Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Zunächst gratuliere ich dem Kollegen WalterRiester, der am 27. September seinen 60. Geburtstag be-ging, im Namen des Hauses nachträglich recht herzlich.
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass die KolleginHelga Kühn-Mengel als stellvertretendes Mitglied ausdem Vermittlungsausschuss ausscheidet. Als Nachfol-ger wird der Kollege Klaus Brandner vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann ist der Kollege Brandner als stellvertreten-des Mitglied im Vermittlungsausschuss bestimmt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieverbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunkt-liste aufgeführten Punkte erweitert werden:1 Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUHaltung der Bundesregierung zum Eingeständnis desBundesfinanzministers, dass er 2003 für den Bund mitüber 40 Milliarden Euro die höchsten Schulden in der Ge-schichte der Bundesrepublik aufnehmen wird
a) Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaff-neter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer In-ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Af-ghanistan auf Grundlage der Resolution 1386
vom 20. Dezember 2001, 1413 vom 23. Mai2002, 1444 vom 27. November 2002 und 1510
vom 13. Oktober 2003 des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen– Drucksache 15/1700 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und humaniAusschuss für wirtschaftliche ZusammenarbEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Si-cherheit von technischen Arbeitsmitteln und Verbrau-cherprodukten– Drucksache 15/1620 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheitc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom13. Januar 2003 zwischen der Regierung der Bundes-republik Deutschland und der Regierung der Sonder-verwaltungsregion Hongkong der VolksrepublikChina zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vonSchifffahrtsunternehmen auf dem Gebiet der Steuernvom Einkommen und vom Vermögen– Drucksache 15/1644 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENDen Weg für Investitionen und Innovationen durch denAbbau bürokratischer Hemmnisse freimachen– Drucksache 15/1707 –extÜberweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussSportausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undng für Tourismus für die Angelegenheiten der Europäischen Union für Kultur und Medienusschusstäre Hilfeeit undEntwickluAusschussAusschussAusschussHaushaltsa
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-nes Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abge-ordnetengesetzes– Drucksache 15/1687 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnung
InnenausschussRechtsausschuss5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto
, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDPTransparenz für den Hauptstadtkulturfonds– Drucksache 15/1708 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für TourismusVon der Frist für den Beginn der Beratung soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden.Des Weiteren ist vereinbart worden, den Tagesord-nungspunkt 7 b – es handelt sich um die Beratung desAntrags der CDU/CSU-Fraktion „Klinische Prüfung inDeutschland entbürokratisieren“ – heute als letztenPunkt der Tagesordnung aufzurufen.Die Tagesordnungspunkte 13 – Entschädigungs-rechtsänderungsgesetz –, 17 – ERP-Wirtschaftsplange-setz 2004 – und 25 – Gesetz zur Förderung Schwerbe-hinderter – sollen abgesetzt werden.Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überwei-sung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 63. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-lich dem Ausschuss für Gesundheit und Soziale Siche-rung zur Mitberatung überwiesen werden:Gesetzentwurf der Bundesregierudng zur Moder-
– Drucksache 15/1508 –überwiesen:Rechtsausschuss
InnenausschussFinanzausschussSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN und der FDPEinsetzung einer gemeinsamen Kommissionvon Bundestag und Bundesrat zur Moderni-sierung der bundesstaatlichen Ordnung– Drucksache 15/1685 –Es liegt ein Änderungsantrag der fraktionslosen Ab-geordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor.dtzsBgtHdsIdsWuaEnÜvHßwEbdbstinfoGthumwSs3dBzdBdar
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Es mag für manchen unter uns in diesem Hauseschmerzlich erscheinen, aber mir scheint es unabweisbarzu sein, dass die Verlagerung von nationalstaatlichenKompetenzen nach Brüssel und Straßburg auch dieFrage nach einer binnenstaatlichen Neujustierung derZuständigkeit aufwirft, und zwar aus einem besonderenGrund: Alles, was wir in diesem Zusammenhang tun, hatvon den Interessen der Bürgerinnen und Bürger auszuge-hen. Je weiter die politischen Entscheidungsvorgängevon ihnen wegdelegiert werden, umso unpersönlicherund undurchschaubarer wird die Politik für die Bürger.ardduSwhdsznmxwShtessvle4zbueFAebSScAndsOtemBgnK
Die Aufgabe der Kommission wird es sein müssen,ll die politischen Komplexe in die Verantwortung deregionalen Ebene, das heißt die der Länder, zu geben, dieort entschieden werden können. Es geht um Politikfel-er, in denen regionale Vielfalt einen Gewinn darstelltnd nicht zu einem Verlust an Rechtssicherheit und zuchwierigkeiten mit der gerade aus ostdeutscher Sichteiter wünschenswerten Angleichung von Lebensver-ältnissen führt.
Ich vermute, in dieser abstrakten Form werden mirie meisten in meiner Problembeschreibung folgen. Wiechwer dies im Detail umzusetzen sein wird, will ich anwei kleinen Beispielen illustrieren.Der saarländische Ministerpräsident hat neulich in ei-em Interview zu Recht auf die Überregulierung auf-erksam gemacht, die darin liegt, dass der Bund den Ta-en elfenbeinfarbige Lackierung vorschreibt. Ich habeie er nichts dagegen, wenn Taxen aller Farben durchaarbrücken fahren können.Schwieriger wird es in einem anderen Fall. Geradeat die Kultusministerkonferenz der Länder ihren ers-n Bildungsbericht verabschiedet. Neben anderen Be-orgnis erregenden Befunden stellt der Bericht fest, dassich Deutschland einen weltweit einmaligen Wirrwarron weit mehr als 2 500 Lehrplänen für unsere Schulenistet. Die Lehrplandatenbank weist sogar über400 Eintragungen auf. Die Kommission wird die Frageu beantworten haben, ob wir gemeinsam die Kraft auf-ringen, diesen Wirrwarr im Interesse der Schülerinnennd Schüler wie der Eltern zu beenden. Denn immerhinrwarten wir von den Menschen Flexibilität und mutenamilien auch Ortswechsel zur Arbeitsaufnahme zu.ber das dürfen doch nicht die Kinder in schlecht auf-inander abgestimmten Schulsystemen auszubaden ha-en!
Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass diechwierigkeiten für diese große Aufgabe schon in derache selbst liegen. Sie liegen aber zum anderen in glei-her Weise in der großen Vielfalt der beteiligtenkteure, deren Interessen berührt sind und die im Mei-ungsfindungsprozess der Kommission mit zu entschei-en haben. Wir haben hier den Deutschen Bundestag miteinen vier Fraktionen und einer Regierungs- und einerppositionsseite; wir haben den Bundesrat mit ganz un-rschiedlichen Koalitionen bei den Landesregierungen,it der A- und B-Länder-Koordination. Innerhalb desundesrates gibt es verständlicherweise Interessendiver-enzen zwischen den armen und den reichen, den klei-en und den großen Ländern. Bereits im Prozess derommissionszusammensetzung wurde deutlich, dass
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Präsident Wolfgang Thiersesich auch die Länderparlamente nicht immer durch ihreLandesregierung voll vertreten fühlen.Schließlich haben wir die Interessen unserer Kom-munen zu achten, ohne deren aktive Mitwirkung am de-mokratischen Prozess unsere Demokratie von unten herausgetrocknet würde. Deswegen dürfen wir sie auchfinanziell nicht austrocknen.
Aus dieser Interessenvielfalt ergibt sich zwingendzweierlei: Erstens darf es in der Kommission zu keinerPolarisierung entlang der Parteigrenzen bzw. der beidenaktuell großen „politischen Lager“ kommen. DieseKommission wurde und wird nicht eingerichtet, um be-stimmten politischen Projekten aus der Bredouille derBlockade zwischen Bundestag und Bundesrat zu helfen.Sie dient vielmehr der Entwicklung von Vorschlägenzum besseren Funktionieren unserer parlamentarischenDemokratie im Interesse aller Beteiligten. Wenn ich „al-ler Beteiligten“ sage, dann habe ich dabei vor allem dieBürgerinnen und Bürger im Auge. Sie haben einen An-spruch auf Transparenz in der Demokratie.
Sie müssen erleben und sie müssen wissen können, werfür bestimmte Entscheidungen die Verantwortung trägt,sei es die Mehrheit des Deutschen Bundestages, sei esdie Mehrheit eines Landesparlaments. Ein quasi perma-nent tagender Vermittlungsausschuss zwischen Bundes-tag und Bundesrat verwischt genau diese Transparenzund verunmöglicht es den Bürgern, die Verantwortlich-keiten zu erkennen.
Demokratie aber – darin sind wir doch alle einig –lebt gerade von dieser Transparenz, davon, dass erkenn-bar unterschiedliche Konzepte und Lösungen vorgelegtwerden und wählbar sind und dass der Streit darum öf-fentlich und nicht hinter verschlossenen Türen ausgetra-gen wird.Zweitens. Sobald es in der Kommission zu einer Pola-risierung entlang der Linie Bundestag gegen Bundesratbzw. Länder kommt, werden wir ebenfalls unsere Auf-gabe verfehlen. Hier hilft nur die Einsicht auf beidenSeiten, dass eine klarere Trennung von Aufgaben undZuständigkeiten letztlich allen beteiligten Akteurennützlich sein wird. Diese Warnung heißt allerdings nicht,dass wir nicht hier, im eigenen Hause, bereits bei derKonsenssuche beginnen müssten.Ich glaube, dass wir guten Grund haben, an dieserStelle optimistisch zu sein. Anlass dafür gibt nicht nurder konstruktive und trotz allem zügige Prozess, inner-halb dessen die Struktur dieser heute vorgeschlagenenKommission entwickelt wurde. Ich glaube, dass diesauch für die Möglichkeiten einer Konsensfindung in derSache selbst gilt.Da ich von Ihnen selten öffentliches Lob gewohntbin, will ich umgekehrt mit gutem Beispiel vorangehenulbbKLSgdmDdADbeAbsHnGmnuwsiwliBshRcBisB
ereits im Juni in einem Interview in die Debatte ge-racht hat. Innerhalb einer neuen, klaren Verteilung derompetenzen und Finanzstrukturen zwischen Bund undändern befürwortet Kollege Kauder, dass dies zu einertärkung der Länderkompetenzen bei der Gesetz-ebung führen müsse. Zugleich aber bedeute dies, dasser Bund bei den verbleibenden Kompetenzen wiederumehr eigenständige Entscheidungskraft erhalten müsse.enn, so der Kollege Kauder wörtlich,der Bundesrat hat nach der grundgesetzlichen Ord-nung nicht die Funktion eines ständigen Veto-Or-gans.
Mit einer Erweiterung der Länderrechte wäre des-halb im Gegenzug der Anteil der im Bundesrat zu-stimmungspflichtigen Gesetze deutlich zu senken.Das betrifft auch den Vermittlungsausschuss. DasGrundgesetz hat ihm die Rolle eines Sonderorganszur Kompromisssuche gegeben. Inzwischen aberhat der Vermittlungsausschuss nahezu die Funktioneines Ersatzparlaments bekommen.Diese Beobachtungen und Eckdaten, so meine ich,ürften im Hause breite Zustimmung finden können.ber – wir wissen es – wie immer steckt der Teufel imetail, wird es Streit bei und in jedem Politikbereich ge-en. Doch wenn wir uns mit den anderen Beteiligten aufine solche Linie verständigen können, dann wird dierbeit der Kommission nicht ohne konkrete Ergebnisseleiben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nichtchließen, ohne der Kommission ein mir besonders amerzen liegendes Problem mit auf den Weg zu geben,ämlich das unserer Hauptstadt Berlin. Mit gutenründen wird sich die Kommission sicherlich nichtit einem Neuzuschnitt der Länder befassen. Dieächste Entscheidung darüber haben die Bürgerinnennd Bürger von Berlin und Brandenburg zu fällen. Sieird auch nicht die Entscheidung des Bundesverfas-ungsgerichts in Sachen der Finanzverfassung Berlinsm Verhältnis zum Bund vorwegnehmen können undollen.Aber jenseits der im Rahmen unseres Kulturfödera-smus immer neu auftauchenden Detailfragen einerundeskulturförderung unserer gemeinsamen Haupt-tadt werden auch die Länder darüber mitzubefindenaben, was es heißt, dass Berlin die Hauptstadt dieserepublik geworden ist und wie sich dies dort ausdrü-ken soll und muss, wo nicht die Rolle eines normalesundeslandes, sondern die Hauptstadtfunktion gefragtt. Denn Berlin ist nicht nur eine Angelegenheit dererliner und des Bundes allein, sondern aller Deut-
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Präsident Wolfgang Thierseschen und also aller Länder der BundesrepublikDeutschland.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Präsident des Bundesrates, Pro-fessor Dr. Wolfgang Böhmer.Dr. Wolfgang Böhmer, Präsident des Bundesrates:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich darf auch meinerseits für den Bundesrat mitFreude feststellen, dass über die grundsätzliche Notwen-digkeit der Einsetzung einer Föderalismuskommissionzwischen uns ein breiter, parteiübergreifender Konsensbesteht. Das gilt auch für die allgemeine Zielsetzung, beieiner Reform der bundesstaatlichen Ordnung zu einerklareren Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzenvon Bund und Ländern und zu einer Neuordnung auchder Mischfinanzierungen zu gelangen.Bei den jeweiligen Schwerpunktsetzungen gibt es al-lerdings je nach Interessenlage gravierende Unter-schiede, über die Sie andeutungsweise schon gesprochenhaben und über die wir auch in der Kommission ausführ-lich sprechen werden müssen.Für den Bund hat eine Reduzierung der Bundesrats-mitwirkung durch die Verringerung der Zahl der zustim-mungspflichtigen Gesetze Vorrang. Das ist verständ-lich. Die Länder fordern mehrheitlich mehr eigeneGestaltungsmöglichkeiten bei der Gesetzgebung undeine Zusammenführung von Aufgaben- und Ausgaben-kompetenz durch eine Entflechtung von Gemeinschafts-aufgaben und Mischfinanzierungen. Für die Vertreter derWirtschaft ist das umständliche und langwierige Zusam-menspiel von Bundes- und EU-Ebene sowie den einzel-nen Ländern zumindest aus ihrer Sicht ein Standortnach-teil. Vor dem Hintergrund der Globalisierung und desinternationalen Konkurrenzdrucks fordern sie schnelleEntscheidungen vor Ort. Für die Bürgerinnen und Bür-ger – hier kann ich Ihnen, Herr Präsident Thierse, nur zu-stimmen – muss nachvollziehbar sein, welche Entschei-dungen an welcher Stelle verantwortet werden. Für siesollten Entscheidungen so bürgernah wie möglich ge-troffen werden.Es ist deshalb eine ausgesprochen anspruchsvolleAufgabe für die zu bildende gemeinsame Föderalismus-kommission, die unterschiedlichen Interessenlagen zueinem Gesamtkonzept zusammenzuführen. Angesichtsder gegenwärtigen Rahmenbedingungen – stagnieren-des Wirtschaftswachstum, internationaler Wettbewerbs-druck und hohe Arbeitslosigkeit – sind Reformen fürDeutschland – ich denke, darin können mir alle zustim-men – notwendiger denn je.
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Die Zahl zustimmungsbedürftiger Bundesgesetzeollte verringert werden. Das ist auch die einhellige Mei-ung der Länder. Im Gegenzug könnte den Ländern ein
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Präsident des Bundesrates Dr. Wolfgang BöhmerZugriff auf bundesgesetzliche Organisations- und Ver-fahrensregelungen eingeräumt werden. Die Zustim-mungspflicht muss allerdings nach Ansicht der Länderfür Gesetze gelten und erhalten bleiben, die den Ländernbesondere Belastungen aufbürden, zum Beispiel Kostenfür Verfahren, oder durch die Einfluss auf die jeweiligeInfrastruktur genommen wird.Im Bereich der Mischfinanzierungen sollte die Ei-genständigkeit der Länder gestärkt werden. Die beste-henden Mischfinanzierungstatbestände sind unter die-sem Gesichtspunkt auf der Grundlage der bisherigenBeschlüsse zu überprüfen und möglichst zu vermindern,wir sagen nicht: abzuschaffen.
Die in der gegenwärtigen Finanzverfassung begrün-deten Mischfinanzierungen engen die haushaltspoliti-schen Gestaltungsspielräume der Länder in einem be-trächtlichen Maße ein. In Sachsen-Anhalt zum Beispielwerden allein durch die Bund-Länder-Mischfinanzie-rungskonditionen circa 42 Prozent des Investitionshaus-haltes faktisch festgelegt. Die Entscheidungen über diePrioritäten der Landesinvestitionspolitik werden also inder politischen Wirklichkeit ganz wesentlich auch aufder Bundesebene getroffen. Ein solidarischer Ausgleichvon gesamtstaatlich nicht hinnehmbaren strukturellenUnterschieden muss allerdings auch künftig gewährleis-tet bleiben.
Das ist nicht nur für die neuen Bundesländer wichtig.Deswegen halten wir diese Aussage für mindestensebenso bedeutsam. Ich will auch auf das Gegenteil nochzu sprechen kommen.Bei der Neuordnung der Finanzverflechtung zwi-schen Bund und Ländern geht es mittel- bis langfristigdarum, größere Freiheiten bei der Verfügbarkeit der Mit-tel innerhalb der Gemeinschaftsaufgaben zu erlangen.Für die neuen Länder stehen diese Verhandlungengrundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass die für sie bis-lang eingesetzten Mittel bis zum Jahr 2019 vollständigund dauerhaft als freie Mittel zur Verfügung gestellt wer-den. Durch die Reform darf kein Land finanziellschlechter gestellt werden als bisher; sonst werden wirkeine Zustimmung erlangen können.Auch Fragen der Steuererhebungspraxis sind mit demZiel einer Modernisierung und der Steigerung der Effi-zienz der Steuerverwaltung einer kritischen Überprüfungzu unterziehen. In den Verhandlungen zur bundesstaatli-chen Modernisierung sollten Regelungskompetenzen fürSteuern, deren Ertrag vollständig den Ländern bzw. denKommunen zufließt, im Hinblick auf eine möglicheStärkung der Steuergesetzgebungskompetenzen der Län-der überprüft werden. Eine reale Erfolgschance habendiese Absichten aber vermutlich nur im zeitlichen Zu-sammenhang mit einer grundsätzlichen Steuerreform.Im Rahmen der Reformüberlegungen ist auch dieEuropakompatibilität von Grundgesetz und bundesstaat-licher Ordnung besonders zu berücksichtigen. DieserAspekt ist nicht nur für uns von besonderer Bedeutung.DrrdGKpwneukdsedslbBnkvfrbmsDibLwdgzivdGsssDmdkgskd
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass die heuteu beschließende gemeinsame Föderalismuskommissionm Hinblick auf den Handlungsbedarf Reformvorschlägeorlegen wird, die es ermöglichen, das System der bun-esstaatlichen Ordnung auf eine neue, zukunftsfähigerundlage, und zwar auch im europäischen Kontext, zutellen.Ich glaube, dass die Regelungen des Einsetzungsbe-chlusses eine ausreichende Grundlage dafür sind, diesechwierige Aufgabe erfolgreich in Angriff zu nehmen.ie vorgesehene Beteiligung der Landtage und der kom-unalen Spitzenverbände halten wir für angemessen.Ich möchte Herrn Bundestagspräsidenten Thierse anieser Stelle für die konstruktive Zusammenarbeit dan-en, die es ermöglicht hat, dass offene Punkte kurzfristigeklärt werden konnten und heute der Beschlussvor-chlag in der Ihnen bekannten Form vorgelegt werdenann. Auch der Bundesrat betrachtet die vereinbarte Fö-eralismuskommission als Chance, die wir gemeinsam
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Präsident des Bundesrates Dr. Wolfgang Böhmernutzen sollten. Deshalb erbitten auch wir Ihre Zustim-mung.Vielen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Franz Müntefering, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demokratiehat Bedingungen, inhaltliche und praktische; sie hatWerte und Regeln als Voraussetzung für ihr Gelingen.Bei uns in Deutschland sind diese Werte und dieseRegeln im Grundgesetz niedergeschrieben. Das Grund-gesetz ist in einer Zeit tiefster Schmach Deutschlandsentstanden: nach Nationalsozialismus, nach Verirrungenund Verbrechen, nach Krieg, in einem zerstörten Land.Das Grundgesetz hat sich als eine verlässliche und weit-sichtige Grundlage für diese deutsche Demokratie erwie-sen. Unser Grundgesetz ist ein großer Erfolg in der deut-schen Geschichte. Wir sind und bleiben stolz auf diesesGrundgesetz.
Darin wurden vor gut 54 Jahren in Bonn Maximenformuliert und Sätze geprägt, die Leitlinien für unserePolitik waren und auch heute sind. Zu den Menschen-rechten heißt es in Art. 1:Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zuachten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-lichen Gewalt.Zu Bund und Ländern heißt es in Art. 20:Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokrati-scher und sozialer Bundesstaat.Die Herausforderung, ein demokratischer und sozia-ler Staat sein zu wollen, begleitet uns, die Abgeordnetendes Bundestages, in unseren tagtäglichen politischen Be-mühungen, gerade in dieser Zeit großer Neuerungen, inder es um wichtige Entscheidungen geht.Die Frage, die damit verbunden ist, lautet: Ist die Ord-nung dieses Bundesstaates in vollem Umfang zeitge-mäß? Dieser Frage haben wir uns heute im Bundestag,morgen im Bundesrat und dann in der Kommission, diewir gemeinsam einrichten wollen, zu stellen. Werden dieRegeln, nach denen wir funktionieren und nach denenunsere Demokratie organisiert ist, unserem Anspruch ge-recht, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen zugarantieren sowie ein sozialer und demokratischer Bun-desstaat zu sein? – Das klingt technisch; aber es geht umdie Handlungsfähigkeit der Politik und ganz konkret umdie Praxis der Demokratie.Heute debattieren wir über die Modernisierung derbundesstaatlichen Ordnung. Mit einem Antrag allerFggdzmzBBbDBsgWZdgladshAGdGgmsJBLb1idLdpnrsckmawbgg
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Wir wollen die Rolle des Parlaments stärken. Wir Parla-mentarier wollen die Auseinandersetzung um die bestenIdeen im Parlament öffentlich führen und hier – hier! –über Gesetze entscheiden.Die Entstehungsgeschichte der jüngsten Gesundheits-reform wirkte eher ungewöhnlich, war aber parlaments-näher und eher grundgesetzkonform als viele Entschei-dungsprozesse im Vermittlungsausschuss. Die Debatte,die dazu in der politischen Öffentlichkeit geführt wordenist, war schon verwunderlich.Die Zeit, die eine Demokratie für Entscheidungenbraucht, ist eine andere wichtige Größe. Sorgfältige Ar-beit erfordert ihre Zeit. Die Frage ist aber, ob es einge-fahrene oder auch eingerostete Mechanismen gibt, diedazu führen, dass die Dinge immer wieder verschlepptwerden. Wenn wir als Nation erfolgreich sein wollen,dBrFsDznwt8MdhwVFdubwfsvEulhuvduBswwkwkdSsleEsarfL
enn sie sich nicht in Zuständigkeitsfragen und stark un-erschiedlichen Geschwindigkeiten verlieren.Als Bund geben wir in dieser Legislaturperiode,5 Milliarden Euro an die Kommunen, damit dort dieöglichkeiten von Ganztagsbetreuung verbessert wer-en. Wer die Debatten über die Umsetzung miterlebt hat,at erfahren, dass das manchmal sehr schwierig ist. Nachenigen Minuten war man nicht mehr bei der Frage vonereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern bei derrage, wer denn eigentlich zu entscheiden hat. Es hieß,ass sich der andere bitte schön nicht einmischen sollnd dass die Frage das Geld betreffend ganz einfach zueantworten ist: Wenn das Geld gegeben wird, dannird das schon irgendwo gemacht werden.Unklarheit über die Zuständigkeiten ist eine Bremseür das, was wir wollen. Wir müssen uns darüber klarein, dass große gesellschaftliche Innovationen, die wiror uns haben, nur funktionieren werden, wenn wir eininvernehmen darüber herstellen, dass Bund, Ländernd Gemeinden sich solchen Aufgaben gemeinsam stel-en und sie gemeinsam realisieren müssen.
Die massive Verflechtung und Unübersichtlichkeitat einen gefährlichen Nebeneffekt: Die Bürgerinnennd Bürger sehen nicht mehr, wer für was zuständig underantwortlich ist. Hier ist auch eine der Ursachen fürie wachsende Entfremdung zwischen der Bevölkerungnd der handelnden Politik. Es muss klar sein, wofür derund zuständig ist und wofür jedes einzelne Land zu-tändig ist. Wahlen verlieren ihren Reiz und sogar teil-eise ihren Sinn, wenn auch nach Wahlen nicht klar ist,er Verantwortung bekommen hat und sie wahrnehmenann und muss. Das Problem ist klar: Es muss entwirrterden, bei den Zuständigkeiten, den Gesetzgebungs-ompetenzen und den Gesetzgebungsmodalitäten.Eine diskussionsbedürftige Problematik sind dabeiie Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern.ie werden sicher ein wichtiges Thema in der Kommis-ion sein, deren Einsetzung wir heute beschließen wol-n. Manche sagen, die Länder seien Gewinner dieserntwicklung. Schließlich könnten die Länder bei ent-prechenden Mehrheiten im Bundesrat viele Gesetzeufhalten.In Wahrheit ist es viel differenzierter. Die gesetzgebe-ische Gestaltungsmöglichkeit der Länderparlamente istast gänzlich verloren gegangen. Gewonnen haben dieandesregierungen. Der Exekutivföderalismus, den wir
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5597
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Franz Münteferingin Deutschland faktisch haben, hat dazu geführt, dass dieLänderparlamente uns – auch in der Vorbereitung aufdiese Kommission – fragen: Was ist unsere Rolle?Ich weiß nicht, ob wir ihnen in der Debatte, die wir zuführen haben, helfen können. Wir müssen uns trotzdemschlichtweg dieser Wahrheit stellen. Wer spricht da mit-einander? Es spricht der Bundestag, das Gesetzgebungs-organ unserer Demokratie, mit den Exekutiven der Län-der. Die Länderparlamente sind, wenn überhaupt, nichtunmittelbar an dem beteiligt, was da „zwischen Bundund Ländern“, wie wir schnell sagen, besprochen wird.Ich kann das nicht auflösen und will das auch nicht maleben versuchen. Ich sage nur: Darüber wird zu sprechensein. Es wird um die Frage gehen, ob wir die Möglich-keit haben, den Parlamenten neues Gewicht zu geben.Die Länder haben kaum noch die Möglichkeit, zu re-gional unterschiedlichen Regelungen zu gelangen, weilder Bund überall seine Hand mit im Spiel hat. Bei seinerRahmengesetzgebung ist – wie der Bundespräsidentgesagt hat – der Rahmen oft so groß, dass man das Bildnicht mehr sieht. Ob der Bund dabei seine Kompetenzenüberzieht oder ob die Länder gar kein Bild entwerfenwollen, ist eine zweite Frage, der wir uns stellen müssen.Jedenfalls hat sich bei uns in der BundesrepublikDeutschland eine Rahmengesetzgebung herausgebildet,die den Ländern keine Möglichkeit mehr lässt, diesenRahmen auszufüllen. Vielleicht wollen die Länder dassehr oft gar nicht. Vielleicht tauchen sie vor der Verant-wortung weg und blicken auf den Bund – in der Erwar-tung, dass er die Probleme löst.Nein, diese Vernetzung und Vermischung von Zustän-digkeiten muss ein Ende haben. Gesetzgebungsverfah-ren sind zu umständlich, zu langwierig und viel zu kom-pliziert geworden. Wir brauchen und wollen keine neueVerfassung. Wir wollen keine Revision des Grundgeset-zes. Wir brauchen eine Reföderalisierung, eine Rück-besinnung auf die ursprünglichen Aufgaben von Bundund Ländern, klare Regeln und klare Verantwortlichkei-ten.
Diese Aufgabe steht im Vordergrund der Arbeit derKommission.Das bedeutet im Einzelnen eine Sicherung der Hand-lungsfähigkeit von Bund und Ländern, eine Stärkung derRolle der Landtage in der Gesetzgebung, eine Reduzie-rung der Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze –Einspruchsgesetze als Regelfall, zustimmungsbedürf-tige Gesetze als Ausnahme.Ich will noch einmal auf die Gesundheitsreform zu-rückkommen. Es mag manchem parteipolitisch schei-nen, aber mir leuchtete nicht ein, dass der Bundesrat inder Gesetzgebung zur Gesundheitsreform ein Vetorechthatte. Er hatte es, weil die Länder für die Finanzierungder Krankenhäuser zuständig sind. Das ist es aber auch.Dass in einer solchen Situation Länder aufgrund ihresVetorechtes darüber wesentlich mitentscheiden können,wie eine Gesundheitsreform auf Bundesebene gestaltetwwgSwDrufwlsNglddDm1inADtssdl2swdaisvzakadBElLsb
Es geht deshalb um eine Neujustierung der Rahmen-esetzgebung des Bundes. Es geht darum, Raum fürubsidiarität, Eigenverantwortung, mehr Vernetzung,eniger Hierarchie und mehr Bürgernähe zu schaffen.iesem Ziel dienten auch die Erörterungen der Konfe-enz der Landtagspräsidenten in Lübeck, die wir mit innsere weiter gehenden Beratungen einbeziehen wollen.Auch die europäische Verfassung ist ein Anlass da-ür, dass wir diese Debatte zu führen haben, und bringtichtige Aspekte ein. Welche Rolle spielen die Bundes-änder in einem Europa der Regionen? Europa selbst gibtich eine Verfassung und justiert seine Institutionen neu.ationale Aufgabe ist es dabei festzulegen, welche Auf-abe die Länder in einem föderalen Staat wie Deutsch-and haben. Die Wechselwirkungen zwischen Brüssel,er Bundes- und der Länderebene werden zunehmen undie Beziehungen müssen klar geordnet werden. Füreutschland steht in Europa viel auf dem Spiel. Deshalbüssen wir in Europa mit einer Stimme und nicht mit6 Stimmen sprechen. Die Gefahr, die sich sonst ergibt,st groß; an vielen Stellen merkt und hört man es. Esützt aber nicht den Interessen unseres eigenen Landes.ndere Länder haben andere Ausgangsbedingungen.eshalb wird das Thema Europafestigkeit unserer Insti-utionen – so möchte ich es einmal nennen – eine Rollepielen müssen in der Diskussion, die wir führen.
In vergangenen Legislaturperioden beschäftigten nurehr wenige Vorgaben aus Europa den Bundestag; so iner dritten und vierten Wahlperiode jeweils 15. In deretzten Legislaturperiode waren es irgendwo zwischen500 und 3 000. Wer von uns könnte denn ehrlich vonich behaupten, dass er die Übersicht hat? Wer von unsürde denn von sich behaupten, dass er Einblick hat inas, was sich da entwickelt, und er rechtzeitig Einflussuf das nehmen kann, was da vorbereitet wird? So bleibthm zum Schluss nur übrig, zuzustimmen bzw. die Be-chlüsse zu akzeptieren. Das ist nicht gut für das Selbst-erständnis dieses nationalen Parlaments im Verhältnisu Europa. Deshalb muss auch dieses offen und ehrlichngesprochen werden.
Zu einigen Fragen, die kommen werden, nur einigeurze Anmerkungen, ohne das heute vollständig zu be-ntworten. Zwei Komplexe werden nicht Gegenstander Beratungen der Kommission sein: der Zuschnitt derundesländer und die Frage, ob stärkere plebiszitärelemente auf nationaler Ebene vorgesehen werden sol-en. Für den ersten Bereich sind einzig und allein dieänder selbst zuständig. Mit dem zweiten Thema wirdich der Deutsche Bundestag in absehbarer Zeit separatefassen. Wir befinden uns hier in den Vorbereitungen.
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5598 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Franz MünteferingDas Stichwort Wettbewerbsföderalismus ist gefal-len. Wir werden uns damit auseinander zu setzen haben.Es gehört zu dem Grundsatz der Souveränität der Länderim Bundesstaat, der im Grundgesetz verankert ist, dassdie Länder auch im Wettbewerb untereinander stehen.Wir dürfen die Idee des Wettbewerbs, hinter dem ja auchdie Idee des Avantgarde-sein-Könnens steckt, nicht ver-dunkeln.
Es müssen nur die Ausgangsbedingungen, von denenaus die Länder antreten, vergleichbar sein. Wir von unse-rer Seite werden jedenfalls nicht der Idee entgegenste-hen, den Ländern in unserem Bundesstaat Platz undRaum für eigene Ideen und eigenes Handeln zu geben.Es muss nur abgestimmt und geklärt sein, wem welcheZuständigkeiten zukommen.Nicht wenige haben abgeraten, überhaupt an dasThema der bundesstaatlichen Ordnung heranzugehen.Viele haben gesagt: zu komplex, zu zäh, undankbar. –Wir versuchen es trotzdem. Wir haben bei uns im Landeschon Leute genug, die resigniert haben oder uns besser-wisserisch Ratschläge geben. Wir wissen alle miteinan-der in Bund und Ländern, dass wir gut beraten sind,wenn wir uns die Mechanismen der Organisation derDemokratie anschauen und versuchen, sie auf die Höheder Zeit zu bringen. Wir versuchen das mit Zuversicht.Alle, die Mut haben, können dabei mitmachen. Wir ge-hen ohne Hektik, aber zügig vor. Ich denke, dass sich imVerlauf des Jahres 2004 herausstellen muss und heraus-stellen wird, ob wir in der Lage sind, gemeinsam zielfüh-rende Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Als Grund-lage für Beschlüsse in der Kommission haben wir ja dieZweidrittelmehrheit vereinbart. Es täte der Demokratiein Deutschland gut, wenn wir uns nicht nur bewusst wä-ren, dass wir manche wichtige Inhalte erneuern müssen,sondern auch, dass – nach 50 Jahren Erfolgsgeschichte –vieles verändert werden muss. Wir müssen das Verhält-nis zwischen Bundestag und Bundesrat, aber auch dieRolle der Kommunen und das Verhältnis Deutschlandsund seiner Bundesländer zu Europa klarstellen und unsauf die Erfordernisse unserer Zeit einstellen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tribüne hat
soeben der algerische Parlamentspräsident Younès
mit einer Delegation des algerischen Parlaments Platz
genommen. Wir begrüßen Sie sehr herzlich.
Ihr Besuch, Herr Präsident, ist Ausdruck der guten Be-
ziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Wir wis-
sen, dass Algerien ein besonders wichtiger Nachbar an
der Südgrenze der Europäischen Union ist. Wir hoffen,
dass Sie in diesen Tagen einen aufschlussreichen Ein-
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Dabei geht es um die höchst praktische Frage, welchestaatliche Ebene für welche Aufgaben zuständig, dannaber auch verantwortlich sein soll – nicht ein bisschenverantwortlich, nicht mitverantwortlich, sondern alleinverantwortlich.Klare Zuständigkeiten stärken die Handlungskraft derpolitischen Akteure. Wenn Verantwortung nicht mehrklar erkannt werden kann, ist eine Reform vonnöten.Wenn die Zuständigkeiten unklar sind, führt das zu orga-nisierter Unverantwortlichkeit. Das wollen wir alle ge-meinsam ändern.
Wir wollen, dass die Bürger klar erkennen können, werauf welchen Politikfeldern für sie handelt und wer dieVerantwortung trägt, die Verantwortung für Erfolg, aberauch für Scheitern. Wir wollen mehr Transparenz in denpolitischen Entscheidungsprozessen. Das stärkt unsereDemokratie.Zweitens. Wir wollen die Zusammenführung vonSachverantwortung und Finanzverantwortung. Des-wegen kann eine Neuordnung der staatlichen Kompe-tenz- und Aufgabenverteilung nicht ohne eine Entflech-tung und eine Neuordnung der finanzwirtschaftlichenVermengungen erfolgen.Das Grundgesetz ist ursprünglich von einem Trenn-system ausgegangen. Im Laufe der Jahre wurde jedoch,immer gut gemeint und fachlich überzeugend begründet,ein höchst komplizierter Verschiebebahnhof errichtet. Erist mit seinen horizontalen und vertikalen Einnahme-,Ausgabe- und Ausgleichsmechanismen so perfekt, dasskaum noch jemand in der Lage sein dürfte, die horizon-talen und vertikalen Finanzbeziehungen in allen Veräste-lungen zu durchschauen. Deswegen wollen wir die Auf-gabenkompetenz einerseits sowie die Einnahmen- undAusgabenkompetenz andererseits in eine Hand legen.Drittens. Wir wollen eine stärkere Beachtung desKonnexitätsprinzips. Obwohl es – anders als in einemZentralstaat – in einem föderalen Aufbau mit drei unter-schiedlichen Ebenen – Staat, Länder und Gemeinden –schwieriger ist, dieses Prinzip einzuhalten, muss zukünf-tig gelten: Wer die Musik bestellt, der muss sie auch be-zahlen.
Es darf nicht sein, dass der Bund durch seine Gesetz-gebung zusätzliche Vollzugsaufgaben der Länder undder Kommunen begründet, ohne die zur Aufgabenerfül-lung notwendigen Finanzmittel gleich mitzuliefern. Diesbeklagen insbesondere die Städte und Gemeinden, diegerade in den letzten Jahren mit neuen Aufgaben und mitntwaIesoDdKcgfslilarÖbassSgsgSwtiksGsnszraanWmgds„wg
Viertens. Wir wollen die Länder und die Landespar-mente stärken. Die Stichworte lauten hier: Reduzie-ung oder gar Abschaffung der Rahmengesetzgebung,ffnungs- und Experimentierklauseln, Vorranggesetzge-ung und Wettbewerbsföderalismus. Das bedeutet dannllerdings auch einen Wettbewerb zwischen Ländern, dieich im Hinblick auf Größe, Einwohnerzahl und Wirt-chaftskraft ganz erheblich voneinander unterscheiden.ie werden deshalb mit ganz unterschiedlichen Bedin-ungen an den Start gehen. Das dürfen wir nicht verges-en.Dieses Kapitel verdeutlicht, dass es Zielkonflikteibt, die wir nicht verschweigen sollten. Auf der eineneite wollen wir mehr Vielfalt durch föderalen Wettbe-erb; das ist auch ein Wettbewerb um die besseren poli-schen Konzepte und Ideen. Auf der anderen Seite be-lagen wir eine wahre Flut von Vorschriften auf allentaatlichen Ebenen. Ein undurchdringbares Dickicht vonesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvor-chriften lähmt unser Land. Stattdessen müssten wir ihmeuen Schwung verleihen.Der Verzicht auf bundeseinheitliche Regelungentärkt zwar die Kompetenz der Länder, wird aber gleich-eitig die Anzahl der Gesetze und Paragraphen nicht ver-ingern, sondern erhöhen. Beide Ziele – mehr Vielfaltuf der einen Seite und eine geringere Regelungsdichteuf der anderen Seite – gleichzeitig zu erreichen dürfteicht einfach sein. Vermutlich ist es sogar unmöglich.
ir werden weiter zu untersuchen haben, wo Vielfalt zuehr Wettbewerb und zum Ringen um bessere Lösun-en führt, aber auch zu neuen Problemen führen kann.Vor wenigen Tagen wurde vonseiten der Länderezent, aber deutlich darauf hingewiesen, dass eigentlichie die Bundesrepublik gegründet hätten – Überschrift:Im Anfang waren die Länder“. Die Frage, ob esirklich die Länder waren, die die Bundesrepublik ge-ründet haben, oder ob es nach dem Krieg und dem
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5600 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Wolfgang BosbachZusammenbruch noch immer den Staat Deutschlandgab, ist nicht nur für Historiker und die politische Wis-senschaft von Interesse.Mit dieser Thematik verbindet sich nämlich eine an-dere Frage, die für uns wie für die Kommission von Be-deutung ist: Wie viel Vielfalt und wie viel Einheit wollenwir in Deutschland? Was wollen wir eigentlich sein,diese Bundesrepublik Deutschland oder doch eher einBund deutscher Länder? Das Grundgesetz verlangt zwarnicht identische Lebensverhältnisse in allen Ländern,aber gleichwertige. Daher dürfte richtig sein: so vielVielfalt wie möglich, so viel Einheit wie nötig.Welches Verständnis haben wir eigentlich von unserereigenen politischen Arbeit hier im Deutschen Bundes-tag? Was wollen wir selber noch regeln? Wofür wollenwir noch die politische Verantwortung tragen? Wir lebenin einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite zieht dieEuropäische Union tagtäglich mehr Kompetenzen ansich – die EU ist längst auf dem Wege, die Regelungs-dichte in unserem Land zu überbieten –, auf der anderenSeite stehen die Bundesländer, die für sich mehr Freihei-ten, mehr Emanzipation und mehr Kompetenzen vomBund fordern. Daneben gibt es die dritte Kammer na-mens Vermittlungsausschuss und eine wahre Kommissio-nitis. Für jeden Bundestagsabgeordneten stellt sich dienatürliche Frage: Wofür ist er eigentlich noch zuständig?Welche Kompetenz hat er? Was wollen wir zukünftigselber und abschließend regeln?
Diese Fragen sollten wir nicht nur in der Kommission er-örtern und beantworten. Auch der Deutsche Bundestagsollte diese Frage für sich selbst beantworten. Diese De-batte müssen wir hier in diesem Hause führen.Eine nur scheinbar andere Thematik gehört untrenn-bar zu dem Thema „Reform der bundesstaatlichen Ord-nung“. Die Stichworte lauten hier: Deregulierung undEntbürokratisierung. Wir werden über dieses Themaheute noch eine gesonderte Debatte führen. Aber vor derFrage, welche staatliche Ebene welche Kompetenzen ha-ben und wer welche Aufgaben erfüllen soll, müsste ei-gentlich die Frage stehen, ob der Staat – ganz gleich anwelcher Stelle – tatsächlich all das regeln und verwaltenmuss, was er in den letzten Jahren und Jahrzehnten anstaatlichen Aufgaben zuerst definiert, dann an sich gezo-gen und schließlich bis in das kleinste Detail geregelthat.
Die allseits beklagte Zunahme der Zahl von Gesetzen,Verordnungen und Verwaltungsvorschriften geht im Ge-gensatz zu dem, was immer behauptet wird, auf Bundes-ebene munter weiter. Im Herbst 1998 hieß es in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung: Wir werden die hem-mende Bürokratie rasch beseitigen. Dabei werden wirüberflüssige Vorschriften streichen und auf diese Weisedie Regelungsdichte vermindern.asrgRsIRdwVvgvdrwhLuDwadwuuHsztifgöHfudMWgwsws
Dieser etwas kuriose Versuch wird fortgesetzt. Vorenau drei Wochen hat eine Kollegin der SPD-Fraktionon dieser Stelle aus ein Heimtierschutzgesetz gefor-ert, mit der Begründung, es gebe in Deutschland zwarund 90 Millionen Heimtiere, aber wie sie lebten undie sie gehalten würden, das wisse der Staat nicht. Des-alb brauche man klare Regelungen auf Bundes- undandesebene für die Zucht, die Ausbildung, die Haltungnd den Handel von Heimtieren.
iese Forderung ist nicht nur deshalb bemerkenswert,eil durch sie der völlig falsche Eindruck erweckt wird,ls gelte das Tierschutzgesetz nicht für Haustiere, son-ern auch, weil jetzt offenbar wieder einmal geplantird, ein neues Gesetzespaket auf den Weg zu bringennd staatlichen Behörden neue Aufgaben zuzuweisen –nd dies ausschließlich zu dem Zweck, in Millionen vonaushalten zu kontrollieren, ob dort Goldfische, Meer-chweinchen, Katzen, Hunde und Co. nach noch näheru definierenden Vorschriften für die Haltung von Haus-eren einquartiert sind. So geht es nicht weiter! Ich be-ürchte nämlich, dass diese Forderung auch noch ernstemeint ist.
Wir können doch nicht einerseits einen viel zu großenffentlichen Dienst beklagen – immer versehen mit deminweis, Anfang der 50er-Jahre gab es 2 Millionen öf-entlich Bedienstete, heute sind es knapp 5 Millionen –
nd andererseits immer neue staatliche Aufgaben erfin-en und diese den Behörden und damit den dort tätigenitarbeitern übertragen. Wir müssen den umgekehrteneg gehen: Wir müssen jede staatliche Aufgabe dahinehend überprüfen, ob sie erstens tatsächlich noch not-endig ist, ob sie zweitens zwingend von staatlichen In-tanzen erfüllt werden muss und drittens, wenn ja, aufelcher Ebene sie zweckmäßigerweise erledigt werdenoll.
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Wolfgang BosbachWenn sich der Staat vornimmt, all das, was theore-tisch geregelt werden könnte, auch tatsächlich gesetzlichzu regeln, wenn der Staat sich vornimmt, jedes einzelneProblem, das im Leben auftreten kann, von Amts wegenzu lösen, dann wird dieser Staat selber zu einem Pro-blem.
Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schily?
Ja.
Herr Kollege Bosbach, Sie haben von der Zahl der
Beschäftigten im öffentlichen Dienst gesprochen und da-
bei offenbar beklagt, dass diese Zahl zu groß sei.
Nein, das habe ich nicht beklagt.
Sie haben das nicht getan? – Ich möchte Sie fragen,
ob Ihnen bekannt ist, dass beim Bund die Zahl der öf-
fentlich Bediensteten niedriger ist als nach der Wieder-
vereinigung.
Ich weiß, sie ist geringer als nach der Wiedervereini-
gung.
Ist Ihnen auch bekannt, dass die Zahl für ganz
Deutschland gilt?
Ja.
Dann möchte ich nur noch einmal hervorheben, dass
wir die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst
zurückgeführt haben.
Herr Kollege Schily, Sie haben bestimmt wichtige
Regierungsgeschäfte erledigt und nicht die Muße ge-
habt, mir wörtlich zuzuhören. Ich habe gesagt, wir kön-
nen nicht beklagen, dass der öffentliche Dienst zu aufge-
bläht ist und es zu viele so genannte Bürokraten gibt,
und gleichzeitig den Behörden ständig neue Aufgaben
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Anfang der 50er-Jahre gab es 2 Millionen öffentlich
edienstete, jetzt gibt es knapp 5 Millionen. Ich möchte
in Beispiel aus meinem Heimatland, aus Nordrhein-
estfalen, anführen. Dort gab es Mitte der 60er-Jahre
ür etwa 16 Millionen Einwohner 200 000 Beschäftigte
m öffentlichen Dienst, jetzt gibt es dort für knapp
8 Millionen Einwohner 416 000 Beschäftigte im öf-
entlichen Dienst.
Nur dann, wenn wir uns auf unsere Kernaufgaben
onzentrieren und nicht alles regeln, was wir regeln
önnten, sondern nur das, was dringend geregelt werden
uss, kann es uns gelingen, Bürokratie abzubauen, die
taatsquote zu senken und Freiheiten zurückzugeben.
ann dürfte auch die beliebte Pauschalkritik am öf-
entlichen Dienst im Allgemeinen und an Beamten im
peziellen nicht ständig neue Nahrung bekommen.
Demjenigen, der sich an dieser Pauschalkritik betei-
igt, sei Folgendes gesagt: Die Zahl der Beamten wächst
icht von selber, kein Beamter sitzt auf einer Planstelle,
ie er selber geschaffen hat; nicht Beamte, sondern Poli-
iker beschließen Gesetze und übertragen Aufgaben auf
ehörden und die dort tätigen Mitarbeiter.
In diesem Bereich wie auch für die Arbeit der Kom-
ission sollte gelten: Wir müssen uns bescheiden. Die
ualität unserer Arbeit sollte am Ende einer
ahlperiode nicht daran gemessen werden, wie viele
esetze wir erlassen und – das gilt für die Regierung, die
xekutive – wie viele Rechtsverordnungen wir in Gang
esetzt haben, sondern daran, ob wir als Gesetzgeber
uch den Mut hatten, einmal Gesetznehmer zu sein.
Wir wollen unseren Bundesstaat erhalten und die
änder stärken. Das ist kein Widerspruch. Klare Zustän-
igkeiten stärken Bund und Länder in gleicher Weise.
lare Zuständigkeiten nützen dem Staat und vor allen
ingen den Bürgern.
Danke fürs Zuhören.
Ich erteile der Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/Die
rünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die rot-rüne Regierungskoalition hat sich in diesem Jahr sehrhrgeizige Reformprojekte vorgenommen und sie auchchnell auf den Weg gebracht. Dass unsere bundesstaat-iche Ordnung nicht gerade dazu beiträgt, dass wir beiiesen Reformprojekten schnell vorankommen, haben in
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Krista Sagerden letzten Monaten viele gemerkt. Ich glaube, das istauch unumstritten. Wir wollen nicht jammern und sindauch nicht verdrießlich, sondern gehen weiter energischans Werk.Wenn inzwischen in diesem Land Konsens herrscht,dass dieses Land dringend Strukturreformen braucht,dann ist es in der Tat richtig und wichtig, dass wir ge-meinsam einen Blick auf unsere bundesstaatliche Ord-nung werfen und uns fragen, welcher Reformbedarf dortbesteht. Hier ist die Politik richtig gefordert. Deswegenbegrüßen wir es, dass die Kommission zur Modernisie-rung der bundesstaatlichen Ordnung heute eingesetztwird.Insbesondere die internationalen Herausforderun-gen, die sich uns stellen, haben sich geändert. Der für dieRechtsgebung maßgebliche Wirtschaftsraum ist nichtmehr der nationale Wirtschaftsraum. Es geht nicht mehrnur um nationales Einheitsrecht für den nationalen Wirt-schaftsraum. Der für uns maßgebliche Wirtschaftsraumist zunehmend das integrierte Europa, wo auch zuneh-mend die entsprechende Rechtssetzung stattfindet.Gleichzeitig ist es offenkundig, dass die Globalisie-rung den Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaftenum die besten Lösungen für ähnliche Probleme ver-stärkt, aber auch beschleunigt hat. Gerade die kleinenVolkswirtschaften machen uns da zum Teil heute etwasvor. Unsere bundesstaatliche Ordnung muss also in Be-zug auf die Frage, ob sie europatauglich und unter diesenveränderten Herausforderungen noch effizient ist, aufden Prüfstand. Hier müssen wir als Politiker ran.
Es geht aber nicht nur um die Effizienz, sondern auchum die Demokratiedefizite. Die Bürgerinnen und Bür-ger merken, dass die gestiegenen Anforderungen an Effi-zienz, Transparenz und Schnelligkeit einerseits und dierealen Möglichkeiten unseres Systems andererseits zu-nehmend auseinander driften. Es ist deutlich, dass dieBürgerinnen und Bürger dieses Auseinanderdriften derPolitik insgesamt anlasten. Natürlich lasten sie diese De-fizite der Regierung immer ein bisschen mehr an als derOpposition. Das ist auch in Ordnung.Aber ich war viele Jahre Oppositionspolitikerin undbin mir ziemlich sicher, dass heute auch das Geschäft derOpposition schwieriger geworden ist. Früher konnteman als Oppositionspolitikerin sagen: Hurra, ich bin derHeld, wir haben etwas verhindert. Heute aber merken dieBürgerinnen und Bürger sehr genau, dass mit Aufhalten,Verhindern und Blockieren kein Problem in unseremLand gelöst wird. Deswegen reicht das auch für die Op-position nicht.
Wir wollen uns hier nicht gegenseitig etwas vorwer-fen. Wenn die Mehrheit im Bundesrat eine andere ist alsdie Mehrheit im Bundestag, dann wird es immer dieTendenz geben – egal, ob schwarz-gelb in Bonn regiertwurde oder ob heute rot-grün in Berlin regiert wird –,dsDHgbLEwLnBkVgRdisIaDdRdFhdshEVrdlandmszgpisntikOzs
abei werden die eigentlichen Länderinteressen in denintergrund und an den Rand gedrängt, ganz zu schwei-en von den kommunalen Interessen, die dabei gar nichterücksichtigt sind, und davon, dass die Landtage alsandesgesetzgeber marginalisiert worden sind.Was daraus erwächst, hat mit Effizienz wenig zu tun.s hat übrigens auch nichts mit Effizienz zu tun, dassir in einer nationalen Wahlperiode 16 verschiedeneandtagswahlen haben und vor jeder Landtagswahlichts Wichtiges mehr entschieden werden darf. Dieürgerinnen und Bürger merken, dass das mit Demo-ratieeffizienz nichts zu tun hat.Das, was darauf folgt, nämlich Tauschgeschäfte underhandlungen, empfinden die Bürgerinnen und Bür-er als intransparent; das wurde hier schon mehrfach zuecht gesagt. Die Leute fragen sich, wer für Entschei-ungen überhaupt verantwortlich ist, wer verantwortlicht, wenn es in bestimmten Bereichen nicht vorangeht.hnen ist nicht klar, welche Teile eines Gesetzes, das ver-bschiedet wurde, wem zuzuschreiben sind. Das ist einemokratiedefizit, das nicht nur der Politik schadet, son-ern auch dem Ansehen der Demokratie insgesamt. Zuecht haben die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck,ass man sich in den Gesetzgebungsprozessen zu vielenragen, ob das der Subventionsabbau oder die Gesund-eitsreform ist, am Ende nicht auf die notwendigen Än-erungen einigt, sondern nur auf den kleinsten gemein-amen Nenner. Der kleinste gemeinsame Nenner reichteutzutage aber einfach nicht mehr aus.
Ich will unser föderatives System nicht schlechtreden.s hat eine Menge Vorteile: Bürgernähe, innovativeielfalt. Verhandlungsdemokratien gibt es auch in ande-en Ländern, allerdings nicht unbedingt solche, in denenie Landesregierungen der Teilstaaten das nationale Par-ment aushebeln können. Dieses System an sich isticht schlecht, wir wollen es auch nicht als Ganzes aufen Kopf stellen. Wir wollen aber realistische Schritteachen. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzesind davon ausgegangen, dass 10 Prozent der Gesetzeustimmungspflichtig sein sollten; heute stellen wir da-egen fest, dass 60 Prozent der Gesetze zustimmungs-flichtig sind. Dieser Prozentsatz ist einfach zu hoch undt nicht angemessen angesichts der Aufgaben, vor de-en wir stehen.
Es geht nicht nur darum, Demokratiedefizite zu besei-gen, sondern auch darum, die Problemlösungsfähig-eit in unserer bundesstaatlichen Ordnung zu erhöhen.b wir in der Lage sind, beim Verbraucherschutz dafüru sorgen, dass die Bürger überall gleich gut, gleichchnell und gleich effizient vor Krankheiten wie BSE ge-
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Krista Sagerschützt werden, ob wir in der Lage sind, EU-Umwelt-richtlinien schnell, zuverlässig und unbürokratisch umzu-setzen, ob wir im internationalen Wettbewerb und in derBildungs- und Forschungspolitik – dazu gehören Themenwie Kinderbetreuung und Ganztagsschulen – strategie-und handlungsfähig sind, das sind Fragen, bei denen un-ser jetziges Politiksystem auf dem Prüfstand steht.Ich will ganz deutlich sagen: Verbesserung der Pro-blemlösungsfähigkeit ist nicht gleich entfesselter Stand-ortwettbewerb. Ein entfesselter Standortwettbewerbführt teilweise auch zur Ausweitung staatlichen Handelns:mehr indirekte Subventionen, mehr verbeamtete Lehrer.Er führt andererseits auch zu einem Verzicht auf Einnah-men – was einer nachhaltigen Infrastrukturpolitik scha-det – und setzt eine Abwärtsspirale bei Schutzrechten inGang. Das kann nicht die Lösung sein. Mit einem entfes-selten Standortwettbewerb wird man nicht nur einen Poli-tikstreit auslösen, sondern auch die Länder spalten. DieLänder haben nämlich kein Interesse daran, dass die Au-tonomie der Starken entfesselt wird und die Schwachenabgehängt werden. Solche Vorstellungen werden uns des-halb in der Kommission sicherlich nicht voranbringen.Es wird uns aber voranbringen, wenn wir uns ernst-haft mit dem Thema auseinander setzen, wie Aufgabenbesser und effektiver wahrgenommen werden könnenund wie wir den Wettbewerb der Länder verbessern undeine Benchmark der Länder in Gang setzen können. Wirmüssen uns ernsthaft mit Modellen befassen – solchesind in der Diskussion –, die Experimentier- und Öff-nungsklauseln zum Inhalt haben. Es gibt verschiedeneVorstellungen darüber, wie man diese Prozesse durchBefristung, Zustimmungs- und durch Vetorechte beglei-ten kann. Eine pauschale Rückübertragung von großenKomplexen an Gesetzgebungskompetenz an die Länderhalte ich nicht unbedingt für den richtigen Weg.Meine Damen und Herren, es wird auch viel die Fragediskutiert, ob wir nicht eine Neugliederung unseresBundesstaates brauchen. Das halte ich im Prinzip füreine wünschenswerte Überlegung. Ich sage als Hambur-gerin ganz offen: Ich bin für einen Nordstaat. Aber daskann man nicht von oben verordnen. Wenn wir solcheÜberlegungen an den Anfang stellen, dann werden wirin der Kommission scheitern. Darin sind wir uns, glaubeich, einig.
Worüber wir uns aber Gedanken machen sollten, ist,wie wir Anreize für eine Kooperation der Länder schaf-fen können, gerade auch beim Lastenausgleich. Daskann durchaus ein Thema für die Kommission sein.Ich möchte noch eine Frage aufgreifen, die der Bun-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie sehen wir die
Aufgabe und die Situation unserer gemeinsamen Haupt-
stadt in der Zukunft? Ein sozialer, fairer Wettbewerbsfö-
deralismus und auch die Neugliederungsdiskussion wer-
den uns diese Frage nicht beantworten. Ich weiß, dass
gerade hier in Berlin viele Menschen darauf hoffen, dass
die Kommission eine Antwort darauf gibt, wie wir in der
Zukunft Berlin als unsere gemeinsame Hauptstadt ge-
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Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gerhardt,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frak-ion der FDP wird, wie es auf dem Antrag ja auch stehtsie ist eine der Antragstellerinnen –, der Vorlage zu-timmen, mit der wir uns an die Arbeit begeben wollen,in Stück mehr Transparenz in das Gefüge der politi-chen Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland zuringen; darum geht es.Ich glaube, dass wir das auch können, weil jeder vonns – egal wo er seinen politischen Standort hat – spürt,ass man nicht mehr ausreichend vermitteln kann, füras man selbst die politische Verantwortung trägt, wasan hat entscheiden können und was nicht und wo diebrigen Positionen lagen. Mit Blick auf die spätereahlbeteiligung und die politische Wachsamkeit sowieas politische Interesse der Bevölkerung haben wir allein massives Interesse daran, dass diese Sachverhalte iner Öffentlichkeit klarer werden, als sie heute sind.
Der Kollege Müntefering hat zu Recht gesagt, dassas Grundgesetz überhaupt nicht zur Disposition steht.as Grundgesetz ist eine äußerst kluge Verfassung, seineütter und Väter bewiesen große Klugheit angesichtser historischen Erfahrung. Durch das Grundgesetz wirdie einzigartige Chance eröffnet, zur Balance of Power,u einem Machtgleichgewicht, zu Machtkontrolle undontrollmechanismen in einem demokratischen Staat zuommen. Trotz dieser Verfassung wird aber niemandemn Deutschland mehr klar, wie diese ausgeübt werden. Esst wahr, dass wir herausgefordert sind, das wieder deut-icher zu machen.
Das bedeutet zuallererst, dass wir den einzelnen staat-ichen Ebenen wieder die Fähigkeit geben müssen, einenrößeren Teil ihrer eigenen Angelegenheiten selbst zuegeln – das muss auch öffentlich deutlich werden –,
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Dr. Wolfgang Gerhardtund zwar beginnend von unten. Das heißt: Hier im Bun-destag ist in absehbarer Zeit die Entscheidung unum-gänglich, das – auch wenn dieses Fremdwort schwer zuvermitteln ist – Konnexitätsprinzip zum Prinzip der po-litischen Entscheidung zu machen. Wenn es nach derFraktion der FDP ginge, müsste dies im Grundgesetzklar und eindeutig an hervorragender Stelle verankertwerden.
Wir können nicht immer nur über die Eigenständig-keit der Gemeinden reden, ohne dass wir das im Grund-gesetz fein formulieren, was der Kollege Bosbach mitdem verständlichen Ausdruck „Wer die Musik bestellt,bezahlt sie auch“ umschrieben hat. Ein Kommunalver-treter kann für die Wähler nur dann glaubwürdig eintre-ten, wenn er auch Verantwortung übernehmen kann. Auswelchen politischen Gründen auch immer – die Entwick-lung der Bundesrepublik Deutschland war in der Wirk-lichkeit nun einmal so – sind die Länder heute sowohlbezüglich ihrer Finanzierungsgrundlagen als auch be-züglich ihrer tatsächlichen eigenen Fähigkeiten – ichdenke an das, was ein Landtag heute wirklich noch ent-scheiden kann – ernsthaft in Bedrängnis geraten.Es wird hier beklagt, dass die Länder über den Ver-mittlungsausschuss immer mehr in die Position geraten,Entscheidungen dieses Parlaments zu verzögern und zubeeinträchtigen. Sie selbst sind aber auch in keiner be-neidenswerten Lage. Unsere Kolleginnen und Kollegenin den Landtagen würden uns hier wahrscheinlich einenVortrag darüber halten, dass man sich die Frage stellenmuss, was außer den Fragen bezüglich der Begleitungdes Verwaltungshandelns in den Ländern tatsächlichnoch zu entscheiden ist. Die Länder müssen ein Interessedaran haben, sich Spielraum zu verschaffen. Wenn siediesen Spielraum nutzen wollen, dann können sie sichnicht ausschließlich auf die Begleitung der Bundesge-setzgebung konzentrieren, um sich dort politisch zu pro-filieren. Sie müssen zur Ausgestaltung ihres Wirkungs-kreises politisch konzeptionell arbeiten können. Einensolchen Wettbewerbsföderalismus streben wir an.Wir wollen keinen entfesselten Wettbewerb. Die Re-geln der Fairness müssen eingehalten werden. Auch ineinem Wettbewerbsföderalismus – Professor Böhmer hates zum Ausdruck gebracht – muss Chancengleichheitgelten. Man kann den ostdeutschen Bundesländern heutenicht ausschließlich Wettbewerbsföderalismus predigen,wenn die politisch Verantwortlichen nicht einmal dieChance haben, von der gleichen Linie aus zu starten, umam Wettbewerb teilzunehmen. Das ist völlig klar.
Hier wären Sonderzuweisungen des Bundes begrün-det. Allerdings darf das nicht auf Kosten politischer Füh-rungsfähigkeit in den westdeutschen Bundesländern ge-hen. Das Budget des Saarlands beispielsweise decktohne Zuweisungen des Bundes noch nicht einmal dieKosten der eigenen Verwaltung. Deshalb ist ein StückCzUSpwtwBGdiwwIsGrsdugbwsLsbswbWwtmafsfgCbbdpnoAeds
Eine solche gute politische Leistung kann heute nichtehr erbracht werden; denn durch den jetzigen Finanz-usgleich besteht mehr und mehr die Gefahr, dass er-olgreiche Politik bestraft wird: Über die Transfers kanno manches erfolgreiche Land an die Grenze der Über-orderung gebracht werden. Das ist keine Chancen-leichheit; denn zur Chancengleichheit gehört auchhancengerechtigkeit. Einem Land, das in einem wett-ewerblichen System mit überzeugender Politik erkenn-ar erfolgreicher als ein anderes ist, muss aus Gründener Chancengerechtigkeit eine Belohnung für diese guteolitische Leistung zuteil werden können. Dies aber isticht mehr sichergestellt. Das muss erörtert werden.Wir wollen nicht die Verfassung auf den Kopf stellender das Grundgesetz ändern. Wir wollen – das ist diebsicht der Fraktion der FDP und der Vertreter, die wirntsenden – der föderalen Ebene ein Stück Entschei-ungskraft zurückgeben, was nach unserem Verständniso in unserem Grundgesetz vorgesehen war, als unsere
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Dr. Wolfgang Gerhardtbundesstaatliche Ordnung nach 1945 geschaffen wurde.Wenn man den Ländern Möglichkeiten zu Entdeckungs-verfahren geben will, was eine Notwendigkeit ist, FrauKollegin Sager – das ist von Ihnen ausgedrückt wordenund entspricht auch meiner Haltung; wir wollen ihnenMöglichkeiten zu Entdeckungsverfahren geben –, dannmuss man das auch glaubwürdig durchhalten. Dann giltdas auch für viele Bereiche der Gestaltung des sozialenLebensumfeldes und nicht nur der wirtschaftlichen Ent-wicklung. Wenn sich Lösungen in Entdeckungsverfah-ren bewähren, dann muss man sie den Ländern auchermöglichen, auch wenn sie nicht der politischen Mehr-heitsmeinung derer entsprechen, die auf Bundesebenedemokratisch legitimiert für bestimmte Zeit Verantwor-tung haben.
Wenn ein Land zum Beispiel das Umfeld von Sozial-hilfe, Hilfe zum Lebensunterhalt, Arbeitslosenhilfe mitanderen Mechanismen anders als die Mehrheit hier re-geln möchte – und zwar ohne Mindeststandards zu un-terschreiten –, dann muss man die Courage haben, diesesLand das auch machen zu lassen. Wettbewerbsfödera-lismus heißt, dass von einigen bessere Ergebnisse alsvon denen erzielt werden können, die alles überall gleichregeln wollen.
Wenn Hochschulen miteinander im Wettbewerb ste-hen, dann muss man es der Autonomie der Länder undder Hochschulen überlassen, ob sie Studiengebühren er-heben oder nicht, und dann darf der Bundesgesetzgebernicht Studiengebühren verbieten.
Dann werden wir sehen, welche Hochschulen aufge-sucht werden und welche nicht.Wenn man ein Bundesgesetz macht, dann sollte manExperimentierklauseln für die Länder einführen, weilin den Ländern Kolleginnen und Kollegen von uns, wieauch immer die Mehrheiten sind, in politischer Verant-wortung sind, die nicht nach dem Schlimmen trachten,sondern sich vielleicht durch eine individuell andere Lö-sung nicht nur selbst im Wettbewerb besser behauptenwollen, sondern auch glauben, damit einen Beitrag zurLösungskompetenz des Gesamtstaates zu leisten.
Zum Abschluss, meine Damen und Herren: Es machtsich niemand etwas vor; es ist offen, ob wir einen großenSprung schaffen. Das ist eine mühselige Arbeit. Aberegal, wo unser politischer Standort ist: Wir müssen einmassives Interesse daran haben, dass die Öffentlichkeitwieder erkennen kann, wer welche politischen Ziele ver-tritt, wer sie wie begründet und wer wofür Verantwor-tung hat. Man kann unterliegen oder man kann Wahlengewinnen, aber es muss wieder Klarheit herrschen.Ich habe die Hoffnung, dass wir ein Ergebnis zu-stande bringen, das es uns erlaubt, in den jeweiligen par-teipolitischen Vorhaben das besser zu begründen, als wirebZDsdBdedsmbBvuiSmBdlgBlvDZlgtimieeeKPbvlnnsd
Ich erteile das Wort Bundesministerin Brigitte
ypries.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt esehr, dass Sie heute über alle Fraktionsgrenzen hinwegie Einsetzung einer gemeinsamen Kommission vonundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bun-esstaatlichen Ordnung einsetzen wollen. Morgen wirdin vergleichbarer Beschluss im Bundesrat gefasst wer-en. Beide Institutionen sind sich darin einig, dass un-ere bundesstaatliche Ordnung modernisiert werdenuss.Diese Erkenntnis teilt die Bundesregierung. Wir ha-en deshalb schon vor gut einem Jahr auf Initiative desundeskanzlers eine Arbeitsgruppe eingesetzt, geleitetom Bundeskanzleramt, die Vertreter der Ministeriennd der Staats- und Senatskanzleien der Länder umfasst,n der wir uns mit eben diesem Thema befasst haben, dasie sich vorgenommen haben.Wir haben auch den Befund zur Kenntnis nehmenüssen, dass, wie Herr Gerhardt gerade sagte, für dieürgerinnen und Bürger offenbarer werden muss, wer iniesem Lande eigentlich wofür zuständig ist, wer die po-itische Verantwortung trägt und wen demzufolge Bür-erinnen und Bürger bei der nächsten Wahl, sei es dieundestagswahl oder eine Landtagswahl, wieder abwäh-en können, weil er nicht das gemacht hat, was sie sichorgestellt haben.Diese Wahrnehmung ist heute nicht mehr möglich.enken Sie an die großen Verfahren. Das letzte war dasuwanderungsgesetz. Es ist nicht mehr klar, wer eigent-ich die politische Verantwortung trägt. Das muss wiedereändert werden. Das muss aber im Rahmen dieses Sys-ems geändert werden, denn der Föderalismus hat sichm Grundsatz in Deutschland bewährt. Dagegen wirdan sicherlich nichts sagen können. Insofern, glaubech, ist der Begriff Konvent, Herr Gerhardt, eher mitiner grundsätzlichen Reform der Verfassung oder mitiner Neuschaffung von Verfassung belegt. Das isttwas, was wir nicht brauchen. Wir brauchen bestimmteorrekturen an Stellschrauben, und zwar im Blick aufrobleme, die noch nicht einmal vom Grundgesetz sel-er verursacht worden sind, sondern im Wesentlichenon der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung deretzten 50 Jahre. Diese Korrekturen sind notwendig,icht aber grundsätzlich neue Überlegungen im Sinne ei-es Konvents. Von daher halte ich es für richtig, dass Sieich auf die Kommission zur Modernisierung der bun-esstaatlichen Ordnung beschränkt haben und sich damit
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Bundesministerin Brigitte Zypriesausdrücklich auf die bestehende bundesstaatliche Ord-nung beziehen.Wenn wir feststellen, dass wir den Föderalismus zu-kunftsfähig gestalten und mehr Handlungsfähigkeit fürBund und Länder erreichen müssen, dann würde ich– das sehen Sie mir sicherlich nach – darauf Wert legen,dass auch der Bund mehr Zuständigkeiten bekommt. Eskann nicht nur darum gehen, dass die Länder mehr Ge-setzgebungskompetenzen und Verantwortung bekom-men, sondern auch für den Bund ist dies notwendig.Denn viele der Veränderungen beziehen sich auf eineverminderte Verantwortung des Bundes. Ich denke indiesem Zusammenhang an Art. 84 Grundgesetz und dieFrage der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass wir mit derangestrebten Reform drei Ziele verwirklichen müssen.Wir brauchen mehr Klarheit und Wahrheit bei der Auf-gabenverteilung – das erwähnte ich bereits –, straffereEntscheidungsprozesse und vor allen Dingen einen euro-patauglichen Bundesstaat.
Das heißt, wir brauchen eine Form der Gesetzgebung,die auch auf die Anforderungen reagieren kann, die ausEuropa auf uns zukommen.Zum Thema Gesetzgebungskompetenzen – ich habedas eben schon angedeutet – bestand in der Arbeits-gruppe zwischen Bund und Ländern auf der Ebene derStaats- und Senatskanzleien und des Kanzleramtes be-reits in einem Punkt grundsätzlich Einigkeit, nämlichdass die Rahmengesetzgebung – das heißt, die Kompe-tenzverteilung, nach der zunächst der Bund einen Rah-men setzt, innerhalb dessen den Ländern die Ausführungobliegt – abgeschafft werden sollte.Diese Form der Gesetzgebung führt dazu, dass Ver-antwortlichkeiten verschwimmen. Sie führt aber auchdazu, dass wir EU-Vorgaben nicht in der von der EUvorgesehenen Zeit umsetzen können. Der Bund hat inder Vergangenheit schon häufiger erhebliche Strafenzahlen müssen, weil einzelne Länder bestimmte Voraus-setzungen nicht erfüllt haben. Wir meinen, das geht zu-künftig nicht mehr an. In diesem Bereich müssen wirinsgesamt schneller tätig werden.Wir sind in dieser Debatte sehr offen in der Frage, in-wieweit den Ländern Kompetenzen übertragen werdenbzw. inwieweit sie vollständig dem Bund übertragenwerden sollten. Das muss man im Einzelfall prüfen, umdann zu einer Entscheidung zu kommen.Man muss sich aber auch über eines im Klaren sein:Der Bundesgesetzgeber wird sich nicht einfach aus Be-reichen zurückziehen können, in denen er bisher bun-deseinheitliche Regelungen geschaffen hat. Das heißt,es muss im Einzelfall geprüft werden, wo im Sinne derWahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit in Deutsch-land oder auch zur Wahrung der gleichwertigen Lebens-verhältnisse einheitliche Regelungen notwendig sind.Johannes Rau hat einmal festgestellt, wir hätten keinenfmcsztanwturDcgv–whiwmdnehsazhngsEgWdltnvbwcdtbg
as bedeutet auch, dass wir einheitliche umweltrechtli-he und soziale Schutzstandards bewahren müssen. Eseht nicht an, dass Sozialgefälle von Ost nach West oderon Nord nach Süd entstehen.
Nein, mich verlässt keineswegs der Mut. Die Frage ist,en irgendwann der Mut verlässt, weil das nämlich aucheißt, dass man Kompetenzen abgeben muss. Das wirdn dieser Debatte gerade für die Länder nicht einfacherden. Denn der wesentliche Punkt im Zusammenhangit der Verantwortungsteilung nach Art. 84 wird vonen Ländern sehr viel Mut erfordern.
Das Grundgesetz sieht in Art. 84 das Erfordernis ei-er Zustimmung der Länder eigentlich nur dort vor, wos um Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Be-örden geht. Die enorme Menge von Zustimmungsge-etzen, die hier schon mehrfach beklagt worden ist, gehtuf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsurück.Im Grunde muss eine Norm gefunden werden, aus derervorgeht, dass die Verfassungsgeber das Grundgesetzicht so gemeint haben, wie es das Bundesverfassungs-ericht auslegt, sondern so, wie es in der Verfassungteht.
ine solche Norm zu formulieren wird schon schwierigenug sein.ir können allerdings insofern entspannt reagieren, alsie Rechtsprechung des Karlsruher Gerichts erkennenässt, dass inzwischen auch die Bundesverfassungsrich-er der Meinung sind, dass ihre bisherige Auslegungicht mehr zeitgemäß ist. Es gibt erste Bewegungen, dieermuten lassen, dass das Bundesverfassungsgericht sel-er Art. 84 des Grundgesetzes wieder anders auslegenird. Wir müssen das auf jeden Fall auf die ursprüngli-he Formulierung zurückführen. Das wird von den Län-ern erheblichen Mut erfordern; denn das bedeutet na-ürlich, dass die Ministerpräsidenten nicht mehr in derisherigen Weise über den Bundesrat bei Themen mitre-ieren können, für die sie nicht gewählt sind. Zu wel-
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Bundesministerin Brigitte Zyprieschem Ergebnis die Kommission à la longue kommenwird, ist für meine Begriffe noch nicht geklärt. Allein dieTatsache, dass die Landesparlamente dafür mehr Kom-petenzen erhalten werden, wird die Ministerpräsidentenim Zweifel nicht entschädigen. Die Frage nach dem Mutmuss also auch auf der Seite der Länder beantwortetwerden.Lassen Sie mich noch einen Gesichtspunkt erwähnen,den ich schon eben angesprochen habe. Die föderaleOrdnung muss auch europatauglich werden. Wir müs-sen also sehen, dass in den Kompetenzbereichen wiezum Beispiel dem Umweltrecht ein übergreifender An-satz besteht. Es interessiert in Europa niemanden, wiewir unser innerstaatliches Rechtssystem, zum Beispieldie Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern,organisiert haben. Es wird vielmehr verlangt, dass wirinsgesamt reagieren. Es wird in Brüssel nicht wahrge-nommen, dass wir bei den Gesetzgebungskompetenzenjeweils nach Luft, Wasser und Boden unterscheiden unddementsprechend differenziert handeln müssen. Es kannaußerdem nicht sein – das sagte ich bereits –, dass wir inBrüssel Strafen dafür zahlen müssen, dass einzelne Län-der ihre Hausaufgaben nicht machen und das, was be-schlossen worden ist, nicht rechtzeitig umsetzen. Des-halb brauchen wir auch im Hinblick auf Europa eineStraffung der Kompetenzen und eine deutlichere Zuord-nung der Zuständigkeiten.Wenn die Kommission zur Modernisierung der bun-desstaatlichen Ordnung Erfolg haben soll, dann – someine ich – sollte sie sich zunächst auf das beschränken,was unter den ersten beiden Spiegelstrichen im Einset-zungsantrag behandelt ist, nämlich auf die Beantwortungder Frage nach der bundesstaatlichen Ordnung. Das, wasunter dem letzten Spiegelstrich aufgeführt ist – hier gehtes um die Finanzverfassung –, sollte erst dann behandeltwerden, wenn man hinter die ersten beiden Spiegelstri-che einen Haken machen kann.
Es besteht – so meine ich wenigstens – eine erhebli-che Gefahr, dass das eintritt, was der Bundestagspräsi-dent heute Morgen in seiner Rede sagte, nämlich dassder Berg kreißt und ein Mäuschen gebiert. Das kann ge-schehen, wenn man zu viele Themen auf einmal anpacktund sich in der zur Verfügung stehenden Zeit – das istdie laufende Legislaturperiode – nicht darauf verständi-gen kann, alles zum Abschluss zu bringen. Die Problemeder Welt, die heute Morgen teilweise als Probleme desBundes, der Länder und der Kommunen diagnostiziertwurden – hinzu kommt noch die europäische Verfassung –,wird die Kommission sicherlich nicht lösen können.Deshalb meine ich, dass wir schon eine Menge geschaffthätten, wenn es uns gelingen sollte, die Zuständigkeitenim Zusammenhang mit der Rahmengesetzgebung, mitArt. 84 und in anderen Punkten wirklich zu reformieren.Im Interesse eines solchen Ergebnisses sollte man alsobei der Wahl der Aufgaben bescheiden bleiben. Mansollte zunächst mit einfachen Schritten beginnen und dievon mir angesprochenen Themen abarbeiten. Erst dannshmMsFHBAwkwMiksssLDücdvdigtsmwsdmddmvtwswD
Ich erteile dem Kollegen Volker Kauder, CDU/CSU-
raktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Deutsche Bundestag und – morgen – derundesrat machen sich an eine gewaltige Aufgabe, eineufgabe, die, wie Wolfgang Bosbach gesagt hat, sprödeirkt und bei der viele Menschen gar nicht verstehenönnen, worum es dabei eigentlich geht. Deswegenünsche ich mir, dass die Vorsitzenden, aber auch alleitglieder der Kommission über die Kommissionsarbeitn einer Art und Weise berichten, dass die Menschen er-ennen, dass es hier nicht um irgendeine Formalie zwi-chen Bund, Bundesländern und Bundesrat sowie zwi-chen Ministerien und verschiedenen Behörden geht,ondern um etwas, was die Menschen in ihrem täglicheneben betrifft.
ies wird dann auch die notwendige Beteiligung weitber den Bundestag und den Bundesrat hinaus ermögli-hen.Mein Wunsch, Herr Kollege Gerhardt, könnte nunahin gehend interpretiert werden, dass genau der Kon-entsgedanke, den Sie angesprochen haben, dies beför-ern könnte. Ich habe diese Idee aber in einem Beitragn einem Magazin beleuchtet und bin zu dem Ergebnisekommen, dass die Zusammensetzung eines Konven-es die Aufgaben nicht erleichtert, weil danach im Deut-chen Bundestag und im Bundesrat mit Zweidrittel-ehrheit beschlossen werden muss. Deswegen habenir – zwar nicht als Verpflichtung, aber am Rande un-eres Einsetzungsbeschlusses – den Wunsch formuliert,ass auch alle Beschlüsse in der gemeinsamen Kom-ission mit Zweidrittelmehrheit gefasst werden; dennann haben sie die größte Chance, umgesetzt zu wer-en.Worum geht es ganz konkret? Es geht nicht, wieanche meinen, um eine Verfassungskommission, dieiele Punkte regeln soll. Es geht im Kern um eine zen-rale politische Frage in der Demokratie: Wer ist füras zuständig und wer trägt Verantwortung für Ent-cheidungen? Nur dann, wenn diese Frage beantwortetird, ist es den Bürgerinnen und Bürgern in eineremokratie möglich, bei Wahlen ihr Urteil darüber
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Volker Kauderabzugeben, ob die Entscheidungen richtig gefallen sindoder nicht.
Wenn ich in Veranstaltungen bin, bin ich immer wie-der beunruhigt, wenn wir, wie beispielsweise morgen– um ein ganz konkretes Beispiel anzusprechen –, überArbeitsmarkt und Bundesanstalt für Arbeit sprechen undentscheiden werden. Dann berichten die Medien darü-ber, wie die Bundesanstalt für Arbeit in Zukunft organi-siert wird, wie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ausse-hen werden und in welcher GrößenordnungArbeitslosengeld bezahlt wird. Dann beginnt eine Dis-kussion darüber, was der Deutsche Bundestag beschlos-sen hat. Drei bis sechs Wochen später erleben die Men-schen auf einmal, dass ein ganz anderes Ergebnisherausgekommen ist. Derjenige, der sich nicht jeden Tagmit Politik beschäftigt, versteht überhaupt nicht, waspassiert ist, und denkt: Am Freitag, dem 17. Oktober, hatder Bundestag entschieden, wie das aussehen soll, undsechs Wochen später, am 26. November, beschließt er et-was ganz anderes – die in Berlin müssen irre sein. DieserZustand muss geändert werden. Wir müssen klare Zu-ständigkeiten haben und dürfen nicht eine verwirrendeBotschaft an die Menschen in unserem Land aussenden.
Ich habe die große Ehre und Freude, im Vermitt-lungsausschuss tätig zu sein – eine Tätigkeit, die vielZeit kostet. Der Vermittlungsausschuss ist eine Einrich-tung, in der gestaltet werden kann. Aber genau das, wasvielfach von Kolleginnen und Kollegen aus allen Frak-tionen im Deutschen Bundestag gefordert wird, nämlichdass wir mehr an der Entscheidung über Gesetze betei-ligt sein müssen, findet im Vermittlungsausschuss nichtmehr statt. Ein Gesetz kommt ganz anders aus dem Ver-mittlungsausschuss heraus, als es hineingekommen ist.Dann kann ich meiner Fraktion oder kann der KollegeSchmidt seiner Fraktion am Freitagmorgen nur sagen:Leute, gestern Nacht war Vermittlungsausschuss, ihrkönnt mit Ja oder Nein stimmen; mehr ist nicht mehr zumachen. Mancher fragt sich dann: Wer hat unser Gesetzso zerstört? Deswegen muss die Aufgabe des Vermitt-lungsausschusses so definiert werden, dass sie eine Aus-nahme und nicht der Regelfall ist. Herr KollegeMüntefering hat darauf ganz entschieden hingewiesen.
Damit keine Missverständnisse entstehen, will ich gleichdazusagen: Solange die Kompetenzen so verteilt sindwie jetzt, werden wir natürlich unsere Einflussmöglich-keiten im Interesse des Landes, um für die Menschenbessere Gesetze zu bekommen, nutzen müssen. Wir wer-den sie auch nutzen.
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ie Länder könnten zielgenauer reagieren.Morgen werden wir im Deutschen Bundestag überHartz IV“ diskutieren. Für die Menschen ist überhaupticht erkennbar, was sich dahinter verbirgt. Es geht umie Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-ilfe zu einer neuen Form von Hilfe mit einer einheitli-hen Höhe. Wir, die wir aus den alten Bundesländernommen, müssen erkennen, dass sich die Situation inen neuen Bundesländern – die Arbeitslosigkeit liegtort teilweise bei 25, 27 oder 28 Prozent; der Mittelstandst dort noch nicht so ausgebaut wie im Westen, weswe-en man dort weniger Möglichkeiten hat – anders als inen alten Bundesländern darstellt, wo die Arbeitslosig-eit teilweise bei 5, 6, 7 oder 8 Prozent liegt. Deswegeniegt es im Interesse der Menschen – es geht gar nichtm die Interessen der Länder oder des Bundes –, dassie Politik näher an ihre Lebenswirklichkeit heran-ommt. Das können die Länder in vielen Bereichen bes-er als der Deutsche Bundestag.
Frau Kollegin Sager, ich trete leidenschaftlich für denettbewerbsföderalismus ein. Es geht dabei nicht
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Volker Kauder– der Kollege Gerhardt hat das richtig dargestellt – umeinen Wettbewerb, der isoliert in jedem einzelnen Landund ohne Verantwortung für das Gemeinwesen insge-samt stattfindet. Wir wissen sehr genau, dass es einenLänderfinanzausgleich geben muss. Er wird durch dieArbeit dieser Kommission überhaupt nicht zur Disposi-tion gestellt. Aber wer Wettbewerb will – jeder, der denFöderalismus stärken will, muss Wettbewerb wollen; dasollten wir uns nicht in die Tasche lügen –, muss den amWettbewerb Teilnehmenden die Chance geben, durch diebessere Erfüllung von Aufgaben für sein Land mehr zuerreichen. Mehr Föderalismus und mehr Wettbewerbheißt, dass die einzelnen Länder trotz des Länderfinanz-ausgleichs mehr von den Erträgen ihrer Arbeit behalten.
Ein in diesem Sinne verstandener Wettbewerbsföde-ralismus findet in den Ländern schon in ganz anderer Artund Weise statt, und zwar mit großem Erfolg. In denLändern, aber auch in der ganzen Republik stehen dieStädte und Gemeinden im Wettbewerb. Es geht darum,wie eine Kommune Aufgaben besser erfüllen kann alsdie Nachbarkommune. Es geht darum, ob sie sich fürdiese oder für jene Investition entscheidet. Genau dieserWettbewerb hat uns auf kommunaler Ebene enorm vor-angebracht. Es sind neue Ideen entstanden.Ich nenne wieder ein Beispiel aus dem Bereich, überden wir morgen sprechen wollen. Warum meinen wir imBundestag, besser zu wissen, wie in einer Stadt mit20 000 Einwohnern Arbeitsvermittlung stattfindensollte, und trauen der Kommune nicht zu, das selbst zuentscheiden? Warum wollen wir das zentral steuern?
Damit bin ich wieder bei meinem Thema. Es gehtganz entscheidend darum, den Menschen zu vermitteln:Hier sitzen nicht zwei große Gremien der Demokratie,Bundestag und Bundesrat, zusammen, um über die Auf-gabenverteilung und darüber, wer was kann, zu streiten.Vielmehr haben wir hier das Ziel, eine Verbesserungder Entscheidungsstrukturen zu erreichen, um mit un-seren Entscheidungen, den Entscheidungen von Bundund Ländern, näher bei den Menschen zu sein. Auf die-sem Weg wünsche ich viel Erfolg und viel Glück. HerrPräsident, Sie haben mich zitiert. Jawohl, wir sind bereit,dazu beizutragen. Wir wollen, dass dieses große Vorha-ben im Interesse der Menschen zum Erfolg geführt wird.Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehenin dieser Legislaturperiode vor einer ganz entscheiden-ddsKwwbmdadnzmsdirdfvGkkndKpPVfwsLdumVVkWdwcmatiimD
Die anstehende Föderalismusreform bietet in ersterinie neue Chancen für unsere Demokratie. Sie bietetie Möglichkeit, Verantwortung erkennbar zu machennd auch für die Bürgerinnen und Bürger deutlich zuachen, welche Akteure, welche Parteien politisch dieerantwortung für Gesetzgebungsvorhaben oder für dieerhinderung solcher Vorhaben tragen. Der Wahldemo-ratie laufen heute die Wählerinnen und Wähler weg.ir können mit der Föderalismusreform dafür sorgen,ie Demokratinnen und Demokraten wieder zurückzuge-innen, und den Bürgerinnen und Bürgern deutlich ma-hen, dass es sich lohnt, mitzumachen.Unser Föderalismus ist kein starres Gebilde, sondernuss als dynamisches System fortentwickelt und anktuelle Entwicklungen angepasst werden. Die Institu-onen haben sich in 50 Jahren Verfassungsgeschichtemer weiter ineinander verkantet.
as Ergebnis ist allzu oft Stillstand.)
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Volker Beck
Uns wird diese Föderalismusreform nur gelingen,wenn es zu einem fairen Geben und Nehmen zwischenBund und Ländern bei Gesetzgebungskompetenzen undZuständigkeiten der verschiedenen staatlichen Ebenenkommt. Dabei müssen wir uns von einer Philosophie lei-ten lassen, die allen Ebenen – Bund, Ländern und Kom-munen – mehr Gestaltungsfreiheit und mehr eigenstän-dige Kompetenzen zuweist. Auf welchem Wege sich dieGesetzgebungsautonomie der Länder stärken lässt, darü-ber wird die Kommission ausführlich beraten müssen.In der Wissenschaft wird, frei von politischen Rah-menbedingungen, häufig die Meinung vertreten, wirbräuchten acht leistungsfähige, starke Länder. Ichglaube, wer die Hürde für das Gelingen der Föderalis-musreform so hoch legt, wird daran scheitern. Aber wirmüssen darüber diskutieren, dass die Länder unter-schiedlich leistungsfähig sind. Damit die Zuweisungneuer Kompetenzen und neuer Gestaltungsspielräumeim Rahmen des fairen Gebens und Nehmens glückenkann, müssen wir wahrscheinlich auch neue Formen derKooperation zwischen den kleineren und schwächerenLändern unterhalb der Fusionsebene finden.Hier wurde viel von Wettbewerbsföderalismus ge-redet. Wir müssen ganz klar darauf achten, dass es keineRechtszersplitterung geben darf. Der Bund muss inKernbereichen immer die Möglichkeit haben, für gleich-wertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen.
Zum Beispiel in Fragen der Existenzsicherung, beimWohngeld, bei der Sozialhilfe, bei der Daseinsvorsorgeund in der Wohnraumversorgung ist dies unerlässlich.Im Hinblick auf Hartz III und IV bin ich sehr dafür,dass die Kommunen, die in diesem Bereich sehr gute Ar-beit leisten – meine Heimatstadt gehört dazu –, in denVermittlungsprozess aktiv einbezogen werden. Köln hatschon heute ein Jobcenter beim Sozialamt. Warum sollteman diese Kompetenz nicht nutzen? Aber wir könnenauch nicht darüber hinwegschauen, dass andere Kom-munen eine solche Arbeit nicht leisten können und auchgar nicht wollen. Wir müssen darauf achten, dass der Ar-beitslose keine Niete zieht, wenn er in der falschen Stadtlebt. Der Bund hat die Aufgabe, für einheitliche Vermitt-lungsanstrengungen zu sorgen.
Darüber hinaus wird es darum gehen, bereits vorhan-dene Zuständigkeiten des Bundes präziser auszugestal-ten und die Entwicklungen auf EU-Ebene, zum Beispielim Umweltschutz, in unserer verfassungsrechtlichenOrdnung zu reflektieren. Beim Umweltschutz brauchenwir einen medienübergreifenden Ansatz. Wir habenheute einen Sektorenansatz, der noch dazu in einzelnenBereichen Rahmengesetzgebung und in anderen Berei-chen konkurrierende Gesetzgebung vorsieht. Alles istschön unübersichtlich zersplittert. Wir schaffen es regel-mäßig nicht, sinnvoll oder gar zeitgerecht die Vorgabender Europäischen Union umzusetzen. Hier müssen wirentrümpeln.hiuGcgsZhdwwlLrltsdtsdjdasFZmwpf
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Burgbacher,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieiele, die die Arbeit der FDP in der Föderalismuskom-ission bestimmen werden, lassen sich mit den Schlag-orten Wettbewerb, Entscheidungsfähigkeit und Trans-arenz umschreiben. Die Reform des Föderalismus istür mich und für die FDP eine der ganz zentralen Aufga-
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Ernst Burgbacherben dieser Legislaturperiode. Darin sind wir uns alle,wie ich glaube, einig.Ich verkenne nicht, dass ich eine gewisse Skepsis be-züglich der Zusammensetzung dieser Kommissionhege – ich hoffe, dass sie überwunden wird –; denn ne-ben 16 Bundestagsabgeordneten, die alle, wie ich derDebatte entnehme, vom Willen beseelt sind, etwas zu er-reichen, sind noch 16 Ministerpräsidenten Mitgliederdieser Kommission. Ich hoffe wirklich, dass diese 16nicht bei jedem Vorschlag mit dem Taschenrechnernachrechnen, ob er ihnen schadet oder nützt. Wenn dieseEinstellung vorhanden sein sollte, dann wäre die Arbeitder Kommission zum Scheitern verurteilt. Deshalb for-dere ich gleich am Anfang alle Mitglieder auf, diesesDenken zu überwinden und immer die Sache insgesamtim Blick zu haben.
Die Kommission darf sich auch nicht nur vom demMotiv leiten lassen – das ist meine zweite Bemerkung –,danach zu schauen, wo es Machtzuwachs und -verlustgibt. Leitmotiv der Kommission muss es vielmehrsein, dafür zu sorgen, dass unserem föderalen Systemwieder mehr Entscheidungsfähigkeit zukommt, wie esWolfgang Gerhardt vorher ausgeführt hat, und die Ent-scheidungen transparenter werden, damit auch die Wäh-lerinnen und Wähler erkennen können, wer für welcheEntscheidung zuständig ist und gegebenenfalls dafürverantwortlich zu machen ist.
Im Verlaufe der Geschichte der BundesrepublikDeutschland hat man sich immer mehr dem Modell deskooperativen Föderalismus zugewandt bzw. es selbst ge-schaffen. Ausgangspunkt war aber vielmehr das Modelldes Wettbewerbsföderalismus. Zu den Reformhinder-nissen gehört an erster Stelle – ich sage das auch nocheinmal in Ihre Richtung, Herr Beck – die Überbetonungder Gleichwertigkeit und der Einheitlichkeit der Lebens-verhältnisse, die das Grundgesetz an zwei Stellen, näm-lich in Art. 72 und in Art. 106, als Nebenbedingungenerwähnt, aber nicht als Staatsziel proklamiert. Der Über-interpretation dieser Nebenbedingungen ist entschiedenentgegenzutreten.
Meine Damen und Herren, von der falschen und imKern für alle Beteiligten schädlichen Nivellierungsideo-logie muss endlich Abschied genommen werden undBürgern wie Politikern wieder bewusst gemacht werden,dass Föderalismus nicht Gleichmacherei bedeutet, son-dern exakt das Gegenteil davon, nämlich Länderautono-mie, Wettbewerb und die Gewährleistung kultureller, so-zialer, ökonomischer und politischer Vielfalt. Daswollen wir doch in unserem Staat. Dafür müssen wirauch jetzt Sorge tragen.
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eshalb müssen wir hier sogar die Vorgehensweise än-ern: Wir müssen zuerst die Finanzverfassung moderni-ieren; erst danach können wir uns der Lösung der ande-en Probleme wirklich zuwenden.Weiterhin muss im Vordergrund eine klar strukturierterennung und Neuverteilung der Gesetzgebungskompe-enz stehen. Im Augenblick neigen ich und meine Frak-ion dazu – das sage ich Ihnen ganz offen –, die Rah-engesetzgebung weitgehend abzuschaffen. Wir neigenuch dazu, den Katalog der konkurrierenden Gesetzge-ung sehr stark zu beschneiden. Auf diese Weise wollenir Gesetzgebungskompetenzen wieder klarer demund oder den Ländern zuordnen. Dabei darf nicht dereweilige Ehrgeiz eine Rolle spielen, sondern derspekt, auf welche Ebene sie eher gehören. Ich denke,n der Kommission werden wir uns den Katalog vor-nöpfen und Punkt für Punkt diskutieren müssen, wo derund besser alleine zuständig sein sollte und was wir inie Zuständigkeit der Länder zurückverlagern sollten.as wird ganz wesentlich sein.Liebe Kollegin Sager, an dieser Stelle stört mich einegriff, den Sie, wie ich glaube, zweimal gebraucht ha-en, und zwar der Begriff der Öffnungsklausel. Eineffnungsklausel ist eigentlich ein fauler Kompromiss.ch will keine Öffnungsklauseln, sondern eine klare Zu-eisung der Zuständigkeiten. Wohin es führt, wenn manffnungsklauseln einführt, sehen wir im Übrigen im Au-enblick bei der Beamtenbesoldung. Sobald man be-innt, Öffnungsklauseln einzuführen, ist das Scheiternigentlich schon vorgezeichnet. Nein, lassen Sie uns denut haben, jetzt klare Entscheidungen zu treffen, wasohin gehört!Im Rahmen dieser Zuordnung weise ich auf einenunkt hin, der heute noch keine Rolle gespielt hat: Dientflechtung der Aufgabenzuständigkeiten im Interesseiner klaren Zuordnung der Verantwortung verlangtann aber auch, dass sich die niedrigere Ebene – hier die
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Ernst BurgbacherLänder – bei der höheren – hier dem Bund – nicht überGebühr in die dortige Aufgabenwahrnehmung ein-mischt. Deshalb rege ich an, Art. 23 des Grundgesetzeszu überdenken. Viele wissen noch, wie der Artikel da-mals neu aufgenommen wurde. Wenn wir eine klareAufgabentrennung wollen, muss auch die Kompetenzdes Bundes bei der EU wieder klarer geregelt sein.
Die Europakompatibilität wurde einige Male ange-sprochen. Ich halte sie für maßgeblich. Uns als Bundes-republik Deutschland ist daran gelegen, unsere Interes-sen bei der Europäischen Union zu vertreten. EineAufgabe der Kommission muss darin bestehen, uns indie Lage dazu zu versetzen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 7. Novemberdieses Jahres wird die Kommission zum ersten Mal ta-gen. Wir haben eine große Aufgabe. Ich freue mich aufdiese Aufgabe. Meine Fraktion ist entschlossen, alles da-für zu tun, dass wir diese Aufgabe erfolgreich bewälti-gen. Ich fordere alle Mitglieder der Kommission auf,auch die Mitglieder der Länderseite, nicht eigene Inte-ressen, sondern das Wohl unseres Landes, die größereEffizienz und Transparenz unseres Systems in den Vor-dergrund zu stellen und endlich mehr Wettbewerb zwi-schen den Ländern, aber auch zwischen den Kommunenzuzulassen und zu fördern.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerFöderalismus gehört zu den Säulen der Bundesrepublik.Als Prinzip hat er sich bewährt. Mit ihm wird geregelt,was der Bund soll und darf, was allein Ländersache undwas Angelegenheit der Kommunen ist. Die PDS bejahtdieses Prinzip. Gleichzeitig verweisen wir seit Jahrenauf Mängel und Schieflagen in der Praxis. Diese gehenim Übrigen überwiegend zulasten der Länder und Kom-munen. Sie drohen das Prinzip auszuhöhlen. Deshalb tei-len wir die zunehmenden Klagen und Forderungen desStädte- und Gemeindetages. Es ist löblich, wenn Städteund Kommunen möglichst viel in eigener Sache ent-scheiden können, aber es ist tödlich für sie, wenn ihnendie Ressourcen und das Geld dazu durch eine falscheSteuerpolitik immer mehr entzogen werden.Ein aktuelles Beispiel: Würde die Steuerreform vor-gezogen, wie von Rot-Grün geplant, verlöre das LandBerlin Einnahmen von circa 400 Millionen Euro. Kämedagegen die Vermögensteuer, wie die PDS sie fordert,flössen rund 400 Millionen Euro mehr in die Landeskas-sen.
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ndere wollen einen Wettbewerbsföderalismus, bei demie starken Länder gewinnen und die ohnehin schwa-hen weiter verlieren. Die PDS im Bundestag will diesicht.Schließlich gibt es noch einen weiteren Konflikt. Eretrifft das Verhältnis von Exekutive und Legislative,lso von Regierung und Parlament. Das Gewicht desarlaments wird immer geringer und der Einfluss deregierung immer stärker. Der Versuch, ein Entsendege-etz zu verabschieden, nach dem künftig nicht mehr derundestag, sondern eine elitäre Untergruppe des Parla-ents über Auslandseinsätze der Bundeswehr entschei-en soll, ist dafür nur ein aktueller Beleg. Wider dasrundgesetz ist er außerdem.Heute geht es um eine gemeinsame Kommission vonundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bun-esstaatlichen Ordnung, also um ein Gremium, das sichit den von mir aufgeworfenen Fragen und vielen ande-en Punkten befassen soll. Gerade deshalb sollten wir ei-en Konstruktionsfehler gleich von Anfang an vermei-en. Sie wissen es – wenn nicht, dann sage ich es Ihnen –:s gibt seit geraumer Zeit einen Konvent deutscher Lan-esparlamente. Er befasst sich mit der Frage, wie denandesparlamenten die ursächlichen Rechte wiederge-eben werden können und wie das Recht der Parlamenta-ier gegenüber den Regierenden gestärkt werden kann.Dieser Konvent hat am 31. März dieses Jahresepräsentanten bestimmt. Sie sollen die Interessen derandesparlamente gegenüber dem Bund, aber auch ge-enüber den Landesregierungen vertreten. In der gemein-amen Kommission von Bundestag und Bundesrat, dieeute zur Debatte steht, findet sich das berechtigte Anlie-en der Landesparlamente allerdings überhaupt nichtieder. Damit setzt sie sich über den erklärten Willen vonund 2 000 Landesparlamentariern hinweg. Ich finde, dasst kein Fehlstart, sondern schlichtweg ein Foul.
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Petra PauIch kann auch nicht mit dem Argument des Bundestags-präsidenten von heute Morgen leben, dass die Landesre-gierungen die Interessen der Landesparlamente in dieserKommission besser vertreten würden.Mit der Reform des Föderalismus geht es auch um dieZukunft des Ostens. In den neuen Bundesländern arbei-ten 144 Parlamentarier der PDS. Die PDS aber – unddamit rund 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler –wird durch die vorgeschlagene Zusammensetzung derKommission schlicht ausgegrenzt – nicht zufällig, son-dern wohl wissend; denn es gab Vorschläge – im Übri-gen nicht nur Vorschläge der PDS, sondern Vorschlägequer aus allen Landesparlamenten –, diesen Fehler zukorrigieren. Professor Lothar Bisky hat dies als PDS-Vorsitzender in einem Brief an den Parlamentspräsiden-ten Thierse und an den Präsidenten des Bundesrates an-gemahnt. Bisher gab es keine Resonanz. Diese Ignoranzwerden wir nicht hinnehmen.
Die PDS im Bundestag bedauert, dass damit ein gro-ßes und wichtiges Thema von Anfang an durch kleinli-chen Egoismus belastet wird. Wir haben mehrere Ände-rungen beantragt. Unter anderem wird verlangt, die elfMitglieder der Verhandlungskommission des Föderalis-muskonvents der Landesparlamente in unsere Kommis-sion gleichberechtigt aufzunehmen.Danke schön.
Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege
Wilhelm Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichstehe sozusagen mit dem Grundgesetz unterm Arm amRednerpult. Ich will damit verdeutlichen, an welcherStelle der Debatte wir uns befinden. Wir müssen an un-serem Grundgesetz, mit dem die Politik unseres Landesgestaltet wird, etwas verändern, damit die Menschendraußen im Lande spüren, dass wir ihre Sorgen ernstnehmen, wenn es um ihre Lebensverhältnisse geht. Wirmüssen versuchen, mit der Entflechtung von Gesetzge-bungsüberschneidungen voranzukommen und mit demGesetzgebungswirrwarr aufzuräumen, und zwar gemein-schaftlich.Ich fühle mich von dem Auftakt dieser Debatte heuteMorgen und von allen Vorrednerinnen und -rednern er-mutigt, wenngleich man feststellen muss, dass es dochden einen oder anderen Unterschied gibt. Das will ichnicht verhehlen; ich komme darauf gleich zurück.Wenn aber in den letzten Tagen und Wochen in derÖffentlichkeit zum Beispiel mit Schlagzeilen wie „Augi-asstall ausmisten“ oder „Einen elenden Kuhhandel rück-abwickeln“ operiert wurde, dann ist das, wie ich finde,eine Übertreibung. Wir haben ein gutes Grundgesetz;dLatwnHgamadSdmtdlAdddsswbaAdzdHTdAzEdmHwhRunzgies
Wir wollen Berufsskeptiker wie Robert Leicht voner „Zeit“ widerlegen; diesen Willen habe ich mit wirk-ich großem Genuss von allen Seiten des Hauses gespürt.ber wir müssen dann auch sehr intensiv arbeiten, umie vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen.Die Zurückhaltung, die Bundesministerin Zypries anen Tag gelegt hat, entspringt – wie ich finde, zu Recht –er Stellung der Bundesregierung in diesem Prozess. Sieoll uns begleiten, helfen und unterstützen; das ist zuge-agt worden. Zurückhaltung ist aber deswegen geboten,eil die Bundesregierung nicht direkt am Gesetzge-ungsverfahren beteiligt ist. Dass die Bundesregierungber eine wichtige Rolle spielen muss, ist einheitlicheuffassung.Wer sich das Ausmaß der Verflechtungen gerade iner Gesetzgebung, aber auch in den Finanzbeziehungenwischen Bund und Ländern konkret vor Augen führt,er wird spüren, dass Veränderungen wirklich nötig sind.err Kauder hat vorhin kurz aus unserer gemeinsamenätigkeit im Vermittlungsausschuss – auch viele anderearan Beteiligte sind hier – berichtet. Ich muss zugeben:ls wir gestern Abend im Vermittlungsausschuss relativügig mit zwei Ablehnungen und einer Vertagung zunde gekommen waren, konnte man auf der einen Seiteamit nicht zufrieden sein. Auf der anderen Seite sagteir ein Mitglied des Bundesrates hinter vorgehaltenerand: Ich muss bekennen, auch ich weiß nicht, warumir im Bundesrat das Gentechnikgesetz zu behandelnaben. Denn es geht da wirklich nur, wie Herr Beck mitecht betont hat, um Veränderungen in den Abläufennd Zuständigkeiten innerhalb von Bundesressorts undachgeordneten Behörden des Bundes. Das Verhältniswischen Bundestag und Bundesrat treibt manchmal un-laubliche Blüten.Ich will mit Blick auf Art. 84 des Grundgesetzes, dench in unserer Debatte als einen ganz zentralen Punktmpfinde, darauf hinweisen, dass es auch in dieser Hin-icht eine ganze Reihe von Entwicklungen gibt, die uns
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Wilhelm Schmidt
nicht einerlei sein können. Nehmen Sie nur – Finanz-minister Eichel ist ja hier –
das Förderbankenneustrukturierungsgesetz. Was spieltesich da vor der Sommerpause ab? Es war ursprünglichnicht zustimmungspflichtig. Aufgrund des Drucks derLänder und der Tatsache, dass wir das Ganze nicht ver-zögern wollten, haben wir für den im Rahmen diesesneuen Förderbankeninstrumentariums vorgesehenenMittelstandsrat drei Vertreter der Länder zugelassen. Vondiesem Augenblick an war das Gesetz in vollem Um-fange zustimmungspflichtig. Man fragt sich wirklich,welchen Unsinn wir uns ab und zu selber zumuten.
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Heiderich?
Gerne.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben eben das Problem
der Behandlung des Gentechnikgesetzes im Bundesrat
angesprochen. Können Sie sich vorstellen, dass Ihrem
Problem durch eine Rückfrage bei fachkundigen Kolle-
gen abgeholfen werden und man Sie darüber informieren
könnte, welchen Sinn es hat, dieses Gesetz im Bundesrat
zu behandeln?
Die Frage ist, was man, wenn ein solches Gesetz nachunserer grundgesetzlichen Basis dem Bundesrat zuge-wiesen werden muss, verhindern kann. Das liegt dann inder Hand des Bundesrates. Wenn man trotz des hinterden Kulissen formulierten guten Willens das Gegenteilin der Praxis erlebt, wird man etwas skeptisch. Deshalbkann ich nur an alle Beteiligten appellieren. Darin wirdder Sinn unserer Kommissionsarbeit in Zukunft liegen.
Ich möchte für unsere Seite sagen, dass wir die Arbeitsehr konsequent und zugleich pragmatisch angehen wol-len. Wir wollen ganz bewusst nicht mit Vorfestlegungenim Detail operieren, weil wir auf alle, auch auf die Län-der als Beteiligte, zugehen wollen. Es war jedochwichtig, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende, FranzMüntefering, schon im Juni den Beginn der Debatte imDeutschen Bundestag ausgelöst hat. Entscheidend ist,dass wir das, was wir geplant haben, konsequent umset-zen. Deshalb wird Herr Müntefering einer der alternie-renden Vorsitzenden des Gremiums werden. Das ist einwichtiges Zeichen dafür, dass meine Fraktion und wiralle dieses Thema besonders ernst nehmen.
Bezüglich der Analysen haben wir vieles gehört, wasuns miteinander verbindet. Ich möchte Ihnen etwas ausdudWtwweissumvHNeiIkgdKzaSssaskzGmdwmuImSwds
ch fand die Formulierung von Herrn Burgbacher schonritikwürdig; deshalb wollte ich noch einmal darauf ein-ehen. So etwas darf sich erst gar nicht einschleifen;enn das könnte auch zu falschen Zielsetzungen in derommissionsarbeit führen.Wir wollen, dass die Mitwirkungsrechte der Länderurückgeführt werden. Wir wollen klare Verlagerungenuf Bund und Länder, ohne dass man sich gegenseitigchwierigkeiten machen kann. Ich habe das Grundge-etz deshalb mitgebracht, damit wir ab und zu hinein-chauen können. Ich möchte auch Ihnen empfehlen, dasb und zu zu tun. Ich weiß, diejenigen, die hier sind, sindo engagiert, dass sie das Grundgesetz fast auswendigönnen. Der interessierten Öffentlichkeit sei gesagt, dassum Beispiel die konkurrierende Gesetzgebung, die imrundgesetz verankert ist, 26 verschiedene Elementeit zum Teil vielen Untergruppen enthält. Hier könnte esurchaus zu einem konkreten Ergebnis kommen, sodassir eine Entflechtung herbeiführen können. Die Rah-engesetzgebung des Bundes mit sieben Einzelpunktennterliegt genau der gleichen Bewertung.Wir hören jetzt aber schon wieder die Reaktionen vonnteressengruppen, die nicht möchten, dass wir die Rah-engesetzgebung beim Hochschulrecht oder an anderertelle aufgeben. Sie befürchten nämlich, dass bundes-eit große Komplikationen eintreten könnten, wenn wiren Rahmen des Bundes nicht mehr setzen. So könntenich zum Beispiel in den Ländern ganz unterschiedliche
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Wilhelm Schmidt
Verhältnisse an den Hochschulen entwickeln. DieseSkepsis sollten wir ernst nehmen, ohne deswegen dasZiel der Entflechtung auch bei der Rahmengesetzgebungzu vernachlässigen.Art. 84 des Grundgesetzes ist schon angesprochenworden. Wir müssen bei allem Respekt vor dem Bundes-verfassungsgericht, das uns vor fast 30 Jahren etwas ein-gebrockt hat, eine Klarstellung herbeiführen. Deswegenwird es eine wichtige Aufgabe sein, Art. 84 des Grund-gesetzes in seinen ursprünglichen Sinn zurückzuführen.Ich hoffe, dass wir uns darüber schnell einigen können.Auf diese Weise könnten wir uns von dem Monstrum derBeteiligungsrechte, die wir alle nicht wollen, verabschie-den.Ich will auf die Frage der Föderalismuswirkung mitBlick auf die neuen Länder eingehen. Ich glaube näm-lich, sie sind in der Gesamtdebatte ein wenig vernachläs-sigt worden. Die neuen Länder haben sich nach der deut-schen Einheit im Föderalismus gut eingerichtet. Siehaben auch unglaublich davon profitiert. Daran erkenntman den grundsätzlichen positiven Wert der föderalisti-schen Bestimmungen und Strukturen in diesem Land.Die unterschiedlichen Lebensbedingungen – wenn wirsie in einer Weise aufarbeiten wollen, wie es unser grund-gesetzlicher Auftrag ist – erfordern aber nicht, dass wirzum Beispiel die in ihren Strukturen und in ihrer Finanz-kraft immer noch schwächeren ostdeutschen Bundeslän-der in einen Wettbewerb zu den westdeutschen Bundes-ländern setzen, die – jedenfalls im Grundsatz – bessergestellt sind. Unsere Aufgabe, Herr Burgbacher von derFDP und viele andere von der CDU/CSU, ist es, das inbesonderer Weise zu berücksichtigen. Wir haben demmit der Verlängerung der Geltung des Solidarpakts IIund der damit verbundenen Sicherung der notwendigenRessourcen bis zum Jahre 2019 Rechnung getragen. Ichglaube, das ist eine wichtige Grundlage.
Zum Antrag der beiden fraktionslosen Abgeordneten,der hier vorliegt, will ich ganz kurz Stellung nehmen:Wir können Ihren Antrag nicht unterstützen, weil wir dieBeteiligungsrechte der Landtage nicht von hier aus re-geln können und von Anfang an im Einvernehmen mitallen Beteiligten bei den Vorabsprachen auch nicht re-geln wollten. Wir haben jedoch nach einigem Hin undHer Folgendes getan: Es gibt sechs beratende Mitgliederaus den Landtagen sowie sechs Stellvertreter für diese.Die Auswahl organisieren wir nicht selber. Das tut derzitierte Konvent, wie ich finde, zu Recht, Frau Pau.Ich will alle Beteiligten auf eines hinweisen: Diejeni-gen, die mit der Konventsidee gespielt haben – so zumBeispiel die FDP, aber auch andere –, bekommen indi-rekt fast so etwas wie einen Konvent. Die Kommissionwird 32 ordentliche Mitglieder sowie zusätzlich 70 wei-tere Beteiligte, beratende Mitglieder und Sachverstän-dige, haben. Das wird sehr schwer zu handhaben sein.Dabei wird es sehr auf die beiden Vorsitzenden sowiedas Sekretariat ankommen, damit die Organisationstimmt.rIBd–mefisggndsdaclasnaKsrgDuhgmskzdnm
Ich glaube, Herr Präsident, der Kollege Beck möchteir eine Zwischenfrage stellen.
Da der Redner damit offensichtlich einverstanden ist,
rteile ich Kollegen Beck das Wort zu einer Zwischen-
rage.
Ich möchte den Kollegen Schmidt fragen, ob er bereit
t, sich zu erinnern, dass wir uns in dieser Frage zwar so
eeinigt haben, wie er es gerade dargestellt hat, das Er-
ebnis aber nicht die einhellige Auffassung aller Fraktio-
en widerspiegelt. Wir konnten uns durchaus vorstellen,
em Anliegen einer breiteren Repräsentanz der Landtage
tattzugeben.
Ich bestätige, dass es bei der Fraktion der Grünen inen Vorgesprächen eine solche Tendenz gab. Ich habeber hier über die Ergebnisse und nicht darüber zu spre-hen, was im Vorfeld alles stattgefunden hat, Herr Kol-ege Beck. Ich bitte dafür um Nachsicht.
Ich will noch etwas sagen, was der Ehrlichkeit halberuch dazugehört: Liebe Kolleginnen und Kollegen, hierollten keine Stellvertreterkriege ausgetragen werden:icht hier und jetzt zwischen uns – das sowieso nicht –,ber auch nicht in der Sache zu Punkten, die wir mit derommission nicht regulieren können. Das gilt zum Bei-piel für das Innenverhältnis zwischen den Landesregie-ungen, die von der Mehrheit der jeweiligen Landtageewählt worden sind, und ihren jeweiligen Landtagen.as sollen diese bitte schön untereinander austragen.Das Gleiche gilt für das Innenverhältnis des Konventsnd seine Arbeit. Sie ist ohnehin informell genug. Wiraben uns auf eine Institution verständigt, die aus 32 Mit-liedern besteht. Das ganze Drumherum hat eher infor-ellen Charakter.Ich will zum Schluss noch etwas zu den Kommunenagen, weil ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir dieommunalen Spitzenvertreter mit am Tisch haben, undwar in einer Weise, die ihnen nach meiner Überzeugungas Gespür vermittelt, dass wir es mit ihnen ernst mei-en. Dass wir als Koalition es mit den Kommunen ernsteinen, wird sich noch einmal morgen in der Debatte
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Wilhelm Schmidt
zeigen, wenn wir den Entwurf einer kommunalen Fi-nanzreform beraten,
von der wir hoffen, dass die Opposition sie unterstützenwird.
Es ist, wie ich glaube, wichtig, dass wir alle Ebenen be-rücksichtigen, auch die europäische Ebene. Das ist be-reits angeklungen; Fraktionsvorsitzender Münteferinghat das, wie ich finde, zu Recht in seiner Rede themati-siert.Wir sind auf einem schwierigen, aber auch interessan-ten Weg, der sicherlich viele Chancen bietet. Heute Mor-gen ist mit guten Zeichen und guten Ansätzen begonnenworden. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich diesesKlima im Laufe der Debatte und der Kommissionsarbeitaufrechterhalten ließe.Vielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Nach den umfangreichen lichtvollenAusführungen meiner zahlreichen Vorredner bleiben mirnur einige wenige Gebiete für meine Anmerkungen. Ge-statten Sie mir, dass ich zunächst kurz auf den Dialogzwischen dem Kollegen Beck und dem KollegenSchmidt eingehe. Wir als Parlamentarier dieses Hausessollten es begrüßen, dass die Landtage in der Kommis-sion vertreten sind, ob beratend oder stimmberechtigt istnicht entscheidend. Parlamentarier müssen darauf ach-ten, dass das parlamentarische Element, wo immer undauf welchen Ebenen es in Rede steht, zur Geltungkommt. Deswegen finde ich diese Diskussion richtig.Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine beispiel-lose Aushöhlung der parlamentarischen Rechte er-lebt. Der Generalangriff gegen die parlamentarischenRechte findet sicherlich auf europäischer Ebene statt.Die Aushöhlung der faktischen Einflussmöglichkeitender nationalen Parlamente gegenüber ihren nationalenRegierungen in Europaangelegenheiten hat dazu geführt,dass sich die starken Bürokratien der Nationalstaaten inBrüssel eine Überbürokratie installiert haben. Es ist des-wegen kein Wunder, dass wir beim EU-Verfassungsver-trag, der diskutiert wird, in eine Situation gekommensind, in der es ausschließlich darum geht, was die Regie-rungen sagen, und nicht um Willensbildungsprozesse derPDrdmsmDstSwfqbmhhdkLntggpmsÄssgWdtpAdkHfVoaapmAzssem
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Wenn ich das so sagen darf, liebe Frau Sager: Das istschon sehr halbherzig.
Das föderative System – lassen Sie mich das sagen – istdie Kernsubstanz unseres Staates. Deswegen denke ich,dass die Einschränkung, es sei an sich nicht schlecht,nicht notwendig ist. Wenn man über die Modernisierungder bundesstaatlichen Ordnung redet, dann muss manauch über die Veränderung von Kompetenzen reden. DieKmwJGtestebdKsdfKnebhtdeenRtissmuddstiMDliliisLwrmns
Ich muss sagen: Die Diskussion über den Wettbe-erbsföderalismus hat mich etwas irritiert. Dass wir imahre 2003 die Spannungen zwischen Freiheit undleichheit in diesen Fragen immer noch aufrechterhal-n, finde ich merkwürdig. Wir sollten uns darin einigein, dass es beim Wettbewerb, beim Ringen um die bes-n Lösungen, immer darum geht, dass es am Ende allenesser geht und dass es überall besser funktioniert. Ichenke, die Art und Weise, wie die Europäische Unionompetenzen an sich reißt und wie mit den Mitglied-taaten umgegangen wird, sollten wir uns im Bund-Län-er-Verhältnis nicht zu Eigen machen.
Maßstab ist vielmehr das Bewusstsein, dass die Ver-lechtung, Vermischung und Verwischung politischerompetenzen die föderative Ordnung und Substanzicht stärken, sondern schwächen. Jede Intransparenz istin Stück Demokratiedefizit, weil der Bürger nicht mehregreifen kann, wo er wen oder was wählt. Auch das isteute an vielen Beispielen plastisch ausgeführt worden.Eine funktionsfähige und tatkräftige föderale Struk-ur ist auch im Angesicht der ökonomischen Herausfor-erungen als Antwort auf die Globalisierung vonntscheidender Bedeutung. Wenn es heute um Standort-ntscheidungen von Unternehmen geht, dann stehen we-iger ganze Nationalstaaten, aber immer mehr einzelneegionen im Vordergrund. Wenn man in ein Land Inves-tionen holen will, dann bedeutet das, dass man eine be-timmte Region individuell, flexibel, innovativ undtrukturangemessen als Wirtschaftsstandort aufbereitenuss. Ich bin überzeugt, dass dafür die föderale Strukturnseres Gemeinwesens viel besser geeignet ist und iner Zukunft viel bessere Möglichkeiten haben wird alsie Entscheidungsmechanismen zentralistischer Staaten.Aber auch und gerade angesichts dieser ökonomi-chen Herausforderungen ist es wichtig, dass die Funk-onsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung durch eineodernisierung in der Zukunft gesteigert werden kann.adurch wird es möglich, in einem Staat unterschied-che Konzepte, wo nötig mit unterschiedlichen gesetz-chen Bedingungen, zur Auswahl zu stellen. Vielleichtt dies ein Beitrag zur Entbürokratisierung, wenn einand den anderen Ländern beweisen kann, dass es miteniger oder sogar ganz ohne Vorschriften in einem Be-eich auskommt.
Die Frau Ministerin hat ausgeführt, dass der Zeitrah-en sehr eng gesteckt sei und wir uns nicht zu viel vor-ehmen sollten. Ich möchte ihr in diesem Punkt wider-prechen; denn es darf nicht dazu kommen, dass wir
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Dr. Hans-Peter Friedrich
nicht die Gelegenheit nutzen, Perspektiven aufzugreifen,die vielleicht über die geplante Zielsetzung 2004/2005hinausreichen. Damit will ich nicht den Zeitrahmen er-weitern; denn auch für die Modernisierung des Bundes-staates gilt: Ein schneller Erfolg ist ein guter Erfolg.Auch verdammt dicke Bretter sollten nicht dazu füh-ren, sie liegen zu lassen – möglicherweise ist eine Zwei-drittelmehrheit in einigen Bereichen nicht auf Anhieb zuerreichen –, sondern wir müssen wenigstens versuchen,sie zu durchbohren. In der einen oder anderen Fragekann ein Konsens möglicherweise schneller erreichtwerden, als wir uns das vorstellen können. Ganz konkretnenne ich das Thema Steuerautonomie der Länder, dasein sehr komplexes Thema ist. Aber auch das muss an-gesprochen werden. Man muss sich darauf einigen, wiesehr man dieses Thema vertiefen will.Lassen Sie mich abschließend etwas zu den Kommu-nen – der Kollege Schmidt hat dieses Thema zu Rechtangesprochen – sagen. Wir sollten froh sein, dass wir dieKommunen bei der Verfassungskommission in dieserWeise mit berücksichtigen; denn die Kommunen, Städteund Gemeinden fühlen sich gerade in der aktuellen poli-tischen Debatte oft nicht mehr verstanden. KollegeSchmidt, es ist ein wichtiges und deutliches Signal anunsere Bürgermeister, Gemeinde- und Stadträte, dassihre Interessen bei der Arbeit der Kommission stärker inden Fokus gestellt werden, gerade weil sie oft das Ge-fühl haben, bei der Gesetzgebung der Länder und desBundes vergessen zu werden. Wenn es jetzt darum geht,das Grundgesetz neu zu justieren, dann sollen ihre Ver-treter dabei sein. Diese Vertreter von Städten und Ge-meinden sollen sehen, dass wir ihre Belange im Blickhaben. Das ist in dieser Zeit das richtige Signal. In die-sem Sinne freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/1685 zurEinsetzung einer gemeinsamen Kommission von Bun-destag und Bundesrat zur Modernisierung der bundes-staatlichen Ordnung.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der fraktionslosenAbgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau aufDrucksache 15/1721 vor, über den wir zuerst abstim-men. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – DerÄnderungsantrag ist abgelehnt.Wer für den interfraktionellen Antrag auf Einsetzungder gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bun-desrat auf Drucksache 15/1685 stimmt, den bitte ich umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Antrag ist angenommen.AkBkHmdCtsgdtJ4dstlzsäuSmrvuwre
Die mentale Ost-West-Lage ist wichtig, mir aber gehts heute vor allem um die ökonomischen und die sozia-
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Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpelen Unterschiede. Wir haben Ihnen den Jahresberichtzum Stand der deutschen Einheit vorgelegt als eine Bi-lanz, als ein Programm der ökonomischen, sozialen undgesellschaftlichen Dimensionen für das, was man so lo-cker „Aufbau Ost“ nennt. Mir war wichtig, dass der Be-richt ungeschminkt in der Bestandsaufnahme, klar in denZielen, effektiv bei den Instrumenten und auch redlichim Gesamturteil ausfällt.Ungeschminkt in der Bestandsaufnahme heißt: We-sentliche teilungsbedingte Strukturprobleme bestehennoch. Es gibt im Osten kein ausreichendes Arbeitsplatz-angebot. Die Arbeitslosigkeit ist unser Hauptproblem.Trotz des leichten Rückgangs im September dieses Jahresist die Arbeitslosigkeit im Osten mehr als doppelt so hochwie im Westen. Die Zahl wäre übrigens noch höher, wennnicht täglich 350 000 Menschen aus den Ostländern inden Westen pendeln würden. Diese Sonderbelastung, diedie Leute auf sich nehmen und die der deutschen Wirt-schaft hilfreich ist, sollte nicht mit einschneidenden Kür-zungen der Entfernungspauschale bestraft werden.Nach wie vor schlägt die hohe Arbeitslosigkeit in derBauwirtschaft dramatisch zu Buche. 160 000 ostdeut-sche Bauarbeiter sind arbeitslos. Ich hoffe, dass dieheute Nacht geschlossene Vereinbarung zur Tarifflexibi-lisierung hierbei etwas Abhilfe schaffen kann.Auch die Herausforderungen der Globalisierung undder neuen technologischen Entwicklungen machen vorOstdeutschland nicht Halt. Die darin liegenden Chancenwerden zwar genutzt, doch zunächst einmal kostet dieseEntwicklung Arbeitsplätze. In den wettbewerbsfähigenund leistungsstarken ostdeutschen Standorten der Ener-giewirtschaft, der Stahlindustrie, der chemischen Indus-trie, des Maschinenbaus und auch in der Landwirtschafterledigt heute eine Arbeitskraft die Arbeit, die früher sie-ben oder acht Menschen verrichtet haben.Der Verlust von Arbeitsplätzen löst Abwanderungaus. Seit der ersten starken Abwanderungswelle 1989/90verlassen weiterhin mehr Menschen Ostdeutschland, alsneu hinzukommen. Ostdeutschland hat seit 1991 etwa620 000 Bürgerinnen und Bürger verloren. Es gehen vorallem die jungen und gut qualifizierten Menschen, diebeim weiteren Aufbauprozess fehlen werden. Zwei Drit-tel davon sind Frauen. Das freut mich zwar für die Män-ner im Westen,
aber uns fehlen die Mütter von morgen.Hinzu kommt der demographische Wandel in ganzDeutschland, der in den neuen Ländern durch eine sehrniedrige Geburtenrate weiter verschärft wird. UnsereGesellschaft wird älter, weil die Kinder fehlen. Kinderta-gesstätten und Schulen müssen geschlossen werden. Wirkönnen bereits absehen, dass in den nächsten Jahrendeutlich weniger Auszubildende zur Verfügung stehenwerden als gebraucht werden. Diese Lösung des Ausbil-dungsproblems brauchen wir nicht!Nach wie vor gibt es viele strukturschwache Regio-nen in den neuen Ländern mit sehr hohen Arbeitslosen-zahlen. Einige strukturschwache Regionen gibt es durch-aWgDsgtnZnaEWSHOuHwaleFgwdsKenSVdcdSrqonf
Dies ist kein Klagelied. Das sind Fakten, aber es istur die halbe Wahrheit.
ur Wahrheit gehören auch diese Fakten: Im vergange-en Jahrzehnt konnten 520 000 Unternehmen mit mehrls 3 Millionen Arbeitsplätzen geschaffen werden. Dientwicklung im verarbeitenden Gewerbe ist positiv. Dieachstumsraten lagen in den letzten sieben Jahren imchnitt zwischen 5 und 6 Prozent und auch im erstenalbjahr dieses Jahres ist das verarbeitende Gewerbe instdeutschland um 5,5 Prozent gewachsen.Mit industriellen Neuansiedlungen im Automobil-nd Maschinenbau, in der chemischen Industrie, derochtechnologie, aber auch in der Energiewirtschafturden nicht nur zukunftssichere Arbeitsplätze, sondernuch die Voraussetzung für die Ansiedlung von Dienst-istungs- und Zulieferunternehmen geschaffen.
Auch im Dienstleistungsbereich werden ermutigendeortschritte erzielt. Die Tourismusbranche ist dafür einutes Beispiel. Mecklenburg-Vorpommern beispiels-eise hat seit Jahren die höchsten Wachstumsraten inieser Branche.Mit der Entwicklung von Hochschulen und For-chungseinrichtungen sind in Ostdeutschland moderneompetenzzentren entstanden, die sehr eng – vorbildlichng – mit der Wirtschaft zusammenarbeiten und dabeioch zusätzliche Impulse liefern.
Meine Damen und Herren, der Jahresbericht zumtand der deutschen Einheit zeigt Schatten und Licht.or allem aber ist er ein Auftrag zum Handeln. Die Bun-esregierung verfolgt folgende Hauptziele:Erstens. Wir müssen die Grundlagen für mehr und si-here Beschäftigung durch eine Stärkung und Entfaltunger wirtschaftlichen Kräfte schaffen. Dazu gehört dietärkung des Mittelstandes durch verbesserte Finanzie-ungsangebote und die Verbesserung der Eigenkapital-uote.Zweitens. Ostdeutschland muss seine eigenen Stand-rtvorteile, Kompetenzen und Qualitäten noch stärkerutzen. Entsprechende Regierungsprogramme müssenortgesetzt werden.
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Bundesminister Dr. h. c. Manfred StolpeDrittens. Bei all den notwendigen Veränderungenmüssen wir das soziale Gleichgewicht im Blick behal-ten. Vor allem junge Familien müssen die Möglichkeithaben, ihre Zukunft in Ostdeutschland zu finden.
Aus der Bestandsaufnahme und aus der Zielbeschrei-bung folgen aber auch die Aktionsfelder und die Instru-mente. Schwerpunkte unseres Regierungshandelns fürOstdeutschland sind:Erstens. Investitionen müssen weiter gefördert wer-den. Noch hat Ostdeutschland ein erhebliches industri-elles Defizit in Folge der Deindustrialisierung der 90er-Jahre. Jede Chance einer Industrieansiedlung muss ge-nutzt werden. Das gilt auch für die Chipfabrik inFrankfurt . Für Industrieansiedlungen haben wirden Vertrag mit der Agentur zur Anwerbung ausländi-scher Investoren, IIC, bis 2008 verlängert, um welt-weit Partner darauf aufmerksam zu machen, dass Ost-deutschland ein idealer Investitionsstandort ist.Deshalb müssen die Möglichkeiten für Investitionszu-schüsse erhalten bleiben. Die beiden Fördermöglich-keiten, die Investitionszulage und die Zuweisungen ausden europäischen Strukturfonds, müssen verlängertwerden.
Zweitens. Innovationen im Osten müssen weiter un-terstützt werden. Neue Forschungseinrichtungen und an-dere Bundeseinrichtungen müssen, wie vorgesehen, aufabsehbare Zeit vorrangig im Osten Deutschlands ange-siedelt werden. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen.Vor wenigen Tagen hat sich ein winziges Institut mit ge-rade einmal 70 Mitarbeitern auf dem Beeskower Landrü-cken – das ist eine sehr strukturschwache Region – ange-siedelt. Sie ahnen gar nicht, was das für die Belebungder Wirtschaft bedeutet und welch eine Ermutigung dasfür die dort lebenden Menschen ist!Drittens. Die Infrastruktur im Osten muss weiter ge-stärkt werden. Ich meine damit die Verkehrswege, diekommunale Infrastruktur und den Stadtumbau.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kretschmer?
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:
Hinterher gerne. – Wie gesagt, wir müssen die Infra-
struktur im Osten weiter stärken. In dieser Legislaturpe-
riode darf hier nicht nachgelassen werden.
Viertens. Auf absehbare Zeit muss eine aktive Arbeits-
marktpolitik für strukturschwache Regionen mit hoher
Arbeitslosigkeit fortgesetzt werden, so wie das schon die
jetzigen Regelungen vorsehen. Das Programm für
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Auch die Umsetzung der anstehenden Reformen kann
em Osten helfen. Ich kann Ihnen versichern, dass die
stdeutschen reformbereit sind. Sie erwarten allerdings,
ass die Reformen gerecht durchgeführt werden, dass
lso die Armen nicht noch ärmer werden.
Gezielt Politik für Ostdeutschland zu machen bleibt
ine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Innenpoli-
k.
it dem Solidarpakt II haben wir Vereinbarungen bis
um 31. Dezember 2019 getroffen, die insgesamt für ei-
en Zeitraum von 30 Jahren gelten. In knapp der Hälfte
ieser Zeit haben wir deutlich mehr als die Hälfte des
eges geschafft. Die Weichen sind in die richtige Rich-
ng gestellt.
Ich möchte zum Schluss die Gelegenheit nutzen, al-
n in diesem Haus für das Mitdenken und auch die Be-
eitschaft für die Unterstützung wichtiger Maßnahmen
u danken. Ich bitte Sie um Ihre weitere konstruktive,
ber auch kritische Begleitung des großen Projektes
eutsche Einheit. Es wird gelingen; das ist meine Über-
eugung.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
ollegen Kretschmer.
Herr Bundesminister, mit Verlaub, aber gerade für dieunge Generation aus den neuen Ländern war Ihr Vortrageprimierend, sowohl wegen der lustlosen und gleich-
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Michael Kretschmergültigen Art, wie Sie vorgetragen haben, als auch wegendes Inhalts.
Wir wünschen uns eine Zukunftsperspektive für dieneuen Ländern. Wir brauchen – ich habe das schon voreinem Jahr gesagt; ich weiß es noch heute – ein Konzept.Was ist denn das Ziel der Regierung?
Wie schaffen wir den Aufbau Ost?Ich will nur ein paar Details nennen. Sie haben For-schung und Entwicklung angesprochen. 1,6 MilliardenEuro, Herr Bundesminister, hat Frau Bulmahn Anfangdes Jahres für Großforschungseinrichtungen zugesagt.Von 1,6 Milliarden Euro sind 12,4 Millionen Euro fürdas Forschungszentrum Rossendorf in Dresden vorgese-hen, alles andere geht in die alten Länder. Ist das eineSchwerpunktsetzung für die neuen Länder? In einerAusarbeitung des BMBF über die Haushaltsentwicklungvon 2002 bis 2004 wird auf die Auswirkungen der Kür-zungen in den neuen Länder hingewiesen: Die Mittel füroptische Technologien sinken von 15 auf 14 MillionenEuro, die Mittel für Mobilität und Verkehr von 11 Mil-lionen auf 8,4 Millionen Euro. Im Hochschulbau habenwir ganz massive Einschnitte. Ich frage Sie, wie das, wasSie uns vorgetragen haben – Schwerpunkt Innovation,Schwerpunkt Aufbau Ost –, mit den Zahlen, die ich ge-rade vorgetragen habe, zusammenhängt.
Zur Erwiderung, Herr Minister Stolpe.
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:
Herr Präsident! Das war eine bemerkenswerte An-
frage. Ich denke aber, es wäre wichtiger, dass wir kon-
kret an diesen Themen arbeiten. Sie wissen, dass das
Material in die Ausschüsse überwiesen wird. Ich bin ge-
spannt, welche handfesten Vorschläge zu Maßnahmen
Sie dann machen können, mit denen man wirklich etwas
erreichen kann.
Ich bitte um Nachsicht, dass wir jetzt nicht jenseits
der vereinbarten Wortmeldungen eine spontane Debatte
durch kurzfristige Wortmeldungen herbeiführen wollen;
denn es ist natürlich absehbar, dass das dann nicht auf
die eine Seite beschränkt bliebe, sondern sich quer durch
alle Fraktionen verteilen würde. Deswegen bemühen wir
uns zunächst einmal um die Abarbeitung der vereinbar-
ten Redeliste.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
eine Kennzeichnung ist unzutreffend, verletzend undöricht. Sie zeugt von Unkenntnis. Die Menschen in Ost-eutschland haben in den zurückliegenden Jahrenerausforderungen gemeistert, von denen viele in un-erem Land nicht einmal vom Hörensagen Kenntnisseaben. Wenn man über die neuen Bundesländer spricht,ann man von Hoffnung oder Enttäuschung, von Auf-ruch oder Resignation sprechen – ja, es gibt alles ne-eneinander. Die neuen Bundesländer sind wie ein Ve-ierbild: Je nachdem, wie oder mit welchem Vorurteilie hineinschauen, sehen Sie das Bild, das Sie erwarten.Darum müssen wir von den Menschen sprechen, dien den neuen Bundesländern leben, von den Menschen,ie in Regionen mit mehr als 20 Prozent Arbeitslosigkeitrbeit suchen, oder von denen, die zum vierten oderünften Mal den Arbeitsplatz verloren haben, sich habenmschulen lassen und wieder vor dem Nichts stehen. Ichöchte das sehr konkret an einem Beispiel deutlich ma-hen. Eine junge Frau war zum Ende der DDR Fleisch-achverkäuferin. Der Beruf fiel weg. Sie hat umgeschult,st Bürokauffrau geworden und hat bei einem Immobi-ienunternehmen gearbeitet. Das Immobilienunterneh-en ging Pleite. Sie ist zum nächsten Unternehmen ge-angen. Auch dieses ging Pleite. Dann hat sie als alleinrziehende Frau mit einem Kind bei einer Zeitarbeits-irma gearbeitet und hat sich so bewährt, dass sie einenesten Arbeitsplatz bekommen hat. Dieses kleine Bei-piel steht für den Alltag, mit dem wir uns in den neuenundesländern auseinander setzen müssen.Wir müssen auch von den Tausenden von Existenz-ründern sprechen, die gescheitert sind, weil sie keineigenkapitaldecke hatten, weil die Zahlungsmoralchlecht ist oder weil sie sich am Markt nicht durchset-en können. Darum, Herr Kollege Stolpe, finde ich esut, dass Sie sagen, Sie wollen die Eigenkapitaldeckeerbessern. Das wollen wir seit langer Zeit; wir habenamit nach wie vor ein Problem.Wir müssen auch von den Jugendlichen sprechen, dieeinen heimatnahen Ausbildungsplatz bekommen, weils in ihrer Heimat keine Betriebe mehr gibt. Wir müssenuch von den Eltern sprechen, die Sorge haben, dass ihreinder von zu Hause weggehen, weil sie zu Hause keineukunft sehen. Wir müssen auch von den Jugendlichenprechen, die an den Universitäten fleißig studieren, da-ach im heimatnahen Bereich keine Arbeit bekommennd woanders hingehen. Wir müssen an die fehlende
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Minister Jörg Schönbohm
Verkehrsinfrastruktur in ländlichen Gebieten erinnern,die das Leben täglich so schwer macht.Wir müssen aber auch an die Erfolgreichen erinnern,die sich am Markt durchgesetzt haben. Sie haben nichtresigniert, sondern sie sind tatkräftig, durch Eigeninitia-tive, der Arbeitslosigkeit entronnen. Wir müssen vonden jungen Unternehmern sprechen, die in ihrer Heimatbestehen. Sie haben mutige Entscheidungen getroffenund ein großes Risiko auf sich genommen. Sie stellen ihrpersönliches Vermögen, zum Beispiel den Grundbesitz,den sie von ihren Eltern bekommen haben, zur Verfü-gung und setzen sich in konjunkturell schwierigen Zei-ten in einem strukturell schwierigen Landstrich durch.Diese Menschen gibt es auch – Gott sei Dank. Es handeltsich um junge Handwerksmeister mit eigenen Hand-werksbetrieben und um andere Personen, die in der ge-werblichen Wirtschaft tätig sind.In Brandenburg gibt es zum Beispiel, wie in anderenBundesländern, erfolgreiche Industrieansiedlungen. Ichmöchte nur an die Luft- und Raumfahrtindustrie oder andie chemische Industrie erinnern. Wir alle schauen jetztmit großer Spannung nach Frankfurt an der Oder, woeine Chipfabrik gebaut werden soll. Es geht um 1 300Arbeitsplätze. Hunderte von Familien warten auf denBau dieser Fabrik. Man wartet darauf, dass man an einein der DDR große und erfolgreiche Tradition, nämlich andie eines Halbleiterwerks – dort wurden viele Männerund Frauen ausgebildet; sie waren sehr qualifiziert –, an-knüpfen kann. Dieses Bangen überschattet im Augen-blick alles, was in dieser Region geschieht.Wenn Sie sich mit Unternehmern unterhalten, die Be-triebe in Ost- und in Westdeutschland haben, dann wer-den Sie immer wieder eines hören: das Lob für den Fleißund die Flexibilität der Arbeitnehmer in Ostdeutschland,das Lob für ihre Zuverlässigkeit und für ihre Bereit-schaft, die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen der Marktvorgibt. Auch ich möchte den Arbeitnehmern in Ost-deutschland einmal dafür danken.
Enttäuschung und Resignation sind da besonders ver-breitet, wo Versprechungen, Hoffnungen und die Wirk-lichkeit nicht übereinstimmen. Das ist unser Problem.Ich denke an Menschen, die noch immer fühlen, dass siemit ihren Sorgen und Problemen nicht für voll genom-men werden. Es ist völlig klar: Wir in den neuen Län-dern brauchen auch in Zukunft Geld und wir bekommenauch viel Geld. Ich möchte hier ausdrücklich all denjeni-gen danken, die uns dieses Geld zur Verfügung gestellthaben, seien es die Bundesländer, sei es die EuropäischeUnion oder die Bundesregierung. Wir Deutsche habeninsgesamt eine großartige Gemeinschaftsleistung voll-bracht. Das müssen wir auch einmal dankend anerken-nen.
Solange der Gedanke im Vordergrund steht, dass dasGeld in den Osten fließt, und nicht der Gedanke, dasswir Deutschland gemeinsam wieder aufbauen, und zwarilhdgtedsOdMwleSWsngdrBsjaIwimrbvsRgmspdJhaBnmvdzm–s
Von dem statistischen Teil abgesehen, vermittelt derericht einen Eindruck, der mit der allgemeinen Wahr-ehmung offenkundig nicht in Einklang steht. Ichöchte zwei Beispiele für solche semantischen Luxus-erpackungen zitieren. Auf Seite 30 – das ist noch unterer Überschrift „Stabilisierung im Bausektor unterstüt-en“ – findet sich als Zusammenfassung folgende For-ulierung:Mit dem beispielhaft aufgeführten Maßnahmenbün-del Public Private Partnership, Kontrolle illegaler Be-chäftigung usw. –werden trotz des unverminderten Zwangs zur Haus-haltskonsolidierung auch von öffentlichen Investi-
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Minister Jörg Schönbohm
tionen Impulse für eine Verstetigung der Bautätig-keit ausgehen, die eine wichtige Voraussetzung fürmehr Wachstum und Beschäftigung insbesondere inden neuen Ländern ist.Richtig! Nur: Die Zahlen sprechen eine andere Spra-che. Bei uns gibt es eine Verstetigung auf niedrigem Ni-veau. Um es ganz einfach auszudrücken: Uns steht dasWasser bis zum Hals. Wir können den Kopf nicht mehrhängen lassen; wir wollen es auch nicht.Die brandenburgischen Kommunen haben im erstenHalbjahr wegen Einnahmeverlusten von 30 MillionenEuro bei der Einkommensteuer, 17 Millionen Euro beider Gewerbesteuer und wegen einer Steigerung der Aus-gaben für die Sozialhilfe um 30 Millionen Euro ihre In-vestitionsausgaben um 50 Millionen Euro reduzierenmüssen, weil sie an der Verschuldungsgrenze waren. In-vestitionen in die kommunale Infrastruktur sind solchefür das örtliche Handwerk, für Hoch- und Tiefbau, füralle anderen Gewerke. Darum brauchen die KommunenHilfe und darum ist es wichtig, dass Sie hier im Bundes-tag zu einer Entscheidung über eine kommunale Finanz-ausstattung kommen, die es ermöglicht, das umzusetzen,was wir gemeinsam wollen.
Wir wollen das gemeinsam machen – ich hoffe das – undwir müssen es wohl auch gemeinsam machen, Herr Kol-lege Hilsberg, weil es in Bundesrat und Bundestag unter-schiedliche Mehrheiten gibt. Seien wir doch froh darü-ber, dass wir in diesem Punkt einen Zwang zurGemeinsamkeit haben! Sie gehen nicht auf die Problemeein, die die Menschen vor Ort erleben. Das müssen Siegenauso gut wissen wie ich; denn Sie kennen die Wirk-lichkeit.Die Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der Bun-desregierung hat dazu geführt, dass die Bundesländerund die Kommunen erheblich weniger Einnahmen habenals bisher. Im Bericht sucht man das vergeblich. Da heißtes nur:Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren mitnachhaltigen Reformen die Attraktivität und Wett-bewerbsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsstandor-tes Deutschland deutlich verbessert.Die Arbeitslosigkeit hat zugenommen und das ist un-ser Problem; Kollege Stolpe hat darauf deutlich hinge-wiesen.Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in denneuen Ländern – so heißt es sinngemäß in dem Be-richt – ging um 0,2 Prozent zurück und blieb hinter derEntwicklung in den alten Ländern zurück. Man könntees auch einfach ausdrücken: Die Schere zwischen Ostund West öffnet sich wieder. Das ist unser großes Pro-blem und damit müssen wir uns auseinander setzen.
Zur Wahrheit gehört, dass man dies anspricht.
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Ich erteile dem Kollegen Peter Hettlich, Bündnis 90/
ie Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Am 17. September stellte Bundesministeranfred Stolpe den Jahresbericht zum Stand der deut-chen Einheit vor und erklärte dabei auch, dass derraum von einer schnellen Angleichung zwischen Ostnd West endgültig beerdigt werden müsse. Wenigeage später fragte mich ein Journalist, in welchem Zeit-aum ich mir eine Angleichung vorstellen könne.Ich persönlich habe nie den Traum geträumt, dassine Angleichung innerhalb von zehn oder fünf Jahrenöglich sei. Denn aus meiner persönlichen Erfahrungnd den Erlebnissen in Sachsen war mir schon Anfanger 90er-Jahre bewusst und bekannt, welche riesigenufgaben mit der Wiedervereinigung bewältigt werden
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Peter Hettlichmussten. Für mich galt daher schon frühzeitig, dass wireine Generation – das sind für mich 30 Jahre – brauchenwürden, um eine ungefähre Angleichung der wirtschaft-lichen Lebensverhältnisse zwischen Ost und West zu er-reichen.Mir fiel in diesem Interview als Schlüsseljahr spontandas Jahr 2019 ein. Denn 2019 werden wir des 30. Jahres-tages der friedlichen Revolution gedenken. Aber in je-nem Jahr wird auch der Solidarpakt II auslaufen, der denostdeutschen Bundesländern in den kommenden 15 Jah-ren nochmals erhebliche Transferleistungen zur Verfü-gung stellt.Wie ist es nun mit dem Stand der deutschen Einheit?Der Vollzug der wirtschaftlichen Einheit lässt sich an Pa-rametern wie Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosigkeitund Lohnniveau dokumentieren. Aber was ist mit derEinheit in den Köpfen? Woran lässt sich diese festma-chen? Woran können wir eine Angleichung zwischenOst und West erkennen?Auch wenn manche es anders sehen werden: Fürmich persönlich haben wir hier in den letzten fünf Jahrengroße Fortschritte gemacht. Denn alles braucht seineZeit. Vieles lässt sich eben nicht mit Transferleistungenregeln. Wir haben in den letzten Jahren lernen müssen,dass wir einander fremder waren, als unsere – zumindestzum größten Teil – gemeinsame Sprache und Geschichteglauben macht. Ich finde, dass sich daraus ein ganzneuer und spannender Prozess eines zweiten Kennenler-nens entwickelt hat.Viele Menschen haben den Film „Good bye, Lenin!“gesehen, gelacht und vielleicht auch einige Tränen ver-gossen. Dieser Film war nicht nur im Osten, sondernauch im Westen ein Erfolg. Ich erinnere mich auch nochsehr gut an den Film „Sonnenallee“, der im Osten alleKassenrekorde brach. Als ich ihn in Köln anschaute, be-fand ich mich in der Gesellschaft von etwa fünf Cineas-ten, von denen drei vorzeitig das Kino verließen, da sieoffensichtlich überhaupt nichts mit dem Thema anfan-gen konnten. Dazwischen liegen wenige Jahre. Aber indiesem Zeitraum hat sich nach meiner Beobachtung eini-ges deutlich verändert. Ich bin der Meinung, dass wireinander anders, besser und bewusster wahrnehmen, ge-lassener miteinander umgehen und bereit sind, uns er-neut näher kennen zu lernen.Gerade die Ostdeutschen haben in den letzten Jahrenerkannt, dass Geschichte und Vergangenheit nicht ein-fach in Müllcontainern und auf Mülldeponien landenkönnen und dürfen. Ein gesundes und differenziertesVerhalten zur eigenen Geschichte ist zur Identitätsstif-tung unerlässlich. Daher sehe ich persönlich die Inflationvon Ostalgieveranstaltungen eher gelassen und wenigeraufgeregt, auch wenn ich das Niveau mancher Veranstal-tung lieber in den Mantel des Schweigens hüllenmöchte.
Dennoch bleibt ohne eine Angleichung der wirt-schaftlichen Verhältnisse die Einheit unbalanciert undunvollständig. Die hohe Arbeitslosigkeit im VerhältniszgraizmIgwsVdfusdeFdcskssnmtrFefrvagkVwglstAsKfagkE
ch will aber daran erinnern, dass wir auch dann noch re-ionale, aber vertretbare Disparitäten haben werden. Dasar schon immer so, auch im Westen. Das ist auch guto; denn dabei handelt es sich um einen ganz natürlichenorgang.Für meine Fraktion will ich klarstellen, dass wir zuen Vereinbarungen des Solidarpaktes II stehen und unsür eine sinnvolle Verlängerung der Investitionszulagend den Erhalt der EU-Strukturförderung engagiert ein-etzen werden. Wir müssen uns aber der Verantwortungafür bewusst sein, dass diese Fördermittel bestmöglichingesetzt werden. Die Kritik an falscher Allokation vonördermitteln müssen wir ernst nehmen. Lassen Sie unsarüber diskutieren, wie wir es schaffen, diese erhebli-hen Finanzmittel zielführender und erfolgreicher einzu-etzen.In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmalurz auf die so genannte Neiddebatte eingehen, die un-er Spätsommerloch anfüllte. Wir negieren nicht die Tat-ache, dass es auch im Westen strukturschwache Regio-en gibt, die unsere Solidarität benötigen. Aber es hatich schon sehr geärgert, dass suggeriert wurde, der Os-en greife zum Beispiel im Bereich der Städtebauförde-ung zu Lasten der westdeutschen Kommunen alles ab.ür mich ist das insofern besonders unverständlich, alss zum Beispiel beim Stadtumbau Ost länderübergrei-enden Konsens gab. Das lässt sich damit dokumentie-en, dass die entsprechende Verwaltungsvereinbarungon allen 16 Bundesländern unterschrieben wurde. Wieuch bei anderen Fördermaßnahmen können wir unserne darüber verständigen, was besser gemacht werdenann. Aber für mich gilt auch hier: pacta sunt servanda –erträge bzw. Vereinbarungen sind zu erfüllen.Ich möchte zum Schluss meiner Rede auf die Aus-irkungen der Agenda 2010 und insbesondere der soenannten Hartz-Gesetze auf die ostdeutschen Bundes-änder eingehen. Die Zusammenlegung von Arbeitslo-enhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II be-rifft den Osten sehr viel stärker, da hier der Anteil derrbeitslosenhilfeempfänger mit über 1 Million Men-chen sehr hoch ist und die finanzielle Entlastung derommunen bei der Sozialhilfe deutlich niedriger aus-ällt. Die Festlegung der Höhe des Arbeitslosengeldes IIuf das Sozialhilfeniveau macht mich alles andere alslücklich. Die verschärfte Anrechnung von Partnerein-ommen führt gerade bei Frauen im Osten zu harteninschnitten.
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Mehr war angesichts der schwierigen Haushaltslage ein-fach nicht möglich.Es ist aber auch sichergestellt, dass in Zukunft Maß-nahmen der Bundesanstalt für Arbeit in veränderterForm als ABM neu oder BSI einen Marktersatz für feh-lende Arbeitsplätze darstellen werden. Wir wissen, dassdies keine Dauerlösung sein kann. Die eigentlichen Ar-beitsplätze müssen nämlich am ersten Arbeitsmarkt ent-stehen. Wir brauchen aber den zweiten Arbeitsmarkt, umeine gewisse Stabilisierung der sozialen Verhältnisse zugewährleisten; deshalb ist er unersetzlich.Ich habe aus Gesprächen mit Vertretern der Bundes-anstalt für Arbeit, aber auch der Landesarbeitsämter denpositiven Eindruck mitgenommen, dass die Reformenauf diesem Gebiet wirklich zu einer Verbesserung führenwerden. Es gibt das ehrliche Bemühen und die Zusage,die Fördermaßnahmen auch in 2004 in beinahe unverän-derter Höhe fortzuführen. Oberstes Ziel muss auch hiersein, eine möglichst hohe Erfolgsquote zu erreichen, dasheißt letztlich die Vermittlung in den ersten Arbeits-markt.Hartz III und Hartz IV werden wir morgen in zweiterund dritter Lesung verabschieden, wohl wissend, dass eszu einem Vermittlungsverfahren kommen wird. LiebeKolleginnen und Kollegen der CDU, dann werden wirauch über das unsägliche Existenzgrundlagengesetz desMinisterpräsidenten Koch und über die Androhungen Ih-res Parlamentarischen Geschäftsführers, Volker Kauder,diskutieren müssen, die angeblich sozialen Wohltaten,zum Beispiel bei der Zumutbarkeitsregelung oder bei derHöhe des Arbeitslosengeldes II, zurückfahren zu wollen.Machen Sie Ihren Kollegen einmal klar, wozu das imOsten führen wird! Was versprechen Sie sich davon au-ßer der Lufthoheit über den Stammtischen?
Es liegt auch in Ihrer Verantwortung, die an sich schonharten Einschnitte durch die Reformgesetze so zu gestal-ten, dass sie noch sozial vertretbar sind. Aus dieser Ver-antwortung werden wir Sie, aber auch die ostdeutschenMinisterpräsidenten nicht entlassen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort der Kollegin Cornelia Pieper,
FDP-Fraktion.
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Ich weiß, dass Sie sich freuen.Das Thema deutsche Einheit ist der FDP-Fraktion vielu wichtig, als dass es ihr ausreichte, über rein ökonomi-che Daten zu reden. Für uns ist die deutsche Einheituch 13 Jahre danach keine Selbstverständlichkeit. Esaren die Grundpfeiler unserer Gesellschaft – Grund-echte, Freiheit und Demokratie –, die uns die deutscheinheit ermöglicht haben. Dank der Kraft, die aus diesenerten unserer Gesellschaft kommt, konnten wir dieeutsche Einheit vollenden. Ich will auch noch einmal anas anknüpfen, was Minister Schönbohm hier zum Aus-ruck gebracht hat: Es geht einfach nicht an, dass Politi-er aus den Landesregierungen, aber auch aus dem Bundie deutsche Einheit mit ihren Worten diffamieren. Wiragen ganz deutlich, dass die deutsche Einheit die Leis-ung der Menschen selbst gewesen ist,
ass die Ostdeutschen mit der selbst errungenen Freiheitnd die Westdeutschen mit einer gut funktionierendenarktwirtschaft diese deutsche Einheit politisch voll-ndet haben. Es soll nicht aus den Augen verloren wer-en, dass wir auf diese Weise eine gute Grundlage fürie Zukunft geschaffen haben.Meine Damen und Herren, mich haben die Worte desltbundeskanzlers Schmidt, die Ostdeutschen, vor allemie Rentner, sollten endlich aufhören zu jammern, sehrnttäuscht, und zwar deswegen, weil hier alte Vorurteileeprägt und die Lebensleistungen gerade älterer Men-chen im Osten infrage gestellt werden.
s waren doch die Menschen in den neuen Ländern, dien der aktuellen Reformdebatte die Kugel ins Rollen ge-racht haben. Was hätten wir denn gemacht, wenn dieeipziger und Hallenser damals in der Leipziger Bahn-ofspassage nicht mit den Füßen abgestimmt hätten?ann hätten wir bis heute nicht die Liberalisierung desadenschlussgesetzes. Wir hätten bis heute keine Be-riebsbündnisse zwischen Arbeitnehmern und Unterneh-ern und keine Arbeitsplätze gesichert, wenn die Ost-eutschen nicht die entsprechende Einsicht gezeigtätten. Wir hätten bis heute keine Debatte über moderneamilienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland.Im Osten gibt es mehr Kreativität und Wachstumspo-enzial als im gesamtdeutschen Durchschnitt. Die Bereit-chaft zur Veränderung, selbst zu sozialen Einschnitten,st weitaus größer. Vieles, was im Osten gelebte Praxisst, ist für Gesamtdeutschland noch blanke Theorie.enken Sie an die Aufhebung des Tarifzwangs, an die
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Cornelia PieperStreichung der Arbeitsplatzsubvention im Braunkohle-bergbau – im Gegensatz zum Steinkohlebergbau! Den-ken Sie an die kürzeren Ausbildungs- und Studienzeiten,aber auch an die hohe Mobilität der jungen Menschen imOsten Deutschlands!
Aber genau Letzteres ist das Problem. Das kommtauch in dem Jahresbericht zum Stand der deutschen Ein-heit zum Ausdruck. Von 1989 bis 2002 hat eine Abwan-derung von 1,45 Millionen Menschen aus dem Ostenstattgefunden. Allein im Jahr 2002 ist die Bevölkerungeiner Stadt in der Größenordnung Jenas von der Bildflä-che verschwunden. Deswegen muss es das Ziel dieserBundesregierung sein, für Wachstum zu sorgen und dieMenschen in den neuen Ländern mit Zuversicht zu erfül-len. Aber ich erlebe, dass – insbesondere in den Ländern –von Politikern der Regierungskoalition im Prozess derdeutschen Einheit mehr Zwietracht gesät wird.
Es war Herr Vesper von den Grünen, der gefordert hat,die Fördermittel für den Wohnungsbau zu streichen. Eswar Herr Steinbrück, der die Investitionszuschüsse fürdie neuen Länder infrage gestellt hat.Ich bin Liberale. Ich will, dass strukturschwache Re-gionen in allen Ländern gefördert werden. Aber trotz-dem halte ich diese Diskussion für nicht gerechtfertigt.
Die Menschen dort brauchen Arbeit. Jeder Fünfte im Os-ten Deutschlands ist arbeitslos. Das ist die eigentlichepolitische Herausforderung, auch für die Bundesregie-rung. Die Bundesregierung hat versäumt – wir wissen,Herr Stolpe, dass die Industriebasis nicht stark genug ist,um den nötigen Beschäftigungszuwachs zu befördern –,gerade für den Mittelstand, die Freiberufler und daskleine Gewerbe die Grundlagen für die Entstehung vonArbeitsplätzen zu schaffen. Dazu gehört für uns zualler-erst ein Niedrigsteuergebiet mit einem Dreistufentariffür ganz Deutschland.
Dazu gehört auch die Senkung der Lohnzusatzkosten.Wir wollen sie auf 35 Prozent reduzieren. Gerade imHinblick auf die EU-Osterweiterung ist doch klar, dassder Druck auf die Unternehmen, was die Löhne und Ge-hälter anbelangt, auch in Ostdeutschland viel größerwird. Deswegen brauchen wir schnell Entscheidungen;wir brauchen den großen Wurf und nicht kleine Trippel-schritte in Reformpaketen.Während im Westen trotz Konjunkturschwäche 2002ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozentzu verzeichnen war, haben wir im Osten erstmals seitzehn Jahren ein Minuswachstum von 0,2 Prozent. Das istauch ein Ergebnis falscher Weichenstellungen Ihrer Poli-tik für den Aufbau Ost, meine Damen und Herren vonder Bundesregierung.
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ber Sie vernachlässigen dieses Gebiet schon seit länge-
em.
Frau Kollegin, ich muss Sie nun wirklich bitten, auf
ie Redezeit zu achten.
Ja, Herr Präsident. – Was Sie tun, hat nur Alibifunk-
ion. Wir haben daher nur wenig Hoffnung, dass für die
undesregierung der Aufbau Ost Herzenssache ist.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen underren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete derDS. – In dieser Debatte haben sich schon alle über Alt-
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Dr. Gesine Lötzschkanzler Helmut Schmidt empört. Ich will ihn in Schutznehmen. Natürlich gibt es Weinerlichkeit, in Ost und inWest; auch ich finde sie nicht gut. Mir sind die5 000 Rentnerinnen und Rentner lieber – das ist eine an-dere Reaktion –, die am Montag dieser Woche auf denStraßen Berlins gegen die Rentenpläne der Bundesre-gierung demonstriert haben. Ich hoffe, es werden in dennächsten Wochen und Monaten noch mehr Menschengegen Sozialabbau auf die Straße gehen.
Ich finde es wirklich nicht erträglich, wenn von derBundesregierung immer wieder argumentiert wird, dasses den Rentnern gut gehe. Viele Rentnerinnen und Rent-ner haben 40 Jahre und länger gearbeitet und müssennun mit Minirenten auskommen. Sie empfinden es alsungerecht, wenn sie nach einem langen Arbeitsleben zuBedürftigen degradiert werden sollen. AltkanzlerSchmidt ist wirklich schlecht informiert, wenn er in derRentenfrage behauptet, es werde über manches geklagt,was nicht beklagenswert sei.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Die ehemaligenMitarbeiter der Deutschen Reichsbahn haben in derDDR Ansprüche auf eine Altersversorgung erworben,die ihnen der Bund nicht gewähren will. Obwohl dieBahnen und das entsprechende Vermögen zusammenge-führt wurden, erhielten nur die Bundesbahner Besitz-schutz für ihre Altersversorgung. Für die Hunderttau-send Reichsbahner wurde bis heute keine Regelunggefunden. Es geht also nicht um Weinerlichkeit, sondernes geht um berechtigte Forderungen, denen die Bundes-regierung endlich nachkommen muss. Da helfen auchschöne Sonntagsreden, wie wir sie heute gehört haben,nicht.
Altkanzler Schmidt hat in dem Interview mit der„Sächsischen Zeitung“ auch viel Richtiges gesagt, wasin der allgemeinen Hysterie leider untergegangen ist. Erhat festgestellt, dass der Aufholprozess im Osten schon1996 unterbrochen wurde und dass in Ostberlin undBonn ökonomische Dilettanten am Werk waren. Einendieser laut Altkanzler Schmidt ökonomischen Dilettan-ten, Herrn Schäuble, will die CDU nun zum Bundesprä-sidenten wählen. Ein wahrlich schlechter Vorschlag!Der Osten kippt. Die Arbeitslosigkeit im Osten istdoppelt so hoch wie im Westen. Die Investitionen sinkenund die Jugend wandert aus dem Osten in den Westenab. Natürlich wurde viel Geld in den Osten transferiert.Aber offensichtlich haben diese Transfers ihre Wirkungnicht erzielt. Ist es nicht verwunderlich, dass unsere öst-lichen Nachbarn ein beachtliches Wirtschaftswachstumhaben, obwohl sie über weniger Geld verfügen und ihrewirtschaftliche Ausgangslage schlechter ist als die imOsten Deutschlands? Es ist eben so, dass es offensicht-lich nicht reicht, nur viel Geld auszugeben. Man mussmanchmal auch ganz neue und ungewöhnliche Maßnah-men und Methoden anwenden, um etwas nach vorne zubringen. Doch dazu fehlt es Ihnen an Mut und Ideen.Es ist wirklich schlimm, dass die Bundesregierung dieBesonderheiten des Ostens in ihrer Gesetzgebung nuruHeOszGcsHmSffgdbaTBnlF„lDZBmmbstBiezk
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Auf die I-Zulage und auf weitere Dinge werde ich dannin diesem Zusammenhang zu sprechen kommen.Insofern kann ich Sie nur ermuntern, auf die Minister-präsidenten über die Parteigrenzen hinaus einzuwirken– das betrifft nicht nur Herrn Steinbrück, sondern auchMinisterpräsident Koch; hier sind die verschiedenen Par-teifarben verantwortlich –, dass für die neuen Bundes-länder letztendlich eine entsprechende Entlastung zu-stande kommt. Insofern stimme ich Ihnen zu und kannSie nur ermuntern, diese Bundesratsinitiative zu unter-stützen.Herr Minister Schönbohm, der Bericht, den MinisterStolpe für die Bundesregierung heute vorgestellt hat, istüberhaupt nicht glatt. Wer ihn intensiv gelesen hat,kommt zu der Meinung, dass das der erste Bericht ist,
in dem die Probleme in aller Deutlichkeit aufgezeigtwerden. Ganz wichtig ist – das ist in den vorherigen De-battenbeiträgen und auch in dem von Frau Pieper über-haupt nicht zum Ausdruck gekommen –, dass auch kon-struktive Vorschläge vorgetragen werden.EdaPAdBMfwingetedtegDStegwzWAsepdKlekLubmicd
s wird das dargestellt, was im Grunde genommen inen alten Bundesländern bemängelt wird. Sie gehen nuruf die Problemregionen ein. Natürlich haben wir solcheroblemregionen; das kehren wir nicht unter den Tisch.ber bei einer Redezeit von zwölf Minuten kann wederer Minister noch ich all das ansprechen.Auf konstruktive Dinge sollte man eingehen, zumeispiel auf das Konzept des Ministerpräsidentenilbradt – er ist Ihr Kollege –
ür den Aufbau Ost, das er in einigen Monaten vorlegenill. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wenn der Bericht den Ausschuss überwiesen wird, wird die Landes-ruppe Ost gemeinsam mit unserem Koalitionspartnerinen eigenen Antrag vortragen, und nicht erst in Mona-n. Darin werden die Dinge konstruktiv angesprochen,ie wir in Abstimmung mit der Bundesregierung erarbei-t haben.
Den Kollegen, die dazwischenrufen, möchte ich sa-en:
er Einigungsprozess muss mit Blick auf die aktuelleteuersituation und unter Berücksichtigung der weltwei-n Entwicklung, aber insbesondere unter Berücksichti-ung der europäischen Entwicklung, fortgeschriebenerden. Es wäre doch schlimm, wenn wir bei den Kon-epten der alten Regierung stehen bleiben würden. Dieelt hat sich weiterentwickelt.
uch hinsichtlich der EU-Osterweiterung mussten be-timmte Maßnahmen ergriffen werden.
Auf den Solidarpakt II möchte ich jetzt nicht weiteringehen. Gestatten Sie aber auch mir als Landesgrup-ensprecher Ost in der SPD-Fraktion, die Menschen inen neuen Bundesländern direkt anzusprechen; einigeollegen haben das bereits getan. Trotz aller Transfer-istungen, die wir über die Parteigrenzen hinaus aner-ennen, haben die Bürgerinnen und Bürger in den neuenändern einen unvergleichlichen Härtetest bestandennd müssen ihn wahrscheinlich noch einige Jahre langestehen. Die übergroße Mehrheit der Menschen hat ihnit Bravour bestanden. In diesem Zusammenhang weiseh den Vorwurf der Weinerlichkeit in den neuen Bun-esländern zurück.
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Siegfried SchefflerAuch schließe ich mich über die Parteigrenze hinwegden Worten von Minister Schönbohm an. Er hat ausge-führt, dass auch dann, wenn die Parteifarben wechseln,nicht weniger Geld für den Aufbauprozess zur Verfü-gung gestellt werden dürfe. Ja, auch wir fordern das. Ichfüge hinzu: Wer weiß, ob das Selbstvertrauen der Men-schen in den neuen Ländern, das durch diese Erfahrunggewachsen ist, nicht noch einmal zu einem wichtigenKapital für ganz Deutschland wird, nämlich dann, wennwir die anstehenden Reformen – hier wird sich noch somancher aus den alten Bundesländern wundern – umset-zen werden.Wir haben heute schon vom überproportionalenWachstum im verarbeitenden Gewerbe gehört. In Bran-denburg gibt es international wettbewerbsfähige Zen-tren. Das gilt auch für Berlin; in meinem Wahlkreis gibtes unter anderem den Wissenschafts-, Wirtschafts- undMedienstandort Adlershof. Diese Zentren gibt es auch inder chemischen Industrie und im Automobilbau. Aber– das wurde weder von Minister Stolpe noch von derBundesregierung beschönigt – Fakt ist, dass Jahr für Jahreinhunderttausend zumeist gut ausgebildete und qualifi-zierte junge Leute unsere strukturschwachen Regionenverlassen. Bei unserer Reise durch Mecklenburg-Vor-pommern, insbesondere durch den Landkreis Uecker-Randow – der Kollege Meckel wurde bereits erwähnt –,konnten wir uns davon überzeugen.Wir verkennen nicht, dass hier besondere Anstren-gungen notwendig sind; der Kollege Hettlich hat dasHartz-IV-Paket bereits angesprochen. Aufgrund der Fi-nanzsituation des Bundes ist es manchmal aber nichtmöglich, die Situation besser zu meistern. Wir dürfen indiesem Zusammenhang nicht verschweigen, dass wirArbeitsplätze nicht auf dem zweiten, dem öffentlich ge-förderten Arbeitsmarkt schaffen wollen, sondern aufdem ersten. Wir wollen den ersten Arbeitsmarkt beleben,dort wollen wir die Arbeitsplätze schaffen. Aber auch imJahr 2004 und darüber hinaus müssen wir den Menschenauf dem zweiten Arbeitsmarkt durch Anstrengungen derBundesanstalt für Arbeit bzw. der Bundesagentur für Ar-beit, wie sie nach den Hartz-III-Vorstellungen heißenwird, helfen. Auch ABM, SAM und Wiedereingliede-rungshilfen müssen in der Bilanz berücksichtigt werden.Diese Hilfen werden uns immer wieder bei Veranstaltun-gen in den alten Bundesländern vorgeworfen, wenn esum den Vergleich von neuen Bundesländern und struk-turschwachen Regionen in den alten Bundesländerngeht. Ich erkenne durchaus an, dass es zum Beispiel inder Oberpfalz und im Ruhrgebiet durchaus Regionengibt, in denen die Arbeitslosenquote wie bei uns bei über20 Prozent liegt. Aber an die alten Bundesländer – dashat Minister Stolpe hier angeführt – grenzen wirtschaft-lich sehr viel stärkere Regionen an, im Gegensatz zu denneuen Bundesländern.Hinzu kommt ein spezielles ostdeutsches Problem beider demographischen Entwicklung. Das ist der so ge-nannte Wendeknick. Dieser wird in einigen Jahren Aus-wirkungen auf die Ausbildungsplatzsituation in denneuen Bundesländern haben. Dann werden dort jungeMenschen fehlen, die von den Unternehmen gesucht wer-den. Das wird auch gravierende Folgen für die Transfer-lznüzFdAfsKfwBenrGneddRrmgweiwPLIdwVKreww„SN1
ber die unionsregierten Länder haben uns hier auflau-en lassen. Ich gebe zu, wir haben uns hier eine Wat-chen, wie Herr Stiegler sagen würde, abgeholt. Denommunen haben Sie damit aber überhaupt nicht gehol-en. Es gibt gravierende Probleme und ich hoffe, dassir im Rahmen der Verhandlungen von Bundestag undundesrat zu den anstehenden Reformen eine Einigungrzielen und die Finanzkraft der Kommunen in deneuen und den alten Bundesländern stärken.
Ich halte das integrative Aufbaukonzept der Bundes-egierung für richtig. Natürlich ist dann, wenn man mehreld hat, alles verbesserungsbedürftig, liebe Kollegin-en und Kollegen von der Opposition. Wir können gerninmal die Leistungen unserer Bundesregierung für Bil-ung und Forschung mit den finanziellen Leistungen iniesem Bereich unter Ihrem damaligen Superministerüttgers bis 1998 vergleichen. Die Mittel für diesen Be-eich waren rückläufig. BAföG und Meister-BAföGüssen finanziert werden, und zwar vor dem Hinter-rund der Konsolidierung des Haushalts. Ich bitte Sieirklich, einmal ganz ehrlich Bilanz zu ziehen und dasntsprechend zu berücksichtigen.Zur Ehrlichkeit gehört – Minister Stolpe, hier würdech Sie stellvertretend für die Regierung bitten; vorhinar noch Minister Schily hier – auch, den Goldenenlan Ost und die Förderung der Kultur in den neuenändern anzusprechen.
ch glaube schon, dass mit dem Goldenen Plan Ost inen Ländern und Kommunen Investitionen angeschobenerden können.
or allen Dingen würde es der Innenminister an seinerriminalitätsstatistik merken, wenn es gelingt, das eh-enamtliche Engagement zu stärken und in den Vereinentwas für junge Leute aufzubauen, das nicht hinterherieder weggenommen wird. Das wäre ebenso wichtigie die Förderung der Kultur in den neuen Ländern.Im Zusammenhang mit dem SanierungsprogrammDach und Fach“ könnte ich die Wohnungsbau- undtadtentwicklungspolitik der Bundesregierung beimamen nennen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es bis998 so etwas wie unsere Programme Soziale Stadt,
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5630 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Siegfried SchefflerStadtumbau Ost und Denkmalschutz in der gegenwärti-gen Höhe gegeben hätte. Das betrifft Brandenburgebenso wie Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpom-mern. Wir Berliner profitieren vor dem Hintergrund derschwierigen Haushaltslage in erheblichem Maße davon,dass hier Mittel bereitgestellt werden. Ich behaupte, IhreBauminister hätten davon noch nicht einmal geträumt.
Das Gleiche gilt für den Ausbau der Verkehrsinfra-struktur. Insofern verstehe ich überhaupt nicht, MinisterSchönbohm, dass Sie dieses Thema hier so negativ dar-gestellt haben.
Wenn ich über die Lande in Brandenburg fahre, alsodort, wo der Bund Verantwortung für die Verkehrsinfra-struktur trägt und auch schon unter der alten Bundesre-gierung Verantwortung getragen hat, –
Herr Kollege Scheffler, denken Sie freundlicherweise
an die Überschreitung der Redezeit, sodass die Schilde-
rung der Eindrücke aus den Fahrten über Land etwas
knapper ausfallen muss.
– dann kann ich schon eine gut ausgebaute Infrastruk-
tur erkennen.
Ich komme zum Schluss. Ich kann Minister Stolpe
nur ermuntern, dass er in den Beratungen des Kabinetts
und wir als Parlament in den Haushaltsberatungen bzw.
in den Sitzungen, in denen es um Haushaltsbereinigung
geht, über die Bereiche Bürokratieabbau, Verkehrsinfra-
struktur und insbesondere Innovationen in Forschung
und Bildung eine Verstetigung der Mittel erreichen, so-
dass hier wie bisher das hohe Niveau gehalten werden
kann.
Ich danke Ihnen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt er-
hält der Kollege Werner Kuhn für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allerNüchternheit der Zahlen, die wir in diesem Jahresberichtzum Stand der deutschen Einheit nachlesen können, dür-fen wir nicht verkennen, dass wir uns in Europa insge-sbewdzsgODwdlmRhOcdndOstnkdshdsbl1VD2BtMm–bdmBDds
Lassen Sie Herrn Mangold in Ruhe! Schauen Sie sichesser die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts inen neuen Bundesländern im letzten Jahr an! Es ist erst-als seit 1991 auf 60 Prozent des Niveaus in den altenundesländern geschrumpft.
ie Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts beschreibtie Lage insgesamt: Wir haben im Osten eine Arbeitslo-igkeit von 20 Prozent. Sie ist doppelt so hoch wie im
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Werner Kuhn
Westen. Die gut ausgebildeten, mobilen jungen Men-schen verlassen unser Land; das wurde heute in dieserDebatte immer wieder angebracht.
Das ist besorgniserregend. Diese Menschen stehen unsnämlich nicht nur als Humanressourcen nicht mehr zurVerfügung, sondern auch als zukünftige Existenzgrün-der, als unsere Köpfe für die kleinen und mittelständi-schen Unternehmen.
Deshalb ist das sehr problematisch.Von der Bundesregierung muss etwas unternommenwerden. Uns steht noch kein Aufbauplan Ost, aufge-schrieben von dieser Bundesregierung, federführendHerr Stolpe, zur Verfügung, über den wir debattierenkönnten. Eine Stunde wird uns gerade einmal für ein sowichtiges wirtschaftspolitisches Thema zur Verfügunggestellt.
Man könnte drei Stunden darüber diskutieren. Minister-präsident Milbradt hat das ganz eindeutig gesagt. Esmuss viel mehr Zeit investiert werden. Wir dürfen dasThema Aufbau Ost nicht nonchalant einem Minister an-vertrauen, der die meiste Osterfahrung hat, bei dem abernichts passiert.
Herr Scheffler, jetzt wartet eure Fraktion darauf, dassMinisterpräsident Milbradt einen Aktionsplan vorlegt,den ihr dann abschreiben könnt, sodass ihr euch in die-sem Bereich wieder gut verkaufen und positionierenkönnt.
So spielen wir nicht. Hier werden Sie unseren erbittertenWiderstand spüren.Die Menschen in den neuen Ländern fallen in eine ge-wisse Mutlosigkeit und Resignation; das muss man sosagen.
Für die Eltern und Großeltern ist es sehr bedauerlich,wenn die jungen Leuten fortgehen. Das sollten sie natür-lich auch sagen. Sie werden aber auch von der Bundesre-gierung verlassen, die ihnen seinerzeit große Verspre-chungen gemacht hat. Die Bundesregierung ist in denneuen Bundesländern mit über 40 Prozent wieder in die-ses Amt gewählt worden. Hier helfen Ihnen keinesfallsdie platten Parolen – Sie sagten: „Lieber mit Schröder inder Arbeitslosigkeit als mit Stoiber im Krieg“ –, die Sieüber die Marktplätze getragen haben. Sie wollen dieerste Androhung doch nicht etwa tatsächlich wahrma-chen!HwdthbzdlgwLn-nltknVZsswisgDsShsrrSeb
ier muss endlich ein Aktionsplan in Angriff genommenerden, damit Sie mehr Arbeit in die neuen Bundeslän-er bringen. Als allererstes muss hier eine Industriepoli-ik gestartet werden, die ihren Namen verdient.
Es gibt gerade im verarbeitenden Gewerbe etlicheoffnungsvolle Ansätze. Früher haben wir immer darü-er diskutiert, dass die Lohnstückkosten in Deutschlandu hoch sind, dass es keine vernünftige Auslastung gibt,ass die Maschinenlaufzeiten zu gering sind usw. Mitt-erweile haben sich im verarbeitenden Gewerbe sehrute Unternehmen herausgebildet, die eine Wettbe-erbsposition erreicht haben. Das gilt besonders in denändern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, in de-en die Landesregierungen für eine Kofinanzierung undförderung sorgen. Das muss man einmal positiv erwäh-en.Die Konjunktur insgesamt befindet sich in einer abso-ut desolaten Lage. Sie müssen erst einmal dafür Sorgeragen, dass die Binnenkonjunktur wieder in Gangommt. Die privaten Haushalte sind mit ihren Investitio-en sehr zögerlich, weil sie nicht wissen, welche privateorsorge in der Renten- und Krankenversicherung inukunft für sie erforderlich ist. Dies alles ist Teil einertrukturellen Krise. Hier müssen die Reformen möglichstchnell zu Ende gebracht werden, damit jeder genau weiß,elche Vorsorge für sich persönlich in Zukunft notwendigt. Dann wird auch die Binnenkonjunktur wieder ansprin-en.Im Moment bleiben die öffentlichen Aufträge aus.ie Haushalte der Gemeinden, Städte und Landkreiseind am absolut unteren Niveau angekommen.
ie können leider keine Investitionen mehr tätigen. Des-alb ist es notwendig, dass die Gemeindefinanzreformo schnell wie möglich greift.Es fehlt ein schlüssiges Konzept der Bundesregie-ung.
Herr Kollege Kuhn, würden Sie zur Verlängerung Ih-
er Redezeit nun eine Zwischenfrage des Kollegen
cheffler zulassen?
Ich warte schon sehr darauf. Ich hoffe nicht, dass er
nttäuscht sein wird.
Lieber Werner Kuhn, Sie kommen ja aus Mecklen-urg-Vorpommern, das in diesem Jahr wahrscheinlich
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5632 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Siegfried SchefflerTourismusland Nummer eins ist und sich im Jahre 2002mit Bayern um diesen Platz gestritten hat.
Ich bin in Mecklenburg-Vorpommern sehr viel unter-wegs. Stimmen Sie mir zu, dass das, was dort bei derVerkehrsinfrastruktur, der Wohnungsbauförderung, denExistenzgründungen und durch entsprechende Förderpro-gramme insbesondere in den vergangenen Jahren – ichgebe zu: auch schon seit 1992 – durch die rot-grüneBundesregierung geschehen ist, dazu beigetragen hat,dass Mecklenburg-Vorpommern zum TourismuslandNummer eins in Deutschland werden konnte?Da ich dort oft unterwegs bin und die Unternehmenund Bauernhöfe besuche – ich kenne sehr viele Höfedort –, weiß ich, dass der Bericht, den Sie hier der Öf-fentlichkeit vorgetragen haben, in keinster Weise zutrifft.
Verehrter Herr Kollege Scheffler, dieser Bericht trifftnatürlich schon zu. Wir dürfen uns nämlich nicht einfachnur fragen, wie wir das Dienstleistungsgewerbe, die Ser-viceunternehmen und was weiß ich noch alles inDeutschland fördern, und dabei unser „core business“,unsere Kernkompetenzen, total vernachlässigen. In un-serer Industrielandschaft gibt es eine Entvölkerung. Hierist aber eine größere Wertschöpfung möglich. Dahermuss man so arbeiten, dass man Kapital dort generiertund Leute dort in Arbeit bringt. Alles andere hat nur ei-nen sehr kurzen Bestand.Wir haben schließlich bis 1998 die Regierungsverant-wortung gehabt und das Erreichte ist nicht einfach vomHimmel gefallen.
Im Bezug auf die Infrastruktur in unseren Städten undGemeinden haben wir mit der Städtebauförderung vielgeleistet.
Die kommunale Wohnungsverwaltung der DDR hatdoch den Slogan gehabt: Ruinen schaffen ohne Waffen.Wohnblocks wurden einfach auf die grüne Wiese gesetztund die Infrastruktur wurde vernachlässigt. Schauen Siesich unsere Städte genau an. Dann wissen Sie, dass dieTransferleistungen richtig angelegt sind.Ich war mit meiner Rede noch gar nicht fertig.
Lieber Siegfried Scheffler, wir müssen uns darauf kon-zentrieren, wie wir den Osten tatsächlich nach vornebringen können. Dies kann nicht mit Minijobs oder mitder Förderung des Dienstleistungs- und Tourismusge-werbes erreicht werden, sondern wir müssen Industrie-politik machen. Diese Industriepolitik vermisse ich.
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Mit dem Thema Bürokratieabbau beschäftigen wir unsmer wieder. In den neuen Bundesländern sollte als Erstesin Pilotprojekt zum Bürokratieabbau starten. Denn dieürokratie hat eher zu- als abgenommen. In der letztenahlperiode sind 24 Änderungsgesetze zum Einkom-ensteuergesetz eingebracht worden. Durch 118 Ge-etze und 87 Verordnungen muss sich jeder quälen, derin Unternehmen neu gründen oder den Bestand erhaltenill. Ein Unternehmer beschäftigt sich Dreiviertel desages nur mit diesen Regelungen und um sein eigentli-hes Geschäft kann er sich nicht kümmern. Das kann soicht weitergehen. Hier muss aufgeräumt werden.Genauso ist es beim Arbeitsrecht. Das trifft für dieeuen wie für die alten Bundesländer zu. Das alte bun-esrepublikanische Rechtssystem mit allen Verordnun-en und Vorschriften für die Wirtschaft hat – das müssenir einfach konstatieren – die Herausforderungen desufbaus Ost nicht bestehen können. Die Bundesregie-ung ist gefordert, entsprechende Änderungen auf deneg zu bringen. Dazu ist die Opposition auf jeden Fallereit. Wir sind immer
n der Lage, diese Initiativen aufzugreifen.Wichtig ist aber auch, dass die ostdeutschen Regionennbedingt die Ziel-1-Förderung bei der Gemeinschafts-ufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-r“ behalten. Die neuen Bundesländer dürfen nicht zwi-chen die Mühlsteine der reichen Regionen im Westennd der Billiglohnländer im Osten geraten. Wenn deruropäischen Union noch mehr Länder mit einem nied-igen Bruttoinlandsprodukt beitreten, dann wird das Ni-eau weiter gesenkt und die neuen Länder werden mög-icherweise zu einem Ziel-3-Gebiet.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5633
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Werner Kuhn
Dagegen müssen wir gemeinsam kämpfen. Das trifftübrigens auch auf die Förderung in den alten Bundeslän-dern zu. Das sind Tatsachen. Die Investitionszulagemuss umgebaut werden. So, wie sie jetzt gestaltet ist,führt sie nicht zum Ziel. Ich sage Ihnen: Sie müssen dieIndustriepolitik verbessern. Synergieeffekte und Investi-tionen, durch die Arbeitsplätze geschaffen werden, müs-sen kombiniert werden. Zum Vergleich: Das Bruttoin-landsprodukt unseres Spitzenreiters Sachsen in denneuen Bundesländern liegt bei 17 358 Euro pro Kopf.Die rote Laterne in den alten Bundesländern hat Nord-rhein-Westfalen; dass muss ich leider so sagen. In NRWliegt das Bruttoinlandsprodukt aber bei 22 957 Euro proKopf. Das zeigt, dass die Schere zu weit auseinanderklafft und wir diese besondere Förderung brauchen.Für die gegenwärtige desolate Wirtschafts- und Haus-haltslage in der Bundesrepublik Deutschland wird allesMögliche verantwortlich gemacht. Der 11. September,die schwache Binnenkonjunktur und die allgemeineweltwirtschaftliche Lage werden als Argumente ange-führt. Aber Herr Eichel hat es auf den Punkt gebracht– für ihn ist die Lage klar –: Hauptgrund für die düstereMisere sind die Folgen der deutschen Einheit mit ihrenhohen Transfers. Dies sind die Ursachen für die Wachs-tumsschwäche.
Hier wird immer nur über die Transferleistungen ge-sprochen. Dabei wird offensichtlich vergessen, dass wirin Ostdeutschland mit 16 Millionen Einwohnern ein in-teressanter Markt sind, und zwar auch für Unternehmenaus den alten Bundesländern. Eine gesamtwirtschaftli-che Bilanz würde die Situation aufhellen. Nur so könnenwir das Werk der deutschen Einheit wieder gemeinsamin Angriff nehmen. Aber ich erwarte auch ein Umden-ken von der Bundesregierung. Das muss ich ganz ein-deutig sagen.
Wir sind letztendlich nicht nur mit einer Stunde Debat-tenzeit über dieses wichtige Thema bedient, sondern wirsind auch mit einem Minister bedient, der sozusagen mitder Maut total überfordert ist
und überhaupt keine Aktivitäten mehr in den Aufbau Osteinbringen kann. Hier muss sich etwas ändern. Da müs-sen sich möglicherweise auch Köpfe ändern.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Jahresbericht
auf Drucksache 15/1550 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu über-
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Dirk Fischer , Eduard Oswald, Georg
Brunnhuber, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Aktuelle Eisenbahnpolitik in der 15. Wahl-
periode
– Drucksachen 15/234, 15/1106 –
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich , Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Zurückdrehen der Bahnreform stoppen
– Drucksache 15/1591 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen zu dem Antrag
der Abgeordneten Horst Friedrich ,
Rainer Brüderle, Jörg van Essen, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Einsetzung einer Kommission der Bundesre-
gierung zur Fortsetzung der Bahnreform
– Drucksachen 15/66, 15/1294 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Stunde vorgesehen. – Widerspruch höre
ch nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
er Abgeordnete Klaus Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir haben in der letzten Zeit sehr viel über dashema Straße und das Thema Maut diskutiert und fest-estellt, dass die Bundesregierung völlig dabei versagtat, das anstehende Problem zu lösen. Das hat davon ab-elenkt, dass wir einen weiteren wesentlichen Bereich iner Verkehrsinfrastrukturpolitik haben, nämlich dieahnpolitik. Hier kommen wir genauso zu der Feststel-ung, dass die Bundesregierung und insbesondere daserkehrsministerium unter Führung von Minister Stolpeas Ziel eindeutig verfehlt hat.Wir diskutieren im Moment über den Börsengang;ber das eigentliche Versagen liegt darin, dass die beideniele, die mit der Bahnreform verbunden waren, nämlichuf der einen Seite mehr Verkehr auf die Schiene zuringen und auf der anderen Seite die Bahnreform zuollenden, eindeutig verfehlt worden sind.
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Dr. Klaus W. Lippold
Ich halte das für mehr als falsch. Wir müssen feststel-len, dass im Personenverkehr die Verkehrsleistung imvergangenen Jahr um mehr als 6 Prozent zurückgegangenist. Im Güterverkehr ist sie um 3 Prozent geschrumpft.Dieser Trend setzt sich fort, und das trotz der immensenSteuermittel, die wir für die Bahn aufbringen. Seit Be-ginn der Bahnreform haben die Steuerzahler 94 Milliar-den Euro in den Konzern gesteckt und für das Eisenbahn-wesen insgesamt 170 Milliarden Euro ausgegeben.Wenn ich jetzt die Effizienz dessen betrachte, dannstelle ich fest, dass die Verkehrsleistungen sowohl aufder Schiene als auch die Leistungen in anderen Berei-chen rückläufig sind. Das ist eine eindeutige Verfehlung.Hier hätte Bahnpolitik ansetzen müssen.Wir wissen, dass wir mit der EU-Osterweiterungnoch dringender eine Entlastung der Straßen vom Ver-kehr brauchen. Also brauchen wir die Schiene umsomehr. Trotzdem ist in dieser Frage nichts erreicht wor-den.Des Weiteren müssen wir monieren, dass eine konse-quente Umsetzung des Wettbewerbsprinzips nicht er-reicht wurde und dass es keine stabilen Wettbewerbsbe-dingungen in Form eines diskriminierungsfreienZugangs auch anderer Unternehmen als der DB AG zumSchienennetz gibt. Eine weitere zentrale Forderung vonuns ist die dezentrale Organisationsform, der Wegfall derHolding, die Privatisierung der Einzelgesellschaften unddamit die Realisierung der dritten Stufe der Bahnreform.Ich halte noch einmal fest: Das alles ist nicht erreicht.Die Straßen wurden nicht entlastet, die DB AG verschul-det sich immer mehr, Mehdorn setzt statt auf Dezen-tralisierung auf Zentralisierung durch Stärkung derHoldingstrukturen und erklärt damit de facto die Bahn-reform für beendet. Der Börsengang steht durchschlechte Unternehmensbilanzen infrage.Ich will hier eines noch einmal deutlich machen: Ichglaube, dass es nicht gut war, dass die Bundesregierungdiese Frage offen strittig diskutiert hat, dass die einenden Börsengang haben laufen lassen und die anderen,wie zum Beispiel Frau Wolf deutlich gemacht hat, derMeinung waren, dass der Börsengang umgehend reali-siert werden soll. So kann man in der Sache nicht vorge-hen. Das ist völlig daneben und schadet der Bahn.Die Diskussion dieser Frage in der Öffentlichkeit hatzur Folge, dass ein ähnlicher Eindruck durchaus entstehtwie bei der Einführung der Maut: Die einen reden so, dieanderen so; es gibt kein klares Konzept. Ich meine, dasmuss endgültig ein Ende haben.
Ich gehe davon aus, dass der Börsengang nicht nur ander fehlenden Kapitalmarktfähigkeit auf absehbare Zeitscheitern wird, sondern dass er de facto nicht in Fragekommt, solange keine Trennung von Netz und Betrieberfolgt. Aus Insiderkreisen – insbesondere aus Banken-kreisen – wird das zunehmend kritisch beurteilt. Ichmeine, hierzu sollte die Bundesregierung Vorstellungenentwickeln,
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Ich meine, wenn wir uns schon konsequent für dieahn einsetzen wollen, die wir auch brauchen, dannüssen klare und faire Wettbewerbsbedingungen ge-chaffen werden. Diese sehe ich aber zurzeit nicht.Wenn es um die Frage geht, wie die Bundesregierunghre Verantwortung für ein leistungsfähiges Schienen-etz wahrnimmt, wird darauf verwiesen, dass sie diesnter Einbeziehung der Mittel aus den künftigen Maut-innahmen macht. Ich will an dieser Stelle verdeutli-hen: Wer in Antworten auf unsere Anfragen auf dieinnahmen aus der Maut verweist, liegt ja wohl völligalsch. Denn bisher konnte noch kein einziger Cent flie-en und die Termine 1. Januar und, nach Meinung vieler,uch der 1. April können ebenfalls nicht eingehaltenerden. Vielmehr wird die Einführung der Maut bis weitn das kommende Jahr verschoben werden müssen. Ob-ohl Sie also in absehbarer Zeit keine Einnahmen auser Maut erzielen, verweisen Sie darauf. Das ist unhalt-ar. Sie sollten endlich zu soliden Ausführungen zurück-ehren, die deutlich machen, dass Sie auf eichelschenruck die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur im Bun-eshaushalt nicht reduzieren, sondern dass Sie dieseittel mindestens im bisherigen Umfang erhalten, undass die Mauteinnahmen nicht dazu gedacht sind, dieinkenden Haushaltsansätze zu kompensieren. Das istuch die klare und deutliche Linie der EU.
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Dr. Klaus W. Lippold
Sie verfehlen die EU-Zielsetzungen, die deutlich be-sagen, dass Mittel wie die Mauteinnahmen nicht dazugedacht sind, Haushaltslöcher zu stopfen. Kehren Siedeshalb endlich wieder zu den notwendigen Vorgehens-weisen zurück! Sofern Mauteinnahmen in einer derzeitnoch nicht absehbaren Zeitspanne fließen, sollten diesezur schnelleren Realisierung von Verkehrsprojekten demHaushalt additiv zugute kommen. Ich glaube, dass dasder richtige Weg ist, den wir beschreiten sollten.Ich möchte angesichts des öffentlichen Erschei-nungsbildes der Deutschen Bundesbahn noch einesausführen: Wir sollten auch deutlich machen, dass Füh-rung gefordert ist. Die misslungene Preisreform hat vielLärm um nichts erzeugt. Aber derjenige, der sie zu ver-antworten hatte, wurde mit ein paar Bauernopfern gerettetund gleichzeitig – obwohl er diesen Mist gebaut hatte –noch durch eine vorzeitige Vertragsverlängerung geför-dert. Auch diesen Fehler hat das Ministerium begangen.So etwas sollte künftig nicht mehr passieren.
Sie sollten Ihre Kontrollaufgaben auch wahrnehmen,wenn es um die schnellere Beseitigung von Zugdefektenund Kostensteigerungen bei Prestigeobjekten geht, in-dem Sie ein besseres Controlling einführen. Sie habendas erforderliche Controlling bei der Mauteinführungnicht geleistet. Wie wir feststellen müssen, leisten Sie esauch nicht in der Bahnpolitik.
Alles in allem – von der Verfehlung der Ziele der Bahn-reform bis hin zu der Verfehlung des Ziels, Verkehr vonder Straße auf die Schiene zu bringen – betreiben Sieeine falsche Bahnpolitik, weil Sie die Dinge laufen las-sen und nicht konsequent und entschieden handeln undweil Sie vor allen Dingen Ihrer Kontrollaufgabe gegen-über der Deutschen Bahn nicht im notwendigen Umfanggerecht werden.Herzlichen Dank.
Für die Bundesregierung hat jetzt die Parlamentari-
sche Staatssekretärin Angelika Mertens das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Herr Lippold, Sie sprachen geradevon der „Deutschen Bundesbahn“. Ich denke, das war soetwas wie ein freudscher Versprecher. Es kann auch nurein Versprecher gewesen sein.
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er andere ist: Nicht das Ministerium verlängert die Ver-räge mit Herrn Mehdorn. Vielleicht erkundigen Sie sichinmal, wer dafür zuständig ist. Das Ministerium ist esedenfalls nicht.1994 ist die Bahnreform mit großer Einigkeit verab-chiedet worden. Man war sich über die Ziele einig. Esandelt sich übrigens nicht um zwei, sondern um vieriele. Das erste Ziel war die Umwandlung der Sonder-ermögen „Deutsche Bundesbahn“ und „Deutscheeichsbahn“ in ein privatrechtlich geführtes, gewinn-rientiertes Wirtschaftsunternehmen. Das zweite Zielar die Entlastung der Steuerzahler. Das dritte Ziel warie Verhinderung weiterer Marktanteilsverluste der Bahnm Personen- und im Güterverkehr. Das vierte Ziel warie Öffnung des DB-Netzes für andere Eisenbahnunter-ehmen zu diskriminierungsfreien Bedingungen.Letztlich ist das ein Beschluss gewesen, um den Nie-ergang der Bahn bzw. der Bahnen zu stoppen. Das istein deutsches Phänomen. Aber wir haben mit der Bahn-eform, denke ich, sehr konsequent und richtig daraufeagiert. Jedenfalls geben uns die Ergebnisse und dieroduktivität Recht; denn beide haben sich positiv ent-ickelt.
ch weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen haben, Herrippold. Aber seit der Bahnreform weisen der Personen-erkehr ein Plus von 11 Prozent und der Güterverkehr einlus von 13 Prozent auf. Ich möchte auch die Arbeitspro-uktivität besonders herausstellen, die um ungefähr50 Prozent gestiegen ist. Deshalb sollte man großen Re-pekt vor den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern ha-en.
ennen Sie mir nur ein Unternehmen, das so etwas inieser kurzen Zeit geschafft hat!Die Verkehrsleistungen sind im Personenverkehr ge-tiegen. Im Güterverkehr ist die Entwicklung allerdingsinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Das liegtn der besonderen Konkurrenzsituation in diesem Be-eich. Aber auch hier bewegt sich einiges. Schauen Sieich einmal genau an, was es in diesem Bereich außerer DB noch alles gibt! Besonders die so genannten Pri-aten sind hier im Kommen. Auch im Bereich des kom-inierten Verkehrs kann sich das, was sich im Momentntwickelt, sehen lassen. Es ist auch ein Ergebnis dermsetzung der vier Ziele, dass wir die Voraussetzungenür den Wettbewerb auf der Schiene geschaffen haben.arüber sollten Sie einmal nachdenken. Nennen Sie mirur ein Land in Europa, das mehr Verkehrsunternehmen
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Parl. Staatssekretärin Angelika Mertensim Netzbereich vorzuweisen hat! Ich glaube, dass Siekeines finden werden.
Die parlamentarische, aber auch die außerparlamenta-rische Auseinandersetzung mit der Bahn lässt den Ver-dacht aufkommen, dass die Vaterschaft bzw. die Mutter-schaft der Bahnreform infrage gestellt werden und dassdie Debatte immer kleinkarierter wird. Ich möchte nichtsbeschönigen. Die Bahn muss in der Tat besser werden.Man ist sich logischerweise des Beifalls der Öffentlich-keit sicher, wenn man über seine Erlebnisse mit derBahn bzw. den Bahnen berichtet. Ich ärgere mich ge-nauso. Vom Kunden kann man nicht erwarten, dass erhier differenziert. Aber wir können das sehr wohl undsollten es auch tun.
Eigentlich sollte es völlig egal sein, um welchen Ver-kehrsträger es geht, ob um das Flugzeug, die Bahn oderden Bus. Ich habe aber manchmal den Eindruck, dasswir das, was im Luftverkehr schief geht, in der Regelsehr viel gelassener hinnehmen.Fachleute hingegen können unterscheiden: Liegt es amMaterial, sind es Kapazitätsengpässe, sind es Reparatu-ren, ist es die DFS oder ist es die DB Netz AG, ist es einManagementfehler oder ist es einfach nur Schlamperei?Schnell, bequem, kostengünstig und zuverlässig: Dassind die Ansprüche, die an das Transportmittel Bahn ge-stellt werden. Diese Ansprüche zu erfüllen ist auch dasZiel, dem die Bahn näher kommen muss. Kein Trans-portmittel wird jemals perfekt funktionieren, das wissenwir; dazu gibt es viel zu viele äußere Einflüsse.Wir haben auf die Anfrage der CDU/CSU umfassendgeantwortet. Wir haben unsere Karten im Sinne derBahnreform auf den Tisch gelegt.
Wir wollen, dass die DB AG zu einem erfolgreicheneuropäischen Mobilitäts- und Logistikdienstleisterwird. Dazu gehört als nächster Schritt auch die Kapital-marktfähigkeit. Ob Sie das wollen, wird – auch nach Ih-rem Beitrag – immer unklarer.Ich kann nur sagen: Kein französischer Politikerkäme auf die Idee, die SNCF so runterzureden, wie Siedas zurzeit bei der Bahn tun.
Das, was Sie machen, hat auch mit konstruktiver Kritikwenig zu tun.Zum FDP-Antrag will ich gerne noch sagen: Die Füh-rungsorganisation des Unternehmensbereiches Perso-nenverkehr ist eine Reaktion auf die Anforderungen desMarktes. Die FDP ist doch angeblich eine Wirtschafts-partei; das sollte für Sie also eigentlich nichts NeuessucWZMznHkgäEgIslEdvIddzwcshJasddbnnPdfsr
err Lippold, Sie haben die Harmonisierung in der fis-alischen Belastung angesprochen. Als Sie an der Re-ierung waren, hatten Sie wirklich genügend Zeit, das zundern.
s ist natürlich Ihr gutes Recht, als Opposition so zu rea-ieren. Ich kann nur sagen: Sie sollten in Ihrem eigenennteresse den Anschluss – vor allen Dingen den europäi-chen Anschluss –, was die Bahn angeht, nicht verlieren.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Lassen Sie mich mit einer kurzen persönlichenrklärung beginnen. Sie haben vielleicht mit verfolgt,ass jemand versucht hat, Mitglieder des Parlamentesor Gericht an bestimmten Aussagen zu hindern. Dankhrer Unterstützung und auch Dank der Unterstützunges Bundestagspräsidenten, für die ich mich ganz aus-rücklich bedanke, hat die Bahn die Klage mittlerweileurückgenommen. Ich darf also weiterhin sagen, was ichill, hier sowieso und auch draußen. Nochmals herzli-hen Dank für Ihre Unterstützung in jederlei Hinsicht!
Das war es jetzt allerdings mit der Freundlichkeit,ehr verehrte Frau Staatssekretärin; denn das, was Sieier vor dem Hintergrund einer Evaluierung nach zehnahren Bahnreform geboten haben, war eigentlich nichtsnderes als Pfeifen im Walde. Sie haben nichts dazu ge-agt, was die Bundesregierung vorhat. Das erinnert einenoch ziemlich signifikant an das Verhalten, das Sie beier Maut dargeboten haben. Auch da sind wir von Ihneneschimpft worden, wir sollten doch das Mautsystemicht schlechtreden und die Firmen um Gottes Willenicht madig machen. Und was haben wir jetzt für einroblem? Jetzt, nachdem es zu spät ist und das Kind inen Brunnen gefallen ist, fangen Sie an, uns vorzuwer-en, wir würden die Bahn – bei der es ähnlich läuft –chlechtreden. Wie blauäugig sind Sie eigentlich in Ih-em Regierungsturm, sehr verehrte Frau Staatssekretä-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5637
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Horst Friedrich
rin, dass Sie sich trauen, so etwas hier im Bundestag zuerklären?
Meine Damen und Herren, es ist doch richtig, jetzt,nach zehn Jahren, Bilanz zu ziehen und zu hinterfragen:Was wollte man mit der Bahnreform erreichen? Wo ste-hen wir? Was hat der Steuerzahler bisher gezahlt, was istdie Aufgabe der Bundesregierung und was ist die Auf-gabe des Parlamentes? Als Erstes kann man sicherlichfeststellen, dass die Bundesregierung vorrangig nicht dieAufgabe hat, auf die Schalmeienklänge aus dem Bahn-tower vom Potsdamer Platz hereinzufallen; denn sonsterlebt sie das Gleiche wie bei der Maut.
Wenn man aber selbst nicht weiß, was man will, dann istman ja vielleicht froh, wenn man wie beim Rattenfängervon Hameln – ihm sind die Kinder auch hinterhergelau-fen, ohne zu wissen, was sie machen – Schalmeienklän-gen folgen kann.Fakt ist: Der deutsche Steuerzahler hat für die Bahn-reform seit ihrem Beginn 177 Milliarden Euro bezahlt.Davon sind dem Unternehmen Deutsche Bahn circa100 Milliarden Euro im Wesentlichen für die Erreichungvon zwei Zielen zur Verfügung gestellt worden, nämlicherstens mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen undzweitens die Belastung für den Haushalt zu reduzie-ren. Keines von den beiden Zielen ist erreicht worden.Frau Mertens, wenn Sie unseren Verkehrszahlen nichtglauben, dann empfehle ich Ihnen, in Ihr Buch „Verkehrin Zahlen 2001/2002“ zu schauen. Das haben Sie ja ver-öffentlicht. Darin steht etwas anderes als das, was Siehier vorgetragen haben. Die Belastung für den Haushaltist auf der historischen Höhe – bezogen auf die Zeit, seitdie Bahn im Haushalt aufgeführt wird – von 18,6 Mil-liarden Euro angelangt. Das ist zwar nicht alles der Bahnzuzurechnen; aber es ist eine Belastung für den Steuer-zahler. Das muss einmal deutlich gesagt werden: Daszweite Ziel ist auch nicht erreicht worden.Deswegen ist es jetzt wichtig, zu sagen, was wir brau-chen. Zuallererst muss allen Entscheidungen – auch beiden Träumen über den Börsengang – die Einsicht zu-grunde liegen, dass das von Gesetzes wegen Notwendigeohne die rechtzeitige Mitwirkung des Bundestages garnicht auf den Weg gebracht werden kann; denn sonstpassiert Ihnen das gleiche Desaster wie bei der Maut.Hinsichtlich der Bahnreform muss zunächst einmalauch als Voraussetzung für vernünftiges Controlling –eine schonungslose Bilanz vorgenommen werden. Dasheißt, Sie können nicht die Zahlen von Herrn Sack,Herrn Mehdorn oder von wem auch immer kritiklos ent-gegennehmen. Es müssen andere Institutionen – etwaeine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – mit diesen Zah-len arbeiten, um dann sagen zu können, wie sich die Si-tuation tatsächlich darstellt.Es muss für uns klar sein, dass die Bahnreform aufeine Trennung des Transportbereiches vom Infra-strukturbereich angelegt war. Das Ziel ist also, dass derTdfdser5SclAvEwnWmMDSkumdEfevDrzlbhMGKisg
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Fast zehn Jahre nach der Bahnreform wird esn der Tat allmählich Zeit, sich ernsthaft mit einer Zwi-chenbilanz zu beschäftigen. Dies sollte ohne Polemikeschehen; ich will auch sagen, warum.
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5638 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Albert Schmidt
– Das sind Sie von mir vielleicht nicht gewöhnt, aber ichkann auch so; lieber Kollege, Sie werden sich wundern.
Die Bahnreform wurde 1993/94 – ich war damalsnoch nicht Mitglied dieses Hauses, aber viele der Anwe-senden werden es noch aus eigenem Erleben wissen – alskonsensuales Projekt betrieben und beschlossen. Das hatsich bewährt. Eine grundlegende Reform eines Bundes-unternehmens in dieser Größenordnung kann eigentlichnur im Konsens umgesetzt werden, ja, sie muss so umge-setzt werden.
Das schließt eine kritische Diskussion nicht aus.Die heutige Diskussion im Bundestag anlässlich derGroßen Anfrage der Unionsfraktionen und der Anträgeder FDP-Fraktion kann eigentlich nur ein Auftakt zu derZwischenbilanz sein, die wir im Parlament brauchen.Wir brauchen eine vertiefte Diskussion, aber auch eineexterne Evaluation dessen – der Kollege Horst Friedrichhat es schon kurz angesprochen –, was das Unternehmenaus unternehmerischer Sicht bisher geschafft hat, wasnoch nicht, was verbesserungsbedürftig ist, woran dasliegt usw.Ich möchte den Einstieg in diese Diskussion heutenutzen, um wenigstens kurz auf die aktuellen Kernfra-ge
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vorrangi-ges Ziel der Bahnreform 1993/94 war, ist und bleibt es,mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Der Fortgangder Bahnreform ist nach der geltenden Rechtslage vomEigentümer Bund, von den zuständigen Gremien, vomParlament zu gestalten. Hier hat aus meiner Sicht ganzklar das Primat der Verkehrspolitik zu gelten. Wir solltenden weiteren Fortgang der Bahnreform nicht ausschließ-lich unter fiskalischen oder sonst irgendwelchen Erwä-gungen, sondern gezielt auch unter verkehrspolitischenErwägungen und Zielsetzungen diskutieren.
Das gilt meines Erachtens auch für die Frage einermöglichen Privatisierung oder Teilprivatisierung desKonzerns, in welcher Konstruktion auch immer. Wirsollten uns von niemandem Zeitpläne diktieren lassen.Wir sollten uns von niemandem Zielvorgaben machenlassen, denen wir als Parlament dann gleichsam hinter-herzuhecheln haben.
So etwas sollten wir aus Gründen der Selbstachtung,aber auch aus sachlichen Gründen nicht mitmachen. DieBahn als Unternehmen, aber auch der Schienenverkehrgenerell haben nur dann eine aussichtsreiche Chance,wlüIwavfzPshvdiDbdEnIüdfnddkngMdgPuadsFbglnAagHz
as ist der Schienenbautitel. Da könnten wir genauso gutordern, den Straßenbautitel zu kürzen, um Subventio-en – in Anführungszeichen – einzusparen. Liebe Freun-innen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,as kann niemals Grundlage unserer gemeinsamen ver-ehrspolitischen Überzeugung werden; denn sonst kön-en wir uns hier verabschieden und können unser Pro-ramm gleich bei den „Finanzern“ abgeben nach demotto: Verkehrspolitik findet nicht mehr statt, es seienn, als Sparschwein der Nation. – Ich wäre strikt dage-en.
Nach dieser Randbemerkung möchte ich auf denunkt zu sprechen kommen, um den es in diesen Tagennd Wochen eigentlich geht und um den es sicherlichuch in den nächsten Monaten noch gehen wird, nämlichie Zukunft des Unternehmens, die Frage, wie es aufge-tellt werden soll. In den zuständigen Gremien in unsererraktion haben wir in diesen Tagen eine Art Grundsatz-eschluss gefasst, den ich hier für meine Fraktion vortra-en möchte. Was auch immer im Fortgang der Entwick-ung mit der Bahn als Unternehmen geschieht, mussach unserer Auffassung dem Grundsatz folgen, der inrt. 87 e Grundgesetz festgelegt ist und der auch im Ko-litionsvertrag so festgehalten ist, nämlich dass das Ei-entum am Streckennetz beim Bund, in der öffentlichenand, zu verbleiben hat.
Das ist keine Frage der Ideologie oder der Grundüber-eugung, sondern eine Frage nüchterner Analyse. Wenn
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5639
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Albert Schmidt
das Streckennetz materiell privatisiert würde, wenn esalso verkauft oder in welcher Konstruktion auch immerden Eigentümer wechseln würde, und sei es nur teil-weise, dann hätten wir nicht nur die merkwürdige Kon-struktion, dass der Staat dem Shareholder über Jahre mitSteuermilliarden eine Rendite garantieren würde – dasnur am Rande –, sondern auch die Diskussion darüber,welches Netz sich private Shareholder überhaupt leistenwollen. Ich sage Ihnen voraus, was dann passierenwürde: Dann würde das Streckennetz Kilometer für Ki-lometer verschwinden; denn unrentable Strecken würdensofort stillgelegt, der Rest nach und nach.Die öffentliche Infrastruktur Schiene eignet sichnicht als Renditeobjekt, genauso wenig wie die Infra-struktur Straße. Das zu missachten war der Kernfehlerder misslungenen britischen Bahnreform, die den briti-schen Steuerzahler nun teuer zu stehen kommt, nachdemder Staat das Netz zurückkaufen musste und jetzt die un-terbliebenen Investitionen abarbeiten muss.
Diesen britischen Fehler, in welcher Variante auch im-mer, sollten wir in Deutschland nicht wiederholen.
Deswegen geht es für mich unter der Überschrift„Börsengang“ weder um eine Volksaktie à la Telekom– das ist sowieso ein großes Missverständnis – noch da-rum, einen Anteil von 10, 15, 20 oder 25 Prozent desKonzerns zu veräußern. Kapitalmarktfähigkeit ist etwasanderes als ein schierer Notverkauf. Kapitalmarktfähig-keit verlangt bestimmte Voraussetzungen im Hinblickauf das Verhältnis des Eigenkapitals zum Fremdkapital,auf ROCE und EBITDA – man kennt die Stichworte ausder Bilanzsprache. Keine dieser Voraussetzungen ist bis-her erfüllt. Das Ergebnis wären zu wenig Reinvestitio-nen ins Netz und letztlich eine Vernachlässigung desgrundgesetzlichen Auftrags, für eine gemeinwohlorien-tierte Schieneninfrastruktur zu sorgen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Auftragan uns, nicht an das Unternehmen. Das Unternehmen hatkeinen Gemeinwohlauftrag. Aber wir als Eigentümer,als Politik haben diesen Auftrag. Wir sollten ihn auch inZukunft gemeinsam ernst nehmen.
Ich komme auch schon zum Schluss. Wenn das Stre-ckennetz nicht privatisiert werden soll, dann bleiben fürdie durchaus sinnvolle und aus meiner Sicht sogar er-wünschte Hereinnahme privaten Kapitals in das Unter-nehmen im Grunde nur die Transportgesellschaften üb-rig, in welcher Form auch immer. Ich bitte Sie, ernsthaftzu prüfen – lassen Sie uns das in den nächsten Wochenund Monaten in einer ideologiefreien Debatte vertie-fen –, ob vorstellbar ist, dass der Bund seine Eigentü-merschaft für das Netz und die Infrastruktur im RahmenemENn–VsdkDwG–vüszzhDsKngkngwgF
Das muss nicht sein, aber das könnte man in einemertrag tun. Dann hätte man ein klares Verhältnis zwi-chen Eigentümer und Auftragnehmer, wie wir es voner Verkehrsbestellung im Rahmen der Regionalisierungennen.
ann ist klar, wer zu sagen hat, wie das Netz aussieht,ie groß es ist und –
Herr Kollege, Sie wollten zum Schluss kommen.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin – wie
iel Geld uns das jedes Jahr wert ist. Dann können wir
ber Verträge reden, ohne den technisch-operativen Zu-
ammenhang zwischen Netz und Betrieb infrage stellen
u müssen.
Wir sind am Anfang der Diskussion. Ich bin über-
eugt, dass wir hier mehr Übereinstimmung als Dissens
aben werden.
eshalb freue ich mich auf den Fortgang dieser kon-
truktiven Debatte.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eduard Lintner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrollege Schmidt, ich stelle mit wohlwollendem Erstau-en fest, dass Sie mit Ihren bahnpolitischen Vorstellun-en mittlerweile zu hundert Prozent bei der Union ange-ommen sind. Diesen Erkenntnisprozess kann manatürlich nur begrüßen.
Dennoch muss die Eisenbahnpolitik dieser Bundesre-ierung als ein folgenschweres Trauerspiel bezeichneterden. Was 1994 unter dem Stichwort „Bahnreform“emeinsam auf den Weg gebracht worden ist, droht nun,rau Staatssekretärin, endgültig zum Fiasko zu werden.
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5640 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Eduard LintnerIch kann mich immer noch nicht darüber beruhigen, dassSie es gewagt haben, solche Zahlen in den Raum zu stel-len. Es müsste eigentlich von jemandem aus dem Ver-kehrsministerium verlangt werden können, dass er hierechte und belastbare Angaben macht und sich beispiels-weise an die Erkenntnisse in Bezug auf Verkehrsanteileund -entwicklung bei der Schiene hält, die sein Ministe-rium uns selbst mitgeteilt hat. Sich einfach hier hinzu-stellen und flapsig zu sagen, es sei alles in Butter undhabe sich bestens entwickelt, ist einfach zu wenig.Wenn Sie bei der Klausurtagung Ihrer eigenen Frak-tion dabei gewesen wären und etwa das Eckpunktepapierder entsprechenden SPD-Arbeitsgruppe noch einmal zurHand genommen hätten, dann hätten Sie hier eine solcheinkompetente Aussage nicht machen dürfen. Da werdennämlich die ganzen Defizite der Bahnpolitik aufgelistet;ich will sie jetzt nicht im Einzelnen vorlesen, sondernnur darauf verweisen, dass dort zwischen den Zeilen ineiner etwas gewundenen und umständlichen Form einge-räumt wird, dass die Gestaltung der Bahnpolitik an denVorstand der Deutschen Bahn abgegeben worden ist.Denn in der „DVZ“ findet sich in der Darstellung derForderungen der SPD-Arbeitsgruppe die Überschrift:„DB-Börsenpläne müssen sich der Politik unterordnen“.Dahinter steckt doch wohl die Erkenntnis, dass die ent-sprechenden Kompetenzen mittlerweile vom Ministe-rium zur Bahn gewandert sind und jetzt erst wieder müh-sam zurückgewonnen werden sollen.
Meine Damen und Herren, es ist schon darauf hinge-wiesen worden, dass die Hauptziele der Bahnreform lei-der bis heute nicht erreicht worden sind. Es stellt nachwie vor ein ungelöstes Problem dar, wie die Zielsetzung,mehr Personen- und Güterverkehr auf die Schiene zubringen, erreicht werden kann. Der Kollege Lippold hatdie derzeitige Situation schon mit genauen Zahlen exaktdargestellt. Ich möchte es aber aufgrund des Zahlen-werks, das Sie dargeboten haben, noch einmal für dasProtokoll erwähnen: Wir haben beispielsweise zu bekla-gen, dass der Anteil des Verkehrsträgers Schiene amGüterverkehr seit der Bahnreform von 17 auf 14 Prozentzurückgegangen ist. Diese Erkenntnis liegt sicher auchin Ihrem Haus vor.Fatal ist an dieser ganzen Entwicklung insbesondere,dass damit Perspektiven für die Bahn verloren gehen.Die Bahn geht ja davon aus, dass sie bis 2007 ein jährli-ches Durchschnittswachstum von 4,9 Prozent erreichenkönne. Für dieses Jahr hatte sie sogar ein Wachstum von9,9 Prozent
– im Personenfernverkehr – erwartet. Nur, das ist jetztleider nicht eingetreten, warum auch immer. Die Folgedavon ist aber, dass wir von dem Ziel Börsengang wei-ter weg sind denn je, eher bewegen wir uns genau in dieentgegengesetzte Richtung. Deshalb ist eigentlich dieDiskussion um Börsenpläne und dergleichen eine Phan-tLhfwdHgd2kwEsgiPmsdGtzhlSfgrAdsbsg–DbdlZssdäl
Der Kollege Friedrich hat es auch gesagt.
enn welcher private Investor lacht sich ein Netz an,ei dem von vornherein feststeht, dass außer einem stän-igen Zuschuss in der Größenordnung von 4 oder 5 Mil-iarden Euro pro Jahr nichts zu erwarten ist?Ich weise auch auf Folgendes hin – gestern gab es imusammenhang mit Toll Collect eine analoge Diskus-ion –: Die Bundesregierung sollte sich nicht täuschen;ie ist nicht in der Lage, über Jahre Finanzzusagen inieser Größenordnung zu machen. Falls Sie damit lieb-ugeln sollten, Investoren 4 oder 5 Milliarden Euro jähr-ich zu versprechen, kann ich nur sagen: Eine solche Zu-
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Eduard Lintnersage können Sie schon rein haushaltsrechtlich nichtmachen; denn Sie können das Parlament nicht in seinerEntscheidungsfreiheit binden.
Deshalb bitte ich Sie, gar nicht erst mit diesem Gedan-ken zu spielen, wie es gelegentlich zu lesen war.In jedem Fall habe ich den Eindruck, dass uns dieBahnreform noch viele Jahre begleiten wird. Von einemAbschluss der Bahnreform, von dem man aus DB-Krei-sen hört, kann überhaupt keine Rede sein. Ich glaube,wir tun alle gut daran und tun auch der Sache einen Ge-fallen, wenn wir jetzt eine Art Zwischenbilanz durch un-abhängige Sachverständige ziehen lassen und uns dannauf der Basis dieser Erkenntnisse mit dieser Frage seriösund ohne Polemik beschäftigen. Das ist unser Ziel.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Rehbock-
Zureich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Lintner, ich greife Ihren letzten Satz auf. Wenn Siesagen, dass wir uns „seriös und ohne Polemik“ mit derSache beschäftigen sollten, dann haben Sie damit sichernicht Ihre heutige Rede oder die Anmerkungen vieler Ih-rer Kollegen gemeint. Ich bin schon der Meinung, dasswir uns seriös und ohne Polemik mit der Weiterführungder Bahnreform beschäftigen und Bilanz ziehen sollten.Aber das, was Sie heute hier geboten haben, ist von einerseriösen Bewertung weit entfernt.Sie sagen – das ist ein Punkt, auf dem wir aufbauensollten –, unser gemeinsames wichtigstes Ziel bei derBahnreform sei, mehr Verkehr auf die Schiene zu brin-gen.
Sie aber haben dieses Ziel in den letzten Jahren Ihrer Re-gierungszeit völlig vernachlässigt.
Die Investitionsmittel, die Sie zur Verfügung gestellt ha-ben, waren in keiner Weise ausreichend, um diesem Zielnäher zu kommen. Auch wenn es für Sie lästig ist, hierimmer wieder daran erinnert zu werden, ist es eine Tat-saT2BEgdZpDWhMSahddredSwimBvwtDvES
rotz der schwierigen Lage werden wir im Haushalt004 und in den Folgejahren Investitionsmittel für dieahn bereitstellen. Im Jahr 2004 sind es 4 Milliardenuro.Wir sind tatsächlich an einem Punkt, an dem wir unsemeinsam Gedanken machen müssen. Sie müssen sichazu äußern, ob Sie den Verkehrsträger Schiene in derukunft als einen wichtigen Verkehrsträger in dieser Re-ublik wollen. Wenn das so ist, dann müssen Sie gewisseinge mit uns gemeinsam auf den Weg bringen.
enn Sie sich aber in der Diskussion über die Maut da-in gehend äußern, dass Sie die dadurch aufkommendenittel am liebsten ausschließlich in den Verkehrsträgertraße zurückfließen lassen würden, dann habe ich diellergrößten Bedenken, ob Sie in Zukunft wirklich ernst-aft über den Verkehrsträger Schiene reden wollen.
Wenn wir schon über gemeinsame Grundlagen reden,ann müssen auch faire Wettbewerbsbedingungen aufem Schienennetz, die diskriminierungsfrei zu garantie-en sind, angesprochen werden. Wir haben die Weiter-ntwicklung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes aufen Weg gebracht, um für alle Mitbewerber auf derchiene diese fairen Wettbewerbsbedingungen zu ge-ährleisten.Im Übrigen gibt es auf dem deutschen Schienennetzm Bereich Güterverkehr schon 250 private Unterneh-en. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unserenesuch in Frankreich, liebe Kolleginnen und Kollegenon der Opposition. Da ist ganz deutlich geworden, dassir, was die Netzöffnung angeht, in Europa am weites-en sind.
ies kann aber keine Einbahnstraße bleiben. Wir müssenielmehr dafür sorgen, dass die Netzöffnung in ganzuropa vorangetrieben wird.Eine ausreichende finanzielle Ausstattung derchiene vonseiten des Bundes bedeutet aber nicht, dass
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Karin Rehbock-Zureichkeine Investitionsmittel vonseiten der DB AG selbst flie-ßen müssen. Es kann nämlich nicht sein, dass der Bundals Erster zu Hilfe gerufen wird, wenn sich die DB AGin einer schwierigen Lage befindet.
Ich möchte nun auf die Diskussion der vergangenenWochen eingehen. Ziel muss es sein, mehr Verkehr aufdie Schiene zu bringen. Wir brauchen also auch in Zu-kunft ein flächendeckendes Schienennetz. Dazu sindTransparenz und Netzöffnung nötig. Aus meiner Sichtsind wir weit von einem Börsengang entfernt – dassollte man in zukünftigen Diskussionen beachten –, so-lange die Kapitalmarktfähigkeit der DB AG nicht ausrei-chend ist. Vor einem Börsengang müssen wichtige Vo-raussetzungen erfüllt sein.Wir sollten in den kommenden Monaten eine Bilanzder Bahnreform ziehen und eine Weiterentwicklung die-ser Reform ernsthaft diskutieren. Ich verweise in diesemZusammenhang auf Art. 87 e des Grundgesetzes. Dortsind Festlegungen getroffen, die Auswirkungen auf dieGröße und auf die Standards des Netzes der Zukunft ha-ben. Auch nach einem Börsengang muss gewährleistetsein, dass der Bund zumindest mittelbar Eigentümer desSchienennetzes bleibt. Die Verantwortung des Bundesfür dieses Schienennetz muss also bestehen bleiben.
Ich möchte die alte Diskussion über die Trennung vonNetz und Betrieb, die es in den vergangenen zwei Jahrengab und die – ich es will einmal so sagen – teilweisefundamentalistisch geführt wurde, nicht neu beginnen.
Ich möchte daran erinnern, dass es in England inzwi-schen als ein Fehler gesehen wird, das Netz vom Betriebgetrennt zu haben.
Wir sollten diese Fehler nicht wiederholen und die Tren-nung von Netz und Betrieb nicht durchführen.
Bevor wir über einen möglichen Börsengang disku-tieren, muss der Konzern DB AG schwarze Zahlenschreiben, und zwar nachhaltig. Ein einziges positivesBilanzergebnis ist nicht ausreichend, wenn man einemBörsengang näher treten will. Es muss eine nachhaltigeund sichere Finanzgrundlage geben, bevor ein Börsen-gang erfolgreich auf den Weg gebracht werden kann.Messlatte für uns alle muss bei aller Weiterentwick-lung der Bahnreform dieses verkehrspolitische Ziel sein.Mehr Verkehr auf die Schiene muss die Messlatte unddiDmsgdlzBHisdgRteSwwnSbbtSkdd2gsS2Sgi
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Fischer.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Bundesminister Stolpe hat nicht nur das Problemer Maut, sondern auch das Problem der Bahn: rote Bi-anzen, ein Rekordverschuldungstempo, das seit 1994weieinhalbmal so hoch ist wie in den 32 Jahren vor derahnreform, und Verluste an Marktanteilen. Vor diesemintergrund ist das Ziel des Börsengangs im Jahr 2005llusorisch. Der wünschenswerte starke ordnungspoliti-che Arm des Bundesministers Stolpe ist nicht sichtbar,ie verantwortliche Rolle als Alleineigentümer schonar nicht. Der Deutsche Bundestag hat nicht nur dasecht, sondern sogar die Pflicht, das bundeseigene Un-ernehmen DB AG kritisch zu begleiten, insbesondere ininer so dramatischen Lage.
Die zukünftige Marktstellung des Verkehrsträgerschiene insgesamt wird von marktfähigen Angeboten zuettbewerbsfähigen Preisen abhängig sein. Die Unionill ausdrücklich mehr, besseren und steigenden Schie-enverkehr.
ie will, um das zu erreichen, einen größeren Wett-ewerb mehrerer starker Marktpartner statt den Fort-estand faktischer Monopolstrukturen. Sie will Investi-ions- und Ertragsdynamik sowie mehr Arbeitsplätze imchienenverkehr. Aber sie will keinen Dirigismus undeine Dauersubventionitis.
Verehrte Kollegen von der Regierungskoalition, es istoch ein absolut propagandistisches Wunschdenken,ass die Verkehrsleistung Schienenpersonenverkehr bis015 um 32 Prozent und die Verkehrsleistung Schienen-üterverkehr sogar um 103 Prozent steigen wird. Soteht es im Verkehrsbericht 2000 der Bundesregierung.o ist es im Vorspann des Bundesverkehrswegeplanes003 wiederholt worden.
ie haben diese Prognose sogar dem Bundesverkehrswe-eplan unterlegt. Da diese Prognose absolut illusorischst, ist der Bundesverkehrswegeplan in einem Kernbe-
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Dirk Fischer
stand nicht sachgerecht und illusionär. Das ist doch dra-matisch.
Die Realität sieht völlig anders aus. Seit 2000 kommtes im Güterverkehr zu einem Rückgang. Seit Beginn derBahnreform, Frau Kollegin Mertens, ist, wie Modal-Split-Untersuchungen im Bereich des Güterverkehrsmarkteszeigen, ein Rückgang des Schienengüterverkehrs von17 auf 14 Prozent, aber ein Anstieg des Straßengüterver-kehrs zu verzeichnen. Das haben wir uns eigentlich andersvorgestellt. Sie kennen doch die Zahlen. Sie können dochhier nicht mit Zahlen eines insgesamt steigenden Güter-verkehrsmarktes antreten und in diesem Zusammenhangbeklagen, dass die Zuwächse des Schienengüterverkehrsunzureichend sind. Es wäre ja noch schlimmer, wenn derSchienengüterverkehr bei einem insgesamt dynamischwachsenden Güterverkehrsmarkt, absolut gesehen, zu-rückfallen würde. Das wäre die totale Katastrophe. Ichbitte aber, zu bedenken, dass wir im Vergleich zu anderenVerkehrsträgern beim Schienengüterverkehr keinen Zu-wachs erreicht haben. Das sollten wir beklagen.
Die DB AG hat im Personenfernverkehr Marktanteilevon 99,5 Prozent und im Nahverkehr von 91,5 Prozent.Ohne die Regionalisierungsmittel und die Bestellerfunk-tion der Länder würde auch der Nahverkehr bei über99 Prozent liegen. Im Güterverkehr haben wir einenMarktanteil von 97,2 Prozent. Das heißt, es gibt de jurekein Monopol, aber angesichts der Anteile des Schienen-verkehrsmarktes absolut monopolistische Strukturen.Das ist nach meiner Auffassung eine Belastung für dasgesamte System Schiene. Denn privates Kapital wird beimonopolistischen Strukturen nicht investiert. Das ist vielzu riskant.Deswegen haben wir leider Gottes seit drei Jahreneine kontinuierlich sinkende Verkehrsleistung: im Schie-nenpersonenverkehr im Jahr 2002 minus 6,2 Prozent, imSchienengüterverkehr im Jahr 2002 minus 3 Prozent.Wir haben aber seit Beginn der Bahnreform eine dra-matisch steigende Verschuldung zu verzeichnen. In32 Jahren, seit 1961, sind 34,3 Milliarden Euro aufgelau-fen, diese wurden vom Bundeshaushalt übernommen. DasUnternehmen ist ohne jede Verschuldung gestartet. Ende2002 beliefen sich die Schulden auf 24,5 Milliarden Euround werden Ende des Jahres bei deutlich über 26 Milliar-den Euro liegen. Ich sage Ihnen voraus: In kürzester Zeitwerden wir bei über 30 Milliarden Euro sein. Dann sindwir innerhalb von zehn bis zwölf Jahren dort angelangt,wo wir ursprünglich einmal nach 32 Jahren waren.Der Bund haftet für diese Schulden natürlich nicht imjuristischen Sinne – man kann Herrn Mehdorn sagen:„Geh doch zum Insolvenzverwalter!“ –, wohl aber impolitischen Sinne.
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an gewinnt den Eindruck, dass ihm diese Schulden dieprache verschlagen haben. Das ist für den Bundeshaus-alt – man muss es laut aussprechen – eine einzige Kata-trophe. Das muss endlich von der deutschen Öffentlich-eit und vom Parlament wahrgenommen undntsprechend behandelt werden. Hier besteht Hand-ungsbedarf.
Horst Friedrich hat die Zahlen genannt. Seit Beginner Bahnreform hat der Schienenverkehrsträger 177 Mil-iarden Euro erhalten, die DB AG deutlich über 95 Mil-iarden Euro. Aber trotz regelmäßiger Preiserhöhungennd Zukäufe – ich lasse Stinnes außen vor – verzeichnenir seit 1998 stagnierende Umsätze in Höhe von 15 Mil-iarden Euro. Da bewegt sich nichts.Es gibt heute eine Finanzierungslücke bei der mittel-ristigen Planung bis 2007 von 5 Milliarden Euro. Dasird die Sondersitzung des Aufsichtsrates der DB AG am3. Oktober zutage bringen. Somit werden neue Projektend Instandhaltungsmaßnahmen fallen gelassen. Offen-ar will man Instandhaltung weiter zurückfahren, damitas Netz so marode wird, dass der Bund einen Neubauinanzieren muss. Das ist die Strategie, die dahinter steckt.Das sind Verhältnisse, die wir nicht akzeptieren dür-en. Die Bahn ist nicht börsenfähig. Der Marktwert desigenkapitals muss nämlich zum Zeitpunkt des Börsen-angs grundsätzlich dem Buchwert des Eigenkapitalsntsprechen. Dies soll anhand des Vielfachen des EBITithilfe von Zahlungsströmen und einer ausgewogenenerschuldung ermittelt werden. Wir bräuchten bei derB AG ein EBIT in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, Faktaren Ende 2002 37 Millionen Euro.Der Free Cashflow müsste – das ist die Mindestanfor-erung – bei 1,4 Milliarden Euro liegen. Diese Zahl hat-en wir Ende 2002 bei der DB AG, leider mit einem Mi-us davor. Für ein Rating A brauchen wir eineilgungsdeckung von 30 Prozent; die DB AG erreichtende 2002 nur 11,1 Prozent. Bei Vergleichsunternehmenst das Verhältnis von Verschuldung zu Eigenkapital: 1, bei der DB AG war es 2,7 : 1. – Ein Börsengang istlso doch wirklich illusionär.Frau Mertens, Ihnen werfe ich vor: Die Bundesregie-ung kennt die Zahlen und verschweigt sie dem deut-chen Parlament und der Öffentlichkeit. Sie müssen end-ich ehrlich mit uns umgehen und uns die nötigennformationen geben, die das deutsche Parlament voner Regierung erwarten kann.
ann sehen wir uns auch nicht veranlasst, sie uns auf an-ere Weise zu beschaffen. Seien Sie aufrichtig!
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Dirk Fischer
Wenn Sie das Unternehmen materiell privatisieren,dann verlieren Sie auch den Zinsvorteil durch implizierteBundesgarantie. Diese hat der DB AG im Jahre 2002 ei-nen Zinsvorteil in Höhe von 333 Millionen Euro ver-schafft. Auch dieser Betrag muss geschultert werden.Wir wollen eine kundenfreundliche Bahn, einen fai-ren Wettbewerb, den diskriminierungsfreien Zugang un-terschiedlicher Unternehmen zum Schienennetz undoperative Unabhängigkeit von Netz und Transport. Wirlehnen die materielle Privatisierung des Netzes ab. EinNetz, das vom Steuerzahler hoch subventioniert wird,kann nicht zum Renditeobjekt gemacht werden. Wirwollen eine staatlich verantwortete Infrastruktur, auf dermöglichst viele leistungsfähige Wettbewerber zuneh-menden Schienenverkehr abwickeln.Dazu müssen schnellstens die Task-Force-Ergebnisseumgesetzt werden. Damit sind Sie ein Jahr im Rück-stand. Danach muss dringend die Evaluierung unterneh-mensexterner Kräfte stattfinden, damit das Parlament ei-nen objektiven Bericht erhält. Wir brauchen, wie bei derBahnreform als Option vorgesehen, die Verselbstständi-gung der Einzelgesellschaften bei gleichzeitiger Auflö-sung der Holding.
Die Redezeit ist jetzt deutlich überschritten.
Ich komme zum Schluss. Gestatten Sie mir noch ei-
nen Satz: Ich glaube, ohne diese Voraussetzung kann im
Haupttransitland Europas keine hervorragende Verkehrs-
politik geleistet werden.
Der Schauspieler Carlo Nell hat einmal gesagt:
Die sicherste Art, einen Zug zu erreichen, besteht
darin, den vorangegangenen zu versäumen.
Wenn Herr Stolpe weiterhin nach diesem Motto handelt,
wird es für die Verkehrsträger immer schlimmer –
Herr Kollege, jetzt ist der letzte Satz aber reichlich
ausgefüllt.
– und für die Steuerzahler immer teurer.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Paula.
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Große Anfrage scheint große Lautstärke zu bedeu-ten, dafür aber weniger Inhalte.
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iese haben es nicht verdient, dass ihre Bahn permanenties gemacht wird.
Ein zentrales Anliegen der Regierungskoalition ist es,ine moderne Verkehrspolitik zu gestalten, die mit Inno-ationen die Infrastruktur leistungsfähiger und das Ver-ehrssystem effizienter macht, die Mobilität im1. Jahrhundert nachhaltig sichert und somit den Wirt-chaftsstandort Deutschland insgesamt stärkt.In einem am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiertentegrierten Verkehrssystem kommt der Schiene eineichtige Rolle zu. Mit der im Dezember 1993 beschlos-enen Bahnreform wurden entscheidende Rahmenbedin-ungen für ein leistungsfähiges Eisenbahnnetz ineutschland gestellt. Ziel der Bahnreform war und ist es,as ständig steigende Bedürfnis nach Mobilität in um-eltgerechter Weise abzusichern, in allen Transportbe-eichen mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen undittels Wettbewerb zu erreichen, dass die Bahn effizien-r – markt- und kundenorientiert – wirtschaftet, damitie finanziell aus eigener Kraft lebensfähig ist
nd damit letztendlich auch der Bund, der Steuerzahler,ntlastet wird.Eine Zwischenbilanz ist erforderlich. Bei dieser Zwi-chenbilanz gilt es, einen Blick auf das Schienennetz,uf die Infrastruktur zu werfen; denn Züge rollen zügigur auf intakten Gleisen. Bei einem Blick zurück werdenir feststellen, dass die damalige Bundesregierung trotzes Wissens um den horrenden Investitionsbedarf dientsprechenden Mittel deutlich zusammengestrichen hat.
998 zum Beispiel konnten nur noch weniger alsMilliarden Euro für den Bau von Schienenwegen aus-egeben werden.
Herr Fischer, ich bitte Sie, jetzt genau zuzuhören:arüber hinaus besteht das Problem, dass neben dem
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Heinz PaulaRückbau im investiven Bereich die ohnehin immerknapper werdenden Mittel vor allem für sehr schönge-rechnete Großprojekte verwendet worden sind. KollegeOswald, wir beide wissen ganz genau, wie verheerenddie damalige Fehlentscheidung der Bayerischen Staats-regierung für den gesamten bayerischen Raum war, dieICE-Strecke von München nach Nürnberg nicht überAugsburg, sondern über Ingolstadt zu führen.
Geplant waren 3,5 Milliarden D-Mark, nach dem jetzi-gen Stand sind es 3,5 Milliarden Euro – auf einer nachoben offenen Skala.
Kollege Oswald, hier bekommen wir weitere Probleme,nämlich wenn es darum geht, Mittel für den dringend be-nötigten Ausbau der Verbindung von Frankreich überAugsburg und München nach Osteuropa bereitzustellen.Für diese Fehler haben Sie geradezustehen.
Mit dem Regierungswechsel 1998 wurden die Schie-neninvestitionen deutlich angehoben.
Auf hohem Niveau wurden und werden jährlich dieHaushaltsmittel für den Aus- und Neubau der Schienen-wege bereitgestellt. Kollege Fischer, wie Sie darauf kom-men, von einem maroden Schienennetz zu sprechen unddies mit einem entsprechenden Vorwurf an die Bundes-regierung zu verknüpfen, lasse ich einmal dahingestellt.Denn gerade auf die Sanierung des Schienennetzes habenwir unser Hauptaugenmerk gerichtet. Sie wissen: Mit zu-sätzlichen Mitteln aus dem Zukunftsinvestitionspro-gramm haben wir in den letzten drei Jahren insgesamt13,5 Milliarden Euro in diesen Bereich investiert. WennSie in Ihrer Regierungszeit nur annähernd so viel ge-macht hätten, hätten wir heute eine Reihe von Problemenweniger.
Kollege Friedrich, wir haben bei den Investitionen einhohes Niveau erreicht. Das kann ich so festhalten. Wirmüssen nun alle Hebel in Bewegung setzen – KollegeAlbert Schmidt, ich gebe Ihnen vollkommen Recht –,dass die Überlegungen der Herren Koch und Steinbrücknicht Wirklichkeit werden. Denn das wäre auf unseremWeg, zu einem vernünftigen Schienennetz zu kommen,mehr als hinderlich.Kolleginnen und Kollegen, an den wenigen Beispie-len und Zahlen sehen Sie, dass die Regierungskoalitionihre Verantwortung wahrnimmt und eine klare Weichen-stellung für ein leistungsfähiges Schienennetz als ent-skvMKHGdWGnmasFNdbtwcegEgtddoobfSedfuekADmdmk
ir setzen neue Schwerpunkte auch im Bereich derleisanschlüsse. Ich könnte noch mehr Beispiele nen-en.
Bezüglich der internationalen strukturellen Rah-enbedingungen möchte ich unterstreichen, dass unternderem mit der Umsetzung des ersten Eisenbahninfra-trukturpaktes der EU und der Ergebnisse der Task-orce die Bedingungen für einen diskriminierungsfreienetzzugang und damit für einen fairen Wettbewerb aufer Schiene weiter verbessert werden. Viele Problemeei der Harmonisierung des Wettbewerbs der Verkehrs-räger lassen sich jedoch nur gesamteuropäisch lösen,ie zum Beispiel die Harmonisierung der Leit- und Si-herungstechnik bei den europäischen Bahnen, was zuiner wesentlichen Verkürzung der Transportzeiten imrenzüberschreitenden Verkehr führen wird, oder dieinführung einer Steuer auf Flugbenzin, die der Bahnerade auf Langstrecken neue Möglichkeiten zur attrak-iven Angebotsgestaltung eröffnen wird.Ein kurzes Wort zur Fortführung der Bahnreform, iner wir uns befinden. Die Bahnreform hat die Entschei-ung über einen späteren Wegfall der Holding bewusstffen gelassen. Die künftige Gestaltung und Organisati-nsstruktur des Schienenverkehrs kann deshalb ohne Ta-us, Vorurteile und Zeitdruck behandelt werden. Maßstabür die anstehenden Entscheidungen ist die Erhöhung deschienenverkehrs. Deshalb erwarten wir von der DB AGine weiterhin konsequente Rationalisierungs- und Mo-ernisierungspolitik. Wir erwarten, dass sie die Heraus-orderungen des Marktes annimmt und durch innovativend kundengerechte Produkte eine Angebotsoffensiveröffnet. Der Kunde braucht Sicherheit und Verlässlich-eit über das künftige Bahnangebot.
n dieser Stelle sei es noch einmal ausdrücklich gesagt:ie Bahn steckt in dem schwierigen Wandel hin zu einerodernen, offensiven Bahn. An dieser Stelle sollten wiren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn, die Enor-es geleistet haben – das muss in aller Deutlichkeit aner-annt werden –, ein Dankeschön aussprechen.
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Heinz PaulaLiebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dieMaßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedin-gungen der Schiene im Verhältnis zu den anderen Ver-kehrsträgern auf nationaler und auf europäischer Ebenefortführen und die Bahnreform kontinuierlich fortsetzen.Einen Rückschritt, wie Sie befürchten, KollegeFriedrich, wird es mit Sicherheit nicht geben. Ich bitteSie dringend – in Zukunft werden Sie ja keine Problememehr haben, anwesend sein zu können –, dass wir diesenProzess nicht über die zwanzigste Kommission beglei-ten, sondern dass wir als Parlamentarier unsere ureigeneAufgabe im Parlament wahrnehmen und diesen Prozessentsprechend vorantreiben.Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksam-keit.
Auch wir danken Ihnen und gratulieren Ihnen zu Ihrerersten Rede in diesem Hause.
Ich schließe damit die Aussprache zu diesem Punkt.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/1591 an den Ausschuss für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie da-mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-weisung so beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antragder Fraktion der FDP zur Einsetzung einer Kommissionder Bundesregierung zur Fortsetzung der Bahnreform.Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschus-ses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-nen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 r sowiedie Zusatzpunkte 2 a bis 2 c auf:26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-gelung des Rechts der Verkehrsstatistik– Drucksachen 15/1666, 15/1706 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Innenausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demZusatzprotokoll Nr. 7 vom 27. November 2002zu der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom17. Oktober 1868– Drucksache 15/1649 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieZustimmung zur Änderung der Satzung desEuropäischen Systems der Zentralbanken undder Europäischen Zentralbank– Drucksache 15/1654 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unione) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 2. Juli 2001 zwischen der Bundes-republik Deutschland und der Republik Ös-terreich über den Verlauf der gemeinsamenStaatsgrenze im Grenzabschnitt „Salzach“und in den Sektionen I und II des Grenzab-schnitts „Scheibelberg-Bodensee“ sowie in Tei-len des Grenzabschnitts „Innwinkel“– Drucksache 15/1655 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschussf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-führung gemeinschaftsrechtlicher Vorschrif-ten über die Verarbeitung und Beseitigung vonnicht für den menschlichen Verzehr bestimm-ten tierischen Nebenprodukten– Drucksache 15/1667 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitg) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zurÄnderung des Saatgutverkehrsgesetzes– Drucksache 15/1645 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschafth) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Verfütterungsverbotsgesetzes– Drucksache 15/1668 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschafti) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines … Gesetzes zur Änderung desDeutschen Richtergesetzes– Drucksache 15/1471 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5647
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerj) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-setzes über die Umweltverträglichkeitsprü-fung– Drucksache 15/1497 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Tourismusk) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines … Gesetzes zur Änderung desAsylverfahrensgesetzes und zur Änderung desAusländergesetzes– Drucksache 15/903 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfel) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines … Gesetzes zur Änderung desBundesvertriebenengesetzesÜberweisungsvorschlag:Innenausschussm)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen vom 17. Oktober 2000 überdie Anwendung des Artikels 65 des Überein-kommens über die Erteilung europäische Pa-tente– Drucksache 15/1647 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungn) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Gesetzes über internationale Pa-tentübereinkommen– Drucksache 15/1646 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungo) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutzdes olympischen Emblems und der olympi-schen Bezeichnungen
– Drucksache 15/1669 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Sportausschussp) Erste Beratung des von den Fraktion der SPD unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zurZ
Laurischk, Ulrich Heinrich, Horst Friedrich (Bay-reuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPAusnahmeregelung für Kraftfahrzeug-Haft-pflichtversicherung für landwirtschaftlicheNutzfahrzeuge erhalten– Drucksache 15/759 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionr) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarkusLöning, Horst Friedrich , AngelikaBrunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPLärmschutz an der Anhalter Bahn – Folgender Teilung Berlins überwinden– Drucksache 15/1115 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitP 2a)Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung und Erweiterung der Beteiligungbewaffneter deutscher Streitkräfte an demEinsatz einer Internationalen Sicherheitsun-terstützungstruppe in Afghanistan auf Grund-lage der Resolutionen 1386 vom 20. De-zember 2001, 1413 vom 23. Mai 2002,1444 vom 27. November 2002 und 1510
vom 13. Oktober 2003 des Sicherheits-
rats der Vereinten Nationen– Drucksache 15/1700 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-ordnung der Sicherheit von technischen Ar-beitsmitteln und Verbraucherprodukten– Drucksache 15/1620 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
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5648 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerc) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demAbkommen vom 13. Januar 2003 zwischender Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land und der Regierung der Sonderverwal-tungsregion Hongkong der VolksrepublikChina zur Vermeidung der Doppelbesteue-rung von Schifffahrtsunternehmen auf demGebiet der Steuern vom Einkommen und vomVermögen– Drucksache 15/1644 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Neure-gelung des Rechts der Verkehrsstatistik liegt inzwischenauf Drucksache 15/1706 die Gegenäußerung der Bun-desregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates vor,die wie der Gesetzentwurf überwiesen werden soll. SindSie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sinddie Überweisungen so beschlossen.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 27 a bis27 g. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorla-gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 27 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu dem Vertrag vom 29. April 2003 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und demKönigreich der Niederlande über die Durchfüh-rung der Flugverkehrskontrolle durch die Bun-desrepublik Deutschland über niederländischemHoheitsgebiet und die Auswirkungen des zivi-len Betriebes des Flughafens Niederrhein auf dasHoheitsgebiet des Königreichs der Niederlande
– Drucksachen 15/1522, 15/1651 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
– Drucksache 15/1697 –Berichterstattung:Abgeordneter Norbert KönigshofenDer Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-sen empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-hruSgFtttKOhngghng
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5649
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Dr. Michael Fuchs, Karl-Josef Laumann, DagmarWöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUFreiheit wagen – Bürokratie abbauen– Drucksache 15/1330 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussSportausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten BirgitHomburger, Rainer Brüderle, Daniel Bahr
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDPAnreize zum Bürokratieabbau setzen – Büro-kratiekosten-TÜV einrichten– Drucksache 15/1006 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeitd) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Rainer Brüderle, Dirk Niebel, Birgit Homburger,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPAbbau von Bürokratie sofort einleiten– Drucksachen 15/65, 15/1183 –Berichterstattung:Abgeordneter Fritz KuhnZAidgSmdddbaBkeddv
er seinerzeit schon beklagte: „Die Bürokratie ist es, aner wir überall kranken“.
Herr Kuhn, das war schon damals richtig. Die Bun-esregierung hat das auch erkannt. Die Folge daraus ha-en wir im Oktober 2002 ja verspürt, nämlich die Groß-nkündigung des berühmten Masterplans durch denundesminister für Wirtschaft, Wolfgang Clement.
Am 26. Februar dieses Jahres – die Ankündigungenommen immer sehr früh, aber die Umsetzung erfolgtrst ein halbes Jahr später – wurde das Eckwertepapierieses Masterplans herausgebracht. Am 9. Juli wurdeas Gesamtkonzept der Initiative Bürokratieabbauorgestellt.
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5650 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Dr. Michael FuchsErgebnis – Herr Kuhn, jetzt wird es spannend –: Von den54 Punkten, die Sie angekündigt haben,
haben Sie bis heute vier realisiert. Das sind noch nichteinmal 10 Prozent. 200 Prozent werden immer angekün-digt und noch nicht einmal 10 Prozent umgesetzt.Realisiert haben Sie eine Anhebung bei den Buchfüh-rungsgrenzen, einige Regelungen beim Kriegsdienstver-weigerungsrecht und bei der Ausbildereignungsverord-nung – ganz nebenbei: das war sehr vernünftig – sowiedie Reform der Arbeitsstättenverordnung; darauf kommeich noch zurück. Das, was Sie machen, ist kein Master-plan, sondern ein Armutszeugnis.
Mittlerweile ist es so weit, dass sogar Juso-Chef Annensagt – ihn kann ich ganz unverblümt zitieren –: Clementist ein Ankündigungsweltmeister. Mehr kommt nicht da-bei heraus.Zurück zur Arbeitsstättenreform. Auch diese Reform– ich habe mir die Sache einmal angesehen – ist enttäu-schend. Der Verordnungstext ist zwar erheblich ge-schrumpft, nämlich von 58 auf zehn Paragraphen. Aberwas haben Sie gemacht? Sie haben schlicht und einfachdie Details aus diesen 58 Paragraphen in den Anhangverschoben. Das ist nichts anderes als eine Umbuchung.Geholfen hat das der Wirtschaft und den betroffenen Un-ternehmen mit Sicherheit nicht.
Fast ein Jahr ist nun schon die clementsche Offensiveher und Deutschland erstickt im rot-grünen Demokratie-wust. Lassen Sie mich noch einen Herrn zitieren:Wir werden die Verwaltung schlanker und effizien-ter machen, und wir werden hemmende Bürokratierasch beseitigen … Dabei werden wir überflüssigeVorschriften streichen …Wissen Sie, wer das gesagt hat? – Das war der Bundes-kanzler in seiner Regierungserklärung von 1998.
Was ist daraus geworden? Warum tun Sie denn nichts?Die Bürokratieschraube dreht sich immer schneller. DerWust von neuen Regelungen wird immer größer.Ich will nur einmal an die Ämter erinnern, die Sieeingerichtet haben. Das Zulagenamt für die Verwaltungder Riester-Rente hat mittlerweile 600 Mitarbeiter. DieFinanzagentur für öffentliche Schuldenverwaltung – beiden vielen Schulden, die Sie machen, brauchen Sie dieseAgentur tatsächlich; das kann ich verstehen – beschäftigtschon 100 Mitarbeiter. Die Privatisierungsgesellschaftder Bundeswehr, die GEBB, die bis heute auf dem Lie-genschaftssektor noch keine Einnahmen verzeichnet, hatmittlerweile 200 Mitarbeiter. Bürokratie zu schaffen istfür Sie ganz einfach. Ich bin überzeugt, bei der Umset-zung von Hartz III und IV werden wir in Kürze ähnlicheVerhältnisse haben.AHthnnVimsgmBümsfWg2nDzDmcdefnDssdzBEvDMst
lso, Ihr Erfindungsreichtum ist wirklich großartig.
Ich will dies anhand einiger Zahlen belegen, die Sie,err Kuhn, nicht wegdiskutieren können: Seit der letz-en Bundestagswahl – das ist noch nicht so lange her –aben Sie schon 52 neue Gesetze und 442 Rechtsverord-ungen geschaffen.
Ich möchte an uns alle appellieren: Diese Verord-ungen sehen wir im Parlament nicht. Wir beschließenerordnungsermächtigungen. Die Verordnungen selber,n denen dann die Details festgelegt werden – bekannter-aßen steckt der Teufel im Detail –, sehen wir nicht. Sieind für mich parlamentarisch nicht ordnungsgemäß le-itimiert. Mit diesem Thema müssen wir uns einmal ge-einsam auseinander setzen; denn da steckt die meisteürokratie. Vieles, was vielleicht gut gemeint ist, wirdbertrieben umgesetzt. An diesen Punkt müssen wir ge-einsam herangehen.Die IHK des Saarlandes hat geschätzt, dass die deut-che Wirtschaft mittlerweile 30 Milliarden Euro pro Jahrür Bürokratiedienste ausgeben muss. Die Kosten diesesirrwarrs bei der umfangreichen Änderung der Steuer-esetze von 1999, die 2000 noch einmal korrigiert und001 wieder neu gefasst wurden, sind dabei noch garicht berücksichtigt. Es ist doch ein Treppenwitz, dass ineutschland 70 Prozent der Weltsteuerliteratur produ-iert wird, bei 3 Prozent des Weltsteueraufkommens.as muss uns allen zu denken geben. An dieses Monsterüssen wir herangehen.Noch etwas – Herr Kuhn, hier muss ich Sie anspre-hen, weil das Ihr liebstes Kind ist –: die Ökosteuer. Inen Hauptzollämtern sind die Beamten mit nur eineminzigen Antrag auf Mineralölsteuererstattung bis zuünf Stunden beschäftigt. Bürokratischer kann man dasun wirklich nicht machen.
er Ausstoß der rot-grünen Bürokratieformulierungsma-chinerie hat ein Tempo erreicht, das wahrscheinlichchon die Erfinder selbst schwindlig macht. Sie sind aufem Weg, bei den Gesetzen nur noch Masse zu produ-ieren, aber keine Klasse. Auch dazu habe ich einigeeispiele.Ankündigungsminister Clement wird für mich zumichel der Wirtschaftspolitik. Er häuft mittlerweile soiel Bürokratie auf, wie Hans Eichel Schulden macht.
iese Seuche von Bürokratie haben Sie in die andereninisterien übertragen. Nehmen Sie nur einmal das Do-enpfand oder gar die Maut. Mich hat eine Bürgermeis-erin aus dem schönen Eifelörtchen Polch, Frau Moesta,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5651
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Dr. Michael Fuchsangeschrieben und mir mitgeteilt, dass Sie wieder etwasganz Neues erfunden haben. Denn bei Toll Collect mussman jetzt jedes Feuerwehrfahrzeug von der Mautpflichtbefreien lassen. Aber, Herr Hoffmann, es ist nicht so,dass das für immer gilt und Feuerwehrfahrzeug gleichFeuerwehrfahrzeug ist; nein, das muss man jedes Jahrwieder neu beantragen. Das ist ein riesiger bürokrati-scher Aufwand. Stellen Sie sich die Tausende von Fahr-zeugen vor. Warum man nicht eine generelle Befreiungfür solche Fahrzeuge einführt, ist für mich absolut un-verständlich.
Ähnliches erleben wir bei unseren Soldaten in Afgha-nistan mit ihren Bundeswehrfahrzeugen, die keine Ab-gassonderuntersuchung haben. Die dürfen dann damitnicht fahren. Der Verteidigungsminister hat damit seineProbleme in Afghanistan gehabt. Solche bürokratischenMonster – ich glaube, in Afghanistan gibt es mehr Au-tos, die gar keinen Auspuff haben, als solche mit Aus-puff – sollten möglichst abgeschafft werden. Das sindLachnummern. Damit machen wir uns in der Welt lä-cherlich.
Ich habe wirklich das Gefühl, dass die Bürokratie-liebe bei vielen von Ihnen eher dazu führt, dass Sie denMasterplan falsch verstanden haben und ihn nicht zu ei-nem Abbauprogramm, sondern zu einem Aufbaupro-gramm machen. Wir sollten endlich beginnen, dieunnützen Verordnungen – da will ich nur zwei kleineBeispiele nennen – radikal abzubauen. Das haben zweiBundesländer hervorragend gemacht. Im Saarland hatman mittlerweile über 50 Prozent der Verordnungen ge-strichen und man stelle sich vor: Das hat kaum jemandgemerkt. In Hessen ist man auf dem gleichen Weg. Wa-rum tun wir nicht etwas Ähnliches? Denn eine Vorschriftwie „Halsorden sind an einem Band um den Hals zu tra-gen“ oder die Anweisung in einer Zentralen Dienstvor-schrift der Bundeswehr „Ab 1,25 m Wassertiefe hat derSoldat mit Schwimmbewegungen zu beginnen“ finde ichrelativ überflüssig.
Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass ein solcherBlödsinn möglichst schnell verschwindet.Man hat sich in Deutschland leider daran gewöhnt, bei-nahe bei jedem Lebensbereich auf eine passende Vor-schrift zurückgreifen zu können. Auf eigenes Risiko – dawerde ich jetzt sehr ernst – und ohne Rückendeckung,ohne Regelungen zu handeln, ist unüblich und vielfachunmöglich geworden. Ernsthafter Bürokratieabbau bedeu-tet aber mehr Risiko, mehr Freiheit und mehr Eigenver-antwortung. Diese Wandlung kann für mich nur durchein geändertes Bewusstsein vollzogen werden. DerSchlüssel hierzu liegt im Subsidiaritätsprinzip.Was immer im engeren Lebenskreis getan werden kann,muss und soll dort verantwortet werden. Subsidiarität,konsequent und modern praktiziert, verhindert letztend-lich, dass Deutschland an zu viel Staat erstickt. Was wirbsasaMMlmssmamWtsgfWrmhsbfwrsGdswBIBsrduis
Man hat uns gesagt, genau das sei in Deutschland not-endig, um so schnell wie möglich aus der Misere he-auszukommen.In vielen Bereichen des Bürokratieabbaus ist es – dasollte man wissen – ähnlich wie bei den Subventionen.rundsätzlich wollen alle Bürokratieabbau, wenn esann aber um spezifische Bereiche geht, ist die Bereit-chaft dazu nicht mehr besonders groß.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen erläutert,as ich von der Arbeit der Bundesregierung halte. Imereich Bürokratieabbau war das bisher nicht allzu viel.ch fordere Sie auf: Nehmen Sie unsere Vorschläge zumürokratieabbau an, werden Sie Ihren eigenen Wahlver-prechen – ich habe eben den Bundeskanzler zitiert – ge-echt und machen Sie der flächendeckenden Bürokratieen Garaus! Das würde einen erheblichen Schwung innser Land bringen, den wir auch brauchen.„Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen,st es notwendig, kein Gesetz zu erlassen.“ Diesen Aus-pruch Montesquieus sollten wir gemeinsam beherzigen.
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5652 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Dr. Michael FuchsIch glaube, damit sind wir auf dem richtigen Weg. Ichwünsche mir auch, dass wir das gemeinsam in die Wegeleiten.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Michael
Bürsch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!An das letzte Zitat des Kollegen Fuchs kann ich nahtlosanknüpfen. „Weniger ist mehr“ gilt sicherlich für die Ge-setzgebung. Aber – wenn wir einmal die Polemik weg-lassen, Herr Fuchs –
wenn man die vorgelegten Entwürfe vergleicht, lässtsich fraktions- und parteiübergreifend eines feststellen:In Deutschland herrscht in der Tat kein Mangel anRechtsvorschriften. Es gibt vielmehr eine deutliche Ten-denz zur Überregulierung.
Das ist aber nicht neu; es ist nicht das Ergebnis der ver-gangenen fünf Jahre. Die 86 000 Paragraphen auf Bun-desebene sind bereits in den letzten 50 Jahren entstan-den. An dem Bestand hat sich nicht viel geändert.Die Wurzeln der Regulierungsdichte liegen wohl ineiner deutschen Liebe zum Detail oder, wie manche sa-gen, in einer Kultur des Misstrauens. Im Unterschied zuangelsächsischen Traditionen erscheint es uns offenbarnotwendig, alles bis ins Kleinste zu normieren und zuüberwachen. Ein ganz engmaschig geknüpftes Netz vonVorschriften allein ist jedoch kein Garant für eine entwi-ckelte Streit- oder Entscheidungskultur. Dies wird immerdann deutlich, wenn langwierige Verwaltungsverfahren – diewir genauso beklagen wie Sie – über alltägliche Begebenhei-ten durchlaufen werden oder Bagatellkonflikte über Jahre ei-ner abschließenden Entscheidung harren.Die Vereinfachung der Entscheidungsprozesse imVerwaltungsverfahren – oder kurz: Bürokratieabbau – istein wünschenswertes und parteiübergreifendes Ziel. Da-rin sind wir uns völlig einig. Es lässt sich allerdings nichtisoliert verfolgen, sondern es ist in einem Spannungsver-hältnis mit anderen Zielen zu sehen. Ich glaube, dasmuss bei allen populistischen Forderungen nach Büro-kratieabbau im Blick behalten werden. Die anderenZiele sind nämlich Rechtssicherheit und Einzelfallge-rechtigkeit.Fest steht eines: Regelungsdichte vermittelt im Ein-zelfall sicherlich gerechtere Entscheidungen, als es pau-schale Lösungen können. Die Regierung geht mit gutemBeispiel voran. Morgen wird das neue Sozialhilfegesetzverabschiedet. Die Einzelabrechnungen, die es bisher füregzaalgtndrEvsnnadkdgmMznLrMuWanwhWgddkgmdptdvGHkBnMa
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5653
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– das will die SPD mindestens genauso wie die CDU/CSU und viel mehr als die FDP –, dann müssen wir fürErleichterungen sorgen und Bürokratie vermeiden, wo esmöglich ist.
Das betrifft zum Beispiel den Bereich, für den ich michbesonders einsetze, nämlich Ehrenamt und bürger-schaftliches Engagement. Ich bin sehr dafür, dass wirden Organisationen, für die Menschen ehrenamtlich tätigsind, die Wahrnehmung der Meldepflicht erleichtern. ImMoment müssen solche Organisationen den Sozialversi-cherungen monatlich melden, wer bei ihnen ehrenamt-lich tätig ist. Das betrifft auch die Aufwandsentschädi-gungen. Hier kann man zum Beispiel durch eineVerlängerung der Meldefristen für Erleichterung sorgen.Auch die Abrechnungsmodalitäten für die Mittelverwen-dung können vereinfacht werden. Es gibt hier einigeMöglichkeiten.Mein letztes Stichwort ist „E-Government“, also – zuDeutsch – die elektronische Wahrnehmung vonöffentlichen Aufgaben.
Ich sehe darin ein gewaltiges Feld. Es wäre wünschens-wert, wenn wir das, was sich der Bund in seinem Pro-gramm „Deutschland-Online“ vorgenommen hat, im Be-reich des elektronischen Regierungshandelns bzw. desöffentlichen Handelns umsetzten, wenn wir vereinfachteund für alle verständliche Regelungen fänden und wennwir dafür sorgten, dass sich daran möglichst viele Men-schen beteiligen. Es darf keine Trennung zwischen Inter-netnutzern und denjenigen geben, die über keinen Zu-gang zum Internet verfügen. Wir sind dafür, dass diesesProgramm bis 2005 in großem Stil verwirklicht wird.Wir sollten uns aber – das mahne ich an – darauf ver-ständigen, dass es keine isolierte Lösung des Bundes ge-ben darf. Länder wie Bremen und Schleswig-Holsteinsind bei der Einrichtung von elektronischem Regie-rungshandeln, von E-Government, schon weit voraus.Wir müssen, wenn wir wollen, dass das ein Projekt wird,das auch national funktioniert, einen gemeinsamen An-satz finden, und zwar sowohl auf der Bundesebene alsauch auf der Länderebene und auch auf der kommunalenEbene. Das halte ich für sehr wichtig.mzgtsdwGvGsDitalWkknezrrwgDgkdSzLg
Gut, dass Murphy so kurz war, daher haben Sie den
etzten Satz zeitlich noch hinbekommen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir haben heute erneut eine Debatte zum Thema Büro-ratieabbau. Wenn man den Reden hier Glauben schen-en soll, dann sind wir uns offensichtlich in dem Ziel ei-ig. Das ist eine gute Voraussetzung, um etwas zurreichen. Ich frage mich aber, warum wir dann so wenigustande bringen. Warum bringen Sie von der Regie-ungskoalition bei diesem Thema so wenig zustande?
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie mit dem Bü-okratieabbau – ich zitiere – „die Stärkung der Wettbe-erbsfähigkeit … und die spürbare Entlastung von Bür-erinnen und Bürgern“ erreichen wollen.
Damit könnten wir anfangen. Wir haben morgen imeutschen Bundestag einige Entscheidungen auf der Ta-esordnung, die tatsächlich zu einer Entlastung führenönnten.
Zum Beispiel geht es morgen im Zusammenhang mitem Haushaltsbegleitgesetz auch um das Vorziehen derteuerreform. Sie wollen das aber über Schulden finan-ieren und dadurch, dass Sie den Bürgern zusätzlicheasten aufbürden, die hinterher alles, was an Entlastun-en hätte kommen sollen, auffressen.
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5654 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Birgit Homburger
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mir gutüberlegen, was ich in Anträge hineinschreibe!Wir werden hier einen Gesetzentwurf zum ThemaSteuerreform vorlegen, der eine Vereinfachung vorsiehtund der Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt,wieder zu verstehen, was sie beim Finanzamt abliefernmüssen.
– Das werden Sie noch sehen; dem können Sie dann zu-stimmen.Sie schreiben auch von Meilensteinen auf dem Wegzu weniger Bürokratie und davon, dass Sie mehr unter-nehmerische Freiheit erreichen wollen – und das bei ei-ner Last von 30 Milliarden Euro Bürokratiekosten imJahr bei den Betrieben, das heißt, pro Arbeitsplatz bei ei-nem kleinen Betrieb ungefähr 3 600 Euro und bei einemGroßbetrieb ungefähr 150 Euro Belastung. Insbesonderefür die kleinen und mittleren Betriebe ist das eine un-glaubliche finanzielle Belastung, die sie durch Mehrar-beit aufbringen müssen. Durch das, was Sie in den letz-ten Jahren entschieden haben, ist diese Last noch größergeworden.
Sie werden sich in der nächsten Woche damit auseinan-der setzen müssen, weil es dazu ein neues Gutachtengibt. Das wird Ihnen die Zahlen vor Augen führen unddann werden wir uns hier wieder sehen. Ich hoffe, dasswir dann weiterkommen.Jetzt komme ich zu den wunderbaren Kabinettsbe-schlüssen, die Sie in Ihrem Antrag anpreisen: nichts alsGerede!
Da heißt es, man wolle ergebnisorientiert vorgehen,Hemmnisse abbauen und Ressourcen konzentrieren. Indem Zusammenhang reden Sie von elf Projekten. DieArbeitsstättenverordnung – das wurde gerade schonangesprochen – soll von 58 auf 10 Paragraphen reduziertwerden. Das ist aber eine Mogelpackung, weil Sie eineAnlage mit sage und schreibe 30 Unterpunkten gemachthaben, die im Wesentlichen aus den Detailregelungender alten Verordnung besteht.
Dann steht in § 3 Abs. 1: Und dieser Anhang gilt auch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, das,was Sie da machen, ist mitnichten Bürokratieabbau; esist vielmehr Bürokratieaufbau. Das zeigt sich auch da-ran, dass Sie einen neuen Ausschuss einsetzen wollenbzw. vorgesehen haben, bestehend aus Vertretern der pri-vhcdAsaarDRERMvdlpddvLzvAbPdwzIRanz ISa
ie zukünftig definieren sollen, welche Regelungen derrbeitsstättenverordnung auf einen Betrieb anzuwendenind.Sehr geehrte Damen und Herren, ich kann Sie nuruffordern: Ziehen Sie diesen Unsinn zurück, anstatt ihnuch noch anzupreisen, und legen Sie eine wirkliche De-egulierung vor!
Das Problem ist aber, dass Ihnen der Mut fehlt; denneregulierung würde ja bedeuten, dass man bestimmteegelungen abschaffen müsste. Das wäre doch das Ziel.s gibt in dieser glorreichen Arbeitsstättenverordnungegelungen zur Beschaffenheit der Abfallbehälter, zurindestbreite von Laderampen, zur Mindestgrundflächeon Büros, zur Beschaffenheit der Oberlichter, zur Min-estraumtemperatur, zur Beleuchtung und zur Selbstbe-euchtung der Lichtschalter. Wenn Ihnen selbst bei soopeligen Dingen – ich sage das einmal ganz deutlich –er Mut fehlt, etwas abzuschaffen, und Sie stattdessenie Regelungen von einem Paragraphen in den Anhangerschieben, dann sind Sie zum Regieren nicht in derage.
Nun komme ich auf das Thema Innovationsregionenu sprechen. Wir von der FDP haben bereits am 13. No-ember 2002, also kurz nach der Bundestagswahl, einenntrag vorgelegt, in dem wir detailliert aufgeführt ha-en, welche Regelungen am Arbeitsmarkt zu großenroblemen führen und Arbeitsplätze kosten. Wir habenort dargestellt, wo wir, ohne dass es etwas kostenürde, deregulieren müssten, um weitere Arbeitsplätzeu schaffen.
ch denke zum Beispiel an die Teilzeitregelung oder anegelungen im Betriebsverfassungsgesetz. Ich denkeuch daran, mehr Vereinbarungen zwischen den Arbeit-ehmern und den Arbeitgebern in den Betrieben vor Ortuzulassen.Diesen Antrag werden Sie heute ablehnen.
ch frage Sie: Warum?
ie tun das, weil Sie nicht den Mut haben, zu sagen, dassn diesen Stellen Regelungen abgeschafft werden müs-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5655
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Birgit Homburgersen, um wieder mehr Beweglichkeit, mehr Freiheit fürunternehmerische Tätigkeit zu schaffen.
Das ist der Punkt.Da Sie nicht in der Lage sind, die notwendigen Verän-derungen herbeizuführen, wollen Sie jetzt Innovations-regionen einführen. Das begrüßen wir sehr. Über Öff-nungsklauseln könnte in bestimmten Regionen sofortausprobiert werden, wie es wirkt, wenn bestimmte Rege-lungen ausgesetzt werden. Mit anderen Worten: Es gingedarum, zu klären, ob die Aussetzung bestimmter Rege-lungen tatsächlich dazu führt, dass neue Arbeitsplätzegeschaffen werden.Was aber machen Sie? Der Bundeswirtschaftsministerhat mehrfach – im Oktober oder im November letztenJahres erstmals – die Schaffung von Innovationsregionenangekündigt. Danach wurde darüber diskutiert, ob Inno-vationsregionen verfassungsrechtlich überhaupt möglichsind. Im Januar folgte eine erneute Ankündigung. Späterfolgte ein Kabinettsbeschluss. Heute liegt ein Antrag derFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünenvor.Ich frage mich: Schämen Sie sich eigentlich nicht?
In diesem Antrag wird tatsächlich begrüßt, dass dreiTestregionen für Modellregionen eingeführt werden.Wenn Sie in diesem Tempo weitermachen, dann wirdman am Ende dieser Legislaturperiode keine Erfahrun-gen gemacht haben, auf denen man aufbauen kann, son-dern dann wird man Bestimmungen haben, nach denendie Testregionen prüfen können, ob man Modellregionenin Deutschland schaffen kann. So geht es jedenfallsnicht.
Wir debattieren hier unter anderem über einen Antragder FDP-Bundestagsfraktion zum Thema Bürokratie-kosten-TÜV.
Wir wollen, dass der Bürokratiekosten-TÜV wieder ein-geführt wird, damit mehr Kostentransparenz geschaffenwird. Das gab es in der Geschäftsordnung der Bundes-regierung bereits. Es hat sich bewährt, dass die Verwal-tungsarbeiten systematisch erfasst und in den Gesetzes-blättern aufgeführt wurden. Das hat dazu geführt, dassbestimmte Dinge aus Kostengründen einfach nicht ge-macht worden sind.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Vielen Dank.
Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentari-
che Staatssekretär Rezzo Schlauch das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie im-er bei Diskussionen um Bürokratieabbau erlebt maneute Folgendes: Alle sind sich im Ziel einig – das ist ei-entlich ein guter Ausgangspunkt –; der Schlachtruf al-er lautet „Bürokratieabbau“ bzw. „Entbürokratisie-ung“. Schaut man einmal näher hin, Herr Kollege Fuchs dieses Phänomen stelle ich in allen Diskussionen zuiesem Thema fest –, macht man die Erfahrung: Je eini-er man sich ist, desto weniger kommt man voran.Das ist nicht nur beim Bürokratieabbau, sondern – dasurde richtigerweise gesagt – auch beim Subventionsab-au so.
ie Diskutanten – das haben wir erlebt, als Sie, Herruchs, und Sie, Frau Kollegin Homburger, gesprochenaben – überschlagen sich in Radikalität, in Lautstärkend in weitestgehenden Forderungen. Beispielsweise dieorderung eines Ex-Bundespräsidenten nach einemuck war noch vergleichsweise moderat. Dieser ehema-ige Bundespräsident hat jetzt seine liebe Not, seine For-erung nach einem Ruck umzusetzen, und zwar im eige-en politischen Lager.eshalb sollte man da etwas zurückhaltender sein.
Solche Diskussionen nützen irgendwie nur uns selbst.ir klopfen uns auf die Schulter und sagen: Wir habenetzt wieder etwas für den Bürokratieabbau getan. – Da-ei haben wir nur geredet.
enden wir uns also den konkreten Projekten zu!
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5656 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Parl
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bürokratie ist nicht per se schlecht. Büro-
kratie ist, wenn sie richtig eingesetzt wird, zum Wohle
der Bürger. Bürokratie ist im Grunde genommen Grund-
pfeiler einer guten Demokratie. Ich nenne Ihnen zwei
Beispiele: Erstens. Wir haben eine neue Institution mit
Personal zum Managen der 400-Euro-Jobs geschaffen.
Das haben Sie als Aufbau von Bürokratie diskreditiert.
Zweitens. Um die Dinge im Zusammenhang mit der
Hartz-Gesetzgebung effizienter zu machen, wollen wir
den Schlüssel „Arbeitsvermittler zu Arbeitslosen“ von
1 : 350 auf 1 : 75 ändern. Sie diskreditieren das als Büro-
kratieaufbau. Ich aber kann nur sagen: Das ist Bürokratie
zum Wohle der Bürger. Man kann also nicht immer nur
behaupten, Bürokratie sei schlecht und von Übel,
sondern es ist notwendig, da zu unterscheiden.
Wo sind die konkreten Projekte und Ihre Positionen
dazu? Sie haben die Arbeitsstättenverordnung zitiert.
Haben Sie eigentlich etwas dagegen, dass man beispiels-
weise die Gestaltung von Pausen-, Bereitschafts-, Liege-,
Sanitär- und Sanitätsräumen nicht mehr in vielfältigen
Details regelt? Haben Sie etwas dagegen, dass man da-
von Abstand nimmt, Raumtemperatur etc. zu regeln? –
Sie haben nichts dagegen. Dann ist das doch okay.
Wir haben die Arbeitsstättenverordnung reformiert.
Wir haben das Verwaltungsdatenverwendungsgesetz auf
den Weg gebracht. Wir haben die Handwerkszählung
verschoben. Wir haben das Rohstoffstatistikgesetz ver-
schlankt. Wir wollen ein schlankes Geräte- und Produkt-
sicherheitsgesetz. Das sind konkrete Projekte, die die
Wirtschaft und insbesondere den Mittelstand von Pflich-
ten entlastet.
Das ist konkretes Vorgehen.
Sie dagegen bleiben bei der großen Geste: Bürokra-
tieabbau, Bürokratieabbau, der große Wurf, die tiefen
Einschnitte. Wenn es aber darum geht, die tiefen Ein-
schnitte vorzunehmen – dafür gibt es viele Beispiele, die
Sie auch genau kennen; das sind Ihre Schwachpunkte,
beispielsweise die Handwerksordnung;
da ist zu fragen, wo denn da Ihr Wille zum Bürokratieab-
bau ist –, ergehen Sie sich in übelstem, antiquiertestem
Klientelismus, so wie wir es von Ihnen gewohnt sind, ist
Bürokratieabbau, ist das Senken von Zugangshemmnis-
sen von Ihnen überhaupt nicht gewollt. Im Gegenteil: Da
bauen Sie die Zäune um Ihre Klientel – Handwerker,
Apotheker, Ärzte – noch höher.
Gucken Sie sich doch einmal die Ergebnisse der Ge-
sundheitsreform an! Da ist Ihre Klientel geschont wor-
den! Wir haben versucht, mehr Wettbewerb und mehr
Konkurrenz in die Systeme zu bringen,
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nd Sie haben das alte Spiel des Schützens Ihrer Klientel
espielt. So wird Ihr Ansatz zum Bürokratieabbau nicht
laubwürdig. Fangen Sie endlich an, sich zu den konkre-
en Projekten, die die Bundesregierung auf den Tisch
egt, zu verhalten. Morgen haben Sie die Gelegenheit
azu.
Morgen stellen wir zur Abstimmung, die zwei Sys-
eme der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe zusam-
enzuführen. Das ist ein riesiger Sieg gegen überflüs-
ige Bürokratie.
Die FDP ist immer dann gut, wenn es darum geht, das
aul aufzumachen. Wenn es darum geht, zu konkretisie-
en,
ann fallen Sie in alten Klientelismus zurück.
err Westerwelle hat das doch selber zugegeben. Haben
ie die Diskussion der letzten Tage verschlafen? Oder
o leben Sie?
Morgen steht unter anderem auch die Neuordnung der
ozialhilfe zur Diskussion. Auch in ihr ist ganz erhebli-
her Bürokratieabbau enthalten. Dann haben Sie die Ge-
egenheit, Ihren großen Worten von heute Taten folgen
u lassen. Ich bin gespannt, wie Sie da abstimmen. Ich
offe, dass Sie Ihre eigenen Vorgaben erfüllen.
Danke schön.
Das Wort gebe ich zu einer Kurzintervention der Kol-
egin Gönner.
Herr Staatssekretär, es ist für mich hochinteressantnd nicht nachvollziehbar, wie Sie auf die Idee kommen,ie Änderung der Handwerksordnung habe etwas mitürokratieabbau zu tun. Das hat sich mir während deranzen Diskussion nicht erschlossen. Insofern würde ichich freuen, wenn Sie das einmal erklären könnten.Sie haben gesagt, Handwerker und Apotheker seiennsere Klientel. Weil sie nicht Ihre Klientel sind, ändernie die Handwerksordnung. Aber Sie sind nicht bereit,m Tarifvertrags- und Arbeitszeitrecht einiges an Büro-ratie abzubauen – im Übrigen im Interesse der Wirt-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5657
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Tanja Gönnerschaft, die Sie als Staatssekretär im Wirtschaftsministe-rium zu vertreten hätten.
Dort sind Sie nicht in der Lage, für Entlastung zu sorgen.Vielmehr sind Sie dort bereit, Verwaltung aufzubauenund Stellen zu schaffen. Vielleicht sollten Sie ab und zueinmal zur Wirtschaft gehen und sie fragen, wie sie sichfreut, wenn die Verwaltung aufgebläht wird. Anschlie-ßend muss sich nämlich die Wirtschaft mit den Verwal-tungsbeamten herumschlagen.Sie sollten sich einmal überlegen, was zu tun ist, da-mit sich Wirtschaft entwickeln kann. Gehen Sie an dieTarifverträge und an die Arbeitszeit – das betrifft IhreKlientel –,
anstatt – völlig daneben – eine Handwerksordnung zuändern, die mit Bürokratie in diesem Sinne überhauptnichts zu tun hat!
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Werte Frau Kollegin, die schlimmste Überbürokrati-
sierung liegt vor, wenn Menschen von der Umsetzung
ihrer Motivation und ihres Bedürfnisses, sich selbststän-
dig zu machen, durch gesetzliche Regelungen ausge-
schlossen werden. Die Handwerksordnung enthält in
vielen Gewerken – nicht bei allen; wir wollen ja nicht
alle ändern – unnötige Zugangsbeschränkungen für
Menschen, die sich selbstständig machen wollen. Eine
schlimmere Bürokratie gibt es nicht. Denn die Hand-
werksordnung schließt Menschen von der Partizipation
aus. Da müssen Sie ein absolut falsches Bild haben.
Bei der Honorarordnung für Architekten und Ingeni-
eure besteht die Bürokratieabbau-FDP auf staatlich ga-
rantierten Preisen. Was hat das mit einem freien Beruf zu
tun?
Wenn Sie vor allen diesen Dingen und auch vor der
Kassenärztlichen Vereinigung zurückschrecken und die
bestehenden Verhältnisse erhalten wollen, dann sind alle
Ihre Reden, die Sie hier mit großspurigen Forderungen
untermalen, jedenfalls für meine Begriffe nicht glaub-
würdig. Das wird Ihnen nicht nur hier im Bundestag,
sondern auch in allen Diskussionen mit der Wirtschaft,
mit dem Mittelstand, mit den Industrie- und Handels-
kammern gesagt. Offensichtlich sind Sie da wenig zu
Hause.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Auf den so genannten Masterplan
ürokratieabbau der rot-grünen Bundesregierung trifft
eines Erachtens ein Wort Erich Kästners bestens zu: Es
ibt nichts Gutes, außer man tut es. Die Ankündigungen
ind zwar vollmundig und ehrgeizig, aber das Resultat
ehr als dürftig und beschämend. Selbst der verheißungs-
olle Titel des Masterplans „Mittelstand fördern – Beschäf-
gung schaffen – Bürgergesellschaft stärken“ kann nicht
arüber hinwegtäuschen, dass gerade im letzten Jahr
urch die rot-grüne Bundesregierung in allen Bereichen
usätzliche bürokratische Hemmnisse und Hürden auf-
ebaut wurden.
Wer intensiv über eine Ausbildungszwangsabgabe
iskutiert, eine LKW-Maut einführen will, die das Spe-
itionsgewerbe vor unüberbrückbare Probleme in der
raktischen Umsetzung stellt, die Landwirtschaft mit bü-
okratischen Auflagen knechtet, sodass der Landwirt
etztendlich mehr Zeit im Büro als im Stall verbringt,
ohin er eigentlich gehört, dem kann nicht ernsthaft an
inem wirklichen Abbau von Bürokratie und Überregu-
ierung in der Wirtschaft und in der Verwaltung gelegen
ein.
Wenn nicht alle staatlichen Ebenen schnellstens die
eichen der Zeit erkennen und einen mutigen und deutli-
hen Schritt in Richtung weniger Staat und weniger Re-
lementierung gehen, fährt der Wirtschaftsstandort
eutschland sehenden Auges in den Abgrund. Wir kön-
en dann aber immer noch behaupten, für den Bau von
chweinemastställen ein immissionsschutzrechtliches
enehmigungsverfahren vorzuschreiben, eine Arbeits-
tättenverordnung zu besitzen, die Mindesttemperaturen
uf Toiletten vorschreibt und Mindestgrundflächen für
anitär- und Umkleideräume definiert. Nobel geht die
elt zugrunde, kann man dazu nur sagen.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gegen diese Mindestvorschriften in derrbeitsstättenverordnung. Bei uns, bei der CDU/CSU,aufen Sie wirklich offene Türen ein, wenn Sie Initiati-en zur Vereinfachung vorbringen. Nur, Sie haben es iner Hand, Sie sind seit fünf Jahren an der Regierung
nd haben nichts erreicht.Herr Kollege Bürsch, Sie haben vorher erwähnt, wirollten in Sachen E-Government Fortschritte machen undnitiativen starten. Sie sind seit fünf Jahren am Ruder. Wast das Resultat? Wir nehmen unter allen westeuropäischenändern gemäß einer Studie, in der überprüft wurde, wieeit die Länder schon in Sachen E-Government sind, den
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5658 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Stephan Mayer
glorreichen 17. Platz, den drittletzten Platz, ein – à labonne heure!
Wir von der CDU/CSU sind bereit, diesen mutigenSchritt zu gehen. So sind wir der Auffassung, dass sichdieses Hohe Haus in vermehrtem Maße nicht als Gesetz-geber, sondern auch als Gesetznehmer verstehen sollte.Schon im Vorfeld des Erlasses von neuen Gesetzen sollteeine effiziente Gesetzesfolgenabschätzung erfolgen,
bei der untersucht wird, welche Kosten und welcher zeit-liche Aufwand den Bürgern, der Wirtschaft und denKommunen bei der Anwendung des Gesetzes entstehen.
Gesetze und Verordnungen sollten unserer Auffassungnach in stärkerem Maße befristet werden und nach Ab-lauf der Befristung daraufhin überprüft werden, ob siesich bewährt haben, und nur für den Fall weiter in Kraftbleiben, falls das mit ihnen verfolgte Ziel tatsächlich ein-getreten ist.
Wir brauchen endlich deutlich kürzere Genehmi-gungs- und Verwaltungsverfahren. Es kann nicht an-gehen, dass ein Unternehmer im Einzelfall vor der Be-triebsgründung bis zu zehn einzelne Genehmigungeneinholen muss und dabei von Pontius zu Pilatus rennendarf. Unser konkreter Vorschlag – Sie haben ja bemän-gelt, wir hätten keine Vorschläge; wir haben sie sehrwohl – lautet: Eine Behörde wird federführend mit demGenehmigungsverfahren betraut und alle anderen zu be-teiligenden Institutionen werden aufgefordert, sich in-nerhalb bestimmter Fristen zu dem Investitionsvorhabenzu äußern. Falls dann von einer Behörde innerhalb vonsechs Wochen keine Stellungnahme abgegeben wird, giltdie Genehmigung automatisch als erteilt.Als vorbildlich ist in diesem Zusammenhang dasbayerische Vorhaben anzuführen, das Widerspruchsver-fahren abzuschaffen. Denn gerade die überlangen Ge-nehmigungs- und Verwaltungsverfahren in Deutschlandtragen stark dazu bei, dass viele Unternehmer in der heu-tigen Zeit davor zurückschrecken, in Deutschland zu in-vestieren. Laut einer Befragung des Ifo-Instituts fürWirtschaftsforschung aus dem Jahr 2002 würden bei ei-ner umfassenden Entbürokratisierung 45 Prozent allerUnternehmen mehr investieren und 38 Prozent zusätzli-ches Personal einstellen. Nur 28 Prozent sehen bei einerEntbürokratisierung keine Auswirkungen auf Investitio-nen und Arbeitsplätze.Neben den hohen Lohnnebenkosten und dem in derPraxis nicht mehr zu handhabenden Steuerrecht gehörendie durch die überbordende Bürokratie ausgelösten Aus-gaben mit Sicherheit zu den Hauptinvestionshemmnis-sen, die wir in Deutschland haben – ganz abgesehen vonder rot-grünen Bundesregierung selbst. Während die Um-sb2dzKmrlunZEfnseisHdRbBcWuDazddueUdIkwTIz
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
te Vogt.
Ut
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!n der Tat: Weniges ist so populär wie, sich gegen Büro-ratie und überbordende Vorschriften zu wehren. Dasar für Sie allerdings 16 Jahre lang kein allzu populäreshema.
ch kann verstehen, dass Sie jetzt die Gelegenheit nut-en, zumal es nicht mehr darum geht, dass Sie selbst
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5659
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Parl. Staatssekretärin Ute VogtKonkretes vorzeigen müssten. Aber ich rate Ihnen, überden Bundestag hinaus, insbesondere in den Ländern, indenen Sie die Verantwortung haben, genau hinzu-schauen.
– Da Sie gerade einige Beispiele nennen: Es wäre drin-gend nötig, dass auch Sie beispielsweise in Baden-Württemberg zum Bürokratieabbau beitragen.Die Kunst liegt nämlich darin, dass wir uns in Selbst-beschränkung üben. Wer fordert, dass die Zahl der Ge-setze, Vorschriften und Vorgaben reduziert wird, mussbei sich selbst anfangen. Fangen Sie dort an, wo Sienicht in der Opposition sind, aber fangen Sie auch alsOpposition an: Die Opposition hat seit 1998 sage undschreibe 219 Gesetzentwürfe in den Bundestag einge-bracht, die sie gerne verabschiedet gewusst hätte.
137 weitere Gesetzentwürfe haben uns über den Bundes-rat erreicht.
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Fuchs?
U
Bitte schön, Herr Fuchs.
Frau Staatssekretärin, sind Ihnen die Bürokratieab-
bauprogramme des Saarlandes und von Hessen bekannt?
Ut
Mir ist bekannt, dass im Saarland schon der KollegeHeiko Maas als Umweltminister begonnen hatte, über-flüssige Vorschriften in seinem Ressort zu reduzieren.Ich halte das für etwas Positives. Aber Sie müssen einge-stehen, dass viele Bundesländer, auch die Mehrzahl derCDU-regierten, solche Maßnahmen nicht eingeleitet ha-ben. Unbekannt ist es mir nicht, aber es ist, jedenfallswas das Saarland anbetrifft, mitnichten neu, sondern da-mit wurde schon lange vor der Regierungszeit des Mi-nisterpräsidenten Müller angefangen.
– Eben habe ich doch gesagt, dass ich es kenne. Zuhörengehört auch dazu, wenn man differenziert diskutierenwill.Ich will Ihnen noch einmal darstellen – auch wenn Siees zuweilen nicht bemerken mögen –, dass wir anders ar-beiten. Die 54 Projekte, die von Ihnen häufig zitiert wur-den, sind alle in Arbeit. Ein Teil ist bereits umgesetzt,TzdBd9whHweFZtdvK9RogBüdsatBAkkeRBGdkVsgerLsUbgdfuShi
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5660 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin
Homburger das Wort.
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Ich möchte Ihnen einige Zahlen nennen, um das deut-
ich zu machen. In Baden-Württemberg wurden im Jahr
000 1 127 Vorschriften von insgesamt 4 303 Vorschrif-
en, also 26 Prozent, abgebaut. Im Jahr 2001 wurden
och einmal 11 Prozent abgebaut. In der Zeit, in der es in
essen eine Regierungskoalition von CDU und FDP
ab, haben wir 39 Prozent der Verordnungen und 15 Pro-
ent der weiteren Rechtsvorschriften, insgesamt
500 Vorschriften und 1 400 allgemeine Verfügungen,
bgeschafft.
m Rahmen des Rechtsbereinigungsgesetzes in Rhein-
and-Pfalz – das immer wieder, wie Sie, Frau Staatssek-
etärin, wissen sollten, zu Überprüfungen führt – wurden
m September 2000 unter Regierungsbeteiligung der
DP 53 Rechtsverordnungen abgeschafft.
Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache. Da, wo wir
ie Möglichkeit haben, etwas zu tun, da tun wir dies. Sie
aben die Möglichkeit, den Anträgen und Entwürfen
on Gesetzen zum Bürokratieabbau, die die FDP in den
eutschen Bundestag eingebracht hat, zuzustimmen.
ann tut sich auch auf Bundesebene etwas.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
ndrea Voßhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Staatssekretär Schlauch, Sie haben ein bemerkens-ertes Verständnis von Bürokratieabbau. Die Abschaf-ung des Meisterbriefes mit Bürokratieabbau gleichzu-etzen halte ich für sehr kühn. Die Abschaffung deseisterbriefes bedeutet Abbau von Qualität und vonualifizierung und ist kein Abbau von Bürokratie.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5661
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Andrea Astrid VoßhoffFrau Staatssekretärin Vogt, Sie haben die 16 Jahre un-ser Regierungszeit erwähnt. Ich nenne Ihnen einmal einpaar Zahlen, die Sie nachdenklich stimmen sollten. Inden 50er-Jahren umfasste das Bundesgesetzblatt jährlichcirca 1 000 Seiten. In den 70er-Jahren waren es schon2 700. Rot-Grün hat es im Durchschnitt der Jahre 2000bis 2002 auf stolze 3 700 Seiten pro Jahr gebracht. Siehaben damit sogar den im Zuge der Wiedervereinigungnotwendigen Regelungsumfang Anfang der 90er-Jahregetoppt, Frau Vogt.In der vergangenen Legislaturperiode hat Rot-Grünpro Kalendertag, also auch an Sonn- und Feiertagen,durchschnittlich 1,2 neue Gesetze oder Verordnungenverabschiedet. Tag für Tag, ob der Bürger abends vonder Arbeit oder am Sonntagabend von einem Tagesaus-flug mit der Familie nach Hause kam, hat sich Rot-Grünmit einer neuen Regelung mit durchschnittlich20 Einzelvorschriften in sein Leben eingemischt. EineBundesregierung sollte beim Regieren Spitze sein undnicht beim Regulieren.
Die Bilanz Ihrer bisherigen Regierungszeit lässt sichdaher ganz einfach beschreiben: bei der Bürokratie vorn,beim Wirtschaftswachstum hinten. In einer Studie zumBürokratieabbau kommt das Institut der deutschen Wirt-schaft zu dem Ergebnis: Je höher die Regulierungsinten-sität, umso weniger gelingt es einem Land, sein Beschäf-tigungspotenzial auszuschöpfen. Bestes Beispiel dafürist die Politik von Rot-Grün. Bei der Frage, wer am we-nigsten reguliert, belegen wir nach einer OECD-Studieden traurigen 14. Platz von 20 Industrieländern.Wir alle kennen die Fakten, wir alle kennen Beispiele,bei denen der Amtsschimmel wiehert. Wir wissen, wieoft und wie viel Klage über die Bürokratie in Deutsch-land geführt wird. Natürlich sind die Ursachen viel-schichtig; ich will Sie nicht allein in die Haftung dafürnehmen.
Ich will die EU-Bürokratie ebenso wenig ausblendenwie die Landesgesetze und deren Folgen, ganz zuschweigen von den auf Bundes- und Landesebene las-tenden Verordnungen und Verwaltungsvorschriften.Wenn ich die Antwort der Bundesregierung auf eineAnfrage der FDP richtig gelesen haben, gibt es im steu-erlichen Bereich 79 000 steuerliche Verwaltungsvor-schriften. Kommissionen, Institutionen, Ratschläge undVorschläge dazu, was getan werden müsste, kennen wirzur Genüge. Wie aber bekämpft man Bürokratie wirk-sam und nachhaltig? Ich glaube, dass unser Vorschlag ei-nen guten Ansatz bietet.Der Weg zu dauerhaft weniger Bürokratie – hier soll-ten wir alle sehr selbstkritisch mit uns umgehen – mussin den Parlamenten beginnen, also auch bei uns in die-sem Hause. Der Gesetzgeber muss – das hat heute Mor-gen der Kollege Bosbach gesagt – vom Gesetzgeber wie-der zum Gesetznehmer werden.Wir haben uns eine weitere Frage gestellt: Wie kannes gelingen, einerseits den Bestand an Regelungen zudchgsnlslsmhkowGW„dmkdKmwbfT–lWdtsegdtKrsd
as lesen wir denn dazu in den Gesetzesinitiativen? –Alternativen: keine“. Gerade hier sollte das Parlamentie Frage stellen, warum der Staat eine Regelung treffenuss. Beim Stichwort Kosten heißt es in der Regel:eine. Manchmal werden sie aber auch so schöngeredet,ass das politische Ziel entscheidet. Zu den sonstigenosten, nämlich zu den Belastungen für die Unterneh-er, steht oftmals: keine. Manchmal gibt es den Hin-eis: nicht bezifferbar.Ich denke, mit diesen dürftigen „Packungsbeilagen“ei Gesetzesinitiativen zur Abschätzung der Gesetzes-olgen sollten wir Schluss machen. Wir brauchen mehrransparenz in der Bewertung der bürokratischen unddas möchte ich ergänzen – der gesamtgesellschaft-ichen Gesetzesfolgenabschätzung.
ir brauchen das nicht nur in den Fachministerien, son-ern auch in diesem Hause im Rahmen einer parlamen-arischen Diskussion, wenn es um die Beratung der Ge-etzentwürfe geht.
Wenn es uns allen mit dem Abbau von Bürokratiernst ist, sollten wir auch die Prüfung der Gesetzesfol-enabschätzung in das Parlament einführen. Was wäreazu besser geeignet, als einen entsprechenden Bundes-agsausschuss einzusetzen?
ritische Stimmen sagen dazu: Das ist wieder neue Bü-okratie. Ich meine aber, es geht um unser Selbstver-tändnis und um unseren Anspruch, mit dem wir uns anie Wähler wenden. Hier müssen wir Ernst machen.
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5662 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Andrea Astrid VoßhoffPrüfen wir künftig in einem solchen Ausschuss – wiezum Beispiel im Haushaltsausschuss, der die finanziel-len Belastungen der öffentlichen Haushalte bei allen Ge-setzen als mitberatender Ausschuss zu prüfen hat –, wiebürokratisch ein Gesetzentwurf ist und ob es vielleichtnicht auch anders möglich ist.Ich appelliere an unser Selbstverständnis und unserenAnspruch als Parlamentarier. Folgen Sie unserem Vor-schlag. Er ist gut und wird endlich Bürokratie abbauen.Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Stephan Mayer.
Frau Staatssekretärin Vogt, Sie haben gerade behaup-
tet, Deutschland – –
Herr Kollege, eine Kurzintervention ist nur in Bezug
auf den vorhergehenden Redner möglich.
Ich kann Ihre Kurzintervention nicht zulassen, wenn sie
sich auf Frau Vogt bezieht.
Dann melde ich sie zum nächsten Redner an!
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Walter
Hoffmann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch alleDebattenbeiträge wurde klar, dass Bürokratieabbau einpermanenter Prozess ist, der nicht mit einem Masterplanbeginnt und endet, sondern alle Schritte unserer politi-schen Arbeit kontinuierlich begleiten muss.Ich möchte von einem persönlichen Aha-Erlebnis mitBürokratie, das ich bei einem Workshop von Arbeits-vermittlern vor circa drei Jahren hatte, erzählen. EineGruppe von circa 15 Arbeitsvermittlern kam zusammen.Sie unterhielten sich über das Thema Arbeit. Sie listetenauf, was sie an Tätigkeiten zu machen hatten. Herauskam – ich habe das zusammengestellt; man kann das imDetail nachlesen –, dass jeder Vermittler insgesamt achtoriginäre Vermittlertätigkeiten hatte. Hinzu kamen ins-gesamt 21 Zusatzaufgaben.Sv1kneFlgGbwdSAzedbILgdwülvrotsugnhbcSmkltwmuhrwlU
Wie lange und in welchem Umfang jemand Geld be-ommt, soll der Sachbearbeiter vor Ort entscheiden. Dasiegt in seinem Ermessensspielraum, weil er das am bes-en beurteilen kann. Das spiegelt im Kleinen wider, wasir mit „mehr Eigenverantwortung“ meinen: nicht regle-entieren, nicht alles in einer Verordnung aufgliedernnd von vorne bis hinten genau beschreiben. Nein, hierat der Sachbearbeiter einen eigenen Ermessensspiel-aum, er kann im konkreten Fall entscheiden.Zweiter Punkt: Weiterbildungsmaßnahmen. Sieerden sich vielleicht daran erinnern, dass es früher üb-ich war, dass während einer Weiterbildungsmaßnahmenterhaltsgeld gezahlt wurde. Zunächst bekam ein Teil-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5663
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Walter Hoffmann
nehmer Arbeitslosengeld und dann Unterhaltsgeld. Wirhaben uns gefragt, ob es nötig ist, dass die Voraussetzun-gen für das Unterhaltsgeld neu geprüft werden. Muss dasganze bürokratische Spiel noch einmal durchgezogenwerden? Wir haben entschieden: Nein, wir streichen dasUnterhaltsgeld. In Zukunft wird während der Weiterbil-dungsmaßnahme das Arbeitslosengeld weiter gezahlt. Esgibt kein neues Antragsverfahren, sondern einen nahtlo-sen Übergang. Die Höhe des Betrages ist in etwa gleich.Das ist eine große verwaltungsmäßige Vereinfachung,die das Ziel hat zu entbürokratisieren.Wenn in Zukunft zwischen der Bundesanstalt für Ar-beit – sprich: Bundesagentur für Arbeit – und der PolitikZielvereinbarungen getroffen werden, dann bedeutendiese Zielvereinbarungen auch einen Rückzug des Staa-tes aus diesem Bereich und eine Übertragung von mehrEigenverantwortung auf die Bundesagentur und damiteine Übertragung von mehr Eigenverantwortung auf deneinzelnen Sachbearbeiter. Wir werden sehen, wie Siesich morgen in der Abstimmung über Hartz III undHartz IV entscheiden. Das ist auch eine Entscheidungüber mehr oder weniger Bürokratie in der Arbeitsver-waltung.
Ich spreche hier als ein Vertreter des Bereichs Wirt-schaft und Arbeit. Von den 52Maßnahmen zum Büro-kratieabbau betreffen allein 25 Maßnahmen diesen Be-reich. Wir haben im Grunde genommen drei Paketegeschnürt: Das erste Paket betrifft die Reduktion der Sta-tistikbelastung für Unternehmen, wie zum Beispiel dieVerschiebung der Handwerkszählung, die Einführungelektronischer Verdienstbescheinigungen, einheitlicheFormulare bei den Krankenkassen, gemeinsame Nut-zung von Datenbeständen zwischen Arbeits- und Fi-nanzverwaltung und vieles andere mehr. Ich will Sie hiernicht mit Einzelheiten langweilen; aber man kann dochnicht behaupten, dass nichts geschehen sei.Das zweite Paket enthält Gesetze, die Arbeitnehmerund Unternehmen direkt betreffen. Auch hier hat sich inden letzten Wochen und Monaten eine Menge Positivesgetan. Ich nenne nur die Änderung des Rabattgesetzes,des Ladenschlussgesetzes und des Gesetzes gegen denunlauteren Wettbewerb. Wir trauen uns jetzt sogar an dieVereinfachung der Lohn- und Einkommensteuerverfah-ren heran und an viele andere Dinge mehr.Beim dritten großen Paket geht es um Erleichterun-gen beim Marktzugang für Unternehmen. Hierzu zählendie Zulassung des Arzneimittelversandhandels und Er-leichterungen für Existenzgründer. Vieles davon ist be-reits angesprochen worden.Ich bin davon überzeugt – das sage ich ganz deutlich –,dass sich diese Maßnahmen mittelfristig positiv auswir-ken werden. Sie wirken nicht von heute auf morgen, son-dern verändern die Kultur und die Mentalität; die Staats-sekretärin hat das bereits gesagt. Mittelfristig werdendiese Maßnahmen im wirtschaftlichen Bereich zu mehrWachstum und Beschäftigung führen. Davon bin ich fel-senfest überzeugt.drrngBHvzewBbbfmdSmWddMdszskSnEvfSKnV
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
ollegen Stephan Mayer.
Der geschätzte Vorredner, Herr Hoffmann, hat in sei-er Rede vergessen, auf die Aussage der Staatssekretärinogt einzugehen.
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5664 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Sie hat gesagt, dass Deutschland mit dem Modell „Bundonline“ und der Förderung des E-Governments, der elek-tronischen Verwaltung, unter den ersten zehn Ländernrangieren würde. Ich bitte Sie, diese Aussage zu reflek-tieren.
– Das ist gar nicht lustig. – Ausweislich eines Artikels des„Handelsblatts“ vom 7. Februar 2003 rangiert Deutschlandnämlich auf dem drittletzten, dem 16. Platz. Ausweislich ei-ner Studie der Firma Cap Gemini Ernst & Young, die vonder EU-Kommission in Auftrag gegeben wurde, liegtDeutschland auf dem 16. Platz.
Platz 1 belegt Schweden. Der letzte Platz wird von Lu-xemburg, der vorletzte Platz von Belgien und der dritt-letzte Platz von Deutschland eingenommen.Frau Staatssekretärin, ich hätte Ihre Anregung, eineschriftliche Anfrage an die Bundesregierung zu stellen,natürlich gerne aufnehmen können.
Dies würde aber genau das bedeuten, weswegen wirheute hier diskutiert haben, nämlich Bürokratie. Ichwürde eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierungstellen, die natürlich von einem Mitarbeiter Ihres Hausesbearbeitet werden müsste. Genau dadurch entsteht mehrBürokratie. Diese wollen wir vonseiten der CDU/CSUabschaffen.
Herr Kollege Hoffmann, Sie können antworten.
Wäre ich Frau Vogt,
würde ich Ihnen vielleicht so oder ähnlich antworten: Ich
habe keinen Grund, an den Aussagen der Kollegin Vogt
über das Ranking bezüglich des E-Governments zu
zweifeln. Aufgrund meiner Erfahrungen – wohlgemerkt:
ich bin nicht in dem Bereich tätig – weiß ich, dass man
wirklich versucht, beim E-Government enorme Schritte
zu unternehmen, um dieses Anliegen innerhalb der Ad-
ministration zügig voranzutreiben.
Da Sie große Zweifel an diesen Rankinglisten haben,
empfehle ich Ihnen, Ihre Anfrage schriftlich zu stellen.
Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung dann
überprüfen wird, – wäre ich Frau Vogt, würde ich das
auch tun –,
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Meine Damen und Herren, Spaß beiseite: Es ist in der
at ein dringendes sachliches Problem. Die Regierung
reift das auf. E-Government ist einer der zentralen
chwerpunkte bei der Entbürokratisierung. Ich denke,
as ist das Entscheidende. Wir müssen auf das Gaspedal
rücken, damit wir schneller vorankommen. Ich denke,
iesbezüglich haben wir hier eine große Einigkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 15/1330 und 15/1006 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.bweichend von der Tagesordnung sollen die Vorlagenederführend im Innenausschuss beraten werden. Sindie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sindie Überweisungen so beschlossen.Tagesordnungspunkt 7 d. Wir kommen zur Abstim-ung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesür Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/1183 zuem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Abbauon Bürokratie sofort einleiten“. Der Ausschuss emp-iehlt, den Antrag auf Drucksache 15/65 abzulehnen.er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-robe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istit den Stimmen der Koalition und der CDU/CSU ge-en die Stimmen der FDP angenommen.Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung derorlage auf Drucksache 15/1707 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sieamit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind dieberweisungen so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu dem Protokoll von Cartagena vom 29. Ja-nuar 2000 über die biologische Sicherheit zumÜbereinkommen über die biologische Vielfalt– Drucksachen 15/1519, 15/1652 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft
– Drucksache 15/1737 –Berichterstattung:Abgeordneter Matthias WeisheitAbgeordneter Helmut Heiderich
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5665
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerAbgeordnete Ulrike HöfkenAbgeordnete Dr. Christel Happach-KasanNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Her-ren! Der Kabinettsbeschluss vom Juli für die Vorberei-tung der Ratifikation des Cartagena-Protokolls warüberfällig. Es war absehbar, dass das Protokoll im Sep-tember in Kraft treten würde. Zwischen unserer Ratifi-kation und der Vollmitgliedschaft haben wir einedreimonatige Karenzzeit. Im Februar nächsten Jahresfindet die 1. Vertragsstaatenkonferenz statt. Damit wirdort das volle Stimmrecht haben, müssen wir uns mit derRatifikation beeilen.Das Cartagena-Protokoll über die biologische Sicher-heit zur Biodiversitätskonvention ist in mindestens vierHinsichten einzigartig:Erstens. Es ist die erste in Kraft getretene Konkreti-sierung der beiden großen Konventionen des Erdgipfelsvon Rio de Janeiro.Zweitens. Es ist wohl das erste Umweltabkommen,bei dem die Entwicklungsländer die treibende Kraft wa-ren. In Cartagena Ende 1999 und dann in Montreal imJanuar 2000 kam es zu einer für die Weltpolitik sehr be-deutsamen Koalition zwischen einem Großteil der Ent-wicklungsländer auf der einen Seite und uns Europäernauf der anderen Seite, während die US-Amerikaner, diewährend der Verhandlungen ständig blockiert haben, amEnde ziemlich isoliert dastanden.Drittens. Das Cartagena-Protokoll ist das erste welt-weite Umweltabkommen, in dem das Vorsorgeprinzipverbindlich verankert und nicht den internationalen Han-delsregeln untergeordnet ist.Viertens. Während die meisten internationalen Ab-kommen für die Vertragsstaaten auf einen Souveränitäts-verzicht hinauslaufen, verleiht das Cartagena-Protokollden Staaten eine neue Souveränität. Das gefällt insbe-sondere den Entwicklungsländern.Worum geht es inhaltlich? Es geht um die Souveräni-tät der Vertragsstaaten, die Einfuhr von lebenden, gen-technisch veränderten Organismen von einer Beurtei-lung der ökologischen und gesundheitlichen Risikenabhängig zu machen. Die staatliche Entscheidung aufder Basis dieser Risikoabwägung geschieht nach demVorsorgeprinzip.Nach Art. 20 des Protokolls wird eine Informations-stelle für biologische Sicherheit, ein Biosafety ClearingHouse, eingerichtet. Dadurch wird sichergestellt, dassdas in den unterschiedlichsten Ländern anfallende Wis-sen über Auswirkungen von Freisetzungen, über natio-nale Zulassungen und über Gesetzgebungen gesammeltwird. Das Wissen steht den Vertragsstaaten rasch und be-qedgPnaGlfsVcztRcevnNItgggTBgrMddzlIttTHluLubdwdgOn
Es gibt zweifellos noch viele offene Fragen, die nunurch eine Serie von Vertragsstaatenkonferenzen geklärterden müssen. Wenn zum Beispiel auf einem Getrei-esack, dessen Inhalt zum Verzehr bestimmt ist, kleinedruckt steht, dass der Sack gentechnisch veränderterganismen enthalten kann und dass deshalb die Körnericht zur Aussaat bestimmt sind, dann ist das alles
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Dr. Ernst Ulrich von Weizsäckerandere als ein sicherer Schutz vor womöglich gravieren-den Veränderungen der ländlichen Biodiversität.Wenn es durch unachtsame Vertragsstaatenbeschlüssedazu käme – in diese Richtung gibt es Bemühungen –,dass beträchtliche Beimischungen von mehr als 1 Pro-zent von gentechnisch veränderten Körnern im Sack to-leriert werden, ohne dass das kenntlich gemacht wird,dann würde die Kennzeichnungspflicht völlig zur Farce.
Wir haben hier in Europa im Zusammenhang mit derSaatgutkennzeichnung einen Streit. Ich erinnere an dieSave-our-Seeds-Kampagne.Das Protokoll ist gleichwohl ein Meilenstein der in-ternationalen Umweltpolitik. Es muss noch viel bekann-ter werden. Alle kennen das Kioto-Protokoll, das leiderimmer noch nicht in Kraft ist und das bezüglich des Vor-sorgeprinzips viel zahmer ist als das Cartagena-Proto-koll. Es lohnt sich also, dieses Protokoll weiter bekanntzu machen. Deutschland kann stolz darauf sein, dass esbei den Verhandlungen in Cartagena und in Montreal amEnde eine sehr positive Rolle gespielt hat, übrigens nachjahrelangem Bremsen in den Jahren vor 1999. Deutsch-land sollte bei der weiteren Ausgestaltung des Protokollsweiterhin eine solche führende Rolle spielen und dabeidie, wie ich gesagt habe, weltpolitisch sehr wichtigeEinigkeit zwischen Europäern und Entwicklungsländernüber das Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik und derLandwirtschaft fortsetzen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Helmut Heiderich, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Interessierte Kolleginnen und Kol-legen! Wir behandeln heute einen Gesetzentwurf derBundesregierung zum Themenfeld der Biotechnologie,der geradezu topaktuell ist; denn vor rund einem Monatist das Cartagena-Protokoll in Kraft getreten, nachdemes inzwischen 57 Staaten ratifiziert haben.Das Cartagena-Protokoll ist eine der ersten Rege-lungen für die weltweite Nutzung und Fortentwicklungder grünen Biotechnologie. Mit ihm werden Prinzipienfestgeschrieben, die inzwischen international als Stan-dard etabliert sind. Ich will einige der wichtigsten davonnennen: das Vorsorgeprinzip – eben schon angespro-chen – zum Schutz menschlicher Gesundheit und biolo-gischer Vielfalt, die Festlegung eines angemessenenSchutzniveaus, die Anerkennung der großen Chancenfür die menschliche Zukunft durch moderne Biotechno-logie, die gegenseitige internationale Abstimmung vonRegelungen und Verfahren sowie die streng wissen-schaftliche Beurteilung eventuell möglicher Risiken.dlgddAadmldtdnutHddnshsdzdasthKmibtzwssdGcdZDmünnG
as ist genau das Gegenteil dessen, was wir heute ge-einsam beschließen wollen.Wer unterschreibt, dass er die Öffentlichkeit besserber die grüne Gentechnik informieren will, kann sichicht auf nationaler Ebene mit Greenpeace, einer Orga-isation, die gerade mit einer Kampagne gegen Gift undentechnik – man höre sich das einmal an! – das Gegen-
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Helmut Heiderichteil von Verbraucheraufklärung betreibt, in gemeinsameWerbesendungen begeben und dort verbrauchertäu-schende Versprechungen abgeben.Demgegenüber muss festgestellt werden, dass seitJahren jährlich rund 40 Millionen Tonnen Futtermittelauf GVO-Basis nach Europa und entsprechend nachDeutschland importiert werden, wo sie auch verbrauchtwerden. Dabei hat die Bundesregierung interessanter-weise auf meine Kleine Anfrage hin selber zugestanden,dass sie nicht in der Lage ist, eindeutig festzustellen,wann Gentechnik eingesetzt wird und wann nicht. Alsich sie nach einer Beurteilung des Imports von Sojapro-dukten aus Brasilien gefragt habe, lautete die Antwort:Es liegen keine Daten über den Import gentechnisch ver-änderter Soja aus Brasilien vor. Wir haben weder belast-bare Zahlen über das Ausmaß des Anbaus noch übermögliche Exporte nach Deutschland. Dann folgte derHinweis, die Zollbehörden würden aufgrund der Liefer-dokumente regelmäßig überprüfen, ob in äußerlich er-kennbarer Weise die Angaben auf den Dokumenten mitdem Inhalt übereinstimmten.Dazu kann ich nur feststellen: Wer auf dieser Basisgemeinsam mit Greenpeace Versprechen wie die Garan-tie von nicht gentechnisch produziertem Schweine-fleisch gibt, der täuscht die Verbraucher und macht nichtdas, was wir mit dem internationalen Vertrag unterzeich-nen und verlangen.
Wer außerdem – das will ich auch wiederholen; ichhabe es schon mehrfach ausgeführt – ungerührt zusieht,wenn Organisationen wie Greenpeace selbst solche Ver-suchsfelder zerstören, die vom Bundesministerium fürBildung und Forschung direkt gefördert werden, derhandelt ebenfalls den Intentionen dieses internationalenVertragswerks direkt zuwider.Erlauben Sie mir noch einen Hinweis zum ThemaForschung. Wie groß die Unterschiede zwischen denEntwicklungen in Deutschland und anderswo sind, zeigteine aktuelle Nachricht. In den USA hat die NSF, dieNational Science Foundation, gerade veröffentlicht, dasssie die Genomforschung im Pflanzenbereich an den Uni-versitäten und Instituten erneut mit 100 Millionen Dollarunterstützen wird. Bei uns dagegen werden die Mittel fürdas Projekt GABI, mit dem wir einmal an der Spitze da-bei waren, im nächsten Haushalt in erheblichem Maßezusammengestrichen.Wer – um noch einen anderen Punkt zu nennen – imZusammenhang mit dem Cartagena-Vertragswerk unter-streicht, dass die moderne Biotechnik ein großes Poten-zial für die Menschheit bei angemessenen Sicherheits-maßnahmen hat, darf nicht im eigenen Land, so meineich, mit immer neuen bürokratische Hürden, mit immerweiter ausgreifenden Regelungsmechanismen und da-durch immer höheren Kosten genau dieses Potenzial derBiotechnik wieder infrage stellen.Ich begrüße ausdrücklich, dass ich Unterstützer fürmeine Forderungen gefunden habe, und zwar dort, woich es gar nicht vermutet habe. Im „Handelsblatt“ habenmWtmmwbgdgstAglsP–peinbwgDvWaddiHwMBLKndbPeis
das geht natürlich auch – wie beispielsweise Reis, Pa-aya oder Bananen vertraut machen, die nicht in Europantwickelt, geprüft und zugelassen sind und die trotzdemn absehbarer Zeit auf unsere Märkte kommen werden.Wer vor diesem Hintergrund – der einzelne Abgeord-ete, wie auch immer sein Gusto sein mag, wird nichtestimmen können, wohin die Entwicklung geht; aberir können das mit dem vorliegenden Vertragswerk re-eln – die kleinkarierten Verhinderungsstrategien ineutschland weiter betreibt, hat die Perspektiven desorliegenden Vertragswerkes in keiner Weise begriffen.er die zügige Weiterentwicklung insbesondere in densiatischen Ländern mitbestimmen will, darf sich nichturch ein kleinkariertes Regelwerk ausschließen, son-ern muss dafür sorgen, dass wir auch in Zukunft in dennternationalen Entwicklungen vorne dabei sein können.ier liegt meines Erachtens unsere politische Aufgabe,enn ich das Protokoll von Cartagena richtig verstehe.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
atthias Berninger.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrollege von Weizsäcker, ich bin Ihnen für die Einord-ung des Cartagena-Protokolls in den langen Reigen an-erer internationaler Abkommen außerordentlich dank-ar. Ich teile Ihre Einschätzung, dass sich diesesrotokoll tatsächlich sehen lassen kann und durchaus aufiner Stufe mit dem Kioto-Protokoll steht, dass es abern der öffentlichen Diskussion häufig im Hintergrundteht. Wenn jemand wie Sie, der sich mit internationalen
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Parl. Staatssekretär Matthias BerningerKonferenzen sehr gut auskennt, eine solche Einordnungvornimmt, dann gewinnt das zusätzlich an Gewicht.Darüber hinaus freue ich mich sehr, dass sich nichtnur alle Fraktionen im Deutschen Bundestag, sondernauch der Bundesrat dazu haben durchringen können, denProzess der Inkraftsetzung dieses Protokolls zu be-schleunigen und diesem Protokoll zuzustimmen. Ich er-wähne das deshalb, weil das nicht immer der Fall war.Vor dem Regierungswechsel 1998 waren die Verhand-lungen über ein solches Protokoll in Deutschland voneinem anderen Geist getragen. Damals war die Bundes-republik Deutschland eher im Bremserhäuschen und wareher die gleiche Skepsis gegenüber solchen internationa-len Vereinbarungen Bestandteil der offiziellen Regie-rungspolitik, wie das heute noch in den Vereinigten Staa-ten der Fall ist.Ich erwähne das, Herr Kollege Heiderich, vor allemaus einem Grund – er hört zwar nicht zu, aber vielleichtwill er das auch gar nicht hören –: Wenn Sie sagen, dassdas Protokoll sozusagen Ihren politischen Intentionendes „Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit“ für Gen-technik entsprechend hilft, dann müssten die Amerika-ner geradezu begeistert beitreten. Das tun sie aber nicht;denn das Protokoll regelt etwas anderes. Es soll verhin-dern, dass sich die grüne Gentechnik global auf leisenSohlen verbreitet, ohne dass die Politik, dass die Staaten,dass die Demokratie und dass die Menschen daran teil-haben können. Das können die Mitgliedstaaten diesesProtokolls verhindern, indem ganz wesentliche Ele-mente einbezogen werden.Ein ganz wesentliches Element ist das der Transparenz.Ohne Transparenz wird es keine Wahlfreiheit im Bereichder grünen Gentechnik geben. Künftig werden Staaten, indie gentechnisch veränderte Organismen – seien es Nah-rungsmittel, seien es lebende Organismen – exportiertwerden sollen, darüber informiert werden müssen, dasses sich um solche handelt.Ich freue mich, dass die Europäische Union schoneinen Schritt weiter ist. Sie möchte nicht nur den Infor-mationsaustausch zwischen Staaten gewährleistet sehen.Die Europäische Union will vielmehr auch, dass die Ver-braucherinnen und Verbraucher klare Kenntnis darüberhaben, ob es sich bei den Produkten, die sie kaufen, umgentechnisch veränderte Lebensmittel handelt oder aberum solche, die nicht gentechnisch verändert sind. Wirhaben mit einem Kraftakt auf europäischer Ebene dieseWahlfreiheit für die Verbraucherinnen und Verbrauchersichergestellt. Ich glaube, das ist etwas, auf das wir inDeutschland sehr stolz sein können.
Wenn der Kollege Heidereich auf eine kleine Anfragehinweist, nach der wir nicht ausreichende Informationendarüber haben, wie sich die grüne Gentechnik in be-stimmten Bereichen verbreitet hat, dann ist auch das einsehr gutes Argument dafür, hier im Rahmen des Carta-gena-Protokolls zu Fortschritten zu kommen; denn indem Maße, in dem die Informationen verbessert werden,können wir auch einen besseren Überblick bekommen.bTddidbsPckvdwkdHdbBhkzddkssgZSetwltDZVgFdrn
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
r. Christel Happach-Kasan, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iel des Cartagena-Protokolls ist es, die biologischeielfalt vor Risiken zu schützen, die von lebenden trans-enen Organismen möglicherweise ausgehen. Wir alsDP-Fraktion unterstützen diese Zielsetzung mit Nach-ruck. Der Erhalt der biologischen Vielfalt ist im Inte-esse unserer Gesellschaft, ist im Interesse künftiger Ge-erationen.
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Dr. Christel Happach-KasanWas heißt biologische Vielfalt? Finden nicht auch Siees traurig, dass unsere Kinder ihre Lehrer in der Schulenicht mehr mit Maikäfern ärgern können, weil es einfachkeine mehr gibt? Das ist ein Verlust an biologischer Viel-falt.
Wir von der FDP haben sehr deutlich gemacht, dasswir die Aufhebung des Zulassungsmoratoriums fürtransgene Pflanzen wollen. Dies ist aus Sicht des Natur-und Gesundheitsschutzes verantwortbar, zur Sicherungvon Arbeitsplätzen in Deutschland wirtschaftlich erfor-derlich und zur Verbesserung der Ernährungssituation inden ärmsten Ländern der Erde ethisch geboten.
Wir wollen gleichzeitig sicherstellen, dass unsere Befür-wortung der grünen Gentechnik die biologische Vielfaltnicht gefährdet.Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Menschender grünen Gentechnik inzwischen sehr viel positiver alsvor Jahren gegenüberstehen. Dies ist das Ergebnis dervom Bundespresseamt im Herbst 2001 in Auftrag gege-benen Umfrage.Viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus erin-nern sich noch – ich war damals noch nicht dabei – an denTAB-Bericht „Gentechnik, Züchtung und Biodiversität“.Der Bericht sagt aus, dass die gentechnisch unterstütztePflanzenzüchtung keinen nachweisbaren Einfluss, alsoauch keinen negativen Einfluss, auf die Biodiversität hat.Rot-Grün hat das Urteil der Wissenschaftler nicht ge-fallen. Ihre verzweifelten Versuche, das Ergebnis durcheinseitige und falsche Interpretation zu diskreditieren,waren nicht überzeugend. Welchen Sinn macht es eigent-lich, solche Berichte in Auftrag zu geben, wenn Sie derenErgebnisse bei Ihren Überlegungen nicht berücksichtigen,wenn Sie gar nicht die Absicht haben, solche – Ihren Be-strebungen entgegenstehenden – Ergebnisse zu berück-sichtigen?
Vor dem Hintergrund des Anbaus von 60 MillionenHektar transgener Kulturpflanzen in diesem Jahr entlar-ven sich Ihre Versuche, diese Innovation zu verhindern,als ideologisch motiviert. Die Fläche nimmt von Jahr zuJahr zu. Gleichwohl ist es nicht zu Problemen gekom-men, wie mir die Bundesregierung auf Anfrage bestätigthat. Diese Bilanz ist erfreulich. Sie rechtfertigt, dass wirein solches Protokoll mit einer solch anspruchsvollenZielsetzung unterschreiben können. Tatsächlich könnenwir doch feststellen, dass ganz andere Prozesse die bio-logische Vielfalt in Deutschland gefährden: Flächenver-siegelung, Schadstoffemissionen, sich ausbreitende Neo-phyten. Was tun Sie dagegen? Nichts!
Die Umsetzung des Protokolls durch die Bundesre-gierung lässt Schlimmes befürchten. Die biologischeVttsBdmddelZzcZfndiirgOfrdtlbDLlnsdzauGWwH
Diese Bundesregierung ist völlig unfähig, die notwen-igerweise zu erfüllenden Aufgaben fachgerecht auf diehr zur Verfügung stehenden Behörden zu verteilen. Dasst ein Armutszeugnis. Die FDP fordert die Bundesregie-ung auf, den Verwaltungsaufwand angesichts der gerin-en Bedrohung der biologischen Vielfalt durch transgenerganismen zu minimieren. Schade, dass die Beschluss-assung des Protokolls von Cartagena die von der Regie-ung eingestimmte negative Begleitmusik erhält.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Pro-okoll von Cartagena vom 29. Januar 2000 über die bio-ogische Sicherheit zum Übereinkommen über dieiologische Vielfalt, Drucksachen 15/1519 und 15/1652.er Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undandwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-ung auf Drucksache 15/1737, den Gesetzentwurf anzu-ehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-timmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmtagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist inweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hausesngenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-urf ist in dritter Lesung mit den Stimmen des ganzenauses angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten GüntherFriedrich Nolting, Helga Daub, Birgit
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerHomburger, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPWehrpflicht aussetzen– Drucksache 15/1357 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
Auswärtiger AusschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeGünther Nolting, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieBundesregierung hinkt in der Frage der Bundeswehrre-form der Entwicklung unverändert dramatisch hinterher.
Die faktischen Veränderungen in der Frage der allgemei-nen Wehrpflicht nimmt sie offensichtlich wahr; es fehlt ihraber die Kraft, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.Warum mutet die Bundesregierung den Angehörigender Bundeswehr Reförmchen auf Reförmchen zu, diedann auch noch äußerst kurzlebig sind? Warum schafftsie nicht endlich Planungssicherheit? Warum folgt sienicht der überwiegenden Mehrheit der NATO-Staatenund -Beitrittskandidaten und gliedert die Bundeswehr ineine Freiwilligenarmee um? Polen, Ungarn und Tsche-chien haben diesen Schritt angekündigt. Andere NATO-Beitrittskandidaten werden diesen Weg gehen.Studien der Stiftung für Wissenschaft und Politik, desInstituts für Friedens- und Sicherheitspolitik, Hamburg,und des BDI haben in den letzten Monaten die Abkehrvon der allgemeinen Wehrpflicht gefordert. Was setzt dieBundesregierung den stichhaltigen Argumenten ver-schiedenster gesellschaftlicher Gruppen entgegen? Manmag es kaum glauben: 31 „Pro Wehrpflicht“-Thesen, ge-strickt mit heißer Nadel! An diese Thesen glaubt im Ver-teidigungsministerium niemand.Zur Krönung des ganzen Vorgangs veröffentlicht derVerteidigungsminister im Heft 3 der „Information für dieTruppe“ auf Seite 7 den Text eines Vortrags, den er imMai an der Führungsakademie der Bundeswehr gehaltenhatte. Ich zitiere aus diesem Vortrag des Verteidigungs-ministers eine Kernaussage:Wehrpflicht erhalten heißt für mich: Deutsche Sol-daten werden nicht zu Söldnern!Ich frage den Herrn Minister, woher er das Rechtnimmt, in einer derart üblen Form über die Wehrverfas-sung der Streitkräfte unserer Verbündeten zu urteilen.
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enen wir übrigens in einem nicht unerheblichen Maßnsere staatliche Einheit zu verdanken haben, als Söld-er. Streng genommen, Herr Kollege Erler, bezeichnet erogar alle länger dienenden Soldatinnen und Soldatener Bundeswehr als Söldner. Das vergrößert den Skan-al. Sie sollten sich solche Zwischenrufe sparen.
s sind genau diese länger dienenden Soldatinnen undoldaten, die durch ihren vorbildlichen Dienst das Anse-en Deutschlands im Ausland mehren, mittlerweilechon über viele Jahre.Der weltweite Kampf gegen den internationalen Ter-orismus steht im Mittelpunkt der militärischen Planung.ie internationale Konfliktverhütung und Krisenbewäl-igung sowie die Unterstützung der Bündnispartner ste-en im Vordergrund. Dies hat der Verteidigungsministern den Verteidigungspolitischen Richtlinien ausdrücklichestgehalten. Das Hauptargument für den Erhalt derehrpflicht, die Landesverteidigung, ist somit entfallen.Wir alle haben erlebt, dass sich die sicherheitspolitischeage verbessert hat. Staaten des ehemaligen Warschaueraktes und der ehemaligen Sowjetunion sind Mitgliederer NATO geworden bzw. werden Mitglieder der NATOerden. Das Bündnis ist jedem potenziellen Gegner, womer er auch stehen mag, um ein Vielfaches überlegen,hne auch nur einen einzigen Reservisten einziehen zuüssen. Die Wehrpflicht als Krücke zur Möglichkeit derekonstitution zu begründen, wie in den Verteidigungs-olitischen Richtlinien geschehen, ist deshalb nicht trag-ähig.
ie Fähigkeit der Bundeswehr zu einem schnellen Auf-uchs ist nicht mehr notwendig.In den Verteidigungspolitischen Richtlinien und den1Thesen zur Beibehaltung der Wehrpflicht werdenuch die asymmetrische Bedrohung oder Angriffe vonußen als Argumente für die Wehrpflicht aufgeführt.ollen Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,irklich Wehrpflichtige im Kampf gegen den Terroris-us einsetzen?
as kann wohl nicht richtig sein. Wenn das so ist, dannetzen Sie sich dafür ein, Herr Kollege, dass insoweitine Veränderung vorgenommen wird, und stimmen Sienserem Antrag zu, so wie Sie es draußen immer erzäh-en!
Aufgaben im Kampf gegen den Terrorismus und Aus-andseinsätze lassen sich nur durch hoch motivierte, sehrut ausgebildete und mit modernster Bewaffnung ausge-
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Günther Friedrich Noltingstattete Zeit- und Berufssoldaten erfüllen, die professio-nell handeln und flexibel einsetzbar sind.Natürlich gibt es auch Gründe für die Wehrpflicht,zum Beispiel Transparenz, Austausch mit der Gesell-schaft, Rekrutierung. Aber diese Gründe legitimieren dieWehrpflicht nicht. Die Wehrpflicht stellt einen so tiefenEingriff in die individuelle Freiheit der jungen Bürgerdar, dass sie von einem demokratischen Rechtsstaat nurdann gefordert werden darf, wenn es die äußere Sicher-heit des Staates gebietet. Sie ist nicht ewig gültig, son-dern von der konkreten Sicherheitslage abhängig. IhreBeibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung sowie dieDauer des Wehrdienstes müssen sicherheitspolitisch be-gründet werden.
Das weitere Festhalten an der allgemeinen Wehrpflichtohne stichhaltige sicherheitspolitische Begründung istschlicht illegitim.Bei einer intelligent angelegten Streitkräftestruktur,wie sie die FDP-Bundestagsfraktion vorschlägt und for-dert, muss überdies keiner der genannten Vorteile einerWehrpflichtarmee aufgegeben werden.Problematisch erscheint zusätzlich, dass mittlerweilemehr von Wehr- und Ersatzdienstwillkür denn von Wehr-und Dienstgerechtigkeit gesprochen werden muss. Inden neuesten Planungen von Minister Struck werden we-niger als 20 Prozent der Wehrpflichtigen zur Bundes-wehr einberufen. Von Gerechtigkeit kann nicht einmalmehr im Ansatz gesprochen werden.Ich komme auf die „Information für die Truppe“ zu-rück. Hier erklärt der Sprecher der Grünen, HerrNachtwei, dass er und die Grünen insgesamt für eineFreiwilligenarmee einträten. Ich bin gespannt, wie diegrüne Rednerin gleich begründen wird, warum Sie denAntrag der FDP ablehnen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter
Bartels, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Einmal mehr befassen wir uns heute in diesemHause auf Antrag der FDP-Fraktion mit der Aussetzungder Wehrpflicht,
offenbar einem Herzensanliegen der Liberalen. Denn be-reits in der vergangenen Wahlperiode haben sie drei An-träge gleichen Inhalts in den Bundestag eingebracht.Eine Mehrheit haben sie dafür nicht gefunden. Sie wer-den sie auch heute nicht erhalten. Unsere Position, dieWehrpflicht beizubehalten, hat nichts von ihrer Richtig-keit verloren.zudDAVsAItewgSIpsmßFmWtedDsP
ch verstehe das, weil Ihre Ablehnung erst neueren Da-ums ist.Sie haben in dieser Frage in den vergangenen Jahreninen weiten Weg zurückgelegt. Wolfgang Gerhardt ant-ortete 1995 jenen, die nach dem Ende des Kalten Krie-es die Wehrpflicht infrage stellten:Die Verteidigung unserer Freiheit muss auch in Zu-kunft die Angelegenheit aller bleiben. Der Schutzvon Freiheit und Recht ist nicht ausschließlich alsLeistung von Berufssoldaten zu verstehen. TheodorHeuss hat die Wehrpflicht deshalb zu Recht als le-gitimes Kind der Demokratie bezeichnet. Der frü-here Bundespräsident hat sie als konstitutivesMerkmal unserer Streitkräfte genannt.Wir sprechen uns für die Beibehaltung der Wehr-pflicht aus. Sie ist Ausdruck des Willens einer De-mokratie, die Verteidigung der Freiheit als ständigeAufgabe in der gesamten Gesellschaft zu veran-kern. Wir werden den Gedanken der Wehrpflichtnicht aufgeben, nur weil es schwieriger gewordenist, eine Wehrpflichtarmee zu organisieren.o Herr Gerhardt.
ch sage: Richtig! Deshalb bleiben wir bei der Wehr-flicht und werden Ihren Antrag ablehnen.
Ihr Sinneswandel erfolgte im Sommer 2000. Er gingehr schnell. Noch kurz vor der parlamentarischen Som-erpause, am 7. Juni 2000, hat die FDP einen Entschlie-ungsantrag ins Parlament eingebracht, in dem ihreraktion sich für eine Reduzierung des Wehrdienstes aufaximal sechs Monate aussprach. Von einem Ende derehrpflicht war damals noch keine Rede.Aber kaum war die Sommerpause vorüber, überrasch-n Sie uns am 11. Oktober mit einem neuen Antrag, inem nun die Aussetzung der Wehrpflicht gefordert wurde.azwischen lag ein Parteitag, der – so kann man der Pres-eberichterstattung entnehmen – von der damals in Ihrerartei populären „Projekt 18“-Euphorie geprägt war.
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Dr. Hans-Peter BartelsDie „Frankfurter Rundschau“ kommentierte damals tref-fend,dass gravierende inhaltliche Positionsveränderun-gen allerdings einen höheren Glaubwürdigkeitsge-halt erreichten, könnte man sie denn von dem Ver-dacht befreien, sie seien doch nur Revuenummernin einer großen Profilierungsshow.
Wir Sozialdemokraten haben uns im Wahlprogrammzur Bundestagswahl 2002 ausdrücklich für die Wehr-pflicht ausgesprochen. Aber natürlich sehen wir, dass dieWelt und das sicherheitspolitische Umfeld sich gewan-delt haben und weiter wandeln und dass dies nicht ohneFolgen für die Bundeswehr bleiben kann. Deshalb ist esrichtig, die Wehrform immer wieder auf ihre Tauglich-keit zu überprüfen, wie es im Koalitionsvertrag unsererrot-grünen Regierung steht. Deshalb hat die Bundes-regierung seit ihrem Amtsantritt 1998 weit reichendeReformen der Streitkräfte auf den Weg gebracht.
Das ist kein einfacher Prozess, der auch nicht in kurzerZeit jedes Problem löst, doch wir sind auf dem richtigenKurs. Die Reform muss übrigens bei voller Fahrt vorge-nommen werden, denn parallel zum Umbau der Streit-kräfte sind mehr als 8 000 Soldaten im Auslandseinsatz.Seit Beginn unserer Regierungszeit sind Anforderun-gen an die Bundesrepublik Deutschland hinzugekom-men, die sich vorher niemand hätte träumen lassen: Ein-sätze gegen den Terrorismus wie auch unsereBeteiligung an der ISAF-Truppe in Afghanistan, weitaußerhalb des alten NATO-Gebiets – out of area, wieman früher sagte. Natürlich leisten Wehrpflichtige undauch Zeitsoldaten in Deutschland einen Beitrag zumKampf gegen den Terrorismus, wenn sie Kasernen unse-rer amerikanischen Verbündeten bewachen.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das ist nicht ein-fach ein Dienst, den man schlicht abschaffen kann.Der Bundesminister der Verteidigung hat deshalb imMai neue Verteidigungspolitische Richtlinien mit Vor-gaben für den künftigen Weg der Bundeswehr festgelegt.
Jetzt sind wir dabei, die Weiterentwicklung der Bundes-wehr zu konkretisieren. Peter Struck hat in seinemHause die entsprechende Weisung erlassen. Er hat sichin diesem Zusammenhang ausdrücklich dafür ausgespro-chen, an der Wehrpflicht von neun Monaten festzuhal-ten, sie aber neu auszugestalten und den neuen Struktu-ren und Aufgaben der Bundeswehr anzupassen. DieSPD-Fraktion begrüßt die Schritte, die der Minister be-absichtigt, auch sein Bekenntnis zur Wehrpflichtarmee.
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erbunden mit der Feststellung, dass der Wehrdienst sichen veränderten politischen Rahmenbedingungen anpas-en muss. Nur eine Wehrpflicht, die auf der Höhe dereit ist, wird Bestand haben. Wichtig ist für uns: Dieusgestaltung des Dienstes, Ausbildung und Aufgabenaben sich an den militärischen Erfordernissen zu orien-eren.Lassen Sie mich einige Worte zum verfassungsrecht-chen Rahmen sagen, weil in der öffentlichen Diskus-ion, auch von Ihnen, oft der falsche Eindruck erwecktird,
llein die sicherheitspolitische Notwendigkeit des Kaltenrieges habe die Wehrpflicht begründen können.Das Grundgesetz hat die Entscheidung zwischenehrpflichtarmee und Freiwilligenheer ausdrücklichem Gesetzgeber überlassen. Wir in diesem Hause ha-en diese politische Entscheidung zu treffen. Selbstenn Ihre Prämisse richtig wäre, dass die sicherheitspo-tische Lage keine Wehrpflicht mehr erfordere – was ichestreite, aber natürlich kann man darüber diskutieren –,ürde sich hieraus kein Automatismus für ihre Abschaf-ung ergeben.
Das ist Ihnen unbenommen. Es ist mir immer wiederine Freude, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Ich binir auch sicher, dass dies, nachdem Sie in der letztenegislaturperiode drei Anträge gestellt haben, nicht dertzte gewesen sein wird.Die Entscheidung für oder gegen die Wehrpflicht ist,o das Verfassungsgericht, eine grundlegende staatspoli-sche Entscheidung, die auf wesentliche Bereiche destaatlichen und gesellschaftlichen Lebens einwirkt undei der der Gesetzgeber neben verteidigungspolitischenesichtspunkten auch allgemeinpolitische, wirtschafts-nd gesellschaftspolitische Gründe zu bewerten und ge-eneinander abzuwägen hat. Dazu sind wir verpflichtet.ach Abwägung aller Argumente sprechen nach unsereruffassung auch unter den geänderten sicherheitspoliti-chen Rahmenbedingungen fast fünf Jahrzehnte nach ih-er Einführung gute Gründe für die Beibehaltung derehrpflicht.Die Wehrpflicht sichert die Professionalität der Bun-eswehr. 40 bis 50 Prozent aller Zeit- und Berufssolda-n entschließen sich während des Grundwehrdienstesür ein längerfristiges Engagement in den Streitkräften.erade vor dem Hintergrund der teilweise erheblichenrobleme zum Beispiel unserer NATO-Partner ohneehrpflicht, neues und vor allem qualifiziertes Personal
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Dr. Hans-Peter Bartelszu gewinnen, ist dies ein nicht zu unterschätzender Vor-teil des Wehrdienstes.Wehrpflichtige bringen ein großes Potenzial an allge-meiner und fachlicher Bildung mit. 30 Prozent derGrundwehrdienstleistenden haben die mittlere Reife,30 Prozent die Fachhochschulreife oder Abitur, fast40 Prozent eine abgeschlossene Berufsausbildung. DieWehrpflicht hat einen entscheidenden Anteil an der Pro-fessionalität unserer Bundeswehr.Auch die Möglichkeit, kurzfristig im Inland auf einegrößere Zahl von Soldaten zurückgreifen zu können, hatihren Sinn keineswegs gänzlich verloren. Dies gilt fürdenkbare Bedrohungen durch den Terrorismus ebensowie für Naturkatastrophen oder Unglücke.Vielleicht ist es auch hilfreich, sich ein paar Zahlen zuvergegenwärtigen: Mehr als 8 Millionen junge Männerhaben in der Bundeswehr seit ihrer Gründung gedient.Die Wehrpflicht sorgt – auch heute – in jedem Jahr fürden stetigen Austausch von rund 100 000 jungen Solda-ten; das ist ein gutes Drittel der gesamten Streitkräfte.Dadurch bleibt die enge Verbundenheit von Bundes-wehr und Gesellschaft gewahrt. Dies ist in Zeiten, indenen unsere Soldaten weit über die Grenzen NATO-Eu-ropas hinaus einen schwierigen und gefährlichen Dienstversehen, wichtiger als je zuvor.Es besteht ja nicht nur die Gefahr, dass sich das Mili-tär von der Gesellschaft abkapselt – das ist heute wirk-lich nicht unser Problem –, sondern auch, dass sich dieGesellschaft von der Bundeswehr abwendet, dass dasMilitärische dem Zivilen fremd wird. Dem beugt dieWehrpflicht mit ihren Grundwehrdienstleistenden undihren FWDLern erfolgreich vor. Das haben auch Siewahrscheinlich einmal so gesehen, aber heute vertretenSie eine andere Position.Das mag auch dazu beitragen, dass wir in Deutsch-land uns mit Auslandseinsätzen manchmal schwerer tunund die Bevölkerung sich stärker damit beschäftigt als inmanchen anderen Ländern. Das ist kein Nachteil. Im Ge-genteil, bei uns ist es mittlerweile eine gute, verfassungs-feste Tradition, dass Beschlüsse über Auslandseinsätzevom Parlament gefasst werden. Das ist gut so und dasbleibt so.Mit der Wehrpflicht stehen immer auch der Zivil-dienst und die Ersatzdienste bei freiwilligen Feuerweh-ren oder dem Technischen Hilfswerk zur Disposition.Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt bestätigt,dass die Politik die Auswirkungen auf den Zivildienst inBetracht ziehen darf. Aus meiner Sicht muss sie dasauch. Allerdings kann – das ist klar – der Zivildienstnicht zur Legitimation der Wehrpflicht als solcher heran-gezogen werden.
– Das tut der Minister nicht.
–heemgMZPmpwvaStslmiws1bAoAClTstsittümuH
hne Rücksicht auf die Auswirkungen, wie Sie in Ihremntrag fordern, lehnen wir ab.Schönen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anita Schäfer,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Der 11. September 2001 hat uns nicht nur denerrorismus als Bedrohung aufgezeigt. An diesem Tageind so gut wie alle Vorhersagen über die sicherheitspoli-ische Zukunft Deutschlands und seiner Verbündeten zu-ammengestürzt. Dies war auch für die Wehrpflicht undhre sachliche Notwendigkeit von nachhaltiger Bedeu-ung.Bevor ich zu der angeblich fehlenden Dienstgerech-igkeit komme, möchte ich Ihnen daher einige Worteber die sicherheitspolitische Sinnhaftigkeit der allge-einen Wehrpflicht sagen.Auslandseinsätze sind die große militärische Aufgabenserer Zeit, aber sie sind nicht alles. Nicht nur amindukusch, auch in Heidelberg hat die Bundeswehr
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5674 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Anita Schäfer
Aufträge zu erfüllen. Für beides brauchen wir die Wehr-pflicht, aber eine Wehrpflicht, die sinnvoll gestaltet wird.Die Debatte über den Sinn der Wehrpflicht wurde erstrichtig laut, als Rot-Grün den Wehrdienst auf neun Mo-nate verkürzt hat. Diese neun Monate sind die Schmerz-grenze; für manche Einheiten ist sie damit sogar über-schritten, weil der Verkürzung keine konsequenteStrukturreform folgte. Dauer und Inhalte müssen einGanzes ergeben.Aus den zahlreichen Gründen für eine Wehrpflicht– etwa Nachwuchsgewinnung, Verankerung der Truppein der Bevölkerung, Aufwuchsfähigkeit der Truppe, bes-sere Qualifikation der Rekruten und besonders derMannschaften, bessere soziale Mischung der Soldaten inder Bundeswehr – greife ich drei heraus: die Aufwuchs-fähigkeit der Truppe, die Bedeutung der Wehrpflichtigenauch für Auslandseinsätze und die soziale Mischung inder Bundeswehr.Im August habe ich die Bundesregierung gefragt, wieviele zivile Infrastrukturobjekte mit militärischer Be-deutung von der Bundeswehr betreut werden. Es sindetwa 3 500 zivile Objekte. Es geht hier also nicht umKasernen, Depots und Stützpunkte. Für diese 3 500 Ob-jekte – darunter Bahnhöfe, Tankanlagen und Eisenbahn-brücken – sind nach Auskunft der Regierung immerhin25 000 nicht aktive Soldaten der Heimatschutztruppevorgesehen.
– So würde ich das nicht bezeichnen. – Diese Zahl wirktimposant; aber rechnen wir nach: Das sind 7,1 Soldatenpro Objekt. Damit kann vielleicht tagsüber eine Eisen-bahnbrücke bewacht werden, aber kein Fernbahnhof undkein großes Tanklager.Warum habe ich Heidelberg erwähnt? In Heidelbergbewacht die Bundeswehr eine US-Liegenschaft mit Sol-daten, die aus der aktiven Truppe zusammengesuchtwurden. Hier und an anderen Standorten stehen vonBootsbesatzungen der Marine bis zu Angehörigen derLuftwaffe Soldaten, die in einem Spannungsfall andereAufgaben erfüllen müssen, also dann nicht mehr zurVerfügung stehen. Nur die Wehrpflicht schafft hier Per-sonalreserven, nur sie hat die wichtige Aufwuchsfähig-keit, die aktive Truppe zu entlasten.Die Polizei ist heute auch ohne Krisen schon überlas-tet. Wir benötigen klare Rechtsgrundlagen und Zustän-digkeiten, um in besonderen Gefährdungslagen den Ein-satz der Bundeswehr im Rahmen ihrer besonderenMöglichkeiten ergänzend zu Polizei und Bundesgrenz-schutz zu ermöglichen. Sie sehen also: Die schmalenRessourcen für diese wichtige Aufgabe ruhen auf denSchultern unserer Wehrpflichtigen. Ohne Wehrpflichthätten wir diese Reserven nicht.Die Zukunft der Wehrpflicht liegt daher auch in ei-nem modernen Konzept für den Heimatschutz. Nichtnur im Objektschutz: Wehrpflichtige können auch alsSanitäter, Pioniere oder ABC-Abwehrsoldaten in einemneu organisierten Heimatschutz wichtige Aufgabenübernehmen. Ob Flutkatastrophe, Anschlag mit C-Waf-fmewMgTpASptwpswiBpbtWnnRgMAdBgtmehvsWnmdvsreZvVgegwW
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5675
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Marianne Tritz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Frage der Abschaffung oder Aussetzung der Wehr-pflicht ist ein Abwägungsprozess. Deshalb, HerrNolting, können wir die Diskussion ganz unaufgeregtund in aller Ruhe führen.
Das Hauptargument für den Erhalt der Wehrpflicht istdie Nachwuchsrekrutierung. Wir holen pro Jahr circa100 000 junge Männer aus ihrer Lebensplanung zumDienst an der Waffe, damit einige wenige Tausend übrigbleiben, die sich nach dem Grundwehrdienst als Berufs-soldaten verpflichten. Jedem einzelnen jungen Mann,der zum Wehrdienst herangezogen wird, müssen wir er-klären, warum ausgerechnet er zur Bundeswehr mussund der gleichaltrige Freund von nebenan nicht, warumer, wenn er verweigert, einen mehrmonatigen Ersatz-dienst leisten muss, die Freunde aber gleich eine Berufs-ausbildung oder ihr Studium beginnen dürfen. Von Ge-rechtigkeit, von Wehrgerechtigkeit kann hier keine Redesein.
Es gibt genügend junge Menschen, die eine Karriere beiden Streitkräften anstreben würden, wenn man ihnendenn ein attraktives Angebot unterbreitet, aber freiwilligund zu einer Zeit, die in ihren persönlichen Lebensent-wurf passt.Mit dem Ende des Kalten Krieges steht die klassischeLandesverteidigung nicht mehr im Vordergrund. Heutehaben wir es mit Bedrohungen zu tun, die anderer Artsind. Der internationale Terrorismus, Regionalkonflikte,neue asymmetrische Kriege usw. ergeben für die Streit-kräfte gänzlich neue Aufträge, zum Beispiel Peacekee-ping-Einsätze. Diese neuen Anforderungen an dieBundeswehr erfordern eine moderne Ausstattung, eineszwEdmkBmTrunawwWSDttubmnSduFwdAeIvWs
Ausgerechnet mit der antiquierten Wehrpflicht wollenir die Bundeswehr reformieren? Das ist fragwürdig.ine flexible, moderne Einsatzarmee, bestehend aus Sol-aten, die wir zwangsverpflichten, ist nicht mehr zeitge-äß.
Unsere europäischen Nachbarn haben das längst er-annt; Sie haben es angesprochen. Frankreich, Spanien,elgien und die Niederlande haben keine Wehrpflichtehr. In Italien, Portugal, der Slowakei, in Slowenien,schechien und Ungarn wird sie spätestens in drei Jah-en ausgesetzt oder abgeschafft sein. Die USA, Kanadand Großbritannien haben sowieso keine.Wir können von unseren europäischen Partnern ler-en, dass die positiven Erfahrungen bei der Umstellunguf eine Berufsarmee überwiegen und welche Fehlerir vermeiden können. Die Niederländer zum Beispieliderlegen die Bedenken gegen eine Abschaffung derehrpflicht ganz deutlich. In den Niederlanden ist keintaat im Staate geschaffen worden.
as Ansehen der Streitkräfte ist hoch. Die Berufssolda-en sind in der Gesellschaft stark verwurzelt. Das Rekru-ieren von Nachwuchs gelingt mittlerweile durch einmfangreiches Maßnahmenpaket, mit dem das Bewer-eraufkommen erhöht wurde. Die Armee wurde refor-iert, effizienter und letztendlich kostengünstiger.Wer behauptet, eine Berufsarmee könne sich zu ei-em Söldnerheer entwickeln, unterschätzt, dass deutscheoldaten zum Staatsbürger in Uniform ausgebildet wer-en
nd dass wir seit Jahrzehnten viel Wert auf die innereührung legen, die selbstverständlich weiterentwickelterden muss. Auch unsere jetzigen Berufs- und Zeitsol-aten sind keine Rambos, sondern Menschen, die ihreufgaben verantwortungsvoll ausüben.
Die Wehrpflicht hat keine Zukunft und es ist nur nochine Frage der Zeit, bis die Freiwilligenarmee kommt.m Zuge der weiteren Reformen der Bundeswehr ist eson daher nur konsequent, jetzt den Ausstieg aus derehrpflicht zu planen. Die Wehrpflicht ist ein Hemm-chuh für Reformen, sie ist ein Auslaufmodell.
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Marianne TritzLiebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir be-grüßen Ihr Engagement, schließlich greifen Sie einegrüne Herzensangelegenheit auf. Wir haben aber noch– jetzt verrate ich kein Geheimnis – Diskussionsbedarfmit unserem Koalitionspartner.
Das halte ich bei der Tragweite dieser Entscheidungauch für völlig in Ordnung. Wir brauchen dazu Zeit undwir werden sie uns nehmen.
Ich sehe, dass Sie momentan Schwierigkeiten im ei-genen Lager haben. Sie haben sich weitestgehend margi-nalisiert und brauchen natürlich dringend ein Thema, mitdem Sie in der Öffentlichkeit wieder wahrgenommenwerden.
Das ist natürlich auch nachvollziehbar und ich kann ver-stehen, dass Sie die Regierungsfraktionen vor sich her-treiben wollen; uns ist das Thema aber zu wichtig dafür.
Schließlich geht es um die Zukunft der Bundeswehr.Danke.
Frau Kollegin Tritz, dies war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich und
wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Jürgen Herrmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Kollegin, auch ich beglückwünsche Sie zu Ihrerersten Rede und wünsche Ihnen alles Gute auf Ihremweiteren Weg in diesem Hohen Hause.Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Heute diskutieren wir über die Aussetzungder Wehrpflicht. Für meine Kolleginnen und Kollegender FDP ist das die Lösung schlechthin. Für mich bedeu-tet sie jedoch den Einstieg in den Ausstieg aus der Wehr-pflicht.Natürlich ist es legitim, die Wehrpflicht nach 50 Jah-ren auf den Prüfstand zu stellen. Es ist keine Frage, dasswir es heute mit anderen sicherheitspolitischen Anforde-rungen zu tun haben. Das Freund-Feind-Bild hat sichmassiv verschoben. Nicht mehr die Bedrohung durch dieStaaten des ehemaligen Ostblocks steht im Fokus derAGssbwaiDdSMflddsultiatupwdSiDBHRfrdFdznskzdnsusmumKk2
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Das letzte Weißbuch wurde 1994 in Umlauf gebracht.Das neue Weißbuch ist für 2005 angekündigt. Ich bin ge-spannt, ob es die Bundesregierung nach ihren vielen An-kündigungen schafft, diesen Zeitplan einzuhalten.Stichwort Wehrgerechtigkeit. Darüber ist schon vielgesagt worden. Deshalb mache ich nur noch eine kurzeAnmerkung. Neu gefasste Auswahlkriterien sind ein ers-ter Ansatz. Es ist positiv zu sehen, dass familiären Ver-pflichtungen Rechnung getragen wird und eine Ausbil-dung zunächst abgeschlossen werden kann. Wir müssenaber aufpassen, dass dies nicht in die falsche Richtunggeht. Eine Reduzierung der Anzahl an Wehrpflichtigenund der Grundwehrdienstdauer wäre kontraproduktivund käme einer Aushöhlung gleich.
Das Verfassungsgericht hat in seinem Beschluss vomFrühjahr dieses Jahres grundsätzlich die Verfassungs-mäßigkeit der Wehrpflicht ein weiteres Mal eindeutigbestätigt. Es hat den gesellschaftspolitischen Aspekt her-vorgehoben. Im Urteil ist unter anderem von „der Rekru-tierung qualifizierten Nachwuchses … nach … der poli-tischen Klugheit“ die Rede.Daraus ergibt sich für mich nur eine Bewertung: Werdie Wehrpflicht allein aus Kostengründen abschaffenwill, ist einäugig. Wer sie aussetzen will und glaubt, sieproblemlos wieder einführen zu können, ist blauäugig.Wer aber die Wehrpflicht erhält und damit gesellschaft-lich akzeptierte Risikovorsorge langfristig betreibt, han-delt weitsichtig.Lassen Sie uns die Erfolgsgeschichte der allgemeinenWehrpflicht fortschreiben! Aus den genannten gesell-schafts- und sicherheitspolitischen Gründen kann es kei-nen anderen Weg geben.DfvsAmiDHc5kfvFuJzddeetwdfdmd
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/1357 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas
Strobl , weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur wirksamen Bekämp-
– Drucksache 15/1560 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie da-
it einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann
st das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
r. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! 16 426 Personenfahndungserfolge, die Aufde-kung von 6 789 unerlaubten Einreisen, von fast0 000 Straftaten und circa 45 000 Ordnungswidrig-eiten. Was sagen uns diese Zahlen? – Dies ist die Er-olgsbilanz der lagebildabhängigen, also der erlaubtenerdachtsunabhängigen Kontrolle an Bahnhöfen, anlughäfen und in Zügen zwischen dem 1. Januar 1999nd dem 31. Dezember 2002, also innerhalb von vierahren. Die BGS-Beamten sind berechtigt, dort Personenu befragen und Ausweise zu kontrollieren. Aufgrunder guten Arbeit der Beamten hatte jede 20. Kontrolle,ie im Rahmen dieser Befugnis durchgeführt wurde,ine Strafanzeige zur Folge. Durch die Befragung kams zu über 10 000 Aufenthaltsermittlungen. Diese erwei-erte Befugnis in § 22 Abs. 1 a Bundesgrenzschutzgesetzurde 1998 jedoch zeitlich begrenzt und läuft zum Endeieses Jahres aus.Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diese Er-olgsgeschichte der BGS-Beamten, die übrigens nururch die Initiative eines CDU-Bundesinnenministersöglich wurde, durch die genannten Kontrollbefugnissees Bundesgrenzschutzes auch in Zukunft fortsetzen.
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Dr. Ole SchröderDas ist im Sinne einer effektiven Bekämpfung der illega-len Einreise geboten.Es hat sich gezeigt, dass die Möglichkeit der ver-dachtsunabhängigen Kontrollen erhebliche Vorteile mitsich bringt. Die seit Bestehen der Regelung erzielten be-achtlichen Erfolge basieren auf den verbesserten Über-prüfungsmöglichkeiten. Solche Erfolge wären ohne einesolche Regelung nicht möglich gewesen. Die verdachts-unabhängige Kontrolle ist darüber hinaus ein unverzicht-bares Instrument zur Bekämpfung des internationalenTerrorismus geworden.Auch die Bekämpfung der menschenverachtendenSchleuserkriminalität konnte durch die Regelung er-heblich verbessert werden. Verbrechen an Frauen, dienach Deutschland gebracht wurden, um zur Prostitutiongezwungen zu werden, konnten in erheblicher Zahl auf-gedeckt und verhindert werden. Bedenken Sie, meineDamen und Herren, dass die Bekämpfung der organi-sierten Kriminalität nicht nur an den europäischen Au-ßengrenzen, sondern auch im Inland geführt werdenmuss. Ein Wegfallen dieser Befugnis hätte fatale Folgenfür unsere innere Sicherheit.
Umso unverständlicher ist es, dass es diese Regierungmit Innenminister Schily zunächst versäumt hat, eineVerlängerung der Befugnis in Angriff zu nehmen. Erstaufgrund des Antrags der CDU/CSU-Fraktion hat dieBundesregierung ihr Versäumnis eingestanden und istselbst aktiv geworden.
Leider sind Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht unseremVorschlag gefolgt, die Frist um fünf Jahre zu verlängern.Mit Ihrer dreieinhalbjährigen Verlängerung greifen Siezu kurz. Warum ausgerechnet dreieinhalb Jahre? Konntesich die Regierungskoalition wieder einmal nicht eini-gen? Es hört sich mal wieder wie ein fauler Kompromisszwischen Rot und Grün an.
Darüber hinaus folgen Sie nicht unserem Vorschlag, vorAblauf der neuen Frist einen Evaluierungsbericht zuerstellen.
Übrigens, meine lieben Kolleginnen und Kollegenvon der Fraktion der Grünen: Ich habe mich unheimlichgefreut, als ich erfahren habe, dass Sie unserem Antragdem Grunde nach zustimmen werden, zumal sich in demProtokoll der ersten Lesung vor Einführung der Maß-nahme folgende Aussage Ihres damaligen Fraktionsvor-sitzenden Rezzo Schlauch finden lässt:
Diese Maßnahme ist einer Demokratie unwürdig.Sie passt in einen Polizeistaat, nicht in die freiheit-LidshnaKwAAwgszfStSHdvgdsunl
iebe Kollegen von den Grünen: Herzlich willkommenm 21. Jahrhundert!
Natürlich sind wir uns auch bewusst, dass diese ver-achtsunabhängigen Kontrollen Eingriffe in die per-önliche Freiheit des Kontrollierten bedeuten. Darüberinaus verursachen diese Überprüfungen natürlich auchicht zu vernachlässigende Kosten durch die BGS-Be-mten. Wir denken jedoch, dass diese Einschnitte undosten verhältnismäßig sind.Meine Damen und Herren, wir verzeichnen eineachsende grenzüberschreitende Kriminalität und einnsteigen der unerlaubten Zuwanderung mit negativenuswirkungen auf die innere Sicherheit. Daneben stehenir kurz vor der EU-Osterweiterung. Vor diesem Hinter-rund muss der Bundesgrenzschutz in der Lage sein,eine grenzpolizeilichen Aufgaben effektiv und effizientu erfüllen.Die seit 1998 eröffneten erweiterten Möglichkeitenür den Bundesgrenzschutz müssen erhalten bleiben.timmen Sie deshalb gemeinsam mit uns unserem An-rag zu.
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Kemper,
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Kollege Schröder, wenn man Ihre Rede hört,
ann muss man den Eindruck erhalten, wir seien hieröllig unterschiedlicher Meinung. Sie versuchen, Ge-ensätze zu konstruieren, wo keine sind.
Worum geht es hier? Es geht darum, die Gültigkeits-auer eines Gesetzes, bei dem wir inhaltlich überein-timmen, zu verlängern. Dessen Gültigkeit würde ohnenser Eingreifen zum Jahresende auslaufen. Unser In-enminister hat die Initiative sehr frühzeitig und vor al-en Dingen rechtzeitig auf den Weg gebracht.
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Hans-Peter Kemper– Sie können die Urheberschaft gerne für sich mit bean-tragen. Da sind wir relativ großzügig.
Sie weisen darauf hin, dass die Initiative ursprünglichvon einem anderen Bundesinnenminister ausgegangenist; das ist genauso richtig. Allerdings haben Sie verges-sen, zu erwähnen, dass sich dieser Bundesinnenminister,der mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der organisiertenKriminalität sicherlich Gutes geleistet hat, anschließendselbst im Dunstkreis der organisierten Kriminalität be-wegt hat und dann gehen musste,
weil er Bilanzfälschungen und Steuerhinterziehungenbegangen und Geld gewaschen hat.
Das sollte man nicht vergessen. Wenn Sie den einen Teilerwähnen, dann sollten Sie den anderen auch erwähnen.
Es ist richtig, dass das Bundesgrenzschutzgesetz imAugust 1998 geändert worden ist. Die 30-Kilometer-Grenze wurde aufgehoben und die Befugnisse des Bun-desgrenzschutzes sind auf Bahnanlagen und Verkehrs-flughäfen erweitert worden. Das hat sich in zweierleiHinsicht bewährt: zum einen bei der Verhinderung undUnterbindung der illegalen Einreise und zum andereninsbesondere nach dem 11. September 2001 als wichti-ges Fahndungsinstrument im Rahmen der Bekämpfungdes internationalen Terrorismus.Es ist selbstverständlich, dass ein freiheitlicher Staatmit offenen Grenzen wie Deutschland auf solche Instru-mentarien nicht verzichten kann. Es gibt ein hohes Maßan Reisetätigkeit. Die grenzüberschreitenden Reisen ge-hören zu unserem Lebensstandard und zur Lebensquali-tät. Man muss allerdings darauf reagieren. Ein Instru-ment ist die Grenzüberwachung in der Form, wie siedurch den Bundesgrenzschutz jetzt durchgeführt wird.Dieses Instrument verliert bei offenen Grenzen natürlichzunehmend an Wirkung. Nach der Osterweiterung wirdes noch weiter an Wirkung verlieren. Deswegen ist esrichtig, dass dem Bundesgrenzschutz durch das Gesetzlagebedingte Kontrollmöglichkeiten auf Flughäfenund Bahnhöfen mit internationalen Verbindungen ein-geräumt werden.
Es ist auch richtig, dass der Bundesgrenzschutz sehrerfolgreich gearbeitet hat. Sie haben einige Zahlen ge-nannt. Es gab über 30 000 Anzeigen wegen Verstoßesgegen das Ausländergesetz, über 4 000 Anzeigen wegendes Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetzsowie gegen das Betäubungsmittelgesetz, über4 000 Festnahmen und über 10 000 erfolgreich abge-schlossene Aufenthaltsermittlungen. Das alles ist richtig.Daneben hat es Aufgriffe gegeben. In vielen dieser Fällewurde Rauschgift transportiert oder es wurde Menschen-hdbwGsgrffedrgLwnFvdkwgiEesbDdssdBBWmsSdm
Das tun wir. Deswegen wird der Frage der Entfristungn der nächsten Legislaturperiode eine ausreichendevaluierung vorangehen, bei der aufgelistet wird, obine Verlängerung sinnvoll ist oder nicht. Ich denke, wirind auf einem guten Weg. Ich bin sicher, dass wir unsis zur zweiten und dritten Lesung über diese zeitlicheiskrepanz einigen werden;
enn inhaltlich haben Sie an diesem Gesetz nichts auszu-etzen.
Ich denke, die Verlängerung der Befristung dieses Ge-etzes um dreieinhalb Jahre ist ein wichtiger Beitrag füren Bundesgrenzschutz und die innere Sicherheit. Derundesgrenzschutz und die Länderpolizeien leisten imereich der inneren Sicherheit hervorragende Arbeit.ir sind verpflichtet, ihnen dazu die nötigen Instru-ente an die Hand zu geben. Dieses Gesetz ist eines die-er Instrumente. Ich kann Sie nur ermuntern: Machenie mit, damit wir im Bereich der inneren Sicherheitem Bundesgrenzschutz und den Länderpolizeien ge-einsam helfen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Gesetz, über dessen Befristungsverlänge-
rung heute diskutiert wird, ist 1998 auf Initiative des da-
maligen Innenministers Kanther gegen Ende der Legis-
laturperiode verabschiedet worden. Die FDP – damals
zusammen mit der CDU/CSU in der Regierung – hat
ihm im Wege eines Kompromisses zugestimmt, obwohl
es in unserer Fraktion gewisse Bedenken gegen die Ein-
führung verdachtsunabhängiger Kontrollen gegeben hat.
Wir haben damals aber durchgesetzt, dass diese neue
Befugnis zunächst auf fünf Jahre beschränkt wird, weil
wir der Meinung waren, das sei der ausreichende Zeit-
rahmen, um zu klären, ob sich eine solche Neuregelung
in der Praxis bewährt. Die fünf Jahre sind übrigens be-
wusst gewählt worden, weil wir die Diskussion über eine
Verlängerung oder Beibehaltung der Regelung aus dem
Bundestagwahlkampf 2002 herausnehmen wollten.
Daher können wir heute sine ira et studio über die
Fortführung sprechen. Wir alle stellen fest, dass diese
verdachtsunabhängigen Kontrollen ohne Zweifel zu
Fahndungserfolgen geführt haben. Insofern wundere
ich mich sowohl über den Antrag der CDU/CSU als
auch über die Ausführungen der SPD, in denen Sie beide
für eine weitere Befristung eintreten, nachdem Sie in Ih-
ren Redebeiträgen zum Ausdruck gebracht haben, dass
dies eine unverzichtbare Maßnahme sei. Ich kann nicht
verstehen, warum Sie nicht für eine Verlängerung
schlechthin eintreten.
Wir von der FDP können es uns allerdings nicht so
leicht machen, und zwar aus folgendem Grund.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Koschyk?
Nein, ich möchte meinen Gedanken im Zusammen-
hang vortragen. – Nach wie vor gilt, dass verdachtsun-
abhängige Kontrollen ein Fremdkörper in unserem
Rechtssystem sind.
Für einen polizeilichen Eingriff musste vor der Befug-
niserweiterung ein konkreter Verdacht als Voraussetzung
vorliegen. Der Wegfall dieser Voraussetzung war neu.
Daher muss man schon genau fragen: Ist dies wirklich
notwendig? Wir hatten gestern ein Gespräch mit Prakti-
kern des Bundesgrenzschutzes, die sehr wohl der Mei-
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arüber wollen wir uns im Ausschuss noch einmal prä-
ise informieren.
Ich nenne noch ein Argument, das wir in den Aus-
chussberatungen bedenken sollten. Wir haben der Be-
ugniserweiterung damals zugestimmt, weil wir nicht
ollten, dass es beim Wegfall der Grenzkontrollen eine
icherheitslücke gibt. Infolge dessen hat es eine Logik,
enn im Grenzraum verdachtsunabhängig kontrolliert
ird. Wir haben dem Gesetz damals im Wege des Kom-
romisses zugestimmt. Der jetzige Gesetzentwurf geht
ber viel weiter und lässt diese verdachtsunabhängigen
ontrollen praktisch im gesamten Bundesgebiet zu. Je
eiter die Kontrolle räumlich von einer Grenze entfernt
st, umso mehr fehlen die Logik und die Rechtfertigung,
ine solche verdachtsunabhängige Kontrolle als Ersatz
ür eine Grenzkontrolle einzuführen.
Aus diesem Grunde bitte ich um Verständnis dafür,
ass wir von der FDP uns heute noch nicht auf unser Vo-
um festlegen, sondern dass wir zunächst im Innenaus-
chuss in einem Fachgespräch – vor allem mit Prakti-
ern – das Für und Wider erörtern möchten.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Silke Stokar.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichenke, dass der Herr Abgeordnete Stadler in sehr char-anter und offener Weise noch einmal deutlich gemachtat, wie problematisch die Rolle der Opposition in dernnenpolitik ist, wenn sie vorher an der Regierung betei-igt war. Das gilt insbesondere, wenn es sich um denleineren und bürgerrechtlich orientierten Partner han-elt.
Ich habe noch einmal die Protokolle der Anhörungelesen, die 1998 im Zusammenhang mit der Schaffunger Sonderbefugnis – Herr Stadler hat das hier nochinmal deutlich gemacht – stattgefunden hat. Ich mussich nicht von Rezzo Schlauch distanzieren, weil das,as er damals gesagt hat und was Sie nicht aufgenom-en haben, im Kern nach wie vor richtig ist.
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Silke Stokar von NeufornWir sollten nicht so tun, als hätten wir nicht im Polizei-recht eine Sonderbefugnis geschaffen, die natürlich einsehr relevanter Eingriff in Grundrechte ist und die vonder in der Strafprozessordnung geltenden Unschuldsver-mutung abweicht.
Wir haben die Ermächtigung geschaffen, Bürgerinnenund Bürger verdachtsunabhängig und anlassunabhängigzu kontrollieren. Wir haben den Begriff der Präventionsehr weit gedehnt. Ich teile die damals geäußerte Kritik.Ich mache mir allerdings auch keine Illusionen undglaube nicht, dass wir uns jetzt, nachdem die Schleier-fahndung in allen Landespolizeigesetzen verankert ist,in einer Situation befinden, die es uns erlaubt, eine sach-liche Diskussion darüber zu führen, ob tatsächlich dieRegelung in § 22 des BGS-Gesetzes zu den Fahndungs-erfolgen geführt hat, von denen der Erfahrungsberichtspricht, oder ob nicht in vielen Fällen zumindest ein va-ger Anlass für eine Kontrolle bestanden hat.Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir den Begriffder „verdachtsunabhängigen Kontrolle“ durch „lagebild-abhängige Kontrolle“ ersetzen, weil sich „verdachtsun-abhängig“ so schlecht anhört. Tatsächlich ändert sichnichts, denn die Lagebilder, die den Kontrollen zugrundeliegen, ergänzt durch grenzpolizeiliche Erkenntnisse,sind nicht dokumentiert und nicht definiert. Sie sind we-der zeitlich noch räumlich begrenzt.
Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger haben de factonicht die Möglichkeit, den Klageweg zu beschreiten.Die damals in der Anhörung geäußerten Kritikpunktesind im Bundesrat insbesondere von CDU/CSU-geführ-ten Ländern geteilt worden. So wurden Zweifel an einergrundgesetzkonformen Kompetenzabgrenzung geäu-ßert. Darüber wurde 1998 – das ist noch nicht so langeher – auch im Bundesrat eine intensive Debatte geführt.Ich teile die Kritik; denn ich habe mich sehr intensiv mitdem Erfahrungsbericht befasst und habe Zweifel an dertatsächlichen Effektivität der Befugnisnorm. § 22 desBundesgrenzschutzgesetzes ist geschaffen worden, umdie grenzüberschreitende Kriminalität zu reduzieren. Dieim Bericht aufgeführten Zahlen stehen tatsächlich je-doch zu weniger als 1 Prozent mit einem illegalenGrenzübergang im Zusammenhang. Ich erwarte insofernkeinen Erfahrungsbericht, sondern eine ehrliche undwissenschaftliche Evaluation.
Ich habe nur noch wenig Redezeit, die ich dazu nut-zen möchte, Ihnen unsere Position zu erläutern. Weil diedamals vom Parlament in Auftrag gegebene Evaluierungnicht vorliegt,
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Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich binchon froh, dass wir uns wenigstens grundsätzlich da-über einig sind, dass die Frist verlängert werden soll.
ann kann auch jeder hier mit einem Lorbeerkranz auf-reten. Herr Schröder hat festgestellt, seine Fraktion habeas erreicht. Wissen Sie, Herr Kollege Schröder, dasanze erinnert mich etwas an meine Kindheit. Ich hatteen Berufswunsch, Lokomotivführer zu werden, und riefmmer, wenn der Zug abfuhr, „Puff! Puff!“, zog an ir-endwelchen Hebeln und meinte, dadurch setze sich derug in Bewegung.
enn das Ihrer Vorstellung von Gesetzgebung ent-pricht, lasse ich sie Ihnen gerne. Sie ist aber eher einellusion.
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass jeder Bun-esinnenminister, der die Erkenntnisse, die wir aufgrunder Erfahrungen mit der neuen Vorschrift gewonnen ha-en, kennt, dafür eintreten muss, diese Befugnis desundesgrenzschutzes – das heißt der Bundespolizei, wieiese Polizeieinheit künftig heißen wird – beizubehalten.Was die hinsichtlich der weiteren Befristung in deroalition durchaus bestehenden Meinungsunterschiede
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Bundesminister Otto Schilyangeht, muss ich sagen – darauf hat der Kollege Stadlerschon hingewiesen – dass es diese auch in der damaligenKoalition gegeben hat. Das wollen wir doch nicht weg-diskutieren.
Allerdings dürfen wir die Fakten auch nicht durchei-nander bringen, Frau Kollegin Stokar.
Sie haben die Strafprozessordnung erwähnt, die aber mitdem heutigen Thema nichts zu tun hat.
Sie haben in Ihrem nächsten Satz selbst festgestellt, dasses um polizeiliche Prävention geht. Es geht in der Tatnur darum. Lassen Sie die Strafprozessordnung beiseite!Die Opposition macht im Zusammenhang mit der Aus-weisung und der Einreise immer wieder denselben Feh-ler. Diesen Fehler sollten Sie sich nicht aneignen.
– Es ist gut, dass Sie aufseiten der CDU/CSU klatschen,wenn ich Ihnen Ihren Fehler vorhalte.
Ich glaube auch nicht, Frau Kollegin Stokar, dass wirunbedingt immer Regelungen treffen sollten, durch diemöglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern ein Klage-weg eröffnet wird. Wir haben heute bereits über den Bü-rokratieabbau geredet. Manche sagen, unser Rechtsstaatsei zu einem Rechtswegestaat verkommen. Seien wir lie-ber froh, wenn wir solche Verfahren nicht brauchen.
Wir haben im Übrigen eine Evaluierung vorgenom-men, Frau Kollegin Stokar. Es gibt einen ausführlichenBericht des Bundesgrenzschutzes. Sie haben die Zah-len bereits gehört, wir müssen sie nicht wiederholen.Herr Kollege Schröder hat sie aus der Antwort der Bun-desregierung vorgetragen. Das ist auch in Ordnung. Dasist – darauf möchte ich Sie aufmerksam machen – abernur ein Teil dieses Berichtes. Es gibt noch einen anderen.Die damalige Befristung hatte auch den Sinn, zu über-prüfen, ob eine solche Befugniserweiterung zu einer Be-lastung der Bevölkerung führt bzw. eine willkürlicheAmtsausübung zur Folge hat. Davor müsste man auf derHut sein. Deshalb halte ich an dem Ausdruck „lageab-hängige Kontrolle“ fest. Es geht nicht darum, Willkür zuetablieren, dass zum Beispiel ein Bundespolizeibeamteraus Willkür oder aus Jux und Tollerei irgendjemandeneiner Kontrolle unterwirft. Ich ermahne auch meineBundespolizeibeamtinnen und Bundespolizeibeamten,mudwiugmWawnmhtngittADnszStHdhdßkDlfgH
Ich möchte bei dieser Gelegenheit die Beamtinnennd Beamten dafür loben, dass sie ihre schwierigen Auf-aben mit großem Erfolg bewältigen. Wir sollten ge-einsam die Leistungen unserer Bundespolizei feiern.
enn Sie den Bericht genau studieren, dann werden Sieuch die Feststellung entdecken, dass es keine nennens-erten Beschwerden gibt. Das sollten Sie zur Kenntnisehmen.Bei allem Lob, das ich an alle Seiten verteilt habe,uss ich einen Wunsch äußern – Herr Kollege Stadlerat das schon erwähnt –, über den in den Ausschussbera-ungen diskutiert werden sollte. Nachdem wir eine ver-ünftige Evaluierung vorgenommen haben – darüberibt es, wie gesagt, einen ausführlichen Bericht –, sehech keinen einzigen Grund, warum wir eine neue Befris-ung vornehmen sollten – ich finde, an dieser Stelle soll-en wir konsequent sein –, es sei denn, jemand ist dernsicht, dass sich das geltende Gesetz nicht bewährt hat.ann muss man natürlich über eine weitere Befristungachdenken.Ich meine, dass wir das Gesetz unbefristet gelten las-en sollten. Aufgrund der Sachlage sehe ich keinen ein-igen Grund, das anders zu handhaben. Ich appelliere anie alle, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbei-en.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Baumann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen underren! Herr Minister Schily, ich finde es gut, dass Sieas geltende Gesetz heute sehr positiv darstellen. 1998atten Sie noch einige Vorbehalte gegen dieses Gesetz;as kann man im Protokoll nachlesen.Seit 1998 ist der Bundesgrenzschutz befugt, auch au-erhalb des 30-Kilometer-Grenzgebietes den Reisever-ehr auf Bahnhöfen und Flughäfen zu kontrollieren.iese Befugnis hat der Gesetzgeber damals vorbehalt-ich der EU-Osterweiterung aufgenommen. Er hat damitür eine sicherheitspolitische Kompensation des künfti-en Wegfalls der Binnengrenzen in der EU gesorgt.eute, nach fünf Jahren Probezeit, können wir diesem
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Günter BaumannInstrument im Kampf gegen die Schleuserkriminalitätein gutes Zeugnis ausstellen. Es hat sich bewährt und giltinzwischen als unverzichtbar für die Reduzierung derZahl der unerlaubten Einreisen.Vor allem haben sich auch die Beamtinnen und Beam-ten des Bundesgrenzschutzes bewährt. Sie haben für dieerfolgreiche Anwendung des Gesetzes in der Praxis ge-sorgt. An dieser Stelle muss auch gesagt werden: Das Ge-setz und seine Anwendung werden von der Bevölkerungsehr gut angenommen und finden breite Zustimmung.
Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, un-seren Beamtinnen und Beamten vom Bundesgrenzschutzfür ihre Arbeit ganz herzlich zu danken, die sie jedenTag für uns alle und für unsere Sicherheit leisten.
Der aktuelle Erfahrungsbericht des Bundesinnen-ministers zeigt, dass diese Regelung von 1998 bis heuteviel Positives gebracht hat. Meine Vorredner haben indiesem Zusammenhang bereits eine Reihe von Zahlengenannt, die ich nicht wiederholen möchte. Die erweiter-ten Kontrollmöglichkeiten des BGS haben sich auch alseine sinnvolle Verstärkung für die Arbeit von Zoll undLandespolizeien erwiesen.Die Frist für die verdachtsunabhängigen Personen-kontrollen läuft aber Ende 2003 aus. Daher hat die CDU/CSU-Fraktion – mein Kollege Schröder hat darauf be-reits hingewiesen – im September dieses Jahres den Ent-wurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Frist um fünfJahre eingebracht. Herr Minister, Sie schlagen eine Ver-längerung um dreieinhalb Jahre vor. So weit liegen wiralso nicht auseinander. Ich denke, man wird sich hiervernünftig verständigen können.Die Bundesregierung sollte aber nicht glauben – dasmöchte ich deutlich sagen, Herr Minister –, dass sie da-mit ihre Aufgaben, ihr Soll auf dem Gebiet der Sicher-heit im Grenzbereich vollkommen erfüllt hat. Deutsch-land ist für die Herausforderung der organisiertenKriminalität und des grenzüberschreitenden Men-schenhandels noch nicht ausreichend gerüstet. Wir ken-nen Statistiken, die belegen, dass Schleusergruppen al-lein mit dem Schmuggel von Menschen in Europa mehrals 5 Milliarden Euro verdienen. Das organisierte Ver-brechen floriert. Es ist gut ausgerüstet, verschiebt flexi-bel seine Marschrouten und nutzt zielstrebig Sicherheits-lücken, die irgendwo in der EU auftreten.In einem Bericht der EU-Kommission von 2003 heißtes: Die Sicherheit der Bürger vor der organisierten Kri-minalität und dem Schmuggel von Gefahrengütern hängtderzeit davon ab, wo die Grenzen der EU passierbarsind. Die Analyse kann für uns nur bedeuten: Auch nachdem Beitritt von Polen und Tschechien werden wir nochfür längere Zeit im Grenzbereich zu diesen Ländernhohe sicherheitspolitische Standards beibehalten müs-sen. Derart negative Beispiele, Herr Innenminister, wiebeim Digitalfunk können wir uns einfach nicht mehrleisten. Ich denke, durch die starre Haltung bei der Fi-ndavlzTdedJrzTtBhwhbOguBnnwDvPLrDSneMl
Der Bundesinnenminister – das muss ich für ihn, der jaormalerweise auf der Regierungsbank sitzt, in Anspruchehmen – ist der Einzige, der den Digitalfunk zum gegen-ärtigen Zeitpunkt wirklich energisch vorantreibt.
ie Schwierigkeiten liegen in der Tat bei den Ländern,or allen Dingen bei denen, die aus den Kreisen Ihrerartei regiert werden. Das ist die Realität.Es ist gerade ein Beschluss der Finanzminister deränder gefasst worden, in dem die provokante Forde-ung aufgestellt worden ist, 50 Prozent der Kosten desigitalfunks sollten vom Bund getragen werden. Wennie Bundestagsabgeordnete und nicht Landtagsabgeord-ete sind, dann müssten Sie einem solchen Beschlussntschieden widersprechen. Ich habe bisher keinenucks von Ihnen dazu gehört, außer im stillen Kämmer-ein. Verbreiten Sie also in dieser Frage keine falschen
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Otto SchilyNachrichten, sondern bleiben Sie bei der Wahrheit undunterstützen Sie das sehr wichtige und vernünftige Pro-jekt Digitalfunk in einer Weise, dass auch wirklich etwaszustande kommt. Das, was bisher stattgefunden hat,kann man nur als ewiges Karussellfahren bezeichnen.Anstatt nur über Finanzierungsfragen zu reden und sichdann nicht einigen zu können, sollte man lieber das tun,was ich jetzt tue, nämlich das Ausschreibungsverfahrenvoranbringen, damit am Ende ein Angebot der Industrievorliegt, welches als Grundlage der Diskussion über Fi-nanzierungsfragen dienen kann. Ich wäre Ihnen wirklichdankbar, wenn Sie in diesem Zusammenhang einen kon-struktiven Beitrag leisten und die Dinge derart verzerrtdarstellen würden.
Zur Erwiderung Herr Baumann, bitte schön.
Herr Abgeordneter Schily, ich möchte Ihnen etwas
entgegnen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Si-
cherheitsdienste und die Hilfsdienste dringend Digital-
funk brauchen. Es gibt in Europa nur zwei Länder, die
mit derart veralteten Funksystemen arbeiten: Albanien
und Deutschland.
Seit Jahren beschäftigen wir uns damit, seit Jahren wird
dieses Thema im Innenausschuss behandelt und seit Jah-
ren gibt es auch mit den Ländern keine Einigung.
Ich erwidere Ihnen: In den Bundeshaushalt für dieses
Jahr ist kein einziger Euro eingestellt, um dieses System
einzuführen.
Wenn es anders ist, dann berichtigen Sie mich bitte!
Herr Körper, ich gebe Ihnen das Wort. Bitte.
Herr Kollege Baumann, da Herr Abgeordneter Schily
Ihre Kurzintervention jetzt nicht mehr erwidern darf,
übernehme ich das gerne.
Erstens. Sie sollten hier keine falschen Zahlen und
Tendenzen verbreiten, insbesondere was die Entwick-
lung an unseren Grenzen, die illegale Migration und die
organisierte Kriminalität anbelangt. Die Zahlen zeigen,
dass wir in diesen Bereichen sehr erfolgreich arbeiten.
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aran erkennen Sie, dass die Forderung nach einer
0-prozentigen Beteiligung der Länder nichts als eine
lockade dieses Projekts darstellt.
s ist notwendig, dies einmal deutlich zu machen.
Da wir diese technischen Möglichkeiten in der Tat
rauchen, appelliere ich auch an Sie, Ihren Beitrag dazu
u leisten, dieses Projekt umzusetzen. Im Übrigen kön-
en Sie dem Haushaltsentwurf entnehmen, dass wir ei-
en Einstieg in dieses Projekt mit 5 Millionen Euro pla-
en. Das wird ausreichend sein. Ich weiß, dass es das ist,
as wir für das Jahr 2004 brauchen.
Entschuldigung, auch dieser Zwischenruf macht deut-
ich, Herr Grindel, dass Sie von dieser Materie keine Ah-
ung haben. Das habe ich Ihnen schon beim letzten Mal
estätigt.
Jetzt sind wir faktisch in eine kleine neue Debatte ein-
estiegen. Dazu sind Kurzinterventionen und Erwide-
ungen darauf eigentlich nicht da. Damit sie kurz reagie-
en können, werde ich den Kollegen Binninger und
urgbacher das Wort erteilen. Weitere Kurzinterventio-
en werde ich nicht zulassen; dazu müsste man sich
ämlich am Ende der Debatte gemeldet haben. Damit
lle fair behandelt werden, kommen sie beide noch an
ie Reihe.
Herr Binninger, bitte.
Herr Minister, Herr Staatssekretär, es wundert michchon, dass das Stichwort Digitalfunk ausreicht, damitie beide förmlich an die Decke gehen.
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Clemens BinningerDas scheint seinen Grund zu haben. „Getroffene Hundebellen“, so lautet ein Sprichwort.
Herr Minister, ich möchte auf einen Punkt hinweisen.Sie sagen, der Bund sei am Endgerätebereich mit nuretwa 8,5 Prozent beteiligt. Das trifft zu. Wenn die Rededavon ist, dass sich alle 16 Länder und der Bund zusam-mentun, weil sie nicht mehr bezahlen wollen, dann gehtes nämlich nicht um die Endgeräte, sondern um dieSumme der Mittel für den Netzaufbau. Die Endgerätegehören gar nicht dazu. Vom Netzaufbau haben die Bun-desbehörden einen noch größeren Vorteil. Sie werdenmir zustimmen müssen, wenn ich behaupte, dass da10 Prozent zu wenig sind.Ich habe Ihnen schon in der letzten Debatte gesagt:Dieses Projekt wird scheitern, wenn der Bund nicht be-reit ist – sicherlich müssen sich auch die Länder bewe-gen –, mehr als 10 Prozent beizusteuern. Wenn der Bunddies nicht tut, dann nimmt er sehenden Auges das Schei-tern dieses Projektes in Kauf. Dafür wären Sie verant-wortlich. Es geht eben nicht um die Endgeräte, sondernum den Aufbau des Netzes.
Herr Burgbacher, bitte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir hatten vor kurzer Zeit schon einmal eine heftige De-
batte zu diesem Thema. Ich will deshalb nur noch auf
zwei Punkte abheben.
Erstens. Herr Körper, wenn Geld in den Haushalt ein-
gestellt wird – Sie haben, wenn ich Sie richtig verstan-
den habe, gesagt: Warten Sie den Entwurf ab! –, dann
sollten wir bei dieser Diskussion darüber informiert wer-
den. Der Stand meiner Information ist, dass nichts in den
Haushalt eingestellt ist.
Wenn das vorbereitet werden soll, dann – das wissen wir
alle – brauchen wir im Jahr 2004 auch Geld. Also: Infor-
mieren Sie uns doch bitte! So wäre diese Kontroverse
schon einmal aus der Welt.
Zweitens. Wir sind uns doch alle darüber einig, dass
der Aufbau dieses Systems eminent wichtig ist. Ich habe
in der Debatte konkrete Beispiele dafür genannt, dass
mit Digitalfunk Katastrophen hätten verhindert werden
können. Es nützt doch nichts, den schwarzen Peter stän-
dig hin- und herzuschieben. Wir alle wollen das System.
Der Bund hat da eine Koordinationsfunktion. Er sollte
sie wahrnehmen und sie nicht auf andere abschieben,
also jetzt tätig werden, damit wir endlich einen Schritt
weiterkommen.
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Wie bitte?
Sie vermissen die Koordination, Herr Kollegeurgbacher. Sie wissen doch, dass der Bundeskanzlernd der Bundesinnenminister Ende Juni eine Vereinba-ung mit den Ministerpräsidenten der Länder getroffenaben, die sehr vernünftig ist. Auf der Basis arbeite ich.ir arbeiten an einer Dachvereinbarung, in der wir daserfahren unter uns klären. Aufgrund der Dachvereinba-ung gehen wir in die Ausschreibung. Daran kann sicheder beteiligen. Dann wird es einen Rahmenvertrag ge-en. So wird es zu einer bestimmten zeitlichen Abfolgeommen. Mir wäre es am liebsten, wenn alle Länderitmachen; möglicherweise machen aber einige Ländericht mit.
Sie sind sehr ungeduldig, Herr Kollege.
Ich verstehe es, Sie sind temperamentvoll. Bei mir rü-en Sie das Temperament, aber Sie haben es auch; da be-egnen wir uns vielleicht.Der Kollege Körper hat schon erklärt, dass wirMillionen Euro in den Haushalt einstellen. Sie sagen,as reiche nicht. Da hätten Sie Recht, wenn es daruminge, damit schon den Digitalfunk als solchen zu fi-anzieren.
iese 5 Millionen Euro dienen nur der Vorbereitung derusschreibung. Eine Ausschreibung ist, wie Sie wissen,ine teure Angelegenheit. Dafür also haben wir die Mit-el in den Haushalt eingestellt.Der Kollege Burgbacher vermisst eine Informationarüber. Ich erinnere Sie daran, dass wir kürzlich mit denerichterstattern, auch Ihrer Fraktion, über diese Frageeredet haben. Wenn Herr Fricke Ihnen nicht darüber
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Bundesminister Otto Schilyberichtet, ist es nicht mein Verschulden. Bei der Gele-genheit ist die Zahl ausdrücklich genannt worden. Siemüssen sich einmal erkundigen, wie die Informationska-näle bei Ihnen intern laufen.
Wenn man bei Ihnen nicht in der Lage ist, eine solcheInformation weiterzugeben, dann kann ich Ihnen nichthelfen. Aber vielleicht kann ich demnächst sicherstellen,dass die Post von Herrn Fricke auch zu Herrn KollegenBurgbacher kommt.Der Kollege von der CDU/CSU hat gesagt, mankönne sich nicht an den 8,5 Prozent für die Endgeräteorientieren, sondern müsse den Netzaufbau zugrundelegen. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Nach dem Ein-druck, den ich gewonnen habe, werden wir angesichtsder leeren Kassen aller Finanzminister nicht erleben,dass die Investition vom Bund oder von den Ländern ge-tätigt wird. Das halte ich für völlig ausgeschlossen. Esist eine Milliardeninvestition, für die weder Geld imBundeshaushalt noch in den Haushalten der Länder vor-handen ist.Deshalb wird es nach meiner Einschätzung – es gibtauch andere Auffassungen dazu – auf ein Betreibermo-dell hinauslaufen, bei dem die Betreiber dem Bund undden Ländern eine bestimmte Benutzungsgebühr in Rech-nung stellen. Die Investition tätigen die Betreiber.Selbstverständlich gehen in die Berechnung einer sol-chen Benutzungsgebühr dann auch die Investitionskos-ten ein. Die Betreiber wollen ja einen Return on Invest-ment erzielen. Ich habe den Ländern längst gesagt: Wirmüssen uns nicht, wie beim Telefonfestnetz, sklavischan der reinen Benutzung orientieren, sondern könneneine Grundgebühr festlegen, zumal es zwischen der Flä-che und den Ballungsgebieten Unterschiede gibt; da sindunterschiedliche Komponenten enthalten.Wir müssen auch zwischen den Ländern Abgrenzun-gen vornehmen. Wenn eine Netzstation zum Beispiel inRheinland-Pfalz an der Grenze zum Saarland steht, dannmüssen sich Rheinland-Pfalz und das Saarland, dasebenfalls davon profitiert, natürlich einigen. Das alleshaben wir erarbeitet; das ist nicht die Frage.Einige Länder wollen aber leider das ganze Vorhabenbremsen und sind nicht bereit, es voranzubringen, bevorder Bund auf die Forderung eingeht, 50 Prozent der Kos-ten zu übernehmen. Darin kann ich nur einen Blockade-willen und keine konstruktive Politik erkennen. Darumgeht es mir. Wenn Sie das in Ihren Reihen verändern,dann bin ich Ihnen dankbar.Wir wollen doch alle diesen Digitalfunk. Der Analog-funk verfällt. Daher ist der Digitalfunk kein Luxus, denwir uns leisten wollen, sondern dringend notwendig.Denken Sie an die Flut-Katastrophe! Denken Sie an eineKatastrophe, wie sie am 11. September in New Yorkstattgefunden hat!
DnbdststmwrwnaÜSsBGBLHwssBfzui
– Drucksache 15/1662 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist eine halbe
tunde für die Aussprache vorgesehen. – Kein Wider-
pruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die
undesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär
erald Thalheim.
Dr
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Im Landwirtschafts-Altschuldengesetz wollenir das letzte teilungsbedingte Problem der ostdeut-chen Landwirtschaft lösen. Landwirtschaftliche Alt-chulden gehen auf Kredite der ehemaligen LPGs zumeispiel für Stallanlagen, Wohnhäuser, Rohbraunkohle-euerungsanlagen und selbst kommunale Einrichtungenurück. Sie wurden in Mark der DDR aufgenommennd mussten nach der Wirtschafts- und Währungsunionn D-Mark bedient werden.
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Parl. Staatssekretär Dr. Gerald ThalheimDas war wie in der Industrie und im Wohnungsbaunur schwer oder überhaupt nicht möglich. Um eineÜberschuldung der Unternehmen nach der Wirtschafts-und Währungsunion durch die 3,9 Milliarden Euro Alt-schulden zu verhindern, wurden folgende Maßnahmenergriffen: erstens die Entschuldung nach Art. 25 Abs. 3Einigungsvertrag in Höhe von 0,7 Milliarden Euro,zweitens die bilanzielle Entlastung durch so genannteRangrücktrittsvereinbarungen in Höhe von rund 2 Mil-liarden Euro.Die Rangrücktrittsvereinbarungen boten sehrgünstige Bedingungen; die Schulden mussten nur inHöhe von 20 Prozent des Gewinns vor Steuern bedientwerden. Das war anfangs zweifellos sehr wichtig, umArbeitsplätze zu erhalten und den Betrieben Investitio-nen zu ermöglichen. Aber sie haben dazu geführt, dassaus den 2 Milliarden Euro Altschulden zwischenzeitlichrund 2,56 Milliarden Euro geworden sind, weil wegender niedrigen Gewinne die Zahlungen nicht einmal mehrausreichten, um die Zinsschuld zu bedienen. In der ge-nannten Summe sind also aufgelaufene Zinsen in Höhevon rund 1 Milliarde Euro enthalten.Meine Damen und Herren, allein dieser Umstandmacht deutlich, dass hier Handeln angesagt ist, zumalauch wissenschaftliche Untersuchungen belegt haben,dass die Rangrücktrittsvereinbarungen sehr großzügiggestaltet waren.Aber Handlungsbedarf gibt es noch aus anderenGründen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinerGrundsatzentscheidung vom 8. April 1997 dem Gesetz-geber den Auftrag erteilt, zu prüfen:ob die Entschuldung tatsächlich einen ausreichen-den Entlastungseffekt hat, sodass die Altschuldeninnerhalb eines angemessenen Zeitraums von derMehrzahl der betroffenen LPGs bei ordentlicherWirtschaftsführung abgetragen werden können.Da letztendlich der Bund über den Erblastentilgungs-fonds Gläubiger der Altschulden ist, hat die bisherigeEntwicklung – zumindest aus der Sicht des Bundes – zueiner untragbaren Situation geführt, da die Forderungen– wie ich ausgeführt habe – in den letzten Jahren ge-wachsen sind und nach wie vor wachsen.Handeln ist aber auch im Interesse der Unternehmenangezeigt. Denn eine ständig wachsende Schuldenbe-lastung ist aus der Sicht der Unternehmen ein unhaltba-rer Zustand, zumal es wenig Motivation gibt, in solcheUnternehmen zu investieren. Es gab bisher auch keineMotivation, die Schulden intensiver zurückzuzahlen, dader Schuldenstand in vielen Betrieben so hoch war, dasssich die Unternehmen selbst bei ordnungsgemäßer Wirt-schaftsführung nicht in der Lage sahen, die Schulden ab-zulösen.Ziel des Gesetzentwurfs ist es daher, eine beschleu-nigte Ablösung der Altschulden durch die Betriebe ent-sprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit– darauf liegt die Betonung – herbeizuführen. Im Detailsieht der Gesetzentwurf vor, dass die Altschuldner gegeneinmalige Zahlung eines unternehmensindividuellen Ab-lösebetrages die Schuld vorzeitig zurückzahlen und dassgwsA6inddtenrgdwgrRüdErmnweLdWc–gBEraCHdUeBsKdd
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Jahr, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Mit der Debatte über das Gesetz zur Änderunger Regelungen über Altschulden landwirtschaftlichernternehmen diskutieren wir in diesem Hohen Hausein wenig über die aufregenden 90er-Jahre in den neuenundesländern. Im Jahre 1990 waren die landwirt-chaftlichen Unternehmen in der ehemaligen DDR mitrediten in Höhe von 3,9 Milliarden Euro belastet. Je-er, der mit dem Thema halbwegs vertraut war, wusste,ass diese Kredite mit marktwirtschaftlichen Krediten
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5688 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Dr. Peter Jahrwenig zu tun hatten, dass die Werthaltigkeit der Kreditesehr unterschiedlich war und dass eine sofortige Fällig-stellung bzw. Umschuldung für viele landwirtschaftlicheUnternehmen das ungeordnete wirtschaftliche Aus be-deutet hätte.Politisch hatte es damals zwei Lösungsansätze gege-ben: Zum einen hätte man in jedem Einzelfall die Wert-haltigkeit des Kredites überprüfen und eine Neufestle-gung der Altschulden vornehmen können. Der Vorteildieses Verfahrens wäre gewesen, dass das Problem heutenicht mehr erörtert werden müsste, weil es gelöst wäre.Andererseits war Anfang der 90er-Jahre niemand in derLage, ein solches Vergleichsverfahren halbwegs nach-vollziehbar und in einem überschaubaren Zeitraum zugestalten. Anfang der 90er-Jahre gab es in den neuenBundesländern keinen gefestigten Immobilienmarkt.Viele Eigentumsverhältnisse waren ungeklärt. Es gabriesige Umstrukturierungsprobleme.Aus diesen Gründen entschied sich die damalige Bun-desregierung zu Recht für einen anderen Weg: Sie halfsanierungsfähigen Unternehmen, die Altschulden hatten,durch zwei Maßnahmen – der Staatssekretär hat es schonerwähnt –: Zum einen übernahm die Treuhandanstalt aufder Grundlage von Art. 25 Abs. 3 des Einigungsvertra-ges Altschulden in Höhe von 0,7 Milliarden Euro. Zumanderen wurden mit Unternehmen, die sonst überschul-det wären und deren Fortbestand gefährdet gewesenwäre, zivilrechtliche Rangrücktrittsvereinbarungengetroffen. Immerhin wurden Altschulden in Höhe vonrund 2 Milliarden Euro in Form solcher Rangrücktritts-vereinbarungen abgelöst.Die damit verbundenen Wirkungen waren sowohl fürdas Unternehmen als auch für die Altschulden verwal-tenden Banken sowie für den Bund durchaus positiv.Unternehmen konnten die Altschulden der Rangrück-trittsvereinbarung nachrangig einordnen und als Eigen-kapital ausweisen. Den Banken ging kein Geld verloren,denn sie waren über den Erblastentilgungsfonds abgesi-chert. Die Banken konnten sogar, weil die Unternehmenwieder kreditwürdig waren, neues Geld, neue Krediteausreichen. Der Bund konnte nicht nur mit Freude beob-achten, wie sich eine Vielzahl von Unternehmen wirt-schaftlich stabilisierte, sondern er konnte anfangs auchhoffen, dass die Altschulden zum Großteil getilgt wer-den könnten.Heute wissen wir: Die letzte Hoffnung hat sich nichterfüllt. Mit der Fortschreibung der geltenden Gesetzes-lage wurde lediglich ein Barwert von circa 7 Prozent derursprünglichen Altschulden beglichen. Es ist richtiger-weise festgestellt worden, dass, wenn die geltende Rang-rücktrittsvereinbarung nicht zum Erfolg führt, der Ge-setzgeber zum Handeln verpflichtet ist. Nicht zuletztkann man diesen Handlungsauftrag auch aus einerGrundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerich-tes vom April 1997 ableiten.Vorab an dieser Stelle deshalb zwei zustimmende Be-merkungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf:Erstens. Niemand wird ernsthaft die Notwendigkeiteiner Regelungsbedürftigkeit der Altschuldenfrage be-zBndlfGtMshuAtsmzAwlvdHV2nforatAznkSmsßDsicRkszPnt
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelia Behm.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Es gibt gute Gründe für ein Landwirtschafts-ltschuldengesetz. Die aktuelle Regelung taugt nicht zurösung des Problems. Herr Jahr, ich freue mich, dass wirn diesem Punkt übereinstimmen.Darüber hinaus haben die Gutachter Forstner undirschauer festgestellt, dass die Entlastungen für diePG-Rechtsnachfolger die Belastungen, die aus denDR-Altschulden resultieren, in der großen Mehrzahler Fälle überkompensiert haben. Diese Entlastungenestanden zum Ersten in einer Teilentschuldung durchie Treuhandanstalt, zum Zweiten in einer bilanziellenntlastung in Form einer schon angesprochenen Rang-ücktrittsvereinbarung und in Form eines zins- undteuerbegünstigten Bedienens der Altschulden sowieum Dritten in einem Schutz des dadurch gewonnenenigenkapitals vor Abfindungsansprüchen bei der
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5690 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Cornelia BehmVermögensauseinandersetzung nach dem Landwirt-schaftsanpassungsgesetz. Im Ergebnis stellen die Gut-achter fest, dass die meisten betroffenen Betriebe heutewirtschaftlich besser dastehen, als wenn ihnen die Alt-schulden schon Anfang der 90er-Jahre erlassen wordenwären.Die allermeisten Deutschen gehen bis heute davonaus, dass die Altschulden für die LPG-Rechtsnachfolgereine schwer tragbare Last sind. Aufgrund des Gutach-tens müssen wir heute aber feststellen: Die dereinst vonCDU/CSU und FDP geschaffenen Altschuldenregelun-gen entfalten eine deutliche Subventionswirkung undverzerren den Wettbewerb.Angesichts dieses Ergebnisses muss und will dieBundesregierung Konsequenzen ziehen. Der vorlie-gende Gesetzentwurf hat das Ziel, dass die Rückzahlungzukünftig tatsächlich im Rahmen der wirtschaftlichenMöglichkeiten der Unternehmen erfolgt. Dazu werden indem Gesetzentwurf die Rückzahlungsbedingungen fürdie Betriebe unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftli-chen Leistungsfähigkeit verschärft. Dies wird vor allemdurch die Erhöhung des abzuführenden Gewinnanteilsvon 20 auf 65 Prozent erreicht.Daneben wird in diesem Gesetz die Möglichkeitgeschaffen – das ist mir besonders wichtig –, Altschul-den mit einer Einmalzahlung abzulösen. Der Ablösebe-trag ist betriebsindividuell auszuhandeln und soll sich ander Höhe der in Zukunft zu leistenden Rückzahlungenorientieren. Da sowohl die Bank als auch der Altschuld-ner der Höhe des auszuhandelnden Ablösebetrages zu-stimmen müssen, sollte eine Übervorteilung einer derbeiden Seiten vermieden werden. Dieser Komplex derVereinigungspolitik wird damit rechtlich abgeschlossen.Ich hoffe, dass möglichst viele Betriebe diese Chanceauch ergreifen.Diesem Gesetzentwurf widerfährt eine Bewertung,die widersprüchlicher kaum sein könnte. Die Wieder-einrichter und die Vertreter der bäuerlichen Landwirt-schaft sprechen von Milliardensubventionen für die etwa1 500 Altschuldner. Die LPG-Rechtsnachfolger hinge-gen sprechen vom drohenden Ruin ihrer Betriebe, weilsie nun von ihrem Gewinn einen größeren Teil als bisherabführen sollen. Beide Bewertungen beruhen auf einerverzerrten Interpretation der vorliegenden Sachlage.Den Wiedereinrichtern ist zu sagen: Aufgrund der seitJahren gültigen Rechtslage ist längst klar, dass die LPG-Rechtsnachfolger ihre Altschulden nicht komplett zu-rückzahlen werden. Unabhängig davon, ob uns das heutepasst oder nicht, müssen wir feststellen: Es ist nichtmöglich, das Rad zurückzudrehen. Die Rückzahlungsbe-dingungen lassen sich aber nicht beliebig verschärfen,sondern nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Hier-für ist entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungs-gerichtes die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Be-triebe entscheidend.Aber: Unser Gesetz schafft entgegen den Behauptun-gen keine zusätzliche Subventionswirkung. Im Gegen-teil: Es führt zu zusätzlichen Einnahmen für den Erb-lastentilgungsfonds in Höhe von 200 bis 250 MillionenEledkwzddnsslCAmsGudTsghiLwhrdsdVfkw2ddg
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
oldmann.
Sehr verehrte Frau Präsidenten! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Für jemanden, der fast von der niederlän-ischen Grenze, aus dem Emsland kommt, stellt sich dashema Landwirtschafts-Altschuldengesetz als äußerstchwierig dar. Bei Besuchen vor Ort spürt man auch dieanze Härte der Auseinandersetzung. Frau Behm, Sieaben völlig zu Recht angesprochen, dass das ein Themast, welches die Menschen in den so genannten neuenändern ganz besonders bewegt. Ich bin auch dafür, dassir – allerdings gemeinsam – den Versuch unternehmen,ier sozusagen abzuräumen; denn weiteres Verärge-ungspotenzial wäre dem dortigen agrarischen Miteinan-er sicherlich sehr abträglich.
Die Sache ist aber schwierig: Hilft man dem einen be-onders, ist der andere sauer. Hilft man zu wenig, hilfties wiederum uns gar nicht. Einige haben sogar dieorstellung, dass man über diesen Weg wirklich Mittelür den Haushalt gewinnt, um Investitionen tätigen zuönnen.Frau Behm, ich glaube, wir sind uns einig, worüberir sprechen: Vielleicht können wir erreichen, 10 bis0 Prozent des Betrages zu bekommen, der als Altschul-enlast noch im Raum steht. Man muss sich einmal aufer Zunge zergehen lassen, worum es hier im Momenteht: Es geht um einen Milliardenerlass. Ich meine, dass
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Hans-Michael Goldmannman sich angesichts dessen die größtmögliche Mühe ge-ben muss.Weil wir uns diese größtmögliche Mühe geben wol-len, werden wir in der kommenden Woche eine frak-tionsinterne Anhörung machen. Ich stimme ausdrücklichdem Anliegen der CDU/CSU-Fraktion, das Herr Dr. Jahrzum Ausdruck gebracht hat, zu: Eine Anhörung im Aus-schuss wäre gut. Allerdings sollten wir alle mit der fes-ten Absicht in diese Anhörung hineingehen, zu einer ge-meinsamen Lösung zu kommen.Frau Behm, es hilft nichts, zu sagen, dass FDP undCDU/CSU damals etwas falsch gemacht hätten. Ich binmir nicht sicher, ob Ihre Ausführungen, es sei zu Über-kompensationen gekommen und habe riesige Subventio-nen für große Betriebe gegeben, ganz zutreffend sind.Ich habe 5 000 bis 6 000 Hektar große Betrieb besucht,die 70 bis 80 Menschen in einer Region beschäftigten, inder die Arbeitslosenquote bei 30 bis 35 Prozent lag.Wenn man diesen Betrieben nicht geholfen hätte, sähedie Situation heute noch schlechter aus.
Der Entwurf des Finanzministeriums ist außerordent-lich kompliziert und steuersystematisch äußerst zweifel-haft. Geplante Rückzahlungen der Schulden als Be-triebsausgaben führen dazu, dass ertragsstarke Betriebein höchster Steuerprogression nach Steuern netto nur dieHälfte dessen zahlen, was ertragsschwache Betriebe zuzahlen haben. Das erscheint mir nicht sinnvoll.Die Erhöhung der Abführung auf der Basis von65 Prozent des Jahresgewinns bei verbreiterter Bemes-sungsgrundlage führt ohne Zweifel zu erheblichenSteuervermeidungsreaktionen. Das können die Gro-ßen recht gut; denn das machen sie jetzt schon. Ihre Ge-winne lassen sie bekanntlich nicht im landwirtschaftli-chen Betrieb, sondern in den vor- und nachgelagertenHandels- und Dienstleistungsunternehmen anfallen undrechnen sie dann aufeinander an. Frau Behm, vor demHintergrund dessen, was im Raum steht, ist es bezeich-nend, dass die Erwartungen des Gesetzgebers an diesesGesetz außerordentlich gering sind.Lassen Sie uns gemeinsam an die Arbeit gehen. Wirsind dazu gerne bereit. Wir wollen hoffen, dass wir esam Ende dieses Prozesses mit einem Gesetz zu tun ha-ben, das dazu beiträgt, ein Stück mehr agrarischen Frie-den in den betroffenen Regionen zu schaffen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Altschuldenproblematik ist seit 1990 eine vielfache.Wir kennen sie von den Wohnungsgesellschaften derDDR, die privatisiert wurden. Wir kennen sie auch ausder Landwirtschaft, insbesondere im ZusammenhangmnSdpusulsLvknssdzüAvsdMfgmdsidBlSstErdhkssetse4Bbivn
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5692 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Petra Pauhabe die Hoffnung, dass die Anhörung wie auch die par-lamentarische Beratung im besten Sinne des Wortes zueiner Qualifizierung des Gesetzentwurfes führen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Waltraud Wolff.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Seit ich 1998 im Bundestag mitder Altschuldenproblematik konfrontiert wurde, war fürmich der Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes maß-geblich, eine vertretbare Lösung für den Bund und diemit Altschulden belasteten Betriebe zu erreichen.Ein Wort zum Beitrag des Redners von der CDU/CSU: Eigentlich hat es die Debatte nicht verdient, dasswir das Für und Wider aufrechnen und fragen, wer wasinitiiert hat bzw. hätte initiieren müssen. Da das Bundes-verfassungsgericht festgelegt hat, dass nach zehn Jahrenüberprüft werden soll, ob die Möglichkeit besteht, dassdie Betriebe ihre Altschulden bis 2010 zurückzahlenkönnen, hätte meiner Meinung nach von der Regierungschon damals eine größere Initiative gestartet werdenmüssen.Zum Hintergrund, wie diese Schulden entstandensind, will ich nichts mehr sagen; dazu haben sich schonmehrere Kollegen geäußert. Vergessen werden darf abernicht: Es ging und es geht noch heute um Sicherung vonArbeitsplätzen im ländlichen Raum. Mit der Wendeund dem Aus der kollektiven Verstaatlichung begann fürvolkseigene Betriebe und damit auch für die ehemaligenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter der LPGen die Zeit derUmstrukturierung. In allen Bereichen, in denen die bei-den Rechtssysteme zusammengeführt wurden, kam esunweigerlich zu Konflikten. Die Klärung der Altschul-denfrage in der Landwirtschaft der ehemaligen DDRstand daher, wie zum Beispiel die in der Wohnungswirt-schaft, von Anfang an unter einem schlechten Stern.Auch heute noch werden die Debatten über die Altschul-den hitzig und emotional geführt. Deshalb ist es ganz be-sonders wichtig, dass der Gesetzgeber in der letztenPhase der Regelung mit Fakten zur Versachlichung bei-trägt.Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgebereine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auf-erlegt. Das Ziel war, dass die Betriebe bei ordnungsge-mäßer Wirtschaftsführung die Schulden bis 2010 tilgenkönnen. Somit wird klar, dass eine verträgliche Lösungangestrebt war, die den Fortbestand der Unternehmennicht gefährdet.13 Jahre nach der deutschen Einheit sieht vieles an-ders aus, als unsere Vorstellungen damals überhaupt zu-ließen. Wir müssen die Probleme aus heutiger Sicht vonallen Seiten beleuchten. Es kann meiner Meinung nachnicht darum gehen, irgendwelche alten Rechnungen zubegleichen
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ie Geschichte ist einfach nicht zurückzudrehen. Des-alb müssen wir erstens Sachlichkeit walten lassen,weitens mit Bedacht Einzelfallbetrachtungen durchfüh-en und drittens genau die Schnittstelle finden, an der dieückzahlung für die betroffenen Betriebe noch möglichst, ohne dass sie in den Ruin getrieben werden.Ich möchte hier auch noch einmal daran erinnern,ass sich Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der agrar-olitischen Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion imergangenen Februar zu Recht zu einer einvernehmli-hen, abschließenden und schnellen Lösung gestellt hat.ie SPD-Bundestagsfraktion hat eine Arbeitsgruppe ein-erichtet und wir haben beschlossen – damit befindenir uns im Konsens mit Ihnen; ich konnte es nur nichther sagen –, eine Anhörung zu dem Thema der land-irtschaftlichen Altschulden zu initiieren. Danach wirdie Meinungsbildung in den Fraktionen zum Abschlussommen.Meine Schlussbemerkung: Ich habe eben den Kennt-iserwerb von 13 Jahren angesprochen. Ebenso wichtigst es, die allgemeine wirtschaftliche Lage zu betrachten.inen solchen konjunkturellen Einbruch konnten wir unsicht vorstellen. Auch die Landwirtschaft ist davon be-roffen. Wir sollten auch noch etwas anderes in unsereberlegungen einbeziehen: Die letzten Jahre waren fürie Landwirtschaft in Deutschland kein Zuckerschle-ken.
ch sage nur: BSE, Nitrofen, Acrylamid – alles schlägtuf die Landwirtschaft durch. Zusätzlich haben dasochwasser an der Elbe – nicht zu vergessen auch dasochwasser an der Oder – und die Dürre in 2003 ihrepuren in den neuen Bundesländern hinterlassen.
Dennoch verbinde ich mit der Einbringung dieses Ge-etzes erstens die Hoffnung, dass das letzte ungelösteapitel in der ostdeutschen Landwirtschaft zu schließenst, zweitens die Hoffnung, dass die Unternehmen zurückzahlung motiviert werden und drittens die Auffor-erung an die Bundesregierung, die notwendige Rechts-erordnung in das Gesetz einzubeziehen oder zeitgleichu erlassen, um nicht weitere Verzögerungen und Unsi-herheiten aufkommen zu lassen.
Im Interesse des Bundes müssen realistische Bewer-ungsmaßstäbe angelegt werden. Deshalb ergibt sich zueginn der Beratung aus meiner Sicht die Frage, mit derch jetzt schließe: Wird durch die Erhöhung des Abfüh-
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Waltraud Wolff
rungssatzes von 20 auf 65 Prozent die Messlatte auf dierichtige Höhe gelegt?Schönen Dank.
Ich danke auch und schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/1662 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? – Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Maria Böhmer, Wolfgang Bosbach,
Dr. Wolfgang Schäuble, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Verbot des Klonens mit menschlichen
Embryonen weltweit durchsetzen
– Drucksache 15/301 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Hubert
Hüppe, Christa Nickels, René Röspel und wei-
terer Abgeordneter
Forschungsförderung der Europäischen
Union unter Respektierung ethischer und
verfassungsmäßiger Prinzipien der Mit-
gliedstaaten
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,
Kein Ausstieg aus der gemeinsamen Verant-
wortung für die europäische Stammzellfor-
schung
– Drucksachen 15/1310, 15/1346, 15/1725 –
Berichterstattung:
Abgeordnete René Röspel
Katherina Reiche
Hans-Josef Fell
Ulrike Flach
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Widerspruch
gibt es nicht. Dann verfahren wir auch so.
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Nun hat uns der Bundestag in seinem Beschluss vom0. Februar dieses Jahres drei Aufträge für die Verhand-ungen in den Vereinten Nationen erteilt. Da der Vorwurfer Missachtung dieses Beschlusses laut wurde, bitte ichie darum, den Wortlaut dieses Beschlusses – ich habehn noch einmal mitgebracht –, der vor dem Hintergrunder Mehrheitsverhältnisse und der internationalen De-atte gefasst wurde, zu beachten. Ich jedenfalls nehmeie drei Aufträge dieses Beschlusses sehr ernst.Erstens. Wir sollen uns für ein möglichst umfassendeslonverbot einsetzen. Zweitens. Wir sollen versuchen,ass dies von möglichst vielen Staaten unterstützt wird.rittens. Wir sollen die Konvention im Rahmen dereutsch-französischen Initiative weiterentwickeln.Wir haben alles unternommen, diesen Bundestagsbe-chluss konsequent umzusetzen. Deshalb kann ich nichtachvollziehen, dass man uns Missachtung vorwirft. Wiraben zunächst in enger Abstimmung mit Frankreich dienitiative aktiv in Richtung eines umfassenden Klonver-ots von Menschen weiterentwickelt. Wir treten jetzt fürine Konvention ein, die alle Formen des Klonens ein-chließt. Dies unterscheidet sie von der ersten deutsch-ranzösischen Initiative, die vorsah, in zwei Stufen vor-ugehen.Wir haben uns von Anfang an – das werden wir aucheiter tun – für eine möglichst umfassende und verbind-iche Konvention eingesetzt. Das ist sehr wichtig; dennas geht meines Erachtens in der Diskussion, die in denetzten Wochen öffentlich geführt wurde, verloren: Völ-errecht basiert auf Konsens. Nur so kann es wirklichirksam werden. Daher haben wir alles versucht underden bis zum Schluss versuchen, möglichst vieletaaten für ein internationales Klonverbot oder zumin-est für die Auftragserteilung zu einer entsprechendenonvention gewinnen.Wir haben seit dem letzten Jahr im Vorfeld der Ver-andlungen mit allen wichtigen Staaten Gespräche ge-ührt, insbesondere mit den USA und den Europäern.rst am Tag des Beginns der Arbeitsgruppe des sechstenusschusses haben wir gemeinsam mit Frankreich
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Staatsministerin Kerstin Müllerhierzu ein so genanntes Non-Paper verteilt, das imÜbrigen nie als Antrag gedacht war. Ziel dieses Non-Pa-pers – das möchte ich hier klarstellen – war es, die unter-schiedlichen Vorstellungen einzelner Mitglieder der Ver-einten Nationen zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem es nochum die Mandatserteilung und nicht – wie ich es heute ineiner Pressemitteilung von Ihnen, Frau Böhmer, gelesenhabe – um den Text der Konvention selbst geht, zu über-brücken und so die Zustimmung der Mehrheit, wennnicht sogar aller VN-Mitglieder für die Mandatserteilungzu bekommen.Ich sage noch einmal sehr deutlich: Uns geht es nichtdarum, Scheinerfolge zu erzielen, sondern wir wollenkonkrete und wirksame Ergebnisse. Eine Konvention,die von den wichtigsten Klonforschungsstaaten nicht un-terstützt wird, ist zahnlos und nicht effektiv. Das wärewie der Abschluss eines Atomwaffensperrvertrages ohnedie Nuklearstaaten. Das bringt uns international nichtweiter. Das wäre rein symbolische Politik. Deshalb ha-ben wir uns für den Weg entschieden, der inhaltlich aufder deutschen Rechtslage beruht.Die Verhandlungen in der Arbeitsgruppe sind bis-her ergebnislos verlaufen. Am 21. Oktober werden dieGespräche fortgesetzt. Wir befinden uns noch nicht inden konkreten Konventionsverhandlungen. Das heißt,die Generalversammlung stimmt nicht über ein Verbotverschiedener Formen des Klonens ab, sondern formu-liert erst einmal einen Auftrag. Dabei muss es uns darumgehen, möglichst alle Staaten in die weitere Arbeit ein-zubinden. Denn es geht um eine Frage, die das grundle-gende Verständnis unseres Menschseins betrifft. Wirdürfen zum jetzigen Zeitpunkt nicht zulassen, dass sichinsbesondere die Klonforschungsstaaten aus dem Pro-zess ausklinken.Sie wissen, dass zwei Mandatsentwürfe vorliegen.Der eine Entwurf ist von Costa Rica. In der Substanzentspricht er unserer Überzeugung, aber mit dem Vorge-hen können wir uns nicht einverstanden erklären; denndie meisten biotechnologisch wichtigen Staaten werdendiese Verhandlungen ablehnen. Der zweite von Belgieneingebrachte Entwurf ist für viele Unterstützer desCosta-Rica-Entwurfs nicht akzeptabel, insbesonderenicht für die USA und auch nicht für uns, weil es dort imKern um das reproduktive Klonen geht.Diese beiden konkurrierenden Entwürfe bestätigenunsere Befürchtungen, dass es möglicherweise auf eineKampfabstimmung hinauslaufen wird. Eine solcheKampfabstimmung würde in eine Sackgasse führen undim Übrigen einen negativen Präzedenzfall mit mögli-cherweise gravierenden Folgen für die Arbeit des Aus-schusses und der Vereinten Nationen insgesamt bedeu-ten. Ich bitte also darum, sich gut zu überlegen, ob esklug ist, sich an Kampfabstimmungen zu beteiligen.
Gerade ein von möglichst vielen Staaten getragenes,möglichst umfassendes Klonverbot ist der Auftrag desBundestages. Wir wollen eine Spaltung der Staatenge-meinschaft in dieser zentralen bioethischen Frage ver-meiden. Deshalb haben wir diesen Weg gewählt.sLnuKmeeLsAWugIgItddtWdhauglfbmKdBSdSmEls
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria Böhmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir treffen uns jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr,m darüber zu beraten, wie wir ein internationales undenerelles Klonverbot, Frau Müller, erreichen können.ch bin sehr froh, dass Sie uns in allen Einzelheiten dar-elegt haben, wie Sie die Lage sehen, aber ich sagehnen auch: Wir hatten die Erwartung, dass wir zum heu-igen Zeitpunkt ein anderes Ergebnis vonseiten der Bun-esregierung erfahren würden, nämlich ein Ergebnis, dasem Antrag, den wir im Februar verabschiedet haben,atsächlich entspricht.
Uns allen hier ist bekannt, dass die Lage schwierig ist.ir haben deshalb damals sehr mit uns gerungen, als wiren gemeinsamen Antrag erarbeitet haben, den wir dannier im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit ver-bschiedet haben. Ich habe diesen Antrag mitgebrachtnd will noch einmal genauso wie Sie die Punkte durch-ehen; denn wir interpretieren einige Dinge offensicht-ich unterschiedlich.In dem Antrag steht, möglichst viele Staaten sollenür eine solche Konvention gewonnen werden. Wir ha-en das sehr wohl in dem Bewusstsein formuliert, dassan nicht jeden Staat dieser Welt hinter eine solcheonvention bringen kann. Denn Sie sagen zu Recht,ass es Staaten gibt, in denen Klonen stattfindet, zumeispiel in Großbritannien, in Schweden, in Israel, iningapur und nach wie vor in China. Wenn man glaubt,ass ein Ergebnis erst erzielt werden kann, wenn diesetaaten hinter eine Konvention gebracht sind, dann läuftan Gefahr, ein inhaltloses Scheinergebnis zu erzielen.ine solche Konvention wird nämlich wirklich ein zahn-oser Tiger sein und das Papier nicht wert sein, auf demie geschrieben ist.
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Dr. Maria Böhmer
Weiterhin haben wir im Antrag sehr um die Begriff-lichkeit des Klonens gerungen; das war wahrlich nichteinfach. Wir haben niedergelegt, dass es eine Teilidenti-tät beim Klonen gibt. Wer also darauf zielt, das repro-duktive Klonen weltweit wirksam zu verbieten – ichglaube, da gibt es keinen Dissens; es dürfte kaum einenStaat in dieser Welt geben, der dem nicht beipflichtet –,der muss auch das Forschungsklonen oder das so ge-nannte therapeutische Klonen verbieten, denn beide For-men sind in ihrem Verfahren identisch bis zur Erzeugungdes Embryos. Das ist der entscheidende Punkt. In beidenFällen entsteht ein Embryo, sodass diejenigen, die dieTechniken im Bereich des Forschungsklonens oder desso genannten therapeutischen Klonens – ich halte denBegriff nach wie vor für völlig irreführend – verfeinern,nicht ausschließen können, dass diese von denjenigen,die fatalerweise das reproduktive Klonen anstreben, ge-nutzt werden. Wer deshalb reproduktives Klonen wirk-sam verbieten will, muss auch Forschungsklonen verbie-ten. Ausschließlich das kann der Weg sein.
Ich bin sehr froh, dass wir in diesem Punkt im Bun-destag immer wieder diesen Konsens haben; das möchteich auch heute betonen. Ich nehme Sie beim Wort, dassSie hinter einem solchen Konsens stehen. Das will ichgar nicht bestreiten. Trotzdem müssen wir uns darüberstreiten, welchen Weg Sie jetzt beschritten haben. Nach-dem der Wechsel vollzogen worden ist und man nichtmehr hintereinander, sondern zeitgleich verhandelt, stelltsich die Frage, ob das so genannte zweistufige Verfahrenim Ergebnis tatsächlich, wie Sie es uns in Aussicht stel-len, oder nur scheinbar aufgehoben wird. Denn in IhremNonpaper, das durch die Welt geisterte, wurde eine klarePosition zum reproduktiven Klonen – nämlich ein Verbot –formuliert, aber zugleich haben Sie – auch in Interviews,zum Beispiel in der „Frankfurter Rundschau“ – wiederholtfestgestellt, dass beim therapeutischen Klonen drei Optio-nen vorgesehen sind, und zwar Verbot, Moratorium odernationalstaatliche Regelungen.
Damit wird es sozusagen in das Belieben des jeweiligenStaates gestellt, wie mit Forschungsklonen und thera-peutischem Klonen umgegangen wird.
Das ist der Stein des Anstoßes. An dieser Stelle kommenwir nämlich nicht weiter. Wir sind dadurch auf die Situa-tion im Dezember bzw. im Februar zurückgeworfen.Weil Sie ja hinter der Beschlusslage des Bundes-tages stehen, fordere ich Sie mit allem Nachdruck auf,darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung auch ge-nau diese Beschlusslage umsetzt. Ich verstehe, wenn Siedarauf hinweisen, dass dem Völkerrecht bestimmte Re-gAmcmmVAnuSsRAsvdwiskddWSdhKaWlgisUKaMGfut
ber es wurde stufenweise vorgegangen. Das Endergeb-is ist, dass es heute 178 Signatarstaaten gibt.Es ist also eine Entwicklung möglich, wenn ein klaresnd eindeutiges Signal gesetzt wird. Deshalb fordere ichie auf – ich bitte Sie geradezu –, ein solches Signal zuenden, indem Sie sich hinter den Vorschlag von Costaica stellen. Mit der Einbringung eines entsprechendenntrags in die Vereinten Nationen würde die gleiche Ab-icht wie mit dem Beschluss des Deutschen Bundestageserwirklicht, nämlich ein Verbot des reproduktiven wiees therapeutischen Klonens. Es ist mir schier ein Rätsel,arum man einem solchen Beschluss nicht folgen will.Sie haben immer noch die Möglichkeit, dort einendentischen Antrag einzubringen, wenn Sie das für bes-er halten – ich würde das sehr begrüßen –, sodass einelare Linie verfolgt wird. Ich stelle aber auch fest, dassie von Belgien vorgelegte Opting-out-Regelung nichter richtige Weg sein kann.Deswegen fordere ich Sie auf: Folgen Sie nicht demeg, den Belgien aufzeigt! Denn dieser Weg stellt einecheinlösung dar. Folgen Sie vielmehr dem Weg, dener Deutsche Bundestag in großer Mehrheit aufgezeigtat! Lassen Sie uns zu einem weltweiten generellenlonverbot kommen und lassen Sie dies nicht nachein-nder, sondern in einem Schritt geschehen!Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
odarg.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-egen! In der kommenden Woche – das haben wir bereitsehört – gehen die Klonverhandlungen in New York inhre bisher wichtigste Runde. Denn in dieser Woche wirdich entscheiden, ob es einen Auftrag geben wird, aufN-Ebene eine internationale Konvention gegen daslonen von Menschen zu erstellen.Der Deutsche Bundestag hat zu dieser Frage schonm 20. Februar einen Beschluss gefasst, der mit breiterehrheit – und zwar mit den Stimmen der SPD, derrünen und der CDU/CSU – verabschiedet wurde. Ichinde es daher mehr als bedauerlich, liebe Kolleginnennd Kollegen von der CDU/CSU, dass Sie jetzt aus tak-ischen Gründen einen alten Antrag aus der Schublade
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5696 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Dr. Wolfgang Wodarghervorgekramt haben und auf die Tagesordnung habensetzen lassen. Wir werden diesen Antrag deshalb ableh-nen.Der Bundestag hat bereits klar und eindeutig eine Po-sition bezogen, die nun bei den Verhandlungen inNew York umgesetzt werden muss. Dass die Umsetzungdes Bundestagsbeschlusses schwierig werden würde, hatwohl keiner von uns jemals ernsthaft bezweifelt. DerWiderstand einiger Länder gegen ein umfassendes Klon-verbot – gleichgültig, zu welchem Zweck dieses Klonenerfolgen soll – ist in der Tat massiv. Es kommt deshalbdarauf an, dass unsere Diplomaten einen ausreichendentaktischen Spielraum haben, um das, was beschlossenworden ist, auch umzusetzen.Es muss bei dieser Gelegenheit aber auch klar gesagtwerden, dass es hinsichtlich des Zieles der diplomati-schen Bemühungen keinen Spielraum gibt. Hier lässtder Beschluss des Bundestages an Deutlichkeit nichts zuwünschen übrig. Weil es in letzter Zeit – das war auchheute der Fall – Irritationen in diesem Punkt gegebenhat, möchte ich die entscheidende Stelle wörtlich zitie-ren, und zwar mit einer Betonung, die deutlich macht,worauf es hier ankommt:III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesre-gierung in Fortführung seines Beschlusses vom Juli2002 auf,– eine VN-Konvention und weitere internationaleKonventionen anzustreben, die sowohl das re-produktive wie das so genannte therapeutischeKlonen verbieten und darauf zielen, möglichstviele Staaten für solche Konventionen zu gewin-nen.
Dieser Satz wird von einigen so interpretiert, dass beimso genannten therapeutischen Klonen Abstriche gemachtwerden können, um das Ziel zu erreichen, möglichstviele Staaten zu gewinnen. Man braucht allerdings keinegroße Meisterschaft im Auslegen von Texten zu besit-zen, um zu erkennen, dass diese Interpretation – logi-scherweise – nicht dem Wortlaut des Beschlusses ent-spricht.
Das Ziel, das die Bundesregierung anzustreben aufge-fordert ist, ist eine Konvention, die das reproduktiveKlonen und das Klonen zu Forschungszwecken verbie-tet. Für eine solche Konvention – nicht für irgendeineandere – sollen möglichst viele Staaten gewonnen wer-den. Daran kann keine noch so kreative Auslegung et-was ändern.Die Bundesrepublik Deutschland kann aus ethischenund auch aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nichtsanderes anstreben als ein umfassendes Verbot allerFormen des Klonens.AdfdfhrkuDiudrk–dsaFrtatMftdeebgmug
Ich habe gesagt, dass die Bundesregierung klug han-elt.
Die Bundesregierung kann aus ethischen und verfas-ungsrechtlichen Gründen, wie ich bereits sagte, gar keinnderes Ziel als das eines umfassenden Verbots allerormen des Klonens verfolgen. Die Abgrenzung deseproduktiven Klonens gegenüber dem so genanntenherapeutischen Klonen ist bereits ideologisch höchstufgeladen. Was geschieht denn beim so genanntenherapeutischen Klonen? Da wird ein Embryo, einensch in der frühesten Phase seiner Existenz, geschaf-en, um ihn zu Forschungszwecken sofort wieder zu tö-en. Wird dabei etwa kein Mensch „reproduziert“? Werarauf mit Nein antwortet, wer sagt, dass Reproduktionrst gegeben ist, wenn sich der menschliche Embryo zuinem Fötus weiterentwickelt oder geborenen wurde, derehauptet damit letztlich, dass ein menschlicher Embryoar kein Mensch ist. Genau diese Behauptung ist aberit dem Menschenwürdekonzept unserer Verfassungnvereinbar.Der gegenwärtig auf UN-Ebene kursierende bel-isch-chinesische Entwurf, der lediglich ein Verbot des
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Dr. Wolfgang Wodargso genannten reproduktiven Klonens vorsieht, der abernationale Regelungen für das Klonen zu anderen Zwe-cken erlauben möchte, ist daher meiner Meinung nachfür die Bundesrepublik Deutschland weder akzeptabelnoch ist er mit dem Beschluss des Bundestages vom20. Februar dieses Jahres vereinbar. Eines darf deshalbnicht passieren: Keinesfalls darf das therapeutische Klo-nen innerhalb einer UN-Konvention durch die ausdrück-liche Zulassung nationaler Regelungen auch noch legiti-miert werden.
Mit einer einfachen Opt-out-Regelung könnten mei-ner Einschätzung nach auch diejenigen Staaten leben,die bereits signalisiert haben, nur einem umfassendenKlonverbot zuzustimmen. So könnten wir diese Staatengewinnen; denn mit einer solchen Regelung würde klar-gestellt, dass sich diejenigen Staaten, die sich einem ge-nerellen Klonverbot nicht anschließen wollen, außerhalbdes Willens der Weltgemeinschaft stellen. Dieses Ziel– das ist mir wichtig – sollten wir anstreben.Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Flach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vor-
liegenden Anträge haben eines gemeinsam: Es geht da-
rum, ob wir unsere bundesrepublikanischen ethisch-mo-
ralischen Maßstäbe absolut setzen oder ob wir zu
Kompromissen fähig sind,
um europäisch und international weiterzukommen. Des-
wegen möchte ich auch zuerst etwas zu den anderen An-
trägen sagen, die hier heute zur Debatte stehen.
Wenn der Deutsche Bundestag beschließt, die EU
dürfe keine Fördermittel für Forschung an embryona-
len Stammzellen vergeben, weil diese Forschung in
Deutschland unzulässig sei, dann heißt das vor allem
eines: Andere Länder werden in Zukunft ihre ethischen
Maßstäbe natürlich ebenso absolut setzen, wie wir das
heute tun. Wer wollte ihnen dieses Recht nehmen? Dann
werden wir erleben, dass ethisch-moralische Auffassun-
gen zum Tierschutz, zur Sterbehilfe oder zu Schwanger-
schaftsabbrüchen zukünftig gemeinsame europäische
Forschung verhindern.
– Lieber Herr Hüppe, es gibt kein deutsches Geld in
einem EU-Topf mehr; lassen Sie sich vom Kollegen
Hintze aufklären. – Das führte zu einer ernsten Bedro-
hung des Forschungsraums einer erweiterten EU mit
25 Staaten.
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Ich finde, dass Frau Müller das eben sehr realistisch dar-gestellt hat. Der Forschungsausschuss war ja in NewYork und hat sich das erläutern lassen. Sie werden mitIhrer Maxime, höchste Ansprüche zu stellen, auf derWelt nichts, aber auch gar nichts erreichen. Sie werdenerst recht nicht das erreichen, was Sie erreichen wollen,nämlich das Verbot des Klonens, hinter dem natürlichauch wir Liberale stehen. Sie werden aber auf dieserWelt nicht zurecht kommen, wenn Sie die Kunst desKompromisses missachten. Die CDU/CSU-Fraktion – estut mir Leid, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sagenzu müssen – ist gerade dabei, dies zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Reinhard Loske.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-gen! Frau Flach, es handelt sich hier nicht um eine bio-politische Debatte nach dem Motto „Am deutschen We-sen soll die Welt genesen“, sondern um die Unteilbarkeitder Menschenrechte. Ich glaube, das ist ein wichtigerUnterschied.
Mir stehen nur wenige Minuten zur Verfügung. Solassen Sie mich Folgendes sagen: Am 20. Februar 2003haben wir erstens den Wechsel von einem zweistufigenVerfahren zu einem einstufigen Verfahren beschlossen.Wir waren nämlich der Meinung, dass ein zweistufigesVerfahren diplomatisch nicht zum Erfolg geführt und imPrinzip unter der Hand eine Legitimation des therapeuti-schen Klonens zum Ergebnis gehabt hätte. Zweitens ha-ben wir uns für ein umfassendes Verbot aller Formen desKlonens entsprechend der deutschen Rechtslage einge-setzt. Drittens sollten für diesen Ansatz möglichst vieleStaaten gewonnen werden.Positiv ist, dass wir jetzt bei einem einstufigen Ver-fahren sind. Es wird über das Klonen an sich geredet.Man verfährt nicht nach dem Motto: „Erst einmal das re-produktive Klonen behandeln und später – am Sankt-Nimmerleins-Tag – das therapeutische Klonen; vielmehrwerden beide Formen des Klonens zusammen behandelt.Die Situation ist dadurch schwierig geworden, dasszwei verschiedene Anträge vorliegen: Der Antrag vonCosta Rica und anderen Staaten spricht sich für einen to-talen Bann aus. Der Antrag von Belgien und anderenStaaten fordert dagegen das Verbot des reproduktivenKlonens. Was das therapeutische Klonen angeht, sprichter sich entweder für einen Bann oder für ein Moratoriumoder für nationale Regelungen – er gibt dabei keineRsAsatrläVevrVvevdesrznrO–rmtetiGrTMKtasdessnsMvsmWH
Im Raum steht die Drohung, dass sich einige Staatenn Verhandlungen auf der Basis des jeweils anderen An-ags nicht beteiligen werden. Diese schwierige Situationsst sich unseres Erachtens nur bewältigen, wenn einerhandlungsauftrag erteilt wird, in den beide Anträgeinbezogen werden, damit auf dieser Grundlage bis 2004ersucht wird, eine möglichst große Schnittmenge zu er-eichen. Eine kontroverse Abstimmung zu Beginn deserhandlungsprozesses wäre ungewöhnlich und würdeiele Staaten vom Verhandlungstisch drängen.Unsere Priorität ist also ganz klar: einen Auftrag zuinem Verhandlungsprozess zu erteilen, an dem sich sehriele, möglichst alle Staaten beteiligen können. Wir for-ern die Bundesregierung für den Fall, dass es doch zuiner Kampfabstimmung kommt – wir fänden daschlecht –, auf, dass sie dem Antrag Belgiens und ande-er Staaten – jedenfalls nicht in der jetzigen Form – nichtustimmt; denn er spricht sich unter anderem für natio-ale Regelungen ohne irgendeine Form der Qualifizie-ung aus. Das würde – ich sagte es bereits – vollständigeffenheit bedeuten.Der Antrag Costa Ricas und anderer Staaten wäredas ist gar keine Frage; darüber müssen wir nicht langeeden – vom Inhalt her zustimmungsfähig. Was er diplo-atisch bedeutet, wird zu beurteilen sein. Wir beobach-n diesen Prozess. Die Bundesregierung wird ihre Posi-on – da habe ich Vertrauen – eindeutig auf derrundlage des Bundestagsbeschlusses einnehmen.Zum Schluss möchte ich auf das 6. EU-Forschungs-ahmenprogramm zu sprechen kommen. Dieseshema hätte wahrlich eine vertiefte Beratung verdient.an muss ganz klar sagen: Die Vorschläge von EU-ommissar Busquin sind für uns vollkommen unakzep-bel.
Frau Böhmer, es war für mich wirklich sehr interes-ant, als auf unserer Veranstaltung Professor Schöler voner Pennsylvania State University – es handelt sich uminen Wissenschaftler, der auf diesem Feld arbeitet – vonich aus sagte, eine Stichtagsregelung, also die Be-chränkung auf ein Dutzend vorhandener Stammzellli-ien und damit keine weitere Öffnung, sei auch wissen-chaftspolitisch vernünftig, denn wenn in Tokio, inünchen, in New York oder wo auch immer nur an denorhandenen Linien geforscht wird, wären die wissen-chaftlichen Ergebnisse vergleichbar. Das heißt, wirüssen in dieser Angelegenheit keine Schleusen öffnen.ir setzen uns deshalb für eine Stichtagsregelung iminblick auf die Forschung an embryonalen Stammzel-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5699
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Dr. Reinhard Loskelen – nicht an Embryonen – in der Europäischen Unionein.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hubert Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus derMitte dieses Hauses haben wir fraktionsübergreifend un-seren Antrag zum 6. EU-Forschungsrahmenprogrammeingebracht. Damit wollen wir noch einmal verdeutli-chen, dass der Deutsche Bundestag solche Forschungs-vorhaben ablehnt, die in Deutschland sogar mit Frei-heitsstrafe – Frau Flach, das will ich hier noch einmaldeutlich machen – geahndet werden können.
– Nicht immer gibt man uns so viel Grund dazu.Ein großer finanzieller Anteil des europäischen Bei-tragsaufkommens wird von Deutschland erbracht. Indem sensiblen Bereich der Bioethik stellen wir innerhalbDeutschlands höchste Anforderungen im Hinblick aufdie Einhaltung der Menschenwürde. Deshalb wäre esfür die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland kaumverständlich, wenn wir eine EU-Förderung der verbrau-chenden Embryonenforschung mit deutschen Steuergel-dern unwidersprochen hinnehmen würden.
Im Übrigen bekommen wir auch oft genug zu hören,dass es dem europäischen Gedanken schadet, wenn mannicht auf die Menschenwürde, so wie wir sie verstehen,Rücksicht nimmt.Wir hätten es auch begrüßt – das darf ich an dieserStelle sagen –, wenn die deutschen EU-Kommissare,Frau Schreyer und Herr Verheugen, dem Vorhaben derEU-Kommission nicht zugestimmt hätten.
Wir hätten es begrüßt, wenn Frau Schreyer und HerrVerheugen gezeigt hätten, dass sie sich dem Menschen-würdeverständnis des Grundgesetzes und dem Geist un-serer Gesetze verpflichtet fühlen.
Wir wissen, dass einige Partnerstaaten in der EU beider verbrauchenden Embryonenforschung Wege gehen,dsDanswdEtrMsIsff–mlDeÄSpssdDwgSfB–Hctiwimu
Wir wollen mit unserem fraktionsübergreifenden An-ag einen Beitrag dazu leisten, dass nach Ablauf desoratoriums eine Regelung getroffen wird, die mit un-erer Rechtslage und unseren Interessen vereinbar ist.ch weise ausdrücklich darauf hin, Frau Flach, dass un-er Antrag das Prinzip der Mehrheitsentscheidung beiorschungspolitischen Entscheidungen der EU nicht in-rage stellt.
Nein, das tut er nicht. Es geht uns auch nicht um allge-eine Forschungsvorhaben, sondern nur um den sensib-en Bereich der Biomedizin.
as steht in unserem Antrag. Lesen Sie ihn sich durch!Weil wir diese Argumentation schon kannten, habeninige der Initiatoren im Ausschuss ja auch noch einennderungsantrag eingebracht, der genau das klarstellt.ie sollten nicht versuchen, etwas anderes hineinzuinter-retieren.Der Antrag vonseiten der FDP ist für mich sehrchwer nachvollziehbar. Er benachteiligt den For-chungsstandort Deutschland; das muss man einmal soeutlich sagen.
ie Mittel nämlich, die für diese Forschung ausgegebenerden, stehen deutschen Forschern nicht zur Verfü-ung, weil hier aufgrund unserer Verfassung und unserestrafrechts solche Forschungsvorhaben nicht durchge-ührt werden dürfen. Das betrifft auch den Bereich derio- und Gentechnologie.
Nein! – Deswegen bitte ich Sie, meine Damen underren, unserem Antrag zuzustimmen und so ein deutli-hes Signal zu setzen.
Es ist schon häufiger über die internationale Konven-on zum Verbot des Klonens gesprochen worden. Esurde auch deutlich gesagt, dass der Beschluss, den wir Februar gefasst haben, unmissverständlich ist. Umsonverständlicher ist für uns, wie verhandelt worden ist.
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Hubert HüppeAus meiner Sicht wurde das Verfolgen unserer gemein-samen Ziele nicht so deutlich, wie Sie, Frau Müller, eseben dargestellt haben. Wenn jedes Klonen menschlicherEmbryonen die Menschenwürde verletzt, dann kann unddarf es keine Konvention geben, die das Klonen zuFortpflanzungszwecken verbietet, aber das Klonen zueinem anderen Zweck einer wie auch immer geartetennationalen Regelung anheim gibt. Wenn es um die Men-schenwürde auf der einen Seite und um einen Verstoßgegen die Menschenwürde auf der anderen Seite geht,dann kann es keinen Konsens geben.
Nach dem, was Sie als Schritt drei angekündigt ha-ben, betrachten Sie schon eine nationale Regelung alsErfolg. Was bedeutet das? Wie soll eine solche nationaleRegelung aussehen? Würde schon eine zahlenmäßigeBegrenzung oder eine Meldepflicht ausreichen, um demGebot einer solchen Konvention Genüge zu tun?Meine Damen und Herren, in dem Beschluss steht,dass „möglichst viele Staaten“ ein Klonverbot unterstüt-zen sollen. Aber es steht auch genau darin, wie dieseKonvention aussehen soll: Sie soll jeden Zweck des Klo-nens verbieten; jede Erzeugung eines menschlichenKlons soll verboten werden. Da darf es aus meiner Sichtkeine Kompromisse geben.Es wird behauptet, wenn diese Konvention Geltungbekäme, hätte sie keine Konsequenzen. Immerhin unter-stützen jetzt 53 Länder den Entwurf Costa Ricas. Eineechte Antiklonkonvention würde maßgebliche Absatz-märkte für Produkte aus geklonten Embryonen versper-ren.
Mögliche Investoren würden sich mit ihrem Kapital ei-nem anderen Bereich der Biotechnologie zuwenden.Junge Wissenschaftler würden nicht eine perspektivloseRichtung einschlagen, die nicht nur in Deutschland, son-dern auch in wichtigen Hochtechnologieländern wie denUSA illegal ist.Deshalb darf ich Sie noch einmal auffordern: Unter-stützen Sie den Antrag von Costa Rica oder machen Siezumindest deutlich, dass Sie, wenn es zu einer Abstim-mung kommt, diesem Antrag zustimmen, der letztend-lich unserem nationalen Recht entsprechen würde!Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege René Röspel von der
SPD-Fraktion.
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Weiter wird behauptet – das haben wir auch im For-chungsausschuss erleben können –: Wenn wir das nicht
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René Röspelfördern, fällt Europa in der Forschung gegenüber denUSA zurück. Da muss man sich fragen: Geht es denn umgewaltige Teilbeträge dieser 17,5 Milliarden Euro, diedas Forschungsprogramm zur Verfügung stellen soll?Laufen da viele Forschungsprojekte, die nicht gefördertwerden können?Dem ist nicht so. Seit dem ersten Aufruf zum 6. EU-Forschungsrahmenprogramm sind drei Anträge auf För-derung von Forschung an embryonalen Stammzellen ge-stellt worden. Alle drei Anträge sind aus wissenschaftli-chen Gründen abschlägig beschieden worden. Das heißt,es gibt nicht einmal einen Antrag auf Förderung einessolchen Projekts. Selbst wenn es kein Moratorium gäbe,würde der Mittelabfluss 0 Euro betragen; letztlich istdies eine Diskussion über 0 Euro. Allein aus diesemGrund ist noch weniger verständlich, dass die EU-Kom-mission hier einen Konflikt generiert, der nicht notwen-dig ist, der nicht wünschenswert ist und der nicht einmalmit Nachfrage belegt werden kann.
Aus diesem Grund möchte ich Sie ganz herzlich bit-ten, nicht nur unserem Gruppenantrag, sondern auchdem mit einer Dreiviertelmehrheit gefassten Beschlussdes Bundestagsausschusses für Forschung, Bildung undTechnikfolgenabschätzung zu folgen und die embryo-nale Stammzellenforschung auf europäischer Ebenenicht finanziell fördern zu lassen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/301 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der
Tagesordnung soll die Vorlage federführend im Auswär-
tigen Ausschuss beraten werden. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 15/1725. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1, den Antrag der Abgeordneten Hubert
Hüppe, Christa Nickels, René Röspel und weiterer Ab-
geordneter auf Drucksache 15/1310 mit dem Titel „For-
schungsförderung der Europäischen Union unter Re-
spektierung ethischer und verfassungsmäßiger
Prinzipien der Mitgliedstaaten“ in der Ausschussfassung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU gegen die Stim-
men der FDP angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia
Pieper, Christoph Hartmann und weiterer Abgeordneter
auf Drucksache 15/1346 mit dem Titel „Kein Ausstieg
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schusses
– Drucksache 15/1625 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerold Reichenbach
Hartmut Büttner
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Max Stadler
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 15/1626 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Klaus Hagemann
Anja Hajduk
Otto Fricke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort als erster Red-
er hat der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
örper.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Be-eichnung des Gesetzentwurfs des Bundesrats über eineinmalige Entschädigung an die Heimkehrer aus demeitrittsgebiet trägt sozusagen den Irrtum auf der Stirn.enn das, was der Gesetzentwurf angeblich für dieeimkehrer im Beitrittsgebiet nachholen will, war keinentschädigung, sondern eine Eingliederungshilfe.
iese wurde bereits 1992 bei den Heimkehrern im Bei-rittsgebiet mit Rücksicht auf die längst vollzogene Ein-liederung der Betroffenen nicht mehr für erforderlichehalten.
Der gesamtdeutsche Gesetzgeber hat vor rund zehnahren im Rahmen des Kriegsfolgenbereinigungsgeset-es eine sachlich richtige Entscheidung getroffen. Er hat
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körperdas mit Maßgaben auf das Beitrittsgebiet übergeleiteteKriegsgefangenenentschädigungsgesetz mit Wirkungvom 1. Januar 1993 aufgehoben, weil er zu Recht derAuffassung war, dass durch den Beitritt als solchenkeine Eingliederungssituation für ehemalige Kriegsge-fangene entstanden war, der durch die Leistungen nachdem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz hätte be-gegnet werden müssen.Das vom Bundesrat behauptete Gerechtigkeitspro-blem, das unter dem Gesichtspunkt der Vollendung derinneren Einheit Deutschlands ausgeräumt werdenmüsste, existiert nicht.
Eine Benachteiligung der Heimkehrer im Beitrittsgebiethat im Vergleich zu den in den damaligen Geltungsbe-reich des Gesetzes zurückgekehrten ehemaligen Kriegs-oder Geltungskriegsgefangenen nicht stattgefunden;denn bei den Heimkehrern im Beitrittsgebiet hat wegenZeitablaufs zum Zeitpunkt des Beitritts eine vergleich-bare Eingliederungssituation nicht mehr vorgelegen.Trotz der vielleicht nicht ganz glücklichen Bezeich-nung Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz bleibt fest-zuhalten, dass die Leistungen nach diesem Gesetz vor-nehmlich Eingliederungszwecken dienten. Wer diesnicht erkennen will, dem sei beispielsweise die Lektüreder Gesetzesmaterialien zur vierten Novelle desKriegsgefangenenentschädigungsgesetzes empfohlen.Einen Paradigmenwechsel derart, dass aus Eingliede-rungshilfen nachträglich eine Entschädigung gemachtwürde, hält die Bundesregierung weder für nachvoll-ziehbar noch für gerechtfertigt.
Mit einer neuen Entschädigungsregelung würde einGleichbehandlungsproblem vielmehr erst entstehen.Das haben offenbar auch die Initiatoren des Gesetzent-wurfs erkannt; denn dort wird ausdrücklich die Entschä-digung von Zwangsarbeit für Drittstaaten als eines derRegelungsziele angegeben. Zwangsarbeit von Deut-schen für Drittstaaten ist indessen stets als allgemeinesKriegsfolgenschicksal bewertet worden, mit dem sichdie Sozialgesetzgebung befasst hat, vornehmlich imBundesversorgungsgesetz. Diese Diskussion werden wirmit Sicherheit bei der Behandlung des Antrages derCDU/CSU zur Entschädigung deutscher Zwangsarbeiterfortsetzen.Ich bedaure insbesondere, dass – wie nicht zuletzt dievom Innenausschuss am 26. Juli dieses Jahres durchge-führte öffentliche Sachverständigenanhörung gezeigt hat– bei den betroffenen Menschen auf der Grundlage die-ses Paradigmenwechsels die Vorstellung genährt wor-den ist, ungerecht behandelt worden zu sein.
Zugleich wurden bei ihnen unbegründete Erwartungenhinsichtlich einer Korrektur dieses vermeintlichen Un-rGtrtsSnPgvk–KdfwkpmwfuCHcsBWeADpddI
Das Wort hat der Kollege Hartmut Büttner von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Entschädigung von Spätheimkehrern, wel-he auf das Gebiet der früheren DDR entlassen wordenind, ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den Deutschenundestag.
ie ich immer wieder betont habe, kann ich auch meineigene Fraktion von diesem Vorwurf nicht ausnehmen.llerdings ging auch von allen anderen Fraktionen deseutschen Bundestages niemals eine für die Heimkehrerositive Initiative aus.Wir alle gemeinsam haben also zu verantworten, dassie betroffenen Menschen bisher im Stich gelassen wur-en. Aus diesem Grund habe ich bei den Beratungen desnnenausschusses immer wieder angemahnt, die sonst
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Hartmut Büttner
üblichen parteitaktischen Schuldzuweisungsrituale andieser Stelle zu unterlassen.
Das war leider nicht immer der Fall.Wie wir in der sehr beeindruckenden Anhörung fest-stellen konnten, ist das die allerletzte Chance für die vonder Geschichte so hart gebeutelten Menschen, eine Ent-schädigungsleistung des demokratischen Deutschlandserleben zu können; denn die jüngsten Berechtigten sind80 Jahre alt. Für mich war diese Anhörung auch deshalbso aufschlussreich und interessant, weil immerhin mehrals 250 von diesen über 80-Jährigen nach Berlin kamen.Sie wollen eine Entschädigung; sie wollen Gleichbe-handlung und sie wollen Gerechtigkeit in diesemDeutschland erfahren.
Ich will zur Verdeutlichung sagen: Bei den Spätheim-kehrern handelt es sich um Kriegsgefangene, die mehrals zwei Jahre in fremdem Gewahrsam waren. FürKriegsgefangene, die in das westliche Deutschland ent-lassen worden sind, gab es in der Tat eine Entschädi-gung. Den Kriegsgefangenen, die in das östlicheDeutschland entlassen worden sind, erging es anders.Die Entschädigung im Westen war bei einer Höhe von12 000 DM gedeckelt. Menschen mit dem gleichenSchicksal, die in die SBZ oder in die spätere DDR ent-lassen worden sind, erhielten hingegen außer 50 Ost-mark keinerlei weitere Entschädigung. Im Gegenteil: Siemussten in ihrem Leben den verbrecherischen Krieg derbraunen Diktatur doppelt und dreifach bezahlen. Wir ha-ben erschütternde Beispiele und Berichte in der Anhö-rung gehört, welchen Pressionen diese Menschen in derroten Diktatur der DDR ausgesetzt waren.
Nun haben wir gehört, dass Vertreter der Regierungs-koalition dem Wunsch nach einer Entschädigung mitdem Argument widersprechen, im Westen habe es sichum eine Eingliederungshilfe gehandelt. Aber, lieberHerr Körper, der Text des Kriegsgefangenenentschädi-gungsgesetzes von 1954 spricht eine ganz andere Spra-che. Da heißt es in § 3: Für das Festhalten im ausländi-schen Gewahrsam wird eine Entschädigung gewährt.
Nun sagen Sie: Das ist der Wortlaut des Gesetzes, abervom Charakter her war das Kriegsgefangenenentschädi-gungsgesetz eben nur eine Hilfe zur Eingliederung in diewestdeutsche Gesellschaft. Liebe Kolleginnen und Kol-legen, diese Argumentation wird allein durch die purenFakten widerlegt. Ein erstes Gesetz wurde nämlich erstneun Jahre nach Kriegsende verabschiedet. Die zahlrei-chen Neufassungen wurden teilweise erst 20 Jahre nachKriegsende beschlossen. Zum Zeitpunkt der finanziellenLeistungen an die Betroffenen im Westen war ihre Ein-gliederung im Wesentlichen abgeschlossen.
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ich möchte im Gesamtzusammenhang vortragen –, zu-al die Heimkehrerstiftung mit dem Rücken an derand steht und ihre ureigenen Aufgaben überhaupticht finanzieren kann, wie in der Anhörung mehrfacheutlich wurde?Als dritter Pfeiler Ihrer sehr dünnen Argumentation,ieber Herr Körper, bleibt also nur noch übrig, dass miter Entschädigung für die Spätheimkehrer ein erneuterräzedenzfall geschaffen worden wäre. Aber das ist eineines Scheinargument. Andere Gruppen aus den neuenundesländern haben sich mit Entschädigungsforderun-en im Rahmen von Kriegsfolgelasten bisher überhaupticht gemeldet.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPDnd von den Grünen, Sie haben bereits vor zwei Jahrenin moralisches und politisches Armutszeugnis abgelie-ert, indem Sie schon damals einen Vorschlag, der auchon Abgeordneten der SPD und den Grünen erarbeitet
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Hartmut Büttner
worden ist, niedergestimmt haben. Heute haben Sie dieChance, diese Fehlentscheidung zu korrigieren und zu-mindest eine späte Gerechtigkeit in Deutschland zuschaffen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Hans-Joachim Hacker von der SPD-Fraktion.
Lieber Kollege Büttner, ich muss drei Dinge klarstel-
len: Erstens. In der Anhörung des Innenausschusses
habe ich nicht gesagt, Frau Nowacki sei nicht pfiffig ge-
wesen. Das hätte sich nicht gehört. Ich habe gesagt, die
Frau sei nicht richtig beraten worden.
Denn wenn sie richtig beraten worden wäre, hätte sie
längst einen Antrag bei der Stiftung gestellt. Wenn sie
den Antrag vor drei Jahren gestellt hätte, wäre sie schon
vor drei bzw. zwei Jahren in den Genuss dessen gekom-
men, was sie wollte. Sie wollte nämlich eine kleine Feier
mit ihrer Familie machen. Das dazu notwendige Geld
hätte sie längst bekommen. Die Leistungen betragen un-
gefähr 2 000 Euro.
Zweitens. Die HHG-Leistungen, die Sie angespro-
chen haben – in diesem Zusammenhang kritisieren Sie
die Bundesregierung und die Regierungskoalition –,
haben Sie im Jahre 1994 im Rahmen der SED-Unrechts-
bereinigungsregelung auf 300 000 DM pro Jahr festge-
legt. Nach Regierungsübernahme hat die rot-grüne Koa-
lition diesen jährlichen Entschädigungsbetrag von
300 000 DM auf 1,5 Millionen DM erhöht.
Wir haben das Fünffache der Leistungen bereitgestellt,
die Sie vorgesehen haben. Jetzt kreiden Sie uns das an.
Drittens. Herr Büttner, Sie sprechen heute wieder da-
von – auch Ihre Kollegin Voßhoff hat das fälschlicher-
weise im Rechtsausschuss getan –, dass in Bonn Anträge
politischer Häftlinge liegen, die nicht bearbeitet werden.
Dies ist schlechtweg falsch. Nach § 18 des Strafrechtli-
chen Rehabilitierungsgesetzes gibt es für politische
Häftlinge einen Anspruch auf Unterstützungsleistungen.
All diese Ansprüche werden jährlich Schritt für Schritt
abgearbeitet.
Die Stiftung – ich war dort in der vorigen Woche – hat
mir erklärt: Es gibt beim Strafrechtlichen Rehabilitie-
rungsgesetz kein Problem, weil das Justizministerium
die Mittel in ausreichender Höhe bereitstellt. Wenn es
einmal aufgrund schwankender Antragszahlen Probleme
gibt, wird das BMF in jedem Falle behilflich sein.
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Herr Kollege Büttner, ich erteile Ihnen das Wort zur
rwiderung.
Lieber Herr Kollege Hacker, in einem Punkt haben
ie Recht: Sie haben in der Tat nicht Frau Nowacki man-
elnde Pfiffigkeit vorgeworfen. Sie haben aber deutlich
emacht, dass denjenigen, die sie beraten haben, offen-
ichtlich nicht bekannt war, dass sie über diesen Fonds
ür politische Häftlinge eine Entschädigung hätte erhal-
en können. Damit haben Sie ganz klar den Eindruck er-
eckt, dass die 14 000 Betroffenen, die noch leben, nor-
alerweise schon längst auf der Grundlage Ihrer
esetzesänderung – wenn sie davon gewusst hätten –
ätten entschädigt werden können.
Wir haben in einer offiziellen schriftlichen Stellung-
ahme von der Stiftung für politische Häftlinge, die ich
hnen gerne zeigen kann, den folgenden Hinweis be-
ommen: 800 politische Häftlinge können derzeit nicht
ntschädigt werden, weil entsprechende Finanzmittel
icht vorhanden sind. Wir sollten gemeinsam einen Weg
inden, die Stiftung in beiden Bereichen zu verbessern.
ir beteiligen uns gerne an der Arbeit.
Den betroffenen Spätheimkehrern – das zeigte die
anze Anhörung – ging es nicht um die Frage der sozia-
en Bedürftigkeit; es ging ihnen um Gerechtigkeit. Sol-
en diese Summen von 500, 1 000 und 1 500 Euro – je
achdem, wie lange die Damen und Herren in fremdem
ewahrsam waren – wirklich zu viel für das demokrati-
che Deutschland sein? Wollen Sie wirklich sagen, dass
ir, die deutsche Gesellschaft, diese 22 Millionen Euro
en Damen und Herren aus dem Osten – wir haben die
ntsprechenden Entschädigungen im Westen gezahlt –
icht zukommen lassen können? Das finde ich unmög-
ich!
Als nächste Rednerin hat Silke Stokar von Neufornom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5705
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wie-derhole, was ich schon in der letzten Debatte, als es umdie Frage der Gerechtigkeit im Zusammenhang mitKriegsheimkehrern ging, gesagt habe, weil sich offen-sichtlich die ganze Debatte – nicht zum ersten Mal –wiederholt. Es ist auch eine Wiederholung der Debatte,die wir hier in der letzten, der 14. Legislaturperiode ge-führt haben.Wir brauchen nicht in die Gesetzestexte zu schauen,sondern wir müssen uns die Debatten von 1966 – mankann sie in den Archiven nachlesen; sie wurden bereitsherangezogen und waren schon in der 14. Legislaturperi-ode von Bedeutung – ansehen. Es wird deutlich, es wareine bewusste politische Entscheidung – sie war meinerMeinung nach richtig – und kein Versäumnis von Politi-kern, dass – gerade von Vertretern früherer Fraktionender CDU/CSU, von Ihren früheren Innenministern undBundeskanzlern; es gab bis Ende der 60er-Jahre keineanderen – immer wieder gesagt wurde: Für die schreckli-chen Folgen des deutschen Faschismus und für dieschrecklichen Folgen dieses Krieges kann es überhauptkeine gerechte Entschädigung geben. Es gibt so unvor-stellbar viele Opfer, dass es nur nach Opfergruppen ge-trennte Hilfe geben kann, die in den Einzelfällen unter-schiedlich ausfällt und auf die Personengruppe bezogenist.Der Gerechtigkeitsunterschied liegt nicht in der FrageEntschädigung oder Eingliederungshilfe, sondern darin,dass diejenigen, die in die DDR zurückgekehrt sind,doppelt bestraft waren: Diejenigen, die aus russischerKriegsgefangenschaft – unter Stalin – in die DDR zu-rückgekehrt sind, mussten ihr Kriegsgefangenenschick-sal verschweigen. Außerdem erhielten Sie kein Geld.Während Ihrer gesamten Regierungszeit sind Sienicht davon abgegangen, zu behaupten, es sei damalseine bewusste Entscheidung für eine Stiftung gewesen,um in Einzelfällen helfen zu können.
Herr Hacker und Herr Körper haben das richtig darge-stellt. Was Sie fordern, wird zum Teil erst durch das er-möglicht, was während der rot-grünen Regierungszeitgetan wurde: Wir haben den fünffachen Betrag in dieStiftung eingestellt. In Einzelfällen haben wir an Betrof-fene in Notlagen viel mehr als das gezahlt, was Sie alspauschale Entschädigung an alle zahlen wollen, nämlichbis zu 2 000 Euro.Ich befürchte – das wurde aus den Reihen der CDU/CSU angekündigt –, dass wir erneut, wie 1966 – sozusa-gen in permanenter Wiederholung –, über die einzelnenOpfergruppen debattieren. Herr Marschewski hat ange-kündigt – das klang auch in Äußerungen im Bundesratund aus den Reihen der CDU/CSU an –, dass erneut überdie Stiftung debattiert werden soll.In Ihren heutigen Reden klang Betroffenheit an. Ichhabe bei der Anhörung – die betroffenen MenschenwgtmDsEmdbwWgMdwtubdrutEhikpf
iese Parteipolitik auf dem Rücken der Betroffenenetzten Sie hier und heute fort.
s geht um die Emotionalisierung. Es geht um Stim-ungsmache mit Opfergruppen. Ich sage Ihnen, dass ichen Stil dieser Auseinandersetzung, den Stil dieser De-atte in diesem Hause nicht mehr mitmache,
eil ich denke, dass die Opfer eine andere Form derürdigung verdienen, nämlich die Form der Würdi-ung, die Rot-Grün vornimmt.Sie hatten in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit dieöglichkeit, etwas zu machen. Nach der deutschen Wie-ervereinigung
ar das für Sie kein Thema. Jetzt, wo Sie in der Opposi-ion sind, machen Sie daraus ein parteipolitisches Themand tragen es auf dem Rücken der Betroffenen aus. Ichitte Sie, das jetzt einzustellen.Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Bei diesem Gesetzentwurf geht es um nicht mehrnd nicht weniger als die Beseitigung einer Ungerech-igkeit.
s wäre nicht zu spät, wenn man diese Ungerechtigkeitier und heute beseitigen würde.
Herr Staatssekretär Körper, aus diesem Grund findech Ihren Hinweis auf die Rede des damaligen Bundes-anzlers Kiesinger aus dem Jahre 1966 wirklich de-latziert. Er habe damals, 1966, gesagt, dass die Kriegs-olgenentschädigung allmählich ein Ende haben müsse,
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5706 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Dr. Max Stadlerdass man nach vorne blicken müsse. Wenn das in unse-rer heutigen Debatte ein wirkliches Argument wäre– ich will keine falschen Parallelen zu anderen Sach-verhalten herstellen –, dann wäre es aber auch nichtrichtig, dass noch im Jahre 2000 Lücken bei der Ent-schädigung von NS-Unrecht geschlossen wurden; aberalle vier Fraktionen waren der Meinung, dass das rich-tig ist.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit dem Zitataus der Rede von Kiesinger Ihrem KoalitionspartnerBündnis 90/Die Grünen aus der Seele gesprochen haben,setzt er sich doch dafür ein, die vergessenen Opfer ausder NS-Zeit auch jetzt noch zu entschädigen. Das Zeitar-gument ist das schwächste Argument.
Es ist eine Ungerechtigkeit; denn die Frage der finan-ziellen Zuwendung hing von dem Zufall ab, ob einKriegsheimkehrer in die damals sowjetisch besetzteZone, in die spätere DDR, oder in den Westen zurückge-kehrt ist. Die Betroffenen können es nicht nachvollzie-hen, dass die eine Gruppe eine Entschädigung bekom-men hat und die andere Gruppe nicht. Wenn von derBundesregierung ausgeführt wird, bei denjenigen, die inden Westen gekommen sind, sei es keine Entschädigung,sondern eine Eingliederungshilfe gewesen, dann könnendas vielleicht Juristen verstehen, die betroffenen Men-schen jedoch verstehen dies nicht.
Aus diesem Grund wird die FDP dem Gesetzentwurf zu-stimmen. Denn es ist darüber hinaus auch nicht der Fall,dass wir als Bundesrepublik Deutschland damit finan-ziell überfordert wären.Ich möchte allerdings einen Vorbehalt nennen. Eshat mich in dem gesamten Gesetzgebungsverfahren eineinziges ungutes Gefühl beschlichen. Wir kennen dieHaltung der Bundesregierung zu dieser Frage; siewurde vom Herrn Staatssekretär soeben wieder darge-stellt. Wir wissen auch, dass die früheren Bundesregie-rungen dieselbe Haltung hatten. Deswegen ist natürlichabsehbar, dass es für das berechtigte Anliegen keineMehrheit geben wird. Es tut mir daher Leid, dass in denMenschen Hoffnungen geweckt worden sind, die mitdem Ergebnis der Abstimmung, die gleich ansteht, ent-täuscht werden.
Das ändert aber nichts daran, dass das Anliegen gerecht-fertigt ist. Deswegen werden wir dem Gesetzentwurf zu-stimmen.
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as Kriegsfolgenbereinigungsgesetz ist allerdings schon992 verabschiedet worden. Sie hatten also acht Jahreeit – Ihr erster Antrag stammt aus dem Jahr 2000 –, umiese Gerechtigkeitslücke zu entdecken.
Sie haben sich vorhin über die Vorhaltungen von Frauollegin Stokar von Neuforn empört gezeigt. Sie müs-en aber schon erklären, warum der Prozess, zu dieserrkenntnis zu kommen, so lange gedauert hat, bis Sie iner Opposition waren.
is heute schulden Sie eine plausible Erklärung dafür,arum Sie so viele Jahre gebraucht haben, selbst wennie sagen, dass Sie das beim Gesetzgebungsverfahrenbersehen haben. Es ist doch nicht so, dass sich die Ver-ände in der Zwischenzeit nicht gemeldet hätten! Es istoch nicht so, als wäre das damals bei der Gesetzesbera-ung nicht bekannt gewesen! Noch schlimmer wäre,enn Sie sagen würden, Sie hätten die Kriegsgefange-en bei den Überlegungen, wie die beiden deutschentaaten zusammenwachsen sollen, so viele Jahre langchlicht und einfach vergessen. Das wäre ein Armuts-eugnis.
Ich befürchte aber, dass die Frau Kollegin Recht hat.enn das der Fall ist, dann muss man an die Verantwor-ung appellieren und fragen, ob wirklich jedes Themaazu geeignet ist, dieses parteipolitisch für sich wendenu wollen, wenn man in der Opposition ist,
der ob man im Rahmen der deutschen Wiedervereini-ung bei bestimmten Themen nicht Kontinuität bewei-en muss.
Ich versuche, Ihnen das zu belegen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5707
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Herr Kollege Reichenbach, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Vaatz? – Bitte schön, Herr
Vaatz.
Herr Kollege Reichenbach, stimmen Sie mir zu, wenn
ich sage, dass es sicherlich eine Reihe von Fehlern gibt,
die die von unserer Partei und der FDP geführte Regie-
rung in den 16 Jahren gemacht hat?
Es wäre eine lebensferne Vorstellung, zu meinen, dass
eine solch lange Regierungszeit fehlerfrei verlaufen
wäre.
Stimmen Sie mir weiter zu, dass Sie mit der Absicht
angetreten sind, solche Fehler, sofern sie zutage treten,
zu beseitigen? Stimmen Sie mir auch zu, dass es für Sie
keine Alternative zur Schließung dieser Gerechtigkeits-
lücke geben kann, wenn Sie der Meinung sind, dass es
sich um eine Gerechtigkeitslücke handelt, die wir verur-
sacht haben, weil wir in diesem Punkt falsch gehandelt
haben? Stimmen Sie mir zu, dass es dann Ihre Aufgabe
ist, diese Gerechtigkeitslücke zu beseitigen, und alles an-
dere ein Vergehen an den Bedürftigen wäre?
Wenn ich richtig mitgezählt habe, waren das gleichmehrere Fragen. Ich versuche trotzdem, sie zu beantwor-ten.An einem Punkt unterscheiden wir uns fundamental.Der Bundeskanzler dieser Regierung hat an dieser Stellegesagt: Wir haben einen Fehler gemacht und wir versu-chen, diesen Fehler während unserer Regierungsverant-wortung zu beseitigen.
Das hat auf Ihrer Seite zu hämischen Reaktionen ge-führt. Sie entdecken Ihre Fehler bezeichnenderweise erstdann, wenn Sie selber nicht mehr die Verantwortung tra-gen, die Verantwortung für die Finanzierung, Umsetzungund weitere Gestaltung also andere zu tragen haben. Dasist ein fundamentaler Unterschied zwischen uns.
Zweiter Punkt. Ich widerspreche Ihnen, dass dies da-mals wirklich ein Fehler im Sinne einer fehlenden Bera-tung und Entscheidung gewesen ist, und ich versuche,das zu belegen. Ich darf zitieren:Einer uneingeschränkten Übertragung des Kriegs-gefangenenentschädigungsgesetzes steht entgegen,dass auch dort inzwischen mehr als 45 Jahre ver-gangen sind. Die Betroffenen sind eingegliedert.DGhgmnzrWhRtgEteazsbmbulmZdSKkupzcnowcfnpTbu
as 1992 galt, das gilt heute wohl erst recht.Wir wissen, dass der genannte Verband – Verbändeaben dabei ihre spezifischen Aufgaben – eine andereechtsposition vertritt. Herr Kollege Büttner, die Exper-enanhörung hat nach unserer Einschätzung Folgendesezeigt: Außer den Vertretern des Verbandes haben allexperten die Position, die der Staatssekretär hier vorge-ragen hat, bestätigt, nämlich dass es sich faktisch umine Eingliederungshilfe handelt. Sie selber haben diesuch getan.
Lassen Sie mich jetzt auf das Thema Gerechtigkeitu sprechen kommen, zu dem Sie mit Ihrem Gesetz – soagen Sie – eine Klärung herbeiführen wollen. Das Pro-lem ist nur – das ist deutlich geworden –, dass wir da-it nicht das singulär existierende Gerechtigkeitspro-lem der völlig ungleichen Behandlung der Kriegsfolgennd der Entschädigung in den beiden deutschen Staatenösen, sondern dass wir damit im Grunde genommen vielehr neue Probleme schaffen.
Ich habe dies im Ausschuss bereits gesagt.Moderne Kriege zeichnen sich dadurch aus, dass dieahl der betroffenen Zivilisten viel höher ist als die Zahler Betroffenen an der kämpfenden Front. In dieseminne war der Zweite Weltkrieg ein erster modernerrieg, da sich diese Zahl im Vergleich zum Ersten Welt-rieg in dramatischer Weise umgekehrt hat. Sie müssenns schon die Frage beantworten – auch dies hat die Ex-ertenanhörung eindeutig gezeigt –, warum es bei denivilen Opfern dieses Krieges eine völlig unterschiedli-he materielle und sonstige Behandlung gegeben hat, jeachdem, ob sie in der Bundesrepublik Deutschlandder in der ehemaligen DDR gelebt haben. Die Fragen,arum Sie bei diesen Menschen keine Gerechtigkeitslü-ke sehen und warum Sie das auf die Kriegsheimkehrerokussieren, die haben Sie weder in der ersten Lesungoch im Ausschuss noch heute hier beantwortet.
Wir würden tatsächlich neue Gerechtigkeitslückenroduzieren. Sie haben angekündigt, dass Sie anderehemen, die Sie schon einmal abschließend geregelt ha-en, erneut aufgreifen wollen. Ich bin auf die Debattennd auch darauf gespannt, ob das, was Sie eben an
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Gerold Reichenbachdiesem Pult gesagt haben, zutrifft, dass es nämlich eineletzte singuläre Regelung sei.
Ich bin gespannt, ob dies Bestand hat.Lassen Sie mich noch einmal auf die Gerechtigkeits-lücke zurückkommen. Der Sachverständige MichaelSchwartz hat darauf hingewiesen, dass die Anerkennungdes Opfers keine materielle Frage ist, sondern dass es ei-ner innergesellschaftlichen Diskussion bedarf, die esden Menschen ermöglicht, die Traumata, die sie damalserlitten haben, zu verarbeiten.
Auch das hat die Anhörung gezeigt – wir sehen dasebenfalls –: Für viele sind die Erinnerung und die Aufar-beitung dieser Traumata, die für sie 40 Jahre lang nichtmöglich waren, ganz erhebliche persönliche Anliegen.
Das gilt nicht nur für diese Gruppe, sondern auch fürdiejenigen, die sich bislang nicht artikuliert haben. Icherinnere an die vielen Vergewaltigungsopfer, die sicherst heute trauen, ihre Leiden bekannt zu machen. Vielewurden durch Bomben traumatisiert. Erst jetzt werdensolche Themen in der gesellschaftlichen Diskussion an-gesprochen.Eine Vielzahl von Zivilisten war betroffen. Sie aberreduzieren diesen gesamten Aspekt der gesellschaftli-chen Aufarbeitung über Opfer und Täter. Ich sprechevon gemischten Biographien, die es in vielen Ländern,nicht nur in Deutschland gegeben hat, verursacht durchKrieg und Diktatur.
– Das gilt natürlich nicht nur für die Heimkehrer, son-dern für alle. Sie bestätigen meine Argumentation. Esgeht um verlorene Jahre und um ertragenes Leid wäh-rend der Gefangenschaft. Es geht auch um Demütigun-gen und Totschweigen in der DDR.
Herr Kollege Reichenbach, Ihre Redezeit ist abgelau-
fen.
Ich komme zum Schluss.
Die Frage ist: Ist eine Entschädigung zwangsläufig
mit einer materiellen Leistung verbunden? Wir sind der
Meinung, dass eine gesellschaftliche Anerkennung not-
wendig ist. Wir bestreiten Ihre Position, dass eine Ent-
schädigung nur in Form einer materiellen Leistung ge-
schehen kann.
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ort, wo es materieller Hilfe bedarf, sind wir bereit, un-
eren Beitrag zu leisten, nämlich bei den Stiftungen.
iese Zusage können Sie entgegennehmen.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
rteile ich dem Kollegen Klaus Brähmig von der CDU/
SU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damennd Herren! Der deutsche Journalist und Fernsehmode-ator Robert Lembke hat einmal gesagt: Anerkennung istine Pflanze, die vorwiegend auf Gräbern wächst. – Ge-au diese Aussage wird man wohl in der Zukunft leideruch auf das schwere Schicksal der ostdeutschenriegsheimkehrer und Zivildeportierten anwendenönnen.Die rot-grüne Bundesregierung war ab 1998 aus mo-alisch verständlichen Gründen bereit, mehr als,5 Milliarden Euro für die Entschädigung osteuropäi-cher Zwangs- und Sklavenarbeiter aus dem Bundes-aushalt zu zahlen. Ostdeutschen Kriegsheimkehrernnd Zivildeportierten hingegen wird von der gleichenundesregierung aus ideologischen Gründen eine sym-olische Entschädigung verweigert.
Für die Entschädigung dieser Gruppe müssten nurtwa 22 Millionen Euro aufgewendet werden. Bei derntschädigung osteuropäischer Zwangsarbeiter wurdeufgrund der Altersstruktur der Betroffenen immer mitem Gebot der Eile argumentiert. Heute wird bei derntschädigung unserer ostdeutschen Landsleute von derleichen Regierung die Lösung der Problematik durchen Tod der Betroffenen anscheinend billigend in Kaufenommen.
War die Verschleppung und Zwangsarbeit von deut-chen Zivilisten, also Frauen und Jugendlichen, in densteuropäischen Staaten durch das Völkerrecht legiti-iert? Sind nicht über 1 Million deutsche Soldaten inen stalinistischen Arbeitslagern der sowjetischen Hemi-phäre an Hunger, Seuche und Kälte gestorben?
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5709
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Herr Kollege Brähmig, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Hacker?
Ich möchte meine Rede im Ganzen vortragen. – Wa-ren es nicht die ostdeutschen Heimkehrer und Zivil-deportierten, die im Gegensatz zu ihren westdeutschenLeidensgenossen nach ihrer Rückkehr keinerlei Entschä-digung bekamen und zugleich von der SED-Diktaturpauschal als Kriegsverbrecher stigmatisiert wurden? Da-her frage ich die Abgeordneten der Regierungskoalitionan dieser Stelle: Warum verweigern Sie den ostdeut-schen Kriegsheimkehrern und Zivildeportierten einesymbolische Anerkennung ihres Leides?
Die öffentliche Anhörung des Innenausschusses imJuni dieses Jahres hat eindrucksvoll dokumentiert, dassdie ostdeutschen Heimkehrer und Geltungskriegsgefan-genen die Gesetzesinitiative der Freistaaten Thüringenund Sachsen für eine einmalige Entschädigung begrü-ßen. Circa 250 Betroffene im Alter von über 80 Jahrenhaben sich damals mit Bussen auf den Weg nach Berlingemacht und ihren Kampfeswillen für eine Anerkennungihres Schicksals verdeutlicht. Dazu sage ich noch: Da-runter waren eine ganze Reihe von Sozialdemokraten.Tiefe Enttäuschung zeigte sich bei den angereistenBetroffenen allerdings angesichts der Haltung der rot-grünen Bundesregierung und der Abgeordneten der Koa-lition.
Dies verwundert nicht; denn bis 1998 haben sich auchVertreter von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im parla-mentarischen Beirat des Verbandes der Heimkehrer,Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen für eineinterfraktionelle Gesetzesinitiative ausgesprochen.
Herr Hacker, das wissen Sie ganz genau und viel besserals ich. Ich habe damit keinen Wahlkampf bis 1998 ge-macht.
– Na ja, wir lesen die Protokolle mal nach. – Noch vorden Wahlen im Jahr 1998 sind SPD-Ministerpräsidenten,SPD-Minister und verschiedene Bundestagsabgeordnetedurch die Veranstaltungen der Heimkehrerverbände ge-zogen und haben sich vehement für eine Entschädigungder ostdeutschen Heimkehrer eingesetzt.
Auch die Auffassung der rot-grünen Bundesregierung,man habe mit einer Aufstockung der Stiftungsmittel fürdprrDdrsddB81DVRdnddabUdDlDCle
ie Sachverständigen stellten übereinstimmend fest,ass beide Stiftungen schon heute nicht mehr über aus-eichende Mittel verfügen, um die notwendige Unter-tützungsleistung an Betroffene zu gewähren. Wir habenas vorhin auch hier von den Kollegen gehört.
An der finanziell desaströsen Lage des Bundes mussieser Gesetzentwurf jedenfalls nicht scheitern. Dieundesregierung wird im nächsten Jahr beispielsweise8 Millionen Euro für Eigenwerbung ausgeben. Das sind0 Millionen Euro mehr als im Jahr 2003.
ies entspricht einem Anstieg von 11,4 Prozent. Meinorschlag lautet daher: Verbessern Sie doch einfach dieegierungsleistung um 100 Prozent. Dann brauchen Sieeutlich weniger Eigenwerbung und wir haben genug Fi-anzmittel, um diesen Gesetzentwurf Wirklichkeit wer-en zu lassen.
Standhaft verweigern Sie von den Regierungsparteienen ostdeutschen Betroffenen, die für Gesamtdeutschlandls lebende Reparationszahlung die Schuld der Nazibar-arei gesühnt haben, eine symbolische Anerkennung.nd standhaft hält die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aner Forderung nach einer einmaligen Entschädigung fest.
ie einzige Hoffnung für unsere ostdeutschen Lands-eute bleibt also ein Regierungswechsel.
ann wird es an uns sein, an der FDP und der CDU/SU, politische Glaubwürdigkeit zu beweisen und denetzten überlebenden Betroffenen die Anerkennung nichtrst im Grab auszusprechen.
Danke schön.
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5710 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, darf ich Ihnen
mitteilen, dass ich die Rede der Kollegin Petra Pau zu
Protokoll nehme.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf des Bundesrats auf Drucksache 15/407 über eine
einmalige Entschädigung an die Heimkehrer aus dem
Beitrittsgebiet. Der Innenausschuss empfiehlt auf
Drucksache 15/1625, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-
ratung abgelehnt. Damit entfällt die dritte Beratung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen zu dem Antrag
der Abgeordneten Petra Weis, Eckhardt Barthel
, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck
, Winfried Hermann, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Die Qualitätsoffensive für gutes Planen und
Bauen voranbringen
– Drucksachen 15/1092, 15/1683 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim
Großmann das Wort.
A
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Erstmalig liegt dem Deutschen Bundestag nun einBericht zur Lage der Baukultur in Deutschland vor.Die Bundesregierung hat diesen öffentlichen Dialogüber die Bedeutung von Architektur und Baukultur inunserem Lande angestoßen. Sie griff damit auch Erwar-tungen des Deutschen Bundestages und breiter gesell-schaftlicher Gruppen auf. Als wir gestartet sind, konntenwir kaum ahnen, wie viel Erfolg wir mit dieser Initiativehaben würden.Die Initiative für Architektur und Baukultur wird vonden Ländern, den Kommunen, den planenden Berufensowie der Bau- und Wohnungswirtschaft mitgetragen. Esgeht darum, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit fürdie Bau- und Planungsqualität und die Leistungen vonBdtAmlpKcgkiuvdvvvfAkUskfdhwutwBmkhmhmsnamfSfiudg1) Anlage 3
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Parl. Staatssekretär Achim Großmannwird. Das gilt ausdrücklich auch als Bekenntnis zu derbesonderen Verantwortung des Bundes als Bauherr.Das Konzept einer Stiftung Baukultur wird im vor-liegenden Antrag klar unterstützt. Der baldige Aufbaueiner Bundesstiftung Baukultur ist das zentrale Ziel zurStärkung der Baukultur. Mit dem Gründerkreis und demanschließenden Konvent der Baukultur im April in Bonnhaben wir den ersten Schritt getan.Wir haben inzwischen das Präsidium des Baukon-vents gewählt. Sie müssen sich das folgendermaßen vor-stellen: 490 Mitglieder des Baukonvents sollten an derAbstimmung teilnehmen und 490 standen zur Wahl. Dasist wohl ein einmaliges Verfahren. Jeder durfte wählenund gewählt werden. Die Wahlbeteiligung für das Präsi-dium des Baukonvents lag bei fast 82 Prozent. Ichglaube, dieses herausragende Ergebnis zeigt, dass wirauf dem richtigen Weg sind, die Stiftung als bundesweiteKommunikationsplattform zu institutionalisieren.Dazu soll die Stiftung außergewöhnliche innovativePlanungs- und Bauaufgaben voranbringen und der For-schung Impulse geben. Sie soll herausragende baukultu-relle Leistungen einer Stadt oder Region durch Wettbe-werbe herausstellen und an kontroversen BaubeispielenQualitätsmaßstäbe konkret machen, sprich: auch übernegative Bauten reden. Sie soll den nationalen Erfah-rungsaustausch voranbringen, sich am internationalenWettbewerb beteiligen und durch Herausstellen guterBeispiele Interesse wecken und Marktchancen verbes-sern. Schließlich wollen wir die Entwicklung der Bau-kultur in Deutschland weiterverfolgen und darüber be-richten. Die Stiftung soll also als Dialogplattform dieInstrumente flankieren, die der Bund als Rahmen fürbaukulturelles Handeln den Gemeinden zur Verfügungstellt, wie insbesondere das städtebauliche Planungs-recht und Finanzhilfen im Rahmen der Städtebauförde-rung, zum Beispiel des Programms „Soziale Stadt“ odervon Stadtumbauprogrammen.Wir haben zusammen mit dem Förderverein eine In-formations- und Mobilisierungskampagne zur Klärungauf den Weg gebracht. Wenn auch Private ein materiellesInteresse an einer Stiftung Baukultur zeigen, sind wir be-reit, im Jahr 2005 die Stiftung zu errichten. Ich glaube,sie wird uns allen den Rücken stärken. Der DeutscheBundestag kann heute ein Zeichen in die richtige Rich-tung setzen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Renate Blank von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku-tieren heute im Plenum über einen Bereich, der unter denBegriffen „Architektur“ und „Baukultur“ zu finden ist.Architektur, Baukultur und eine Qualitätsoffensive fürgssPwSunsvbuatsZtrWsnktdsmDBlutsgDölgeöndiWdnnslcNDsf
Architektur ist nach Vitruv, einem Architekten undchriftsteller im antiken Rom, die Mutter aller Künstend zugleich die öffentlichste. Das stimmt auch heuteoch; denn der Architektur kommt in unserer Gesell-chaft eine entscheidende Rolle zu. Jeder, der qualitäts-oll baut, trägt einen kleinen Teil zum großen Mosaik-au Kultur bei. Architektur entwickelt visionäre Kräftend steht in der Verantwortung, zukunftsweisend zugieren und Geschichte aktiv zu beeinflussen. Innova-ion bedeutet deshalb nicht einfach ein Mehr an Technik,ondern auch ein Mehr an kritischer Reflexion und eineunahme an nachhaltigen und experimentellen Konzep-en. Architektur als Quelle der Innovation spiegelt in ih-er umfassenden Qualität Aspekte des gesellschaftlichenandels wider oder nimmt sie sogar vorweg. Sie hatich mit neuen Materialien, neuen Technologien undeuen Produktionsmethoden auseinander zu setzen. Ihrreativer Gebrauch lässt eine neue zeitgenössische Äs-hetik entstehen.Bauen und Kultur ist eine Begriffskombination, voner in den Medien nur wenig zu lesen, zu hören und zuehen ist. Wenn vom Bauen die Rede ist, dann steheneist andere Themen im Vordergrund, zum Beispiel dieauerkrise der Bauwirtschaft, illegale Beschäftigung amau, öffentliche Projekte, die mehr kosten, als ursprüng-ich geplant, Nutzen und Kosten von Autobahntrassennd Umgehungsstraßen. Von Baukultur ist nur ganz sel-en die Rede. Für mich ist Baukultur unteilbar. Sie be-chränkt sich nicht auf die Architektur, sondern umfasstleichermaßen auch Ingenieurbauleistungen, Stadt- undorfentwicklung, Landschaftsarchitektur und Kunst imffentlichen Raum.Baukultur muss im ständigen Dialog zwischen Fach-euten und Bürgern, mit Fachbehörden, Bauverwaltun-en, Handwerkern und Bauherren verankert und weiter-ntwickelt werden. Dabei kommt es darauf an, dieffentlichen Räume so zu gestalten, dass wir uns in ih-en wohl fühlen. Daher ist gute Gestaltung ein Grundbe-ürfnis. Um dies zu befriedigen, müssen alle Beteiligtenm ständigen Dialog gemeinsame Werte formulieren.enn die Baukultur wieder stärker in das Bewusstseiner Bauherren rückt, steigert das auch die Nachfrageach qualitativ hochwertigen Architekten- und Inge-ieurleistungen. Es geht dabei nicht um Vorgaben odertarre Richtlinien. Baukultur ist der Prozess der Herstel-ung.Für die Stadt ist der öffentliche Raum ein wesentli-hes stadtbildendes Element, auf dessen Gestaltung,utzung und Vernetzung Gewicht gelegt werden muss.as ist auch eine Herausforderung für Planer und Bau-chaffende, Qualität mit tragbaren Kosten zu verknüp-en. Baukultur ist eine Angelegenheit, die alle Ebenen
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5712 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Renate Blankangeht. Wir gewinnen die Zukunft aber nur dann, wennjede Ebene dort aktiv ist, wo sie die besten Handlungs-möglichkeiten hat.Baukultur manifestiert sich vor allem in der Pla-nungs- und Verfahrenskultur. Sie wird durch den Willenzur Qualität, durch qualitätsstützende Verfahren sowieeine hohe Integrations- und Kommunikationsleistungbestimmt. Hochwertiges Planen und Bauen ist zudemein wichtiger Standort- und Wirtschaftsfaktor. Wir müs-sen aber auch die Wertschätzung, den Schutz und diePflege des architektonischen Erbes und der gewachsenenKulturlandschaft als Verpflichtung für die Gestaltung derZukunft begreifen nach dem Motto: Die Tradition pfle-gen und den Fortschritt planen!Meine Damen und Herren, Gebäude prägen nicht nurStadtviertel und Städte, sie prägen auch unsere Gesell-schaft. Das kann Konsequenzen haben, die weit reichen.So weit wie Hans Magnus Enzensberger, der einmalsagte: „Jeder Städtebewohner weiß, dass die Architektur,im Gegensatz zur Poesie, eine terroristische Kunst ist“,möchte ich allerdings nicht gehen. Damit jedoch Belie-bigkeit und Stillosigkeit nicht zu einem prägenden Mus-ter werden, brauchen wir Menschen, die die Fähigkeitenund die persönliche Autorität haben, Orientierungs-punkte für gutes Bauen zu setzen und Qualitätsmerk-male zu definieren, hinter die niemand zurückfallensollte. Darin sehe ich auch die Hauptaufgabe der Initia-tive Baukultur; denn wenn man heute die Menschen aufder Straße fragen würde, was sie von moderner Archi-tektur halten, dann würde die Mehrheit vermutlich keinbesonders freundliches Urteil fällen. Aber jede Zeit hatihre Bausünden. Ich denke hier insbesondere an dieBausünden der Nachkriegszeit, nämlich die Trabanten-städte mit ihren heute seelenlosen Wohnquartieren.Wer als Architekt und als Baumeister sein Handwerkprofessionell versteht, der steht immer auch in einergesellschaftlichen Verantwortung. Noch so gelungeneBaukunst ist nicht zweckfrei. Sie ist kein Kunstersatzund keine Ersatzkunst, sondern ist von dem Zweck be-stimmt, dass Menschen in Wohnungen und Häusernmöglichst gut leben und dass sie in Büros und Fabrikhal-len möglichst zufrieden und erfolgreich arbeiten können.Ein Haus, in dem sich Menschen nicht wohl fühlen, istein schlechtes Haus, mag es ästhetisch noch so ein-drucksvoll sein – Baukultur und gutes Bauen ist es dannnicht.Meine Damen und Herren, Ihrem Antrag „Die Quali-tätsoffensive für gutes Planen und Bauen voranbringen“stimmen wir zu und unterstützen ihn grundsätzlich inseiner Zielrichtung. Einige Anmerkungen: Die Auffor-derung an die Bundesregierung, vielfache Aktivitätenzugunsten qualitätsvollen Planens und Bauens aufzuneh-men, bestätigt diejenigen Bundesländer und Kommunen,die auf diesem Gebiet seit langem traditionell erfolgreichhandeln. Als Beispiel nenne ich Bayern, das mit Unter-stützung seiner obersten Baubehörde immerhin seit 1830die Baukultur entscheidend beeinflusst. Innovativ undvorbildhaft werden staatliche Hochbauten wie Universi-täten und Museen, zuletzt die Pinakothek der Modernein München mit ihrer eindrucksvollen Architektur, aberatrcWBgnnnvsHluskecksedfDudlrzdvvfSiaEueiwFStegHswBMlb
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5713
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Ja. – Spätestens seit der Enquete-Kommission „Nach-altige Entwicklung“ ist bekannt, dass der Flächenver-rauch aus ökologischen Gründen drastisch gesenkt wer-en muss. Sogar in Bayern geht der Flächenverbrauchurück, aber nicht aus wirklicher Einsicht in die Proble-atik, sondern weil der demographische Wandel da be-eits greift. Angepeilt wird – da beziehe ich mich nochinmal auf die Enquete-Kommission –, dass deutsch-andweit nur noch 30 Hektar am Tag verbraucht werden.ies führt selbstverständlich dazu, dass in der Zukunftas Bauen – dabei ist natürlich an Straßen, Brücken,äuser oder auch Schlösser zu denken; die Diskussionatten wir gestern im Kulturausschuss – sozusagen im-er kostbarer wird. Angesichts dessen kann meinereinung nach eine Offensive für Qualität nur hilfreichein.Ein zweiter Grund dafür, dass wir diese Offensiveehr unterstützen, liegt darin, dass sie ein außerordent-ch geeignetes Instrument ist – meine Vorrednerin undein Vorredner haben darauf hingewiesen –, um in un-erem manchmal sehr unzufriedenen und sehr zerrisse-en Land eine Debatte über unsere Grundwerte – das isticht zu hoch gegriffen – zu entfachen. Dazu gehörenurchaus die Debatte über die sozialen Brennpunkte innseren Städten – als Stichwort möchte ich Hoyerswerdaennen –, aber auch die Debatten über Geschichtlichkeit.azu möchte ich anführen, weil es gerade so aktuell ist,ass 20 Millionen Euro ausgegeben werden sollen, umen asbestsanierten Palast der Republik abzureißen, und90 Millionen Euro Bundesmittel für den Wiederaufbaues Schlosses bereitgestellt werden sollen. Diese Debat-en sind alt. Ich könnte mir vorstellen, dass sie mithilfees Baukonvents wieder Aktualität bekommen. Viel-icht werden auch Debatten über Regionalität, Identitätnd Ökologie auf einer ganz anderen Plattform entste-en.Als dritten Grund möchte ich am Schluss anführen:ir finden die Idee einer Bundesstiftung „Baukultur“ußerordentlich tragfähig, zumal es um ein überschau-ares Volumen geht. 10 Millionen Euro sind angepeilt.
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5714 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Ursula SowaDavon soll der Bund die Hälfte aufbringen und die ande-ren 5 Millionen Euro sollen hauptsächlich von Architek-ten, Ingenieuren und Unternehmen aus der Bau- undWohnungswirtschaft kommen. Ich hoffe – ich bin sehroptimistisch –, dass diese 5 Millionen Euro eingehen.Derzeit gibt es eine 100-Euro-Kampagne, die in allenBereichen der Bauwirtschaft läuft: Jeder Interessiertemöge 100 Euro spenden. In diesen Tagen und in dennächsten Wochen werden etwa 150 000 Architekten undIngenieure angesprochen bzw. angeschrieben. Wenn je-der Dritte diese Spendensumme aufbringt, dann steht derStiftung nichts im Wege. Ich bin dabei und spende sehrgerne 100 Euro. Ich freue mich auf den Moment, in demwir – vielleicht schon im nächsten Jahr – die Bundesstif-tung gemeinsam aus der Taufe heben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Joachim Günther von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Unsere Kollegin Renate Blank hat dank der ihr
zur Verfügung stehenden Redezeit dieses Thema heute
so umfassend dargestellt, dass man genau überlegen
muss, was zu einem Thema, über das parteiübergreifend
Konsens herrscht, noch gesagt werden kann. Einige
Worte möchte ich schon noch sagen.
In den letzten Jahren hat in diesem Bereich ein Um-
denkprozess stattgefunden und das ist auch gut so. Die
Auseinandersetzung mit der bebauten Umwelt stößt auf
wachsendes Interesse, nicht nur in Fachkreisen, wie das
früher der Fall war, sondern auch in breiten Kreisen der
Bevölkerung. Baukultur ist nicht nur eine ästhetische
Angelegenheit – Staatssekretär Großmann hat es darge-
legt –; Baukultur ist eine Integration von vielen Aspek-
ten des Ingenieur- und Architekturwesens, der Land-
schafts- und Freiflächenplanung, des Städtebaus, des
Denkmalschutzes und der Kunst am Bau. Baukultur be-
zieht sich eben nicht nur auf das Gebäude, sondern auf
den gesamten Bereich der Umwelt.
Der vorliegende Antrag ist eine positive, aber – diesen
kleinen Wermutstropfen möchte ich doch erwähnen –
nicht umfassende Qualitätsoffensive für gutes Planen und
Bauen. In dem Gesamtkontext fehlt die Forderung nach
der Vereinfachung der Bauvorschriften. Eine Stiftung
„Baukultur“ darf sich nicht auf die Formulierung erhabe-
ner Ziele und Idealvorstellungen beschränken, sondern
sollte auch konkrete Vorschläge dazu entwickeln, wie
qualitätsvolles Bauen umgesetzt werden kann. Vielfach
sind es ja unsere starren Vorschriften in der Bauordnung,
die die Kreativität der Ingenieure und Architekten ein-
schränken und manchmal gesichtslose Bauten entstehen
lassen.
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5716 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 15/1683 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Die Qualitätsoffensive für gutes Planen und Bauen vo-
ranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/1092 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit ein-
stimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b so-
wie Zusatzpunkt 4 auf:
16 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg
van Essen, Daniel Bahr , Rainer
Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 15/751 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg
van Essen, Daniel Bahr , Rainer
Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Vier-
undzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes
– Drucksache 15/753 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
ZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Vierundzwanzigsten
Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge-
setzes
– Drucksache 15/1687 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
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Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
ürfe auf den Drucksachen 15/751, 15/753 und 15/1687
n die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
orgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das
st nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
chlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über die Errichtung einer
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernäh-
rung
– Drucksache 15/1663 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Für diesen Tagesordnungspunkt ist eine halbe Stunde
orgesehen. Es wollen aber alle Abgeordneten bis auf
inen ihre Reden zu Protokoll geben, und zwar die Kol-
egen Matthias Weisheit von der SPD-Fraktion, Albert
eß von der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Ostendorff
om BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und für die Bundes-
egierung Dr. Gerald Thalheim.2) Der Kollege Hans-
ichael Goldmann möchte Ihnen das, was er zu sagen
at, persönlich sagen. Dafür bekommt er allerdings nicht
ie Redezeit der anderen hinzu, sondern er muss sich auf
rei Minuten beschränken.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie,uch der eine oder andere Zuhörer, werden sich sicherragen: Warum macht der eigentlich so einen Willi umeine drei Minuten? Es ist doch schon spät. – Genau dasst der Grund. Der Tagesordnungspunkt ist nämlich extraür einen so späten Zeitpunkt angesetzt worden, weilan wieder einmal etwas verschleiern, wieder einmaline Tatsache verdrehen will.Ich will Ihnen das an einem Beispiel aufzeigen: Daird mal eben ein kleines Gesetz geändert. Eigentlichlingt es ganz harmlos. Plötzlich soll – man muss genauinhören – aus „Vorschlagsrecht“ „Anhörung“ werden.lle, die keine Ahnung haben, meinen, das sei fast dasleiche. Aber das ist nicht der Fall. „Vorschlagsrecht“edeutet, dass eine wissenschaftliche Einrichtung dasecht hat, jemanden vorzuschlagen, der fachlich geeig-et ist. „Anhörung“ heißt, ein anderer schlägt vor undann ist die Einrichtung lediglich anzuhören. Jeder, derommunalpolitik macht, kennt den Unterschied zwi-chen „Benehmen herstellen“ und „Einvernehmen her- Anlage 4 Anlage 520.30-2
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003 5717
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Hans-Michael Goldmannstellen“. Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie das Recht ha-ben, Benehmen herzustellen, dann können Sie gleich zuHause bleiben.
Jetzt wollen wir uns doch einmal anschauen, was indem vorliegenden Gesetz geschieht. Dieser Vorgang hatbei den Grünen leider – das muss ich scharf kritisieren;das hätte ich den Grünen nicht zugetraut – seit geraumerZeit Methode. Da schlagen Ihnen Wissenschaftler einerForschungsanstalt in Braunschweig zwei qualifizierteLeute vor. Es wurde getagt, Professoren und alle mögli-chen fähigen Leute waren anwesend. Aber Frau Künastzieht nicht die von dem Haus Vorgeschlagenen heran,sondern drückt jemanden durch, der der ideologischenLinie der Grünen eher entspricht.
Das hat Ärger gegeben.
Ich habe die Pressemitteilungen dabei. Dort steht – ichkann Ihnen das gerne zeigen –: „Empörung in der Wis-senschaft“. Das können Sie auch in anderen Fachveröf-fentlichungen lesen.Was machen Sie jetzt bei der BLE? Ein solches Ri-siko wollen Sie nicht mehr eingehen. Im Frühjahr kom-menden Jahres scheidet der Präsident der BLE aus.Sein Nachfolger soll ein Grüner werden. Weil das überden normalen Verfahrensweg nicht zu erreichen ist, än-dern Sie klammheimlich zu später Stunde dieses Gesetz.
Wenn nicht schon andere Tagesordnungspunkte zu Pro-tokoll gegeben worden wären, wäre dieser Tagesord-nungspunkt gegen 22 Uhr dran gewesen und keinMensch hätte irgendetwas davon mitbekommen.
Ich verstehe auch Folgendes nicht; das muss ich eben-falls sagen, lieber Kollege Albert Deß: Wir haben unssehr lange darüber unterhalten, wie wir mit diesemPunkt umgehen. Deshalb finde ich es witzig, dass geradedu, der du genau zu diesem Gesetz eine Anhörung imAusschuss gefordert hast – dann muss es offensichtlichum etwas ganz Wesentliches gehen –, und die Kollegenheute Abend nicht bereit sind, ein halbes Stündchen fürso etwas Wesentliches aufzubringen.
– Das hat damit nichts zu tun. Wenn wir unsere Aufgabeals Opposition ernst nehmen, dann müssen wir uns auchnoch zu später Stunde hellwach um solche Dinge küm-mern.Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich dieses Verhaltenvon Herrn Berninger und Frau Künast nicht gewohntbin. Aber das Vorgehen, das ganze Haus systematischgS–fdApeEFdbdwmmßwkzmlwVgn
Ali Schmidt, ihr seid nicht bereit, euch mit anderenachlichen Positionen auseinander zu setzen.Die Forschungsanstalt in Braunschweig hat aufgrunder Qualität ihrer Arbeit einen guten internationalen Ruf.lle wesentlichen Institutionen und Gesellschaftsgrup-en unseres Landes sind in ein entsprechendes Gremiumingebunden. Mir kann daher keiner erzählen, dass dientscheidung, die jetzt getroffen werden soll, etwas mitachlichkeit zu tun hat. Hier geht es einzig und alleinarum, Parteipolitik zu betreiben.
Dieses Verhalten ist sogar der Grünen unwürdig. Ichin von einer Veranstaltung für behinderte Menschen,ie ich Ihnen sehr empfehlen kann, hierher gekommen,eil ich meine, dass wir den Finger in die Wunde legenüssen. Wir sind nicht bereit, Ihr Verhalten hinzuneh-en. Wir lassen nicht zu, dass Sie jede Fachlichkeit au-er Acht lassen. Es gibt Menschen, die wissen, dass so-ohl die ökologische Landwirtschaft als auch dieonventionelle Landwirtschaft wertvoll sind. Um diesum Ausdruck zu bringen, habe ich mir die Mühe ge-acht, hierher zu kommen.Ich bedanke mich dafür, dass wenigstens einige Kol-egen hier geblieben sind.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 15/1663 an den Ausschuss fürerbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vor-eschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das isticht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 b auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten HelgeBraun, Katherina Reiche, Thomas Rachel, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUKlinische Prüfung in Deutschland entbürokra-tisieren– Drucksache 15/1345 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
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5718 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Oktober 2003
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsAuch hier war für die Aussprache eine halbe Stundevorgesehen. Aber die Reden der Kollegen Dr. CarolaReimann von der SPD-Fraktion, Helge Braun von derCDU/CSU-Fraktion, Hans-Josef Fell von der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und CorneliaPieper von der FDP-Fraktion sollen zu Protokoll gege-ben werden.1) – Sie sind offenkundig damit einverstan-den.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/1345 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Auch das ist der Fall. Dann ist die Über-weisung so beschlossen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 17. Oktober 2003,9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.