden.
Herr Bundesminister, da Sie eben selber das Dosen-
pfand angesprochen haben,
darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass mittler-
weile eine eidesstattliche Erklärung von acht Personen,
allesamt Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter
– von Beruf sind diese Linienführer, Dreher, Maschinist,
Industriemeister, Maschinenschlosser, Maschinenführer,
Elektroniker –, vorliegt, die an einem Gespräch mit Ih-
rem Staatssekretär teilgenommen haben,
wonach auf die sinngemäße Feststellung eines Betriebs-
rats, dass die Einwegindustrie und die Arbeitsplätze den
B
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Ja, meine Herren, dies ist politisch auch sogewollt.“
Sie haben hier vor dem Deutschen Bundestag genau dasGegenteil behauptet. Ich darf Sie bitten, zu dieser eides-stattlichen Erklärung Stellung zu nehmen.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Herr von Klaeden, Sie können sich ganz schnell wie-der hinsetzen. Ich habe der Feststellung – die ich hierschon gemacht habe –, dass mein Staatssekretär dieseUnterstellung schon mehrfach zurückgewiesen hat,nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen.
– Bevor Sie sich hinsetzen,
möchte ich Sie fragen – dann ist die Frage abschließendbeantwortet, Herr Parlamentarischer Geschäftsführer –,ob es mit den Regeln, die sich dieses Haus gegeben hat,vereinbar ist, Debatten zu Themen auf diese Weise zugebrauchen, um nicht das Wort „missbrauchen“ zu ver-wenden.
Das müssen die Parlamentarischen Geschäftsführer un-tereinander klären; dafür fehlt mir die Beurteilung.
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insparungen aber kann man überall in Europa verkau-en. Grundlage für die Vergabe dieser Mittel wird derO2-Emissionshandel sein. Das Einsparziel der deut-chen Industrie von 45 Millionen Tonnen ist maßgebend,icht mehr, aber auch nicht weniger.Sie werden sich mit dem zugrunde liegenden Gesetz,as heißt mit der Frage der wesentlichen Regeln, auf de-en Basis wir diese Emissionsrechte verteilen, hier imundestag beschäftigen müssen. Die Bundesregierungird im Dezember das Treibhausgas-Emissionshandels-esetz verabschieden und danach haben Sie zu entschei-en. Sie haben danach nicht nur über diese allgemeinenegeln zu entscheiden, sondern Sie werden sich unter-inander – auch zwischen den Positionen von Herrnfeiffer und Herrn Paziorek – zu einigen haben.
ie werden sich über die Frage zu einigen haben, wieiele Millionen Tonnen CO2 die privaten Haushalte, wieiele Millionen Tonnen CO2 der Verkehr, wie viele Mil-ionen Tonnen CO2 die Energiewirtschaft, die Industriend das Gewerbe emittieren dürfen, und zwar bis 2020,pezifiziert nach nachrechenbaren Tonnen.
Ich bin sehr gespannt,
b Sie das Vorgehen, das Sie hier an den Tag legen – näm-ch die von Ihnen selbst bewirkte Verfehlung klimapoliti-cher Ziele zu bejammern, aber gleichzeitig jede kon-rete Maßnahme zur Erreichung dieser Ziele imundestag zu blockieren –, auch weiter durchhalten wer-en.
Ich bin der festen Überzeugung: Der Emissionshandelietet eine Chance für die deutsche Wirtschaft; er er-ichtert ihr übrigens auch den Klimaschutz.Mehr Effizienz ist eine der Säulen der Versorgungssi-herheit von morgen. Effizienz, erneuerbare Energiennd Energiesparen bilden die Grundlage für die Versor-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6423
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Bundesminister Jürgen Trittingungssicherheit, aber auch für einen vernünftigen Kli-maschutz auch und gerade im Interesse künftiger Gene-rationen.Vielen Dank.
Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirdiskutieren heute ein sehr wichtiges Thema. Herr Minis-ter Trittin, Sie haben in Ihrer Rede ausgeführt, der Aus-stieg aus der Kernenergie sei der Einstieg in eine sichereund zukunftsfähige Energieversorgung. Dem muss ichentgegenhalten: Ohne ein konkretes Energiekonzept fürden Wirtschaftsstandort Deutschland
ist der Ausstieg aus der Kernenergie noch lange keinEinstieg in eine sichere Energieversorgung. Ein solchesKonzept fehlt, Herr Trittin!
Deswegen möchte ich für meine Fraktion betonen:Wir wollen ein Energiekonzept, das auf der einen Seitedie Versorgungssicherheit für dieses Land gewährleistet,das aber auf der anderen Seite einen neuen Energiemixbeinhaltet, der Unabhängigkeit von politisch instabilenRegionen schafft. Angesichts der beim Erdöl und Erdgasbestehenden Abhängigkeit von Ländern, die politischbei weitem nicht stabil sind, ist ein umfassendes Ener-giekonzept geboten.Dazu gehören aber mehrere Komponenten, nämlichdas Energiesparen und die Energieeffizienz.
Einzubeziehen ist nicht nur der Strommarkt, sondernsind auch der Wärmemarkt und – Herr Müller hat es an-gesprochen – der Verkehrsbereich. Wenn Sie das allesmit einbeziehen wollen, dann müssen Sie den Mut auf-bringen, in moderne Technologien – auch in die Spei-chertechnologie – einzusteigen. Nur dann werden Sie esschaffen, den erneuerbaren Energien eine Zukunft zu ge-ben.
Das hat zum einen damit zu tun, dass die Verfügbarkeitvon erneuerbaren Energien zum Teil sehr schwankt.Sie müssen zum anderen auch berücksichtigen, dassbeim Netzausbau und dem Vorhalten der Regelenergie-rftNcNkzrmPevLmnsvsCddgahHaddtwjHcllktdnggD
ur so können wir ihnen in Deutschland eine riesige Zu-unftsperspektive geben.
Im Zusammenhang mit den beiden in Ihren Vorlagenum Thema Atomenergie erwähnten Richtlinien der Eu-opäischen Union, über die wir heute auch beraten,öchte ich Ihnen eines sagen: Wir sind uns in einigenunkten durchaus einig, aber Sie nutzen das wieder fürine ideologische Kundgebung. Das kann ich nicht nach-ollziehen.Wenn wir über die sichere Energieversorgung diesesandes diskutieren, dann geht es nicht um heute undorgen. Es geht vielmehr um eine Perspektive für dieächsten 50 Jahre oder mehr. Wenn wir in solchen Per-pektiven denken, dann geht es nicht an, den Vorrangon nicht nuklearer Energieforschung in Europa festzu-chreiben, wie Sie das wollen. Wir müssen vielmehr diehance ergreifen, mit dem internationalen Projekt ITERie Fusionsforschung in Europa zu halten und die Bun-esrepublik Deutschland daran zu beteiligen.
Ich möchte noch etwas zu der Feststellung der Kolle-in Hustedt anmerken, dass die Energieversorger durch-us in der Lage seien, schwankende Energiemengen zuandhaben. Ich möchte Ihnen nur eines sagen, Frauustedt: Technisch ist das möglich. Aber Sie müssenuch die finanziellen Auswirkungen einplanen. Wir sinder Meinung, dass wir, wenn wir die Zukunftsfähigkeiter erneuerbaren Energien sicherstellen wollen, eine in-elligente Verknüpfung der Photovoltaik – über den Ent-urf eines entsprechenden Vorschaltgesetzes reden wira heute morgen – mit dem Emissionshandel brauchen.err Minister Trittin, Sie haben gesagt, dass Sie das ma-hen wollen. Aber warum haben Sie das nicht schonängst getan? Das ist doch die Frage, die Sie sich stellenassen müssen.
Ich sage klar und deutlich: Wir können durch die Ver-nüpfung mit dem Emissionshandel Exportmöglichkei-en und riesige Chancen für die Photovoltaik eröffnen;as will die FDP. Wenn wir den erneuerbaren Energienicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine Zukunfteben wollen, dann müssen wir das Ganze effizient or-anisieren und Kostensenkungspotenziale realisieren.as sind wir den Menschen in diesem Lande schuldig.Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort Kollegen Marco Bülow, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LangeZeit haben konservative Kräfte geleugnet, dass die Erdeum die Sonne kreist. Doch sie konnten den Fortschrittnicht aufhalten. Dieses Phänomen scheint sich nun zuwiederholen. Vehement leugnen heute andere starkeKräfte, dass bereits in absehbarer Zeit ein Großteil desEnergiehungers mit der Kraft der Sonne gestillt werdenkann. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich der Fort-schritt erneut durchsetzen wird.
Diesmal steht allerdings mehr auf dem Spiel und wirhaben deutlich weniger Zeit. Der bildliche Satz „Nachmir die Sintflut!“ könnte zur grausigen Realität werden.Damit das nicht Realität wird, reicht nicht nur die Er-kenntnis aus – diese haben auch einige aus der Opposi-tion –, dass wir große Potenziale der erneuerbaren Ener-gien, insbesondere der Sonnenenergie, nutzen können.Das muss vielmehr auch in die Tat umgesetzt werdenund darf auf keinen Fall verhindert werden. Dem ist dierot-grüne Koalition mit zahlreichen Initiativen und Ge-setzen nachgekommen. Das wohl wichtigste – und auchsehr erfolgreiche – Gesetz war das Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz, kurz EEG. Ich hoffe, dass auch in der Oppo-sition in zunehmenden Maße die Erkenntnis wächst – ichweiß, dass das bei einigen Abgeordneten bereits der Fallist –, dass es notwendig ist, mehr als nur vollmundigeLippenbekenntnisse zu den erneuerbaren Energien abzu-liefern. Dafür bieten die anstehenden Beratungen überdie Entwürfe einer Novelle zum EEG und eines Photo-voltaik-Vorschaltgesetzes eine hervorragende Möglich-keit.Ich wollte heute eigentlich eine friedensstiftende Redehalten, die uns zusammenbringt. Doch einige Meinungs-bekundungen von der Opposition veranlassen mich, ein,zwei Sätze zu sagen, die nicht in diesem Sinne sind. HerrPaziorek, Sie spielen sich heute als Retter der erneuerba-ren Energien auf. Dabei gibt es viele in der Union – dasist auch heute wieder deutlich geworden –, die die erneu-erbaren Energien eigentlich lieber verteufeln. WelchenStand Sie in der Branche haben, haben Sie selbst auf dervon Ihnen erwähnten Demonstration erlebt. Der Applausfür Sie war nicht besonders groß.
Ich erinnere nur an 1998, als viele aus der Branche ge-sagt haben: Wir haben Angst vor einem Regierungs-wechsel. Deswegen bleiben uns die Kunden weg. – Dasist die Realität in diesem Land. Die Branche weiß genau,was sie an Rot-Grün hat und was sie mit Ihnen bekom-men würde.
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Herr Pfeiffer, überprüfen Sie bitte Ihre Kostenberech-ungen. In 14 Minuten haben Sie keinen einzigen Vor-chlag gemacht, aus dem hervorgeht, wie Sie eine Erneu-rbare-Energien-Politik machen wollen. Sie sind dochoch viel zu jung, um ein Dinosaurier zu sein.
Über den Entwurf der EEG-Novelle wollen wir mitllen Fraktionen intensiv beraten und dann möglichst zü-ig beschließen; denn die Branche braucht Planungssi-herheit. Es darf in diesem innovativem Bereich zu kei-em Fadenriss kommen. Ich weiß, dass es an einigentellen, beispielsweise in der Biogasbranche – hier gebech Ihnen Recht –, trotzdem sehr eng werden wird.Das Auslaufen des erfolgreichen 100 000-Dächer-rogramms würde aber selbst bei einem reibungslosenovellierungsverfahren zumindest für einen Teil derhotovoltaikbranche zu spät kommen. Ich habe eineiste mit Firmen, die schon jetzt mehr als nur zu kämp-en haben. Beispielsweise hat einer der größten deut-chen Solarzellenproduzenten in den neuen Ländern we-en der unsicheren politischen Lage für 2004 nocheinen einzigen festen Auftrag. Das ist ein Novum.enn wir jetzt nicht handeln, dann sind über 10 000 zu-unftsfähige Arbeitsplätze gefährdet, und das in einerungen Branche mit großem Potenzial. Ich brauche hiericht zu erklären, dass eine junge Branche natürlicheine großen Rücklagen gebildet haben kann, um in ei-em solchen Fall darauf zurückzugreifen.
Wir gefährden unsere gute Position auf dem Welt-arkt. Mithilfe des 100 000-Dächer-Programms hat sichie deutsche Photovoltaikwirtschaft in einer Zukunfts-chnologie an die internationale Spitze katapultiert.em ging ein Gesetz voraus, das Rot-Grün auf den Wegebracht hat. Außerdem gefährden wir das Erreichen un-erer Klimaziele. Wir begrüßen es deshalb, dass sich dasundesumweltministerium dem Vorschlag der Koali-onsfraktionen nach einem Photovoltaik-Vorschaltge-etz angeschlossen hat.
Die Förderbeiträge des vorliegenden Vorschaltgeset-es sollen bereits am 1. Januar 2004 ihre Wirkung entfal-n. Schon im Vorschaltgesetz sind die Änderungennthalten, die sich später in der großen Novelle wieder-inden. Statt einer Vergütungsstufe plädieren wir für eineasisvergütung und eine mögliche Zusatzvergütung.ies ermöglicht eine zielgenauere Förderung und eineevorzugung von Anlagen auf Fassaden, Dächern undärmschutzwänden. Für Anlagen auf Freiflächen ist die
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Marco BülowBasisvergütung vorgesehen, sie unterliegen aber demGeltungsbereich des Bebauungsplans.Die Förderung von Photovoltaik ist ein gutes Beispielfür unsere Idee der Gesamtförderung der erneuerbarenEnergien. Durch die Maßstäbe, die wir anlegen, tragenwir dazu bei, auch beim Klimaschutz Rücksicht auf denörtlichen Umweltschutz zu nehmen. Wir bringen die In-teressen der Ökologie und der Ökonomie zusammen, so-dass beide profitieren. Außerdem setzen wir auf eine im-mer effizientere Förderung.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen: DieDegression bei Photovoltaik beträgt 5 Prozent; das heißt,die Förderung wird jedes Jahr um 5 Prozent zurückge-fahren. Hinzu kommt die Inflation. Wir haben von An-fang an, auch beim ersten Gesetz, auf die Wirtschaft-lichkeit der erneuerbaren Energien gesetzt. Es wäreäußerst wohltuend, wenn diese harten Auflagen bei-spielsweise bei der Atomenergie gegolten hätten. Wenndas der Fall gewesen wäre, dann hätten wir in diesemLand einige Probleme weniger.Gerade diejenigen, die bei den erneuerbaren Energienmehr Abstriche fordern, drükken bei den herkömmli-chen Energieressourcen gerne beide Augen zu. Dies istunangemessen und ungerecht. Die Diskussion über dieKosten der erneuerbaren Energien war vom ersten Tagan eine einzige Farce. Ich hoffe, wir werden die folgen-den Diskussionen sachlicher und fairer führen.
Dabei ist es keine Frage, dass einige Erneuerbare-Energien-Branchen schon in absehbarer Zeit wettbe-werbsfähig sind. Deren Innovationskraft und Effizienz-steigerung – Frau Brunkhorst, hören Sie gut zu! – gebenuns dazu einen guten Anhaltspunkt. Hinzu kommt, dassein großer Teil des fossilen Kraftwerksparks erneuertwerden muss. Dies geht nicht zum Nulltarif. Selbst dievorsichtige Schätzung von RWE Schott Solar besagt,dass die Wettbewerbsfähigkeit von Solarstrom in zehnJahren in Südeuropa und in weiteren zehn Jahren in Mit-teleuropa erreicht wird. Das ist die Realität.
Die Kostenschere zwischen den erneuerbaren und denherkömmlichen Energien wird sich schließen, selbstohne Einbeziehung der externen Kosten, also beispiels-weise ohne Einbeziehung der Umweltkosten, die auf derStromrechnung niemals ihren Niederschlag finden, ob-wohl wir und vor allen Dingen die nachfolgenden Gene-rationen sie zu tragen haben.Die Energiewende hin zu mehr Effizienz und einerSteigerung des Anteils der erneuerbaren Energien istkeine Utopie. Anders als uns einige immer weismachenwollen, ist sie vor allen Dingen kein Luxus, den mansich nur leisten kann, wenn man genug Geld dazu hat.Luxus ist vielmehr, die Chancen von heute verstreichenzu lassen. Dies würden uns unsere Kinder niemals ver-zeihen.
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Ich erteile der Kollegin Doris Meyer, CDU/CSU-
raktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damennd Herren! Die Photovoltaikbranche wird heute ver-utlich aufatmen und vorsichtigen Optimismus an denag legen, Optimismus, weil ihr geholfen werden kann.
ach dem Wegfall des 100 000-Dächer-Programmsitte dieses Jahres verspürte sie keine oder nur noch ge-inge Motivation, in neue Anlagen zu investieren. Esusste Abhilfe geschaffen werden. Abhilfe versprichtan sich nun von dem heute vorliegenden Vorschaltge-etz, dem 2. EEG-Änderungsgesetz.Bereits das 1. Änderungsgesetz zum EEG sollte Ab-ilfe schaffen. Die durch das EEG bedingten Schmerzener besonders energieintensiven Unternehmen solltenamit beseitigt werden. Beseitigt werden sollten aberuch wieder einmal handwerkliche Fehler der rot-grünenoalition.
ie rot-grüne Koalition hat sich in den Diskussionenber das Für und Wider einer Härtefallregelung verhed-ert. In einem Schnellschussverfahren hat sie die Härte-allregelung in Gesetzesform gegossen.Genauso ist es nun mit dem Vorschaltgesetz zur Pho-ovoltaik. Das schon erwähnte Förderprogramm istitte dieses Jahres ausgelaufen. Nun stellt sich heraus:ie Photovoltaik kommt nicht mehr vorwärts. Die Solar-ndustrie ist in ihrer Existenz bedroht.Bereits Mitte August wurde mit dem Referentenent-urf des BMU die neue Runde der EEG-Novellierungingeläutet. Sie ist bei den Ressortabstimmungen oder,esser gesagt, bei den Streitereien zwischen dem Um-eltminister Jürgen Trittin und seinem Kollegen Wirt-chaftsminister Wolfgang Clement unter die Räder ge-ommen.
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Doris Meyer
Wer von den beiden den Streit angezettelt hat, vermagschon niemand mehr zu sagen. Hat nun der eine das zumEnergiegipfel hochstilisierte Treffen beim Kanzler ohneBeteiligung des anderen stattfinden lassen oder hat derandere seinen Referentenentwurf noch kurz vorher vor-gelegt, um den einen zu ärgern?
Es fällt schwer, unter den beiden einen Verantwortlichenauszumachen.
Das Problem bei solchen Streitereien unter den Res-sortchefs ist die Verzögerung, die sich daraus unweiger-lich ergibt. Sie lähmt die dringend notwendige Sachar-beit. Ob einem der beiden geholfen ist, wenn er überseinen Kollegen obsiegt, interessiert vielleicht noch dierot-grüne Koalition, aber nicht die von den Gesetzen be-troffenen Unternehmen. Die interessiert, wie sich dieGesetze für sie und auf ihre Pläne in den nächsten Jahrenauswirken.Ergebnis dieser Streitereien ist das Herauslösen bzw.Vorziehen der Regelung zur Photovoltaik. Nach der Här-tefallregelung ist das heute vorliegende Vorschaltgesetzalso ein zweiter Schnellschuss. Wir als verantwortungs-bewusste Parlamentarier müssen uns gegen diese Artund Weise des Zustandekommens vehement wehren.
Dem Änderungsgesetz können wir von den Unions-fraktionen zwar grundsätzlich zustimmen; zu den einzel-nen Vergütungssätzen besteht aber noch Diskussions-bedarf.
Die Erhöhung der Mindestvergütungen für die so ge-nannten gebäudeintegrierten Fassadenanlagen geht indie richtige Richtung. Wir dürfen die Flächenversiege-lung nicht forcieren. Die Solaranlagen müssen konse-quent in die Gebäudeflächen einbezogen werden. Solar-anlagen an oder auf Gebäuden und baulichen Anlagensind eindeutig solchen auf Freiflächen vorzuziehen. Dasbislang erzielte Abstimmungsergebnis zwischen den bei-den Ministerien kann wieder nur eine Grundlage bilden,auf der wir verhandeln. Wir müssen alles im Einzelnengenau betrachten.Mit Einführung des Stromeinspeisungsgesetzes An-fang der 90er-Jahre war fraktionsübergreifend die Ziel-richtung klar. Die meisten Energieträger sind endlich.Deshalb musste im Sinne der Nachhaltigkeit eine Ände-rung herbeigeführt werden. Langfristig kann somit nurein Mix aus herkömmlichen und regenerativen Energienhelfen, die Energieversorgung zu sichern. Dies solltengelegentlich auch die Gegner der einen oder anderenEnergieart einmal bedenken.
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ir halten am Ziel fest, den Anteil der erneuerbarennergien bis 2010 auf 12,5 Prozent zu steigern. Wir wol-n eine nachhaltige Klimaschutzpolitik. Wir wollenffiziente Anreize zur Verbesserung der Technologienchaffen. Wir wollen Anreize zur Senkung der Produkti-nskosten geben. Wir wollen den Standort Deutschlandür die erneuerbaren Energien erhalten. Schließlich wol-n und müssen wir die regenerativen Energien zur Wett-ewerbsfähigkeit führen.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 15/1974, 15/1605 und 15/1813 an dien der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-chlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
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Präsident Wolfgang Thierseauf Drucksache 15/1781 zu zwei Unterrichtungen durchdie Bundesregierung über EU-Vorlagen zur nuklearenSicherheit. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Un-terrichtungen durch die Bundesregierung die Annahmeeiner Entschließung. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPDund Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen vonCDU/CSU und FDP angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. PeterPaziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Klaus W. Lippold
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSUNationalen Allokationsplan als Parlaments-gesetz gestalten– Drucksache 15/1791 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lassen Sie mich eine kurze Vorbemerkung ma-chen, bevor ich zum Sachthema komme. Ich habe geradeerlebt, wie Sie, Herr Trittin, im Zusammenhang damit,dass Sie, wie Ihr Staatssekretär gesagt hat, durch die Ver-packungsverordnung mutwillig Arbeitsplätze vernich-ten, wiederum ausweichend geantwortet und faktisch sogetan haben, als sei die eidesstattliche Erklärung der achtBetriebsräte infrage zu stellen. Ich sage ganz offen: Ichhabe für Ihre Haltung kein Verständnis.
Es passt aber zu Ihrer Grundhaltung, Herr Trittin.Denken wir nur an die Verlautbarung Ihres Pressespre-chers, dass Sie die Abschaltung des KernkraftwerkesStade – die Vernichtung von Arbeitsplätzen – mit einemEmpfang, einer Fete mit Musik und allem Drum undDran, verbinden. Das ist doch zynisch, Herr Trittin. DassSie in Ihrem Ministerium die Vernichtung von Arbeits-plätzen feiern und zu dieser Feier alte Kampfgefährteneinladen –
das kann ich so nicht akzeptieren.
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Schließlich sollen sich trotz der Politik dieser Bun-esregierung auch neue Unternehmen gründen können.
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Dr. Klaus W. Lippold
Diesen neuen Unternehmen müssen wir Emissionsbe-rechtigungen kostenlos zuteilen können, denn wenn siesie nicht kostenlos erhalten, werden sie unter Umständenüberlegen, ob sie einen anderen Standort wählen. DieArbeitsplätze würden dann an einem anderen Standortentstehen. Das kann nicht angehen.
Es ist auch eine Frage, wie es aussieht, wenn Sie – wasnicht eintreten wird, aber was ja sein könnte – den Ausstiegaus der Kernenergie wirklich durchsetzen. Dafür ist – daswar heute schon zu hören – ein völlig emissionsfreier Er-satz nicht möglich.Es kann doch nicht sein, dass die Wirtschaft, dieHaushalte und auch der Verkehrssektor dafür bestraftwerden, dass Sie eine falsche Entscheidung treffen. Esmüssen vielmehr Vorkehrungen getroffen werden, mitdenen sichergestellt wird, dass die zusätzlichen Emissio-nen aus einer Reserve, die die Bundesrepublik Deutsch-land und niemand anders bereitstellt, abgedeckt werden.All diese Fragen, die sich in der derzeitigen Situation er-geben, sehe ich überhaupt noch nicht geregelt.Ich sage ganz deutlich: Die Antworten auf diese Fra-gen sind für den Arbeitsmarkt und für die zukünftigeEntwicklung von Ausbildungsplätzen – mit der Ausbil-dungsplatzabgabe werden Sie das Gegenteil bewirken –so wichtig, dass sie nicht en passant von der Bundesre-gierung allein beantwortet werden können. Über dieseFragen muss im Parlament diskutiert werden; sie sind zuwichtig, als dass die Regierung allein darüber entschei-den kann.
Dass in unserem Antrag – ich sage das einmal so –ein gewisses Misstrauen gegenüber der Bundesregierungund ihren Ansätzen mitschwingt,
ist wohl mehr als berechtigt. Es ist schade, dass HerrTrittin im Moment nicht auf der Regierungsbank sitzt;ich hoffe aber, dass er im Saal anwesend ist.
– Das könnte durchaus sein. – Ich sehe bislang nicht,dass sich der Minister für Umwelt und die Spitze seinesHauses bewegen und entsprechende Positionen artikulie-ren. Diese zentrale Frage kann nicht unter der Hand ge-regelt werden. Hier muss das Parlament entscheiden.Eine ähnliche Korrektur haben wir schon früher in an-deren Bereichen erlebt. Nachdem wir das Kreislauf-wirtschafts- und Abfallgesetz verabschiedet hatten, ha-ben wir festgestellt, dass wesentliche politische Inhaltenicht im Gesetz selber, sondern in Verordnungen gere-gelt sind. Daraufhin hat dieses Haus beschlossen, diewesentlichen Verordnungen zum Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetz zustimmungspflichtig zu machen. Da-mit wurde die Entscheidung in das Parlament zurückvesIkrhUbsakpmslädsdFsgDwrmuDzzdtizSfvMcliti
m dieses Thema von der anderen Seite politisch aufar-eiten zu können, möchte ich von Ihnen auch gerne wis-en, wie Überschreitungen der Mengen in einem Sektorusgeglichen werden sollen. Auch da kann ich nicht er-ennen, dass Sie eine entsprechende Vorsorge betreiben.Es gibt noch einen anderen Punkt. Durch Ihre Verkehrs-olitik wird kein reibungsloser Ablauf des Verkehrs er-öglicht; durch Ihre Verkehrspolitik werden Stauemis-ionen und Emissionen auf der Straße vergrößert. Dassst sich alles im Einzelnen nachweisen. Wie solleniese erhöhten Emissionen ausgeglichen werden? Ichehe nicht, dass hierfür schon Abhilfe vorgesehen ist.Ich fasse zusammen. Lassen Sie uns die Diskussion iniesem Hause führen. Lassen Sie uns Antworten auf dierage gemeinsam erarbeiten, wie wir im Falle einer wirt-chaftlichen Erholung, im Falle von Existenzgründun-en und bei der Erweiterung von Produktion verfahren.
azu gehört auch die Frage, wie es mit der Kernenergieeitergeht.Lassen Sie uns in Ergänzung dazu darüber diskutie-en, wie wir auf die internationale Politik Einfluss neh-en können, damit das Kioto-Protokoll ratifiziert wirdnd in Kraft treten kann und wir die Instrumente Cleanevelopment Mechanism und Joint Implementation nut-en können. Ich bin dafür, dass wir hier keine Caps set-en oder zumindest nur solche, die wesentlich oberhalber derzeitigen Caps liegen. Ich glaube, das ist eine rich-ge Vorgehensweise.
Sie vergeben sich nichts, wenn Sie unserem Antragustimmen. Wir können die Auseinandersetzung in derache führen, aber wir sollten sie hier und öffentlichühren. Wir sollten diese Diskussion nicht in die Arbeiton Kommissionen oder in die Verhandlungen einzelnerinisterien verlagern, wie es in anderen Politikberei-hen – ich erinnere an den Nachhaltigkeitsrat – bedauer-cherweise der Fall ist.Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Unsere Koopera-on in dieser Grundsatzfrage ist Ihnen gewiss.Herzlichen Dank.
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Ich erteile dem Kollegen Jürgen Trittin das Wort zu
einer Kurzintervention.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
gern – auch für diejenigen, die vorhin vielleicht nicht
ganz richtig zugehört haben oder eventuell nicht da ge-
wesen sind – das wiederholen, was ich vorhin gesagt
habe, weil mir sehr daran gelegen ist, die gemeinsame
Kooperation an dieser Stelle zu pflegen.
Die Bundesregierung wird Ihnen einen Gesetzentwurf
zum Handel mit Emissionszertifikaten vorlegen,
der beinhalten wird, dass der Gesetzgeber über die wesent-
lichen Regeln – das ergibt sich übrigens schon aus dem
Grundgesetz, Wesentlichkeitstheorie – bei der Verteilung
der Emissionsrechte entscheidet und dass er eine Verord-
nungsermächtigung für die Einzelverteilung hat. Das ist,
glaube ich, eine sinnvolle Arbeitsteilung. Insbesondere
wird er den Gesetzgeber in die Lage versetzen, über die
Verteilung auf die einzelnen Makrosektoren zu entscheiden.
Ich wiederhole: Wir dürfen im Jahre 2010 – genauer ge-
sagt, zwischen 2008 und 2012 – im Jahresmittel nicht
mehr als 846 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Das istkein erfundener Cap, das ist die absolute Grenze im
Kioto-Protokoll, dem Sie und wir alle zugestimmt ha-
ben. Dieses Haus hat über die Verteilung der daraus
resultierenden Emissionsreduktionen auf die einzelnen
Sektoren der Gesellschaft zu entscheiden. Das wird der
Punkt sein, über den der Bundestag zu entscheiden hat.
Ich habe vorhin gesagt, um auf Ihren Zwischenruf zu
antworten, liebe Frau Dött: Die Bundesregierung wird
noch im Dezember nach der Anhörung der Verbände, die
zurzeit stattfindet, also noch vor Weihnachten, über die-
sen Gesetzentwurf entscheiden und ihn Ihnen zuleiten.
Wir werden ihn zustimmungsfrei gestalten. Wir werden
ihn aber so gestalten, dass der Bundesrat in der Sitzung
im Februar seine Stellungnahme dazu abgeben kann. Ich
vermute, es wird eine parallele Einbringung geben. Das
heißt, die Beteiligungsrechte des Bundestages und des
Bundesrates sind in vollem Umfang erfüllt. Insofern
können Sie sich jeden Verdacht sparen, wir wollten die
Rechte des Parlaments einschränken. Wir sind in dieser
Frage sehr an Ihrer Kooperation und konstruktiven Hal-
tung interessiert.
Vielen Dank.
Kollege Lippold, Sie haben die Chance zur Reaktion,
bitte.
Herr Minister Trittin, ich habe Ihnen sowohl vorhin
wie auch jetzt sehr aufmerksam zugehört und dabei ist
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Außerdem werden die deutschen Firmen, die ammissionshandel teilnehmen werden, ab dem Jahr 2005n Firmen in anderen EU-Ländern Emissionsrechteerkaufen dürfen, weil die Firmen in anderen EU-Län-ern ihre Klimaschutzvereinbarungen nicht eingehaltenaben. Klimaschutz ist damit zum Innovationsmotor füreutschland geworden; gerade der Emissionshandeleigt dies.
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Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Grill?
Ja, selbstverständlich.
Bitte, Herr Grill.
Herr Kollege Kelber, Sie haben eben gesagt, dass vor
dem Regierungswechsel die letzten Solarzellenherstel-
ler das Land verlassen haben. Ist Ihnen bekannt, dass der
damalige Bundesforschungsminister Rüttgers sowohl in
Nordrhein-Westfalen, in Gelsenkirchen, als auch in Bay-
ern mithilfe von Bundesmitteln zwei Solarzellenfirmen
mit auf den Weg gebracht hat und bei der Grundsteinle-
gung anwesend war? Wie bewerten Sie die Tatsache,
dass die alte Bundesregierung zwei Solarzellenfabriken
in Deutschland initiiert hat?
Zunächst weiß ich, dass Jürgen Rüttgers der Ministerfür Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologiewar, der als Erster in der Geschichte der Republik dieMittel für diesen Etat gekürzt hat, was danach wieder ge-ändert wurde.
Entscheidend ist aber die Frage, welchen Stand wirauf dem Weltmarkt im Jahre 1998 hatten und welchenwir heute haben. Damals lagen wir bei der Photovoltaikam Ende der Skala. Heute sind wir hinter den Japanerndie Nummer zwei.
Bei den anderen Technologien sind wir vorne. Der ent-scheidende Punkt ist dabei: Es wird ein marktwirtschaft-liches Instrument angewandt; die Investitionen tragennämlich heute die Unternehmen selbst.
Der Bundestag debattiert heute ausführlich über einenganz bestimmten Aspekt des Emissionshandels: überden nationalen Allokationsplan. Der Bundestag zeigt da-mit – das ist wichtig –, für wie wichtig er die Maßnahmedes Emissionshandels im Rahmen des Klimaschutzeshält; denn er ergänzt andere erfolgreiche Maßnahmen.Ich nenne als Beispiele die Förderung der erneuerbarenEnergien, die Energieeinsparverordnung und die Öko-steuer.Wir können festhalten: Deutschland ist heute beimKlimaschutz auf einem guten Weg. Wir werden alle in-ternationalen Vereinbarungen voll erfüllen. Dabeisollten wir uns nicht davon abbringen lassen, bereitsj2uDzhdDBHD–sWBBgAmDbmdAnsigsdndeslntuwgioDwUDwsdA
amit wird der Klimaschutz Bestandteil von Börsenbe-ertungen und Bestandteil der Finanzrechnung vonnternehmen.Wenn wir sagen, der Emissionshandel macheeutschland zu einem wirtschaftlichen Gewinner, dannird der nationale Allokationsplan natürlich darüber ent-cheiden, welche Branchen innerhalb Deutschlands zuen Gewinnern gehören und welche Branchen besonderenstrengungen unternehmen müssen.
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Ulrich KelberDeswegen muss der nationale Allokationsplan selbst-verständlich im Parlament beraten und beschlossenwerden: seine Eckpunkte, die wichtigsten Regelungen.
An dieser Stelle gibt es aus meiner Sicht keinen Unter-schied zwischen den Meinungen von Abgeordneten derKoalition und der Opposition. Vielen Dank, Herr Bun-desminister, dass Sie klargestellt haben, dass die Kern-punkte des nationalen Allokationsplans, dass die wesent-lichen Regelungen in einem Gesetz festgelegt werden,das im Parlament beraten wird. Sie sind damit nicht nurder antragstellenden Opposition entgegengekommen,sondern auch den eindringlichen Forderungen der Koali-tionsabgeordneten.
Dass die Regelungen des nationalen Allokationsplansals Gesetz diskutiert werden, hat aber nicht nur mit demSelbstverständnis des Parlaments zu tun. Die Diskussionüber den nationalen Allokationsplan ist auch der Augen-blick, wo im Klimaschutz einmal Butter bei die Fischemuss. An dieser Stelle kann man sich nicht mehr hinterSonntagsreden verstecken.Die Klimaschutzvereinbarungen der EuropäischenUnion geben eine klare Obergrenze für die Emissioneneines jeden Staates vor. Diese Verpflichtung muss aufSektoren aufgeteilt werden: private Haushalte, Wirt-schaft, Verkehr, Energieerzeugung. Die vom Emissions-handel betroffenen Anlagen bekommen weitere Redukti-onsziele vorgegeben; die anderen Sektoren müssen dannden Rest erfüllen. Damit das zu einem echten Ergebnisführt, müssen die Staaten ihre nationalen Allokations-pläne von der Europäischen Union sozusagen genehmi-gen lassen. Hinter den Zielen müssen auch reale Pro-gramme stehen: kein Wolkenkuckucksheim, kein „Wirhaben doch vor“, kein „Wir wollen doch fördern“, son-dern ganz konkrete Programme, die bewertet werdenkönnen.Damit wird die Luft für die Klimasünder in der Euro-päischen Union dünner. Diese Verpflichtung zu konkre-ten Programmen und Zahlen hat aber auch für Deutsch-land Folgen. Jede Tonne CO2, die nicht in Industrie undEnergieerzeugung eingespart werden soll, müssten pri-vate Haushalte und Verkehr zusätzlich erbringen.Schutzzäune, die die Opposition für bestimmte Indus-trien und Energieerzeuger aufstellen will, führen zuMehrbelastungen anderer Unternehmen und der privatenHaushalte.
Wer den Vorschlag der Bundesregierung zur Auftei-lung auf die Sektoren und Branchen ändern will, musssagen, mit welchen Mitteln er das tun möchte und wen ermehr als vorher belasten will. Das ist das Schöne für dieKoalition: Für die Opposition ist das Ende der Worthül-sen in der Klimaschutzdebatte gekommen. Bisher habenSie nämlich einfach alle konkreten Maßnahmen abge-lehnt. Jetzt kommt diese neue Pflicht dazu. Ablehnenreicht nicht mehr. Jetzt braucht die Opposition eigeneV1oDushEstsnkMdntMogsnunMdb2ewlwwddBoeZdaJwdvS2tzfu
Bei der Debatte über den nationalen Allokationsplannd die technischen Fragestellungen rund um den Emis-ionshandel darf man nicht vergessen: Der Emissions-andel ist kein Selbstzweck. Er ist ein Mittel, um diemission von Treibhausgasen zu reduzieren. Der Emis-ionshandel soll den Innovationsmotor Klimaschutz un-erstützen. Der Emissionshandel sorgt dafür, dass An-trengungen und Investitionen für den Klimaschutz sichoch schneller wirtschaftlich amortisieren. Dadurch be-ommen verfügbare effiziente Technologien besserearktchancen.Ein einfaches Beispiel: Veraltete Kraftwerke werdenurch den Emissionshandel für den Besitzer zu einer fi-anziellen Belastung. Die Investition in neue, effizien-ere Technologien lohnt sich. Also werden wir dieodernisierung schneller bekommen als ohne Emissi-nshandel. Das ist ein einfacher Vorteil, den man bele-en kann.Da der Emissionshandel aber auch langfristige Per-pektiven öffnet, wird sich die Entwicklung neuer Tech-ologien beschleunigen – vorausgesetzt, Deutschlandnd die Europäische Union setzen sich auch für die Zeitach 2010, nach 2012 anspruchsvolle Klimaschutzziele.it diesen neuen Technologien könnten wir erreichen,ass über Energieeinsparungen und den Ausbau erneuer-arer Energien die Strommenge ersetzt wird, die bis020 durch den notwendigen Ausstieg aus der Atom-nergie wegfallen wird. Die Modernisierung des Kraft-erksparks und ein klimafreundlicherer Verkehr ermög-ichen weitere Emissionsminderungen.Zwei Punkte, die in der Energiedebatte fast schonieder in Vergessenheit geraten sind, nämlich „Nega-att statt Megawatt“ und Least-Cost-Planning, wer-en mit dem Emissionshandel zu einer Renaissance fin-en. Sie waren gute Instrumente und sind in einer rein anetriebskosten – nicht volkswirtschaftlichen Kosten –rientierten Debatte fast in Vergessenheit geraten.Voraussetzung für diese positive Vision von einernergieeffizienten Zukunft sind weitere ambitionierteiele im Klimaschutz für die Zeit nach 2010. Nur wennie Marschrichtung klar ist, kann die Effizienzrevolutionuch kommen. Wir brauchen quantitative Ziele für dieahre 2020 und 2050 und auch für das Jahr 2100. Des-egen ist es richtig, sich eine Emissionsminderung beien Treibhausgasen um 40 Prozent bis zum Jahre 2020orzunehmen, wenn sich gleichzeitig die EU auf eineenkung um 30 Prozent einlässt. Es ist keine Zeit, bis010 abzuwarten. Es ist aber der neue Trend der Opposi-ion, zu sagen: Wir warten einmal ab. Klare Vorgabenum richtigen Zeitpunkt sind die beste Methode, die Ef-izienz aus der Industrie, aus den privaten Haushaltennd aus der Forschung herauszukitzeln.
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Ulrich KelberWir sind in der Lage, die Emissionen bis zum Jahre2050 um 80 Prozent zu reduzieren. Wir sind in der Lage,noch in diesem Jahrhundert vollständig auf eine Solar-wirtschaft umzusteigen. Das ist nicht nur ökologischvernünftig. Spätestens seit dem Bericht der Enquete-Kommission wissen wir, dass dies auch wirtschaftlichfür Deutschland eine riesige Chance bietet: neue Pro-dukte, neue Dienstleistungen und damit auch neue Jobsdurch den Klimaschutz.
Für diese Ziele brauchen wir einen funktionierendenEmissionshandel, aber auch ergänzende Maßnahmen, soetwa den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien.Hier haben wird die Weltmarktführerschaft gewonnenund die lassen wir uns auch nicht wieder nehmen.Auch im Verkehrsbereich müssen wir weitere Fort-schritte erzielen. Wir sind das erste Industrieland, das esin den letzten drei Jahren geschafft hat, den Trend hin zuimmer mehr CO2-Emissionen im Verkehr zu stoppenund umzudrehen. Jetzt aber kommt die große Herausfor-derung durch die EU-Osterweiterung mit dem zusätzli-chen Güterverkehr auf uns zu. Gerade in diesem Zusam-menhang ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass sich dieeuropäischen Automobilhersteller von ihrer Selbstver-pflichtung zum Klimaschutz verabschieden wollen.Nach meiner Information stehen an der Spitze übrigensdie deutschen Automobilbauer.
Wenn diese Selbstverpflichtung nicht eingehaltenwird, muss aus meiner Sicht eine gesetzliche Obergrenzefür den Flottenverbrauch her. Wenn sich die Automobil-industrie von dem Klimaschutzziel verabschieden will,können wir das nicht akzeptieren. Wir können die bisherim Verkehrsbereich erzielten Erfolge beim Klimaschutznicht wieder zunichte machen lassen.
Für die Zeit nach 2010 müssen wir uns um neue inter-nationale Ziele im Klimaschutz bemühen. Es reichtnicht, allein nationaler Vorreiter zu sein. Eine stärkereEinbeziehung der Schwellen- und Entwicklungsländerist nur dann möglich, wenn wir im eigenen Land mit gu-tem Beispiel vorangehen. Dafür sind ein konsequenternationaler Allokationsplan und ein funktionierendesEmissionshandelssystem eine gute Voraussetzung. Wirbrauchen allerdings auch andere Maßnahmen. Für dieseanderen konkreten Maßnahmen wünsche ich mir dasgleiche Engagement der Opposition wie beim nationalenAllokationsplan und beim Emissionshandel.Vielen Dank.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiriskutieren heute über ein ganz zentrales Instrument deslimaschutzes: über den Emissionshandel und damiterbunden über den nationalen Allokationsplan. Am Be-inn einer solchen Debatte steht immer die Frage nachielen. Herr Kelber, Sie haben völlig Recht, wenn Sieagen, wir müssten uns ehrgeizige Ziele setzen. Ichöchte Sie aber auf eines hinweisen: Wir, die FDP-DU/CSU-Koalition, haben uns in der Klimapolitik ehr-eizige Ziele gesetzt und damit die Klimapolitik ineutschland angeschoben.
Ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen: Wir halten amationalen Emissionsminderungsziel von 25 Prozentis zum Jahre 2005 fest.
ir halten auch am europäischen Klimaschutzziel undm europäischen Burden-Sharing fest. Sie können sichicht hier hinstellen und en passant sagen: Dieses Zielird erreicht, deswegen setzen wir jetzt neue Ziele. Sieüssen zur Kenntnis nehmen, dass Ihnen das Deutschenstitut für Wirtschaftsforschung mehrfach – zuletzt iniesem Jahr – deutlich gesagt hat, dass Sie das nationaleO2-Minderungsziel nicht erreichen werden.
Bevor Sie über neue Ziele reden, reden Sie erst ein-al darüber, wie Sie die jetzigen Ziele erreichen wollen.a ist noch sehr viel zu tun. Angesichts dessen kannan nur feststellen, dass Sie die ganze Diskussion undor allen Dingen die Notwendigkeit, dafür in Deutsch-and Regelungen zu schaffen, schlicht verschlafen ha-en.
Wir haben im Deutschen Bundestag den Emissions-andel mehrfach diskutiert, nicht aber auf Antrag vonPD und Grünen und auch nicht deswegen, weil dieselorreiche Bundesregierung irgendetwas vorgelegt ge-abt hätte; wir haben über diese Fragen im Wesentlicheneshalb diskutiert, weil die FDP-Bundestagsfraktionehrere Anträge dazu vorgelegt hatte. Daher werden wiras Emissionshandelsgesetz, das Sie jetzt im Deutschenundestag vorlegen wollen, ganz intensiv und kritischegleiten. Wir nehmen uns das Recht dazu heraus, weilir die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag sind,ie schon vor Jahren einen Antrag vorgelegt hatte, inem vorgeschlagen wurde, wie die Selbstverpflichtunger deutschen Wirtschaft beim Klimaschutz mit demnternationalen Emissionshandel verknüpft werdenann. Damals haben wir Sie aufgefordert, beizeiten die
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Birgit Homburgernötigen Regelungen zu schaffen. Sie haben es nicht ge-tan. Deswegen sind wir jetzt unter Druck und in Schwie-rigkeiten.
Trotzdem werden wir uns jetzt daran beteiligen und unsdas Recht herausnehmen, Herr Kelber, an den Stellen, andenen die Vorlage nichts taugt, es auch deutlich zu ma-chen.
Es spricht Bände, dass der Herr BundesministerTrittin in dieser Debatte nicht ans Rednerpult tritt. Er hatsich hier in einer kurzen Erklärung dahin gehend geäu-ßert, er wolle die Rechte des Parlaments schon irgend-wie wahrnehmen. Wenn man aber die Rechte des Parla-ments wahrnehmen will, meine Damen und Herren vonder Koalition, dann muss man den Gesetzentwurf recht-zeitig vorlegen. Sie wissen, dass bis Ende dieses Jahresdas Gesetz beschlossen sein muss. Bis heute ist es wederim Kabinett beschlossen noch dem Deutschen Bundes-tag vorgelegt. Wir sollen bis Ende März nächsten Jahresden Allokationsplan zu Ende beraten haben. Dafür fehltaber die Grundlage, das Gesetz. Deswegen sage ich Ih-nen in aller Deutlichkeit: Sorgen Sie dafür, dass die Vor-lage schnell eingebracht wird, damit wir wirklich genugZeit haben, darüber zu diskutieren. Nur dann werden dieRechte des Parlaments tatsächlich wahrgenommenwerden können.
Der nationale Allokationsplan ist das Herzstück die-ses Emissionshandels. In ihm geht es um die Anfangs-zuteilung von Emissionsrechten; insofern ist er für dieAnlagen betreibenden Unternehmen von zentraler, he-rausragender Bedeutung. Daher ist die Feststellung indem Antrag, den wir heute diskutieren, zutreffend, dassdie erforderlich werdende staatliche Zuteilung vonEmissionsrechten sowohl die Freiheit der Berufsaus-übung als auch das Grundrecht auf Eigentum wesentlichberührt. Die Forderung, bei so weit reichenden Eingrif-fen die Parlamente maßgeblich einzubeziehen, ist mei-nes Erachtens selbstverständlich. Das betrifft sowohl dieMitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages als auchdie der Länderkammer, des Bundesrates. In diesemPunkt teilt die FDP die Einschätzung des vorliegendenAntrages.Allerdings ist die Schlussfolgerung, die daraus gezo-gen wird, dass der nationale Allokationsplan als formel-les Gesetz rechtlich eigenständig ausgestaltet werdensolle, meines Erachtens nicht zwingend; darüber solltenwir noch einmal reden. Dabei ist es hilfreich, sich in Er-innerung zu rufen, worum es bei dem nationalen Alloka-tionsplan geht: um die konkrete Festlegung der Zutei-lungsmengen für jede einzelne der 4 000 bis 5 000Anlagen in Deutschland, um die Spezifizierung be-stimmter Technologien, um die rechtsverbindliche Be-schreibung von Tätigkeiten in Bezug auf Neuanlagenund Anlagenerweiterungen, um Regelungen zu Anla-gprZddDRgmnsmVuwfWmwhsssPEsvsddmsNwsbdehWzMzHdronVFD
Bei der Ausgestaltung des Gesetzes ist natürlich auchie Frage der Mitwirkungsrechte der Länder zu klä-en. Wir müssen darüber nachdenken, wer den Emissi-nshandel in Deutschland vollziehen soll, also ob es ei-en Zentralvollzug des Emissionshandels gibt oder einenollzug, an dem die Länder beteiligt sind. Das ist eineachfrage, die sehr intensiv diskutiert werden muss.enn es kann nicht sein – das sage ich an dieser Stelle
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Birgit Homburgerausdrücklich –, dass die Handelsrechte vom Bund verge-ben werden und die Länder den Vollzug vorzunehmenhaben. Wenn es dann nämlich zu Streitigkeiten und wo-möglich zu Klagen kommt, sind die Länder die Beklag-ten. Eine solche Konstruktion halte ich für nicht akzepta-bel und für unfair.
Ich freue mich auf die inhaltliche Diskussion überFachfragen. Ich hoffe, dass die Verantwortung, die hierbeibesteht, von allen Fraktionen im Deutschen Bundestaggleichermaßen wahrgenommen wird. Wir müssen diesesThema im Parlament beraten. Auch könnte das Parlamentmal wieder einen Änderungsantrag formulieren.
Das haben wir lange Zeit nicht mehr gemacht. Sie vonRot-Grün sind nämlich dazu übergegangen, alles, wasdie Bundesregierung einbringt, im Schweinsgaloppdurchzuwinken, ohne darüber nachzudenken.
Das können wir uns bei einer solch zentralen Frage nichtleisten.Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass derEmissionshandel ein Erfolg wird, wenn er entscheidendzur Reduzierung von CO2-Emissionen in Deutschlandund der Welt sowie zur Realisierung von Kostensen-kungspotenzialen im Klimaschutz beitragen soll. Wennwir das schaffen, haben wir ein großes Ziel erreicht. Dasmüssen wir aber auch erreichen; denn wenn dieses In-strument durch Missmanagement dieser Regierung andie Wand gefahren wird, dann stehen wir klimapolitischziemlich nackt da.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte mit einer Kritik an der Sprache beginnen, die anuns alle gerichtet ist. Wenn man die Debatte verfolgt,dann hört man Begriffe wie Allokation, Innovation, Effi-zienz, Grenzkosten, Mikroplan oder Makroplan. Wirmüssen aufpassen, dass wir dieses Thema so darstellen,dass die Öffentlichkeit es nachvollziehen kann.
Denn wenn es um Klimaschutz geht, ist es wichtig, zuerklären, warum wir diese Regelungen vorsehen undwelche Ziele wir damit verfolgen. Das darf man nichtvergessen; denn sonst gleitet diese Diskussion in eineTechnokratendiskussion ab, die vielleicht nur eine Handvoll Leute verfolgen kann, die aber niemanden wirklichnoch erreicht.ssimwwwPdwVieGwmhddgmhisdswahdinsKbtEDtdvbbzdh
Wir unternehmen diese Anstrengung aber auch, weilir glauben, dass ökologischer Strukturwandel einichtiger Beitrag zur Lösung unserer wirtschaftlichenrobleme und der Beschäftigungsprobleme ist. Wir iner Bundesrepublik, wir in Europa müssen zeigen, dassirtschaftliche Prosperität auf der einen Seite und daserfolgen ökologischer Ziele auf der anderen Seite Handn Hand gehen können. Dafür ist der Emissionshandelin ganz wichtiger Beitrag.
Wir tun das übrigens auch, weil das ein Beitrag zurlaubwürdigkeit ist. Das knüpft ein wenig an das an,as Uli Kelber gesagt hat. Es geht natürlich darum, dassan auf dem internationalen Parkett bei den Klimaver-andlungen und anderswo wirklich nur dann glaubwür-ig agieren kann, wenn man seine Hausaufgaben erle-igt und zeigt, dass es geht. Dieser Zusammenhang istanz klar.Bei aller Freundschaft zum CDM und zur Joint Imple-entation, also dem Recht, die Maßnahmen auch außer-alb des Landes durchführen zu können, ist zu sagen: Est schön und gut, dass man flexibel ist, wichtig ist aber,ass wir zeigen, dass es geht, dass wir unsere technologi-che und ökonomische Kompetenz in dieser Richtungeiterentwickeln und dass wir keinen Innovationsdruckus dem Kessel herausnehmen, sondern ihn aufrechter-alten. Das ist der Sinn und Zweck des Emissionshan-els.
Ich komme zum Verfahren. Frau Kollegin Homburger,ch muss schon sagen: Das, was Sie sagen, ist einfachicht richtig. Das Europaparlament hat im Juli in ab-chließender Lesung entschieden. Seit Oktober ist es inraft. Wenn ich es richtig sehe, haben wir jetzt Novem-er. Das heißt, die Bundesregierung ist bei der Bearbei-ung rasend schnell.
s ist allerdings ganz klar, dass wir ein Dilemma haben:ie Exekutive muss handeln – es geht um die Erarbei-ung eines nationalen Allokationsplans –, ohne dass esafür eine Grundlage gibt, nämlich ein Gesetz, legislati-es Handeln. Dieses Defizit werden wir sehr bald behe-en. Ich gehe davon aus, dass das Kabinett im Dezembereschließen wird und dass wir uns, nachdem wir wiederusammengekommen sind, im Januar oder Februar mitem Thema beschäftigen können. Insofern kann manier überhaupt nicht den Vorwurf erheben, das Verfahren
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Dr. Reinhard Loskewerde verschleppt oder es sei zu langsam. Es ist ganzwichtig zu sagen: Wir sind in time.Ich komme zu den Zielen. Bei dem Beitrag des Kolle-gen Paziorek in der letzten Debatte habe ich eine ge-wisse Inkonsistenz festgestellt. Einerseits haben Sie ge-sagt, wir brauchten endlich ein Konzept, das weit überden Tag hinausweist, damit alle Investoren Planungssi-cherheit haben. Dazu kann ich nur sagen: Jawohl, dasdauert aber; hierfür muss man eine Perspektive von 20,30 oder auch 50 Jahren ins Auge fassen. Andererseitshaben Sie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz beklagt,dass man sich auf gar keinen Fall Ziele über das Jahr2010 hinaus vornehmen sollte.
Das passt einfach nicht zusammen, das ist nicht logisch.
Deswegen sagen wir: Wir brauchen mittel- und lang-fristige Ziele – zum Beispiel die Reduktion bis zumJahre 2020 um 40 Prozent –, damit wir ein klares Inves-titionsfenster haben. Das ist der Korridor, in dem Inves-titionen getätigt werden können und auch willkommensind. Das ist unsere Botschaft.
Mit den langfristigen Zielen stehen wir keineswegs al-leine. Großbritannien hat sich vor kurzem das Ziel ge-setzt, bis zum Jahre 2050 60 Prozent seiner Emissionenzu reduzieren. Das ist ein ganz zentraler Punkt.Ich gebe Ihnen allerdings Recht: Mit dem Verweis aufmorgen und übermorgen kann man nicht begründen,weshalb man die Ziele von heute leider nicht erreichenkann. Wir müssen aufpassen, dass wir uns kurz-, mittel-und langfristige Ziele setzen. Wenn wir bestimmte Ziele,wie zum Beispiel das 2005-Ziel, nicht erreichen – essieht ja danach aus, dass wir vielleicht bei 20 Prozentund nicht bei 25 Prozent liegen werden –, dann müssenwir genau analysieren, warum das so ist und was geän-dert werden muss, damit wir den Zielen näher kommen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU und der FDP, um einmal ganz ehrlich zu sein:So ganz glaube ich Ihnen Ihre Krokodilstränen bezüglichdes Verfehlens des 25-Prozent-Ziels nicht. Sie habengegen die ökologische Steuerreform, gegen das Erneuer-bare-Energien-Gesetz, gegen das Marktanreizprogrammfür erneuerbare Energien, gegen das 100 000-Dächer-Programm bei der Photovoltaik, gegen das Altbausanie-rungsprogramm und gegen das KWK-Gesetz gestimmt.Das passt nicht zusammen. Man kann nicht einerseitsüber das Verfehlen des Ziels klagen und andererseits im-mer fordern: weniger, weniger, weniger. Sie haben hiereine echte Glaubwürdigkeitslücke. Das haben Sie bei derletzten Wahl ja auch gemerkt.
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ir können dem Antrag der CDU/CSU in dem Punktustimmen, dass Sie ein transparentes Verfahren unterrößtmöglicher Beteiligung der interessierten Öffent-ichkeit fordern.Wir brauchen im Gesetz eine Festlegung der Zielend der Prinzipien. Das unterstützen wir. Wir wollen vorllen Dingen auch, dass die Umweltverbände in diesemialogprozess in angemessener Weise berücksichtigterden; denn sie besitzen sehr große Kompetenz. Da-um geht es uns. Dazu können wir uneingeschränkt Jaagen.Den Teil jedoch, in dem Sie fordern, dass der natio-ale Allokationsplan im Parlament behandelt werdenoll, können Sie nicht ernst meinen. Es geht hier ummissionsrechte für 5 000 Anlagen. Wir sind keine Be-mte, sondern Politiker. Unser Werkzeug ist das Argu-ent, nicht der Rechenschieber. Darüber möchte ich hierm Parlament im Einzelnen wirklich nicht diskutieren.
Ich komme kurz zu einzelnen Punkten. Erstens. Un-ere Position ist, angemessene absolute Reduktionszieleurz- und mittelfristig umzusetzen. Ich habe schon ge-agt, es muss erkennbar sein, dass wir uns auf dem rich-igen Weg befinden.Zweitens. Wir erwarten von der Industrie, dass sie dieugesagte Reduktion des Kohlendioxidausstoßes von5 Millionen Tonnen bis 2010 gegenüber 1998 tatsäch-ich erbringt. Wir haben immer klar gemacht: Die Indus-rie muss sich keine Sorgen machen. Im Rahmen desmissionshandels verlangen wir von der Industrie nicht
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Dr. Reinhard Loskemehr als das, was sie im Zuge der freiwilligen Selbstver-pflichtung in der ersten Verpflichtungsperiode bis 2010zugesagt hat. Wir halten unser Wort. Wir erwarten abervon der Industrie, dass auch sie ihr Wort hält. Das ist ein-deutig.Es darf nicht zu einer Querabwälzung kommen. DieIndustrie darf ihre Kosten nicht anderen aufbürden, so-dass den privaten Haushalten und dem Verkehr überpro-portionale Kosten entstehen. Es muss schon eine ge-wisse intersektorale Gerechtigkeit herrschen. Dafürwerden wir uns einsetzen. Wir erwarten von der Bundes-regierung, dass sie das berücksichtigt.Drittens. Natürlich muss es einen Reservefonds ge-ben; das ist völlig klar. Es wird hoffentlich neue Akteureund neue Unternehmen geben. Aufgrund der Konjunkturund des Strukturwandels entstehen viele Unwägbarkei-ten. Insofern brauchen wir einen Reservefonds. Wir be-trachten es jedoch nicht als Aufgabe des Staates, diesenReservefonds bereitzustellen, sondern dieser muss ausdem gesamten Emissionsbudget aufgebracht werden.Am Ende des Tages wird sowohl im Rahmen der EU-Lastenteilung, des Burden Sharing, als auch des Kioto-Protokolls abgerechnet, um zu sehen: Was haben wir insge-samt erreicht? Wir können nicht einfach Geld zur Verfü-gung stellen; das geht nicht. Ich möchte in diesem Zusam-menhang einen berühmten Oggersheimer Philosophenzitieren: Entscheidend ist, was hinten herauskommt. Ge-nau das ist die Frage.
Wichtig sind für uns auch Privilegien für die Kraft-Wärme-Kopplung; denn sie ist mit die effizientesteForm der Energieerzeugung. Das heißt, wir wollen beider Kraft-Wärme-Kopplung eine wie auch immer gear-tete Form der Bonuszuteilung. Für die Kernenergie leh-nen wir eine pauschale Kompensation ab. Es kann nichtsein, dass den Unternehmen der Kernenergieausstieg ex-tra bezahlt wird.Vor allen Dingen wollen wir – das sagte ich schon – denEmissionshandel mit Bürokratieabbau verbinden, alsoweniger Ordnungsrecht und mehr moderne, effizienteUmweltinstrumente mit einem größtmöglichen Frei-heitsgrad für die Akteure zur Erreichung der Ziele. Ichbin zuversichtlich, dass wir das schaffen werden. Ichfreue mich, dass die Opposition hier Zusammenarbeit si-gnalisiert hat.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wer-den bald eine neue Währung bekommen, eine WährungfepkidgnrsrvuwGrArasPunssAAkk–inRusrBDhsRGdlPsrP
eine Aussage zu Neuanlagenzulassungen und aucheine Aussage zu Reservebildungen und Puffern.
Wenig. – Stattdessen finden sich in nur 23 Paragraphensgesamt zehn Verordnungsermächtigungen.
Auch das Herzstück der nationalen Umsetzung, dieegeln der Allokation, sollen in einer Rechtsverordnungnd nicht in einem Gesetz stehen. Herr Trittin, ich ver-tehe, dass Sie die alleinige Entscheidungsgewalt in Ih-em Haus behalten wollen. Sie umgehen damit aber dieeteiligung des Parlaments.
iese Praxis ist verfassungsrechtlich bedenklich. Nam-afte deutsche Verfassungsrechtler stimmen mir in die-er Aussage zu, zum Beispiel Professor Eckardehbinder von der Universität Frankfurt. Es besteht dieefahr, dass der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzer Anlagenbetreiber beschränkt wird, wenn die Zutei-ungsentscheidung zunächst auf der Grundlage eineslanes und erst später als Verwaltungsakt getroffen wird.Wichtiger im Zusammenhang mit unserem Antrag er-cheint mir jedoch die Entscheidung der Bundesregie-ung, auch die Regeln der Zuteilung ohne Beteiligung desarlaments festzusetzen. Es ist Ausdruck unseres Rechts-
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Marie-Luise Döttstaatssystems, dass solche wesentlichen Entscheidungendurch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber getrof-fen werden. Dieser Gedanke liegt dem verfassungsrechtli-chen Bestimmtheitsgebot in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 desGrundgesetzes zugrunde.Der Grundsatz verlangt, dass sich das gesetzliche Pro-gramm nach Zweck, Art und Umfang aus der Verord-nungsermächtigung ergibt. Um es einfacher zu sagen:Wenn ein Bürger in das TEHG schaut, muss er dem Ge-setz entnehmen können, mit welcher Tendenz und mitwelchem Inhalt das Bundesministerium für Umwelt vonder Befugnis Gebrauch machen kann, den nationalen Al-lokationsplan zu erstellen.
Unter diesem Gesichtspunkt birgt die Verlagerung derRegelungsgewalt auf die Exekutive zweierlei Probleme.Zum einen kommt der angesprochene Systemwechsel imTEHG nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Aus-druck. Zum anderen ist aus dem Gesetzentwurf nicht zuerkennen, wie die Frage der Zuteilung der Zertifikatedurch den Verordnungsgeber angegangen werden soll.Das Gesetz lässt also völlig offen, wie der nationale Al-lokationsplan aussehen soll. Die zentralen Fragen derErstzuteilung, der Behandlung von early actions und desMarktzugangs für Neuanlagen sind in dem Entwurf zumTEHG nicht hinreichend bestimmt.Da keine aussagekräftigen Kriterien genannt werden,ist nicht erkennbar, in welcher Richtung die Regelungdurch das Umweltministerium erfolgen soll. Dabei ent-scheidet der nationale Allokationsplan über Wohl undWehe der betroffenen Unternehmen. Er legt fest, wel-ches Unternehmen wie viele Zertifikate bekommt. Da-mit werden den Betrieben wirtschaftliche Entfaltungs-möglichkeiten direkt zugestanden oder aber auchversagt.Wir fordern Sie daher auf, die wesentlichen Fragen dernationalen Ausgestaltung nur mit Beteiligung des Parla-ments zu treffen. Sie, Herr Minister Trittin, scheinen auchso langsam zu dieser Einsicht zu kommen. Der von derRechtsprechung entwickelte Wesentlichkeitsgrundsatzverpflichtet Sie dazu. Verlagern Sie die wesentlichen Ent-scheidungen nicht auf die Verordnungsebene, sondern ge-stalten Sie den nationalen Allokationsplan als formellesGesetz!Ich bin gespannt auf Ihren Gesetzentwurf, den Sie fürDezember angekündigt haben. Aber erlauben Sie mir, indieser Sache sehr skeptisch zu sein.
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Professor Ernst
Ulrich von Weizsäcker von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!Ich suche zunächst einmal nach den gemeinsamen Punk-ten. Das heutige Beratungsziel ist die Überweisung andie zuständigen Ausschüsse. Darin sind wir uns sicher-lssbßAzhAWtmvgnvwtssmsidzneRa–EDPDgLdHTEFdsug
Für die Planungssicherheit ist der mit der Senkung dermissionen auf 846 Millionen Tonnen CO2 eingezogeneeckel notwendig. Der Markt erlaubt keine wirklichelanungssicherheit; das ist der Sinn der Marktwirtschaft.
arüber kann man sich nicht beim Ministerium bekla-en.Ich bin aber sehr froh darüber, dass zum Beispiel Herrippold die Festlegungen durch das Kioto-Protokoll undie EU-Richtlinie ausdrücklich begrüßt hat, dass sicherr Paziorek in der Diskussion zum vorhergehendenagesordnungspunkt zum Anwalt der erneuerbarennergien gemacht hat – das ist sehr erfreulich – und dassrau Homburger die Rolle der FDP bei der Entwicklunges Grundgedankens des Emissionshandels herausge-tellt und die Notwendigkeit der Effizienztechnologiennd – im Zusammenhang mit den erneuerbaren Ener-ien – auch der Speichertechnologien betont hat. Ich
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Dr. Ernst Ulrich von Weizsäckerhabe den Eindruck, dass es einen breiten Spielraum füreine Einigung gibt.Konkret werden wir den Antrag in den zuständigenAusschüssen einschließlich des Umweltausschusses be-raten. Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Beratun-gen zu einer Stärkung des Parlaments in den Grundsatz-fragen führen.Der Emissionshandel ist insgesamt ein Novum. Dashat Frau Dött sehr zutreffend dargestellt. Gleichzeitigstehen wir unter einem von außen erzeugten enormenZeitdruck. Das impliziert für den Gesetzgeber und dasMinisterium, sich zunächst pragmatisch auf das zu be-schränken, was wenigstens einigermaßen einfach unddurchschaubar ist. Darin liegt der Sinn des nationalenAllokationsplanes, den auch die anderen europäischenLänder erstellen müssen. Das stellt eine in pragmatischerHinsicht unvermeidliche Selbstbeschränkung auf einenBereich des Klimaschutzes dar, in dem man es mit weni-gen großen Akteuren zu tun hat. 5 000 Akteure sind rela-tiv wenig.Auf die Dauer wird aber der Klimaschutz nicht kosten-günstig möglich sein, wenn nicht auch die Millionen vonkleinen Akteuren berücksichtigt werden, die bisher nichtsvon einer Verwirklichung des nationalen Allokations-planes haben. Es muss den Bundestag auf die Dauer inte-ressieren, wie wir den Strukturwandel über die großenAkteure hinaus ausdehnen und den Preis, der den CO2-Emissionen jetzt zugewiesen wird, transparent machenkönnen. Das muss zum Teil mit anderen Instrumenten alsmit einem nationalen Allokationsplan geschehen. Aberdas muss jedenfalls im Visier der Energiepolitik sein.Heute früh ist schon darauf hingewiesen worden, dasswir in diesem Jahrzehnt vor grundlegenden energiepoli-tischen Entscheidungen stehen und dass es in den kom-menden Jahren – vielleicht anderthalb Jahrzehnten – not-wendig sein wird, etwa 40 000 Megawatt der heutigenKraftwerkskapazität zu ersetzen, weil zahlreicheKraftwerke aus Altersgründen vom Netz genommenwerden müssen. Die entscheidende Frage ist, wie dieseKapazitäten ersetzt werden sollen. Eine Möglichkeit ist– diese wird von den Kraftwerksbetreibern ständigpropagiert –, effizientere Kraftwerke, zum Beispiel Gas-Dampf-Kombinationskraftwerke, zu bauen. Hier ist dieArena für den Emissionshandel nach dem nationalen Al-lokationsplan; das ist auch richtig so.Nach meiner Vision können so aber nur 40 Prozent der40 000 Megawatt ersetzt werden. Weitere 20 Prozent kannman durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen abde-cken; auch das ist in der Zielsetzung. Die restlichen 40 Pro-zent sollten durch die Steigerung der Endnutzereffizienzerzielt werden, die bisher kaum im Gespräch ist. Das be-trifft also die Haushalte und den Verkehr. Natürlich sinddie großen Energieverbraucher in Industrie und Gewerbeschon jetzt einbezogen. Wir müssen uns also zusätzlichin eine andere große Arena begeben, wenn wir die ener-giepolitischen Entscheidungen dieses Jahrzehnts mitVernunft und einer langfristigen Zielsetzung angehenwollen.Ich glaube, es war Herr Kelber, der darauf hingewie-sen hat, dass es nicht angeht, dass sich eine große Bran-csDenuaWeGFbeMefehCmdzslFEudbhUbDnsgEeshsi
Ich freue mich sehr auf die Debatte über den imrundsatz sehr vernünftigen Antrag der CDU/CSU-raktion auf parlamentarische Beteiligung an der Erar-eitung eines nationalen Allokationsplans. Ich bin sehrrfreut und auch beruhigt über die Auskunft des Herrninisters, dass er selbstverständlich das Parlament, wies sich gehört, im Zusammenhang mit der Ermächtigungür eine Verordnung in die Beratungen über den Entwurfines Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes einbezie-en will.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Petzold von der
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-en und Herren! Leider sind die Vorstellungen der Bun-esregierung zur Umsetzung eines nationalen Emissions-uteilungsplanes – um das einmal so auszudrücken – nochehr im Dunkeln und sorgen gerade in den neuen Bundes-ändern für erhebliche Unruhe. Immer wieder werdenragen nach der Berücksichtigung von bereits erbrachtenmissionsminderungen, den so genannten early actions,nd deren Vorhaltemöglichkeit an mich gerichtet.Wenn wir ohne Voreingenommenheit zurückblicken,ann stellen wir fest: Die beträchtlichen Minderungeneim CO2-Ausstoß, die Deutschland seit 1990 erreichtat, wurden im Wesentlichen durch den schmerzlichenmbau der Wirtschaft in den neuen Bundesländern er-racht.
es Weiteren wurden dort Betriebe zum großen Teilach dem neuesten Stand der Technik errichtet, sodassie kaum noch über Minderungspotenziale bei Klima-asen verfügen. Durch eine restriktive Zuteilung vonmissionsrechten würde in den neuen Bundesländernin Zustand verfestigt, der dort eine selbst tragende Wirt-chaft auf Dauer verhindern und diese Länder zu dauer-aften Subventionsempfängern machen würde. Aus die-er Situation würden sie nicht wieder herauskommen.Es liegt bei der Zuteilung von Emissionsrechten daherm gesamtstaatlichen Interesse, die den Mitgliedstaaten
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Ulrich Petzoldvon der Europäischen Union eingeräumten Ermessens-freiräume zu nutzen. Diese Freiräume bestehen zum Bei-spiel bei den als early actions bezeichneten Vorleistun-gen, bei einer für die wirtschaftliche Entwicklungnotwendigen Zertifikatsreserve und beim Banking, alsoeinem Ansparen von Emissionszertifikaten.Das Gutachten von Professor Arndt von der Universi-tät Mannheim zeigt uns exemplarisch auf, wie weit wirbei der Gestaltung dieser verteilungspolitischen Aspektein unseren nationalen Gesetzen und Verordnungen gehenkönnen, um Verwerfungen in unserer Wirtschaft zu ver-meiden.
Er greift unter anderem vier Problemfelder auf, auf de-nen sich die Bundesregierung im Hinblick auf ihr weite-res Handeln anscheinend noch unschlüssig ist und aufdenen sie in streitiger Diskussion mit den betroffenenLändern steht.Erstens. Der Zeitpunkt, ab dem early actions als Vor-leistungen für den Klimaschutz angerechnet werden soll-ten, sollte sich eindeutig auf das Jahr 1990 beziehen.Wie könnte die Bundesrepublik eine CO2-Minderung be-zogen auf das Jahr 1990 abrechnen, wenn man diesesJahr nicht gleichzeitig als Basisjahr ihres nationalen Al-lokationsplanes festlegte?Zweitens. Professor Arndt fordert in seinem Gutach-ten geradezu einen Vertrauensschutz für early actions in-folge der strikten Klimavorsorgeanforderungen in derBundesrepublik an die Wirtschaft bereits seit Anfang der90er-Jahre. Eine Gleichstellung von Vorreitern undNachzüglern im Klimaschutz verbietet sich danach sogarin Anbetracht von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. EineGleichbehandlung von Ungleichen würde jeden Vertrau-ensschutz und jede zukünftige Aktivität von Vorreiterntorpedieren. Auch bereits erfolgte Stilllegungen müsstenals Klimaschutzvorleistungen anerkannt werden, wennBetreiber zukünftiger Stilllegungen mit ihren Zertifika-ten handeln dürften. Im Zweifel müssten die Klima-schutzvorleistungen durch bereits erfolgte Stilllegungeneiner Reserve der förderungsbedürftigen Länder zuge-führt werden, die einer Ausstattung von Neuansiedlun-gen dient.Drittens. Ich trete der Auffassung energisch entgegen,dass beihilferechtliche Bestimmungen einer Zuteilungbei early actions entgegenstehen. Diese Zuteilungen er-folgen kostenlos und ohne Belastung des Staatshaushal-tes. Damit sind wesentliche Voraussetzungen für die Be-wertung als Beihilfe nicht gegeben. Außerdem bedeutetdie Einführung des Zertifizierungsmodells für ein Unter-nehmen nicht von vornherein einen Vorteil, sondern isteher eine Belastung, die von uns nicht künstlich zu ei-nem Vorteil schöngeredet werden sollte.Viertens. Ein Banking, also eine Übertragung vonVorleistungen in eine nachfolgende Handelsperiode,sollte für uns – da es für spätere Phasen zwingend zuge-lassen wird – auch für den Übergang von der ersten zurzweiten Handelsperiode gelten. Es wäre unverständlich,wenn Unternehmen, die ihre Emissionen durch die Mo-dernisierung von Anlagen um mehr als zwei Drittel ge-mhPsgBmRrvhdMsFdDPtwgwsmnisZwüwhvRdczKsdJS
Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt
om Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kanadaat verkündet, dass es aufgrund von Naturkatastropheneutliche wirtschaftliche Einbußen hinnehmen musste.it Naturkatastrophen waren Dürren, Stürme und Kata-trophen im Zusammenhang mit landwirtschaftlichenehlplanungen gemeint. Auch uns in Deutschland habenie Folgeschäden der Überschwemmungen und derürre getroffen. Diese Schäden sind wirtschaftlich keineeanuts mehr, sondern kommen uns mittlerweile richtigeuer zu stehen.Wenn wir den Klimaschutz nicht ernst nehmen undenn wir das Anwachsen des Treibhauseffekts nicht be-renzen können, dann hat das tatsächlich weitreichendeirtschaftliche Konsequenzen und kann auch Wirt-chaftssysteme sehr stark gefährden. Deswegen ist Kli-aschutz keine grüne Spielwiese – wir machen dasicht, um Menschen zu ärgern –, sondern Klimaschutzst eine objektive Notwendigkeit.
Hier wird immer Planungssicherheit eingefordert,peziell im Emissionshandel, aber auch allgemein für dieukunft. Wer dies fordert, muss die Grünen unterstützen,enn sie sagen: Wir brauchen neue Klimaschutzzieleber das Jahr 2010 bzw. 2012 hinaus. Nur dann, wennir Klimaschutzziele festlegen, gibt es Planungssicher-eit. Ansonsten wird aufgrund der geschilderten objekti-en Notwendigkeit, die sich Bahn brechen wird, jedeegierung ruckartig handeln müssen und dann entstehtas Gegenteil von Planungssicherheit. Wer Planungssi-herheit einfordert, der muss sich also auch dafür einset-en, dass wir uns auf nationale und auf europäischelimaschutzziele über die jetzt bestehenden hinaus ver-tändigen.Die Basis dafür kann natürlich die objektive Notwen-igkeit sein. Die objektive Notwendigkeit ist, bis zumahr 2020 die Treibhausgasemissionen gegenüber demtand von 1990 um 40 Prozent zu reduzieren.
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Michaele HustedtÜber einen Eckpunkt haben wir vorhin schon disku-tiert: Die erneuerbaren Energien sollen zukünftig 20 Pro-zent der Energieversorgung sicherstellen. Es wurde da-rauf hingewiesen, dass es sehr notwendig ist, bis dahineine absolute Energieeinsparung von mindestens 10 Pro-zent durchzusetzen. Wenn wir aus der Atomkraft ausge-stiegen sein werden, wird für die fossilen Energieträgerim Jahr 2020 ein Anteil von circa 70 Prozent bleiben.Das bedeutet: Wenn wir ambitionierte Klimaschutz-ziele durchsetzen wollen, dann müssen wir in dem Be-reich eine drastische Effizienzsteigerung durchsetzen.Das entscheidende Instrument dafür ist der Emissions-handel. Jetzt müssen die Hälfte der Kraftwerkskapazitä-ten in Deutschland und 200 000 Megawatt in der Euro-päischen Union ersetzt werden. Da muss derEmissionshandel dafür sorgen, dass es im neuen Kraft-werkspark zu drastischen Einsparungen von CO2kommt. Das ist auch möglich. Ersetzt man ein altes Koh-lekraftwerk durch ein neues, kann man 30 Prozent CO2einsparen. Ersetzt man ein altes Kohlekraftwerk durchein Gaskraftwerk, kann man 50 Prozent CO2 einsparen.Ersetzt man ein altes Kohlekraftwerk gar durch einKraftwerk mit Auskopplung von Wärme, also durch einKraftwerk, bei dem man die Wärme für die Stromerzeu-gung nutzt, dann kann man 80 bis 90 Prozent der CO2-Emissionen einsparen. Das heißt, das Ziel 40 ProzentCO2-Reduktion, also Klimaschutz, und der Atomaus-stieg sind miteinander vereinbar.Wir brauchen eine Vielfalt der Technologien inDeutschland. Wir brauchen Deutschland als Schaufens-ter auch für den Export. Weltweit wird der Energiever-brauch um 30 Prozent steigen. Angesichts dessen sindTechnologien gefragt. Es müssen moderne Technologiensein. Moderne Technologien sind Klimaschutztechnolo-gien. Da wollen wir alles im Einsatz haben: die Kraft-Wärme-Kopplung, die Brennstoffzelle, die Mikrotur-bine, die Blockheizkraftwerke und die gesamte Paletteder erneuerbaren Energien.Ein Problem wird sein, den Emissionshandel mit derFörderung der Kraft-Wärme-Kopplung zu verzahnen.Auf gar keinen Fall darf es durch den Emissionshandeleine Benachteiligung der Kraft-Wärme-Kopplung ge-ben. Was den Strom angeht, so sinkt der Effizienzgradzwar etwas, insgesamt allerdings wird der Energieträgeroptimaler ausgenutzt.Eine spezielle KWK-Regelung ist unabdingbar. Siemuss Lösungen bringen, ohne dass es zu einer Überfrach-tung des Systems kommt. Ein optimaler Weg wäre eineBefreiungsregelung für den Brennstoffeinsatz, der derWärmeerzeugung zuzurechnen ist. Ob das im Rahmender EU-Richtlinie machbar ist, muss man überprüfen.Wir werden uns das Ergebnis des Emissionshandelsangucken und werden genau prüfen müssen, ob auch einausreichendes Signal gesetzt wird, Kraft-Wärme-Kopp-lung in diesem Land tatsächlich zu fördern. Wenn derEmissionshandel dazu nicht ausreicht, dann wird mannachgelagert im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zusätz-liche Anreize setzen müssen.Ich sage abschließend: Der Emissionshandel wird ne-ben dem EEG zu einem zentralen Instrument werden,uzdgdrmmhaltrhDvlfDgtKcGnvÜhsc–ErgWdS
Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt-Dieter Grill von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Ich würde gerne die Gelegenheit nutzen, bevor ichich mit dem nationalen Allokationsplan und der Kli-apolitik im europäischen Kontext auseinander setze,ier festzuhalten, dass Sie, Herr Kelber, meiner Frageusgewichen sind. Ich möchte hier auch für die Öffent-ichkeit noch einmal deutlich machen, dass Ihre Behaup-ung, dass Produzenten von Solarzellen vor dem Regie-ungswechsel 1998 Deutschland den Rücken gekehrtaben, schlicht und einfach falsch ist.
er damalige Minister Rüttgers hat nämlich noch kurzor der Wahl die Grundsteinlegung von zwei Solarzel-enfabriken begleitet.
Weiterhin haben Sie, Herr Kollege Kelber, auf die Er-olge der Klimaschutzpolitik in der Bundesrepublikeutschland abgehoben. Ich möchte Sie dabei auf fol-ende Dinge hinweisen:Erstens. An der Bilanz, die Sie jetzt vorlegen können,rägt die Klimaschutz- und Energiepolitik der Regierungohl und der CDU/CSU-FDP-Koalition einen erhebli-hen Anteil.Zweitens. Die internationalen Vereinbarungen, die dierundlage für Kioto bildeten, sind eine Folge der inter-ational engagierten Entwicklungs- und Umweltpolitikon Helmut Kohl, Klaus Töpfer und Angela Merkel.berhaupt nur auf diesen Fundamenten können Sie übereutige Erfolge in Deutschland reden. Sie bilden die Ba-is dafür, dass es überhaupt eine international verbindli-he Klimaschutzpolitik geben kann.
Ich sage das nur deswegen, weil Sie hier immer denindruck zu erwecken versuchen, die Ära der erneuerba-en Energien und der Klimaschutzpolitik hätte 1998 be-onnen.
enn Sie das nicht ständig wider besseres Wissen wie-erholten, bräuchte ich eine solche Bemerkung an diesertelle nicht zu machen.
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Kurt-Dieter GrillDrittens. Sie beklagen beredt die Haltung der europäi-schen Automobilwirtschaft und -industrie. Ich teile dieseEinschätzung und kritisiere sie auch. Vielleicht setzenSie aber an dieser Stelle einmal Ihren Autokanzler in Be-wegung, der immer dann aufgetreten ist, wenn es darumging, wirtschaftliche Belastungen von der Automobilin-dustrie fern zu halten. Das ist meine herzliche Bitte. Siehaben ja alle Möglichkeiten dafür, wenn ich mir be-stimmte Habita des Herrn Bundeskanzlers anschaue.
Viertens. Ich habe zwar eine Reihe von Argumentenfür die Energiepolitik dieser Koalition und der Bundes-regierung gehört, aber ein schlüssiges Konzept dazu, wieder Ausstieg aus der Kernenergie ökonomisch ver-nünftig und CO2-neutral durchgeführt werden kann, ha-ben Sie auch heute hier nicht vorgetragen. Das könnenSie nämlich nicht.
In dieser Woche sind 17 Milliarden für die deutscheSteinkohle auf den Tisch gelegt worden. Frau Hustedthat hier über 70 Prozent fossile Kraftwerke – vorgesternwaren es noch 80 Prozent – geredet. Ich bin ja durchausder Meinung, dass das eine der Möglichkeiten ist,möchte dazu aber zwei Anmerkungen machen: Wenndiese Kraftwerke den Anteil der Kernkraftwerke kom-pensieren sollen, dann müssen Sie zunächst sagen, dassdadurch mehr CO2 ausgestoßen wird.
– Aber natürlich. – Weiterhin sollten Sie sich in dieserBundesregierung dann dazu entschließen, gemeinsammit Nordrhein-Westfalen ein modernes, hocheffizientesKohlekraftwerk zu bauen. Das müssen wir ja überhaupterst einmal erproben, denn wir haben in Deutschland aufdiesem Sektor sozusagen einen Negativtrend, weil es inDeutschland keinen Kraftwerkshersteller mehr gibt. Wirmüssen daher erst einmal Technologien für hocheffi-ziente Kohlekraftwerke erproben.
Im Haushalt sind für die Forschung zur Energiegewin-nung aus Kohle nur 10 Millionen Euro vorgesehen. Dassteht doch in keinem Verhältnis zu den 17 MilliardenSubventionen für die Steinkohle.Herr Minister Trittin sprach ja eben davon, dass seineEnergiepolitik auf drei Säulen basiere: erneuerbareEnergien, Einsparungen und Effizienzsteigerung. Ichwill mich an der Stelle gar nicht mit der Frage der erneu-erbaren Energien auseinander setzen, denn die DefiziteIhrer Politik liegen in den Punkten Effizienzsteigerungund Energieeinsparung. Das können Sie unter der Handvon jedem besseren Umweltverband in Deutschland hö-ren.Ihr Kollege Müller hat vor dem Regierungswechsel1998, als Sie noch in der Opposition waren, gesagt:Wenn wir an der Regierung sind, werden wir bis 2010einen Rückgang der Emissionen um 30 Prozent errei-chen; das schaffen wir locker. – Ihre Bilanz ist, gemes-slit–rDmüwDmisoBduüdlWwkasd–zb–svdeWwg
Wir müssen uns über die Förderinstrumente unterhal-en. Die KfW-Programme werden nicht akzeptiert.
Lieber Herr Loske, wir haben uns gerade, auch im Bei-at der Dena, über den Erfolg dieser Dinge unterhalten.enken Sie bitte auch an die Situation im Hausbau. Wirüssen über den Gebäudebestand reden – das will ichberhaupt nicht bestreiten – und sicherlich mehr tun, alsir bis 1998 gemacht haben; das gebe ich freimütig zu.ie Versuche unserer damaligen Umweltgruppe, etwasehr zu machen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Aberm Neubau setzen Sie – ich sage das nicht als Vorwurf;etzen wir, wenn Sie so wollen – die Energieeinsparver-rdnung nicht um. Nach den Untersuchungen zu diesemereich genügen maximal 40 Prozent der Neubautenem Anspruchsbereich von Wärmeschutzverordnungnd Energieeinsparverordnung. Deswegen müssen wirber das Ganze noch einmal nachdenken.Wir haben über den Export gesprochen. Gerade iniesen Tagen ist deutlich geworden, dass Ihre Exportpo-itik gescheitert ist.
ir haben Ihnen von dieser Stelle aus gesagt, dass das,as Sie planen, zu bürokratisch ist und nicht greift. Ichann nur sagen: Wer will, dass erneuerbare Energien undndere Technologien aus Deutschland Exportschlagereien, der muss auch die Weichen dafür stellen, dassiese in der Welt akzeptiert und gekauft werden.
Ich bin dabei, mich mit Ihren Argumenten auseinanderu setzen, Herr Kelber. Wenn Sie das nicht gemerkt ha-en, kann ich nichts dafür.
Zu diesem Antrag ist hier vieles gesagt worden. Ichetze mich mit Ihren Argumenten auseinander. Aberielleicht können Sie das ja nicht ganz begreifen.
Der Kioto-Prozess steht – deswegen ist es notwen-ig, dass wir uns im Parlament mit diesen Fragen aus-inander setzen – möglicherweise vor dem Scheitern.enn aus den USA ähnliche Nachrichten gekommenären, wie wir sie diese und letzte Woche aus Russlandehört haben, nämlich dass das russische Parlament das
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Kurt-Dieter GrillKioto-Protokoll nicht ratifizieren will, dann hätten Siesich heute Morgen an diesem Pult in Ihrer Kritik anBush und den USA und der Verletzung der internationa-len Verpflichtungen in der Klimapolitik überboten. Siewissen genauso gut wie ich, dass es bei der Frage, obRussland das Kioto-Protokoll ratifiziert oder nicht, ummehr geht als um die Frage, ob ein Land ratifiziert: Esgeht darum, ob diese Vereinbarung völkerrechtlich ver-bindlich wird oder nicht.Wenn wir in diesem Zusammenhang über die natio-nale Umsetzung europäischer Politik reden, müssen wirzwei Ereignisse berücksichtigen, die bedauerlicher-weise passiert sind: Erstens. Auf dem deutsch-russischenGipfel ist über das Kioto-Protokoll überhaupt nicht gere-det worden. Zweitens. Wir haben mit Entsetzen festge-stellt, dass Herr Berlusconi als Ratspräsident gegen alleRegeln verstoßen hat. Die Folge ist, dass in dem Proto-koll von Russland und Europa das Wort Kioto überhauptnicht auftaucht, geschweige denn die Ratifizierung die-ses Protokolls durch Russland. Somit befinden wir unsin der katastrophalen Situation, dass wir zwar über einePolitik reden, die im Kern, auch bezüglich der markt-wirtschaftlichen Komponenten, richtig angelegt ist – daswill ich hier ausdrücklich betonen –, aber in eine Wett-bewerbssituation geraten, die sich angesichts der außen-wirtschaftlichen Entwicklung für die deutsche Wirt-schaft negativ darstellt. Zudem wird dadurch auch dieFrage der Entwicklungspolitik berührt; denn wenn dasKioto-Protokoll völkerrechtlich nicht verbindlich wird,werden Joint Implementation und CDM massiv berührt.
Deswegen müssen wir von dieser Stelle aus die russi-sche Regierung, aber auch unsere Kollegen in der russi-schen Duma nachhaltig auffordern, die Ratifizierungnicht zu verweigern. Russland braucht – das weiß ichaus persönlicher Erfahrung – einen solchen Strategie-wandel, und zwar vor dem Hintergrund dessen, was hiervorgetragen worden ist, nur umgekehrt: Die Russen ha-ben offensichtlich geglaubt, sie könnten mit dem Ver-kauf von CO2-Emissionszertifikaten Geld verdienen.Jetzt aber gibt es in Russland Wirtschaftswachstum. –Eine Nebenbemerkung: Wenn wir das Wachstum hätten,von dem Sie träumen, dann müssten wir über eine ganzandere CO2-Bilanz in diesem Lande reden. – Aufgrundihres Wachstums benötigen die Russen ihren Emissions-anteil selber und können daher mit dem entsprechendenHandel von Zertifikaten kein Geld mehr verdienen.Wenn Joint Implimentation und CDM als ein Elementder kostengünstigeren Emissionsbeseitigung ausfallen,dann schaffen wir ein ökonomisches Problem, was dieKosten der CO2-Politik in der Europäischen Union an-geht.
Es war deshalb ausgesprochen gut, Herr Kollege vonWeizsäcker, dass Sie deutlich gemacht haben, dass es zueinem Dialog im Umweltausschuss und in den anderenGremien des Deutschen Bundestages kommen wird. Ichkann nur hoffen, dass unser Antrag die Basis dafür ist,das Parlament in dieser Frage angemessen zu beteiligen.dM–KlAidgwsWdjAtlisvSanfdrbcdspsv
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!an kann zum Ende dieser Debatte feststellen, dass sie das gilt zumindest für den Zeitraum bis zur Rede desollegen Kurt-Dieter Grill –, weitgehend sachlich ver-ief. Viele haben sogar zum Thema gesprochen.
uch ich will das versuchen und deshalb eine Änderungm Stil im Vergleich zum letzten Redebeitrag einführen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Emissionshan-el ist in der Tat ein völlig neues Instrument, das eine sehrroße Chance bietet. Wenn dieses Instrument gut ent-ickelt wird – der Allokationsplan, über den heute ge-prochen wird, ist da natürlich eine ganz entscheidendeeichenstellung –, dann haben wir eine große Chance,ass es ein sehr integratives Instrument sein kann. Ichedenfalls glaube, dass wir im weiteren Verlauf – nicht amnfang des Prozesses der Entwicklung dieses Instrumen-es – die Möglichkeit haben, unser gesamtes energiepo-itisches Instrumentarium daraufhin zu überprüfen,nwieweit nicht manches in Zukunft durch den Emis-ionshandel erledigt werden kann, was bisher mithilfeon Einzelinstrumenten erledigt werden musste.Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass diePD-Bundestagsfraktion einer Aufforderung, die vonnderen Fraktionen gelegentlich an sie gestellt wurde,achgekommen ist und eine energiepolitische Agendaormuliert hat. Damit wird der Versuch unternommen,ie verschiedenen energiepolitischen Themen und He-ausforderungen der nächsten Zeit miteinander zu ver-inden und daraus ein ganzheitliches Konzept zu ma-hen.
Dass wir im Instrument des Emissionshandels auchie Chance sehen, Themen miteinander zu verbinden,ehen Sie daran, dass der Emissionshandel in diesem Pa-ier eine besondere Erwähnung findet. Ich will die ent-prechende Stelle, die Ihre Forderung aufgreift, einmalorlesen:Bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Handelmit Treibhausgasemissionen werden wir die mit denflexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls er-möglichten kostengünstigen CO2-Minderungsstra-tegien mit industrie- und strukturpolitischen Wert-schöpfungsaspekten verbinden. Wir werden diesespotenziell hocheffiziente Instrument so einsetzen,
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Rolf Hempelmanndass gleichzeitig auch standortpolitische Aspektesowie die nationalen Vorleistungen berücksichtigtund internationale Wettbewerbsverzerrungen ver-mieden werden. Dabei ist sicherzustellen, dass derEmissionshandel mit den weiteren existierendenbzw. vorgesehenen nationalen und internationalenKlimaschutzmaßnahmen so harmonisiert wird, dassein optimaler Beitrag zur Bewältigung der globalenAufgabe des Klimaschutzes geleistet wird.
Ich denke, hieran wird deutlich, dass vieles von dem,was von den verschiedenen Fraktionen zu Recht ange-sprochen worden ist, auch von uns als Aufgabe im Rah-men des Emissionshandels und seiner Entwicklung gese-hen wird.Ich freue mich im Übrigen – auch das darf ich hier sa-gen –, dass auch der Koalitionspartner, die Grünen, einEnergiekonzept entworfen und in dieser Woche verab-schiedet hat. Wir können dort, wie ich gehört habe, eineVielzahl an Schnittmengen entdecken und werden versu-chen, daraus etwas Gemeinsames zu entwickeln.Das Bundeswirtschaftsministerium hat uns gestern imWirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages mitge-teilt, dass auch die beiden bei Energiefragen federfüh-renden Häuser, also das Wirtschaftsministerium und dasUmweltministerium, sich über ein gemeinsames Ener-giekonzept abstimmen werden. Damit entspricht dieseBundesregierung einer lange formulierten Forderung so-wohl aus dem Parlament als auch aus dem außerparla-mentarischen Raum. Ich freue mich sehr darüber.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Emis-sionshandel soll die Kosten für den Klimaschutz, insbe-sondere in den Industrieländern, deutlich verringern. Dasist der eigentliche Grund, warum die Industrieländer, fe-derführend die USA, dieses Instrument sozusagen erfun-den haben. Und es ist schon interessant, dass auch großetransnationale Konzerne dieses Instrument seit Jahrenentwickeln und konzernintern ausprobieren. Wenn derVorstand von BP Deutschland im Rahmen einer Sitzungdes Umweltausschusses des Deutschen Bundestagessagt, der Emissionshandel „erbringt klimapolitische Effi-zienz im volkswirtschaftlichen Schongang, spürbarerKlimaschutz zu spürbar geringeren Kosten“, sollte unsdas jedenfalls insgesamt zuversichtlich stimmen und unsveranlassen, dieses Instrument jetzt auch bei uns zu ent-wickeln.Einige Redner haben darauf hingewiesen, dass wir imZusammenhang mit dem Emissionshandel auch JointImplementation und Clean Development Mechanismsintegrieren müssen. Ich denke, das ist in der Tat aucheine große Chance dieses Instrumentes. Es ist eben nichtnur ein nationales, sondern es ist ein international ange-legtes Instrument.Schon im Zusammenhang mit dem klassischen Um-weltschutz kennen wir die Grenzkostenproblematik undwGmieisDRdwvfdeIÜdbArRbbnheWguSheswzWleendisa
Einige Stichworte, die ich noch aufgreifen will, sindon verschiedenen Rednern aller Fraktionen hier eben-alls genannt worden. Ich denke, es ist von zentraler Be-eutung, dass bei der Umsetzung des Allokationsplansine ausgewogene Makro- und Mikroallokation gelingt.ch will hier auch deutlich sagen: Ich bin der festenberzeugung, dass wir als Parlament insbesondere beier Makroallokation ein deutliches Wort mitzureden ha-en. Deswegen begrüße ich ausdrücklich die heutigenkündigung von Minister Trittin, dass auch die Regie-ung die Auffassung teilt, insbesondere die wesentlichenegeln des Emissionshandels seien durch den Gesetzge-er, also durch uns, zu definieren. Ich denke, das ist eineerechtigte Forderung, in der sich die Fraktionen in kei-er Weise voneinander unterscheiden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Emissions-andel und mit dem jetzt vorzulegenden Allokationsplanröffnen wir vor allen Dingen Chancen für die deutscheirtschaft. Natürlich sind wir in einer Phase offener Fra-en. Es gibt zurzeit den Dialog innerhalb der Branchennd den Dialog der Branchen mit der Bundesregierung.icherlich gibt es auch unterschiedliche Interessen inner-alb der deutschen Wirtschaft. Wer in Veranstaltungen,twa mit dem BDI, über den Emissionshandel redet,pürt das. Es gibt nicht das homogene Interesse daran,ie denn der Emissionshandel und der Allokationsplanu organisieren sind. Es geht hier um Verteilung.Deshalb gilt, was der Kollege Kelber eben gesagt hat:er dann, wenn ein Vorschlag zum Allokationsplan vor-iegt, anderer Auffassung ist, muss nicht nur sagen, wor jemanden entlasten will, sondern muss auch sagen, wor dann belasten will. Das ist eine Forderung, die nichtur den Koalitionsfraktionen, sondern allen Mitgliedernieses Hauses gilt. Ich denke, das macht die Diskussionm Deutschen Bundestag in den nächsten Monaten be-onders spannend.Die Opposition ist hier zu konstruktiver Mitarbeitufgefordert. Ein bloßes Nein reicht nicht.
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Rolf HempelmannIch glaube aber, in dieser Debatte einige Stimmen gehörtzu haben, die deutlich machen: Es gibt – jedenfalls inTeilen der Opposition – durchaus Bereitschaft zur Mitar-beit.Abschließend ein Wort zu Russland: Es ist richtig,dass wir Besorgnis darüber haben müssen, dass in Russ-land – jedenfalls zurzeit – keine Bereitschaft zu erken-nen ist, das Kioto-Protokoll und die Energiecharta zu un-terzeichnen. Auch die deutsche Bundesregierung istgefordert, im Dialog mit Russland deutlich zu machen,dass wir eine bestimmte Erwartung an Russland haben.Aber genauso falsch wäre es, daraus abzuleiten, dass wirim Deutschen Bundestag so lange die Hände in denSchoß legen, bis dieses Problem gelöst ist.
Eine „Arbeitsniederlegung“ im Deutschen Bundestaghilft uns in dieser Sache überhaupt nicht weiter.Insoweit ist es begrüßenswert, dass jetzt ein Entwurfvorliegt und wir bald sehr konkret über den Emissions-handel und den Allokationsplan in Deutschland diskutie-ren können.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/1791 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 h sowiedie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 6. März 2002 zwischen der Bun-desrepublik Deutschland und der RepublikMosambik über die Förderung und den gegen-seitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/1845 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeitb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 6. August 2001 zwischen der Bundes-republik Deutschland und dem KönigreichMarokko über die gegenseitige Förderung undden gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/1846 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitZ
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bun-desrepublik Deutschland und Bosnien undHerzegowina über die Förderung und den ge-genseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/1847 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeitd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuord-nung der Statistiken der Rohstoff- und Produkti-onswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige
– Drucksache 15/1849 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeite) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines VierunddreißigstenGesetzes zur Änderung des Lastenausgleichs-gesetzes
– Drucksache 15/1854 –Überweisungsvorschlag:Innenausschussf) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes über die Finanzierungder Beseitigung von Rüstungsaltlasten in der
– Drucksache 15/1888 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitg) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Führung des Han-delsregisters, des Genossenschaftsregisters, desPartnerschaftsregisters und des Vereinsregisters
– Drucksache 15/1890 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeith) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung über die Umset-zung von Gender Mainstreaming in Wissen-schaft und Forschung– Drucksache 15/720 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendP 2a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
– Drucksache 15/1959 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
InnenausschussRechtsausschussb) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD,der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfseines … Gesetzes zur Änderung rehabilitie-rungsrechtlicher Vorschriften– Drucksache 15/1975 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschussEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachtenVerfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen.Dem Entwurf eines Gesetz der Fraktionen der SPD,der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die Grünen zurÄnderung rehabilitationsrechtlicher Vorschriften aufDrucksache 15/1975 ist die Fraktion der FDP als Initiantbeigetreten.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 c bis24 h sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf. Es handeltsich um Beschlussvorlagen, zu denen keine Ausspra-che vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 24 a:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes über die Zustimmung zur Än-derung der Satzung des europäischen Systemsder Zentralbanken und der EuropäischenZentralbank– Drucksache 15/1654 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 15/2008 –Berichterstattung:Abgeordnete Ortwin RundeGeorg FahrenschonDer Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/2008,den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit einstimmig angenommen.1jdgeubGse
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zu dem Antrag der Abgeordne-
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinereschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie-ung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-enstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-ung ist mit den Stimmen aller Fraktionen beiegenstimmen der beiden fraktionslosen Kolleginnenngenommen.Anlage 2 und 3
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsUnter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss, den Antrag auf Drucksache 15/1094für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist wiederum mitden Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen derbeiden fraktionslosen Kolleginnen angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUDie aktuelle Russlandpolitik der Bundesregie-rungIch eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat fürden Antragsteller der Kollege Dr. Friedbert Pflüger vonder CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist keine Frage: Russland hat in den letztenJahren große Fortschritte gemacht. Unter Präsident Putinhat es die strategische Grundsatzentscheidung getroffen,die Modernisierung des eigenen Landes über ein breitesEngagement mit dem Westen zu erreichen.In der nach dem 11. September 2001 gebildeten Anti-terrorallianz hat Moskau großes Verantwortungsbe-wusstsein bewiesen. Putin gelang es ferner – anders alsSchröder und Chirac –, ein Kunststück zu vollbringen,nämlich gegen den Irakkrieg zu sein und trotzdem aus-gezeichnete Beziehungen zu Amerika zu pflegen.
Russland ist heute Teil der G 8, in Kürze Mitglied derWTO. Keine Frage: Putin hat die neuen Konstellationennach dem 11. September 2001 geschickter als alle ande-ren genutzt. Nach Jahren des Chaos und des Nieder-gangs erscheint Russland heute wieder verlässlich undstabil. Diese Entwicklungen liegen in unserem Interesse.Für CDU und CSU sage ich deshalb: Wir wollen engepartnerschaftliche und vertrauensvolle Beziehungen zuRussland.
Wir sagen aber ebenso: Partnerschaft erfordert klareWorte vonseiten der Bundesregierung und der Euro-päischen Union, wenn in Russland rechtsstaatliche Prin-zipien missachtet und Menschenrechte verletzt werden.
Wenn sich sogar der russische Ministerpräsident Kasja-now über die Verhaftung von Chodorkowski „sehr beun-ruhigt“ äußert, hätte das dann nicht auch die Bundesre-gierung tun müssen? Hätte es ihr nicht gut angestanden,in dieser Situation ein deutliches Wort der Kritik inRichtung Moskau auszusprechen?
OsROkInsgJzdswDldodgHrrrsRnsGNTwugi
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6448 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Das Wort hat jetzt der Kollege Harald Leibrecht von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir machen uns sehr große Sorgen um die ge-
genwärtige Entwicklung in Russland. Deshalb ist es gut,
dass heute im Deutschen Bundestag eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema angesetzt ist.
Die Festnahme Chodorkowskis, das nicht öffentliche
Verfahren, die viel zu lange U-Haft, die Durchsuchung
von Anwaltskanzleien sowie die Beschlagnahmung der
Jukos-Aktien sind Ereignisse, die angesprochen werden
müssen. Dass die russischen Oligarchen keine Engel
sind, darin gebe ich Ihnen völlig Recht, Herr Pflüger.
Wenn in Russland gegen Korruption wirklich Front ge-
macht und die Abwicklung dunkler Geschäfte wirklich
bekämpft werden würde, dann könnte man nur schwer-
lich etwas dagegen sagen. Aber gerade das Herauspi-
cken Chodorkowskis, die Singularität dieses Vorgehens
und die gesamte Jukos-Affäre werfen ein mehr als zwei-
felhaftes Licht auf die jüngsten Vorgänge in Russland.
Denn sie ereignen sich ja nicht im luftleeren Raum, son-
dern finden kurz vor wichtigen Parlamentswahlen statt
und richten sich gegen einen mächtigen Ölmagnaten, der
angefangen hatte, sich politisch einzumischen und oppo-
sitionelle Kräfte zu stärken.
Diese Vorgänge werden von massiven Eingriffen in
die Pressefreiheit begleitet. Sie stehen darüber hinaus im
Zusammenhang mit der Entwicklung in Tschetschenien,
der Wahl, die dort stattgefunden hat – diese Wahl war
eine echte Farce –, und mit den noch immer stattfinden-
den schlimmen Menschenrechtsverletzungen. Herr Bury,
ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Bericht auch
auf dieses Thema eingegangen wären und nicht nur über
die russischen Kulturwochen gesprochen hätten.
All das lässt massiven Zweifel aufkommen, ob in
Russland bei den Parlamentswahlen am 7. Dezember
und bei den Präsidentschaftswahlen im April alles mit
rechten Dingen zugehen wird. Woran es in Russland
heute vor allem fehlt, sind Transparenz, Berechenbarkeit
und Offenheit. Michail Gorbatschow hat das Ende der
80er-Jahre als Glasnost bezeichnet, das Kernelement der
Perestroika. Russland war in dieser Hinsicht schon wei-
ter. Nun aber sehen wir gefährliche Tendenzen hin zu ei-
nem Rückfall auf den Stand vergangener Zeiten.
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hne die stillschweigende Unterstützung von Präsident
utin wäre das sicherlich so nicht gelaufen; ich glaube,
arin sind wir uns alle einig.
Putin versucht sehr geschickt, die weltpolitischen
erwerfungen um den Irakkrieg und den Kampf gegen
en internationalen Terrorismus zu missbrauchen, um
ür sein Vorgehen in Tschetschenien Verständnis und
kzeptanz zu erhalten. Unser Bundeskanzler geht ihm
abei auf den Leim. Er hat seine Männerfreundschaft zu
utin ja erst entdeckt, als er einen Verbündeten im
ampf gegen den Irakkrieg suchte. Seitdem funktioniert
ie deutsch-russische Achse wunderbar. Die Bundesre-
ierung hat sich dabei aber offensichtlich von den bishe-
igen Zielen der deutschen Russlandpolitik verabschie-
et. Bislang galt, dass man Russland als Partner, als
reund, aber durchaus auch als kritischer Mahner auf
einem Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
arktwirtschaft nach Kräften unterstützen wollte. Jetzt
ilt offensichtlich nur noch, dass man in Moskau einen
tabilen Partner für eigene weltpolitische Ambitionen
ucht.
Herr Leibrecht, denken Sie bitte an die Zeit.
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6450 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Ja.
Meine Damen und Herren, wir meinen, die deutsch-
russischen Beziehungen sind wichtig. In einer guten po-
litischen Freundschaft, unter Freunden, muss man sich
aber auch unangenehme Dinge sagen können. Ich for-
dere unseren Bundeskanzler auf, auf Präsident Putin ein-
zuwirken und ihn auf die Jukos-Affäre und auch auf die
furchtbaren Menschenrechtsverletzungen in Tschetsche-
nien anzusprechen. Ich denke, damit wäre uns schon
sehr geholfen. Ich hoffe, dass die deutsch-russischen Be-
ziehungen von unserer Bundesregierung wieder auf eine
ehrliche Basis gestellt werden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth vomBündnis 90/Die Grünen.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Russland ist auch ohne die EU-Mitgliedschaft ein großeseuropäisches Land. Seine und die Geschichte der Bezie-hungen zu anderen Ländern Europas – auch zu Deutsch-land – haben gezeigt, dass es uns alles andere als gleich-gültig sein kann, was dort geschieht. Lieber FriedbertPflüger, es ist uns auch alles andere als gleichgültig, wasdort geschieht.Schon seit Gorbatschow 1985 Perestroika und Glas-nost verkündete, keimte im Westen, aber vor allem auchin der russischen Gesellschaft die Hoffnung auf einefreiere Gesellschaft, auf Rechte für jeden und jede auf,darauf, dass nicht jeder Mensch wie selbstverständlichEigentum des Staates ist. Jede Entwicklung zu Wohl-stand – auch das ist etwas Neues für die meisten Men-schen in Russland – setzt eine funktionierende Wirt-schaft voraus. Dazu gehören die Anerkennungökonomischer Gesetze und die Respektierung der indivi-duellen Unabhängigkeit und Integrität, kurz: der Men-schenrechte und des Rechtsstaates. Auch das alles ist inRussland neu.Seit Gorbatschow – fortgesetzt durch Jelzin undPutin – begann all das Bedeutung zu erlangen und im-mer mehr Menschen in Russland begannen, ihre Rechteernst zu nehmen, sie selbstbewusst einzuklagen undsich so zu verhalten, wie es Menschen mit ihren unver-äußerlichen Rechten eben zu Recht tun. Nach außen– auch in unsere Richtung – versicherten die Mächti-gen ihr Bestreben, die politisch-bürgerlichen Freiheits-rechte und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturel-len Menschenrechte zu verwirklichen und zugarantieren, um damit die russische Gesellschaft bzw.Russland überhaupt zukunftsfähig zu machen.Wir sollten sie darin ernst nehmen. Wir sollten siebeim Wort nehmen. Deshalb stimme ich der Kritik derEU-Kommission an den unakzeptablen ÄußerungenBdRtdnkZFMdnssrdMAecsgdfodOMzeICnzdFmjsagCpgRd
ussland ist noch längst kein Rechtsstaat. Die Tsche-schenienpolitik der russischen Regierung ist falsch. Dieortigen Wahlen waren eine Farce. Nicht nur tschetsche-ische Terroristen, sondern auch russische Sicherheits-räfte verüben dort Verbrechen. Wer Gewalt gegen dieivilbevölkerung, wer die bedrückende Situation derlüchtlinge, wer die Realität in Tschetschenien, dieenschenrechtsverletzungen, als Märchen der Medieniskreditiert, verhöhnt die Opfer und zeigt sein gespalte-es Verhältnis zur Unabhängigkeit der Presse.
Eine Farce ist aber keine politische Lösung. Diecheinbare Übertragung der Verantwortung für eine fal-che Politik auf eingesetzte Kollaborateure entbindet dieussische Regierung nicht von ihrer Verantwortung under Notwendigkeit einer politischen Lösung, die dieenschen in Tschetschenien einbezieht, um überhauptussicht auf Erfolg zu haben. Es ist tatsächlich im ur-igenen Sinne Russlands, politische Lösungen zu su-hen, weil dieser Krieg das ganze Land verändert.Der Zusammenhang zwischen Demokratie, Rechts-taat, Menschenrechten und Wirtschaft spielt im heuti-en Russland und für die gegenwärtigen Vorgänge umen Oligarchen Chodorkowski eine wichtige Rolle. Derür uns eher merkwürdige Vorgang eines gemeinsamenffenen Briefes an Putin von mehreren, auch mittelstän-ischen Wirtschaftsverbänden und zivilgesellschaftlichenrganisationen – von Menschenrechtsgesellschaften wieEMORIAL bis zu Verbraucherschutzverbänden –eigt das.Was aber verbündet diese hierzulande traditionellher in distanziertem Misstrauen zueinander stehendennteressengruppen? Natürlich ist der bisherige Jukos-hef ein Oligarch. Zweifellos hat er seinen Reichtumicht nur legal erworben. Niemand, so sagt der Vorsit-ende der Gesellschaft MEMORIAL, kann in Russlandie Steuergesetze einhalten, auch MEMORIAL nicht.ür ihn stellen sie ein ganz spezielles politisches Instru-ent dar, das Missbrauch Tür und Tor öffnet und jedeuristische Person erpressbar machen und unter Drucketzen kann. Nicht zuletzt mit ihrer Anwendung wurdellen unabhängigen elektronischen Medien die Existenz-rundlage entzogen.
Nicht jedoch um die Rechtfertigung des Milliardärshodorkowski geht es. Auch den Menschenrechtsgrup-en in Russland ist er nicht besonders sympathisch. Eseht um etwas anderes. Es geht um den Kampf um dasecht, vom Staat und seinem Willen unabhängig han-eln zu können.
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Claudia Roth
Dafür, das getan zu haben, dafür, dass er soziale Aufga-ben als Pflicht eines Unternehmers ansah und dass er an-dere Parteien als die der Macht unterstützte,
wurde der Bürger Chodorkowski verhaftet, begleitet vongefährlich antisemitischen Tönen. Niemand bestreitetdas ernsthaft in Russland.
Das ist der Grund für das Bündnis zwischen Wirt-schaft und Zivilgesellschaft in Russland. Ihr gemeinsa-mes Ziel ist ein Gesellschaftsvertrag zwischen ihnen undder politischen Macht, der die Unternehmen auf Geset-zestreue und soziale Verantwortung verpflichtet und dieRespektierung der Rechte des Einzelnen garantiert.
Putin hat den Vorschlag für einen Gesellschaftsvertragbisher leider schlichtweg abgelehnt. Wir jedoch solltendiesen Vorschlag ausdrücklich unterstützen. Er enthältden Kern unserer Vorstellungen vom Funktionieren einerdemokratischen Gesellschaft. Eine solche soll und mussRussland werden. Auf diesem Weg wird Russland all un-sere Unterstützung bekommen.Am Konzept einer so genannten gelenkten Demokra-tie haben wir dagegen erhebliche Zweifel; denn dies istim Grunde die modernisierte Variante des autoritärenStaates, der in Russland schon eine lange und verhäng-nisvolle Tradition hat. Das laut zu sagen ist unseredemokratische Verantwortung.
Das Wort hat jetzt der Kollege Arnold Vaatz von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Frau Kollegin Roth, Sie haben mir inweiten Teilen Ihrer Rede aus der Seele gesprochen. Ichbin außerordentlich dankbar, dass Sie sich so eindeutiggeäußert haben. Der Grund, weshalb unsere Fraktiondiese Aktuelle Stunde beantragt hat, war, dass es unserWunsch ist, dass sich Vertreter der Regierung der Bun-desrepublik Deutschland, nämlich der Herr Bundeskanz-ler und der Herr Außenminister, ähnlich deutlich undeindeutig hier vor dem Deutschen Bundestag artikulie-ren.
Als der Kollege Pflüger gerade festgestellt hat, wiesehr ihm das Schweigen der Regierung auffällt, hat derKollege Volmer geantwortet: Ja, wären Sie einmal in denMenschenrechtsausschuss gekommen.–ezBfdmwDuiiosghhbewdwrbzfstdmsmItdBbthlg
Aber es ist aus Ihrer Ecke gekommen. Vielleicht gibts bei Ihnen jemanden, der sich dazu bekennt, das gesagtu haben. Ich habe es deutlich gehört.Ich kann Ihnen dazu sagen: Wir wünschen uns einenundeskanzler oder einen Außenminister, der in die Öf-entlichkeit tritt und das dort klar macht und nicht unbe-ingt das relativ abgeschlossene Gremium eines parla-entarischen Ausschusses braucht, um dort zu sagen,as er eigentlich denkt. Das ist nicht das Wesen unsereremokratie.
Dass wir stabile Beziehungen zu Russland brauchennd diese freundschaftlich und konstruktiv sein sollen,st nicht alleine aufgrund unserer engen Verbindungenm energiepolitischen Bereich notwendig. Jeder, der mitffenen Augen die Geschichte des 20. Jahrhunderts ge-ehen hat, muss zu der Erkenntnis kommen, dass einroßer Teil der Probleme in Deutschland, die wir heuteaben, dadurch verursacht worden ist, dass die Bezie-ungen zu Russland lange Zeit das zuvor erwähnte Attri-ut gerade nicht verdient haben. Es ist die Abwesenheitines Verhältnisses zu den Menschenrechten und die Ab-esenheit der Rechtsstaatlichkeit in Russland gewesen,ie in Ostdeutschland die Probleme verursacht hat, dieir heute haben.
Daraus folgt, dass wir ein existenzielles Interesse da-an haben, solche Verhältnisse, wie sie sich im Augen-lick in Russland andeuten, und solche Signale politischu bewerten. Dass Sie das können, haben Sie uns mehr-ach bewiesen. Die Regierung war außerordentlichchnell bei der Hand, als es darum ging, das kleine Ös-erreich infolge eines Wahlergebnisses, das ihr nicht inen Kram passte,
it einer grotesken Strafaktion zu überziehen, die siepäter selbst als Fehler erkannt hat und zurücknehmenusste.
In Russland legt man völlig andere Maßstäbe an.
ch kann Ihnen sagen, welcher Fall sich erst in der letz-en Woche ereignet hat. Da war eine Menschenrechts-elegation unter Führung von Herrn Ponomarjow inerlin. Außerdem waren der Duma-Abgeordnete Ba-uschkin von Jabloko und die Rechtsanwälte des inhaf-ierten Unternehmers Chodorkowski dabei. Sie habenier in Berlin mit einigen für Außenpolitik verantwort-ichen Kollegen der Fraktionen des Deutschen Bundesta-es gesprochen, aber dem Auswärtigen Amt wurde von
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)Arnold Vaatzder Regierung selbst jeder hochrangige Kontakt mit die-ser Gruppe untersagt.
Dabei hatte diese Gruppe zu berichten, dass man inzwi-schen in Russland so weit gegangen ist, die Büros derAnwälte Chodorkowskis durchsuchen zu lassen und sosein Recht auf Verteidigung anzutasten. Wenn Sie von ei-ner Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft sprechen, HerrKollege Bury, dann frage ich Sie: Ist das die Werte- undWirtschaftsgemeinschaft, die Sie sich vorstellen, odermüssen Sie dagegen Einspruch erheben? Oder betrachtenSie es als den richtigen Weg, diejenigen, die diese Werte-gemeinschaft einklagen, in Berlin abzuweisen?
Das sind Handlungsweisen, die wir von einer deutschenBundesregierung nicht erwarten und die wir scharf kriti-sieren müssen. Ich bin gespannt, was Sie dem DeutschenBundestag zur Erklärung dieses Verhaltens vorzutragenhaben.
Wenn durch die Menschenrechtsverletzungen inRussland weiter der Eindruck erweckt wird, dass die De-mokratie dort einem langsamen Zerfallsprozess ausge-setzt ist, dann sind wir hier in Deutschland an ersterStelle für diese Entwicklung mit verantwortlich, wennwir schweigen.Aus diesem Grunde fordere ich uns alle auf, eineklare Sprache zu sprechen, ohne den Boden der freund-schaftlichen und konstruktiven Auseinandersetzungenzu verlassen. Beides zu beherrschen ist eine Grundanfor-derung, die an einen deutschen Außenminister und Bun-deskanzler zu stellen ist. Es genügt nicht, Artigkeitenauszutauschen. Dabei ist politische Substanz gefragt unddie vermissen wir.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin mit vielem einverstanden, was aus der analyti-schen Beobachtung heraus vorgetragen worden ist. Aberich möchte an die rechte Seite des Hauses gewandt, aufder viele Kollegen aus der deutsch-russischen Parlamen-tariergruppe sitzen, die noch in diesen Tagen mit mir undauch mit russischen Journalisten sehr offene Worte ge-wechselt haben, die Frage richten: Ist der Umgang mitdiesem Thema, indem Sie die Bundesregierung, die Fra-gen stellt und sich zu dem Thema äußert, auffordern, et-was lauter zu reden, eigentlich angemessen? Ich glaubenicht, dass das dem Problem, das wir in diesem Zusam-menhang haben, angemessen ist.
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Boris Nemcow – auch er ist als ehemaliger Gouver-eur von Nischnij Novgorod in Deutschland gutekannt – hat zu dem Zusammenhang und den Verände-ungen an der Kremlspitze am 28. Oktober in der „Neza-isimaja Gazeta“ Folgendes festgestellt:Ein Sieg der Silaviki, das ist die Machtgruppe aus den Diensten –die auf die wirtschaftlichen Interessen des Landespfeifen, ist eine feste Wendung in Richtung Dikta-tur.Schauprozess, Diktatur, möglicherweise eine völligeeränderung innerhalb der russischen Gesellschaft – dasind keine von uns gewählten Begriffe, sondern sie wur-en von unseren Kollegen in Russland verwendet. Ichlaube, das macht deutlich, um welche Dimension esierbei geht. Man muss sich sehr genau überlegen, wiean damit umgeht. Es geht nicht darum, sich gegensei-ig vorzuwerfen, dass der eine zu leise und der andere zuaut redet. Ich meine, wir haben sehr ernste Fragen zutellen. Dabei sollten wir immer im Blick behalten, wasnsere Interessen sind. Unsere Interessen sind, dass allie Befürchtungen, die unsere Kollegen aus Russlandvielleicht auch angespornt durch den Wahlkampf, deregonnen hat – vortragen, nicht eintreten. Wir sind an ei-
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Gernot Erlernem Erfolg des russischen Transformationsprozessesund auch der wichtigen Reformen interessiert, die sichmit dem Namen Putin und seinen letzten vier Regie-rungsjahren verbinden. Wir müssen bei allem, was wirhier tun, abwägen, ob es dazu beiträgt oder nicht.Ich hoffe sehr, dass unsere Debatte – wenn sie in die-sem Ton geführt wird; es ist das gute Recht nicht nur derRegierung, sondern auch des Parlaments, das zum Aus-druck zu bringen; deswegen finde ich es gut, dass Sievon der CDU/CSU diese Aktuelle Stunde beantragt ha-ben; das findet meine Unterstützung – der russischenSeite unsere Erwartung deutlich macht, bald befriedi-gende und auch zutreffende Antworten auf unsere erns-ten Fragen – wir erfinden das Thema nicht; es ist viel-mehr ein Thema der russischen Gesellschaft – zubekommen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Melanie Oßwald.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ange-sichts der schwierigen Situation in Tschetschenien sindwir uns eigentlich einig – Frau Roth, Sie haben das be-reits ausgeführt –: Wir verurteilen die Anschläge tschet-schenischer Terroristen. Wir wollen, dass Russland dieMenschenrechte einhält. Wir setzen uns vehement fürdie tschetschenische Zivilbevölkerung ein. Wir wollendas Leid der Flüchtlinge beenden, die immerhin fast dieHälfte des tschetschenischen Volkes ausmachen und er-heblichen Diskriminierungen in der Russischen Födera-tion ausgesetzt sind. Wir wollen verhindern, dass sichder Konflikt auf den ganzen Kaukasus oder sogar aufganz Russland ausweitet. Das unendliche und unge-rechte Leid des Tschetschenienkrieges muss nicht nur imNamen der CDU/CSU-Fraktion ein Ende haben. DieTschetschenen haben ein Recht, in Frieden und Würdezu leben. Auch die jungen russischen Soldaten habenAnspruch auf eine politisch durchdachte und vernünftigeLösung des Bürgerkrieges.Es besteht weiterhin dringendster Handlungsbedarfseitens der Bundesregierung. Besorgnis alleine reichtnicht aus; denn Tschetschenien ist keinesfalls, wie in derrussischen Öffentlichkeit oft behauptet wird, weitgehendbefriedet und nun in der Lage, legitime Institutionen zuschaffen, und zwar auch nicht nach dem Referendumund den Präsidentschaftswahlen, die – auch darin sindwir uns einig – eine reine Farce des Kremls waren.Diese Wahlen waren im wahrsten Sinne des Wortesein Urnengang. Die letzte Hoffnung auf Frieden wurdebegraben. Ich frage Sie: War das die politische Lösung,die wir gefordert haben und die Hilfe bringen sollte? Ichsage Ihnen: Nein! Wir Abgeordnete haben völlig zuRtgtGaddSjrseTenPhnkvnndOßdeWkVreWdpzzsSAvtTfd
Der Tschetschenienkrieg ist nicht nur für Russlandine Schande, sondern auch für Deutschland und dieelt, vor deren Augen unter dem Deckmantel der Be-ämpfung des internationalen Terrorismus ein ganzesolk seines Landes und seiner Lebensmöglichkeiten be-aubt wird. Die westlichen Demokratien dürfen dieserinseitigen Logik der russischen Führung nicht folgen.ir müssen darum gemeinsam eine internationale Frie-enslösung anstreben. Von deutscher wie auch von euro-äischer Seite muss dringend ein fundiertes Konzeptum Tschetschenienkonflikt erarbeitet werden.Die Suche nach Auswegen aus einer derart kompli-ierten Konfliktsituation ist sehr schwer: Der europäi-che Gerichtshof für Menschenrechte kann bis zurtunde zwei Beschwerdeführer nicht auffinden. Diesenkläger müssen geschützt werden. Menschenrechts-erletzungen müssen konsequent aufgeklärt und die Tä-er müssen bestraft werden. Außerdem müssen inschetschenien eine effektive Verwaltung und eine ef-ektive Justiz geschaffen werden.
Es reicht nicht, zu hoffen und besorgt zu sein; denn esürfen nicht noch mehr unschuldige Menschen ihr
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Melanie OßwaldLeben lassen. Eine friedliche politische Lösung inTschetschenien muss schnellstens angestrebt werden.Sie können sicher sein: Dafür werde ich weiter kämpfen,wenn ich im Dezember als Wahlbeobachterin in Moskaubin. Ich appelliere an Sie: Schauen Sie nicht weg, wenneinem freiheitsliebenden Volk die Lebensgrundlage ent-zogen wird!
Das Wort hat der Abgeordnete Ludger Volmer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich habe den Eindruck, dass die Debatten überRussland, die wir hier seit Jahren führen, an zwei sichgegenseitig ergänzenden Vereinseitigungen leiden: Ent-weder haben wir Menschenrechtsverletzungen und denDemokratiemangel im Visier und kritisieren Russlandmassiv und öffentlich – dabei vergessen wir aber dieNotwendigkeit der Kooperation, die uns nach dem Endedes Kalten Krieges als Chance zugewachsen ist – oderwir thematisieren die Sicherheitspolitik sowie die Wirt-schaftspolitik und neigen dazu, Menschenrechtsverlet-zungen und den Demokratiemangel aus den Augen zuverlieren.Die heutige Debatte ist vielleicht eine rühmliche Aus-nahme. Man hat hier nämlich versucht, diese beidenPunkte zusammenzubringen. Im Hinblick auf unsereRusslandpolitik ist es notwendig, die Friedensdividende,die wir uns 1989/90 mit dem Ende des Warschauer Paktseingehandelt haben, auch zur Verbesserung unserer Si-cherheit zu nutzen. Da Demokratie und Menschenrechtein Russland eine Funktion der Sicherheit sind, dürfenwir sie aus der Debatte nicht ausschließen.
Wir brauchen Russland nach wie vor als verlässlichenKooperationspartner für die Sicherheit in Europa. Wirbrauchen Russland für eine kooperative Sicherheitspoli-tik bezogen auf Regionalkonflikte. Ich denke etwa an dieKooperation im Nahostkonflikt – Stichwort Roadmap –,wo es übrigens keine deutsch-russische Achse gegen dieUSA gibt; vielmehr handeln wir zusammen mit denUSA und mit der UNO. Die Zusammenarbeit mit Russ-land in Sachen Irak war gut und sinnvoll. Das ist auchdann so, wenn Sie, Herr Pflüger, dies als „Achse“ be-zeichnen.Wir brauchen Russland auch im Kampf gegen denTerror. Wir können aber nicht akzeptieren, dass Men-schenrechte in Tschetschenien unter dem Label „Kampfgegen den Terrorismus“ massiv verletzt werden.
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Wir kritisieren die Verhaftung von ChodorkowskiClaudia Roth und andere haben es eben getan – nicht,eil wir meinen, dass Oligarchen wie in der Vergangen-eit agieren sollen. Oligarchie ist das Gegenteil von De-okratie und nicht deren Erfüllung.
er Liberalismus der Oligarchen ist kein Liberalismus innserem – demokratischen – Sinne. Deshalb gibt es einewisses berechtigtes Interesse, da-rauf zu achten, dassie Liberalisierung in Russland nicht so weit geht, dassie strategischen Rohstoffe des Landes an internationaleonzerne ausverkauft werden.
ch weiß nicht, worin der Vorteil für uns bestehen soll,enn die russische Oligarchie durch die Oligarchie dernternationalen Ölkonzerne ausgetauscht wird. Das kannicht die Alternative sein.
Wenn wir ein Interesse daran haben, dass Russlandeine Öl- und Gasreserven insbesondere mit uns aus-auscht – so könnten wir unsere einseitige Abhängigkeiton der Golfregion endlich verlieren; so würde aberuch zu einer Beruhigung im Mittleren Osten beigetra-en –, dann sollten wir parallel zu allen Diskussionennd Verhandlungen über eine Gaspipeline durch die Ost-ee systematisch mit thematisieren, dass die Oligarchieangsam, aber sicher in Demokratie überführt wird. Dasind zwei Elemente in der Politik, die unmittelbar zu-ammengehören.In der Soziologie gibt es eine harte These: Demokra-ie ist die Regierungsform der bürgerlichen Gesellschaft.n dieser Striktheit finde ich die These falsch. Aber alseiche These finde ich sie richtig: Die Existenz einerürgerlichen Gesellschaft befördert die Entwicklung vonemokratie.Nun frage ich, wie es um die demokratische Gesellschaftzw. um die bürgerliche Gesellschaft in Russland bestellt
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Dr. Ludger Volmerist. Nach all den Transformationsprozessen der letztenzehn, 15 Jahre können wir sagen: Sie ist immer noch viel zuschwach. Es gibt ein Bürgertum im Wirtschaftsbereich, dasauf der einen Seite durch die Oligarchen geprägt ist – das istalles andere als demokratisch – und auf der anderen Seitedurch einen Bodensatz, den man nur als mafios bezeich-nen kann; auch das ist alles andere als demokratisch.Was wir im Auge haben – das politische Bürgertum, denMittelstand, die sozialen Mittelschichten der urbanenWelt –, ist noch sehr schwach. Auch die Zivilgesell-schaft ist leider noch viel zu schwach.Wenn wir wollen, dass sich in Russland Demokratieentwickelt, dann müssen wir den staatlichen Diskursführen und müssen auch mit Putin und anderen deutlichdarüber reden. Wir sollten aber gleichgewichtig zumAusbau unserer wirtschaftlichen Beziehungen unsere ge-sellschaftlichen Dialoge mit dem kleinen Kern von De-mokratie, mit der Keimzelle von Demokratie, verstär-ken, das heißt unsere Zusammenarbeit insbesondere mitder Zivilgesellschaft und mit den Reformern im gesell-schaftlichen Bereich intensivieren.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermann Gröhe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich zunächsteine Vorbemerkung machen. Wir alle betonen immerwieder, dass Menschenrechtspolitik eine Querschnitts-aufgabe ist. Aber im Durchschnitt ist die Regierungs-bank bei Menschenrechtsdebatten ziemlich leer.
Herr Kollege Volmer, Sie haben gesagt: Wir dürfenhier keine Arbeitsteilung machen nach dem Motto: Hiersind die, die über die Menschenrechtsfragen reden, unddort sind die, die über Sicherheits- oder Wirtschaftspoli-tik reden. Die Abwesenheit jedes Bundesministers ent-larvt, dass genau dies die Arbeitsteilung von Rot-Grün ist.
– Wir haben das auch in den letzten Menschenrechtsde-batten so erlebt, Herr Schmidt. Schreien Sie doch nichtauf, nur weil sie erwischt worden sind! Wir haben das inall den letzten Menschenrechtsdebatten genau so erlebt.
Zu der Wahlfarce in Tschetschenien und zu den anhal-tenden Menschenrechtsverletzungen ist Deutliches ge-svgedRrtehgdtgMiwVrcrmnAddsbcNTrAlngDtzMdSpWz
ber auch Bundeskanzler Schröder hat durch fragwür-ige Äußerungen zu dem Eindruck beigetragen, dass mitem Kampf gegen den Terrorismus eine größere Nach-icht gegenüber der russischen Politik im Kaukasus ver-unden ist. So sprach er unmittelbar nach den schreckli-hen Terroranschlägen vom 11. September 2001 von derotwendigkeit einer „Neubewertung“ der Lage inschetschenien. Ja, im Vorfeld des seinerzeitigen Refe-endums in der Kaukasusrepublik lobte er sogar „gutensätze“ in der russischen Tschetschenienpolitik.Welche Verbitterung solche beschönigenden Formu-ierungen vor allem bei den Menschenrechtsorganisatio-en in Russland auslösen, die unter schwierigsten Bedin-ungen für Menschenrechte in ihrem Land und vor alleningen für eine politische Lösung im Kaukasus eintre-en, macht die Äußerung von Oleg Orlow, dem Vorsit-enden von Memorial – auf die wertvolle Arbeit vonemorial hat ja Kollegin Roth zu Recht hingewiesen –,eutlich. Oleg Orlow erklärte wörtlich: „Entweder istchröder ein Zyniker oder er zeichnet sich durch Inkom-etenz aus.“
Längst haben sich Befürchtungen bewahrheitet, derille der russischen Regierung, den Konflikt gewaltsamu lösen, werde sich als schleichendes Gift gegen
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Hermann GröheRechtsstaatlichkeit und Menschenrechte auch in der üb-rigen Russischen Föderation auswirken. ZunehmendeEinschränkungen der Meinungsfreiheit sind zu beobach-ten: Das Fernsehen ist weitgehend wieder unter Kon-trolle der politischen Machthaber.Als ich im Oktober die Büros von Memorial in Mos-kau und St. Petersburg besuchte, lag ein Einbruch Unbe-kannter im Büro von Memorial in St. Petersburg erst we-nige Wochen zurück. Wichtige Unterlagen und alleComputer waren dabei entwendet worden. Wie selbst-verständlich ging man in beiden Büros davon aus, durchSicherheitskräfte abgehört zu werden.Vor wenigen Wochen durchsuchten Staatsanwälte dieWerbeagentur der liberalen Jabloko-Partei und beschlag-nahmten Geld, Computer und zentrale Wahlkampfunter-lagen. Der Vorsitzende dieser Partei spricht vom „Kapi-talismus mit stalinistischem Gesicht“. Seine Parteibefürchtet zu Recht, dass ein fairer Wettbewerb nichtmöglich ist, wenn der politische Gegner die zentralenIdeen für den eigenen Wahlkampf, die Strategien unddas Programm erhält.Meine Damen und Herren, nicht Lautstärke ist gefor-dert, verehrter Herr Kollege Erler; vielmehr muss end-lich Klartext gesprochen werden. Dazu leisten viele Ab-geordnete aus allen Fraktionen dieses Hauses einenBeitrag. Die Bundesregierung ist aufgefordert, endlichdiesem Beispiel zu folgen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Mützenich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Deutschland trägt maßgeblich zur Unterstützung deswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels inRussland bei. Es ist offenkundig: Das ist ein schwierigerBalanceakt. Wir haben ein Interesse an einem stabilenRussland. Stabilität und Verlässlichkeit sind ohneRechtsstaatlichkeit aber nicht denkbar. Darauf wirkenwir ein; das macht die heutige Debatte deutlich.Ich bin gegen Schwarzweißmalerei. Wir müssen klugund behutsam für die Demokratie in Russland arbeiten.Den Demokraten in Russland ist aber nicht mit Laut-stärke geholfen. Wir müssen vielmehr die Rahmenbedin-gungen beeinflussen, um die Strukturen und die Grund-lagen der Demokratie zu stabilisieren. Daran arbeitetdiese Bundesregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Thema ist die deut-sche Russlandpolitik. Deshalb möchte ich gerne auf dreiAspekte aufmerksam machen, die bisher noch keineRolle gespielt haben:Erstens. Die USA, Russland und Deutschland habenim Juni 2002 eine Initiative zur Beseitigung von militäri-schen Altlasten in Russland angestoßen. Ziel des mehr-jdtnDEfdaBdSmWgntBkkdSmGdsSOgFBzwmaearddIsDgzBddflDen
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Die SPD-Fraktion bekräftigt, dass das offenbar vonimmer mehr Staaten in Anspruch genommene Recht zuPräventivschlägen nicht der richtige Weg sein kann, umdie internationale Politik zu gestalten. Dies gilt selbst-verständlich nicht nur für die USA, sondern auch fürRussland.
Ich bitte daher die Bundesregierung, mit Russland überdie Folgen einer neuen Militärdoktrin zu sprechen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte hatdeutlich gemacht: Die Bundesregierung unterstützt dieReformen von Präsident Putin. Wir brauchen ein stabilesund demokratisches Russland. Rechtsstaatlichkeit, Ge-waltenteilung und soziale Sicherheit sind Voraussetzun-gen für den Frieden in Europa. Wir müssen Russlandweiterhin als kooperativen Partner in die internationalePolitik einbinden. Ich ermutige die Bundesregierung,diesen Weg weiterzugehen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Und wir, lieber Herr Kollege Mützenich, gratulieren
Ihnen zu Ihrer ersten Rede hier im Plenum.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Erich Fritz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bury, Sie ha-ben für die Regierung gesprochen. Vielleicht ist Ihnenaufgefallen, dass in der Debatte niemand auf Sie einge-gangen ist. Womit hängt das zusammen? Das hängt da-mit zusammen, dass sich niemand mehr daran erinnernkann, was Sie vorgetragen haben. Es war eine belangloseErklärung, die allem ausgewichen ist, worum es hier ei-gentlich geht. Herr Kollege Erler, es geht nicht darum,jetzt großmännisch gegenüber Russland aufzutreten,überhaupt nicht. Aber es geht auch nicht, dass die Regie-rung nur ausblendet, ignoriert, wegsieht und ein gutesKßwawrffwEnwRkPDiadmEEsdaHvnIsBGldpIDzdUSdeV
ie Bedenken, ob die Unabhängigkeit der Justiz gewahrtst, zeigen, wie ernst diese Probleme in der Zusammen-rbeit mit Russland genommen werden. Ein Gesetz mitem Titel „Gesetz gegen Agitation im Wahlkampf“ zeigtir, wie die Verhältnisse in Russland sind.
s geht um die Unterbindung demokratischer Freiheiten.s wird der Versuch unternommen, eine uniforme Ge-ellschaft wiederherzustellen.All diejenigen, die es mit Russland gut meinen undie an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit sowien der Entwicklung gemeinsamer Ideen für den Bau desauses Europa – ich will diesen alten Begriff einmalerwenden – interessiert sind, müssen jetzt Farbe beken-en.
ch will daher sagen, dass sich der Beitrag von Frau Rotho angenehm von dem unterscheidet, was vonseiten derundesregierung vorgetragen worden ist.Deutschland ist mit einem Anteil von 10 Prozent amesamthandel der größte Außenhandelspartner Russ-ands. Der bilaterale Handel liegt bei knapp 25 Milliar-en Euro. Im ersten Halbjahr 2003 stiegen unsere Ex-orte nach Russland um 4,7 Prozent. Die deutschennvestitionen in Russland liegen bei 4 Milliarden Dollar.amit ist Deutschland der größte Investor in Russland.Auch für die Zukunft zeichnet sich ein großes Poten-ial ab – aber nur dann, wenn es gelingt, die Vorhaben,ie jetzt in der Pipeline sind, in einem störungsfreienmfeld weiter voranzutreiben. Daneben muss einetruktur in Russland entwickelt werden, die einen Han-el auf Gegenseitigkeit ermöglicht und nicht auf dau-rnde Rohstoffabhängigkeit setzt.Das Ziel der russischen Führung muss es sein, dasertrauen der ausländischen Investoren zu erhalten bzw.
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Erich G. Fritzwiederzugewinnen. Ohne zusätzliche Auslandsinvesti-tionen und ohne verlässliche Rahmenbedingungen istder Beitritt Russlands zur WTO im nächsten Jahr sehrinfrage gestellt.
Am Beispiel China kann man nachvollziehen, wieenorm die Anstrengungen sein müssen, um den Prozessder Angleichung an die Verhältnisse der WTO-Mit-gliedsländer zu schaffen. In Russland geschieht hinsicht-lich der Vorbereitungen auf diesen Beitritt genau das Ge-genteil. Das ist schlecht für beide Seiten: Das ist schlechtfür unsere Wirtschaftsbeziehungen und das ist auchschlecht für die Möglichkeit Russlands, selbst voranzu-kommen.Dass noch viel Vertrauen gewonnen werden muss,zeigt auch ein Vergleich mit Polen. Während es in Russ-land im Jahr 2002 Auslandsinvestitionen in Höhe von23 Milliarden Euro gegeben hat, waren es in Polen undChina immerhin schon 45 Milliarden Euro. Daran siehtman, welchem Land man bei vergleichbaren politischenVerhältnissen mehr zutraut, dass die Richtung stimmtund dass eine einheitliche Entwicklung, die zu einer sta-bilen Rahmenordnung führt, möglich ist.
– Nein, genau das habe ich nicht gesagt, Herr Meckel.Das Vertrauen, dass die Entwicklung in die richtigeRichtung geht, ist im Falle Chinas größer. Viele wissennämlich im Augenblick nicht, wohin der Weg Russlandsgeht.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon abgelaufen. Sie
können jetzt keine Dialoge mehr führen.
Vielen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin.
Ich will zum Schluss noch das Wort von der Bürger-
gesellschaft aufgreifen, das Herr Volmer gebraucht hat.
Natürlich ist es das Problem Russlands, dass sich eine
demokratisch strukturierte Gesellschaft in seiner 70-jäh-
rigen Geschichte nicht entwickeln konnte. Aber umso
mehr muss jetzt natürlich alles dafür getan werden, dass
diejenigen nicht hoffnungslos werden, die auf dem Weg
sind, genau eine solche Gesellschaft zu bilden.
Deshalb vielen Dank für Ihre Beiträge. Deshalb aber
auch weiterhin die Kritik an der Regierung: So geht es
nicht, meine Damen und Herren.
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Frau Kollegin!
Meine letzten Sätze, Frau Präsidentin.
Auch wir beobachten die Entwicklung Russlands kri-
tisch. Aber dieses Land muss die Chance erhalten, Ver-
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Jetzt möchte ich das noch einmal für alle klären: Eine
ktuelle Stunde ist eigentlich so gedacht, dass man ei-
en ganz kurzen, freien Redebeitrag zu dem aktuellen
unkt macht. Lange Redebeiträge bzw. eine Rede von
ieben Minuten entsprechen eigentlich nicht dem Stil.
ch bitte, dass das die Nächsten bedenken.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-hrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Es ist gutnd richtig, dass sich die Bundesregierung um gute Be-iehungen zu Russland bemüht. Das gebietet nicht nur dieeutsche Geschichte, sondern allein schon die Vernunft.ber gute Beziehungen sollten auch eine kritische Sichtuf die Politik des anderen beinhalten. Aus dieser kriti-chen Sicht sollten Schlussfolgerungen gezogen werden.
Wir haben erlebt, dass in der Frage der Menschen-echte schon immer eine unterschiedliche Messlatte an-elegt worden ist. Ich darf Sie an die Ereignisse im ver-angenen Jahr im Dubrowka-Theater, dem TheaterNord-Ost“, erinnern. Tschetschenen hatten in diesemoskauer Theater einen Saal voller Menschen als Gei-eln genommen. Das ist ein Verbrechen, das nicht zuechtfertigen ist. Es ist aber auch ein Verbrechen gewe-en, das aus Verzweiflung geboren war.Wie wurde reagiert? – Die russischen Behörden leite-en Nervengas in das Theater, richteten die Geiselneh-er per Genickschuss hin und nahmen darüber hinausen Tod von unschuldigen Geiseln in Kauf. Wie war dienternationale Reaktion? – Die internationale Öffentlich-eit hielt sich zurück. Wie groß wäre der Aufschrei ge-esen, hätte – sagen wir es einmal ganz allgemein – je-and, der sowieso als unberechenbarer Diktator gilt,ervengas in ein Theater geleitet?Wir kritisieren die Zurückhaltung der Bundesregie-ung in der Tschetschenienfrage außerordentlich. Meineamen und Herren von der CDU/CSU, damit unter-cheidet sie sich nicht wesentlich von der Vorgängerre-ierung.
Bereits zum vierten Mal wird gegen das tschetscheni-che Volk ein Ausrottungskrieg geführt. Der erste endeteach 30 Jahren im Jahre 1859 mit der Flucht, der Ermor-ung und dem Tod Tausender Menschen.
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Dr. Gesine Lötzsch– Ihr Zwischenruf, Herr Volmer, war mehr als unquali-fiziert.
Der zweite Krieg gegen die Tschetschenen war dieDeportation des tschetschenischen Volkes durchStalin. – Ich weiß nicht, was die Grünen da zu lachenhaben. – Bei dieser Deportation nach Mittelasien ist einViertel des tschetschenischen Volkes ermordet worden. –Und Herr Volmer sitzt hier und grinst.Der dritte Krieg gegen das tschetschenische Volkwurde von 1994 bis 1996 unter Jelzin geführt. Der vierteKrieg begann im September 1999 unter Putin.
Ich möchte gerne wissen, warum die Bundesregierungihre guten Beziehungen zu Russland nicht nutzt, um hiermehr Einfluss zu nehmen. Ich möchte gerne wissen, wa-rum diese Verletzung der Menschenrechte geduldet wird.Warum hat die Bundesregierung nicht schärfer auf dieWahlfarce im März und im Oktober reagiert?
Warum wurde zum Beispiel auf eine mündliche Anfrage,die ich hier gestellt habe, mehr als ausweichend reagiert?Ich möchte für die Besucherinnen und Besucher er-klärend hinzufügen, dass bei diesen Wahlen im Märzund im Oktober die Besatzungssoldaten in Tschetsche-nien mit abstimmen durften.Die Rede von Frau Roth wurde hier von mehrerenKolleginnen und Kollegen sehr gelobt. Frau Roth, alsSie noch nicht Menschenrechtsbeauftragte des Deut-schen Bundestages waren, haben Sie vor der russischenBotschaft Reden gegen den Krieg in Tschetschenien ge-halten.
Leider haben Sie heute in Ihrer Rede nicht dargestellt,was Sie in Ihrer Funktion als Menschenrechtsbeauftragtekonkret getan haben. Sie haben uns auch nicht berichtet,wann Sie das letzte Mal mit Verantwortlichen in Russ-land über diese Frage gesprochen haben. Das hätte michsehr interessiert.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Bindig.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Ich finde es richtig und wichtig, dass wir bei unse-rFmHgtgasdrddesDllSsUuidmwtkgbstdwdrLhOtMtmn
ier ist ein breites Spektrum von Aufgaben zu bewälti-en.Dabei geht es um wichtige Reformen in vielen Poli-ikfeldern: die Reform des Justizwesens, die Übertra-ung des Strafvollzugssystems vom Innenministeriumuf das Justizministerium, die Reform der Staatsanwalt-chaft, die Anwendung der neuen Strafprozessordnung,as Angehen gegen die Verletzungen der Menschen-echte Wehrpflichtiger, den alternativen Militärdienst,ie Praxis der Religions- und der Medienfreiheit.Vorhin ist kritisiert worden, dass es ein Gesetz überie Begrenzung der Medien in Wahlkämpfen gibt. Es istin ermutigendes Zeichen, dass ein Gericht dieses Ge-etz zwischenzeitlich aufgehoben hat.
as zeigt, dass die Justiz anfängt, sich von der Gänge-ung durch die zentrale Administration zu lösen.Es geht auch um die Errichtung eines menschenrecht-ichen Ombudsmannsystems. Es geht um die Lage imtrafvollzug.Vor 14 Tagen habe ich in der Fernostregion der Russi-chen Föderation eine Strafkolonie für Frauen und zweintersuchungsgefängnisse besucht und dort teilweisenakzeptable Zustände angetroffen. Wichtig ist es, dannmmer klar zu kritisieren, was vom europäischen Stan-ard abweicht, klar zu sagen, was verändert werdenuss, aber auch anzuerkennen, wenn der Koloss sich be-egt, wenn es in Teilbereichen Fortschritte gibt.
Ohne Zweifel ist die Menschenrechtslage in Tsche-schenien der größte Problembereich. Praktisch täglichommt es zu neuen schweren Menschenrechtsverletzun-en vonseiten russischer Sicherheitskräfte und der Re-ellen, aber zunehmend auch von den neu aufgebauteno genannten Sicherheitskräften des amtierenden tsche-schenischen Präsidenten Kadyrow.Das Verfassungsreferendum ist durchgedrückt wor-en. Die so genannten Präsidentenwahlen waren Schein-ahlen. Das Klima der Straflosigkeit dauert weiter an.Erschreckend ist auch der krasse Gegensatz zwischener Darstellung der Politik in Tschetschenien durch dieussischen offiziellen Stellen, die sagen, man habe dieage stabilisiert und die Sicherheitsprobleme weitge-end überwunden, und der praktischen Realität, die vorrt vorzufinden ist. Verschleppungen und Folter von sei-en der Behörden bleiben an der Tagesordnung. Dieenschenrechtslage in Tschetschenien und in Ingusche-ien hat sich verschlechtert. Nach den Aussagen von Me-orial hat sich die Menschenrechtssituation insgesamticht verbessert. Vielmehr hat sich das Problem verla-
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Rudolf Bindiggert. Die früheren groß angelegten Säuberungen sinddurch kleine, gezielte, in der Summe aber gleich blei-bende Aktionen ersetzt worden. Die Anzahl der ver-schwundenen Personen ist so hoch wie vor eineinhalbJahren. Das muss sich ändern.
Wir müssen mit unseren Möglichkeiten überall aufeine Veränderung hinwirken. Es ist notwendig, dassdiese Frage bei allen Gesprächen, die auf der Ebene derStaats- und Regierungschefs sowie der Außenministergeführt werden, angesprochen wird.Ich sage durchaus: Wenn der Eindruck entsteht, daswürde dort nicht intensiv angesprochen und debattiert– wobei wir allerdings hören, dass das Thema immer an-gesprochen wird –, muss man eben klarer sagen, wasdenn dort angesprochen worden ist, um das für die Öf-fentlichkeit transparent zu machen.
Ich weiß, dass der Regierungskoordinator für die Be-ziehungen zur Russischen Föderation, Gernot Erler, die-ses Thema anschneidet, wenn er in Moskau Gesprächemit Vertretern der Zivilgesellschaft und den Offiziellenführt. Auch ich habe im Auftrag des Europarates eineReihe von Berichten angefertigt und durch diese Doku-mentation der Menschenrechtsverletzungen die Informa-tionslage in Europa mit beeinflussen können.Leider muss ich allerdings sagen, dass ich in der letz-ten Zeit durch die Weigerung der CDU/CSU-Fraktion,ein Pairing-Abkommen für internationale parlamentari-sche Verpflichtungen abzuschließen, bei der Wahrneh-mung dieser Aufgabe behindert werde.
Sie sollten wirklich noch einmal darüber nachdenken, obman das nicht ändern kann.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Kritik an derMenschenrechtssituation in Tschetschenien gegenüberden russischen Politikern weitergeführt und noch ver-stärkt werden muss.
Die Misshandlungen und Tötungen von Menschen inTschetschenien müssen aufhören. Die Verantwortlichenfür Menschenrechtsverletzungen müssen zur Rechen-schaft gezogen werden. Für den Tschetschenienkriegmuss eine politische Lösung gefunden werden, die nichtdarin bestehen kann, mit Gewalt ein einseitig moskau-orientiertes Konzept durchzusetzen.
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Herr Kollege Erler, Sie haben die russischen Kollegenitiert, die von drohenden Schauprozessen und von mög-ichen Entwicklungen hin zu einer Diktatur sprechen.rau Kollegin Roth und Herr Kollege Bindig habeneide – dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken –lare und deutliche Worte zu den Menschenrechtsverlet-ungen und zur Lage in Tschetschenien sowie zu denorfällen um Chodorkowski gefunden. In diesem Punktind wir uns einig.Aber, Herr Bury, solche klaren Worte hätten wir gernon der Bundesregierung gehört.
tattdessen haben Sie davon gesprochen, dass Sie dientwicklung aufmerksam beobachteten und ein rechts-taatliches Verfahren erwarteten. Als hätte der bisherigeang des Verfahrens nicht längst das Gegenteil vonechtsstaatlichkeit bewiesen! Dazu kein Wort von derundesregierung!
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Ruprecht PolenzDer liberale Politiker Boris Nemzow beschreibt diegegenwärtige Situation wie folgt: „Russland wird nurselten glücklich, aber wir hatten eine Chance. Jetzt ver-lieren wir sie.“ Was hätten unsere Kollegen wie GrigoriJawlinski, Nemzow oder Ryschkow gesagt, wenn sie Ih-ren Erklärungen heute hier im Deutschen Bundestag hät-ten zuhören können? Ich glaube, sie wären entsetzt undenttäuscht gewesen, weil sie sich von einem wichtigenPartner Russlands im Stich gelassen gefühlt hätten, derzu den Vorfällen, die sie bitter besorgt machen, einfachschweigt und eine so blasse und nichts sagende Erklä-rung abgibt, wie Sie es heute für die Bundesregierunggetan haben.
Man muss die Besorgnis haben, dass es so etwas wieeinen westlichen Deal, an dem ja nicht nur die Bundesre-gierung beteiligt ist, gibt, der besagt: Wir schweigen zurEntdemokratisierung Russlands, dafür garantiert Putindort Stabilität. Wir kritisieren die Tschetschenienpolitiknicht länger, dafür macht Russland im Kampf gegen deninternationalen Terrorismus mit. Wir sind Russland beimZugang zu den globalen Wirtschaftsorganisationen be-hilflich, dafür können wir Öl und Gas importieren und inSibirien investieren. Eine solche Rechnung würde abernicht aufgehen, wenn man sie denn machte: Auf längereSicht könnte der Westen bei einem Sieg der Silowikinicht sicher sein, ob nicht der alte imperiale Staat, diealte aggressive, antiwestliche Supermacht, wiederbelebtwürde. Dies sagt nicht jemand, der aus dem kalten Kriegübrig geblieben ist, sondern das hat unser KollegeWladimir Ryschkow, Mitglied der Duma, in einem Inter-view der „Zeit“ zum Ausdruck gebracht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sollten wirernst nehmen. Deshalb ein paar ganz klare Forderungenzum Schluss: Leisetreterei hilft dem Westen nicht. Wirmüssen für die Liberalisierer in Russland klar Partei er-greifen.
Unsere Forderungen müssen lauten: wirklich freie Parla-mentswahlen im Dezember, private Fernsehstationen,eine unabhängige Justiz, freies Unternehmertum, Bürger-rechtsvereinigungen und Zivilgesellschaft. Nicht Putin,meine Damen und Herren, sondern nur ein demokrati-scheres Russland kann auf Dauer Stabilität garantieren.Für diejenigen, die vor allem an Wirtschaftsfragen inte-ressiert sind, füge ich hinzu: Nur ein demokratischeresRussland kann in Zukunft auch den steten Fluss von Ölund Erdgas garantieren. Diese Forderungen sind nichtweltfremde Illusionen, sondern echte Realpolitik im Inte-resse unseres Landes.Vielen Dank.
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Alle Fraktionen des Hohen Hauses stimmen darin über-ein, dass wir die Rechte der Opfer von Straftaten imStrafverfahren verbessern wollen. Die Unionsfraktionhatte bereits im Mai dieses Jahres – ich habe darauf hin-gewiesen – ein entsprechendes Opferschutzgesetz einge-bracht. Die Regierungskoalition und die Bundesre-gierung folgen nunmehr mit dem vorliegendenOpferrechtsreformgesetz.Wir stimmen, wie ich denke, aber auch darin überein,dass es kein Urheberrecht auf den Opferschutzgedankengibt. Ich appelliere daher – wie schon vor einigen Mona-ten – an Sie: Lassen Sie uns eine angemessene sachlicheDebatte führen, eine Debatte frei von Gezänk und politi-scher Rechthaberei. Die Aufgabe, die wir zu lösen ha-ben, ist anspruchsvoll; darauf werde ich noch zurück-kommen. Wir sollten daher gemeinsam nach der bestenLösung suchen.Lassen Sie mich in der ersten Lesung kurz die dreizentralen Ansatzpunkte unseres Entwurfes zusammen-fassend skizzieren:Erstens. Wir wollen die Belastungen für das Opferdurch das notwendige Strafverfahren so gering wie mög-lich halten. Wir wollen, dass die Verfahrensrechte desOpfers im Strafverfahren gestärkt werden. Zu diesemZweck sollen wiederholte Vernehmungen des Opfers,die ganz besondere Belastungen hervorrufen können, soweit wie möglich vermieden werden. Dem Opfer solleine stärkere aktive Teilnahme am Verfahren ermöglichtwerden. Hierzu dienen insbesondere die vorgeschlage-nen Verbesserungen bei der Nebenanklage und beim Op-feranwalt.Zweitens. Wir wollen für das Opfer, das ja zugleichVerletzter ist, die Möglichkeit verbessern, bereits imStrafverfahren vom Angeklagten Ersatz für den aus derStraftat entstandenen Schaden zu verlangen und diesengleichzeitig durchzusetzen. Der Entwurf enthält daher ineinem, wie ich finde, in sich geschlossenen Konzept dienotwendigen Regelungsvorschläge für eine spürbareVerbesserung und Stärkung des in der Strafprozessord-nung bereits heute möglichen Verfahrens, das aber we-nig angewendet wird. Hierdurch werden zugleich dieRessourcen der Justiz effizienter genutzt; denn wenn dasOpfer als Verletzter bereits im Strafverfahren einen voll-streckbaren Titel erlangt, wird ein nachfolgender Zivil-prozess überflüssig.Drittens. Wir wollen eine verbesserte Informationdes Opfers als des Verletzten über seine Rechte und denAblauf des Strafverfahrens. Hierzu dienen weit gehendeMitteilungen über eine Einstellung des Verfahrens, dieEntscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens,den Sachstand des Verfahrens einschließlich des Terminsder Hauptverhandlung sowie über freiheitsentziehendeMaßnahmen. Weiter wird die Verpflichtung zur Unter-richtung des Opfers über seine Schutz-, Beistands-, In-formations- und Verfahrensrechte erheblich ausgebaut.DtdmObudkoGstCfrwVSedisiskfmEfducltwnrnuseserg
Ebenso zutreffend weist der Deutsche Richterbund ineiner Stellungnahme darauf hin, dass durch die Stär-ung der Beteiligungsrechte des Opfers am Strafver-ahren die Kernaufgabe der Justiz, nämlich schnellst-öglich unter eigener Überzeugungsbildung zu einerntscheidung zu gelangen, die vom Täter und vom Op-er akzeptiert werden kann, nicht beeinträchtigt werdenarf. Ich stimme auch zu, dass gerade die konsequentend zeitnahe Durchsetzung des staatlichen Strafanspru-hes als solchen einen präventiven Opferschutz gewähr-eistet und damit letztendlich zugleich auch eine Genug-uungsfunktion erfüllt wird. Ich denke, das alles dürfenir, wenn wir in den vor uns liegenden Wochen und Mo-aten in den Ausschussberatungen über Opferschutzeden, angesichts der Systematik der Strafprozessord-ung nicht aus den Augen verlieren.Ich komme nun zu der Frage, die uns alle umtreibtnd die ich eben auch schon angesprochen habe: Wie lö-en wir das Problem der Umsetzung, dass das Opferiner Straftat bereits im Strafprozess einen Schadenser-atzanspruch, einen Strafanspruch, realisieren kann? Ininer grundlegenden Entscheidung hat der Bundesge-ichtshof bereits vor einigen Jahren Ausführungen dazuemacht, die ich hier zitieren darf. Dort heißt es nämlich:Es ist zu vermeiden, dass sich ein Angeklagter – zu-mal nach einem Geständnis –, um keine Zweifel anseiner Einsicht, Reue und seinem Wiedergutma-chungswillen aufkommen zu lassen, gedrängt sieht,einen in diesem Verfahren verfolgten Anspruch– auch wenn ihm die Höhe der Forderungen zwei-felhaft erscheint – unbedingt anzuerkennen.
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Joachim StünkerDer Richter darf daher auch nicht den Anscheineines unsachlichen Drucks auf den Angeklagten,zum Beispiel zum Abschluss eines Vergleichs, ent-stehen lassen.Indem ich das zitiere, möchte ich verdeutlichen, inwelchem Spannungsverhältnis diejenigen, die mit demGesetz hinterher zu arbeiten haben – sprich: Staatsan-waltschaft, Justiz, die entsprechenden Organisationen,die im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs arbeiten, undandere –, stehen. Deshalb müssen wir ihnen ein Instru-mentarium an die Hand geben, mit dem sie in diesemSpannungsverhältnis, das dort nun einmal gegeben ist,arbeiten können.All diese mahnenden, aber, wie ich meine, doch sehrprononciert ausgesprochenen Hinweise werden wir jetztin den Beratungen zur Gesetzgebung im Ausschuss undinsbesondere auch in der Sachverständigenanhörung so-wie in den Berichterstattergesprächen zu beachten ha-ben. Wir müssen dabei den gemeinsam als richtig er-kannten Mittelweg zu dem gemeinsam als richtigerkannten Ziel finden und diesen einschlagen.Zusammengefasst kann man sagen: Die Wahrung derrechtsstaatlichen Rechte des Täters, die berechtigten In-teressen des Opfers und die Durchsetzung des Strafan-spruch des Staates müssen miteinander kompatibelgemacht und vereinbart werden. Ich bin davon über-zeugt, dass wir diesen Mittelweg mit der entsprechendenUnterstützung der Fachöffentlichkeit in den Beratun-gen hier im Parlament finden und auch gehen werden.Wenn man die beiden jetzt vorliegenden Gesetzent-würfe, die ich genannt habe – den der Union vom Mai,und den, den wir jetzt vorgelegt haben –, nebeneinanderlegt und miteinander vergleicht, dann stellt man fest,
dass die rechtspolitische Philosophie, die darin zum Tra-gen kommt, identisch ist und dass die einzelnen Rege-lungsvorschläge, die dort gemacht werden, nicht tiefgreifend oder gar unüberbrückbar differieren. Wenn mangenau hinschaut, dann sieht man, dass es eigentlich nurzwei oder drei Punkte gibt, die wirklich sehr unter-schiedlich gesehen werden. Ansonsten gibt es hier eineweitgehende Übereinstimmung. Wir haben ja auch seitJahren an diesem Themenbereich gearbeitet. Ich habebereits im Mai auf unser Eckpunktepapier – es istmittlerweile drei Jahre alt – hingewiesen.Lassen Sie mich unter dem Eindruck der gestrigenSachverständigenanhörung – einige waren dabei – aufeinen Sachverhalt hinweisen, der mir etwas Sorge machtund worüber wir nachdenken müssen. Uns liegenmittlerweile insgesamt vier Gesetzentwürfe zur Ände-rung der Strafprozessordnung vor: das Justizmodernisie-rungsgesetz, das Justizbeschleunigungsgesetz und zweiEntwürfe eines Opferrechtsreformgesetzes. In absehba-rer Zeit wird als fünfter Entwurf – das habe ich Ihnenschon angekündigt; dieser Entwurf wird noch in diesemHerbst eingebracht – ein umfassender Gesetzentwurf zurÄnderung der Strafprozessordnung als solcher vorliegen.wmsdSfngwuufbSgMaSBpSlHfudgddrdv–n
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried Kauder.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Liebe Gäste! Als ich zum Rednerpulting, bekam ich auf den Weg mit: Das alles können Sieohl nur noch loben.Keiner in diesem Haus will, dass Opfer von Gewaltnd Straftaten nicht zu ihrem Recht kommen. Jeder vonns will, dass die Belastungen von Opfern im Strafver-ahren möglichst gering sind. Aber, Herr Stünker, erlau-en Sie mir einen Hinweis: Es kann nicht angehen, dassie sich immer wieder als opferpolitischer Bedenkenträ-er outen.
an muss Opferschutz nicht nur wollen, sondern ihnuch so umsetzen, dass er zu einem abgeschlossenenystem wird, damit man den Opfern nicht Steine stattrot gibt.
Die Frau Bundesjustizministerin hat auf der Home-age ihres Ministeriums am 5. November veröffentlicht:Der Oppositionsentwurf beinhaltet kein abge-schlossenes Gesamtkonzept und greift bei einzel-nen Regelungen zu kurz.
ie haben aus unserem Entwurf – zu Recht – die Rege-ungen zum Hinterbliebenenanwalt übernommen.ier werden wir zustimmen. Das ist ein weiterer Vorteilür die Hinterbliebenen von Tatopfern. Sie haben vonns auch übernommen, dass Bild-Ton-Aufzeichnungener Vernehmungen von Tatopfern für den Beschuldigtenesperrt werden. Sie haben unsere Idee übernommen,ass das Adhäsionsverfahren, also das Verfahren, mitem Opfer in Strafverfahren Entschädigung bekommen,eformiert werden muss. Aber Sie haben es so gemacht,ass es nicht praktikabel ist. Sie wollen das Adhäsions-erfahren kaputtsanieren.
Herr Kollege Stünker, auch Sie werden es vielleichtoch verstehen. Wenn nicht, verweise ich Sie auf einen
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Siegfried Kauder
wissenschaftlichen Beitrag, den ich demnächst veröf-fentliche.In Ihrem Vorschlag wird der Rechtsmittelweg, denSie im Adhäsionsverfahren eröffnen, aufgespalten: EinTeil landet zum Beispiel beim Oberlandesgericht, ein an-derer Teil beim Landgericht. Dabei wurde noch überse-hen, dass § 305 StPO korrigiert werden muss, weil sichsonst ein Widerspruch im Ablauf ergibt. So, wie Sie dasAdhäsionsverfahren sanieren und reformieren wollen,wird es in der Praxis nicht gehen. Ich weiß, dass man imMinisterium darüber nachdenkt, wie man diesen Mangelbeheben kann.
Wenn Sie schon davon sprechen, dass Ihr Entwurf einabgeschlossenes Gesamtkonzept sei, dann hätte ich er-wartet, dass Sie sich Gedanken nicht nur zum Erwachse-nenstrafverfahren machen, sondern insbesondere überdie Stellung des Opfers im Jugendstrafverfahren nach-denken. Das gehört zu einem abgeschlossenen Konzeptdazu.
Die Nebenklage im Jugendstrafverfahren ist nicht zuge-lassen.
Überlegen Sie sich, welche fatalen Folgen das für dasOpfer hat! Das Opfer im Jugendstrafverfahren bekommtkeinen Opferanwalt auf Staatskosten wie ein Kind alsZeuge im Erwachsenenstrafverfahren,
sondern nur einen Zeugenbeistand. Diesen Zeugenbei-stand muss das Opfer aus eigenen finanziellen Mittelnbezahlen.Ist es das, was Sie beim Opferschutz wollen, oder istes das nicht? Im Jugendstrafverfahren erhält der Zeugen-beistand nicht einmal uneingeschränkte Akteneinsicht,weil diese nach § 406 e StPO beschränkt werden kann.Die Nebenklage gegen Heranwachsende ist zugelas-sen,
das heißt: volle Opferrechte im Verfahren gegen 18- bis21-Jährige. Aber das Adhäsionsverfahren – also dieMöglichkeit, Schmerzensgeld geltend zu machen – istnur dann zugelassen, wenn sich am Ende des Prozessesherausstellt, dass man Erwachsenenstrafrecht anwendet.Wird Jugendstrafrecht angewendet, steht das Opferschutzlos da.
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achen Sie sich einmal Gedanken, welche Position das Op-er einer Straftat im so genannten verbundenen Verfahrenat! Das verbundene Verfahren ist ein Strafverfahren ge-en Heranwachsende, gegen Jugendliche und gegen er-achsene Straftäter. Wenn diese drei Gruppen einetraftat gemeinsam begangen haben, wird das Tatopfero behandelt, als wenn es sich um ein nicht öffentlicheserfahren gegen einen Jugendlichen handelte. Das heißtlso, im verbundenen Strafverfahren steht das Tatopferchlechter da, als wenn nur ein Verfahren gegen einenrwachsenen durchgeführt werden würde. Das Tatopferst in diesem verbundenen Verfahren völlig schutzlos;eine Rechte werden nicht berücksichtigt.Sie sehen also, meine Damen und Herren: Opfer-chutz wollen ist die eine Seite, ihn aber konsequent undn einem geschlossenen Konzept umzusetzen ist die an-ere Seite. Das ist Ihnen mit Ihrem Entwurf nur insoweitelungen, als Sie Vorstellungen aus unserem Entwurfbernommen haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingardchewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen le-en Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der die Be-ange der Opfer im gesamten Strafprozessverfahren um-assend verbessert, ohne dabei berechtigte Interessen derngeklagten zu vernachlässigen. Die Menschen, um dies geht, meist Frauen und Kinder, haben schlimme Ge-altverbrechen erlitten, grausamste Verletzungen anörper und Seele, sexualisierte Gewalt, Zwangsprostitu-ion. An den Folgen der Taten tragen sie meist nochahre später, oft sogar ein Leben lang.Darum ist es notwendig, die Folgen einer Tat für die Opfererstärkt in das Blickfeld zu rücken, um das gesamte Ermitt-ngs- und Strafverfahren so zu gestalten, dass es für sie ohneusätzliche Verletzungen abläuft und sie die Tat nicht doppeltrleben müssen. Für viele Opfer – insbesondere die Kinder –tellt die nochmalige Konfrontation mit den Tätern imrmittlungsverfahren oder als Zeuge bzw. Zeugin vorericht eine unzumutbare Belastung dar.Darum wollen wir eine Vernehmung insbesondere derindlichen Opfer aus einem Nebenraum heraus per Video-tandleitung ermöglichen. Zum Teil wird das jetzt schon
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Irmingard Schewe-Gerigkgemacht, aber wir stellen das jetzt auf eine andereGrundlage. Darin sind wir uns auch hier im Hause einig.Allerdings sieht unser Vorschlag vor, dass der oderdie Vorsitzende im Gerichtssaal verbleibt und nur dasKind außerhalb des Sitzungssaales vernommen wird.Wir ziehen dieses Verfahren dem Mainzer Modell vor,das Sie, meine Damen und Herren von der CDU, in Ih-rem Gesetzentwurf präferieren, wonach der Richter oderdie Richterin und das Opfer außerhalb des Gerichtssaalssind. Wir glauben, dass es für die Unmittelbarkeit desVerfahrens in der Hauptverhandlung besser ist, wenn derRichter oder die Richterin im Saal bleibt.Ich persönlich bin sehr froh, dass die Herausgabe vonVideobändern über die Vernehmung von Kindern an dieTäter nicht erfolgt und nur den zur Akteneinsicht Be-rechtigten diese Aufzeichnungen überlassen werden.Das verhindert, dass sich Täter jederzeit an dem durchsie verübten Leid auch noch ergötzen können.Daneben wollen wir besonders schutzbedürftige Zeugin-nen und Zeugen wie zum Beispiel Opfer von Sexualverbre-chen vor Belastungen durch mehrfache Vernehmungenzum gleichen Gegenstand bewahren. So kann künftig di-rekt beim Landgericht Klage erhoben werden, anstattwie bisher zunächst beim Amtsgericht und dann erst inzweiter Instanz beim Landgericht. Damit ersparen wirden Opfern die nochmalige Vernehmung in einer etwai-gen zweiten Tatsacheninstanz.Wir stärken mit diesem Gesetzentwurf – dabei sollteauch mit der Zustimmung der Opposition zu rechnensein – konsequent die Rechte aller Opfer von schwerenStraftaten im gesamten Verfahren. Prostituierte zum Bei-spiel, die durch einen Zuhälter ausgebeutet wurden, kön-nen sich damit einem Strafverfahren gegen diesen mitder Nebenklage anschließen. Ich glaube, das ist ein gro-ßer Erfolg. Die CDU/CSU sieht in ihrem Entwurf ledig-lich ein Fragerecht von Staatsanwalt und Verteidiger fürStraftaten nach § 181 StGB vor. Den Zuhälter zu stärkenund ihm mehr Rechte zu geben als seinen Opfern, denProstituierten – das wollen wir nicht.
Prostituierte schlechter zu behandeln als alle anderenOpfer – das ist durch nichts zu legitimieren.Was die körperliche Untersuchung angeht, so habenwir geändert, dass nicht nur bei Frauen die Untersu-chung von Personen gleichen Geschlechts vorgenom-men wird, wie Sie es in Ihrem Gesetzentwurf vorschla-gen. Auch Männer können ein Schamgefühl haben, sehrgeehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU.Bei berechtigtem Interesse – ich denke dabei gerade ankleine Jungen, die von Männern missbraucht wurden –kann es auch wichtig sein, dass das Opfer das Ge-schlecht der untersuchenden Person selbst bestimmenkann. Das ist Opferschutz, der sich an der Realität orien-tiert.
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Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung: Derorliegende Gesetzentwurf enthält so viele Verbesserun-en zugunsten der Opfer von Straftaten, dass man mit al-m Recht von einer umfassenden Reform der Opfer-echte sprechen kann, Herr Kauder. Das Gesetz, das wirtzt auf den Weg bringen, ist dabei ein wichtiger Schritt Rahmen der bevorstehenden Gesamtreform der Straf-
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Irmingard Schewe-Gerigkprozessordnung; der Kollege Stünker hat vorhin daraufhingewiesen.Wir haben vereinbart, dass im Dezember eine Sach-verständigenanhörung über die einzelnen Punkte, insbe-sondere über die Regelungen im Adhäsionsverfahren,stattfindet. Es würde mich sehr freuen, wenn wir geradebei diesem Thema, in dem wir bekanntermaßen in vielenFragen übereinstimmen, gemeinsam zum Wohle der Op-fer und zugunsten eines besseren Opferschutzes ent-scheiden könnten.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen,
FDP.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nachdem wir unter dem liberalen Justizminister EdzardSchmidt-Jortzig Ende der 90er-Jahre einige, wie ichfinde, wesentliche Fortschritte bei der Stärkung der Op-ferrechte erzielt haben, gab es leider eine Phase von vierJahren, in der kaum etwas geschehen ist. Der Täter-Op-fer-Ausgleich ist in dieser Zeit nur geringfügig verbes-sert worden. Trotz vieler Initiativen meiner Fraktion,aber auch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geschahnicht wirklich etwas. Deshalb freue ich mich ganz außer-ordentlich, Frau Ministerin – ich finde, dass es keinMangel ist, wenn ein Oppositionspolitiker etwas Positi-ves anspricht –, dass wir mit dem vorliegenden Entwurf,der unter Federführung Ihres Justizministeriums erarbei-tet wurde, wieder einen ganz wesentlichen Schritt nachvorne tun.Die heutige Debatte zeigt, dass wir ein ganzes Stückweiter sind. Alle Fraktionen sind der Auffassung, dassdie Rechte der Opfer weiter gestärkt werden müssen unddass wir von dem wegkommen müssen, was beispiels-weise die Strafrechtsdiskussion der 70er-Jahre aus-schließlich bestimmt hat, nämlich die Rolle des Tätersim Strafverfahren. Natürlich müssen wir auch die Rolledes Täters im Strafverfahren berücksichtigen. HerrStünker hat deutlich gemacht, dass Beschuldigtenrechtenicht eingeschränkt werden dürften. Aber ich sage ganzehrlich: Wenn ich mir die verschiedenen Möglichkeiten,die Position des Opfers zu stärken, anschaue, dann stelleich fest, dass es nur ganz wenige Punkte gibt, in denenüberhaupt die Gefahr besteht, dass Beschuldigtenrechteeingeschränkt werden. Die Stärkung der Opferrechte be-deutet nicht gleichzeitig die Einschränkung von Be-schuldigtenrechten. Die Rechte der beiden Gruppen soll-ten wir nicht gegenüberstellen.
Selbstverständlich will niemand Beschuldigtenrechteeinschränken, die notwendig sind. Aber wir wollen dieStärkung der Opferrechte.Frau Schewe-Gerigk hat einen Aspekt angesprochen,der auch für mich im Mittelpunkt steht: das Adhäsions-vdfamMrlwmmnfVdenTtGknbbsKnsBuRIwgkwsgOwelBwOdwhaDb
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Daniela Raab.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es ist gerade einmal ein halbes Jahr ver-
gangen, seitdem die Unionsfraktion im April den Ent-
wurf eines zweiten Opferschutzgesetzes hier eingebracht
hat und schon liegt prompt – so möchte man meinen –
ein fast gleich lautender Entwurf der Regierungsfraktio-
nen vor. Man freut sich natürlich über so viel Einsicht
– das ist ungewöhnlich – von Ihrer Seite.
– Sie brauchen mich nicht schon jetzt zu unterbrechen. –
Man liest dieses Werk, freut sich und stellt erstaunt fest:
Es wurde abgeschrieben, und das auch noch schlecht.
Der von der CDU/CSU-Fraktion im April vorgelegte Ge-
setzentwurf und der Entwurf des Bundesrates aus dem
Jahr 2000 haben eigentlich schon frühzeitig den richtigen
Weg aufgezeigt. Dies gilt im Übrigen für so vieles, das
von uns im Bereich Opferschutz schon früher umgesetzt
wurde. Anstatt jetzt aus unserem Entwurf abzuschreiben,
hätten Sie damals gleich zustimmen können.
Warum haben Sie sich überhaupt noch die Mühe ge-
macht, aus unserem praxisnahen und vor allem opferori-
entierten Entwurf ein solches Stückwerk zu machen?
Ich habe noch immer die Hoffnung, dass Sie sich spätes-
tens bei der für Dezember geplanten Expertenanhörung
davon überzeugen lassen, dass Sie auch noch die letzten
Punkte aus unserem Entwurf in Ihren übernehmen oder
Ihre Fehler korrigieren.
Zum Adhäsionsverfahren ist schon vieles gesagt
worden. Auch in diesem Punkt war unser Entwurf weit-
reichender und besser;
aber auch dieser Punkt ist Ihrer halbherzigen Abkupfe-
rung zum Opfer gefallen.
Ich möchte jedoch nicht nur über das sprechen, was
Sie schlecht abgeschrieben haben,
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Das macht ja nichts, Herr Stünker. Wir wissen schon,
ass Sie sich schnell aufregen.
Herr Kollege Stünker, bitte!
Nach Ihrem Entwurf können weiterhin Kopien vonild- und Tonaufzeichnungen einer Opfervernehmungn den Verteidiger herausgegeben werden. Unser Ent-urf sah ganz klar die notwendige Zustimmung des Op-ers vor; denn in dessen Persönlichkeitsrecht wird damitun einmal massiv eingegriffen. Die von Ihnen hier vor-eschlagene Formulierung des § 58 a StPO ist in meinenugen unklar und beseitigt in keiner Weise die noch im-er vorhandenen Missstände. Lesen Sie also besser nochinmal in unserem Entwurf nach! Dann wird es besser!Wir haben außerdem vorgeschlagen – auch Kolleginoll wird darauf eingehen –, dass kindliche Opferzeu-en in einem Prozess vom Vorsitzenden in einem separa-en Raum vernommen werden können. Das halten wirür sehr wichtig; denn erste praktische Erfahrungen mitem Zeugenschutzgesetz aus dem Jahre 1998 zeigenns, dass bei der noch immer gängigen Vernehmungs-raxis insbesondere den Belangen kindlicher Opferzeu-en nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Auchier gilt: Unser Entwurf beseitigt Lücken, Ihrer nicht.Sie hätten bei Ihren eigenen Ideen durchaus darauferzichten können, die Normierung eines Rechts- undooperationsgesprächs zwischen allen Verfahrensbe-eiligten – zum Beispiel im Ermittlungsverfahren – vor-unehmen. Es erscheint beinahe grotesk, die vollkom-en unterschiedlichen Interessen quasi an einem rundenisch schon zu solch einem frühen Zeitpunkt zusam-enführen zu wollen. Wozu soll das führen?Der Täter möchte immer im besten Licht erscheinen,m eine für ihn günstige Entscheidung herbeizuführen.ein Verteidiger wird ihn dabei unterstützen. Staatsan-altschaft und Gericht sollen die objektive Wahrheit he-ausfinden und ein materiell richtiges Urteil fällen. Daspfer erwartet in erster Linie Gerechtigkeit und Genug-uung. In meinen Augen sind das Interessen, die sichaum zusammenführen lassen. Wieso führt man dannolch eine Sollvorschrift ein? Sie ist in meinen Augenberflüssig. Es ist in der Praxis gängig, dass solche Ge-präche – zum Beispiel über die Reduzierung des Ver-ahrensstoffes – geführt werden. Auch diese Vorschriftst im Prinzip unnötig.Auch wenn es Herrn Stünker wieder ärgert: Abschrei-en ist zwar schön und gut; aber es fällt früher oder spä-
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Daniela Raabter auf. Es ist uns jetzt aufgefallen. Sie haben noch ver-sucht, Ihren Entwurf durch das Einbringen eigener Ideenvon unserem unterscheidbar zu machen. Der Versuch istIhnen, wenn Sie so wollen, gelungen; denn die Unter-schiede sind praxisfern, irrelevant und schlicht un-brauchbar.Zuletzt möchte ich Ihnen aber doch noch ein Lob aus-sprechen – Sie werden sich wundern –: Sie halten es indiesem Fall wie die Schüler. Sie schreiben von den Bes-seren ab.Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus gegebenem An-
lass möchte ich jetzt doch einmal sagen, dass ich insbe-
sondere bei jungen weiblichen Abgeordneten den Zwi-
schenruf „Wer hat Ihnen denn die Rede aufgeschrieben?“
etwas chauvinistisch finde.
Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Brigitte
Zypries.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen sagen, wer mir das aufgeschriebenhat, wenn Sie es wissen möchten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istjetzt schon mehrfach betont worden, dass wir mit diesemGesetz die Position der Opfer im Strafprozess eindeu-tig verbessern. Bei allem Streit, der noch zu Einzelheitenbesteht, sollten wir uns in dieser Gesamteinschätzung ei-nig sein und versuchen, den Streit ein bisschen tiefer zuhängen; denn Gegenstand des Entwurfs und Gegenstandder Aussprache sind Menschen und die Rechte der Men-schen, die Opfer von Straftaten geworden sind und dieim Strafprozess als Opfer einem Beschuldigten, einemAngeklagten gegenüberstehen. Es sind Menschen, denenLeid an Körper, an Seele oder Besitz zugefügt wurde.Sie können erwarten, dass sich der Staat ihrer mit Würdeund Respekt annimmt.
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Es geht um vier wesentliche Punkte, die hier schonenannt worden sind:Erstens. Die Belastungen der Verletzten sollen verrin-ert werden, das heißt, Mehrfachvernehmungen sollenermieden werden. In dem Entwurf der CDU/CSU istine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes dahinehend, dass gleich Anklage beim Landgericht erhobenerden kann, nicht vorgesehen. Wir glauben aber, dasss in bestimmten Fällen ein erheblicher Opferschutz seinann, wenn wir nur eine einmalige Vernehmung vorse-en. Mit der Revision zum Bundesgerichtshof bleibtuch dann ein Rechtsmittel erhalten. Damit tun wir einenntscheidenden Schritt. So erreichen wir, dass die noch-alige Vernehmung von Opfern vermieden wird.
Auch in den Fällen, die ihren Ausgang beim Amtsge-icht nehmen, werden wir zu einer Reduzierung der Zahler Vernehmungen kommen. Die Ergebnisse sollen nichtehr wie bisher nur schriftlich protokolliert werden,ondern wir wollen eine Aufzeichnung auf Tonträgernsgesamt, sodass das Ganze auch wieder abgehört wer-en kann.Zum Streitpunkt „Mainzer Modell, ja oder nein?“.ch habe schon in der Befragung der Bundesregierungesagt, dass das 1998 ausdrücklich und sehr umfänglichiskutiert worden ist. Es gab damals gute Gründe, dasodell nicht einzuführen. Diese Gründe bestehen mei-es Erachtens fort. Insofern gibt es eben ein Dilemma.uf der einen Seite ist die vertrautere Verhandlungsposi-ion, die Sie auch hervorheben – der Richter sitzt mitem Kind in einem Raum und kann anders auf das Kindingehen, wobei ich in Klammern hinzufüge: so er dasann; das muss nicht immer so sein –, und auf der ande-en Seite gibt es die rechtsstaatlichen Bedenken, dassämlich der Vorsitzende die Verhandlung nicht richtigeiten kann, weil er nicht mehr im Saal ist. Es stellt sichie Frage, ob man dem Anspruch der Strafprozessord-ung, dass das Gericht aus der Hauptverhandlung herausrteilen muss, überhaupt noch gerecht werden kann. Das
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Bundesministerin Brigitte Zyprieswaren die rechtsstaatlichen Bedenken, die seinerzeit ge-gen das Mainzer Modell sprachen.Wir wollen jetzt etwas anderes einführen. Mir scheintes so zu sein, dass die Länder damit einverstanden sind.Zumindest haben wir von keinem Bundesland die Rück-meldung bekommen, dass es statt unseres Vorschlagslieber das Mainzer Modell will. Es spricht also doch ei-niges dafür, dass die Länder das inzwischen als richtigerkannt haben.Der zweite Punkt ist die Stärkung der Verfahrens-rechte von Verletzten. Der Opferanwalt ist erwähnt wor-den. Frau Schewe-Gerigk hat auch schon darauf hinge-wiesen, dass wir die Nebenklagemöglichkeiten fürFrauen, die zum Beispiel Opfer von Prostitution oderZuhälterei geworden sind, erweitern werden. Das ist,wie ich glaube, ebenso wichtig wie die Erweiterung derRechte ausländischer Opfer. Dies soll dadurch gesche-hen, dass nebenklageberechtigte Personen, die der deut-schen Sprache nicht mächtig sind, Anspruch darauf ha-ben, unentgeltlich einen Dolmetscher zu erhalten, undzwar nicht nur auf Nachfrage.Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Möglichkeit, einePerson des Vertrauens in das Verfahren einzuführen,die auch schon bei den Ermittlungsgesprächen als Stützedabei sein darf. Das kann jemand aus der Familie sein,jemand Befreundetes oder eine Person, die psychologi-sche Beratung wahrnimmt. Da muss dann jede und jederfür sich selber entscheiden, wer es sein wird. Das stellteine deutliche Verbesserung gegenüber der jetzigenRechtslage dar. Im Moment ist es ja so, dass derjenige,der die Vernehmung leitet, darüber entscheidet und nichtdas Opfer selbst. Diesen Grundsatz drehen wir also um.
Drittens werden wir die Möglichkeiten des Adhä-sionsverfahrens verbessern. Damit wollen wir den Ver-letzten den zusätzlichen Gang vor das Zivilgericht erspa-ren. Auch das ist schon mehrfach erwähnt worden.Entgegen der bisherigen Praxis sehen wir eine Art Um-kehrung vor, die übrigens in Ihrem Entwurf fehlt. Viel-leicht lesen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen vonder CDU/CSU, das noch einmal nach. Unser Ziel ist es,die bisherigen Entscheidungsformen über den zivilrecht-lichen Schadensersatzanspruch hinaus zu erweitern. Wirwollen noch ein Anerkenntnisurteil einführen und aucheinen vollstreckbaren Vergleich über die Ansprüche desVerletzten aus der Straftat ermöglichen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kauder?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, in der Hoffnung, dass ich sie beantworten kann.
Falls wieder streitige Absätze zitiert werden, kann ich
das nicht garantieren.
Frau Justizministerin, würden Sie bitte zur Kenntnis
nehmen, dass wir eine Entscheidung des Gerichts über
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kauder, ich halte es für sehr schwierig, dem Op-
er – und damit dem zivilrechtlich Geschädigten – eine
estimmte Verfahrensart aufzuzwingen.
Das ist das, was Sie vorsehen; das haben Sie eben refe-
iert. Sie haben gesagt, in bestimmten Fällen muss das
dhäsionsverfahren durchgeführt werden. Das heißt
ichts anderes, als dass das – –
Jetzt kann ich auch noch einmal ausreden.
Das Wort hat jetzt die Justizministerin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Okay, auf Antrag muss es durchgeführt werden. Des-egen brauchen Sie keine Rechtsmittel. Das ist eineöglichkeit, die man erwägen kann.Wir meinen, dass das Rechtsmittelproblem lösbar ist,enngleich ich Ihnen zugestehe, dass wir daran noch ar-eiten müssen. Wir haben aber inzwischen vom Deut-chen Richterbund die Stellungnahme erhalten, dass erit diesem Vorgehen sehr einverstanden ist und es für ei-en richtigen Weg hält, um das Adhäsionsverfahren bes-er handhabbar werden und häufiger zur Anwendungommen zu lassen. Das fehlt uns ja im Moment. Wir kön-en in der Anhörung gerne darüber diskutieren, ob wirit Ihrem Vorschlag weiterkommen oder ob wir es schaf-en, die Rechtsmittelfrage so zu regeln, dass der von Ih-en zitierte doppelte Gang zum Gericht nicht erfolgt.Als vierten Punkt würde ich gerne noch die Informa-ion der Opfer über ihre Rechte im Strafverfahren undber den Ablauf desselben erwähnen. Wir wollen künf-)
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Bundesministerin Brigitte Zypriestig informieren über die Einstellung eines Verfahrens,über die Entscheidung der Eröffnung einer Hauptver-handlung, den Sachstand des Verfahrens und auch überdie Folgeentscheidungen, das heißt: Wann rückt derdann Verurteilte in Haft ein? Gibt es Vollzugslockerung?Wann wird er entlassen? Das ist ein Punkt, der übrigensauch in Ihrem Gesetzentwurf fehlt, wenn ich das nichtübersehen haben sollte.Aufgrund der Punkte, die ich jetzt genannt habe,meine ich, Herr Kauder, dass man nicht mit einer so pau-schalen Kritik sagen kann, dass unser Entwurf nicht um-fassender sei als Ihrer.
Ich glaube, es ist schon richtig, wenn wir sagen, dass wireinige Punkte mehr geregelt haben.
– Zum Jugendstrafrecht kommt gleich noch etwas.Wir halten die Informationspflicht für wichtig, weil esfür die Opfer eine furchtbare Situation sein kann, wennsie unvorbereitet auf der Straße ihrem früheren Peinigerentgegentreten müssen. Diese Situation wollen wir künf-tig gerne vermeiden.Wir verbessern also insgesamt die Lage der Opfer.Dabei wahren wir – wie Herr Stünker richtig gesagt hat –die Verfahrensrechte der Angeklagten und den Charakterdes Strafverfahrens; denn im Vordergrund steht – auchdarauf hat Herr Stünker hingewiesen –, den Strafan-spruch des Staates durchzusetzen. Auch aus diesemGrund kann dem Opfer durch das Strafverfahren nichtunbedingt geholfen werden, wenngleich es für mancheOpfer sicherlich auch zur Verarbeitung der Straftat ge-hört, den Strafprozess mit zu durchleben.Ich möchte noch auf einige Punkte außerhalb der Ge-setzgebung eingehen, die für die Opfer wichtig sind. Dasist zum Beispiel die Betreuung von Zeugen vor undwährend eines Strafprozesses. Während dieser Zeit sindpersönliche Ansprache und Zuwendung ganz besonderswichtig. Das gilt natürlich in besonderem Maße für Op-fer von sexueller Gewalt sowie für kindliche und jugend-liche Opferzeugen. Diese verdienstvolle Arbeit wird inDeutschland durch Zeugenbetreuungsstellen und Ein-richtungen der Opferhilfe in privater und öffentlicherTrägerschaft geleistet. Ich möchte die Gelegenheit nut-zen, all denen, die mit viel Engagement und Idealismusund sehr oft ehrenamtlich daran beteiligt sind, für ihrenEinsatz ganz herzlich zu danken und ihnen unsere Aner-kennung auszusprechen.
Danken möchte ich auch den Ländern, die mit finan-ziellem und organisatorischem Einsatz bei der Einrich-tung oder Förderung von Zeugenberatungsstellen sehrvözhznsnbmmribcdLnm1PdbeV–TAdfmskgkssGsddu
Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass wirithilfe der Sachverständigenanhörung, die für den0. Dezember anberaumt ist, einige der noch offenenunkte klären können. Dann werden wir auch darüber zuiskutieren haben, ob und in welcher Form es einer Ne-enklage im Jugendstrafprozess bedarf. Dazu habe ich,hrlich gesagt, in Ihrem Gesetzentwurf nichts gefunden.ielleicht habe ich es ja übersehen.
Ich habe es als Vorwurf empfunden, dass wir Ihreexte nicht übernommen hätten. Aber wenn dieserspekt in Ihrem Text gar nicht steht, kann ich auch nichtarauf eingehen.
Wir können gerne darüber diskutieren. Bei den spezi-ischen Fällen, die Sie, Herr Kauder, genannt haben,üsste man im Zweifel immer Rücksicht auf daschwächste Glied und damit auf den jugendlichen Ange-lagten nehmen. Bei der Dreierkombination, die Sie dar-estellt haben, sehe ich, ehrlich gesagt, kein Problem; daann ich Ihre Worte auch nicht als Kritik anerkennen.Ob das generell erforderlich und möglich ist, darüberollten wir diskutieren. Sie wissen, dass es in der Wis-enschaft gewichtige Stimmen gibt, die das aus demrundgedanken des Erziehungsanspruchs im Jugend-trafrecht nicht für richtig halten. Von daher werden wirie Sachverständigen brauchen, um in dieses kontroversebattierte Themenfeld etwas Licht zu bringen. Das wirdns gelingen. Ich kann Ihnen versichern, dass es wie bei
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Bundesministerin Brigitte Zypriesallen anderen Gesetzesvorhaben ist: Wir haben ein Inte-resse an sachgerechten Lösungen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Röttgen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Der Gesetzentwurf der Koalition wird von der
CDU/CSU-Fraktion sowohl mit Erleichterung als auch
mit Enttäuschung aufgenommen. Die Erleichterung folgt
aus der Tatsache, dass eine jahrelange Verweigerungs-
haltung von SPD und Grünen auf dem Gebiet des Opfer-
schutzes nunmehr beendet ist.
Die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes, über
das wir heute debattieren, ist über vier Jahre alt; sie hat
1999 begonnen. Sie haben die gesamte vergangene Le-
gislaturperiode vertan, was zur Folge hatte, dass dieser
Gesetzentwurf dem Prinzip der Diskontinuität zum Op-
fer gefallen ist. Auf dem Gebiet des Opferschutzes saßen
Sie vier Jahre lang im Bremserhäuschen. Auch darüber
muss heute geredet werden.
Es muss nicht deswegen darüber geredet werden, weil
wir das Bedürfnis haben, Recht zu bekommen, sondern
deswegen, weil in den vergangenen vier Jahren die Op-
fer nicht in den Genuss der Rechte und Möglichkeiten
gekommen sind, die wir heute fast übereinstimmend für
notwendig halten. Die Opfer sind die Verlierer Ihrer Un-
tätigkeit, meine Damen und Herren von Rot-Grün.
Das muss heute einmal gesagt werden.
– In den 16 Jahren davor – ich habe das in der letzten
Debatte zu diesem Thema gesagt; Herr Kollege van
Essen hat es heute angesprochen – ist sehr viel auf dem
Gebiet des Opferschutzes geschehen.
1994 wurde das Opferschutzgesetz verabschiedet und
1998 gab es die Regelungen zum Zeugenschutz. Lesen
Sie es nach! CDU/CSU und FDP waren immer die füh-
renden Fraktionen auf dem Gebiet des Opferschutzes.
Bis auf Kleinigkeiten haben Sie bislang nichts getan.
Das ist die reine Wahrheit.
Opferschutz ist immer eines unserer Hauptthemen ge-
wesen. Wir freuen uns wirklich, dass Sie dieses Thema
entdeckt haben. Bei aller Freude muss ich dennoch sa-
gen, dass auch Enttäuschung mitschwingt.
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Ich habe ausdrücklich gesagt, das Positive an diesemesetzentwurf ist, dass er von einer breiten Koalition ge-ragen wird. Sozialdemokratisch regierte Länder habenhn unterstützt. Ich habe in diesem Zusammenhang Frau
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Dr. Norbert RöttgenPeschel-Gutzeit erwähnt, die nicht Mitglied unserer Par-tei ist.
– Zum Thema Abschreiben komme ich noch. – Ich habeferner gesagt, dass darin die Chance liegt, einen Konsenszu finden.
– Ich bin mit der Beantwortung Ihrer Frage noch nichtfertig. Ich darf Sie also bitten, stehen zu bleiben. – Ichkomme gleich darauf zu sprechen, wie Sie auf diesesAngebot reagiert haben.Zweitens. Sie haben der Kollegin Raab in Ihrer Erre-gung – das habe ich nicht anders erwartet – nicht richtigzugehört. Denn der primäre Vorwurf der Kollegin Raaban Sie war nicht, dass Sie unsere Vorschläge übernommenhaben, dass Sie abgeschrieben haben. Unsere Vorschlägewerden dadurch nicht falsch, dass Sie sie übernehmen.Der Vorwurf ist, dass Sie schlecht abgeschrieben haben,meine Damen und Herren. Sie haben eine schlechte Ko-pie erstellt.
Das ist unser Vorwurf, den wir Ihnen machen, und das istauch das Enttäuschende.
– Doch, Sie schaffen es immer wieder, schlecht abzu-schreiben. An sich ist das relativ schwer, da gebe ich Ih-nen Recht, Herr Kollege.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Röttgen, würden Sie mir bestätigen,
dass ich bereits im Mai hier vorgetragen und darauf hin-
gewiesen habe – Sie können das im Protokoll der Sit-
zung nachlesen; mich erbost der Vorwurf des Abschrei-
bens, weil er in der Tat einfach falsch ist –, dass alle
Punkte, die jetzt in Ihrem Entwurf stehen, auch Gegen-
stand des Eckpunktepapiers sind, das Rot-Grün in der
14. Legislaturperiode vorgelegt hat?
Können Sie das bestätigen?
Ich werde jetzt nicht wieder durch die BeantwortungIhrer Frage Redezeit in Anspruch nehmen. Wenn Sie da-mit einverstanden sind, werde ich Sie aus der Debatteam 8. Mai gleich zu Wort kommen lassen. Ich werde dieKritik vortragen, die Sie damals an unserem Entwurf ge-übt haben, von dem Sie jetzt behaupten, er sei im We-swdBsGsmhgAdiStdS –fbh–SSgdHdz –
Ich zitiere gleich auch Sie, Kollege Montag. Stellenie sich schon einmal darauf ein. – Jetzt zitiere ich abertünker und richte das damit an Frau Zypries:Teillösungen geben den Menschen im ErgebnisSteine statt Brot. Das ist blinder Aktionismus,Rechtspolitik, die nicht durchdacht ist und nur ta-gespolitisch opportun erscheint …Das ist die Kritik, die Sie im Mai 2003 an einem Ge-enstand geübt haben, der zu 80 Prozent identisch ist mitem, was Sie jetzt selber einbringen, meine Damen underren. Sie haben ein Glaubwürdigkeitsproblem inieser Frage.
Auch der Kollege Montag hat Ihnen zugestimmt. Ichitiere auch ihn:Herr Röttgen, Opferschutz wird von uns so ge-macht werden, wie der Kollege Stünker es skizzierthat. Diesen Gesetzentwurf der im Wesentlichen identisch ist –
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Dr. Norbert Röttgenwerden wir mit Ihnen sicherlich nicht weiterverfol-gen.Herr Montag, jetzt sind Sie doch bei der Verfolgung da-bei.Sie haben ein massives Erklärungsproblem im Hin-blick auf die Aussagen, die Sie noch vor einem halbenJahr gemacht haben. Das ist das, was ich kritisiere. DerTon in der heutigen Debatte, den alle Koalitionsrednerangeschlagen haben – sensibel, sachlich, die Opfer beto-nend –, steht in einem völligen Gegensatz zu dem Ton,den Sie in der Debatte angeschlagen haben, in der wirunseren Gesetzentwurf vorgelegt haben. Das ist Ihr Pro-blem, das haben Sie zu verantworten.
– Ich bin nicht beleidigt. – Hier geht es um die Art undWeise, wie Rechtspolitik gemacht wird. Das ist meineletzte Bemerkung, mit der ich Kritik üben möchte. Esgeht um die Art und Weise, wie Sie Rechtspolitik ma-chen, und die müssen Sie ändern.Es immer das gleiche rot-grüne Muster:Erstens. Die CDU/CSU macht einen Vorstoß. In die-sem Fall waren Sie völlig unvorbereitet.Zweitens. Bei besonders guten Initiativen sehen Siesich veranlasst, besonders heftig zurückzuweisen, undzwar nicht mit Argumenten, sondern mit der Ankündi-gung eines großes Vorhabens.Dritte Stufe: Sie arbeiten an diesem großen Vorhaben– das nehme ich Ihnen ab – und Sie scheitern daran. Siehaben es doch in Wahrheit wieder nicht geschafft, eineumfassende Novellierung zu erreichen. Sie haben darangearbeitet, aber Rot und Grün waren sich wieder nichteinig.Viertens. Es kommt am Ende die schlechte Kopie derCDU/CSU-Entwürfe.
Meine Damen und Herren, hören Sie auf, so Rechts-politik zu machen. Nehmen Sie nicht immer nurschlechte Kopien, nehmen Sie die besseren Originale derCDU/CSU, wir werden Sie da weiterhin antreiben. Dannwird bei Ihrer Rechtspolitik am Ende wenigstens nochein bisschen herauskommen. Sie selber kriegen ja nichtshin.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaela Noll,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Op-ferschutz ist eine Thematik, die uns allen wirklich amHsRskMrblfAsirrudDgnGgkwPSldnKhmVEsdg–BSDmn
ie bekommen per Hauspost ein Schreiben vom Gericht.arin steht dann: Termin zur Ladung am … Gerichtster-ine gehören für die Menschen, die dort oben sitzen,icht unbedingt zum Alltagsgeschäft. Hier unten unter
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6475
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Michaela Nollden Kollegen sitzen Richter und Staatsanwälte – natür-lich auch andere Bundestagsabgeordnete –,
für die das Routine ist.Jetzt seien Sie einmal ganz ehrlich und stellen Siesich ein achtjähriges Mädchen vor, das Opfer von sexu-ellem Missbrauch geworden ist, sich nun in einem frem-den Umfeld mit vielen Menschen in schwarzen Robenbefindet, oftmals lange Wartezeiten während des Ver-handlungstermins aushalten muss, in einem separatenRaum sitzt und auf sich gestellt ist. In einer solchen Situ-ation soll das Kind über seine furchtbaren Erlebnisse ineine Kamera sprechen? Ich sage Ihnen klipp und klar:Das ist lebensfremd.
Das hat nichts mit einer versteckten Kamera aus demSamstagnachmittagsprogramm zu tun. Das ist für dasKind eine schwierige Situation. Manche Kinder – dagebe ich Ihnen Recht – schaffen das. Aber schwacheKinder werden dazu nicht in der Lage sein. Das ist undbleibt eine große Belastung für kindliche Opferzeugen.Etwas mehr Sensibilität und Feingefühl sind wir denkindlichen Opferzeugen schuldig. Meine Forderung lau-tet nach wie vor: Eine erneute Traumatisierung durch dieVernehmung muss verhindert werden. Liebe Kollegin-nen und Kollegen, steter Tropfen höhlt den Stein; ichbleibe am Ball. Denn Opferschutz für Kinder muss hei-ßen: am Wohl des Kindes orientiert. Wer das Kindes-wohl ernst nimmt, muss sich unserer Forderung nachEinführung des Mainzer Modells anschließen.Es gibt einen weiteren Bereich, zu dem ich sage: Dageschieht wenig. Das ist das Jugendstrafverfahren.Hier findet kein Opferschutz statt. Ich finde in IhremEntwurf nicht eine Zeile dazu. Glauben Sie allen Erns-tes, dass es für eine 21-jährige Frau einen Unterschiedmacht, ob sie von einem Jugendlichen oder von einemErwachsenen brutal vergewaltigt worden ist? Ich sage:Nein. Die Tatfolgen sind für das Opfer die gleichen. Faktist nur, dass die Täter immer brutaler und immer jüngerwerden. 30 Prozent aller Tatverdächtigen sind Kinder,Jugendliche und Heranwachsende.Alle Abgeordneten bekommen die Tageszeitung „Ber-liner Morgenpost“ ins Büro. Darin steht in der Über-schrift ganz groß: „Polizei ermittelt gegen 1 000 Kinder“.Darunter heißt es:Ein 14-Jähriger erregt die Gemüter der Hauptstadt.Die Staatsanwaltschaft wirft dem Jungen … vor, erhabe seine 21-jährige Freundin zum Teil mit bruta-ler Gewalt gezwungen …Das ist Realität. Wir müssen also etwas tun. Auch dieseOpfer bedürfen des Schutzes durch die Rechtsordnung.hhsscLbW–IdfwndDAWF
assen Sie uns gemeinsam in die kommenden Gesetzes-eratungen gehen. Wir werden es gemeinsam schaffen.ir werden gemeinsam etwas für den Opferschutz tun.
Dann sind Sie auf dem falschen Weg. Es tut mir Leid.ch stehe hinter den Opfern und hinter den Schwachen iner Gesellschaft.Unnachgiebig wiederhole ich meine Forderung: Op-er dürfen nicht erneut zu Opfern werden.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 15/1976 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.ann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung zu den Auswir-kungen des Gesetzes zur Neuregelung der ge-ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse aufden Arbeitsmarkt, die Sozialversicherung unddie öffentlichen Finanzen– Drucksache 15/758 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für TourismusHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keineniderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollegeranz Thönnes.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn wir uns heute mit dem Bericht der Bun-
desregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur
Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhält-
nisse auf den Arbeitsmarkt, die Sozialversicherung und
die öffentlichen Finanzen befassen, so sprechen wir über
ein sehr gutes, durchaus beschäftigungswirksames und
sozialpolitisch erfolgreiches Reformwerk.
Wie sah es denn vor 1999 aus? Über 4 Millionen ge-
ringfügige Jobs mit steigender Tendenz, ohne soziale Si-
cherung und ohne wirksame Kontrolle, gepaart mit zuneh-
mender Gefährdung der Vollzeitjobs durch Aufspaltung.
Das war damals die Realität. Die Realität war aber auch
eine CDU/CSU/FDP-Koalition, die sich nicht in der
Lage sah und nicht die Kraft hatte, diese verhängnisvolle
Entwicklung zu stoppen.
Mit dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse hat die Koalition aus SPD
und Bündnis 90/Die Grünen der weiteren Erosion sozial
gesicherter Arbeit und der Flucht aus der Sozialversiche-
rung eine deutliche Grenze gesetzt.
Unsere Ziele waren die soziale Absicherung der bis
dahin ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse, die fi-
nanzielle Stabilisierung der Sozialkassen, ein Stopp der
Aufspaltung von Vollzeitverhältnissen und ein Melde-
verfahren, das Übersicht ermöglicht und Schutz vor
Missbrauch möglich macht. Ich stelle fest: Mit den ver-
schiedenen Reformschritten haben wir diese Ziele er-
reicht.
Erstmals wurden gut 4 Millionen geringfügige Jobs in
die Systeme der sozialen Sicherung einbezogen. Durch
das Gesetz selbst konnte die Rentenversicherung jährlich
gut 1,9 Milliarden Euro an Mehreinnahmen verzeichnen.
Für die gesetzliche Krankenversicherung gab es 2000
und 2001 allein aufgrund der ausschließlich geringfügig
Beschäftigten Mehreinnahmen von rund 1,2 Milliarden
Euro. Mehr noch: Die unzureichende soziale Absiche-
rung von Frauen, die vor der Reform besonders benach-
teiligt waren, wurde beseitigt.
Denn wir haben die Möglichkeit eingeführt, freiwillig in
die Rentenversicherung einzuzahlen und auf volle
Pflichtbeiträge aufzustocken. Damit haben wir die
Chance eröffnet, Lücken in Erwerbsbiografien durch
Pflichtbeitragszeiten zu schließen. Es wurde die Gele-
genheit eröffnet, Ansprüche auf Rehabilitationsmaßnah-
men, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und vorgezogene
Altersrente zu erwerben. Von dieser Möglichkeit machen
inzwischen weit mehr als 140 000 Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer Gebrauch.
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ut zwei Drittel davon sind Frauen. Das ist ein Erfolg.
Herr Staatssekretär, lassen Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Kolb zu?
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Ich würde sagen, Sie warten noch einen kleinen Mo-ent, dann können Sie die Prozente selbst ausrechnen.
Das zeigt: Mit der Reform von 1999 ist ein solidesundament gelegt worden, das durch die Neuregelungenes letzten Jahres, durch Hartz II und durch das Zusam-enbringen verschiedener Vorstellungen auch hier ausiesem Hause modernisiert und weiterentwickelt wordenst.
Mit Hartz II wurde die Arbeitsentgeltgrenze für alleeringfügigen Beschäftigungen von 325 Euro auf00 Euro monatlich angehoben. Wir haben Neuregelun-en für Privathaushalte geschaffen und für die Arbeitge-er – privat wie unternehmerisch – wurde das Beitrags-nd Meldeverfahren ganz entscheidend vereinfacht undamit entbürokratisiert.Die zentrale Meldestelle bei der Bundesknappschaftrfüllt ihre Arbeit in hervorragender Weise. Sie ist bür-ernah und kundenorientiert. Das hilft der Wirtschaftnd den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern glei-hermaßen. Und sie gibt uns einen guten Überblick.Seit dem In-Kraft-Treten der Neuregelungen ist einräftiger und deutlicher Zuwachs von geringfügigen Be-chäftigungsverhältnissen zu verzeichnen.
asierend auf den Daten der Bundesknappschaft konnteeren Erster Direktor, Herr Georg Greve, am 4. Novem-er 2003 bekannt geben, dass die Zahl der gemeldetenobs inzwischen auf 5,9 Millionen angestiegen ist. Da-it sind in diesem Bereich gegenüber dem Vorjahr gutMillion neue Jobs, in den letzten drei Monaten gar60 000 neue Jobs entstanden.
s sind 6,7 Millionen Jobs gemeldet, wenn man dieurzfristigen Jobs und die in den privaten Haushalteninzunimmt. Es freut uns, von Herrn Greve zu hören,ass eine Aufspaltung regulärer Arbeitsverhältnisse ininijobs nicht stattgefunden hat.
Mit den Regelungen für die Jobs in der Gleitzonewischen 400 und 800 Euro mit gestaffelten Sozialversi-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6477
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Parl. Staatssekretär Franz Thönnescherungsabgaben haben wir deutlich gemacht, wie sozialverantwortbar Beschäftigung im unteren Einkommens-bereich gestaltet werden kann. Damit ist klar: Es ist unsgelungen, diesen Bereich der Beschäftigungspolitik inseiner gesamten Bandbreite unter Wahrung des notwen-digen sozialen Schutzes zukunftsfähig zu machen.Angemerkt sei auch, dass sich allein die Beschäfti-gungsverhältnisse in Privathaushalten noch nicht soentwickeln, wie wir uns das vorgestellt haben. Gleich-wohl sind inzwischen 33 000 Minijobs in Privathaushal-ten gemeldet. Das sind immerhin schon 6 000 mehr.Auch hier machen sich das einfache Haushaltsscheck-verfahren sowie die steuerliche Förderung positiv be-merkbar. Gleichwohl müssen wir an dieser Stelle zusätz-liche Anstrengungen unternehmen, müssen mehr überdie Optionen informieren und damit auch gleichzeitig ei-nen Weg aus illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeitaufzeigen.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen in diesem Zusammen-hang die Erleichterungen im Bereich des Ehrenamtes.Das wird allzu häufig vergessen. So wurde die bekannteÜbungsleiterpauschale von 2 400 Euro auf 3 600 Euroim Jahr angehoben
und damit eine langjährige Forderung, insbesondere ausdem Bereich des Sports, erfüllt.
Hinzu kommt die erweiterte Steuerfreistellung ehren-amtlicher Tätigkeiten sowie für Aufwandsentschädigun-gen, die aus öffentlichen Haushalten geleistet werden.Hier sind bis zu 300 Euro im Monat steuerfrei.Aufbauend auf der ersten Reform der so genanntenMinijobs durch die SPD-geführte Bundesregierung hatsich durch die Vorschläge der Hartz-Kommission, durchdie Aufnahme der Kritiken und der Erfahrungen aus derPraxis und die Einbeziehung politischer Initiativen ausdiesem Haus bis hin zu den Ergebnissen des Vermitt-lungsausschusses nun eine gute gesetzliche Grundlagefür die Regelung der geringfügigen Beschäftigungsver-hältnisse entwickelt.Sie gewährleistet weiterhin die soziale Absicherungeinstmals ungesicherter Arbeitsverhältnisse. Sie stärktBeschäftigungsoptionen im Bereich der geschaffenenGleitzone, also im unteren Einkommensbereich. Sie istnutzerfreundlich für die Wirtschaft und die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer. Die wachsenden Zahlenbelegen das eindeutig. Sie grenzt Missbrauch ein. Siestärkt das Ehrenamt und ist damit alles in allem ein gutesFundament für die sozialverträgliche Gestaltung flexi-bler Beschäftigungsformen.Dies ist und wird auch künftig der Gradmesser für dieArbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung sein. DieWeichen für mehr Beschäftigung sind auf diesem wichti-grCHBGeBNBhRüWrrpAvvdanVdaRd6atsMwsRuh1cEB
Nächster Redner ist der Kollege Matthäus Strebl,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Herr Staatssekretär Thönnes, der vorliegendeericht ist symptomatisch für die letzten fünf Jahre Rot-rün. Hier muss die Bundesregierung wieder einmalinräumen, dass ihre Politik in einem weiteren wichtigenereich gescheitert ist.Ich mache eine kurze Zeitreise vier Jahre zurück:ach der Bundestagswahl im Jahr 1998 erklärte dieundesregierung die geringfügigen Beschäftigungsver-ältnisse mit der 630-Mark-Job-Regelung zum großeneformprojekt. Dieses Projekt wurde in unserem Landber vier Jahre getestet.
as war geschehen? In der Hauptsache wurden die ge-ingfügigen Beschäftigungsverhältnisse wie auch die ge-ingfügigen Nebenbeschäftigungen sozialversicherungs-flichtig gemacht. Für geringfügig Beschäftigte hatte derrbeitgeber 10 Prozent an die gesetzliche Kranken-ersicherung und 12 Prozent an die gesetzliche Renten-ersicherung abzuführen. Ziel der Regierung war es,iesen Beschäftigungsbereich abzubauen und den Sozi-lkassen mehr Einnahmen zu verschaffen.Der Erfolg hielt, was versprochen war, wenn auchicht von der Bundesregierung, sondern von etlichenerbänden: Allein innerhalb des ersten Quartals 1999 istie Zahl der geringfügig Beschäftigten um rund 700 000uf 5,8 Millionen zurückgegangen. Dies bedeutete einenückgang um 10 Prozent im ersten Schritt. Ebenso gingie Zahl der Nebenbeschäftigten in diesem Zeitraum um00 000 auf 1,1 Millionen Personen zurück. Was im Ko-litionsvertrag von 1998 angestrebt war, ist also einge-roffen. Man muss folglich der Bundesregierung zu die-em Erfolg gratulieren, so möchte man im erstenoment meinen. Aber diese Gratulation fällt bitter aus,enn man die Folgen für den Arbeitsmarkt, die Wirt-chaft und das Ehrenamt betrachtet. Hier zeigt sich, wasot-Grün vor lauter falsch verstandener Sozialromantiknd Ideologie übersehen hat.
Kanzler Schröder meinte, auf die Opposition nichtören zu müssen. Mit eiskalter Arroganz verkündete er999 im Plenum des Deutschen Bundestages: „Wir brau-hen die Opposition nicht zum Regieren.“ Der einzigerfolg, wie wir heute wissen, war ein unübersichtlichererg an Reformplänen – fünf Jahre ruhige Hand. Schnell
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Matthäus Streblmachte der Spruch „Es gilt das gebrochene Wort“ dieRunde.
Kritische Stimmen aus den eigenen Reihen, etwa vonFrau Ministerpräsidentin Heide Simonis oder dem dama-ligen Sozialminister Florian Gerster, wurden schlichtignoriert. Auch die Unionsfraktion hatte bis zum Schlussmassiv auf die verheerenden Auswirkungen dieser Neu-regelung vom 1. April 1999 – man könnte hier an einenAprilscherz denken – hingewiesen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, einzelneBranchen sind von dem Prinzip der geringfügigen Be-schäftigung geradezu abhängig. Sie brauchen flexible, oft-mals zeitlich begrenzte Arbeitsplätze. Dementsprechendgroß war auch der Aufschrei in den einzelnen Verbänden:vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, dem Bun-desverband Deutscher Zeitungsverleger und dem Bundes-verband Deutscher Anzeigenblätter bis hin zur Land- undForstwirtschaft und dem gesamten Sozialbereich. Gering-fügige Beschäftigung wurde so weit verteuert, dass sie fürdie Verbände im Endeffekt abgeschafft worden ist. Diezusätzliche Belastung durch die Sozialabgaben wurdenicht durch eine entsprechende Steuerentlastung ausgegli-chen. Die Folge waren Zehntausende von Kündigungenallein im Zeitungs- und Anzeigenwesen.
Somit war eine der großen Hoffnungen der Bundesregie-rung, es käme zu mehr Festanstellungen, wie eine Sei-fenblase zerplatzt. Das Institut der deutschen Wirtschaftstellte damals fest, die Neuregelung der so genannten630-DM-Jobs habe im Jahr 1999 kaum zu festen Stellengeführt. Im Gegenteil, die Auswirkungen für die Wirt-schaft und den Arbeitsmarkt waren verheerend.
Kanzler Schröder wollte sich nach seiner Wahl 1998 amAbbau der Arbeitslosigkeit messen lassen. Stattdessenbrachte er es zu immer neuen historischen Rekorden,wie wir auch derzeit wieder sehen.Ob nun beim Wirtschaftswachstum oder beim Abbauder Arbeitslosigkeit, meine sehr verehrten Damen undHerren, Deutschland war stets das Schlusslicht der EU.Es ist schon fast faszinierend, dass die Bundesregie-rung Probleme zwar erkennt, aber stets falsche Lösungs-ansätze bringt.
Richtig erkennt die Bundesregierung in ihrem Bericht, deruns vorliegt, auf Seite 13, dass geringfügige Beschäfti-gung speziell im Hinblick auf das Alter eine Brücke inden Arbeitsmarkt sei. Als richtig stellt sie auch fest,dass Schüler und Personen mit geringer bis gar keinerQualifizierung den größten Anteil der geringfügig Be-schäftigten ausmachen. Also gerade die Gruppen sindbetroffen, die am schwierigsten in den Arbeitsmarkt zuvurfgdbglmgmSSgfsgSStebdShdMdbzrdkdM6ddgthbvSs
Es stellt sich also die Frage, was die Neuregelung beien geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen für dieozialversicherungen und die Haushaltskasse gebrachtat. Sie hat zum einen zu gewissen Mehreinnahmen beien Sozialversicherungen geführt, zum Beispiel zuehreinnahmen der Rentenkasse von etwa 1,9 Milliar-en DM im Jahr 1999
zw. circa 2,85 Milliarden DM in den Folgejahren sowieu Mehreinnahmen der gesetzlichen Krankenversiche-ung von 1,5 Milliarden DM bzw. 2,25 Milliarden DM inen Folgejahren. Diesen Mehreinnahmen stehen jedochassenmäßige Steuermindereinnahmen einschließliches Solidaritätszuschlages zum Beispiel von allein 1,37illiarden DM im Jahr 1999 gegenüber. Das macht rund25 Millionen DM für den Bund, 553 Millionen DM fürie Länder und 195 Millionen DM für die Gemeinden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits inen Jahren 1999 und 2000 haben ich und meine Kolle-en von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Bundes-ag auf dieses Ungleichgewicht hingewiesen. Die Haus-alte und kleinen Unternehmen werden übermäßigelastet, während sich große Unternehmen beim Energie-erbrauch selbst entlasten können. Mein Fazit lautet:chröder ist als umgedrehter Robin Hood aufgetreten – erchont die Großen und plündert die Kleinen.
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Matthäus StreblDie CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich seit derEinführung der Neuregelung im Jahr 1999 stets um Ver-besserungen bemüht, angefangen vom Antrag „630-DM-Gesetz und Neuregelung der Scheinselbstständigkeit zu-rücknehmen“ und die Anträge „Kurzfristige Beschäfti-gungen im Rahmen des 630-DM-Gesetzes entlasten“und „Arbeitnehmer entlasten – Vorfahrt für mehr Be-schäftigung“ in der 14. Wahlperiode bis zum Entwurf des„Kleine-Jobs-Gesetzes“ in der 15. Wahlperiode.Stets kamen von Rot-Grün zuerst Bedenken. Dochletztlich hat sich die Union beim Bereich Minijobsdurchgesetzt. Mittlerweile gilt, dass bis zu einer Ein-kommensgrenze von 400 Euro im Monat der Arbeitneh-mer bei einer gering entlohnten Beschäftigung brutto fürnetto erhält. Das gilt auch für Nebenverdienste. Der Ar-beitgeber zahlt einen Pauschalbetrag von 25 Prozent aneine zentrale Einzugsstelle, die die Gelder an die Sozial-versicherungen weitergibt. Es gibt daher keine umständ-lichen Meldeverfahren mehr wie vorher. Vor allem gibtes in den Krankenkassen keine unterschiedlichen An-sprechpartner mehr. Bis zu einem Monatseinkommenvon 800 Euro werden die Sozialversicherungsbeiträgeder Arbeitnehmer schrittweise bis zum vollen Beitragangehoben. Für fast 1 Millionen Arbeitswillige gibt esdamit neue Beschäftigungsmöglichkeiten.Durch die neue Regelung sind inzwischen 5,8 Millio-nen Minijobs gemeldet worden. Rechnet man die kurz-fristigen Beschäftigungsverhältnisse und die Tätigkeitenin den privaten Haushalten hinzu, so kommt man auf6,4 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnbereich.Hinzu kommt noch, dass nun jedermann, auch den rund2 Millionen Menschen mit geringer Qualifikation, diebislang ohne Job waren, der Weg in einen unbürokrati-schen Niedriglohnsektor offen steht.Auch für die Unternehmen rechnen sich die Minijobs.Nach Berechnungen des Unternehmermagazins „Im-pulse“ können Arbeitgeber und Mitarbeiter mit dem Mi-nijob-Gesetz bis zu 434 Euro pro Mann und Monat spa-ren. So lohnt sich auch niedrig entlohnte Arbeit wieder;denn sie ist unbürokratisch, flexibel und rentabel. Nur sokann man den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft wiederauf den richtigen Kurs bringen und den Menschen in un-serem Land eine Perspektive aufzeigen.
Die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsver-hältnisse ist dazu ein Schritt.Am Schluss meiner Rede möchte ich sagen:
Ich bin nur froh, dass der Schutt, den uns der ehema-lige Arbeitsminister Walter Riester bei den Minijobs hin-terlassen hat, seit diesem Jahr endlich ausgeräumt ist;denn nun ist der Weg für mehr Beschäftigung wenigs-tens in diesem Bereich frei.Ein Anfang ist getan. Um unser Land wegen der Glo-balisierung und der EU-Osterweiterung zukunftsfähig zumachen, müssen nun weitere Schritte im AllgemeinenssnWdsmdmsrhdisbgüdgrdhstsdzvvjwwBtuncWzbzd
ass wir bei der Reform der Minijobs, an der auch Sieitgewirkt haben, so erfolgreich waren, dass Sie sichcheuen, über die Perspektiven und Aussichten im Be-eich der geringfügigen Beschäftigung zu reden. Ichabe wirklich gedacht, dass Sie darüber reden würden;enn Minijobs und die geringfügige Beschäftigung sindn Ergänzung zu voll sozialversicherungspflichtigen Be-chäftigungsverhältnissen wichtige Bausteine in der Ar-eitswelt.
Arbeitslose können durch ein geringfügiges Beschäfti-ungsverhältnis den Kontakt zum Arbeitsleben halten undber den so genannten Klebeeffekt unter Umständen sogaren Einstieg in einen regulären Job schaffen. Nach wie voribt es bei uns – das ist der Unterschied zu Ihrer Regie-ungszeit bis 1998 – die Sozialversicherungspflicht undie Möglichkeit, Zeiten anzurechnen. Durch die Reformaben wir jetzt in der Tat erreicht, dass Jobs, in denenchwarz gearbeitet wurde, in sozialversicherungspflich-ige Minijobs überführt worden sind.
Ich bin mir ganz sicher: Wir werden diesen Erfolg fort-etzen und auch bei den haushaltsnahen Dienstleistungenurchsetzen, da das dort Erreichte in der Tat noch nichtufriedenstellen kann. Daher müssen wir Informationenerbreiten. Ich freue mich, dass die Bundesknappschafton einer Kampagne spricht, um den Bereich der Mini-obs bis zu den haushaltsnahen Dienstleistungen auszu-eiten. Ich freue mich auch darüber, dass es Initiativenie die in Nordrhein-Westfalen gibt. Dort werden zumeispiel verschiedene Minijobverhältnisse über Dienstleis-ngspools zusammengefasst und im Bereich der haushalts-ahen Dienstleistungen perspektivisch in voll sozialversi-herungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse überführt.ir müssen aber auch sehen, dass Minijobs vorwiegendusätzliche Beschäftigungsverhältnisse zu regulären Ar-eitsverhältnissen sind. Sie stellen einen Zuverdienstum Arbeitslosengeld oder zum Haushaltseinkommenar, der in der Regel von Hausfrauen erarbeitet wird.
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Markus KurthDie Bundesanstalt für Arbeit schätzt den realen Arbeits-markteffekt bislang nur auf circa 80 000. Ich denke, dassollten wir natürlich berücksichtigen. Da zieht das Argu-ment nicht, dass der Arbeitsmarkt durch die Minijobsinsgesamt belebt werden kann. Bei aller Freude über dieAkzeptanz der Minijobs und bei aller Genugtuung darü-ber, dass dies offensichtlich nicht zu dem auch von mir– das gebe ich zu – befürchteten Einbruch bei den Ein-nahmen der Sozialversicherung geführt hat, sehen wir,dass dies nur eine ergänzende Beschäftigungsform ist.Sie erwecken – auch darüber muss man im Rahmendieser Debatte einmal reden – den Eindruck – Sie habenvon der Globalisierung gesprochen –, eine Niedriglohn-und Minijobökonomie eröffne den Weg zu internationa-ler Wettbewerbsfähigkeit oder gar Vollbeschäftigung.
– Das behaupten Sie doch permanent. In der Debatte umHartz IV hat hier Herr Koch von Stundenlöhnen in Höhevon 4 Euro gesprochen und als Vergleich die Tschechi-sche Republik angeführt. Er hat behauptet, über niedrigeLöhne könnten wir die internationale Wettbewerbsfähig-keit wiedergewinnen. Aber auch wenn Sie diese Be-hauptung wiederholen, wird sie dadurch nicht richtiger.
Insbesondere im internationalen Wettbewerb stehtDeutschland in einem Wettbewerb um Produktivität,Qualität, Produkt- und Prozessinnovation. Die Lohnkos-ten für sich betrachtet stellen nicht den entscheidendenWettbewerbsvorteil dar. Entscheidend sind die Lohn-stückkosten. Hier liegen deutsche Unternehmen im in-ternationalen Vergleich gar nicht so schlecht. Entschei-dend ist auch, ob Produkte und Dienstleistungen über einAlleinstellungsmerkmal und Innovationsvorsprünge ver-fügen. Man fragt sich, ob Sie die Theorie der komparati-ven Kostenvorteile des Ökonomen David Ricardo – einklassischer Ökonom des 19. Jahrhunderts – überhauptkennen.
Seine Theorie ist das Rüstzeug jedes Studenten derVolkswirtschaft. Offensichtlich haben Sie einen Grund-kurs nötig.Diese Theorie der komparativen Kostenvorteile be-sagt, dass jede Volkswirtschaft im Rahmen der internatio-nalen Arbeitsteilung ihre besondere Ausstattung mit Pro-duktionsfaktoren wie etwa Arbeitskräften, Rohstoffen,Wissen und Fertigungskapazitäten so ausrichtet, dass siesich auf die günstigste Kombination vergleichbarer Kos-tenvorteile spezialisiert. Die Lohnkosten sind in einerÖkonomie wie Deutschland mit Sicherheit nicht derkomparative Kostenvorteil, den es zu kultivieren gilt.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: EinDrei-Sterne-Restaurant, das in wirtschaftliche Schwie-rrjbntnFndldistsDswSseOosWnwnVsdmelbsgmsk
Es ist traurig, dass Binsenweisheiten in der politi-chen wie öffentlichen Diskussion auch von manchemirtschaftsforschungsinstitut wie dem Ifo-Institut hart-äckig ignoriert werden. Es ist dringend notwendig, dassir von ideologischen Fiktionen wegkommen und zu ei-er tatsachenbezogenen Politik zurückfinden.
on Ihrem ökonomischen Verständnis her befinden Sieich zum Teil auf dem gleichen Niveau wie die Weberes 19. Jahrhunderts, die meinten, durch Maschinenstür-erei dem unvermeintlichen Produktivitätsfortschritt zuntkommen.
Ein Vergleich der Bauindustrie Japans und Deutsch-ands zeigt schon heute, dass eine Verengung des Wett-ewerbs nur auf die Lohnhöhe den Produktivitätsfort-chritt hemmt und die Wettbewerbsfähigkeit letztlichefährdet; denn in der Bauindustrie Japans ist die Auto-atisierung schon sehr weit fortgeschritten, währendich auf deutschen Baustellen unterbezahlte Arbeits-räfte aus Osteuropa gegenseitig im Weg stehen.
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Markus KurthIn diesem Sinne bieten Minijobs, insbesondere imHotel- und Gaststättengewerbe, eine ergänzende, quasiLücken füllende und unterstützende Funktion an. Siekönnen in gewissen Bereichen Brücken in den ersten Ar-beitsmarkt bauen. Aber das entbindet uns nicht von derPflicht, die Diskussion zu entideologisieren,
die Lohnhöhe zu akzeptieren, angemessen Löhne undProduktivitätsfortschritt zu fördern und zu steigern. Bei-des muss in ein vernünftiges Verhältnis zueinander ge-setzt werden. Genau dazu ist Rot-Grün angetreten. Daswerden wir auch durchsetzen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich schlage vor, Herr Kollege Kurth, dass wir uns jetztaus dem Soziologieseminar wieder zurück in die Realitätbewegen. Da sehen die Dinge schon ganz anders aus.
Die Geschichte der geringfügigen Beschäftigungsver-hältnisse unter Rot-Grün ist – das sage ich auch an dieAdresse des Staatssekretärs – alles andere als eine Er-folgsgeschichte. Sie ist bestenfalls eine Tragikkomödie,die 1999 im Chaos begann und die sich durch Zutun derOpposition zu Beginn dieses Jahres zum Erfolgsmodellgewandelt hat. Das ist die Wahrheit, was die geringfü-gige Beschäftigung anbelangt.
Ich will mich gar nicht lange bei der Vergangenheitaufhalten, denn es gilt das Sprichwort: Wer immer nur inden Rückspiegel guckt, fährt zwangsläufig gegen dieWand. Das ist ja Ihr Problem in der letzten Legislaturpe-riode gewesen. Es genügt, wenn man einen Hinweis aufdas Waterloo gibt, das Sie 1999 mit den geringfügigenBeschäftigungsverhältnissen erlebt haben. Das ist Ihnenalles noch in bester Erinnerung.
– Wenn Sie wollen, können Sie sich das wieder in Erin-nerung rufen.Es genügt auch ein Hinweis auf das Zustandekommender Minijob-Regelung im Rahmen von Hartz II. FragenSie meinen Kollegen Dirk Niebel. Ihm ist noch bestensin Erinnerung, wie damals Herrn Stiegler die Zigarre ausder Hand fiel, als Herr Clement der Opposition die jet-zige Minijob-Regelung zugestanden hat. So ist es näm-lich gewesen.zimuKlngsvKnvggheuBKrShwWssßEhTIwhweJiaGsbSW
chon kleine Spielräume werden vom Markt dankbaronoriert und in Beschäftigung umgesetzt. Das ist es,as man diesen Berichten entnehmen kann.
enn man sich jetzt die Entwicklung der Minijobs an-chaut, dann wird deutlich, dass 1 Million Minijobs zu-ätzlich entstanden sind. Das ist ziemlich genau die Grö-enordnung, die Sie 1999 mit dem blindwütigeninschlagen auf die alte 630-Mark-Regelung vernichtetaben. Man muss sich das einmal ansehen, Herrhönnes. Sie haben ja keine Zwischenfragen zugelassen.
ch habe die Krokodilstränen noch in Erinnerung. Dasaren eigentlich alles unzumutbare Beschäftigungsver-ältnisse,
eil dort Menschen tätig sind, die keine Chance haben,ine Altersvorsorge aufzubauen. Das wollten Sie ändern.
etzt sind es 160 000 Menschen von 6,7 Millionen, wennch Ihnen richtig zugehört habe; weniger als 2,5 Prozentller geringfügig Beschäftigten, die von Ihrem Angebotebrauch machen, zusätzliche Beiträge zu leisten undich damit eine weiter gehende Altersversorgung aufzu-auen. Sie wollten damals ein Problem lösen, das aus dericht der Menschen überhaupt nicht bestand. Das ist dieahrheit, Herr Staatssekretär.
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Dr. Heinrich L. KolbWeil es Beschäftigungseffekte gibt, muss man jetztauch durchstarten und die Schwelle von 400 Euro aufmindestens 630 Euro erhöhen.
Das ist ungefähr das Existenzminimum im Monat. Da-durch entsteht zusätzliche reguläre Beschäftigung, HerrKollege Dreßen. Arbeitnehmer können dann netto mehrverdienen und Arbeitgeber können flexibler und unbüro-kratischer disponieren.Was die Situation in den Haushalten anbelangt, ver-treten Sie das Prinzip Hoffnung. Das wird nicht ausrei-chen. Notwendig ist vielmehr die steuerliche Anerken-nung des Privathaushalts als Arbeitgeber. Bis 2002 wares Privathaushalten möglich, jährlich 9 203 Euro für so-zialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Haushaltabzusetzen. Das haben Sie Ende des Jahres 2002 gestri-chen.Die FDP hat in ihrem Berliner Entwurf eines Einkom-mensteuergesetzes, den der Kollege Solms vorgelegt hat,vorgeschlagen, dass für die Tätigkeit in privaten Haus-halten, zum Beispiel die Kinderbetreuung, zukünftig biszu 12 000 Euro abgesetzt werden können.
Ich meine, eine solche Förderung der Beschäftigungin Privathaushalten ist gerade auch im Hinblick auf diebessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das sollteunser gemeinsames Anliegen sein – dringend geboten.Wenn ein Elternteil zusätzlich arbeiten kann, weil einesozialversicherungspflichtig beschäftigte Tagesmutterdie Kinder betreut, dann verschafft das dem Staat dop-pelte Einnahmen. Wenn die Förderung der Beschäfti-gung in Privathaushalten ausbleibt, dann können zweireguläre Beschäftigungsverhältnisse nicht zustandekommen.Ich meine, gerade auch im Hinblick auf die demogra-phische Entwicklung in sieben oder acht Jahren ist esnotwendig, die Frauenerwerbsquote zu erhöhen. Deswe-gen haben wir unter dem Titel „Tagespflege als Bausteinzum bedarfsgerechten Betreuungsangebot“ einen ent-sprechenden Antrag vorgelegt. Ich bitte Sie, unseren An-trag ernst zu nehmen und der Erhöhung der absetzbarenSumme von derzeit 2 400 Euro auf bis zu 12 000 Eurozuzustimmen.Abschließend sollten wir auch nicht übersehen, dassviele Haushalte die Beschäftigungsverhältnisse gerne le-galisieren wollen, dass sie dies aber nicht können, weilder oder die Beschäftigte keine Arbeitserlaubnis oder garAufenthaltserlaubnis hat.
– Ja, natürlich ist das illegal. Aber dann müssen wir da-für sorgen, Herr Kollege Dreßen, dass der Nachfrageaufseiten der Haushalte ein legales Arbeitskräfteangebotgegenübersteht. Dieses Thema sollten wir auch in denBeratungen über das Zuwanderungsgesetz offen und ideo-logiefrei diskutieren. Wir sind dazu bereit.Die Minijobregelung ist ein guter Ansatz. Sie ist aberdurch mutiges Handeln noch deutlich ausbaufähig. SiesHnmFmimngvgStkauiL–dtHnKd
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
öchte eingangs zwei Punkte ansprechen. Herr Strebl,
ch glaube, Sie haben die frühere Situation im Zusam-
enhang mit den 630-Mark-Jobs vergessen. Ist Ihnen
icht mehr geläufig, dass bei der Überprüfung solcher
eringfügig Beschäftigten herauskam, dass über 2000
on ihnen schon lange auf dem Stuttgarter Friedhof la-
en?
ie haben uns doch seinerzeit ein Chaos hoch drei hin-
erlassen.
Ich denke auch an das Thema Scheinselbstständig-
eit. Sie haben diejenigen, die als Scheinselbstständige
rbeiten mussten, in die Armut getrieben, weil sie völlig
nzulänglich abgesichert waren.
Ihre eben vorgetragene Argumentation, dass in Fällen
llegalen Aufenthalts und illegaler Beschäftigung eine
egalisierung erfolgen sollte
so haben Sie das eben formuliert –, verstehe ich so,
ass wir, wenn jemand wegen schweren Raubes verur-
eilt wird, beschließen sollten, dass alle Hausbesitzer ihr
aus offen lassen müssen, damit die Tat zukünftig nur
och als einfacher Raub gilt. Das ist doch schizophren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Kolb?
Ja, wenn die Uhr angehalten wird.
Herr Kollege Dreßen, ich bedanke mich ausdrücklichafür.
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Dr. Heinrich L. KolbSind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich dasnicht so gemeint habe, wie Sie es dargestellt haben? Ichmeine natürlich nicht denselben Personenkreis. Es istvöllig klar, dass solche illegalen Handlungen nicht lega-lisiert werden können.
Ich habe gesagt: Wir müssen im Rahmen der Beratun-gen über ein Zuwanderungsgesetz auch daran denken,dass der offensichtlich vorhandenen Nachfrage von Pri-vathaushalten nach legaler Beschäftigung entsprochenwird und Personengruppen ins Land kommen können,die diese Nachfrage der Haushalte auf legale Weise zu-friedenstellen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,dass ich das in diesem Sinne gemeint habe?
Wenn Sie das so interpretieren, dann akzeptiere ichdas. Ich akzeptiere auch, dass wir mit dem Zuwande-rungsgesetz die eine oder andere bestehende Ungerech-tigkeit beseitigen sollten. Dann müssen Sie aber an IhreKollegen neben Ihnen appellieren, damit wir ein Stückweiterkommen.
Auf Wunsch der Opposition diskutieren wir heuteüber den Bericht der Bundesregierung über die geringfü-gigen Beschäftigungsverhältnisse. Dieser Bericht wurdedem Bundestag im März dieses Jahres zugeleitet. Ange-sichts der derzeitigen Konzeptionslosigkeit der Opposi-tion bin ich etwas verwundert darüber, dass Sie nichtsBesseres zu tun haben, als sich mit veralteten Arbeits-marktdaten zu beschäftigen. Sie wollen heute über Zah-len und einen Bericht sprechen, die auf dem Stand vomMärz 2003 sind und deren praktische Bedeutung verlo-ren gegangen ist; denn wir haben mit Hartz II – daswurde schon erwähnt – zum 1. April dieses Jahres diegeringfügigen Beschäftigungsverhältnisse neu geregelt.Im Unterschied zu damals sind jetzt für die MinijobsSozialbeiträge abzuführen.Ich freue mich trotzdem aus zwei Gründen, dass wirGelegenheit haben, über die geringfügigen Beschäfti-gungsverhältnisse zu sprechen. Erstens können wir nocheinmal betonen, welche Verbesserungen wir für die so-ziale Absicherung geringfügig Beschäftigter erzielthaben. Zweitens haben wir die Gelegenheit, über dieNeuerungen bei den Minijobs im Rahmen der erstenHartz-Gesetze zu sprechen. Ich danke Ihnen, HerrStaatssekretär, dass sich hier schon einiges getan hat.Zum ersten Punkt: Was haben die Bundesregierungund die rot-grüne Koalition für die geringfügig Beschäf-tigten getan?
– Aber sicher! – Die Bundesregierung macht Sie in ih-rem Bericht noch einmal auf die Verbesserungen fürgeringfügig Beschäftigte aufmerksam, die wir am1. April 1999 eingeführt haben. So leisten seit diesemZeitpunkt auch die Arbeitgeber ihren Beitrag zur Kran-ken- und zur Rentenversicherung für geringfügig Be-schäftigte. Seit der Neuregelung können des WeiterengsbsmBmHurhHScdiwndffBvdVHilldd3tgRddstkswvzDdt1hMvk
err Kolb fordert sogar eine Erhöhung auf 600 Euro.
ie haben nur vergessen, zu erwähnen, wie Sie die Lü-ke in der Sozialversicherung, die dann aufgrund fehlen-er Beiträge entstehen würde, schließen wollen. Michnteressiert, wie Sie das machen wollen. Zusätzlichurde im Vermittlungsausschuss über die Einführung ei-er Gleitzone entschieden. Ich habe meine Zweifel, dassurch die von uns zugestandene Erhöhung der Gering-ügigkeitsgrenze tatsächlich mehr Arbeitsplätze geschaf-en worden sind. Wir müssen aber erst die Zahlen derundesanstalt für Arbeit abwarten. Ausfälle im Sozial-ersicherungssystem sind jedenfalls der Preis gewesen,en wir für die Umsetzung unserer Vorstellungen imermittlungsausschuss zahlen mussten.Wir wollten in Anlehnung an die Vorschläge derartz-Kommission illegale Beschäftigungsverhältnissem Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen lega-isieren. Verhaltensänderungen setzen sich jedoch nurangsam durch. Im Bereich der Haushaltshilfen ist trotzer Neuregelung die Schwarzarbeit leider noch immerer Normalfall. Von den geschätzten 2 Millionen bisMillionen Personen, die in privaten Haushalten arbei-en, sind lediglich 36 000 in angemeldeten Beschäfti-ungsverhältnissen tätig, und das, obwohl wir mit einereihe von Anreizen versucht haben, die Situation zu än-ern. Der Haushaltsscheck ist einfacher geworden, wo-urch die bürokratischen Hemmnisse beseitigt wordenind. Dieser Scheck umfasst zwölf Fragen und ist im In-ernet unter www.minijob-zentrale.de abzurufen. Ichann nur jedem empfehlen, sich diese Internetseite anzu-chauen. Es gibt auch eine gute Erläuterung zur Beant-ortung der zwölf Fragen. Es ist wirklich sehr einfach.Eine pauschale Abgabe für den Arbeitgeber in Höheon 10 Prozent und eine steuerliche Abzugsfähigkeit bisu 510 Euro sollen Anreize schaffen, haushaltsnaheienstleistungen bei der Bundesknappschaft anzumel-en. Außerdem haben wir uns dafür eingesetzt, bürokra-ische Abläufe rigoros zu vereinfachen. Wir haben die5-Stunden-Grenze für geringfügige Beschäftigungsver-ältnisse aufgehoben. Die Berechnungen für kurzfristigeinijobs wurden erheblich vereinfacht. Damit sind wiror allem den Bedürfnissen der Arbeitgeber entgegenge-ommen. Unternehmen müssen nun nicht mehr wie
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6484 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Peter Dreßenbisher komplizierte Berechnungen über die Dauer einerBeschäftigung im Jahr anstellen. Es reicht einfach diePrüfung, ob ein Beschäftigter weniger als zwei Monatebzw. weniger als 50 Tage pro Kalenderjahr beschäftigtist.Arbeitgeber profitieren außerdem davon, dass sienicht mehr rückwirkend in Haftung genommen werden,wenn ein Arbeitnehmer zu Unrecht gleichzeitig mehre-ren Minijobs nachgeht und so die Sozialversicherungs-pflicht umgeht.Über die quantitativen Auswirkungen der Neurege-lung der Minijobs und der eingeführten Gleitzone wer-den wir sprechen, sobald die Zahlen der Bundesanstaltvorliegen. Ich hoffe, dass Sie, meine Damen und Herrenvon der CDU/CSU, nach dem Vorliegen dieser Datennicht erneut ein halbes Jahr Zeit zum Lesen brauchen.Wenn das der Fall ist, dann könnte die nächste Beurtei-lung der geringfügigen Beschäftigung etwas zeitnäherund aktueller ausfallen.
Nächste Redner ist der Kollege Karl-Josef Laumann,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich freue mich sehr darüber, dass alle Redner inder heutigen Debatte gesagt haben, das jetzige Gesetzzur Regelung der 400-Euro-Jobs sei in Ordnung.
Um der Wahrheit Genüge zu tun, möchte ich daraufhinweisen, dass dieses Gesetz kein Bestandteil vonHartz I oder Hartz II war.
Es wurde davon gar nicht berührt. Wegen Hartz II ist da-mals der Vermittlungsausschuss angerufen worden; ichselbst habe an den entsprechenden Sitzungen teilgenom-men. Damals haben wir gesagt: Wir müssen auch überdie Minijobs reden; wir brauchen eine Reform der ver-korksten Regelung der Riester-Rente. Clement war ge-rade im Amt und hat das eingesehen. Dann ist imGrunde genommen das, was im Wahlprogramm vonCDU und CSU stand, Gesetz geworden.
Mittlerweile loben es alle. Dem gibt es nichts hinzuzufü-gen. Was im Wahlprogramm von CDU und CSU stand,war gut und es hat sich bewährt, was im Gesetzblattsteht.
– Ich bin von 1990 bis 2002 im Ausschuss für Arbeitund Sozialordnung gewesen. Mittlerweile gehöre ichdsT–1teDGbSdra6uSEfNrslrue2drrdsbsnnDddd
Frau Kollegin Barnett, das, was Sie zwischen 1994 und998 im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung vertre-en haben, und das, was Sie jetzt tun, verhalten sich zu-inander ungefähr so wie Feuer und Wasser.
Wie war es denn früher mit den 630-DM-Jobs?
ie Konstruktion des entsprechenden Gesetzes hatte imrunde einen Fehler: Die Einnahmen aus der Pauschal-esteuerung in Höhe von 20 Prozent flossen in dentaatshaushalt und damit fiel das Arbeitsvolumen, das iniesem Bereich bestand, als Grundlage für die Finanzie-ung der Sozialversicherung weg.Nach Ihrem Wahlsieg 1998 haben Sie beschlossen,lle in die Sozialversicherung zu drängen, die30-DM-Jobs sozialversicherungspflichtig zu machennd Scheinselbstständigkeit abzuschaffen. Dann habenie festgestellt, dass das auf dem Arbeitsmarkt keinenrfolg hat, weil viele Menschen in die Schwarzarbeit ge-lüchtet sind.
icht nur die 400-Euro-Jobs, sondern auch die Ände-ung des Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbst-tändigkeit war ein Erfolg von Hartz II. Insofern war al-es, was damals gemacht worden ist, vernünftig undichtig.Dass es mit den 400-Euro-Jobs jetzt so gut klapptnd sie uns so wenige Beschwerden bereiten, liegt ganzinfach daran, dass die Belastung der Arbeitgeber mit5 Prozent genauso hoch oder sogar etwas höher ist alsie Belastung der Arbeitgeber, die im Rahmen einesegulären Beschäftigungsverhältnisses Sozialversiche-ungsbeiträge abführen müssen.Ich habe in den damaligen Vermittlungsgesprächener entsprechenden Arbeitsgruppe im BMWA immer ge-agt: Es darf für die Arbeitgeberseite keine Anreize ge-en, das zu machen, und deswegen muss die mit einemolchen Arbeitsverhältnis verbundene Abgabenlast ge-auso hoch wie die bei einem regulären Arbeitsverhält-is sein.
ass das Geld seitdem in die Sozialkassen und nicht inen Staatshaushalt fließt, führt natürlich dazu, dass sicher Verdrängungswettbewerb in Bezug auf Arbeitsstun-en – es geht darum, ob sie in dem einen oder in dem an-
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Karl-Josef Laumannderen Bereich anfallen – auf die Sozialkassen nicht aus-wirkt.
Deswegen finde ich, dass das, was wir da gemacht ha-ben, vernünftig und richtig ist.
Es hat dazu geführt, dass zusätzlich 1 Million oder800 000 Menschen illegale Arbeitsverhältnisse verlassenhaben – ich behaupte, die allermeisten haben schon vor-her Geld dazuverdient – und in ein legales Arbeitsver-hältnis zurückgekehrt sind. Das erhöht wahrscheinlichinsbesondere die Kaufkraft derjenigen Familien, die aufmehr Geld dringend angewiesen sind.Die Wahrheit ist doch: Es gibt ganz viele Menschen,die nicht die Möglichkeit haben, durch Karrieresprüngemehr Geld zu verdienen. Wenn sie in einer bestimmtenLebenssituation einmal mehr Geld brauchen, dann habensie in der Firma oder in der Verwaltung, in der sie arbei-ten, oft nicht die Möglichkeit, ihr Einkommen durchÜberstunden zu steigern. Ihre einzige Möglichkeit, mehrGeld zu verdienen, besteht darin, einen Zweitjob auszu-üben. Wir von der Union haben für diese Leute sehr vielSympathie.
Der Fleiß muss sich eben auch lohnen.Da ist auch etwas aufgegangen. Ich war mir damalsgar nicht so sicher, dass es aufgehen würde. Fast alle Mi-nijobs werden nebenbei gemacht. Es ist also nicht zu ei-ner Aufspaltung von normalen Arbeitsverhältnissen inMinijobs gekommen. Der Minijobber ist zum Beispieljemand, der schon eine Rente erhält. Wie wir in dem Be-richt lesen konnten, ist der Anteil der über 55-Jährigenrelativ hoch. Auch Hausfrauen machen Minijobs. Es isteben etwas, was nebenbei gemacht wird. Ich bin alsosehr damit zufrieden, wie das gelaufen ist.Wie sieht es mit den Beschäftigungen im Haushaltaus? Was den Haushalt angeht – steuerliche Absetzbar-keit, relativ einfaches Verfahren –, so haben wir damals,finde ich, im Grunde nichts falsch gemacht.
Trotzdem meldet nur ein verschwindend geringer Teilder Menschen eine solche Beschäftigung an. Dabei wis-sen wir alle, dass es in Deutschland ganz viele Haus-haltshilfen gibt. Das liegt einfach daran, glaube ich, dasses insofern gar kein Unrechtsbewusstsein gibt. Leute wiewir, die im öffentlichen Leben stehen, müssen natürlichaufpassen und werden so etwas anmelden,
aber jeder Privatmann denkt sich doch: Mein Gott, ichzahle das aus meinem Portemonnaie.Außerdem kann man im Haushalt sowieso nicht kon-trollieren. Der Haushalt genießt ja starken Schutz vorstaatlichen Kontrollen.
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ir müssen den Schritt tun, dass der private Haushaltin ganz normaler Arbeitgeber wird, so wie es Friedricherz vorschlägt.
Damit bin ich bei einer Baustelle, die uns in denächsten Tagen sehr beschäftigen wird: Wie machen wiras mit dem Arbeitslosengeld II, mit der Zusammen-ührung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe? Dabeieht mir Folgendes am meisten durch den Kopf: Mit denamilienangehörigen sind immerhin 4,3 Millionen Leuteetroffen. Wir müssen uns das einmal vorstellen: Ineutschland sind 4,3 Millionen Menschen – diejenigen,ie keine Arbeit haben, und ihre Familienangehörigen –n der Grundsicherung. Von den arbeitsfähigen Erwach-enen haben 50 Prozent keine abgeschlossene Berufs-usbildung.Von folgender Aussage lasse ich mich nicht abbrin-en: Es gibt Menschen, für die wir eine einfach struktu-ierte Arbeit brauchen. Die können nicht das leisten, wasn der modernen Industrie- und Wissensgesellschaft all-emein verlangt wird. Für diese Menschen könnte deraushalt eine Beschäftigungsperspektive sein. Wenn wiras auf breiter Front wollen, dann muss der Haushalteine Beschäftigten genauso wie ein normaler Arbeitge-er brutto bezahlen können.
ir bekommen das doch nachher über Sozialversiche-ungsbeiträge und Steuern wieder und die Menschen ha-en Beschäftigung.Ich bin mir sicher, dass die Frage, wie wir es errei-hen, dass in Akademikerhaushalten wieder mehr Kindereboren werden, auch mit der Kinderbetreuung zusam-enhängt. Ich stelle mir dazu vor, dass die Kinderbetreu-ng nicht nur in Gemeinschaftseinrichtungen des Staatesder der Kirchen erfolgt, sondern auch durch Haushalts-ilfen organisiert werden kann.
Wir wissen nicht, wie wir in der Industrie Arbeits-lätze für die von mir eben beschriebenen Menschen fin-en sollen. Das Wirtschaftswachstum kann noch so großerden, für diese Menschen werden keine Arbeitsplätzentstehen. Für sie wird es auch in der Wissensgesell-chaft keine Arbeitsplätze geben; allenfalls ein paar imienstleistungsbereich. Lassen Sie uns doch den Schrittun, für diese Menschen im Haushalt eine Beschäfti-ungsperspektive zu eröffnen! Ich bin ganz sicher, dass
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Karl-Josef Laumanndann auch all diese Beschäftigungsverhältnisse legal be-stehen werden. In dem Haushalt, der einstellt, wird mansich nämlich sagen: Ich muss das jetzt offiziell machen,
weil ich mir die Steuervorteile nicht entgehen lassenwill. Punkt.
Dann haben wir das im Griff und werden sehen: Wirwerden Hunderttausende oder Millionen von zusätzlichBeschäftigten in Deutschland haben. Wir werdenSchwarzarbeit bekämpft haben. Wir werden auch vonder Statistik und den Einnahmen her wesentlich besserdastehen als heute. Weil es offizielle Arbeitsverhältnissesind, werden die Menschen
auch besser geschützt sein als heute. Ich spreche da ein-mal als Sozialpolitiker und denke an unsere Herkunft,lieber Peter. Der Schwarzarbeiter ist ja überhaupt nichtgeschützt, höchstens ein bisschen über Gerichtsurteile.Gehen Sie doch diesen Weg mit uns! Machen Sie eswie bei den 400-Euro-Jobs: Hören Sie auf das, was wirsagen! Auch wir haben nicht immer Recht, aber wir ha-ben ganz bestimmt auch nicht immer Unrecht. In der Ar-beitsmarktpolitik haben wir zur Zeit einfach die besserenKonzepte,
weil wir seit 1998 viel darüber nachgedacht haben.Wir sollten uns aber darüber freuen, dass wenigstenseine Sache, die im letzten Jahr auf den Weg gebrachtwurde, geklappt hat. Die Bilanz bei allen anderen Ar-beitsmarktinstrumenten – von der PSA bis hin zur Ich-AG – ist eher traurig. Gehen Sie deshalb auf dem jetzteingeschlagenen Weg weiter und geben Sie sich einenStoß, dass wir bei den Gesprächen über Hartz IV, diemorgen beginnen, zu einem solchen Konzept kommen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Zusammenführung gehtnur, wenn wir erst einmal darüber reden, wo wir Be-schäftigungsfelder für diese Menschen finden. Dazunoch einmal: Lasst uns den Haushalt als Arbeitgeber ge-nau ins Visier nehmen!Lassen Sie uns weiterhin vernünftig miteinander da-rüber reden, welche Arbeit zumutbar ist. Auch wirChristdemokraten wollen nicht, dass die Leute für einenAppel und ein Ei arbeiten. Auch wir sind für einen ge-rechten Lohn.
– Das sage ich auch Herrn Koch. Er sieht das übrigensgenauso wie ich. – Allerdings kann die Festschreibungauch nicht lauten: orts- und tarifüblich. Wir haben gese-hen, was Sie mit einer solchen Festschreibung angerich-tzeZbtwsfadBaTnTsskwzdkIvAdVetWdh„szLtnjhH
ch hoffe sehr, dass wir hier eine ähnliche Regelung wieor einem Jahr hinbekommen. Wir haben damals in derdventszeit verhandelt, wir verhandeln auch jetzt wie-er in der Vorweihnachtszeit.
ielleicht führt ja das auch bei den Sozialdemokraten zuinem Verhalten, das etwas mehr an der Realität orien-iert ist, als es das sonst im Allgemeinen ist.Schönen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er arbeitslos ist und nicht aufgibt, der greift nach je-em Strohhalm, egal, ob der Halm Minijob oder Ich-AGeißt. Gerade deshalb möchte ich uns allen den FilmHalbe Treppe“ von Andreas Dresen empfehlen. Erucht nicht den Superstar. Er zeigt das wahre Leben, ereigt Menschen mit ihren Sorgen und die alltäglicheiebe, also all das, was hier im Bundestag oft nur statis-isch verwaltet wird. Das nimmt allerdings die Politikicht aus der Verantwortung.Zur politischen Bilanz gehört: Die Anzahl der Mini-obs hat zugenommen, aber die Massenarbeitslosigkeitat nicht abgenommen, nicht einmal statistisch. Auchartz bietet keine Linderung in dieser Situation. Deshalb
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Petra Pauverbietet sich bei der Debatte über den vorliegenden Be-richt jede Feierstunde.
Alle seriösen Untersuchungen belegen: Minijobs sindbestenfalls ein Pflaster für ungeheilte Wunden. Sie wer-den als Zubrot ergriffen. Mit Existenz sichernder Arbeithaben Sie nichts zu tun. Obendrein belegen die Statisti-ken: Dieses Manko wirkt im Osten noch gravierender alsin den alten Bundesländern. Der Bedarf an Putzfrauenoder Dumpingsheriffs ist an der Oder offenbar geringerals mancherorts am Main. Aber Sie kennen ja meinenVorwurf: Die Mehrheit des Bundestages guckt noch im-mer einäugig durch die Westbrille und bleibt so auch indieser Frage ostblind.
Grundsätzlich geht es allerdings nicht um ein Ost-West-Problem; es geht um die gesellschaftliche Frage:Wohin soll die Entwicklung in der Bundesrepublik ge-hen? In den viel zitierten USA kursiert ein Witz: DerPräsident lobt sich, er habe heute schon wieder fünf Mi-nijobs geschaffen. „Stimmt“, sagt der Pizzafahrer, „vierdavon habe ich.“ Von irgendetwas müsse man ja leben.Ich denke, das ist nicht die Perspektive, die wir für er-strebenswert halten sollten. Zu Beginn war Rot-Grünnoch der Meinung: Minijobs unterlaufen die Sozialversi-cherungspflicht, sie gefährden das Renten- und das Ge-sundheitssystem. Das ist auch heute noch grundsätzlichrichtig. Inzwischen verfolgt Rot-Grün allerdings das Ge-genteil. Zwar spüren alle: Die Sozialsysteme – das Ren-ten- und das Gesundheitssystem – krachen. Aber alleFraktionen loben derweil eine Arbeitswelt, die genau dasbefördert; der Kollege Kurth war heute eine gewisseAusnahme.Diese Kehrtwende von Rot-Grün ist nicht nur unlo-gisch, sie ist fundamental. Sie haben inzwischen dasPrinzip preisgegeben, wonach die Wirtschaft für dieMenschen da ist, aber nicht umgekehrt. Sie haben sichdem Irrglauben hingegeben: Alles wird gut, wenn dieWirtschaft nur regiert. Deshalb drängen Sie in billigeJobs statt auf gute Arbeit. Das ist aber keine Politik, son-dern führt uns in die Sackgasse.Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich gönne je-der Kellnerin im Bayerischen Wald ihren kleinen Jobund wünsche jedem Studenten auf dem Taxibock oderauch in irgendeinem Bundestagsbüro Erfolg. Nur, eineLösung für die großen Herausforderungen – die Arbeits-losigkeit und die Reform der Sozialsysteme –, genau dassind die Minijobs nicht. Ganz im Gegenteil, sie sind Teilunseres Problems.
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Doris Barnett, SPD-Fraktion.
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ir erkennen die Probleme und lösen sie gut, Herr Kolb.eide Formen der Beschäftigung hatten und haben leidermmer noch das Stigma, den Vollzeit- und sozialversiche-ungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen unterlegenu sein – im sozialen Ansehen und in der Wertigkeit; iner Lohnhöhe ja sowieso. Bis zu unserer ersten Reform999 waren die geringfügig Beschäftigten bei den So-ialversicherungssystemen außen vor. Das war ein An-chlag, Herr Strebl, aber von Ihnen! Die Folgen davonerden insbesondere die Frauen noch lange spüren,
rotz der Forderungen der Opposition, zum Beispiel nachigenständiger Alterssicherung der Frauen. Sie hattens 16 Jahre in der Hand, etwas zu ändern, die Lücken inen Rentenbiographien der Frauen zu schließen. Na ja,uch da räumen wir hinter Ihnen auf. Lieber Kollegeaumann, Sie haben es ja gesagt: Seit 1998 können Siendlich kräftig nachdenken. Tun Sie das weiter so, dannützen Sie der ganzen Republik.
Jeder von uns kennt doch etliche Frauen – Frauen ma-hen immer noch den Großteil der Arbeitnehmer in die-er Beschäftigungsform aus –, die nach den Kindererzie-ungsjahren jahrelang geringfügig beschäftigt warennd keinerlei Anrechnung dieser Zeiten hatten, auchenn sie es noch so gerne gewollt hätten und dafür sogareiträge gezahlt hätten.Mit den jetzt vorliegenden Möglichkeiten der geringfügi-en Beschäftigung, den Minijobs und den Jobs in der Gleit-one, also den Midijobs, ist es doch endlich rentabel – neu-eutsch: wir haben die Incentives gesetzt –, Personen auser Schwarzarbeit in legale Beschäftigungsverhältnisse zuringen. Denn was sind diese geringfügigen Beschäfti-ungsverhältnisse anderes als Teilzeitbeschäftigungen?
ie sind auch versicherungspflichtig für den Arbeitge-er. Sie sagten es schon, Herr Laumann. Dazu kommtoch eine Pauschalsteuer von 2 Prozent. Damit habenir das beibehalten, wofür wir zusammen mit den Ge-erkschaften immer gekämpft haben: dass für den Ar-eitgeber jede Arbeitsstunde bezüglich der Abgabenleich teuer sein muss, egal, ob es eine geringfügige Be-chäftigung oder eine Vollzeitbeschäftigung ist.Die Beschäftigten haben es ihrerseits in der Hand,chte Rentenanwartschaften aufzubauen: Mit eigenen
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Doris BarnettBeiträgen können sie ihre Ansprüche gegenüber der ge-setzlichen Rentenversicherung aufrechterhalten bzw. er-werben. Selbst wenn es sich um kleine Renten handelt,ist das immerhin etwas. Außerdem besteht dadurch dieMöglichkeit, die staatlich unterstützte Zusatzrente zubekommen. Das ist besonders für diese Beschäftigungs-gruppe attraktiv, weil zum Beispiel eine allein erzie-hende Mutter von zwei Kindern bei einem relativ gerin-gen Jahresbeitrag von circa 75 Euro ab 2008 mit einerZulage von rund 500 Euro pro Jahr rechnen kann. Aller-dings – das gebe ich zu – bedarf es hier noch vermehrterAufklärung,
damit mehr Leute diese Möglichkeiten nutzen. Sie se-hen: Wir haben an alle gedacht, gerade auch an diejeni-gen, die einer besonderen Unterstützung bedürfen.
Wir kümmern uns wirklich um die Schicksale derFrauen. Ob mit oder ohne Kinder – auf jeden Fall brau-chen Frauen eine eigenständige Alterssicherung.Geringfügige Beschäftigung hat vielfältige Gründe:Die Arbeitnehmerin sucht eine solche zum Beispiel we-gen der Kinderbetreuung; sie will darüber den Wiederein-stieg schaffen oder die Arbeit in der letzten Erziehungs-phase langsam wieder aufnehmen. Vielleicht hat sie einenHauptjob und will nebenher etwas verdienen. – In diesemZusammenhang muss ich bemerken, dass die Zahl von160 000 nicht ganz richtig ist, Herr Kolb. Ich möchte al-lerdings darauf hinweisen, dass es nicht unser Ziel ist,dass die Menschen mindestens zwei Jobs haben müssen,um sich über Wasser halten zu können. – Oder die Ar-beitnehmerin will sich ihr Studium finanzieren. Auchder Rentner kann sich etwas dazu verdienen. Diese Mög-lichkeit haben wir geschaffen.Geringfügige Beschäftigung hat ein breites Spektrum.Wenn wir uns den Bericht der Knappschaft über die ak-tuelle Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung amArbeitsmarkt ansehen, können wir feststellen, dass dieseBeschäftigungsart nicht gering bezahlter, weil gering be-werteter Arbeit vorbehalten ist. In allen Wirtschaftszwei-gen und Betrieben finden wir diese Beschäftigungsform.
Arbeitgeber kann beispielsweise der Existenzgründersein, der eine Stundenkraft zum Aufbau seiner Bürotech-nik oder für die Computerbetreuung braucht. Auch einkleiner Handwerksbetrieb braucht nur eine Stundenkraftund keine Buchhalterin, die ganztags oder halbtags be-schäftigt ist. Arbeitsspitzen müssen abgefangen werden,wobei wir allerdings dem Missbrauch vorbeugen unddarauf achten müssen, dass es keine Aufspaltung vonVollzeitarbeitsplätzen gibt. Arbeitgeber kann auch derPrivathaushalt sein. Sie haben es bereits angesprochen.Natürlich werden auch viele Arbeitssuchende, die ei-gentlich Vollzeit arbeiten wollen, diese Jobs annehmen,weil es sonst im Augenblick kein anderes Angebot fürsie gibt. Diese Tatsache verkenne ich nicht. Minijobssollen nicht die Regel werden, sondern als Brücke die-npsnndzztgwsnDjsDudbsRsn4licm1dAzmdssreenn
as haben wir in Hartz IV ganz klar geregelt. Helfen Sieetzt bitte mit, dass diese Regelung im Vermittlungsaus-chuss nicht gekippt wird!
amit kann das Arbeitsamt auch niemanden zwingen,nter diesem Niveau eine Arbeit anzunehmen. Ich sageas hier so deutlich, um einer Legendenbildung vorzu-eugen.Zwischen geringer Entlohnung – das sind zum Bei-piel 6,85 Euro pro Stunde, was einem Tariflohn für eineeinigungskraft in einem Leiharbeitsunternehmen ent-pricht, gegenüber 8,02 Euro pro Stunde im Gebäuderei-igerhandwerk – und Dumpinglöhnen zwischen 2 undEuro pro Stunde, wie Sie sie fordern,
egen Welten. Jetzt werden die ganz Wirtschaftsfreundli-hen wahrscheinlich sagen: Wenn tarifungebundene Fir-en Leute finden, die – sagen wir einmal – für 400 Euro00 Stunden arbeiten, dann soll es recht sein. Nein, dasarf uns nicht recht sein! Wir lassen doch nicht sehendenuges zu, dass die funktionierende Sozialpartnerschaftwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern kaputtge-acht wird,
ass die gewissenhaften Arbeitgeber von Menschen-chindern, die die Notlage der Arbeitssuchenden rück-ichtslos ausnutzen, an die Wand gedrückt werden.
Wir alle in diesem Hause haben die Pflicht, aufzuklä-en und Missbrauch zu verhindern. Selbst der FDP kanns doch nicht recht sein, wenn hier Schmutzkonkurrenzntsteht, die den Wettbewerb massiv verzerrt. Wenn Ih-en, wenn uns allen etwas am Mittelstand, den es jetztoch gibt, liegt, dann haben wir alles zu tun, um faire
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)Doris BarnettWettbewerbsbedingungen zu schaffen und zu erhalten.Also: Hartz IV zustimmen!
Wir können weder Wildwest- noch Wildostmethodendulden. Solchen Firmen darf die öffentliche Hand keineAufträge mehr erteilen.In diesem Hause wird viel über die Dienstleistungsge-sellschaft geredet. Wir gehen diesen Weg und haben da-für auch sozialverträgliche Instrumente zur Verfügunggestellt. Ich bin überzeugt, dass viele, die heute als Mini-jobber bei einem Existenzgründer arbeiten, morgen vonihm, wenn er sich etabliert hat, in Vollzeitbeschäftigungübernommen werden. Dazu geben wir beiden Seiteneine Chance.Mini- und Midijobs, also geringfügige Beschäftigung,gehören nicht in die Schmuddelecke; das hat weder derWürstchenverkäufer noch der PC-Spezialist verdient.Was sie trennt, sind die verschieden hohen Stunden-löhne. Was sie eint, ist, dass ihre Arbeit der Sozialversi-cherungspflicht unterliegt. Das ist eine Errungenschaft,auf die wir Sozialdemokraten stolz sind.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/758 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Filmförderungs-
gesetzes
– Drucksache 15/1506 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Kultur und Medien
– Drucksache 15/1958 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Hilbrecht
Bernd Neumann
Claudia Roth
Hans-Joachim Otto
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Bernd Neumann , Günter Nooke,
Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Verbesserung der Rahmenbedingungen für
den deutschen Film
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich wird der deutsche Film nur so kühn und soagemutig sein können, wie es die Künstler sind, die ihnroduzieren. Die Politik aber hat die Frage zu beantwor-en, wie stabil oder wie morsch die Strukturen derilmwirtschaft sind. Wer über Wirtschaft redet, der willrfolg. Dazu will dieses Wirtschaftsgesetz auch beitra-en, was nicht bedeutet, dass die Kunst dabei zerriebenird. Wenn wir einen neuen Zeitgeist im deutschen Kinoegistrieren, dann wollen wir auch, dass die Filme vonegisseurinnen und Regisseuren wie Wolfgang Becker,önke Wortmann oder Christian Petzoldt dauerhaft einreites Publikum finden, auch im deutschen Kino.
er bei den genannten Beispielen davon spricht, hierätten die Regisseure Massengeschmack bedient, der be-eidigt Macher, Aussagen und Talente.
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6490 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Staatsministerin Dr. Christina WeissDer deutsche Film besitzt ein wachsendes Potenzial.Er erreicht aber mit 11 bis 19 Prozent noch nicht den Zu-schaueranteil, den er verdient. Wenn also die Zuschauerwegbleiben, die Produzenten nicht solvent genug sindund die Werbung zu bescheiden ausfällt, dann muss dasSystem verbessert werden. Unser Ziel ist, neben undnach der Produktion das Marketing für die Filme ver-bessern zu können. Dazu braucht man mehr Geld. Es istuns gelungen – und es kann in diesen Zeiten weiß Gottnicht oft genug betont werden, dass es ein Gelingenwar –, das Fördervolumen um 40 Prozent zu erhöhen.
Rund 64 statt 46 Millionen Euro fließen in die Kassender Filmförderungsanstalt. Niemand hätte daran zu Be-ginn dieses Jahres geglaubt.
Es geht aber nicht nur um Masse. Es geht auch darum,ein bestehendes System so zu verändern, dass es denGesetzen der Kunst und nicht den Verordnungen derBürokratie folgt. Es geht um vier Schlüsselfiguren: dieKreativen, die Produzenten, die Verleiher und die Kino-betreiber. Kein guter Film ohne einen guten Stoff, keinEreignis ohne Begabung. Wenn wir nicht wollen, dassallein das Fernsehen die Talente ködert, dann bedürfenAutorinnen und Autoren sowie Regisseurinnen und Re-gisseure einer wirksameren Fürsorge. Das neue Gesetzenthält solche Anreize. Die Entwicklung des Drehbu-ches rückt stärker in den Fokus der Filmpolitik. Daskünstlerische Urteil wird künftig in den Gremien derFilmförderungsanstalt wichtiger sein.Zweite Gruppe. Die Produzenten verfügen oft überein zu geringes Eigenkapital. Das macht sie von Juryent-scheidungen abhängig; das schwächt ihre unternehmeri-sche Eigenverantwortung. Deshalb wollen wir die Rah-menbedingungen für das Beschaffen von Kapitalverändern. In der Novelle ist die Möglichkeit von Bürg-schaften durch die FFA vorgesehen, die den Produzen-tinnen und Produzenten eine Zwischenfinanzierung er-leichtern sollen. Damit verbessern wir auch dierechtlichen Rahmenbedingungen für Filmproduzenten inDeutschland.Außerdem weiten wir die automatische Referenz-filmförderung aus. Erfolgreiche Produzenten, die ihreTauglichkeit sowohl bei den Zuschauern als auch beiFestivaljuroren unter Beweis gestellt haben, könnenohne ein weiteres Juryvotum mit einer Förderung rech-nen. Wir haben es uns mit der Referenzfilmföderung ge-wiss nicht leicht gemacht. Das System brauchte eineganze Reihe von Feinjustierungen, um am Ende wirk-sam werden zu können. Fest steht – das ist ganz neu indiesem Gesetz –: Wir setzen nicht nur auf Zuschauer-bzw. Mainstream-Erfolge. Wir prämieren vielmehr auchden künstlerischen Wert eines Films.
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Wir wissen, dass Publikumsakzeptanz allein nichtusreicht, um über Gewicht und Nachhaltigkeit einesilmes zu urteilen. Gerade deshalb haben wir andereriterien aufgestellt, die vorher keinerlei Berücksichti-ung fanden. Mit diesen Marken haben wir gezielt eineternationale Ausrichtung des deutschen Films ver-nüpft. Derzeit fließt ein Lizenzentgelt von rund70 Millionen Euro in den Import. Dem steht eine ma-ere Exportsumme von 64,7 Millionen Euro gegenüber.eutschland ist also ein Filmimportland. Gerade deshalbt der Erfolg des deutschen Films auf Festivals im Aus-and ebenso wichtig wie die Resonanz im Inland, undwar sowohl aus Exportgründen als auch aus kulturellenründen. Dies wird sich in einer handwerklich geschick-ren Außenvertretung des deutschen Films beweisenüssen.Kommen wir zur dritten Gruppe, zu den Verleihern.ie sind die Schaltstelle zwischen den Filmemachernnd den Zuschauern. Aus diesem Grund heben wir diebsatzförderung für Verleiher und Videovertriebeeutlich an. Die Förderung wird um mehr als 100 Pro-ent auf rund 14,5 Millionen Euro steigen. Darin enthal-n sind auch Medialeistungen der Privatsender. Dies istine enorme Anstrengung, die sich als effektive Wer-ung für deutsche Kinofilme im Fernsehen auszahlenird. Wir können sicher sein, dass dies zu mehr Besu-hern in unseren Kinos führen wird.Ein Wort zu den Kinobetreibern: Ich bin froh über dieielfalt unserer Kinoszene, über das Angebot der Film-eater. Das soll auch so bleiben. Daher wollen wir mitnserer Novelle vor allem kleine und mittlere Kinos, ins-esondere Programmkinos, durch Investitionshilfen un-rstützen.
Die Novelle soll auch Signalwirkung für die Film-irtschaft haben. Den deutschen Unternehmen werdenachstumsraten von jährlich 6,6 Prozent prophezeit.ber 8 000 Unternehmen beschäftigen rund 100 000 Ar-eitnehmer und weitere 50 000 freie Mitarbeiter. Zwarpielt der Kinofilm im Hinblick auf den Gesamtumsatzine untergeordnete Rolle, aber er ist ein umso größerermageträger für die Branche, nicht mehr, aber auch nichteniger.Es war schon davon die Rede, dass es mich mitreude erfüllt, in welcher Weise das finanzielle Aufkom-en für den deutschen Film steigt. Das ist in dieser Zeiticht selbstverständlich, weil das Geld überall knapp ist.afür braucht es starke Partner und vor allem ein verän-ertes Bewusstsein für den deutschen Film. Beides warorhanden. So dürfen wir heute davon sprechen, dass derraftakt gelungen ist.
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Staatsministerin Dr. Christina WeissZu verdanken haben wir dies den Fernsehveranstal-tern, die ihre freiwilligen Leistungen an die FFA auf22 Millionen Euro erhöhen und damit verdoppeln. Be-rücksichtigt man zugleich die Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Sender an den Filmförderungen der Länder– davon kann man nicht absehen –, dann ergibt sich eindoch beträchtlicher Beitrag der Sender für die deutscheFilmwirtschaft. Eine Gerechtigkeitslücke, wie sie vonder Kinobranche geradezu kampagnenhaft beklagtwurde, vermag ich nicht zu erkennen.
Wie sehr ARD und ZDF, den großen Geldgebern derFFA, am Wohl des deutschen Films gelegen ist, beweistauch die Tatsache, dass sie nun auf einen Sitz im Verga-beausschuss verzichten, obwohl die Sitzverteilung unserVerhandlungsergebnis war.
Herr Otto, Verhandlungsergebnisse sind nach meinerKenntnis bislang noch keine Erpressungsversuche.
ARD und ZDF signalisieren Gleichbehandlung mit denPrivaten und ordnen eigene Interessen dem größerenZiel unter. Das ist verdienstvoll und solidarisch und fin-det daher meinen Respekt.
Spätestens damit war nämlich der Weg zu einem frakt-ionsübergreifenden Solidarpakt für den deutschen Filmfrei.Wie Sie wissen, leistet auch die Kino- und Video-wirtschaft ihren Beitrag, damit das Fördervolumen ange-hoben werden kann. Ab kommendem Jahr soll diegesetzliche Abgabe an die Filmförderungsanstaltdurchschnittlich 2,7 Prozent des Bruttoumsatzes an derKinokasse betragen.Weil es hier in der Vergangenheit immer wieder zuProtesten kam, will ich noch einmal deutlich beziffern,worum es tatsächlich geht. Wir streiten uns um eine Ab-gabe, die wir um genau 3 Cent pro verkaufte Kinokarteerhöht haben. Davon zahlen die Kinobetreiber nur etwadie Hälfte. Die andere Hälfte zahlen die Verleiher.3 Cent mehr für die Zukunft des deutschen Filmes – zumVergleich: In Frankreich beträgt die Abgabe 11 Prozent.Ich kann nachvollziehen, dass die Kinowirtschaft imersten Halbjahr von Umsatzeinbrüchen geschlagen warund eine Abgabenerhöhung Unbehagen bereitet. Ichkann nicht nachvollziehen, dass unsere Abgabe gleich zulebensgefährlichen Existenzkrisen führen soll, wie dasvon Verbänden behauptet wird.
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as wir derzeit am wenigsten brauchen können, sindcharfmacherei und Egoismen. Das hat der deutscheilm in dieser Situation nicht verdient.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einenusblick wagen. Lassen Sie es mich mit Sepp Herbergeragen: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Unsere No-elle liegt vor. Damit sind wir in Führung. Aber es gehteiter. Insbesondere im Urheber- und im Steuerrechttehen Veränderungen an, die keinerlei Aufschub duldennd an denen wir jetzt schon arbeiten müssen, noch be-or das FFG beschlossen sein kann.Anlässlich der Vorlage dieser Novelle möchte ich al-n Beteiligten für die wirklich konstruktive Unterstüt-ung und Zusammenarbeit herzlich danken. Ich wün-che, dass wir mit dem Gesetz ein neues Marketing füren deutschen Film begleiten können.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Bernd Neumann,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weißicht, ob es sich bis zur Bundesregierung herumgespro-hen hat, Frau Weiss: Wir diskutieren hier zwei Tages-rdnungspunkte, zum einen das Filmförderungsgesetznd zum anderen die Antwort auf unsere Große Anfrageu den Rahmenbedingungen für den deutschen Film, dieindestens so entscheidend sind wie das Filmförde-ungsgesetz. Es ist bezeichnend, dass Sie dazu bis auf ei-en Halbsatz am Schluss nichts gesagt haben. Ich bedau-re das schon zu Anfang.
Zur Lage des deutschen Films möchte ich einige we-ige Bemerkungen machen. Licht und Schatten liegenng beieinander. Positiv kann man die Erfolge – vor allemie internationalen Erfolge – einzelner deutscher Filmeennen: den Oscar für „Nirgendwo in Afrika“, den Gol-enen Löwen für Katja Riemann in „Rosenstraße“, wieatürlich auch den insbesondere in Deutschland erfolg-eichen Film „Good Bye, Lenin!“, der allerdings auch
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6492 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Bernd Neumann
international reüssiert. Einen deutschen Film, den inFrankreich mittlerweile mehr als 1 Million Zuschauergesehen haben, hat es lange nicht mehr gegeben.
Das ist das Positive.Bedingt positiv ist der Marktanteil deutscher Filmein den deutschen Kinos. Im Jahre 2003 liegt dieserMarktanteil zurzeit bei 14,5 Prozent. Man kann nun sa-gen, dass das eine Steigerung gegenüber dem Marktan-teil von 11,8 Prozent im Jahre 2002 ist. Dennoch ist diessehr trügerisch; denn wenn Sie sich bei den deutschenFilmen den einen Erfolgsfilm „Good Bye, Lenin!“ weg-denken – das wollen an sich wir nicht tun –, dann liegenwir bereits bei einem Anteil von 7,8 Prozent. Das heißt,der Erfolg von „Good Bye, Lenin!“ macht 44 Prozentdes Anteils deutscher Filme in den deutschen Kinos aus.Weil man nicht davon ausgehen kann, dass in jedem Jahrein solcher Volltreffer gelingt, kann einem bei diesenZahlen nicht ganz wohl sein. Auch dies muss gesagtwerden.
Negativ ist die dramatische Entwicklung in den Kinos.Ich rede hier noch gar nicht von der Abgabe, Frau Weiss,aber Sie sollten diese Entwicklung zumindest zur Kennt-nis nehmen; denn zum Film gehört das Kino. Wir habenin den letzten neun Monaten einen Umsatzrückgang von90 Millionen Euro – das sind 13,3 Prozent – und einenBesucherrückgang um 12,1 Prozent, von 116 Millionenim vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres auf 102 Mil-lionen, zu verzeichnen. Sie wissen, dass sich viele Ki-nos, insbesondere kleine Kinos, in einer Existenzkrisebefinden, die sich allerdings zunehmend nicht nur aufdie kleinen, sondern auch auf die Multiplexkinos be-zieht. Wenn Kinos um ihre Existenz ringen, habe ichschon Verständnis dafür, dass die Kinobetreiber sagen:Wir haben Bedenken, dass die Abgabe, die wir leistenmüssen, erhöht wird. Immerhin soll sie von21,3 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro erhöht wer-den. Das ist schon ein gang schöner Brocken. Das würdeich nicht so abtun, wie Sie das gemacht haben.Nun zum Filmförderungsgesetz selbst. Wir stimmenihm zu, weil die wesentlichen Forderungen von uns, diewir im Laufe des Verfahrens auch auf Grundlage des er-folgten Hearings gestellt haben, übernommen wurdenund dadurch aus meiner Sicht der Regierungsentwurf anwichtigen Punkten entscheidend verbessert wurde.
Das neue Filmförderungsgesetz wird in der Tat, soglaube ich, zur Stärkung des deutschen Films einenBeitrag leisten. Dass wir dieses Gesetz einstimmig be-schließen, ist heutzutage schon etwas Besonderes; beianderen Gesetzentwürfen wissen wir gar nicht, wie sieam Ende aussehen werden. Diese Einstimmigkeit – daswKzewtGsjnmwDdrmsVahtevblFcSrSGKIRdaföRhkFDI
Was hat sich positiv verändert? Erstens. Das Gremium-onstrum Deutscher Filmrat, das Sie wollten, fällt weg –eniger Gremien, weniger Bürokratie.
ie Kreativen sind gestärkt worden – in Gremien undurch die Mittel, die sie bekommen –; denn die beste Vo-aussetzung für einen stärkeren Erfolg des deutschen Fil-es ist in erster Linie nicht die Summe der Förderung,ondern sind viel mehr bessere Filme.
iel mehr bessere Filme bedeutet: Viel mehr tun für Kre-tive und sie unterstützen; denn sie bringen die Filmeeraus.Nächster Punkt. Die hohe Schwelle von 150 000 Punk-n, die notwendig ist für die Referenzförderung – vonielen Beteiligten aus der Branche so nicht akzeptiert –, ha-en wir reduziert bzw. haben deren Erreichbarkeit er-eichtert, indem wir das Votum bzw. die Prädikate derilmbewertungsstelle Wiesbaden wieder mit zusätzli-hen 50 000 Punkten einbezogen haben, sodass diesechwelle jetzt auch von vielen kleineren Filmen und de-en Verantwortlichen erreicht werden kann.Der Verwaltungsrat ist verändert worden. An diesertelle hebe ich hervor, dass auf unseren Wunsch und imegensatz zu dem, was Sie wollten, nach wie vor beideirchen vertreten sind.
ch halte es schon für wichtig, dass beiden Kirchen dasecht zugestanden wird, in einem kulturellen Gremium,as über 30 Mitglieder hat, vertreten zu sein.Wie der nächste Punkt gelaufen ist, ist schon etwasbenteuerlich, Gisela Hilbrecht. Sie sagen jetzt, der Er-olg bestehe darin, dass Sie sich mit einem Vertreter derffentlich-rechtlichen Anstalten bescheiden, obwohl imegierungsentwurf eine Verdoppelung auf zwei vorgese-en war. Dieses Hin und Her hätten Sie einfacher habenönnen, wenn Sie in der letzten Sitzung den Voten desDP-Kollegen Otto und mir gefolgt wären. Gott seiank haben Sie nun eingelenkt, wenngleich nicht dankhrer Einsicht, sondern dank der Einsicht der öffentlich-
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Bernd Neumann
rechtlichen Rundfunkanstalten. Ich begrüße dies außer-ordentlich.
Meine Damen und Herren, im Regierungsentwurfwerden Schutzbestimmungen zugunsten inländischerfilmtechnischer Betriebe beseitigt, nicht aus Bösartig-keit, sondern weil wir Deutschen wie so häufig meinen,wir müssten im Gegensatz zu anderen, etwa den Franzo-sen, schnell europäisch handeln. Über den Ausschuss isterreicht worden, dass Sie nach Abwarten dessen, wassich auf EU-Ebene tun wird, über eine Rechtsverord-nung deutsche filmtechnische Betriebe schützen können.Nach meiner Auffassung müssen wir genau so deutschhandeln, wie die Franzosen französisch handeln. Wirwollten damit sicherstellen, dass wir alle zulässigenQuoten ausnutzen können, wenn es um die Interessenund die Arbeitsplätze unserer filmtechnischen Betriebegeht.
Nun komme ich zum letzten Punkt der zu bewerten-den Sachverhalte, zur Mittelerhöhung; darauf bin ichschon in der ersten Lesung eingegangen. Sie sagen vol-ler Stolz, es sei Ihnen gelungen, die Mittel um40 Prozent zu erhöhen. So einfach geht es mit den Erfol-gen der Bundesregierung nicht immer! Die Erhöhung istdadurch möglich geworden, dass Sie die Abgaben erhöhthaben, die andere leisten; Sie haben gar nichts dazu ge-tan. Andere – die Videounternehmen, die Kinounterneh-men, die Fernsehanstalten – müssen mehr zahlen.
Das haben Sie vereinbart oder gesetzlich festgelegt.Dass dies ein großartiger Erfolg der Bundesregierungsein soll, vermag ich nicht zu erkennen, auch wenn ichmerke, dass Sie stolz darauf sind, wenn Sie Unterneh-men mehr abknöpfen können, und dies als Meisterleis-tung ansehen.Ich unterstütze dies ja im Hinblick auf die Leistungendes Fernsehens. Angesichts des hohen Gebührenvolu-mens von 6,5 Milliarden Euro ist es nach wie vor sehrbescheiden, nur 11 Millionen Euro in die Filmwirtschaftzu stecken.
Aus meiner Sicht können sie in der Tat mehr leisten.Man muss aber darüber nachdenken, welche Folgendies im Bereich der Filmtheater haben kann. Ich habeschon darauf hingewiesen, dass im Regierungsentwurfeine Erhöhung um 18,74 Prozent von rund 21 Millionenauf 25 Millionen Euro vorgesehen ist. In der ersten Le-sung, als Sie Ihren Entwurf vorstellten, sagte ich, wirwürden in einer Zeit, in der ein Kinosterben stattfindet,nicht daran mitwirken, die Abgabe für Kinounternehmenzu erhöhen. Sie haben dann mit den Betroffenen Verein-barungen getroffen. Richtig ist, dass die Filmwirtschaftder Abgabe zugestimmt hat, nachdem Sie sie erst einmalreduziert hatten. Im Ausschuss wurde dann noch auf unsereIwUUNmdr0ndKwWSksnnddndWzsdVFddkdennibDlnnevpgdnwdKkütU
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– Das bedeutet für mich eine gewisse Seriosität. HerrOtto meint, das seien Unterstellungen und nicht mehr.Das stimmt nicht; ich nehme das ernst.
Ihr Vorgänger hat deutlich gemacht, dass es nötig sei,eine steuerliche Förderung einzuführen bzw. Anreize fürProduktionen zu geben, wie das in vielen anderen Län-dern üblich ist – deswegen müssten wir nachziehen –,um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deut-schen Films zu stärken.Meine Damen und Herren, bei diesen vier Forderun-gen sind wir und die BKM noch nicht einmal auseinan-der. Verehrte Frau Weiss, diese Punkte wurden von derFilmwirtschaft zusätzlich zur Novellierung des Filmför-derungsgesetzes als ganz wichtig genannt. Zu diesemErgebnis kam man im ersten Bündnis für den Film 1999unter Ihrem verehrten, aber noch nicht vergessenen Vor-gänger Naumann und auch unter seinem Nachfolger undIhrem direkten Vorgänger Nida-Rümelin. Alle, auch Sie,haben immer wieder deutlich gemacht, dass diesePunkte wichtig sind und dass man sie auch umsetzenwolle.Vor diesem Hintergrund stellt sich die berechtigteFrage, wie weit Sie bei der Umsetzung fortgeschrittensind. Angesichts der Antwort auf die Große Anfrage, inder wir diese Punkte präzisiert haben, bestätigt sich, dassSie keinen Schritt weitergekommen sind. Deswegen ha-ben Sie auch nichts dazu gesagt.Meine Damen und Herren, nun kann man meinen,dass das nur die Opposition so kritisch sieht. Ich habeIhre Antwort den verschiedenen Sachverständigen in derFilmbranche zugestellt und gefragt, wie sie dies sehenund ob sie damit einverstanden sind.Nehmen wir den ersten Punkt, den Medienerlass. Ichzitiere film 20 – die kundigen Thebaner wissen, dass da-hinter potenzielle Kräfte der deutschen Filmwirtschaftstehen; mit einigen von ihnen haben Sie einen außeror-dentlich guten Kontakt, was letztlich auch zur Etablie-rung der Filmakademie geführt hat –:Der Medienerlass ist und bleibt eine Krux für diedeutsche Filmwirtschaft … hat in den FeldernNachweis der Herstellereigenschaft der Anleger,Behinderung von internationalen Koproduktionenzu Dauerirritation, Rechtsunsicherheit und drasti-schen Wettbewerbsnachteilen für die deutschedoteddpptrPhemDdz–tVdud–ZBmd
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– Ich hätte es gleich gesagt, aber Sie greifen mir vor,Herr Kollege Otto. Deshalb unterbreche ich jetzt meinenGedankenfaden.Es geht nicht darum, wen ich dafür verantwortlichmache. Natürlich ist Frau Weiss dafür nicht verantwort-lich, es sei denn, sie lädt selbst Filme herunter, was ichnicht glaube. Aber die Bundesregierung ist verantwort-lich, wenn sie sich nicht um dieses Problem kümmert.Wir müssen dieses Problem diskutieren und Initiativenergreifen. Darum geht es.
Die Hälfte – 53 Prozent – der so genannten Filmbren-ner gibt an, auch für Personen außerhalb des eigenenHaushaltes zu kopieren. Knapp 1 Million Personen besa-ßen eine Kopie des Filmes „Terminator 3“ schon einenMonat nach Kinostart, bevor er überhaupt in die deut-schen Kinos kam. Circa 1,6 Millionen Personen verfüg-ten bereits im Vorfeld der Videoveröffentlichung übereine Kopie von „Herr der Ringe“, circa 770 000 von„Good Bye, Lenin!“. Mit 13,3 Millionen downgeloade-ten Spielfilmen bzw. Kinofilmen wurden in den erstenacht Monaten des Jahres 2003 bereits fast so viele Filmewie im Gesamtjahr 2002 aus dem Internet heruntergela-den. Damit Sie mich richtig verstehen: Ich sage diesnicht im Sinne einer Anklage, sonder vor dem Hinter-grund eines großen Problems: Wenn dies so weitergeht,werden viele Existenzen in der Musik- und Filmbranchevernichtet.
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Unter der Voraussetzung, dass die Uhr wie immer an-
ehalten wird – eine Minute Redezeit brauche ich noch –,
ern.
Herr Kollege Neumann, sind Sie bereit, zur Kenntnis
u nehmen, dass wir uns beispielsweise im Rechtsaus-
chuss schon längst mit den Urheberrechten beschäfti-
en, um genau die Probleme anzugehen, die Sie eben an-
esprochen haben?
Ich nehme das zur Kenntnis. Ich finde es gut, dass Sieas tun. Haben Sie aber Verständnis dafür,
ass man enttäuscht ist – schließlich gibt es eine Staats-inisterin für Kultur und Medien; das betrifft uns ge-auso wie die Arbeitsgruppe im Rechtsausschuss –,enn auf die Frage, was die Regierung bei diesem Pro-lem zu tun gedenkt, nur ein lapidarer Hinweis auf dieerzeitige gesetzliche Lage erfolgt. Wenn es so ist, dassies im Rechtsausschuss ein wichtiges Thema ist, be-rüße ich dies. Ich unterstütze Sie. Es wäre sehr gut,rau Weiss, wenn Sie sich mit einem ähnlich großen En-agement wie Ihre Kollegen im Bereich der Justiz – Sieind inhaltlich für Medien zuständig; sonst brauchen wireinen Staatsminister für diese Aufgabe – damit befas-en. Ich glaube, darin sind wir uns einig, Kollegeenneter.Die Missachtung des geistigen Eigentums – ich habeas kurz angedeutet – führt zu Umsatzeinbrüchen, Ar-eitsplatzverlusten und Steuerausfällen. Wir wolleniese verhängnisvolle Entwicklung im Interesse der Kre-tivwirtschaft in Deutschland und der Menschen, die fürnd von ihrer Kunst und Kreativität leben wollen, brem-en. Verehrte Staatsministerin, es ist Ihre Aufgabe, sichn dieser Diskussion federführend zu beteiligen, Faktennd Meinungen zu sammeln, die Gesetzgebung zu be-leiten, sie sogar zu beeinflussen.In den USA beispielsweise hat der amerikanische Kon-ress ausschließlich zu dieser Thematik einen hochkaräti-en Ausschuss mit Mitgliedern aller Parteien aus beidenäusern eingesetzt, also Repräsentantenhaus und Senat, umchutzmaßnahmen auf internationaler Ebene zu diskutierennd zu erarbeiten mit dem Ziel, die digitalen Film- und Mu-iktechnologien zu schützen. Sie gelten dort – ich glaube,
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Bernd Neumann
das gilt bedingt auch für Deutschland – als Schlüssel füramerikanisches Wirtschaftswachstum. Ich darf daraufhinweisen, dass meine Fraktion unter Leitung der Kolle-gen Kampeter und Krings just zu diesem Thema eine Ar-beitsgruppe eingesetzt hat.Ich komme zum Schluss. Sie sehen: Trotz einmütigerVerabschiedung eines ordentlichen Filmförderungsge-setzes bleibt politisch für den deutschen Film und seineWirtschaft noch viel zu tun. Es wäre zu wünschen, dasswir – Frau Kollegin Hilbrecht und Frau Kollegin Roth,ich beziehe Sie ein; ich habe Sie vorhin deshalb nicht ge-nannt, weil wir noch nicht so lange zusammenarbeiten –auch die von mir genannten Fragen möglichst überpar-teilich im Konsens zügig bearbeiten. Dies täte dem deut-schen Film außerordentlich gut.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Claudia Roth,Bündnis 90/Die Grünen.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Chefin Christina Weiss!
Alice sucht gemeinsam mit anderen Überlebenden nach ei-nem Weg – hören Sie zu, das gefällt Ihnen bestimmt – ausdem zerstörten Biotechnologielabor.
– Das gefällt Ihnen, das weiß ich doch. – Dabei stößt sieauf eine Art Zombie,
der durch gefährliche Erreger zu einem mörderischenMonster mutiert ist und die gesamte Menschheit auslö-schen will. Die Treffsicherheit der MenschheitsretterinAlice wird wieder einmal auf eine harte Probe gestellt.Warum ich Ihnen das erzähle? Erstens, um Herrn Ottoeine Freude zu machen,
zweitens will ich Ihnen aber keine Angst machen, son-dern verdeutlichen, wie vielfältig und global unseredeutsche Filmlandschaft inzwischen ist. Die beschrie-bene Szene stammt aus der Fortsetzung des Science-Fic-tion-Films „Resident Evil“, dem in den USA am erfolg-reichsten gestarteten Film in der letzten Zeit. Es ist eindeutscher Film, der in Babelsberg und Adlershof gedrehtwurde.Aber auch die nachdenkenswerten Stunden, die unsJoseph Fiennes, Alfred Molina, Bruno Ganz und vor al-lem Sir Peter Ustinov in dem Film „Luther“ geschenkthwsegm„sn–andFdunaiNhAGndzdgklgsmguKefAurdikl
tammen aus einem deutschen Film, gedreht in Europa,rstaufgeführt in den USA, mit einem kanadischen Re-isseur und produziert von einem Team aus Berlin. Wasir sehr wichtig ist: Auch „Bernau liegt am Meer“,Bungalow“, „Science-Fiction“ und „Die wilden Kerle“ind deutsche Filme, die zu Recht den Weg in unsere Ki-os finden. Was ich sagen will: Die Mischung macht’s.
Die Mischung macht’s, Herr Otto. Die Milch macht‘such, aber das ist ein anderes Thema. Das kann ich Ih-en, da ich aus Bayern komme, gern mal erzählen.Die Filmförderung ist absolut notwendig für deneutschen Film und die deutsche Filmwirtschaft. Ohneilmförderung würde kaum eine deutsche Produktionas Licht der Leinwand erblicken. Deshalb ist es auch sonheimlich wichtig, dass sich trotz der damit verbunde-en Verhandlungsschwierigkeiten und Kompromisse aufllen Seiten die Fördersumme für den deutschen Filmnsgesamt um rund 40 Prozent erhöht hat. Herreumann, natürlich hat Christina Weiss an diesen Ver-andlungen und an diesem Ergebnis einen ganz hohennteil. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.
Für diese Aufstockung möchte ich mich bei alleneldgebern und Verhandlungspartnern und -partnerin-en nochmals ausdrücklich bedanken. Aber die Filmför-erung ist immer ein – manchmal extremer – Spagatwischen ökonomischer Förderung und kultureller För-erung. Ich finde – das sage ich an dieser Stelle nichtanz ohne Stolz –, dass uns eben dieser Spagat zwischenommerziellen und kulturellen Kriterien mit der Novel-ierung des Filmförderungsgesetzes mehr als gut gelun-en ist.
Wir stärken zum einen die deutsche Produktionswirt-chaft. Produzenten und Produzentinnen von Erfolgsfil-en bekommen in größerem Umfang Mittel zur Verfü-ung gestellt, die sie zur Stärkung ihres Eigenkapitalsnd auch für Nachfolgeprojekte verwenden können.inder-, Erstlings- und Dokumentarfilme werden mitinfacheren Kriterien an der so genannten Referenzfilm-örderung partizipieren können, bei der auch kulturellespekte zählen. Insbesondere Festivalnominierungennd -einladungen werden bei den Ausschüttungen be-ücksichtigt. Das finde ich sehr positiv.Aber so wichtig die Stärkung der Produzenten under Produktionswirtschaft für den deutschen Film auchst: Der künstlerisch-kreative Bereich darf nicht zuurz kommen. Dazu haben wir mit diesem Gesetz ziem-ich viel beigetragen. So werden zukünftig in den Ent-
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Claudia Roth
scheidungsgremien der Filmförderungsanstalt erstmalsauch Drehbuchautoren und -autorinnen, Kurzfilmer undRegisseure vertreten sein.Zusätzlichen frischen Wind – ich glaube, das ist sehrwichtig für die kreative Fantasie – wird es in diesen Gre-mien durch eine von uns durchgesetzte Frauenquote ge-ben.
Herr Neumann hat ihr zugestimmt. Er wird wissen, wa-rum. Die Zeiten, in denen sich ausschließlich älteremännliche Herrschaften zum Zigarrerauchen versam-melt haben – damit will ich niemandem zu nahe treten –,sind vorbei.
Das tut nicht nur den Nichtrauchern gut.„Die Elf von Bern spielte nie wieder zusammen“,heißt es bei Sönke Wortmann in dem wunderbaren Film„Das Wunder von Bern“ am Ende etwas melodramatischund bedauernd. Unsere Elf spielte noch nie zusammen,stelle ich bezogen auf die neue, elfköpfige Vergabe-kommission der FFA optimistisch und hoffnungsfrohfest. Da eine Elf nun einmal elf Spieler hat, ist es zu be-grüßen, dass ein Vertreter der öffentlich-rechtlichenRundfunkanstalten die Ersatzbank stärkt.
Erstmals sind Regisseure, Drehbuchautoren, Kurzfil-mer und Kurzfilmerinnen in der Vergabekommission mitfesten Sitzen vertreten. Ich bin sicher, dass sie den filmi-schen Sachverstand in diesem wichtigen Gremium er-weitern.Es gibt zahlreiche weitere Erfolge, die wir uns ge-meinsam auf die Fahne schreiben können. Kurzfilmeund Drehbücher werden mit 2 Prozent statt, wie geplant,mit 1,5 Prozent der FFA-Einnahmen gefördert. Analogzu der Praxis in den Filmhochschulen können Kurzfilmemit einer Länge von bis zu 45 statt 15 Minuten gefördertwerden, sofern es sich um Erstlingswerke oder Hoch-schulfilme handelt. Den Deutschen Filmrat als zusätzli-ches Gremium wird es zu Recht nicht geben. Darinstimme ich Herrn Neumann explizit zu.Natürlich lassen sich – das habe ich gelernt – im Rah-men einer solchen Novellierung nicht alle sinnvollenVorschläge sofort realisieren. Deshalb ist es uns sehrwichtig, dass wir in einer Resolution zum FFG bereitsdie Themen ansprechen, die bei der nächsten Novellie-rung eine Rolle spielen sollten, zum Beispiel die Com-puterspiele. Wir erleben die Synergien und Konvergen-zen zwischen Computerspielen und Filmen beinahetäglich. So haben vor kurzem die Macher von „Matrix“angekündigt, die Saga als Computerspiel fortzuführen.Ich glaube, dass Computerspiele endlich als Teil einerreal existierenden Jugend- und Freizeitkultur betrachtetwerden müssen. Ein wichtiger Schritt, den wir in diesemZFAagdefwtFg„bMgmseedMfF–hKmMrIasvDg
Herrn Otto habe ich, glaube ich, genügend gewürdigt.
Da dafür die Redezeit offenkundig nicht mehr reichte,
offe ich in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich jetzt dem
ollegen Otto das Wort erteile, ausdrücklich verbunden
it dem nachgelieferten Dank der Kollegin Roth für die
itwirkung an diesem bedeutenden Gesetzeswerk.
Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Roth, mir wirdichtig warm ums Herz.
ch kann Ihnen gleich eingangs versichern, dass auch wirls FDP-Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf un-ere Zustimmung erteilen. Es kommt nicht allzu häufigor, dass wir in der Sache übereinstimmen.
as ist aber bei diesem Gesetzentwurf der Fall. Deswe-en ist es ein schöner Abend.
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Hans-Joachim Otto
Dieses einstimmige Votum, wofür viele Kolleginnenund Kollegen – ich gebe offen zu: auch ich – mancheKröte schlucken mussten, betrachten wir als ein wichti-ges Signal für den deutschen Film. Dieses einstimmigeVotum soll nämlich deutlich machen: Der DeutscheBundestag steht zum deutschen Film und will, dass erErfolg hat. Deswegen haben wir uns zusammengerauft.Und das ist auch gut so.
Ich möchte genauso wie Frau Kollegin Roth – bei ihrwaren es andere Punkte – nicht verhehlen, dass es einigePunkte gibt, an denen wir unsere Bedenken zurückge-stellt haben. Der wichtigste Bedenkenpunkt ist nachmeiner Meinung, dass die Gremien in unsinniger Weiseaufgebläht worden sind. So sollen der Verwaltungsratder Filmförderungsanstalt 33 Mitglieder – ein bisschenkleiner wäre besser – und die Vergabekommission im-merhin 12 Mitglieder umfassen.Noch eine Bemerkung zur Vergabekommission:Frau Roth, es ist in der Tat gut, dass wir von ARD undZDF nur einen auf dem Spielfeld gelassen und einen aufdie Reservebank geschickt haben. Der Frau Staatsminis-terin, die das als ihren Erfolg verkauft, sage ich nur: DerErfolg – so ist das immer im Leben – hat viele Väter undMütter, so auch diesmal. Ich sage ganz selbstbewusst:Wenn ich nicht gemotzt hätte, dann wäre der Erfolgnicht eingetreten. Sie waren zwar sauer auf mich, dassich Kritik geübt habe. Aber ohne die Kritik der FDP-Fraktion hätten sich ARD und ZDF nicht zurückgezo-gen. So haben wir letztlich doch an einem Strang gezo-gen, und zwar sogar in dieselbe Richtung.
Ich möchte noch etwas in Richtung Filmwirtschaftsagen. Es möge sich bitte jeder vor Augen halten, dasssich aus der jetzt vorgesehenen Erhöhung der Förder-quote kein Automatismus für zukünftige Erhöhungen er-gibt. Ob es nun 40 Prozent, wie Frau Weiss vorgerechnethat, oder 25 Prozent sind, wie der Kollege Neumann be-hauptet hat, jedenfalls bedeutet die vorgesehene Erhö-hung einen satten Zuwachs in einer Zeit, in der andereEinbußen hinnehmen müssen. Das Gesetz gilt bis zum31. Dezember 2008. Wir haben ausdrücklich und ein-stimmig in unsere Beschlussempfehlung aufgenommen,dass es keinen Automatismus geben wird und dass wirdie Aufstockung anhand der Ergebnisse in der Praxisevaluieren wollen. Die deutsche Filmwirtschaft mögesich bitte darauf einstellen, dass nicht immer aus demVollen geschöpft werden kann und dass jetzt Erfolge aufder nun geschaffenen gesetzlichen Basis erzielt werdenmüssen.Nachdem wir das Gesetzesvorhaben positiv abge-schlossen haben, möchte ich ebenso wie der KollegeNeumann den Blick nach vorne auf das richten, wasnoch zu tun ist. Ich möchte besonders einen Punkt an-sprechen, den der Kollege Neumann nur tangiert hat,nämlich das Wirrwarr bzw. die mangelnde Koordina-tion bei der Filmförderung durch die Länder und dieFilmförderungsanstalt. Wir müssen hier zu einer besse-rhfieeetngdvwhmubfuwengfSwFaUtlk–HmddnflFiMmngudidawnz
Nein, das ist nicht einfach, Herr Kollege Benneter.ier herrscht heute fast schon eine adventliche Stim-ung. In der Tat sind alle Punkte, die angesprochen wur-en, hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit schwierig.Wir haben in der Rede von Frau Weiss den Blick inie Zukunft ein wenig vermisst. Wir sollten uns jetzticht selbstzufrieden zurücklehnen, wenn wir das Film-örderungsgesetz verabschiedet haben. Dieses Gesetz al-ein wird – das ist meine Kernbotschaft – dem deutschenilm noch nicht auf die Beine helfen. Wir müssen hierm Deutschen Bundestag noch einiges andere regeln.it dem Filmförderungsgesetz muss eine große Etappeit dem Ziel der Stärkung des deutschen Filmes begin-en.Langer Rede kurzer Sinn: Wo immer Sie, liebe Kolle-innen und Kollegen, in diesem Hause sitzen, lassen Siens nicht die Hände in den Schoß legen! Wir haben iner Tat noch viel zu tun. Bei den Beratungen herrschtensgesamt – in diesem Punkt will ich die Kollegin Rothurchaus unterstützen – ein Klima, das auf Zusammen-rbeit ausgerichtet war. Das war sehr erfreulich. Wennir das auch bei den Beratungen über die Felder, in de-en jetzt noch Reformen durchgeführt werden müssen,ustande bringen, dann werden wir einen sehr guten Bei-
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Hans-Joachim Otto
trag dazu leisten können, den deutschen Film dauerhaftzu stärken. Ich glaube, das ist unser gemeinsames Ziel.Vielen Dank.
Bevor ich nun als krönenden Abschluss dieser De-
batte der Kollegin Gisela Hilbrecht das Wort erteile, die
den allermeisten – einschließlich des amtierenden Präsi-
denten – bis heute nur unter dem Namen Schröter be-
kannt war, nutze ich die Gelegenheit gerne, ihr zu ihrer
Heirat vor wenigen Tagen herzlich zu gratulieren.
Sehr geehrter Herr Präsident, vielleicht bin ich das
erste Mitglied des Deutschen Bundestages, dem hier, vor
dem Hohen Hause, solch ein Glückwunsch ausgespro-
chen wurde. Ich möchte das natürlich auch meinem
Mann mit auf den Weg geben.
Ich bin gespannt, ob das wie eine Androhung oder
wie eine Verheißung wirkt.
Herr Präsident, jetzt haben Sie mich richtig nervös ge-macht; ansonsten bin ich das nicht.Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Neumann, wir reden heute über die No-velle zum Filmförderungsgesetz und über die Rahmen-bedingungen für das Filmschaffen in Deutschland insge-samt. Selbstverständlich löst die Novelle allein nicht dieProbleme des deutschen Films. Die wirtschaftlicheFörderung ist nur ein Faktor, der auf die Lage des deut-schen Films Einfluss hat, aber – ich denke, da sind wiruns alle einig – ein ganz zentraler. Deshalb ist es ganzwichtig, dass wir hier den großen Erfolg dieses von allenFraktionen gemeinsam getragenen Gesetzes nicht kleinreden, zumal es hierbei um einen genuinen Regelungs-bereich der Bundeskulturpolitik geht.Beim Medienerlass, beim Urheberrecht oder bei steu-erlichen Subventionen für die Filmwirtschaft haben an-dere Ressorts – das Finanzministerium, das Justizminis-terium, das Wirtschaftsministerium, aber auch dieFinanzminister der Länder – das Sagen. Dieses Problemist uns genauso bewusst wie die Tatsache, dass die Rege-lungsgegenstände komplex und die Interessen der Betei-ligten – wie könnte es anders sein? – sehr unterschied-lich sind. Das heißt: Wir müssen weiterhin ganz dickeBretter bohren.
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Mit seinen Branchenabgaben und Fernsehbeiträgenst das FFG vom Ansatz her ein Wirtschaftsförderungs-esetz. Bis zur Einrichtung eines Ausschusses für Kul-ur und Medien wurde das Gesetz federführend imirtschaftsausschuss behandelt und im Innenausschussitberaten. Ich finde es ganz wichtig, dass jetzt der Aus-chuss für Kultur und Medien dafür zuständig ist.
Die Förderung der Filmwirtschaft macht aber nurinn, wenn zugleich auch das Produkt, um das es geht,ämlich der deutsche Kinofilm, in seiner Qualität geför-ert wird. Gefördert wird – so heißt es in der neuen Fas-ung des § 1 – die kreativ-künstlerische Qualität deseutschen Films als Voraussetzung für seinen Erfolg imnland und im Ausland. Ich bin froh darüber, dass das
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Gisela Hilbrechtkein leeres Bekenntnis ist. Diese Einsicht in die Notwen-digkeit des sachgerechten Ausgleichs zwischen wirt-schaftlichen Interessen und kulturellem Anspruch, ohnedass man das eine dem anderen opfert, zieht sich durchdas ganze Gesetz.
An dieser Stelle geht mein herzlicher Dank an alleKolleginnen und Kollegen im Ausschuss für die – wiesollte es anders sein? – wirklich sehr gute Zusammenar-beit. Ich danke auch der Ministerin sowie ihrer Fachab-teilung, die in ganz vorbildlicher Art und Weise mit demParlament kooperiert haben. In aller Offenheit, sowohlvonseiten der Parlamentarier als auch vonseiten derStaatsministerin – das habe ich in meinen dreizehn Jah-ren in diesem Parlament so noch nicht erlebt –, ist einRegelwerk im Dialog mit den Betroffenen aus der Film-branche entstanden. Das ist, denke ich, Kulturpolitik imbesten Sinne des Wortes, so wie man sie von Kulturpoli-tikern auch erwarten sollte.
– Nein, das war noch nicht das Schlusswort, Herr Otto.Sie müssen mir schon noch ein bisschen zuhören.
Festmachen kann man diesen Ausgleich zwischenwirtschaftlichem Interesse und kultureller Verantwor-tung an zwei Punkten des Gesetzes – ich fasse noch ein-mal zusammen –, erstens an der Einbeziehung kulturel-ler Kriterien bei der Referenzfilmförderung undzweitens an der Einbeziehung der Kreativen bei der Be-setzung der Gremien der FFA.Eine Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen. Kei-neswegs gilt doch – darüber sind wir uns, denke ich, ei-nig –: je größer ein Gremium, desto repräsentativer. Ichverrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass der Kampfum die Gremienbesetzung für viele offensichtlich derwichtigste Punkt in der Debatte war.
Insofern unterscheidet sich die Filmbranche nicht vonanderen Branchen.Noch ein Hinweis zur Vergabekommission. Dreh-buchautoren, Regisseure und auch Kurzfilmer sind künf-tig neben Vertretern von Kino, Produktion, Verleih,Video, Fernsehen und Parlament mit dabei, wenn überdie Förderung von Filmprojekten entschieden wird. AlsMitglied dieser Kommission bin ich gespannt, wie sichdas auf die Förderpraxis auswirkt.Eine ganz persönliche Bemerkung: Ich als Politikerinverstehe mich durchaus auch als Kreative. Ich denke,dass auch Kreativität eine Voraussetzung für erfolgrei-che Politik ist.
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Oh, Sie kennen sich im Fußball gut aus; ich auch.Ich halte fest: Die Aufmerksamkeit für den deutschenilm hat deutlich zugenommen und wird sich hoffentlichuch in Marktanteilen und Festivalerfolgen niederschla-en. Unsere Aufgabe als Kulturpolitiker wird es sein,iesen Erfolg nachhaltig zu stabilisieren; und das nichtur, damit die deutsche Filmwirtschaft floriert, sondernuch, weil es sich beim Kinofilm um ein Kulturgut ers-en Ranges handelt,
m ein Medium von größter gesellschaftlicher und iden-itätsstiftender Bedeutung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wann waren Sie dasetzte Mal in einem deutschen Kinofilm?
ch wünsche mir, dass wir alle und auch alle Gäste hieru Botschaftern des deutschen Films werden.
Ich schließe die Aussprache und lasse die Anregunginmal auf sich beruhen, ob wir demnächst regelmäßigbfragen, wer wann zuletzt in welchem Film war, ob-ohl das zum Unterhaltungswert dieser Debatten sehreitragen könnte.
Die könnten wir, Herr Kollege, kongenial mit einbe-iehen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6501
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertWir kommen jetzt zu den erforderlichen Abstimmun-gen über den vorliegenden Gesetzentwurf bzw. die Ent-schließungsanträge.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den vonder Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zurÄnderung des Filmförderungsgesetzes auf der Drucksa-che 15/1506. Der Ausschuss für Kultur und Medienempfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 15/1958, den Gesetzentwurf in derAusschussfassung anzunehmen. Dazu liegt ein interfrak-tioneller Änderungsantrag vor, über den wir zuerst ab-stimmen müssen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-sache 15/1977? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist angenommen.
– Wenn es dem Glanz der Gesetzgebung dient, füge ichgerne hinzu, dass er einstimmig angenommen wordenist. Das ist für den Änderungsantrag ja nicht ganz so we-sentlich wie für den Gesetzentwurf, über den wir jetztanschließend dennoch abstimmen müssen.Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Än-derung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer möchte sich der Stimme enthal-ten? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratungebenfalls einstimmig angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, trotz Annahme einesÄnderungsantrages in zweiter Beratung unmittelbar indie dritte Beratung einzutreten. Gibt es dagegen Wider-spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so verein-bart.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.– Wer stimmt dagegen? – Möchte sich jemand derStimme enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die-ser Gesetzentwurf zur Änderung des Filmförderungs-gesetzes vom Deutschen Bundestag einstimmig ange-nommen.Um das mehrfach bemühte Beispiel des Wunders vonBern aufzugreifen: Wenn das Zusammenspiel dieserMannschaft so grandios war, wie alle Sprecher der Frak-tionen wechselseitig gerühmt haben, wäre es schade,wenn diese Mannschaft zum letzten Mal so zusammen-gespielt hätte.
Wir kommen nun zu Buchstabe b der Beschlussemp-fehlung des Ausschusses auf Drucksache 15/1958 mitder Empfehlung der Annahme einer Entschließung. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt je-mand dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? –DaAiKdGaAswDDvFFuthVuößuwds
eutschland wäre als Transitland Nummer eins in Europaon dieser Lockerung massiv betroffen. An Sonn- undeiertagen gäbe es aufgrund des zeitgleich stattfindendenreizeitverkehrs lange LKW-Kolonnen mit Staus, Lärmnd Unfällen auf den ohnehin schon stark belasteten Au-obahnen. Das ist den Anwohnern nicht zumutbar.Uns ist das Sonn- und Feiertagsfahrverbot für LKWeilig. Wir halten es für wichtig.
erkehrsminister Stolpe darf allerdings nicht einknickennd nicht Europa Tür und Tor für den Schwerlastverkehrffnen, der dann künftig auch sonntags über unsere Stra-en lärmen würde. Wir wollen in Deutschland die Sonn-nd Feiertage nicht zu Werktagen degradieren und wirollen auch nicht, dass LKW-Transporte an Wochenen-en die Straßen verstopfen und den Freizeitverkehr ein-chränken.
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Renate BlankIn der EU wachsen allerdings die Bestrebungen, denSonn- und Feiertagsschutz mittelfristig einzuschränkenbzw. langfristig abzuschaffen – mit der fadenscheinigenBegründung, den zunehmenden Güterverkehr auf derStraße besser abwickeln zu können. Zudem seien sonn-tägliche Wartezeiten an den Grenzen nicht zumutbarbzw. nicht hinnehmbar.Nach dem Willen der EU-Kommission sollen die Mit-gliedstaaten zusätzliche Fahrverbote künftig nur nochmit ausdrücklicher Genehmigung der EU-Kommissionverhängen dürfen. Wenn die grundsätzlichen Befugnisseerst einmal auf die EU übertragen worden sind, ist zu be-fürchten, ja sogar davon auszugehen, dass die bisherigennationalen Vorschriften allenfalls Auslaufmodelle underfahrungsgemäß nur noch von kurzer Haltbarkeitsdauersind. Wir kennen doch die Regelungswut der EU bzw.das An-sich-Ziehen von Befugnissen. Es besteht die Ge-fahr, dass die Sonn- und Feiertagsfahrverbote Scheib-chen für Scheibchen beschnitten werden. Das wäre auchim Hinblick auf die EU-Osterweiterung und den damitzu erwartenden Verkehr für Deutschland fatal.Im Übrigen beeinträchtigen die geltenden deutschenRegelungen den freien Warenverkehr nicht, da ver-derbliche Waren ohnehin schon von Fahrverboten ausge-nommen sind. Allerdings müsste die Kennzeichnung„verderbliche Waren“ durch die zuständigen Behördenrestriktiv ausgelegt und kontrolliert werden, damit dieUmgehung des geltenden Rechts erschwert bzw. ganzverhindert wird. Bei manchem LKW, der an Sonn- undFeiertagen unterwegs ist, habe ich doch die Vermutung,dass keinesfalls verderbliche Waren gefahren werden,sondern man eher darauf vertraut, nicht kontrolliert zuwerden bzw. die dann fällige Strafe durch den gewonne-nen Transportvorteil locker bezahlen zu können.Eine Lockerung des Sonn- und Feiertagsfahrverbotsfür LKW bedeutet zudem einen gravierenden Einschnittin das Privatleben der Berufskraftfahrer und derenFamilien.Eine generelle Fahrerlaubnis würde nicht nur die Fah-rer, sondern auch sehr viele andere Arbeitnehmer belas-ten; denn es geht nicht nur um das Fahren, sondern auchum das Be- und Entladen der Fahrzeuge.Auch das deutsche Transportgewerbe lehnt die Auf-hebung oder Aufweichung dieses Fahrverbots ab; dennes würde eine weitere Verschlechterung der Wettbe-werbssituation im europäischen Vergleich entstehen,wenn die LKWs aus unseren Nachbarstaaten auch sonn-und feiertags durch Deutschland fahren könnten.Besonders in Regionen, wo der Fremdenverkehr dieeinzig bedeutende Einnahmequelle ist, kann sich eineAushöhlung des Fahrverbots an Sonn- und Feiertagenfür LKWs negativ auf die Überlebenschancen der Frem-denverkehrsbetriebe auswirken. Dörfer und Städte müss-ten sich dann mit dem Aufstellen von Park- und Durch-fahrtsverbotstafeln für LKWs befassen. Dies kannkeinesfalls in unserem Sinne sein.Ich gehe davon aus, dass alle Fraktionen in diesemHause für die Beibehaltung des Sonn- und Feiertagsfahr-verbots für LKWs in Deutschland sind; denn Deutsch-leDgmVMlzpwsdurTduBFmmBassu„sGsssnmbab1Vat
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Die Sonntagsruhe ist – das weiß vielleicht nicht jeder –auch im Grundgesetz festgehalten.Übrigens kannte die DDR kein Sonntagsfahrverbot.Das lag vor allen Dingen daran, dass der übliche Trans-portweg die Schiene war. Die restliche Transportleistungwar überschaubar. Dies ist aber in einem Transitlandnicht der Fall.Als Transitland haben wir besondere Lasten zu tra-gen. Periphere Staaten kennen diese Situation nicht.Diese Lasten zu tragen ist eine schwere Aufgabe. Auchbei uns wird immer wieder die Diskussion darüber ge-führt, wie man das prognostizierte Verkehrsaufkommenbewältigen kann. Dazu gibt es mehr oder weniger guteRatschläge.In einer Pressemitteilung des Bundesverbandes desDeutschen Groß- und Außenhandels heißt es, wir müss-ten die Denkverbote überwinden und eine Diskussionführen über die Aufhebung von Sonntagsfahrverboten,über die Öffnung des Werksverkehrs für Transporte Drit-ter und auch über die Anhebung des zulässigen Gesamt-gewichts für LKW’s auf bis zu 60 Tonnen.Ich stelle hier fest, dass diese Aufforderung zur Dis-kussion bis jetzt keine Resonanz gefunden hat, weder impolitischen Bereich noch beim betroffenen Gewerbe. Ichhoffe, damit hat sich das erledigt. Wir haben eine Rege-lung, die sich bewährt hat und – was ja nicht so häufigvorkommt – die auch äußerst beliebt ist.
Wie geht es jetzt weiter in Europa? Wir werden wei-terhin mit Nachdruck unsere ablehnende Haltung zumRichtlinienentwurf zum Ausdruck bringen. Wir werdenweiterhin eng vor allen Dingen mit Frankreich zusam-menarbeiten. Wir treffen aber Vorkehrungen, unserZiel – es heißt: Fortbestand des Sonn- und Feiertags-fahrverbotes – auch dann zu erreichen, wenn wir über-stimmt werden. In diesem Fall werden wir uns für einendauerhaften Bestandsschutz der bestehenden nationalenRegelungen einsetzen. Wir haben immer sehr vielVerständnis für unsere Position gefunden. Wenn es aller-dings hart auf hart geht – das betrifft auch Punkt II IhresAntrages –, können wir von Großbritannien zwar Ver-ständnis erwarten, aber Unterstützung ist schon ein biss-chen problematischer. Großbritannien hat das uns gegen-über auch so zum Ausdruck gebracht.Mit Ihrer Forderung nach einer integrierten Verkehrs-politik rennen Sie bei uns nun wahrlich offene Türen ein
– ja, Scheunentore, größere Tore kann es gar nichtgeben –, wenngleich wir uns in unserer Diskussion nichtauf die transeuropäischen Netze beschränken sollten undauch nicht wollen. Weil es in Ihrem Antrag so treffendformuliert ist, möchte ich mir vorbehalten, bei der nächs-tfdKwmnKznEmdzjISuwawDmlkbzEbgDd
Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich für
ie FDP-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Bei so viel Gemeinsamkeit wird es ja schonieder interessant, eine andere Meinung zu haben, aberan muss sich das richtige Thema heraussuchen. Zu-ächst muss man sich fragen: Was hat eigentlich die EU-ommission bewogen, ausgerechnet an dem Punkt an-ufangen, über eine Harmonisierung in Europa lautachzudenken?
s gäbe eine ganze Palette von Themen, über die manit dem Ziel der Beseitigung von Defiziten ernsthaft miter EU diskutieren könnte. Eine solche Diskussion wärewar auch strittig, aber sie wäre sehr viel wichtiger, alsetzt das Thema Sonntagsfahrverbot aufzugreifen.
ch denke an Themen wie Lenk- und Ruhezeiten, Kfz-teuer, Mineralölsteuer sowie an andere Vorschriftennd Ausnahmeregelungen
ie die nachträglich genehmigten steuerlichen Hilfennderer Länder ab dem Jahr 2000 für ihr Transportge-erbe.
iese Genehmigung erfolgte im Übrigen mit Zustim-ung der Bundesregierung. Es gäbe also eine große Pa-ette von Themen, über die man sich Gedanken machenönnte. Der Kollege Fischer fordert ja ständig ein Weiß-uch der EU zur Beseitigung der Harmonisierungsdefi-ite.
s wäre sicherlich interessant, das abzuarbeiten. Dazuraucht man aber kein Weißbuch; die Themen sind ei-entlich bekannt.
ass man jetzt ausgerechnet das Sonntagsfahrverbot inen Blick nimmt zeigt, dass man einen Sinn darin sieht,
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Horst Friedrich
das größte Transitland und das wirtschaftlich interessan-teste Land innerhalb der EU noch stärker zu frequentie-ren – zwei Drittel des Gesamtverkehrs finden schon jetztbei uns statt – und dass man deshalb jetzt auch das beste-hende Fahrverbot von Sonntag 0 Uhr bis 22 Uhr aufhe-ben will.Allerdings – das ist ja schon angeklungen, verehrteKolleginnen und Kollegen – müssen wir natürlich auchselber aufpassen. Mittlerweile werden in den Regionen –neben dem sowieso schon ausgenommenen Verkehr fürso genannte lebensnotwendige Güter – flächendeckendmehr und mehr Ausnahmeregelungen erteilt, was dazuführt, – das zeigt ein Vergleich der täglichen Verkehrs-zahlen –, dass am Sonntag bereits jetzt schätzungsweise20 Prozent des Schwerlastverkehrs, der durchschnittlichwerktäglich unterwegs ist, auf Deutschlands Autobah-nen fährt. Das ist natürlich überwiegend aufgrund vonregionalen Ausnahmegenehmigungen möglich. Wer aufder einen Seite von sich aus deutlich macht: „Ich nehmedas alles nicht allzu ernst“, darf sich umgekehrt nichtwundern
– wenn das Handy klingelt;
damit wären wir wieder beim Thema Film: „Immerwenn der Postmann zweimal klingelt“ –,
wenn man von der anderen Seite darauf angesprochenwird, in diesem Bereich zu harmonisieren.Wir werden uns im Ausschuss intensiv mit dem An-trag der Union befassen und sicherlich in sehr pragmati-scher Weise ein gemeinsames Ergebnis erzielen. Ichfreue mich auf die Fortsetzung der Debatte anlässlich derweiteren Behandlung dieses Antrages im Plenum.Herzlichen Dank.
Diejenigen Kollegen, die offenkundig Entzugser-scheinungen haben, weil sie nicht Mitglied des Aus-schusses für Kultur und Medien sind, mache ich daraufaufmerksam, dass nach unserer Geschäftsordnung jedesMitglied des Bundestages berechtigt ist, an Sitzungenvon Ausschüssen, in denen es kein Mitglied ist, teilzu-nehmen.
Nun hat das Wort der Kollege Albert Schmidt,Bündnis 90/Die Grünen.GImDfkDlmgAft–migaiWraKWerAgcmslks–edK
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ch freue mich, dass dies heute ein so konsensualer, har-onischer Nachmittag ist.
ies ist schon der zweite Tagesordnungspunkt, der of-enbar die Einigkeit des Hauses in wichtigen Fragen do-umentiert.
ies ist auch die zweite Verkehrsdebatte, die ich hier er-ebe, bei der es in einem zentralen Punkt Übereinstim-ung gibt. Beim ersten Thema ging es um den Börsen-ang der Bahn. Ich finde, hier waren wir mit unseremufsichtsratsbeschluss, der dieser Debatte unmittelbarolgte, erfolgreich. Das zweite Thema ist jetzt das Sonn-ags- und Feiertagsfahrverbot für schwere LKW’s.
Das zeigt, dass wir dann Erfolg haben, wenn wir ge-einsam das Richtige wollen.
Noch gilt in Deutschland, in Frankreich, in Italien undn Österreich an Sonntagen und an bestimmten Feierta-en ein LKW-Fahrverbot. Das ist keine Willkür unduch kein Zufall. Denn diese Länder liegen nun einmalm Herzen Europas, wir in Deutschland ganz besonders:ir sind das Transitland Nummer eins in der Mitte Eu-opas. Ob Nord-Süd-Verkehr oder West-Ost-Verkehr,lle wälzen sich über unsere Straßen.Deshalb wäre es eine Horrorvorstellung, die LKW-olonne nun zeitgleich mit dem Freizeitverkehr amochenende auf die Straßen zu lassen. Das ist nicht nurine Frage der Lebensqualität und der Überlastung unse-er Bevölkerung, insbesondere der Anwohnerinnen undnwohner, die diesem Lärm auch noch am Sonntag aus-esetzt wären. Das ist vielmehr auch eine Frage der Si-herheit. Denn am Sonntag den Freizeitverkehr zugleichit dem Verkehr schwerer LKW’s auf die Straße zu las-en heißt: mehr Unfälle, mehr Staus und noch mehr Be-astungen für die Anwohnerinnen und Anwohner. Dasann niemand verantworten, auch nicht wenn er in Brüs-el sitzt.
So ist es.Schon eine Lockerung des Sonntagsfahrverbots istine falsche Strategie. Denn sie führt natürlich dazu,ass ein solches Verbot nach und nach wie ein Schweizeräse durchlöchert wird, bis es am Schluss mehr Löcher
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Albert Schmidt
als Käse hat. Deswegen freue ich mich, dass wir uns hiereinig sind.Freizeitverkehr plus LKW-Lawinen, das überfordertnicht nur die Straßen, das überfordert auch die Men-schen. Deswegen sind wir alle auf dem richtigen Weg,wenn wir in Richtung Brüssel und – auch das sage ichhier sehr deutlich – in Richtung Rom, in Richtung dergegenwärtigen Ratspräsidentschaft, ausdrücklich fest-stellen: Das Sonntagsfahrverbot für LKW’s ist für unseine Frage der Lebensqualität. Wir im Deutschen Bun-destag sollten gemeinsam und einmütig das Signal anHerrn Berlusconi senden: Er kann auf der nächsten Rats-tagung Anfang Dezember treiben, was er will;
aber dieses Thema sollte er schleunigst von der Tages-ordnung absetzen.
Denn niemand hier will eine Lockerung, noch nichteinmal das LKW-Gewerbe. Es ist schon gesagt worden,dass auch das deutsche Speditionsgewerbe eine Aufhe-bung dieses Fahrverbotes ablehnt, und zwar aufgrundder Befürchtung einer weiteren Verschlechterung derWettbewerbsposition im europäischen Vergleich, näm-lich dann, wenn die Trucks aus dem Ausland auch sonn-und feiertags durch Deutschland donnern.Deshalb wird es höchste Zeit, dieses Signal zu geben.Denn wir befinden uns tatsächlich in einer Fünf-vor-zwölf-Situation. Wir können vielleicht gerade noch denZeiger anhalten, wenn wir dank der Einmütigkeit heutegemeinsam das richtige Signal setzen. Ich bin deshalbsehr dankbar für den vorliegenden Antrag, der uns denAnlass gibt, diese Debatte heute zu führen.
Irgendwann einmal – ich will es so salopp sagen –muss der Tag sein, an dem ein leidenschaftlicher Auto-fahrer über die Autobahn brettern kann, ohne dass dieLKW auf der rechten Spur ein Hindernis wie eine Mauerbilden. Ich denke an Persönlichkeiten wie RezzoSchlauch, die auch einmal die Möglichkeit haben wol-len, ihre Fahrzeuge auszufahren.
Man sollte nicht verschweigen, dass auch das eine Rollespielen darf.
Für mich spielt aber noch ein anderer Punkt eine sehrwichtige Rolle, den ich abschließend ansprechenmöchte. Wenn wir heute einen Stopp der Debatte umeine Aufweichung des Fahrverbots an Sonn- und Feier-tagen fordern, geben wir auch ein Zeichen, dass eine to-tale Kommerzialisierung der Sonn- und Feiertage aneine Grenze stößt, bei der wir Halt sagen. Das ist aucheine kulturelle Frage, Herr Präsident. Es gibt noch an-dere Werte im Leben als die totale Kommerzialisierung,den permanenten Transport, das permanente Geschäft.EeDhwBkmdkiabwWhkknJwdtcmsdKr
as wollen wir garantiert sehen. Deshalb sagen wireute Nein zu diesen Plänen aus Brüssel, aus Rom oderoher immer sie kommen mögen.
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Schorsch
runnhuber, CDU/CSU-Fraktion. Falls auch er noch die
ulturelle Bedeutung des Straßenverkehrs hervorhebt, ist
it dem Zuströmen der verschwundenen Kollegen aus
em einschlägigen Ausschuss zu rechnen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie
ennen mich: Wenn alles schon gesagt ist, braucht man
n einer Sache, bei der man sich wirklich einig ist, nicht
lles zu wiederholen.
Ich stelle deshalb erstens fest: Das Sonntagsfahrver-
ot für schwere LKW’s muss bleiben, weil es sich be-
ährt hat und weil wir den Sonntag als heilig wollen.
ir haben jetzt schon bis Samstag volle Arbeitszeit; des-
alb muss der Sonntag absolut frei gehalten werden.
Zweitens. Wir wollen nicht, dass ausländische Kon-
urrenz, die wir jetzt schon haben, das deutsche Ver-
ehrsgewerbe im grenzüberschreitenden Verkehr perma-
ent zurückdrängt: von 35 Prozent Anteil vor fünf
ahren auf jetzt unter 25 Prozent. Das muss verhindert
erden.
Drittens. All das, was von allen Kollegen gesagt wor-
en ist, ist richtig.
Ich bitte deshalb die Bundesregierung, unseren An-
rag zu unterstützen. Umgekehrt können wir Ihnen versi-
hern: In Brüssel haben Sie unsere volle Zustimmung.
Verehrter Kollege Brunnhuber, ich hätte es nicht für
öglich gehalten, in meiner Amtszeit noch einmal eine
o spektakuläre Unterschreitung der Redezeit erleben zu
ürfen, wie das gerade der Fall war.
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat der
ollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Nachdem meine Redezeit bereits von elf auf sechs
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Uwe BeckmeyerMinuten heruntergekürzt worden ist, werde auch ichmich kurzfassen. Insofern hoffe ich, dass ich Ihr Wohl-wollen verdiene.Als ich mich in den letzten Tagen wieder mit diesemThema beschäftigte, fiel mir auf, dass man den Eindruckhaben könnte, es handele sich um einen Evergreen, deralle vier Jahre hier im Parlament erörtert wird. 1998 und1999 hat der Bundestag eindeutige Beschlüsse dazu ge-fasst. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass wirunterschätzen, was aus Europa kommt.Europa ist eine Mühle, die beständig mahlt. Sie pro-duziert unaufhörlich immer neue Vorschläge, Entschlie-ßungen und Verordnungen. Man muss aufpassen, dassder nationale Wille dabei am Ende nicht fürchterlich un-ter die Räder kommt. Das droht in diesem Fall.Ich habe einmal nachgeschaut: Seit 1998 hat es aufeuropäischer Ebene 14 Befassungen mit diesem Themagegeben. 23 Bulletins und ähnliche Schriften sind nur zudiesem Thema verfasst worden,
immer mit dem gleichen Ziel, an dieser Stelle etwas auf-zubohren.Es ist gut und notwendig, dass dieses Parlament sicheinmütig gegen diese Hydra wehrt, der, sobald man ei-nen Kopf abgeschlagen hat, zwei neue nachwachsen. Ichbin sehr dankbar dafür, dass das hier so einmütig pas-siert.Ich habe allerdings eine Bitte. Bei der Recherche ha-ben wir festgestellt, dass SPD, CSU, ÖVP und SPÖ imEuropäischen Parlament eine einheitliche Position ha-ben, leider aber nicht die Abgeordneten der ChristlichDemokratischen Union im Europäischen Parlament. Diehaben mehrheitlich leider für den Kommissionsvor-schlag gestimmt, was von einer leichten Verwirrung beiall denen zeugt, von denen man hätte annehmen müssen,dass sie um unsere nationale Debatte wissen.
Insofern ist das ein Arbeitsfeld, bei dem wir noch über-zeugen müssen. Ich habe die Hoffnung noch nicht ganzaufgegeben.Seitens der sozialdemokratischen Fraktion darf auchich feststellen: Wir sind eindeutig der Meinung, dass wiran diesem Regelwerk nichts verändern wollen. Wir wer-den uns im Ausschuss bei der Beratung Ihres Antragesentsprechend verhalten.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/1876 an die in der Tagesordnung aufge-fvÜAWdDsdllsneudrrfBdlKaBgRGDtOdbaw
auftragtenJahresbericht 2002
– Drucksachen 15/500, 15/1837 –Berichterstattung:Abgeordnete Ulrike MertenAnita Schäfer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieussprache 45 Minuten dauern. – Dazu höre ich keineniderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächster Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestagesr. Willfried Penner.Dr. Willfried Penner, Wehrbeauftragter des Deut-chen Bundestages:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-eswehr ist eine intakte Institution und in dieser Armeeeisten Soldaten erstklassigen Dienst. Aus aktuellem An-ass füge ich hinzu: Die Bundeswehr ist eine demokrati-che Institution im demokratisch verfassten Staat undicht etwa Gehäuse für Rechtsextremismus oder Rechts-xtremisten.
Die Bundeswehr steht für Freiheit, steht für Toleranznd für Achtung der menschlichen Würde und nicht füras Gegenteil. Das ist Tatsache und nicht etwa beschwö-ende Leerformel. In der Bundeswehr wird innere Füh-ung praktiziert und Soldaten sind Staatsbürger in Uni-orm. Mächtige Wirkkräfte sichern die demokratischeeschaffenheit der Bundeswehr ab: Ich nenne die stän-ige, fast uneingeschränkte Kontrolle durch die Öffent-ichkeit, ich nenne die ständige parlamentarischeontrolle und ich erwähne die besondere politische Ver-ntwortlichkeit von Bundesverteidigungsminister undundeskanzler als Inhaber der Befehls- und Kommando-ewalt. Da ist kein Platz für die Widerwärtigkeiten desechtsextremismus; das wird auch so bleiben.
ewiss bedeutet dies keinen uneingeschränkten Schutz.ie Begehrlichkeiten des Rechtsextremismus in Rich-ung Bundeswehr im Hinblick auf deren hierarchischerdnung, im Hinblick auf Waffen und den Umgang mitenselben, aber auch im Hinblick auf militärische Sym-ole und die Dienstkleidung werden bleiben. Dies istber eine andere Geschichte. Dagegen kann man sichehren und das geschieht auch.
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Wehrbeauftragter Dr. Willfried PennerDas Schüren eines diesbezüglichen Generalverdachtsgegen die Bundeswehr ist allerdings infam, zumal deut-sche Soldaten in ihrer Mission im Ausland unter zumTeil außerordentlich schwierigen Bedingungen und beiEinsatz von Leib und Leben einen allseits anerkanntenDienst zum Schutz von Menschenrechten und der inter-nationalen Wertegemeinschaft leisten.
Das ändert aber nichts daran, dass es auch Problemegibt – und die nicht zu knapp. Das Parlament als Auf-traggeber des Wehrbeauftragten hat Anspruch darauf, zuerfahren, wie es um seine Bundeswehr und seine Solda-ten nach den Wahrnehmungen des Wehrbeauftragten imBerichtsjahr bestellt ist.Hierzu die wichtigsten Hinweise: Erstens. Der Bun-deswehr zu Hause machen die Auswirkungen der Ein-sätze sehr zu schaffen. Soldaten weisen vermehrt aufDoppel-, ja Mehrfachbelastungen hin, die die Folge ein-satzbedingter Abwesenheit anderer Soldaten sei. Immerwieder wird vorgetragen, dass der Übungs- und Ausbil-dungsbetrieb Schaden nehme. Die Schwächen werdenmit fehlenden Ausbildern, Mangel an geeignetem Mate-rial und erforderlichen Mitteln erklärt. Es verstärkt sichder Eindruck, dass die Bundeswehr in einigen Bereichendie Grenzen der Möglichkeiten erreicht hat. Ohne An-spruch auf Vollständigkeit seien die Nöte der Fernmeldersowie von Spezialisten generell und die Schwierigkeitenbeim Sanitätswesen erwähnt. Das Fehlen von Chirurgen,Anästhesisten und Orthopäden belastet die Funktionsfä-higkeit von Bundeswehrkrankenhäusern zulasten derSoldaten. Perspektivisch ist zu berichten, dass das Inte-resse am Dienst des Sanitätsoffiziers nachlässt. Die Zahlder Bewerber dafür wird kleiner. Mögliche negative Fol-gen zulasten des Sanitätswesens sind absehbar. Es be-steht Handlungsbedarf.Zweitens. Die rasche Folge tief greifender Verände-rungen in der Bundeswehr verunsichert Soldaten, weildamit auch Planungsverlässlichkeit für den persönlichenBereich, für Frau und Kinder, betroffen sein kann. Hinzukommt, dass Unsicherheiten über den Fortbestand vonEinheiten und Standorten Soldaten zusätzlich belasten.Immer wieder wird von erfahrenen, wohlmeinenden Sol-daten vorgebracht, dass das Riesenunternehmen Bundes-wehr bei einander überlappenden Veränderungsprozes-sen grundlegender Art nicht zurechtkommen könne.Drittens. Gerade bei wiederholten Einsätzen stelltsich für Soldaten immer drängender die Frage nach Sinnund Zweck ihres Dienstes, wenn sie nach ihren Wahr-nehmungen keine politischen Fortschritte ausmachenkönnen. Die Soldaten wollen nicht Besatzungsmachtoder Lückenbüßer für nicht stattfindende politische Ver-änderungen sein. Mit anderen Worten: Sie erwartenKonsequenzen aus dem Primat der Politik.Viertens. Bei Bundeswehr im Einsatz ist es unum-gänglich, an die immer noch ausstehende Novellierungdes soldatischen Versorgungsrechts zu erinnern, die dochschon seit knapp einem Jahr zugesagt und begonnenwlszvtWBblEsswbsHfLrDusfnoAagdpwkfirDPwllffbST
er Bund ist allein für militärische Angelegenheitennd damit auch allein für Bundeswehr im Einsatz zu-tändig. Dann ist der Bund auch allein für die Beschaf-enheit der Armee verantwortlich. Deren Verfassungimmt Schaden, wenn nicht endlich diese zulasten derstdeutschen Soldaten diskriminierend wirkenden, diermee der Einheit spaltenden Einkommensunterschiedeufgehoben werden.
Was andere Mängel in der Bundeswehr und die Sor-en der Soldaten angeht, muss es mit einem Hinweis aufen Bericht sein Bewenden haben. Ich will nur noch einaar Stichworte nennen, was die Soldaten belastet undas in der Bundeswehr rumort:Mit seiner neuen Laufbahn wird das Unteroffiziers-orps weiterhin nicht richtig fertig. Die „alten“ Unterof-iziere sehen sich auf dem Wege zum Abstellgleis undhre Interessen auf Beförderung nicht zureichend be-ücksichtigt.Die Infrastruktur in vielen Kasernen des westlicheneutschlands lässt zu wünschen übrig. Dagegen hat dasrogramm „Kaserne 2000“ für den Osten erfreulicher-eise voll gegriffen.Damit auch dies gesagt sei: Klagen über Unzuläng-ichkeiten gerade bei der Bearbeitung von Personalange-egenheiten mit negativen Konsequenzen für die Betrof-enen werden mehr und mehr. Ich erwähne als Quellenür Schwächen, ohne dass das eine Schuldzuweisungedeutet, die Zentren für Nachwuchsgewinnung, dietammdienststellen, aber auch Knotenpunkte in derruppe selbst.
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Wehrbeauftragter Dr. Willfried PennerDer Verteidigungsausschuss wird in seinem Bemühennicht locker lassen, Verbesserungen durchzusetzen; da-rin bin ich mir sicher. Er wird zu Beginn des nächstenJahres beim Bundesministerium der Verteidigung wegennotwendiger Veränderungen wieder förmlich vorstelligwerden.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bun-deswehr ist eine Parlamentsarmee. Das hat der Bundes-tag immer wieder erklärt. Das wissen auch die Soldaten.Sie wissen auch, dass das Parlament damit für die Bun-deswehr eine besondere Verantwortung übernommenhat.Schönen Dank für Ihre Geduld.
Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Heß, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Der 44. Bericht des Wehrbe-auftragten spiegelt ein ehrliches Bild der inneren Lageder Bundeswehr wider. Da es sich um einen Mängelbe-richt handelt, zeigt er vor allem deutlich auf, welche De-fizite innerhalb der Truppe bestehen.Die Anzahl der Eingaben stieg im Jahr 2002 um rund32 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Dieser Anstieg istdarin begründet, dass sich die Bundeswehr im umfang-reichsten Reformprozess seit ihrem Bestehen befindetund gleichzeitig mehr Soldaten in Auslandseinsätzen ih-ren Dienst verrichten als jemals zuvor in der Geschichteder Bundesrepublik. Die Bundeswehr hat bewiesen, dasssie den erhöhten Anforderungen gewachsen ist. Den-noch ist es nicht zu vermeiden, dass es in bestimmtenBereichen Defizite gibt. Diese Defizite werden erkanntund wo immer möglich gelöst.Das Beispiel des Feldlazarettes Rajlovac in der Nähevon Sarajevo zeigt, dass der Verteidigungsausschuss unddas Verteidigungsministerium mit Kritik vonseiten desWehrbeauftragten und der Soldaten sehr verantwor-tungsvoll umgegangen sind und weiterhin umgehen. Deraktuelle Bericht des Wehrbeauftragten weist deutlich aufdie unzulängliche Infrastruktur im FeldlazarettRajlovac hin. Die Kritik war bekannt. Es gab aber fi-nanzpolitische Bedenken, ein neues Feldlazarett zubauen. Dank der geschlossenen Haltung des Verteidi-gungsministers und des gesamten Ausschusses konntendiese Bedenken zu guter Letzt ausgeräumt werden. In-zwischen ist der erste Spatenstich erfolgt. Im nächstenJahr wird das Feldlazarett mit einer modernen Infra-struktur unseren Soldaten, aber auch den Soldaten ande-rer Nationen, den Hilfsorganisationen und der Zivilbe-völkerung zur Verfügung stehen.Ein wesentlicher Anlass zur Beschwerde im Sanitäts-dienst war die individuelle Einsatzbelastung der Sanitä-ter. Auch hier wurde reagiert. Man hat das Splittingver-fahren für das sanitätsdienstliche Fachpersonalkonsequent beibehalten. Sicher kommt es noch immerzSddshtvnFgdddadnTaldgwDagreEgsdscswuseinsAirsbem
Die Einsätze im Ausland sind oft mit großen Gefah-en verbunden. Wir haben noch die schrecklichen Ge-chehnisse in Kabul vor Augen. Der Bericht des Wehr-eauftragten zeigt, dass vor Ort notwendige Maßnahmenrgriffen werden, um den Schutz der Soldaten zu opti-ieren. Die Auslandseinsätze machen aber auch deut-
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Petra Heßlich, dass unsere Soldatinnen und Soldaten Anspruch aufdie beste Ausrüstung haben. Nur dann sind sie den un-terschiedlichen Gefahrenpotenzialen gewachsen. DieserAnspruch hat bei Neubeschaffungen absolute Priorität.Ein gutes Beispiel hierfür ist die Entwicklung und Be-schaffung der neuen Einsatzfahrzeuge SpezialisierteKräfte. Hier wird deutlich, dass kontinuierlich an Ver-besserungen zum Schutz der Soldaten gearbeitet wird.Bereits im nächsten Jahr werden die ersten ESK-Fahr-zeuge in die Einsatzgebiete gelangen. Ich denke, das istein gutes Signal an die Truppe, aber auch an ihre Ange-hörigen.Im Sommer dieses Jahres habe ich alle 23 thüringi-schen Bundeswehrstandorte besucht. Nicht nur im Be-richt des Wehrbeauftragten, sondern in jedem dieserStandorte wurde von den Soldaten das Versorgungs-recht im Auslandseinsatz angesprochen. Die bisherigeUnterteilung in qualifizierten und nicht qualifiziertenDienstunfall wird als höchst unbefriedigend empfunden.Dem kann ich mich nur nachdrücklich anschließen. Dan-kenswerterweise gibt es einen einstimmigen Beschlussdes Verteidigungsausschusses und eine gute Vorlage desMinisteriums, die weit reichende Verbesserungen für dieSoldaten beinhaltet. Diese Vorlage befindet sich zurzeitzur Ressortabstimmung und ich erwarte – das sage ichan dieser Stelle mit allem Nachdruck –, dass die Ände-rungen noch in diesem Jahr verabschiedet und mit einerangemessenen Rückwirkung in Kraft treten werden.
Das sind wir den Soldaten, ihren Familien und ihren An-gehörigen, die die Einsätze mittragen, schuldig.Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließendmöchte ich feststellen, dass ich den steigenden Zahlen anEingaben durchaus auch Positives abgewinnen kann.Dies zeigt, dass Soldaten Vorkommnisse nicht auf sichberuhen lassen oder ihre Vorgesetzten diese unter denTeppich kehren, sondern dass sie diese unter Einbezie-hung des Wehrbeauftragten ansprechen und publik ma-chen. Damit unterstreichen sie, dass unsere Soldaten ver-antwortungsvolle Staatsbürger in Uniform sind.
Nur so können Fehlentwicklungen und Mängel in derBundeswehr rechtzeitig erkannt und Konsequenzen ge-zogen werden.Abschließend möchte ich dem WehrbeauftragtenDr. Penner und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternfür den kritischen, umfangreichen und fairen Berichtdanken. Mein Dank gilt aber auch den Soldatinnen undSoldaten für einen Dienst, den sie in einer sehr schwieri-gen Phase in hervorragender Weise tun.Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, danke ich fürIhre Aufmerksamkeit.
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6510 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Es muss klar sein, dass nicht nur Angebote der Bundes-wehr bestehen. Familienbetreuung heißt, aktiv auf dieAngehörigen zuzugehen und sich um sie zu kümmern.Dafür trägt die politische Leitung eine hohe Verantwor-tung.Viele Eingaben an den Wehrbeauftragten zeigen, dassdie Grenzen der materiellen wie auch der ideellen Be-lastbarkeit der Streitkräfte erreicht sind. Die Kunde vondieser starken Belastung im Dienst dringt nach außen.Sie wird von der Gesellschaft wahrgenommen. Diesehohe Belastung schreckt wohl viele junge Menschenvom Dienst in der Bundeswehr ab. Wenn aus Kosten-gründen zu wenig gepanzerte Fahrzeuge im Einsatzlandsind, dann werden die eingesetzten Soldaten unnötigenGefahren ausgesetzt.
Der Anschlag in Kabul hat die Eingaben zu diesem Pro-blem aus dem Jahr 2002 in schrecklicher Weise bestä-tigt. Das Verteidigungsministerium darf nicht zulassen,dass die Sicherheit der Soldaten gefährdet wird, weilAusbildung und Materialerhaltung zu kurz kommen.Einsätze müssen sich an den vorhandenen Ressourcenausrichten. Sie müssen sich aber auch an politischerMachbarkeit orientieren.
Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten, die auf demBalkan im Einsatz waren, haben erhebliche Zweifel amlangfristigen politischen Ziel bekommen. Ähnlicheszeichnet sich jetzt mit der Mission in Kunduz ab. Die po-litische Glaubwürdigkeit des Mandates steht und fälltmit der Lösung der inneren Probleme Afghanistans. Ichnenne beispielhaft die Drogenproblematik. Wie langesollen unsere Soldaten dem Anbau von Drogen noch zu-sehen? Was passiert, wenn nicht mittelfristig afghani-sche Polizei den Drogenanbau bekämpft?Die Rechtssicherheit der Soldatinnen und Soldatenist nur ein weiteres Feld, das die Soldaten mit Sorge zuEingaben an den Wehrbeauftragten veranlasst. Die Bun-desregierung muss ihre Hausaufgaben zur Rechtssicher-heit der Soldaten machen. Es darf nicht sein, dass Solda-ten ohne klare Rechtsgrundlage in den Einsatz gehen.Ebenso ist die Anpassung des Soldatenversorgungsge-setzes kein Privileg, sondern eine zwingende Notwen-digkeit. Wenn der Tod und die Verwundung im Einsatz-land fast immer zum Rechtsstreit führen, dann verliertdie Truppe ganz das Vertrauen in die politische Führung.Ich unterstreiche das noch einmal: Am Umgang mit un-seren im Einsatz gefallenen und verwundeten Soldaten,aGteddrbddlAdntIkMrdsrukedSStrVHasSriRinVsindestnud
ehr noch, es muss im Zuge einer Europäisierung unse-er Streitkräfte auch eine Europäisierung der Grundsätzeer inneren Führung stattfinden. Bei der deutsch-franzö-ischen Brigade konnte ich feststellen, dass innere Füh-ung nach mehr als zehn Jahren in der Brigade keinenbekannte Größe mehr ist. Innere Führung, das Be-enntnis zum Staatsbürger in Uniform ist nicht Zeicheniner schwachen Führung, ist keine Sache nur für Innen-ienst und Manöver. Der Soldat im Einsatz muss alstaatsbürger seinem Land dienen, er darf nicht zumöldner werden.Zu einem ernsten Kapitel im Bericht des Wehrbeauf-agten ist etwas positiv zu bemerken: Die Anzahl derorfälle mit einem Verdacht auf rechtsextremistischenintergrund ist deutlich zurückgegangen. Ich zitiere: „Inllen berichteten Vorfällen haben die Vorgesetztenchnell, umfassend und richtig reagiert.“ So weit dietellungnahme des Verteidigungsministeriums zum Be-icht des Wehrbeauftragten. Es gibt wohl keinen Bereichn der Gesellschaft, in dem Rechtsradikalismus undechtsextremismus so konsequent verfolgt werden wie der Bundeswehr.
erglichen mit dem Anteil junger Männer in der Ge-amtbevölkerung ist die Anzahl extremistischer Vorfälle der Bundeswehr kein Grund zur Sorge, wenn auch je-er einzelne Vorfall einer zu viel ist. Der in der Presserhobene Vorwurf, dass rechtsradikales und antisemiti-ches Denken bis in die Spitzen der Streitkräfte verbrei-et sei, kann nicht stehen gelassen werden und sollteicht erhoben werden. Wer diesen Vorwurf unberechtigtnd pauschal erhebt, beschädigt das Ansehen der Bun-eswehr. Dann kennt er die Bundeswehr nicht.
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Anita Schäfer
Wenn jedoch einem Soldaten eine solche Verfehlungvorgeworfen wird, dann müssen Vorgesetzte selbstver-ständlich schnell und konsequent reagieren, aber auchkorrekt und rechtlich einwandfrei.Ich komme zum Schluss. Der 44. Bericht des Wehr-beauftragten hat deutlich gezeigt, dass die Kluft zwi-schen politischem Anspruch, den vielen Aufträgen undder Lage in der Truppe immer größer wird. Das gilt vorallem für die nicht ausreichende Ausstattung mit Haus-haltsmitteln, sowohl für die gefährlichen Einsätze imAusland als auch für den Dienst in der Heimat. Es bleibtzu hoffen, dass die bevorstehenden Reformen endlicheine klare und langfristige Perspektive für die Soldatin-nen und Soldaten der Bundeswehr schaffen.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Marianne Tritz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Penner! LiebeKolleginnen und Kollegen! Brigadegeneral ReinhardGünzel hat der Bundeswehr mit seinem unsäglichen Un-terstützungsbrief für den CDU-Abgeordneten HohmannSchaden zugefügt. Die sofortige Entlassung Günzelsdurch den Bundesverteidigungsminister war die einzigmögliche, folgerichtige Konsequenz –
eine Konsequenz, die wir bei Ihnen, meine Damen undHerren von der CDU, im Umgang mit Ihrem KollegenMartin Hohmann leider eine unerträglich lange Zeitschmerzlich vermissen mussten.
Der vorliegende Jahresbericht 2002 verdeutlicht dieganz besondere Bedeutung, die der Berichterstattung desWehrbeauftragten als Stimmungsbarometer und Pro-blemindikator für die Bundeswehr zukommt. In dem Be-richt für das Jahr 2002 heißt es, dass 111 besondere Vor-kommnisse mit Verdacht auf rechtsextremistischen oderfremdenfeindlichen Hintergrund gemeldet wurden. Da-mit ist das niedrigste Meldeaufkommen seit 1997 er-reicht.Das ist ein Erfolg der vielfältigen präventiven, aberauch repressiven Maßnahmen innerhalb der Bundes-wehr. Der Fall Günzel ist in diesem Zusammenhangauch ein erneutes klares Signal an alle innerhalb und au-ßerhalb der Bundeswehr: Rechtsextremismus hat in un-serer Gesellschaft keinen Platz. Wer dieses Signal nichtbeachtet, verliert seinen Platz in den Streitkräften.
Die Unverträglichkeit von Rechtsextremismus undBundeswehr begründet sich auch aus einem anderen Zu-sststgitfwmBeGHradMmdciB3EdrgPFÜndswrzmZbrstuWdussWd
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Marianne TritzIch komme zum Schluss: Der 44. Bericht des Wehr-beauftragten hat deutlich gezeigt, dass die Bundeswehrbei allen sich erheblich verändernden Bedingungen undernsthaften Problemen ihre Aufgabe meistert. Die Solda-tinnen und Soldaten wirken durch ihre vermehrten Ein-gaben als mündige Staatsbürger und Staatsbürgerinnenin Uniform über die Institution des Wehrbeauftragten ak-tiv an der Gestaltung der Bundeswehr mit. Für Ihrewichtige und hervorragende Arbeit möchte ich Ihnen,Herr Penner, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern im Namen meiner Fraktion herzlich danken.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Helga Daub für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Dr. Penner! Kolleginnen und Kolle-gen! Zum zweiten Mal debattieren wir heute über denBericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2002. Gernewiederhole ich den Dank an Dr. Penner und seine Mitar-beiter für die Erstellung dieses Berichts und vor allemfür den Hinweis, dass die Bundeswehr kein Hort desRechtsradikalismus ist und dass dafür in der Bundes-wehr kein Platz ist.
Zu Recht werden in jeder Rede auch der Leistungs-wille und die Leistungsfähigkeit unserer Soldaten ange-sprochen. Umso wichtiger ist es, sich endlich den Pro-blemen zu stellen, die im Bericht des Wehrbeauftragtenangesprochen werden. Wir entscheiden morgen in die-sem Haus über die Verlängerung des Mandats für dieOperation Enduring Freedom. Damit sind wir bei einemSchwerpunktthema der Eingaben an den Wehrbeauftrag-ten. Bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr wirdder Handlungsbedarf besonders deutlich. Die Einsatz-dauer ist mit sechs Monaten zu lang. Der dreiwöchigeUrlaub ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und löstletztlich nicht das Problem.
Die Abstände zwischen den Einsätzen sind viel zu kurz.Der zugesagte Mindestabstand von zwei Jahren kannnicht eingehalten werden, auf gar keinen Fall bei denSpezialisten.Die Soldaten klagen des Weiteren über die mangelndePlanungssicherheit, die ein hohes Konfliktpotenzial auchfür das familiäre Umfeld mit sich bringt. Natürlich weißder Zeit- und der Berufssoldat, dass er mobil und flexi-bel sein muss. Dass das jedoch nicht überstrapaziert wer-den sollte, zeigt zum Beispiel Folgendes: Wegen derDauer und der zunehmenden Häufigkeit der Auslands-einsätze wird nach Ablauf der Verpflichtungszeit von ei-ner Weiterverpflichtung Abstand genommen, die Dienst-zeit verkürzt oder auf eine Übernahme als BerufssoldatvAümdoWdeb9idWZmhgupmc–WürwFVtVtzuenEbifg
der ob man eine Wehrpflichtarmee will.Damit komme ich zu den Petenten, die zu Recht dieehrungerechtigkeit beklagen. Wenn behauptet wird,ass 96 Prozent der jungen Männer eines Jahrgangsrfasst würden – diese Zahl steht im Bericht des Wehr-eauftragten; in der Fernsehversion war sogar von8 Prozent die Rede –, dass also die Wehrgerechtigkeitm Vergleich zur Vergangenheit zugenommen habe,ann muss man die Fakten klarstellen.Lassen Sie mich das an folgendem Beispiel erläutern:enn sich eine Polizeibehörde entschließt, säumigeahler von Bußgeldern bis zu 15 Euro nicht mehr zuahnen, so wird sie anschließend mit Fug und Recht be-aupten können, dass die Zahlungsmoral enorm gestie-en sei – und das mit einem bürokratischen Federstrichnd ohne einen Euro mehr in der Kasse!
Wenn man die Tauglichkeitskriterien für die Wehr-flichtigen immer weiter heraufsetzt, dann bekommtan zwar nicht mehr Wehrpflichtige, aber die beeindru-kende Zahl von 96 Prozent.
Ich habe noch ein anderes Beispiel, Herr Dr. Struck.enn ich das aber nennen würde, wäre meine Redezeitberschritten.
Als im April dieses Jahres das erste Mal über den Be-icht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2002 debattierturde, habe ich – wie meine Kollegen aus der FDP-raktion schon oft zuvor – über den Missstand bei derersorgung gesprochen. Zum Beispiel haben alle Frak-ionen im Januar dieses Jahres in einer Sitzung deserteidigungsausschusses angemahnt, die zynische Un-erscheidung zwischen qualifizierten und nicht qualifi-ierten Unfällen abzuschaffen. Das Jahr ist nun fast umnd dankenswerterweise gibt es inzwischen zumindestine großzügige Handhabung zugunsten der Betroffe-en. Aber eine gesetzliche Regelung, die letztlich dasinzige ist, was den Soldaten eine wirkliche Sicherheitietet, steht noch aus. Es kann doch nicht sein, dass zwarmmer mehr Einsatz im wahrsten Sinne des Wortes ge-ordert wird, aber in einer so wichtigen Frage keine Eini-ung in der Regierung erzielt werden kann. Ich fordere
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Helga DaubSie auf, dieses Thema weiter hartnäckig zu verfolgenund zu einem guten Abschluss zu bringen.
Natürlich kann ich aufgrund der kurzen Redezeitnicht auf alles eingehen, was an den Wehrbeauftragtenherangetragen wurde.
Es gibt ja auch qualitative Unterschiede zwischen denEingaben. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Soldatdurchaus ohne ein Piercing leben kann. Aber zurückzum nötigen Ernst: Lassen Sie uns zumindest die drin-gendsten Probleme lösen, die sich aus den neuen Anfor-derungen an die Bundeswehr ergeben. Wenn es um dasWohl der Soldaten und Soldatinnen geht, haben Sie unsauf Ihrer Seite.
Für die Bundesregierung erteile ich nun dem Parla-
mentarischen Staatssekretär Walter Kolbow das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSprecherinnen der Fraktionen haben Ihnen, sehr geehrterHerr Dr. Penner, dem Wehrbeauftragten, sowie IhrenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Recht gedankt. Ichdarf mich diesem Dank, auch im Namen des anwesen-den Bundesministers der Verteidigung, anschließen. Wirdanken Ihnen auch für die Art und Weise, wie Sie in die-sem Bericht die Leistungen unserer Soldatinnen und Sol-daten im In- und Ausland herausstellen und würdigen.Unverzichtbar ist auch, Ihnen dafür zu danken, wie Siedie Mängel, die es in dieser großen Institution immerwieder gibt, ansprechen und wie Sie uns nachdrücklichzum Beseitigen derselben anhalten.Mein besonderer Dank gilt denjenigen, die im vergan-genen Jahr durch ihr Wirken und durch ihre Leistungenzum positiven Erscheinungsbild der Bundeswehr nachinnen wie nach außen beigetragen haben. Besondersbitte ich Sie, mit mir derer zu gedenken, die im Auftragdes Bundestages und damit im Dienst für unser Land ihrLeben verloren haben. Ihnen, ihren Angehörigen und alldenen, die im Einsatz zu Schaden gekommen sind, giltunser aufrichtiges Mitgefühl und unsere besondere An-teilnahme. Was Sie, Frau Kollegin Schäfer, in diesemZusammenhang ausgeführt haben, möchte ich ausdrück-lich unterstreichen.Das Bundesministerium der Verteidigung ist wie inden Vorjahren bemüht, die wertvollen Anregungen undHinweise des Wehrbeauftragten aufzugreifen und imRahmen der Möglichkeiten unverzüglich umzusetzen.Wir arbeiten mit aller Kraft an der Beseitigung der auf-gezeigten Mängel. Dies gilt besonders für die im Berichtgenannten Bereiche Attraktivitätsprogramm, Vereinbar-keit von Familie und Beruf, Dauer der Auslandseinsätzeund Ausbau der Familienbetreuung. Dies gilt ebenso fürddlgrabzkdsggsUglTwvBsBZMUsahrtSnksrAWwssdMugt
Wie auch dieser Bericht des Wehrbeauftragten deut-ich herausstellt, ist es eindeutig der Fall, dass derransformationsprozess der Bundeswehr die zivilenie die militärischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiteror große Herausforderungen stellt. Zugleich weist derericht des Wehrbeauftragten aber auch unmissver-tändlich darauf hin, dass es zu diesem Prozess in derundeswehr keine ernsthafte Alternative gibt. In diesemusammenhang muss ehrlich gesagt werden, dass denitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Uniform und ohneniform auch weiterhin Flexibilität abverlangt wird.Im Hinblick auf das unumgängliche Gebot der Wirt-chaftlichkeit und der militärischen Effizienz werdenuch zusätzliche Standorte zur Disposition stehen. Wiraben keine andere Wahl und wir werden noch eine ge-aume Zeit Anpassungsprozessen, zu denen es keine Al-ernative gibt, ins Auge zu sehen haben. Frau Kolleginchäfer, wir stolpern dabei in der Tat nicht in etwas hi-ein, sondern wir bereiten konzeptionell vor, setzenommunikativ um und zählen dabei auch auf die Profes-ionalität unserer Soldatinnen und Soldaten sowie unse-er zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
uf deren Professionalität können wir uns verlassen.ir wissen auch, dass die Soldatinnen und Soldaten so-ie die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den An-pruch haben, sich auf uns, auf den Minister sowie seineämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bun-eswehr, verlassen zu können.
Bei der Bundeswehrreform stand von Beginn an derensch im Mittelpunkt. Wir haben sozialverträglichmgestaltet. Wir haben versucht, Mängel, die dabei auf-etreten sind – das kommt immer wieder vor –, rechtzei-ig und nachhaltig zu beseitigen.
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Parl. Staatssekretär Walter KolbowDas spiegelt sich auch in der jüngsten Weiterentwick-lung des Attraktivitätsprogramms wider. Das Attrakti-vitätsprogramm konnte im letzten Jahr erfolgreich um-gesetzt und auch weiterentwikkelt werden:Trotz des plafondierten Haushalts in den Jahren 2002bis 2004 werden wir mehr als 46 500 Planstellenverbes-serungen erreichen, aus denen mehr als 64 000 Beförde-rungen und Besoldungsverbesserungen folgen. Der Be-förderungsstau konnte damit abgebaut werden. Zu denumgesetzten Maßnahmen gehören unter anderem dieAnhebung der Eingangsbesoldung für Mannschaften so-wie die Besoldung der Kompaniechefs und Offiziere invergleichbarer Dienststellung nach der Besoldungs-gruppe A 12. Die seit April 2002 neu gestaltete Lauf-bahn der Unteroffiziere führte zu einer Reduzierung derMindestzeiten für eine Beförderung sowie zu einer Bün-delung von Dienstposten. Über diejenigen, die nun nichtbefördert werden konnten, die also weiter anstehen müs-sen, haben wir am Mittwoch im Verteidigungsausschussgesprochen. Frau Kollegin Heß hat schon erwähnt, dasswir weitere Planstellen zur Verfügung stellen und so inschwieriger Zeit zu Erleichterungen kommen werden.Auch bei der Schaffung eines Soldatengleichstel-lungsgesetzes sowie bei der Ausgestaltung von Teilzeit-dienst sind wir vorangekommen und schaffen damit zu-sätzliche Attraktivität.Der Wehrbeauftragte hat in seiner heutigen Rede dieKürzung des Weihnachtsgeldes erwähnt. Das war ausseiner Sicht selbstverständlich. Aus der Sicht von uns,die wir damit umzugehen haben, ist die Kürzung unum-gänglich. Ich darf aber darauf hinweisen, dass die ge-plante Kürzung für die unteren Besoldungsgruppen inenger Abstimmung mit dem Deutschen Bundeswehr-Verband und mit den Fraktionen im Verteidigungsaus-schuss sozial abgefedert wird. Das bedeutet für Empfän-ger mit Grundgehalt nach den Besoldungsgruppen A 2bis A 8 eine Erhöhung der gekürzten Sonderzahlung umeinen Festbetrag von 100 Euro. Von dieser Regelungprofitieren in der Bundeswehr mehr als 150 000 zivileund militärische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Herr Staatssekretär, denken Sie bitte an die Zeit.
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Lassen Sie mich zum Schluss in Kürze zusammenfas-
send noch etwas zu den aktuellen Dingen sagen. Wie der
Wehrbeauftragte formuliert hat – wer könnte es besser
sagen als er? –, ist die Bundeswehr – das kann ich auch
aus meiner Erfahrung nachdrücklich unterstreichen –
eine Armee in der Demokratie und für die Demokratie.
Sie ist eine Armee der Toleranz. Sie schützt die Rechte
Andersdenkender. Mit diesem Beispiel ist sie in unserem
Geist im Ausland und im Innern tätig. Dafür danken wir.
So wollen wir weiterarbeiten.
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s ist sittenwidrig, wenn ein General der Bundeswehrei antisemitischen Ausfällen von Amts wegen salutiert.Damit bin ich bei einem zentralen Punkt. Bundesver-eidigungsminister Struck hat den KSK-Chef Günzeluspendiert, nachdem dessen rechtsextremistisches Ge-ankengut Schlagzeilen gemacht hatte.
err Verteidigungsminister, Sie haben prompt gehan-elt, allemal schneller als die CDU/CSU im Fallohmann. Das respektiere ich.Mich irritiert in diesem Zusammenhang etwas ande-es. Sie haben Ex-General Günzel beschrieben als einenntypischen Einzelgänger, der den Irrsinn eines Irrenirr kommentiert habe. Mit dieser Begründung habenie sich zwischen Günzel und das eigentliche Problemestellt. Ich habe Sie für weitsichtiger gehalten.Wenn Ihre These zutrifft, wonach die Bundeswehr einpiegelbild der Gesellschaft ist, dann haben wir es auchit der Tatsache zu tun, dass in eben dieser Gesellschaft0 Prozent der Menschen für rechtsextremistisches undntisemitisches Gedankengut anfällig sind. Das ist deresellschaftliche Befund. Deshalb meine ich: Wennünzel hier zum Einzeltäter erklärt wird, dann verdrän-en wir. Genau das sollte weder Rot-Grün noch der Bun-estag insgesamt tun.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Noch immer tra-en Kasernen die Namen von Wehrmachtsgenerälen.er Wehrbeauftragte hat von der Anziehungskraft ge-prochen, die teilweise Waffen, Rituale und andereinge auf junge, rechtsextremem Gedankengut nahe ste-ende Soldaten ausüben. Noch immer pflegen Einheitener Bundeswehr enge Kontakte zu Traditionsvereinener Wehrmacht. Genau dieses Erbe holt Rot-Grün nunuch mit der CDU-Affäre Hohmann ein.
Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie woll-en dieses Erbe nie annehmen, aber Sie haben es auchach 1998, also seitdem Sie Verantwortung tragen, nicht
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Petra Pauausgeschlagen; so haben Sie zum Beispiel keine Namenvon Kasernen geändert.
Deshalb finde ich: Das schlichte Gebot im Bericht desBundeswehrbeauftragten – Rechtsextremismus darf nir-gendwo eine Heimstatt finden – muss allgemeiner Auf-trag bleiben.
Da sollten wir auch bei diesen symbolischen Dingen be-ginnen.Schließlich will ich aus dem Bericht des Wehrbeauf-tragten kurz ein drittes Problem aufgreifen, welches hierheute schon eine Rolle spielte, nämlich die Tatsache,dass Ostdeutsche im Jahr 13 der Einheit noch immerbenachteiligt werden, auch in der Bundeswehr, selbst imKriegseinsatz. Das beginnt beim abgesenkten Sold undendet längst nicht bei niedrigeren Renten. Sie wissen,dass die PDS kein Freund von Militäreinsätzen ist und indem Fall auch nicht die Existenz der Bundeswehr vertei-digt. Hierbei geht es aber um soziales Unrecht; dagegensind wir. Bei der Beseitigung dieses Unrechts findet derWehrbeauftragte auch bei uns Verbündete.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Gerd Müller, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch un-ser Dank gilt zunächst dem Wehrbeauftragten. HerrDr. Penner, Sie leisten eine verdienstvolle Arbeit imSinne unserer Soldatinnen und Soldaten. Bei der Diskus-sion Ihres Berichtes stellt sich ja auch die Frage nachdem Stellenwert der Bundeswehr in unserer Gesell-schaft. Wir schauen da nicht nur in Richtung derGeneräle – ich sehe gar keinen –,
sondern insbesondere in Richtung der Mannschafts-dienstgrade und der Unteroffiziere, also derjenigen, dievor Ort ganz massiv gefordert und gefragt sind.Meine Damen und Herren, wenn ich sage, dass esauch um den Stellenwert der Bundeswehr in unserer Ge-sellschaft geht, dann lassen Sie mich auch festhalten: Si-cherheit ist die wichtigste Leistung, die die Bürgerinnenund Bürger von ihrem Staat verlangen. Wir alle wissen,dass sich die Bedrohungslage seit dem 11. September2001 dramatisch verändert hat. Deshalb müsste natürlichauch dieser Bericht Anlass dazu sein, eine Debatte in un-serer Gesellschaft über den Stellenwert unserer Soldatin-nen und Soldaten, über den Stellenwert der BundeswehruerWwLndSniMkmbBdgsrwBtPlAdzRehheBdgdblMlKAsuufgu
Sie müssten auch einmal dringend eine Antwort da-auf geben, welche Rolle unser Land in einer neueneltarchitektur überhaupt noch spielt. Hier vermissenir jede nachvollziehbare Definition der Rolle unseresandes in einem sich wandelnden Bündnis und in einerach Finalität suchenden EU. Die Zukunft liegt nicht iner neuen Achse zwischen Paris, Berlin und Moskau, dieie begründen wollen. Die Zukunft liegt auch nicht ineuen Kommandostrukturen, die außerhalb der NATOnstalliert oder gar gegen die NATO gerichtet werden.eine sehr verehrten Damen und Herren, nein, die Zu-unft kann nur in einer neuen Dimension der Zusam-enarbeit innerhalb der NATO liegen, in der wir selbst-ewusster Freund und Partner der USA sind.
Der Auftrag und die Zielsetzung des Dienstes in derundeswehr müssen klar sein. Ich rufe Sie angesichtsieser Ausgangslage dazu auf: Lassen Sie uns dafür sor-en, dass die Soldatinnen und Soldaten auch den ent-prechenden Stellenwert und die Anerkennung in unse-er Gesellschaft bekommen. Wir alle müssen definieren,ie viel uns unsere Sicherheit wert ist. Ich meine, dieundesregierung tut zu wenig für den Erhalt einer funk-ions- und einsatzfähigen Bundeswehr. Die derzeitigeolitik gegenüber der Bundeswehr wird der Sicherheits-age nicht gerecht.
uf der einen Seite gibt es eine Rückführung des Vertei-igungshaushalts, eine personelle und materielle Aus-ehrung der Truppe, und auf der anderen Seite befiehltot-Grün eine noch nie dagewesene Zahl von Auslands-insätzen. Das passt nicht zusammen.
Kollegin Schäfer hat sehr deutlich daraufingewiesen – auch Dr. Penner hat dies angedeutet; ichätte in diesem Jahresbericht ein bisschen mehr Mutrwartet –, was diese neuen Belastungsproben für dieundeswehr und die Familien der Soldaten bedeuten;ie Truppe und ihre Familien seien an die Belastungs-renze gestoßen. Ich meine, dass wir inzwischen weitarüber hinausgegangen sind.Es gibt einen Eingabenzuwachs von 31 Prozent, ins-esondere bei Soldaten im Auslandseinsatz. Der Aus-andseinsatz wird zwischenzeitlich zum Normalfall. Derindestabstand von zwei Jahren zwischen zwei Aus-andseinsätzen wird häufig nicht mehr eingehalten.önnen Sie sich das überhaupt vorstellen? Steh- undbwesenheitszeiten von 180 Tagen haben sich zwi-chenzeitlich auf 250 Tage verlängert. Die Soldatinnennd Soldaten riskieren für 92 Euro pro Tag ihr Leben fürnsere Sicherheit. Auslandsverwendungszuschläge dür-en deshalb nicht weiter abgesenkt werden. Das Versor-ungsrecht und die Versorgungsleistungen für Soldatennd deren Familien in Auslandseinsätzen müssen – Frau
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Dr. Gerd MüllerSchäfer hat dies dargestellt – dringend verbessert wer-den.Es stimmt nachdenklich und es ist beschämend, dass,wenn es zu Unfällen kommt, quälende Diskussionenüber die Versorgungsleistung für die Familien, die Ange-hörigen, stattfinden müssen. Das ist ein Indiz dafür, dasswir nicht eindeutig hinter unseren Soldatinnen und Sol-daten im Auslandseinsatz stehen. Wenn wir sie in ge-fährliche Auslandseinsätze befehlen, was Sie immermehr wollen, müssen auch die notwendigen Vorausset-zungen dafür geschaffen werden.Wir sehen deshalb mit großer Sorge – HerrDr. Penner, Sie haben das aufgelistet –, dass nach Ablaufder Verpflichtungszeiten kaum noch Weiterverpflichtun-gen erfolgen. Das Bewerberaufkommen für die Offi-zierslaufbahn ist erneut rückläufig. Es geht so weit, dasswegen Facharztmangels – ich nehme einmal den Sani-tätsdienst als Beispiel – Operationssäle geschlossen wer-den. Noch ganze 127 Verpflichtungen von Sanitätsärztengab es im vergangenen Jahr. Die innere Lage der Bun-deswehr ist besorgniserregend.Dennoch werden weitere Belastungen beschlossen,als wäre dies alles nicht vorhanden. Der Bundesverteidi-gungsminister hat Standortschließungen in großem Um-fang angekündigt. Das ist mit einer massiven Verunsi-cherung der Truppe verbunden. Es werden weitereReduzierungen des Personals durchgesetzt. Der neueEinsatz in Kunduz, die Verlängerung von Enduring Free-dom sowie die Bereitstellung und der Aufbau derNATO-Response-Force sind neue Belastungen. Sie sa-gen nicht, wie die Soldatinnen und Soldaten dies bewäl-tigen sollen.
Wenn Sie ein besonders hartes und exorbitantes Bei-spiel dafür genannt bekommen haben wollen, wie Siemit der Bundeswehr umgehen, dann muss ich auf dasThema der Strahlenopfer zu sprechen kommen. Es hatmich sehr nachdenklich gestimmt, dass nach 30 JahrenKampf der Betroffenen – die meisten sind zwischenzeit-lich gestorben; eines der Strahlenopfer war bei mir imBüro – nun das Bundesverteidigungsministerium ent-schieden hat, dass von 1 000 Geschädigten tatsächlich150 mit einem Rentenversorgungsanspruch in Höhe vonetwa 150 Euro anerkannt werden.Frau Kollegin von den Grünen, ein Wort zur Wehr-pflicht: Sie waren und sind für die Abschaffung derWehrpflicht. Vor zehn Jahren waren Sie für die Abschaf-fung der Bundeswehr, für den Austritt aus der NATOund Sie sind es natürlich nach wie vor. Sie treiben diesinnerhalb der Koalition voran. Durch die Hintertür, aufsanfte Weise, erfolgt der Ausstieg aus der Wehrpflicht,
wenn Sie ankündigen, dass zukünftig nur noch50 000 Wehrpflichtige eingezogen werden sollen. Wiewollen Sie angesichts einer solchen Zahl noch Wehrge-rGKndmdedzfkmdtbn–fzrsdIpadvdBeidsIeHs
ch glaube, damit ist der Sachverhalt geklärt.Ich möchte weiter Stellung zu dem Thema Wehr-flicht beziehen. Sie praktizieren den sanften Ausstiegus der Wehrpflicht. Sie verletzten damit ganz eklatantas Gebot der Wehrgerechtigkeit. Wenn ich die Situationon heute fünf oder zehn Jahre in die Zukunft projiziere,ann muss ich sagen, dass Sie den Weg in Richtungerufsarmee konsequent beschreiten. Diesen von Ihneningeschlagenen Weg wollen wir nicht gehen, weil wirhn für falsch halten. Er würde den Charakter der Bun-eswehr und ihrer breiten Verankerung in der Gesell-chaft nachhaltig und grundlegend verändern. Den vonhnen beschrittenen Weg halten wir für falsch.
Im vergangenen Jahr stellten 189 000 Wehrpflichtigeinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Dies ist einöchststand. Dafür gibt es Gründe; einige habe ichchon genannt.
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Dr. Gerd MüllerMit dem Ausstieg aus der Wehrpflicht und damit ausdem Ersatzdienst gehen Sie einen falschen, einen ver-hängnisvollen Weg. Die Bundeswehr hat große Aufga-ben zu bewältigen. Der Druck auf die Soldatinnen undSoldaten – sowohl physisch als auch psychisch – wirdimmer größer. Die Politik muss darauf reagieren, nichtnur durch eine bessere Ausstattung und ausreichendeFinanzen. Sie muss mit mehr Anerkennung und Achtungfür unsere Soldatinnen und Soldaten reagieren.Vielen Dank.
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat die
Kollegin Hedi Wegener, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Penner, ich will Ihnenund Ihren Mitarbeitern ausdrücklich für diesen ausführli-chen Bericht und für die klaren Worte, die Sie hier ge-funden haben, danken.Es werden konkrete Mängel in der Bundeswehr undkonkrete Beschwerden der Soldaten aufgeführt. Daszeigt, dass es in Ihrem Hause viele Gespräche gegebenhat. Viele Eingaben wurden mit Akribie und Beharrlich-keit bearbeitet und recherchiert. Ich kann das gut sagen,weil es auch in meinem Wahlkreis immer wieder Anfra-gen gibt und ich die Betroffenen sehr ermutige, sich anden Wehrbeauftragten zu wenden.Es ist – dies haben schon meine Vorredner gesagt –ein Mängelbericht und kein Gästebuch, in dem positiveErlebnisse eingetragen werden. Ich teile die Ansicht derOpposition, die sie im Ausschuss und auch hier geäußerthat, überhaupt nicht, dass die Zahl der Mängel zugenom-men hat. Für mich ist die gestiegene Anzahl der Einsprü-che ein Zeichen dafür, dass es sich herumgesprochenhat, wie intensiv sich der Wehrbeauftragte um die Anlie-gen der Soldaten kümmert, und dass es sich lohnt, sichan diese Institution zu wenden. Diese Anfragen sind einVertrauensbeweis.
Den größten Zuwachs gab es bei den Eingaben imZusammenhang mit Auslandseinsätzen, eine Steige-rung von gut 100 Prozent. Die Zahl der Eingaben ist von564 im Jahre 2001 auf 1 149 im Jahre 2002 gestiegen.Das ist mehr als verständlich, weil doch immerhin fast14 000 Soldaten im Einsatz waren.Unsere Soldatinnen und Soldaten haben in diesenJahren Herausragendes geleistet und tun es auch heutenoch. Ihnen und ihren Familien an dieser Stelle herzli-chen Dank! Unsere Trauer gilt denen, die nicht nachHause gekommen sind. Ihnen und ihren Hinterbliebenenan dieser Stelle noch einmal unser Mitgefühl!Im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen geheich auf einige Aspekte ein, weil sich zahlreiche Einga-ben eben auf diese Einsätze bezogen. Eine Einsatz-dc–lesliSJDinKmntehfihdkduSszfecT1sznFHDSwzdHSdDr
Darauf komme ich noch, Herr Nolting. – Die Soldatenben zum Teil in sehr beengten Verhältnissen. Nachechs Monaten auf einer Fregatte – wir haben uns kürz-ch davon überzeugen können – kennt man fast jedechraube. Die Soldaten sagen uns, nach einem halbenahr in Kabul bei Staub und Hitze seien sie auf Du undu mit dem Fitnessgerät. Auch davon konnten wir uns Kabul überzeugen. Noch am Tag des Abflugs nachabul hatten wir hier im Reichstag ein langes Gesprächit vielen Frauen, Freundinnen und Eltern, die uns haut-ah von ihren Problemen als Daheimgebliebene berich-t haben.Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehrat eine Untersuchung zu Auslandseinsätzen durchge-ührt. Dabei wurde deutlich, dass für die Soldaten undre Familien das Hauptproblem bei der Trennung nichtie Einsatzdauer ist. Viele plädieren zwar für eine Ver-ürzung der Einsätze, aber ein Großteil der Soldaten under Familien leidet schon unter der Trennung als solcher,ngeachtet der Dauer. Dazu sage ich Ihnen: Dass dieoldaten unter der Trennung leiden, meine Herren,pricht eigentlich eher für sie. Denn wer Familie und Be-iehung nicht schätzt, bringt auch weniger Verständnisür die Leiden der Bevölkerung der Länder auf, in denenr Dienst tut. Daher würde ich mir viel mehr Sorgen ma-hen, wenn unsere Soldaten in der Bundeswehr unter derrennung von ihren Familienangehörigen nicht litten.In der schon erwähnten Studie wurde ermittelt, dass5 Prozent der Beziehungen, überwiegend ohne Trau-chein, nach dem Einsatz auseinander gehen und 3 Pro-ent der Ehen einen dauerhaften Knacks haben. Der Mi-ister der Verteidigung hat bereits Maßnahmen zurlexibilisierung der individuellen Stehzeiten angeordnet,err Müller.
as Verfahren ist schon seit Juni in der Erprobung. Dieoldaten können angeben, ob sie einen Einsatz splittenollen, und dann wird geprüft, ob ein Splittingpartnerur Verfügung steht. Auch wenn das Verfahren erst iner Erprobungsphase ist, ermutige ich Sie ausdrücklich,err Minister, da weiterzumachen. Herr Müller, wennie immer von A bis Z im Ausschuss wären, wüssten Sieas auch.
arüber haben wir einige Male diskutiert, das Ministe-ium und der Minister haben berichtet. Es ist klar.
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Hedi WegenerFrau Schäfer, Sie haben gesagt, das Ministeriumwürde verantwortungslos mit dieser Frage umgehen. Ichkann Ihnen versichern: Es geht schon verantwortungsbe-wusst damit um.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Von Herrn Nolting, ja.
Frau Kollegin, wenn es so ist, wie Sie es beschreiben,
und es ist ja so
– Moment, hören Sie erst einmal zu, Frau Merten –, wa-
rum brauchen wir dann eine Erprobungsphase? Wir ha-
ben Unterlagen des SOWI. Wir haben eine Anhörung im
Verteidigungsausschuss durchgeführt. Wir alle, die wir
Truppenbesuche machen, erfahren von den Soldatinnen
und Soldaten, dass die Einsatzzeiten zu lang und die Ein-
satzintervalle zu kurz sind, warum brauchen wir dann
noch eine Erprobungsphase?
Herr Nolting, erst einmal vorweg: Das Sozialwissen-
schaftliche Institut der Bundeswehr, das Sie angespro-
chen haben, hat sich in seiner Untersuchung ausdrück-
lich auf KFOR-Soldaten bezogen.
Es wird Regelungen geben, die eine Flexibilisierung
manifestieren bzw. möglich machen. Die Erprobung ist
Bestandteil dessen, was im Moment praktiziert wird.
Ob das nun Erprobung, Einführung oder wie auch immer
heißt: Es wird praktiziert.
Die Betreuung der und die Fürsorge für die Soldatin-
nen und Soldaten im Einsatz sind die eine Seite; die Fa-
milien zu Hause sind die andere. Neben den Sorgen der
Familien um ihre Angehörigen besteht das Problem der
praktischen Alltagsbewältigung. Aus diesem Grunde
begrüße ich es, dass im letzten Jahr zehn Betreuungszen-
tren hinzugekommen sind. Allerdings besteht das Pro-
blem, dass in diesen Betreuungszentren nur vier haupt-
amtliche Frauen arbeiten. Wenn ich mir die Redebeiträge
heute vor Augen führe, ist es offensichtlich so, dass sich
die Frauen im Verteidigungsausschuss dieser Themen
besonders annehmen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn
es in den Betreuungszentren mehr Frauen gäbe. Denn sie
haben einen anderen Zugang zu den Problemen, die die
Familien vor Ort haben.
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wurde schon eingegangen
Frau Pau, ich muss Ihnen sagen: Sie sind auf dem völ-
ig falschen Dampfer.
ie haben gesagt, Rechtsradikale hätten nirgendwo eine
eimstatt. Sie haben Recht: Sie haben auch in der Bun-
eswehr keine Heimstatt.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen jetzt zu der Beschlussempfehlung deserteidigungsausschusses zu dem Jahresbericht 2002 desehrbeauftragten, Drucksachen 15/500 und 15/1837.er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-robe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten GudrunKopp, Rainer Brüderle, Daniel Bahr ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPStromrechnungen transparent gestalten– Drucksache 15/761 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobeiie FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keineniderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-in Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sobald Sie sich nie-
dergelassen haben, möchte ich Ihnen kurz den Inhalt des
Antrags der FDP-Fraktion zum Thema „Transparenz
und Information bei Strompreisen“ erläutern. Wir wollen
Verbraucher in die Lage versetzen, ihr Recht auf Wahl-
freiheit wahrzunehmen. Dieses Recht ist derzeit nur
schwer umzusetzen, weil es für den Normalverbraucher
sehr schwierig ist, zu unterscheiden, wer an welcher
Stellschraube an den Preisen dreht. Das ist in erster Linie
die Politik, wie ich Ihnen gleich erläutern werde.
Wir haben es aufgrund des Erneuerbare-Energien-Ge-
setzes, der Kraft-Wärme-Kopplung, der KWK, und der
so genannten Einspeisungsvergütungen – ich meine die
Vergütungen, die die Netzbetreiber aufgrund der beste-
henden Gesetze zu zahlen haben – mit enormen Über-
wälzungen von Kosten auf die Verbraucherpreise zu
tun. Zusammen mit der Ökosteuer sind die Strompreise
auf diese Weise schon heute zu 40 Prozent belastet und
die Gaspreise zu rund 30 Prozent politisch verursacht.
Aber über diese Tatsache weiß der Verbraucher nichts
oder nur sehr wenig.
Er weiß auch gar nichts darüber, dass im kommenden
Jahr im Rahmen der Novellierung des EEG
1,6 Milliarden Euro für die Förderung der Biomasse so-
wie die erst heute diskutierte Ausweitung der Subventio-
nen für die Solarenergie hinzukommen – eine enorme
Kostenbelastung.
Wenn Sie heute Morgen die Debatten zu den Themen
„erneuerbare Energien“ und „Allokationsplan“ verfolgt
haben, haben Sie sicher auch mitbekommen, dass die
Einführung der Härtefallregelung eine weitere Proble-
matik verursacht hat. Diese Regelung entlastet nur einen
Teil der Industrie. Der Verbraucher trägt wiederum die
Hauptlast.
Durch die Liberalisierung des Energiemarktes, die
1998 CDU/CSU und FDP initiiert haben, ergab sich eine
Kostenentlastung von 7,5 Milliarden Euro. Diese Kos-
tenentlastung für die Verbraucher ist inzwischen völlig
weg. Die Strompreise liegen im Augenblick in etwa wie-
der auf gleicher Höhe wie vor der Liberalisierung. Das
ist alles andere als verbraucherfreundlich.
Nun hört man immer wieder, bei den EEG- und
KWK-Kosten handele es sich nicht um staatliche Sub-
ventionen. Das ist eine Mogelpackung. Es wird ver-
schwiegen, dass die Stromverbraucher die Rechnung be-
kommen und den Aufpreis bezahlen. Hier herrscht
einfach eine sehr große Intransparenz. Allen denjenigen,
die immer für Verbraucherinformationen und Verbrau-
cheraufklärung plädieren, sollte es eigentlich sehr leicht
fallen, dem Antrag der FDP-Fraktion zuzustimmen.
Wir fordern nämlich ganz einfach, dass auf Strom-
rechnungen künftig genau die Anteile der Mehrwert-
steuer, der Ökosteuer, der Mehrkosten aufgrund des so-
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agen die Kolleginnen und Kollegen von der FDP – dascheint als Vorwurf gemeint zu sein –, der Strompreis seiin politischer Preis.
Sie haben Recht; auch ich denke, es ist ein politischerreis.Selbstverständlich ist der Strompreis ein politischerreis. Das war auch schon immer so. Es war stets im In-eresse des Gemeinwohls, Energiebereitstellung und dientsprechende Infrastruktur zu fördern. Beispiele, dieies belegen, sind der Straßenbau bei der Einführung desutomobils, die Kohleförderung, die es bis heute nochibt,
nd der Bau von Atomkraftwerken. Ich habe auch einunderschönes Beispiel aus der Jetztzeit: Bis gestern ha-en 13 000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz
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Dr. Axel Bergden Transport von zwölf Castorbehältern von Frank-reich nach Lüchow-Dannenberg gesichert.
Allein die deutschen Steuerzahler kostet das ungefähr25 bis 30 Millionen Euro. In welcher Rechnung tauchendenn diese Kosten auf?
Sie tauchen jedenfalls nicht bei den Verbrauchern auf derStromrechnung auf. Das sind indirekte Subventionen derAtomkraft und damit politische Kosten. Schade eigent-lich, dass Sie dagegen noch nie Ihre Stimme erhoben ha-ben, wenn Sie doch so sehr für unverfälschte Märktesind.
Die Bereitstellung von Energie – ob für Industriali-sierung, für Mobilität oder für Beschäftigung – ist dererste Schritt jeder Wertschöpfungskette. Dieser Zusam-menhang ist älter als wir alle zusammen. Ich gebe Ihnenin dem Punkt Recht, dass der Wettbewerb auf demStrommarkt stockt. Ich gehe sogar noch weiter: Wirkli-cher Wettbewerb findet auf dem Strommarkt überhauptnicht statt. Das ist schlecht und falsch. Doch der Schluss,den Sie daraus ziehen, ist leider auch falsch, dass wirnämlich einen funktionsfähigen Wettbewerb allein dannbekommen, wenn wir die Mehrwertsteuer oder die Kos-ten für Messen und Abrechnen auf der Stromrechnungausweisen. Daran glauben Sie doch ernsthaft selbernicht. Ansonsten könnte ich im Prinzip im Restaurantauch fragen, wie viel Prozent meines Rechnungsbetrageseigentlich der Koch bekommt oder wie viel für die Mietedraufgeht. Mich als Restaurantbesucher sollte doch viel-mehr interessieren, woher der Wirt seine Waren bezieht,woher das Fleisch kommt und unter welchen Bedingun-gen das Gemüse angebaut wird. Belastet das Essenmeine Gesundheit oder gar die Umwelt, die nicht nurmir, sondern allen gehört?Genauso sollte es auch beim Strom sein. Beim Stromsollte uns interessieren: Wird ein Teil des von mir ver-brauchten Stroms durch Atomkraft gewonnen? Wie vielProzent werden in Braunkohlekraftwerken oder durchdie Nutzung erneuerbarer Energien hergestellt? Wie vielCO2 wird dabei freigesetzt? All diese Informationenwerden wir ab dem 1. Juli kommenden Jahres auf unse-rer Stromrechnung finden, und zwar sowohl was klima-schädliche CO2-Emissionen betrifft, als auch was radio-aktiven Abfall betrifft, der in unseren Atomkraftwerkenanfällt. Uns muss es doch um die strukturelle Sicherstel-lung eines wirklichen Marktes gehen. Gleichzeitig wol-len und müssen wir uns auch künftig politische Steue-rungsmöglichkeiten erhalten, schon allein aus demeinfachen Grund, dass wir anderenfalls unseren interna-tionalen Verpflichtungen bezüglich der CO2-Minderungnicht nachkommen könnten.KLaddwsSgdErlnoK–wdkvdWKm–wdvnddIfeszrVmgegNdgdsa
Jawohl, Frau Sehn. Ich glaube, auch die Windenergieürde sich ohne Förderung problemlos auf dem Markturchsetzen, wenn die anderen Energieformen, die Kon-urrenzenergieformen, nicht versteckt und direkt sub-entioniert würden.
Meine Damen und Herren, das Hauptargument gegenie erneuerbaren Energien wird oft in der mangelndenirtschaftlichkeit gesehen. Dabei wird aber nur auf dieosten im betriebswirtschaftlichen Sinne Bezug genom-en. Die gesamtgesellschaftlichen und sozialen Kosten hierbei denke ich insbesondere an die später notwendigerdenden Umweltreparaturkosten, die vor allem aufie nächsten Generationen zukommen – werden völligernachlässigt. Das weltweite Energiesystem wird sichur dann in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln, wennie Energiepreise auch eine ökologische Wahrheit abbil-en.
ch gebe allerdings zu, dass dies methodisch nicht ein-ach ist.Darum ist es letztlich gerechtfertigt, Strom aus erneu-rbaren Energien durch das EEG mit einer erhöhten Ein-peisevergütung zu versehen. Um den Effizienzdrucku erhöhen und damit sich die Erzeuger von erneuerba-en Energien nicht allzu wohl fühlen, ist eine degressiveergütung eingerichtet worden. So haben wir ein Instru-ent installiert, das den Strom aus erneuerbaren Ener-ien immer billiger macht. Auch wir befürworten dochine ganz starke Transparenz am Energiemarkt. Ich be-rüße ausdrücklich, dass die uns nun vorliegende EEG-ovelle, über die wir heute Vormittag debattiert haben,arauf in § 15 in ganz besonderem Maße eingeht. Dabeieht es um die Glaubwürdigkeit des Wettbewerbs, umie Verbesserung der Wahlrechte der Kunden. Ganz ent-cheidend ist uns die Stärkung einer Politik für eigenver-ntwortliche Verbraucher. Verbraucherschutz heißt doch)
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Dr. Axel Bergfür uns und für Sie hoffentlich auch, dass auch an dieVerbraucher der Zukunft gedacht wird.
Es gibt durchaus eine gewisse Übereinstimmung mitdem liberalen Lager in der Einschätzung der Lage amStrommarkt, doch wir sehen die Lösung woanders. Fürdie Versorgungssicherheit und die Versorgungszuverläs-sigkeit spielt die Ausgestaltung der Energiemarktlibera-lisierung eine ganz wichtige Rolle. Der Versuch, es derEnergiewirtschaft selbst zu überlassen, Spielregeln füreinen fairen Handel festzulegen, kann als gescheitert be-trachtet werden. Auch Jahre nach der Liberalisierungkann von echtem Wettbewerb keine Rede sein. Diejeni-gen, die zu Monopolzeiten das Sagen hatten, bestimmenauch heute den Wettbewerb.Angesichts dieser Entwicklung auf den Energiemärk-ten – ich meine hier vor allem die Konzentrationstenden-zen hin zu wenigen großen Energiekonzernen – solltenun zügig die Verbesserung der Marktzutrittsbedin-gungen für neue Akteure betrieben werden. Für dieGewährleistung von Versorgungssicherheit und Durch-setzung eines fairen Wettbewerbs in Deutschland sindnach unserer Auffassung das konsequente Unbundlingder Netze von anderen Energiemarktaktivitäten – Strom-erzeugung, Stromnetze und Stromvertrieb sollen also un-abhängig voneinander koexistieren –,
die Verbesserung des Netzzugangs und damit die Absi-cherung einer ausreichenden Akteursvielfalt in derStromerzeugung, die Etablierung einer kostenorientier-ten Netzregulierung, die gleichzeitig verbindliche Stan-dards für Netzinvestitionen setzt, sowie die Schaffungeiner durchsetzungsfähigen Regulierungsbehörde erfor-derlich. Mit Letzterem sind wir gerade befasst. Von einersolchen Regulierungsbehörde erwarten wir, dass sie demMissbrauch von Marktmacht entgegenwirkt. Wir erwar-ten die Durchsetzung eines diskriminierungsfreien Netz-zugangs mit preisgerechten und nachvollziehbaren Netz-nutzungsgebühren. Vor allem an diesem Punkt werdenwir auf Transparenz drängen.Ziel unserer Politik bleibt eine sichere, nachhaltigeund ökonomische Versorgung mit Energie. Das ist füruns Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum undBeschäftigung. Auch nach der Liberalisierung überlas-sen wir es nicht dem Markt allein, über den künftigenEnergiemix zu entscheiden. Beispielsweise ist es unsgelungen, den Anteil der erneuerbaren Energien ander gesamten Stromerzeugung in den letzten Jahrenenorm zu steigern. Dies wäre sicherlich nicht passiert,wenn man den Markt allein alles hätte regeln lassen.Durch das EEG haben wir eine Steigerung der erneuer-baren Energien auf über 8 Prozent erreicht. Dagegen ha-ben Sie doch hoffentlich auch nichts, liebe Kolleginnenund Kollegen.
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urch die in der Zwischenzeit erfolgte Entwicklung isthr schöner Antrag zum großen Teil überholt. Ökolo-ische Aspekte, mit denen sich vor allem die Nachwelterumschlagen muss, blendet die FDP in traditionelleranier leider einfach aus. Allein deshalb können wir Ih-em Antrag nicht zustimmen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Fuchs,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebererr Berg, einiges von dem, was Sie gerade angespro-hen haben, haben Sie bereits gestern im Ausschuss ge-agt. Es ist typisch: Sie wollen dem Verbraucher keinelarheit geben und ihm nicht sagen, was wirklich hinteren Stromrechnungen steckt. Deswegen werde ich iminzelnen darauf eingehen.Ich fordere für den Verbraucher: Klartext auf dertromrechnung! Das ist angesichts des nunmehr seit fünfahren liberalisierten Strommarktes für mich ein dringli-hes Anliegen.
n jeder Tanksäule können Sie lesen, wie hoch dertaatsanteil beim Kraftstoff ist. Warum soll das so nicht
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Dr. Michael Fuchsauch beim Strom sein? Wir müssen dem Bürger sagen,was Sie ihm aus der Tasche ziehen. Das könnte zu Re-volten führen. Davor haben Sie Angst. Das ist ein Effekt,den Sie sich nicht wünschen; davon bin ich überzeugt.Deswegen wollen Sie keine Klarheit herbeiführen.
Der Wettbewerb stockt vielerorts. Den Bürgern fälltes mangels Information schwer, das preisgünstigste An-gebot auszuwählen. Die Kollegin Kopp hat vollkommenRecht: Wir müssen endlich dafür sorgen, dass der Wett-bewerb durch den Verbraucher angestoßen werdenkann. Das wünsche ich mir jedenfalls sehr. Wenn dieStromrechnung nach Netznutzungskosten, Kosten fürErzeugung und Vertrieb und für Messung und Abrech-nung, Öko- und Mehrwertsteuer sowie Umlagen ausKWKG und EEG aufgeschlüsselt wäre, hätte das dieAuswirkung, dass der Bürger automatisch völlig andersreagieren würde.Bei diesem Thema geht es um die Schaffung vonmehr Wettbewerb – das ist das zentrale Ziel – und damitum die Wiederbelebung der in Unionszeiten erfolgreichbegonnenen Strom- und Gasmarktliberalisierung.
Der Anstoß hierzu war 1997/1998 die Elektrizitätsbin-nenmarktrichtlinie der EU. Wir haben am 24. April1998 ein vernünftiges Energiewirtschaftsgesetz verab-schiedet, das durch eine Absenkung der Preise zu einemvernünftigen Preisniveau geführt hat.
Diese Absenkung, meine Damen und Herren von derKoalition, haben Sie rückgängig gemacht.
Doch wegen der mangelnden Preistransparenzstockt jeglicher Wettbewerb. Die Verbraucher könnendie Preise und die Tarifgestaltung nicht mehr nachvoll-ziehen. Sie werden deswegen auch nicht dafür sorgen,dass es zu einem ausreichenden Wettbewerb kommt. NurWettbewerb schafft Transparenz; das ist eine Tatsache,die Sie auf allen Märkten der Welt nachvollziehen kön-nen. Nur Transparenz wiederum schafft günstigerePreise für den Verbraucher. Ich habe aber das Gefühl,dass Sie das gar nicht wollen.
Es kann nicht sein, dass nur 3 Prozent der privatenHaushalte durch Wechsel des Stromlieferanten vomWettbewerb profitieren. Woran liegt das? Das liegt da-ran, dass keine Informationen verfügbar sind.
Diese zur Verfügung zu stellen müsste ein gemeinsamesZiel und im Interesse der Verbraucherschützer sein, zu-mDWlicwWdninisZhnvzawDrwuieamdrfDesnAbsCbmUbDbIDf
ir sind deswegen sehr gespannt, Frau Hustedt, wannie Bundesregierung endlich den Vorschlag für deneuen Entwurf des Energiewirtschaftsgesetzes vorlegt, dem die Regulierung des Netzzuganges so vorgesehent, dass es für jeden verständlich ist. Sie haben durchauseit gehabt und viele Mitarbeiter in den Ministerien ste-en Ihnen zur Verfügung. Geschehen ist bis jetzt aberichts.Wir wissen, warum die Bundesregierung zögerlichorgeht. Dass diese Wettbewerbsnachteile von den ein-elnen Bürgern nicht verstanden werden, liegt für michn den Verfehlungen der rot-grünen Energiepolitik. Sieollen diese Transparenz natürlich nicht.
er Liberalisierungseffekt von 1998 ist in den fünf Jah-en interventionistischer Energiepolitik konterkariertorden. Die Investitionen in Deutschland bleiben ausnd seit 1998 steigen die Steuern und Abgaben kontinu-rlich. Herr Berg, Sie haben eben gesagt, dass Sie dasuch wollen. Dann wollen wir das den Bürgern auch klarachen.
Die Staatsbelastung der Energiepreise führt heuteazu, dass Investitionsentscheidungen des produzie-enden Gewerbes gegen den Standort Deutschland aus-allen.
er Kollege Laumann hat aus seinem eigenen Wahlkreisin Textilunternehmen benannt, bei dem genau das ge-chieht. Die Investitionsentscheidungen fallen dort ebenicht mehr für den Standort Deutschland aus, wodurchrbeitsplätze gefährdet werden. Energiepolitik ist Ar-eitsmarktpolitik – das müssen wir im Zusammenhangehen.Als Beispiel kann man auch die Diskussion über denhemiestandort Wilhelmshaven nennen, der sich eta-lieren sollte. Nichts ist passiert. Ein einziges Unterneh-en hat das Ganze einmal durchgerechnet. Für diesesnternehmen hätte nur die EEG-Umlage Mehrkosteneim Strom in Höhe von 2,5 Millionen Euro bedeutet.ie Folge war: Der Standort wurde nicht aufgebaut, erefindet sich mittlerweile im Ausland. Das ist die Folgehrer verfehlten Energiepolitik; das müssen wir sagen.as muss deutlich werden. Deswegen bin ich auch da-ür, dass wir dies in jedem Bereich klar machen.
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Dr. Michael Fuchs
– Frau Hustedt, diese verfehlte rot-grüne Energiepolitikführt dazu, dass der Standort Deutschland nicht mehrwahrgenommen wird. Für die privaten Verbraucher istdas aber nicht so einfach. Sie können den Standort nichteinfach wechseln; sie sind an den Standort gebunden.Für sie muss die Belastung deshalb klar und deutlichwerden. Ich wünsche mir, dass jeder dieser privaten Ver-braucher das auch erkennt.
Ich habe mir Stromrechnungen angeschaut. Auf denmeisten stehen zum Beispiel lediglich der KWh-Ver-brauch, die Stromsteuer und die Kosten für den Eintarif-zähler. Die wirklichen Kosten, die Sie verursachen, nen-nen Sie den Verbrauchern nicht. Diese Aufklärungmöchte ich haben. Deswegen stimmt meine Fraktiondem Antrag der FDP-Fraktion voll und ganz zu.
Gegenüber 1998 hat sich die durch den Staat verur-sachte Belastung der Strompreise ohne Berücksichti-gung der Mehrwertsteuer – sie kommt ja immer nochobendrauf – von 2 Milliarden Euro auf heute 12 Milliar-den Euro erhöht.
Die Stromkunden werden 2003 mehr als fünfmal sohoch belastet wie noch vor fünf Jahren. Das ist für denVerbraucher katastrophal und er sollte das auch wissen.Im Einzelnen sind folgende Belastungen zu erken-nen: Die Stromsteuer beläuft sich pro Jahr auf rund7,65 Milliarden Euro, die Umlagen aus dem KWKG er-geben 688 Millionen Euro und bei den Einspeisungsver-gütungen nach dem EEG sind wir mittlerweile bei2,75 Milliarden Euro angekommen. Das kosten uns IhreWindmühlen, die Deutschland in eine Mega-Spargel-landschaft verwandeln.
Die Gewinne, die durch die Liberalisierung der Energie-märkte entstanden, schöpft diese rot-grüne Bundesregie-rung somit beim Verbraucher ab.
Das Schlimme ist: Er weiß das noch nicht einmal, HerrSchlauch.
Ich bin der Meinung, dass Sie wenigstens den Mut habensollten, ihnen das zu sagen.
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as sollten wir einmal ganz deutlich sagen.Es bleibt also abzuwarten, Herr Berg, welche konkre-en Vorschläge die Bundesregierung für die anstehendeovelle zum EEG vorlegt und was das für uns alleolkswirtschaftlich bedeutet. Es ist kein Geheimnis, dassie Finanzierung der Förderung erneuerbarer Energienurch eine Umlage auf die Strompreise und nicht überie öffentlichen Haushalte erfolgt. Dazu möchte icheutlich sagen: Bundesminister Trittin hat verkündet,as seien keine Subventionen. Schade, dass er jetzticht da ist. Er hat anscheinend gar nicht begriffen, wasine Subvention ist. Es ist doch völlig egal, ob die Finan-ierung über den Haushalt des Staates oder direkt aus derasche des Stromverbrauchers erfolgt. In beiden Fällenst es eine Subvention! Seien wir doch ehrlich!
Die Förderung erneuerbarer Energien enthält nochine Zusatzsubvention, Herr Berg, die auch Sie kennen.ie wissen, dass Sonderabschreibungsmöglichkeitenichts anderes als Steuersubventionen sind. Auch sie ge-ören dazu. Hier wird also doppelt subventioniert, ein-al über den Strompreis, dann über Sonderabschrei-ungsmöglichkeiten. Es ist für mich keine verbraucher-nd schon gar keine wettbewerbsorientierte Energiepoli-ik, wenn über Förderungen zu viel Fördergeld für dieetreiber bereitgestellt wird, wodurch Mitnahmeeffektend Fehlallokationen entstehen. An einigen Standortenon Windanlagen dreht sich das Rad fast nie. Das sindie Folgekosten dieser verfehlten Energiepolitik.
Der Verbraucher trägt sie; das ist die Antwort auf Ihrerage. Damit bin ich nicht einverstanden.
Der einzige Trost beim EEG – für mich ist das ein In-estitionsverhinderungsgesetz –, so könnte man meinen,st die Härtefallregelung. Aber auch sie verfälscht nur.ie führt dazu, dass manche Unternehmen profitieren.ndere Unternehmen müssen das dann bezahlen. Dasann nicht richtig sein. Obendrein ist dies noch mit er-eblicher Bürokratie verbunden.Daher fordern wir ganz klar einen Umbau des EEG.iel muss es sein, Anreize zur Weiter- und Neuentwick-ung erneuerbarer Energien zu schaffen. Gleichzeitig
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6524 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Dr. Michael Fuchsmuss das Gesetz von Wirtschaftlichkeit geprägt sein.Dann kann man es als ein Gesetz zur Wettbewerbsfähig-keit bezeichnen. Aber das hat bei Ihnen nicht die höchstePriorität.
Neben EEG und Ökosteuer sind es dann noch dieKWKG-Umlagen, die private Verbraucher auf ihrerStromrechnung unbedingt einsehen sollten. Dann würdeihnen nämlich klar, was das für ein Unsinn ist. DasKWKG von Rot-Grün ist gescheitert. Im letzten Jahrwurden nur 6 – in Worten: sechs – von 3 221 Anlagen,also 0,19 Prozent der bestehenden Anlagen, moderni-siert bzw. ersetzt, 99,8 Prozent nicht. Dafür haben Sie imEtat immerhin 668 Millionen Euro bereitgestellt. Zu-kunftsträchtige Brennstoffzellen dagegen erhielten 2002einen Zuschuss von nur 20 000 Euro.
Nicht in die Zukunft wird hier investiert, sondern indie Vergangenheit. „Das KWKG ist ein Flop.“ Das istnicht nur meine Meinung, Frau Hustedt, sondern das istein Zitat Ihres Kollegen Loske. Das sagte er kurz vor derSommerpause. Für 668 Millionen Euro pro Jahr mussman mehr erwarten können als solche Flops.
Die Strompreisoffenlegung ist die eine Seite. Die an-dere Seite ist die Tatsache, dass Rot-Grün zulasten derVerbraucher in der Energiepolitik für mich alles vermis-sen lässt, was nachhaltig, zukunftsorientiert und vor al-len Dingen effizient ist. Seit 1998 ist nicht erkennbar,wie diese nachhaltige Energiepolitik aus der Sicht derBundesregierung aussehen soll. Stattdessen ist Kurzsich-tigkeit das Hauptmerkmal dieser rot-grünen Energiepoli-tik. Ein durchdachtes Gesamtkonzept liegt leider nichtvor. Dosenpfand und LKW-Maut lassen grüßen.Ich frage Sie hier ganz direkt: Wie stellen Sie sich dieZukunft deutscher Energieversorgung vor? WelcheStromquellen sollen denn den Wegfall der AtomenergieCO2-neutral ersetzen?
– Frau Hustedt, hören Sie zu, dann verstehen Sie esauch. – Ich habe gestern im Wirtschaftsausschuss HerrnStaatssekretär Schlauch intensiv zugehört, aber er hatkeine Antwort auf diese Frage gegeben.
Er weiß auch keine Antwort. Die zurzeit mit jährlich2,75 Milliarden Euro – in 2010 sollen es 5 Milliar-den Euro sein – geförderte erneuerbare Energie kommternsthaft wohl kaum in Frage. So viel Wind kann nochnicht einmal diese Bundesregierung machen.
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s gilt, einen ausgewogenen Energiemix hinzubekom-en. Dabei ist allein auf den jeweiligen energetischenirkungsgrad, auf die Emissionsbilanz und vor alleningen auf die Kosten für die deutsche Wirtschaft zu ach-en. Staatlich fixierte, ideologiegesteuerte Vorgaben ha-en hier nichts zu suchen. Sonst wird aus Mix schnell nix.
Bitte nehmen Sie den Antrag der Kollegen und Kolle-innen von der FDP ernst. Ich möchte, dass der deutscheerbraucher weiß, woran er ist. Ich möchte, dass manhm sehr deutlich mitteilt, was ihn Ihre verfehlte Ener-iepolitik kostet. Anders kann nämlich nichts mehr iniesem Lande geändert werden.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
ichaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-en! Wir hatten heute Morgen drei Stunden lang einenergiedebatte.
enn Sie keine Redezeit abbekommen haben, dann tuts mir für Sie Leid. Hier geht es um den Antrag der FDP,tromrechnungen transparent zu gestalten. Darauföchte ich mich konzentrieren. Denn ich durfte im Ge-ensatz zu Ihnen heute Morgen in der Kerndebattenzeitum EEG und Strommix meine Meinung zweimal sagen.
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Michaele HustedtTransparente Stromrechnungen – das ist völlig okay.Aber ich frage mich, warum die FDP eigentlich da auf-hört, wo es spannend wird. Denn das, was Sie mit derBegründung von mehr Wettbewerb fordern, würde nurfunktionieren, wenn die Transparenz dazu führt, dass derKunde die Wahl hat. Ich frage Sie: Wenn die Netznut-zungskosten, die Durchleitungskosten, auf der Rechnungstehen, welche Wahl hat dann der Kunde? Die Netznut-zungskosten sind hoffentlich, so wir denn eine funktio-nierende Regulierung schaffen, für alle gleich. Das istdas Prinzip.Wenn auf der Rechnung die Kosten für Messungenund Abrechnungen stehen, welche Wahl hat dann derKunde? Okay, wenn Sie unsere Forderung unterstützenwürden, dass das Mess- und Zählwesen aus dem Netzbe-trieb herausgelöst wird, es hier Wettbewerb gibt und maneinen anderen Dienstleister wählen kann, der eine billi-gere Leistung anbietet, dann macht das Sinn. Aber ichhabe diese Forderung von Ihnen noch nicht gehört. Bis-her waren die Grünen die einzigen, die diese Forderungin diesem Zusammenhang vertreten haben.
Es geht Ihnen nicht um mehr Transparenz und in derKonsequenz um Wahlmöglichkeit.
Ihre ganzen Reden haben doch gezeigt,
dass es Ihnen um ein Instrument geht, um Ihre Politikmit Hilfe der Stromrechnungen fortzusetzen. Dafür sinddie Reden, die Sie beide hier gehalten haben, ein Beleg.Sie haben nicht über Transparenz und Kosten gespro-chen, sondern von Energiepolitik und davon, dass Sie ei-nen Hinweis in Form eines Sternchens auf der Strom-rechnung mit dem Text haben wollen: Bitte die Rede vonHerrn Fuchs lesen, dann wissen Sie Bescheid.
Wir verstecken die Kosten für das EEG überhauptnicht. Ich sage es in dieser Rede, so wie ich es in jederRede sage: Das kostet den Haushalt 1 Euro pro Monat.Wenn wir eine Härtefallregelung für die energieintensiveIndustrie machen, dann kostet es 1,10 Euro pro Monat.Jetzt schaue ich die Besucher auf der Tribüne an undfrage sie: Ist 1 Euro pro Monat für die erneuerbarenEnergien,
für eine zukunftsfähige Energieversorgung ein Preis, denman zahlen kann und den man für die Bewahrung unse-rer Lebensgrundlage zahlen muss?
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as ist euer Problem.Wenn Sie „Ihre“ Windkraftanlagen sagen und damitns meinen, dann empfehle ich Ihnen, einmal mit Ihrenollegen zu diskutieren. Denn in der Kernzeitdebatteeute Morgen hat sich das ganz anders angehört: Ihrollege Paziorek hat uns in dieser Debatte aufgefordert,ie Windkraft noch ein bisschen stärker zu fördern undns zum Beispiel verstärkt der Biomasse zuzuwenden.
ie Baden-Württemberger bestürmen uns, die großenasserkraftanlagen in das EEG mit aufzunehmen.
ll das führt ebenfalls zur Erhöhung der mit dem EEGusammenhängenden Kosten. Insofern repräsentiert dieede, die Sie in der Nacht halten,
icherlich nicht die Mehrheit Ihrer Fraktion.Wenn es Ihnen wirklich um Transparenz im Sinneon mehr Wettbewerb und damit um einen größeren In-ormationsgehalt der Stromrechnung geht, um den Kun-en tatsächlich Wahlmöglichkeiten zu bieten, dann ha-en wir eine völlig andere Aufgabe. In diesem Fall mussn der Stromrechnung aufgeführt werden – das interes-iert die Kunden in der Tat –, wie sich der Strom zusam-ensetzt, wie er produziert wird, wie hoch der Anteiles Atomstroms ist, wie viel Müll durch den Atomstromnfällt, wie hoch jeweils die Anteile des Braunkohle-,ohle- und importierten Stroms
owie der erneuerbaren Energien sind. Danach differiertie Stromrechnung in der Tat und anhand dieser Krite-ien will der Kunde den Stromerzeuger auswählen.Insofern finde ich es verwunderlich, dass diese Arton Transparenz in Ihrem Antrag „Stromrechnungenransparenter gestalten“ nicht vorkommt. Woran liegtas? Vielleicht liegt es daran, dass Sie genau wissen,ass Ihre Art von Energiemix – Atom, Atom, Atom –eim Kunden nicht ankommt.
er Kunde möchte vielmehr einen Energiemix erhalten,ei dem der Anteil der erneuerbaren Energien möglichstoch ist.
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Michaele HustedtDeswegen halte ich den Weg, den wir beschreiten– das werden wir auch bei der Novelle zum Energiewirt-schaftsgesetz umsetzen –, nämlich hinsichtlich der Zu-sammensetzung des Stromes Transparenz zu schaffenund damit dem Kunden eine echte Wahlmöglichkeit zubieten, für richtig. Deswegen müssen wir Ihren Antragablehnen.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/761 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesbe-
auftragte für die Unterlagen des Staatssicherheits-
dienstes der ehemaligen Deutschen Demokrati-
schen Republik
Sechster Tätigkeitsbericht der Bundesbeauf-
tragten für die Unterlagen des Staatssicher-
heitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demo-
kratischen Republik – 2003
– Drucksache 15/1530 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Barbara Wittig, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um esgleich vorwegzunehmen: Ich war nach der Lektüre desSechsten Tätigkeitsberichts der Bundesbeauftragten fürdie Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali-gen Deutschen Demokratischen Republik beeindruckt.Was in der Zentralstelle und in den 14 Außenstellen ihrerBehörde in den neuen Ländern geleistet wurde, ist enorm.Ich möchte dafür folgende Beispiele nennen:Seit 1992 sind bei der Behörde 2 Millionen Anträge aufAkteneinsicht von Bürgerinnen und Bürgern, 3 Millio-nen Ersuchen im Rahmen von Überprüfungen im öffent-lichen Dienst, Rehabilitierungen oder Rentenangelegen-heiten und 14 000 thematisch breit gefächerte Anträgevon Forschern und Medienvertretern eingegangen.Darüber hinaus wurden telefonische und persönlicheBürgerberatungen durchgeführt und Publikationen ver-fasst. Im Berichtszeitraum sind die VeröffentlichungenzvmahssVks4dztWDwhgmbknRwBzsssnAgdjFMkkwlaSvndMbvwaFdtwGn
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In dem nunmehr Sechsten Tätigkeitsbericht wirdnicht nur auf die Arbeit der letzten zwei Jahre zurück-geblickt, sondern der Bericht widmet sich auch denmittel- und langfristigen Entwicklungen, die der Be-hörde bevorstehen. In diesem Zusammenhang sindmeines Erachtens folgende Sachverhalte zu erwähnen:erstens der Umgang mit den Rosenholz-Unterlagen;zweitens die Änderungen des § 32 StUG, die wir am6. September 2002 beschlossen haben; drittens die Er-gebnisse der Arbeitsgruppe „Zukunft der Außenstellen“;viertens die Rekonstruktion vorvernichteter Unterlagen.Zum Umgang mit den Rosenholz-Unterlagen wirdnachher noch meine Kollegin Marga Elser sprechen.IgtdEbfbasdsüdRDudlvSFTtSswgU6ceDnkrkzlKstsAtwi
Auch ich stimme der Einschätzung der Behörde zu,ass die meisten der gesetzlich vorgegebenen Aufgabenangfristig bestehen bleiben, wenn auch die Überprüfungon Personen bezüglich der früheren Tätigkeit bei dertasi 2006 auslaufen wird. Das heißt, dass der folgendeorschungsauftrag erhalten bleibt: „Aufarbeitung derätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Unterrich-ung über Struktur, Methoden und Wirkungsweise destaatssicherheitsdienstes.“ Wir müssen uns auch in die-em Zusammenhang mit den Außenstellen befassen. Daserden wir im Innenausschuss tun. Ein Konzept ist vor-elegt worden. Darüber wird zu reden sein.Wenn man an der Rekonstruktion vorvernichteternterlagen – zur Erinnerung: 16 250 Säcke mit circa00 Millionen Schnipseln harren der Dinge – im glei-hen Tempo weiter arbeitete, würde man bis zur Voll-ndung – das wissen wir alle – 600 Jahre brauchen.azu muss man sagen: Dank der fleißigen Mitarbeiterin-en und Mitarbeiter, die diese Arbeit geleistet haben,onnten im Berichtszeitraum immerhin 41 000 Seitenekonstruiert werden.Das Bundesministerium des Innern prüft zurzeit dieürzlich von der BStU vorgelegte Machbarkeitsstudieur IT-gestützten Rekonstruktion vorvernichteter Unter-agen. Ich bin gespannt auf die Einschätzung des IT-onzepts mit Kosten für Hard- und Software, der techni-chen Machbarkeit und darauf, welche Erfolgsaussich-en das Bundesministerium des Innern für eine IT-ge-tützte Rekonstruktion prognostiziert. Das sind wichtigespekte, die wir im Zusammenhang mit diesem Sechs-en Tätigkeitsbericht besprechen müssen. Dazu habenir im Innenausschuss ausreichend Zeit.Ich kann für meine Fraktion hier sagen: Was machbarst, wollen wir auch machen.Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner ist der Kollege Hartmut Büttner,
CDU/CSU–Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LeeresHaus!
Joachim Gauck sprach mit Blick auf die Zusammenar-beit von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen in Fragendes Stasi-Unterlagen-Gesetzes von einer Koalition derVernunft. Diese Koalition der Vernunft ist im vergange-nen Jahr durch eine stürmische und strittige Diskussions-phase gegangen. Ich bin froh darüber, dass wir nach dengegensätzlichen Meinungen zur Verwendung von Unter-lagen zu Personen des öffentlichen Lebens wieder zu derlange praktizierten guten Zusammenarbeit zurückge-kehrt sind.
Ich finde die Zusammenarbeit der vier Fraktionen– vielleicht hat sich mancher gewundert, dass wir auchgeklatscht haben, als jemand von den Sozialdemokratengesprochen hat – so wichtig, weil ich glaube, dass hierineiner der Hauptgründe für die große Akzeptanz desStasi-Unterlagen-Gesetzes bei der Bevölkerung liegt.Nach Geist und Buchstaben ist das Stasi-Unterlagen-Gesetz ein Öffnungs- und ein Opfergesetz.
Dem Einzelnen soll Klarheit über das Einwirken desMfS auf seinen Persönlichkeitsbereich gegeben werden.Die Chance, die eigene Biografie in Ordnung zu bringen,haben mittlerweile mehr als 2 Millionen Menschen ge-nutzt. Sie haben Einsicht in ihre Akte genommen.Der Tätigkeitsbericht und vor allem die wieder nachDeutschland zurückgekommenen Rosenholz-Unterla-gen zeigen uns deutlich, dass das unselige Wirken desMinisteriums für Staatssicherheit kein reines DDR-Thema, sondern ein gesamtdeutsches Thema war.
Wir wissen jetzt, dass die Aussage „Opfer gab es in Ostund West, aber der Stasitäter kam ausschließlich ausDeutschland Ost“ nicht nur zu undifferenziert, sonderneinfach falsch ist.
Im Laufe der Jahre haben 20 000 bis 30 000 West-deutsche als inoffizielle Mitarbeiter für das MfS gearbei-tet. Hoffentlich wird manch ein westdeutscher Redakteurangesichts dieser Zahlen etwas demütiger, wenn er sichan seine reißerische Berichterstattung über die Stasiver-seuchung im Osten Deutschlands erinnert. Diese einsei-tige Betrachtungsweise hat nicht nur das Selbstwertge-fühl der Menschen aus den neuen Bundesländern hartgdAhTthbRZriv„RtgsA–mRRvrkbrrdnggalBsSintpDmlk
Jetzt bitte auf der linken Seite des Hauses klatschen!Besonders in diesem politischen Bereich könnenögliche zusätzliche Erkenntnisse aus den so genanntenosenholz-Unterlagen noch sehr hilfreich sein. Dieückholung der Datenträger mit den Kopien der mikro-erfilmten Karteikarten der Hauptverwaltung Aufklä-ung ist ebenfalls ein gutes Beispiel für das positive Wir-en der Koalition der Vernunft. Jahrelang haben wir unsemüht, die Datensätze zurückzubekommen. Die Be-ichterstatter der vier Fraktionen haben die Bundesregie-ung mit vielfältigen Aktivitäten in dem Ziel unterstützt,ass die amerikanische Einstufung „Geheim“ zurückge-ommen wird. Jetzt können wir die Rosenholz-Unterla-en so behandeln wie alle anderen Stasiunterlagen auch.Eigentlich sind die Bestimmungen des Stasi-Unterla-en-Gesetzes völlig ausreichend, damit die Behörde neuuftauchende Erkenntnisse der zuständigen Stelle mittei-en kann, ohne dass ein Ersuchen vorliegt. Nur, für dieeschäftigten in der Behörde ist es praktisch sehrchwierig, die auftauchenden Namen einer zuständigentelle richtig zuzuordnen. Aus diesem Grund unterstützech nachdrücklich einen Beschluss meiner Fraktion,ach dem wir uns als Abgeordnete unserer Vorbildfunk-ion bewusst sein müssen und uns erneut freiwillig über-rüfen lassen sollten.
eshalb habe auch ich einen Antrag unterschrieben, umich ein viertes Mal auf Stasi-Mitarbeit überprüfen zuassen. Ich bin gespannt, was diesmal dabei heraus-ommt.
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Hartmut Büttner
Ich finde es ebenfalls gut, dass FDP und Grüne diesesThema ebenso offensiv angegangen sind und denMitgliedern ihrer Fraktionen eine erneute Überprüfungempfohlen haben. Positiv im Sinne des vereintenDeutschlands ist es auch, dass nicht nur die Landtagsab-geordneten der östlichen Bundesländer, sondern auch dieAbgeordneten zumindest einiger westdeutscher Land-tage sich überprüfen lassen wollen. Ich möchte hier bei-spielhaft Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württem-berg nennen.
Umso mehr fällt auf, dass die Sozialdemokraten inBund und Ländern zögerlich bis ablehnend an dieseFrage herangehen.
Ich will es mir mit Blick auf unsere gerade wiederherge-stellte gemeinsame Aktionsfähigkeit versagen, dies hierweiter zu vertiefen. Ansonsten könnte ich Ihnen schoneinen sehr bunten Strauß von Zitaten zahlreicher SPD-Kollegen hierzu vortragen.
Es wäre aber wohl, wie ich denke, ein Akt politischerHygiene und ein Wahrnehmen des Vorbildcharakters,wenn auch die SPD-Bundestagsfraktion wie die anderenFraktionen dieses Hauses entsprechende Beschlüsse fas-sen und Empfehlungen aussprechen würde.
Mein Appell, erneut einen Antrag zu stellen, richtetsich an alle Bundestagskollegen, egal, wo sie politischstehen und aus welcher Region sie kommen.
Herr Kollege Büttner, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Wiefelspütz?
Selbstverständlich.
Geschätzter Kollege Büttner, sind Sie nicht der Mei-
nung, dass Sie den wichtigen Aspekt von Freiwilligkeit
diskreditieren, wenn Sie mit solchen Einlassungen durch
die Hintertür irgendeine Art von Druck ausüben? Sehen
Sie, Sie haben jetzt zum vierten Mal und ich zum dritten
Mal freiwillig einen Antrag gestellt. Ich hätte ein großes
Problem damit, wenn man mich dazu zwingen würde,
aber freiwillig tue ich das so gerne, wie auch Sie es ver-
mutlich getan haben. Meinen Sie nicht, dass man das
Prinzip Freiwilligkeit von Anfang bis Ende ernst neh-
men sollte und es einfach so im Raum stehen lassen
sollte? Im Parlament sitzen erwachsene Menschen, die
für sich eine Entscheidung treffen können. Der Prozess
ist noch nicht abgeschlossen. Meinen Sie nicht, dass man
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ch hätte normalerweise hier kein Salz in die Wunde ge-treut. Ihre und die Äußerungen anderer, die ich hier inen Unterlagen habe, sind bemerkenswert genug.Sie wissen auch, dass ich versuche, die Zusammenar-eit aller Bundestagsfraktionen überall zu pflegen. Siest mir gerade deshalb so wichtig, weil wir gemeinsamktionsfähig bleiben müssen. Als sich die letzten Tageer DDR abzeichneten, ergriff die damaligen Machtha-er und ihre Vasallen nämlich Panik. Alles, was an be-astendem Material vorhanden war, sollte vernichteterden. Vieles wurde auch endgültig vernichtet, abericht alles. In Zirndorf, in Bayern – Sie haben es er-ähnt, Frau Wittig –, lagern derzeit circa 600 Millionenchnipsel in 16 250 Säcken – und das sind nur die zerris-enen Unterlagen. In mühsamer Handarbeit gelang es inen letzten Jahren einer Projektgruppe von 40 Mitarbei-ern, circa 550 000 Einzelblätter wieder zusammenzuset-en. Die Dimension ist wahrlich gigantisch. Wenn dieeschwindigkeit von heute beibehalten wird, dann ha-en wir die Chance, in 375 Jahren mit dieser Arbeit fer-ig zu werden. Diese Puzzlearbeit ist wie das Ausschöp-en des Ozeans mit einem Teelöffel.Häufig sind es aber nur diese zusammengesetzteneiten, die den Tätern von gestern auch heute noch zumerhängnis werden. So wurde hierdurch beispielsweisein Professor Bress aus Kassel enttarnt. Bress hatteänger als 30 Jahre für ein Agentenhonorar von50 000 DM für die Stasi im Westen spioniert. Ebensoanden sich entscheidende Beweise gegen den Thüringerandesbischof Braecklein oder den Literaten Andersonn den Säcken mit den vorvernichteten Unterlagen. Abers wurden nicht nur Täter enttarnt. Es wurden auchichtige Unterlagen über Stasiopfer entdeckt, zum Bei-piel Akten über Bärbel Bohley oder Werner Fischer.Es gibt jetzt neue technische Möglichkeiten; Frauittig hat sie angesprochen. Es war erneut ein gemein-amer Antrag und Parlamentsbeschluss vom Dezember000, mit dem wir die Ablösung des manuellen Verfah-ens durch eine IT-gestützte Lösung gefordert haben.
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6530 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Hartmut Büttner
Der Deutsche Bundestag forderte in seinem Beschlussdie Bundesregierung auf, diese Bemühungen im Rah-men des finanziell Vertretbaren zu unterstützen. Aus13 verschiedenen Anbietern ist in einer europaweitenAusschreibung ein Anbieter ausgesucht worden.Eine Machbarkeitsstudie, die den Rekonstruktions-zeitraum auf fünf Jahre abkürzen würde, liegt uns derzeitzur Entscheidung vor. Allein durch dieses Verfahren sinddie erheblichen Mittel, die wir dazu brauchen, bereitsziemlich zusammengeschrumpft. Es sind aber immernoch, Herr Wiefelspütz, knapp 58 Millionen Euro, diewir in fünf Jahren zu schultern haben. Wir haben in ers-ten Bewertungen gemeinsam mit Mitgliedern des Haus-haltsausschusses versucht, diese Summe noch etwas zudrücken. Auch wollen wir Verwerfungen wie bei ande-ren privat-staatlichen Kooperationen – ich nenne hiernur die LKW-Maut – gar nicht erst entstehen lassen.Jetzt wird sich auch erweisen, was an Ihren vollmun-digen Erklärungen dran ist, Herr Wiefelspütz. Sie habenbei der Ablehnung eines recht bescheidenen Haushalts-antrages meiner Fraktion zu diesem Bereich im letztenJahr argumentiert: Herr Büttner, wenn diese Lösung um-setzungsreif ist und wir Geld in die Hand nehmen müs-sen, werden wir für die notwendigen finanziellen Mittelsorgen.
Wir werden Sie an Ihren Taten messen. Unsere Unter-stützung hierfür haben Sie.Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar, Bünd-nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäreschön, wenn Sie weiter zuhören und nicht so viel Unruhein den ersten Reihen verbreiten würden. Herr KollegeWiefelspütz, setzen Sie sich doch einfach auf IhrenPlatz.
Der neue Bericht von Marianne Birthler zeigt, wie un-verzichtbar die Arbeit der Behörde nach wie vor ist.Auch wenn die Zahl der Bürgeranträge auf Einsicht inihre Stasiakten langsam geringer wird, ist die Zahl vielhöher, als 1991 bei Erlass des Gesetzes vorhergesagtwurde. Es ist erfreulich, dass die Wartezeiten für die Be-troffenen kürzer werden. Über viele Jahre werden abernwdrsAphaffhIbazv1dmBidgOrggnlsAtWsA–srIctesBBba
m Intranet des Bundestages findet sich dazu ein einfa-hes Formular – es muss lediglich ausgedruckt und un-rschrieben werden –, mit dem man sich damit einver-tanden erklären kann, überprüft zu werden.Auch das Problem der 14 Außenstellen der Birthler-ehörde wurde schon angesprochen. Es war richtig, dieirthler-Behörde bei ihrer Einrichtung dezentral aufzu-auen; aber wir alle wissen, dass wir die große Anzahln Außenstellen nicht aufrechterhalten können. Ich finde
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6531
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Silke Stokar von Neufornes gut, dass die Birthler-Behörde nicht herumgejammerthat, als das Parlament erklärt hat – es geht hier auch umEingrenzung der Arbeit und um die damit verbundenenReformen –, dass die Anzahl der Außenstellen nicht er-halten werden kann. Man hat sich zusammengesetzt undein Konzept erarbeitet. Meine Fraktion unterstützt diesesKonzept und wir werden auch die Finanzierung des da-mit verbundenen Umbaus mittragen. Ich bin mir sicher,dass wir auch in dieser Frage gemeinsam zu einer Lö-sung kommen werden.
Meine Damen und Herren, ich habe leider nicht soviel Redezeit wie die Redner der großen Fraktionen.
– Ja, es wäre wirklich schön, wenn ich meine Gedankenhier einmal etwas länger ausführen könnte.
Lassen Sie mich aber noch die bereits erwähnten vie-len Schnipsel ansprechen – Herr Wiefelspütz, das istwichtig –, in denen unendlich viele Informationen, ins-besondere aus den 80er-Jahren, stecken. Wir haben eingroßes Interesse daran, die Schnipsel in absehbarer Zeitzusammenzufügen, was jetzt technisch machbar ist.Dazu müssen wir die entsprechende Finanzierung si-cherstellen und das nötige Geld bereitstellen; denn eshandelt sich um Akten, die einen Teil der deutschen Ge-schichte ausmachen.Zum Schluss möchte auch ich im Namen meinerFraktion den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen derBirthler-Behörde für ihre geleistete Arbeit danken.
Der Dank gilt natürlich auch der Leitung, Frau Birthlerund Herrn Direktor Altendorf. Ich bedanke mich auchfür die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit al-len Fraktionen dieses Hauses und wünsche mir, dass wirdiese in gleicher Weise fortsetzen.Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Piltz, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Sechste Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragtenfür die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe-maligen Deutschen Demokratischen Republik setzt indiesem Jahr einen wichtigen Schwerpunkt: Neben derRückschau auf die seit 2001 geleistete Arbeit wirft erauch einen besonderen Blick auf die aktuelle SituationdSsJnIndswbgwchDWgdbfpuEVwFSBmHskADWs
s darf nicht der Eindruck entstehen, dass jetzt, da dieerstrickungen auch in Westdeutschland besser beurteilterden können, mit zweierlei Maß gemessen wird.
ür die Legitimation als Volksvertreter ist es aus unserericht selbstverständlich, dass sich jeder Abgeordnete desundestages, aber auch jedes Landtages, auf eine Stasi-itarbeit überprüfen lässt.
err Kollege Wiefelspütz, bevor Sie eine Zwischenfragetellen,
ann ich Ihnen sagen, dass es aus meiner Sicht auch einert kollektive Bitte bezüglich der Freiwilligkeit gibt.ie würde ich mir auch bei Ihnen wünschen.
ir als FDP und auch die anderen gehen mit gutem Bei-piel voran.
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Gisela PiltzAn dieser Stelle möchte ich aber auch noch einmaldarauf hinweisen, dass für die FDP der Opferschutz einwichtiges Thema im Rahmen der Aufarbeitung vonDDR-Unrecht war. Dem wurde durch die Behörde bis-her in aller Regel Rechnung getragen. Ich möchte aberauch daran erinnern – jetzt darf ich meine Fraktion zumzweiten Mal loben –, dass erst durch die Mitwirkung derFDP-Bundestagsfraktion in der letzten Legislaturperiodeder Opferschutz ausreichend gewährleistet wurde.
– Ja. Da klatscht nur meine Fraktion. Das haben Sie jetztverpasst, Herr Wiefelspütz. Das kann ich leider auchnicht ändern; es tut mir Leid für Sie.Wenn wir jetzt einen Blick in die Zukunft werfen, sokommen wir nicht umhin, festzustellen, dass auch dieBirthler-Behörde den strukturellen Veränderungen nichtentgehen kann. Beeinflusst durch die engen finanziellenSpielräume, die Modernisierung der Verwaltung und dieAufgabenentwicklung ist es notwendig geworden, überneue Strukturen nachzudenken. Dies ist auch geschehen,insbesondere mit dem Konzept zur Zukunft der Außen-stellen. Dieses Konzept kommt zu dem Ergebnis, dassnicht mehr alle Aufgabenbereiche in jeder Außenstelleabgedeckt werden können. Darauf zu reagieren wird ausunserer Sicht der erste Schritt sein. Erforderlich ist si-cherlich eine bedarfsgerechte Strukturanpassung,
über die wir hier noch im Einzelnen werden beratenmüssen.Weiter möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die vor-vernichteten Akten richten. Auch darüber ist hier schonim Detail gesprochen worden. Es kann unserer Meinungnach nicht sein, dass diejenigen, deren Akten nicht zer-rissen worden sind, zur Rechenschaft gezogen werden,und diejenigen, die das Glück haben, dass ihre Aktenzerrissen wurden, nicht „verfolgt“ werden und sich derStrafverfolgung entziehen können. Das ist aus unsererSicht nicht im Sinne eines demokratischen Rechtsstaa-tes. Deshalb haben wir immer darauf hingewiesen, dassdieses Thema hier weiter aufgearbeitet werden muss.
In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Frist-verlängerung bis zum Ende des Jahres 2007 zu sehen,die jetzt erfolgt ist; denn dieses aufwendige Verfahrenmacht nur Sinn, wenn man als Betroffener auch dieMöglichkeit zur Rehabilitierung bekommt oder Anträgestellen kann. Sonst würde die Fristverlängerung insLeere laufen.
Die Kosten für die Wiederherstellung der Unterlagensollen allerdings erst im Jahr 2005 in den Bundeshaus-halt eingestellt werden. Das ist aus unserer Sicht zu spät.Herr Wiefelspütz, ich nehme Sie da beim Wort: Sie ha-bzIdWwWdB–IfSFElieabwugBsüsandksAs
ch kann mich erinnern: Sie haben versprochen, dassies im Jahr 2004 geschieht. Leider ist das nicht der Fall.ir werden Sie beim Wort nehmen und bei Gelegenheitieder zitieren, vielleicht dann auch länger; auf Ihrenunsch mache ich das gerne.
Zum Abschluss möchte ich mich bei allen Fraktionenieses Hauses für den Konsens bei der Erweiterung deseirates bedanken.
Deshalb bedanke ich mich ja auch.
ch hoffe, dass wir auch in Zukunft bei diesem Themaraktionsübergreifend so gut zusammenarbeiten, ganz iminne der „Koalition der Vernunft“.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marga Elser, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s ist eigentlich schade, dass wir über diesen Stasiunter-agenbericht zu relativ später Stunde diskutieren. Dennch denke schon, dass dieser Bericht in der Bevölkerunginen Wert darstellt. Deshalb hätte darüber meines Er-chtens zu einem besseren Zeitpunkt an diesem Tag de-attiert werden müssen. – So weit, so gut.
Es ist ein gutes Zeichen für unsere Demokratie, dassir heute über den Sechsten Tätigkeitsbericht der Stasi-nterlagenbehörde diskutieren. Dies ist auch deshalbut, weil die Bevölkerung die vormals Gauck- und jetztirthler-Behörde angenommen hat. Es besteht sowohleitens der ehemaligen DDR-Bürger, der Bundesbürgerberhaupt und der Behörden als auch seitens der Wis-enschaft ein großes öffentliches Interesse. Die Auf-rbeitung der zweiten deutschen Diktatur ist noch langeicht abgeschlossen.Mittlerweile 5 Millionen Anträge sind ein Zeichenafür, dass das Stasi-Unterlagen-Gesetz von der Bevöl-erung akzeptiert wird. Das sind 1,6 Kilometer neu er-chlossene Stasiunterlagen, monatlich 8 000 Anträge aufkteneinsicht, Kopienherausgabe und Decknamenent-chlüsselung, 17 000 Überprüfungsersuchen der Luft-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6533
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Marga Elserfahrtbehörden und weit mehr als 10 000 Überprüfungs-ersuchen des öffentlichen Dienstes.Ich danke der Bundesbeauftragten Marianne Birthlerund deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihrenEinsatz. Sie verdienen ein großes Kompliment für diehervorragende Arbeit, die manchmal auch eine Kärrner-arbeit ist. Die Birthler-Behörde ist ein fester und überauswichtiger Bestandteil der Aufarbeitung der DDR-Ge-schichte.Das politische Gedenken an den 50. Jahrestag desVolksaufstandes am 17. Juni 1953 zeigt mir, wie wichtigdie Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes war.Viele Forschungs- und Filmprojekte hätten sonst nur be-dingt oder überhaupt nicht bearbeitet werden können.
Ich bin froh, dass uns nun Bücher, Filme usw. zur Verfü-gung stehen. Ich habe diese zum Beispiel an die Schulenin meinem Wahlkreis weitergegeben. Sie sind auf sehrgroßes Interesse gestoßen.Der Sechste Tätigkeitsbericht widmet sich wieder ei-nem ganz speziellen Thema: den Stasihandlungen inder alten Bundesrepublik, vor allem den so genanntenRosenholz-Dateien. Die Bundesregierung und der Bun-destag haben sich mit Erfolg bemüht: Der US-Geheim-dienst CIA hat diese Stasiunterlagen jetzt an uns zurück-gegeben. Das trägt sicher dazu bei, dass ein ganzbestimmter Arbeits- und Wirkungsbereich der Staats-sicherheit durchleuchtet werden kann: Was hatte dieStasi im Westen Deutschlands zu tun? Wen hat sie ange-worben? Wie sind die Mühlen beschaffen, durch die un-bescholtene Bürger verstrickt wurden? Von daher kön-nen wir die Rosenholz-Dateien für die geschichtlicheAufarbeitung nur begrüßen.Die Birthler-Behörde wird gewiss Jahre brauchen, allerelevanten Informationen zusammenzutragen und einenGesamtzusammenhang herzustellen. Man muss deshalbden Menschen immer wieder klar machen, dass wir mitdieser Aufarbeitung erst am Beginn stehen und sie unterUmständen Geduld haben müssen. Wir müssen doch nurbedenken, dass auch die Aufarbeitung der NS-Zeit heutenoch nicht abgeschlossen ist und vermutlich nie abge-schlossen werden kann. Auch die Rosenholz-Dateienwerden uns bestimmt noch sehr lange beschäftigen.Mit dem Auftauchen dieser Daten erleben wir zurzeiteine etwas aufgeregte Debatte. Das ist vorhin schon dis-kutiert worden. Auch der Deutsche Bundestag hat sichschon mit dieser Frage beschäftigt. Jeder Abgeordnetekann freiwillig überprüfen lassen, ob in seinem Fall et-was vorliegt. Auch ich habe mich überprüfen lassen,weil der Geschäftsführer unserer Fraktion WilhelmSchmidt uns einen Brief geschrieben hat,
in dem er uns darauf hingewiesen hat, dass wir uns über-prüfen lassen können. Das ist freiwillig. Ich bin dafür.
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Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
orothee Mantel, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Denorgelegten Tätigkeitsbericht kann man durchaus alsine Art politische Zwischenbilanz auffassen. Ohne Frauirthler einen Erfolg absprechen zu wollen: Das WortZwischenbilanz“ hört sie selbst vermutlich gar nichterne. Denn meistens vermitteln Zwischenbilanzen dasefühl, ein guter Teil der Arbeit sei schon getan. Dochie selbst kann wahrscheinlich am besten erkennen, wel-he Arbeit noch vor ihr liegt.Meinen Dank für die bisherige Arbeit möchte ich ihrersönlich, ebenso aber allen Mitarbeitern aussprechen.
ch denke, es ist gerechtfertigt, in diesem Zusammen-ang von einer wirklich mühseligen Arbeit zu sprechen,ie sie leistet und noch zu leisten hat. Denn auch was dieekonstruktion der sprichwörtlichen Informations-chnipsel betrifft, liegt die Arbeit noch vor ihr. Das ha-en wir heute schon mehrmals gehört.
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Dorothee MantelEine politische Zwischenbilanz kann gut gezogenwerden. Die Leitfrage meiner Generation ist: Wie gehenwir mit unserer jüngsten Vergangenheit um?Die Konstruktion der ehemaligen Gauck-Behördeund heutigen Birthler-Behörde hat sich zu einem deut-schen Exportschlager entwickelt. Nicht nur die morali-sche Pflicht, in die Deutschland sich begeben hat, ist in-ternational vorbildlich; auch die organisatorischeKonstruktion der Behörde ist beispielhaft. Die Arbeitfindet international Anerkennung.
– Ihr Lob, Herr Wiefelspütz, tut gut.
Auf eine organisatorische Entwicklung möchte ich indiesem Zusammenhang näher eingehen: die Zukunftder Außenstellen.Die Struktur der Behörde und damit die Zahl der Au-ßenstellen ist, wie Sie wissen, in der historischen Struk-tur des Aufbaus des Ministeriums für Staatssicherheitbegründet. Die Außenstellen machen heute die Arbeitder Behörde sichtbar und auch erlebbar. Sie sind sozusa-gen der Kontakt und die Öffnung zur Bevölkerung. Wiedem Bericht der Arbeitsgruppe „Zukunft der Außenstel-len“ zu entnehmen ist, wurden die Vorschläge für einekünftige Struktur sehr sorgsam vorbereitet. Man kanndurchaus sagen, dass an die Vorbereitung dieser Ent-scheidung mustergültig herangegangen wurde.
Auch die Rolle von Frau Birthler, die mit sehr viel Sensi-bilität vorgeht, möchte ich hier nochmals lobend hervor-heben.
Für einen speziellen Bereich der Arbeit sind die Au-ßenstellen von großer Bedeutung, nämlich für die politi-sche Bildung. Mir ist an der Arbeit der Birthler-Behördesehr wichtig, dass die politische Bildung zum Anspruchund zum Selbstverständnis gehört. Es zeigt sich, dass dieAnstrengungen in diesem Bereich schon Früchte tragen.Erfreulich ist auch die Tatsache, dass zwei Drittel derBesucher des Dokumentationszentrums in Rostock Ju-gendliche waren. Auf die politische Bildung gerade fürJugendliche und die Kooperation mit Schulen muss auchkünftig großer Wert gelegt werden;
denn auch das Wissen um die jüngste deutsche Ge-schichte gehört zur staatsbürgerlichen Bildung.Meine Damen und Herren, wichtig ist mir, dass dieBundesbeauftragte, Frau Birthler, erkennt, welche wich-tige Stellung ihre Behörde in der politischen Bildungschon mittelfristig einnehmen kann und auch einnehmenmuss. Die Birthler-Behörde kann einen wichtigen Be-reich der politischen Bildung ausfüllen. Der Kontakt mitSnggnaEwOgDDsgadfAgdand–pdÜsülfWA–bw
aher sollte es in ganz Deutschland Vorbilder geben, dieich überprüfen lassen.Ich möchte damit nochmals auf unsere Rolle als Ab-eordnete zu sprechen kommen. Vielleicht hat es einendere Wirkung, wenn eine der jüngsten Abgeordnetenazu etwas sagt. Vielleicht muss die Forderung, sichreiwillig überprüfen zu lassen, gerade von den jungenbgeordneten ausgehen und vielleicht müssen es aucherade die jungen Abgeordneten sein, die den Finger aufiese Wunde legen. Ich selbst habe auch einen Antraguf eine Überprüfung gestellt. Diesem Antrag wurdeicht entsprochen, da ich zum Zeitpunkt der Auflösunges Staatssicherheitsdienstes noch nicht volljährig war.
Es heißt aber auch, dass man sich über die Eltern über-rüfen lassen kann, da die Kinder in den Unterlagen überie Eltern aufgeführt sind, Herr Kollege.Damit möchte ich sagen, dass ich einen Antrag aufberprüfung gestellt habe, obwohl die Umstände offen-ichtlich waren. Das Zögern mancher Kollegen, sichberprüfen zu lassen, ist aus meiner Sicht unverständ-ich.
Eines vielleicht noch als Antwort auf Ihre Zwischen-rage, die Sie vorhin gestellt haben, Herr Kollegeiefelspütz: Manchmal müssen Leute – das gilt auch fürbgeordnete – zu ihrem Glück gezwungen werden.
Herr Wiefelspütz, wir setzen uns einmal nach der De-atte zu zweit zusammen und dann erkläre ich Ihnen,as ich damit gemeint habe.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6535
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)
Dorothee MantelGerade die jungen Menschen in Deutschland, dieselbst wenig oder nichts vom Ende der DDR bewusstmiterlebt haben, sollten die Politik und auch uns Politi-ker als Vorbild wahrnehmen. Sie sollten wahrnehmen,dass der Umgang mit der Vergangenheit nie ein theoreti-scher bleiben darf, sondern immer auch ein persönlichersein muss. Wie gehen wir mit unserer Vergangenheitum? – Meiner Einschätzung nach sehr verantwortungs-bewusst. Die heute wieder hoch gelobte „Koalition derVernunft“ muss deshalb dafür sorgen, dass wir auchkünftig die politischen Rahmenbedingungen dafür erhal-ten.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1530 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatzpunkt 5
auf:
12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hans-
Joachim Otto , Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP
Errichtung einer Stiftung „Staatsoper Unter
den Linden“
– Drucksache 15/1790 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter
Nooke, Bernd Neumann , Renate
Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hans-
Joachim Otto , Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP
Staatsvertrag für die Hauptstadtkultur
– Drucksache 15/1973 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Peter Gauweiler, CDU/CSU-Fraktion.
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Warum? Vor 24 Stunden waren einige von uns Zeugeiner eindrucksvollen Veranstaltung im Kanzleramt, beier es um die schönen Künste ging.
Sie war in der Tat sehr gut. – Ich bedanke mich für dieinladung. Da das gesprochene Wort gilt, bekenne ich,ass ein Satz von Ihnen bei mir besonders haften geblie-en ist, Frau Ministerin Weiss. Sie sagten nämlich – da-um geht es heute –, Kultur mache glücklich.
iemand weiß so gut wie diejenigen, die sich mit denchönen Künsten gern beschäftigen und sie auch genie-en, dass es ein ganz besonderes Unglück ist, wenn Kul-ureinrichtungen kaputtgehen oder unnötig zugrunde ge-ichtet werden.Wir haben gerade eine interessante Debatte über Hin-erlassenschaften der ehemaligen DDR gehört. Zu ei-em weiteren, nicht immer rühmlichen Kapitel gehörtie Frage des Umgangs mit Kulturgütern – Museen, Or-hestern, örtlichen Theatern – in den Ländern der ehe-aligen DDR. Jeder weiß, wie viel Frust und Ärger hierntstanden ist. So reden wir nun über eine Staatsoper, dieber viele Generationen hinweg als das bedeutendstepernhaus von ganz Deutschland galt und die in unserenagen einer der wichtigsten Kulturorte des wiederverei-igten, europäischen Deutschlands ist: die Staatsopernter den Linden.
Über dieses Thema wird heute nicht nur im Deut-chen Bundestag, sondern wurde heute auch im Berlinerbgeordnetenhaus diskutiert. Sie wissen, dass der Kul-ursenator von Berlin, Herr Flierl, ein ganz bestimmtesonzept ausgearbeitet hat, das offensichtlich mit derundesregierung abgestimmt ist. Über dieses Konzeptat heute im Berliner Abgeordnetenhaus kein Vertreterer CDU oder der FDP, sondern eine Vertreterin derrünen wie folgt geurteilt. Mir liegt hier eine Meldunges „Deutschen Depeschen Dienstes“ von vor wenigentunden vor, in der es heißt:Grünen-Kulturexpertin Alice Ströver kritisierte imBerliner Abgeordnetenhaus heute das Senatskon-zept als Etikettenschwindel.
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6536 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Dr. Peter GauweilerDie Behauptung der Koalition, wonach Berlin aufDauer drei Opern finanzieren könne, sei Augenwi-scherei.
Damit bestätigt diese Politikerin, was vor wenigenTagen in einem Interview des „Tagesspiegels“ mit HerrnHolender, dem langjährigen Direktor der Wiener Staats-oper, zu lesen war. Herr Holender wurde als aktuellerBerater der Berliner Kulturszene gefragt, was hinter denmerkwürdigen Plänen des Senators stecke. Er antwor-tete, dahinter stecke „ein milder Weg zur Vereinigung“.Damit ist gemeint, man wolle sich heute nicht bekennenund nicht offen zugeben, dass man in Berlin keine dreiOpernhäuser halten könne.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werdensich wundern, warum sich hier ein Vertreter aus Mün-chen des Anliegens der Erhaltung der Berliner Opern-landschaft annimmt. Ich glaube, dass diejenigen Rechthaben, die sagen, es sei allem Föderalismus zum Trotzeeine gesamtstaatliche Aufgabe
– ich habe dies immer getan und kann dafür auch Belegenennen –, dass wir alle für Berlin als Kulturhauptstadtdes wiedervereinigten Deutschlands einen Beitrag leis-ten müssen.
Es gibt einen prominenten Bayern, August Everding,der vor zehn Jahren in seiner Rede anlässlich der Protest-veranstaltung des Deutschen Bühnenvereins in Berlinzur Schließung des Schiller-Theaters, das zu IhrerFreude die andere politische Seite zu verantworten hatte,Folgendes erklärt hat:Hier soll ein Zeichen gesetzt werden – ein falsches.Hier soll gespart werden – so nicht. Das hat Schillernicht verdient. Und Berlin auch nicht.Er schließt:Natürlich weiß ich um die Finanznöte in unseremwiedervereinigten Land. Erst recht um die Notwen-digkeit des Sparens, auch in der Kultur, auch imTheater. Ich weiß aber auch, wie wichtig gerade indiesen Zeiten fehlender Orientierung, materiellerNot und mangelnder Perspektiven die Kultur ist: ja,auch als Lebenshilfe.Ich halte es für ein Armutszeugnis, dass wir in unse-rem wiedervereinigten Land, in dem Geld in so vielenFällen unnötig rausgeschmissen wird – jede Politikerinund jeder Politiker in diesem Rund kennt genügend Bei-spiele –, nicht die Kraft haben sollen, ein Opernhaus die-ser Qualität zu unterstützen und seine Sache zu der uns-rigen zu machen.
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at zu Recht erklärt: Hätte sich die Staatsoper währender Teilung Deutschlands in Westberlin befunden,
äbe es keine Debatte darüber, dass der Bund über dietiftung Preußischer Kulturbesitz seine Verantwortungür dieses Haus wahrnimmt.Es ist nicht zu verstehen, warum Italien, Österreichder Frankreich – –
Wenn Sie bei diesem Thema nur Gedanken an Weiß-ürste im Hinterkopf haben, dann müssen Sie nicht mirin schlechtes Zeugnis ausstellen, sondern sich selbst.erzliches Beileid, Herr Kollege! Jeder blamiert sich, sout er kann.
Es ist nicht einzusehen, warum sich andere Länder,ie eine viel schlechtere Finanzausstattung haben, eineigene Staatsoper leisten können, die Wirtschaftsmachtundesrepublik Deutschland in ihrer Mitte aber nicht.Sie haben die Länder angesprochen. Ein Stadtstaatann selbstverständlich keine drei Opernhäuser unterhal-en. Ich frage Sie: Warum ist eigentlich keine Regelunginsichtlich der Staatsoper Unter den Linden in den Wie-ervereinigungsvertrag aufgenommen worden? Zum ei-en sollte damals die Hauptstadtfrage nicht angetasteterden. Das war damals Konsens zwischen allen Seitenieses Hauses; das wissen Sie ganz genau. Zum anderenurde die Frage nach dieser Oper als ganz kleines Detailm riesengroßen Werk, das damals bewältigt werdenusste, von allen politischen Seiten schlicht und ergrei-end übersehen.Auch München oder Hamburg können keine dreipern unterhalten. Die Alternative lautet deswegen, dassntweder die Oper geschlossen werden muss oder dassir bereit sind, dieses Anliegen auf unsere Fahnen zuchreiben.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6537
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Dr. Peter Gauweiler
Die Übernahme der Staatsoper durch den Bund wäre einZeichen dafür gewesen, dass wir nicht irgendwelche ju-ristischen Konstruktionen schaffen und die Kulturpolitiktotal verrechtlichen wollen, sondern dass wir sichtbarmachen, dass es uns ernst damit ist.
Herr Kollege Gauweiler, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Vollmer?
Wenn das nicht von meiner Zeit abgeht, ja.
Ich möchte Ihnen folgende Frage stellen: Warum sa-
gen Sie nicht offen, dass die Übernahme der Staatsoper
durch den Bund im Gegenzug bedeuten würde, die
Deutsche Oper in Westberlin zu schließen?
Ich sage offen, dass genau das nicht das Ergebniswäre. Das Gegenteil ist richtig. Sie versuchen mit dieserKonzeption – übrigens im Widerspruch zu Ihren Partei-freunden im Berliner Abgeordnetenhaus – zu verdecken,dass das Konzept des rot-roten Senats in Berlin daraufhinausläuft, eine große Opernfusion durchzuführen.
Sie brauchen sich ja nur diesen GmbH-Salat anzu-schauen, den Herr Flierl angerichtet hat. Es ist immerverhängnisvoll, wenn Staatssozialisten einen auf markt-wirtschaftlich machen.
– Das ist nicht die alte Kampflinie.
Es wurde heute erklärt, dass das Berliner Konglome-rat ab dem 1. Januar 2004 seine Tätigkeit aufnehmenkönnte. Ich biete allen Anwesenden eine hohe Wette umeine Einladung in die Staatsoper und danach zumAbendessen an
– Herr Kollege, Sie bekommen eine Weißwurst von mirpersönlich überreicht –, dass bis zum 1. Januar 2004keine einzige der GmbHs, die dann ihre Tätigkeit auf-neGMaztntoeutDddVtHHHvEngsteamitWstSoeSßcAa
ine Verwaltungsvereinbarung mit dem Berliner Senatnterzeichnen will. Ich möchte Sie hier in aller Form bit-en, davon Abstand zu nehmen.
ie Verwaltung kann eine Verwaltungsvereinbarung nurann unterzeichnen, wenn sie dazu befugt ist. Wirdurch eine Verwaltungsvereinbarung eine grundsätzlicheorfestlegung über die Verwendung von Haushaltsmit-eln getroffen, so steht dies grundsätzlich unter demaushaltsvorbehalt. Wir befinden uns mitten in denaushaltsberatungen des Deutschen Bundestages. Dieaushaltsgesetze werden frühestens Anfang Dezembererabschiedet sein.
s ist absolut unzulässig, dass die Verwaltung in denächsten Tagen, mitten während der Haushaltsberatun-en, im Wege der Vorfestlegung eine Vereinbarungchließt, durch die die Beratungen des Parlaments letz-en Endes überflüssig gemacht werden sollen, um hierine Art der politischen Vorwegbindung zu erreichen.Ist es wirklich wahr – das müssen Sie ja besser wissenls wir –, dass diese Verwaltungsvereinbarung nicht ein-al einen Parlamentsvorbehalt enthält? Wenn das sost: Finden Sie als Parlamentarier, die Sie das Befürwor-en und das Ablehnen unseres Antrags, also das Für undider, abwägen – wobei die Reihen bei Ihnen, wie Sieelbst wissen, nicht so dicht sind, wie Sie immer behaup-en –, das wirklich richtig?Frau Weiss, Sie sprechen jetzt gleich zu uns. Ich bitteie, die Gelegenheit zu nutzen, uns erstens zu erklären,b in den vorliegenden Entwurf ein Parlamentsvorbehaltingefügt wurde und uns zweitens zu versichern, dassie die Bundesrepublik Deutschland ohne eine abschlie-ende Behandlung in diesem Hause nicht in entspre-hender Weise festlegen werden.
lles andere wäre nicht nur politisch schädlich, sondernuch rechtswidrig. Das sollten Sie nicht tun.
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6538 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Das Wort hat die Staatsministerin Dr. Christina Weiss.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ichdas erste Mal von diesem Antrag hörte, über den wirheute befinden, glaubte ich, irgendjemand hätte die Zeitzurückgedreht.
Die Debatte über die Staatsoper und die herausragendenKultureinrichtungen der DDR gehört doch ins letzteJahrhundert, in eine Zeit, die mehr als zehn Jahre zu-rückliegt. Der damalige Bundeskanzler Kohl hatte dieFrage übrigens längst beantwortet: Er konnte sich wederfür die Berliner Kultur noch für eine Bundesoper erwär-men. Über die 28 Millionen DM, die er für die BerlinerKultur zu erübrigen gedachte, wollen wir vornehmschweigen; denn inzwischen finanzieren wir die BerlinerKultur mit jährlich 407 Millionen Euro.
Viele Reförmchen und viele gescheiterte Reformenspäter sind wir nunmehr dabei, der Berliner Opernland-schaft endlich zu einem tragfähigen Fundament zu ver-helfen. Bitte rufen Sie sich in Erinnerung: Als wir imletzten Jahr diese Debatte begonnen haben, war dieBedrohung der Deutschen Oper in der Tat groß. Eswar meine Aufgabe als Staatsministerin für Kultur, dieHauptstadt unseres Landes vor einer solchen Peinlich-keit zu bewahren.Man hat ein wenig den Eindruck, dass Sie die ganzeDiskussion dieses Jahres verpasst haben und dass Siesich nun vor den Karren von Einzelinteressen spannenlassen,
um im letzten Moment durcheinander zu bringen, waslängst auf einem guten Wege ist.
Uns geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Ich will es nocheinmal sagen: Der Bund beteiligt sich an der Opernre-form indirekt, indem wir dem Land Berlin durch dieÜbernahme der Akademie der Künste, der Stiftung Ki-nemathek und des Hamburger Bahnhofs den Spielraumzur Reform geben.
Mit dem Geld, das im Berliner Kulturhaushalt verbleibt,geben wir die Chance zu einer Reform.Ich will gerne wiederholen, was gegen die Über-nahme der Staatsoper spricht. Die drei OpernhäuserbSDdDwmvbaZleidSuDu4lIttEecdtitesnbka
er Kauf eines nicht reformierten Opernhauses würdeie Probleme nur verschieben. Die Frage, was mit dereutschen Oper und der Komischen Oper passiert,ürde damit nicht beantwortet und die Bundesregierungüsste als Erstes eine Theaterreform angehen.Wichtiger – von der Opposition vielleicht absichtsvollerschwiegen – ist die Frage nach den Kosten. Derzeiteteiligt sich der Bund mit 22 Millionen Euro zusätzlichn der Berliner Kultur.
um Vergleich: Die Staatsoper benötigt jährlich 45 Mil-ionen Euro. Hinzu kommen Sanierungskosten.
Die Opposition verlangt, in diesen schwierigen Zeitenin Mehrfaches auszugeben. Dass das nicht möglich ist,st nicht nur für diejenigen leicht zu erkennen, die sich mitem Haushalt befassen. Der Vorschlag der Union, für dietaatsoper eine andere Institution zu opfern, ist fahrlässignd unausgegoren. Stellen Sie sich das bitte einmal vor!as würde bedeuten, dass wir die Berlinale abschaffennd den Etat des Jüdischen Museums kürzen würden.
5 Millionen Euro aus unserer Kulturförderung für Ber-in herauszuschneiden ist nur durch Opferung mehrerernstitutionen denkbar.
Ich darf noch etwas zu dem Thema sagen: „Eine Kul-urnation leistet sich eine Oper.“ Deutschland als Kul-urnation leistet sich etwa 80 Opern.
s gibt in Deutschland nicht nur eine Staatsoper, sonderns gibt auch welche in Hamburg, Hannover und Mün-hen. Die Frage sollte erlaubt sein: Sind diese Häuserer Staatsoper Unter den Linden nicht mehr als ebenbür-g? Wird nicht auch hier ein provokantes, häufig gelob-s Musiktheater geboten? Ich weiß, dass München eineehr gute Oper hat. Mich wundert eher, dass Sie von unsicht fordern, diese Oper zu übernehmen, weil es dieeste in Deutschland ist.Soll der Bund alle Staatsopern sammeln? Darüberönnen wir vielleicht verhandeln. Aber dann müssen wiruch über die Kulturhoheit der Länder verhandeln.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6539
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Staatsministerin Dr. Christina Weiss– Ich wäre nicht unglücklich, wenn sich die Föderalis-muskommission vernünftig mit dem Thema der Kultur-hoheit befassen würde.
Der neue Hauptstadtkulturvertrag ist mit der Tintedes Realismus geschrieben.
Wir haben uns für praktikable Lösungen, nicht für dasteuerste aller denkbaren Modelle entschieden.
Die drei Berliner Opernhäuser werden unter dem Dachder Stiftung selbstständige GmbHs. Sie sind künstlerischund wirtschaftlich autonom. Sie erhalten Planungssi-cherheit und können Rücklagen bilden, um sich damitfür die Zukunft abzusichern.Die Opernstiftung steht am Ende einer leidigen De-batte. Sie ist das Ergebnis der Vernunft und ein Beispielfür modernes Theatermanagement. Wir wollen die Berli-ner Reform auch deshalb transparent und exemplarischmachen, damit sie als Vorbild für andere Kulturinstitu-tionen gilt.Herr Gauweiler, ich habe erlebt, dass Sparen für Kul-turinstitutionen nur dann möglich ist, wenn sie einefunktionsfähige Struktur haben. Es ist nicht möglich,wenn sie als Riesenabteilungen von Behörden betriebenwerden.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Gauweiler?
Dr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Frau Ministerin, könnten Sie bitte noch auf die Frage
eingehen, ob in der Verwaltungsvereinbarung mit dem
Land Berlin, die Sie für die nächsten Tage angekündigt
haben, von Ihnen ein Parlamentsvorbehalt vorgesehen ist
oder nicht?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Gauweiler, weil Sie mir
jetzt die Brücke von dem einen Thema zum dem anderen
gebaut haben. Wir haben einen Hauptstadtkulturvertrag
unterschriftsreif vorliegen. Er ist paraphiert und, wenn
Sie so wollen, unterschrieben mit dem Vorbehalt, dass
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ir brauchen keine Zementierung in Form eines Staats-
ertrages; wir brauchen ein flexibles Instrument.
Wir haben einen Vorbehalt im Vertrag formuliert und
ir haben im Haushaltsausschuss zugesagt, dass wir mit
en Berichterstattern über jede Veränderung bei der
msetzung des Stiftungsentwurfs verhandeln.
Abg. Günter Nooke [CDU/CSU] und Abg.
Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP] melden
sich zu einer Zwischenfrage – Monika
Griefahn [SPD]: Wir machen keine Podiums-
diskussion! – Gegenruf des Abg. Günter
Nooke [CDU/CSU]: Wir führen eine kulturelle
Debatte!)
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen gesagt,
ass wir keine zementierte Form brauchen. Es gibt in
olchen Fällen nie Staatsverträge. Es gibt Vertragsab-
chlüsse, die flexibel genug sind, um reagieren zu kön-
en, wenn sich die Situation ändert.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Otto, FDP-raktion.
Herr Kollege Otto, ich habe die Zwischenfrage deshalbicht zugelassen, weil die Redezeit weit überschrittenar und Sie der nächste Redner sind. Ich bitte Sie, jetztns Rednerpult zu kommen und Ihre Rede zu halten.
Dasselbe gilt für Herrn Nooke. Die Redezeit der Frauinisterin war überschritten.
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6540 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-
ehrte Frau Staatsministerin Weiss, ich will Ihre letzten
Worte aufgreifen. Wir brauchen keine zementierte Rege-
lung, wir brauchen eine flexible Regelung. Die Frage,
die ich Ihnen gerne stellen wollte und leider nicht stellen
durfte, lautet: Wenn Sie denn wirklich eine flexible Re-
gelung wollen, weshalb machen Sie überhaupt eine Ver-
waltungsvereinbarung? Weshalb machen Sie vor allem
eine Verwaltungsvereinbarung, die gar nicht mehr künd-
bar ist und die laut § 8 dieses Vertrages die Beziehungen
zwischen dem Bund und dem Land Berlin abschließend
regelt?
Ich will es Ihnen in aller Klarheit sagen: Wir wollen
eine flexible Regelung. Wenn Sie aber jetzt eine Verwal-
tungsvereinbarung vorsehen, die nicht mehr kündbar ist
und durch die viele Hundert Millionen Euro pro Jahr
zwischen dem Bund und dem Land Berlin hin- und her-
geschoben werden, dann bedeutet das eine klare Brüs-
kierung dieses Parlamentes.
Das will ich Ihnen sagen, damit Sie wissen, woran Sie
sind. Sie werden von uns Widerstand und harte Kritik er-
fahren, wenn Sie diesen Vertrag abschließen, weil Sie
dem Parlament seine Rechte nehmen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
sind auch Bundestagsabgeordnete. Wie darf ich es ver-
stehen, dass eine zentrale Frage der Hauptstadtkultur un-
ter Ausschluss der Beteiligung des Bundestages geregelt
wird? Das ist nicht akzeptabel; das ist nicht gut.
– Lieber Herr Schmidt, Sie sollten einmal darüber nach-
denken, ob es in Ordnung ist, dass ein Bundestagsabge-
ordneter sich selbst die Möglichkeit der Regelung
nimmt.
Wenn dieser Antrag heute abgelehnt wird, bedeutet das
eine Brüskierung des Parlaments.
Die Kürze der Redezeit erlaubt mir nur noch, kurz
und stichwortartig darauf einzugehen, warum wir für die
von uns vorgeschlagene Lösung einer eigenständigen
Stiftung sind. Viele Argumente sind bereits genannt
worden. Ich möchte noch kurz zwei Gründe hinzufügen:
Erstens. Dass dem Stiftungsrat der Stiftung, die Sie
neu einrichten wollen, nicht etwa nur der Kultursenator,
sondern auch der Finanzsenator angehören soll, wirft ein
Schlaglicht auf die Sache. Nachtigall, ick hör dir trap-
sen! Was passieren wird, wenn der Finanzsenator in den
Stiftungsrat aufgenommen und das gesamte Stiftungsge-
setz unter Haushaltsvorbehalt gestellt wird, wissen wir
bereits. Das wäre ein schwerer Eingriff in die Unabhän-
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ie Beteiligten sprechen sich also für die Bundeslösung
us. Nennen Sie mir doch einmal jemanden, der Ihre Lö-
ung befürwortet! Das ist weder bei der Komischen Oper
och bei der Deutschen Oper und schon gar nicht bei der
taatsoper der Fall.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
ahnen immer, auf die Betroffenen und Beteiligten zu
ören. Hier äußern sich die Beteiligten! Sie sprechen
ich für eine andere Lösung aus.
Stellen Sie mir eine Zwischenfrage; dann beantworte
ch sie. Denn meine Redezeit ist um.
Sehen Sie, so gehen Sie vor. Sie schneiden mir in ei-
er Kulturdebatte die Frage ab. Sie erlauben mir keine
rage an die Staatsministerin und Sie erlauben mir nicht,
hnen zu antworten.
ch bin ziemlich empört darüber, wie Sie vorgehen. Wir
ühren eine Kulturdebatte, aber Sie lassen es drei Minu-
en lang nicht zu, dass ich eine Frage stellen kann, und
ie erlauben mir nicht, auf Ihre Frage zu antworten. Ich
uss Ihnen offen und in aller Klarheit sagen, dass ich
as nicht in Ordnung finde.
Herr Kollege Otto, Sie haben bereits vier Minuten ge-edet und damit praktisch die für eine Frage zur Verfü-ung stehende Zeit gehabt.
Die Redezeit des Kollegen Otto ist bereits seit einerinute abgelaufen. Ich lasse keine weitere Zwischen-rage zu.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6541
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Wenn Sie das für überzeugend halten, dann machen
Sie so weiter. Angesichts dessen, was sich hier abspielt,
müssen Sie sich wirklich ein Armutszeugnis ausstellen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Antje Vollmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Passen Sie auf, Herr Nooke! Kritik an der Präsidentin
ist nicht erlaubt. Ich meine damit nicht mich, sondern
Frau Kastner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die vorliegenden Anträge scheinen mir ein bisschen der
Parole „Lass verspätet tausend Blumen blühen“ zu fol-
gen. Denn die beiden vorliegenden Anträge kommen zu
spät. Ich muss mich schon wundern. Wenn Ihnen die
Staatsoper Unter den Linden so wichtig gewesen wäre
– mir ist sie sehr wichtig –, dann bräuchte ich Sie nicht
daran zu erinnern, dass bereits seit mehr als fünf Jahren
intensiv darüber diskutiert wird.
Sie geben an dem Tag eine Presseerklärung ab, an
dem die gesamte Rettung der Opernlandschaft im Haus-
halt verankert worden ist.
Jetzt, nachdem alles geregelt ist, bringen Sie Ihren An-
trag in den Bundestag ein. Schon das spricht nicht be-
sonders für Seriosität.
Frau Kollegin Vollmer, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Nooke?
Aber klar, Herr Kollege Nooke.
Liebe Kollegin Vollmer, stimmen Sie mit mir darin
überein, dass wir zurzeit bei den Haushaltsberatungen
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as Ganze ist schon sehr komisch. Ich bleibe dabei, dassie Ihr Modell erst sehr spät vorgelegt haben.
Darf ich jetzt weiterreden?
Erstens haben Sie, wie gesagt, Ihr Modell sehr spätorgelegt. Zweitens scheint es mir das Ergebnis eineserzweifelten Lobbyismus zu sein. Herr Otto, Sie habenesagt, die Beteiligten sprächen sich für das in dem ge-einsamen Antrag von CDU/CSU und FDP vorgeschla-ene Modell aus. Wenn ich das richtig sehe, hat sich nurin beteiligtes Haus, in dem der Widerstand besondersroß ist, dafür ausgesprochen. Das ist normaler Lobbyis-us, normale Interessenvertretung, stellt aber keines-egs die breite Front der Betroffenen dar.
Alle Vertreter, die an den langen Gesprächen teilge-ommen haben, übrigens auch die der Staatsoper Unteren Linden, die während der Verhandlungen sehr unter-chiedliche Signale ausgesendet haben. Darauf mussuch hingewiesen werden.
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6542 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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)
Dr. Antje VollmerDrittens. Ich finde, dass Sie bei der FormulierungIhres Vorschlags außerordentlich reformfaul waren.
Da wir alle im Moment über die beste Reform streiten,frage ich: Wo ist denn Ihr Reformvorschlag? Sie habenlediglich den Finanzierungsvorschlag gemacht, dieStaatsoper Unter den Linden in die Zuständigkeit desBundes zu geben. Aber von Reformen ist in Ihrem An-trag nichts zu lesen. Ich weiß auch nicht, was es mit ei-ner Reform zu tun hat, ein Haus in einen sicheren Hafenzu bringen.
Frau Kollegin Vollmer, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Otto?
Ja, gerne.
Ich bin ganz beglückt, dass ich jetzt eine Zwischen-
frage stellen darf. – Verehrte Frau Kollegin Dr. Vollmer,
sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass justament heute
im Berliner Abgeordnetenhaus – dort gehört das auch
hin – der Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Büh-
nen von der FDP-Fraktion vorgelegt worden ist? Wis-
sen Sie davon? Sie haben ja behauptet, dass wir reform-
faul seien.
Ich muss leider zugeben, dass ich nicht wusste, dass
Sie einen Reformvorschlag gemacht haben. Das finde
ich schön. Er kommt trotzdem sehr spät. Wenn Sie ihn
mir zuschicken, werde ich ihn mir gerne anschauen.
Zu dem Vorschlag einer Berliner Oper in Bundeszu-
ständigkeit möchte ich anmerken – das ist ein sehr schö-
nes Beispiel –, dass der Bund bislang nur an der Oper in
Bayreuth beteiligt ist. Ich frage Sie ernsthaft: Möchten
Sie angesichts der Erfahrungen, die wir bei der Beset-
zung des Intendantenpostens in Bayreuth gesammelt ha-
ben, und der Reformfähigkeit der Oper in Bayreuth – ich
liebe dieses Haus genauso sehr wie Sie, Herr
Gauweiler –, dass der Bund auch noch für die Berufung
eines Intendanten an einer Berliner Oper zuständig ist?
Ich glaube, diese Mühe sollten wir uns von ganzem Her-
zen ersparen. Vor diesem Hintergrund finde ich, dass Ihr
Vorschlag ein bisschen lebensfern ist.
Ihre Vorstellung, dass sich der Bund zum Promoter ei-
nes Hauses machen soll, sollte aber auch Anlass geben,
gründlich darüber nachzudenken, ob der Lobbyismus
für ein einzelnes Haus – das kommt auch in anderen Be-
reichen, zum Beispiel in der Theaterszene, immer wieder
vor – unserer heutigen Kulturlandschaft angemessen ist.
Wir brauchen nicht mehr das Recht des Stärkeren oder
– im Kulturbereich – das Recht des Genies, sich auf
Kosten anderer durchzusetzen. Wir brauchen vielmehr
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Die Frau Staatsministerin hat schon darauf hingewie-
en, dass wir uns in einer ganz besonderen Situation be-
inden. Unser Land leistet sich nicht nur eine Oper, son-
ern 80 Opern. Und das eigentliche Signal für die
ulturlandschaft in Deutschland besteht darin, dass es
ie Hauptstadt schafft, sich unter diesem finanziellen
ruck drei Opern zu leisten, indem sie sie dazu bringt,
emeinsam eine erfolgreiche Reform durchzuführen.
Von der Schließung einer Oper – genau das wäre da-
ei herausgekommen, wenn der Bund eine Oper über-
ommen hätte – wäre das Signal ausgegangen: So kön-
en auch andere Städte vorgehen. Genau dieses Signal
ollten wir nicht geben. Wir wollten vielmehr ein Si-
nal der Solidarität geben: Alle sollten gemeinsam äu-
erste Anstrengungen unternehmen, um ihr Haus für die
euen Zeiten fit zu machen.
Im Übrigen ist das für Berlin außerordentlich wichtig.
lle wissen, dass Berlin auf lange Zeit kein Industrie-
tandort mehr sein wird. In den drei Opern gibt es min-
estens 3 000 Arbeitsplätze. Darüber hinaus gibt es im
mfeld dieser Häuser jede Menge Arbeitsplätze im
ienstleistungsbereich. Abgesehen davon muss man
inmal sehen, was es für die Zukunft Berlins bedeutet,
enn man Kultur nicht nur als einen kulturellen, sondern
uch als einen wirtschaftlichen, einen sozialen und übri-
ens auch als einen psychologischen Faktor für diese
tadt versteht.
Ich bin außerordentlich froh, dass wir diese Anstren-
ungen vollbracht haben. Ich bin froh, dass wir diese
erwaltungsvereinbarung in vielen Gesprächen mit den
eteiligten – man weiß, dass das mit Künstlern nie so
esonders einfach ist – zustande gebracht haben. Ich
ann nur alle auffordern, sich diesem Experiment nicht
u verschließen. Ich sage ausdrücklich: Ich bitte auch die
taatsoper, sich an diesem Experiment zu beteiligen. Ich
itte den Kultursenator, sobald wie möglich dafür zu sor-
en, dass die Deutsche Oper endlich einen Intendanten
ekommt, damit sie wieder mitreden kann.
Danke.
Ich gebe dem Kollegen Gauweiler das Wort zu einer
urzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich bin sowohl Fraueiss als auch Frau Vollmer eine kurze Entgegnungchuldig. Frau Vollmer, ich kann zum einen nicht verste-en, warum Sie hier das Beispiel Bayreuth so ironisie-en. Im Gegensatz zu Ihnen halte ich sowohl die finanzi-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003 6543
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Dr. Peter Gauweilerelle Struktur als auch die Art und Weise der Aufteilungder Verantwortung, in Bayreuth für sehr gelungen.
Ich denke, dass es all diejenigen im Haus, die mit Bun-deskultur beschäftigt sind, für sinnvoll halten, Bayreuthals Beispiel zu verstehen und nicht – nach dem Motto„Koste es, was es wolle“ – die Durchsetzung eines ande-ren Konzepts, von dem alle Beteiligten nicht überzeugtsind – dazu haben Sie nichts gesagt –, übers Knie zu bre-chen.
Frau Ministerin Weiss, ich stelle fest, dass Sie wederauf meine Frage noch auf die Fragen aus der Mitte desParlaments noch auf die Anmerkung des Kollegen Ottoeingegangen sind. Wir haben Ihnen – jenseits des Fürund Wider dieser Anträge – vorgehalten, eine Verwal-tungsvereinbarung ohne Parlamentsvorbehalt durchIhre Beamten treffen lassen zu wollen.Ich habe Sie ausdrücklich danach gefragt, ob in dieserVerantwortungsvereinbarung ein solcher Parlamentsvor-behalt enthalten ist. Sie haben dazu nur gesagt, dass es ei-nen Vorbehalt zugunsten des Abgeordnetenhauses vonBerlin bzw. des Berliner Senats gebe, dass es aber, ob-wohl der Bundestag seine Haushaltsberatungen nochnicht abgeschlossen hat, in dieser Verwaltungsvereinba-rung, mit der Haushaltsangelegenheiten der nächstenJahre geregelt würden, keinen Parlamentsvorbehalt gebe.In § 8 der Verwaltungsvereinbarung, die Sie treffenwollen, heißt es ausdrücklich, dass damit eine abschlie-ßende Regelung seitens des Bundes getroffen sei. Ichbitte Sie, in diesem Hause zu erklären, ob Sie bereit sind,diesen Punkt dieser Vereinbarung zu ändern und demParlament das Recht durch Parlamentsvorbehalt zu be-lassen. Andernfalls schließen Sie sehenden Auges einenrechtswidrigen Vertrag.
Herr Kollege Gauweiler, ich mache Sie darauf auf-
merksam, dass eine Kurzintervention nur gestattet ist,
wenn man auf die vorherige Rednerin oder den vorheri-
gen Redner eingeht. Sie aber haben auf die davor gehal-
tene Rede der Ministerin Bezug genommen. Das ist bei
einer Kurzintervention eigentlich nicht zulässig.
Bitte schön, Frau Kollegin Vollmer.
Herr Kollege Gauweiler, wenn Sie genau zugehört
hätten, dann hätten Sie sowohl den Respekt, den ich in
meiner Rede für die musikalische Leistung des Bay-
reuther Festspielhauses zum Ausdruck gebracht habe,
als auch die nachdenkliche Frage vernehmen können, ob
wir Bundespolitiker uns wirklich zumuten wollen, zum
Beispiel über Fragen wie die nach der Intendanz einer
Oper zu diskutieren. Derartige Fragen sollte man nicht
im Parteiengezänk behandeln.
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: Die ist im Gegensatz
ch wüsste bis heute nicht, was sie denkt, wenn nichtlötzlich etwas passiert wäre, wovon ich doch ein biss-hen überrascht worden bin. Da wird plötzlich wie Kaius der Kiste eine neue Stiftung nur mit der Staatsoperervorgeholt. Die ganze Geschichte wäre eigentlich eineustige Inszenierung; ich sage Ihnen jetzt aber einmalanz ernsthaft: Meine Sorge ist, dass Sie die Staatsoper,ie so wichtig und so gut ist, durch diese parteipoliti-chen Spielereien in Misskredit bringen.
: Was hat das denn mit
Parteipolitik zu tun?)
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Eckhardt Barthel
– Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Nachdem das Ganzeschon in trockenen Tüchern war, sind Sie mit einemneuen Modell gekommen. Ich will Ihnen das auch nocheinmal belegen.
: Das habe ich vor
zwei Jahren auch schon probiert!)Ich fand es bezeichnend, dass der Antrag nicht zuerstim Parlament vorgestellt wurde, sondern – ich bekamplötzlich eine Pressemitteilung – in der Staatsoper selbst,wo ja die Betroffenen sind, die gern alles haben wollen.Übrigens: Auch die Philharmoniker wollten schon malzum Bund. Alle wollen zum Bund. Dafür gibt es guteGründe. Da braucht man sich nur die Lage Berlins anzu-gucken.Sie haben die Diskussion also nicht hier geführt, son-dern in der Staatsoper. Dort saß Herr Genscher. Demnehme ich das übrigens nicht übel. Er ist Vorsitzenderdes Vereins der Freunde und Förderer der DeutschenStaatsoper Berlin. Er ist Oberlobbyist im positiven Sinnefür das Haus. Außerdem saßen dort die beiden Parteivor-sitzenden. Herr Otto und auch Herr Gauweiler saßen da-neben. Ich habe mich gefragt, in welchem Film ich micheigentlich befinde. Ich tue Frau Merkel bestimmt nichtUnrecht, wenn ich sage: Frau Merkel versteht von derOpernstrukturreform so viel wie ich von der Tiefseefor-schung.
Was dort dazu gesagt wurde, wie die ganze Geschichtelaufen soll, ist eigentlich nicht lustig, finde ich, sondernbedenklich für dieses Haus.Ich will Ihnen den Hauptgrund für meine Bedenkennennen. Es hängt alles immer mit dem Geld zusammen.Die Frage war: Wie wollen Sie das bezahlen, wenn esdenn gemacht werden könnte? Die Zahlen sind schongenannt worden. Frau Weiss hat es in diesen Zeiten ge-schafft, zur Unterstützung des Landes Berlin für dieOpernreform 22 Millionen Euro – jetzt muss ich aufpas-sen – zu bekommen. Das ist eine hervorragende Leis-tung für die Kultur in der Hauptstadt.
Jetzt wollen Sie die Staatsoper übernehmen. Dafürmüssten Sie nicht nur 22, sondern 43 Millionen Euro indie Hand nehmen. Die Journalisten haben die Frage ge-stellt, wie das bezahlt werden soll. Die Antworten warenspannend. Frau Merkel sagte: Dann müssen wir uns ein-mal die anderen Institutionen angucken, die der Bund inBerlin finanziert. Jeder stellte sich sofort die Frage: Solldas Jüdische Museum für dieses Modell abgegeben wer-den? Herr Otto hat das wohl gemerkt und gesagt: Nein,wir sind mitten in der Haushaltsberatung. Wir müssensehen, etwas über den Haushalt zu bekommen. Nun ha-ben wir im Kulturausschuss schon zwei Haushaltsdebat-ten geführt, aber bis heute liegt kein Vorschlag der FDPvor, wie das haushaltsmäßig abgedeckt werden kann.
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lrich Eckhardt, der langjährige Chef der Berliner Fest-ochen, nannte die ganze Geschichte „Angelas Knall-onbon“. Ich glaube, damit trifft er es.Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns inolgendem: Sie blicken nur auf die Staatsoper – auch ichöchte sie weiß Gott erhalten und hoffe, sie blüht undedeiht weiter –, wir aber berücksichtigen mit unsereronzeption alle drei Opern in unserer Stadt. Da liegt dernterschied zwischen Ihren beiden Anträgen, die wirier vorliegen haben, und unserem Vorschlag.Auch ich, Herr Gauweiler – da gebe ich Ihnen voll-ommen Recht –, möchte nicht noch ein Theater schlie-en; denn ich habe erlebt, wie das Schiller-Theater ge-chlossen wurde. Ich möchte nicht, dass so etwas wiederassiert.
ch sehe aber keine Chance, die Theater- und Opern-truktur im gesamten Land, nicht nur in Berlin, zu erhal-en, wenn wir nicht mit kräftigen Reformen an die Struk-uren herangehen. Sonst bricht uns das alles weg. Dieeformen, die in einer tollen strategischen Partnerschaftwischen der BKM und dem Berliner Senat auf den Wegebracht wurden, bieten die Chance – nicht mehr! –, un-ere Kulturlandschaft im Theaterbereich zu unterhalten.Eigentlich würde ich Sie jetzt bitten, wenn ich nichtüsste, dass das vergebene Liebesmühe ist: Unterstützenie unsere Vorgehensweise zum Wohle der Kultur in die-em unseren Lande!
vention! – Gegenruf des Abg. WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD): Sie haben dochIhre Redezeit schon verdoppelt!)
Ich erteile dem Kollegen Otto das Wort zu einer Kurz-
ntervention.
: Das darf
doch nicht wahr sein!)
Lieber Kollege Barthel, Sie haben mir eben vorge-orfen, dass das, was wir hier beantragen, unseriös sei.
: Jawohl!)
iesen Vorwurf halte ich für massiv, deswegen ergreifech hier auch das Wort.
schlag gemacht, Herr Otto!)
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Hans-Joachim Otto
Ich möchte zunächst einmal darauf hinweisen, dassdies die erste Debatte über die Berliner Opernstruktur-reform ist; ein Thema, das Sie selbst für wichtig erach-tet haben. Dabei ist der Bund durchaus zuständig fürHauptstadtkultur.Wir von der CDU/CSU und von der FDP haben rea-giert, als wir gemerkt haben, welchen verheerendenGang die Entwicklung nehmen würde, wenn der Vor-schlag des Berliner Senats Realität würde.
Es ist zwar wahr, dass die Debatte schon jahrelang läuft,aber den konkreten Vorschlag zu einem Stiftungsgesetzgibt es erst wenige Monate. Nachdem in der Debatte da-rüber die Schwierigkeiten deutlich wurden und wir ge-merkt haben, dass niemand mit dieser Reform glücklichist,
weil die Verantwortlichkeiten verwischt werden undVerlustausgleiche stattfinden, haben wir die Notwendig-keit gesehen, im Interesse der Berliner Kultur und allerdrei Opern – das füge ich hinzu – verantwortlich tätig zuwerden.Ich verwahre mich gegen den Vorwurf der Unseriosi-tät. Darauf entgegne ich: Wenn Sie diesen Punkt für sowichtig erachten, dann dürfen Sie uns nicht die Möglich-keit nehmen, hier im Bundestag darüber zu diskutieren.Wenn Sie jetzt aber unseren Antrag, der darauf hinaus-läuft, die Kulturbeziehungen zwischen Berlin und demBund im Wege eines Staatsvertrages, also unter Beteili-gung des Parlaments, zu regeln, ablehnen und keineÜberweisung zulassen, dann muss ich Ihnen den Vor-wurf der Unseriosität zurückgeben, denn dann lassen Siees nicht zu, dass über diesen wichtigen Punkt hier imHause weiter debattiert wird. Das halte ich nicht für se-riös.
Herr Kollege Barthel, bitte.
Es wird Sie nicht überraschen, dass ich den Vorwurfder Unseriosität nicht zurücknehme, denn Sie haben dieKritikpunkte, die ich in der kurzen Redezeit, die mir zurVerfügung stand, genannt habe, nicht entkräftet. So las-sen Sie mich noch einmal zu zwei Sachverhalten etwassagen:Das Erste: Der Hauptstadtkulturvertrag – es han-delt sich hierbei ja schon um den zweiten – steht in derKontinuität des ersten. Ich kann mich nicht erinnern,dass irgendjemand von Ihnen, als wir den ersten Vertraggeschlossen haben, jemals etwas Kritisches zu Formoder Inhalt angemerkt hat. Auch während der Laufzeitdieses Vertrages wurde diesbezüglich nichts gesagt.
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Das Dritte: Sie behaupten, es gebe zwischen den In-titutionen eine Querfinanzierung.
: Ja!
Das ist sonnenklar!)ch bitte Sie, sich diesen Vertrag einmal anzuschauenwenn das übrigens Stiftungsgesetz würde, dann würdeas noch deutlicher –: Dieses ist ausgeschlossen.
ie behaupten das, haben aber keinen Beleg dafür.nsofern – Herr Otto, nehmen Sie es mir nicht übel –ehme ich meinen Vorwurf nicht zurück.Meine letzte Bemerkung: Sie haben selbst zugestan-en, dass wir schon über ein Jahr darüber diskutieren.arum müssen Sie, wenn Sie das Thema für so wich-ig halten, mit Ihren Vorschlägen warten, bis wir etwasinbringen? Warum ergreifen Sie nicht selbst die Initia-ive?
: Das
tun wir ja!)m Ende des Prozesses kommen Sie mit einem Papier.
: Das ist
die erste Lesung in Berlin) Wir sprechen seit einem Jahr darüber. Sie hätten selbsttwas in diese Debatte einbringen können. Sie haben esicht gemacht. Sie müssen immer erst angestoßen wer-en und dann benutzen Sie das für die Durchsetzung vonartikularinteressen. Deswegen halte ich das für unse-iös.
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6546 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. November 2003
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 15/1790 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Kultur und Medien und zur Mitbera-
tung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge
Dann ist die Überweisung so b
Zusatzpunkt 5: Wir komm
den Antrag der Fraktionen de
auf Drucksache 15/1973 mit d
die Hauptstadtkultur“. Wer sti
Wer stimmt dagegen? – Entha
mit den Stimmen der Koalitio
Die Redner Jörg Tauss, Dr. Martina Krogmann,
Grietje Bettin und Hans-Joachim Otto haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1988 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
ll. Dann ist die Überwei-
t 14 auf:
von den Abgeordneten
Stetten, Marita Sehn,
iteren Abgeordneten ein-
nes Gesetzes zur Ände-
CDU/CSU und der FDP bei einer Enthaltung aus den
Reihen der Koalition abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg
Tauss, Eckhardt Barthel , Monika
Griefahn, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje
Bettin, Volker Beck , Claudia Roth (Augs-
burg) weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Chancengleichheit in der globalen Informa-
tionsgesellschaft sichern – VN-Weltgipfel zum
Erfolg führen
– Drucksache 15/1988 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
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1)
2)
Berichtig
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Niebel ist wie folgt zu le
nur auf der Baumschule!
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 15/513 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
nderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
st die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 14. November 2003,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.