Protokoll:
15056

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 56

  • date_rangeDatum: 3. Juli 2003

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:55 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/56 Abgabe einer Erklärung durch den Bun- deskanzler: Deutschland bewegt sich – mehr Dynamik für Wachstum und Be- schäftigung in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit (Drucksache 15/1309) . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Hermann Otto Solms, der FDP: Steuersenkung vorziehen (Drucksache 15/1221) . . . . . . . . . . . . . Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . Krista Sager BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . Krista Sager BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4583 A 4583 A 4583 B 4583 C 4587 D 4592 D 4596 D 4600 A 4603 B 4603 C 4603 D 4608 A Deutscher B Stenografisc 56. Sit Berlin, Donnerstag I n h a Begrüßung des Marschall des Sejm der Repu- blik Polen, Herrn Marek Borowski . . . . . . . Begrüßung des Mitgliedes der Europäischen Kommission, Herrn Günter Verheugen . . . Begrüßung des neuen Abgeordneten Michael Kauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benennung des Abgeordneten Rainder Steenblock als stellvertretendes Mitglied im Programmbeirat für die Sonderpostwert- zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: 4621 C 4621 D 4581 A 4581 B 4582 D 4581 B Dr. Andreas Pinkwart, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur vereinfachten Nachversteue- undestag her Bericht zung , den 3. Juli 2003 l t : rung als Brücke in die Steuerehr- lichkeit (Drucksache 15/470) . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Friedrich Merz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Steuern: Niedriger – Einfa- cher – Gerechter (Drucksache 15/1231) . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 4583 A 4583 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . Anja Hajduk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4610 D 4611 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . Gabriele Frechen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zy- pern, der Republik Lettland, der Repu- blik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowa- kischen Republik zur Europäischen Union (Drucksachen 15/1100, 15/1200, 15/1300, 15/1301) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . . . Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . . . Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Stübgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erika Steinbach zur namentlichen Abstim- mung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zulas- sungs- und Prüfungsverfahrens des 4612 D 4615 B 4617 C 4619 A 4621 B 4622 A 4623 D 4626 C 4629 B 4629 D 4630 B 4631 A 4631 D 4633 A 4634 C 4636 C 4637 A 4637 B 4638 A 4639 B 4640 C 4642 A 4642 A Wirtschaftsprüfungsexamens (Wirt- schaftsprüfungsexamens-Reform- gesetz – WPRefG) (Drucksache 15/1241) . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnatur- schutzgesetzes (Drucksache 15/776) . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (Drittes SED-Unrechtsbereinigungs- gesetz – 3. SED-UnBerG) (Drucksache 15/1235) . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und ande- rer Verbrauchsteuergesetze (Drucksache 15/1313) . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Reisen ohne Handicap – Für ein barrierefreies Reisen und Na- turerleben in unserem Land (Drucksache 15/1306) . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Reinhold Hemker, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Unterstützung von Landrefor- men zur Bekämpfung der Armut und der Hungerkrise im südlichen Afrika (Drucksache 15/1307) . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Sören Bartol, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜND- 4644 B 4644 B 4644 D 4644 D 4644 D 4645 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 III NISSES 90/DIE GRÜNEN: Verbesse- rung der Welternährungssituation und Verwirklichung des Rechts auf Nahrung (Drucksache 15/1316) . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Ulrike Mehl, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Naturschutz geht alle an – Akzeptanz und Integration des Naturschutzes in andere Politikfel- der weiter stärken (Drucksache 15/1318) . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Hubert Hüppe, Christa Nickels und weiterer Abgeordneter: Forschungsförderung der Europäischen Union unter Re- spektierung ethischer und verfas- sungsmäßiger Prinzipien der Mit- gliedstaaten (Drucksache 15/1310) . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper und weiterer Abgeordneter: Kein Ausstieg aus der gemeinsamen Verantwortung für die europäische Stammzellforschung (Drucksache 15/1346) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Europa- wahlgesetzes und eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Europa- abgeordnetengesetzes (Drucksachen 15/1205, 15/1340) . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zollverwaltungsgeset- zes und anderer Gesetze (Drucksachen 15/1060, 15/1342) . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Be- weisaufnahme in Zivil- oder Han- delssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Beweisaufnahmedurchführungs- gesetz (Drucksachen 15/1062, 15/1283) . . . . 4645 B 4645 B 4645 C 4645 C 4645 D 4646 A 4646 C f) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zu dem Vertrag vom 27. Juni 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik In- dien über die Auslieferung (Drucksachen 15/1073, 15/1285) . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Vor- schlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 72/ 166/EWG, 845/5/EWG und 90/232/ EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG über die Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung (Drucksachen 15/103 Nr. 2.34, 15/985) h) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Ent- schließung des Europäischen Parla- ments zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Clearing und Abrechnung in der Europäi- schen Union. Die wichtigsten politi- schen Fragen und künftigen Heraus- forderungen“ (Drucksachen 15/611 Nr. 1.7, 15/1169) i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Drei- zehnte Verordnung zur Durchfüh- rung des Bundes-Immissionsschutz- gesetzes (Verordnung über Großfeue- rungs- und Gasturbinenanlagen – 13. BImSchV) (Drucksachen 15/1074, 15/1154 Nr. 1, 15/1281) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Beschlussempfehung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verord- nung zur Umsetzung EG-rechtlicher Vorschriften, zur Novellierung der Zweiundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions- schutzgesetzes (Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft – 22. BImSchV) und zur Aufhebung der Dreiundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Festlegung von Konzentrationswerten – 23. BImSchV) (Drucksachen 15/1178, 15/1272 Nr. 2.2, 15/1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4646 D 4647 A 4647 A 4647 B 4647 C IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 k)–o) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 45, 46, 47, 48 und 49 zu Petitionen (Drucksachen 15/1242, 15/243, 15/244, 15/245, 15/246) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: a)–e) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 50, 51, 52, 53 und 54 zu Petitionen (Drucksachen 15/1335, 15/1336, 15/1337, 15/1338, 15/1339) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung des Vermittlungs- ausschusses zu dem Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informations- gesellschaft (Drucksachen 15/38, 15/837, 15/1066, 15/1353). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung des Vermittlungs- ausschusses zu dem Gesetz zur Förde- rung von Kleinunternehmen, zur Ein- dämmung der Schattenwirtschaft und zur Verbesserung der Untermehmens- finanzierung (Drucksachen 15/537, 15/900, 15/1042, 15/1197, 15/1354) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung des Vermittlungs- ausschusses zu dem Gesetz zur Bekämp- fung des Missbrauchs von 0190er-/ 0900er-Mehrwertdiensterufnummern (Drucksachen 15/907, 15/1068, 15/1126, 15/1198, 15/1355) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der Bundesanstalt für vereinigungs- bedingte Sonderaufgaben (BvSAb- wicklungsgesetz – BvSAbwG) (Drucksachen 15/1181, 15/1352) . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- 4647 D 4648 B 4648 D 4648 D 4649 A 4649 B wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Tätigkeit euro- päischer Rechtsanwälte in Deutsch- land und weiterer berufsrechtlicher Vorschriften für Rechts- und Patent- anwälte, Steuerberater und Wirt- schaftsprüfer (Drucksachen 15/1072, 15/1284) . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Ernährungs- und agrarpoli- tischer Bericht 2003 der Bundes- regierung (Drucksache 15/405) . . . . . . . . . . . . . . b) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Birgit Homburger, wei- teren Abgeordneten und der Frak- tion der FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes zur Mo- dulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Änderung des GAK-Gesetzes (Drucksachen 15/754, 15/1158) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Aufhe- bung des Modulationsgesetzes und zur Änderung des GAK- Gesetzes (Drucksachen 15/948, 15/1158) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Matthias Weisheit, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Volker Beck (Köln), wei- terer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: EU-Agrarreform mu- tig angehen und ausgewogen ge- stalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Gerda Hasselfeldt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik die Landwirtschaft und die ländli- chen Räume in der EU stärken – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, weite- 4649 D 4650 A 4650 B 4650 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 V rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Marktwirtschaftliches Modell einer flächengebundenen Kulturlandschaftsprämie verwirk- lichen (Drucksachen 15/462, 15/422, 15/435, 15/1025) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine nachhaltige Agrarpolitik und einen gerechten Interessen- ausgleich bei den laufenden WTO-Verhandlungen – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: WTO-Verhandlungen – Europäi- sches Landwirtschaftsmodell ab- sichern (Drucksachen 15/550, 15/534, 15/1133) e) Antrag der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Agrarpolitische Herausforderungen der WTO und EU-Osterweiterung mit der Kulturlandschaftsprämie meistern (Drucksache 15/1232) . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Imp- fen statt Töten – Grundlage für den Einsatz von Markerimpfstoffen schaffen (Drucksache 15/1004) . . . . . . . . . . . . . Renate Künast, Bundesministerin BMVEL Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhold Hemker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Miller, Staatsminister (Bayern) . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier SPD . . . . . . . . . . . . . 4650 C 4650 D 4651 A 4651 B 4651 B 4653 C 4655 D 4657 C 4658 D 4659 D 4661 A 4662 D Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Drit- tes SGB VIII-Änderungsgesetz – 3. SGB VIII-ÄndG) (Drucksache 15/1114) . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Scheuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Dümpe-Krüger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vor- schriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim- mung und zur Änderung anderer Vorschriften (Drucksachen 15/350, 15/1311) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, wei- teren Abgeordneten und der Frak- tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- besserung des Schutzes der Be- völkerung vor Sexualverbrechen und anderen schweren Straftaten (Drucksachen 15/29, 15/1311) . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Sozialtherapeutische Maßnah- men für Sexualstraftäter auf den Prüfstand stellen (Drucksachen 15/31, 15/1311) . . . . . . 4665 A 4667 A 4668 A 4670 A 4670 B 4672 A 4673 D 4674 D 4675 D 4677 C 4679 B 4679 B 4679 C VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung des Einsatzes der DNA-Analyse bei Straftaten mit sexuellem Hintergrund (Drucksache 15/410) . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugs- gesetzes (Drucksache 15/778) . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor schweren Wiederho- lungstaten durch nachträgliche An- ordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Drucksache 15/899) . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christean Wagner, Staatsminister (Hessen) Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Raab CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) CDU/CSU Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Umsetzung des Bundestags- beschlusses zur Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses (Drucksache 15/1094) . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . Dr. Günter Rexrodt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . Dr. Günter Rexrodt FDP . . . . . . . . . . . . . Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 4649 D 4649 D 4649 D 4680 A 4681 D 4684 A 4685 A 4685 D 4687 B 4688 B 4689 C 4691 B 4692 C 4694 B 4694 C 4695 B 4696 B 4697 A 4698 A 4698 D 4699 D 4700 B 4701 C 4702 B Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Doris Barnett, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Sicherung eines fairen und nachhaltigen Handels durch eine umfassende entwicklungsorientierte Welthandelsrunde (Drucksache 15/1317) . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für ein höheres Libera- lisierungsniveau beim Welthandel mit Dienstleistungen – GATS-Ver- handlungen zügig voranbringen (Drucksache 15/1008) . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Qualitätssicherung im Bil- dungswesen und kulturelle Vielfalt bei GATS-Verhandlungen garan- tieren (Drucksache 15/1095) . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: In- ternationale Rechtssicherheit und transparente Regeln für den Dienst- leistungshandel – GATS-Verhand- lungen voranbringen (Drucksache 15/1010) . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: WTO-Doha-Runde zum Erfolg führen – Voraussetzungen schaffen für eine er- folgreiche WTO-Ministerkonferenz in Cancun/Mexico (Drucksache 15/1323) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mehr Wohl- stand für alle durch mutige Marktöff- nung (Drucksache 15/1333) . . . . . . . . . . . . . . . 4702 D 4702 D 4703 A 4703A 4703 B 4703 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 VII Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ (Drucksache 15/1308) . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . Gitta Connemann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Ursula Sowa BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Helga Daub FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Sehling CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Kranz, Wolfgang Spanier, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Stadtumbau Ost auf dem richtigen Weg – zu dem Antrag der Abgeordneten Henry Nitzsche, Dirk Fischer (Ham- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Stadtent- wicklung Ost – Mehr Effizienz und Flexibilität, weniger Regulierung und Bürokratie – zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: 4703 C 4705 A 4706 B 4707 A 4708 B 4709 C 4711 B 4713 A 4714 A 4715 B 4715 C 4717 A 4718 A 4719 A 4720 A 4721 B 4722 C Stadtumbau Ost – ein wichtiger Bei- trag zum Aufbau Ost (Drucksachen 15/1091, 15/352, 15/750, 15/1331) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Kranz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henry Nitzsche CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) FDP . . . . . . . . . . Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMVBW Marco Wanderwitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bür- gerlichen Gesetzbuches (Gesetz zur Be- seitigung der Rechtsunsicherheit beim Unternehmenskauf) (Drucksache 15/1096) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Vorrang für die Ostseesicherheit (Drucksachen 15/465, 15/1194) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungs- kontrolle, Abrüstung und Nichtverbrei- tung sowie über die Entwicklung der Streikräftepotenziale (Jahresabrüstungs- bericht 2002) (Drucksache 15/1104) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmo- nisierung der Rechts- und Vewaltungs- vorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (Drucksachen 15/457 Nr. 2.2, 15/1288) 4724 A 4724 B 4725 C 4726 D 4727 D 4728 C 4729 D 4730 D 4731 A 4731 B 4731 C VIII Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP: Für eine Verbesse- rung der privaten Vermittlung im Aupair- Bereich zur wirksamen Verhinderung von Ausbeutung und Missbrauch (Drucksache 15/1315) . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Neuabdruck der Antwort der Parl. Staats- sekretärin Dr. Uschi Eid auf die Fragen der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) (55. Sitzung Drucksache 15/1264, Fragen 34 und 35): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Haltung wird die Bundesregierung auf der UN-Konferenz in Paris zur weiteren Fi- nanzierung des GFATM einnehmen? Ist die Bundesregierung prinzipiell bereit, zusätzliche Mittel zu den bereits zugesagten 200 Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren für den GFATM bereitzustellen? Anlage 3 Neuabdruck der Antwort der Parl. Staats- sekretärin Dr. Uschi Eid auf die Fragen der Abgeordneten Conny Mayer (Baiersbronn) (CDU/CSU) (55. Sitzung Drucksache 15/1264, Fragen 38 und 39): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trifft es zu, dass die Bundesregierung die europäische Zusage, den GAFTM bis Ende 2004 mit 1 Milliarde Euro zu unterstützen, hat schei- tern lassen, und wenn ja, wie begründet die Bun- desregierung ihre Haltung? Inwieweit stand die Bundesregierung seit der Gründung des GAFTM hinter dessen Zielen, und ist die Bundesregierung entschlossen, an diesen Zielen in Zukunft festzuhalten? Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Johannes Singhammer (CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entschließungsantrag der CDU/CSU zu dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowe- nien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 3) 4731 D 4732 C 4733 A 4733 B 4733 C 4733 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Li- tauen, der Republik Ungarn, der Repu- blik Malta, der Republik Polen, der Re- publik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tages- ordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Repu- blik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Repu- blik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tages- ordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Matthias Sehling und Beatrix Philipp (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tsche- chischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lett- land, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Axel E. Fischer (Karlsruhe), Ingo Wellenreuther und Veronika Bellmann (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tsche- chischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Un- garn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der 4734 A 4734 C 4735 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 IX Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entschließungsantrag der CDU/CSU zu dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zy- pern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Repu- blik Malta, der Republik Polen, der Repu- blik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tages- ordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Repu- blik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Repu- blik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tages- ordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus Brähmig (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Li- tauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesordnungs- punkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Bürgerlichen Gesetzbuches (Gesetz zur Beseitigung der Rechtsun- sicherheit beim Unternehmensverkauf) (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . . . . 4735 C 4736 A 4736 B 4736 C 4737 C Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . Jerzy Montag BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Antrag: Vorrang für die Ostsee- sicherheit (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . Dr. Christine Lucyga SPD . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enak Ferlemann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . Angelika Mertens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über die Unterrichtung: Bericht der Bun- desregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwick- lung der Streitkräftepotenziale (Jahres- abrüstungsbericht 2002) (Tagesordnungs- punkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über die Beschlussempfehlung und den Be- richt: Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlamemts und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwal- tungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (Tagesordnungs- punkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Grosse-Brömer CDU/CSU . . . . . . . Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4737 C 4738 B 4739 B 4740 B 4741 B 4741 D 4742 C 4742 C 4743 B 4744 D 4745 D 4746 D 4747 C 4749 B 4749 B 4751 A 4752 C 4753 A 4754 A 4754 A 4755 D X Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 Sibylle Laurischk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Antrag: Für eine Verbesserung der privaten Vermittlung im Aupair- bereich zur wirksamen Verhinderung von Ausbeutung und Missbrauch (Tagesord- nungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner SPD . . . . . . . . . . . Rita Pawelski CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Dümpe-Krüger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4757 B 4757 C 4758 C 4758 C 4760 C 4762 A 4762 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4581 (A) (C) (B) (D) 56. Sit Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4733 (A) (C) (B) (D) beit des GFATM für einen wichtigen Baustein im Ge- samtgefüge ihrer Maßnahmen zur Bekämpfung von ßungsantrag der CDU/CSU zu dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 16. Juli 2003 in Paris deutlich machen, dass sie die Ar- CSU) zur Abstimmung über den Entschlie- Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung der NATO Anlage 2 Neuabdruck der Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid auf die Fragen der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) (55. Sit- zung, Drucksache 15/1264, Fragen 34 und 35): Welche Haltung wird die Bundesregierung auf der UN- Konferenz in Paris zur weiteren Finanzierung des GFATM einnehmen? Ist die Bundesregierung prinzipiell bereit, zusätzliche Mit- tel zu den bereits zugesagten 200 Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren für den GFATM bereitzustellen? Zu Frage 34: Die Bundesregierung wird auf der Konferenz am Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Borchert, Jochen CDU/CSU 03.07.2003 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 03.07.2003 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 03.07.2003 * Lamp, Helmut CDU/CSU 03.07.2003 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.07.2003 Otto (Godern), Eberhard FDP 03.07.2003 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 03.07.2003 Raidel, Hans CDU/CSU 03.07.2003* Schindler, Norbert CDU/CSU 03.07.2003 Schmidt (Ingolstadt), Albert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.07.2003 Schösser, Fritz SPD 03.07.2003 Seib, Marion CDU/CSU 03.07.2003 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.07.2003 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 03.07.2003 Anlagen zum Stenografischen Bericht HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria hält und dass sie den Fonds daher auch weiterhin im Rahmen der finan- ziellen Möglichkeiten unterstützen wird. Zu Frage 35: Es wird auf die Antwort zu Frage 28 verwiesen. Anlage 3 Neuabdruck der Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid auf die Fragen der Abgeordneten Conny Mayer (Baiersbronn) (CDU/ CSU) (55. Sitzung, Drucksache 15/1264, Fragen 38 und 39): Trifft es zu, dass die Bundesregierung die europäische Zu- sage, den GFATM bis Ende 2004 mit einer Milliarde Euro zu unterstützen, hat scheitern lassen, und wenn ja, wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung? Inwieweit stand die Bundesregierung seit der Gründung des GFATM hinter dessen Zielen, und ist die Bundesregierung entschlossen, an diesen Zielen in Zukunft festzuhalten? Zu Frage 38: Es wird auf die Antwort zu Frage 28 verwiesen. Zu Frage 39: Die Bundesregierung hat die vom GFATM verfolgten Ziele zur Bekämpfung der drei Krankheiten HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria von Anfang an unterstützt. Sie sieht in dem Fonds jedoch nur ein Instrument, um diese Ziele zu erreichen. Wesentliche Beiträge zur Unterstüt- zung der Entwicklung bei der Bewältigung der dramati- schen Ausbreitung übertragbarer Krankheiten und zur Stärkung nationaler Gesundheitssysteme in Partnerlän- dern leistet die Bundesregierung über ihre bilaterale finanzielle und technische Zusammenarbeit, durch Un- terstützung von Initiativen der Privatwirtschaft und nichtstaatlicher Organisationen. Die Bundesrepublik Deutschland ist das Land, das seit 1999 über seine bila- terale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit einen besonderen Schwerpunkt auf die Bekämpfung von HIV/Aids setzt. So konnte mit sechzehn Partnerländern der Bereich HIV/Aids als besonderer Schwerpunkt der Kooperation vereinbart werden. Darüber hinaus finan- ziert sie in großem Umfang Programme internationaler Organisationen wie WHO, Weltbank und anderer Regio- naler Entwicklungsbanken sowie die in jüngster Zeit stark ausgeweiteten EU-Aktivitäten auf diesem Gebiet. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Johannes Singhammer (CDU/ 4734 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 3) Ich erkläre, dass ich dem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, Drucksache 15/1359, zur Schluss- abstimmung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung – Drucksache 15/1100, 15/1200,15/1300 – völlig zu- stimme. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Repu- blik Estland, der Republik Zypern, der Repu- blik Lettland, der Republik Litauen, der Repu- blik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowa- kischen Republik zur Europäischen Union (Ta- gesordnungspunkt 3) Ich begrüße die Erweiterung der Europäischen Union und sehe darin vor allem einen bedeutenden Schritt zur Verständigung und Aussöhnung mit Deutschlands östli- chen Nachbarstaaten sowie zur langfristigen Stabilisie- rung des Friedens in Europa. Ich bedauere deshalb das im Deutschen Bundestag angewandte Abstimmungsverfahren, das mir nur die Möglichkeit lässt, ein Gesamtvotum über alle Länder ab- zugeben, anstatt über jedes Land einzeln abstimmen zu können. Da ich einerseits nicht gegen die Aufnahme je- ner Länder stimmen möchte, deren Beitritt ich befür- worte, es andererseits aber nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, der Aufnahme der Tschechischen Re- publik zuzustimmen, stimme ich mit Enthaltung. Die tschechische Regierung hat es versäumt, noch vor dem Beschluss über ihre Aufnahme in die Europäische Union die diskriminierenden, völkerrechts- und men- schenrechtswidrigen Benes-Dekrete aufzuheben. Die Regierung der Tschechischen Republik ist nach wie vor nicht bereit, die kollektive Entrechtung, die entschädi- gungslose Enteignung und die Vertreibung von dreiein- halb Millionen Sudetendeutschen klar und unmissver- ständlich als völkerrechtswidrig anzuerkennen, den Sudetendeutschen, deren Vorfahren jahrhundertelang in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien ansässig waren, das Recht auf Heimat zuzugestehen, das Amnestiegesetz vom 8. Mai 1946 mit seiner Ex-tunc-Straffreistellung für an Deutschen begangene Verbrechen aufzuheben, sich unzweideutig von denjenigen Benes-Dekreten zu distan- zieren, die zu den völkerrechtswidrigen Enteignungen Sudetendeutscher geführt haben. Die Benes-Dekrete sind mit der Rechts- und Wertege- meinschaft der Europäischen Union nicht vereinbar. Umso unverständlicher ist es, dass weder die Europäi- sche Kommission noch die deutsche Bundesregierung ernsthafte Anstrengungen unternommen hat, auf der Grundlage der Kopenhagener Kriterien die Tschechische Republik dazu zu bewegen, die Benes-Dekrete vor einer Entscheidung über die Aufnahme des Landes in die Eu- ropäische Union aufzuheben. Die Europäische Kommis- sion hat entgegen ihren eigenen Vorgaben darauf ver- zichtet, in den Verhandlungen mit der Tschechischen Republik auf der uneingeschränkten Erfüllung der von der Europäischen Union selbst gesetzten moralischen und politischen Prinzipien zu bestehen. Mit der Auf- nahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union verstößt die Gemeinschaft eklatant gegen Grund- prinzipien, die sie selbst in der Kopenhagener Erklärung festgelegt hat. Die weiterhin gültigen, Vertreibung und ethnische Säuberung rechtfertigenden Unrechtsdekrete der Tsche- chischen Republik sind mit dem europäischen Rechts- und Menschenrechtsstandard nicht vereinbar. Sie dürfen deshalb in der bestehenden Rechtsordnung eines Mit- gliedstaates keinen Bestand haben. Wenn nämlich künf- tig völkerrechtswidrige Dekrete in der Rechtsordnung eines zur Europäischen Union gehörenden Landes fort- bestehen, dann ist das gesamte Fundament Europas ge- fährdet. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Repu- blik, der Republik Estland, der Republik Zy- pern, der Republik Lettland, der Republik Li- tauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowe- nien und der Slowakischen Republik zur Euro- päischen Union (Tagesordnungspunkt 3) Mit der Osterweiterung der Europäischen Union er- öffnet sich nach den bitteren Erfahrungen vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die historische Chance, Frieden, Freiheit und Sicherheit in ganz Europa nachhaltig zu stärken. Die Einigung Europas ist das wertvollste Erbe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- derts. Die Europäische Union als Rechts- und Wertege- meinschaft bietet dabei die Chance einer dauerhaften Verständigung und Aussöhnung zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarstaaten. Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion begrüßt daher die Aufnahme aller zehn Beitrittsstaaten zur Europäischen Union zum 1. Mai 2004. Dieser Beitritt ist eine zukunftsgerichtete Weiterentwicklung einer jahrhundertealten gemeinsa- men Wertegemeinschaft auf der Grundlage gemeinsa- men Glaubens, gemeinsamer Kultur und gemeinsamer Geschichte. Maßgeblich für einen Erfolg der Europäischen Union als Rechts- und Wertegemeinschaft ist die Einhaltung der vom Europäischen Rat 1993 beschlossenen Kopen- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4735 (A) (C) (B) (D) hagener Kriterien. Darin werden von den Mitgliedstaa- ten unter anderem eine stabile Demokratie, der Schutz von Minderheiten und die Achtung der Menschenrechte gefordert. Die Kopenhagener Kriterien waren richtungs- weisend für den Reformprozess, den die Bewerberländer eingeleitet und vorangebracht haben, um die Bedingun- gen für eine von allen Seiten gewünschte Mitgliedschaft in der EU zu erfüllen. Es bestehen jedoch insbesondere in der Tschechi- schen Republik Dekrete fort, die entgegen dem Völker- recht als Rechtfertigungen für Tötungen, Vertreibungen und Entrechtungen gedient haben. Nicht nur ich meine, dass diese Dekrete und deren po- litische Bestätigungen den Weg verschließen könnten, die Vergangenheit aufzuarbeiten und zu überwinden, um die Zukunft von Nachbarn zum Wohle ihrer Bürger zu meistern. Und deswegen sage ich: Vertreibungsdekrete, Vertreibungsgesetze sowie so genannte Straffreistel- lungsgesetze sind Unrecht und stehen im Gegensatz zum Völkerrecht. Sie dürfen nirgendwo Bestandteil einer be- stehenden Rechtsordnung sein. Daher sind diese Dekrete abzuschaffen bzw. für nichtig zu erklären. Ich begrüße in diesem Zusammenhang die Erklärun- gen der tschechischen Regierung vom 19. Juni 2003 in Prag und vom 29. Juni 2003 in Göttweig, in denen auf die „unannehmbaren Taten und Ereignisse“ in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hingewiesen und ein Bekenntnis der moralischen Verantwortung ab- gelegt wird, als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die Auffor- derung des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 1999, „fortbestehende Gesetze und Dekrete aus den Jah- ren 1945 und 46 aufzuheben, soweit sie sich auf die Ver- treibung von einzelnen Volksgruppen in der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen“, sowie an den deutsch- tschechischen Nachbarschaftsvertrag von 1992 und die deutsch-tschechische Erklärung von 1997, in der sich beide Seiten zu ihrer historischen Verantwortung be- kannt haben. Ich fordere die Bundesregierung auf, insbesondere mit der Tschechischen Republik über die Aufhebung der Vertreibungs- und Entrechtungsdekrete sowie Straffrei- stellungsgesetze zu verhandeln. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Matthias Sehling und Beatrix Philipp (beide CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Est- land, der Republik Zypern, der Republik Lett- land, der Republik Litauen, der Republik Un- garn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesord- nungspunkt 3) Wir schließen uns der mündlichen Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erika Steinbach an. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land), Ingo Wellenreuther und Veronika Bellmann (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Re- publik zur Europäischen Union (Tagesord- nungspunkt 3) Wir stimmen dem Gesetz zu und erklären hierzu: Mit der Osterweiterung der Europäischen Union er- öffnet sich nach den bitteren Erfahrungen vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die historische Chance, Frieden, Freiheit und Sicherheit in ganz Europa nachhaltig zu stärken. Die Einigung Europas ist das wertvollste Erbe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- derts. Die Europäische Union als Rechts- und Wertege- meinschaft bietet dabei die Chance einer dauerhaften Verständigung und Aussöhnung zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarstaaten. Maßgeblich für einen Erfolg der Europäischen Union als Rechts- und Wertegemeinschaft ist die Einhaltung der vom Europäischen Rat 1993 beschlossenen Kopen- hagener Kriterien. Darin werden von den Mitgliedstaa- ten unter anderem eine stabile Demokratie, der Schutz von Minderheiten und die Achtung der Menschenrechte gefordert. Die Kopenhagener Kriterien waren richtungs- weisend für den Reformprozess, den die Bewerberländer eingeleitet und vorangebracht haben, um die Bedingun- gen für eine von allen Seiten gewünschte Mitgliedschaft in der EU zu erfüllen. Es bestehen jedoch insbesondere in der Tschechi- schen Republik Dekrete fort, die entgegen dem Völker- recht als Rechtfertigungen für Tötungen, Vertreibungen und Entrechtungen gedient haben. Nicht nur wir meinen, dass diese Dekrete und deren politische Bestätigungen den Weg verschließen könnten, die Vergangenheit aufzuarbeiten und zu überwinden, um die Zukunft von Nachbarn zum Wohle ihrer Bürger zu meistern. Und deswegen sagen wir: Vertreibungsdekrete, Vertreibungsgesetze sowie so genannte Straffreistel- lungsgesetze sind Unrecht und stehen im Gegensatz zum Völkerrecht. Sie dürfen nirgendwo Bestandteil einer be- stehenden Rechtsordnung sein. Daher sind diese Dekrete abzuschaffen bzw. für nichtig zu erklären. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Erklä- rungen der tschechischen Regierung vom 19. Juni 2003 4736 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) in Prag und vom 29. Juni 2003 in Göttweig, in denen auf die „unannehmbaren Taten und Ereignisse“ in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hingewiesen und ein Bekenntnis der moralischen Verantwortung ab- gelegt wird, als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. In diesem Zusammenhang erinnern wir an die Auffor- derung des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 1999, „fortbestehende Gesetze und Dekrete aus den Jah- ren 1945 und 1946 aufzuheben, soweit sie sich auf die Vertreibung von einzelnen Volksgruppen in der ehemali- gen Tschechoslowakei beziehen“, sowie an den deutsch- tschechischen Nachbarschaftsvertrag von 1992 und die deutsch-tschechische Erklärung von 1997, in der sich beide Seiten zu ihrer historischen Verantwortung be- kannt haben. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der CDU/CSU zu dem Entwurf ei- nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 3) Hiermit erkläre ich, dass ich mit dem Entschließungs- antrag der CDU/CSU-Fraktion (Drucksache 15/1359) vollinhaltlich übereinstimme. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Albert Rupprecht (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Tagesordnungspunkt 3) Mit seiner Zustimmung zu dem Vertrag für die Auf- nahme zehn neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Union gibt der Deutsche Bundestag dem Willen Aus- druck, die Europäische Union zu einem Bund der Frei- heit und des Friedens wieder zu vereinen. Ich stimme dem Antrag aus übergeordneten Gründen zu, wenngleich ich erhebliche Bedenken anmelden möchte: Ich sehe mit großer Sorge, dass viele Voraussetzungen noch nicht erfüllt sind, die bei dieser Erweiterung zwin- gend erfüllt sein müssten. Die Erweiterung findet statt, bevor die Reformdiskussion in der Europäischen Union einen erfolgreichen Abschluss gefunden hat. Es ist weder absehbar, ob das noch zu verhandelnde institutionelle Gefüge der EU effektiv arbeiten kann, noch ob es von den Staaten überhaupt akzeptiert wird. Eine klare Ab- grenzung der Kompetenzen in der Union ist noch nicht gegeben. Wir wissen momentan nicht, in welchen Berei- chen wir soziale und wirtschaftliche Belange gemein- sam, koordiniert oder einzelstaatlich regeln. Wir stim- men der Erweiterung zu, bevor uns ein schlüssiges und mehrheitsfähiges Konzept Sicherheit darüber gibt, wie mittel- und langfristig die erweiterte Union und ihre Ak- tivitäten finanziert werden. Deutschlands Grenzregionen wurde zur Vorbereitung auf die Erweiterung von Vertre- tern der Regierungspartei SPD ein geschlossenes Grenz- gürtelprogramm versprochen, welches bis heute noch nicht existiert. Nach den Plänen der Bundesregierung wird Deutschland in Zukunft aus den EU-Töpfen keine Zuwendungen mehr für Strukturmaßnahmen erhalten. Den Grenzregionen bleibt gleichzeitig auch kein Hand- lungsspielraum, eigene Unternehmen entsprechend schützen oder fördern zu können. Nach wie vor gibt es auf tschechischer Seite keine Außerkraftsetzung der tschechischen Vertreibungsdekrete. Mit der Erweiterung wird somit der EU als Rechtsgemeinschaft ein zweifel- haftes Erbe übertragen. In der EU und in Deutschland wurden notwendige Maßnahmen im Vorfeld der Erwei- terung nicht getroffen, wenngleich die Maßnahmen auf beiden Ebenen wiederholt als notwendig angesehen wur- den. Insbesondere die Bundesregierung ist in der Ge- samtbetrachtung hier ihrer Fürsorgepflicht gegenüber der deutschen Bevölkerung – insbesondere in den Grenz- regionen zu den Beitrittsstaaten – nicht ausreichend nachgekommen. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus Brähmig (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Repu- blik Estland, der Republik Zypern, der Repu- blik Lettland, der Republik Litauen, der Repu- blik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowa- kischen Republik zur Europäischen Union (Ta- gesordnungspunkt 3) Mit der Osterweiterung der Europäischen Union er- öffnet sich nach den bitteren Erfahrungen vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die historische Chance, Frieden, Freiheit und Sicherheit in ganz Europa nachhaltig zu stärken. Die Einigung Europas ist das wertvollste Erbe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Europäische Union als Rechts- und Wertegemeinschaft bietet dabei die Chance einer dauerhaften Verständigung und Aus- söhnung zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarstaaten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion be- grüßt daher die Aufnahme aller zehn Beitrittsstaaten zur Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4737 (A) (C) (B) (D) Europäischen Union zum 1. Mai 2004. Dieser Beitritt ist eine zukunftsgerichtete Weiterentwicklung einer Jahr- hunderte alten gemeinsamen Wertegemeinschaft auf der Grundlage gemeinsamen Glaubens, gemeinsamer Kultur und gemeinsamer Geschichte. Maßgeblich für einen Erfolg der Europäischen Union als Rechts- und Wertegemeinschaft ist die Einhaltung der vom Europäischen Rat 1993 beschlossenen Kopen- hagener Kriterien. Darin werden von den Mitgliedstaa- ten unter anderem eine stabile Demokratie, der Schutz von Minderheiten und die Achtung der Menschenrechte gefordert. Die Kopenhagener Kriterien waren richtungs- weisend für den Reformprozess, den die Bewerberländer eingeleitet und vorangebracht haben, um die Bedingun- gen für eine von uns gewünschte Mitgliedschaft in der EU zu erfüllen. Ich sehe jedoch, dass offensichtlich nicht alle Bei- trittsländer – aus welchen Gründen auch immer – sich vor dem Beitritt in die Rechts- und Wertegemeinschaft der Europäischen Union von Dekreten getrennt haben, die völkerrechtswidrig so genannte Rechtfertigungen für die Vertreibungen der Deutschen aus ihrer Heimat am Ende des Zweiten Weltkrieges und danach waren. So schmerzt es mich, dass zum Beispiel die Tschechische Republik an den Benes-Dekreten festhält, was wieder- holt in den Äußerungen führender Regierungsvertreter, aber auch in der Resolution des tschechischen Parlamen- tes vom 23. April 2002 zum Ausdruck gekommen ist. Daran hat auch die bedeutende Erklärung der Regierung der Tschechischen Republik vom 18. Juni 2003, in der auf die „unannehmbaren Taten und Ereignisse“ in der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hinge- wiesen wird, in der Substanz nichts geändert, zumal die tschechische Regierung gerade in jüngster Zeit ein Fest- halten an den Benes-Dekreten als den rechtlichen Grundlagen der Vertreibung politisch bekräftigt hat. Nicht nur ich meine, dass diese wiederholten politi- schen Bekräftigungen den Weg verschließen könnten, die Vergangenheit aufzuarbeiten und zu überwinden, um die Zukunft von Nachbarn zum Wohle ihrer Bürger zu meistern. Denn dazu gehört auch ein Bekenntnis zur Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit wie auch ein Bekenntnis zum Recht auf die Heimat für die deutschen Vertriebenen, die wie die tschechische Bevölkerung Schlimmstes erleiden mussten. Deswegen sage ich: Vertreibungsdekrete und Vertrei- bungsgesetze sind Unrecht und stehen im Gegensatz zum Völkerrecht. Daher unsere Bitte, unser nachbar- schaftliches Verlangen: Vertreibungen und ethnische Säuberungen dürfen nirgendwo Bestandteil einer beste- henden Rechtsordnung sein und besonders nicht bleiben. Deshalb fordere ich: Die Vertreibungs- und Enteig- nungsdekrete sind in den Beitrittsstaaten, in denen sie noch bestehen, abzuschaffen, für nichtig zu erklären. Ich halte daher an der Forderung einer Abschaffung der Vertreibungsdekrete und Vertreibungsgesetze fest, so wie es in der „Entschließung des Europäischen Parla- mentes vom 15. April 1999 zum regelmäßigen Bericht der Kommission über die Fortschritte der Tschechischen Republik“ auf dem Weg zum Beitritt zum Ausdruck ge- kommen ist. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (Gesetz zur Beseitigung der Rechtsunsicherheit beim Unternehmensverkauf) (Tagesordnungs- punkt 12) Christine Lambrecht (SPD): Der Gesetzentwurf der CDU/CSU will ein angeblich bestehendes Auslegungs- problem des § 444 BGB lösen. Eine unterstellte Rechts- unsicherheit im Haftungsrecht bei Unternehmenskäufen soll beseitigt werden. Wenn diese Rechtsunsicherheit in der Beratungspraxis tatsächlich besteht, dann werden wir darüber reden müssen. Ihr Entwurf geht aber weit darüber hinaus, indem er die gesetzliche Regelung auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt, entgegen der eindeutigen Intention des Ge- setzgebers, der die Regelung in allen Kauf- und Werk- verträgen angewendet wissen wollte. Kaum eine Vorschrift des neuen Schuldrechts hat so heftige Diskussionen ausgelöst wie § 444 BGB, nach dessen Wortlaut eine Verbindung von Garantie und Haf- tungsbeschränkung nicht mehr möglich erscheint. Der Umfang der einschlägigen Publikationen ist eindrucks- voll. Der Grund für diese Diskussion liegt in § 444 Alt. 2 BGB. Nach dieser Bestimmung kann sich der Verkäufer auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, dann nicht berufen, wenn er eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Diese Regelung wirft folgendes Problem auf: Einerseits spielen Garantien im kaufmännischen Ge- schäftsverkehr eine bedeutsame Rolle. Man denke nur an Maschinenbau- und Anlagenverträge, wo Garantien etwa im Hinblick auf Kapazität, Leistungsdaten und Ver- brauch absolut üblich und wohl auch unverzichtbar sind. Andererseits sollen auch in diesen Fällen nicht über Jahre hinweg und unbegrenzt Einstandspflichten über- nommen werden. Deshalb werden Garantien und die ge- setzliche Gewährleistung summenmäßig, zeitlich oder auch hinsichtlich der Rechtsfolgen beschränkt. Gerade beim Unternehmenskauf wird das gesetzliche Gewährleistungssystem in der Regel durch ein umfas- sendes, in sich geschlossenes System vertraglicher Haf- tungen des Verkäufers ersetzt, in denen Garantien für die Richtigkeit von Jahresabschlüssen, Umsätzen oder Er- trägen übernommen werden. Dies sei nun wegen der Regelung des § 444 BGB al- les nicht mehr möglich, wurde und wird gewarnt. Zwi- schenzeitlich überwiegen aber die Stimmen im Schrift- tum, die eine einschränkende Auslegung der Norm im 4738 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) Hinblick darauf fordern, dass der Gesetzgeber die alte Vertragspraxis nicht habe ändern wollen. Unterschiedliche Auffassungen werden vertreten, verschiedene Lösungsansätze werden vorgeschlagen: Nach einer Auffassung erfasst § 444 BGB nur den Bereich der so genannten unselbstständigen Garantie, nicht aber die selbstständige Garantie, die ein eigenstän- diges Haftungssystem nach § 311 BGB darstellt. Andere subsumieren unter § 444 auch die selbststän- dige Garantie und fordern mit unterschiedlichen Argu- mentationen eine einschränkende Auslegung der Norm oder schlagen angesichts einer nach ihrer Auffassung verbleibenden Rechtsunsicherheit Beschaffenheitsver- einbarungen (gegebenfalls verschuldensunabhängig) vor, die dann zeitlich oder summenmäßig beschränkt werden könnten. Auch wird erwogen, einen selbstständigen Garantie- vertrag im Sinne des § 311 BGB abzuschließen, bei dem klargestellt werden soll, dass er nicht dem § 444 BGB unterfalle. Schließlich wird eine Gesetzesänderung zur Beseiti- gung der Unklarheiten angeregt. Auch wenn ich persönlich der Ansicht bin, dass § 444 BGB bei sachgerechter Auslegung der bisherigen Vertragspraxis nichts entgegensteht, werden wir uns mit dieser Problematik ohne Scheuklappen befassen. Dies ist auch angebracht, immerhin handelt es sich um eine Sachfrage ohne parteipolitischen Hintergrund. Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Manchmal können einige wenige Paragraphen ein Beben in den betroffenen Kreisen auslösen. Das habe ich zuletzt als Berichterstat- ter im Rahmen der Novelle zum Urheberrecht erfahren, als es um einen neuen § 52 a UrhG ging. Ein ähnliches Echo in der Fachwelt hat der neu gefasste § 444 BGB hervorgerufen, der eine der Grundlagen für den Unter- nehmenskauf bildet und in seiner geltenden Fassung ein Ergebnis der Reform des Schuldrechts ist. Anlass für die Reform des Schuldrechts war die Um- setzung der EG-Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchergüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter vom 25. Mai 1999. Wesenselement dieser Richtlinie ist eine Verbesserung des Verbraucher- schutzes. Wie bei so vielen anderen Richtlinien hat die Bundes- regierung auch diese Richtlinie der Europäischen Union seinerzeit mit eigenen, zum Teil nur halb ausgegorenen Ideen befrachtet. Am Ende wundert man sich dann, dass Umsetzungsfristen versäumt werden, eine EU-rechts- konforme Umsetzung scheitert oder wir im Ergebnis eine verschlimmbesserte deutsche Rechtslage erhalten, die nicht nur den Juristen ein Ärgernis ist, sondern auch der Rechtssicherheit und damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland schadet. Leider hat ausgerechnet der § 444, eine zentrale Be- stimmung des Kaufrechts, zu großer Verunsicherung ge- führt. Mit der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber erst- mals den Begriff der Garantie in das BGB eingeführt. Dabei wurde allerdings das Ziel, nämlich eine Klarstel- lung zu erreichen, verfehlt. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für wissen- schaftliche Abhandlungen und Berichte der Fachpresse, die inzwischen ganze Aktenordner füllen. Der Gesetzge- ber hat der Praxis des Unternehmenskaufs den Boden unter den Füßen weggezogen. Es muss nun wieder ein- mal auf die Rechtsprechung gewartet werden, die für den Gesetzgeber in die Bresche springen muss, um Rechtssicherheit zu schaffen. Der Begriff der Garantie findet sich in den §§ 276 I, 442 I, 443, 444, 477 BGB. § 444 BGB erregte dabei be- sonderes Aufsehen. Der Verkäufer kann sich danach auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Käufers ausgeschlossen oder beschränkt werden, nicht berufen, wenn er eine Garantie für die Beschaffenheit übernom- men hat. Es stellt sich die Frage, ob nun die Garantie bisheriger Unternehmenskaufverträge hierunter fällt oder nicht. So- lange diese Frage nicht beantwortet ist, schwimmt die Vertragspraxis steuerlos in unbekannten Gewässern. Inzwischen hat erfreulicherweise auch das Bundes- justizministerium dieses Problem erkannt. Man sah sich sogar herausgefordert, dem Bundesverband der Deut- schen Industrie eine entsprechende – rechtlich allerdings unverbindliche – Interpretationshilfe zukommen zu las- sen. Nur gesetzgeberischen Handlungsbedarf mochte man nicht anerkennen. Das ist für mich eine inkonse- quente Haltung, die die eingetretene Rechtsunsicherheit nicht zu beseitigen vermag. Der Unternehmenskauf ist für eine Volkswirtschaft von immenser Bedeutung. Jede Verzögerung bedeutet die Gefährdung von Arbeitsplätzen, die Verschiebung von Investitionen und möglicherweise sogar die Ver- nichtung der Existenzgrundlage eines Unternehmens. Führt man sich diese Punkte vor Augen, dann stößt es auf Unverständnis, dass bislang gesetzgeberisch nicht gehandelt wurde. Betrachtet man die bisherige umfangreich erschie- nene Literatur zu dem von der CDU/CSU-Fraktion in die politische Diskussion eingebrachten Thema, so findet man – das erstaunt uns nicht – verschiedene Ansichten über die rechtliche Einordnung der Problematik. Dass so viel darüber diskutiert wird, unterstreicht einmal mehr, wie unklar die derzeitige Situation ist. Unternehmen auf eine höchstrichterliche Rechtspre- chung zu vertrösten oder möglicherweise sogar zu emp- fehlen, auf angloamerikanisches Recht auszuweichen, verbietet sich aus meiner Sicht schlichtweg. Als Union wollen wir, dass der Bundestag schnellstmöglich seine gesetzgeberische Pflicht erfüllt, damit der derzeit danie- derliegende Markt für Unternehmenskäufe wieder in Schwung kommt und internationale Investoren keinen Bogen um Deutschland machen. Kernelement der Umsetzung der entsprechenden Brüsseler Vorgaben ist ein verbesserter Verbraucher- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4739 (A) (C) (B) (D) schutz. Die bereits zitierte EU-Richtlinie hebt in ihren Erwägungsgründen hervor, dass ein Hauptziel der Ver- träge die Erreichung eines hohen Verbraucherschutzni- veaus ist. Man kann dem Gesetzgeber nicht vorwerfen, dass er europäisches Recht nicht richtlinienkonform umgesetzt habe. Aber warum muss der deutsche Gesetzgeber wie- der einmal über das Ziel hinausschießen und eine Rege- lung einführen, die die Richtlinie gar nicht verlangt? Wollen wir nicht deregulieren, statt immer weitere Ge- setze und Verordnungen zu erlassen? Wenn der Gesetz- geber und auch das Bundesjustizministerium die Schief- lage erkennen, muss man sich weiter fragen, warum denn nicht eine Korrektur erfolgt. Der Bund ist nicht dazu aufgerufen, kluge Interpretationshilfen für schlechte Gesetze zu formulieren, sondern einfach gute Gesetze zu verabschieden. Alle Interpretationshilfen werden überflüssig, wenn wir den klaren Unionsvor- schlag Gesetz werden lassen und damit lediglich das richtlinienkonform umsetzen, was die EU-Richtlinie verlangt. Damit ist dem Ziel eines verbesserten Verbrau- cherschutzes am besten gedient. Werden Unternehmens- käufe erschwert oder teilweise vielleicht sogar ver- hindert, weil man eigentlich im Sinn hatte, Verbraucher- rechte zu stärken, dann hat kein Verbraucher etwas da- von. Die Richtlinie selbst unterstreicht diese Position. Nir- gends ist der Unternehmenskauf in der Richtlinie ge- nannt. Es wird fast ausschließlich vom Verbraucher ge- sprochen; allein das zeigt die Zielsetzung. Die Richtlinie erlaubt zwar in ihrem Art. 8 Abs. 2, dass ein „Mehr“ an gesetzlichen Regeln möglich ist. Die Richtlinie hebt da- bei aber hervor, dass ihre Bestimmungen einen Mindest- schutz darstellen und dass strengere Bestimmungen er- lassen oder aufrechterhalten werden können, „um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustel- len“. Der Durchschnittsverbraucher interessiert sich aber relativ selten für den Kauf eines Unternehmens. Der Unionsentwurf beschränkt das Verbot, die Haf- tung für Garantieerklärungen einzuschränken oder aus- zuschließen, im Einklang mit der EU-Richtlinie auf den Bereich des Verbrauchergüterkaufs entsprechend der nach früherer Rechtslage in § 11 Nr. 11 AGBG geregel- ten Sachverhalte und auf den konkret vereinbarten Inhalt der Garantie. Das Verbot, die Haftung wegen arglistig verschwiegener Mängel zu beschränken oder auszu- schließen, bleibt davon unberührt. Die Rechtsunsicherheit, die dem Standort und der An- wendung des deutschen Rechts schadet, wäre mit dem Unionsantrag beendet. Unserem Entwurf gelingt daher, was der Schuldrechtsreform der Regierung nicht gelang. Wir fordern die Regierungsmehrheit daher auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit den Vorgaben der Richtli- nie endlich Genüge getan wird. Geben Sie mit uns wie- der klare Signale für die Praxis des Unternehmenskauf- vertrages, damit sie sich wieder auf sicherem Kurs in jedem Gewässer bewegen kann. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches konnten gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht damit rechnen, dass das Ge- setz eines Tages auch für komplizierte Unternehmenstrans- aktionen taugen müsste. Übernahmen, Verschmelzungen, Anteilskäufe, sogar im internationalen Wettbewerb – all dies war damals allenfalls die Ausnahme. Dass sich das inzwischen geändert hat, weiß nicht nur der interessierte Leser der Wirtschaftspresse. Dennoch wurde diese Ent- wicklung 100 Jahre nach In-Kraft-Treten des BGB wie- derum ignoriert, als das Schuldrecht reformiert wurde. Weil die EG-Richtlinie zum Gebrauchsgüterkauf im In- teresse eines verbesserten Verbraucherschutzes umzuset- zen war, wurde übersehen, dass damit in einem Rund- umschlag der wirtschaftlich wichtige Bereich des Unter- nehmenskaufs kaputtgeregelt wurde, in dem es gerade nicht um Gebrauchsgegenstände wie Kühlschränke oder Computer und damit dem erforderlichen Schutz der Ver- braucher geht. Umstritten war und ist vor allem der Paragraph mit der leicht zu merkenden Ziffer 444. Professoren und Wirtschaftsanwälte weisen immer wieder darauf hin, dass dieser Paragraph das Haftungssystem bei Unterneh- menskäufen infrage stellt. Es hat sich in jahrelanger Pra- xis entwickelt und als sachgerecht erwiesen. Nun jedoch verbietet der neue Paragraph 444 BGB die Beschrän- kung oder den Ausschluss der Haftung in den Fällen, in denen der Verkäufer eine Garantie für die Beschaffenheit einer Sache übernommen hat. In Unternehmenskaufver- trägen schließt der Verkäufer aber häufig die Haftung für Sachmängel des verkauften Unternehmens aus, über- nimmt stattdessen Garantien für bestimmte Umstände – die eben gerade die Beschaffenheit des Unternehmens betreffen – und beschränkt gleichzeitig die Haftung da- für, zum Beispiel durch finanzielle Höchstgrenzen. Ob das geltende Recht solche Haftungsbeschränkungen überhaupt noch erlaubt und Unternehmenskaufverträge bei unrichtigen Garantien möglicherweise rückabgewi- ckelt werden müssen, ist höchst umstritten. Die Schuld- rechtsreform hat im Bereich des Unternehmenskaufs Rechtsunsicherheit geschaffen, anstatt sie zu beseitigen. Diesen Fehler korrigiert der Gesetzentwurf der CDU/ CSU-Fraktion. Schon geringfügige Änderungen in drei Bestimmungen des BGB reichen dafür aus. Sie stellen eindeutig klar, dass sich das Verbot, die Haftung des Ver- käufers auszuschließen oder zu beschränken, auf den konkret vereinbarten Inhalt einer Garantie bezieht. Der Gesetzentwurf sieht zudem einen noch über die Vorga- ben der EG-Richtlinie zum Gebrauchsgüterkauf hinaus- gehenden Schutz der Verbraucher vor, weil er ausdrück- lich Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verbietet, die die Haftung für Beschaffenheitsgarantien beschränken oder verbieten. Mit anderen Worten: Dies ist ein Gesetzentwurf, der allen Interessengruppen nützt und niemandem weh tut – außer vielleicht der Eitelkeit der Regierungskoalition, weil die Initiative mal wieder von der Opposition kam. Nach vernünftigen Erwägungen sollte man eigentlich davon ausgehen, dass der Entwurf die ungeteilte Zustim- mung des Parlaments und auch der Bundesregierung fin- det. Denn die Änderungen sind lediglich eine Kodifizie- rung dessen, was das Bundesjustizministerium im Januar dieses Jahres selbst in einem – rechtlich allerdings völlig 4740 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) unverbindlichen – Schreiben an den Bundesverband der Deutschen Industrie als Auslegungsregel für den verun- glückten Paragraphen 444 ausgab. Wie man hört, wird auch im Bundesjustizministerium an einer Änderung des Paragraphen 444 gearbeitet. Das Parlament könnte und sollte das Ministerium entlasten und unseren Gesetzentwurf beschließen. Das hätte mög- licherweise – neben der Beseitigung der Rechtsunsicher- heit im Unternehmenskauf – zusätzlich den Effekt, dass man sich im BMJ verstärkt den vielen anderen rechtspo- litischen Baustellen widmen könnte. Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Klarstellung liegt auf der Hand. Die Rechtspraxis des Unternehmens- kaufs hat erst nach Jahren durch höchstrichterliche Rechtsprechung ein einigermaßen gesichertes rechtli- ches Fundament bekommen. Die Schuldrechtsreform hat dem Unternehmenskauf dieses Fundament entzogen, und nun muten wir den Unternehmen zu, erneut Jahre darauf zu warten, dass Gerichte das Fundament wieder aufbauen. Wir brauchen eine klare gesetzliche Regelung, die den Unternehmenskauf fördert, statt ihn zu gefährden. Ich muss an dieser Stelle nicht erklären, dass ein Schrei- ben des Bundesjustizministeriums an den Bundesver- band der Deutschen Industrie rechtlich unverbindlich ist und eine klare Regelung nicht ersetzen kann. Es ist aller- dings nicht nur rechtlich unverbindlich, sondern auch höchst unsicher: Noch vor einem Jahr hat das Ministe- rium in einem ähnlichen Schreiben eine ganz andere Po- sition vertreten. Wer garantiert uns – und den Unterneh- men –, dass sich die Haltung des Ministeriums nicht demnächst erneut ändert, je nachdem, welchen Einflüs- terungen es dann erliegt? Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es wichtig, die Rechtsunsicherheiten beim Unternehmenskauf zu beseitigen. Denn gerade in Zeiten schwacher Konjunktur ist der Verkauf oft die letzte Möglichkeit, Unternehmen oder Unternehmensteile und damit auch Arbeitsplätze zu retten. Besteht jedoch wegen der unsicheren Rechtslage die Gefahr, dass ein Unternehmenskauf wegen unrichti- ger Garantien rückabgewickelt oder Schadensersatz ge- zahlt werden muss, wird sich ein potenzieller Käufer gründlich überlegen, ob er ein Unternehmen kauft. Denn er muss langfristig wirtschaftlich und unternehmerisch planen und kalkulieren können und darf dabei keine Ri- siken eingehen. Unternehmenstransaktionen sind ein internationales Geschäft. Unsicherheiten im deutschen Kaufrecht brin- gen in doppelter Hinsicht einen Wettbewerbsnachteil: Für die Unternehmen, die ihren internationalen Ge- schäftspartnern bei Vertragsverhandlungen verlässliche Rechtsgrundlagen zusichern müssen. Und für Deutsch- land, das vor allem vor dem Hintergrund der Überlegun- gen zu einem europäischen Vertragsrecht aufpassen muss, dass es mit einem konsistenten Zivilrecht auch weiterhin eine Vorreiterrolle spielt. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer mit kühlem Kopf und dem gebotenen Abstand zu den Streitenden in der Fachliteratur den Gesetzentwurf der Opposition zum Unternehmenskauf durchdenkt – und zwar das von Ihnen angesprochene, mehr jedoch noch das von Ihnen überhaupt erst geschaffene Problem –, der kann Ihnen einen Vorwurf nicht ersparen: Sie blasen eine sehr eng begrenzte Fachdebatte zu angeblichen Unge- reimtheiten des neuen § 444 BGB erst richtig auf, um sich dann mit dem selbst geschaffenen Scheinproblem wichtigtuerisch zu beschäftigen. Statt echte Probleme anzupacken, wollen Sie zudem mit Ihrer Beschränkung des Sinngehalts von § 444 BGB auf den Verbrauchsgü- terkauf den beteiligten Kreisen im Bereich des Unter- nehmenskaufs richtig dicke Probleme bescheren. Konkret: Zum Ersten geht es um das Verhältnis von Verkäufergarantien zu vonseiten des Verkäufers durch- gesetzten Haftungsausschlüssen beim so genannten Un- ternehmenskauf. Sie wollen nach Ihren Worten Rechtssicherheit beim Unternehmenskauf herstellen. Dies ist ein löbliches An- sinnen. Hier gilt das Wort des Bundesjustizministeriums: Das Ministerium wird sofort tätig werden, wenn die be- hauptete Rechtsunsicherheit tatsächlich und praktisch eintreten sollte. Das ist bisher nicht der Fall. Weder von- seiten der Wirtschaft und der Banken noch vonseiten der Rechtsprechung ist die angebliche Rechtsunsicherheit problematisiert worden. Ich bin überaus zuversichtlich, dass die von Ihnen aufgegriffene eng begrenzte Fachde- batte die Gerichte nicht verunsichern wird. Die Rechtsprechung legt in bester Tradition und ge- festigter Übung Rechsnormen nicht an den bloßen Wor- ten klebend, sondern nach Sinn und Zweck der jeweili- gen Norm aus. § 444 BGB soll ein widersprüchliches Verhalten des einen Vertragspartners und eine überraschende und ver- klausulierte Übervorteilung des anderen Partners verhin- dern. Zwingend unwirksam ist daher ein Haftungsaus- schluss nur, wenn er – und das heißt: soweit er – im Sachzusammenhang und Widerspruch zur abgegebenen Garantie steht. Denn nur in diesem Fall zerstört oder hin- tergeht der Verkäufer von ihm zuvor geschaffenes Ver- trauen beim Käufer. Der neue § 444 BGB, liest man ihn richtig, macht Haftungsausschlüsse und -beschränkun- gen nicht per se und generell unwirksam. Es bleibt sehr wohl eine Haftungsbeschränkung oder ihr Ausschluss möglich, wenn die abgegebene Garantie insoweit keinen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Auch für den Unternehmenskauf führt also der neue § 444 BGB zu klaren Ergebnissen: Wer bei einem Unter- nehmensverkauf für den Bestand an Maschinen eine Be- schaffenheitsgarantie übernimmt, kann hinsichtlich der gestellten Geschäftsprognosen auch weiterhin einen Haftungsausschluss vereinbaren. Wer für zu erwartende Umsatzzahlen eines Unternehmens die Gewähr über- nimmt, kann diese Haftung auch künftig summenmäßig beschränken. Wir könnten gleichwohl zur Klarstellung auch für den Rechtsanwender, der am Buchstaben des Gesetzes kle- ben bleibt, das Wort „wenn“ durch das Wort „soweit“ er- setzen. Das für Juristen und die Rechtsprechung offen- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4741 (A) (C) (B) (D) kundig Gemeinte und Gewollte wäre dann auch sprachlich klarer in Worte gefasst. Sie von der Opposition aber, wollen mit ihrem Gesetz zum Unternehmenskauf viel mehr. Sie wollen den Grundgedanken, wonach es gesetzlich untersagt ist, ge- gebene Garantien durch geschickte Haftungsausschlüsse zu unterlaufen, auf den Verbrauchsgüterkauf beschrän- ken. Das ist sachwidrig und im Ergebnis eine Einladung an die jeweils garantiegebende Partei des Unternehmens- veräußerungsvertrages, gegebene Garantien in Bezug auf das zu verkaufende Unternehmen durch möglichst raffinierte und undurchschaubar formulierte Haftungs- ausschlüsse auszuhebeln. Wenn es nicht nur ein un- durchdachter Fehler Ihres Gesetzentwurfes ist, frage ich mich, wo der Sinn eines solchen Regelungsvorschlags liegen mag. Warum soll es möglich sein, dass der Unternehmens- verkäufer für einen Umstand eine Garantieerklärung ab- gibt, damit er den Kaufpreis erhöhen kann, sich dann aber über einen Haftungsausschluss dieser übernomme- nen Garantie wieder entziehen kann? Ich kann einen Unterschied in den Interessenlagen beim Unternehmensveräußerungsvertrag und beim Ver- brauchsgütervertrag nicht erkennen. Wer nicht hinter die Kulissen gucken kann, muss sich auf Garantien seines Vertragspartners verlassen. Dies gilt für Unternehmens- käufer ebenso wie für Verbraucher. Allein der Verkäufer kann einschätzen, ob seine Garantie die realen Zustände widerspiegelt oder dem Käufer etwas vorgaukelt. Der Verkäufer profitiert davon, dass er die Garantie abgibt. Die Garantie erhöht nämlich die Kaufwilligkeit des Käu- fers oder – bestenfalls – sogar den Kaufpreis. Warum soll der Verkäufer diese Vorteile haben, ohne zugleich das Haftungsrisiko für seine Äußerungen zu überneh- men? Zusammenfassend will ich deshalb festhalten: Eine Hälfte Ihres Vorschlags ist brauchbar, aber nicht wirklich notwendig. Die andere Hälfte ist schädlich und daher un- brauchbar. Wir können uns deshalb mit Ihrem Gesetzent- wurf zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulas- ten von Unternehmenskäufern nicht anfreunden. Rainer Funke (FDP): Das, was hier zur ersten Bera- tung auf dem Tisch des Hauses liegt, lässt sich in eine Reihe stellen mit vielen anderen Vorschlägen, das gerade erst in Kraft getretene neue Schuldrecht zu überarbeiten oder – um in der Diktion der Bundesregierung zu bleiben – „nachzubessern“. Inhalt und verfahrensmäßige Umsetzung des Gesetz- entwurfs für das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz waren schon zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens umstritten. Insbesondere in Bezug auf den allgemeinen Teil des Schuldrechts und das Kaufrecht kann man sa- gen: Die Reform hat eine über 2000 Jahre gewachsene Rechtskultur zerstört. Sie hat, wie selbst gut meinende Kommentatoren feststellen mussten, ihr eigentliches Ziel, nämlich Rechtsvereinfachung, nicht erreicht. Im Gegenteil – wie wir gerade am Beispiel des vorliegenden Gesetzentwurfs sehen: Die „Reform“ hat mehr neue Fra- gen aufgeworfen, als alte Probleme gelöst. Für das Anliegen der Union hat die FDP-Fraktion grundsätzlich Verständnis. Doch kann man bezweifeln, ob es sinnvoll ist, gerade eineinhalb Jahre nach In-Kraft- Treten der Schuldrechtsreform mit den Reparaturarbei- ten zu beginnen. Sollten wir dem Gesetz nicht erst zu- nächst eine Bewährungszeit belassen, um dann – etwa zum Ende dieser Wahlperiode – in einer „großen Re- form“ all die vielen, zum Teil nur kleinen Fehler zu kor- rigieren, die jetzt nach und nach ans Tageslicht treten? Wenn jedoch tatsächlich die von der CDU/CSU behaup- teten Mängel vorhanden sind, muss nachgebessert wer- den. Ich selbst kann aus der Praxis und aus der Recht- sprechung diese Mängel noch nicht erkennen. Wir werden im Ausschuss verifizieren müssen, ob und wo die von der Union behauptete Rechtsunsicher- heit im Haftungsrecht bei Unternehmenskäufen tatsäch- lich zu verzeichnen ist. Die FDP wird deshalb im Aus- schuss eine Anhörung zu dieser Thematik beantragen. Wir alle wollen, dass der Unternehmenskauf nach fai- ren Regeln vonstatten geht. Dies dient auch dem Finanz- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Darüber dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir Unternehmenskäufe überhaupt erleichtern müssen. Denn globales Wirtschaf- ten und Wachsen ist unmittelbar mit der Möglichkeit der Übernahme anderer Unternehmen verbunden. Wer Fir- menkäufe, wer M & As, erschweren will, will die Wirt- schaft in Deutschland weiter kaputt regulieren. Das kön- nen wir uns und kann sich Deutschland zurzeit am wenigsten leisten. Alfred Hartenbach, Parlamentarischer Staatssekre- tär bei der Bundesministerin für Justiz: Der Gesetzent- wurf, den Sie uns hier präsentieren, will ein Auslegungs- problem bei der Vorschrift des § 444 BGB lösen. Hierüber könnte man reden. Einigermaßen abwegig ist es allerdings, die Klarstellung auf Verbrauchsgüterkäufe zu beschränken. Eine derartige Teilregelung könnte leicht so verstanden werden, dass außerhalb des Ver- brauchsgüterkaufs Haftungsausschlüsse und Beschrän- kungen uneingeschränkt zulässig sein sollen. Das würde dann auch für undurchschaubare oder widersprüchliche Klauseln gelten, mit denen sich der Verkäufer etwa bei einem Unternehmenskaufs einer Haftung entzieht. Ich glaube kaum, dass Sie tatsächlich so weit über das Ziel hinausschießen wollten. Es ist ja richtig, dass kaum eine Vorschrift des neuen Schuldrechts so heftige Dis- kussionen ausgelöst hat, wie der § 444 BGB. Es wurde tatsächlich vereinzelt eine ausschließlich grammatische Auslegung vertreten, die Sinn und Zweck der Regelung ausblendet und so zu dem Ergebnis gekommen ist, eine Verbindung von Garantie und Haftungsbeschränkung sei nicht mehr möglich. Das hat natürlich die Praxis gerade im kaufmännischen Geschäftsverkehr zunächst irritiert. In der Praxis werden – insbesondere bei Unternehmens- käufen – Garantien vereinbart, die den Verkäufer treffen. Gleichzeitig beschränkt die Praxis diese Garantien sum- menmäßig, zeitlich oder hinsichtlich der Rechtsfolgen. Das wäre mit dieser Auslegung nicht mehr möglich. 4742 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) Die Unruhe ist aber vollkommen unbegründet: Bei sachgerechter, nicht am Wortlaut haftender Auslegung steht § 444 BGB der gängigen Vertragspraxis nicht im Wege, sondern verbietet lediglich – und dies mit allem Recht – intransparente und widersprüchliche Garantie- beschränkungen. Schon die Gesetzesbegründung zu § 444 BGB stellt klar, dass sich an der früheren positiven Rechtsprechung zur bewährten kaufmännischen Praxis beim Unternehmenskauf nichts ändern soll. Danach war es zulässig, Eigenschaftszusicherungen oder Garantien von vornherein zu beschränken, und so soll es auch blei- ben. In der Literatur hat sich sehr schnell die Auffassung durchgesetzt, dass auch der neue § 444 BGB der gängi- gen Vertragspraxis nicht entgegensteht. Sinn und Zweck des § 444 in seiner hier maßgebli- chen Alternative ist es allein, widersprüchliches Verhal- ten zu unterbinden. Der Verkäufer, also auch der Unter- nehmensverkäufer, soll nicht Garantien, die er zunächst übernommen hat, nachträglich auf überraschende oder undurchschaubare Art und Weise ausschließen oder be- schränken können. Etwas anderes ist es, wenn Inhalt und Umfang einer Garantie von vornherein eingeschränkt werden und der Verkäufer erkennbar eine Haftung nur in einem begrenzten Rahmen übernimmt. Solchen vertrag- lichen Regelungen steht § 444 BGB überhaupt nicht ent- gegen. Ich zitiere die Vorschrift: „Auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Käufers … ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Verkäufer nicht berufen, wenn er … eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat.“ Nur soweit der Verkäufer eine entsprechende Garan- tie abgegeben hat, ist ihm der Rückgriff auf die Haf- tungsbegrenzung verwehrt. Dieses Auslegungsergebnis kann inzwischen wohl mit Recht als herrschende Mei- nung bezeichnet werden. Natürlich könnten wir trotzdem über eine redaktio- nelle Klarstellung in § 444 BGB reden, wenn es der Rechtssicherheit dient. Das BMJ beobachtet die weitere Entwicklung unter diesem Aspekt aufmerksam. Der CDU/CSU-Entwurf geht jedoch über die Klärung dieser Auslegungsfrage weit hinaus. Er ersetzt nicht nur das kritisierte Wort „wenn“ durch ein „soweit“, sondern beschränkt das Verbot intransparenter und widersprüch- licher Einschränkungen von Garantien zugleich auf den Verbrauchsgüterkauf. Das legt den Schluss nahe – mög- licherweise ist dieser Schluss sogar so gewollt –, dass außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs, also zum Beispiel beim Unternehmenskauf, auch intransparente und wider- sprüchliche Garantiebeschränkungen uneingeschränkt zulässig sein sollen. Das widerspricht eindeutig dem Willen des Gesetzge- bers, der aus guten Gründen die Fortgeltung der existie- renden Rechtsprechung und Rechtspraxis wollte, nach der sich beschränkte Garantiehaftungen am Maßstab der Transparenz, dem Verbot der Widersprüchlichkeit und Verständlichkeit messen lassen müssen – und dieses eben nicht nur beim Verbrauchsgüterkauf. Hierbei soll- ten wir es belassen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Antrag: Vorrang für die Ostseesicherheit (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Christine Lucyga (SPD): Die verheerenden Seeunfälle der jüngsten Zeit – wie der Untergang der „Prestige“ in der Biskaya und auch des Frachters „Fu Shan Hai“ in der Ostsee – haben das Problembewusst- sein in Politik und Öffentlichkeit dafür geschärft, dass die Seesicherheit zu einer der Schlüsselfragen des Mee- res- und Umweltschutzes geworden ist. Der Schutz der Meere ist eine internationale Aufgabe und Herausforde- rung. Das Problem der Seesicherheit hat uns in diesem Hause in den vergangenen Wochen und Monaten mehr- fach beschäftigt, aber auch internationale Organisatio- nen, die nationalen Parlamente unserer europäischen Nachbarn und der Europarat greifen immer öfter die Thematik von Schiffssicherheit und Schutz der Meere auf. Die heutige Debatte ist ebenfalls ein Beitrag in die- sem Sinne und sie zeigt, gemessen an den vorangegan- genen Aussprachen zur Seesicherheit, dass wir inzwi- schen – wenn auch in kleinen Schritten – jeweils ein Stück weitergekommen sind. So standen auf der interna- tionalen Ministerkonferenz von Nord- und Ostseeanrai- nern am 25./26. Juni dieses Jahres erneut die Schifffahrt und der Meeresschutz im Mittelpunkt und wir alle kön- nen uns über wichtige Schritte in die richtige Richtung freuen. In einer Reihe von bislang strittigen Fragen wur- den Kompromisse gefunden, auf die Deutschland an maßgeblicher Stelle Einfluss genommen hat. Als wich- tigster Erfolg ist zu werten, dass es nach schwierigen Verhandlungen endlich gelungen ist, Russland von sei- ner bisherigen strikten Ablehnung der Lotsenpflicht ab- zubringen. Angesichts der deutlichen Zunahme von Öltranspor- ten durch die Ostsee und unter dem Eindruck zahlreicher Havarien von Tankern in europäischen Gewässern einig- ten sich die Staaten auf gemeinsame Maßnahmen zur Einführung einer Lotsenpflicht in engen und verkehrsbe- schränkten Gewässern. Dies betrifft vor allem die Ostsee – und dort wiederum vor allem die Kadetrinne zwischen Deutschland und Dänemark, die bislang eines unserer größten schiffssicherheitspolitischen Sorgenkinder ist. Damit kann eine ganz exponierte Forderung aus dem Antrag der CDU/CSU „Vorrang für die Ostseesicher- heit“ als erfüllt angesehen werden, so wie auch in ande- ren Zielsetzungen bereits Ergebnisse vorliegen. Insbe- sondere in der HELCOM konnte Deutschland vieles von dem erreichen, was in Ihrem Antrag noch vorkommt, aber bereits auf den Weg gebracht wurde. Die Bremer Konferenz vom Juni hat aber auch gezeigt, dass nur ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen in Fragen, die – wie etwa die Lotsenannahmepflicht in der Kadetrinne oder die Ausweisung der Ostsee als PSSA-Gebiet – internatio- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4743 (A) (C) (B) (D) nales Völkerrecht berühren, zum Erfolg führen. Voran- gekommen ist auch die Verständigung über eine zügi- gere Anpassung von Einhüllentankern vor 2015, über die Verbesserung der Hafenstaatenkontrollen und über die Ausweisung besonderer Verkehrstrennungsgebiete, darunter Ostsee als Verkehrstrennungsgebiet. An dieser Stelle möchte ich auf das Achtpunktepro- gramm der Bundesregierung zum Schutz der Meeresum- welt und der Küstenregionen verweisen. Mit dem Sicherheits- und Notfallkonzept hat Deutschland eine Vorreiterrolle in Europa übernommen. Das deutsche Notfallkonzept ist europaweit führend und mit der Einrichtung eines gemeinsamen Havariekom- mandos ist eine handlungsfähige Einheit geschaffen worden, in der Kompetenzen gebündelt werden. Dies muss auch Wirkungen auf andere europäische Staaten haben, die noch nachziehen müssen. Richtig ist der Hinweis auf eine schwieriger wer- dende Sicherheitslage durch terroristische Bedrohung und es wird zu klären sein, inwiefern hier auch neue Aufgaben für das Havariekommando entstehen. Aber auch in diesem Punkt sehe ich keinen Dissens unserer Ziele – wie ein im Vergleich zu unseren einschlägigen Anträgen zur Ostseesicherheit zeigt, die – bis auf den Prüfauftrag für das Weitbereichsradar im Bereich der Kadetrinne – als erfüllt gelten können. Bereits erfüllte Auflagen kann man nicht noch einmal beschließen – eine Zustimmung zu Ihrem Antrag entfällt also. Es bleibt noch die offene Frage der Europäischen See- agentur. Auch wir wünschen uns natürlich eine solche Institution in Deutschland, wissen aber andererseits, dass die Entscheidung letztendlich beim Europäischen Rat liegt, der wiederum eine faire Berücksichtigung solcher Mitgliedstaaten anstrebt, die noch nicht Sitz einer euro- päischen Institution sind. Selbstverständlich setzt sich die Bundesregierung dennoch für eine Berücksichtigung deutscher Standortangebote ein und kann dabei auf Kompetenz und eine gute Seesicherheitsbilanz im euro- päischen Maßstab verweisen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Erst am 8. Mai stand die Seesicherheit auf unsere Initiative hin auf der Tagesordnung in diesem Hause. Seitdem ist mit dem chinesischen Frachter „Fu Shan Hai“ ein weite- res Schiff mit Ölaustritt in der Ostsee untergegangen, in Lübeck die dritte nationale maritime Konferenz ohne konkrete Ergebnisse verstrichen, und am letzten Don- nerstag in Bremen die internationale Meeresschutzkon- ferenz ohne Einigung auf ein gemeinsames Sicherheits- konzept der Ostseeanrainer beendet worden. Im Redeprotokoll meiner Kollegin Christine Lucyga vom 8. Mai ist nachzulesen, dass der Antrag der Union ei- gentlich keinen Dissens zu den Zielen der Koalition ent- hält. Trotzdem hat die rot-grüne Mehrheit den Antrag am 23. Juni im Ausschuss abgelehnt. Begründung: Die mit dem Antrag verfolgten Ziele sind von der Regierung bereits auf den Weg gebracht. Drei Tage später ist Umweltminister Trittin in Bremen restlos gescheitert, so die Einschätzung der Umweltstif- tung WWF, und Greenpeace sprach von „einem Offen- barungseid der Umweltminister“. Die Ostsee wird nicht als besonders geschütztes Mee- resgebiet – PSSA – ausgewiesen, eine Missachtung der Risikolage; es wird keine Radarüberwachung geben und auch die Lotsenannahmepflicht konnte nur für den klei- nen Bereich der Kadetrinne durchgesetzt werden. Zur Erinnerung: Die „Fu Shan Hai“ ist wenige See- meilen vor der Kadetrinne untergegangen. Ein gemein- sames Votum von Opposition und Koalition hätte die Verhandlungsposition des Ministers gestärkt. Ich fordere Sie auf, dieses Votum heute zu korrigieren. Dann besteht im Herbst auf der HELCOM-Konferenz die Chance, die gemeinsamen Ziele doch noch umzusetzen. Realität ist, die Seesicherheit auf der Ostsee hat nicht zu, sondern in den letzten Jahren Zug um Zug abgenom- men. Die Gefahr nicht mehr beherrschbarer Umweltka- tastrophen steigt. Dieser Trend muss gestoppt, muss in sein Gegenteil verkehrt werden! Wir brauchen eine Si- cherheitswende für die Ostsee, die Nordsee und die an- deren Meere. Das verheerende Öltankerunglück der „Prestige“ vor Spaniens Küste sollte als anhaltende Mahnung verstan- den werden. Ich verkenne nicht, dass die EU und auch die Bundesregierung aus eigenem Antrieb, aber auch aufgeschreckt durch anklagende Bilder schrecklicher Öl- verschmutzung durch die „Prestige“, Maßnahmen zur Risikominimierung getroffen haben. Doch wenn diese erst, wie bei dem Doppelhüllen-Gebot für Großtanker, in 10 Jahren greifen und nicht internationaler Standard werden, schaffen sie eine Scheinsicherheit, keinen tat- sächlichen Sicherheitsgewinn. Wenn die EU eine neue Altersbegrenzung für Schiffe einführen will, Russland sich jedoch knallhart weigert, andere Flaggenstaaten der IMO die kalte Schulter zeigen, bleibt das Gefährdungs- potenzial für die Ostsee auf Jahrzehnte erhalten. Aus Sach- und Zeitgründen muss die Seesicherheit Chefsache werden. Fachminister-Kontakte der Ostseean- rainer sind notwendig, ein Spitzentreffen der Regierungs- chefs zu dieser Problematik jedoch erforderlich. Es gilt, zu verbindlichen nationalen und internationalen Abkom- men für die Ostsee zu kommen. Darauf dringen wir! Und es darf keine Zeit verstreichen! Die Ostsee ist ein Fast-Binnenmeer. Eine Öl- oder Chemikalienkatastrophe bewirkt hier eine ungleich größere Umweltzerstörung als in jedem Ozean. Mensch und Natur, Fauna und Flora, Küsten und Strande würden dauerhaft belastet, beschädigt. Dazu darf es nicht kommen! Doch fast täglich schrammen wir in der Ostsee an ei- ner Katastrophe vorbei. Das gilt für die Kadetrinne, in der es auf engstem Raum bis zu 65 000 Schiffsbewegun- gen jährlich gibt. Die am letzten Donnerstag beschlos- sene Lotsenannahmepflicht allein reicht nicht aus. Ohne flächendeckende Radarüberwachung zur technischen Unterstützung bleibt sie ein Torso. Eine Lotsenannahmepflicht für die nördliche Tanker- route wird es auch in Zukunft nicht geben. Doch hier 4744 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) wird verstärkt Öl aus Rußland transportiert, teilweise auf Schiffen, die nicht nur als Seelenverkäufer bezeichnet werden, sondern eine Boardwandstärke haben, die für Eisgang völlig ungeeignet ist. Seit 1995 haben sich die Öltransporte verdoppelt. Greenpeace dokumentierte es: Durchschnittlich einmal am Tag passiert ein Ölfrachter von der „Güteklasse“ der 26 Jahre alten gesunkenen „Prestige“ die risikoreiche Kadetrinne. Allein drei dramatische Situationen hat die finnische Regierung im vergangenen Winter durch festsitzende Öltanker ausgemacht. In keinem Fall war Russlands Re- gierung bereit zu handeln. Wer so die Sicherheit aller missachtet und nicht bereit zur Kooperation ist, hat weder Kredite verdient noch verdient, als Bündnispartner ernst genommen zu werden. Hier müssen die Ostseeregierungen endlich knallhart handeln und Russland zur Kooperation führen. Doch die Beinahe-Unglücke umfassen nicht nur zu alte und ungeeignete Schiffe, sondern nach Experten- Auffassung auch die Doppelhüllen-Tanker der l. Genera- tion. Auch wenn die Doppelwand eine deutliche Sicher- heitsverbesserung bei Havarien oder Grundberührung bedeutet, so sind Schiffe dieser Bauart in den ersten Jah- ren vor dem Inkrafttreten der MARPOL-Vorschriften 1992 mit einer Konstruktion aus hochfestem Stahl aus- gestattet worden, die als problematisch angesehen wer- den, wo die Gefahr des Auseinanderbrechens besteht. Bei Bulk-Carriern dieser Bauart hat es entsprechende Unglücke bereits gegeben. Hier sind tickende Zeitbomben unterwegs, die mehr internationale Kontrolle notwendig machen. Das Ziel in Europa muss sein, dass nicht nur ein Ausphasen der al- ten Tanker erreicht wird, sondern dass die Ersatztonnage auch in Europa gebaut wird. Denn der europäische Qualitätsstandard gilt nicht weltweit. Bei der IMO häufen sich Beschwerden über schwerwiegende Qualitätsmängel bei Schiffsneubauten. Es werden international verbindliche Bauvorschriften gefordert. Wir schließen uns dem an! Der enorme Kos- tendruck durch subventionierte Dumpingpreise im Welt- schiffbau verhindert Sicherheit, so argumentieren Schiff- bauer und Reeder. Und noch ein Risiko-Aspekt bleibt oft unerwähnt, deshalb wiederhole ich ihn hier an dieser Stelle: Große Pötte, die zum Beispiel Container transportieren, sind in der Regel Einwandboote, bunkern jedoch allein an Treibstoff bis zu 12 000 Tonnen Öl; das ist das Doppelte von dem, was kleinere Tanker geladen haben. Verun- glückt ein solches Schiff in der Ostsee, ist ein unermess- licher Schaden gegeben. Bei Tankerneubauten gilt schon heute die Doppelwandpflicht bei einer Ladung ab 5 000 Tonnen. Hier müssen gleiche Standards für alle Schiffstypen geschaffen werden. Und auch für Tanker unter 5 000 Tonnen muss die Doppelwand Pflicht sein! Gerade sie bedeuten eine besondere Gefahr für Mensch und Natur, denn sie werden hauptsächlich im Küstenver- kehr eingesetzt. Allein die hier genannten Beobachtungen zeigen den Umfang der Risiko-Spanne für die Ostsee. Hinzu kommt: Der Schiffsverkehr im baltischen Meer nimmt Jahr um Jahr zu, leider auch das Alter der Boote. Außer- dem: Die Öltanker werden immer größer. Auch damit steigt das Risiko. Noch immer gibt es mehr Ein- als Doppelwandschiffe im baltischen Meer. Und nach den geltenden Bestimmungen wird sich erst in gut zehn Jah- ren dieser Sachverhalt ändern. Zehn Jahre weitere halb- herzige Sicherheit auf der Ostsee sind nicht vertretbar! Wir erwarten, dass die Ostsee zu einem PSSA-Sonderge- biet erklärt wird, es besondere Kontrollen für Risiko- boote gibt und gleiche Sicherheitsauflagen für alle Ost- seeanrainer – Russland eingeschlossen. Wenn Rußland und die IMU nicht mitziehen, muss Europa ein eigenes Sicherheitsnetz schaffen. Unser Appell zur Optimierung der Seesicherheit rich- tet sich aber zugleich an die Schiffsbetreiber und Billig- flaggenstaaten. Wenn vorrangig nach der Devise verfah- ren wird: Erst der Gewinn – dann die Sicherheit, ist zu prüfen, ob der Landweg mit Öl-Pipelines eine Risikomi- nimierung bedeutet. Der weitaus überwiegende Teil der deutschen und europäischen Reeder handelt überaus verantwortungsbe- wußt und ist an Sicherheit orientiert. Es sind die schwar- zen Schafe, die die Seesicherheit durch mangelnde Tech- nik und unvertretbare Behandlung des Boardpersonals gefährden. Hier setzt die Eigenverantwortung der Ver- bände an. Unabhängig davon wiederhole ich noch ein- mal: Der Ostsee fehlt immer noch ein verbindliches See- sicherheitskonzept. Eine Richtungsänderung ist dringend geboten! Deshalb fordere ich Sie noch einmal auf, unse- rem Antrag heute zuzustimmen. Die Menschen nicht nur an der Küste sind voller Sorge, daß ein Unglück wie das der „Prestige“ auch bei uns passieren könnte. Diese Bedenken müssen wir ernst nehmen. Die USA haben gehandelt. Bereits lange vor dem Untergang des Öltankers vor Spaniens Küste gab es ein Verbot für Einhüllentanker und weitere Sicherheits- auflagen in den USA. Das zögerliche und bedenkenrei- che Brüssel und auch Berlin sollten sich an den Ameri- kanern ein Beispiel nehmen. Enak Ferleman (CDU/CSU): Im rot-grünen Sprach- gebrauch steht die Nachhaltigkeit ganz oben auf der Liste der am häufigsten verwendeten Begriffe. Nachhal- tigkeit soll signalisieren, dass politische Zielsetzung, Konzeptionierung und Umsetzungsplanung verfolgt werden und langfristig orientiert sind. Auf jedem der von Rot-Grün bewegten Themenfelder hat die Nachhal- tigkeit als Begriff inzwischen ihre Heimat gefunden, lei- der vielfach nur als Worthülse. Denn auf vielen politi- schen Feldern kann die Bundesregierung gerade nicht vorweisen, dass sie tatsächlich eine nachhaltige Politik betreibt. Auch die Hilfestellung durch viele Kommissio- nen und Expertenrunden hat relativ wenig dazu beitra- gen können, dass sich im fünften Jahr der Regierungs- verantwortung tatsächlich auch einmal eine nachhaltige Wirkung zeigt bzw. entwickelt. Ganz im Gegenteil: Rot- Grün wird noch nicht einmal aus Fehlern klug. Wider Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4745 (A) (C) (B) (D) besseres Wissen, werden die Dinge nicht zu Ende ge- dacht, geschweige zu Ende gebracht. Auf dem Papier scheint es zwar so, als sei das Havariekommando in Cuxhaven, das endlich vier Jahre nach dem Unglück der „Pallas“ eingerichtet worden ist, befähigt, effektiv im Falle einer Havarie an Nord- und Ostsee tätig zu werden. Unterstrichen wird der falsche Eindruck durch die Si- cherheitsankündigungen des Bundesverkehrsministers, die er als Aktivitäten bezeichnet. Bei näherer Betrach- tung sieht man aber, dass hier nur Sicherheit suggeriert wird und sich in Wahrheit ein ganz anderes Bild zeigt. Ausgerechnet bei einem ökologischen Thema, bei dem man von einer rot-grünen Bundesregierung einen gekonnten Umgang mit einer nachhaltiger Vorgehens- weise erwarten sollte, stößt man auf zögerliche Halbher- zigkeiten, die am Verantwortungsbewusstsein des Ver- kehrsministers für die Sicherheit auf See berechtigte Zweifel aufkommen lassen. Die schrecklichen Folgen der Meeresverschmutzung vor den Küsten Frankreichs, Spaniens und Portugals für Mensch und Umwelt haben wir alle gesehen. Die finanziellen Schäden, die in den betroffenen Küstenregionen entstanden sind, haben wir in ihrer ökönomischen Auswirkung zur Kenntnis ge- nommen. Und deshalb gehört nun auch endlich auf die Agenda, beim Havariekommando in Cuxhaven – anstatt zu reden – Strukturen zu schaffen, die ein reibungsloses Vorgehen im Falle einer Havarie an Ost- oder Nordsee sicherstellen. Ich fordere die Bundesregierung auf, Festlegungen zu treffen und Strukturen zu schaffen, die dem Havarie- kommando in Cuxhaven die Möglichkeiten für eine ef- fektive Aufgabenerledigung geben. Davon sind Sie weit entfernt. Der Bundesverkehrsminister hat sich bis heute außerstande gesehen, dafür zu sorgen, dass die räumli- chen Voraussetzungen als Bedingung für eine gut orga- nisierte Zusammenarbeit der verantwortlichen Kräfte ge- schaffen werden. Man muss sich mal vorstellen, dass die Mitarbeiter bis heute an verschiedenen Stellen unterge- bracht sind. Nach über einem Jahr ist noch nicht über eine taugliche Immobilie entschieden, obwohl es Ange- bote gibt – ein Armutszeugnis! Bis heute sind keine Notliegeplätze an den Küsten und in den Häfen ausgewiesen. Wollen Sie das diskutie- ren, wenn die Katastrophe da ist? Lösen Sie dieses Pro- blem! Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Hafenämter im Schadensfalle begeistert sein werden, im Hafen Plätze für havarierte Schiffe zur Verfügung zu stellen? Da muss vorher Klarheit geschaffen werden. Allein das jüngste Beispiel vor Cuxhaven, die Havarie der „Lindholm“, hat deutlich gezeigt, dass angesichts einer zu erwartenden Ölverseuchung im Hafen nur eines versucht wird: den Havaristen loszuwerden und auf See zu schleppen. In den Hafenämtern will sich doch keiner mit tonnenweise ausgelaufenem Öl herumärgern oder mit Versicherern herumschlagen, die die Schäden der Ölbeseitigung be- gleichen sollen und dazu keine Neigung verspüren. Da- bei war die Havarie der „Lindholm" vergleichsweise ein- fach. Der lecke Kümo hatte auch nur 10 Tonnen Öl an Bord. Für den Badebetrieb in Cuxhaven aber wäre auch diese Menge schon Gift gewesen. Eine zentrale Stelle, die mit bindender Wirkung entschieden hätte, was zu passieren hat, nämlich unser Havariekommando in Cux- haven, wäre schön gewesen. Aber Fehlanzeige! Von dort wurden die Probleme nicht gelöst. Hier hat sich bereits im Kleinen gezeigt, was im Großen schief gehen wird. Bis heute ist kein klares Notschleppkonzept auf dem Tisch. Dies ist eine Problematik, die nur durch Vorpla- nung zu regeln ist. Und es muss ein Gesamtkonzept für Nord- und Ostsee auf den Tisch, was die Sache nicht ein- facher macht. Ohne entsprechende Regelungen ist alles andere, was für die Schiffssicherheit getan wird, nur die Hälfte wert. Notschlepperkapazitäten erst dann zu orga- nisieren, wenn die Havarie da ist, ist zu spät. Es müssen Kompetenzen festgelegt werden. Das Ha- variekommando muss auch diejenige Einrichtung sein, die das Letztentscheidungsrecht hat. Wenn, wie bei der Havarie der „Lindholm“, Schlimmeres verhindert wurde, weil der Kollege Zufall genügend Einsehen hatte, dann darf das nicht dazu verlocken, die Hände in den Schoß zu legen. Viele Fragen stehen unbeantwortet im Raum. Ich for- dere die Bundesregierung auf, endlich Antworten zu ge- ben, anstatt auf irgendwelche ungeeigneten Aktivitäten zu verweisen. Lösen Sie die vordringlichen Probleme an der Ostsee und übertragen Sie sie auf die Nordsee! Wir werden Sie immer wieder mit unseren Forderungen kon- frontieren. Handeln Sie freiwillig, bevor die erste große Katastrophe vor der deutschen Küste Sie dazu zwingt! Damit erfüllen Sie dann auch den Anspruch, den der von Ihnen gerne verwendete Begriff der Nachhaltigkeit an Sie stellt. In diesem Sinne fordere ich alle, insbesondere aber die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen nachdrücklich auf, dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zuzustimmen. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vorrang für die Ostseesicherheit! Dieses Ziel kann ich voll und ganz unterstützen. Leider mussten wir in der letzten Woche bei diesem Kampf eine herbe Nie- derlage hinnehmen. Die Ostsee wird vorerst nicht als be- sonders schutzwürdiges Gebiet (PSSA) ausgewiesen. Russland hatte dagegen sein Veto eingelegt. Denn Russ- land gibt der Ostseesicherheit keinen Vorrang. Vorrang haben vielmehr wirtschaftliche Interessen. Russland will seine Ölexporte bis 2010 nahezu verdoppeln. Dafür wer- den die russischen Ölhäfen mit Hochdruck ausgebaut. Fachleute rechnen mit einer Verdreifachung der Öl- menge, die über die Ostsee transportiert wird. Aber nicht nur die Ausweisung der Ostsee als PSSA-Gebiet lehnt Russland ab. Russland hält auch nichts von einem Ver- bot von einwandigen Öltankern, wie es kürzlich von der EU beschlossen wurde. Einwandige Tanker sind bereits bei normalen Witterungsbedingungen unverantwortlich. Aber im Winter werden sie zu einer Zeitbombe. Einwan- dige Öltanker fräsen sich im Nadelöhr vor Sankt Peters- burg ihren Weg durch eine dicke Eisschicht. Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann es zu einer großen Katastrophe kommt. Da Russland kein Mitglied der Europäischen Union (EU) ist, gelten die strengeren europäischen Sicherheits- 4746 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) standards dort auch nicht. Gerade deshalb ist es wichtig, dass auf Russland politischer Druck ausgeübt wird. In diesem Sinne begrüße ich grundsätzlich den Antrag der CDU/CSU, auch wenn ich in der Sache in einigen Punk- ten deutliche Differenzen zu den vorgelegten Forderun- gen habe. Auf nationaler und europäischer Ebene wurden viele vernünftige Initiativen ergriffen, die für mehr Sicherheit auf den Meeren und in den Küstengewässern sorgen. Ich nenne hier nur die beiden „Erika“-Maßnahmenpakete der EU und die Schaffung eines Havarie-Kommandos in Cuxhaven. Aber damit ist noch nicht alles getan, um die Sicherheit der Meere nachhaltig zu gewährleisten. Von besonderer Brisanz ist die Situation in der Kadetrinne. Angesichts der enorm steigenden Schiffsdurchfahrten ist das nicht mehr zu verantworten. Deshalb ist die Forde- rung richtig, umgehend mit den Ostseenachbarn eine Lotsenannahmepflicht und eine Meldepflicht zu verein- baren. Dies gilt auch für ein ostseeweites Netz von Not- liegeplätzen und Nothäfen und für den Ausbau der Ra- darüberwachung. In all diesen Fragen sind wir, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, praktisch einer Meinung und die sollten wir auch im Interesse unseres Landes, der Si- cherheit der Meere und unserer Küsten gemeinsam ver- treten. In zwei Punkten stimme ich mit Ihnen jedoch nicht überein. Zum einen erscheint mir in Ihrem Antrag der Hinweis auf Malta und Zypern unverständlich. Sie deuten an, dass diesen beiden Staaten im Beitrittsvertrag eine Son- derbehandlung zugestanden wurde. Das ist nicht der Fall. Auch nach nochmaliger Lektüre des Beitrittsvertra- ges konnte ich keine Sonderbehandlung für diese Staaten erkennen. Mit dem Beitritt Maltas und Zyperns gelten alle diesbezüglichen Regeln der EU ab dem ersten Tag ihrer Mitgliedschaft. Zum anderen scheinen sie eine Grundgesetzänderung durch die Hintertür anzustreben. Dafür werden sie die Unterstützung von Bündnis 90/Die Grünen nicht bekom- men. Die Regelung, die Sie für eine künftige Küstenwa- che vorschlagen, ist mit der grundgesetzlichen Trennung von polizeilicher und militärischer Gewalt nicht verein- bar und auch völlig unnötig. Der Einsatz der Bundes- wehr in Katastrophenfällen ist eindeutig geregelt. Den Versuch der CDU/CSU, Bundeswehreinsätze im Inneren durch immer neue trickreiche Varianten durchzusetzen, werden wir entschieden und beharrlich zurückweisen. Allerdings halten auch wir die Weiterentwicklung des Havarie-Kommandos in Cuxhaven zu einer noch schlag- kräftigeren Organisation für geboten. Parallele Struktu- ren und unterschiedliche, sich teilweise gegenseitig be- hindernde Kompetenzhierarchien müssen konsequent abgebaut werden. Nur dann werden wir über eine schlagkräftige Küstenwache verfügen, die im Notfall schnell und effektiv reagieren kann. Zu prüfen ist auch die Schaffung einer europäischen Küstenwache. Auch wenn es sich hier nur um einen ersten Gedanken handelt, sollten wir ihn nicht von vornherein ablehnen. Umwelt- kriminalität und der Seeverkehr machen natürlich nicht an den Staatsgrenzen Halt. Deshalb müssen wir mutige europäische Lösungen finden. Denn wenn es so weiter- geht, wird die Ostsee bald ein von Ölteppichen überzo- genes schwarzes Meer sein. In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein ande- res internationales Problem ansprechen, das mich mit großer Sorge erfüllt. Weltweit laufen 1 500 Schiffe unter der Flagge Liberias. Davon sind mehr als ein Viertel deutsche Schiffe. Damit unterstützen deutsche Reeder maßgeblich das diktatorische Regime von Charles Taylor. Denn die Einnahmen aus dem Verkauf der Lan- desflagge tragen bis zu 25 Prozent zum liberianischen Haushalt bei und sind seit dem UN-Embargo gegen Tro- penholz, Waffen und Diamanten die Hauptfinanzie- rungsquelle des Taylor-Regimes. Dieses Regime befin- det sich seit Jahren in einem grausamen Bürgerkrieg, in dem brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen wird. Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, Kriegsverbrechen sowie schwere Menschenrechtsver- stöße werden ihr angelastet. Wie Sie wissen, zerbrach auch der jüngste Waffenstillstand. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, die deutschen Reeder dazu aufzufordern, ihre Schiffe nicht mehr unter liberiani- scher Flagge fahren zu lassen. Denn durch den Kauf der liberianischen Flagge unterstützen sie das menschenver- achtende Regime des Diktators Charles Taylor. Wenn Sie weiterhin auf ein UN-Embargo gegen das offene Re- gister Liberias warten, helfen sie dem Taylor-Regime, den Bürgerkrieg fortzuführen. Abschließend möchte ich zum Thema Vorrang für die Ostseesicherheit noch auf etwas hinweisen, was an sich zwar offensichtlich ist, aber dennoch oft übersehen wird. Die Vermeidung von Gefahren ist die beste Sicherheits- strategie von allen. Das heißt, jeder Tropfen Öl, der nicht über die Weltmeere nach Deutschland gebracht wird, sondern durch Energieeinsparung oder regenerative Energien ersetzt wird, ist die beste aller Sicherheitsvor- kehrungen überhaupt. Hans-Michael Goldmann (FDP): Als Opposition sollten wir dort, wo es geboten ist, auch einmal die Re- gierung loben. Im Fall der Sicherheit auf der Ostsee hat die Regierung in der Tat einige richtige Schritte unter- nommen und der CDU/CSU-Antrag ist in einigen Punk- ten schlicht überholt. Ein Punkt macht mir allerdings Sorgen. Bei der Hava- rie des chinesischen Frachters „Fu Shan Hai“ haben sich die Dänen wie damals bei der „Pallas“ nicht gerade ko- operativ verhalten. Die schwedische Verkehrsministerin Ulrika Messing warf ihrem dänischen Kollegen vor, dass der Untergang an der ungünstigen Stelle auf das zögerli- che Verhalten der dänischen Behörden zurückzuführen sei weil das schwedische Hilfsangebot drei Stunden un- beantwortet blieb. Die Dänen scheinen seit dem „Pal- las“-Unglück nichts dazugelernt zu haben. Hier ist die Bundesregierung dringend aufgefordert, in Gespräche mit der dänischen Regierung einzutreten. Es ist ja schön und gut, dass die Dänen ebenfalls eine Lotsannahme- pflicht für die Kadetrinne fordern, doch mindestens ebenso wichtig ist, dass sie im Falle einer Havarie voll- ständig mit ihren Nachbarländern kooperieren. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4747 (A) (C) (B) (D) Nach dem Lob der Regierung müssen wir uns aber natürlich auch mit den Themen beschäftigen, die die Re- gierung noch immer nicht vernünftig abgearbeitet hat, wo sie völlig konzeptionslos erscheint. Sehr kritisch fällt die Bilanz zum Havariekommando aus. Noch immer gibt es keinen endgültigen Organisati- onserlass. Allen anderslautenden Ankündigungen zum Trotz, schwebt das Havariekommando im Ministerium immer noch in der Luft. Es ist sogar von ernsthaften Ver- stimmungen in der Verwaltung und bei den Personalräten zu hören. So schafft man kein Vertrauen in neue Sicher- heitsstrukturen. Im Gegensatz zu den Verlautbarungen des Ministeriums gibt es auch nach wie vor kein Durch- griffsrecht für das Havariekommando. Noch immer ist es auf den Goodwill möglicher Beteiligter angewiesen. Am grünen Tisch mögen die Erklärungen zur Zusam- menarbeit ja nett klingen, aber ob dies eine krisensichere und belastbare Basis für die Arbeit des Havariekomman- dos darstellt, bezweifle ich. Den größten Vogel hat unser Bundesverkehrsminister allerdings mit seinem „Notliegeplatz-Konzept“ abge- schossen. In der aktuellen Ausgabe der Waterkant heißt es hierzu sogar: „Gäbe es einen Preis für das schönste Polit-Märchen, wäre der deutsche Bundesverkehrsminis- ter Stolpe ein Spitzenkandidat.“ Noch im Januar dieses Jahres erklärte er, dass Deutschland ein ganzes Netzwerk von Nothäfen bereitstellen würde. Doch was ist daraus geworden? Kein einziges europäisches Küstenland hat bislang Notliegeplätze ausgewiesen. Herr Stolpe hat eine geheime Liste der deutschen Häfen und Reeden an das Havariekommando übergeben, die würden es schon rich- ten. Das Hafenhandbuch hätte das Havariekommando in jeder Buchhandlung kaufen können. Die Hafenliste ist aber deshalb ein großes Staatsgeheimnis, weil öffentlich ausgewiesene Nothäfen die Bevölkerung beunruhigen würden. Wir Küstenbewohner wissen, dass wir Nothäfen und Notliegeplätze benötigen, um größere Gefahren von der Küste abzuwenden. Wir wollen endlich wissen, wann, bei welcher Havarieart, bei welcher Ladung und welcher Gefährdung ein Havarist welchen Nothafen oder Notliegeplatz anlaufen soll. Wir brauchen Ver- trauen in die Sicherheitskonzepte der Regierung. Wir brauchen einen Minister, der uns keine Märchen erzählt. Ich komme nicht umhin, diese Gelegenheit zu nutzen, um abermals auf das widersprüchliche Verhalten der Bundesregierung in Sachen Schadstoffunfall-Bekämp- fungsschiff hinzuweisen. In der Pressemitteilung Nr. 207/03 des BMVBW teilt die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Mertens mit, dass das Ministerium die Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft su- che. Das ist ja durchaus erfreulich. Doch warum lassen Sie Ihren Worten denn nicht auch endlich einmal Taten folgen? Stattdessen halten Sie trotz leerer öffentlicher Kassen an einem öffentlich gebauten und öffentlich be- reederten Schadstoffunfall-Bekämpfungsschiff fest. Das SUBS für die Ostsee könnte wirtschaftlicher von priva- ter Seite bereedert werden und ich bin überzeugt, dass wir damit auch gutes Know-how einkaufen würden. Die Erfahrungen mit der „Oceanic“ und der „Fairplay 26“ zeigen doch eindrucksvoll, dass die Privaten höchsten Anforderungen an die Ausbildung der Besatzungen ge- recht werden. Privaten wäre dann wohl auch nicht der Fehler unterlaufen, das SUBS mit einem veralteten Saug- entöler auszustatten, der die Ölbekämpfungsfähigkeit des Neubaus fraglich erscheinen lässt. Doch nicht nur das BMVBW scheint es mit der Ko- operation mit der Privatwirtschaft nicht besonders ernst zu nehmen. Auch das Verteidigungsministerium rechnet sich die öffentliche Bereederung des Forschungsschiffes „Planet“ schön. Angesichts dieser Beispiele sind solche hehren Erklärungen wie die von Frau Mertens nichts wert. Als Fazit bleibt wieder einmal festzustellen, dass in vielen Fällen unsere Regierung uns mit Versprechungen und Märchen ruhig stellen will und nicht die Absicht hat, ihre Ankündigungen auch in die Tat umzusetzen. Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Wir untersuchen zurzeit für bestimmte Teile der Ostsee, wel- che Seegebiete und welche zusätzlichen Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt und der Küstenregionen sich am besten für eine Ausweisung als PSSA eignen. Schweden, Dänemark, Finnland und die baltischen Staa- ten beabsichtigen, bei der Internationalen Seeschiff- fahrts-Organisation (IMO) einen Antrag zu stellen, wo- nach die gesamte Ostsee als PSSA ausgewiesen werden soll. Es könnten dann für ein solches Gebiet strengere Regelungen zur Erhöhung der Sicherheit des Schiffsver- kehrs getroffen werden. Auf dem G-8-Gipfel von Evian im Juni 2003 haben die Partnerstaaten einem Aktionsplan zur Tankersicher- heit zugestimmt, der unter anderem eine Lotsenpflicht für enge, gefährliche und viel befahrene Schifffahrtsstra- ßen vorsieht. Die Einführung einer Pflicht zur Lotsenannahme für bestimmte Schiffe und Fahrtgebiete speziell in der Ost- see wäre ein wichtiger Faktor für die Sicherheit des Schiffsverkehrs und den Schutz der Meeresumwelt. Da es sich um internationale Gewässer handelt, sind ent- sprechende Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit des Schiffsverkehrs nur im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) möglich. Zunächst ist eine Verständigung aller Ostseeanrainerstaaten erfor- derlich, um eine wirksame Initiative bei der IMO zu ent- wickeln. Die Bundesregierung hat bereits Schritte unternom- men, um mit Russland in Fragen der Schiffssicherheit und der Lotsenannahmepflicht in der Ostsee ins Ge- spräch zu kommen. Beide Seiten haben sich darauf ver- ständigt, die Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicher- heit in der Ostsee-Schifffahrt von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe analysieren zu lassen. Das Thema war auch Gegenstand der Gespräche beim HELCOM-Workshop in Rostock im März 2003; im Er- gebnis wird eine Lotsenannahmepflicht auch in interna- tionalen Gewässern grundsätzlich als positiver Ansatz zur Erhöhung der Schiffssicherheit angesehen. Auf Fach- ebene soll in einer Expertengruppe (Dänemark, Deutsch- land, Finnland, Lettland, Polen, Russland, Schweden) 4748 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) das System einer Lotsenannahmepflicht im Einzelnen diskutiert werden. Eine erste Sitzung der Arbeitsgruppe hat bereits im Mai 2003 stattgefunden, die Fortsetzung erfolgt im September 2003. Die Bundesregierung setzt bei der Überwachung des Seegebietes Ostsee anstelle der technisch unzureichen- den Weitbereichsradaranlagen auf das präzisere automa- tische Schiffsidentifizierungssystem (AIS). Für den Be- reich der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in Deutschland wird eine funktechnische Abdeckung zur Erfassung aller von den AIS-Bordgeräten zur Verfügung gestellten Daten und eine entsprechende Landinfrastruk- tur zurzeit aufgebaut. Mit dem automatischen Schiffsidentifizierungssystem (AIS) ist eine vollständige Erfassung aller ausgerüsteten Schiffe möglich; umfangreiche Detailinformationen werden verfügbar. Unter maßgeblicher deutscher Mit- wirkung wurde erreicht, dass eine weltweite Ausrüs- tungspflicht für alle Schiffe größer 300 BRZ mit AIS verbindlich durchgesetzt ist. Die Ausrüstung erfolgt jetzt schrittweise nach Schiffstypen und Schiffsgrößen gestaf- felt und wird nach einer Entscheidung der IMO vom De- zember letzten Jahres im Dezember 2004 international ab- geschlossen sein. Risikoschiffe – zum Beispiel Tanker – müssen bereits heute mit AIS ausgerüstet sein. Eine EU- Richtlinie setzt diese IMO-Vorschrift für die Mitglied- staaten verbindlich um. Die Befürchtung, dass so ge- nannte Sub-Standard-Schiffe einer langzeitigen Beob- achtung zum Beispiel durch Abschalten der AIS-Geräte entgehen könnten, ist nicht begründet, da eine Unterbre- chung der AIS-Aussendungen an Land in den entspre- chenden Verkehrszentralen einen so genannten „Lost Target“-Alarm auslösen würde. Darüber hinaus ist beab- sichtigt, die AIS-Informationen europaweit untereinan- der auszutauschen. Da auf den Flüssen und in den An- steuerungsbereichen zu deutschen Häfen zusätzlich eine Radarabdeckung vorhanden ist, ist mit großer Sicherheit auszuschließen, dass ein ausrüstungspflichtiges Fahr- zeug, ohne AIS in Betrieb zu nehmen, einen Hafen ver- lässt. Die Nutzung von AIS macht die Einführung einer Meldepflicht entbehrlich, da alle verkehrsrelevanten In- formationen ständig automatisch den entsprechend ein- gerichteten Landstationen zur Verfügung stehen. Die AIS-Informationsnutzung ist darüber hinaus nicht von der Einführung einer Meldepflicht abhängig. Erfahrungen aus jüngsten Schiffshavarien auch vor der deutschen Küste und eine geänderte Gefahrenlage erfordern angemessene Reaktionen im Bereich des Ha- variemanagements und der polizeilichen Gefahrenab- wehr. Mit dem Havariekommando wurde in beispielhaf- ter Kooperation zwischen dem Bund und allen fünf Küstenländern eine gemeinsame Einrichtung geschaffen, die ein einheitliches und damit effektives Unfallmanage- ment bei schweren Havarien gewährleistet. Mit den Nachbarstaaten Dänemark, Niederlande, Schweden und Polen bestehen Kooperationsvereinbarungen. Sowohl die Havarie der „Prestige“, als auch das Un- glück der „Erika“ – 1999 – haben gezeigt, dass Schiffen in Problemsituationen geholfen werden muss. Eine mög- liche Hilfe kann es sein, dass Schiffe in Not unverzüg- lich einen Hafen oder einen sicheren Liegeplatz anlaufen können. Deshalb hat die Internationale Seeschifffahrts- Organisation (IMO) – nicht zuletzt auf Initiative Deutschlands – das Thema als einen Programmschwer- punkt in das Arbeitsprogramm der IMO aufgenommen. Der Entwurf einer Richtlinie zur Erfassung und Ein- richtung von Notliegeplätzen ist im Mai dieses Jahres in London angenommen worden und wird in einem be- schleunigten Verfahren voraussichtlich noch in diesem Herbst von der IMO-Vollversammlung verabschiedet werden. Das deutsche Notliegeplatzkonzept, wie auch das Konzept aller anderen EU-Mitgliedstaaten, sieht keine ausdrückliche Ausweisung von Notliegeplätzen vor. Entsprechend dem deutschen Notliegeplatzkonzept wird eine umfassende Datensammlung mit den Eigen- schaften aller infrage kommenden Liegeplätze für Schiffe in komplexer Schadenslage angelegt und vom Havariekommando gepflegt. Die Zuweisung eines Notliegeplatzes für Schiffe – ein- schließlich Tanker – in einer unmittelbar bevorstehenden oder bereits eingetretenen komplexen Schadenslage er- folgt durch das Havariekommando aufgrund einer Ein- zelfallentscheidung, die zum einen das konkrete Gefähr- dungspotenzial und zum anderen die für den speziellen Fall geeigneten infrage kommenden Notliegeplätze im Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeit berücksichtigt. Dabei werden alle örtlich zuständigen Stellen in den Entschei- dungsprozess durch Beteiligung einbezogen. Eine Anhörung der EU-Kommission am 31. Januar 2003 in Brüssel hat ergeben, dass ebenso wie Deutsch- land auch die anderen Mitgliedstaaten der EU nicht be- absichtigen, bestimmte Häfen als Notliegeplätze auszu- weisen und bekannt zu machen, sondern immer von Fall zu Fall zu entscheiden. Entsprechend dem europäischen Notliegeplatz-Kon- zept ist beabsichtigt, regional die Informationen über mögliche Notliegeplätze mit den Nachbarstaaten intern auszutauschen, damit diese in die Entscheidung der je- weils zuständigen kompetenten Stelle einbezogen wer- den können. Deutschland hat ein Notschleppkonzept entwickelt und weitgehend umgesetzt, das auch international kei- nen Vergleich zu scheuen braucht. Für Notschleppaufga- ben stehen in der Nordsee drei Fahrzeuge (Mehrzweck- fahrzeuge „Neuwerk“, „Mellum“, und Schlepper „Oceanic“) und derzeit in der Ostsee vier Fahrzeuge (Mehrzweckfahrzeug „Scharhörn“, Schlepper „Bülk“, „Fairplay 25“, „Fairplay 22“) in Einsatzbereitschaft, ein weiteres Mehrzweckfahrzeug ist in Bau und wird 2004 in Dienst gestellt. Damit werden Eingreifzeiten von ma- ximal zwei Stunden erreicht. Dänemark, Schweden und Polen stimmen mit Deutschland in der Zielsetzung überein, eine Transit- route für Tanker durch die gesamte Ostsee zur Erhöhung der Verkehrssicherheit festzulegen. Darin eingeschlos- sen ist die Festlegung eines in der Seekarte eingetrage- nen Tiefwasserweges durch die deutsche bzw. dänische ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) ohne separate Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4749 (A) (C) (B) (D) Betonnung, der Tankern und Schiffen mit anderer ge- fährlicher Ladung einer bestimmten Größe von der IMO empfohlen werden soll. Sie sind zu dem Schluss gekom- men, dass dieses jedoch noch weiterer Untersuchungen bedarf. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den übrigen EU-Mitgliedstaaten in der Internationalen Seeschifffahrts- Organisation (IMO) in London eine Initiative zur weiteren Beschleunigung der Ausphasung von Einhüllen-Öltank- schiffen gestartet. Die Ausphasungsfristen sollen ent- sprechend der vom Ministerrat (Verkehr) am 17. März 2003 beschlossenen Verordnung zur Änderung der Ver- ordnung (EG) Nr. 417/2002 zur beschleunigten Einfüh- rung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstrukt- ionsanforderungen für Einhüllen-Öltankschiffe und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2978/94 des Rates auf 2005 bzw. 2010 verkürzt werden. Die Initiative der europäischen Staaten wird im Maritime Environment Protection Committee (MEPC) der IMO Mitte Juli 2003 beraten werden. In der geänderten EG-Verordnung ist außerdem ein sofortiges Anlaufverbot für Einhüllen-Öl- tankschiffe enthalten, die Schweröl transportieren und europäische Häfen ansteuern. Tanker in der Transitfahrt sind von diesem Verbot nicht betroffen. Um auch die Transitverkehre in der Ostsee sicherer zu machen, bemüht sich die Bundesregierung bei HELCOM, einer Konferenz, die alle Ostseeanrainer einbindet, um verbindliche Wegeführung und Lotsenannahmepflich- ten für Tanker. Angesichts der eingeleiteten Initiativen der EG-Ver- ordnung und der IMO wird für die Ostsee die Einfüh- rung weitergehender Regelungen zurzeit nicht verfolgt. Ein sofortiges Verbot von Einhüllentankern in der Ostsee müsste ebenfalls von der IMO beschlossen werden, wenn man eine wirksame Regelung anstrebt, die Schiffe aller Nationen einbezieht. Übergangsregelungen in Bezug auf Schiffsicherheits- anforderungen für die der EU in Kürze beitretenden Staaten sind nicht bekannt und würden von der Bundes- regierung auch nicht unterstützt. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über die Unterrichtung: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun- gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungs- bericht 2002) (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Der jetzt vorgelegte Jah- resabrüstungsbericht 2002 rückt wichtige Themen der Außenpolitik in den Blickpunkt. Abrüstung, Rüstungs- kontrolle und Nichtverbreitung sind für die SPD-Bun- destagsfraktion unverzichtbare Bestandteile einer multi- lateralen Weltordnung. Diese Elemente wollen wir stärken. Mit dem Jahresabrüstungsbericht 2002 haben wir ei- nen guten Überblick über den Stand und die Erfolge der Rüstungssteuerung. Zugleich weist uns der Bericht auf Defizite und Handlungsbedarf hin. Ich danke der Bun- desregierung und den Autorinnen und Autoren für ihre wertvolle Arbeit und ihre Hinweise. Damit können wir im Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung unsere Beratungen konzentriert und fachkundig weiterführen – und an einem Ziel wei- terarbeiten, das fraktionsübergreifend geteilt wird: Wir wollen gemeinsam Rüstung in Europa kontrollieren und beschränken sowie vergleichbare Möglichkeiten für re- gionale Konflikte erörtern und anregen. Rüstungskontrollverträge haben während des Ost- West-Konflikts zur Vertrauensbildung und Kooperation beigetragen. Auch wenn sie das Sicherheitsdilemma nicht auflösen konnten, haben diese Verträge Verläss- lichkeit hergestellt. Abrüstung und Rüstungskontrolle waren ein Grundpfeiler der damaligen Sicherheitsarchi- tektur – und sie haben auch heute Zukunft. Abrüstung und Rüstungskontrolle müssen zu einem unverkennba- ren Merkmal der europäischen Integration werden. Die Voraussetzungen sind günstig: Kriege sind in der Euro- päischen Union undenkbar geworden. Militär und Rüs- tung dienen heute dazu, potenzielle Angreifer abzu- schrecken und im Auftrag der Vereinten Nationen und seiner Organisationen außerhalb der Gemeinschaftsgren- zen zu handeln. Die rüstungskontrollpolitische Bilanz ist trotz dieser günstigen Voraussetzungen widersprüchlich: Einerseits sind in den vergangenen Wochen wichtige Verabredun- gen zugunsten neuer Abrüstungsinitiativen getroffen worden. Die USA und die EU haben sich auf gemein- same Schritte verständigt, um die Verbreitung von Mas- senvernichtungswaffen zu unterbinden. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am 20. Juni 2003 be- schlossen, bestehende Nichtverbreitungsverträge zu stär- ken, Exportkontrollen zu intensivieren, die internatio- nale Zusammenarbeit auszubauen und den politischen Dialog mit anderen Ländern zu vertiefen. Die G8 haben eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, worin die Verträge gegen die Verbreitung von Atom-, Chemie- und Bio-Waffen ausdrücklich gewürdigt werden. Andererseits ist die Dekade der Abrüstung vorbei: Nach einem Bericht des Stockholmer Friedensfor- schungsinstituts SIPRI sind die Rüstungsausgaben kräf- tig gestiegen, allein im letzten Jahr weltweit um 6 Pro- zent. Wirksame Abrüstungsverträge wurden in den letzten Jahren nicht geschlossen. Die Blockade der Gen- fer Abrüstungskonferenz geht mittlerweile ins siebte Jahr. Die Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll zur Biowaffenkonvention sind gescheitert. Zwar haben die Präsidenten Bush und Putin am 24. Mai 2002 einen Vertrag über die Reduzierung der strategischen Offen- sivwaffen unterzeichnet. Allerdings beinhaltet der Text keine Verifikation und die Sprengköpfe und Trägersys- teme müssen nicht vernichtet werden. Zudem ist die Gültigkeit des Vertrages begrenzt. Am Ende des vergangenen Jahrzehnts sind Indien und Pakistan Atomwaffenmächte geworden. In diesem Jahr- 4750 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) zehnt streben weitere Länder nach der Atombombe. Nordkorea will nicht nur im Besitz von atomaren Sprengköpfen sein. Das Land hat sich ebenso zu einem wichtigen Exporteur entsprechender Trägermittel entwi- ckelt. Der Iran geht einen Weg, der ebenfalls Nachfragen provoziert. Anzumerken bleibt hier, dass die Verantwort- lichen in Teheran nach wie vor mit der Internationalen Atomenergieorganisation kooperieren. Diesen Weg müs- sen wir unterstützen. Der Iran darf nicht aus dem Nicht- verbreitungsvertrag aussteigen. Die Bundesregierung hat zusammen mit anderen europäischen Regierungen inten- sive Gespräche geführt, damit der Iran ein Zusatzproto- koll mit der Internationalen Atomorganisation zeichnet. Dies wäre ein wichtiger und richtiger Schritt. Die schlechten Nachrichten werden zudem von Ent- wicklungen begleitet, die das Konzept der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung grundsätzlich infrage stellen: Erstens. Das Militär wird immer häufiger zu einem Mittel der Politik. Die USA haben den Krieg gegen den Irak auch damit begründet, die – bis heute nicht gefunde- nen – Waffen, die den Weltfrieden gefährden, zerstören zu wollen. Die Europäische Union ist ebenfalls bereit, als letztes Mittel militärische Gewalt gegen Proliferato- ren einzusetzen, wenn zuvor alle anderen friedlichen Mittel zur Abrüstung und Rüstungskontrolle versagt ha- ben. Im Gegensatz zur US-Militärdoktrin will man in Europa eine solche Entscheidung zwar nur im „Einklang mit internationalem Recht“ treffen. Ob eine solche Stra- tegie aber Proliferatoren zum Einlenken bewegen kann, ist mehr als zweifelhaft. Zugleich ist zu befürchten, dass Despoten vor diesem Hintergrund noch zielstrebiger den Griff zur Bombe wagen, gewissermaßen als Vorbeugung vor gewaltsamen Schlägen. Für diese Annahme spricht, dass ursprünglich als defensive Maßnahmen gedachte Entscheidungen, wie der Aufbau einer regionalen Rake- tenabwehr in Japan und Taiwan, die VR China, Russland und Nordkorea ihrerseits veranlassen, die eigenen Offen- sivfähigkeiten zu stärken. Diese Reaktionsmuster ken- nen wir als Sicherheitsdilemma aus dem Ost-West-Kon- flikt. Gerade bei neuen Rüstungsprojekten müssen die Auswirkungen auf das Umfeld bedacht werden. Zweitens. Mit dem Entwurf für eine gemeinsame europäische Verfassung sind wir auf dem Weg zu einem europäischen Friedensbund. Die Artikel zur Außen-, Si- cherheits- und Verteidigungspolitik können die multila- terale Weltordnung stärken. Allerdings ist es ungewöhn- lich, dass ein „Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“ Verfassungsrang erhalten soll. Eine Abrüstungsbehörde hätte den zivilen Charakter der Gemeinschaftspolitik meines Erachtens besser gefördert. Ich hoffe, dass sich hinter dieser Entscheidung nicht eine allgemeine Abkehr vom Bild der Zivilmacht Europa verbirgt. Leider gibt es dafür einige Anzeichen: Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) beinhaltet eine militärische und eine nicht mili- tärische Komponente. Letztere umfasst dabei die Bereit- stellung von Polizei, Rechts- und Verwaltungsexperten sowie von Mitgliedern aus dem Bereich des Katastro- phenschutzes. Während der militärische Aufbau im Rah- men der ESVP – wie jetzt im Kongo – rasch voran- schreitet, ist die Entwicklung eines breit gefächerten zivilen Ansatzes in den Hintergrund getreten. Zivile Kri- senbewältigung muss zumindest gleichberechtigt neben den militärischen Aspekten der europäischen Außenpoli- tik stehen. Ich teile auch nicht die Auffassung, dass eine gemein- same Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Lack- mustest für Partnerschaftsfähigkeit in Europa ist. Part- nerschaft unter demokratischen Staaten beweist sich nicht in erster Linie durch militärische Integration, son- dern zuerst durch eine verstärkte zivile Zusammenarbeit. Die Kultur der Mäßigung muss ein Markenzeichen euro- päischer Außenpolitik bleiben. Ich wünsche mir, dass Rüstungskontrolle ein wesentlicher Bestandteil der neuen europäischen Sicherheitsstrategie wird. Wir haben gesehen, dass erst mit der Abrüstungsvereinbarung im Vertrag von Dayton langfristig Bedrohungsvorstellungen im ehemaligen Jugoslawien aufgebrochen werden konn- ten. So genannte Abrüstungskriege werden niemals das Verhalten von Staaten zugunsten eines friedlichen Aus- gleichs anregen. Drittens. Demokratien führen keine Kriege gegenei- nander. Das ist fast schon ein empirisches Gesetz. Des- halb sind eigenständige Schritte zugunsten von Demo- kratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und sozialer Gerechtigkeit nicht nur Strategien für einen innerstaatli- chen Friedensprozess, sondern auch für eine friedliche Welt. Der demokratische Friede hat allerdings eine Schattenseite: Demokratien intervenieren zunehmend militärisch in innerstaatliche oder zwischenstaatliche Konflikte. Der Gewaltverzicht von Demokratien ist da- her nur relativ. Dabei war es nicht immer einfach, einen gesellschaftlichen Konsens zugunsten eines Eingreifens herzustellen. Die Menschen scheuen die Risiken des Krieges. Wie aber werden sich demokratische Gesell- schaften verhalten, wenn die neueste Entwicklung der Militärtechnik die Risiken und Kosten von Kriegen dras- tisch mindert? Das militärische Eingreifen ist dabei nicht mehr nur eine Antwort auf die Gewalt in Konflikten, sondern auch eine Reaktion auf den normativen Wandel der internationalen Ordnung. Der Gewalteinsatz wird billigend in Kauf genommen, um autoritäre Führungen zu beseitigen. Was passiert, wenn der Zusammenhang von Demokratie und relativem Gewaltverzicht sich durch normativen Druck in sein Gegenteil verkehrt? Rüstungskontrolle muss als Strategie zur Kriegsverhü- tung diesem Trend entgegen wirken. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung haben nur eine Zukunft, wenn sich auch die USA dieses Mittels wieder bedienen. Ich bin der festen Über- zeugung, dass wir mit den Entscheidungsträgern in Washington dann wieder über solche Regelwerke ins Gespräch kommen, wenn wir eine robuste Rüstungskon- trolle etablieren können. Dazu gehören insbesondere wirksame Verifikations- und Sanktionsmechanismen. Die Inspektions- und Kontrollregime müssen gestärkt werden, unangemeldete Vor-Ort-Inspektionen gehören dazu ebenso wie der Aufbau eines qualifizierten unpartei- ischen Inspektorenteams. Wie Stand-by-Truppen brau- chen wir den Aufbau von Stand-by-Inspektionsteams. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4751 (A) (C) (B) (D) Wir müssen weiterhin ein weltweites Regime für den Besitz von Trägermitteln schaffen. Abrüstung muss auch in der NATO wieder Thema werden. Die Organisation bietet sich als Konsultationsgremium für den Abbau der substrategischen, nuklearen Kurzstreckenraketen an. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind Bestandteile einer klugen Außenpolitik. Deutsch- land kann diese Mittel umso überzeugender in der inter- nationalen Politik vertreten, weil wir selbst von ihnen profitiert haben. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung machen die Welt nicht nur sicherer. Sie können auch die regionale Zusammenarbeit stärken. Und vor allem: Die Prävention durch Rüstungskontrolle ist der Prävention durch Entwaffnungskriege allemal vorzuziehen. Ich bitte, der Überweisung des Berichts zuzustimmen. Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU): Spätestens mit den Anschlägen des 11. September wurde deutlich, dass wir uns in Intensität und Auswirkung mit kaum vorstellbaren Formen der Be- drohung unserer Sicherheit auseinander zu setzen haben. Die neue Herausforderung manifestiert sich in der Kon- frontation mit in ihrer Gefährdung unabsehbaren Fakten: internationaler Terrorismus, „gescheiterte Staaten“ und Massenvernichtungswaffen im Einzelnen wie in der fa- talen Kombination. Eine mit aller Entschlossenheit ver- folgte Nichtverbreitungspolitik muss daher im Verbund mit konsequenter Rüstungskontrolle und Abrüstung Leitprinzip einer neuen Sicherheitspolitik sein. Die verschiedenen internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge sowie -abkommen bilden in ihrer Gesamtheit ein vordergründig eindrucksvolles si- cherheitspolitisches Netzwerk. Allerdings ist jeder ge- scheiterte oder nicht implementierte Vertrag eine Lücke in jenem „Netz“ und kann somit zur Gefährdung der in- ternationalen, also auch unserer Sicherheit führen. In vielen Fällen sind die nationalen Handlungsmöglichkei- ten beschränkt und reduzieren sich auf den politischen Dialog mit den eigentlichen Vertragspartnern, etwa den USA und Russland, mit dem Ziel einer positiven Ein- flussnahme. Darüber hinaus gehendes konkretes politi- sches Handeln ist für Deutschland allerdings überall dort gefordert, wo die regionale Anwendung der Verträge und Abkommen im Schwerpunkt auf Europa ausgerich- tet ist. Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle muss daher verstärkt in einem europäischen Kontext, also als Bestandteil einer gemeinsamen europäischen Si- cherheitspolitik, verstanden und ausgestaltet werden, je- doch nicht in Konkurrenz zu den Vereinigten Staaten, sondern mit komplementärem Charakter. Zur Bekämp- fung der neuen sicherheitspolitischen Herausforderun- gen brauchen wir ein geschlossenes Vorgehen von Euro- päern und Amerikanern. Eine solche Kooperation ist in beiderseitigem Interesse: 90 Prozent des Kampfes gegen den global vernetzten Terror wird mit Mitteln geführt, die nicht militärisch sind. Die amerikanische Übermacht auf letzterem Gebiet kann also allein keine Sicherheit garantieren. Umgekehrt aber kann Europa als Regional- macht ohne transatlantische Zusammenarbeit sich nicht wirksam gegen die neuen disparaten Bedrohungen schützen. Angesichts der neuen globalen sicherheitspoli- tischen Herausforderungen ist die Notwendigkeit der transatlantischen Zusammenarbeit – gerade, aber nicht lediglich in den Bereichen Rüstungskontrolle und Nicht- verbreitung – dringlicher denn je. Die erstrebte Funktionsfähigkeit zukünftiger sicher- heitspolitischer Zusammenarbeit erfordert eine gemein- same transatlantische Sicherheitsstrategie. Die Vorstel- lungen Washingtons liegen in Form der National Security Strategy seit dem letzten Herbst vor. Die Regie- rung Bush drängte bekanntlich zügig auf die Umsetzung dieser Strategie. Wesentliche, gerade emotionale Ge- sichtspunkte der transatlantischen Krise in der Irakfrage hätten vermieden werden können, wenn die europäische Seite in der Lage gewesen wäre, frühzeitig eigene Kon- zepte erkennen zu lassen, die den neuen sicherheitspoli- tischen Herausforderungen gerecht werden würden. Stattdessen beschränkte sich insbesondere der französi- sche und deutsche Beitrag allzu oft auf abschätzige, bes- tenfalls akademische Kritik, während man politische und praktische Antworten weitgehend schuldig blieb. So war der Weg in die Krise vorprogrammiert. Angesichts aller neuen wie bisherigen Bedrohungen, die auch im Bericht der Bundesregierung ausführlich benannt werden, kön- nen und dürfen wir uns solche Verwerfungen nicht ein- mal im Ansatz leisten. Die auf dem Gipfel von Thessaloniki verabschiedeten Vorschläge der EU waren daher überfällig und sind umso mehr zu begrüßen. Europa ist nun, was die Debatte um eine Sicherheitsstrategie angesichts der globalen Be- drohungen durch Terror und der Verbreitung von Mas- senvernichtungswaffen wieder annähernd auf Augen- höhe mit den Vereinigten Staaten, wenngleich noch schwankend auf den Zehenspitzen balancierend. Die EU spricht wieder mit einer Stimme, gelegentlich heiser, zu- weilen im Tonfall noch unstet, jedoch gegenüber Wa- shington mit dem Anspruch von substanziellen Beiträgen und Gegenvorschlägen. Dies ist die Grundvoraussetzung für eine nun zu initiierende Debatte zwischen der ameri- kanischen Regierung und der EU, deren Ergebnis sich nicht mehr wie in den vergangenen Monaten in der Fest- stellung der Ausweglosigkeit von Einzelfragen erschöp- fen darf, sondern konkret in die stabile Ummantelung ei- ner transatlantischen Sicherheitsstrategie münden muss. Dies wiederum ist die Prämisse für ein geschlossenes transatlantisches Vorgehen in Fragen der Nichtverbrei- tung und Abrüstungspolitik, ohne das wiederum die ver- schiedenen Kontroll- und Abrüstungsregime kaum ef- fektiv arbeiten können. Nur vor dem Hintergrund abgestimmter sicherheitspolitischer Vorstellungen und Prioritäten kann eine weitgehende Deckungsgleichheit bezüglich der Einschätzung gegebener Gefahren erreicht werden und damit wirksames Handeln gegenüber den neuen Formen der Bedrohung sichergestellt werden. Noch einmal: Wir haben bedauerlicherweise erfahren müssen, dass während der Irakkrise kein gemeinsames Vorgehen mit den USA erreicht werden konnte. Die Ge- nugtuung, die nun verschiedentlich bezüglich der bisher 4752 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) erfolglosen Suche nach den Massenvernichtungswaffen des Irak geäußert wird, stimmt für künftige konkrete Be- drohungsanalysen nicht hoffnungsfroh. Dabei widerlegt gerade der Bericht dieser Bundesregierung eine solche Legendenbildung: Es ist begrüßenswert, dass ausdrück- lich die für die Zeit nach 1998 vorliegenden nachrichten- dienstlichen Erkenntnisse erwähnt werden, die immerhin Vermutungen auf irakische Massenvernichtungswaffen beinhalten. Beunruhigend ist allerdings, dass unter dem Punkt „Länderspezifische Bedrohungen“ ein Land keine Er- wähnung findet, bezüglich dessen eine einheitliche trans- atlantische Bedrohungsanalyse dringend geboten ist: der Iran. Der Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung, der vom 2. Juni 2003 datiert, übergeht schlicht die mög- lichen Gefahren, die vom iranischen Atomprogramm ausgehen können und die sich bereits im Berichtszeit- raum abzeichneten. Dies wiegt umso schwerer, als im Fall Iran die neue Sicherheitsdoktrin der Europäischen Union, die Javier Solana vor zwei Wochen vorgestellt hat, eine sofortige Anwendung findet. Die EU kann in diesem konkreten Fall vor dem Hintergrund ihrer neuen sicherheitspolitischen Ausrichtung gemeinsam mit Washington Alternativen vorgeben und damit bereits in der politischen Praxis die Richtung für eine transatlantische Sicherheitsstrategie aufzeigen. So könnte Teheran etwa im Fall der Übertre- tung legaler und unserer Sicherheit dienender „nuklearer Schwellen“ mit der Nichtgewährung oder dem Abbruch von Assoziationsverträgen und ausgebauten Wirtschafts- beziehungen, die von der EU Teheran zurzeit in Aussicht gestellt werden, gedroht werden. Gleichzeitig würde es dem europäischen Alternativkonzept der „präventiven Diplomatie“ entsprechen, dem Iran ebenso etwa die Inte- gration in eine regionale Sicherheitsarchitektur anzubie- ten. Allerdings bedarf es diesbezüglich auch seitens un- serer Außenpolitik noch erheblicher Präzisierungen. Der Fall Iran könnte somit zu einer Art Transmis- sinsriemen für eine gemeinsame transatlantische Sicher- heitsstrategie werden, da die nun vorliegenden europäi- schen und amerikanischen Vorstellungen durch diesen „Praxisbezug“ aufeinander abgestimmt werden könn- ten. Europa kann im konkreten Fall viel versprechende Gedanken in die Diskussion mit einbringen, die deshalb bereits Gewicht entfalten, weil sie angesichts der durch- aus diskussionswürdigen amerikanischen Vorgehens- weise gegenüber dem Iran als echte Alternative dienen könnten. In der Auseinandersetzung um die richtige Iranpolitik könnte somit eine transatlantische Sicher- heitsstrategie festgeschrieben werden, die im Fall eines etwaigen Erfolges auch eine europäische Handschrift tragen würde. Es ist zu hoffen, dass die in dem Jahresabrüstungsbe- richt der Bundesregierung darüber hinaus hervorgehobe- nen Problemkreise vor dem Hintergrund eines transatlanti- schen sicherheitspolitischen Konsenses einer Lösung zugeführt werden können. Hier ist nicht zuletzt die bedrü- ckende Fragestellung Nordkorea zu nennen – ein Land, das möglicherweise bereits über Atomwaffen verfügt. Diese erschreckende Tatsache fordert uns beispielhaft zu einer mit Nachdruck zu verfolgenden Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik auf – auch schon bei sich ledig- lich abzeichnenden Bedrohungen. Unabdingbare Voraus- setzung ist ein transatlantischer sicherheitspolitischer Schulterschluss. Abrüstungspolitik ist Sicherheitspolitik. Letzere dient unser aller Freiheit. Harald Leibrecht (FDP): Mit dem Fall der Mauer endete Schritt für Schritt der Kalte Krieg. Aus ehemali- gen Feinden wurden Verbündete. Neun Staaten des ehe- maligen Warschauer Paktes werden im Mai 2004 in die NATO formell aufgenommen sein. Die Teilung Europas ist damit auch militärisch überwunden. Diese Entwick- lung macht mich zuversichtlich, dass wir in Europa dau- erhaft in Frieden miteinander leben können. In der Welt sieht es leider noch anders aus. Neue Gefahren kommen auf uns zu. Bisher besitzen Israel, Indien und Pakistan Nuklearwaffen. Die Tendenz in weiteren Staaten ist steigend und alarmierend. Nord- korea und Iran streben ebenfalls welche an. Nordkorea besitzt sie nach eigenen Aussagen schon. Syrien forscht ebenfalls an Atomwaffen, wie ich dem Abrüstungsbe- richt entnehmen konnte. Noch gravierender sind die Meldungen, dass Terroristen Nuklearmaterial für schmutzige Bomben erwerben wollen. Insbesondere in den Ländern der ehemaligen Sowjet- union kam es zu Diebstählen von Nuklearmaterial. Mit circa 170 Millionen Euro engagieren wir uns aus diesem Grund für den physischen Schutz von russischem Nukle- armaterial. Mit circa 300 Millionen Euro entsorgen wir die verstrahlten Reaktorkomponenten von russischen Atom-U-Booten aus der Saida-Bucht. Mit circa 300 Mil- lionen Euro sorgen wir für die Vernichtung der chemi- schen Waffen in Russland. Für mich ist dies viel Geld, was sinnvoll angelegt ist, hätte es nicht einen bitteren Nachgeschmack. Mit unserem Geld entsorgt Russland seine veralteten Rüstungsgüter, um gleichzeitig ein neues atomangetriebenes U-Boot und neue Kampfflug- zeuge zu entwickeln. Russland rüstet auf und lässt uns seinen Schrott wieder abrüsten. Für mich ist dies ein Skandal, den ich den Menschen hier im Land schwer vermitteln kann. Bei aller Gefahr, die von Nuklearwaffen ausgehen, dür- fen wir nicht die Bedeutung der chemischen und biologi- schen vernachlässigen. Während wir bei Meldungen über geplante Atombomben mit Sorge genau hinhören – zu Recht –, sind B- und C-Waffen aus der Tagesaktualität verschwunden. Für mich sind diese viel gefährlicher, weil sie einfacher zu entwickeln und einzusetzen sind, weil sie nicht sichtbar sind, weil sie erst nach Tagen oder Wochen wirken, und weil sie sich in der Zwischenzeit schnell und lautlos verbreiten. Eine terroristische oder feindliche Vereinigung braucht nur das Grundwasser mit Viren zu verseuchen. Ich begrüße, dass die gegenwärtige Bundesregierung die Politik im Bereich der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung der CDU/CSU-FDP-Regierung fortsetzt. Die FDP unterstützt sie gerne dabei. Jedoch weisen wir darauf hin, dass insbesondere Staaten in Konfliktregionen wie dem Nahen Osten ABC-Abkom- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4753 (A) (C) (B) (D) men nicht ratifiziert haben. Folglich sind zwar Ihre Be- mühungen, Kolleginnen und Kollegen der Bundesregie- rung, richtig und ehrenwert, werden aber nicht zum erforderlichen Durchbruch zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen beitragen. Trotz der vielen Erfolge in den letzten Jahren zeigt mir der vorliegende Bericht, dass wir noch weit von ei- ner friedvollen Welt entfernt sind, in der wir uns sicher fühlen können. Aber wir sind auf einem guten Weg. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, setzen Sie sich dafür ein, dass weitere Staaten die ver- schiedenen Abkommen zur Nichtverbreitung von Mas- senvernichtungswaffen unterzeichnen, ratifizieren und einhalten. Setzen Sie sich dafür ein, dass wir im nächsten Abrüs- tungsbericht lesen können, dass der Stillstand bei der Genfer Abrüstungskonferenz aufgehoben wurde. In Ihrem vorliegenden Bericht schreiben Sie – ich zi- tiere –: „die einst nuklear extrem hochgerüsteten Super- mächte müssen an ihre Verantwortung erinnert werden.“ Tun Sie es! Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Der vorliegende Jahresabrüstungsbericht 2002 do- kumentiert das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu einer aktiven Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungs- politik. Spätestens seit den Terroranschlägen in New York, in Casablanca, auf Bali und Djerba ist deutlich geworden, dass diese neue Art von internationalem Terrorismus die Stabilität und Sicherheit unserer Gesellschaften gefähr- det. Die Risiken der Verbreitung von Massenvernich- tungswaffen haben damit eine völlig neue Dimension er- halten. Neben klassischen Gefahren, die von einzelnen Staaten mit Zugang zu Massenvernichtungswaffen aus- gehen, ist nun das Risiko eines möglichen Zugriffs von Terroristen und nicht staatlichen Akteuren auf solche Waffen getreten. Hinzu kommen die Gefahren, die von regionalen Krisenherden in Südasien, Ostasien und dem Nahen und Mittleren Osten ausgehen. Wir haben bereits unmittelbar nach dem 11. Septem- ber 2001 in der EU die Initiative ergriffen, nicht staatli- chen Akteuren den Zugriff auf Massenvemichtungs- waffen zu verwehren. Auf dieser Grundlage erstellt die EU derzeit eine langfristige Strategie zur Bekämpfung der Proliferation dieser Waffen, deren Eckpunkte der Europäische Rat jüngst in der Nichtverbreitungserklä- rung von Thessaloniki festlegte. Darüber hinaus ver- folgt die EU aber auch ein breiter angelegtes Sicher- heitskonzept und erarbeitet eine umfassende EU- Sicherheitsstrategie. Um die genannten Gefahren erfolgreich zu bekämp- fen, brauchen wir mehr denn je eine internationale Ord- nungspolitik, die sich auf internationale Solidarität, wirksame Kooperation und gemeinsame Regeln gründet. Die Bundesregierung ist der festen Überzeugung, dass in erster Linie die Vereinten Nationen der geeignete Rah- men für eine solche kollektive Sicherheitsordnung dar- stellen. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind der beste Ansatz für friedliche Losungen auf globa- ler wie regionaler Ebene. Denn Abrüstungskriege kön- nen doch nicht der richtige Weg zur Bekämpfung der neuen Bedrohungen sein. Wir müssen vielmehr die vor- handenen Abrüstung- und Nichtverbreitungsinstru- mente stärken und schärfen. Gleichzeitig sollten wir aber auch ernsthaft daran arbeiten, die Einhaltung dieser Kontrollregimc besser zu überprüfen und effiziente Sanktionsmechanismnen bei Vertragsverletzungen zu entwickeln. Von großer Bedeutung ist auch die praktische Abrüs- tungszusammenarbeit, insbesondere mit Russland. Deutsch- land wird in den nächsten zehn Jahren bis zu 1,5 Milliar- den Euro für Projekte im Rahmen der auf dem G8-Gipfel im Kananaskis beschlossenen Initiative „Globale Part- nerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernich- tungswaffen und Materialien“ beitragen. Schwerpunkte sind dabei die Chemiewaffenvernichtung, die Sicherung von Nuklearmatcrial und die Entsorgung von nuklearge- triebenen U-Booten. Die Abrüstung im Bereich der konventionellen Waf- fen ist nicht minder wichtig, wie mir bei meiner jüngsten Reise nach Afrika einmal mehr vor Augen geführt wurde. Der erschreckende Anblick von Kalaschnikows in den Händen von unter Drogen gesetzten Kindern und die Bilder von Minenopfern, die für ihr ganzes Leben gezeichnet sind, haben mich tief erschüttert. Wir müssen deshalb die erfolgreich verlaufende Im- plementierung des Ottawa-Übereinkommens zum Ver- bot von Anti-Personen-Minen konsequent fortsetzen und das substanzielle Aktionsprogramm der Vereinten Natio- nen zu Kleinwaffen und leichten Waffen weiterentwi- ckeln. Dafür werden wir uns auf dem New Yorker Folge- treffen zur Kleinwaffenkonferenz in der kommenden Woche aktiv einsetzen. Außerdem ist es der Bundesregierung ein besonderes Anliegen, dass die humanitären Probleme von Blindgän- gern, zurückgelassener Munition und anderen explosi- ven Kampftmittelrückständen völkerrechtlich verbind- lich geregelt werden. Wir sind hier einen wichtigen Schritt weitergekommen; denn die Vertragsstaaten des VN-Waffenübereinkommens verhandeln seit Ende letz- ten Jahres über ein entsprechendes Rechtsinstrument. Der Jahresabrüstungsbericht vermittelt ein umfassen- des Bild über die Leistungen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, aber auch über die vielfältigen und komplexen rüstungskontrollpolitischen Herausforderun- gen, die noch vor uns liegen. Um diese zu bewältigen, brauchen wir auch künftig die Unterstützung des Bun- destages. Ich hoffe, dass wir weiterhin mit Rückhalt rechnen können, denn wir dürfen gerade angesichts der Gefahren des Terrorismus, regionaler Instabilität und der fortgesetzten Gefahr der Verbreitung von Massenver- nichtungswaffen und ihren Trägermitteln in unseren An- strengungen nicht nachlassen. 4754 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über die Beschlussempfehlung und den Bericht: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungs- vorschriften der Mitgliedstaaten über den Ver- braucherkredit (Tagesordnungspunkt 16) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Die heute zu debattierende Überarbeitung der Verbraucherkreditricht- linie aus dem Jahr 1987 hat eine große Tragweite für Kre- ditverträge in Europa. Millionen Menschen in Europa kaufen Tag für Tag Millionen von Waren auf Kredit. Mit der Verbraucherkreditrichtlinie wurde 1987 erst- mals auf Gemeinschaftsebene ein Rechtsrahmen für Konsumentenkredite geschaffen. Sie sollte zugleich ein Beitrag zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes für das Kreditwesen sein. Doch die Möglichkeiten der Ver- braucher, Kredite gerade auch außerhalb ihres Heimat- landes aufzunehmen, blieben bislang weitgehend unge- nutzt. Die von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung verabschiedeten nationalen Rechtsvorschriften weisen nämlich teilweise erhebliche Unterschiede auf. Mit dem jetzt vorliegenden Vorschlag will die Kom- mission die Voraussetzungen für einen transparenten grenzüberschreitenden Markt schaffen, der ein hohes Verbraucherschutzniveau garantiert. Kreditangebote sol- len unter den bestmöglichen Bedingungen für Anbieter wie Kreditnehmer verhandelt werden können und der zu- nehmenden Verschuldung privater Haushalte in Europa soll entgegenwirkt werden. Diese Motive sind grund- sätzlich zu begrüßen. Der vorliegende Richtlinienvorschlag begegnet jedoch im Detail auch erheblichen, zum Teil grundsätzlichen Be- denken. An vielen Stellen bedarf es einer grundlegenden Überarbeitung. Der heute vorgelegte Entschließungsan- trag enthält dazu eine Reihe ganz konkreter Empfehlun- gen an die Bundesregierung. Lassen Sie mich an vier Beispielen aufzeigen, wo im Verlaufe der weiteren Beratungen konkreter Änderungs- bedarf besteht: Erstens. Zunächst geht es um den Anwendungsbe- reich der Richtlinie. Die Verbraucherkreditrichtlinie hatte bereits einen sehr weiten Anwendungsbereich. Sie betraf nicht nur den klassischen Kreditsektor, sondern auch den Einzelhandel. Mit dem nun eingebrachten Richtlinienvorschlag wird der Anwendungsbereich erneut ausgeweitet. Leider wird auf die bislang vorgesehenen Ausnahmetatbestände weit- gehend verzichtet. Fragwürdig erscheint dies insbeson- dere in Bezug auf notariell oder gerichtlich beurkundete Kreditverträge und Gerichtsvergleiche mit Stundungs- vereinbarungen. Bei diesen Verträgen ist zweifellos hin- reichend sichergestellt, dass die Verbraucherinteressen gewahrt bleiben. Aber auch Kleinkredite – insoweit galt bislang ein Schwellenwert von 200 Euro – sollten in Zu- kunft vom Anwendungsbereich ausgenommen bleiben. Hier besteht für einen mündigen Verbraucher ebenfalls keinerlei Schutzbedürfnis. Die Bundesregierung muss deshalb bei den Beratungen darauf hinwirken, den An- wendungsbereich der Richtlinie im Sinne einer Begren- zung zu überarbeiten. Zweitens. Bedarf zur Änderung besteht auch beim Verbot von Haustürgeschäften. Nach Art. 5 des Richtlinienvorschlags soll jede Aus- handlung von Kredit- oder Sicherungsverträgen außer- halb von Geschäftsräumen verboten sein. Der Europäi- sche Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 13. Dezember 2001 in der Rechtssache Heininger ausdrücklich klar ge- stellt, dass die Schutzbestimmungen der Haustürge- schäfte-Richtlinie grundsätzlich auf alle Rechtsgeschäfte, das heißt auch auf Kredit- und Sicherungsverträge, An- wendung finden. Hier existiert der Verbraucherschutz also bereits und muss nicht verdoppelt werden. Wir for- dern die Bundesregierung deshalb auf, zu überprüfen, ob ein absolutes Verbot von Haustürkreditgeschäften tat- sächlich erforderlich ist. Drittens. Zu verändern ist auch die beabsichtigte Art der Verantwortungsverlagerung. Dem Richtlinienvorschlag liegt ein neuartiges Ver- braucherschutzkonzept zugrunde: Insgesamt wird die Verantwortlichkeit für die Kreditaufnahme vom Kredit- nehmer auf den Kreditgeber verlagert. Nach Art. 6 des Richtlinienvorschlags werden dem Kreditgeber zusätz- lich umfangreiche Unterrichtungs- und Beratungspflich- ten auferlegt. Der Kreditgeber muss „genaue und voll- ständige Auskünfte über alles erteilen“, was der Verbraucher über den in Aussicht genommenen Kredit- vertrag wissen muss. Darüber hinaus soll der Kreditge- ber auch noch denjenigen Kredittyp aussuchen, der sich „in Anbetracht der finanziellen Situation des Verbrau- chers, der Vorteile und Nachteile des vorgeschlagenen Produkts und des Zwecks, dem der Kredit dient, für den Verbraucher am besten eignet“. Falsch verstandener Ver- braucherschutz kann auch zur Entmündigung des Ver- brauchers führen. Wir fordern die Bundesregierung des- halb auf, bei den Beratungen der Eigenverantwortlichkeit des Verbrauchers angemessen Rechnung zu tragen. Der Kreditgeber soll seinen Kunden klug und umfangreich beraten, aber nicht bevormunden. Der Verbraucher soll seinen Kredittyp nach unserer Ansicht aber weiterhin selbst aussuchen können. Art. 9 des Richtlinienvorschlags bestimmt schließ- lich, dass der Kreditgeber einen Kredit- oder Siche- rungsvertrag nur dann abschließen bzw. erhöhen darf, wenn er „unter Ausnutzung aller ihm zu Gebote stehen- den Mittel“ zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Verbraucher vernünftigerweise in der Lage sein werde, den vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Ich habe mir bei dieser Formulierung die Frage gestellt, wie der Bankangestellte das wohl praktisch macht. Was macht er, wenn der Kunde unerkannt unvernünftig ist? Keiner kann etwas gegen eine umfassende Prüfungs- pflicht des Kreditgebers in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verbrauchers haben. Aufgrund seines Eigeninteresses daran, dass der Kredit zurückge- zahlt wird, wird er ohnehin genau hinterfragen, wie leis- tungsfähig der Kreditnehmer ist. Wir fordern die Bun- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4755 (A) (C) (B) (D) desregierung folglich auf, bei den Beratungen darauf hinzuwirken, dass dem Kreditgeber keine unzumutbaren und überflüssigen Erkundigungs- und Kontrollpflichten auferlegt werden. Auch die anzuwendenden Mittel müs- sen in der Richtlinie deshalb ausdrücklich bestimmt wer- den. Wir haben genug Bürokratie in Deutschland und Europa. Die vorgeschlagene Regelung führt außerdem dazu, dass an die Bonität potenzieller Kreditnehmer zukünftig deutlich höhere Anforderungen gestellt werden müssten. Damit würde die Kreditvergabe gerade an einkommens- schwächere Bevölkerungsteile, die in besonderer Weise auf Kredite angewiesen sind, nachhaltig erschwert. Für den Verbraucher wäre nichts gewonnen, wenn ihm am Schalter ein Kredit mit dem Hinweis auf EU-Regeln ver- weigert würde. Die Regelungen in der Richtlinie übersehen auch die Ursachen der Überschuldung zahlreicher privater Haus- halte. Mangelhafte Haushaltsführung und Budgetpla- nung führen in aller Regel erst bei Eintritt kritischer Le- bensverhältnisse wie Arbeitsplatzverlust, Scheidung oder Krankheit in die Überschuldung. Diese Ereignisse sind aber im Zeitpunkt der Kreditvergabe naturgemäß gerade nicht vorhersehbar. Nach Ansicht der CDU/CSU ist es im Hinblick auf die Art. 6 und 9 des Richtlinienvorschlags wichtig, das Prinzip der Eigenverantwortung des Verbrauchers beizu- behalten. Wie weit das neuartige Verbraucherschutzkon- zept der Kommission dabei in die falsche Richtung geht, wird augenfällig, wenn man die Konzeption auf andere Vertragstypen überträgt. Stellen wir uns vor, ein Auto- händler müsste das für den Verbraucher am besten geeig- nete Produkt auswählen. Das soll er tun, aber würde man ihn später für einen Unfall bei Glatteis verantwortlich machen? Verbraucherkreditverträge weisen zugegebenerma- ßen einen vergleichsweise hohen Grad der Abstraktion auf und dem Verbraucher ist häufig nicht immer sofort deutlich, wie massiv hier seine Entscheidungs- und Handlungsfreiheit beschnitten wird. Deshalb ist der Ver- such, hier in bestimmten Fällen Hilfe zu leisten, grund- sätzlich richtig. Es erscheint aber völlig verfehlt, in ei- nem zentralen Teilbereich des Privatrechts das Leitbild eines unmündigen Verbrauchers festzuschreiben, wäh- rend heute an anderer Stelle, namentlich im Zusammen- hang mit der Gesundheits- oder Altersvorsorge, Eigen- verantwortung verstärkt eingefordert wird. Viertens. Anzusprechen ist letztlich die Absicht in der Richtlinie die so genannte Maximalharmonisierung fest- zuschreiben. Nach Art. 30 des Richtlinienvorschlags ist es den Mit- gliedstaaten untersagt, andere als die in der Richtlinie festgelegten Bestimmungen vorzusehen. Durch diesen Ansatz der Maximalharmonisierung unterscheidet sich der Richtlinienvorschlag von den geltenden europäi- schen Richtlinien auf dem Gebiet des Verbraucher- schutzrechts. Den Mitgliedstaaten wird damit verboten, weiterge- hende Vorschriften zum Verbraucherschutz zu erlassen bzw. aufrechtzuerhalten. Damit müsste der bestehende Verbraucherschutz in Deutschland aber in großem Um- fang reduziert werden. Es kann doch nicht sein, dass wir in Zukunft das Schriftformerfordernis des BGB für Ver- braucherdarlehensverträge und die Abgabe von Bürg- schaftserklärungen abschaffen müssen. Gerade hier ist die Beweis- und Warnfunktion für den Verbraucher von besonderer Bedeutung. Ein solcher Abbau des Verbrau- cherschutzes in Deutschland muss verhindert werden. Ich habe darüber hinaus erhebliche Zweifel, dass die von der Kommission favorisierte maximale Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften in der Zukunft tat- sächlich die Bereitschaft der Verbraucher erhöht, Kredit- verträge mit Anbietern in anderen europäischen Mit- gliedstaaten abzuschließen. Die geringe Zahl der grenzüberschreitenden Verbraucherkredite in Europa ist in erster Linie nicht auf die Unterschiede zwischen den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften zurückzu- führen, sondern auf die besondere Beziehung zur jewei- ligen Hausbank, auf die örtliche Nähe und Sprachbarrie- ren im Ausland. Die Europäische Zentralbank führt in einem aktuellen Bericht über die europäischen Finanzmarktstrukturen aus, dass sich an der lokalen Prägung der Retailmärkte für Finanzdienstleistungen auch in Zukunft kaum etwas ändern werde und kleinere, vor Ort vertretene Institute auch weiterhin eine dominierende Rolle spielen dürften. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, bei den Beratungen darauf hinzuwirken, dass es nicht zu der vor- geschlagenen Maximalharmonisierung kommt. Ein Ab- bau des Verbraucherschutzes in Deutschland muss ver- hindert werden. Als Parlamentarier haben wir darauf zu achten, dass Kredite weiterhin in vielen Formen, zu günstigen Kondi- tionen und unbürokratisch für den dafür auch verantwort- lichen Verbraucher zu erhalten sind. Dies ermöglicht vie- len Bürgern den Erwerb hochwertiger Konsumgüter und das eröffnet neue Chancen für die Wirtschaft in unserem Land, die wir aufgrund der katastrophalen Regierungspo- litik dringend brauchen. Der Bundestag sollte deshalb heute im Interesse der Verbraucher in Deutschland beschließen, den vorgeleg- ten fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag zur Novellierung der Verbraucherkreditrichtlinie anzuneh- men. Der Bundesregierung ist viel Erfolg zu wünschen bei der Durchsetzung der im Antrag genannten notwen- digen Änderungen. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Vorschlag der EU für eine Verbraucherkreditrichtlinie ist grundsätzlich zu begrüßen. Um der zunehmenden Ver- schuldung der Verbraucher in Europa entgegenzuwirken, sind unternehmerische Grundsätze zur verantwortlichen Kreditvergabe zu entwickeln. Die Feststellung der Kre- ditauskunftei Schufa, dass immer mehr junge Menschen unter anderem durch offene Handyrechnungen in die Verschuldung geraten, ist ein alarmierendes Signal. Vor allem bei den 20- bis 24-Jährigen ist die Zahl der eides- stattlichen Versicherungen und Privatinsolvenzen zwi- schen 1999 und 2002 um fast ein Drittel auf die Zahl von 4756 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) rund 174 000 gestiegen. Hier gibt der Richtlinienvor- schlag einen wichtigen Impuls an die Banken, sich ver- antwortungsvoll an der Aufgabe der Schuldenprävention zu beteiligen. Die Vorstellungen im Richtlininentwurf müssen aber noch in umsetzbare Vorschriften verbessert werden. Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und CDU haben auch an anderen Punkten noch Bedenken, die sie in ihrem Antrag zur Beschluss- empfehlung deutlich gemacht haben. Die Verbraucherkreditrichtlinie ist wichtig zur An- gleichung unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungs- vorschriften in der Europäischen Union. Die national sehr verschiedenen Regelungen in den EU-Mitgliedstaa- ten sind für den Verbraucher verwirrend. Die unüber- sichtliche Lage hält Verbraucher davon ab, einen Kredit auch in europäischen Nachbarländern und dort gegebe- nenfalls zu günstigeren Konditionen in Anspruch zu nehmen. Der gemeinsame europäische Wirtschaftsraum soll aber auch den privaten Kunden offen stehen und Vorteile bringen. Grenzüberschreitende Kreditgeschäfte sollen keine Angelegenheit nur von internationalen Wirt- schaftsunternehmen bleiben, sondern auch für den priva- ten Kunden attraktiv und durchschaubar werden. Des- halb wollen die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/ Die Grünen, SPD und CDU die Voraussetzungen für ei- nen transparenten, grenzüberschreitenden Markt schaf- fen und die bestehenden Verbraucherschutzstandards europaweit angleichen. Einheitliche Begriffe und Vertragsbedingungen zur Angabe von Zinssätzen, Fälligkeit, vorzeitiger Rückzah- lung, missbräuchliche Klauseln, Widerrufsrechte und andere werden für mehr Klarheit beim Kunden sorgen. Die Inanspruchnahme von Darlehen über die Grenzen hinweg wird damit leichter. Die geplante Anwendung auf möglichst viele Kredit- produkte sehen wir positiv. Auch, dass Sicherheiten wie Bürgschaften und Garantien erfasst werden, befürworten wir. Die bisherigen Bestimmungen weisen in vielen europäischen Ländern insbesondere für neue Kreditpro- dukte Lücken auf, die mit dem Richtlinienvorschlag ge- schlossen werden sollen. Allerdings sehen wir in unse- rem Antrag auch Grenzen für die Anwendung der EU- Richtlinie. Unentgeltliche Kredite, Überziehungskredite und Kleindarlehen bis 400 Euro sollen möglichst unbü- rokratisch für kurzfristige finanzielle Engpässe zur Ver- fügung stehen. Hier darf der komplette Pflichtenkatalog nicht wie eine Mauer vor einer kundenfreundlichen Kre- ditvergabe stehen. Bündnis 90/Die Grünen werden sich bei den einzel- nen Vorschriften für verbraucherfreundliche Regelungen einsetzen. Die drei Bundestagsfraktionen fordern, dass die in Deutschland bestehenden Regeln für verbundene Geschäfte erhalten bleiben. So werden Verträge genannt, bei denen zwischen dem Kreditvertrag und dem damit fi- nanzierten Kauf eine Einheit besteht. Hier muss weiter- hin die Regelung gelten, dass der Verbraucher bei Wi- derruf des Kredits an den Kaufvertrag ebenfalls nicht mehr gebunden ist. Datenschutzrechtliche Bedenken haben wir noch bei dem in Art. 8 vorgesehenen Schuldnerregister. Bei die- sen Datenbanken sind noch viele Fragen offen. Unklar ist beispielsweise, wie sich der Verbraucher vor fehler- haften Eintragungen schützen kann. Im Antrag haben wir die Bundesregierung aufgefordert, das Datenregister erst dann einzuführen, wenn die Inhalte der zentralen Datenbank genau definiert und datenschutzrechtlich ge- prüft sind. Das absolute Verbot von Haustürgeschäften für die in der Richtlinie erwähnten Darlehensverträge ist ein inte- ressanter Vorschlag. Den Einwand, dass damit der Di- rektverkauf von Waren an der Haustür unmöglich würde, teile ich nicht. Das wird auch weiterhin möglich sein. Was aber durchaus bedenkenswert ist, ist ein sehr hohes Schutzniveau der Individualsphäre des Verbrauchers. Der Kauf besonders hochpreisiger Ware, die sich der Verbraucher eigentlich nicht leisten kann – zum Beispiel einen Staubsauger für 1 000 Euro –, sollte auf neutralem Boden erfolgen. Der Verbraucher sollte hier nicht aus Höflichkeit oder um einen lästigen unangemeldeten Besucher wieder zu verabschieden zu einer Unterschrift unter einen Kreditvertrag gedrängt werden können. Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und CDU wollen, dass das Verbot noch einmal auf die Vereinbarkeit mit dem bestehenden Widerrufsrecht hin überprüft wird. Einerseits hat der Verbraucher mit dem Widerrufsrecht bereits ein Instrument an der Hand, um sich aus einem unerwünschten Vertrag wieder zu lösen. Angesichts der zunehmenden Belästigungen und den vielfältigen Erscheinungsformen aufgedrängter Wer- bung haben sich andererseits die anstößigen Handlungen zu einer solchen Intensität verdichtet, dass wir über bes- seren Verbraucherschutz in diesem Bereich nachdenken müssen. Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grü- nen, SPD und CDU fordern die Bundesregierung auf, dass in den Verhandlungen zur Verbraucherkreditrichtli- nie diese Punkte noch verbessert werden. Die geplante maximale Harmonisierung soll nicht beibehalten wer- den. Eine Maximalharmonisierung schränkt den Hand- lungsspielraum des nationalen Gesetzgebers ein, etwa auch einen höheren Schutz des Verbrauchers zu be- schließen, wie wir das etwa beim Widerrufsrecht mit ei- ner verbraucherfreundlichen Anpassung des BGB für Immobiliendarlehensverträge getan haben. Insgesamt wird das Thema Kreditwürdigkeit einen höheren Stellenwert bei Kreditgeschäften bekommen. Mit den neuen Bankenregeln zur Eigenkapitaldeckung müssen auch die Banken umdenken. Der Begriff Basel II steht hier für neue Kreditrichtlinien der Banken. Zur Sta- bilisierung des Bankensystems wird ab Ende 2006 die Kreditwürdigkeit eines Kunden noch stärker über den gewährten Kreditzins entscheiden. Bei Firmenkunden haben schon heute viele mittelständische Unternehmen Probleme, einen Kredit zu erhalten. Durch ein schlechtes Rating werden sie in Zukunft noch höhere Zinsen zahlen müssen. Auch Verbraucherverbände befürchten bereits, dass Kredite künftig deutlich teurer oder unerreichbar wer- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4757 (A) (C) (B) (D) den. Betroffen seien vor allem Kunden, die nicht so zah- lungskräftig sind, also Familien und Singles. Wir fordern die Kreditgeber auf, auch weiterhin eine kundenfreundli- che und kooperative Kreditvergabepraxis zu verfolgen. Es muss sichergestellt werden, dass es nicht zu willkürli- chen Einstufungen von Verbrauchern hinsichtlich ihrer Bonität kommt. Der Zugang zu Bankkrediten darf nicht unnötig erschwert werden und die von den Banken vor- genommenen Verbraucherbewertungen müssen transpa- rent und einsehbar sein. Ein bekanntes Problem bei Kreditgeschäften sind un- zureichende Beratungen durch Kreditvermittler. Der Richtlinienvorschlag zum Verbraucherkredit sieht hier neue Regelungen für Kreditvermittler vor. In Kapitel XI sind Meldepflichten, Rechtsstellung und Kontrolle so- wie Pflichten von Kreditvermittlern festgeschrieben. Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Ver- bände führt jedes Jahr eine Aktionswoche zur Schuld- nerberatung durch. Am 5. Juni fand in diesem Zusam- menhang die Fachtagung „Geschäfte mit der Armut – Vom (richtigen) Umgang mit gewerblichen Schuldenre- gulierern und Kreditvermittlern“ in Berlin statt. Der erste Armutsbericht der Bundesregierung hatte festge- stellt, dass derzeit nur eine Minderheit der überschulde- ten Haushalte – 10 bis 15 Prozent – beraten werden kann. Dies hat auch zur Folge, dass im gesamten Bun- desgebiet immer mehr unseriöse Anbieter auftreten, wel- che die verzweifelte Situation überschuldeter Menschen sozialschädlich ausnutzen. Schuldner werden zusätzlich finanziell geschädigt, die versprochenen Kreditlösungen kommen nicht zustande. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen die Vorschläge im Richtlinienentwurf, dass die vorvertraglichen Informa- tionen und Beratungen möglichst umfassend erfolgen sollen. Vor Abschluss des Kreditvertrags sollen dem Verbraucher die Bedingungen und Kosten sowie die Ver- pflichtungen, die •er mit dem Vertrag eingeht, klar und verständlich dargestellt werden. Die Beratung muss so gestaltet sein, dass der Verbraucher aus der Palette der vom Kreditgeber oder Vermittler gewöhnlich angebote- nen Kreditformen den für ihn günstigsten Kredit aus- wählen kann. Der Berater muss dabei insbesondere auf die Rückzahlungsmöglichkeiten des Verbrauchers und die damit verbundenen Risiken eingehen. Sibylle Laurischk (FDP): Das Zusammenwachsen der Europäischen Union führt zu einer Internationalisie- rung auch von Verbraucherkrediten. Da nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der gesamten Europäi- schen Union eine zunehmende Verbraucherverschuldung festzustellen ist, zeigt sich die Notwendigkeit, auch den Verbraucherschutz europaweit zu gestalten. Ein transpa- renter, grenzüberschreitender Markt ist nur dann erreich- bar, wenn Verbraucher wie Kreditwirtschaft europaweit kalkulierbare Rahmenbedingungen finden können. Im Zuge der Beratungen hat sich offensichtlich für alle Fraktionen die Frage einer Maximalharmonisierung bzw. die Schaffung von Mindeststandards gestellt. Dabei hat sich die Einschätzung herauskristallisiert, dass ein- zelstaatliche Regelungen im Falle einer Maximalharmo- nisierung ausgeschlossen werden, was nicht im Interesse der Verstärkung des Verbraucherschutzes wäre. Stattdes- sen bieten Mindeststandards eher die Möglichkeit, auch mit im Einzelfall günstigen nationalen Regelungen die Verbraucherrechte zu stärken. Unter dieser Vorausset- zung scheint es aber auch nicht sinnvoll, einzelne Kre- dit- und Versicherungsverträge aus dem Geltungsbereich der Richtlinie auszuschließen. Bestimmte Bereiche, die in der Ausführung zu Art. 3 dargestellt sind, sollten den- noch als Ausnahme gehandelt werden. Im Interesse des Verbraucherschutzes ist es außerdem sinnvoll, von der Erstellung eines Schuldnerregisters abzusehen, dessen Praktikabilität im Übrigen sehr fragwürdig ist. Ein überzogener Verbraucherschutz sollte jedenfalls nicht Ergebnis der Verbraucherkreditrichtlinie sein, da die FDP-Fraktion grundsätzlich die Eigenverantwortung des Bürgers als vorrangig betrachtet und eine zu starke Handlungseinschränkung durch eine EU-Richtlinie nicht sinnvoll sein kann. Im Gegenzug würde dies zu einer so erheblichen Einschränkung des Kreditgewerbes führen, dass letztendlich eine Kostenbelastung zu erwarten wäre, die gerade für Einkommensschwache die Auf- nahme von Krediten unmöglich machen würde. Im Rahmen von Verhandlungen eine ausgewogene EU-Richtlinie zu erreichen, ist Aufgabe der Bundesre- gierung, was erfreulicherweise von allen Fraktionen des Bundestages so unterstützt wird. Alfred Hartenbach (Parlamentarischer Staatssekre- tär bei der Bundesministerin der Justiz): Die EU-Kom- mission hat im September des letzten Jahres den Vor- schlag für eine neue Verbraucherkreditrichtlinie beschlossen, die die Richtlinie von 1986 mit Folgeände- rungen deutlich überarbeitet. Die Bundesregierung begrüßt die Zielrichtung des Vorschlags; denn es ist unabdingbar, dass wir der zuneh- menden Verbraucherverschuldung in Europa entgegen- wirken. Die Richtlinie will mehr Transparenz und Si- cherheit bei Verbraucherkrediten schaffen, sie will den Wettbewerb verstärken und den Belangen des Verbrau- cherschutzes Rechnung tragen. Sie will schließlich ein Verbraucherschutzniveau erreichen, bei dem Kreditan- gebote unter den bestmöglichen Bedingungen für Anbie- ter wie für Darlehensnehmer verhandelt werden können. All das sind gute und erstrebenswerte Ziele. Ich stimme auch mit dem Entschließungsantrag über- ein, der heute dem Deutschen Bundestag zur Beschluss- fassung vorliegt. Wie die Bundesregierung halten die Verfasserinnen und Verfasser des Antrags wesentliche Elemente des Richtlinienvorschlags grundsätzlich für geeignet, die geschilderten Ziele zu erreichen. Dies gilt für die Einbeziehung von Personalsicherheiten, also die Erstreckung der Vorschriften der Richtlinie auf Bürg- schaft und Garantie. Ich begrüße auch die Ausdehnung der Informations- und Beratungspflichten für Kreditge- ber sowie im Prinzip den neuen Grundsatz der verant- wortlichen Kreditvergabe. Ungeachtet dieser grundsätzlichen Zustimmung sehen wir aber auch Probleme, die wir bei den Beratungen in 4758 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) Brüssel geltend gemacht haben. Dies gilt zunächst für den in der Richtlinie vorgesehenen Maximalharmonisie- rungsansatz für alle Bestimmungen der Richtlinie. Maxi- malharmonisierung bedeutet, dass einzelstaatliche Rege- lungen ausgeschlossen sind. Ein solches einheitliches Recht kann zwar im Interesse eines freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs sein, im Interesse einer Stärkung des Verbraucherschutzes ist es jedoch nicht in allen Fäl- len. Die Bundesregierung hält es deshalb nicht für erstre- benswert, den Spielraum für strengere einzelstaatliche Verbraucherschutzregelungen in allen Regelungsberei- chen auszuschließen. Der Verbraucherschutz in Deutsch- land müsste bei einer Maximalharmonisierung in erheb- lichem Umfang reduziert werden. Das wollen wir nicht und ich begrüße es deshalb sehr, dass der Entschlie- ßungsantrag diesen Gesichtspunkt aufgreift. Auch die von der Kommission vorgeschlagenen Än- derungen des Anwendungsbereichs der Richtlinie sind nach unserer Überzeugung nicht alle zielführend. Dies gilt aber nicht nur dann, wenn es zur Maximalharmoni- sierung kommt. Es ist ja an sich gut, dass die Richtlinie auf Kreditvermittler und Personalsicherheiten erstreckt werden soll. Der Anwendungsbereich darf aber auch nicht zu sehr ausgedehnt werden. So müssen Ausnah- men für notariell und insbesondere gerichtlich beurkun- dete Vergleiche gemacht werden. Andernfalls unterfielen gerichtliche Vergleiche mit Stundungsvereinbarungen der Richtlinie und könnten praktisch kaum mehr verein- bart werden. Auch Ausnahmen für Überziehungskredite und Kleinkredite finde ich im Verbraucherinteresse sinn- voll. Sollte es wirklich zu einer Maximalharmonisierung kommen, müssten wir ferner zur Aufrechterhaltung un- seres hohen Verbraucherschutzniveaus erreichen, dass alle grundpfandrechtlich gesicherten Kredite, unabhän- gig vom Verwendungszweck, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden. So fordert es auch der Entschließungsantrag. Die Bundesregierung wird sich auch dafür einsetzen, dass der im Ansatz gute Grundsatz der verantwortungs- vollen Kreditvergabe und die entsprechenden Unterrich- tungs- und Beratungspflichten nicht zu einer unnötigen Bürokratisierung und damit Verteuerung der Kreditver- gabe führen. Bei der Ausgestaltung muss die Richtlinie auch der Eigenverantwortlichkeit des mündigen Ver- brauchers Rechnung tragen. Die Entscheidung, welcher Kredittyp für ihn am besten geeignet ist, muss dem um- fassend informierten Verbraucher selbst verbleiben, wenn man ihn nicht entmündigen will. Lassen Sie mich abschließend noch auf das vorgese- hene Schuldnerregister zu sprechen kommen. Daten- schutz, Eignung und Praktikabilität – das sind Aspekte, die wir hier äußert kritisch prüfen müssen. Ist die Rich- tigkeit der Daten sichergestellt? Welchen Schutz gibt es gegen fehlerhafte Eintragungen? Auch das sind wichtige, vom Richtlinienentwurf nicht beantwortete Fragen. Einen „gläsernen Verbraucher“ darf es jedenfalls nicht geben. Verbraucherschutz ist wichtig, auch und gerade im gemeinsamen Binnenmarkt und beim sensiblen Thema des Verbraucherkredits. Wir müssen ihn sachgerecht ge- stalten. Ich freue mich deshalb, dass der vorliegende Entschließungsantrag die von mir genannten Gesichts- punkte aufgreift. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Antrag: Für eine Ver- besserung der privaten Arbeitsvermittlung im Aupairbereich zur wirksamen Verhinderung von Ausbeutung und Missbrauch (Tagesord- nungspunkt 17) Angelika Krüger-Leißner (SPD): Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich froh bin, dass der Antrag zur besseren Vermittlung im Aupairbereich, den wir heute behandeln, ein interfraktioneller ist. Dies zeigt, dass wir alle in der Lage sind, Themen auch gemeinschaftlich zu behandeln und umzusetzen, und das über die Fraktions- grenzen hinweg. Das wird und soll nicht bei allen politi- schen Entscheidungen so sein. Dazu sind die Unter- schiede zu groß. Aber es nährt die Hoffnung, dass wir bei den wichtigen Reformvorhaben, die die Bundesre- gierung vorlegt und bei denen wir die Zustimmung des Bundesrates brauchen, auch zu einer Einigung kommen werden. Für unser Land wäre das unendlich wichtig. Nun aber zu vorliegendem Antrag: Aupairverhält- nisse dienen in erster Linie dazu, jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, andere Kulturen und Sprachen kennenzulernen. Sie sind nicht primär als Arbeitsver- mittlung im eigentlichen Sinne zu verstehen. Dennoch ist der Aspekt der häuslichen Arbeit und insbesondere der Hilfe bei der Kinderbetreuung ein wichtiger Teil von Aupairprogrammen und muss daher auch arbeitsrecht- lich behandelt werden. Aupairs betreuen Kinder, helfen im Haushalt und erhalten im Gegenzug ein Zimmer bei der Gastfamilie, Verpflegung und Taschengeld. Die Ver- mittlung von Aupair ist rechtlich damit auch eine Ar- beitsvermittlung. Es gibt sicherlich viele andere Möglichkeiten des Kulturaustausches als das klassische Aupairprogramm. Aber für viele junge Leute, insbesondere für viele junge Frauen, die circa 90 Prozent der Teilnehmer an Aupair- verhältnissen ausmachen, spielt diese klassische Form des Kulturaustausches eine immer noch relevante Rolle. In früheren Zeiten war der Aupairbereich – wie die ge- samte Arbeitsvermittlung – sehr geschützt und wurde durch kirchliche Träger, die diese Aufgabe von der Bun- desanstalt für Arbeit übertragen bekommen hatten, über- nommen. Die Liberalisierung der Arbeitsvermittlung in den Jahren 1994 und 2002 hat bestimmte Schutzmechanis- men bei der Vermittlung aufgehoben. So ist seit 1994 das Alleinvermittlungsrecht für die Bundesanstalt für Arbeit aufgehoben. Seit dem 27. März 2002 ist zudem die Er- laubnispflicht für private Arbeitsvermittler sowie das Verbot von Anwerbung von Ausländern außerhalb der EU aufgehoben worden. Damit ist es nunmehr privaten Vermittlern und auch Privatpersonen möglich, Aupairs anzuwerben. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4759 (A) (C) (B) (D) Dennoch sind damit natürlich nicht alle Schutzmaß- nahmen außer Kraft gesetzt worden. Die Schutzvor- schriften im SGB III über Aupairverhältnisse sind wei- terhin gültig und müssen von der Bundesanstalt für Arbeit überwacht werden. Bei der Bundesanstalt muss immer noch überprüft werden, ob die Gastfamilien die Voraussetzungen für eine Aupairtätigkeit erfüllen. Ähn- liches gilt für die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigun- gen, die die deutschen Vertretungen ausstellen, und die Prüfungen durch die Ausländerbehörden. Es war ein Bericht im „Spiegel“ vom 27. Januar 2003 über den tragischen Tod eines rumänischen Aupairmäd- chens, der hier die Möglichkeiten eines Missbrauchs durch die Gesetzesänderung zu erkennen meinte. Tatsächlich ist es aber so, dass, wenn das geltende Recht hier Beachtung gefunden hätte, es wohl nicht zum Selbstmord der jungen Frau gekommen wäre. In dem Fall ist die junge Frau zwar regulär von einer Arbeitsver- mittlung vermittelt worden. Allerdings war keine Auf- enthaltsgenehmigung beantragt worden, womit auch die Arbeitserlaubnis erloschen war. Der Aufenthalt war also nicht mehr erlaubt. Die Frau hätte nicht mehr in Deutschland sein dürfen. Hier liegt ein Versäumnis der zuständigen Behörden vor. Ich gebe zu: Die neue Rechtslage erfordert, dass die zuständigen Behörden hier mit größter Gewissenhaftigkeit ihrer Aufgabe nachkom- men. Um das zu garantieren müssen, wir als Parlament tätig werden. Das ist der Grund für diesen interfraktio- nellen Antrag. Jetzt könnten wir beschließen, dass wir die Arbeits- vermittlung im Aupairbereich wieder bei der Bundes- anstalt für Arbeit ansiedeln. Dies lässt der § 292 des SGB III ausdrücklich zu. Aber das ist weder sinnvoll noch angemessen. Denn die Bundesanstalt müsste damit die Vermittlung selber durchführen und dürfte sie nicht – wie in der bisherigen Praxis – an andere Organisatio- nen abgeben. Das wäre zum einen von der BA kaum zu leisten, zum anderen wäre es ein dramatischer Struktur- rückschritt, den wir nicht wollen. Erfahrungen, wie sie über Jahrzehnte gemacht wurden, müssen und sollen bei der Vermittlung eine Rolle spiele. Darüber hinaus würde eine solche Regelung die private Vermittlung auch nicht völlig unterbinden. Es wäre immer noch möglich, dass Gastfamilien selber tätig werden und sich um Aupairs kümmern. Eine solcher Weg ist durch die entsprechende Nutzung des § 292 nicht zu verhindern. Daher müssen wir andere Wege suchen, die einerseits die Liberalisierung der Arbeitsvermittlung berücksichti- gen, andererseits aber auch den Aupairs und den Gastfa- milien Sicherheit bezüglich der Qualität und Seriosität bei der Vermittlung garantieren. Die Absprachen auf den verschiedenen Ebenen bei der Beratung dieses Antrags haben dabei folgende Ergebnisse hervorgebracht – Er- gebnisse im Übrigen, die aus meiner Sicht sowohl ar- beitsrechtlich als auch jugend- und kulturpolitisch sinn- voll sind: So fordern wir einen Bericht über die möglichen Er- kenntnisse der Deutschen Botschaften und Konsulate über die Visaerteilung seit der Deregulierung im März 2002. Ich halte dies für sehr wichtig. Bisher sind uns nur wenige Fälle bekannt, die Miss- handlung, Missbrauch oder Ausbeutung in Zusammen- hang mit Aupair darstellen. Wir müssen wissen, inwie- weit unsere gesetzlichen Maßnahmen überhaupt Ursache für solche Fälle sein können. Hierzu benötigen wir die entsprechenden Informationen von den Behörden. Weiterhin sollen die Auslandsvertretungen bei der Vi- saerteilung darauf achten, dass die Antragsteller eine ge- wisse Sprachkompetenz haben. Hierbei geht es uns nicht so sehr darum, dass sie in der Lage sind, mit den Gastfa- milien und den Kindern perfekt zu kommunizieren. Aber sie müssen in der Lage sein, in Deutschland bei Proble- men mit der Gastfamilie Hilfe zu suchen. In diesem Zu- sammenhang müssen Konsulate und Botschaften ent- sprechend darauf achten, dass diese Sprachkompetenz gewährleistet ist. Ebenfalls an dieser Stelle muss klarge- stellt werden, dass ein Besuchervisum nicht ausreichend ist, um einer Aupairtätigkeit nachzugehen, Was die rechtlichen Rahmenbedingungen, die das SGB III setzt, betrifft, so muss den Aupairs durch die Arbeitsämter ein entsprechendes Merkblatt zugeteilt werden, das Rechte und Pflichten während des Aufent- halts darstellt. Es gab Überlegungen, dieses Merkblatt in allen Sprachen schon an den Auslandsvertretungen aus- zugeben. Das ist aus meiner Sicht nicht erforderlich und auch kaum zu handhaben. Die Aupairs sollen ja eine Sprachkompetenz nachweisen. Die muss ausreichen, um das Merkblatt zu verstehen. Das heißt aber auch, dass die Behörden darauf hinwirken müssen, dieses Merkblatt nicht in kompliziertem Amtsdeutsch, sondern in einer verständlichen Sprache zu verfassen. Des Weiteren wollen wir die Innenminister der Län- der darauf hinweisen, die Ausländerbehörden aufzufor- dern, Fällen, in denen das Visum abgelaufen ist, nachzu- gehen und zu prüfen, ob die Ausreise erfolgt ist. Auch hier gab es Diskussionen, weil viele anmerkten, das sei nicht nötig. Denn das sei ja schon geltendes Recht. Aber es war genau ein solches Versäumnis, das zu dem ent- sprechenden Fall, wie ihn der „Spiegel“ beschrieben hat, geführt hat. Hier schadet es also nichts, die Problematik erneut hervorzuheben. Die Arbeitsämter können allerdings nicht alle Sorgen zu beheben helfen, die sich aus Aupairverhältnissen er- geben können. Sie sind nur zuständig bei Problemen, die sich aus dem SGB III und den darin enthaltenen Schutz- maßnahmen ergeben. Aber auch allgemeine Probleme mit der Gastfamilie treten auch immer wieder auf. Hier- für müssen wir eine Anlaufstelle für diejenigen jungen Frauen und Männer schaffen, die nicht über eine Organi- sation vermittelt wurden, die hier Hilfe bietet. Welche Art von Anlaufstelle das sein könnte, haben wir in dem Antrag nicht konkretisiert. Es muss nur klar sein, dass es sich um eine kompetente regionale Stelle handelt. Die Ausländerbehörden halte ich hier nicht für besonders ge- eignet. Sie hätten zwar fachliche Kompetenz, werden aber bei Problemen aus Angst davor, das Land verlassen zu müssen, eher nicht aufgesucht. Eine geeignete Möglichkeit aus meiner Sicht sind die neuen Job-Center, da hier sowohl arbeitsrechtliche Kom- petenz wie die Zuständigkeit kommunaler Einrichtun- 4760 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) gen, beispielsweise der Jugendämter, versammelt sein werden. Zudem sind diese Stellen flächendeckend vor- handen. Diese Frage muss aber die Bundesregierung prüfen und die bestmögliche Anlaufstelle für Aupairs einrichten. Der letzte Punkt unseres Antrages betrifft die Frage nach den Qualitätsstandards bei privaten Arbeitsvermitt- lern im Aupairbereich. Hier gibt es viele Organisationen mit Erfahrungen, die zum Teil über viele Jahrzehnte ge- hen. Aber es gibt auch viele neue Organisationen, die die Deregulierung hervorgebracht hat. In der Tat reicht es heute aus, einen Gewerbeschein für private Arbeitsver- mittlung zu besitzen, um privat Aupairs zu vermitteln. Nicht alle diese neuen Vermittlungsorganisationen arbei- ten ähnlich kompetent und seriös, wie es bisher im Au- pairbereich üblich war. Wir können, aus schon erwähnten Gründen, nicht zu einem Genehmigungsvorbehalt kommen, wie er auch schon geordert wurde. Dieser würde auch den seriösen Agenturen die Existenzgrundlage entziehen. Unser Ziel muss es also sein, eine Art Zertifizierung bzw. ein Güte- siegel für private Vermittlungsorganisationen zu schaf- fen. Eine generelle finanzielle Förderung dieser Quali- tätssicherung, die eine Überführung dieses Bereichs in die Jugendhilfe bedeutet, ist finanziell nicht darstellbar. Aber wir haben auch in anderen Bereichen schon gute Erfahrungen mit freiwilligen Selbstverpflichtungen ge- macht. Die Organisationen könnten ein gemeinsames Gütesiegel schaffen, das geprüfte und seriöse Vermitt- lungen erkennbar macht. Dieses wäre angesichts der Öffnung sowohl für die jungen Menschen, die gerne ein Aupairjahr machen wol- len, wie auch für die Familien, die auf eine kompetente Vermittlung setzen, eine wichtige Hilfe. Hier ist es not- wendig, dass sich die entsprechenden Akteure, die Ver- mittlungsorganisationen, die Vertreter der Jugendminis- terien der Länder, die kommunalen Spitzenverbände und die Bundesregierung an einen Tisch setzen und hierfür einen Fahrplan erstellen. Ein solches Treffen ist auch schon geplant. Es muss so sein, dass seriöse und kompetente Ver- mittlungen einen Wettbewerbsvorteil erlangen und an der Erstellung von Qualitätsstandards mitwirken. Eine daraus entstehende Selbstregulierung kann viele der Pro- bleme, die wir heute im Aupairbereich haben, lösen. Noch einmal: Die allermeisten der betroffenen circa 50 000 Aupairverhältnisse, die wir in Deutschland ha- ben, sind seriös. Sie sind, neben vielen anderen Aus- tauschprogrammen, Kulturstipendien und ähnlichen Möglichkeiten – ich nenne hier nur das „Freiwillige So- ziale“ oder das „Freiwillige ökologische Jahr“ – ein wichtiger Beitrag zum Kulturaustausch und zum Erwerb von Sprachkenntnissen. In einer globalisierten Welt, die zunehmend mehr Verständnis für andere Kulturen erfor- dert, ist das ganz wichtig. Aber es ist eben auch so, dass unsere Schritte zur De- regulierung auch Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet ha- ben können. Zum Glück ist das nur in Einzelfällen so und zumeist dann, wenn die entsprechenden Behörden ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sind. Wir wissen das nun und haben es geschafft, in Zusammen- arbeit mit allen Fraktionen dem entgegenzuwirken und Änderungen zu fordern. Die Bundesregierung ist diesen Forderungen gegenüber sehr offen. Wir sind nicht ge- zwungen, Abstriche im Bereich der Liberalisierung der Arbeitsvermittlung vorzunehmen. Auch das ist wichtig. Es ist gut, dass wir in der Lage sind, in solchen Fällen über die Fraktionsgrenzen hinweg schnell und kompe- tent Politik umzusetzen. Rita Pawelski (CDU/CSU): Im März 2002 wurde mit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes ein dringend notwendiger und gut gemeinter Schritt zur Verbesserung der Beschäftigungssituation getan. Hier hat sich aber mal wieder gezeigt: Nicht alles, was gut gemeint war, hat sich gut entwickelt. Denn mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes wurde die Vermittlung von Aupairkräf- ten praktisch freigegeben mit der Folge, dass massenhaft schwarze Schafe auf den Agenturmarkt strömen: Das sind Vermittler, denen nicht das Wohl der jungen Au- pairkräfte am Herzen liegt, sondern die eigene Briefta- sche. Aupairkräfte, meine Damen und Herren, sind keine billigen Arbeitskräfte! Aupairkräfte sind junge Menschen ab 17 Jahre, oft Frauen, die, ausgestattet mit – meist wagen – Deutsch- kenntnissen, ein Jahr lang in einer deutschen Familien leben wollen, die für ein Taschengeld bis zu fünf Stun- den täglich Babysitting oder Hausarbeit übernehmen und nebenher die deutsche Sprache und die deutsche Kultur kennen lernen wollen. Die Bedingungen für ihre Beschäftigung sind festge- schrieben im europäischen Abkommen über die Aupair- beschäftigung, das von der Bundesrepublik Deutschland zwar nicht ratifiziert, aber maßgeblich anerkannt wurde. Somit, sollte man meinen, ist alles klar geregelt. Ist es aber nicht! Durch die Entscheidung im März 2001, die hier in diesem Hause einmütig getroffen wurde, hat sich einiges verändert: Vor der Deregulierung mussten für die Lizenz zum Aufbau und Betrieb einer Arbeitsvermittlungsagen- tur eine Gebühr von 3 000 DM gezahlt und zusätzlich strenge Auflagen erfüllt werden. Die 200 Agenturen, die vom Arbeitsamt die Genehmigung erhielten, wurden re- gelmäßig durch die Landesarbeitsämter kontrolliert. Es war also bekannt, wer vermittelte, wohin er vermittelte und vor allem, wen er vermittelte. Die Aupairvermittlung hat sich bereits in den Jahren vor der Deregulierung zum Wachstumsmarkt entwickelt: 1998 kamen 17 831 nach Deutschland, 2001 waren es schon 24 657, davon 15 698 aus Nicht-EU-Ländern. Mit der Deregulierung explodierte dieser Markt im wahrsten Sinne des Wortes, denn den Vermittlern wurde es leicht gemacht: Aupairs werden nicht mehr durch kontrollierte Agenturen betreut, sondern jeder, der für schlappe 20 Euro einen Gewerbeschein mit der Auf- schrift „Arbeitsvermittlung“ erhält, kann diesem Job nachgehen. Nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4761 (A) (C) (B) (D) ist es ganz einfach, einen Gewerbeschein zu erhalten, eine Kontrolle findet nicht statt. Mittlerweile gibt es weit mehr als 1 000 neue Vermitt- ler. Die genaue Zahl kennt niemand, weil über die örtli- chen Vermittlungen hinaus viele Kontakte über das In- ternet geknüpft werden. Und mit der Zahl der Vermittler steigt die Zahl der schwarzen Schafe – nur: Die Suppe müssen die Aupairs auslöffeln. Ich betone noch einmal: Der Aupairmarkt hat sich zum Tummelplatz für skrupellose Abzocker entwickelt, die aus dem Schicksal der Mädchen Profit schlagen wol- len. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, einige von den Hunderten, die mir seit Beginn der Diskussion zuge- tragen wurden. Es gibt Internetseiten, die den Benutzer mit den Wor- ten „Willkommen bei der Sexy-Aupairagentur“ begrü- ßen. Weiter geht es mit den Worten: „Wir machen den Unterschied, denn unsere Aupairmädchen sind heiß und sexy!“ Weitere Beschreibungen unterlasse ich, denn sie passen nicht in dieses Haus. Ein in Polen ansässiges Unternehmen lockt junge Frauen aus Osteuropa nach Deutschland, verspricht ih- nen Jobs als Aupairs, hat aber in Wirklichkeit nur die Absicht, sie auf dem Heiratsmarkt anzubieten. Ein Mäd- chen aus der Ukraine musste täglich bis zu 16 Stunden arbeiten. Neben Babysitten hatte sie Schwerstarbeit zu verrichten, die weit außerhalb ihres eigentlichen Aufga- benbereiches lag. Extrem ausgenutzt wurde eine Afrika- nerin, die einen Sieben-Personen-Haushalt alleine versor- gen musste. Inklusive waren die Betreuung des Babys und des 80-jährigen behinderten Großvaters, bei dem sie sogar die Windeln wechseln musste. Zudem mangelt es den Aupairs oft an ausreichendem Essen und geeigneten Schlafmöglichkeiten. So ist ein Fall bekannt, bei dem ein Aupair mit vier großen Hun- den gemeinsam in einem Zimmer untergebracht war. Unseriöse Vermittler entdeckte ein Fernsehteam, das spontan vier nach dem Zufallsprinzip ausgesuchte Agen- turen aufgesucht hat – mit versteckter Kamera. Unver- blümt wurde den Vermittlern klar gemacht, man suche eine billige Arbeitskraft: „Die muss schon richtig mit an- packen und Kisten schleppen, denn ich habe einen Bier- versand.“ Bis hin zum „Ich habe eine Tochter, die braucht eine Aupair – aber auch ich brauche die Aupair, wenn sie wissen, was ich meine.“ In allen Fällen, auch im letzteren, wurde eine Vermittlung zugesagt. Die Pro- vision wurde einfach von 400 Euro auf 800 Euro herauf- gesetzt. Dabei ist die Höchstgrenze für die Vermittlungs- gebühr der Agenturen per Gesetz festgelegt: Sie beträgt 150 Euro. Liebe Bundesregierung, von diesen Beispielen gibt es eine Fülle und trotzdem wollen Sie davon nichts mitbe- kommen haben? Ihr Problembewusstsein ist erschre- ckend. Im April dieses Jahres stellte ich eine schriftliche Anfrage, in der es um die besondere Schutzbedürftigkeit von Aupairs ging. Staatssekretär Rezzo Schlauch ant- wortete, dass weibliche Aupairs mit 18 Jahren volljährig und damit voll geschäftsfähig seien. Daher seien beson- dere Schutzvorschriften für sie nicht notwendig. Zudem gebe es angesichts der Freizügigkeit auf dem Arbeits- markt für EU-Bürger keine speziellen Regelungen, um ihnen Schutz zu gewähren. Der Herr Staatssekretär bewies erschreckend seine Unkenntnis: Aupairs können auch 17 Jahre alt sein. Demnach sind sie nicht immer volljährig. Sie brauchen unseren Schutz, sie brauchen den Schutz des Staates! Noch ahnungsloser gebärdeten sich die Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit, als sie im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach den Auswir- kungen der Deregulierung befragt wurden. Es tat gut, dass die Staatssekretärin Riemann-Hahnewinkel fach- kundig Hilfe versprach. Diese Hilfe, meine Damen und Herren, ist dringend geboten; denn die jungen Menschen kommen doch nach Deutschland, um eine Vorstellung von unserer Lebens- weise, Kultur und Mentalität zu bekommen Überlegen Sie sich mal, mit welchen Eindrücken sie wieder nach Hause fahren. Diese negativen Erfahrungen sind weder für diese jungen aufgeschlossenen Menschen noch für Deutschland gut. Beide leiden darunter. Es existiert also ein dringender Handlungsbedarf. Schließlich geht es hier nicht um Ware, sondern um Menschen. Und darum ist es gut, dass wir heute diesen gemeinsamen Antrag behandeln. Mit dem Antrag wird unter anderem eine Überprüfung gefordert, inwieweit durch Zusammenarbeit auf nationaler Ebene regional ge- eignete Institutionen als Ansprechstellen für Aupairs be- nannt und diese auch entsprechend bekannt gemacht werden können. Weiterhin soll sichergestellt werden, dass die Arbeits- ämter Antragstellern bei der Erteilung der Arbeitserlaub- nis das Merkblatt für Aupairs, aus dem die Rechte und Pflichten während des Aufenthalts in der Gastfamilie hervorgehen, persönlich aushändigen. Und es soll sichergestellt werden, dass die deutschen Auslandsvertretungen bei der Erteilung eines Besuchsvi- sums darauf hinweisen, dass eine Aupairbeschäftigung im Rahmen dieses Visums nicht erlaubt ist. Das ist wich- tig, denn nach Erkenntnissen seriöser Agenturen finden immer mehr Vermittlungen von Aupairs über ein von der Botschaft ausgestelltes Besuchervisum statt. Diese Mädchen arbeiten hier illegal, sie haben keinen Schutz und sind auf Gedeih und Verderb dem Vermittler ausgeliefert. Nicht wenige werden gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen, und sind dann erreichbar unter gewissen Telelefonnummern. Das können wir nicht zulassen und wir dürfen schon gar nicht weg- schauen. Noch einmal: Es ist richtig, hier heute unseren ge- meinsamen Entschließungsantrag zu behandeln. Persön- lich aber, das sage ich ganz deutlich, wäre ich gern noch einen Schritt weiter gegangen: Wir müssen erreichen, dass es den schwarzen Schafen unmöglich gemacht wird, unter dem Deckmäntelchen Aupair Menschenhan- del zu betreiben. Darum wäre ich für eine Pflichtzertifi- zierung. Aber hoffen wir im Interesse der jungen Men- schen, dass eine Zertifizierung auf freiwilliger Basis greift. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss! 4762 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 (A) (C) (B) (D) Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, einen gemeinsamen, überfraktionellen Antrag für eine Verbes- serung der privaten Vermittlung im Aupairbereich hinzu- bekommen, der dazu beitragen soll, Ausbeutung und Missbrauch in diesem Bereich zu verhindern, besonders deshalb, weil die Mehrheit der Aupairs junge Frauen ab 17 Jahren sind, die unseres besonderen Schutzes bedür- fen. Ein Aupairverhältnis ist die Möglichkeit für junge Menschen, ein Jahr lang andere Sprachen und Kulturen kennenzulernen und so die internationale Verständigung zu fördern. Rund 30 000 junge Menschen kommen pro Jahr nach Deutschland. Und rund 20 000 gehen pro Jahr aus Deutschland ins Ausland. Die überwiegende Zahl der Aupairverhältnisse trägt also erfolgreich zu gesell- schafts- und jugendpolitisch wünschenswertem, inter- kulturellem Lernen bei. Es gibt in diesem Bereich aber nicht nur eine Sonnen- seite, sondern es werden auch immer wieder Probleme sichtbar Hier ist insbesondere die illegale Beschäftigung und Ausbeutung bis hin zu Missbrauch zu benennen. Auch wenn die Ursachen für die Probleme vielschichtig sind: Wir wollen mit unserem gemeinsamen Antrag hier in erster Linie für Rechtssicherheit sorgen. Private Arbeitsvermittler und Arbeitsvermittlerinnen benötigen derzeit lediglich eine Gewerbeanmeldung, um anwerbend und vermittelnd tätig werden zu können. Gastfamilien dürfen Aupairs selbst anwerben, ohne eine Aupairvermittlungsagentur einschalten zu müssen. Seit- dem dies möglich ist, besteht die Möglichkeit, dass eine Grauzone entstehen könnte. Genau das möchten wir alle gemeinsam verhindern. Die meisten Aupairs benötigen – da sie aus Nicht- EU/EWR-Staaten kommen – eine Arbeitserlaubnis und eine Aufenthaltsbewilligung. Hier gilt es, die Zusam- menarbeit der daran beteiligten Behörden so zu verbes- sern, dass illegale Beschäftigung und damit die Gefahr der Ausbeutung vermieden werden können. Deshalb ha- ben wir uns entschlossen, die Bundesregierung aufzu- fordern, einige grundlegende Vorgehensweisen sicher zu stellen. Wir erwarten, dass die Bundesregierung bis Ende 2004 einen Bericht über die Entwicklung im Bereich von Aupair vorlegt. In diesem Bericht sollen sich Informatio- nen darüber finden, ob es zahlenmäßige Veränderungen oder sonstige Auffälligkeiten gibt, die aufgrund der De- regulierung der privaten Arbeitsvermittlung aufgetreten sind. Außerdem ist es für uns besonders wichtig, dass junge Menschen, die zu uns kommen, über ihren Status umfassend informiert sind. Dieses setzt aber auch vo- raus, dass Aupairs über Sprachkenntnisse verfügen. Dies sicherzustellen ist Aufgabe der Auslandsvertretungen und muss im Rahmen der Erteilung von Visa festgestellt werden. Da die Aupairs über bestimmte Rechte und Pflichten während des Aufenthaltes in den Gastfamilien verfügen, müssen sie hierüber auch umfassend infor- miert sein. Darum sollen die Arbeitsämter ihnen das Merkblatt für Aupairs persönlich bei der Aushändigung der Arbeitserlaubnis überreichen. Die Rechte und Pflichten der Gastfamilien und der Aupairs sind durch die Bundesanstalt für Arbeit festge- legt. Dies reicht uns aber so noch nicht. Deshalb wol- len wir die Einführung einer selbstverpflichtenden Zer- tifizierung für die Vermittlungsorganisationen und auch ein gemeinsames Gütesiegel, und zwar deshalb, um für alle Interessierten erkennbar zu machen, dass es sich um eine geprüfte Aupairvermittlung handelt. Wir hal- ten das für unverzichtbar. Wir geben der Bundesregie- rung den Auftrag, zu prüfen, inwieweit durch Zusam- menarbeit auf nationaler Ebene regional geeignete Institutionen als Ansprechstellen für Aupairs benannt und dann auch entsprechend bekannt gemacht werden können. Unsere Intention ist es, negative Einzelfälle im Au- pair Bereich so weit wie möglich auszuschließen. Und dafür Sorge zu tragen, dass der Bereich Aupair auch weiterhin in unserer Gesellschaft einen hohen Stellen- wert besitzt. Dirk Niebel (FDP): Die FDP wollte eine Liberalisie- rung in der Arbeitsvermittlung, damit Arbeitslose mehr Chancen auf Vermittlung in Arbeit bekommen. Im Ver- gleich mit den staatlichen Anbietern erhofften wir uns von privaten Vermittlern mehr Initiative und Alternati- ven zur bisherigen Vermittlung. Da die Vermittlungsgut- scheine nicht marktgerecht ausgestattet wurden, hat die- ses Instrument bisher leider nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Seit April 2002 können private Arbeitsvermittler ohne Einschränkung auch Aupairaufenthalte vermitteln. Hier hat es offensichtlich in einigen tragischen Fällen Missbrauch gegeben. In der Folge ist ein rumänisches Aupairmädchen zu Tode gekommen. Das hat große Be- troffenheit ausgelöst. Aupairaufenthalte sind für junge Menschen eine preiswerte Möglichkeit, fremde Spra- chen und Länder durch einen persönlichen und familiä- ren Kontakt kennen zu lernen. Sie erfordern als Jugend- austausch einen besonderen Schutz. Ein Missbrauch durch Ausbeutung oder – im schlimmsten Fall – durch Zwangsprostitution muss verhindert werden. Rechte und Pflichten der Gasteltern und der Aupairs sind durch die Bundesanstalt für Arbeit festgelegt. Die Caritas und der Bundesverband Aupairsociety haben mich sehr früh aufmerksam gemacht, dass auch für die Vermittlung von Aupairs eine Qualitätssicherung not- wendig ist. Sie haben bereits entsprechende Qualitäts- standards formuliert. Aupairs müssen bei Konflikten auf eine seriöse Beratung zugreifen können. Die geforderte Lizensierung der Aupairvermittlungs- agenturen hätte aus unserer Sicht aber wieder ein büro- kratisches Verfahren eingeführt, das wir gerade abge- schafft hatten. Sie hätte sich auch wegen der Freizügigkeit von Dienstleistungen in Europa und bei In- ternetagenturen nicht umsetzen lassen. Darüber hinaus wollen wir aber weiterhin den Aupairzugang aus dem fa- miliären Bereich durch persönliche Empfehlung und durch Eigensuche ermöglichen. Eine Selbstverpflich- tung der Vermittlungsagenturen scheint uns das passende Mittel zu sein, um Gastfamilien und Aupairs die aus Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 4763 (A) (C) (B) (D) meiner Sicht notwendige Freiheit und Sicherheit zu ge- währen. Allein die vorhandenen Sprachkenntnisse soll- ten für die Auswahl des Aupairs kein Ausschlusskrite- rium sein; denn schließlich soll es die Sprache im Gastland lernen. Da die Mehrheit der Aupairs aus Mit- tel- und Osteuropa kommt, sollten alle Informationsma- terialien in diesen Sprachen zugänglich sein. Die vier Fraktionen im Bundestag haben auf die be- rechtigte Sorge reagiert und diesen interfraktionellen Antrag vorgelegt. Ich hoffe, dass uns die zügige Bera- tung gelingt. Hierbei sollten wir auch gleich die Vermitt- lungsagenturen mit ins Boot holen, damit dann sofort die notwendigen und passenden Maßnahmen eingeleitet werden können. 56. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2003 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1505600000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten

Jürgen W. Möllemann hat der Abgeordnete Michael
Kauch am 14. Juni 2003 die Mitgliedschaft im Deut-
schen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kol-
legen herzlich.


(Beifall)

Für die noch zu besetzende Position eines stellvertre-

tenden Mitglieds im Programmbeirat für die Sonderpost-
wertzeichen schlägt die Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen den Kollegen Rainder Steenblock vor. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist der Kollege Steenblock als Stellvertreter im
Programmbeirat bestimmt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Zu-
satzpunktliste aufgeführt:


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1505600100
Deutsch-
land bewegt sich – mehr Dynamik für Wachstum und Be-
schäftigung


(Er Rede gänzung zu TOP 25)

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuer-
gesetzes und anderer Verbrauchssteuergesetze
– Drucksache 15/1313 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brunhilde Irber,
Annette Faße, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reisen ohne Handi-
cap – Für ein barrierefreies Reisen und
in unserem Land – Drucksache 15/1306
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Rechtsausschuss
zung

, den 3. Juli 2003

.00 Uhr

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Büttner

(Ingolstadt), Reinhold Hemker, Karin Kortmann, weite-

rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele,
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Unter-
stützung von Landreformen zur Bekämpfung der
Armut und der Hungerkrise im südlichen Afrika
– Drucksache 15/1307 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold
Hemker, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), Katrin
Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Verbesserung
der Welternährungssituation und Verwirklichung des
Rechts auf Nahrung – Drucksache 15/1316 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)


text
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Lösekrug-Möller, Ulrike Mehl, Petra Bierwirth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Volker Beck

(Köln), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und

der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Na-
turschutz geht alle an – Akzeptanz und Integration
des Naturschutzes in andere Politikfelder weiter stär-
ken – Drucksache 15/1318 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und

dwirtschaft
schuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
schuss für Tourismus
atung des Antrags der Abgeordneten Hubert Hüppe,
Naturerleben


Lan
Aus
Aus

f) Ber

Christa Nickels, René Röspel und weiterer Abgeordneter:






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

Forschungsförderung der Europäischen Union unter
Respektierung ethischer und verfassungsmäßiger
Prinzipien der Mitgliedstaaten – Drucksache 15/1310 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach,
Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg) und
weiterer Abgeordneter: Kein Ausstieg aus der gemein-
samen Verantwortung für die europäische Stammzell-
forschung – Drucksache 15/1346 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union


(Ergänzung zu TOP 26)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-

schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 50 zu Petitionen
– Drucksache 15/1335 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 51 zu Petitionen
– Drucksache 15/1336 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 52 zu Petitionen
– Drucksache 15/1337 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 53 zu Petitionen
– Drucksache 15/1338 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 54 zu Petitionen
– Drucksache 15/1339 –

4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G. Fritz, Karl-
Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU: WTO-Doha-Runde zum Erfolg
führen – Voraussetzungen schaffen für eine erfolgreiche
WTO-Ministerkonferenz in Cancun/Mexico – Druck-
sache 15/1323 –

5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp,
Rainer Brüderle, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP: Mehr Wohlstand für alle
durch mutige Marktöffnung – Drucksache 15/133 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Jäger, Ulrike
Mehl, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Den Flüssen mehr Raum geben –
Ökologische Hochwasservorsorge durch integriertes
Flussgebietsmanagement – Drucksache 15/1319 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,
Angelika Brunkhorst, Hans-Michael Goldmann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP: Hochwasserschutz –
Solidarität erhalten, Eigenverantwortung stärken
– Drucksache 15/1334 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll – so-
weit erforderlich – abgewichen werden.

Außerdem sollen die Tagesordnungspunkte 7 und 19 in
Verbindung mit der Aussprache zur Regierungserklärung
aufgerufen werden. Die Tagesordnungspunkte 8 – Berli-
ner Stadtschloss – und 9 – Sexualstrafrecht –, 10 – Ein-
setzung einer Enquete-Kommission – und 11 – WTO/
GATS-Verhandlungen – sowie 12 – Änderung des BGB
– und 13 – Stadtumbau Ost – sollen jeweils getauscht
werden. Der Tagesordnungspunkt 4 – Gemeindefinanz-
reform – wird am Freitag um 9 Uhr beraten.

Weiterhin mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam:

Der in der 49. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam,
Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU: Drittes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht

(Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 3. SED-UnBerG)

– Drucksache 15/932 –
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 sowie Tagesordnungs-

punkte 7 a und 7 b sowie 19 a und 19 b auf:
ZP 1 Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanz-

ler
Deutschland bewegt sich – mehr Dynamik für
Wachstum und Beschäftigung

7 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung der Steuerehrlichkeit
– Drucksache 15/1309 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Andreas Pinkwart,
Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur vereinfachten Nachversteuerung
als Brücke in die Steuerehrlichkeit
– Drucksache 15/470 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss

19 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Friedrich Merz, Heinz
Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Steuern: Niedriger – Einfacher – Gerechter
– Drucksache 15/1231 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Andreas Pinkwart,
Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Steuersenkung vorziehen
– Drucksache 15/1221 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung zweieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler Gerhard Schröder.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1505600200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vorweg eine Bemerkung zu einem anderen
Thema: Der italienische Ministerpräsident hat es für
richtig gehalten, einen deutschen Kollegen des Europäi-
schen Parlamentes mit einem Nazivergleich zu belegen.
Ich denke, ich stelle hier für das ganze Hohe Haus fest:
Diese Äußerung ist in Inhalt und Form eine Entgleisung
und völlig inakzeptabel.


(Beifall im ganzen Hause – Michael Glos [CDU/CSU]: Das gehört ins Europaparlament und nicht hierher!)


– Herr Glos, ich hoffe, das gilt auch für Sie. Mehr will
ich dazu nicht sagen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ich sagte, das gehört ins Europaparlament und nicht hierher!)


Ich habe die Erwartung, dass sich der italienische Minis-
terpräsident für diesen inakzeptablen Vergleich in aller
Form entschuldigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Bezogen auf unser Thema gibt es Zeiten, in denen
hart gestritten werden muss, und Zeiten, in denen Zu-
sammenarbeit angesagt ist. Es gibt Grundsatzfragen,
über die wir uns intensiv und, wo nötig, auch hartnäckig
auseinander setzen müssen.

Heute geht es aber um etwas anderes. Heute geht es
darum, sorgsam die Bedingungen zu definieren und ver-
antwortungsbewusst den Rahmen dafür abzustecken,
dass unser Land wieder Tritt fasst und sich abermals als
eine leistungsfähige, aber eben auch solidarische Gesell-
schaft erweist. Diese Herausforderung werden wir nur
bewältigen, wenn wir unsere Kräfte gemeinsam auf die-
ses Ziel richten, wenn wir einmal vergessen, was uns an-
sonsten trennt, und wenn wir bereit sind – das sage ich
auch an die Mitglieder des Bundesrates –, die Verant-
wortung wahrzunehmen, die die Menschen in Deutsch-
land von uns erwarten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir ist klar, dass auch das nicht ohne Streit abgehen
wird, ohne Auseinandersetzungen in der Sache. Das ist
auch richtig so. Aber im Vordergrund muss gerade jetzt
das gemeinsame Bemühen um konstruktive Lösungen
stehen. Mein Eindruck ist, dass wir etwa bei der Ge-
sundheitsreform auf einem guten Weg sind, und ich be-
danke mich bei der Opposition ausdrücklich für die Be-
reitschaft zur Mitarbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Fragen, die wir heute und in den kommenden Ta-
gen und Wochen diskutieren, beschäftigen nicht nur die






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Menschen in Deutschland; sie beschäftigen auch und ge-
rade Europa. Das hat Gründe. Unsere Volkswirtschaft,
die deutsche Volkswirtschaft, ist ungeachtet all dessen,
was wir zu verbessern haben, die stärkste Europas. Etwa
30 Prozent der Wertschöpfung in Gesamteuropa werden
von der deutschen Volkswirtschaft und damit von den
Menschen in Deutschland erwirtschaftet.

Dies bedeutet, dass wir gewiss für das verantwortlich
sind, was in unserem Land geschieht, dass wir aber da-
rüber hinaus auch eine besondere Verantwortung für die
europäische Entwicklung tragen. Dieser Verantwortung
wollen wir uns stellen; denn ohne ein starkes Deutsch-
land ist Europa schwächer, als es sein müsste.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich füge hinzu: Es gilt auch, dass Deutschland ohne
einen europäischen Binnenmarkt und ohne die europäi-
sche Integration weit weniger Chancen hätte, im globa-
len Wettbewerb zu bestehen. Das gilt ökonomisch, das
gilt aber auch politisch. Es gilt übrigens auch für unser
Sozialmodell der Teilhabe und der sozialen Marktwirt-
schaft. Deshalb stellen wir uns unserer Verantwortung
für Deutschland und Europa im wohlverstandenen ge-
meinsamen Interesse, weil das eine ohne das andere
nicht mehr geht.

Vor diesem Hintergrund stimmen wir unsere struktu-
rellen und konjunkturellen Maßnahmen aufeinander ab
und übernehmen auf der Basis des europäischen Paktes
für Stabilität und Wachstum die Verantwortung für ge-
nau dies: Stabilität und Wachstum. Deshalb haben wir in
einem für Deutschland bisher beispiellosen Kraftakt Ent-
scheidungen getroffen, die für mehr Dynamik, mehr
Wachstum und mehr Beschäftigung sorgen. Deshalb
sind wir in der Lage, die Bürgerinnen und Bürger, aber
auch die mittelständischen Unternehmer ab Anfang
nächsten Jahres dramatisch von Steuern zu entlasten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ab dem 1. Januar nächsten Jahres werden die Bürge-
rinnen und Bürger im Durchschnitt 10 Prozent weniger
Steuern zahlen müssen. Wir senken den Eingangssteuer-
satz auf 15 Prozent. Ich will daran erinnern, dass vor
fünf Jahren der Eingangssteuersatz noch bei 26 Prozent
lag.


(Jörg Tauss [SPD]: Ah ja!)

Was das insbesondere für die Bezieher der unteren Ein-
kommen bedeutet, kann man sich nicht häufig genug
klar machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


10 Prozent weniger Steuern sind 10 Prozent mehr, die
den Menschen zur Verfügung stehen, um ihr Leben ent-
sprechend ihren eigenen Wünschen zu gestalten.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die liefern sie an der Tankstelle wieder ab!)

Das ist es, worum es nach unserer Auffassung geht,
wenn von Konsum und im Zusammenhang damit von
der Förderung der Binnennachfrage gesprochen wird,
dass nämlich Menschen mehr von dem, was sie erarbei-
tet haben, für die Qualität ihres eigenen Lebens und für
ihre Kinder ausgeben können, ohne dass die Grundlagen
des gemeinsamen Staates infrage gestellt werden.

Ich habe dem Deutschen Bundestag am 14. März die
Agenda 2010, unser Programm zur strukturellen Erneu-
erung und zur Modernisierung des Sozialstaates, vorge-
stellt. Genau das ist das Fundament, auf dem die Politik
für Wachstum und Beschäftigung gründet.

Ich will das mit einigen zentralen Punkten in Erinne-
rung rufen. Einerseits gehen wir damit die lange ver-
nachlässigten strukturellen Ursachen unserer Wachs-
tumsschwäche energisch an und andererseits bauen wir
unseren Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme
so um, dass sie uns und auch künftigen Generationen
eine gute Zukunft ermöglichen.

Bis 2010 können wir durch die strukturellen Refor-
men der Agenda 45 Milliarden Euro im Bundeshaushalt
einsparen. Wir haben die Strukturreform nicht vorrangig
und schon gar nicht ausschließlich unter dem Gesichts-
punkt der Kosten ausgerichtet. Wir betreiben das Sparen
eben nicht als Selbstzweck. Im Vordergrund stand und
steht für uns immer die Orientierung, die Ausgaben für
das Bestehende auf das Notwendige zu begrenzen,
schlicht deshalb, um Mittel für die Gestaltung der Zu-
kunft zur Verfügung zu haben und diese zu mobilisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei ist klar geworden, dass wir in Deutschland
wirklich ein neues Denken brauchen, und zwar eine Ver-
änderung auch und gerade in der Mentalität, weg von der
Besitzstandswahrung und hin zur Gestaltung von Zu-
kunftschancen. Dieses Umdenken hat in den dreiein-
halb Monaten seit unserer Initiative zur Agenda 2010
eingesetzt. Ich glaube, es ist spürbar geworden, dass es
sich gerade in den vergangenen Tagen und Wochen ver-
stärkt hat. Auch im Ausland wird mittlerweile positiv
wahrgenommen: Deutschland ist bereit, sich zu verän-
dern; Deutschland bewegt sich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Agenda 2010 und den Reformen zugunsten
des Arbeitsmarktes und des Mittelstandes haben wir den
Weg zur strukturellen Modernisierung Deutschlands, zur
Innovation und zur Weiterentwicklung von Teilhabe und
Gerechtigkeit vorgezeichnet. Im Gesundheitswesen bei-
spielsweise brauchen wir mehr Marktwirtschaft, mehr
Wettbewerb und mehr Transparenz. Dabei werden wir
nicht auf die hervorragende Qualität der medizinischen
Versorgung in Deutschland verzichten.

Auf dem Arbeitsmarkt haben wir durch die bereits
umgesetzten so genannten Hartz-Reformen im Niedrig-
lohnsektor und bei den geringfügigen Beschäftigungs-
verhältnissen so hohe Beschäftigungschancen erreicht
wie nie zuvor. Durch die Einrichtung von Personal-Ser-






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

vice-Agenturen und die vertraglichen Regelungen zur
Zeit- und Leiharbeit verschaffen wir nicht nur deutlich
mehr Arbeitswilligen Zugang zum Arbeitsmarkt – und
zwar zum ersten Arbeitsmarkt –, sondern haben wir auch
den gesamten Bereich der Leiharbeit aus dem geholt,
was man die „Schmuddelecke“ nennt,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wer hat sie denn vorher in diese Ecke gestellt?)


in der sich die entsprechenden Angebote und die Nach-
frage früher großenteils bewegt haben.

Die Förderung der Selbstständigkeit durch die so ge-
nannten Ich-AGs und damit verwandte Maßnahmen
sind ein Angebot, das schon jetzt sehr stark angenom-
men wird. Ich bin sicher: Schon im nächsten Jahr wer-
den wir in Deutschland einen Arbeitsmarkt geschaffen
haben, der weit offener und anpassungsfähiger ist, als es
jahrzehntelang der Fall war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das liegt im Interesse derer, die Arbeit und Dienstleis-
tungen nachfragen, aber vor allem im Interesse derer, die
heute noch arbeitslos sind.

Meine Damen und Herren, natürlich gilt unser Au-
genmerk ganz besonders dem Mittelstand, der weit
mehr als die Hälfte der Bruttowertschöpfung in Deutsch-
land erwirtschaftet und mit rund 70 Prozent der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer weitaus die meisten
Menschen beschäftigt.

Die Maßnahmen sind Ihnen bekannt. Ich fasse sie als
Stichworte noch einmal zusammen: Novellierung der
Handwerksordnung,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr mittelstandsfreundlich! – Michael Glos [CDU/ CSU]: Schlimmes Bubenstück!)


Flexibilisierung des Kündigungsschutzes, Förderung
von Existenzgründern, Abbau von Bürokratie und Stär-
kung der Eigenkapitalbasis.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?)

Dazu kommt, wohlgemerkt, die Strategie zur Sen-

kung der Lohnnebenkosten und Abgaben. Das heißt, wir
geben dem Mittelstand die Möglichkeiten an die Hand,
sein Engagement und seine Innovationskraft – also das,
was unser Land so stark gemacht hat – aufs Neue voll-
ständig zur Geltung zu bringen.

Deshalb ist es so wesentlich, was wir am vergangenen
Wochenende in Neuhardenberg beschlossen haben:
Mittelständische Unternehmen müssen ab dem nächsten
Jahr fast 10 Milliarden Euro weniger Steuern zahlen.
Damit geben wir in einer wirtschaftlich schwierigen Si-
tuation ein klares Signal an die Wirtschaft: Weniger
Steuern für mehr Investitionen und mehr Investitionen
für mehr Beschäftigung!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das alles zusammen – strukturelle Reformen bei
Rente und Gesundheit, auf dem Arbeitsmarkt und in der
mittelständischen Wirtschaft – ergibt die Botschaft und
den Inhalt dessen, was die Agenda 2010 ausmacht. Im
Kern geht es bei allen Maßnahmen um ein und dasselbe:
dass wir den Schritt zu mehr Verantwortung, mehr Initia-
tive und mehr Gemeinwohl hinbekommen.


(Anhaltende Zurufe eines Zuschauers von der Besuchertribüne – Der Zuschauer wirft Flugblätter in den Saal)


Wir müssen zu größeren Zukunftschancen statt sturem
Beharren auf den Besitzständen, zu einer neuen Balance
zwischen ökonomischer Notwendigkeit, sozialem Zu-
sammenhalt und gesellschaftlichem Aufbruch kommen.

Wir haben uns in diesem Jahr große Chancen zur poli-
tischen Gestaltung erkämpft. „Erkämpfen“ ist schon das
richtige Wort; denn der Prozess, Zustimmung für die
Agenda 2010 und die Strukturreformen zu gewinnen,
war nicht leicht und – wie könnte es anders sein – für
manche auch schmerzhaft. Aber wir können heute sa-
gen: Dieser Prozess ist gelungen. Der Umschwung im
Denken findet statt. Die Menschen in Deutschland sind
bereit, die Veränderungen mitzutragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin mir nicht sicher, ob Sie die letzten Passagen
meiner Rede angesichts der Unruhe auf der Besuchertri-
büne vollständig mitbekommen haben. Trotzdem will
ich sie nicht wiederholen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie gesagt, der Umschwung im Denken findet statt.
Die Menschen in Deutschland sind bereit, die Verände-
rungen mitzutragen. Hier beziehe ich die Gewerkschaf-
ten ausdrücklich ein, ohne die Deutschland – ich betone
das gerade jetzt durchaus bewusst – nie so leistungsstark
geworden wäre, wie es ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In ihren eigenen Reihen haben die Gewerkschaften einen
Klärungsprozess durchlaufen, der ganz gewiss zeigt:
Auch die Gewerkschaftsmitglieder wollen Akteure des
Wandels, nicht seine Opfer und erst recht nicht seine
Bremser sein.

Den Weg, die gesellschaftlichen Mehrheiten für die
Agenda 2010 zu gewinnen, ist die Regierungskoalition
so konsequent gegangen, wie das die Bürgerinnen und
Bürger von denen erwarten, die Verantwortung tragen:
klar in der Auseinandersetzung, aber geschlossen in den
Entscheidungen und vor allen Dingen entschlossen, die
richtigen Koordinaten für unser Land und seine Zukunft
zu setzen.

Zu den strukturellen Reformen, über die ich geredet
habe, musste der Bundeshaushalt 2004 passen. Der Bun-
desfinanzminister hat deshalb einen Haushalt vorgelegt,
der den wirtschaftlichen und den politischen Anforde-
rungen – entsprechend den geschilderten Koordinaten –
Rechnung trägt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Dieser Haushalt folgt der Linie der Konsolidierung. Er
macht Ernst mit einem nachhaltigen Einstieg in den
Subventionsabbau und er gibt damit Raum für zukünf-
tiges Wachstum. Nun weiß auch ich: Subventionsabbau
ist ein Ziel, das in der Regel alle gut finden, außer es be-
trifft sie selber.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viele Subventionen – seien es Finanzhilfen oder seien es
steuerliche Subventionen –, an die wir uns aus rechtlichen
Gründen langzeitig gebunden haben, könnten auch dann
nicht sofort reduziert werden, wenn wir das aus Gründen
gesamtwirtschaftlicher Vernunft tun wollten. Aber gerade
weil wir durch die Agenda 2010 im Prozess der Struktur-
reformen vorankommen und weil wir mit dem
Bundeshaushalt 2004 einen nachhaltigen Subventionsab-
bau betreiben, haben wir uns den Freiraum erarbeitet,
durch vorgezogene Steuerentlastungen dieses wichtige Si-
gnal für Wachstum und damit für Beschäftigung zu geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir kommt es insbesondere darauf an, diesen Zusam-
menhang darzustellen. Man kann es auch umgekehrt for-
mulieren: Ohne die Festlegungen in der Agenda 2010,
ohne den dazu passenden Haushalt, der eine vernünftige
Balance zwischen Konsolidierung und dem Setzen von
Wachstumsimpulsen enthält, ohne beides wäre es nicht
verantwortbar gewesen, die Steuerreformstufe 2005 vor-
zuziehen. Nur alle drei zusammen ergeben jenen Drei-
klang, der uns nach vorne bringen kann und wird, jenen
Dreiklang, der für mehr Wachstum und damit für mehr
Beschäftigung in Deutschland sorgen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich haben wir uns die Antwort auf die Frage,
wie man in der jetzigen Situation handeln kann und han-
deln muss, nicht leicht gemacht. Tatsache ist, dass wir
– neben der Einleitung der Strukturreformen – in einer
Situation sind, in der die Konjunkturforscher – mit
Recht – auf ermutigende Zeichen verweisen. Die Ge-
schäftsklimaindizes haben sich positiv entwickelt. Die
Binnennachfrage bewegt sich etwas nach vorne, insbe-
sondere die Konsumnachfrage.

Daneben gibt es – wer weiß das nicht? – natürlich
auch Zeichen, die Sorgen machen müssen, zum Beispiel
die veränderten Euro-Dollar-Relationen, die dem Export
mehr Schwierigkeiten machen, als wir uns wünschen
würden; aber gerade deshalb kommt es jetzt darauf an
– dieser Zusammenhang ist mir wichtig –, die ermuti-
genden Zeichen zu verstärken, damit diese und nicht die
anderen Tendenzen dominieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Darum konnten wir es verantworten, die ohnehin be-
schlossene dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen.

Von all denjenigen, die – aus welchen Gründen auch
immer – jene Teile der Finanzierung des Vorziehens, die
den Subventionsabbau betreffen, kritisieren und nicht
mitmachen wollen – es gibt entsprechende Erklärungen,
jedenfalls gab es sie –, muss und von denen wird ver-
langt werden, dass sie Gegenvorschläge machen. Nur
Nein sagen geht nicht mehr; die Zeit der Neinsager ist zu
Ende.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind bereit – ich habe das angekündigt und dazu
stehen wir –, mit jedem, der Verantwortung trägt – ich
denke an die Opposition oder an die Mehrheit im Bun-
desrat –, über die Vorschläge, die wir gemacht haben,
ihre Durchsetzung, ihre innere Gestaltung und auch ihre
Veränderung zu reden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das wäre etwas Neues!)


Wenn sich erweist, dass die Vorschläge anderer zum
Subventionsabbau sinnvoller sind, dann sind wir bereit,
diese Vorschläge aufzugreifen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ach so! Andere sollen Vorschläge machen!)


Ich will dabei nur eines deutlich machen: Es geht mir
darum, dazu beizutragen, dass in unserem Land die aktiv
Beschäftigten, die das Einkommen für sich selbst und
für ihre Familien durch Arbeit in den Dienstleistungs-
zentren, in den Fabriken beziehen, der Maßstab für den
Abbau von Subventionen sind. In den letzten Jahren
wurden in Betrieben freiwillige Leistungen – das ist teil-
weise nachvollziehbar – abgebaut. Weil das so ist, darf
unser Augenmerk nicht allein darauf gerichtet sein, die
Transfereinkommen möglichst ungeschmälert zu erhal-
ten. Dies wäre gegenüber denjenigen, die die Leistungs-
träger bei der Entwicklung der volkswirtschaftlichen
Wertschöpfung sind, nicht gerecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte abschließend auf das zurückkommen, wo-
rauf ich eingangs hingewiesen habe: Vor uns liegen ge-
wiss schwierige Monate, in denen eine große Kraftan-
strengung notwendig sein wird, um wirksam werden zu
lassen, was für Deutschland notwendig ist. Wir suchen
die konstruktive Zusammenarbeit mit der Mehrheit im
Bundesrat; denn die Menschen in Deutschland wissen,
dass wir diese Zusammenarbeit jetzt brauchen. Sie er-
warten sie von uns, weil es um unser Land geht.

Die Bundesregierung ist zu dieser Gemeinschaftsleis-
tung bereit. Sie begrüßt sehr, dass die Gespräche über
die Gesundheitsreform offenbar gut vorankommen. Als
vertrauensbildende Maßnahme haben wir deshalb den
Termin für die abschließende Lesung unseres Gesetzent-
wurfs im Bundestag storniert. Wir denken allerdings,
dass die Erwartung, dass es zu weiterer konstruktiver
Zusammenarbeit kommt, gerechtfertigt ist.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ohne Substanz!)


Was die Rentenversicherung angeht, so will ich zu-
nächst noch einmal darauf hinweisen, dass die Rentne-






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

rinnen und Rentner am 1. Juli – das war vorgestern – tur-
nusgemäß erhöhte Rentenzahlungen bekommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will noch einmal an Folgendes erinnern: Wir haben
mit der Rentenreform in der letzten Legislaturperiode
die Säule der Kapitaldeckung neben die der Umlagefi-
nanzierung gestellt. Damit haben wir in Deutschland be-
reits in großen Teilen das umgesetzt, was Partner- und
Nachbarländer noch vor sich haben. Aber wir haben da-
mals noch zu sehr auf die konjunkturelle Entwicklung
vertraut. Deswegen und wegen der dramatischen Verän-
derungen in der Demographie werden wir in dieser
Frage strukturell noch einmal nacharbeiten müssen. Das
Ziel bleibt: Die Rentner müssen einen guten Lebensstan-
dard haben. Die arbeitenden Generationen dürfen nur
mit einem Beitrag belastet werden, den sie auch tragen
können. Deshalb wollen wir erreichen, dass der Bei-
tragssatz in diesem Jahr bei 19,5 Prozent bleibt. Wir
wollen und müssen den weiteren Anstieg der Lohnne-
benkosten begrenzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der zweiten Hälfte dieses wichtigen
Reformjahres 2003 werden wir uns darauf konzentrie-
ren, wie die Menschen in Deutschland für gute Arbeit
gutes Geld verdienen können. Wir machen die Struktur-
reform nur aus einem einzigen übergeordneten Grund:


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Um Wahlen zu gewinnen!)


damit Deutschland auch in Zukunft ein guter Sozialstaat
und eine moderne Volkswirtschaft bleiben kann. Beides
gehört untrennbar zusammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Nur Allgemeinplätze!)


Wir werden deshalb ein hohes Tempo einschlagen,
wenn es um Innovation und Familienpolitik, um bessere
Bildung und Betreuung, um bessere Möglichkeiten für
Forschung und Entwicklung geht. Wir wollen nicht nur
ein kurzfristiges Signal des Aufbruchs. Wir sagen den
Menschen in Deutschland nicht nur: Konsumiert und
gebt euer Geld aus! Wir sagen ihnen vielmehr: Es lohnt
sich, in diesem Land zu arbeiten und zu leben, zu inves-
tieren und zu konsumieren. Wir sagen ihnen: Lasst euch
nicht irremachen von denen, die schon wieder warnen
oder den Impuls zerreden, den wir mit den Steuersen-
kungen gerade geben wollen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe am 14. März über die Neunmalklugen in der
öffentlichen Diskussion gesprochen, über diejenigen, de-
nen immer alles entweder zu weit oder nicht weit genug
geht. Wir können heute sagen, denke ich, dass wir mitt-
lerweile einen gewaltigen Schritt vorangekommen sind.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wohin?)

Heute haben wir einen großen gesellschaftlichen Kon-
sens über die Notwendigkeit und über die Richtigkeit
der Agenda 2010. Wir haben aus der Bevölkerung eine
große Zustimmung zur vorgezogenen Steuersenkung:
von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von
all denen, die in diesem Land etwas unternehmen wol-
len. Was wir tun, haben wir vernünftig durchgerechnet.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir wissen deswegen, dass Deutschland das schultern
kann und dass Deutschland das schaffen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Da muss er selbst lachen!)


Ich denke, meine Damen und Herren, es ist deutlich ge-
worden: Die Menschen in unserem Land wollen Bewe-
gung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben verstanden, dass das notwendig ist.
Ich möchte Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Wer von

Ihnen sich mit welchen Tönen auch immer verweigert, der
sollte aufpassen, dass er sich nicht darin irrt, ob die Men-
schen in Deutschland jene Form der Zusammenarbeit, die
ich Ihnen noch einmal anbiete, nicht doch wollen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie sind aber großzügig heute, Herr Bundeskanzler!)


Ich glaube nicht, dass Sie sonderlich viel davon haben
werden, wenn Sie dieses Angebot ausschlagen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Also keinen zweiten Gunsterweis!)


In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksam-
keit.


(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1505600300

Ich erteile das Wort Kollegin Angela Merkel, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1505600400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Deutsch-

land bewegt sich“ – so der Titel Ihrer Regierungserklä-
rung, Herr Bundeskanzler. Für mich und viele andere
stellt sich allerdings, nach der Regierungserklärung noch
mehr als vorher, die Frage: Wohin?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Nach vorne!)


Was ist die Richtung dieser Bewegung? Ich zitiere:
Wir werden – wie geplant – die nächsten Stufen der
Steuerreform … am 1. Januar 2004 und … am
1. Januar 2005 ohne Abstriche umsetzen.
… Mehr ist nicht zu verkraften. Das muss man klar
gegenüber denjenigen sagen, die als Patentrezept






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Steuersenkungen, bis der Staat draufzuzahlen hat,
anbieten.

Das hat nicht irgendwann irgendwer gesagt, sondern das
haben Sie, Herr Bundeskanzler, uns zur Einleitung der
neuen Etappe Ihrer Politik bei der Vorstellung der
Agenda 2010 am 14. März dieses Jahres erklärt. Das wa-
ren Ihre Worte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Katrin Dagmar GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kleinkariert, Frau Merkel!)


Herr Bundeskanzler, damals hatten wir 4,5 Millionen
Arbeitslose, damals hatten wir Nullwachstum. An dieser
Situation hat sich nichts verändert.


(Hubertus Heil [SPD]: Deshalb brauchen wir den Impuls!)


Heute aber behaupten Sie, den Freiraum dafür zu haben,
Steuersenkungen vorschlagen zu können. Ihr Bundesfi-
nanzminister erklärt, eine Neuverschuldung im Bundes-
haushalt für das nächste Jahr, den er gestern vorgestellt
hat, von über 7 Milliarden Euro über der verfassungs-
rechtlichen Grenze sei ganz normal.

Jetzt frage ich Sie einfach: Was ist die Richtung Ihrer
Politik?


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollten Sie sich einmal selber fragen, Frau Merkel! – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie einmal Herrn Merz, was die Richtung der Politik ist! Herr Merz kann Ihnen das beantworten!)


Man muss ja wenigstens wissen, wie die Richtung im je-
weiligen Quartal aussieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen, das Problem Ihrer Politik besteht darin,
dass Sie nur ein Entweder-oder kennen. Aus diesem Ent-
weder-oder entsteht für die Menschen in diesem Lande
genau das nicht, was wir so dringend brauchen, nämlich
Verlässlichkeit der Politik und Vertrauen in die Verände-
rungen, die notwendig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oha, Verlässlichkeit! Wie ist das denn in Ihrer Politik?)


Deshalb kann die Gleichung eben nicht lauten: Entweder
Steuerentlastung, aber dafür unsolide Finanzen oder so-
lide Finanzen, aber dafür Steuerbelastung, sondern die
Gleichung – dafür steht die Union in diesem Lande –


(Hubertus Heil [SPD]: Hört! Hört!)

muss lauten: Solide Finanzen ja, Steuerentlastungen ja,
Strukturreformen ja. Das brauchen wir. Dreimal ja und
kein Entweder-oder, so lautet unsere Alternative.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Klatscht der Merz jetzt? Schönen Gruß an Koch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Deshalb heißt es: Wir brauchen Reformen aus einem
Guss.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann machen Sie doch mit!)


Reformen muss man richtig machen. Natürlich ist es so
– niemand von uns bezweifelt das –, dass die Menschen
in diesem Land Entlastungen brauchen, steuerliche Ent-
lastungen, auf die sie sich verlassen können und die
haltbar und tragfähig sind. Deshalb drängt die Zeit.


(Hubertus Heil [SPD]: Hört! Hört!)

Aber, meine Damen und Herren, die Menschen in die-

sem Land haben genug Enttäuschungen erlebt. Deshalb
haben Edmund Stoiber und ich Ihnen, Herr Bundeskanz-
ler, geschrieben


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: In der „Bild“-Zeitung! – Katrin Dagmar GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Koch und Merz?)


– bleiben Sie ganz ruhig –, dass die Zeit drängt und dass
wir natürlich, genau wie Sie, wollen, dass für die Men-
schen Entlastungen, solide Finanzen und keine zusätzli-
chen Belastungen geschaffen werden. Aber aus Ihrer
Antwort schließe ich, dass dabei ein Missverständnis
entstanden ist. Wir haben nicht darum gebeten, außer-
halb der normalen Ordnung mit Ihnen Gespräche zu füh-
ren, sondern wir haben darauf gepocht, dass Sie das tun,
was Ihre Arbeit ist, dass Sie nämlich das, was Sie wol-
len, ganz konkret untermauern


(Hubertus Heil [SPD]: Das können Sie auch mal machen!)


und dass Sie Vorschläge machen, wie diese Dinge umge-
setzt werden sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie eiern rum, Frau Merkel!)


Wir haben dazu bei uns in der Fraktion eine ganz
klare Beschlusslage.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [SPD]: Rumeierei!)


Diese heißt: Wir wollen ein Vorziehen der Steuer-
reform 2005.


(Hubertus Heil [SPD]: Weiß das der Merz? – Joachim Poß [SPD]: Sie machen politischen Wackelpudding!)


– Ihr Bundeskanzler hat Ihnen eigentlich gerade ins
Stammbuch geschrieben, wie die Stimmung im Land ist
und wie man sich angesichts dessen zu verhalten und
über vernünftige Lösungen zu reden hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie glauben, Sie könnten hier rumgackern, dann
sind Sie fehl an diesem Platz; das sage ich Ihnen ganz
klar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Das bestimmt der Wähler, nicht Sie!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Wohl niemand von Ihnen wird doch infrage stellen,

dass man für ein Vorziehen der Steuerreform eine seriöse
Finanzierung braucht, dass man aufpassen muss, dass
nicht das, was in die rechte Tasche gegeben worden ist,
aus der linken wieder herausgenommen wird,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


dass man schauen muss, was an strukturellen Reformen
wirklich erreicht worden ist.

Deshalb sage ich Ihnen: Uns geht es – die Grundsätze
sind klar – jetzt um die konkrete Umsetzung. Herr Bun-
deskanzler, von Sprüchen allein erneuert sich dieses
Land nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In Neuhardenberg haben Sie dem Publikum verkündet,
Sie wollten das Vorziehen der Steuerreform durch einen
Mix aus Kreditfinanzierung, marktgerechtem Erlös von
Privatisierungen und Subventionsabbau erreichen. Ges-
tern hat Ihr Finanzminister einen Haushalt vorgelegt,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Kein Mix!)

in dem die gesamte Finanzierung der Steuerreform mit, wie
er so nett sagte, einem technischen Detail versehen wurde,
nämlich einer Neuverschuldung von 7 Milliarden Euro.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einer Ermächtigung, mehr nicht!)


Das eine war am Sonntag, das andere am Mittwoch. Ich
frage Sie: Was gilt?

Wir haben heute früh alle aufmerksam verfolgt, wie
Herr Poß im Deutschlandfunk gesagt hat,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dass Sie dann doch noch so eine Rede halten, ist merkwürdig!)


es werde die Zeit kommen, zu der Sie konkrete Vor-
schläge vorlegen. Herr Bundeskanzler, Sie haben Edmund
Stoiber und mir geantwortet: Wir werden dem Deut-
schen Bundestag Vorschläge vorlegen und – das haben
Sie übrigens gleich als freudsche Fehlleistung hinzuge-
fügt – dafür eine Mehrheit bekommen; das haben wir gar
nicht infrage gestellt. Wenn Sie diese Vorschläge vorle-
gen – das ist mein Angebot –, dann werden wir unver-
züglich mit Ihnen in Beratungen eintreten,


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur selber keinen Vorschlag machen, Frau Merkel!)


egal ob es in der Sommerpause, vorher oder nachher, im
Juli oder im August ist – wann immer Sie wollen –, aber
Sie müssen diese Vorschläge vorlegen, Herr Bundes-
kanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen dies in aller Deutlichkeit: Wir verlan-

gen diese klare Vorlage und es wird über das Vorziehen
der Steuerreform keine Detaildebatte geben, bevor Sie
nicht gesagt haben, wie Sie es finanzieren wollen.


(Hubertus Heil [SPD]: Und Sie?)

Dies ist die Arbeitsteilung, die man in einem Land er-
warten kann, in dem die einen die Regierung stellen und
die anderen in der Opposition sitzen. Wenn Sie, Herr
Bundeskanzler, glauben, dass Sie diese Arbeitsteilung
aufheben müssen, weil Sie nicht in der Lage sind, selber
Vorschläge zu machen, dann bleibt nur eines: Dann müs-
sen Sie den Platz, auf dem Sie sitzen, verlassen, und
zwar umgehend.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Wunschdenken ist das!)


Herr Bundeskanzler, der Stabilitätspakt kam in Ihrer
Rede nur ansatzweise vor. Der für die Finanzen zustän-
dige EU-Kommissar Pedro Solbes hat Ihnen am 1. Juli
dieses Jahres ins Stammbuch geschrieben: „Ein Defizit
über 3 Prozent im Jahre 2004“ – das wäre im dritten Jahr
in Folge – „würde inkompatibel mit den Haushaltsregeln
der Europäischen Union sein.“ Sie sagen hier, dass die-
ser Haushalt der Linie der Konsolidierung folgt.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Als Tüpfelchen auf dem i sagen Sie: Was wir tun, haben
wir gut durchgerechnet.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Man kann zwar vieles versuchen, aber man darf die

Menschen im Lande nicht verhöhnen. Es ist doch offen-
sichtlich – Herr Eichel, Sie wissen es besser als alle an-
deren, weil es Ihre Beamten Ihnen sagen –,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Er weiß es!)

dass dieser Haushalt auf Sand gebaut ist, weil er ein au-
ßergewöhnliches Produkt von Luftbuchungen sowie von
getürkten und geschönten Zahlen ist, die vorne und hin-
ten nicht stimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei diesem Haushalt setzen Sie – auch das ist einzigartig
in Deutschland – die Zustimmung zu Gesetzesvorhaben
voraus, die Ihnen im Bundesrat vor zwei Monaten ver-
weigert wurde.


(Joachim Poß [SPD]: Sie kriegen noch einmal die Chance!)


Noch bevor Sie von Steuersenkungen gesprochen ha-
ben, wurden die Vorschläge der Ministerpräsidenten
Koch und Steinbrück zum Subventionsabbau berück-
sichtigt, damit dieser Haushalt überhaupt verfassungs-
konform ist.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja!)

Herr Bundeskanzler, Sie versuchen, uns immer einzure-
den, wir brauchten noch mehr Subventionsabbau,


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brauchen wir auch!)


zusätzlich zu dem, der schon im Haushalt eingerechnet
worden ist. Dann sagen Sie doch bitte einmal, an wel-
cher Stelle. Halten Sie die Menschen in diesem Lande
nicht für dumm und unterstellen Sie ihnen nicht, dass sie






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

nicht unterscheiden können zwischen dem Subventions-
abbau, der schon im Haushalt eingerechnet worden ist,
und dem Subventionsabbau, der für ein Vorziehen der
Steuerreform zusätzlich notwendig ist! So dumm sind
die Menschen in diesem Lande nicht. Deshalb werden
sie sich das nicht gefallen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist nur Ihre Hilflosigkeit!)


Es kommen noch weitere Unsicherheiten hinzu. Sie
wollen zwar den Mittelstand entlasten und diejenigen
fördern, die den Weg in die Selbstständigkeit gehen.
Aber schauen Sie sich einmal an, welche Unsicherheiten
sozusagen noch im Hintergrund lauern: ein SPD-Partei-
tagsbeschluss, ein Parteitagsbeschluss von den Grünen,
die Erbschaftsteuer, die Vermögensteuer und eine Aus-
bildungsabgabe. All das soll im November beraten wer-
den. Glauben Sie wirklich, dass sich ein Klima für Inves-
titionen und von Aufbruch in diesem Lande einstellt,
wenn die Menschen mit diesen Unsicherheiten leben
müssen?


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat sich schon eingestellt! Haben Sie es noch nicht gemerkt?)


Ich glaube es nicht. Wir verstehen, dass die Menschen in
diesem Lande nicht investieren, sondern dass sie Klar-
heit und Wahrheit über das, was notwendig ist, wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Miesmacherin!)


Deutschland bewegt sich – aber sehr vieles nur auf
der Stelle. Es gibt seit dem 14. März nicht ein einziges
Gesetzgebungsvorhaben,


(Joachim Poß [SPD]: Miesmacherin!)

das schon im Gesetzblatt steht. Manches ist zwar we-
nigstens auf den Weg gebracht worden, aber das Aller-
meiste ruht noch.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie verweigern sich doch!)


– Es liegt nicht daran, dass wir uns verweigern.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


– Die Ausblendung der Wirklichkeit war noch nie ein gu-
ter Ratgeber. Wir haben hier Woche für Woche gewartet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber Sie kamen nicht zu Potte, weil Sie Ihre Sonderpar-
teitage – die SPD hat am 1. Juni und die Grünen haben
erst am 14. Juni getagt – abwarten mussten. Wir könnten
in diesem Lande schon viel weiter sein. Das ist doch die
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie sitzen da und warten auf Koch und Merz!)

Es bestreitet doch überhaupt kein Mensch, dass in der
Agenda 2010 Schritte in die richtige Richtung enthalten
sind.


(Hubertus Heil [SPD]: Hört! Hört!)

Ich will an dieser Stelle noch einmal Kommissar Solbes
zitieren. Er hat gesagt, es sei nur ein erster Schritt und es
würden noch weitaus profundere und wichtigere Refor-
men notwendig sein.


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit Ihnen, Frau Merkel!)


Herr Bundeskanzler, Sie sprechen von einem beispiel-
losen Kraftakt, den Sie bewältigt haben. Dieser mag
nach innen stattgefunden haben. Aber das Land hat von
diesem Kraftakt noch nichts gemerkt. Die Situation ist
die gleiche wie im März.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich muss sagen, dass wir viele unerledigte Aufgaben
haben: die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und So-
zialhilfe und die Gemeindefinanzreform. Das Jahr ist
bald zu Ende.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja ganz schön schnelllebig!)


Sie haben über die Rentner gesprochen. Sollen wir
Sie eigentlich dafür loben, dass die Rentner die gesetz-
lich zugesagte Rentenerhöhung am 1. Juli pünktlich be-
kommen? Wohin sind wir eigentlich gekommen? Die
Rentner wissen nicht, was im nächsten Jahr Sache sein
wird. Sie wissen nicht, ob sie eine Erhöhung ihrer Ren-
ten bekommen werden oder ob die Schwankungsreserve
auf Null gestellt werden wird. Sie sind voll und ganz in
der Hand eines Finanzministers, der seinen Haushalt
nicht mehr im Griff hat. Das ist die Wahrheit für die
Menschen in diesem Lande.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es war immer ein gemeinsames Gut dieses ganzen

Hauses, dass Menschen, die auf eine Lebensleistung im
Arbeitsleben zurückblicken, nicht von der Kassenlage
des Bundeshaushalts abhängig sind. Wir werden dafür
Sorge tragen, dass Rentnerinnen und Rentner wieder auf
eine verlässliche Rentenformel bauen können und nicht
mehr länger Spielball Ihrer politischen Interessen sein
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie mal einen Vorschlag machen!)


Meine Damen und Herren, Solbes sagte, wir benötig-
ten mutige Reformen für den Arbeitsmarkt. Nach lan-
gem Zögern und Warten hat Herr Clement etwas vorge-
legt. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Von Mut kann an
dieser Stelle keine Rede sein.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ignoranz ohne Ende!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Wir haben einen alternativen Gesetzentwurf in die Bera-
tungen zur Reform des Arbeitsmarktes eingebracht, der
seinen Namen verdient. Ich nenne nur einige Punkte aus
diesem Gesetzentwurf.

Herr Clement, Sie gehen an den Kündigungsschutz
– das wissen Sie selbst – mehr kosmetisch heran, als
dass es wirklich hilft. Was bedeutet es eigentlich, wenn
in einem Betrieb mit fünf Beschäftigten der sechste bis
hundertste Beschäftigte nicht mehr gezählt wird, wenn
er einen befristeten Arbeitsvertrag hat? Das fördert doch
nur das Abschließen befristeter Arbeitsverträge, bringt
aber den Menschen, die einen Job annehmen, keine Ver-
lässlichkeit. Deshalb haben wir hierzu viel bessere Vor-
schläge gemacht. Übernehmen Sie sie; dann ist dieses
Land besser dran.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, zum Kernstück unserer

Arbeitsmarktreform: Sie werden nicht daran vorbei-
kommen, sich dem Thema betriebliche Bündnisse für
Arbeit zu widmen. In den vergangenen Wochen haben
wir einen Streik der IG Metall erlebt, der an den Men-
schen dieses Landes, vor allen Dingen an den Beschäf-
tigten in den neuen Bundesländern, vollkommen vorbei-
gegangen ist. Zum Schluss haben die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Füßen
abgestimmt, weil sie keine rechtliche Grundlage dafür
hatten, für sich betriebliche Regelungen zu finden, wie
wir sie in unserem Gesetzentwurf vorschlagen. Wenn Sie
es mit dem Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern wirklich ernst meinen und sie letzten Endes
nicht unter den Druck von ganz anderen Kräfteverhält-
nissen kommen sollen, dann sollten Sie aus dem Verhal-
ten der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer lernen und endlich das Thema betriebliche
Bündnisse für Arbeit auf die Tagesordnung setzen, damit
vernünftige Lohnvereinbarungen möglich werden. So
könnten die Beteiligten auch die Flexibilität aufbringen,
die man in Zeiten der Globalisierung braucht, damit die
Arbeitsplätze nicht in andere Länder, etwa nach Mittel-
und Osteuropa, abwandern. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich kann Ihnen nur eines anbieten: Machen Sie das,

was Sie im Niedriglohnbereich gemacht hatten. Gehen
Sie in den Vermittlungsausschuss und übernehmen Sie
unseren Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dünner Beifall aus den eigenen Reihen!)


Dann wird Deutschland einen wirklichen Schritt nach
vorn machen. Sie loben inzwischen ja selbst, was im
Niedriglohnbereich geschehen ist.

Meine Damen und Herren, wir haben die Kooperation
im Bereich des Gesundheitssystems mit der Absicht an-
genommen, redliche, ehrliche, faire Verhandlungen zu
führen. Unser gemeinsames Ziel ist die Begrenzung des
Beitrags auf 13 Prozent. Wir werden darauf achten, dass
das Ergebnis dieser Verhandlungen nicht der kleinste ge-
meinsame Nenner, sondern eine tragfähige Grundlage
sein wird, die den Menschen in diesem Lande ein Stück
Sicherheit gibt.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Vor allen Dingen darf es nicht zahnlos sein!)


Aber Tatsache ist auch, dass Sie in vielen Bereichen
weit weg davon sind, die notwendigen strukturellen Re-
formen anzupacken. Ihnen ist bis heute überhaupt nicht
das gelungen, was dieses Land eigentlich braucht: eine
Diskussion über die Ziele dessen, was Sie tun. Womit
sollen und wollen die Menschen in diesem Land in den
nächsten zehn Jahren ihr Geld verdienen? Welche Ar-
beitsplätze braucht Deutschland und was tun wir dafür,
damit sie erhalten werden? Schauen Sie einmal in Ihren
Haushalt: Die Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur
sind trotz Mautgebühren geringer als im vergangenen
Jahr,


(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

es gibt Unsicherheit in der Forschungslandschaft auf-
grund des Wegfalls der Mittel aus den UMTS-Lizenzen.

Schauen Sie sich einmal die Debatte über die Verpa-
ckungsverordnung an. Es dürfte überhaupt nur ein Ka-
binettsmitglied geben, das dieses Thema mit Freude er-
füllt. Deutschland diskutiert Stunden und Aberstunden
und verliert wegen hirnrissiger Vorschläge des Bun-
desumweltministers zur Verpackungsverordnung Ar-
beitsplätze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben Sie schon mit Töpfer gesprochen? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Glauben Sie wirklich allen Ernstes, dass es das zentrale
Problem Deutschlands ist, ob nunmehr auch kleine Glas-
fläschchen mit Apfelsaft bepfandet werden sollen? Ha-
ben Sie schon einmal überlegt, dass man bestimmte Sor-
ten von Colaflaschen überhaupt nicht mehr bekommt,
weil man sie nur noch dort abgeben kann, wo man sie
gekauft hat, und keine Flaschen mehr bei Coca-Cola an-
kommen? Der Schwachsinn kennt an dieser Stelle keine
Grenzen! Machen Sie endlich etwas Vernünftiges dar-
aus!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben Sie eingeführt! Das ist Ihr Gesetz, Frau Merkel! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Bundeskanzler, es reicht nicht, wenn Sie auf ir-
gendeiner Versammlung sagen, dass Ihnen das Regime,
nach dem die CO2-Lizenzen in Deutschland berechnetwerden sollen, suspekt erscheint. Sie müssen auf euro-
päischer Ebene darauf achten, dass solche Regelungen
handhabbar sind. Sie müssen auf europäischer Ebene da-
für eintreten, dass keine Chemikalienrichtlinie geschaf-
fen wird, die in Deutschland die gesamte chemische In-
dustrie zu Boden reißt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Sie müssen darauf achten, dass der gesamte pharmazeu-
tische Bereich nicht durch eine Positivliste kaputtge-
macht wird. Wenn Sie die Arbeitsplätze der Zukunft ha-
ben wollen, dann geht das über die Strukturreformen, die
Sie bisher benannt haben, weit hinaus


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es reicht nicht, an allem festzuhalten!)


und erfordert Forschungsfreundlichkeit sowie Technolo-
giefreundlichkeit – und die vermisse ich bei denjenigen,
die in der Mitte dieses Saales sitzen, ganz besonders.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb sage ich Ihnen: Deutschland muss wieder

nach vorne kommen.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Aha!)


Das ist unser aller Anliegen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben doch eben die Strecke rückwärts beschrieben!)


Sie haben in den letzten viereinhalb Jahren nichts, aber
auch gar nichts dazu beigetragen.


(Joachim Poß [SPD]: Sie haben doch mies gemacht! Sie sind die größte Miesmacherin!)


– Herr Poß, ich habe das heute früh schon einmal gehört
und möchte deshalb darauf eingehen: Wer hat wen mies
gemacht und wer hat die Realitäten beim Namen ge-
nannt?


(Hubertus Heil [SPD]: Wo ist Ihr Vorschlag?)

Wenn wir im vorigen Jahr gesagt hätten: „Es wird in die-
sem Jahr im Bundeshaushalt eine Nettoneuverschuldung
von 40 Milliarden Euro geben“, dann hätten Sie uns ge-
ziehen, dass wir Deutschland schlechtreden. Inzwischen
ist dies die Realität.

Es hat doch keinen Sinn, dass wir den Kopf in den
Sand stecken und uns nicht mit den realen Fakten aus-
einander setzen. Der Bundeskanzler hat hier wieder ein
kleines Gemälde von Hoffnung und Freude gezeichnet.
Aber schauen Sie sich doch einmal die Lage der Ge-
meinden bzw. der Kommunen an! Schauen Sie sich ein-
mal an, wie hoch zurzeit die Investitionen in Deutsch-
land sind!


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir wären schon viel weiter! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schulen können nicht mehr renoviert werden, Bibliothe-
ken erhöhen die Gebühren und Schwimmbäder schließen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was wollen Sie denn machen? Sie wollen doch nur den Griff in die Bundeskasse!)


Verschließen Sie doch nicht die Augen davor,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)

dass Sie eine Politik betrieben haben, die in diesem
Lande kein Wachstum ermöglicht, sondern es zurückge-
drängt hat und dass Deutschland deshalb in der derzeiti-
gen Lage ist.


(Joachim Poß [SPD]: Welches Steuermodell haben Sie denn für die Kommunen? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung!)


Wir glauben an die Kraft der Menschen in diesem
Lande. Wir glauben daran, dass Deutschland seinen An-
teil an der Globalisierung und seine Chancen nutzen
kann. Wir glauben daran, dass wir bestimmte Dinge
punktuell gemeinsam machen können. Aber, Herr Bun-
deskanzler, es bleibt auch die Zeit des Streites über den
besten Weg dafür, dass, wenn man dieses Land verlässt
und sich im Ausland über Deutschland unterhält, wieder
gesagt wird: Dieses Land ist wirklich in Bewegung. –
Wenn Sie heute nach Brüssel, nach Washington oder
nach Peking fahren, dann fragen die Menschen: Warum
schafft ihr es nicht, den Transrapid zu bauen? Warum
schafft ihr es nicht, Wachstum zu generieren? Warum
seid ihr die Letzten in Europa?

Deshalb sage ich Ihnen: Ohne Streit werden Sie nicht
voranzubringen sein. Wir sind die Kraft, die Sie in Be-
wegung setzt.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei wollen wir Ihnen weiterhelfen.
Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1505600500

Ich erteile das Wort Kollegen Franz Müntefering,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1505600600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Merkel, die Antwort auf Ihre Eingangs-
frage ist ganz einfach: Wohin geht die politische Reise in
Deutschland? Nach vorne!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Wahrheit ist einfach – Ihre Kurzsichtigkeit ist keine
Entschuldigung dafür, dass Sie hier so tun, als ob das
nicht zu erkennen wäre –: In den rund 100 Tagen seit
dem 14. März, seit der Agenda 2010


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ist nichts passiert!)


ist in Deutschland vieles in Bewegung gekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Franz Müntefering Grund [CDU/CSU]: Nicht ein Arbeitsloser ist von der Straße!)





(A) (C)


(B) (D)


Sie könnten das erkennen, wenn Sie wollten. Sie wollen
es nicht erkennen. Deshalb haben Sie heute eine Selbst-
findungsrede gehalten. Sie haben eine Fraktionsrede ge-
halten. Wenn der eigene Laden so durcheinander ist wie
bei Ihnen, dann muss man seine eigene Truppe anspre-
chen. Das haben Sie getan. Aber Sie haben nichts zu der
Frage gesagt, wie es in unserem Land weitergeht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben mit der Agenda 2010, in diesen 100 Tagen
beginnend und verstärkt, den Paradigmenwechsel der
Politik in Deutschland eingeleitet. Das war schwer. Das
bleibt schwer. Da gibt es viele Widerstände. Wir haben
uns an vielen Stellen durchgesetzt. Die Einsicht und die
Zustimmung zu diesem Projekt wachsen.

Wir haben vor allen Dingen mit der gefährlichen
Selbstzufriedenheit Schluss gemacht, die in den 90er-
Jahren in Deutschland gang und gäbe war. Jahr für Jahr
haben wir und haben auch Sie auf eine starke Konjunk-
tur gehofft, die die Strukturfragen des Landes irgendwie
löst oder überdeckt. Wir haben darauf gehofft, dass ein
hohes Wachstum in Deutschland uns davor bewahrt,
Strukturen verändern zu müssen, die nicht mehr zeitge-
mäß sind. Wer dieser Erkenntnis ausweicht, der kann
den Ansprüchen der Politik für die Zukunft nicht gerecht
werden. Wir haben daraus die Konsequenzen gezogen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Agenda 2010 ist längst ein Bündel konkreter
Maßnahmen geworden. Sie ist auch im europäischen
Ausland und in der Welt zum Synonym für die Hand-
lungsfähigkeit und Handlungswilligkeit in Deutschland
geworden.


(Dirk Niebel [FDP]: Die übernehmen das!)

– Sie mögen das leicht nehmen. Aber es ist so. Herr
Niebel, wenn man sich mit den Politikern in anderen
europäischen Ländern – dazu hatten wir am letzten Wo-
chenende Gelegenheit –, aber auch darüber hinaus unter-
hält, dann merkt man: Die Welt, Europa zumal, schaut
darauf, was wir in Deutschland mit der Agenda 2010
machen, ob wir den Mut und die Kraft haben, sie umzu-
setzen und aus ihr in vielerlei Hinsicht praktische Politik
zu machen.

Ziel ist, Innovationen zu stärken, den Kommunen zu-
sätzliche Investitionskraft zu geben, den Arbeitsmarkt zu
modernisieren, die sozialen Sicherungssysteme zu-
kunftsgerecht zu machen – immer mit der Zielsetzung,
Wohlstand zu sichern und soziale Gerechtigkeit zu er-
möglichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun sind die Umfrageergebnisse für uns, die Sozial-
demokraten, in den letzten Wochen und Monaten nicht
gut. Das sehen wir. Auch damit muss man sich aus-
einander setzen; das tun auch Sie. Aber wir machen
keine Politik entlang der Zahlen des „Politbarometers“
und werden das auch in Zukunft nicht tun. Vielmehr ori-
entieren wir uns an den Interessen dieses Landes. Das
wird sich zum guten Schluss auszahlen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer in dieser Gesellschaft Vertrauen gewinnen will,
der muss aufhören, nach der Melodie zu singen, die viele
von uns – auch Sie, auch wir – sich in den vergangenen
Jahren angewöhnt haben: Mal schauen, was die Men-
schen meinen. – Nein, wir müssen hören, was sie wollen
und was ihre Sorgen sind, aber dann die politischen
Konsequenzen daraus ziehen und die Menschen auf die-
sem Weg mitnehmen. Das werden wir auch in Zukunft
tun. Wir werden nicht auf das „Politbarometer“ schauen.
Wir werden mit unserem praktischen Handeln das Ver-
trauen der Menschen gewinnen. Das wollen wir und das
erreichen wir auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben uns in den letzten Tagen natürlich die
Frage gestellt: Wo ist die Opposition? Frau Merkel, ich
habe gelernt: Sie sitzen im Wartehäuschen. Das haben
Sie uns eben mitgeteilt.


(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie hatten über lange Zeit Gelegenheit, sich im Wind-
schatten unseres Regierungshandelns einen weißen Fuß
zu machen.


(Lachen des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/ CSU])


– Herr Schauerte auch. Das ist so weit in Ordnung. Aber
nun kommt der Punkt, an dem auch Sie eine Meinung
haben müssen. Ich weiß nicht, was bei Ihnen eigentlich
passiert ist. Der Bundeskanzler hat die Gesetze am
14. März angekündigt und wir haben sie vorbereitet.


(Zurufe von der CDU/CSU: Auf Parteitagen!)

Nun stellen wir fest: keine Ideen, keine Richtung, keine
Zuversicht, keine Meinung bei der Opposition.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Es wurde doch nichts gemacht!)


Ihr Problem ist, Frau Merkel, dass Sie zu viel daran den-
ken, wer wann bei Ihnen Kanzlerkandidat oder -kandida-
tin für 2006 werden könnte, und dass Sie zu wenig an die
Interessen dieses Landes denken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Das war aber gelungen!)


Vergessen Sie das mit der Kanzlerkandidatenfrage, Frau
Merkel. Bis dahin wird hinter den Anden noch so man-
cher Pakt geschlossen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

Als es in den vergangenen Tagen nun darauf ankam,

gab es bei der Union kein Konzept zum Gesundheitsmo-
dernisierungsgesetz und kein Konzept zur Handwerks-
ordnung.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie können doch zur Sache gar nichts sagen! Sie haben lediglich pauschal alles abgelehnt, was wir auf den Tisch gelegt haben. Da werden Sie sich noch korrigieren müssen. Bei Ihnen war kein Konzept zu erkennen. Das wurde nun auch am Wochenende deutlich, als es um das Vorziehen der Steuerreform ging. Solange Sie es selbst gefordert haben, fanden Sie es gut; jetzt, wo es konkret wird, (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was wird denn konkret?)


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!)


wissen Sie nicht mehr, ob Sie dafür oder dagegen sein
sollen. Wenn man sich anguckt, was dazu in den letzten
Wochen und Monaten von Ihnen gesagt wurde, dann
wird das deutlich. Friedrich Merz am 21. Juni: „Wir sind
nicht bereit, Harakiri zu machen.“ CDU-Vorstand am
21. Juni 2003: „Die CDU Deutschlands will, dass die
Bürger weniger Steuern zahlen. Sie erwartet, dass die
Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt, der die
dritte Steuerreformstufe vorzieht.“ Das Ganze ist dann in
unnachahmlicher Weise von Herrn Stoiber am 30. Juni
auf den Punkt gebracht worden.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Zitieren Sie mal Herrn Clement! – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Zitieren Sie doch mal Herrn Steinbrück!)


Edmund Stoiber: „Die Union sagt ja nicht Nein, sondern
die Union sagt: Ja, aber.“


(Lachen bei der SPD)

Das ist die Situation, in der Sie sich bewegen. Das kann
man gar nicht toppen, das ist kabarettreif. Aber Sie wer-
den sich entscheiden müssen, wenn Sie dabei sein wol-
len, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es könnte sein, dass bei einigen von Ihnen nicht die
Interessen Deutschlands im Mittelpunkt ihrer Überle-
gungen stehen, sondern dass sie sich in ihrem Oppositi-
onsdenken verlieren. Das geht nicht, Frau Merkel. Wir
brauchen die Opposition im Bundesrat in diesem Herbst,
wobei ich weiß, dass es besonders für Sie, Frau Merkel,
schwer ist, wenn mitten im warmen Sommer in der
CDU/CSU der März ausbricht. Dadurch entsteht bei Ih-
nen ein ziemliches Chaos, das haben wir schon festge-
stellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CDU)


Aber, meine Damen und Herren, die eigentliche An-
strengung beginnt erst; wir wissen das. Wir werden im
zweiten Halbjahr 2003 eine Reihe wichtiger Entschei-
dungen zu treffen haben, sowohl im Bundestag als auch
im Bundesrat. Im zweiten Halbjahr liegt die härtere Stre-
cke des Jahres vor uns. Aber es wird sich in diesem Jahr,
in 2003, im Wesentlichen entscheiden, ob Deutschland
den Weg nach vorn findet – wirtschaftspolitisch, finanz-
politisch, sozialpolitisch.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann legt doch endlich mal etwas vor!)


– Die Maßnahmen liegen auf dem Tisch. – Ich finde es
gut, dass wir begonnen haben, im Bereich des Gesund-
heitsmodernisierungsgesetzes zu verhandeln. Sie, Frau
Merkel, haben eben angesprochen, dass ein Beitragssatz
von 13 Prozent erreicht werden soll. Ich sage: Ja, daran
werden wir mitarbeiten; das ist auch unser Ziel. Aber ei-
nes muss klar sein: Es kann nicht nur darum gehen, das
Geld, das für das Gesundheitswesen gebraucht wird,
anders zu finanzieren, sondern die Struktur des Gesund-
heitswesens muss so verändert werden, dass die Produk-
tivität im Gesundheitswesen steigt und im Gesundheits-
wesen auch gespart werden kann. Das ist Bedingung für
das, was wir miteinander erreichen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb kann nicht die einfache Formel gelten: Was
die Arbeitgeber nicht mehr zahlen, damit die Lohnne-
benkosten sinken, das müssen jetzt die Arbeitnehmer al-
lein bezahlen, sondern wir werden einen vernünftigen
Mix erreichen müssen. Ich glaube, dass wir es das schaf-
fen.

Zum Thema Kommunen. Frau Merkel, es ist richtig,
dass die Investitionskraft der Kommunen gestärkt wer-
den muss. Das wissen wir schon lange. Sie aber haben
vor einigen Wochen nicht verhindert – vielleicht konnten
Sie es auch nicht –, dass im Bundesrat das Steuerver-
günstigungsabbaugesetz aufgehalten wurde. Dadurch
wären den Städten und Gemeinden bis zum Jahr 2006
6 Milliarden Euro zugekommen. Das haben Sie verhin-
dert.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Es ist nicht ehrlich, dass sich die Bürgermeister und
Oberbürgermeister der CDU darüber beschweren, sie
hätten kein Geld, während Sie im Bundesrat verhindern,
dass sie Geld bekommen. Das ist nicht in Ordnung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden eine Gemeindefinanzreform auf den Weg
bringen und die Gewerbesteuer aktivieren. Wir werden
die freien Berufe einbeziehen. Wir werden dafür sorgen,
dass die Kommunen durch die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe angemessen entlastet
werden. Denn wir wissen: Es ist besonders für die Hand-
werksbetriebe, für die kleinen und mittleren Unterneh-
men wichtig,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die zwangsbesteuert werden!)







(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

dass die Arbeit, die es vor Ort in den Städten und Ge-
meinden gibt, auch getan werden kann.

Es gibt auch weiterhin eine hohe Investitionsquote im
Haushalt des Bundes. Frau Merkel, Sie haben gesagt, die
Investitionsquote sei im Jahr 2004 niedriger als in die-
sem Jahr. Das hängt im Wesentlichen damit zusammen,
dass im Haushalt des nächsten Jahres keine Mittel für
Flutopferhilfe enthalten sind. Das war nämlich der
Grund für die Höhe in diesem Jahr. Auch im nächsten
Jahr liegt die Investitionsquote bei etwa 25 Milliarden
Euro. Ein Großteil davon fließt in Maßnahmen in Ost-
deutschland. Das ist gut so und soll auch so bleiben, weil
dort noch vieles aufzuarbeiten ist. Wir bleiben bei einer
hohen Investitionsquote des Bundes, auch zugunsten des
Ostens Deutschlands.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit ist
gesichert, dass die ABM- und die SAM-Maßnahmen, so
wie am 14. März vom Bundeskanzler zugesagt, in Ost-
deutschland im erforderlichen Umfang zur Verfügung
stehen. Wir wissen, dass es diese Maßnahmen nicht
mehr flächendeckend wie bisher in Deutschland geben
muss. Dort, wo sie nötig sind, werden die notwendigen
Mittel aber zur Verfügung stehen.

Wir haben die Änderung der Handwerksordnung
auf den Weg gebracht. Dazu gibt es Kritik, auch aus Ih-
ren Reihen. Was mich nur wundert, ist, dass nach dem
Motto diskutiert wird: Alles oder nichts. Dabei wissen
wir doch ganz genau, dass mit Blick auf die Handwerks-
ordnung etwas verändert werden muss, alleine um sie
europafest zu machen. Denn es besteht in Deutschland
die absurde Situation, dass Gesellen aus anderen Län-
dern Europas zu uns kommen und Betriebe aufmachen
können, ohne dass sie den Meisterbrief dafür brauchen.
Das bringt die Freizügigkeit in Europa mit sich. Umge-
kehrt gehen deutsche Gesellen aus Nordrhein-Westfalen
in die Niederlande und gründen dort Unternehmen, um
in Deutschland am Arbeitsmarkt tätig zu sein.

Es besteht also die Notwendigkeit, die Handwerks-
ordnung zu verändern und sie europakompatibel zu ma-
chen. Dem dürfen wir nicht aus dem Weg gehen. Des-
halb lautet meine herzliche Bitte an Sie, auch in diesem
Punkt aus der Totalopposition herauszukommen. Wir
wollen im Interesse des Handwerks, im Interesse der Ge-
sellen, im Interesse des Arbeitsmarktes in Deutschland
und im Interesse der Bekämpfung der Schwarzarbeit die
Handwerksordnung modernisieren. Wir wollen sie öff-
nen und so dafür sorgen, dass es in diesem Bereich mehr
Impulse geben kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden in diesem Herbst Entscheidungen im Be-
reich Ausbildung zu treffen haben. Wir wissen, dass wir
mit unseren Ankündigungen den einen oder anderen in
der Wirtschaft verschrecken. Das wollen wir eigentlich
nicht. Wir wollen den Unternehmen nicht drohen, es
werde, wenn nicht eine ausreichende Zahl an Ausbil-
dungsplätzen zur Verfügung gestellt werde, etwas pas-
sieren. Allerdings ist Folgendes unverzichtbar – dazu
stehen wir –: Wir müssen in Deutschland erreichen, dass
die jungen Menschen, die aus der Schule kommen, die
Chance haben, eine Ausbildung oder eine Arbeit zu be-
kommen oder in berufsvorbereitenden Maßnahmen auf
ihr Berufsleben vorbereitet zu werden. Wenn nicht aus-
reichend viele Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen
– es wird sich am 30. September zeigen, ob das Angebot
ausreicht oder nicht –, dann müssen wir als Politiker da-
raus Konsequenzen ziehen und dafür sorgen, dass die
jungen Menschen eine Chance bekommen. Da sind wir
in der Pflicht. Das werden wir auch erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden auch Entscheidungen im Bereich Inno-
vationen zu treffen haben. Hierzu haben wir in der letz-
ten Legislaturperiode viel getan und viel von dem aufge-
arbeitet, was Sie in den 90er-Jahren haben liegen lassen.
Wir werden auch im nächsten Jahr 3 Prozent mehr für
Großforschungseinrichtungen geben. Hier gibt es auch
Erfolge. Durch die Halbleiterförderung zum Beispiel ha-
ben inzwischen allein in Dresden etwa 11 000 Menschen
in diesem Bereich Beschäftigung gefunden, bei etwa
16 000 Menschen in der Bundesrepublik insgesamt.
Wenn man die Rechnung über Kosten und Nutzen auf-
macht, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass etwa
2 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln hineinfließen,
dass aber etwa 6 Milliarden Euro bis zum Jahre 2010 er-
wirtschaftet werden.

Wir haben erreicht, dass die Zahl der Menschen, die
in Unternehmen beschäftigt sind, welche sich schwer-
punktmäßig mit Biotechnologie befassen, seit 1999 um
66 Prozent gestiegen ist; das sind 15 000 Arbeitsplätze.


(Zuruf von der FDP)

Auch um die Intention, über Innovation, über neues

Wissen, über neue Fähigkeiten den Wohlstand langfris-
tig zu sichern, wird es in diesem Herbst in Deutschland
gehen. Ich kann nur hoffen, dass Sie dabei sein werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Lächerlich!)


Wir werden in diesem Herbst bei allen Themen, über
die wir zu diskutieren haben, auch über die Finanzpoli-
tik, über die Stabilität und über das Wachstum, die damit
verbunden sind, sprechen. Wir werden dabei des Weite-
ren über unser gemeinsames Anliegen, uns durch Sub-
ventionsabbau Finanzierungsspielräume für öffentliche
Aufgaben zu verschaffen, sprechen.

Dabei werden wir Sie zunächst einmal an unser An-
liegen erinnern, die Gewinnmindestbesteuerung mög-
lich zu machen. Das haben Sie im Bundesrat abgelehnt.
Wenn ich mir manche Gesichter hier anschaue, dann
habe ich den Eindruck, es tut Ihnen ein bisschen Leid,
dass Sie dort so damit umgegangen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Aber nun gar nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

Das Ziel, dass die großen Unternehmen Körperschaft-
steuer mindestens für die Hälfte dessen zahlen, was sie als
Gewinn haben, ist nämlich ein legitimes Ziel. Wir werden
das erneut auf die Tagesordnung bringen. Sie werden sich
dann entscheiden müssen, was Sie tun wollen.

Außerdem werden wir einen Vorschlag zur Verände-
rung der Eigenheimzulage machen. Damit soll erreicht
werden, dass mehr in den Bestand investiert und mehr
Rücksicht auf die veränderte Lage am Wohnungsmarkt
und bei der Bevölkerungsentwicklung genommen wird.
Die Bevölkerungszahl wird in fünf bis zehn Jahren
schrumpfen. Die Zahl der Wohnungen in Deutschland ist
ausreichend, aber die Wohnungen sind nicht immer am
richtigen Platz. Deshalb ist es richtig, jetzt verstärkt da-
rauf zu setzen, dass in den Bestand in den Stadt- und
Ortskernen investiert wird. Diesen Weg werden wir
Schritt für Schritt gehen. Das bedeutet, dass wir bis zum
Jahre 2010 etwa 4,4 Milliarden Euro für Investitionen in
den Bestand einsetzen, dies allerdings unter Aufgabe
dessen, was bisher an Eigenheimzulage gewährt worden
ist. Diese Tendenz ist richtig; gar keine Frage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir werden ferner über die
Entfernungspauschale sprechen. Dabei wird es um die
Modalitäten gehen. Die Frage ist hier, ob Sie sich an der
Stelle bewegen. Wir wissen, dass wir in dieser Frage auf-
einander zugehen müssen. Es gibt Argumente dafür,
hiermit sozialpolitisch und regionalpolitisch vernünftig
umzugehen. Mehr möchte ich dazu heute nicht sagen.
Den Hinweis darauf, dass wir mehrere Vorschläge dafür
gemacht haben, welcher Weg beschritten werden kann,
wollte ich hier allerdings noch kurz geben. Nun sind Sie
dran und müssen auch einmal deutlich machen, was Sie
sich eigentlich vorstellen, wenn Sie, Herr Merz, sagen,
dass es dafür einen Gegenfinanzierungsvorschlag geben
müsse. Was, bitte schön, meinen Sie damit?

In diesem Herbst gibt es ein weiteres ganz wichtiges
Thema, das auch der Kanzler angesprochen hat – die
Renten, die Alterssicherung –, das auch mit dem
Haushalt 2004 in Verbindung steht. Wir haben entschie-
den, dass im Haushalt festgelegt werden soll – so steht es
jetzt auch dort –, dass der Rentenversicherungsbeitrag
im Jahre 2004 nicht über 19,5 Prozent steigen soll und
dass der Bundeszuschuss für die Alterssicherung, für die
Rente um 2 Milliarden Euro reduziert wird. Das hat fi-
nanzielle Konsequenzen in einer Größenordnung von
etwa 5 oder 6 Milliarden Euro insgesamt. Darüber und
wahrscheinlich zeitgleich auch über die Pflegeversiche-
rung wird zu sprechen sein, wenn im Oktober, so denke
ich, im Deutschen Bundestag die Rentengesetzgebung
auf der Tagesordnung steht. Ich weiß, dass dieses Thema
nicht populär ist. Ich möchte das bei dieser Gelegenheit
aber schon ankündigen, damit sich alle darauf einstellen
können, vielleicht dieses Mal auch Sie. Nutzen Sie also
die drei Monate und bilden Sie sich eine eigene Meinung
zu diesen Themen, damit Sie dann, wenn wir die Gesetze
auf den Tisch legen, handlungsfähig sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Im Wesentlichen wird es hierbei um den Nachhaltig-
keitsfaktor bzw. um die Frage gehen, wie beim Anstieg
der Renten eine gewisse Analogie zu dem erreicht wer-
den kann, was die Aktiven erhalten. Das ist nämlich das
Geheimnis des Nachhaltigkeitsfaktors. Bisher ist das in
Deutschland nicht bzw. nicht in hinreichendem Maße
gegeben. Deshalb besteht hier Regelungsbedarf. Es muss
in Gesetzen neu fixiert werden, wohin die Reise gehen
soll.

Meine Damen und Herren, was wir in den letzten Jah-
ren und insbesondere in der allerletzten Zeit gelernt ha-
ben,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben etwas gelernt? Das ist bemerkenswert!)


ist, dass nichts von dem, was errungen worden ist, was
erstritten worden ist, sicher ist auf immer, auch nicht der
Wohlstand. Das haben wir alle in Deutschland lange ge-
glaubt; Herr Glos, Sie und ich auch. Das ist eine Genera-
tionenfrage.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Nein! Ich habe immer geglaubt, dass das nur mit Arbeit geht!)


– Doch, das haben Sie. – Wir hatten fünfzig gute Jahre
und haben geglaubt, das sei selbstverständlich. Nun mer-
ken wir plötzlich, dass das nicht so ist und dass wir den
Menschen sagen müssen: Ihr müsst vorsorgen und an
morgen und übermorgen denken. Das nimmt natürlich
Impulse aus der Wirtschaft und aus dem Handeln der
Menschen heraus.

Die Menschen in Deutschland müssen verstehen, dass
es anstrengend wird, sie müssen hier und dort Abstriche
machen. Dieses Land ist aber stark genug, um wieder
nach vorne zu kommen. Wir haben alle Potenziale, um
Deutschland wieder nach vorne zu bringen. Das werden
wir mit Gerhard Schröder, dieser Bundesregierung und
dieser Koalition tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ohne Lob und ohne Tadel: Vier!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1505600700

Ich erteile Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Frak-

tion, das Wort.

(Beifall bei der FDP – Anhaltende Zurufe eines Zuschauers von der Besuchertribüne – Der Zuschauer wirft Flugblätter in den Saal)


Bitte schön, Kollege Westerwelle. Jetzt ist die nötige
Ruhe wieder eingekehrt.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1505600800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Bundeskanzler, Sie haben am Wochenende auf
Ihrer Klausurtagung beschlossen, dass Sie die Schritte
zur Steuersenkung vorziehen, also den Weg der Steuer-
senkungen gehen wollen. Für die liberale Opposition in
diesem Hause will ich erklären: Wenn Sie den Weg von






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

Steuersenkungen wirklich gehen wollen und wenn Ihren
Worten auch Taten folgen, dann werden Sie die Unter-
stützung der Freien Demokraten in diesem Hause dafür
haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage das deshalb, weil wir Liberale uns natürlich
an das erinnern, was wir selber in Wahlkämpfen immer
wieder gesagt haben.


(Hubertus Heil [SPD]: Im Gegensatz zur CDU/CSU!)


Im Bundestagswahlkampf und in jedem anderen Wahl-
kampf sowie bei jeder wirtschaftspolitischen Debatte in
diesem Hause haben wir gesagt: Herr Bundeskanzler,
gehen Sie den Weg der Steuersenkungspolitik! Eine
Steuersenkungspolitik ist das beste Beschäftigungspro-
gramm.

Herr Bundeskanzler, erhöhen Sie sich aber bitte nicht,
indem Sie das als eine geniale Erkenntnis an diesem Wo-
chenende für sich vereinnahmen. Seit Jahren werden Sie
in Richtung Steuersenkungen getrieben. Jahrelang waren
Sie nicht bereit dazu. Hätten Sie den Weg der Steuersen-
kungspolitik früher beschritten, dann hätten heute Hun-
derttausende von Menschen mehr eine Arbeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wollen wir an dieser Stelle auch klar machen.
Sie sagen hier, die Opposition habe dieses und jenes

nicht mitgemacht. So weit sind wir noch gar nicht; denn
von Ihnen liegt überhaupt nichts vor.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

So sehr ich den Ansatz der Mitwirkung auch bei den
Kolleginnen und Kollegen der Union teilweise nicht
teile, so sehr ist aber die Kritik an dem, was Sie heute
Morgen hier geboten haben, berechtigt. Wir kommen
hierher und denken, dass es nach dieser Klausurtagung
eine Regierungserklärung gibt, in der uns der Bundes-
kanzler sagen wird, wo die Privatisierung, der Subventi-
ons- und der Bürokratieabbau erfolgen werden und wie
viel Schulden er machen will. Nichts davon haben Sie
hier gebracht – Lyrik, Paraphrasen und Märchenstunde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist für eine Regierungserklärung in einer solch ver-
heerenden Situation für unser Land zu wenig.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mehr kann er nicht!)


Sie sagen, Sie berufen sich auf das, was Sie in Ihrer
Regierungserklärung am 14. März hier gesagt haben. Ich
erinnere mich noch sehr genau daran, weil ich die Ehre
hatte, Ihnen für unsere Fraktion auf diese Regierungser-
klärung zur so genannten Agenda 2010 zu antworten.
Wir haben Ihnen mit Anträgen nicht nur einmal, sondern
dutzendfach deutlich gemacht: Ziehen Sie diese Steuer-
senkungsschritte vor. Damals haben Sie uns – das haben
Sie heute sogar zitiert – zu den Neunmalklugen der öf-
fentlichen Diskussion gestempelt. – Herzlich willkom-
men im Klub der Neunmalklugen, Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Wahrheit ist es doch so, dass Sie den Weg der Steu-
ersenkungspolitik nicht aus innerer ordnungspolitischer
Überzeugung gehen wollen, sondern weil Sie, getrieben
durch Meinungsumfragen, erkennen, dass Ihr bisheriger
Regierungsweg ein Crashkurs für unser Land war und
dass die Menschen dies bemerkt haben. Aber Sie müssen
jetzt konkret werden. Ich sage noch einmal: Wenn Sie
konkret werden und den Weg der marktwirtschaftlichen
Erneuerung gehen wollen, dann werden wir mit unserem
gewachsenen Gewicht in den Ländern dafür sorgen, dass
es keine Blockadepolitik gegen die Interessen unseres
Landes gibt.

Aber Sie müssen auch konkret werden. Sagen Sie der
Opposition bitte nicht, sie würde nur darauf warten, dass
Sie etwas vorlegen. Von den Freien Demokraten gibt es
zu jedem Reformprojekt in diesem Lande konkrete Ge-
setzesinitiativen. Lesen Sie sie! Vielleicht kommen Sie
dann zu besseren Erkenntnissen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen:
Wir in der Opposition


(Hubertus Heil [SPD]: Werdet dort bleiben!)

werden uns heute anders verhalten, als Sie sich damals
in der Opposition verhalten haben; denn wir kennen un-
sere staatspolitische Verantwortung für Deutschland.
Wir werden nicht so wie Sie 1997 die Petersberger Be-
schlüsse, die vermutlich beste Steuersenkungsreform,
die in diesem Hause jemals beschlossen worden ist, im
Bundesrat blockieren. Die Verantwortung dafür tragen
Herr Lafontaine, Sie, Herr Bundeskanzler, und Herr
Eichel als Ministerpräsident. Sie haben damals diese
Blockadepolitik zum Schaden für unser Land durchge-
führt. Wir haben das damals kritisiert. Wir werden es
heute nicht so machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dieses Land wäre weiter, wenn Sie nicht jedes Mal

nur auf Meinungsumfragen, bevorstehende Wahlen und
Wahlergebnisse reagieren würden. Sie sprechen hier von
einem beispiellosen Kraftakt.


(Hubertus Heil [SPD]: Stimmt!)

Ich muss wirklich fragen: Was war das bisher? Bisher
bestand der beispiellose Kraftakt des Bundeskanzlers da-
rin, dass er als SPD-Vorsitzender einen Parteitag der
SPD hinter sich gebracht hat.


(Hubertus Heil [SPD]: Das kennen Sie ja von der FDP!)


Wenn schon das ein Kraftakt sein soll – dass dies
schwierig ist, weiß jeder Parteivorsitzende –, dann muss
die deutsche Einheit dagegen ein Spaziergang gewesen
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

Gleiches gilt für Ludwig Erhard mit der Einführung der
sozialen Marktwirtschaft. Der Kraftakt liegt nicht hinter
Ihnen, sondern vor Ihnen und vor dem ganzen Haus. Zu
dieser notwendigen Erkenntnis müssen Sie in der deut-
schen Politik endlich gelangen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anlässlich Ihres gestrigen Besuchs im sächsischen
Pirna, Herr Bundeskanzler, erinnere ich an die Debatte
im August 2002 vor der Bundestagswahl, in der wir über
die Finanzierung der Hochwasserhilfen gesprochen
haben. Als Sie seinerzeit beschlossen haben, die weite-
ren Schritte der Steuersenkungen zu verschieben, um die
Hilfen für die Flutkatastrophe finanzieren zu können, ha-
ben wir Ihnen gesagt: Für Deutschland wäre es besser,
die Katastrophe des Hochwassers nicht mit der Katastro-
phe von mehr Steuern und damit mehr Arbeitslosigkeit
bekämpfen zu wollen. Wir haben Ihnen geraten: Gehen
Sie den Weg der Steuersenkungen. – Ich habe einmal
nachgelesen, was damals für Zwischenrufe gemacht
wurden. Der Kollege Tauss hat gerufen: Freibier für alle.
Dieser Zwischenruf kam aus den Reihen der SPD. Der
Kollege Tauss nimmt anstandshalber wenigstens an die-
ser Debatte nicht teil. Er müsste rote Ohren bekommen,
wenn er seine Zwischenrufe von damals hören würde.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Scheel, was haben Sie noch vor wenigen Tagen
alles erzählt? Ich habe die Zeitungsausschnitte noch ein-
mal nachgelesen, die mir Herr Kollege Solms vorgelegt
hat, der das zusammen mit unseren anderen Freunden,
die in diesem Bereich arbeiten, noch viel detaillierter
verfolgt. Frau Scheel, Sie haben den Freien Demokraten
gesagt, Steuersenkungspolitik im Interesse eines Auf-
schwungs zu verfolgen, sei Voodoo-Ökonomie. Offen-
sichtlich sind auch Sie diesem Zauber endlich erlegen.
Gott sei Dank, kann ich dazu nur sagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch Voodoo-Kultur!)


– Frau Scheel, schweigen Sie.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN)

Lesen Sie in aller Ruhe nach, was Sie gesagt haben. Ich
glaube, fast jede Ihrer Reden sollten Sie genüsslich auf-
essen.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat noch keiner geschafft!)


Es ist ein Treppenwitz, was von Ihnen dazu gekommen
ist.


(Beifall bei der FDP)

Für diese Debatte sollten Sie, Frau Scheel, aus Gründen
des Stils Buße tun und sagen: Jawohl, ihr Liberalen, ihr
seid Klasse. Dazu haben Sie wirklich Grund.
Ich möchte Ihnen jetzt gern einmal sagen, welche
konkreten Finanzierungsvorstellungen wir zu diesem
Punkt vorgelegt haben. Auch diese Debatte ist aberwit-
zig. Sie sagen, es gebe keine Vorschläge der Opposition.
Jeder Bürger, der uns jetzt zuschaut, kann in dieser
Stunde im Internet nachlesen, dass wir Freie Demokra-
ten Ihnen auf Euro und Cent vorgerechnet haben, wie die
Steuersenkungspolitik zu finanzieren ist. Gehen wir ins
Detail und fangen wir mit der Privatisierungsstrategie
an, die Sie, Herr Bundeskanzler, zu Recht nach Ihrer
Klausurtagung vor der imposanten Kulisse des Schlosses
vorgetragen haben. Das macht Ihnen übrigens keiner
nach.


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Neid!)


Das muss man professionell anerkennen. Sie machen
eine Show, die wirklich unvergleichlich ist. Dagegen ist
der Auftritt von George Bush auf dem Flugzeugträger
rein gar nichts. Es ist wirklich beeindruckend, wie Sie
das machen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nur kein Neid, Herr Westerwelle!)


Ich möchte Ihnen jetzt einmal vorlesen, was in Wahr-
heit das Sparbuch dieser Republik ist. Reden wir einmal
über die Privatisierungsstrategie. Im Beteiligungs-
bericht der Bundesregierung stehen mittlerweile
426 Beteiligungen nur des Bundes. Das beginnt im
alphabetischen Verzeichnis mit der „Abwicklungsgesell-
schaft Kabelsysteme GmbH & Co. KG“ in Hagen-
Erkrath und hört mit der Nummer 426 mit der „ZugBus
Schleswig-Holstein GmbH“ in Kiel auf. Wir stellen fest,
dass wir Reisebüros besitzen und erhebliche Anteile an
Personalberatungsbüros haben.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer, die FDP?)


– Wir, das Volk. Sie haben ein spannendes Staatsver-
ständnis. – Frau Scheel, weil Sie es immer noch nicht
verstanden haben: Wir Politiker sind nicht die Eigen-
tümer von Steuergeldern, sondern die Treuhänder. Ent-
sprechend müssen wir uns verhalten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bringen Sie endlich dieses Buch auf den Markt. Wenn
Sie es selber nicht können, dann beauftragen Sie eine
Unternehmensberatung, die Ihnen zeigt, wie man so et-
was macht. Das ist kein Tafelsilber, das wir verscherbeln
wollen, sondern das ist in Wahrheit Senkblei um den
Hals der Steuerzahler. Das gehört endlich privatisiert.
Dann können wir jede Steuersenkungsreform lässig fi-
nanzieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans Eichel, Bundesminister: Quatsch!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

Der Bundesfinanzminister ruft „Quatsch“ dazwischen.
Herr Bundesfinanzminister, ich sage Ihnen voraus: Ge-
nau das werden Sie machen. Dass dieser Finanzminister
immer zur besseren Erkenntnis getrieben werden muss,
ist meines Erachtens auch ein Problem in diesem Lande.


(Beifall bei der FDP)

Sie, Herr Finanzminister, sind ein Buchhalter, aber von
einer dynamischen Wirtschaftspolitik verstehen Sie gar
nichts.

Gehen wir weiter zur Subventionspolitik. Auch dazu
gibt es einen konkreten Vorschlag von den Freien Demo-
kraten in diesem Hause. Wir sagen Ihnen: Nach der Pri-
vatisierung kürzen Sie die Subventionen. Wir sagen Ih-
nen nicht nur gezielt, welche Subventionen gekürzt
werden können, wir haben Ihnen auch vorgerechnet, wie
die Subventionen durch einen linearen Abbau in Höhe
von 20 Prozent zurückgeführt werden können. Das ist
ohnehin ordnungspolitisch dringend geboten. Es ist
nämlich verdammt unfair, dass die Großen Subventionen
bekommen und dann mit Dumpingangeboten die Klei-
nen kaputtmachen.


(Beifall bei der FDP)

Aber was machen Sie? Holzmann. Das ist typisch Bun-
deskanzler Schröder.


(Otto Schily, Bundesminister: Roland Koch!)

Deswegen fordern wir eine Subventionskürzung von
20 Prozent, sie ist in diesem Land notwendig.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass diese
Opposition konstruktive Vorschläge vorgelegt hat. Wenn
Sie diese jetzt nach und nach aufnehmen, soll uns das
herzlich willkommen sein, denn es geht um unser Land
und darum, dass Arbeitsplätze entstehen. Es geht um
Wirtschaftswachstum und es wäre besser, wir würden
mehr machen als das, was von Ihnen jetzt zaghaft begon-
nen wurde.

Das ist das zweite große Thema. Wir glauben viel-
leicht, dass wir durch diese wenigen marktwirtschaftli-
chen Ansätze, die jetzt von der Regierung vorgeschlagen
werden, in der Lage wären, die Kurve in Deutschland zu
kriegen. Das ist falsch. Das Reformkonzept, das Sie bis-
her vorgelegt haben, ist – wenn alles gut geht – besten-
falls dazu geeignet, einen weiteren Anstieg der Arbeits-
losigkeit zu verhindern. Einen Rückgang der
Arbeitslosigkeit werden Sie damit aber nicht bewirken;
denn in Wahrheit bleiben Sie wieder in sämtlichen Fra-
gen auf halber Strecke – manchmal bereits auf den ersten
10 Prozent der Strecke – stehen. Ob in der Privatisie-
rungspolitik, beim Subventionsabbau oder beim Büro-
kratieabbau – wo bleiben denn die Gesetzentwürfe, die
Sie mit der Agenda 2010 im März angekündigt haben?
Wo bleibt die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe
und der Sozialhilfe, die wir immer wieder gefordert ha-
ben? Setzen Sie sie um! Wir machen gerne mit.

Es reicht nicht aus, eine lyrische Regierungserklärung
vorzulesen. Als Bundeskanzler müssen Sie Taten vor-
weisen und konkret dazu Stellung nehmen, was Sie vor-
haben. Dass Sie – nachdem am Wochenende die Streiks
in Ostdeutschland Gott sei Dank zusammengebrochen
sind – in Ihrer heutigen Regierungserklärung das Thema
„Tarifrecht und Arbeitsmarkt“ im Grunde genommen
wieder völlig aussparen, ist ein weiteres großes Problem.

Mit der Steuersenkungspolitik werden mit Sicherheit
ein paar Fortschritte in diesem Land erzielt. Wenn aber
die notwendigen Strukturreformen ausbleiben, scheitert
das Vorhaben schon, bevor die Umsetzung richtig begin-
nen konnte.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Ich möchte an dieser Stelle betonen: Es ist ein Ver-

dienst der Ostdeutschen, dass sie den Gewerkschafts-
funktionären endlich gezeigt haben, dass eine solche
Politik nicht gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer in diesem Land betrieben werden kann. Es ist
ein Verdienst der Ostdeutschen, dass dieses Tarifkartell
endlich durchbrochen wurde. Gehen wir endlich noch
weiter! Wenn sich 75 Prozent der Belegschaft eines Un-
ternehmens mit der Unternehmensführung auf ein be-
stimmtes Vorgehen verständigen wollen, dann soll das
auch gelten dürfen, ohne dass es ein Funktionär verhin-
dern kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie das nicht schaffen, dann wird über das, was
Sie bisher vorgelegt haben, hinaus nichts erreicht wer-
den.

Lassen Sie mich abschließend feststellen: Der Unter-
schied zwischen dem, was Sie bisher vorgelegt haben,
und unserer Politik ist der Unterschied zwischen einer
buchhalterischen und einer dynamischen Wirtschaftspo-
litik.


(Hubertus Heil [SPD]: Genau! Unsere ist dynamisch!)


Sie wollen schon jetzt und mit hohem Tempo die Neu-
verschuldung erhöhen. Wir hingegen weisen Sie darauf
hin, dass eine Steuersenkungspolitik in diesem Lande
nicht nur im Interesse neuer Arbeitsplätze nötig ist, son-
dern dass sie auch ohne zusätzliche Neuverschuldung fi-
nanzierbar ist. Wir haben im Zusammenhang mit dem
Subventionsabbau und der Privatisierungspolitik vorge-
rechnet, wie das funktioniert.

Hüten Sie sich davor, zu schnell das süße Gift der
Schulden zu nehmen, nur weil Sie damit auf den ge-
ringsten Widerstand in Ihren eigenen Reihen stoßen!


(Hubertus Heil [SPD]: Das kennen Sie von Kohl!)


Schlagen Sie den vernünftigen Weg der Strukturrefor-
men ein! Deutschland hat das verdient. Wir kennen un-
sere staatspolitische Verantwortung.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die ganzen Schulden aufgebaut? Das waren doch Sie!)


Wir werden Sie auf Ihrem Weg begleiten, wenn es denn
ein Weg der Vernunft ist.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

Den Worten zur Steuersenkung müssen aber endlich

Taten folgen. Die Menschen wollen nicht mehr, dass Sie
nur reden, Herr Bundeskanzler. Sie wollen sehen, dass
Sie handeln. Sie hatten genug Zeit. Hauptsache, Sie keh-
ren endlich um! Besser für dieses Land wäre allerdings,
Sie würden abtreten. Neuwahlen wären das beste Be-
schäftigungsprogramm für Deutschland!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ziemlich einfallslos! – Joachim Poß [SPD]: Herr Westerwelle steigert sich! Er wird immer flacher!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505600900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager,

Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505601000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den

vergangenen Tagen und Wochen hat diese rot-grüne Re-
gierung etwas auf den Weg gebracht, das sich sehen las-
sen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind auch aus grüner Sicht mit den Vereinbarungen,
die in Neuhardenberg getroffen worden sind, hochzufrie-
den.

Herr Westerwelle, auf die Frage, welches der bessere
Weg ist, gibt es nur eine Antwort: lieber mit dem Kanz-
ler in Neuhardenberg als mit Ihnen im Container!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir machen jetzt unter schwierigen Rahmenbedin-
gungen Ernst mit den notwendigen Strukturreformen.
Wir bringen auch Bewegung in den Arbeitsmarkt. Wir
haben bereits damit angefangen und werden im Herbst
fortfahren. Darüber hinaus unternehmen wir besondere
Anstrengungen, damit junge Menschen unter 25, aber
auch ältere Langzeitarbeitslose eine Chance haben, wie-
der in den Arbeitsmarkt zu kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Westerwelle, ein Mitglied Ihrer Fraktion hat zu
den besonderen Anstrengungen, älteren Arbeitslosen
wieder eine Chance zu geben, gesagt, man solle kein
Geld für hoffnungslose Fälle ausgeben. Das unterschei-
det uns in der Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie das unter Dynamik verstehen, dann kann ich
Ihnen nur sagen, dass Sie damit alleine dastehen. Das ist
Ausdruck Ihrer Ellbogenmentalität und hat mit Dynamik
nichts zu tun. Das ist nur zynisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Namen! Wer, wo, wann?)

– Ich kann Ihnen das aus dem Pressespiegel heraussu-
chen. Das ist überhaupt kein Problem.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist unfair!)


Ich sage Ihnen noch etwas: Sie haben hier mit Häme
über die Streiks in Ostdeutschland gesprochen. Ich bin
davon überzeugt, dass das, was dort geschehen ist, den
kritischen Diskussionsprozess, der in den Gewerkschaf-
ten längst begonnen hat, weiter befördern wird. Aber die
Häme, die Sie hier zum Ausdruck gebracht haben, teilen
wir nicht; denn wir wissen, wohin wir kommen würden
– das wollen Sie ja –, wenn es keine starken Gewerk-
schaften in Deutschland mehr gäbe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Gesetzespaket für die Gesundheitsreform liegt
vor. Die Reformen der Rentenversicherung und der Pfle-
geversicherung werden wir im Herbst dieses Jahres be-
schließen. Auch die Gemeindefinanzreform werden wir
im Herbst anpacken, egal ob sich die Kommission, die
dafür eingesetzt wurde, einigen wird oder nicht.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Mit Steuererhöhungen!)


Damit sind wir auf dem Weg, die zentralen Aufgaben zu
lösen. Wir werden die sozialen Sicherungssysteme in
Deutschland finanzierbar halten und sie damit zukunfts-
fest machen. Wir sorgen so dafür, dass sich die Men-
schen in Zukunft auf die solidarischen Systeme, auf die
sie tatsächlich angewiesen sind, verlassen können. Des-
halb unternehmen wir die erwähnten Anstrengungen.
Die Koalition hat sich inzwischen nicht nur darauf ver-
ständigt, dass die Lohnnebenkosten in Deutschland ge-
senkt werden müssen, sondern ist auch dabei, die Struk-
turreformen umzusetzen, die tatsächlich zu einer
Senkung der Lohnnebenkosten führen werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das wird entscheidend dafür sein, dass der Faktor Arbeit
in Deutschland nicht mit Abgaben überbelastet wird und
dass Arbeitslose wieder eine bessere Chance in Deutsch-
land haben, in Beschäftigung zu kommen.

Gleichzeitig schlagen wir mit dem Haushaltsentwurf
2004 noch radikalere und noch konsequentere Schritte
zum Subventionsabbau vor. Wir sind besonders dank-
bar, dass der Bundesfinanzminister in seinem jetzigen
Haushaltsentwurf noch radikaler an die ökologisch fal-
schen bzw. fragwürdigen Subventionen herangegangen
ist als in der Vergangenheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gerade mit dem geplanten Subventionsabbau werden
wir Bewegung in die verfestigten Strukturen in Deutsch-
land bringen. Warum machen wir das? Wir machen das,
weil solche Strukturen den Weg für Neues und Wichti-
ges blockieren, nämlich für Investitionen in Bildung und
Forschung, in Innovationsfähigkeit, in die ökologische
Modernisierung und auch in eine moderne Kinderpoli-






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

tik. Dafür brauchen wir Luft und diese verschaffen wir
uns jetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wissen, dass die Strukturreformen, die wir jetzt
in den sozialen Sicherungssystemen, aber auch beim
Subventionsabbau durchführen, nicht sofort, sondern
erst mittel- und langfristig wirken. Die Wirkung wird
aber dauerhaft und nachhaltig sein. Das ist der Grund,
warum diese Reformen Priorität für uns haben, warum
sie auf Platz eins der Agenda 2010 stehen. Das ist der
Grund, warum wir sagen: Strukturreformen zuerst! Wir
wissen auch, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern et-
was abverlangen müssen. Aber ich glaube, dass viele
Menschen in diesem Land begriffen haben, warum wir
das alles tun. Wir machen diese Reformen, um das Land
in den Bereichen nach vorne zu bringen, die wirklich
wichtig sind, nämlich in den Zukunftsbereichen.

Wir haben uns darauf verständigt – darüber sind wir
besonders froh –, dass wir im Herbst dieses Jahres noch
einmal Änderungen im Bereich der Rentenversicherung
und der Pflegeversicherung vornehmen werden, um
diese sozialen Sicherungssysteme tragfähig zu gestalten,
und dass wir ebenfalls im kommenden Herbst die
Grundlagen legen werden, um im nächsten Jahr den Bei-
tragssatz in der Rentenversicherung bei 19,5 Prozent-
punkten zu stabilisieren. Wir sind auch darüber froh,
dass wir über das Gesundheitspaket jetzt ernsthaft ver-
handeln. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam
etwas zustande bringen, wenn die Opposition es ehrlich
meint.

Eines sage ich ganz klar: Es wird mit uns keine Eini-
gung geben, die nur den Patientinnen und Patienten et-
was abverlangt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade weil der Gesundheitsbereich im Hinblick auf
Arbeitsplätze und Innovationen immer wichtiger wird,
gerade weil wir wollen, dass das medizinisch Notwen-
dige auch in Zukunft gewährleistet ist, müssen wir dort
für mehr Effizienz, mehr Transparenz und mehr Wettbe-
werb sorgen. Deswegen wird es mit uns keine Einigung
geben, die nur auf Finanzen ausgerichtet ist und weder
eine Strukturreform noch ein Aufbrechen der Machtkar-
telle vorsieht.

Ich bekomme immer mehr Signale – auch das sage
ich ganz deutlich – von unserem Koalitionspartner, aber
auch von anderen, dass es im Herbst zu einer ernsthaften
Diskussion über die Bürgerversicherung kommen
wird. Ich kann die Opposition nur dazu einladen, sich an
dieser Diskussion konstruktiv zu beteiligen. Herr
Seehofer hat wirklich Recht: Die Schaffung einer Bür-
gerversicherung ist eine Zukunftsaufgabe, die wir ange-
hen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Herbst werden wir uns auf die Umsetzung der
Agenda 2010 und darüber hinaus auf die Frage konzen-
trieren, wie eine alternde Gesellschaft ihre Innovations-
fähigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung
nicht nur erhalten, sondern auch weiterentwickeln kann.
Deutschland und Europa brauchen die besten Köpfe und
die besten Ideen, um sich nachhaltig weiterzuentwi-
ckeln. Meine Damen und Herren von der Opposition,
dazu gehört ein modernes Zuwanderungsrecht. Auch
was diesen Bereich angeht, müssen Sie von der Bremse
gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein zukunftsfähiges Deutschland kann sich keine Oppo-
sition leisten, die bei der Schaffung eines modernen Zu-
wanderungsrechts auf der Bremse steht oder im Warte-
saal sitzt.

Die Opposition hat langsam begriffen – das ist inte-
ressant –, dass es offensichtlich nicht besonders günstig
ist, sich dem Vorhaben der Regierung, Steuern zu sen-
ken, zu verweigern. Aus unserer Sicht ist es angesichts
der Durchführung von Strukturreformen und des Abbaus
von Subventionen akzeptabel, jetzt einen Impuls zu set-
zen, der sich auf die Konjunktur in diesem Lande positiv
auswirken soll. Wer sagt, wir sollten Steuersenkungen
möglichst nicht durch zusätzliche hohe Schulden finan-
zieren, der hat die Grünen sofort auf seiner Seite.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann müssen Sie sich einen neuen Koalitionspartner suchen! – Michael Glos [CDU/CSU]: Da müssen Sie vorsichtig sein!)


Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass der kreditfi-
nanzierte Teil der Steuerreform – auch aus Gründen der
Generationengerechtigkeit – möglichst gering ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sind Sie überhaupt noch in dieser Koalition?)


Zumindest ein Teil der CDU hat es möglicherweise
gerade noch geschafft, mit quietschenden Reifen die
Kurve zu kriegen. Die „Alpen-Connection“ von Frau
Merkel funktioniert offensichtlich etwas besser als ihre
„Anden-Connection“. Einige kritische Kommentare
dazu kann ich Ihnen aber nicht ersparen. In Ihren eige-
nen Reihen haben sie offensichtlich erhebliche Pro-
bleme. Dabei denke ich nicht nur an Herrn Koch, den
hessischen „Doktor No“, sondern vor allen Dingen an
Mitglieder Ihrer Fraktion. Die Diskussion in Ihrer Frak-
tion hat offensichtlich sehr viel damit zu tun, dass Sie
sich über die Kanzlerkandidatur bis heute nicht verstän-
digt haben.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Frau Merkel hat in ihrem Brief an den Bundeskanzler
eine verlässliche Politik eingefordert. Ich frage mich in
der Tat, wo Ihre Verlässlichkeit in der Steuerpolitik
bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

Da ist von Verlässlichkeit keine Spur; da herrscht das
blanke Chaos. Das stellen nicht nur wir fest.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Solide muss es sein!)


Als wir eine Steuerreform längst beschlossen hatten,
durch die die Steuersätze in Deutschland ein Rekordtief
erreichen – sie werden um circa 10 Prozentpunkte ge-
senkt –, haben Sie gesagt: Das reicht alles nicht; die
Steuersätze müssen noch viel weiter sinken. Was ist
jetzt? Jetzt machen Sie total die Rolle rückwärts. Was ist
denn mit der Gegenfinanzierung? Herr Merz hat uns da-
mals erzählt: So eine Steuersenkung finanziert sich prak-
tisch aus sich selbst heraus.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was ist jetzt? Jetzt sagt er: große Verschuldungsproble-
matik, alles nur Teufelszeug. – Herr Merz weiß offen-
sichtlich nicht, wovon er redet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was erzählt uns eigentlich Frau Merkel? Frau Merkel
sagt in der „Bild“-Zeitung: Subventionsabbau zur Ge-
genfinanzierung muss sein. In der gleichen Ausgabe der
„Bild“-Zeitung sagt sie: Subventionsabbau ja, aber nie-
mandem in diesem Land irgendetwas wegnehmen. –
Herr Stoiber sagt wiederum: Doch, natürlich, allen etwas
wegnehmen, nämlich gleichmäßig 10 Prozent. – Frau
Merkel sagt in der „Bild“-Zeitung: Aber auf keinen Fall
mit Schulden. – Was sagt der Konfusionsrat, Herr Stoi-
ber? Er sagt: Doch, 30 Prozent davon mit Schulden. –
Frau Merkel sagt: Herr Steinbrück und Herr Koch sollen
doch jetzt einmal Gegenfinanzierungsvorschläge ma-
chen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was sagen Sie eigentlich? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Was sagen Sie denn?)


Das sagt sie in der „Bild“-Zeitung. Hier sagt sie wie-
derum: Die Regierung soll Vorschläge machen. – Wenn
die Regierung Vorschläge macht, dann sagen Sie aber
immer nur Nein und stehen auf der Bremse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kein Mensch in diesem Land begreift, wohin Sie ei-
gentlich wollen. Es ist auch nicht so, dass Sie nur ein
Kommunikationsdesaster haben. Sie haben vor allem
auch ein Konzeptdesaster,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schreien Sie doch nicht so!)


weil Sie kein Konzept vorlegen können, aus dem hervor-
geht, wohin es eigentlich gehen soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Tatsache ist doch, dass die Regierung den Karren in
diesem Land zieht. Sie zieht aber nicht nur den Karren in
diesem Land, sondern sie muss auch noch die Opposi-
tion mitschleppen – das ist doch das Problem! –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU])


und zwar eine Opposition, die sich mit ihrem ganzen
„Nein“, „Jein“, „Ja, aber“ auch noch gegen das Mit-
schleppen wehrt. Um über Ihre schlechten Haltungsno-
ten bei dieser unglücklichen Übung hinwegzutäuschen,
sagen Sie auch noch: Schneller, schneller, schneller,
schneller! – Aber es kann doch nicht schneller gehen,
wenn Sie ständig auf der Bremse stehen!


(Beifall der Abg. Katrin Dagmar GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Regierung hat im letzten Jahr genügend Vor-
schläge dazu gemacht, wie man Subventionen in diesem
Land abbauen kann, wie man gerade auch an Subventio-
nen herangehen kann, die inzwischen überholt sind und
Investitionen in Neues blockieren.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Es waren Steuererhöungen, die Sie vorgeschlagen haben!)


Was ist von Ihnen gekommen? Von Ihnen ist nichts wei-
ter gekommen als taktische Spielchen. Sie dürfen nicht
denken, dass die Menschen in diesem Land das nicht
langsam durchschauen.

Sie sagen: Die Regierung soll einmal einen Vorschlag
machen. Dann macht die Regierung einen Vorschlag.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bis jetzt haben Sie noch keinen gemacht!)


Sie sagen: Nein, gerade der gefällt uns nicht. Dann
macht die Regierung einen neuen Vorschlag. Sie sagen:
Jetzt hat die Regierung schon wieder einen gemeinen
Vorschlag gemacht. – Das ist doch Ihr Spiel! Mit diesen
Tricksereien werden wir in diesem Land nicht weiter-
kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Fischer hat schon keine Lust mehr! Der will ja weg! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Mit dieser Regierung nicht!)


Herr Müntefering hat völlig zu Recht gesagt, dass Sie
diese taktischen Spielereien ausschließlich auf Kosten
der Länder und Gemeinden betreiben. Sie wissen ganz
genau, dass über die Hälfte der Subventionen, die im
Subventionsbericht aufgeführt sind, in Form von Steuer-
vergünstigungen gewährt werden. Wenn Sie jedes Mal,
wenn eine Steuervergünstigung abgebaut wird, behaup-
ten, das sei jetzt aber eine ganz gemeine Steuererhöhung,
dann meinen Sie es überhaupt nicht ehrlich damit, Sub-
ventionen in diesem Land abbauen zu wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie wissen doch: Wenn Subventionen in Form von Steu-
ervergünstigungen und nicht in Form von Finanzhilfen






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

abgebaut werden, dann dient das ganz besonders den
Ländern und Gemeinden. Sie haben mit Ihrer verfluch-
ten Taktik – Sie haben im Bundesrat vernünftige Maß-
nahmen blockiert – dazu beigetragen, dass die Haushalte
der Länder und Gemeinden so sind, wie sie sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer hat denn die Körperschaftsteuer zerstört?)


Jetzt kommen wir zum Kern der Sache. Was sich jetzt
zeigt – die Wartesaalpolitik von Frau Merkel hat es deut-
lich gemacht –, ist, dass Sie mit Ihrer Taktik gründlich
gescheitert sind. Sie haben das ganze halbe Jahr im Bun-
desrat mit der Blockierung der Finanzpolitik ausschließ-
lich darauf gesetzt, dass Sie die Regierung möglicher-
weise destabilisieren können. Das Gegenteil haben Sie
erreicht: Nie ist diese rot-grüne Koalition so stabil gewe-
sen wie zurzeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nie ist diese rot-grüne Koalition so handlungsfähig ge-
wesen wie zurzeit. Nicht handlungsfähig ist die CDU/
CSU. In der CDU/CSU herrscht völliges Durcheinander.
Sie stehen nicht nur vor einem Kommunikations- und
Konzeptdesaster, sondern auch vor einem Strategiede-
saster, weil Ihre Strategie auf ganzer Länge gescheitert
ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, immer mehr Menschen in
diesem Lande begreifen, dass wir in einer schwierigen
Situation sind,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Seit fünf Jahren regieren Sie!)


die aber auch eine Chance bietet, um schmerzhafte, aber
notwendige Veränderungen in diesem Land voranzu-
bringen. Immer mehr Menschen verstehen, dass auch
eine Chance darin besteht, wenn man sich auf den Weg
macht, um eine neue Balance zwischen Selbstbestim-
mung, Solidarität und Gemeinwohl zu finden.

Ein schweizer Historiker hat einmal gesagt: Nur in
der Bewegung, so schmerzlich sie sei, ist Leben. Die Re-
gierung handelt danach; die Menschen verstehen es in-
zwischen. Ich hoffe, dass langsam auch Bewegung in die
Opposition kommt, und zwar nicht nur in den eigenen
Reihen, sondern nach vorne zum Nutzen dieses Landes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505601100

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege

Guido Westerwelle.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1505601200

Frau Kollegin, Sie haben ganz am Anfang Ihrer Rede

gesagt, ein Vertreter meiner Fraktion habe erklärt, dass
er der Meinung sei, dass sich bei älteren Arbeitslosen
Mühe nicht mehr lohne. Ich möchte Sie bitten, jetzt hier
vor diesem Hohen Hause zu sagen, wo das gewesen ist
und von wem dieses Zitat stammt, da ich dem als Partei-
vorsitzender, wie Sie verstehen werden, natürlich nach-
gehen möchte.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Oder nehmen Sie es zurück! – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Entschuldigen Sie sich, und gut! – Hartmut Schauerte bösartig, was Sie da gesagt haben!)



Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505601300

Herr Westerwelle, ich habe diesen Kommentar zu der

Verabschiedung des Programms für Langzeitarbeitslose
gestern einer Tickermeldung entnommen. Ich werde
diese Tickermeldung aus meinen Unterlagen heraussu-
chen und sie Ihnen dann übergeben. Es wird sich ja fest-
stellen lassen, ob diese Tickermeldung stimmt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Bevor man so etwas weitergibt, überprüft man das! – Unruhe bei der FDP)


– Entschuldigen Sie, ich werde sie Ihnen geben.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Peinlich! – Jörg van Essen [FDP]: Setzen!)

Sie wurde gestern veröffentlicht, darin wurde ein Mit-
glied Ihrer Fraktion zitiert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wohl falsch getickt!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505601400

Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1505601500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, dass die Reden in der Debatte, die
wir heute führen, bis auf die Rede von Frau Merkel, ins-
besondere die vorausgegangene Rede, erklären, warum
es in diesem Land so wenig Vertrauen gibt. Wenn dieje-
nigen, die uns regieren sollen, so konfus handeln und
weder ein noch aus wissen und sich vor allen Dingen in
dem, was sie tun und sagen, sprunghaft verhalten, dann
müssen wir uns überhaupt nicht wundern, wenn sich die
Konsumenten und die Investoren in diesem Land zu-
rückhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihre Rede mit Pathos,

soweit nicht Lustlosigkeit überwogen hat, vorgetragen.
Sie haben sich ein Stück weit dafür entschuldigt, dass
fünf Jahre nichts geschehen ist,


(Hubertus Heil [SPD]: Quatsch!)

und erklärt, warum Sie sich jetzt möglicherweise be-
wegen wollen. Wir wissen, dass sich bisher vor allen






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

Dingen der Fuhrpark zwischen Neuhardenberg und Ber-
lin hin und her bewegt hat. Das waren die einzig wirk-
lich erkennbaren Bewegungen, die es in der ganzen
Szene gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joseph Fischer, Bundesminister: Die CDU/CSU-Fraktion hat sich auch bewegt!)


Ansonsten herrscht in Deutschland leider immer noch
Stillstand. Diese rot-grüne Bundesregierung ist die Ursa-
che dafür. Sie, Herr Bundeskanzler, erinnern mich an ei-
nen Schiffbrüchigen, der, wenn er irgendwo Treibholz
sieht, sofort ruft: Land in Sicht!


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Situation ist leider ein bisschen ernster. Wir be-
finden uns nämlich in einer Vertrauensfalle und es fehlt
die Aufbruchstimmung. Ich frage mich, woher die Auf-
bruchstimmung eigentlich kommen soll. Wir haben seit
drei Jahren Stagnation. Das DIW sagt, wir hätten es in
diesem Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaft zu tun.
Kein anderes Land in Europa ist in diesem schlimmen
Zustand. Die Arbeitslosigkeit liegt um 350 000 über
dem Vorjahreswert. Selbst die Nürnberger Bundesan-
stalt, an deren Spitze Sie für ein hohes Jahresgehalt ei-
nen Chefpropagandisten gesetzt haben, spricht inzwi-
schen für den Winter von 5 Millionen Arbeitslosen.
Jeder dritte Arbeitnehmer in Deutschland hat Angst um
seinen Arbeitsplatz. Im letzten Jahr hatten wir 38 000 In-
solvenzen und Betriebsaufgaben. Auch in diesem Be-
reich wird es in diesem Jahr einen neuen Rekord geben.

Statt den Mittelstand zu ermutigen, wird das Hand-
werk durch die Ankündigungen in diesem Gesetzent-
wurf weiter verunsichert, und das in einer konjunkturell
schwierigen Lage. Die Bauern, die ebenfalls zum Herzen
unserer mittelständischen Wirtschaft gehören, sind in
den Zangengriff genommen worden, vorgetragen aus der
EU und nachgesetzt durch Frau Künast. Der Rest wird
dann von Eichel besorgt.


(Joachim Poß [SPD]: Die Landtagswahl lässt grüßen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt kommt die Klientelpolitik! So kennen wir Sie!)


– Herr Schmidt, dass Sie für die Bauern und für das
Handwerk überhaupt nichts übrig haben, ist bekannt. In-
teressieren Sie sich wenigstens für die Lage der Bauar-
beiter!


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Solche Sprüche sind nicht in Ordnung!)


In der Bauwirtschaft haben wir einen Rückgang um
15 Prozent. Die öffentlichen Haushalte laufen aus dem
Ruder, insbesondere die Kommunalhaushalte. Wenn die
Kolleginnen und Kollegen von der SPD noch ein biss-
chen Beziehung zur Basis in ihren Wahlkreisen, wo sie
um die Stimmen buhlen, hätten, dann wüssten sie, was in
den Städten und Gemeinden los ist und wie gering die
Investitionsfähigkeit noch ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns allen
wäre es sehr recht, wenn das, was Sie angekündigt ha-
ben, viel bringen würde. Wir wollen auch gerne dazu
beitragen; denn wir haben kein Interesse daran, dass die-
ses Land untergeht. Im Gegenteil, wir wollen hier leben
und wir wollen, dass unsere Kinder hier leben und dass
auch unsere Enkel noch eine Zukunft haben. Zu dem
Thema komme ich noch.

Ich will ein Beispiel nennen, woran sich zeigt, dass
die Menschen kein Vertrauen haben. Es gibt Zeitungen,
allen voran die Boulevardpresse,


(Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Ihre Zeitung!)


in denen Tabellen abgedruckt werden, an denen man ab-
lesen kann, wie viel jeder mehr in der Tasche hat, wenn
die Steuerreform 2005 vorgezogen wird. Wie viel das
tatsächlich ist, werden wir ganz am Schluss feststellen.
Aber in diesem Zusammenhang werden die Menschen
schon gefragt: Was machen Sie mit dem Geld, falls es
tatsächlich bei Ihnen in der Tasche ankommt? Darauf
antworten 52 Prozent, sie wollten sparen oder Schulden
tilgen. In den Konsum fließt diesen Umfragen zufolge
nicht allzu viel. Das zeigt, dass die Menschen kein Ver-
trauen haben.

Aber Sie, Herr Bundeskanzler, versuchen seit drei
Jahren, uns einzureden, es gehe wieder aufwärts. Dabei
verweisen Sie immer wieder auf die zweite Jahreshälfte
und das letzte Quartal. Es fragt sich nur, Herr Bundes-
kanzler: In welchem Jahr geht es aufwärts?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: 2010!)

– 2010 und folgende, aber nur, weil wir dann schon
lange wieder regieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die preiswerteste Maßnahme – ich kann mir sogar
vorstellen, dass man das Geld dafür über Bürgerinitiati-
ven sammelt – wäre eine Neuwahl in diesem Land. Das
würde sich auszahlen; denn das wäre stabilisierend und
vertrauensbildend.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an der
Wachstumsprognose von 0,75 Prozent für 2003 hält
Herr Eichel noch immer fest.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wo ist er eigentlich?)


– Er ist schon gegangen.

(Joachim Poß [SPD]: Er ist in der Gemeinde finanzkommission!)

Er schämt sich. Er dürfte nicht Hans Eichel heißen, son-
dern müsste inzwischen Ali Eichel genannt werden; man
kennt ja die Prognosen, die in Bagdad von einem gewis-
sen Ali – genannt Lügen-Ali – abgegeben worden sind.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wenn schon die politisch Verantwortlichen bei uns im

Land das kleine Einmaleins nicht beherrschen, wie sol-
len es dann die Schüler bei der PISA-Studie können?






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

Wir sprechen über Zahlen und Fakten. Da lässt sich vie-
les nicht schön- und weichreden. Die Unterstellung einer
Wachstumsprognose von 2 Prozent für den Haushalt
2004 ist reiner Zweckoptimismus. Nun wissen wir, Opti-
mismus ist wichtig; er ist in der Wirtschaft ein wichtiger
Faktor. Aber es muss auch ein bisschen Realismus zu-
grunde gelegt werden. Diese Annahme ist unrealistisch.
Deswegen kann ich gut verstehen, dass der Bundesfi-
nanzminister inzwischen anderen Hausaufgaben nach-
geht.

Ich finde, dass Prognosen immer schwierig sind, da
sie die Zukunft betreffen. Aber ich glaube, manches lässt
sich besser vorhersagen, als es diese Bundesregierung
getan hat.

Wir wissen natürlich auch, dass die Steuerpolitik sehr
viel dazu beitragen kann, in einem Land Wachstum zu
schaffen. Deswegen treten wir für niedrigere Steuern
und niedrigere Abgaben ein. Das ist ein permanenter
Kampf, der immer wieder neu geführt werden muss. Es
kann nämlich nicht angehen, dass jemandem etwas aus der
linken Tasche genommen wird und dass ihm etwas – mög-
licherweise weniger – in die rechte Tasche gesteckt wird.

Wir dürfen natürlich nicht nur die Steuern betrach-
ten. International gesehen ist unsere Steuerbelastung
nicht so hoch. Aber wir haben die höchste Steuer- und
Abgabenlast.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das muss man natürlich berücksichtigen. Diese hohe
Belastung durch Abgaben und Steuern – Herr Poß, Sie
beschäftigen sich schon lange damit – hat maßgeblich zu
diesem Wirtschaftseinbruch beigetragen und dazu ge-
führt, dass wir jetzt in dieser Falle stecken.


(Hubertus Heil [SPD]: Schönen Gruß an Helmut Kohl!)


Jetzt wollen Sie die dritte Stufe der Steuerreform
vorziehen, obwohl die zweite Stufe noch nicht in Kraft
getreten ist. Ich sage immer: Wenn man den dritten
Schritt nach dem ersten macht, dann besteht die Gefahr,
dass man stolpert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Stoibert! – Joachim Poß [SPD]: Stoiber!)


– Stolpert. Putzen Sie sich die Ohren!
Frau Sager, die jetzt nicht mehr anwesend ist, wollte

wissen, wie wir zu dieser Steuerreform stehen. Einer der
Fehler dieser Steuerreform, die nicht unsere Steuerre-
form war, ist, dass sie nicht aus einem Guss ist, sondern
in drei Stufen erfolgen soll. Die erste Stufe wurde, wie
jedermann weiß, sofort durch die Einführung der Öko-
steuer und durch die Erhöhung der Tabaksteuer und Ver-
sicherungsteuer konterkariert.


(Joachim Poß [SPD]: Anders wäre das gar nicht zu finanzieren gewesen!)


Jetzt gibt es eine weitere Erhöhung der Tabaksteuer. Frü-
her stand auf den Zigarettenpackungen: „Rauchen ge-
fährdet die Gesundheit“. Jetzt muss darauf gedruckt wer-
den: „Rauchen fördert die Gesundheit“, weil das Geld
angeblich in den Gesundheitsbereich fließen soll.

Wir sollten vor allen Dingen niedrige Steuersätze bei
einer breiten Bemessungsgrundlage in den Vordergrund
stellen.


(Joachim Poß [SPD]: Das machen wir ja! 70 Ausnahmen beschlossen!)


Die Steuerreform, die Sie auf den Weg gebracht haben,
erfüllt diesen Anspruch nicht. Wir reden über das Vor-
ziehen einer Stufe der Steuerreform, die wir besser kon-
zipiert hatten und die wir besser gemacht hätten. Aber
letztendlich wird ein Vorziehen der dritten Stufe an uns
nicht scheitern. Darüber werde ich noch sprechen.

Ich will noch Folgendes sagen. Die dritte Stufe, die
für 2005 vorgesehen war, würde auch dann in Kraft tre-
ten, wenn der Bundestag jetzt in Urlaub gehen würde
und seine Mitglieder überhaupt nicht mehr zurückkom-
men würden. Dann aber säße Eichel vollends in der
Falle, weil die Stufe 2005 so, wie sie konzipiert worden
ist, direkt in Kraft treten würde.

Nun wird der Versuch gemacht, das, was beim Steuer-
zahler in der Tasche bleibt und was ihm versprochen wor-
den ist, zu schmälern. Wenn ich es richtig weiß, reden Sie
von der Abschaffung der Entfernungspauschale.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist falsch! Über eine Abschaffung hat keiner geredet!)


– Die Einschränkung der Entfernungspauschale steht im
Haushaltsentwurf.


(Joachim Poß [SPD]: Aber nicht die Abschaffung!)


Es wird selbstverständlich auch über den Abbau der
Steuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlä-
gen geredet. Auch dieser Vorschlag geistert immer wie-
der herum. Sie wollen auch noch andere Subventionen
abbauen, um das Vorziehen der dritten Stufe gegenzufi-
nanzieren.


(Hubertus Heil [SPD]: Sind Sie gegen Subventionsabbau?)


Nun wissen Sie, dass die Maßnahmen zur so genann-
ten Gegenfinanzierung, von denen Sie dankenswerter-
weise wieder gesprochen haben, dauerhaft bestehen blei-
ben. Aber man hat im Rahmen der dritten Stufe 2005
eine Senkung versprochen, ohne dass das Geld auf der
anderen Seite genommen wird. Es ist also so: Durch das
Vorziehen der Steuerreform um ein Jahr wird dem Steu-
erzahler etwas in die rechte Tasche gesteckt, aber aus der
linken Tasche wird ihm das Geld dauerhaft genommen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das übersehen die Menschen bei dieser Diskussion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihre Kalkulierbarkeit und Stetigkeit, Herr Bundes-

kanzler, – Frau Merkel hat vorhin vorgelesen, was Sie
noch am 14. März gesagt haben – erinnert an einen ku-
gelgelagerten Wetterhahn, der sich nach dem Wind
dreht. Andreas Hoffmann hat in der „Süddeutschen






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

Zeitung“ über Ihre Vorschläge geschrieben: „Vorhang
auf für Harry Potter... “.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, Sie haben Chuzpe und eine ge-

wisse Unverschämtheit. Sie hat Ihnen oft geholfen. Ob
diese Chuzpe Ihnen diesmal hilft, ist sehr fraglich. Sie
besteht darin, dass Sie das Versprechen einer Steuersen-
kung oder des Vorziehens einer Steuersenkung, die po-
pulär ist, damit verbinden, dass Sie sagen: Liebe Opposi-
tion, wenn du keine neuen Schulden bis zum
Gehtnichtmehr haben willst, dann sage doch, wie das
Ganze zu bezahlen ist. – Diese Arbeitsteilung machen
wir nicht mit; das bringe ich hier ganz klar zum Aus-
druck.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Ein absoluter Spezialist für Unverschämtheiten!)


– Herr Poß, Sie sind Steuerpolitiker, lassen sich aber
zum Beispiel auch vom Sachverständigenrat beraten,
dessen Vorsitzender ein SPD-Mitglied ist. Er mahnt al-
lerdings zur Vorsicht, was die Verschuldung anbelangt.

Die Regierung glaubte, es werde eine Euphorie an
den Finanzmärkten geben, wenn sie das Vorziehen der
Steuersenkung verkündet. Eine solche Euphorie ist aber
ausgeblieben. Die Wirklichkeit ist die Reaktion der
Märkte und ein Stück weit auch die Reaktion der Men-
schen auf solche Maßnahmen. Die Menschen misstrauen
der SPD, weil sie wissen, dass die Versuche aller SPD-
Bundesregierungen Ende der 70er-Jahre gescheitert sind,
die Konjunktur durch Deficitspending, wie es damals so
schön hieß, anzukurbeln. Heute müssen wir und unsere
Kinder immer noch die Zinsen dafür zahlen. Diese Poli-
tik, alles auf die nächste Generation zu verlagern, die üb-
rigens immer kleiner wird, halte ich für eine falsche Po-
litik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Sagen Sie bitte noch einen Satz zu Herrn Waigel?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, niemand,
der etwas von der Sache versteht, bestreitet, dass es den
so genannten Laffer-Effekt, gibt. Ronald Reagan arbei-
tete mit diesem Effekt; aber Reagan, den die SPD nicht
gemocht hat, war auch ansonsten kalkulierbar. Für die
Leute ist immer wichtig, wer welches Instrument in die
Hand nimmt. Es gibt Leute, denen man es aus der Erfah-
rung heraus nicht zutraut. Sie, Herr Bundeskanzler, ha-
ben noch wenig dazu getan, Vertrauen zu gewinnen. Was
nun diesen Laffer-Effekt, den Effekt des Vorziehens
positiver Wirkungen angeht, sagen die Ökonomen,
man könne 30 Prozent einkalkulieren, wenn ansonsten
alles stimmt.

Wir können erst dann darüber verhandeln, Herr Bun-
deskanzler, wenn Sie Fakten auf den Tisch gelegt und
Vorschläge gemacht haben. Dies geht selbstverständlich
in einem parlamentarischen Verfahren viel besser. Ich
halte nichts von Kungelrunden, in denen etwas mit hei-
ßer Nadel genäht wird; dies geht bei so komplizierten
Vorhaben wie Steuergesetzen ohnehin nicht. Ansonsten
soll es an uns nicht scheitern. Vielleicht mache ich mich
nicht bei allen Kolleginnen und Kollegen beliebt, wenn
ich sage: Für uns ist die Sommerpause kein Tabu, wenn
es darum geht, unserem Land wirklich zu helfen. Nur
müssen die Voraussetzungen dafür von Ihnen geschaffen
werden. Erst dann kann man miteinander reden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich spreche ein anderes, hochgelobtes Prinzip von

Rot-Grün an, das Prinzip der Nachhaltigkeit. Tatsäch-
lich findet sich das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit immer
nur in Sonntagsreden. Eine hemmungslose Lastenver-
schiebung auf kommende Generationen ist aber mora-
lisch nicht vertretbar. Deswegen muss die Bundesregie-
rung selbstverständlich Antwort darauf geben, wie es
mit der Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik aussieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vorhin

wurde der italienische Ministerpräsident zitiert, dem of-
fensichtlich in einem anderen Parlament eine Entglei-
sung unterlaufen ist. Er hat sich dafür in dem anderen
Parlament auch entschuldigt.


(Joachim Poß [SPD]: Er hat sich nicht entschuldigt!)


– Im Gegensatz zu Frau Sager habe ich Pressemeldun-
gen hier, die besagen, dass er sich entschuldigt hat.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Er hat sich nicht entschuldigt!)


Vergleiche wie der, den Herr Berlusconi gebraucht hat,
sind unzulässig; aber wir sind hier in Deutschland.


(Hubertus Heil [SPD]: Und in Europa!)

– Im deutschen Parlament.

Hier in diesem Parlament ist der Stabilitätspakt seinerzeit
einstimmig abgesegnet worden. Der Euro-Stabilitätspakt
war für uns eine Bedingung, diese neue Währung einzu-
führen, weil wir wollten, dass die Menschen Vertrauen in
die neue Währung haben können.


(Hubertus Heil [SPD]: Berlusconi will ihn nicht!)


Nicht zuletzt unsere italienischen Freunde – die Franzo-
sen sowieso –, die den Stabilitätspakt immer als Fessel
einer expansiven Finanzpolitik gesehen haben, warten
doch nur darauf, dass wir Deutsche diesen Stabilitäts-
pakt sprengen. Diesen Gefallen dürfen wir niemandem
tun; denn dies wäre nur ein kurzfristiger Gefallen für be-
stimmte Länder, in denen die Schuldenmentalität stärker
verbreitet war. Bei uns war sie nicht verbreitet. Sie ist
erst in den allerletzten Jahren gewachsen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen und Widerspruch bei der SPD – Hubertus Heil [SPD]: Waigel!)


– Ja, das ist leider der Fall. Ich kann, wenn Sie es hören
wollen, Zahlen nennen: In den letzten zwei Jahren der
Regierung Helmut Kohl konnte Theo Waigel – darüber
brauchen Sie überhaupt nicht zu lachen; auch damals war
eine schwierige Wirtschaftslage, Sie haben damals vier






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

Jahre lang Steuerreformen blockiert – im Hinblick auf die
Defizitgrenze jeweils 2,2 bis 2,5 Prozent vorweisen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Jetzt überschreiten wir, wie vorhin richtig gesagt wor-

den ist, das dritte Mal das Maastricht-Ziel von 3 Prozent.
In diesem Jahr wird sogar mit mehr als 4 Prozent bzw. mit
bis zu 5 Prozent gerechnet. Von diesem Jahr spricht ja
schon keiner mehr, wie man gnädigerweise auch nicht
mehr über die Haushaltszahlen, über die Neuverschul-
dung im Bundeshaushalt von 40 Milliarden Euro – nicht
D-Mark –, spricht. So etwas hat es noch nie gegeben. Da-
rüber spricht man nach dem Motto „Über Schulden spricht
man nicht; Schulden hat man“ – dies ist natürlich eine
starke Abwandlung eines alten Sprichworts – nicht mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Von welchen 40 Milliarden redet der?)


Ich stelle noch einmal fest: Wenn die großen Volks-
wirtschaften des Euroraums, Deutschland und Frank-
reich, den Stabilitätspakt vorsätzlich infrage stellen,
dann berührt das zutiefst das Vertrauen der Bürgerinnen
und Bürger und auf Dauer auch das Vertrauen der Fi-
nanzmärkte in diese Währung. Wir wollen nicht, dass es
heißt: Europa einig Euroland, einig Inflationsland!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wer dies tut, legt die Axt an die Wurzeln Europas.

(Joachim Poß [SPD]: Wo ist die Inflationsge fahr?)

Europa kann ohne eine stabile Währung nicht bestehen;
das wissen wir alle. Wie schnell Europa in anderen Fra-
gen auseinander fällt, ist erst in diesem Jahr wieder de-
monstriert worden; das brauche ich vor diesem fachkun-
digen Publikum nicht zu wiederholen.

Herr Bundeskanzler, wir müssen dafür sorgen, dass
uns insgesamt ein Kraftakt gelingt, der natürlich in aller-
erster Linie von der Bundesregierung gestemmt werden
muss. Eine Opposition ist klassischerweise dazu da, die
Regierung zu kontrollieren und eigene Vorschläge auf
den Tisch zu legen. Das haben wir vor der Wahl getan.
Das ist leider nicht voll goutiert worden.


(Joachim Poß [SPD]: 3 mal 40! Das war alles gut finanziert!)


– Ich spreche von 6 037 Menschen in Deutschland, die
bewirkt haben, dass die SPD noch einmal stärker gewor-
den ist als die Union.


(Hubertus Heil [SPD]: Mit Recht!)

Mehr waren es nicht.


(Zuruf von der SPD: Darüber ist er immer noch nicht hinweggekommen!)


Frau Präsidentin, Sie würden vielleicht trotzdem dort
oben auf Ihrem Platz sitzen, aber nicht Präsident Thierse.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Aber es ist ja nicht so wichtig, wer sich auf welchem
Sessel tummelt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ein schlechter Verlierer spricht da! Wie schlecht Sie dabei aussehen!)


– Das hat überhaupt nichts mit einem schlechten Verlie-
rer zu tun.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Erzählen Sie ruhig mehr! Die Menschen warten auf diese Nachricht!)


Schlimm ist vielmehr die Tatsache, dass bei der Wahl für
Deutschland viel verspielt worden ist.

Herr Bundeskanzler, ich fasse zusammen: Uns muss
man zu Steuersenkungen weder treiben noch jagen. Aber
das Ganze muss natürlich seriös sein.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist denn bei dieser Regierung seriös?)


Es dürfen nicht zu viele Lasten nach vorne verschoben
werden. Es darf nicht zu tief in gewachsene Strukturen
eingegriffen werden. Änderungen bei der Entfernungs-
pauschale sind so eine Geschichte. Dass sich unser Land
sehr gleichmäßig entwickelt hat, liegt auch an solchen
Dingen wie der Entfernungspauschale. Wenn man dies
plötzlich beendet, gibt es möglicherweise andere Sied-
lungsstrukturen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da ist in Niedersachsen ganz viel Begeisterung!)


Man kann sich nicht einfach mit einem Hauruck über die
Dinge hinwegsetzen.

Aber das Verfahren muss über das Bundeskabinett
und die Koalitionsfraktionen erfolgen. Die Parteien, die
diese Regierung tragen, müssen dahinter stehen. Sie hat-
ten ja bei den ersten kleinen Schritten Mühe, Ihre eigene
Partei hinter sich zu versammeln. Ich habe Sie bewun-
dert,


(Joachim Poß [SPD]: Oh, „bewundert“!)

wie Sie bei den Genossinnen und Genossen angetreten
sind, sie beschworen haben und am Schluss wieder mit
dem Feindbild „Dann kommen die bösen Konservativen
und machen alles kaputt“ gearbeitet haben.

Also noch einmal: Bringen Sie Ihre Vorhaben durch
Ihre Partei, aber dieses Mal rascher! In der Verfassung
steht nämlich nicht, dass Parteitage darüber beschließen
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben vielmehr ein ordnungsgemäßes parlamentari-
sches Verfahren, das so aussieht: Das Bundeskabinett
beschließt. Der Bundestag überweist den Entwurf an die
Ausschüsse. Wir können, wie gesagt, über Fristverkür-
zungen reden. Dann beraten wir miteinander in den Gre-
mien. An uns wird der Aufschwung in diesem Land
nicht scheitern.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505601600

Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1505601700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Glos, man möchte fast fragen: Was ist eigentlich mit die-
ser Opposition los? Beim Vorziehen der Steuerreform
sagen Merkel und Stoiber „Hü!“; Koch und Merz sagen
„Hott!“, Austermann und Milbradt sagen: Steuern mit
der Bundesregierung zusammen senken. Merz sagt: Mit
mir auf gar keinen Fall. Ich frage: Was gilt jetzt eigent-
lich? Herr Glos, auch nach Ihrer Rede wissen wir das
noch nicht.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie
hatten nun wirklich lange genug Zeit, sich auf das Wo-
chenende in Neuhardenberg vorzubereiten. Die Presse
hat ja schon vorher darüber spekuliert, dass das Vorzie-
hen der Steuerreform möglich ist. Aber Sie haben es
nicht geschafft. Vielmehr gackern Sie durcheinander wie
ein wild gewordener Hühnerhaufen. Das ist nicht gut für
Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Glos, ich will mich nicht dabei aufhalten, Ihr
Chaos weiter zu beschreiben. Nur so viel: Wir wünschen
und wir hoffen, dass sich die Kräfte der Vernunft in Ih-
ren Reihen gegen die Blockadestrategen – oder soll ich
sagen: „Gegen den Andenpakt“? – durchsetzen. Ihr Ge-
bot der Stunde muss heißen, Verantwortung für Deutsch-
land zu übernehmen, statt eine Strategie von Sonthofen
zu fahren, die schon in den 70er-Jahren das Land und Sie
nicht weitergebracht hat. In diesem Sinne wünsche ich
CDU und CSU an dieser Stelle ganz einfach gute Besse-
rung.

Mein Appell geht besonders an die jüngeren Kolle-
ginnen und Kollegen in der Unionsfraktion; vielleicht
sind ja noch ein paar da. Ich sage den Jüngeren in allen
Fraktionen des Hauses: Wir müssen heute für Reformen
kämpfen, damit auch künftige Generationen in Sicher-
heit und Wohlstand leben können. Deshalb meine Bitte,
mein Appell an diejenigen, die 1998 oder 2002 das erste
Mal ins Parlament gekommen sind: Lassen Sie sich nicht
für billige Blockademanöver missbrauchen, sondern hel-
fen Sie mit, Deutschland wirklich voranzubringen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Worum es in der Sache geht, hat der Bundeskanzler
heute Morgen klargemacht. Um die konjunkturellen und
die strukturellen Probleme unseres Landes zu lösen,
brauchen wir eine Doppelstrategie. Dazu gehören zum
einen die Strukturreformen am Arbeitsmarkt, im Ge-
sundheitswesen, bei der Alterssicherung und zur Stär-
kung der Leistungsfähigkeit unserer Kommunen. Das ist
alles Bestandteil der Agenda 2010. Wir haben das auf
den Weg gebracht und werden das in diesem Jahr ins Ge-
setzblatt bringen. Zum anderen wollen wir – das ist seit
Neuhardenberg deutlich –, um die private Nachfrage und
die Investitionen in Deutschland anzuregen, die geplan-
ten Stufen der Steuerreform vorziehen.

Wir senken ab dem 1. Januar des kommenden Jahres
die Einkommensteuer für alle um rund 10 Prozent. Davon
profitieren besonders die Bezieher kleiner und mittlerer
Einkommen. Durch diese Stärkung der Kaufkraft kann
und wird es gelingen, die Binnennachfrage anzukurbeln.
Auch bei den Investitionen bringt diese Reform neue Im-
pulse. Besonders Personengesellschaften – meine Damen
und Herren, Sie haben im Wahlkampf auf jeder Veranstal-
tung das Hohelied auf die kleinen und mittleren Unter-
nehmen gesungen – werden von dieser Tarifsenkung pro-
fitieren.

Wir setzen also auf einen Mix aus Erneuerung unserer
Strukturen auf der einen Seite und Maßnahmen zur Bele-
bung der Konjunktur auf der anderen Seite. Ziel dieser
umfassenden Erneuerung ist es, weitaus mehr private
und auch öffentliche Investitionen auszulösen, um mehr
Dynamik, mehr wirtschaftliches Wachstum und neue Ar-
beitsplätze zu schaffen.

Dazu kommt – das wäre nicht möglich, wenn wir die
Strukturen nicht verändern würden – eine Strategie zur
Senkung der Lohnnebenkosten. Eine zu hohe Belas-
tung des Faktors Arbeit durch Beiträge zu den Sozialver-
sicherungen wirkt gerade im Dienstleistungssektor, wo
menschliche Arbeit meist nicht durch Maschinen ersetzt
werden kann, faktisch wie eine Strafsteuer auf Beschäfti-
gung. Mit der Senkung der Lohnnebenkosten durch die
Reform unserer sozialen Sicherung und mehr Flexibilität
am Arbeitsmarkt werden wir dafür sorgen, dass die
Schwelle, oberhalb derer Wirtschaftswachstum in
Deutschland zu mehr Beschäftigung führt, tatsächlich
sinken kann.

Keine Frage, Deutschland – das führt ja gerade die
FDP so gern im Mund – braucht mehr Flexibilität. Die
deutsche Definition von Freiheit kann und darf nicht hei-
ßen: Freiheit bedeutet bei uns in Deutschland Rege-
lungslücke. Ich sage aber an die Adresse der Union und
auch an die Adresse der FDP: Sie fordern mehr Flexibili-
tät immer nur von denen im Blaumann. Wenn es um
Wettbewerb und Flexibilität bei denen im weißen Kittel
oder mit weißem Kragen geht, kehrt bei Ihnen auffälli-
ges Schweigen ein, Herr Westerwelle, auch heute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


CDU und CSU machen sich zurzeit vielerorts – im
Paul-Löbe-Haus war das vernehmlich zu hören – zu
Lobbyisten der Besitzstandswahrer. Wer wie CDU/CSU
und FDP Deregulierung nur bei Arbeitnehmern und An-
gestellten, nicht aber in Bezug auf Ärzte, Apotheker,
Selbstständige und Handwerker fordert, wer wie Sie ver-
sucht, die Modernisierung der Handwerksordnung und
mehr Wettbewerb im Bereich der Arzneimittel zu ver-
hindern, der hat nicht begriffen, dass es wirklich darauf
ankommt, alle zu bewegen, um Deutschland zu erneu-
ern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil

Das müsste man Ihnen einmal deutlich ins Stammbuch
schreiben – ich hoffe, Sie hören mir noch zu – und inso-
fern werden wir Ihnen das auch noch einmal schriftlich
geben.

Wir werden diese Reformen angehen, meine Damen
und Herren. Da, wo sie nicht zustimmungspflichtig sind,
machen wir sie allein, und bei den anderen Punkten wer-
den wir Sie haarklein stellen. Wir wollen wissen, ob es
– ich sage es einmal ganz deutlich – blödes Geschwätz
ist, wenn Sie von Flexibilität sprechen, oder ob Sie Fle-
xibilität in jedem Bereich und nicht nur von einer Seite
der Gesellschaft fordern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es waren vor allen Dingen vier Standortvorteile, die
unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der
wirtschaftlich erfolgreichsten Länder dieser Erde ge-
macht haben, das ein hohes Maß an sozialem Ausgleich
organisieren konnte. An diese vier Standortvorteile kön-
nen und wollen wir mit unseren Reformen wieder an-
knüpfen.

Unser erster Standortvorteil war und ist immer noch
die hohe Qualifikation der Menschen in unserem Land.
Keine Frage, es sind in allen Bereichen Bildungsrefor-
men notwendig, wenn wir wieder an die Spitze kommen
oder an der Spitze bleiben wollen. Ein Land, das kein
Gold im Boden hat, so hieß es einmal in einem interes-
santen Kommentar, muss das Gold in den Köpfen der
Menschen heben. Vor allem aber müssen wir auch in
diesem Jahr jedem Schulabgänger und jeder Schulab-
gängerin die Chance auf einen Ausbildungsplatz bieten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden das Unsere dafür tun und unsere Mittel nut-
zen. Wir sagen aber auch der Wirtschaft sehr deutlich:
Bildet aus! Es ist in eurem eigenen Interesse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer glaubt, sich heute Ausbildungskosten sparen zu
können, und von der Politik morgen die Einreise auslän-
discher Fachkräfte fordert, hat sich geschnitten, um es
ganz klar zu sagen. Wir werden die Wirtschaft dort in die
Verantwortung nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unsere jungen Leute haben eine Ausbildungschance ver-
dient, hier und heute. Das ist ganz wichtig, um den
Standortvorteil Qualifikation für Deutschland zu erhal-
ten.

Der zweite Standortvorteil war und ist immer noch in-
novative Wissenschaft und Forschung in Deutschland.
Es hat „Made in Germany“ immer ausgezeichnet, dass
hier kluge Menschen Produkte und Verfahren entwickelt
haben, die hier auch zu Produktion und zu Arbeitsplät-
zen geführt haben. Hier sind wir an manchen Stellen
noch in der Weltspitze und ich möchte die Opposition
bitten, das nicht kaputt zu reden. Ich erinnere an den Ma-
schinenbau, an den Anlagenbau und an die Biotechnolo-
gie. An anderen Stellen, beispielsweise im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologien, müs-
sen wir aufholen, da sind wir im Hintertreffen. Ich bitte
Sie ganz herzlich, miteinander – wir haben gestern
zumindest im Ausschuss darüber sehr einvernehmlich
diskutiert – die notwendigen Anstrengungen zu unter-
nehmen, beispielsweise bei der Reform des Telekommu-
nikationsgesetzes, die in diesem Jahr ansteht, um in die-
sem Bereich Impulse für mehr Investitionen und mehr
technologischen Fortschritt in Deutschland zu geben.

Der dritte Standortvorteil war und ist nach wie vor die
hervorragende Infrastruktur in Deutschland. Unsere
Straßen sind im Vergleich zu denen in anderen Ländern
immer noch in einem hervorragenden Zustand. Damit
das auch in Zukunft so bleiben kann, brauchen wir neue
Wege in der Finanzierung auch öffentlicher Infrastruk-
tur. Dazu gehören neue Betreibermodelle, auch Public
Private Partnership kann und muss in Deutschland wei-
ter entwickelt werden. Es geht ganz einfach darum, auch
privates Kapital für öffentliche Aufgaben mobilisieren
zu können.

Es gibt aber einen Bereich, meine Damen und Herren,
in dem wir in der öffentlichen Infrastruktur nach wie vor
weit im Hintertreffen sind, das ist die Kinderbetreuung.
Ein Blick nach Skandinavien zeigt sehr deutlich: Eine
bessere Kinderbetreuung schafft bessere Bildungsmög-
lichkeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine bessere Kinderbetreuung führt zu einer besseren
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Eine bessere Kin-
derbetreuung sorgt dafür, dass mehr Frauen die Chance
haben, ihr Können im Arbeitsleben einzubringen.

Eine bessere Kinderbetreuung und damit eine höhere
Frauenerwerbstätigkeit gehen in diesen Ländern auch
mit einer höheren Geburtenrate einher, sind also gut für
die demographische Entwicklung. Auch das sollten vor
allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der
CSU, zur Kenntnis nehmen, wenn Sie versuchen, aus
ideologischen Gründen gegen bessere Kinderbetreu-
ungsmöglichkeiten und gegen Ganztagsschulen zu pole-
misieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das ist unglaublich!)


– Dann frage ich Sie: Welches Land in Deutschland hat
denn die schlechtesten Kinderbetreuungsmöglichkeiten
und die wenigsten Ganztagsschulen? Das ist der Frei-
staat Bayern.


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Aber die besten Schulergebnisse!)


Um es auf den Punkt zu bringen: Unsere Volkswirtschaft
kann sich schlechte Kinderbetreuungsangebote einfach
nicht länger leisten.

Ich komme zu einem weiteren Standortfaktor, zum
sozialen Frieden in unserem Lande. Darüber möchte ich






(A) (C)



(B) (D)


Hubertus Heil

sprechen, nicht nur weil er seit langem stabile demokra-
tische Verhältnisse in Deutschland bewirkt sondern
auch, weil er für die Wirtschaft wichtig ist. Der soziale
Frieden als wirtschaftlicher Standortfaktor wird oft un-
terschätzt. Schaut man sich das Ergebnis eines internati-
onalen Vergleiches an, so haben wir relativ wenige
Streiks – trotz der Berichterstattung der letzten Wochen
und Monate – und so gut wie keine sozialen Verwerfun-
gen oder Unruhen in Deutschland gehabt. Man kann so-
gar sagen: In Deutschland wird mehr Zeit durch Gruß-
worte oder durch Reden von Herrn Westerwelle
verschwendet als durch Streiktage.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Erika Lotz [SPD]: So ist das!)


Insofern ist es auch aus wirtschaftlichen Überlegungen
von Interesse, den sozialen Frieden zu erhalten.

Das müssen wir unter dramatisch veränderten Rah-
menbedingungen tun. Die wirtschaftliche Globalisierung,
die demographische Entwicklung und der technische
Fortschritt machen es dringend erforderlich, unseren So-
zialstaat umzubauen, damit soziale Sicherheit auch in
Zukunft möglich ist. Auf diesen Weg haben wir uns ge-
macht, nicht erst seit gestern oder seit Beginn dieser Le-
gislaturperiode, sondern auch schon in der vergangenen
Legislaturperiode. Wir sagen sehr deutlich: Unser Sozi-
alstaat der Zukunft konzentriert die Hilfen auf diejeni-
gen, die unverschuldet in Not geraten sind; er setzt dar-
auf, zu fördern und zu fordern; er verbindet gleiche
Rechte für den Einzelnen mit gleichen Pflichten gegen-
über der Gemeinschaft und sorgt für einen fairen Aus-
gleich der Lasten und Chancen zwischen den Generatio-
nen.

Für diesen Sozialstaat lohnt sich so manche Mühe
und so mancher Ärger, die wir schon jetzt haben, aber
auch noch vor uns haben. Vor allem lohnt sich diese
Mühe aber für unser Land. Ich bitte das gesamte Parla-
ment, auch die Opposition, um Unterstützung. Die Men-
schen erwarten von uns zu Recht kein kleinkariertes po-
litisches Gezänk, sondern Lösungen. Sie erwarten von
Opposition und Regierung, vom Bund, aber auch von
den Bundesländern, dass die Politik ihrer Verantwortung
gerecht wird.

Meine herzliche Bitte an CDU/CSU lautet: Wir haben
in vielen Bereichen zu streiten. Aber denken Sie bei den
Diskussionen, die anstehen, in erster Linie an Deutsch-
land und nicht so sehr an die bayerische Landtagswahl.
Erfüllen Sie Ihre Pflicht als Opposition, die Ihnen die
Verfassung durchaus zuweist. Es muss Ihr Schaden nicht
sein, meine Damen und Herren von der Opposition,
wenn die Menschen in Deutschland zur Abwechslung
auch einmal stolz auf die Opposition sein können.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auf die Regierung bestimmt nicht! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie leiden unter Realitätsverlust!)


– Zum Thema Realitätsverlust möchte ich gerne etwas
sagen. Ich habe mir eben die Rede von Herrn Glos ange-
hört. Frau Merkel hat in ihrer Rede gesagt, Subventionen
müssten abgebaut werden; so habe ich sie vorhin ver-
standen. Herr Glos sagt, wir sollten ja keinen Subven-
tionsabbau vornehmen, dieser würde Effekte wieder zu-
nichte machen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie machen beim Zuhören sogar noch Fehler! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Falsch!)


Was denn nun? – Sie haben verhindert, dass die Kom-
munen in diesem Jahr 6 Milliarden Euro zur Verfügung
haben, um ihre Investitionskraft zu stärken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Hinsken, der dort sitzt, versucht, das Handwerk ge-
gen diese Bundesregierung aufzuhetzen, weil wir die
notwendigen Schritte unternehmen, um die Handwerks-
ordnung in Deutschland zu modernisieren. Sie sind eine
Opposition der Verweigerer. Zurzeit werden Sie Ihrer
Verantwortung nicht gerecht.

Deshalb lautet meine Bitte an Sie: Kommen Sie auf
den Boden der Realität zurück. Es soll Ihr Schaden nicht
sein. Wir alle arbeiten für Deutschland, auch Sie. Ich
wünsche Ihnen – wie gesagt – gute Besserung. Einige
bei Ihnen haben das begriffen, andere noch nicht.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505601800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine

Lötzsch.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1505601900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Gäste! Wo liegt eigentlich Neuharden-
berg, das ehemalige Marxwalde, und wie kommt man
dahin? Diese praktischen Fragen werden sich einige Ab-
geordnete sicherlich gestellt haben. Der Kanzler
brauchte nicht auf die Autokarte zu schauen oder den
Fahrplan der Deutschen Bahn zu studieren, sondern er
kam und verschwand dann wieder mit dem Hubschrau-
ber. Das ist das eigentliche Problem. Als Erich Honecker
durch die Lande fuhr, wurden die Häuserreihen, an de-
nen er mit seinem Auto vorbeikam, notdürftig angestri-
chen und die Menschen, die er auf den Marktplätzen traf,
waren vertrauenswürdige Statisten.


(Joachim Poß [SPD]: Sie sollten sich solche Vergleiche aber genau überlegen!)


Der Kanzler sieht die Welt aus der Vogelperspektive,
aus einem Hubschrauber. Er erklärt, Deutschland be-
wege sich. Dabei kann er allerdings gar nicht sehen, was
sich mehrere Tausend Meter unter ihm tut. Er fliegt über
das Land und liest Umfrageergebnisse. Dabei hat er nur
noch eine Zahl im Kopf, nämlich die Zahl, die den pro-
zentualen Abstand zwischen der CDU und der SPD be-
schreibt.

Nun haben Sie mit dem Versprechen einer steuer-
lichen Entlastung von circa 15 Milliarden Euro für






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

2004 in den Umfragen einen Prozentpunkt hinzugewon-
nen. Wir als PDS haben am Wochenende nicht eine Steu-
erentlastung von 15 Milliarden Euro versprochen, son-
dern einen Bundesparteitag abgehalten. Lothar Bisky
wurde zum Parteivorsitzenden gewählt und hat die Op-
position zur Agenda 2010 präzisiert – die PDS hat auch
einen Prozentpunkt hinzugewonnen. Letzteres scheint
mir aus ökonomischer Sicht die geeignetere Strategie zu
sein.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Der Bundeskanzler ist offensichtlich bereit, für einen

Prozentpunkt mehr in den Umfragen die Wahlpro-
gramme der CDU komplett zu übernehmen, um so Frau
Merkel und Herrn Stoiber unter Druck zu setzen. Die po-
litische Debatte hat mit der Realität nichts mehr zu tun.
Sie ist quasi zu einer Hasenjagd konvertiert. Es stellt
sich nur noch die Frage, wer gerade Hase und wer Jäger
ist, die CDU oder die SPD.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung will
die Steuerreform vorziehen. Schauen wir uns doch ein-
mal die Ergebnisse der letzten großen, unsozialen Steu-
erreformen der Bundesregierung an:

Erstens. Sie haben gigantische Steuerentlastungen für
große Aktiengesellschaften durchgesetzt. Die Einnah-
men aus der Körperschaftsteuer fielen zum Beispiel
von 24 Milliarden Euro auf unter null. Sie mussten Steu-
erguthaben in gigantischen Größenordnungen an Kon-
zerne auszahlen. Die gewünschten Investitionen und die
erwartete konjunkturelle Belebung blieben jedoch aus.

Zweitens. Die Steuerreform führte dazu, dass die Ein-
nahmen der Städte und Gemeinden und auch die der
Länder dramatisch abstürzten. Sie sind kaum noch in der
Lage, ihre gesetzlichen Pflichtaufgaben zu erfüllen. Al-
lein meine Heimatstadt Berlin wird aufgrund der vorge-
zogenen Steuerreform weitere 460 Millionen Euro jähr-
lich im Stadtsäckel vermissen.

Was hat die Bundesregierung aus ihrer ersten Steuerre-
form gelernt? – Augenscheinlich nichts; denn die Losung
lautet: Weiter so! Die von Ihnen geplante Steuerreform
bedeutet bei einem Jahreseinkommen von 15 000 Euro
eine Steuerersparnis von 267 Euro. Das sind im Monat
gut 22,25 Euro Ersparnis.


(Zuruf von der Regierungsbank: Besser als nichts!)


– Das ist besser als nichts, das ist richtig. Aber bei einem
Jahreseinkommen von 1 Million Euro kommt man schon
auf 67 000 Euro Steuerersparnis im Jahr. Das soll Ge-
rechtigkeit sein?

Interessant ist, dass die „FAZ“, aber auch die „Bild“-
Zeitung die Steuerersparnisse in ihren Tabellen nur bis
zu einem Jahresgehalt von 100 000 Euro berechnet ha-
ben. Einkommensmillionäre gibt es in diesen Blättern
gar nicht.

Klar ist, dass von 22,25 Euro nicht viel übrig bleiben
wird, wenn sich die große Koalition von SPD und CDU
auf einen Subventionsabbau einigt. Ich glaube, zum
Beispiel Herr Ackermann, Vorstandssprecher der Deut-
schen Bank, mit einem Jahresgehalt von 6,9 Millionen
Euro wird auf die Eigenheimzulage, die Pendlerpau-
schale und die Steuerbefreiung von Nacht- und Sonn-
tagsarbeit nicht angewiesen sein. Ihn wird der Subven-
tionsabbau nicht treffen.

Meine Damen und Herren, die nächste Stufe der Steu-
erreform wird genauso wenig den Massenkonsum an-
kurbeln wie die bisherigen Steuerreformen der Bundes-
regierung. Was Sie den Leuten an Steuern zurückgeben,
holen Sie sich beim Subventionsabbau wieder zurück.
Eine Linie ist nicht erkennbar.

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck,
dass der Kanzler mit einem ernsten Hubschraubersyn-
drom zu kämpfen hat. Wir nannten das zu DDR-Zeiten
das Wandlitz-Syndrom. Ich empfehle Ihnen, einfach mal
wieder mit der Straßenbahn zu fahren oder die Deutsche
Bahn zu nutzen. Dann werden Sie Deutschland mit an-
deren Augen sehen.

Übrigens: Mit der Bahn kommt man mit dem DB Re-
gio, Linie 7 – Berlin–Eberswalde–Frankfurt/Oder – nach
Neuhardenberg. Der Bahnhof liegt circa zehn Kilometer
von Neuhardenberg entfernt. Die tägliche Verbindung
gibt es allerdings nur im Zweistundentakt. Wer von den
Ministern ist eigentlich mit der Bahn gekommen?

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505602000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk,

Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505602100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ge-

hen bald in die Sommerpause, aber wir werden uns in ei-
nem Herbst wieder treffen, der mit Sicherheit sehr
schwierig wird.

Wir werden eine hohe Arbeitslosigkeit haben, die bis
an die Fünfmillionengrenze heranreichen kann, und wir
befinden uns – das wissen wir; darüber haben wir ges-
tern auch im Haushaltsausschuss gesprochen – im dritten
Jahr hintereinander in einer Stagnation. Das ist in erster
Linie für die betroffenen Arbeitslosen ein großes Pro-
blem; das wird aber auch ein großes Problem bei der
Aufstellung des Haushaltes 2004 sein. Deswegen reicht
es nicht, nur darüber zu jammern und zu klagen, dass wir
in einer schwierigen Situation sind und – ich kann mir
vorstellen, dass mein Kollege Austermann von der
CDU/CSU das hier möglicherweise strapazieren wird –
so unglaublich schlechte Haushaltszahlen haben.

Im Haushalt 2004 wollen wir 14 Milliarden Euro ein-
sparen – das sehen wir in unserem Entwurf vor –, mehr
als die Hälfte davon im Übrigen auf der Ausgabeseite.
Wenn wir gleichzeitig auch auf der Einnahmeseite kon-
solidieren,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Luftbuchungen!)

dann sollten Sie das – dafür möchte ich werben – nicht
nur als Luftbuchungen bezeichnen. Im Zweifel sollten






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk

Sie uns noch überholen. Dann schauen wir, ob Ihre Vor-
schläge besser sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es geht jedenfalls nicht, von Luftbuchungen zu spre-
chen und sich auf der anderen Seite darüber zu beschwe-
ren, dass zum Beispiel die Rentner belastet werden sol-
len. Sie müssen dann schon den Mut haben, Alternativen
gegenüberzustellen. Wir haben sehr ehrgeizige Einspar-
vorschläge vorgelegt und bereits – das muss ich einmal
ganz deutlich sagen, weil Sie uns immer vorwerfen, es
sei noch nichts genannt; das wissen Sie aber auch – einen
massiven Subventionsabbau konkretisiert.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wir haben zur Steinkohle Beschlüsse gefasst!)


– Die Steinkohlesubventionen werden weiter abgebaut.
Ich weiß, dass Sie uns dabei unterstützen werden. Das
finde ich im Übrigen gar nicht schlecht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – CarlLudwig Thiele [FDP]: Entschuldigung, der Herr Fischer war doch dagegen auf den Barrikaden!)


Ich will Ihnen sagen: Sie können nicht nur Vorwürfe
machen. Ich möchte dafür werben, dass Sie auch Alter-
nativen vorlegen. Es wäre gut, wenn Sie das täten; denn
dann könnten wir darüber streiten.

Es reicht nicht, nur zurückzublicken und zu klagen,
dass Sie dies und das früher falsch gefunden haben. Es
reicht auch nicht, zu sagen, früher hätten wir verspro-
chen, die Situation werde besser. Wir alle dürfen näm-
lich den Blick für die Realität nicht verlieren. Die Reali-
tät ist heute schwierig. Wir haben eine immens hohe
Arbeitslosigkeit und befinden uns in der Stagnation; da-
mit gilt es umzugehen. Das gilt auch für die Opposition,
die das zur Grundlage ihrer Argumentation machen
muss. Das erwarte ich von Ihnen und auch von meinen
Kollegen im Haushaltsausschuss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Bei dieser Regierung warten Sie umsonst!)


In der Kürze der mir noch verbliebenen Zeit möchte
ich noch über das Vorziehen der Steuerreform reden.
Ihre Fraktionschefin sagte, sie hätten „gesessen und ge-
wartet“. Das wäre für uns ja noch bequem gewesen.
Nein, es ist viel schlimmer: Ihre Reaktion darauf, Ihr un-
geordnetes Vorgehen beim Vorziehen der Steuerreform,
zeigt, dass Sie nicht zu einer ehrlichen Debatte bereit
sind. Ich will Ihnen ehrlich sagen: Das geht in diesem
Land und auch für Sie auf Dauer nicht gut.

Die Bevölkerung empfindet das Vorziehen der Steuer-
reform zu Recht als Entlastung. Sie sagt aber mehrheit-
lich – das Gleiche gilt auch für uns –, dass wir uns das
Vorziehen auf Pump eigentlich nicht leisten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Schlagen Sie doch einen anderen Weg vor!)

Deshalb brauchen wir Ihre Kooperation, weil die Mehr-
heitsverhältnisse so sind, wie sie sind. Herr Glos, Sie ha-
ben auch von der Nachhaltigkeit gesprochen. Ich bitte
Sie, die Verantwortung, die Sie im Bundesrat tragen und
die Sie sich erkämpft haben, auch wahrzunehmen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ja!)

Es kann nicht sein, dass die Eigenprofilierungssucht ei-
nes Herrn Koch ein solches Durcheinander bewirkt, so-
dass Sie sich hinterher nicht mehr bewegen können. Ei-
genprofilierung darf jetzt nicht sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu sind die Probleme in unserem Land zu groß. Auch
Sie tragen Verantwortung in unserem Land. Ob Sie wol-
len oder nicht: Die Lage ist nun einmal so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will zum Abschluss Folgendes sagen: Niemand
von uns bestreitet, dass die Hauptprobleme nicht unbe-
dingt nur mit den Steuern zu tun haben. Vielmehr müs-
sen jetzt Strukturreformen Priorität haben. Sie wissen,
dass wir mit der Agenda 2010 nicht nur Ankündigungen
gemacht haben, sondern auch die entsprechenden Ge-
setzentwürfe bereits vorgelegt haben: Die Beratungen
zur Gesundheitsreform laufen. Über die Veränderungen
auf dem Arbeitsmarkt haben wir schon strittig diskutiert.
Im Herbst werden wir noch über eine ganz entschei-
dende Frage debattieren, nämlich die Reform der Alters-
sicherung.

Ich fordere Sie auf, mutiger zu sein und dabei auch
den Konflikt mit Lobbyisten nicht zu scheuen. Der Weg
zur Lösung ist nun einmal steinig. Die Bevölkerung
weiß, dass Reformen schmerzhaft sein können. Das
müssen Sie anerkennen. Wir werden Vorschläge ma-
chen. Aber bei einem Teil der Vorschläge werden wir
Ihre Zustimmung brauchen. Wir sind bereit, gewisse
Kompromisse zu machen. Aber Neinsager können wir
uns in diesem Land nicht leisten. Deswegen fordere ich,
dass Sie sich nicht nur darauf beschränken, unsere Vor-
schläge abzulehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505602200

Nächster Redner ist der Kollege Dietrich

Austermann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1505602300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die

Diskussion verfolgt, der hat sich sicherlich darüber ge-
wundert, dass in einer Debatte im Anschluss an die Re-
gierungserklärung des Bundeskanzlers weder dieser
noch ein Minister aus seinem Kabinett hier anwesend ist.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Er war sehr lange hier!)







(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

Es sind zwar eine ganze Reihe von Stellvertretern hier,
aber der Kanzler selber eben nicht.

Dabei wäre es gut, man könnte sich mit ihm über das
unterhalten, was sich in der vergangenen Zeit getan hat
und weshalb wir heute diese Debatte nach der Regie-
rungserklärung führen müssen. Heute Nachmittag wird
der Bundeskanzler im Untersuchungsausschuss, dem
Lügenausschuss, aussagen müssen. Der Lügenausschuss
soll aufklären, wie mit den Menschen in diesem Land
vor der Bundestagswahl umgegangen worden ist.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Bleiben Sie beim Thema!)


Ich sage: Die Lügen von 2002 sind offensichtlich die
Grundlage für den Haushalt von heute, den Herr Eichel
vorgelegt hat. Wenn man sich den Haushalt anschaut,
stellt man fest, dass er ein einziges Lügengebäude ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich will das konkret deutlich machen: In unserem
Land findet kein Wirtschaftswachstum statt. Der „Han-
delsblatt“-Indikator weist heute Stagnation aus. Der
Bundesfinanzminister hat gestern im Haushaltsaus-
schuss, als wir ihn gefragt haben, warum er auf unsere
Vorschläge zu Steuersenkungen nicht eher eingegangen
ist, geantwortet, er habe das dritte Jahr der Stagnation
abwarten wollen. Das heißt, der Regierung war bewusst,
dass sie spätestens nach zwei Jahren Stagnation hätte
handeln müssen, aber sie hat trotzdem nichts gemacht
und die notwendigen Maßnahmen nicht umgesetzt. Im
dritten Jahr der Stagnation ist die Regierung dazu end-
lich bereit.

Ein Teil der Redner der Koalition hat uns heute vorge-
halten, es gebe hie und da unterschiedliche Stimmen in
unseren Reihen. Wenn ich mir die Eckdaten unseres
Landes anschaue, dann muss ich sagen: Viele Menschen
in diesem Lande – das gilt selbst für mich, der ich von
Herrn Poß und anderen vor der Bundestagswahl immer
als Kassandra gescholten worden bin, weil ich die Situa-
tion realistisch beschrieben habe – haben sich nicht vor-
stellen können, wie desaströs die Lage zurzeit in
Deutschland ist. Deshalb muss man heute klar benennen,
wer an dieser Entwicklung schuld ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bei allen wesentlichen Kennziffern der wirtschaftlichen
Entwicklung wie Wachstum, Beschäftigung und Kauf-
kraft ist Deutschland nach vier Jahren Reformstau unter
Schröder im Vergleich zu anderen führenden Nationen
zurückgefallen. In diesen vier Jahren wurde den Bürgern
etwas vorgegaukelt.

Wenn man heute der Realität ins Auge sehen will,
dann ist es dringend geboten, auf der Grundlage des
Haushalts 2003 eine Zwischenbilanz zu ziehen. Dies
hätte zur Folge, dass ein Nachtragshaushalt auf den
Tisch gelegt werden müsste, aus dem hervorgeht, wo wir
zurzeit stehen. Jetzt muss mit dem Sparen wirklich ange-
fangen werden.
Sparen heißt zunächst einmal, dass die Regierung ih-
ren eigenen Konsum zurückfährt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht eine neue Kom-
mission, ein Gutachterausschuss oder ein Beratergre-
mium eingesetzt wird oder neue Subventionen initiiert
werden. Fast täglich werden neue, für den Haushalt kos-
tenträchtige Maßnahmen eingeleitet. Sie aber weigern
sich, eine Haushaltssperre zu verhängen, ein Haushalts-
sicherungsgesetz zu machen und einen Nachtragshaus-
halt vorzulegen.

Wir fordern Sie auf, zur Haushaltsklarheit und
Haushaltswahrheit zurückzukehren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Innerhalb einer Woche gibt es inzwischen den zweiten
Haushaltsentwurf. Am Mittwoch vor einer Woche hat
Eichel einen ersten Haushaltsentwurf vorgelegt, der mit
einer Verschuldung endete, die scheinbar gerade noch
innerhalb der Verfassungsgrenze lag. Er hat gestern ei-
nen zweiten Haushaltsentwurf vorgelegt, der diese Ver-
fassungsgrenze überschreitet. Man kann den Bürgern gar
nicht genug demonstrieren, dass das Parlament gezwun-
gen ist, die Verfassung, die von diesem Parlament ge-
schaffen worden ist, einzuhalten. Wenn eine Regelung in
der Verfassung existiert, die verbietet, dass wir mehr
neue Schulden machen, als wir Mittel für Investitionen,
also für die Zukunft, einsetzen, dann kann man doch
nicht leichtfertig sagen: Das interessiert uns überhaupt
nicht,


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch billig!)


wir überschreiten die Verschuldungsgrenze um 6 oder
7 Milliarden Euro oder umgerechnet 14 Milliarden DM,
es wird sich im Laufe der Zeit schon richten.

Nun haben Sie gesagt, wir sollten uns an der einen
oder anderen Maßnahme beteiligen, die Sie vorschlagen
wollen. Ich unterstreiche noch einmal, was unsere Frak-
tionsvorsitzende gesagt hat: Alles, was Sie jetzt genannt
haben, ist bereits im ersten Haushaltsentwurf, den Sie
eine Woche zuvor vorgestellt haben, enthalten gewesen,
von der Entfernungspauschale über die Eigenheimzulage
bis – das ist besonders interessant – hin zu dem, was
Koch und Steinbrück erst noch ermitteln sollen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Richtig!)

Da ist im Haushalt eine Einsparung eingestellt, ohne
dass die Einigung über diese Position bisher herbeige-
führt worden ist. Das kann man nicht anders als Luftbu-
chungen, Luftlöcher und Hoffnungswerte bezeichnen.
Trotz dieser Regelung ist es dem Bundesfinanzminister
nicht gelungen, einen Haushalt vorzulegen, der die Ver-
fassungsgrenze einhält.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt dafür oder dagegen?)







(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

– Die Frage stellt sich überhaupt nicht.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist gestellt worden!)


Wir haben in der letzten Legislaturperiode 1 078 An-
träge vorgelegt. Wir haben in dieser Wahlperiode
256 Anträge vorgelegt. Darunter war eine Fülle von Vor-
schlägen, an welcher Stelle gestrichen werden soll.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Welche Vorschläge haben Sie denn jetzt?)


Auch im Monat Juni haben wir einen Antrag vorgelegt,
der unsere grundsätzliche Position unterstreicht, näm-
lich: Die Steuertarife müssen herunter, die Ausnahmen
müssen weg. Das ist die grundsätzliche Position der
Union.

Was Sie jetzt vorschlagen, ist die zweitbeste Lösung.
Wir sind auch für die zweitbeste Lösung, wenn mehr
nicht zu machen ist, aber es macht keinen Sinn, eine
Steuersenkung vorzunehmen, bei der von vornherein si-
cher ist, dass, nur um den Haushalt auszugleichen, den
Menschen das Geld, das sie durch den denkbaren wirt-
schaftlichen Wachstumsimpuls erhalten, wieder aus der
Tasche gezogen wird.

Ich kann Ihnen sagen, was bisher Bestandteil des
Haushalts ist. Sie sollten überlegen, woher Sie die weite-
ren 7 Milliarden Euro nehmen wollen. Sie haben bisher
zur Rente keine klare Aussage gemacht. Der Bundesfi-
nanzminister ist von Neuhardenberg mit dem Auftrag
zurückgekommen, er möge sich mit der Ministerin
Schmidt einigen.


(Hubertus Heil [SPD]: Hat er schon!)

– Nein, das hat er nicht. – Wir wissen bisher nicht, ob er
die Schwankungsreserve auflösen will. Wie will er die
Schwankungsreserve auflösen, wenn diese im Wesentli-
chen aus Immobilien besteht? Soll der Beitrag gesenkt
werden? Nach dem Finanzplan des Bundes für die
nächsten vier Jahre ist davon auszugehen, dass die Rent-
ner in Deutschland in den nächsten vier Jahren Einkom-
menseinbußen haben werden, ohne dass Sie bisher eine
Entscheidung getroffen haben.

Einkommenseinbußen wird es auch bei den Land-
wirten geben. Michael Glos hat auf die Zangenbewe-
gung – EU, Frau Künast, Bundeshaushalt – hingewiesen.
Einschränkungen bei der Alters- und Krankenversiche-
rung: Die Beiträge für die Krankenversicherung werden
um 30 bis 40 Prozent steigen. Wir wollten eigentlich
eine Politik machen, mit der die Beiträge und die Ab-
gabenlast gesenkt werden. Versorgungsempfänger: Hal-
bierung der jährlichen Sonderzuwendungen; aktive
Beamten, Richter und Soldaten: Kürzung des Weih-
nachtsgeldes, Streichung des Urlaubsgeldes, Einschrän-
kungen bei der Beihilfe; Arbeitslose: Einschränkungen
der Leistungen; Familien: Einschränkung des Kreises
der Berechtigten für den Bezug von Erziehungsgeld; Al-
leinerziehende: Einschränkung des Kreises der Berech-
tigten für den Bezug von Unterhaltsvorschuss. Was Sie
hier tun, finde ich besonders unanständig, weil das die
Schwächsten der Gesellschaft, die Familien und die un-
vollständigen Familien betrifft.
Zivildienstleistende sind betroffen und Häuslebauer.
Die Eigenheimzulage und die Wohnungsbauprämie fal-
len weg. Alle Arbeitnehmer erfahren eine Einschrän-
kung der Entfernungspauschale. Ich sage Ihnen noch
einmal: Sie haben die Einschränkung der Entfernungs-
pauschale bereits in dem ersten Haushaltsentwurf verar-
beitet.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn nun? Sie spielen wieder den Neinsager!)


Wie werden Sie reagieren, wenn später die Arbeitneh-
mer nicht auf die Pauschale setzen, sondern die Kosten
extra abrechnen? Unternehmen: Einschränkung der zeit-
anteiligen AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter im Jahr
der Anschaffung.

Sie haben ein Konvolut von Maßnahmen vorgelegt, in
dem – um die Balance des Haushalts einigermaßen zu
wahren – so viele Kürzungen zulasten der Menschen in
unserem Land vorgesehen sind, dass kaum Grund zu der
Annahme besteht, das Vorziehen der Steuerreform könne
einen Wachstumsimpuls auslösen.


(Hubertus Heil [SPD]: Jetzt kommen Ihre Vorschläge!)


– Unsere Vorschläge liegen bereits vor. Ich darf sie
Herrn Heil noch einmal nennen: erstens Haushaltssiche-
rungsgesetz, zweitens Haushaltssperre, drittens Nach-
tragshaushalt


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was steht denn da drin?)


und viertens ein verfassungsmäßiger Haushalt für das
nächste Jahr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu gehört meines Erachtens – das kann nicht oft

genug festgestellt werden –, dass wir endlich anfangen
zu sparen. Das fängt bei der Regierung an. Es gibt kei-
nen Tag, an dem sie nicht irgendein Vorhaben ankündigt,
mit dem sie den Bürgern hier und da neue Geschenke zu-
stecken möchte.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich habe einen Alternativvorschlag: Die Regierung muss weg!)


– Der Kollege Kauder hat völlig Recht. Wenn es ein we-
sentliches Problem in diesem Land gibt, dann ist das die
Tatsache, dass die Menschen kein Vertrauen in das
Handeln der Regierung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn kein Vertrauen vorhanden ist, fehlt es an Kon-

sum und an Investitionen. Viele Unternehmer in meinem
Wahlkreis, aber auch darüber hinaus, teilen mir mit, sie
müssten zugunsten der weiteren Entwicklung ihres Be-
triebes zwar eigentlich Investitionen vornehmen und sie
könnten dies auch, aber solange diese Politik fortgeführt
werde, würden sie nicht investieren.


(Günter Gloser [SPD]: Ach was! – Joachim Poß [SPD]: Das ist doch das Ergebnis Ihrer Propaganda!)







(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

Das Gleiche gilt für die Konsumenten. Obwohl sie

zum Konsum in der Lage wären, legen sie lieber das
Geld auf das Sparbuch, weil sie davon ausgehen müssen,
dass, wenn die Regierung weiter so vor sich hin wurstelt,
das Wirtschaftswachstum auch im nächsten Jahr nicht si-
cher ist und dass sich das vorgesehene Wachstum als
Trugbild erweist.


(Joachim Poß [SPD]: Ermutigen Sie die Unternehmer zu Investitionen oder nicht?)


– Herr Poß, der Unternehmer entscheidet sich dann für
Investitionen, wenn es der Regierung gelingt, den Ein-
druck zu vermitteln, dass sie eine berechenbare Politik
gestaltet. Schröder aber blinkt links und fährt nach
rechts. Dass er nach rechts fährt, kann einem manchmal
gefallen, aber am nächsten Tag blinkt er dann rechts und
fährt nach links.

Solange bei der Regierung kein klarer Kurs erkennbar
ist, wird sie kein Vertrauen erzielen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen müssen jetzt die richtigen Vorschläge auf den
Tisch kommen. Dann wird die Union ihre Alternative
vorlegen. Erst dann kommt Deutschland voran.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505602400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Frechen,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1505602500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

„Es ist immer das Gleiche: Man nimmt eine Gesetzes-
sammlung zur Hand, um eine Rechtsregel nachzuschla-
gen, und steht vor der Frage, wo man suchen soll.“ –
Dieser Satz aus dem Vorwort zum Einkommensteuerge-
setz trifft natürlich auch und besonders für das Steuer-
recht zu. Die Transparenz der Steuergesetze ist für die
Umsetzung unserer modernen Steuerpolitik, die die
Grundlage der Klausurtagung des Bundeskabinetts in
Neuhardenberg und der Agenda 2010 darstellt, eine
wichtige Voraussetzung.

Modernisierung und Vereinfachung sind Ziele unserer
Steuerpolitik und Voraussetzung für Steuergerechtigkeit.
Doch neben Vereinfachung und Transparenz gibt es
noch andere Ansprüche, die eine nachhaltige Steuerpo-
litik erfüllen muss. Sie muss Grundlage für die notwen-
dige Finanzausstattung zur Erfüllung der staatlichen
Aufgaben sein, wirtschaftliche Impulse setzen, auf kon-
junkturelle Veränderungen reagieren können und dem
Grundsatz auf eine gerechte Lastenverteilung gerecht
werden.

Besondere Beachtung bei der Umsetzung dieser Auf-
gaben hat das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und
zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23. Ok-
tober 2000 gefunden, das den Einstieg in die große
Steuerreform darstellte und mit der Umsetzung der letz-
ten beiden Stufen nunmehr abgeschlossen werden soll.

Was das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform
im Einzelnen bedeutet, möchte ich noch einmal kurz ins
Gedächtnis rufen. Der Eingangssteuersatz sinkt auf
15 Prozent, der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent. Der
Grundfreibetrag steigt auf 7 664 Euro. Gleichzeitig ha-
ben wir das Kindergeld auf 154 Euro angehoben. Gegen-
über 1998 bedeutet das für eine allein erziehende Mutter
mit einem Kind und einem Einkommen in Höhe von
20 000 Euro eine Reduzierung der Belastung von 804 auf
182 Euro. Das sind mehr als 77 Prozent. Bei einem ver-
heirateten Alleinverdiener mit einem Kind und einem zu
versteuernden Einkommen in Höhe von 35 000 Euro be-
deutet das eine Reduzierung von 3 429 auf 1 074 Euro,
also um fast 69 Prozent. Aber auch alle anderen Steuer-
pflichtigen werden entlastet, und zwar im Durchschnitt
um 10 Prozent. Davon profitieren aber nicht nur Fami-
lien. Auch Einzelfirmen und Personengesellschaften
werden dadurch deutlich mehr Geld in der Kasse haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das schafft zusätzliche Impulse für Konsum und In-
vestitionen. Beides brauchen wir, um unserer Wirtschaft
Dynamik für Wachstum und Beschäftigung zu verleihen.

Ich schlage ein steuerpolitisches Sofortprogramm
zum Ankurbeln der Wirtschaft vor: Vorziehen der
zweiten und dritten Steuerentlastungsstufe …

So ist es – von Edmund Stoiber – am 29. September
2001 in der „Welt am Sonntag“ zu lesen. Am 29. Juni
2003 war dagegen bei Reuters zu lesen:

Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerprä-
sident Edmund Stoiber hat das Nein der Union zu
dem vom Bundeskabinett beschlossenen Vorziehen
der Steuerreform bekräftigt.

Doch am vergangenen Sonntag kam – hoffentlich – die
endgültig letzte Wendung – und zwar diesmal zum Gu-
ten – in einem Brief an Bundeskanzler Gerhard
Schröder.


(Zuruf von der SPD: Edmund-Pirouette! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hat er den Brief schon beantwortet?)


– Ja, er hat ihn beantwortet. Lesen Sie keine „Bild“-Zei-
tung, Herr Hinsken?


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Einhergehen muss mit den geplanten Steuersenkun-

gen für alle Steuerpflichtigen selbstverständlich ein
umfassendes Programm zum Abbau von Steuersubven-
tionen. Subventionsabbau darf nicht nur ein Wahl-
kampfversprechen sein. „Die Wahlversprechen von
heute, sind die Steuern von morgen.“ Diesen Satz
möchte ich heute ganz besonders meinen bayerischen
Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben. Ein
einfaches Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen zu
fordern ist eine Sache, die konkrete Umsetzung eine ganz
andere. Wenn man pauschal Forderungen nach einem






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Frechen

einfachen Steuersystem erhebt, erntet man auf breiter
Front Zustimmung. Sobald es aber konkret wird, sieht
die Welt plötzlich ganz anders aus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt auch beim Thema Subventionsabbau. Jeder
befürwortet grundsätzlich einen Abbau von Finanzhilfen
oder Steuervergünstigungen, und zwar völlig zu Recht;
denn sie entlasten Einzelne und belasten alle. Doch jedes
Stopfen von Steuerschlupflöchern, das Eindämmen von
Umgehungsmöglichkeiten und der Abbau von Vergüns-
tigungen wirken natürlich umgekehrt: für Einzelne be-
lastend, aber für alle anderen entlastend.


(Beifall bei der SPD)

Wer also allgemein nach Subventionsabbau ruft, dann

aber in jedem konkreten Fall mit der Parole „Hilfe, hier
droht eine Steuererhöhung!“ die Umsetzung verhindert,
erweist der Sache einen Bärendienst. Gerade die Diskus-
sion über den Abbau von Steuervergünstigungen im
Frühjahr dieses Jahres hat gezeigt, dass Lobbyarbeit bei
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion, auf sehr fruchtbaren Boden fällt. Leider hat sich
wieder einmal erwiesen, dass Sie noch nicht einmal Ih-
ren eigenen Sonntagsreden glauben. Doch das Motto
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ wird
hier genauso wenig funktionieren wie überall.

Es gab in den letzten Tagen Hunderte von Schlagzei-
len oder widersprüchlichen Aussagen aus den Reihen
der CDU/CSU, die ich versucht bin zu zitieren. Aber ich
habe mir just das Zitat herausgesucht, das sich auch un-
ser Fraktionsvorsitzender herausgepickt hat – ich denke,
man kann es ruhig noch einmal vortragen, weil es die Si-
tuation der CDU/CSU so schön beschreibt –:

Die Union sagt ja nicht Nein, sondern die Union
sagt: Ja, aber …

Dieses entschiedene Sowohl-als-auch ist ein Zitat von
Edmund Stoiber im „heute journal“ vom 30. Juni dieses
Jahres. Aber so kann es nicht gehen. Die Aufgaben in
der Steuerpolitik sind viel zu ernst, als dass Sie hier Ihre
taktischen Spielchen spielen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Menschen im Lande erwarten Entscheidungen.
Diese Entscheidungen können zum großen Teil nur in
Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesrat getrof-
fen werden. Hier sind Sie in der Pflicht. Wir wollen
diese Zusammenarbeit. Die Länder haben ein ureigenes
Interesse an Ergebnissen; denn sie haben die Verantwor-
tung für ihren Haushalt und für die Kommunen.

Wir brauchen einen Abbau von Subventionen und
Ausnahmen, nicht nur im Interesse der Staatsfinanzen;
er ist ein wirkungsvoller Beitrag zur Steuervereinfa-
chung und zur Steuergerechtigkeit.

Die Bekämpfung von Steuerbetrug ist eine große
Herausforderung für die nächste Zeit. Ich glaube, es ist
niemand hier in diesem Hohen Haus anwesend, der mir
– bei allen Differenzen, die wir vielleicht haben – nicht
zustimmt. Allein im Bereich der Umsatzsteuer werden
Bund, Ländern und Kommunen jährlich 14 Milliarden
Euro vorenthalten. Der Grund dafür sind betrügerische
Machenschaften, die zulasten aller Menschen und aller
Unternehmen in diesem Land gehen. Wir müssen diese
Vergehen mit aller Konsequenz ahnden und verfolgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass
Steuerhinterziehung eben kein Kavaliersdelikt ist. Sie
stellt eine Flucht Einzelner aus der Verantwortung für
das Gemeinwesen dar, die zulasten des Gemeinwesens
geht. Würde uns die hinterzogene Umsatzsteuer zur Ver-
fügung stehen, hätte Hans Eichel sicherlich eine Sorgen-
falte weniger.

Das gilt sicher auch für manche Kämmerer in den
Städten, die den Ergebnissen der Kommission zur Re-
form der Gemeindefinanzen mit Spannung entgegense-
hen. Die Kommission erarbeitet derzeit konkrete Vor-
schläge zur Lösung der drängenden Probleme des
kommunalen Finanzsystems. Die Weiterentwicklung der
Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftsteuer
soll zentraler Punkt einer umfassenden Gemeinde-
finanzreform sein. Es muss sich für die Gemeinden loh-
nen, Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und Belästi-
gungen, die Industriegebiete mit sich bringen, in Kauf zu
nehmen. Durch den Wegfall des lokalen Hebesatzrechtes
als Quelle der eigenen Wirtschaftskraft einer Gemeinde
würde dieser Anreiz gänzlich entfallen. Die freien Be-
rufe sollen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
und zur Verstetigung in diese kommunale Wirtschafts-
steuer einbezogen werden. Sobald die Ergebnisse der
Kommission vorliegen, werden wir einen entsprechen-
den Entwurf ins Gesetzgebungsverfahren einbringen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir unser Ziel zum 1. Januar
2004 erreichen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch hierbei lade ich Sie zur Zusammenarbeit ein!
Kommen Sie mit auf den Weg, die kommunale Selbst-
verwaltung auch bezüglich der finanziellen Seite zu er-
halten; denn rasche Hilfe tut hier Not. Das Ergebnis des
Vermittlungsausschusses zum Steuervergünstigungs-
abbaugesetz kommt zu den Problemen, die die Kommu-
nen bereits haben, erschwerend hinzu. Bevor der Ver-
mittlungsausschuss eingeschaltet worden war, konnten
die Kommunen aufgrund dieses Gesetzes mit Mehrein-
nahmen in Höhe von 6,7 Milliarden Euro rechnen; ge-
blieben sind 600 Millionen Euro. Die Mehrheit im Bun-
desrat hat die Verbesserung der Einnahmesituation durch
ein schlichtes Nein zunichte gemacht.

Ich denke, wir müssen in diesem Zusammenhang
deutlich machen, wer die Verantwortung trägt, wenn
Schwimmbäder geschlossen oder Gebühren erhöht wer-
den. Die Reduzierung der Subvention bei der Wohn-
bauförderung, der größten Subvention schlechthin, ist
dem Nein des Bundesrates ebenso zum Opfer gefallen
wie die Besteuerung von privaten Veräußerungsgewin-
nen beim Verkauf von Aktien.






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Frechen

Zur kurzfristigen Stärkung der kommunalen Einnah-

men haben wir Zinsverbilligungsprogramme für kom-
munale Investitionen aufgelegt. Außerdem werden die
Kommunen durch den Bund von Beiträgen zum Flutop-
fersolidaritätsfonds vollständig freigestellt. Das bringt
unmittelbar 800 Millionen Euro in die Gemeindekassen.
Für meine Heimatstadt Hürth, eine Stadt mit 55 000 Ein-
wohnern, macht dies den stattlichen Betrag von immer-
hin 640 000 Euro aus. Das freut unseren roten Bürger-
meister und es freut ebenso unseren schwarzen
Kämmerer.

Wir alle wissen, dass Geld im Ausland liegt, das
– offiziell ausgewandert oder geflohen – in Deutschland
weder versteuert wird noch den Unternehmen zur Verfü-
gung steht. Diesem Kapital wollen wir eine Brücke zu-
rück nach Deutschland und zurück in die Steuerehrlich-
keit bauen. Es ist vorgesehen, dass eine einfache,
vollständige Erklärung über bisher nicht versteuerte Ein-
nahmen und die Zahlung eines Pauschalbetrages von
25 Prozent bzw. 35 Prozent eine strafbefreiende Wir-
kung hat.

Gleichzeitig müssen wir aber auch – das sage ich in
aller Deutlichkeit – Kontrollen einführen. Die Lösung,
die jetzt gefunden wurde, nämlich die unbürokratische
Kontrolle durch das Bundesamt für Finanzen über die
Kontenevidenzzentrale, ist sehr wirkungsvoll. Dieser
Lösung kann sich hier im Haus niemand entziehen, denn
eines muss klar sein: Wir können nicht heute Straffrei-
heit gewähren und hinnehmen, dass morgen das gleiche
Spiel von vorn losgeht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die EU-Richtlinie wird uns dabei helfen.
Unsere Philosophie ist eindeutig: Statt neue Steuertat-

bestände zu schaffen, sollen vorhandene Steuerquellen
ausgeschöpft werden. Niedrigere Steuern für alle statt
wenige Ausnahmen für Einzelne! Das erhöht die Steuer-
gerechtigkeit und die Akzeptanz. Dazu brauchen wir Ih-
ren Beitrag. Bei Johann Michael Möller in der „Welt“
vom 30. Juni 2003 heißt es so schön:

Zweifel hat auch die Opposition. Doch die muss
sich nicht nur nach den Alternativen fragen lassen,
sondern der Öffentlichkeit auch erklären, warum
plötzlich falsch sein soll, was sie selbst immer mit
vollen Backen für richtig befunden hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Machen Sie mit Ihrem Ja zur Steuervereinfachung

und zum Subventionsabbau Ernst! Wir sind bereit, die-
sen mutigen Schritt zu gehen. Seien Sie es auch!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505602600

Nächster Redner ist der Kollege Michael Meister,

CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1505602700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir können eines festhalten: Die Union ist die
seriöse Steuersenkungspartei Deutschlands.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Wir sind jederzeit bereit, seriöse Steuersenkungen mit-
zutragen. Alle Vorschläge, die wir zur Steuersenkung ge-
macht haben, haben wir mit seriösen Finanzierungsvor-
schlägen verbunden. Wenn der Herr Bundeskanzler jetzt
sagt, er wolle die Steuern senken, dann ist er aufgefor-
dert, seriöse Finanzierungsvorschläge dafür vorzutragen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP])


Der Vorschlag, den uns der Bundeskanzler vorlegt,
besteht aus zwei Teilen. Erstens soll die Neuverschul-
dung um über 7 Milliarden Euro angehoben werden
– die Steuersenkung wird also voll schuldenfinanziert –
und zweitens – das hat er heute im Laufe des Tages vor-
geschlagen – soll die Tabaksteuer, also eine Verbrauch-
steuer, erhöht werden. Ich habe mir noch einmal seine
Rede vom 14. März dieses Jahres angeschaut. In der gro-
ßen Agenda-Rede hat er hier am Pult gesagt: Meine Da-
men und Herren, wer Steuersenkungen fordert und diese
über neue Schulden oder Verbrauchsteuererhöhungen fi-
nanzieren will, handelt verantwortungslos. – Herr Bun-
deskanzler, mit dem Vorschlag, den Sie jetzt gemacht ha-
ben, handeln Sie verantwortungslos.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb sind Sie aufgefordert, ein seriöses Finanzie-
rungskonzept vorzulegen. Es kann nicht die Aufgabe der
Opposition sein, Ihre Hausaufgaben zu erledigen und zu
sagen, wie finanziert werden soll, sondern der Herr Bun-
deskanzler mit seiner Regierung und seinem Finanzmi-
nister hat diese Aufgabe zu leisten. Wir fordern dies ein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Zurufe von der SPD)


– Ich sage Ihnen zu, Herr Binding: Wenn Sie ein seriöses
Finanzierungskonzept auf den Tisch legen, werden wir
es konstruktiv diskutieren.

Wir verengen hier das Thema „Steuersenkungen in
Deutschland“ allerdings allein auf die Frage, ob eine
Steuerreform, die schon längst im Gesetzblatt steht,
2005 oder 2004 stattfinden soll. Das ist, glaube ich, eine
zu starke Verengung des Themas. Wird denn die steuer-
rechtliche Lage in Deutschland für den Bürger einfacher,
wenn wir den Reformschritt um ein Jahr vorziehen? –
Nein, die Steuerformulare bleiben gleich kompliziert!
Wird das Steuerrecht transparenter, wenn wir ihn vorzie-
hen? – Nein, kein Mensch, der eine Steuererklärung in
diesem Land unterschreibt, ist in der Lage, zu verstehen,
was er da eigentlich tut! Bei einer Grenzbelastung bei
den Abgaben von 67 Prozent wird nach wie vor die
Schattenwirtschaft gefördert. Deshalb sagen wir: Es
kann nicht allein um das Vorziehen gehen, sondern wir
brauchen ein Konzept für eine durchgreifende Steuer-
reform: einfach, transparent, mit niedrigen Steuersätzen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister

und einer breiten Bemessungsgrundlage. Dazu wird die
Union Vorschläge unterbreiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir über Gegenfinanzierung sprechen, geht es

natürlich auch um Vertrauen. Ich will Ihnen klar und
deutlich sagen, was Sie in den vergangenen Monaten in
der Diskussion zum Steuervergünstigungsabbaugesetz
getan haben.


(Joachim Poß [SPD]: Was Sie gemacht haben! Sie haben die Öffentlichkeit getäuscht! Sie sind darauf auch noch stolz!)


Sie haben massiv Vertrauen verspielt, Herr Poß, Ver-
trauen, das jetzt fehlt, weshalb die Menschen „angst-
sparen“ und die Unternehmen in diesem Land nicht in-
vestieren. Deshalb geht Ihre Rechnung auch nicht auf,
neues Vertrauen schaffen zu können, indem Sie die Re-
formstufe um ein Jahr vorziehen. Wir brauchen eine ver-
lässliche Politik. Die Damen und Herren, die auf der Re-
gierungsbank sitzen, haben leider jegliches Vertrauen
verspielt und werden es mit solchen Vorschlägen auch
nicht zurückgewinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])


Auf der Tagesordnung dieser Debatte steht heute auch
noch das Thema „Brücke in die Steuerehrlichkeit“.
Wir wollen Menschen animieren, Kapitalerträge, die sie
in ihrer Steuererklärung nicht angegeben haben, in die
Legalität zurückzuführen. Wir werden das demnächst
hier im Bundestag beraten.

Im gleichen Atemzug kündigen Sie eine Vermögen-
steuerdebatte im Herbst an. Wie kann denn jemand Ver-
trauen in Deutschland bilden, wenn er einerseits zu Steuer-
ehrlichkeit auffordert und Brücken für die nachträgliche
Legalisierung bauen will, andererseits aber mit einer
Vermögensteuerdebatte droht?


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Abenteuerlich!)

Sie kündigen eine Debatte über die Erhöhung der Erb-
schaft- und Schenkungsteuer an. Wer von Ihnen glaubt
denn, dass man dadurch Vertrauen gewinnt? Auch hin-
sichtlich der Besteuerung von Kapitalerträgen lassen Sie
die Menschen vollkommen im Unklaren. Kein Mensch
weiß, was auf uns zukommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie soll denn in diesem Land Vertrauen entstehen,

wenn hier so gearbeitet wird? Sie müssen Ihre Vorhaben
zusammenführen, Sie brauchen ein einheitliches Kon-
zept. Dies ist nicht vorhanden. Schnelle Sprüche des
Bundeskanzlers, die dasselbe am 14. März als verant-
wortungslos und heute als eine richtige politische Maß-
nahme bezeichnen, schaffen kein Vertrauen in Deutsch-
land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zum Bundes-
finanzminister. Er hat in dem Jahr, als er sein Amt ange-
treten hat, angekündigt, im Jahr 2004 würden wir einen
ausgeglichenen Bundeshaushalt haben.


(Karl Diller, Parl. Staatssekretär: Stimmt nicht!)


– Sie haben es dann modifiziert und von 2006 gespro-
chen, aber ursprünglich war von 2004 die Rede.


(Joachim Poß [SPD]: Nein, immer 2006!)

Dass wir im nächsten Jahr keinen ausgeglichenen Bun-
deshaushalt haben, ist unser Hauptproblem. Weil Sie das
nicht erreichen, müssen wir jetzt überhaupt darüber dis-
kutieren, wie eine Steuersenkung finanziert werden
kann. Wenn Ihr Finanzminister das eingehalten hätte,
was er damals versprochen hatte, müssten wir die De-
batte, die hier heute stattfindet, nicht führen. Die Aus-
sage des Bundesfinanzministers damals lautete, die
Schulden von heute sind die Steuern von morgen, Frau
Frechen. Im nächsten Jahr marschiert er unter Einbezie-
hung aller Risiken im Bundeshaushalt auf 50 Milliarden
Euro an neuen Schulden in einem einzigen Jahr zu. Ich
glaube, das können wir den kommenden Generationen
nicht vermitteln.

Schauen wir uns die Verfassungslage an: Im Jahr
2002 haben Sie hier am Pult geleugnet, dass der Haus-
halt verfassungswidrig sein könnte, also die Schulden
höher als die Investitionen seien. Diese Frage wird im
Laufe des Tages noch im Wahrheitsfindungsausschuss
beraten werden. Sie haben es nun aufgegeben, für das
Jahr 2003 einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzule-
gen, denn es gibt kein Haushaltssicherungsgesetz, es gibt
keinen Nachtragshaushalt, es gibt keinerlei Initiativen,
den Verfassungsrahmen wieder einzuhalten. Für 2004
– das wäre das dritte Jahr in Folge – planen Sie ebenso
den Bruch der Verfassung, indem Sie wieder mehr
Schulden aufnehmen, als Sie investieren.

Sie können auch nicht auf der einen Seite Ihren Fi-
nanzdaten für 2004 ein Wachstum von 2 Prozent zu-
grunde legen und auf der anderen Seite gleichzeitig die
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest-
stellen lassen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505602800

Herr Kollege Meister, Ihre Redezeit ist zu Ende.


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1505602900

Was ist denn jetzt die Wahrheit? Werden wir ein

Wachstum von 2 Prozent haben oder wird das gesamt-
wirtschaftliche Gleichgewicht gestört sein?

Ich fordere von Ihnen Konzepte, die durchdacht sind,
die wahr sind und auf die man vertrauen kann. Dann
können wir auch gerne seriös diese Fragen miteinander
diskutieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505603000

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ernst

Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1505603100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Bundeskanzler hat heute in seiner Regierungserklä-
rung den Faden seiner Rede vom 14. März dieses Jahres
wieder aufgenommen, als er in Bezug auf die Entwick-
lung in Deutschland sagte, dass er den Sozialstaat erneu-
ern, die Wirtschaft beleben und neue Chancen für Bil-
dung und Forschung schaffen wolle.

Am Ende dieser langen Debatte möchte ich darauf zu-
rückkommen, womit Frau Merkel Ihre Rede in dieser
Debatte eingeleitet hat, nämlich mit der Frage: Was soll
die Richtung sein? Unser Fraktionsvorsitzender hat da-
raufhin gesagt: Die Richtung ist die nach vorne. Ich
möchte das insoweit ergänzen, als es auch darum gehen
muss, mehr Chancen in Deutschland zu schaffen: Chan-
cen für die Wirtschaft, Chancen für die Gesellschaft,
aber auch individuelle Chancen und Chancen für neue
Formen der Zusammenarbeit. In diesem Rahmen möchte
ich die möglichen Chancen in drei bis vier Bereichen
aufzeigen.

Ich komme zum ersten Bereich. Man hat ja manchmal
den Eindruck, dass das Parlament lieber untereinander
diskutiert und über jede Frage die Debatte zu jeder Zeit
gerne aufnimmt, statt einmal Rückschau zu halten, zu
schauen, was sich eigentlich seit der Zeit, als der Bun-
deskanzler im März die Agenda 2010 im Parlament vor-
gestellt hat, positiv verändert hat. Es gibt Beispiele da-
für, wo Menschen neue Chancen eröffnet wurden und an
denen aufgezeigt werden kann, wie neue Formen der Zu-
sammenarbeit mehr Chancen eröffnen.

Der Bundeskanzler hat im März davon gesprochen,
dass ein 4-Milliarden-Euro-Programm zur Einrichtung
von mehr Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuungs-
möglichkeiten in Deutschland aufgelegt werden soll. Er
hat es im März angesprochen, mittlerweile ist es Wirk-
lichkeit. Das ist Dynamik in der Gesellschaft, die nicht
nur beschworen, sondern die praktisch wirksam wird,
wenn Bund, Länder und Gemeinden an einem Strang
ziehen. Diese gemeinsame Dynamik, von uns eingelei-
tet, aber von den Ländern aufgenommen, hat zu dem er-
folgreich verwirklichten Versprechen geführt, mehr
Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten und damit mehr
Chancen für Kinder, Jugendliche und Familien zu schaf-
fen.


(Beifall bei der SPD)

Da wir wissen, dass wir auf die Zusammenarbeit zwi-

schen den Verfassungsorganen, zwischen Regierung und
Opposition, zwischen Bund und Ländern angewiesen
sind, schauen wir auch, wie sich Positionen entwickeln.
Uns hat es gefreut, dass sich zwischen März und heute
auch die CDU/CSU über Frau Dr. Böhmer mit einem
Konzept für mehr Ganztagsschulen, für mehr Ganztags-
betreuung neu positioniert hat. Gut so! Gut ist im Übri-
gen auch, dass sich die Kultusministerkonferenz auf Bil-
dungsstandards im mittleren Schulbereich geeinigt hat.

Wir wünschen uns, dass dieser dynamische gute
Schritt, der zwischen SPD- und CDU-Ländern für mehr
Chancen, für mehr Qualifikation, auch für mehr Wettbe-
werbsfähigkeit entwickelt worden ist, in Zusammenar-
beit mit dem Bund vervollkommnet werden kann.

Weshalb ist uns das so wichtig? Ich schiebe eine Be-
merkung ein, die vielleicht weniger mit Haushaltszahlen
als mit Grundverständnis zu tun hat. Mehr Chancen
heißt auch mehr Durchlässigkeit. Es muss uns eine neue
Warnung sein, dass auch die erweiterte PISA-Studie ge-
zeigt hat, dass Deutschland nicht nur nicht so gut ist, wie
wir gerne sein möchten, sondern auch einen Spitzenplatz
im internationalen Bildungsvergleich hat, den es nicht
haben will, nämlich bei der Anbindung von Bildungswe-
gen an Einkommen und Status der Familie. Deutschland
ist in seinen Bildungschancen nicht durchlässig.

Weshalb ist uns Durchlässigkeit so wichtig? Durch-
lässigkeit in Bezug auf Bildungschancen ist der indivi-
duelle Ausdruck gesellschaftlicher Dynamik insofern,
als man nicht an den Status gebunden ist, sondern sich
mit eigenem Vermögen, aber auch mit eigenem Wollen
weiterentwickeln kann. Das ist gesellschaftliche Dyna-
mik.

An dieser Stelle haben wir zu starke konservative
Strukturen. Wir haben nicht genug Durchlässigkeit. Bei
uns hat die begabte Tochter eines Arbeiters zu selten die
Gelegenheit Rechtsanwältin zu werden. Bei uns wird der
fleißige, aber nicht so begabte Sohn des Bankdirektors
nicht ehrbarer Handwerker, sondern vielleicht schlechter
Rechtsanwalt oder nicht auskömmlicher Betriebswirt.
Hier brauchen wir Durchlässigkeit; denn hier gibt es Re-
serven, die etwas an aggressiver wirtschaftlicher Betäti-
gung, an neuen Ideen, an Wertschöpfung in die Gesell-
schaft hineintragen, die allen zugute kommen.


(Beifall bei der SPD)

Das Werben um Durchlässigkeit ist, wenn wir Dynamik
in unsere Gesellschaft bringen wollen, ein Kredo, ein ge-
meinsames Anliegen, wie es in der Agenda 2010 vorge-
zeichnet ist.

Wenn ich positiv anspreche, dass das im Zusammen-
wirken von Bund und Ländern, von Opposition und Re-
gierung gelingt, dann will ich den Hochschulbereich
dabei nicht ausnehmen. Auch im Hochschulbereich ha-
ben wir seit mehreren Jahren einen positiven Prozess: ei-
nen Anstieg der Studierendenquote auf fast 40 Prozent
und eine stärkere Einbeziehung von sozial nicht so star-
ken Kindern und Jugendlichen aus entsprechenden Fa-
milien in den Hochschulbesuch mit einer deutlichen An-
hebung der Gefördertenquote. Mehr ausländische
Studenten kommen zu uns und mehr deutsche Studenten
können ins Ausland gehen. Wir haben auch mehr Stu-
denten im technischen Bereich. Das ist eine Gemein-
schaftsleistung, an der wir weiterarbeiten können.

Ich möchte meinen Blick auch darauf richten, dass
wir uns heute in Bezug auf Steuersenkungen so lange
vor allem auf der fiskalischen Ebene auseinander gesetzt






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann

haben, statt den Bürgerinnen und Bürgern, die auch
diese Debatte verfolgen, deutlich zu machen, was wir
uns davon erwarten. Natürlich kann man etwas erwarten;
denn die vorgezogene Steuersenkung schafft zusätzliche
Chancen, zum Beispiel für die wirtschaftlichen Unter-
nehmen. 10 Milliarden Euro Steuerentlastung bedeuten
Chancen. Vielleicht schaffen wir es gemeinsam, uns alle
bewegende Probleme in der Gesellschaft so zu debattie-
ren, dass die Chance, die mit der Steuersenkung verbun-
den ist, zu einer Lösung dieser Probleme beiträgt.

Wir finden es gut, wenn die Industrie- und Handels-
kammern auf breiter Ebene in den Betrieben für Lehr-
stellen werben. Sogar der Bundeskanzler, die Minister,
auch auf Landesebene, und wir alle als Abgeordnete
werben dafür. Aber man könnte doch das Argument
bringen: Mittelständische und kleine Unternehmen,
überlegt euch, ob ihr die Einstellung eines zusätzlichen
Auszubildenden vorziehen könnt, weil auch die steuerli-
che Entlastung vorgezogen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist kein kleines, sondern ein großes Segment; denn
die kleinen und mittleren Unternehmen sowie die Perso-
nengesellschaften erfahren jetzt eine deutliche Entlas-
tung. Dieser Bereich trägt im Wesentlichen zur Wert-
schöpfung, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und vor
allen Dingen auch zur Schaffung von vielen Ausbil-
dungsplätzen bei.


(Vorsitz: Präsident Wolfgang Thierse)

Ich möchte noch einmal an die Diskussion über die

Handwerksordnung anknüpfen. Herr Hinsken, wir haben
da noch eine kleine Auseinandersetzung offen. Wir ha-
ben doch nicht – und das mit Ihnen zusammen – das
Meister-BAföG verbessert, um auf der anderen Seite den
Meisterbrief abschaffen zu wollen. Man kann doch
nicht glauben, dass eine Regierung die diesbezügliche
Förderung auf 90 Millionen Euro erhöht und gleichzeitig
den Meisterbrief entwerten will.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das kann man wirklich nicht glauben! Da haben Sie Recht!)


– Das ist auch nicht so. – Wir haben jetzt die Chance,
dem Handwerk und den kleinen und mittleren Unterneh-
men etwas Luft zu verschaffen, damit sie langfristig qua-
lifizieren können. Mit der langfristigen Qualifizierung
bereiten diese Unternehmen den Boden, um auch in Zu-
kunft gute Dienstleistungen und gute Produkte anbieten
zu können.

Dieses neue Denken „Fordern und Fördern“ im so-
zialpolitischen Bereich muss auch im steuerpolitischen
Bereich Einzug halten; der Bundeskanzler hat heute da-
rüber gesprochen. Damit schafft man die Chance auf
Entlastung und gibt den Unternehmen die Möglichkeit,
ihre Selbstverpflichtung einlösen zu können. Die Belas-
tung wird geringer. Damit haben die Unternehmen bes-
sere Möglichkeiten, mehr Lehrlinge einzustellen und
mehr Weiterbildung anzubieten.

Die Unternehmen haben ferner die Möglichkeit, im
Bereich Forschung und Entwicklung mehr zu tun, was
für die Zukunft sehr wichtig ist. Wir können nämlich
feststellen: In den Unternehmen, gerade in den kleinen
und mittleren Unternehmen, die in der Forschung sehr
aktiv sind, gibt es deutliche Zuwächse an Arbeitsplätzen,
während dort, wo keine Forschungsaktivitäten vorhan-
den sind, ein besonders starker Abbau von Arbeitsplät-
zen zu verzeichnen ist.

Mittelständische Unternehmen müssen sich überle-
gen, wo sie etwas Neues schaffen können und wie sie
das Wissen aus dem Umfeld von Fachhochschulen und
Universitäten im Rahmen von Transferprogrammen nut-
zen können. Darin liegt eine Chance. Die Steuerentlas-
tung drückt sich nicht nur in Prozentzahlen aus. Sie
hängt auch mit soliden Staatsfinanzen zusammen. Es
kommt aber entscheidend darauf an, ob wir wichtige Be-
reiche der Wirtschaft modernisieren können.

Wissenschaftler müssen sich mehr auf wirtschaftli-
chem Gebiet betätigen und die Wirtschaft muss mehr an
die Wissenschaft angebunden werden; die Wirtschaft
muss sich sozusagen an die Wissenschaft wenden. Diese
Bereitschaft ist im Bereich der kleinen und mittleren Un-
ternehmen, der unsere Volkswirtschaft im Wesentlichen
trägt, zu gering ausgebildet. Wir schaffen jetzt die Rah-
menbedingungen, dass sich dieser Prozess verstärken
kann.


(Beifall bei der SPD)

Eine weitere Bemerkung. Es darf nicht untergehen,

was sich in dem Zeitraum vom März dieses Jahres bis
heute verfestigt hat und in welchen Bereichen es Verläss-
lichkeit gibt. Der Bundeskanzler hat im März angekün-
digt, dass die Mittel für die großen deutschen For-
schungsorganisationen um 3 Prozent steigen werden.
Dieses wird auch geschehen. Damit, Herr Kollege
Austermann, haben wir Verlässlichkeit an einer Stelle
geschaffen, die nicht nur wegen ihres Finanzumfangs,
sondern auch wegen der Breite der Forschung wichtig
ist: die Grundlagenforschung der Max-Planck-Institute,
die anwendungsbezogene Forschung der Fraunhofer-Ge-
sellschaft und die auf nationale Ziele ausgerichtete For-
schung der Helmholtz-Institute. Für die Deutsche For-
schungsgemeinschaft haben Bund und Länder eine
Verpflichtung. Die Zusage des Bundeskanzlers, die Bun-
desmittel um 3 Prozent zu erhöhen, ist auch gleichzeitig
eine Verpflichtung für die Länder, sich kooperativ zu
verhalten.

Wir verstärken auch die Nachwuchsförderung. In die-
sem Bereich werden schon jetzt 50 Prozent mehr Mittel
eingesetzt. Wir arbeiten auch in dem Bereich der Inter-
nationalisierung. Eine Delegation von Forschungspoliti-
kern, die gerade in Amerika war, hat dort vielfach ge-
hört, dass die Max-Planck-Institute und die Deutsche
Forschungsgemeinschaft wirkungsvolle Wissenschafts-
institutionen sind. Wegen der Juniorprofessur ist es at-
traktiv, aus anderen Ländern nach Deutschland zu kom-
men und sich hier wissenschaftlich zu betätigen. Wir
wollen gerade in der Forschungspolitik die Gemeinsam-
keit betonen.

Ich glaube, diese verstärkten Aktivitäten, die schon in
der März-Rede des Bundeskanzlers und die auch heute
von ihm und unserem Fraktionsvorsitzenden angespro-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann

chen worden sind, sind hinsichtlich der Investitionen
und der Dynamik im Bereich dieser Zukunftsfelder
wichtig.

Schlussbemerkung: Der Bundeskanzler hat seine Re-
gierungserklärung unter das Motto „Sozialstaat erneu-
ern“ gestellt: Wir wollen über die Erneuerung des Sozi-
alstaats mehr Chancen für Bildung, Forschung und
Innovation in Bezug auf den Einzelnen, aber auch die
Gesellschaft insgesamt schaffen. Unser Fraktionsvorsit-
zender drückte es so aus, dass es jeder auch für sich per-
sönlich versteht: Das Saatgut muss trocken gehalten und
eingebracht werden. Es muss auch Zeit finden, sich zu
entwickeln. Mit der Zusage, dass wir den steuerlichen
Rahmen dafür schaffen werden, dass sich das Saatgut
bei den einzelnen Menschen und in den einzelnen Unter-
nehmen entwickeln kann, machen wir einen guten
Schritt nach vorn. Diese Saat wird für uns alle gut aufge-
hen. Deshalb sollten wir nicht den parteipolitischen
Streit, sondern das gemeinsame Bemühen, zu Lösungen
zu kommen, in den Vordergrund stellen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1505603200

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/1309, 15/470, 15/1231 und 15/1221
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. April
2003 über den Beitritt der Tschechischen Re-
publik, der Republik Estland, der Republik
Zypern, der Republik Lettland, der Republik
Litauen, der Republik Ungarn, der Republik
Malta, der Republik Polen, der Republik Slo-
wenien und der Slowakischen Republik zur
Europäischen Union
– Drucksachen 15/1100, 15/1200 –

(Erste Beratung 53. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (20. Ausschuss)

– Drucksache 15/1300 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Gloser
Peter Hintze
Rainder Steenblock
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 15/1301 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt

Zu dem Gesetzentwurf liegen ein Änderungsantrag
und ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU vor. Über den Gesetzentwurf werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Meine Damen und Herren, zu Beginn dieses Tages-
ordnungspunktes darf ich auf der Tribüne zwei Gäste be-
grüßen, die anlässlich unserer heutigen Abstimmung
über das Gesetz zum Beitritt der zehn bisherigen Kandi-
datenländer zur Europäischen Union in den Deutschen
Bundestag gekommen sind.

Es ist mir eine Freude, meinen Kollegen, den Mar-
schall des Sejm der Republik Polen, Herrn Marek
Borowski, begrüßen zu können, dessen Land am 8. Juni
2003 dem Beitritt zur Europäischen Union zugestimmt
hat. Herzlich willkommen!


(Beifall)

Ebenso herzlich begrüße ich Herrn Günter Verheugen,

Mitglied der Europäischen Kommission und zuständig
für Fragen der EU-Erweiterung.


(Beifall)

Die Erweiterung der Europäischen Union um zehn

Länder wird ein weiterer wesentlicher Schritt zur Reali-
sierung der Vereinigung Europas sein. Ich bin zuver-
sichtlich, dass sich auch die erweiterte Europäische
Union der gemeinsamen Verantwortung für die Schaf-
fung und die Sicherung des Friedens in der Welt bewusst
ist und in diesem Sinne wirken wird. Nicht zuletzt auf-
grund unserer eigenen Erfahrungen in Deutschland bin
ich davon überzeugt, dass mit dem Vollzug der Erweite-
rung am 1. Mai 2004 eine Aufgabe erst richtig beginnt,
die uns über die nächsten zehn oder 20 Jahre begleiten
wird: die wirkliche Gestaltung der Einheit Europas. Eine
europäische Verfassung wird dabei ebenso unverzichtbar
sein wie die enge Zusammenarbeit der Parlamente.

Ich danke Ihnen, Herr Borowski, und Ihnen, Herr Ver-
heugen, dass Sie es ermöglicht haben, an dieser für
Deutschland sehr wichtigen Plenardebatte teilzunehmen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Angelica Schwall-Düren, SPD-Fraktion, das Wort.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1505603300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Herr Präsident hat es schon gesagt: Mit der Ratifi-
zierung der EU-Beitrittsverträge von zehn europäischen
Ländern durch den Deutschen Bundestag – in einigen
Jahren werden auch Rumänien und Bulgarien zur EU ge-
hören – vollzieht sich ein wichtiger Schritt zur europäi-
schen Wiedervereinigung. Machen wir uns die Größe
dieses Ereignisses bewusst: Wer hätte 1989 ernsthaft da-
ran geglaubt, dass die EU nur 15 Jahre später ihre Türen
für zehn überwiegend ost- und mitteleuropäische Staaten
öffnen würde? Wohl nur wenige.

An dieser Stelle gratuliere ich zunächst den Beitritts-
staaten, deren Vertreter heute auf der Tribüne bei uns zu
Gast sind, zu der großartigen Leistung, die sie auf dem
Weg in die EU erbracht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Die hohe Zustimmung, die der EU-Beitritt in den Bei-
trittsreferenden zahlreicher zukünftiger Mitgliedstaaten
erfährt, ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist Ausdruck
dafür, dass die EU-Mitgliedschaft für die Menschen trotz
aller Härten auf dem Weg dorthin vor allem Grund zu
großer Hoffnung ist.

Umgekehrt fehlt aber in einem Teil unserer Gesell-
schaft leider noch das Bewusstsein, dass es sich bei den
Beitrittsstaaten nicht um ferne, exotische Länder han-
delt, sondern dass diese Staaten unsere kulturellen, re-
ligiösen und politischen Traditionen teilen. Unsere
Kulturen waren über Jahrhunderte in immer neuer Weise
miteinander verschränkt und haben sich gegenseitig be-
fruchtet.

Wir brauchen nur nach Krakau, Riga, Prag oder
Budapest zu reisen, um dies zu verstehen. In Prag wurde
1348 die erste Universität in Zentraleuropa gegründet.
Der Pole Chopin verzaubert vom 19. Jahrhundert bis
heute die Musikliebhaber in Europa und in der ganzen
Welt.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Städte der baltischen Staaten blühten dank der
Hanse auf. Viele Länder, die nun der EU beitreten, haben
durch die Habsburger Monarchie ein gemeinsames Erbe.

Aber die Nationalismen des 19. und des
20. Jahrhunderts trennten unsere Bevölkerungen. Die
Germanisierungsversuche gegenüber den Polen im spä-
ten 19. Jahrhundert sind hier ein böses Beispiel. Die Un-
terdrückung und die Ermordung unserer Nachbarvölker
im Osten durch Nazi-Deutschland sind der schreckliche
Höhepunkt von Nationalismus und Rassenwahn.

Aber auch die Niederringung des Nationalsozialismus
brachte keineswegs die Befreiung aller europäischen
Völker von Diktatur und Unterdrückung. Über einen
Teil Europas senkte sich der Eiserne Vorhang. Nur sel-
ten und nur wenigen Menschen gelang es in dieser Zeit,
trotz Mauer und Stacheldraht zueinander zu kommen
und die Verbindung aufrechtzuerhalten.

Meine Damen und Herren, die Unterschiedlichkeit
der Lebensverhältnisse hat in den vergangenen Jahr-
zehnten ein Übriges getan. Der Westen konnte sich in
Freiheit und Demokratie entwickeln – auch West-
deutschland. Dass Frankreich den Deutschen die Hand
zur Versöhnung gereicht hat, hat entscheidend dazu bei-
getragen. Der europäische Weg wurde durch die euro-
päische Integration geprägt. Diese Zusammenarbeit
brachte den Menschen in den beteiligten Staaten Stabili-
tät, Wohlstand, Freiheit und Frieden. Auch die Ziel-
setzung, zu einer politischen Zusammenarbeit zu kom-
men, wurde nicht aus dem Auge verloren.

Doch die Wunde des geteilten Europa blieb: Während
die eine Hälfte des Kontinents immer mehr zusammen-
wuchs und sich die Menschen daran gewöhnten, frei rei-
sen und handeln zu können, erduldete man noch immer
langwierige Kontrollschikanen, wenn man – was selten
genug vorkam – vom goldenen Westen in den grauen
Osten fuhr. Wir wussten nicht viel über unsere östlichen
Nachbarn. Aber interessierten wir uns wirklich für sie?
Hatten wir es uns nicht längst in unserem satten Wohl-
stand bequem gemacht und horchten wir nicht nur gele-
gentlich auf, wenn sich irgendwo im Osten freiheitslie-
bende und verzweifelte Menschen gegen die aus Moskau
ferngesteuerte Willkürherrschaft auflehnten? Ja, die
Menschen dort haben sich nie mit der Unfreiheit und ih-
rer Abspaltung von den gemeinsamen kulturellen Wur-
zeln abgefunden.

Ich selbst erfuhr das, als ich 1971 in der Folge der
neuen Ostpolitik Willy Brandts zum ersten Mal nach
Polen und wenige Jahre später als junge Lehrerin nach
Prag kam. Seit dieser Zeit habe ich Freunde in Polen.
Unsere Kinder sind im gleichen Alter. Den einen – im
Westen – standen viele Möglichkeiten offen. Die ande-
ren – im Osten – wuchsen in der Sehnsucht auf, die
Weite und die Freiheit zu gewinnen.

1989 endlich waren die Bürgerrechtsbewegungen
am Ziel: Die kommunistischen Regime waren am Ende.
Ungarn ließ Hunderte von DDR-Bürgern ausreisen, die
sich in die deutsche Botschaft in Budapest geflüchtet
hatten. Auch in Polen erfuhren die Flüchtlinge aus der
DDR sehr viel Hilfe. Dafür haben wir zu danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Schließlich wurden die Mauern eingerissen.
Nun gibt uns die Vergrößerung der EU endlich wieder

die Chance, näher zusammenzurücken und vom vielfäl-
tigen Reichtum in Kunst, Kultur, Wissenschaft und Wirt-
schaft erneut zu profitieren. Mit dem Beitritt der zehn
neuen Länder wird es auch einen Zuwachs an Sicherheit
für alle an der EU beteiligten Länder geben. Jetzt haben
wir die Chance, gemeinsam unseren Wohlstand zu si-
chern und unsere Lebensverhältnisse auf hohem Niveau
zu stabilisieren. Denn die Vergrößerung des Binnen-
marktes wird einen Wachstumsimpuls auslösen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angelica Schwall-Düren

Auch politisch wird die EU von dem Beitritt der

neuen Länder profitieren. Denn die bevorstehende Ver-
größerung um zehn Mitgliedsländer hat den Reform-
druck in der EU stark erhöht. Schon in den vergangenen
Jahren war es immer schwieriger geworden, eine Ge-
meinschaft von zuletzt 15 Staaten mit Instrumenten und
Methoden zu managen, die ursprünglich für sechs Grün-
dungsmitglieder geschaffen worden waren. Dass die
Bürgerinnen und Bürger sich immer mehr fragten, wer
denn was in Brüssel entscheidet, weist auf die fehlende
Transparenz des Institutionengefüges hin und wirft
gleichzeitig die Frage nach der demokratischen Legiti-
mation auf.

So brachte die Entscheidung in Nizza, bis 2004 zehn
weitere Länder in die EU aufzunehmen, gleichzeitig den
Beschluss, in einer Regierungskonferenz eine grundle-
gende Reform zu verabschieden. Die deutschen Sozial-
demokraten haben einen gewichtigen Anteil daran, dass
diese Reform durch einen Konvent vorbereitet wurde, in
dem europäische und nationale Abgeordnete eine bedeu-
tende Rolle spielten. Vor wenigen Tagen hat der Euro-
päische Rat in Thessaloniki den Verfassungsentwurf
als Grundlage für seine Entscheidung in der Regierungs-
konferenz entgegengenommen.

Meine Damen und Herren, auch wenn nicht alle Wün-
sche an eine europäische Verfassung erfüllt werden
konnten, so ist es doch ein großer Erfolg, dass die
Rechte des Parlaments gestärkt sind, dass mit einem
europäischen Außenminister die Voraussetzung dafür
geschaffen wurde, dass die EU ihre Gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik weiterentwickeln kann, und dass
die Grundrechtecharta in die Verfassung integriert ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Arbeit haben die Vertreter der zukünftigen
Beitrittsländer gleichberechtigt mitgewirkt. Sie werden
diese Rolle auch in der Regierungskonferenz haben. Für
mich ist dies ein Beleg dafür, dass wir gemeinsam den
Weg in eine politische Union gehen können.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nach dem glückli-
chen Abschluss der Beitrittsverhandlungen im Dezem-
ber in Kopenhagen mussten wir allerdings erschrocken
erkennen, dass sich die Europäer in der Frage gespalten
zeigten, wie mit der Irakkrise umzugehen sei. Gemein-
sam mit Großbritannien und Spanien unterstützten ins-
besondere unsere zukünftigen EU-Mitglieder die Posi-
tion der Vereinigten Staaten, im Irak militärisch zu
intervenieren. Diese Situation warf die Frage auf, ob die
GASP in der EU schon zu Ende war, bevor sie über-
haupt richtig in die Wege geleitet worden war. Es wurde
diskutiert, ob die politische Union mit den Neumitglie-
dern in weite Ferne rückte, ob sich die Union demnach
auf einen gemeinsamen Markt reduzieren würde.

Ich bin ganz anderer Meinung. Gerade die divergie-
renden Positionen in der Irakfrage haben mit aller Dring-
lichkeit deutlich gemacht, dass wir eine Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik brauchen. Die zarten
Keime dieser Zusammenarbeit, wie sie sich in Mazedo-
nien zeigten, müssen unbedingt weiterentwickelt wer-
den. Diese Notwendigkeit wird in allen alten und neuen
Mitgliedstaaten gesehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber diese gemeinsame Politik entsteht nicht automa-
tisch, sondern muss – und kann – erarbeitet werden. Der
Wille dazu ist vorhanden.

Differenzen heute festzustellen heißt nicht, eine Krise
zu konstatieren, sondern bedeutet zu allererst, die Nor-
malität der europäischen Vielfalt zur Kenntnis zu neh-
men. Dabei gibt es nicht die Trennung zwischen „altem“
und „neuem“ Europa – um an dieser Stelle die Zuschrei-
bung von Donald Rumsfeld zu zitieren. Der Konvents-
prozess hat nämlich deutlich gemacht, das es keine Fron-
ten zwischen Alt- und Neumitgliedern gibt, wie auch
nicht zwischen großen und kleinen Staaten. Nein, wir
alle stehen gemeinsam vor großen Herausforderungen.
Die erweiterte Europäische Union wird entsprechend ih-
rer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ihr politisches
Gewicht stärken müssen. Diese EU wird in der Lage
sein, für ihre Bürgerinnen und Bürger mehr soziale Ge-
rechtigkeit, mehr innere und äußere Sicherheit zu ge-
währleisten. Diese EU wird als attraktives Gesell-
schaftsmodell auf andere Regionen ausstrahlen.

Ich bin deshalb ganz sicher, dass die große Mehrheit
der Kolleginnen und Kollegen in diesem Bundestag,
über alle Parteigrenzen hinweg, mit uns für die Ratifizie-
rung des Beitrittsvertrages stimmen wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Europa kommt heute seiner Wiedervereinigung ein gro-
ßes Stück näher – ein schöner Grund zum Feiern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1505603400

Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schäuble, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1505603500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz zur
Ratifizierung des Beitrittsvertrags zu. Wie wir in unse-
rem Entschließungsantrag formulieren, eröffnet sich mit
der Osterweiterung der Europäischen Union nach den
bitteren Erfahrungen vor allem in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts die historische Chance, Frieden, Frei-
heit und Sicherheit in ganz Europa nachhaltig zu stär-
ken. Die Einigung Europas ist das wertvollste Erbe der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei ist klar: Die
neuen Mitglieder in der Europäischen Union werden
nicht erst jetzt Europäer, sie sind es immer gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Schäuble

Europa erweitert sich nicht, sondern Europa überwindet
seine Teilung. Der Prozess ist übrigens noch nicht zu
Ende. Auch Sofia, Bukarest, Zagreb oder Belgrad sind
schließlich Europa.

Weil in der Literatur, im Bundesrat und in den Frakti-
onen dieses Hauses unterschiedliche Auffassungen dazu
vertreten werden, ob das Ratifizierungsgesetz eine Ver-
fassungsänderung darstellt oder nicht, schlagen wir mit
einem Änderungsantrag vor, zur Sicherheit die formalen
Voraussetzungen der Art. 23 und 79 des Grundgesetzes
zu wahren.

Die Europäische Union als Rechts- und Wertegemein-
schaft bietet auch die Chance, Wunden der Vergangen-
heit zu heilen. Das Fortbestehen von Dekreten, die als
Rechtfertigung für Tötungen, Vertreibungen und Ent-
rechtungen gedient haben, verträgt sich damit nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir begrüßen die jüngsten Erklärungen der tschechi-
schen Regierung vom 19. und 29. Juni und wir fordern
die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag
auf, entsprechend der Aufforderung des Europäischen
Parlaments schon aus dem Jahre 1999 mit der Tschechi-
schen Republik über die Aufhebung dieser Dekrete zu
verhandeln.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, welch großartige
Entwicklung die europäische Einigung gerade angesichts
der Lasten der Vergangenheit nimmt, habe ich persönlich
am vergangenen Samstag wieder einmal empfunden.
Beim Appell anlässlich der Beförderung der Offiziersan-
wärter der 10. Heeresdivision war auch ein Ehrenzug der
deutsch-französischen Brigade angetreten. Deshalb
wurde am Ende dieses Appells nicht nur die deutsche,
sondern auch die französische Nationalhymne gespielt.
Man muss sich das vorstellen: die Marseillaise im Rastat-
ter Schloss anlässlich der Beförderung deutscher Solda-
ten zu Offizieren. Wer etwas von der deutsch-französi-
schen Geschichte oder auch vom Schicksal unserer
badischen Grenzlandschaft weiß, der kann in einem sol-
chen Augenblick nicht unberührt bleiben.

Ein einiges Europa ist die beste Chance für uns, nicht
nur die Wunden der Vergangenheit zu heilen, sondern
auch unseren Interessen und unserer Verantwortung in
dieser komplizierten Welt am Beginn des 21. Jahrhun-
derts gerecht zu werden. Aber damit Europa diese Auf-
gabe erfüllen kann, muss es die erste Bewährungsprobe
bestehen und seine Teilung überwinden. Auch deshalb
liegt die Erweiterung der Europäischen Union nicht nur
im Interesse der künftigen Mitglieder, sondern genauso
in unserer aller Interesse und vor allem im Interesse
Deutschlands, das schließlich in der Mitte Europas gele-
gen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Das gilt auch für die Wirtschaft. Angesichts ganz un-
terschiedlicher wirtschaftlicher Verhältnisse und Struk-
turen wird es in diesem Bereich natürlich Übergangs-
schwierigkeiten geben; das sollten wir auch heute nicht
verschweigen. Aber ich bin mir ganz sicher: Auf mittlere
Sicht bedeutet ein größerer einheitlicher Wirtschafts-
raum mit mehr Dynamik Wachstumschancen für alle.
Die Erweiterung der Europäischen Union ist eben kein
Nullsummenspiel, in dem die einen verlieren müssen,
was die anderen gewinnen sollen, sondern alle werden
Vorteile haben.

Das gilt übrigens ganz besonders für die Gebiete in
der Nachbarschaft der neuen Mitgliedstaaten, also für
die Grenzregionen. Ich habe eben von der deutsch-fran-
zösischen Grenzregion gesprochen. Das gilt genauso für
die Grenzregion der im Osten gelegenen Bundesländer.
Ich füge hinzu: Diese Regionen sollten in der Zukunft,
nach dem Beitritt unserer Nachbarn, vor allem die
Chance grenzüberschreitender regionaler Zusammenar-
beit verstärkt nutzen.

Wir alle profitieren aber nicht nur wirtschaftlich, son-
dern auch politisch; denn wir sind schließlich von den
Entwicklungen in allen Teilen der Welt betroffen, viel
stärker als früher, positiv und negativ. Das nennt man
üblicherweise Globalisierung. Ich bin mir ganz sicher,
dass wir als Europäer gemeinsam mehr erreichen und
bewirken können. In dem Maße, in dem die europäische
Einigung gelingt, ist sie übrigens auch ein Modell, eine
Vision der Hoffnung für andere Teile der Welt. Jahrhun-
dertelange Streitigkeiten, Kriege und Spaltungen hinter
sich zu lassen – das muss man sich vorstellen –, kul-
turelle und nationale Identitäten und Verschiedenartig-
keiten zu wahren und zugleich zu gemeinsamem Han-
deln fähig zu sein, Einheit und Vielfalt richtig
auszutarieren – je besser uns das in Europa gelingen
wird, umso mehr kann das auch für andere Regionen in
unserer krisengeschüttelten Welt ein Modell sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Viele in dieser Welt schauen deshalb voller Interesse und
voller Hoffnung auf diesen europäischen Einigungspro-
zess.

Wenn wir die globale Rolle, die globalen Interessen
und die globale Verantwortung Europas richtig beden-
ken, dann wird auch klar – auch das muss am heutigen
Tag gesagt werden –, dass europäische Einigung und at-
lantische Partnerschaft keine Alternativen darstellen,
sondern zusammengehören und wie zwei Seiten dersel-
ben Medaille untrennbar sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Das ist völlig klar!)


Nach dem Ersten Weltkrieg – daran muss man angesichts
der Debatte der zurückliegenden Monate erinnern – sind
Ansätze zur europäischen Einigung auch deshalb ge-
scheitert, weil sich Amerika zu schnell aus Europa zu-
rückgezogen hatte. Dass nach dem Zweiten Weltkrieg
die europäische Einigung so glücklich gelungen ist und
wir heute an diesem Punkt stehen, hat ganz wesentlich
mit amerikanischem Engagement in Europa zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Schäuble

Wer Europa gegen Amerika einen wollte, der wird
Europa am Ende nur spalten. Das war in den letzten Mo-
naten zu besichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich will das heute nicht vertiefen. Aber unabhängig
von der Frage, wer in der Irak-Debatte welchen Fehler
gemacht hat – Fehler sind nicht nur auf einer Seite ge-
macht worden –, musste uns doch alle erschrecken,
welch schwere Spaltung quasi über Nacht in Europa
wieder eingetreten ist und wie sehr unsere östlichen
Nachbarn und künftigen Mitglieder der Europäischen
Union, vor allem die Polen, betroffen waren, weil sie
plötzlich die Sorge haben mussten, sie würden vor eine
Wahl zwischen Europäischer Union und atlantischer Si-
cherheit gestellt werden. Frau Kollegin Schwall-Düren
und ich waren mit dem polnischen Außenminister zu-
sammen und mussten ihm sagen, sein Land brauche sich
als künftiges Mitglied der Europäischen Union nicht da-
für zu entschuldigen, dass es mit Amerika freundschaft-
liche Beziehungen unterhält. So weit haben wir es ge-
bracht, meine Damen und Herren. Wir sollten schnell
daraus lernen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich finde es gut, dass jetzt auch Intellektuelle – wer
immer Intellektueller sei; das definieren die ja selbst und
üblicherweise gehört man dann, wenn man anderer Mei-
nung ist als sie, nicht dazu – eine Debatte über die politi-
sche Verantwortung Europas angestoßen haben. Es geht
aber nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in dieser
Diskussion diejenigen außen vor halten zu wollen, die in
einer konkreten Frage anderer Meinung sind. Karl
Lamers und ich haben – darauf lege ich schon Wert – in
der politischen Debatte wohl eine Art Copyright für den
Begriff Kerneuropa. Deswegen sage ich im Sinne
authentischer Interpretation: Kerneuropa war für uns
eben gerade nicht ein Element der Spaltung,


(Widerspruch des Bundesministers Joseph Fischer)


– nein, sondern es war und muss bleiben ein Element dy-
namischer Führung für ganz Europa. Genau das, Herr
Fischer, haben Sie falsch gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP] – Peter Hintze [CDU/CSU]: Genau! – Joseph Fischer, Bundesminister: Das war nicht falsch!)


– Ich weiß doch, was wir damals geschrieben haben.

(Zuruf von der SPD: Wir wissen es auch! – Joseph Fischer, Bundesminister: Die Italiener wollten die raus haben!)


– Auch das stimmt nicht.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Doch!)


Da fragen Sie mal den italienischen Staatspräsidenten,
der damals Schatzminister war. Der hat genau das ge-
sagt. Wir haben einen entscheidenden Beitrag dazu ge-
leistet, dass die Italiener bei den Gründungsmitgliedern
der Europäischen Währungsunion gewesen sind, weil sie
die notwendigen Reformen in ihrem Lande zustande ge-
bracht haben, an denen diese Bundesregierung scheitert,
wie wir bei der Diskussion heute Vormittag feststellen
konnten. Auch das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sie lesen rückwärts anders!)


– Ich weiß doch, was ich damals geschrieben habe. Sie
haben es damals nicht gelesen und jetzt wollen Sie es
verfälschen und es in falscher Form in Anspruch neh-
men.


(Unruhe bei der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas sagen, wenn ich schon

bei dieser Intellektuellendebatte bin. Fast noch span-
nender zu sein scheint mir, dass ein Mann wie Jürgen
Habermas, der so oft für Verfassungspatriotismus plä-
diert hat, jetzt ein Gefühl der politischen Zusammen-
gehörigkeit für Europa voraussetzt.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wieso „jetzt“? Das war schon immer so!)


– Weil das etwas anderes ist als Verfassungspatriotis-
mus. – Darauf will er eine europäische Identität gründen.
In seinem zusammen mit Jacques Derrida veröffentlich-
ten Aufruf fragt er – ich zitiere ihn –:

Gibt es historische Erfahrungen, Traditionen und
Errungenschaften, die für europäische Bürger das
Bewusstsein eines gemeinsam erlittenen und ge-
meinsam zu gestaltenden politischen Schicksals
stiften?

Das ist die Grundlage für nationale wie für europäische
Zugehörigkeit und Identität, und das ist eben sehr viel
mehr als Verfassungspatriotismus.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Geteilte Erinnerungen und Gefühle stiften ein solches
Verständnis von Zugehörigkeit und Identität.

Ich meine, dass der Austausch zwischen Osten und
Westen in Europa in seiner langen Geschichte ganz we-
sentlich dazugehört. Unser Kollege Arnold Vaatz
schreibt in der Vorbemerkung zu einer von ihm noch
nicht veröffentlichten, aber hoffentlich irgendwann zu
veröffentlichenden „Geschichte Mitteldeutschlands“
über die politische Dynamik der Geschichte, die aus dem
Spannungsfeld zwischen Osten und Westen im Laufe der
Jahrhunderte immer wieder entstanden ist.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wo ist denn dann der Osten Deutschlands?)


Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz
Europa. Das müssen wir jetzt fruchtbar gestalten. Dann
wird das für uns alle in Europa von Nutzen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wo ist denn Dr. Wolfgang Schäuble dann der Osten Deutschlands? Da wird jetzt aber einiges konfus!)





(A) (C)


(B) (D)


– Verehrter Herr Weisskirchen, damit drehen Sie auf De-
batten zurück, die wir vor mehr als zehn Jahren geführt
haben. Wollen Sie den Begriff Mitteldeutschland wirk-
lich aus der deutschen Sprache streichen? Ich glaube, Sie
haben nicht alle Tassen im Schrank. Das tut mir wirklich
Leid.


(Beifall bei der CDU/CSU – Unruhe bei der SPD)


Dass wir über die deutsche Einigung im Jahre 2003 an-
lässlich des anstehenden Beitritts von Polen und anderer
Länder zur Europäischen Union noch streiten müssen,
ist wirklich steinerweichend. Wir sind uns doch darüber
im Klaren, dass wir im Zuge der europäischen Einigung
über Grenzen nicht mehr streiten, sondern dass wir
Grenzen durch die europäische Einigung überwinden.
Deswegen ist es doch ein Freudentag, wenn zehn unserer
Nachbarn im Osten der Europäischen Union beitreten
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen müssen wir aber unsere Sprache und unsere
Begriffe doch nicht ändern.

Ich würde gerne noch einen weiteren Gesichtspunkt
ansprechen. Der Beitritt der künftigen EU-Mitglieder
muss auch unsere Nachbarschaft im Osten stärker in un-
ser Blickfeld rücken. Auch hier muss sich Europa be-
währen und auch hier liegen für alle Europäer große
Chancen.

Ich will einige Worte zu Russland sagen. Russland ist
zum Teil Europa und es ist zugleich auch eine Weltmacht.
Übrigens belegt auch die Beziehung zu Russland wieder,
dass die europäische Einigung und die atlantische Part-
nerschaft zusammengehören; die Polen wissen das. Ich
glaube, die deutsch-russische Zusammenarbeit ist mit
Amerika für Polen sehr viel weniger mit Sorgen verbun-
den denn als Alternative zur atlantischen Partnerschaft.
Für Europa allein ist Russland zu groß. Deshalb bietet die
euro-atlantische Gemeinschaft auch für Russland die bes-
sere Perspektive für eine dauerhafte Zusammenarbeit.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Im Übrigen zeigt jeder Blick auf die aktuelle Agenda der
Weltpolitik, wie sehr wir auf einen gestaltenden Beitrag
Europas, auf eine enge atlantische Partnerschaft und auf
eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Russland angewie-
sen sind.

Die guten Ansätze, die sich in den letzten Wochen
etwa im Quartett für den Fahrplan zum Frieden im Na-
hen Osten oder auch bei den Treffen in Petersburg und
Evian gezeigt haben, müssen genutzt und weiterentwi-
ckelt werden. Auch deshalb ist der Beitritt der zehn
neuen Mitglieder zur Europäischen Union nicht nur ein
historisches Ereignis, indem nach bitterer Vergangenheit
ein neues und hoffnungsvolles Kapitel in der Geschichte
aufgeschlagen wird. Dieser Beitritt muss für uns auch
Anstoß sein, uns über unsere Verantwortung und Chan-
cen in dieser Zeit so aufregender Veränderungen in der
Welt klar zu werden.

Auch in diesem Sinne wird der Beitrag unserer neuen
Mitglieder in der Europäischen Union dringend ge-
braucht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505603600

Das Wort hat jetzt der Herr Außenminister Joschka

Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505603700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

raten heute abschließend über die Erweiterung der Euro-
päischen Union. Die Vorrednerin und der Vorredner
haben zu Recht darauf hingewiesen: Bei dieser Erweite-
rungsrunde um zehn neue Mitgliedstaaten handelt es
sich nicht nur um die größte Erweiterung; allein auf-
grund dessen würde sie das Prädikat „historisch“ schon
verdienen. Zugleich gehören überwiegend Nachbarstaa-
ten dazu, die bisher jenseits des Eisernen Vorhanges zu
leben hatten. Das heißt, neben der größten Erweiterung
ist es zugleich ein Überschreiten des ehemaligen Eiser-
nen Vorhangs, weswegen man, wie es Kollege Schäuble
getan hat, durchaus sagen kann, dass es der entschei-
dende Schritt zur Wiedervereinigung Europas ist.

Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass das
Haus insgesamt Zustimmung signalisiert hat. Lassen Sie
es mich so sagen: Die neuen Mitgliedstaaten sind uns als
gleichberechtigte Mitglieder der erweiterten Union recht
herzlich willkommen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Gleichheit der Mitgliedstaaten ist eines der ganz

entscheidenden Prinzipien. Dass dieses Prinzip der
Gleichheit gilt, haben wir bereits im Konvent gezeigt.
Obwohl die neuen Mitgliedsländer noch nicht formal
beigetreten waren, arbeiteten wir dort als Gleichberech-
tigte zusammen. Das hat auch der Europäische Rat in
Thessaloniki gezeigt, wo die Staats- und Regierungs-
chefs und die Außenminister der 25 bereits gemeinsam
gearbeitet haben.


(Zuruf des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])

– Bitte?


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Warum ist die Türkei im Konvent noch nicht dabei?)


– Ich gebe zu, es war ein Fehler, dass ich „Bitte“ gesagt
habe.


(Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wenn ich über die größte Erweiterungsrunde rede, dann
versteht der Abgeordnete Müller, München, CSU, nur
Türkei. Dies ist eine spezifische Form der Übersetzung
von Ihnen. Wenn ich aber schon dabei bin – –


(Michael Glos [CDU/CSU]: „Müller aus München“ nehmen Sie sofort zurück!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

– Auf Geheiß Ihres Landesgruppenvorsitzenden nehme
ich es sofort zurück.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Aus Schwaben! Sie bringen alles durcheinander!)


Wir werden Ihrem Antrag auf eine Zweidrittelmehr-
heit nicht zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist doch völlig klar, was damit intendiert ist. Obwohl
es gar nicht notwendig ist, wollen Sie damit die Mög-
lichkeit erhalten, bei kommenden Erweiterungsrunden
der Union mit einer Minderheit Beschlüsse zu blockie-
ren. Deswegen lehnen wir diesen Antrag als gute und
überzeugte Europäer ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Kollege Schäuble wollte eine intellektuelle De-
batte führen. Das finde ich gut und richtig; ich werde
gleich darauf eingehen. Aber Herr Schäuble ist mit eini-
gen knappen Bemerkungen sehr schnell über den zwei-
ten Entschließungsantrag hinweggegangen. Ich verstehe
auch, warum. Dort wird nämlich erneut auf das deutsch-
tschechische Verhältnis eingegangen. Ich kann Ihnen
nur sagen: Für uns gilt die unter Bundeskanzler Helmut
Kohl und unter Beteiligung vieler Kolleginnen und Kol-
legen aus der Opposition und auch der Frau Vizepräsi-
dentin mühselig erarbeitete Deutsch-Tschechische Er-
klärung.

Das Verhältnis ist schon schwierig genug. Auf der ei-
nen Seite bestreitet niemand die Verantwortung unseres
Landes für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Das
gehört konstitutiv zur Identität des demokratischen
Deutschlands. Aber auf der anderen Seite muss auch das
erlittene Unrecht und das Leiden derer, die vertrieben
wurden und ebenfalls ein großes Opfer zu bringen hat-
ten, betont werden. Auf dieser gemeinsamen Grundlage
und gründend auf der historischen Verantwortung unse-
res Landes für die Verbrechen des Nationalsozialismus
wurde damals die Deutsch-Tschechische Erklärung for-
muliert, die wir nach wie vor für die Basis der Entwick-
lung unserer Beziehungen halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


In diesem Zusammenhang begrüßen wir die jüngste
Rede von Ministerpräsident Spidla, die sehr mutig und
couragiert war.


(Beifall beim BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte auch die sehr positiven Reaktionen von Spre-
chern der sudetendeutschen Landsmannschaft hervorhe-
ben.


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Das zeigt, dass es weitergeht!)


– Richtig. Aber Ihr Antrag ist eher rückwärts gewandt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Nichts wäre uns lieber, als dass die Nachkommen der
Sudetendeutschen – inzwischen handelt es sich über-
wiegend um die zweite und dritte Generation; dies gilt
auch für alle anderen Heimatvertriebenen – und die Ver-
antwortlichen in der Tschechischen Republik wie auch
die Gesellschaften miteinander in einen Dialog kommen.
Dieser Dialog soll nicht mehr durch Konfrontation, son-
dern durch ein Aufeinander-Zugehen und Aufeinander-
Zudenken geprägt sein. Deswegen wird alles, was uns in
eine ultimative Verhandlungssituation in Bezug auf die
Aufhebung der Benes-Dekrete bringen soll, das Gegen-
teil von dem bewirken, was gegenwärtig gemacht wird.
Das werden wir nicht mitmachen.

Wir wollen diesen offenen Prozess des Aufeinander-
Zugehens fördern. Ich wünsche mir, dass sich der Geist,
den Ministerpräsident Spidla in seiner jüngsten Rede ge-
zeigt hat, in einem Antrag niederschlägt. Dann würde ich
Zustimmung empfehlen. Aber diesen kann ich in Ihrem
Antrag nicht finden. Darin kommt vielmehr sehr stark
der bayerische Landtagswahlkampf zum Vorschein. Des-
halb werden wir dem Antrag nicht zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jenseits dessen ist es wichtig, dass wir über die Zu-
kunft des erweiterten Europas diskutieren. Ich stimme
Kollege Schäuble ausdrücklich zu: Es ist faszinierend, zu
sehen, was dieses Europa, das angeblich bewegungsun-
fähig ist, seit der Zeitenwende von 1989 geleistet hat. Die
europäische Einigungsidee ist schon lange vorher gebo-
ren worden und ist damit wesentlich älter. Sie ist eine
Antwort auf das Europa der Schlachtfelder des 19. und
20. Jahrhunderts. Sie bedeutet eine Überwindung der
Konfrontation der europäischen Nationalstaaten im
Staatensystem, indem die Interessen, beginnend mit den
ökonomischen Zielen, zusammengefügt wurden.

Dahinter stand aber auch die Überwindung der politi-
schen Teilung, der Grenzen. Aus der Sicht der 50er-
Jahre sollten eines späteren und ferneren Tages Teile der
Souveränität, soweit es notwendig war, ohne dass die
europäischen Nationen deswegen ihr Gesicht, ihre Iden-
tität, ihre Geschichte, ihre Sprache und ihre Eigenheiten
verlieren, zusammengefügt werden. Dieses Europa wird
nie ein kontinentaler homogener Staat werden. Dies
steht nicht nur im Widerspruch zur Geschichte der euro-
päischen Staaten, sondern – das ist viel älter – zur Ge-
schichte der europäischen Völker. Die Deutschen, die
Franzosen und die Polen gab es schon lange, bevor es
Nationalstaaten in diesem Sinne gab. Diese sind in der
Geschichte eine kurzzeitige Erscheinung.

Die Europäische Union, diese Einigungsidee, ist die
Antwort auf das Europa der nationalen und nationalisti-
schen Konfrontationen. Das ist das Eigentliche. Wir
mussten in den 90er-Jahren beim Auseinanderbrechen
Jugoslawiens die Schattenseite der europäischen Vielfalt
erkennen.

Ich meine – das habe ich Jürgen Habermas in einem
privaten Gespräch gesagt –, dass wir weiter sind als bei
der damaligen Debatte über Kerneuropa. Diese Vorstel-
lung ist im Übrigen nicht richtig. Ich kann mich an die






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

Debatte erinnern. Die Idee von Kerneuropa ist im Zu-
sammenhang mit dem Vertrag von Maastricht und der
Einführung des Euro aufgekommen. Sie stand im Zu-
sammenhang mit der Angst, vor allem mit der CSU ein
Problem zu bekommen, wenn auch Italien der Eurozone
beitritt.

Schon damals habe ich euch als Oppositionspolitiker
entgegengehalten, dass diese Debatte weder dem deut-
schen noch dem bayerischen Interesse dient. Wer sich
die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Norditalien und
Bayern anschaut, der wird das wissen. Es geht vor allen
Dingen nicht, dass wir ein Land, das zum Kern der euro-
päischen Integration gehört, beim Euro außen vor lassen.
Das war der entscheidende Punkt. Das war das Spal-
tungselement.

Ich kritisiere das nicht unter dem Gesichtspunkt, dass
an der Kerneuropadebatte nicht viel Konstruktives ge-
wesen wäre. Aber sich heute als der große europäische
„Integrator“ hinzustellen, das unter den Tisch fallen zu
lassen und die Bundesregierung wegen der Entwicklung
im Zusammenhang mit dem Irak zu kritisieren zeugt da-
von, dass man die Geschichte nicht so wahrnimmt, wie
sie tatsächlich gewesen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bin der Meinung, dass eine „Lokomotive“, die nur
aus wenigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union
besteht, nur die zweitbeste Lösung ist. Schauen Sie doch
die Realität an. Es war manchmal sinnvoll, Regelungen
nur für einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union
vorzusehen. Das Schengener Abkommen war eine wich-
tige Initiative. Heute ist dieses Abkommen für die meis-
ten Mitgliedstaaten Vertragsbestandteil. Das heißt, der
innere Freiraum von Recht und Justiz wird mehr und
mehr Realität.

Dabei ist es wichtig, dass die Europäische Grund-
rechte-Charta jetzt in die Verfassung kommt. Wenn
europäische Institutionen im Zusammenhang mit der
Kriminalitätsbekämpfung Eingriffe in die Grundrechte
der Bürgerinnen und Bürger vornehmen, dann gebietet
es einer der Grundsätze der Demokratie, dass auch die
Grundrechte, das heißt der Schutz der Bürgerinnen und
Bürger gegenüber quasistaatlichem Handeln, gesichert
werden. Genau das wird mit der Aufnahme der Grund-
rechte-Charta in die Verfassung gewährleistet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Darüber hinaus ist diese Verfassung die Konsequenz
der Erweiterung. Was wurde uns alles in Sonntagsreden
entgegengehalten, wenn wir gesagt haben, dass wir die
Erweiterung für historisch unausweichlich halten, dass
diese Erweiterung dann allerdings einer Neugestaltung
der europäischen Institutionen bedarf, um die erweiterte
Union handlungsfähiger zu machen, weil sie zugleich
größer und per definitionem mit 450 Millionen Bürge-
rinnen und Bürgern und 25 und mehr Mitgliedstaaten
unübersichtlicher und noch weniger verstehbar wird!

Die Europäische Union muss für die Menschen trans-
parenter werden. Das Subsidiaritätsprinzip – das war
vor allem Ihr Petitum – wird in der Verfassung verankert
und die Wächterrolle der nationalen Parlamente wird
festgeschrieben. Sie muss nur noch genutzt werden.

Es ist aber auch klar, dass wir die Europäische Union
demokratischer machen müssen. Ich erinnere an den
gestrigen Vorfall im Europäischen Parlament. Ich hoffe,
dass das in einem Gespräch zwischen dem Bundeskanz-
ler und Ministerpräsident Berlusconi unmissverständlich
richtig gestellt wird und die Angelegenheit mit einer
Entschuldigung abgeschlossen wird. Der gestrige Tag
macht auch die Bedeutung Europas und des Europäi-
schen Parlaments klarer. Wir werden bei den Wahlen er-
leben, dass das erweiterte Europa eine größere Bedeu-
tung bekommt.

Für mich war es eine Erfahrung, als ich mit dem pol-
nischen Staatspräsidenten und meinem Kollegen, dem
polnischen Außenminister, in der Nähe von Oppeln im
Kampf für das Referendum zum ersten Mal in Polen
aufgetreten bin. Das war sozusagen ein Wahlkampf, um
für das Ja zu Europa zu werben. Das zeigt, wie sich
Europa politisiert und demokratisiert und wie Grenzen
überschritten werden. Wir haben die Erfahrung inner-
deutsch gemacht und machen sie jetzt auf gesamteuro-
päischer Ebene mit Ländern, die bis vor kurzem durch
Mauer und Stacheldraht von uns getrennt waren, heute
aber mit uns verbunden sind. Das ist wahrhaft eine histo-
rische Entwicklung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Prozess wird Geduld und ein Aufeinander-Zuge-
hen erfordern. Die alten Mitgliedstaaten haben über
Jahrzehnte im wahrsten Sinne des Wortes Europa „ge-
lernt“ und die Bevölkerungen sind langsam in die Euro-
päische Union hineingewachsen.

Wir haben im deutsch-deutschen Einigungsprozess
erlebt, dass vieles, was sich im Westen über Jahrzehnte
hinweg langsam entwickelt hat, von den Menschen in
Ostdeutschland quasi über Nacht übernommen werden
musste. Dasselbe gilt im europäischen Einigungsprozess
für die Menschen in den Beitrittsländern. Dabei bedarf
es Verständnisses und Sensibilität füreinander und auch
– wie wir Deutsche im deutsch-deutschen Einigungspro-
zess gelernt haben – Geduld. Aber letztendlich ist es ein
großer Erfolg.

Dieses Europa wird auch in der Außenpolitik seinen
eigenen Weg finden müssen. Es nützt nichts, wenn wir
jedes Mal dasselbe wiederholen. Ohne die USA hätte es
keinen europäischen Einigungsprozess gegeben. Ge-
rade wir Deutsche wissen: Wenn die USA in einem sich
vereinigenden Europa gewisse Befürchtungen, Ängste
und meinetwegen auch Vorurteile ausbalancieren, dann
liegt das auch in unserem Interesse. Aber gleichzeitig
müssen wir erkennen, dass der europäische Pfeiler der
transatlantischen Brücke ohne ein stärkeres Europa lang-
sam mürbe werden würde. Das heißt, nicht „weniger
Amerika“, sondern „mehr Europa“ ist die Aufgabe, die
wir gemeinsam zu lösen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Natürlich!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

– Nach Ihrer Methode wird das nicht funktionieren, Herr
Pflüger. Im transatlantischen Bündnis müssen Sie auch
kritikfähig bleiben, wenn Sie anderer Meinung sind. Das
ist der entscheidende Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Natürlich, das hat auch nie jemand bestritten!)


Sie sind dabei im wahrsten Sinne des Wortes kein Maß-
stab für mich, Herr Kollege Pflüger.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das gilt umgekehrt auch!)


Denn was Sie unter einer kritischen Meinung verstehen,
ist mir, ehrlich gesagt, ein Rätsel.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Ja?)

– Hören Sie doch auf! Es ist doch so: Von einer be-
stimmten Stelle erfolgt eine Ansage und dann gibt Fried-
bert Pflüger Laut. Sie wissen so gut wie ich, dass das die
Realität ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ihre Position wird von der überwiegenden Mehrheit Ih-
rer Kollegen nicht geteilt; sie sehen es vielmehr genauso
kritisch wie ich.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Es gab zwischen uns einen Dissens beim Thema Irak.

Ich betone ausdrücklich: Das war nicht nur eine Frage
der Spaltung – die wir alle bedauert haben –, sondern es
war eine Herausforderung für uns alle, wie wir uns auf
die neuen Gefahren einstellen sollen. Ich meine, dass es
für die beiden Positionen eine große Chance bedeutet,
wenn sie aufeinander zugehen. Aufeinander zugehen
heißt aber nicht, dass sozusagen die eine Seite die Segel
streicht und gegenüber der anderen Seite klein beigibt.

Was wir in der Europäischen Union mit dem neuen
strategischen Papier erreicht haben, zeigt die Richtung,
die wir einschlagen müssen. Angesichts der Herausfor-
derungen und Probleme, vor denen wir gerade im erwei-
terten Nahen Osten stehen, halte ich das für dringend ge-
boten. Voraussetzung dafür ist aber ein Europa, das
handlungsfähig und sich einig ist. Das wird unter Demo-
kraten nie ohne Streit zustande kommen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505603800

Gestatten Sie, dass der Kollege Schäuble eine Frage

stellt?

Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505603900

Bitte.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1505604000

Herr Bundesminister, könnten Sie nach Ihren Ausfüh-

rungen über die Bereitschaft zur Kritik – die wohl auch
die Bereitschaft, Kritik zu ertragen, einschließt; aber da-
rauf wollte ich nicht hinaus – noch zu der Art der Reak-
tion der deutschen und der französischen Regierung auf
die polnische Kritik in einer bestimmten Frage Stellung
nehmen?


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Die deutsche aber nicht!)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505604100

Herr Kollege Schäuble, bei der Beantwortung dieser

Frage würde ich gerne differenzieren. Das wissen Sie
auch.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Dann sagen Sie es!)


– Ich will es Ihnen gerne erläutern. – Ich habe damals
ausgeführt, dass ich von einer bestimmten Sprache oder
auch Art des Umgangs mit Partnern – wen auch immer
das betreffen mag – nichts halte. Ich bin vielmehr der
Meinung, dass wir aufeinander zugehen und auch das
notwendige Verständnis für kritische Positionen – auch
wenn es in der Familie einmal etwas konfrontativer zu-
geht, was in Familien gerade in Sachfragen immer mög-
lich ist – aufbringen müssen und dass dies immer auf
Augenhöhe und von Gleich zu Gleich zu geschehen hat.
Das war und ist die Haltung der Bundesregierung und
das wird auch so bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe hinzugefügt, dass dies von unseren Erfah-
rungen im deutschen Vereinigungsprozess geprägt ist.
Seien wir doch dankbar dafür,


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Dass die Menschen schnell vergessen!)


dass wir einen gemeinsamen Erfahrungsvorlauf haben,
den wir auf europäischer Ebene einbringen können. Des-
wegen möchte ich noch einmal allen, aber besonders un-
seren polnischen und tschechischen Nachbarn zurufen:
Seien Sie uns herzlich willkommen!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505604200

Herr Pflüger, mir ist eine Kurzintervention des Abge-

ordneten Hintze angekündigt worden.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1505604300

Ich habe nicht gesehen, dass sich auch der Kollege

Hintze zu einer Kurzintervention gemeldet hat.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Irgendwie haben Sie mit Ihren Kurzinterventionen immer Pech!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505604400

Gut, dann erteile ich Ihnen als Erstem das Wort zu

einer Kurzintervention. Bitte, Herr Pflüger.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1505604500

Frau Präsidentin! Herr Bundesaußenminister Fischer

hat sich eben zu der Art und Weise geäußert, wie wir mit
unseren Freunden in Amerika umgehen. Ich möchte sehr
deutlich sagen, dass ich unterschiedliche Meinungen in-
nerhalb der Allianz für das Normalste auf der Welt halte.
Wir alle sind der Ansicht, dass es in einem Bündnis
freier Länder richtig und notwendig ist, auch Meinungs-
unterschiede auszutragen. Tun Sie doch nicht so, Herr
Bundesminister, als ob dies der Streitpunkt in den letzten
sechs Monaten gewesen wäre! Das ist er nie gewesen.
Der Streitpunkt ist vielmehr die Art und Weise gewesen,
wie die Bundesregierung ihre Position vorgetragen hat,
wie Amerika beschimpft worden ist – bis hin zu Verglei-
chen von Bush mit Cäsar und Hitler – und wie den Ame-
rikanern Abenteurertum unterstellt worden ist. Diese Art
und Weise sowie die Tatsache, dass es über Monate hin-
weg keinen Kontakt zwischen der Bundesregierung und
der Führung in Washington gegeben hat, haben wir
kritisiert.

Herr Bundesminister, Sie haben davon gesprochen,
dass Sie mehr Europa haben wollen. Es ist richtig, dass
wir mehr Europa brauchen. Aber das Problem ist, dass
Europa in den letzten sechs Monaten schwächer und un-
einiger geworden ist und dass es gespalten gewesen ist.
Diese Politik, die Sie zu verantworten haben, führt in die
Irre. Meinungsunterschiede sind in Ordnung. Aber sie
müssen auf vernünftige Art und Weise ausgetragen wer-
den. Vor allen Dingen sollte man miteinander und nicht
übereinander und auch nicht auf den Marktplätzen re-
den. Darum ist es uns in den letzten Wochen gegangen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505604600

Herr Abgeordneter Hintze, möchten Sie noch eine

Kurzintervention machen? – Das ist der Fall. Herr Mi-
nister, Sie können dann auf die beiden Kurzinterventio-
nen erwidern.

Bitte, Herr Hintze.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1505604700

Der Bundesaußenminister hat eben so viel unerfreuli-

chen Diskussionsstoff geliefert, dass man darauf einge-
hen muss.


(Widerspruch bei der SPD)

– Doch, das ist wichtig. – Ich finde es bedauerlich, dass
die Regierung versucht, ihren Frust über die Probleme
im deutsch-amerikanischen Verhältnis am außenpoli-
tischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion abzureagie-
ren. So können Sie Ihre Fehler nicht wieder gutmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Grund meiner Kurzintervention ist aber ein ande-

rer. Der Bundesaußenminister hat der Opposition mit
mächtiger Stimme vorgeworfen, sie wolle anlässlich des
Beitritts der zehn Staaten aus Mittel- und Osteuropa so-
wie dem Mittelmeerraum ein Präjudiz für weitere Bei-
tritte schaffen, und das nur, weil wir in unserem Ände-
rungsantrag auf die verfassungsmäßigen Grundlagen
dieser Entscheidung hinweisen. Herr Bundesaußenmi-
nister, es geht darum, in einer wichtigen Schicksalsfrage
Europas ein Präjudiz zulasten der Rechte des Deutschen
Bundestages zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen treten wir aufgrund unserer verfassungsmäßi-
gen Überzeugung dafür ein, dass Art. 23 in Verbindung
mit Art. 79 des Grundgesetzes die rechtliche Grundlage
für Erweiterungen der EU ist.

Als überzeugte Europäer – das möchte ich aus politi-
scher Sicht hinzufügen – treten wir dafür ein, die Euro-
päische Union stets so zu erweitern, dass jede Erweite-
rungsrunde ein politischer und kultureller Gewinn für
Europa ist. Die jetzige Erweiterung ist ein solcher Ge-
winn. Wir werden ihr zustimmen. Das haben wir im
Europaausschuss bereits einstimmig getan. Aber wir
wollen uns bei jeder neuen Erweiterungsrunde das kriti-
sche Urteil darüber vorbehalten, ob das, was Sie uns vor-
schlagen, Europa tatsächlich gut tut. Das lassen wir uns
von niemandem nehmen. Das ist übrigens – damit gehe
ich auf eine andere Bemerkung ein – kein Sonderanlie-
gen der CSU, sondern die gemeinsame Überzeugung
von CDU und CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Als Letztes möchte ich darauf hinweisen, dass Sie

sich zu meiner positiven Überraschung über die inakzep-
table Aussage, die der italienische Ministerpräsident im
Europäischen Parlament gestern getätigt hat, maßvoll
geäußert haben. Allerdings habe ich heute Morgen mit
Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass der Bun-
deskanzler von diesem Pult aus mit großer Geste eine öf-
fentliche Rüge erteilte.


(Widerspruch der Abg. Katrin Dagmar GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Moment, fangen Sie nicht an zu schreien!


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505604800

Herr Kollege Hintze, Sie dürfen jetzt keinen Debat-

tenbeitrag mit mehreren Punkten leisten. Die Redezeit
von drei Minuten ist abgelaufen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1505604900

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Ich hätte mir gewünscht, dass der Herr Bundeskanzler

von diesem Pult aus eine öffentliche Rüge ausgespro-
chen hätte, nachdem seine eigene Justizministerin in
ähnlicher Weise entgleist war.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es ist doch blanker Unsinn, das zu vergleichen!)







(A) (C)



(B) (D)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505605000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Kollege Hintze hat sich in diesem Debattenbeitrag ein
weiteres Mal als großer Realist – um nicht zu sagen: als
großer Realo – gezeigt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Herr Hintze, Sie gehen nämlich davon aus, dass Sie wei-
tere Beitrittsrunden – sie werden in den Jahren bis 2010
und danach stattfinden – von der Oppositionsbank aus
begleiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da pflichte ich Ihnen ausdrücklich bei.
Kollege Hintze, ich pflichte Ihnen allerdings nicht

bei, was die juristischen Begründungen angeht. Die
Pflicht der Opposition ist sowohl heute als auch in Zu-
kunft – –


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist Arroganz!)


– Das hat mit Arroganz überhaupt nichts zu tun. Ich greife
lediglich das auf, was Kollege Hintze gerade gesagt hat.
Wenn er meint, dass wir die Erweiterungsrunde im Jahr
2007 noch in dieser Rollenverteilung begleiten, dann
stimme ich ihm zu. Ich werde versuchen, alles dazu bei-
zutragen, dass diese Rollenverteilung aufrechterhalten
bleibt.

Ich würde Ihr Recht, zu bewerten, ob Sie zustimmen
können oder nicht, niemals negieren. Im Gegenteil: Das
ist nicht nur Ihr Recht, sondern auch Ihre Pflicht. Dass
Sie allerdings schon jetzt sozusagen in Umkehrung der
Verfassungsrealitäten andere Spielregeln wollen, um am
Ende über eine Blockademinderheit zu verfügen, das
wird nicht funktionieren können, Kollege Hintze.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Übrigen möchte ich mich nicht am Kollegen
Pflüger abreagieren. Meine Meinung ist seit meinem Er-
lebnis auf der letzten Münchener Sicherheitskonferenz
unverändert. Die Höflichkeit gebietet es, das hier so dar-
zustellen, wie es in Wirklichkeit ist.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das hat Sie schwer getroffen!)


– Das hat mich überhaupt nicht getroffen. Mich haben
amerikanische Kollegen, aber auch bedeutende Reprä-
sentanten der NATO gefragt, ob das bei uns so üblich
sei. Darauf habe ich geantwortet: Leider ja. Mich abzu-
reagieren, habe ich gar nicht nötig.

Ich möchte auf Ihren letzten Punkt, Kollege Pflüger,
zu sprechen kommen. Ich teile ausdrücklich die Mei-
nung des Bundeskanzlers, dass die Äußerungen von Mi-
nisterpräsident Berlusconi inakzeptabel sind und über
eine Entschuldigung aus der Welt geschafft werden müs-
sen. Übrigens hat Herr Fini, der stellvertretende Minis-
terpräsident Italiens, das genauso gesehen. Er hat gesagt,
er halte das im Interesse der deutsch-italienischen
Beziehungen für eine Selbstverständlichkeit.

Jeder von uns hat sich schon einmal vergaloppiert,
meinetwegen auch böse. Wenn Sie hier schon Vergleiche
ziehen: Ich kann mich an den Gorbatschow-Vergleich er-
innern, der völlig daneben war. Später haben sich die
beiden Herren zum Nutzen aller sehr gut verstanden.
Dieser Vergleich war genauso daneben. In einer Biogra-
fie wurde er, wenn ich mich richtig entsinne, im Nach-
hinein als Fehler qualifiziert. Niemand, der sich für
einen Fehler entschuldigt, bricht sich einen Zacken aus
der Krone. Wo Menschen sind, da passieren Fehler,
manchmal auch schlimme. Das kann man mit einem of-
fenen Wort geraderücken, indem man sich entschuldigt.
Das hat der Bundeskanzler gesagt. Dem stimme ich voll
zu. Das hat mit Anprangern oder Ähnlichem überhaupt
nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch etwas anderes, was Kollege Pflüger behauptet
hat, lasse ich so einfach nicht stehen.

Erstens. Dass es zwischen den Führungen monatelang
keinen Kontakt gegeben hat, ist – das wissen Sie auch –
schlechterdings Unfug. Ich stand in permanentem Kon-
takt mit meinem Kollegen. Sie können natürlich sagen:
Der Außenminister, der Secretary of State, der Innenmi-
nister und andere gehören nicht zur Führung. Das mag
Ihre Perspektive sein. Ich teile sie nicht.

Zweitens. Wir hatten einen Streit darüber, ob militä-
rische Mittel angemessen sind. So etwas kommt zwi-
schen Demokratien vor. Das wissen Sie so gut wie ich.
Dieser Streit wurde ausgetragen. Ich bin froh, dass wir
ihn hinter uns haben.

Schließlich, Kollege Pflüger, lassen Sie mich zu Ihrer
Behauptung, die Bundesregierung führe uns in die Irre,
Folgendes sagen: Darüber, wer hier wen in die Irre führt,
müssen und werden Sie gegenwärtig in der CDU disku-
tieren. Darüber sind wir nicht traurig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505605100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine

Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1505605200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Damit bei Ihnen, meine Herren aus Polen, die Sie
heute hier in dieser ganz wichtigen Debatte zuhören,
keine Irritationen entstehen, möchte ich eines ganz deut-
lich machen: Die FDP-Fraktion ist die Fraktion im Deut-
schen Bundestag, die nie einen Zweifel daran gelassen
hat, dass sie diesen Beitrittsprozess, und zwar beginnend
mit dem ersten Beitritt zur Europäischen Union, immer
wollte und immer zielstrebig verfolgt hat. Was für viele
sehr lange eine Vision war, wird heute Realität – dank li-
beraler Außenminister. Die FDP hat auch nie einen
Zweifel daran gelassen, dass der Vertrag über den






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Beitritt in diesem Haus wie ein ganz normaler Ratifizie-
rungsvertrag mit einfacher Mehrheit ratifiziert wird.
Wir sind in Kontinuität mit der Regierungspolitik der
früheren CDU/CSU-FDP-Koalition.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


1994, als es um den Beitritt dreier Länder ging, haben
wir genau dieselbe Position wie heute vertreten. In die-
sem Punkt gehören wir eindeutig zur Minderheit in die-
sem Haus; denn da hat es jetzt bei CDU/CSU und SPD
die Rochaden gegeben. Anscheinend spielt auch bei der
Bewertung juristischer Fragen eine nicht unwesentliche
Rolle, in welcher Verantwortung man in diesem Hause
ist. Wir haben an unserer Position nie Zweifel aufkom-
men lassen und haben diese Position klar, eindeutig,
nachvollziehbar und so vertreten, dass keine Irritationen
entstehen.


(Beifall bei der FDP)

Wir von der FDP-Fraktion begrüßen herzlich die Bür-

gerinnen und Bürger der Beitrittsstaaten, nicht nur die
aus Polen, sondern die aus allen zehn Ländern, die am
1. Mai 2004 zur Europäischen Union gehören werden.
Natürlich gilt das uneingeschränkt auch für die
Tschechische Republik. Wir sind froh darüber, dass die
Tschechische Republik zur Europäischen Union gehören
wird – gerade mit Blick auf die deutsche Vergangenheit
und das Unrecht, das vielen Menschen, Deutschen und
Tschechen, widerfahren ist. Gerade deshalb ist es ein
entscheidender historischer Schritt.


(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das Bekenntnis der tschechischen Bevölkerung zum

EU-Beitritt, die Erklärung des tschechischen Parlaments
und des tschechischen Ministerpräsidenten Spidla sind
eindeutig ein Schritt hin zu einem neuen Kapitel auch in
den Beziehungen der beiden Staaten Bundesrepublik
Deutschland und Tschechische Republik. Ich bin davon
überzeugt, dass gerade in der Unionsmitgliedschaft von
Deutschland und Tschechien eine hervorragende Grund-
lage dafür liegt, auch immer noch offene und zu debat-
tierende Fragen in gegenseitigem Einvernehmen zu lö-
sen. Aber belasten wir diese gemeinsame Zukunft bitte
nicht mit Versprechungen und Entschließungen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt steht die Europäische Union vor der Herausfor-
derung, die Erweiterung auch tatsächlich zu vollziehen,
die Chancen zu nutzen und die Risiken, die natürlich
ebenfalls vorhanden sind, zu minimieren. Wirtschaftli-
che Kooperation, besonders in grenzüberschreitenden
Regionen, Ausbildungs- und Bildungsoffensiven sowie
grenzüberschreitende Verkehrsmaßnahmen haben natür-
lich hohe Priorität. Aber gerade der italienischen Rats-
präsidentschaft kommt in dieser für die Europäische
Union, für ihre Integration und für ihren Weiterentwick-
lungsprozess wichtigen Zeit eine ganz herausragende
Bedeutung zu. Gerade jetzt, in dieser Stunde, muss das
Vertrauen der neuen Mitgliedstaaten gewonnen werden
und muss gegenseitiges Verständnis gestärkt werden, um
auf dieser Grundlage Interessengegensätze zu überwin-
den. Deshalb ist besorgniserregend, dass das Debüt des
italienischen Ministerpräsidenten als Ratspräsident im
Europäischen Parlament gestern völlig missglückt ist.
Gerade jetzt, in dieser Phase, braucht die Europäische
Union einen Ratspräsidenten, der überzeugt und den
europäischen Verfassungsprozess weiter voranbringt,
der integriert und nicht mit seinen Ausfällen im Europäi-
schen Parlament Misstrauen sät. Alles andere birgt die
Gefahr in sich, dass die Ratspräsidentschaft mit diesen
Belastungen nicht zu dem Erfolg kommt, den wir von
diesem Prozess erwarten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Allermindeste ist doch, dass sich der italienische
Ministerpräsident dafür entschuldigt, damit diese Aus-
einandersetzung nicht die Beratungen in den kommen-
den Monaten und insbesondere die Regierungskonfe-
renz, die im Herbst beginnt, überlagert.

Wir Liberale begrüßen ausdrücklich, dass es jetzt
einen ersten Entwurf einer europäischen Verfassung
gibt. Er stellt in vielen Bereichen die Weichen richtig
und gibt Antworten darauf, wie mit den Herausforderun-
gen im Rahmen der Erweiterung umzugehen ist. Für uns
sind beide Prozesse – Erweiterung und Vergrößerung so-
wie Vertiefung der Europäischen Union – unabdingbar
miteinander verbunden. Wir erwarten aber auch, dass
auf den noch verbleibenden Konventssitzungen über ent-
scheidende Punkte und noch mögliche Verbesserungen
verhandelt wird. In den letzten Beratungsrunden zum
dritten Teil geht es nicht nur um technische Fragen, son-
dern auch darum, in der Ausgestaltung wichtiger Kom-
petenzfragen klare Regelungen und nicht solche, die
nachher zulasten der Mitgliedstaaten ausgelegt werden
können, zu treffen.

Deshalb wollen wir, dass die Kompetenzen etwa be-
züglich der Daseinsvorsorge nicht verlagert werden, dass
die Binnenmarktkompetenz eingeschränkt wird sowie in
der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik über
qualifizierte Mehrheiten der Europäischen Union bes-
sere Handlungsmöglichkeiten gegeben werden. Dieser
Versuch muss jetzt in den Beratungen, aber möglicher-
weise auch noch, ohne dass das ganze Paket aufge-
schnürt wird, in den Beratungen der Regierungskonfe-
renz unternommen werden.

Dass wir in der Europäischen Union eine offene De-
batte über die Konzeption ihrer Außenpolitik brauchen,
ist ja unstreitig. Das hat ja auch die Diskussion heute
Morgen zum Ausdruck gebracht. Wir als FDP wollen ein
selbstbewusstes und starkes Europa, das sich nicht allein
aus einer schlichten Abgrenzung zu den Vereinigten
Staaten von Amerika bzw. einer schlichten Unterwer-
fung unter amerikanische Vorstellungen definiert, son-
dern das seine eigene Außen- und Sicherheitspolitik in
Partnerschaft zu unseren amerikanischen Freunden defi-
niert und dadurch Vertrauen aufbaut. Hierfür müssen
Mechanismen geschaffen und Verfahrensabläufe festge-
legt werden,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

damit nach strittigen Diskussionen über wichtige Einzel-
fragen ein gemeinsames Handeln der Europäischen
Union möglich wird, und zwar ohne dass es durch Irrita-
tionen, die nach wie vor nach der emotionalen Auseinan-
dersetzung der letzten Monate um den Irakkrieg beste-
hen, überlagert wird.

Wir also haben klare Vorstellungen von einem starken
handlungsfähigen Europa. Die vielen Kulturen und Tra-
ditionen sind eine Bereicherung für uns. Wir Liberale
sind froh, dass wir wirklich für uns in Anspruch nehmen
dürfen, entscheidende Weichenstellungen für die heute
anstehenden Entscheidungen mit vorgenommen zu ha-
ben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505605300

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert

Weisskirchen.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1505605400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Prag vor über 20 Jahren, die Charta 77 gerade wenige
Jahre alt. Anglicka 8, nahe am Wenzelsplatz – Milan
Horacek, der auf der Tribüne sitzt, kennt es –: Anna
Sabatova und Petr Uhl wohnen hier, streng bewacht;
sie leise und eindringlich, er blickt mich verschmitzt aus
den Augenwinkeln an und zitiert Konrad György: Wir
leben im unglücklichen Teil Europas, uns geht es um die
Freiheit, uns geht es darum, dass wir als Europäer die
gleichen Rechte wie ihr als Europäer habt. Auch unser
Teil Europas will glücklich werden. – Das haben sie da-
mals zu mir gesagt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um die Freiheit geht es. Prag liegt westlich von Wien.
Istvan Szent-Ivanyi aus Budapest zeigt mir im glei-

chen Jahr, wie die Dissidenz miteinander ringt, um Soli-
darität und wieder um Freiheit debattiert. Er sagt: Das ist
unser Wollen, unser Ziel – Freiheit, so wie bei euch im
Westen Europas. Heute ist er liberaler Vorsitzender des
Europaausschusses. Er hat gezeigt, was Solidarität in
Zeiten der Diktatur heißt.

Oder Marju Lauristin, die große estnische Sozialde-
mokratin. Wer einmal in Tallin war, war vielleicht auch
vor dem Parlament und hat auf die wunderbare Altstadt
und das weite baltische Meer geblickt. Marju Lauristin
hat, die Büste ihres Vaters zeigend, gesagt – das war
Mitte der 80er-Jahre –: Er hat Estland in die Diktatur ge-
bracht, ich, Marju Lauristin, will das, was mein Vater ge-
tan hat, rückgängig machen; ich will, dass Estland Mit-
glied der Familie der europäischen Demokratien wird. –
Ich war erstaunt, überrascht, erfreut.

Oder Emmanuelis Zingeris, ehemals Mitglied des
Parlaments in Vilnius, heute als Mitglied der jüdischen
Gemeinde in Vilnius dafür sorgend, dass das Jerusalem
des Ostens niemals verloren geht, die Geschichte des
europäischen Judentums, das in Europa eine Klammer
bedeutet hat um den Westen, den Osten und die Mitte
Europas und das Deutschland damals zerstört hat. Er
sagt: Seitdem ist das Wort „Holocaust“ in den Namen
meines Landes eingebrannt auf alle Zeit.

Oder Jan Józef Lipski aus Polen. Er lebt nicht mehr.
Wie würde er sich freuen, wenn er diesen Tag, den
1. Mai 2004, erleben könnte, er, der den demokratischen
Sozialismus damals als PPS-Vorsitzender – so nannte
man das – im Exil am Leben gehalten hat, nach Polen
zurückgebracht hat, sich der Solidarnosc und zuvor der
Menschenrechtsbewegung angeschlossen hat.

Was für Menschen, was für Männer und Frauen! Sie
gehören jetzt zu uns.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Häufig wird gesagt, die Europäische Union erweitere
sich nach Osten. Nein. Jiri Grusa hat es richtig erkannt
und beschreibt als Lyriker und Diplomat sensibel und
analytisch genau, worauf die meisten hoffen und worü-
ber der Deutsche Bundestag heute entscheiden wird: Der
Westen verlängert sich. Alle hinzukommenden Mitglie-
der wollen Teil des Westens sein. Freiheit und Gerech-
tigkeit, Demokratie und Solidarität – in der EU haben sie
ihren Platz, fest und unverrückbar. Jetzt gilt es, das, was
sich die Länder mit der Sehnsucht nach Freiheit er-
kämpft haben, was sie sich erstritten haben, in der Euro-
päischen Union zu sichern. Wir und alle anderen Mit-
glieder der Europäischen Union sind dazu bereit, euch
den Platz zu geben, gemeinsam mit uns die Zukunft der
Europäischen Union zu gestalten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das bleibt, wenn auch manchmal der eine oder andere
Punkt ärgerlich ist, wenn auch mit der Brüsseler Techno-
kratie gerungen werden muss – Günter, du verzeihst,
dass ich das so sage –: Die Europäische Union ist der
Rahmen, in dem diese Freiheit, Gerechtigkeit und Soli-
darität ihren festen Platz gewinnen. Das ist ein ungeheu-
rer qualitativer Sprung in der Geschichte Europas. Das,
was jahrhundertelang unsere eigene Geschichte geprägt
hat, der unendliche schreckliche Strom der Gewalt, der
durch die Zeiten gegangen ist, ist gestoppt.

Kollege Pflüger, an diesem Punkt kann es doch keine
Frage sein, dass die USA zu Beginn der Wächter gewe-
sen ist, der uns diese Freiheit gesichert hat. Das wissen
wir doch. Nur mit den USA kann es gelingen, die Frei-
heit in der ganzen Welt zu sichern und mitzuhelfen, dass
alle Menschen, die es wollen, eine Chance auf Freiheit
bekommen. In diesem Punkt gibt es keine Meinungsver-
schiedenheiten mit den USA.

Es wäre merkwürdig, wenn gerade die Sozialdemo-
kratie, die in den 20er-Jahren die einzige Partei in
Deutschland gewesen ist, die die innere Verbindung zwi-
schen den USA und Europa aufrechterhalten hat, diese
Gemeinsamkeit aufkündigen würde. Wir haben 1925 die
Forderung nach Schaffung der Vereinigten Staaten von






(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)


Europa in unser Programm geschrieben. Wenn in Europa
das, was die Sozialdemokratie 1925, also ein paar Jahre
vor der Hitler-Diktatur, gefordert hat, durchgesetzt wor-
den wäre, dann hätten wir diesem Kontinent und der
ganzen Menschheit viel Leid und Schrecken ersparen
können.


(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Schäuble, ich nehme gerne das auf, wo-

von Sie gesprochen haben: Worin besteht das innere
Band, das uns verbindet? Wir Deutsche bringen in die
Europäische Union die Erfahrung ein, dass man in die
Barbarei und in die Diktatur abstürzen kann. Die Länder,
die jetzt dazukommen, bringen die Erfahrung mit, dass
diejenigen, die die Freiheit wollen, die Diktatur überwin-
den können. Diese beiden Grundgedanken werden die
Klammer sein, die die Europäer in Ost und West mit-
einander verbindet. Die Sehnsucht nach Freiheit sowie
der Kampf gegen die Diktatur und die Unterdrückung
sind das innere Band, das die Europäer im Osten und im
Westen miteinander verbindet. Das ist der Schatz der
historischen Erfahrung und die gemeinsame Grundlage
für das neue Europa.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])


Es gibt noch eine zweite gemeinsame Erfahrung; ich
bitte alle, sich diesen qualitativen Sprung vor Augen zu
führen. In Art. 1 unserer Verfassung steht: „Die Würde
des Menschen ist unantastbar.“ Das ist die Grundlage für
die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Unions-
bürgerschaft. Ja, die Zeit der klassischen nationalstaatli-
chen Souveränität, die an das Territorium und die, wie
Carl Schmitt es gesagt hat, an den Nomos der Erde ge-
bunden war, ist glücklicherweise vorbei. Aber wir müs-
sen eine neue Souveränität erarbeiten. Jürgen Habermas
hat Recht: Diese neue Souveränität ist die des postnatio-
nalen Denkens, wodurch die alten Krankheiten des
Kontinents, nämlich der Nationalismus, überwunden
werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505605500

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1505605600

Ja, ich komme zum Schluss.
Paul Valéry hat einmal gefragt, was aus diesem

Europa einmal werden wird; es sei doch eigentlich ein
kleines Vorgebirge des asiatischen Kontinents. Nein, die-
ses Europa ist, was es wird. Die Menschen wollen, dass
dieses Europa ein Entwurf für die Zukunft und ein Labo-
ratorium der Moderne wird. Damit können wir ein neues
universales Zusammenleben entwickeln, das etwas an-
deres ist als Globalisierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Was heißt das im Klartext? So ein Blödsinn!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505605700

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Uhl.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1505605800

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Mit dem 1. Mai 2004 werden zehn neue Mit-
gliedstaaten aus Osteuropa sowie Malta und Zypern der
Europäischen Union beitreten. Die CDU/CSU begrüßt
die Erweiterung der Europäischen Union.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Hört! Hört!)


Der Osten Europas hat über vier Jahrzehnte lang unter
der Sowjetherrschaft gelitten. Jetzt muss endlich poli-
tisch stabilisiert werden, was zu uns, nach Europa, heim-
geholt wird. Nach einem von Krieg und Spaltung ge-
prägten Jahrhundert können die Völker Europas in
Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zusammen-
leben. Die Osterweiterung – hier hat Ministerpräsident
Teufel mit seiner Formulierung Recht – ist deshalb vor
allem eine Stärkung der europäischen Friedensordnung.
Sie ist auch eine politische, wirtschaftliche und kultu-
relle Notwendigkeit, zu der es überhaupt keine vernünf-
tige Alternative geben kann.

Mit dieser Erweiterung sind aber – das wissen auch
Europaeuphoriker – viele Herausforderungen und vor al-
lem viele Verteilungskämpfe verbunden. Bei der Ost-
erweiterung handelt es sich um die größte Erweiterung
in der Geschichte der EU; sie hat ganz erhebliche Aus-
wirkungen auf die deutschen Hoheitsrechte. Deshalb
fordern wir, die CDU/CSU-Fraktion, dass der Beitritts-
vertrag gemäß Art. 79 Grundgesetz im Bundestag und
im Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit ratifiziert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bereits durch die Ausweitung der qualifizierten

Mehrheitsentscheidungen im Vertrag von Nizza hat
Deutschland Hoheitsrechte auf die EU übertragen. Diese
Mehrheitsentscheidungen werden jetzt im Beitrittsver-
trag rechtsverbindlich festgeschrieben und in einigen
Teilen sogar noch geändert. Schon um mögliche Verfah-
rensfehler bei diesem historischen Schritt der Osterwei-
terung, den wir alle wollen, zu vermeiden, gilt: Was bei
der Nizza-Abstimmung einer Zweidrittelmehrheit be-
durfte, muss auch jetzt mit einer Zweidrittelmehrheit be-
schlossen werden. Dies ist der Inhalt unseres Ände-
rungsantrags.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine unserer größten Herausforderungen liegt im Zu-

sammenwachsen Europas, in der Schaffung einer ge-
meinsamen europäischen Identität. Wie schwierig das
Zusammenwachsen von lange Getrenntem ist, wissen
wir Deutsche aus eigener Erfahrung am allerbesten.
Nahe liegt deswegen die besorgte Frage: Wie soll sich
ein Europa, das sich schon mit 15 Mitgliedern oft nicht
einigen konnte, mit 25 Mitgliedern verständigen kön-
nen?






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Uhl

Vor allem beim Treffen von Nizza wurde das Wieder-

erstarken nationaler Interessen offenkundig.

(Günter Gloser [SPD]: Nizza liegt doch hinter uns!)

Herr Weisskirchen, mit fortschreitendem Alter müssten
Sie auch als glühender Anhänger von Habermas Folgen-
des erkennen: Die Menschen identifizieren sich zualler-
erst mit ihrer Heimat und ihrer Nation. Auch wenn es Ih-
nen Leid tun sollte, so wird es bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das ist doch kein Gegensatz!)


Deshalb werden die Nationen und die Regionen auch in
Zukunft stets die zentralen Elemente einer europäischen
Identität bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir Deutsche wollten das lange Zeit nicht wahrha-

ben; Sie wollen es noch heute nicht wahrhaben. Wir sa-
hen die europäische Integration als bequemen Ausweg
aus unserer deutschen Identitätskrise. Die Bundesrepu-
blik wurde von manchen – Sie haben es kurioserweise
heute wiederholt – als „postnationales“ Gebilde empfun-
den. So sagte es Habermas wörtlich; so hat es Herr
Weisskirchen heute wiederholt.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Psychologen würden dies als eine Ersatzhandlung be-
zeichnen.

Aber es war auch Besserwisserei im Spiel: Die Ur-
sache hierfür liegt im 19. Jahrhundert, als wir Deutsche
– Deutschland als verspätete Nation – die Letzten waren,
die zum Nationalstaat fanden. Nun wollten wir endlich
einmal die Ersten sein, die in Europa ankommen. Diese
deutsche Besserwisserei ist hier incidenter im Spiel.
Jetzt wundern sich manche Deutsche, warum die euro-
päischen Nachbarn an diesem deutschen Wesen nicht ge-
nesen wollten und uns nicht folgen wollen.


(Günter Gloser [SPD]: Wo haben Sie das her?)

Spätestens jetzt, nach der Wiedervereinigung, muss

der Bezug zur eigenen Vergangenheit geklärt werden.
Gerade für uns Deutsche heißt dies: Die Reduzierung der
eigenen Geschichte auf die NS-Zeit reicht für eine ge-
sunde nationale Identität nicht aus. Eine solche Identi-
tät braucht auch positive Erinnerungen. Bei allem kol-
lektiven Schuldbewusstsein muss es auch ein natürliches
nationales Selbstbewusstsein der Deutschen geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur durch einen ehrlichen Umgang mit der deutschen
Geschichte kann eine europäische Identität entstehen.
Das gilt nicht nur für uns. Das gilt auch für die Beitritts-
kandidaten.

Wir Deutsche bemühen uns seit langem um Versöh-
nung und um materiellen Ausgleich für das von deut-
scher Seite verursachte Leid. Seit der Wende versuchen
wir mit viel Engagement die offene sudetendeutsche
Frage zu lösen. Wir hätten in den Beitrittsverhandlun-
gen gute Chancen dafür gehabt.

Aber es war Bundeskanzler Schröder, der bereits
1999 gegenüber dem tschechischen Ministerpräsidenten
gesagt hat – ich zitiere –


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Die hat schon Herr Kohl abgeschlossen!)


„dass wir Deutsche uns nicht mehr mit der Vergangen-
heit belasten wollen und wir deshalb diese Fragen als ab-
geschlossen betrachten“. Originalton Schröder!


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das war doch unter Herrn Kohl!)


Heute erzählt uns Außenminister Fischer, dass diese
Frage ein – wörtlich – „offener Prozess des Aufeinander-
zugehens“ sei.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist denn das für eine abstruse Wahrheit?)


Was gilt jetzt? Ist dies eine von Schröder abgeschlossene
Frage oder ein offener Prozess?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505605900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Abgeordneten Meckel?

Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1505606000

Ich möchte jetzt zum Schluss kommen.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist auch besser!)


Mit dieser Aussage hat Bundeskanzler Schröder in
Wahrheit die Interessen unserer Vertriebenen verraten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach! Unglaublich! Was ist das denn?)


– Herr Fischer, warum brüllen Sie denn so dazwischen?

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil Sie so einen Unfug erzählen!)


Ich habe Ihnen doch gerade einen Widerspruch aufge-
zeigt. Sie sagen, es sei ein offener Prozess, und Schröder
sagt, es sei ein abgeschlossener Prozess.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie werfen Bundeskanzler Schröder vor, er habe die Interessen der Vertriebenen verletzt! Das ist das Allerletzte!)


Wer hat denn hier das Sagen, Sie oder Schröder?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Bayerischer Wahlkampf!)


Eine Diskussion über die Struktur und die Grenzen
Europas ist jetzt dringender erforderlich denn je. Wir






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Uhl

haben uns ehrgeizige Ziele gesetzt. Von einem hand-
lungsfähigen Staatenbund, von einem Raum der Sicher-
heit, der Freiheit und des Rechts, von einer Wirtschafts-
und Währungsunion wurde gesprochen. Sind das noch
unsere Ziele? Das ist die Frage.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Ich dachte, Sie wollten zum Schluss kommen!)


Ein Mehr an Erweiterung bedeutet zwangsläufig ein
Weniger an Vertiefung. Wenn wir weitere 80 Millionen
Menschen muslimischen Glaubens aufnehmen – Herr
Fischer, Sie wollen das ja –,


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! Zu wenig! 160 Millionen!)


wenn wir die EU, so wie Sie es wollen, vom Atlantik bis
hinüber nach Georgien, Armenien, den Iran und den Irak
überdehnen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist das für eine Rede?)


werden wir kein europäisches Wir-Gefühl erzeugen.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Kalif der CSU! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Schäuble, ist es eigentlich in Ihrem Sinne, dass eine solche Rede gehalten wird?)


Wir können die Türkei nicht aufnehmen. Sie, Herr
Fischer, sagen, die Aufnahme der Türkei sei ein wesent-
licher Baustein im Kampf gegen den Terrorismus. Da
gebe ich Ihnen sogar Recht. Aber wenn Sie sagen, die
Europäisierung der Türkei könne sich nur durch eine
Vollmitgliedschaft in der EU entwickeln, so ist das ein-
fältig und fantasielos, Herr Fischer.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Sie vertreten ja antiamerikanische Auffassungen!)


Mit dieser Position vertreten Sie mehr türkische als deut-
sche Interessen. Das ist der Punkt.

Wo wollen wir Europa enden lassen? Unlängst hat
Berlusconi vorgeschlagen, Russland in die EU aufzuneh-
men. Die Ukraine klopft seit langem an. Bald findet sich
ein Fürsprecher für die Maghreb-Staaten.


(Rudolf Bindig [SPD]: China nicht vergessen!)

Die EU ist eine Wirtschaftsgemeinschaft und auch eine
Wertegemeinschaft, aber deswegen noch lange kein Sa-
mariterbund.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Schämen Sie sich nicht für einen solchen Redner?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505606100

Herr Kollege, achten Sie auf Ihre Redezeit.

Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1505606200

Trotz dieser nötigen und eher skeptischen Gedanken

zur Europäischen Union sollten wir heute, am Tag der
Zustimmung zur Osterweiterung, die wir alle begrüßen,
die neuen Beitrittsländer, vertreten in diesem Saal durch
Polen, herzlich willkommen heißen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die möchten mit einer solchen Rede nichts zu tun haben!)


Deswegen sagen wir: Es muss und wird jetzt zusam-
menwachsen, was in Europa zusammengehört.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Pfui! – Günter Gloser [SPD]: Das war die CSU-Quote!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505606300

Es gibt eine Kurzintervention des Kollegen Meckel.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1505606400

Verehrter Herr Kollege, sind Sie bereit, anzuerken-

nen, dass das, was Sie soeben dargestellt haben, sehr
stark dem widerspricht, was wir heute im Zusammen-
hang mit dem Beitritt von zehn neuen Staaten in gemein-
samem Geist erklären sollten?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Wortwahl – Sie reden von einer offenen sudeten-
deutschen Frage – ist in dem Kontext, dass wir in
Deutschland in früheren Zeiten von einer offenen deut-
schen Frage geredet haben, wirklich ein Skandal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum anderen möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen,
dass ich für richtig halte, was der Bundesaußenminister
dargestellt hat: Der Umgang mit der Vergangenheit ist
ein offener Prozess, dem wir uns gemeinsam stellen. Ge-
rade das, was der tschechische Ministerpräsident vor we-
nigen Tagen sehr klar und sehr deutlich zum Ausdruck
gebracht hat, ist ein großer und mutiger Schritt in diesem
Prozess. Er sagte, dass er die moralische Verantwortung
anerkennt und auf diesem Wege voranschreiten will.
Dies ist gerade auch für die tschechische Gesellschaft
wichtig und bringt sie weiter.


(Beifall bei der SPD)

Davon klar unterschieden – übrigens schon in der von

Helmut Kohl mitgetragenen Deutsch-Tschechischen Er-
klärung aus dem Jahre 1997 – ist die Rechtsfrage.
Rechtsfragen sind hier nicht mehr offen. Sie müssen ab-
geschlossen sein. Auch dies hat der tschechische Minis-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1505606500
Aus den damaligen
Dekreten folgen heute keine neuen Rechtsakte mehr. Ich
denke, dies ist eine klare Aussage.

Übrigens hat der tschechische Präsident schon im
März gesagt, dass er die Vertreibungen aus heutiger
Sicht für inakzeptabel und für Unrecht hält. Ihr Partei-
kollege Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Aus-
schusses des Europäischen Parlamentes, hat dies für die
vom Europäischen Parlament erwartete Erklärung gehal-
ten.






(A) (C)



(B) (D)


Markus Meckel

Ich möchte Sie fragen: Sind Sie bereit, diesen Prozess

anzuerkennen und klar zwischen moralischer Verantwor-
tung und Rechtsakten zu unterscheiden?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1505606600

Herr Kollege Meckel, da Sie den Europaparlamenta-

rier Brok zitieren, möchte ich darauf aufmerksam ma-
chen, dass es eine Aufforderung des Europäischen Parla-
ments aus dem Jahre 1999 gibt, fortbestehende Gesetze
und Dekrete aus den Jahren 1945 und 1946 – also die
Benes-Dekrete – aufzuheben, soweit sie sich auf die Ver-
treibung von einzelnen Volksgruppen aus der ehemali-
gen Tschechoslowakei beziehen. Das ist die Position des
Europäischen Parlaments.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hier wird nun moralisch argumentiert. Es wird ge-

sagt, dass hier Unrecht geschehen ist. Da fragen wir uns
und vor allem die Vertriebenen sich doch zu Recht, wa-
rum aus diesem moralischen Unwerturteil nicht auch die
rechtlichen Konsequenzen gezogen werden können.
Dazu ist das Parlament der Tschechei bisher nicht bereit.
Dies allein fordern wir ein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch peinlich! Unglaublich!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505606700

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1505606800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die PDS im Bundestag hat die EU-Osterweiterung im-
mer grundsätzlich befürwortet – im Unterschied zur Ost-
erweiterung der NATO, die wir für falsch hielten und
weiterhin halten.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Das Ob der EU-Osterweiterung war daher nicht unsere
Frage, wohl aber das Wie: Wie soll der Beitritt neuer
EU-Länder vollzogen werden? Wie und wohin soll sich
die Union insgesamt entwickeln?

Die PDS hat immer dafür geworben, dass die EU eine
demokratische Sozialunion mit einer friedensbewah-
renden Außen- und Sicherheitspolitik wird. In diesem
Sinne hat auch die PDS-Abgeordnete Sylvia-Yvonne
Kaufmann für die Europäische Linke im Konvent agiert.

Der Konvent hat den Entwurf einer EU-Verfassung
vorgelegt. Das ist gebührend gefeiert worden. Wichtiger
ist meines Erachtens etwas ganz anderes. Deshalb be-
grüße ich, dass nach der PDS nun auch die FDP-Fraktion
Volksabstimmungen über die künftige EU-Verfassung
fordert.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

Nur so können Bürgerinnen und Bürger die erweiterte
EU erschließen und in ihr von Anfang an mitbestimmen.
Wer eine erweiterte EU will, der muss auch für diese
werben, nicht nur bei fernen Fototerminen, sondern da-
heim im Alltag.

De facto geschieht allerdings im Moment das Gegen-
teil. Nehmen wir nur den Metallerstreik der letzten Wo-
chen. Es ging um die Angleichung der Lebensverhält-
nisse Ost an die im Westen. Die Botschaft an die
Streikenden war: Wenn ihr aufmuckt, dann wandern die
Arbeitsplätze weiter gen Ost. So wird die osterweiterte
EU als Drohung aufgebaut und nicht als Chance, auch
für die ostdeutschen Länder.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Zu den Ängsten gehört auch die Frage, ob und wie
strukturschwache Gebiete in den neuen Bundesländern
durch die EU künftig noch gefördert werden; denn allein
dadurch, dass die erweiterte EU noch größere Problem-
regionen kennt, werden die Sorgen zwischen Thüringen
und Rügen nicht kleiner. Die Arbeitsminister in Berlin
und Mecklenburg-Vorpommern, Harald Wolf und
Helmut Holter, haben deshalb ein Innovationspro-
gramm für die neuen Bundesländer vorgestellt. Es ist
ein Diskussionsangebot der PDS, wie die neuen Bundes-
länder wirtschaftlich gestärkt und sozial stabilisiert wer-
den können, auch und gerade vor dem Hintergrund der
EU-Osterweiterung. Die Reaktion der Bundesregierung
darauf: bislang Null. Ich sage: arrogant Null.


(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun komme ich

noch zu dem seit gestern Abend vorliegenden Antrag der
CDU/CSU. Er trägt die Überschrift „Bundesgrenzschutz
für die EU-Osterweiterung tauglich machen“. Mit ihm
sollen die Sicherheit der Bürger gewahrt und der Schutz
vor Kriminalität erhöht werden. So weit, so gut; denn
wer in diesem Hause will das nicht? Dann aber kommt
das ganze Arsenal der sattsam bekannten bayrischen
Instrumente. CDU und CSU wollen den Bundesgrenz-
schutz hochrüsten und seine Befugnisse ausweiten. Sie
verdächtigen noch mehr Menschen ohne Anlass, sie
schüren das Misstrauen gegen alle, die nicht deutsch
aussehen, sie fordern Sondereinsatzrechte auf Flughäfen
und Bahnhöfen und sie wollen noch mehr überwachen,
im Inland und EU-weit. Sie streben eine europäische
Sicherheitsordnung an, die nach allen bisherigen Rege-
lungen weder demokratisch legitimiert noch parlamenta-
risch kontrollierbar ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ist Ih-
nen eigentlich schon einmal aufgefallen, dass Sie na-
mens der EU-Osterweiterung Grenzregimes und Zu-
stände fordern, die Sie zu Ostblockzeiten zu Recht
scharf kritisiert haben? Die PDS im Bundestag lehnt das
jedenfalls, auch aus Erfahrung klug geworden, ab.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Mein Schlusssatz: Die EU-Osterweiterung naht mit
Riesenschritten. Sie darf für die Bürgerinnen und Bürger






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau

nicht hereinbrechen oder über sie kommen, sie muss
willkommen sein. Dafür gilt es aber, erheblich mehr und
anderes zu tun, als bisher, auch durch dieses Parlament,
getan wurde. Zugleich darf die EU-Osterweiterung nicht
für Interessen missbraucht werden, die einer friedlieben-
den demokratischen und sozialen EU entgegenwirken.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505606900

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben noch

zwei kürzere Redebeiträge und eine Erklärung zur Ab-
stimmung. Ich bitte Sie, den Lärmpegel ein bisschen zu
senken, damit man die Redner verstehen kann.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietmar Nietan.


Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1505607000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Man muss aufpassen, wenn man Wörter wie „historisch“
bemüht, aber ich glaube, wir erleben jetzt im Bundestag
schon eine besondere Stunde. Endlich – ich glaube, ich
kann das für alle hier im Hause betonen – sind wir so
weit, dass wir mit frohem Herzen der Erweiterung der
Europäischen Union zustimmen können. Ich glaube, das
ist wirklich ein historischer Moment.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Es ist natürlich immer schwierig, einem solchen his-
torischen Moment gerecht zu werden. Ich glaube, der
Kollege Gert Weisskirchen hat mit seiner Rede gezeigt,
wie man das machen kann. Gert, dir ein herzliches Dan-
keschön dafür. Das war die Rede eines überzeugten
Europäers, aus dem Herzen heraus. Ich finde, solche Re-
den braucht das Parlament viel öfter.


(Beifall bei der SPD)

Was wir in einer solchen historischen Debatte nicht

brauchen, sind rückwärts gewandte Reden. Ich möchte
keine parteipolitische Schärfe in die Diskussion hinein-
bringen, aber dass der Kollege Schäuble in einer solchen
historischen Stunde in seiner Rede das Hauptaugenmerk
darauf richtet, uns allen zu erklären, was er damals mit
Kerneuropa gemeint hat, und dass er der Meinung ist,
zum zigstenmal aufwärmen zu müssen, was wir mit den
Amerikanern angestellt haben, ist für Sie vielleicht be-
friedigend, es ist aber nicht das, was wir brauchen: Wir
müssen in Europa nach vorne sehen. Sie haben mich mit
Ihrer Rede – das sage ich sehr deutlich – enttäuscht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts der Rede des Kollegen Uhl, der über eine
gesunde nationale Identität und von einer offenen
sudetendeutschen Frage gesprochen hat, muss ich Ih-
nen sagen: Was wir von der Union bisher in dieser De-
batte gehört haben, ist dem Anlass nun wirklich nicht an-
gemessen, den wir hier feiern, nämlich die Erweiterung
Europas und die Rückkehr von Staaten nach Europa, die
durch den Eisernen Vorhang gegen ihren Willen von
Europa getrennt waren. Lassen Sie uns gemeinsam nach
vorne sehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle möchte ich allen Ländern, die nun
beitreten, ein ausdrückliches Dankeschön sagen, insbe-
sondere aber den Ländern, die aus dem ehemaligen Ost-
block kommen. Sie haben uns in den letzten 13 Jahren
vorgemacht, was es heißt, wirkliche Reformen zu beste-
hen, was es heißt, schmerzliche Einschnitte zu machen,
die auch die Bevölkerung treffen, um für Europa fit zu
sein. Sie haben die wirkliche Leistung vollbracht. Ihnen
schulden wir Dank, dass sie zu uns kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich stellvertretend für die vielen Men-
schen, die darum gekämpft haben, den Einigungsprozess
zu einem guten Ende zu bringen, eine Person herausstel-
len; bitte sehen Sie mir das nach. Wir haben mit Günter
Verheugen einen Kommissar nach Brüssel geschickt,
der in wirklich hervorragender Manier diese EU-Erwei-
terung vorangebracht hat und der mit seiner ihm eigenen
Art alles getan hat, um geräuschlos und am Ende mit ei-
nem guten Kompromiss die Erweiterung schnell voran-
zubringen. Das erfüllt mich mit Stolz. Lieber Herr Kom-
missar Verheugen, ich glaube, ich kann Ihnen auch im
Namen des ganzen Bundestages ein herzliches Danke-
schön für das sagen, was Sie für Europa getan haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns also nach vorne schauen. Lassen Sie
uns erkennen, welche große Chance diese erweiterte
Europäische Union bietet. Lassen Sie uns überlegen, ob
wir nicht auch bei uns etwas ändern müssen. Ein Beitritt
bedeutet nicht einfach nur einen Beitritt zu einem beste-
henden Gebilde – ich glaube, das hätten wir aus der
deutschen Wiedervereinigung lernen müssen –, sondern
bedeutet, dass Europa eine neue Qualität bekommt, dass
auch wir uns ändern müssen, dass auch wir bereit sein
müssen, von unseren neuen Mitbürgern in der Europäi-
schen Union ernsthaft zu lernen und nicht als Schulmeis-
ter des alten Westens aufzutreten. Ich glaube, wir können
eine Menge von den Beitrittsstaaten lernen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Durch die Erweiterung haben wir die große Chance,
dafür zu sorgen, dass Europa ein starkes Europa wird.
Wenn wir von einem starken Europa sprechen, dann ist
diese Formulierung nicht gegen die USA gerichtet, wie
man es uns vonseiten der Union immer wieder einreden
will. Nein, wer starke transatlantische Beziehungen will,
braucht ein starkes und großes Europa. Auch für die
transatlantische Partnerschaft ist die EU-Erweiterung ein
wichtiger Meilenstein. Es liegt an uns, das sinnvoll zu
nutzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dietmar Nietan

Wenn ich davon gesprochen habe, dass wir uns än-

dern müssen, dann heißt das auch, zu überdenken, wie
wir gemeinsam mit den neuen Partnern neue Impulse
und neue Schwerpunkte in der neuen Europäischen
Union setzen können. Ich bin sehr froh darüber, dass der
französische Staatspräsident, der polnische Präsident
und der Bundeskanzler in Breslau im Rahmen des Wei-
marer Dreiecks deutlich gemacht haben, dass Deutsch-
land und Frankreich im neuen Europa die anderen nicht
vergessen wollen. Wir wollen gemeinsam mit unseren
Partnern Europa gestalten. Deshalb ist die Initiative
„Weimarer Dreieck“ eine wichtige und weitsichtige
Initiative, die entstanden ist, weil sich Hans-Dietrich
Genscher dafür eingesetzt hat. Wir sollten dieses
Weimarer Dreieck nutzen, um Europa weiterzubringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im neuen Europa liegt die Bundesrepublik Deutsch-
land in der Mitte. Sie liegt in der Mitte eines Europas,
das die Teilung des Kontinents durch den Kalten Krieg
endlich beendet hat. Ich glaube, daraus erwächst die Ver-
antwortung, zusammen mit unseren neuen europäischen
Partnern die Zukunft zu gestalten. In diesem Sinne wün-
sche ich dem neuen Europa: Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505607100

Das Wort hat der Abgeordnete Michael Stübgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1505607200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit der Ratifizierung der Gesetze zum Beitritt
von zehn mittel- und osteuropäischen Ländern zur Euro-
päischen Union haben wir den Höhepunkt eines 13 Jahre
währenden europäischen Prozesses erreicht. Er begann
1990 mit dem Abschluss von Assoziierungsabkommen
mit einigen mittel- und osteuropäischen Ländern. 1993
wurden die so genannten Kopenhagener Kriterien, das
heißt die Voraussetzungen für den Beitritt weiterer Län-
der zur Europäischen Union, definiert. Der Europäische
Rat von Luxemburg hat 1997 beschlossen, dass mit
sechs Kandidatenländern Beitrittsverhandlungen aufge-
nommen werden. 1999 hat der Europäische Rat in Hel-
sinki beschlossen, mit den sechs weiteren Kandidaten-
ländern Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Im Jahre
2002 wurden die Beitrittsverhandlungen mit zehn Kan-
didatenländern abgeschlossen. Im nächsten Jahr, 2004,
wird es Wahlen zum Europäischen Parlament in
25 europäischen Ländern geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die
Europäische Union in der Lage war, diesen langen Pro-
zess, in dem in allen Mitgliedsländern der Europäischen
Union Regierungen gewechselt haben, erfolgreich abzu-
schließen, ist ein Reifezeugnis für die Europäische
Union.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage das insbesondere deshalb, weil sich die Euro-
päische Union in diesem Jahr bei der Gemeinsamen Au-
ßen- und Sicherheitspolitik bedauerlicherweise als noch
nicht reif genug gezeigt hat.

In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig zu er-
wähnen, dass der Abschluss dieses Prozesses auch ein
Beispiel für die Solidarität innerhalb der Europäi-
schen Union ist; denn nicht nur Länder wie Deutsch-
land, das aufgrund seiner langen Grenze nach Mittel-
und Osteuropa geradezu ein existenzielles Interesse an
einem Beitrittsprozess hat, haben dieses Projekt unter-
stützt, sondern auch westeuropäische Länder wie Irland,
Frankreich, Spanien und Portugal haben dies getan und
unterstützen den Prozess weiterhin. Dies sind Länder,
die in ihren Grenzgebieten zum großen Teil ganz andere
Probleme haben.

In diesem Zusammenhang müssen die enormen Leis-
tungen, die die Kandidatenländer in den letzten Jahren
vollbracht haben, ganz besonders erwähnt werden.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Beitrittsländer mussten die schwierigen so genann-
ten Kopenhagener Kriterien erfüllen, den äußerst kom-
plexen und komplizierten Acquis communautaire über-
nehmen und implementieren und zum Teil drastische
Reformen in der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik
und der Verwaltung durchführen. Es gab in diesen Län-
dern Irrungen und Wirrungen. Es gab dort Wahlergeb-
nisse mit erdrutschartigen Veränderungen der Mehrheits-
verhältnisse. Trotzdem haben diese Länder, haben deren
Regierungen, deren Politiker, an dem Beitrittsprozess
festgehalten. Die Referenden in verschiedenen mittel-
und osteuropäischen Ländern zum Beitritt zeigen auch
deutlich, dass dies keine Politik ausschließlich von Poli-
tikern, sondern der Bürger dieser Länder ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zum vorläufigen Abschluss dieses Beitrittsprozesses

möchte ich auf den Europäischen Rat von Thessaloniki
am vergangenen Wochenende hinweisen. Mir persönlich
– ich glaube, auch der großen Mehrheit dieses Hauses –
wäre es lieber gewesen, wenn es möglich gewesen wäre,
die Beitrittsurkunden von Bulgarien und Rumänien
schon heute zu ratifizieren. Aber ich glaube, der Euro-
päische Rat am vergangenen Wochenende hat sehr deut-
lich gemacht, dass wir alles dafür tun müssen und alles
dafür tun werden, dass die Verhandlungen mit den bei-
den Ländern im Jahre 2004 abgeschlossen werden kön-
nen und dass diese beiden Länder spätestens im Jahre
2007 Vollmitglieder der Europäischen Union sein wer-
den.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie

mich zum Schluss noch auf ein Thema zu sprechen kom-
men, das in dieser Debatte gelegentlich schon eine Rolle
gespielt hat. Es geht um die gesetzliche Grundlage, auf
der wir dieses Gesetz jetzt verabschieden wollen.

Es gibt Dinge, die sich mit unterschiedlichem Vorzei-
chen wiederholen. 1994, als der Deutsche Bundestag die
Beitrittsverträge mit drei EFTA-Staaten ratifiziert hat,






(A) (C)



(B) (D)


Michael Stübgen

hat die SPD als Opposition verlangt, dass diese Ratifi-
zierung mit einer verfassungsändernden Mehrheit erfol-
gen muss. Die Koalition von CDU/CSU und FDP hat für
die einfache Mehrheit votiert.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wir haben keinen Antrag gestellt!)


Heute schlägt die rot-grüne Bundesregierung vor, dieses
Gesetz mit einer einfachen Mehrheit zu verabschieden.
Die CDU/CSU ist für eine Abstimmung nach Art. 23
Grundgesetz.

Ich selber befinde mich in einer etwas skurrilen Situa-
tion, weil ich vor neun Jahren im Bundestag die Position
der CDU/CSU vertreten habe, die heute die Position der
SPD ist.


(Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaubwürdig!)


Deshalb will ich Ihnen kurz erläutern, warum ich unse-
rem Antrag zustimme und dies vor neun Jahren wahr-
scheinlich auch hätte tun sollen.


(Lachen des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


– Hören Sie mir zu, dann werden Sie merken, dass ich
Recht habe.

Erstens. Wir können hier und heute nicht zweifelsfrei
feststellen, welche Rechtsgrundlage bei der Verabschie-
dung dieses Gesetzes zu berücksichtigen ist. Deshalb ist
es richtig, den absolut sicheren Weg über Art. 23 des
Grundgesetzes zu gehen, auch wenn er möglicherweise
nicht zwingend notwendig ist.

Zweitens. Da sowohl im Bundestag als auch im Bun-
desrat überhaupt keine Gefahr besteht, dass die notwen-
dige Zweidrittelmehrheit für dieses Gesetz nicht zu-
stande kommen wird – das Ergebnis wird noch weit
höher ausfallen –, sollten wir es auch auf dieser Grund-
lage verabschieden.

Drittens – das ist für mich der wichtigste Punkt –: Ich
denke, dass wir als Deutscher Bundestag mit der Ratifi-
zierung dieses Gesetzes nach Art. 23 Grundgesetz das
klare, deutliche, stabile und positive Signal zu unseren
europäischen Partnern senden würden, dass wir als
Deutscher Bundestag es uns leisten können, solche Ge-
setze mit verfassungsändernder Mehrheit zu verabschie-
den, und dass das deutsche Parlament unabhängig von
allen innenpolitischen Auseinandersetzungen keinen
Zweifel an seiner europäischen Ausrichtung lässt; das
galt für gestern, das gilt für heute und das gilt für mor-
gen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt kei-
nen Grund, unserem Antrag nicht zuzustimmen, es gibt
aber viele Gründe, unserem Antrag zuzustimmen. Da-
rum bitte ich Sie.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505607300

Ich schließe damit die Aussprache.
Zur Abstimmung zum Entschließungsantrag der

CDU/CSU liegt eine schriftliche Erklärung des Abge-
ordneten Singhammer1) vor. Zur namentlichen Abstim-
mung liegen schriftliche Erklärungen von den Abgeord-
neten Fromme2) und Jüttner3) vor. Frau Kollegin
Steinbach möchte eine mündliche Erklärung zur nament-
lichen Abstimmung abgeben.


Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1505607400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Der Deutsche Bundestag beschließt heute in ei-
nem Gesamtpaket über die Erweiterung der Europäi-
schen Union. Der Beitritt zur Europäischen Union ist für
jedes der zehn Länder an Kriterien geknüpft, die zuvor
erfüllt sein müssen. Zu diesen Voraussetzungen gehört
auch die Beachtung der Menschenrechte.

Ich stelle fest, dass nicht alle Beitrittsländer die Men-
schenrechtsnormen erfüllt haben. Nach wie vor gibt es in
vier Ländern Vertreibungs- und Entrechtungsgesetze,
deren Auswirkungen bis zum heutigen Tage – es gibt ak-
tuelle Urteile – zu spüren sind. Diese Gesetze widerspre-
chen den Menschenrechten, dem Völkerrecht und den
Kriterien von Kopenhagen. Die Europäische Kommis-
sion hat in ihren Beitrittsberichten bewusst darüber hin-
weggesehen. Die Bundesregierung hat dem leider nicht
entgegengewirkt, sondern diese Haltung sogar noch ge-
stützt. Das ist fahrlässig.

Wer Menschenrechte nicht nur als wohlfeile Vokabel
in Sonntagsreden verwendet und ihnen im konkreten
Einzelfall dann, wenn es möglich ist, nicht zum Durch-
bruch verhilft, vergeht sich an den Menschenrechten.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schwer erträglich!)


– Herr Außenminister, halten Sie an sich. – Wohin das
führt, haben wir insbesondere am Beispiel der Tschechi-
schen Republik seit Monaten in Ohr und Augen. Ein
Mann wie Benes, der die Verantwortung für Mord,
Zwangsarbeit und Vertreibung von Millionen Menschen
zu verantworten hatte, wird wenige Tage vor dieser Ab-
stimmung zur europäischen Erweiterung, im Jahre 2003,
sozusagen zum Volkshelden erklärt. Das ist mir uner-
träglich.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerträglich ist diese Rede!)


Die Europäische Union ist nicht nur eine Wirtschafts-,
sondern auch eine Wertegemeinschaft. Es schadet ihr in
der Substanz, wenn menschenrechtsfeindliche Gesetze
als Morgengabe eingebracht werden und nicht einmal
der gute Wille zur Heilung der Wunden erkennbar ist.
Das Versagen in dieser Frage liegt zum überwiegenden
Teil – das sage ich ausdrücklich – nicht bei den Beitritts-
ländern, sondern bei der Europäischen Kommission. Sie
1) Anlage 4
2) Anlage 5
3) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)


Erika Steinbach

hat die Menschenrechte nicht mit dem nötigen Nach-
druck durchgesetzt und dadurch den Eindruck vermittelt,
dass alles in bester Ordnung sei.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Ganze ist ein Unsinn!)


Wir brauchen ein versöhntes Europa, in dem die vie-
len Völker friedvoll miteinander leben können;


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich muss mir das nicht anhören! – Gegenrufe von der CDU/CSU: Gehen Sie doch raus!)


denn unsere europäischen Völker leben bewusst und un-
bewusst auf einem gemeinsamen kulturellen Fundament.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Kommission Vorhaltungen zu machen ist das Allerletzte!)


Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind für unsere
Völker sehr eng miteinander verwoben. Europa endet
– das wissen wir alle – nicht an Oder, Neiße oder im
Bayerischen Wald. Günter Grass und der polnische Jour-
nalist Adam Michnik haben in großer Einheit festge-
stellt, dass historische Versöhnung nicht stattfinden
kann, wenn düstere Kapitel der Vergangenheit tabuisiert
werden. Aber genau das ist im Beitrittsverfahren gesche-
hen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505607500

Frau Kollegin, Sie müssen Ihr Abstimmungsverhalten

begründen, keine Rede halten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1505607600

Frau Präsidentin, das ist meine Begründung.


(Zuruf von der SPD: Ziemlich peinlich!)

Da wir heute mit nur einem einzigen Votum über alle

Beitrittskandidaten, auch über die nicht davon betroffe-
nen Länder beschließen, werde ich der Vorlage mit die-
sem eben angebrachten Vorbehalt zustimmen.


(Ute Kumpf [SPD]: Unglaubwürdig!)

Ich danke gleichzeitig der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion, dass sie die Defizite in einem Entschließungsantrag
benannt hat.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist unehrlich, was Sie machen! – Gernot Erler [SPD]: Das ist nicht mehr zu ertragen!)


Ich schließe die Hoffnung an, dass trotz der Defizite in
allen betroffenen Ländern ein wirklicher Heilungspro-
zess einsetzen möge. Die Menschen unserer Nachbarlän-
der sind mir herzlich willkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dietmar Nietan [SPD]: Dass sie klatschen, ist wirklich ein Skandal!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505607700

Es liegen noch zwei schriftliche Erklärungen zur Ab-

stimmung von den Abgeordneten Götzer1) und
Rupprecht2) vor, die wir auch zu Protokoll nehmen.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tsche-
chischen Republik, der Republiken Estland, Zypern,
Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und
der Slowakischen Republik zur Europäischen Union.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 15/1300, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, über den
wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU-
Fraktion auf Drucksache 15/1358? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung. Es wurde verlangt,
über den Gesetzentwurf namentlich abzustimmen. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen.

Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine

Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich jetzt die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen und teile mit, dass sich die
Abgeordneten Matthias Sehling und Beatrix Philipp3)
der Erklärung der Abgeordneten Steinbach angeschlos-
sen haben und dass es persönliche Erklärungen zur Ab-

(KarlsruheLand)

nach der Abstimmung über den Entschließungsantrag
der CDU/CSU abgegeben.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 14.29 bis 14.35 Uhr)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505607800

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das wichtige Ergebnis der namentlichen Ab-

stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechi-
schen Republik, der Republik Estland, der Republik
Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen,
der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik
Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen
Republik zur Europäischen Union bekannt. Abgegebene
Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 575.
1) Anlage 9
2) Anlage 10
3) Anlage 7
4) Anlage 8






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 580;
davon

ja: 575
nein: 1
enthalten: 4

Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Karl Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann

(Wackernheim)


Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler (Coburg)

Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann (Bramsche)

Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-
Hanewinckel

Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Swen Schulz (Spandau)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt (Pforzheim)

Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis (Stendal)

Petra Weis
Gunter Weißgerber
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Ralf Göbel
Tanja Gönner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg

Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster

(Bad Dürrheim)


Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn (Zingst)

Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Stephan Mayer (Altötting)

Conny Mayer (Baiersbronn)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Doris Meyer (Tapfheim)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Magdalene Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90 / DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-

15/1359. Wer stimmt für dies
Gegenstimmen? – Enthaltung
antrag ist mit den Stimmen d
Stimmen von CDU/CSU abg

Ich rufe die Tagesordnung
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 g a
25 a) Erste Beratung des vo

gebrachten Entwurfs
des Zulassungs- und
Wirtschaftsprüfungsex
fungsexamens-Refor
– Drucksache 15/1241
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft un
Finanzausschuss

b) Erste Beratung des vo
Entwurfs eines ... Ge
Bundesnaturschutzg
– Drucksache 15/776
en Entschließungsantrag? –
en? – Der Entschließungs-
es ganzen Hauses gegen die
elehnt worden.
spunkte 25 a bis 25 c sowie
uf:
n der Bundesregierung ein-
eines Gesetzes zur Reform
Prüfungsverfahrens des

(Wirtschaftsprümgesetz – WPRefG)


d Arbeit (f)


m Bundesrat eingebrachten
setzes zur Änderung des
esetzes

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit u
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO

ZP 2a)Erste Beratung des vo
und des BÜNDNISSE
brachten Entwurfs ein
des Tabaksteuerges
brauchsteuergesetze
– Drucksache 15/1313
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Gesundheit u
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO

b) Beratung des Ant
Brunhilde Irber,
Gradistanac, weitere
Fraktion der SPD
nd Soziale Sicherung (f)


n den Fraktionen der SPD
S 90/DIE GRÜNEN einge-
es Gesetzes zur Änderung
etzes und anderer Ver-



nd Soziale Sicherung

rags der Abgeordneten
Annette Faße, Renate
r Abgeordneter und der
sowie der Abgeordneten
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache – Drucksache 15/1235 –
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Werner Schulz (Berlin)

Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von
Neuforn

Hans-Christian Ströbele
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)


FDP
Daniel Bahr (Münster)

Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann

(Homburg)


Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb


(Beifall im ganzen Hause)

Es gab eine Neinstimme und vier Enthaltungen. Der Ge-
setzentwurf ist damit angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/1300 empfiehlt der Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union, eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der FDP und der Stimme einer fraktionslosen
Abgeordneten gegen die Stimmen von CDU/CSU ange-
nommen worden.
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae

Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Fraktionslose Abgeordnete
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau

Nein
CDU/CSU
Wolfgang Zöller

Enthalten
CDU/CSU
Martin Hohmann
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Henry Nitzsche

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer
Funke, Joachim Günther (Plauen), Horst
Friedrich (Bayreuth), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei-
nes Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-

(Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 3. SED-UnBerG)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard
Loske, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Reisen ohne Handicap – Für ein barrierefreies
Reisen und Naturerleben in unserem Land
– Drucksache 15/1306 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans
Büttner (Ingolstadt), Reinhold Hemker, Karin
Kortmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Unterstützung von Landreformen zur Be-
kämpfung der Armut und der Hungerkrise im
südlichen Afrika
– Drucksache 15/1307 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Reinhold Hemker, Sören Bartol, Dr. Herta
Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Volker Beck (Köln), Katrin Dagmar
Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbesserung der Welternährungssituation
und Verwirklichung des Rechts auf Nahrung
– Drucksache 15/1316 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Lösekrug-Möller, Ulrike Mehl, Petra Bierwirth,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

(Quedlinburg)

weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Naturschutz geht alle an – Akzeptanz und In-
tegration des Naturschutzes in andere Politik-
felder weiter stärken
– Drucksache 15/1318 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubert
Hüppe, Christa Nickels, René Röspel und weite-
rer Abgeordneter
Forschungsförderung der Europäischen Union
unter Respektierung ethischer und verfas-
sungsmäßiger Prinzipien der Mitgliedstaaten
– Drucksache 15/1310 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann

(Homburg) und weiterer Abgeordneter

Kein Ausstieg aus der gemeinsamen Verant-
wortung für die europäische Stammzellfor-
schung
– Drucksache 15/1346 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/1235 soll
zusätzlich an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen überwiesen werden. Sind Sie einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 o sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 e auf. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 26 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Europawahlgeset-
zes und eines Neunzehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Europaabgeordnetengesetzes
– Drucksache 15/1205 –

(Erste Beratung 53. Sitzung)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 15/1340 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Dorothee Mantel
Josef Philip Winkler
Dr. Max Stadler

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/1340, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das
ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie zustimmen wollen. – Stimmt jemand dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
dritter Lesung angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Zollverwaltungs-
gesetzes und anderer Gesetze
– Drucksache 15/1060 –

(Erste Beratung 53. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 15/1342 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Simone Violka
Elke Wülfing

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/1342, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Ich bin mir über das Abstimmungsverhalten
nicht ganz im Klaren. Stimmen Sie zu?


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Bei welchem Tagesordnungspunkt sind wir denn jetzt?)


– Wir sind in der zweiten Lesung. Der Finanzausschuss
empfiehlt auf Drucksache 15/1342, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Wir stimmen zu!)

– Auch Sie stimmen zu. – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses
gegen eine Stimme aus der CDU/CSU angenommen
worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Ich stelle fest, dass
der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.

Tagesordnungspunkt 26 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vor-
schriften über die grenzüberschreitende Beweis-
aufnahme in Zivil- oder Handelssachen in den

(EG-Beweisaufnahmedurchführungsgesetz)

– Drucksache 15/1062 –

(Erste Beratung 51. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/1283 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Ingo Wellenreuther
Jerzy Montag
Rainer Funke

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung, Drucksache 15/1283, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen
worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 f:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
27. Juni 2001 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Indien über die
Auslieferung
– Drucksache 15/1073 –

(Erste Beratung 51. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/1285 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Wolfgang Zeitlmann
Jerzy Montag
Rainer Funke

Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache
15/1285, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

zu erheben. – Stimmt jemand dagegen? – Der Gesetzent-
wurf ist einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinien 72/166/EWG, 845/5/EWG und
90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie
2000/26/EG über die Kraftfahrzeug-Haft-
pflichtversicherung
KOM (2002) 244 endg.; Ratsdok. 9864/02
– Drucksachen 15/103 Nr. 2.34, 15/985 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Axel Schäfer (Bochum)

Michael Grosse-Brömer
Jerzy Montag
Sibylle Laurischk

Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung, eine Entschließung an-
zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Diese Be-
schlussempfehlung ist ebenfalls einstimmig angenom-
men worden.

Tagesordnungspunkt 26 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Entschließung des Europäischen Parlaments
zu der Mitteilung der Kommission an den Rat
und das Europäische Parlament „Clearing
und Abrechnung in der Europäischen Union.
Die wichtigsten politischen Fragen und künfti-
gen Herausforderungen“

(KOM [2002] 257 – C5-0325/2002 – 2002/2169 [COS])

– Drucksachen 15/611 Nr. 1.7, 15/1169 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Georg Fahrenschon

Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung, eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 i:
Beratung der Beschlussempfehung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des

(Verordnung über Großfeuerungsund Gasturbinenanlagen – 13. BlmSchV)

– Drucksachen 15/1074, 15/1154 Nr. 1, 15/1281 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Astrid Klug
Marie-Luise Dött
Winfried Hermann
Birgit Homburger

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf
Drucksache 15/1074 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 j:
Beratung der Beschlussempfehung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Umsetzung EG-rechtlicher
Vorschriften, zur Novellierung der Zweiund-
zwanzigsten Verordnung zur Durchführung

(Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft – 22. BImSchV)

Aufhebung der Dreiundzwanzigsten Ver-
ordnung zur Durchführung des Bundes-

(Verordnung über die Festlegung von Konzentrationswerten – 23. BImSchV)

– Drucksachen 15/1178, 15/1272 Nr. 2.2, 15/1351 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Astrid Klug
Marie-Luise Dött
Winfried Hermann
Birgit Homburger

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf
Drucksache 15/1178 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig
angenommen worden.

Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 26 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 45 zu Petitionen
– Drucksache 15/1242 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 45 ist einstimmig angenommen
worden.

Tagesordnungspunkt 26 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 46 zu Petitionen
– Drucksache 15/1243 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-

gen? – Auch Sammelübersicht 46 ist einstimmig ange-
nommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 47 zu Petitionen
– Drucksache 15/1244 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 47 ist ebenfalls einstimmig an-
genommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 48 zu Petitionen
– Drucksache 15/1245 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 48 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 49 zu Petitionen
– Drucksache 15/1246 –

Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Sammelübersicht 49 ist wieder einstimmig
angenommen worden.

Zusatzpunkt 3 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 50 zu Petitionen
– Drucksache 15/1335 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 50 ist ebenfalls einstimmig an-
genommen worden.

Zusatzpunkt 3 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 51 zu Petitionen
– Drucksache 15/1336 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Keine. Sammelübersicht 51 ist einstimmig ange-
nommen worden.

Zusatzpunkt 3 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 52 zu Petitionen
– Drucksache 15/1337 –
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 52 ist ebenfalls einstimmig an-
genommen worden.

Zusatzpunkt 3 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 53 zu Petitionen
– Drucksache 15/1338 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 53 findet aufseiten der Koaliti-
onsfraktionen Zustimmung und stößt aufseiten der Op-
positionsfraktionen CDU/CSU und FDP auf Ablehnung.

Zusatzpunkt 3 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 54 zu Petitionen
– Drucksache 15/1339 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 54 ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stim-
men von CDU/CSU angenommen worden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
heutige Tagesordnung um die Beratung von drei Be-
schlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses er-
weitert werden. Die Punkte sollen gleich anschließend
aufgerufen werden. Sind Sie mit dieser Erweiterung ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses zu dem Gesetz zur Regelung
des Urheberrechts in der Informationsgesell-
schaft
– Drucksachen 15/38, 15/837, 15/1066, 15/1353 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Joachim Hacker

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Wird das Wort zur Erklärung gewünscht? – Beides ist
nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 15/1353. Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU
gegen die Stimmen der FDP angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses zu dem Gesetz zur Förderung
von Kleinunternehmern, zur Eindämmung
der Schattenwirtschaft und zur Verbesserung
der Unternehmensfinanzierung
– Drucksachen 15/537, 15/900, 15/1042, 15/1197,
15/1354 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg-Otto Spiller






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das

ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Erklärung ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Das Gleiche gilt auch für die folgende Beschlussempfeh-
lung des Vermittlungsausschusses.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-
mittlungsausschusses auf Drucksache 15/1354? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses zu dem Gesetz zur Bekämp-
fung des Missbrauchs von 0190er-/0900er-
Mehrwertdiensterufnummern
– Drucksachen 15/907, 15/1068, 15/1126, 15/1198,
15/1355 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. – Wird das Wort zu einer Erklärung ge-
wünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 15/1355? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist einstim-
mig angenommen worden.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Die Abstimmung über 26 b fehlt noch! Dadurch ist die Verwirrung vorhin entstanden!)


– Ich muss mich eben erkundigen. Einen Moment bitte.

(Ute Kumpf [SPD]: 26 e!)


Kommen Sie bitte zum Präsidium!

(Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP] und Abg. Ilse Falk [CDU/CSU] begeben sich zum Präsidium)


– Wir müssen in der Tat noch Abstimmungen durchfüh-
ren.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 b auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Abwicklung der Bundesanstalt für vereini-

(BvSAbwicklungsgesetz – BvSAbwG)

– Drucksache 15/1181 –

(Erste Beratung 53. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses (8. Ausschuss)

– Drucksache 15/1352 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Klaas Hübner
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin

Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 15/1352, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP angenommen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Mehrheit!)

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –


(Zurufe von der CDU/CSU: Mehrheit!)

Es bestehen Unklarheiten über die Mehrheit,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Nein!)


demzufolge müssten wir leider einen Hammelsprung
durchführen.


(Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer berät sich mit den Parlamentarischen Geschäftsführern)


Niemand, auch keiner der Geschäftsführer der Oppo-
sition, ist der Meinung, dass dieses ein sinnvoller Anlass
für einen Hammelsprung ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich werde deshalb jetzt die Abstimmung wiederholen.

Wer stimmt für den Gesetzentwurf? – Wer stimmt da-
gegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. –


(Zurufe von der CDU/CSU: Minderheit!)

Wer stimmt dagegen? –


(Zurufe von der CDU/CSU: Mehrheit!)

Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
dritter Lesung angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 26 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Tätigkeit
europäischer Rechtsanwälte in Deutschland
und weiterer berufsrechtlicher Vorschriften
für Rechts- und Patentanwälte, Steuerberater
und Wirtschaftsprüfer
– Drucksache 15/1072 –

(Erste Beratung 51. Sitzung)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/1284 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Strässer
Joachim Stünker
Michael Grosse-Brömer
Jerzy Montag
Rainer Funke

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/1284, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – In
schöner Einstimmigkeit beenden wir damit die Abstim-
mungen. Tagesordnungspunkt 26 e findet einstimmig
Zustimmung.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 f auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-

gierung
Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht
2003 der Bundesregierung
– Drucksache 15/405 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Hans-Michael Goldmann, Birgit
Homburger, Dr. Christel Happach-Kasan, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-
bung des Gesetzes zur Modulation von
Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen
Agrarpolitik und zur Änderung des GAK-Geset-
zes
– Drucksache 15/754 –

(Erste Beratung 44. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auf-
hebung des Modulationsgesetzes und zur Än-
derung des GAK-Gesetzes
– Drucksache 15/948 –

(Erste Beratung 44. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 15/1158 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Ulrike Höfken
Hans-Michael Goldmann

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Waltraud
Wolff (Wolmirstedt), Matthias Weisheit, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
EU-Agrarreform mutig angehen und ausge-
wogen gestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter H.
Carstensen (Nordstrand), Gerda Hasselfeldt,
Dr. Wolfgang Schäuble, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU
Mit der Reform der gemeinsamen Agrarpo-
litik die Landwirtschaft und die ländlichen
Räume in der EU stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-
Kasan, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Marktwirtschaftliches Modell einer flächen-
gebundenen Kulturlandschaftsprämie ver-
wirklichen

– Drucksachen 15/462, 15/422, 15/435, 15/1025 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Albert Deß
Friedrich Ostendorff
Hans-Michael Goldmann

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold
Hemker, Dr. Sascha Raabe, Matthias Weisheit,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Thilo Hoppe, Friedrich Ostendorff, weiterer






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Für eine nachhaltige Agrarpolitik und einen
gerechten Interessenausgleich bei den lau-
fenden WTO-Verhandlungen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter H.
Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, Gerda
Hasselfeldt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
WTO-Verhandlungen – Europäisches Land-
wirtschaftsmodell absichern

– Drucksache 15/550, 15/534, 15/1133 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhold Hemker
Peter H. Carstensen (Nordstrand)

Ulrike Höfken
Hans-Michael Goldmann

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Agrarpolitische Herausforderungen der WTO
und EU-Osterweiterung mit der Kulturland-
schaftsprämie meistern
– Drucksache 15/1232 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Impfen statt Töten – Grundlage für den Ein-
satz von Markerimpfstoffen schaffen
– Drucksache 15/1004 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Zum Ernährungs- und agrarpolitischen Bericht 2003
liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Frak-
tion der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Wi-
derspruch höre ich nicht.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Frau Bundesministerin Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Fachleute wissen, dass ich angesichts
des drohenden Hammelsprungs hier auf heißen Kohlen
saß, weil ich das Flugzeug bekommen muss, um zum
Bauerntag zu kommen, wo ich nicht gänzlich absent sein
möchte. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis.

Ich habe aber hier eine schöne Aufgabe, nämlich von
dem Erfolg in Luxemburg zu berichten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wessen Erfolg?)


– Ich weiß, dass es da wieder Kritik gibt. Jetzt überneh-
men Sie aber nicht gleich mit Zwischenrufen den O-Ton
des Deutschen Bauernverbandes. Ein Kommissar hat Ih-
nen doch in dieser Woche in Nordrhein-Westfalen ge-
sagt, dass Sie sich nicht vor dessen Karren spannen las-
sen sollen. Überlegen Sie selber!


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Eben!)


Ich will Ihnen dazu einiges sagen. Beim Thema Re-
formen in Deutschland ist ein interessantes Phänomen zu
beobachten: Alle fordern ständig Bewegung, aber wenn
es mit den Reformen ernst wird, sagen alle: Wir hätten
aber lieber Stillstand.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Nein!)


Komischerweise ist das in allen Bereichen so – wir ken-
nen das – und komischerweise trifft sich an exakt dieser
Stelle die CDU/CSU mit dem Bauernverband. Deshalb
hat es mich auch nicht gewundert, als ich hörte, dass
Herr Fischler bei der Rüttgers-Veranstaltung in Nord-
rhein-Westfalen vor einigen Tagen gesagt hat, der Deut-
sche Bauernverband habe eine Tendenz zu Worst-Case-
Szenarien.

Jeder tut, was er kann, meine Damen und Herren. Ich
meine, dass wir gut beraten sind, eine solche Politik an
dieser Stelle nicht zu machen, um nicht die Zukunftsfä-
higkeit der Landwirtschaft zu verspielen – übrigens des
Berufsstandes, den Sie angeblich immer verteidigen
wollen. Ich glaube, dass man, wenn man will, dass sich
der Standort Deutschland weiterentwickelt, anfangen
muss, das Richtige zu tun und positiv zu strukturieren.
Aber dazu hat der Bundeskanzler heute früh das Not-
wendige gesagt.

Warum brauchen wir eine Agrarreform? Ich will Ih-
nen ein paar Punkte aufzählen: erstens weil es um die
Zukunft der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland
geht, die man schlicht und einfach mit Passivität nicht
regeln wird; zweitens weil die Verbraucherinnen und
Verbraucher Erwartungen an die Landwirtschaft haben,
die nicht mit den Erwartungen von vor 50 Jahren iden-
tisch sind – sie sind heute klar auf Nachhaltigkeit ausge-
richtet –; drittens weil alle Subventionen aus Steuergel-
dern, die wir zahlen, gesellschaftliche Akzeptanz
brauchen – das heißt, dass auch im Agrarbereich alles
auf dem Prüfstand steht und neu begründet und legiti-
miert werden muss –; viertens weil wir wissen, dass ab
2004 die „EU 25“ Realität ist und deshalb die Finanz-
mittel knapper sind; fünftens weil im September die
WTO-Verhandlungen in Cancun anstehen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Künast

Ich sage Ihnen ehrlich: Bevor ich alle Wirtschafts-

und Finanzminister in den Regelungen des Agrarbe-
reichs herumrühren lasse, strukturieren wir den Bereich
lieber selber so, dass wir, auch in Abgrenzung zu den
USA, die passiv sind, erhobenen Hauptes nach Cancun
gehen können. Genau das haben wir erreicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man kann nicht über die Zukunftsfähigkeit der Land-
wirtschaft in Europa reden, ohne das Schicksal selbst in
die Hand zu nehmen. Ebenso kann man nicht, auch nicht
mit einem christlichen Anspruch, darüber reden, dass die
Entwicklungsländer eine Chance haben sollen, ohne sich
an Reformen im Agrarbereich zu machen.

Was haben wir erreicht? In Luxemburg haben wir den
notwendigen Paradigmenwechsel erreicht. Man kann
ihn an einigen wenigen Kernpunkten gut darstellen:

Erstens. Die Direktzahlungen werden von der Pro-
duktion abgekoppelt. Das gibt den Bauern mehr Ent-
scheidungsfreiheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist wichtig; denn nun können sie auf einer bestimm-
ten Basis von Zahlungen, die sie erhalten, sagen: Jetzt
überlege ich mir, was am Markt funktioniert und was ich
anbauen will.

Zweitens. Die Direktzahlungen werden in Zukunft an
die Einhaltung von Umwelt-, Tierschutz- und Qualitäts-
vorschriften gebunden. Das ist ein richtiger Schritt, den
die Verbraucher und Steuerzahler erwarten, weil es ihr
Geld ist, das ausgegeben wird.

Drittens. Ab 2005 gibt es die obligatorische Modula-
tion. Ich habe Ihnen vor zweieinhalb Jahren vorherge-
sagt, dass sie kommen wird. Jetzt ist sie da. Sie stärkt die
nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume und ist sozu-
sagen WTO-sicher. Dieses Geld geben wir im Interesse
der Steuerzahler aus. Über diesen Punkt werden wir im
Zusammenhang mit dem Subventionsabbau nicht disku-
tieren müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben mit der Entkopplung den alten Mechanis-
mus „Je mehr man produziert, desto mehr Steuergelder
bekommt man“ durchbrochen. Mit der Modulation ha-
ben wir eine ganze Reihe von Möglichkeiten für den
ländlichen Raum geschaffen. Die Bauern müssen zwar
entsprechende Anträge stellen. Aber das ist der Wille der
Steuerzahler.

Die Regel ist, dass EU-weit 80 Prozent der Modulati-
onsmittel in dem Mitgliedstaat verbleiben, in dem sie an-
fallen. Wir haben für Deutschland die Sonderregelung,
dass in Deutschland als einzigem Mitgliedstaat 90 Pro-
zent der Modulationsmittel verbleiben. Die 10 Prozent
extra können wir ganz gezielt in Roggenanbauregionen
investieren, um dort Umstiegsmöglichkeiten und Alter-
nativen zu finanzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Deswegen reduzieren Sie im Haushalt die Mittel für die nachwachsenden Rohstoffe! 60 Millionen Verlust und 10 Millionen packen Sie noch drauf!)


Das heißt, wir können 185 Millionen Euro investieren;
das ist mehr, als wir es mit geringen Ausgleichszahlun-
gen im zweistelligen Bereich gekonnt hätten.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Wir tun Wesentliches für den Natur- und Tierschutz
sowie für die Pflege der Kulturlandschaft. Auf unsere
Initiative hin hat die Kommission bei der Förderung des
ländlichen Raumes einige neue Punkte aufgenommen:
der Fördergrundsatz „Tierschutz“, das eigene Kapitel
„Lebensmittelqualität“ – wir in Deutschland wissen,
dass wir das brauchen – und ein Kapitel zur Förderung
höherer Standards im Tier- und Umweltschutz sowie
– das ist für mittelständische und Familienbetriebe nicht
unwichtig – die Unterstützung lokaler Partnerschaften
zur Förderung von integrierten Entwicklungsstrategien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir alle wissen nämlich, dass man den einzelnen Famili-
enbetrieb nicht sich selbst überlassen darf, sondern dass
es Sinn macht, auf regionaler Ebene gemeinsame Strate-
gien zu entwickeln.

Wir alle wissen auch, dass das Hauptproblem im Be-
reich der Milchwirtschaft liegt; denn für die meisten
Bauern in Deutschland ist die Milch die Haupteinkom-
mensquelle. Die Milchbauern tun sehr viel für den Erhalt
der Kulturlandschaft. Nirgendwo in der Landwirtschaft
wird so viel gearbeitet wie in der Milchwirtschaft.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Und die werden am stärksten geschröpft!)


Deswegen haben wir in Luxemburg hart gekämpft. Herr
Deß, auch Sie wissen, wie der Vorschlag des Kommis-
sars aussah.

Das Ergebnis der längeren Beratung an der Stelle war:
Erstens. Die Quotenregelung wird bis 2015 verlängert.
Sie alle wissen, dass noch im Januar/Februar die Mehr-
heit des Agrarrates gegen diese Verlängerung war. Herr
Deß, wenn Sie merken, dass im Juni etwas heraus-
kommt, wovon Sie im Januar nicht zu träumen wagten,
könnten Sie ruhig ein freundliches Gesicht machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Es war ja diese Bundesregierung, die verkündet hat, dass es auslaufen soll!)


Zweitens. Die von der Kommission vorgeschlagene
Milchquotenerhöhung ab 2007/08, die den Druck auf
den Markt noch mehr erhöht hätte, ist erst einmal vom
Tisch.

Drittens. Wir haben durchgesetzt – Sie haben sich
noch nicht einmal getraut, das zu fordern –, dass die be-
reits in der Agenda 2000 beschlossenen Regelungen zur
Milchquotenerhöhung erst einmal verschoben werden.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Künast

Die Senkung der Interventionspreise fällt deutlich gerin-
ger aus, als von Fischler vorgeschlagen.

Meine Damen und Herren, nun tun Sie nicht so, als
seien wir das letzte kleine gallische Dorf. Reden Sie
nicht immer von Marktwirtschaft, wenn Sie das Gegen-
teil haben wollen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist doch Schönrednerei! Das hat nichts mit der Realität zu tun!)


Tun Sie nicht so, als ob Deutschland seine Exportinteres-
sen wahren könnte, wenn beispielsweise der Butterpreis
– es gibt 70 000 Tonnen eingelagerte Butter, die der
Steuerzahler vom Markt kauft – gestützt wird. Jeder, der
nur einen Hauch Ahnung von internationaler Politik hat,
weiß doch, dass man diese künstliche Konstruktion – auf
der einen Seite Überproduktion und auf der anderen
Seite Preisstützung – nicht halten kann. Es kann daher
nur langfristig darum gehen, einen Ausgleich zu schaf-
fen und dem einen oder anderen die Möglichkeit zu ge-
ben, zu überlegen, was er mit seiner Produktion macht.
Deshalb bin ich froh, dass bei der Senkung der Interven-
tionspreise nur 4 Prozent und nicht 10 Prozent, wie
Fischler vorgeschlagen hatte, herausgekommen sind und
dass wir einen Preisausgleich von 80 Prozent erreicht
haben; bei der Agenda 2000 waren es seinerzeit nur
50 Prozent. Ich glaube, dass sich dies sehen lässt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zum Schluss weise ich noch auf einen wichtigen
Punkt hin: Wir haben es alle miteinander in der Hand,
die Probleme im Milchbereich durch eine Grünland-
prämie auszugleichen. Ich fordere Sie dazu auf, an die-
ser Stelle offen zu diskutieren.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Die zahlen wir in Bayern längst, Frau Ministerin!)


Eine Grünlandprämie hilft den Landwirten tatsächlich,
weil sie in diesen Kulturlandschaften gesellschaftliche
Arbeit leisten.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Wie viel bekommen sie pro Hektar?)


Der Weg dahin ist mit den Luxemburger Beschlüssen
bereitet. Bund und Länder müssen dies gemeinsam um-
setzen. Aber hier müssen Sie natürlich den Mut haben,
an den Stellen, an denen einige Landwirte sehr viel be-
kommen, etwas wegzunehmen, damit die Grünland-
standorte von den zu verteilenden Mitteln etwas abbe-
kommen. In Zeiten der Agenda 2010 und von
Sparhaushalten in Bund und Ländern wissen alle, dass es
nicht mehr Geld gibt und dass wir Gerechtigkeit herstel-
len müssen. Wer über die Situation der Milchbauern
klagt, meine Damen und Herren, muss das Instrument
der Grünlandprämie anwenden und dafür sorgen, dass
diejenigen, die sehr viel bekommen, ein Stück zugunsten
der Milchbauern abgeben. Ich werde Sie daran messen,
ob Sie den Mut haben, diese Prämie einzuführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Wir zahlen doch in Bayern bereits diese Prämie!)


Meine Damen und Herren, wir haben mit den Be-
schlüssen von Luxemburg viele flexible Regelungen ge-
schaffen, die es uns ermöglichen, mit Blick auf die deut-
sche Situation zielgenau etwas aufzubauen, was am
Ende so effektiv und rational ist, dass es bei den Ländern
nicht mehr Verwaltungsarbeit auslöst.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Künast, das wird nicht klappen!)


Ich kann Sie nur auffordern, hier nicht nachzukarten,
sondern die Beschlüsse, die es nun einmal gibt, umzuset-
zen. Hier hoffe ich auf Ihre konstruktive Arbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505607900

Nächster Redner ist der Kollege Peter Bleser, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1505608000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-

ben Sie mir bitte eine Vorbemerkung: Peter Harry
Carstensen, an dessen Stelle ich hier stehe und der im
Moment leider nicht im Saal ist, musste gestern zu ei-
nem Check-up ins Krankenhaus. Als er heute wieder-
kam, sagte er, er habe einen hundertprozentigen Frei-
spruch erhalten. Wir alle sind froh, dass er gesund ist.


(Beifall)

Meine Damen und Herren, bei der Vorbereitung die-

ser Rede habe ich lange darüber nachgedacht, wie ich sie
anlege. Soll ich hier die schonungslose Wahrheit über
die derzeitige Agrarpolitik der Bundesregierung vortra-
gen und die Ergebnisse der Brüsseler Agrarbeschlüsse
nüchtern erläutern, um damit noch mehr Pessimismus zu
verbreiten, als in der Landwirtschaft ohnehin schon vor-
handen ist, oder soll ich den Optimismus, den ich per-
sönlich schon immer bevorzuge, in den Vordergrund
stellen?

Frau Künast, lassen Sie mich Ihnen vorweg eines sa-
gen: Sie bekämpfen den Bauernverband als einen per-
sönlichen Feind. Der Bauernverband besteht aus ge-
wählten Vertretern; er vertritt die Interessen der in Not
befindlichen bäuerlichen Familien.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Diese Interessenvertretung sollten Sie achten und schät-
zen, nicht aber bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, würde hier Pessimismus

verbreitet, führte dies zu einem weiteren Investitionsstau
in der Agrarwirtschaft, verunsicherte das die Menschen,
die in der Ernährungswirtschaft einen Arbeitsplatz
haben, und verleidete das den jungen Menschen auf
den Bauernhöfen die Lust, die Betriebe ihrer Eltern






(A) (C)



(B) (D)


Peter Bleser

fortzuführen. Auf der anderen Seite ist es Aufgabe der
Opposition, die Dinge so zu benennen, wie sie sind. Tut
man dies, kann daraus durchaus eine Entscheidungs-
grundlage erwachsen, die zu einer Erneuerung führt.

Die Agrarreform der EU ist ein perspektivloser, bü-
rokratischer Murks, dessen Verfallsdatum in wenigen
Jahren schon abgelaufen sein wird. Dieses Datum
könnte mit einem Regierungswechsel in Deutschland zu-
sammentreffen, sofern dieser nicht noch vorher eintritt.
Damit ist in der Ferne die Morgenröte der Hoffnung
sichtbar, dass die Agrar- und Verbraucherpolitik in
Europa und Deutschland wieder vorangebracht werden
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Aber nicht von Ihnen!)


Meine Damen und Herren, bis es aber so weit ist, ge-
hen wir durch ein Tal drastischer und dramatischer Ein-
kommensverluste. Wir werden den Verlust Tausender
Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Bereichen
der Agrarwirtschaft zu beklagen haben. Wir werden den
Rückgang der Marktanteile von hochwertigen heimi-
schen Lebensmitteln zugunsten von unter ganz anderen
Qualitäts- und Tierschutzbedingungen erzeugten, impor-
tierten Lebensmitteln bejammern.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist die Realität! Genauso ist es!)


Darüber hinaus werden wir von einem gewaltigen und
noch mehr verschärften bürokratischen Gestrüpp gefes-
selte landwirtschaftliche Unternehmer bedauern müssen.

Dafür tragen Sie, Frau Künast, mit Ihrer linksideolo-
gischen Politik die volle Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ihr Bundeskanzler, der Ihnen diese gesellschaftliche und
ideologische Spielwiese überlassen hat, trägt sie eben-
falls.

Bevor ich nun die EU-Beschlüsse näher erläutere,
möchte ich kurz die dramatische Situation der deut-
schen Landwirtschaft beleuchten. Laut Agrarbericht
der Bundesregierung, den wir heute mit beraten, sank
der Gewinn pro landwirtschaftliches Unternehmen im
Wirtschaftsjahr 2001/2002 um 6,6 Prozent. Die Schät-
zung der Bundesregierung für das jetzt abgelaufene
Wirtschaftsjahr 2002/2003 ist schon bei einem Minus
von 15 Prozent angelangt. Der Gewinn wird aber leider
noch mehr sinken.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Kann das der Künast-Effekt sein?)


– Der Künast-Effekt wirkt derzeit und in Zukunft sogar
noch verstärkt.

Vor diesem Hintergrund einer frustrierenden Einkom-
menssituation unserer bäuerlichen Familien müssen wir
die gestern im Kabinett beschlossenen Sonderlasten für
die deutschen Bauern scharf verurteilen. Die Einnahmen
aus der Mineralölsteuer für Agrardiesel sollen um
157 Millionen Euro erhöht werden. Sie wissen, dass un-
sere Kollegen in Frankreich je Liter Diesel nur 5,5 Cent
Steuern und die Dänen sogar nur 3,2 Cent zahlen. Wir
zahlen schon heute 25,6 Cent Steuern auf die Prozess-
energie von Sondermaschinen, die auf dem Acker einge-
setzt werden. Dies ist keine Benutzung von öffentlichen
Verkehrswegen, womit diese Steuer einmal gerechtfer-
tigt wurde. Das wird jetzt noch einmal verschärft und
das bekämpfen wir entschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein Zweites ist gestern beschlossen worden: die Zu-
schüsse für die landwirtschaftlichen Krankenversi-
cherungen um 20 Prozent, um 243 Millionen Euro, zu
kürzen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Totengräber der Familienbetriebe!)


Wissen Sie eigentlich, was Sie da getan haben? Diese
Zuschüsse hatten einmal den Sinn, den hohen Anteil an
älteren Menschen, die in landwirtschaftlichen Versiche-
rungen versichert sind, abzufedern. Wenn dies so umge-
setzt wird, dann werden wir in einigen regionalen Kran-
kenversicherungen – speziell in Rheinland-Pfalz –
Beitragserhöhungen von bis zu 51 Prozent haben. Das
bedeutet das Aus für diese Versicherungsform, eine Ver-
sicherungsform, die die Möglichkeit geschaffen hat, auf
Besonderheiten in der Landwirtschaft einzugehen.

Ich sage Ihnen ganz offen: Das ist eine unanständige
Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich frage ganz besonders die sozialdemokratischen Kol-
legen, ob sie das noch mit ihrem Gewissen vereinbaren
können. Das sind Sonderlasten, die keine andere gesell-
schaftliche Gruppe zu tragen hat, und Sie packen immer
noch drauf.

Diese Meldungen erreichen die Bauernfamilien vor
dem Hintergrund, dass die Einkommen in den letzten
Jahren, wie schon geschildert, zurückgegangen sind, sie
im laufenden Wirtschaftsjahr ebenfalls rückläufig sind
und die Ernteaussichten in diesem Jahr – allerdings wit-
terungsbedingt – nicht die besten sind. Gesteigert wird
diese Stimmungslage der Bauern auch nicht durch Ihr
Frohlocken, Frau Künast, über die EU-Agrarreform, die
weitere Einkommensrückgänge in Höhe von 1,5 Milliar-
den Euro zur Folge haben wird. Verständlich, dass sich
auf den Höfen Resignation und Verzweiflung ausbreiten!

Damit komme ich zur Agrarreform, die Sie letzte Wo-
che mit beschlossen haben. Anstatt die ursprünglich bis
zum Ende des Jahres 2006 laufende Agenda 2000 fortzu-
führen und sie als Verhandlungsgrundlage der EU heran-
zuziehen, haben Sie sich in Brüssel über den Tisch zie-
hen lassen. Es ist ein Tor, wer glaubt, dass solche
Erklärungen des Verzichts auf Marktanteile und letztlich
auf Arbeitsplätze bei den WTO-Verhandlungen hono-
riert würden. Im Gegenteil: Es wird sicher draufgesattelt.
So werden wir schon kurze Zeit nach der WTO-Runde
eine neue Agrarreform beschließen müssen. Wie sollen
die Menschen planen, wenn sie sich bei der
Agenda 2000 schon vor Ablauf der Hälfte der Zeit auf






(A) (C)



(B) (D)


Peter Bleser

neue Daten einstellen müssen? So behaupte ich, dass
auch die neue Agrarreform wenig Planungssicherheit
bieten wird.

Frau Künast, eines muss man Ihnen lassen – das gilt
auch für den hoffentlich im nächsten Jahr ausscheiden-
den Agrarkommissar Fischler –: Sie haben es geschafft,
die Reform so kompliziert zu machen, dass es kaum
möglich ist, einem Bürger, der nicht mit Spezialwissen
ausgestattet ist, diese plausibel zu erläutern.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das war ja früher alles anders!)


– Ich werde Ihnen gleich erklären, welche Position wir
haben.

Die genannten Ziele sind noch zu akzeptieren: mehr
Tierschutz, mehr Landschaftspflege, von mir aus auch
mehr ökologisch ausgerichteter Landbau. Das alles ist
durchaus anerkennenswert.

Aber die Realität ist genau das Gegenteil. Ich frage
Sie: Glaubt jemand, dass die Absenkung des Milch-
preises um circa 25 Prozent auf Weltmarktniveau – das
sind etwa 20 Cent pro Liter – die Milchqualität steigert
oder einen mit höheren Kosten verbundenen Tierschutz
ermöglicht? Glaubt jemand, dass Milcherzeuger statt ei-
nes kostendeckenden Milchpreises lieber einen Teilaus-
gleich für Preisrückgänge vom Steuerzahler haben wol-
len?

Glaubt jemand, dass eine nicht mehr an die Nahrungs-
mittelproduktion gekoppelte Flächenprämie mehr Land-
schaftspflege bedeutet?

Glaubt jemand, dass ein nicht mehr durchschaubares
Prämiensystem mit teilentkoppelter, regional unter-
schiedlicher, an 18 EU-Auflagen gebundener, eventuell
von einer Zwangsberatung abhängiger und einer Modu-
lation – also einer Umverteilung – unterworfener Aus-
gleichszahlung dem Steuerzahler oder den Landwirten
noch vermittelbar ist?

Glaubt jemand, dass das Verkaufen oder das Ver-
pachten von Prämienrechten und die damit verbundene
Schaffung eines neuen Berufsbildes – Hängematten-
landwirt – auch nur von einem Bürger verstanden wer-
den? Glaubt jemand, dass ein Flickenteppich von mit
unterschiedlichen Prämienrechten versehenen Flächen,
das Ganze womöglich noch von Bundesland zu Bun-
desland unterschiedlich, administrativ noch zu „han-
deln“ ist?

Glaubt jemand, dass die drastischen Erzeugerpreis-
senkungen in Form von niedrigen Brot-, Milch- oder
Fleischpreisen je einen Verbraucher erreichen?

Glaubt jemand, dass Sie, Frau Künast, die von Brüs-
sel erlaubte Umverteilung von 10 Prozent der Direktzah-
lungen – immerhin über 500 Millionen Euro – für eine
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Landwirtschaft einsetzen werden?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Spielwiesengeld!)

Alle diese Fragen werden wir leider mit Nein beant-
worten müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit ist diese Reform im Ergebnis geschildert. Sie ha-
ben sich in Brüssel über den Tisch ziehen lassen.


(Renate Künast, Bundesministerin: Ich war gar nicht in Brüssel!)


Dies geschah, weil Sie ohne Vision dorthin gegangen
sind und keine eigenen Vorstellungen in die Verhandlun-
gen eingebracht haben.


(Lachen und Widerspruch bei der SPD)

Das war die Grundlage. Sie haben vorher keine Ent-
würfe gefertigt und mussten sich so mit dem zufrieden
geben, was Ihnen angeboten wurde.

Meine Damen und Herren, wir, die CDU/CSU-Frak-
tion, haben Ihnen klare Positionen entgegengestellt. In
unserem Husumer Papier haben wir die richtigen Wei-
chenstellungen für eine langfristige Reform skizziert.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das hätten Sie mal lesen sollen, Frau Künast! Dann hätten Sie Ihre Rede nicht gehalten!)


Sie können sie gern übernehmen. Damit würden Sie
bei den Bauern auf Verständnis stoßen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505608100

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1505608200

Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin.
Wir wollen, dass auch bei den WTO-Verhandlungen

die flächendeckende, multifunktionale Landwirtschaft in
Europa durchgesetzt wird. Wir wollen, dass die Bäuerin-
nen und Bauern, die in Verantwortung vor den Verbrau-
chern, den Tieren und der Natur als unabhängige Unter-
nehmer handeln, von ihrer Arbeit leben können.

Damit komme ich an den Anfang meiner Ausführun-
gen zurück. Tun wir alles, damit die Laufzeit dieser
Agrarreform möglichst kurz ist und diese Regierung
möglichst schnell ihr Ende findet. Dann haben wir wie-
der Platz für Hoffnung in den Köpfen der Menschen ge-
schaffen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505608300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Wolff,

SPD-Fraktion.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1505608400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herrn Blesers Rede kann ich kurz wie folgt






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


zusammenfassen: Subventionsabbau ja, aber nicht bei
uns!

Ich möchte meiner Rede ein ganz herzliches Danke-
schön an Sie, Frau Bundesministerin Künast, voranstel-
len.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Bauernvernichterin!)


Denn bei den Agrarverhandlungen haben Sie nicht zu-
letzt durch Ihr ausgezeichnetes Verhandlungsgeschick
einen für Deutschland wirklich guten Kompromiss er-
zielt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Keiner der Fachpolitiker, selbst die CDU-Kollegen
nicht, hätte ein solches Ergebnis erwartet. Sie waren am
Anfang sogar sprachlos.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So schlimm hat es keiner erwartet! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: So die Bauern mit Füßen zu treten!)


Die sehr unterschiedlich strukturierte Landwirtschaft
in Deutschland ist wirklich nicht leicht zu vertreten und
gerade deshalb ist das Ergebnis im Sinne dieser Vielfalt
ein großer Erfolg. Ich beglückwünsche Sie dazu.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Und was ist mit den Bauern?)


Ich möchte gern auf Peter Bleser eingehen, der gesagt
hat: Frau Künast allein trägt die Verantwortung. – Ich
denke, der deutsche Bundeskanzler, Frau Künast und
auch der französische Staatschef sowie der französische
Landwirtschaftsminister tragen hier Verantwortung,
nämlich die Verantwortung für eine gemeinsame euro-
päische Zukunft. Das ist ein sehr wichtiger Punkt; ich
denke dabei auch an die heutige Debatte über die EU-
Osterweiterung.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Die Bauern werden sich noch wundern!)


Deutschland und Frankreich haben hier gezeigt, wie
europäische Zukunft gemeinsam gestaltet werden kann.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Und was ist mit den Bauern?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU hat bewie-
sen, dass sie reformfähig ist, obwohl ich während der
drei Verhandlungswochen wirklich oft an eine Papstwahl
erinnert wurde und mich immerzu gefragt habe: Wann
endlich steigt der weiße Rauch auf?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Die Bauern werden verbrannt!)


Nun endlich ist es vollbracht. Die neue Ausrichtung ist
gekennzeichnet durch die starke Entkopplung – wir ha-
ben das eben schon von der Bundesministerin gehört –,
durch die Stärkung der ländlichen Räume und durch die
Bindung der Direktzahlungen an die Einhaltung von
Umwelt-, Tierschutz- und Qualitätsvorschriften. Für die
WTO-Verhandlungen im September sind wir auf diese
Art und Weise sehr gut aufgestellt.

Die EU befindet sich in der Offensive. Das ist eine
ungeheure Stärkung unserer gemeinsamen Position, ge-
rade auch gegenüber den USA. Denn der Abbau von di-
rekten Preisstützungssystemen war neben der Export-
erstattung und neben dem Abbau der Zölle ein wesentli-
cher Forderungspunkt der letzten WTO-Ministerratsta-
gung im Jahre 2001. Andere Länder sind noch lange
nicht so weit, wie wir in der EU jetzt sind.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Und was ist mit den Bauern?)


Über den finanziellen Rahmen hinaus wurde nun die
Marschrichtung für zehn Jahre festgelegt.

Peter Harry Carstensen, dass du so krank gewesen
bist, tut mir Leid. Aber ich würde sagen: Halte dich jetzt
einfach mal zurück.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wenn das im Sinne meiner Gesundheit sein soll, ja!)


Der Deutsche Bauernverband kritisiert die EU-Agrar-
reform als Flickschusterei. Ich finde diese Kritik schon
sehr erstaunlich,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein, die ist berechtigt!)


denn allen Mitgliedstaaten – das wissen wir, das haben
wir auch vorhin noch einmal von der Ministerin gehört –
ist ein gewisser Teil an Selbstbestimmung geblieben. Ein
Beispiel dafür ist die Möglichkeit der freien Entschei-
dung für eine Betriebsprämie


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau!)

oder für eine Angleichung von Ackerbau- und Grünland-
prämien. Das ist doch im Sinne der Landwirtschaft. Wir
müssen endlich lernen, europäisch zu denken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was ist denn daran europäisch? – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Vor vier Wochen war das doch noch ein Abschied von der gemeinsamen Agrarpolitik, wenn jeder machen konnte, was er wollte!)


Interessen fallen aufgrund unterschiedlicher regionaler
Gegebenheiten – ich erinnere nur an das Klima – nun
einmal unterschiedlich aus. Wir können das auch positiv
gestalten, wenn wir nur wollen; denn alle Länder haben
die Möglichkeit, die für sie günstigsten Lösungen zu fin-
den. Genau aus diesem Grund finde ich die harsche Kri-
tik des DBV einfach nicht berechtigt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Die bösen Buben!)

auch vor dem Hintergrund, dass Deutschland aufgrund
der wegfallenden Roggenintervention als einziges Land
90 Prozent der modulierten Mittel behalten darf, wäh-
rend die anderen Länder nur 80 Prozent der Mittel zur
Auszahlung für die ländlichen Räume erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nord Waltraud Wolff strand] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Griechenland kriegt doch mehr! Die kriegen das Geld! Das ist Quatsch! Das wird doch verteilt, bloß in andere Länder!)





(A) (C)


(B) (D)


An dieser Stelle möchte ich auch auf die Bundesrats-
initiative, auf den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhe-
bung des Modulationsgesetzes und zur Änderung des
GAK-Gesetzes, eingehen. Wir wollen möglichst rasch
die EU-weite Modulation erlangen, aber wir unterstüt-
zen nicht die auch mit diesem Entwurf gestützte Gangart
der CDU/CSU und der FDP, die besagt, dass nichts ver-
ändert werden soll. Das ist nicht die richtige Lösung und
wir haben dafür auch in Brüssel die rote Karte bekom-
men.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Wir sind ja direkt stolz darauf, wenn man dort die rote Karte bekommt!)


Die Aufhebung der nationalen Modulation ist falsch und
wir lehnen diesen Gesetzentwurf deshalb strikt ab. Im
Gegensatz dazu wird die nationale Modulation in der
europäischen aufgehen.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Frak-
tion, Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag – der
Kollege Peter Bleser hat das vorhin auch noch einmal
benannt –,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Der muss es doch wissen!)


die anhaltende mangelnde Investitionstätigkeit sei be-
sorgniserregend. Erstens sagt der Agrarbericht 2003 et-
was anderes aus. Wenn Sie ihn gelesen haben, werden
Sie festgestellt haben, dass die Höhe der Nettoinvestitio-
nen im Vergleich zum Vorjahr um circa 1,4 Prozent ge-
stiegen ist.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Aber von äußerst niedrigem Niveau aus! Das muss man dazusagen! Die Eigenkapitalbildung war um 40 Prozent rückläufig!)


Zweitens haben viele Betriebe die Halbzeitbewertung
der EU abgewartet; denn diese Regelungen sind für die
Entwicklung logischerweise entscheidend. Die Land-
wirtschaft wird in Zukunft nur noch dann Akzeptanz in
der Bevölkerung erhalten, wenn sie vermehrt umwelt-
und tiergerechte Verfahren einsetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landwirt-
schaftsministerinnen und Landwirtschaftsminister der
Bundesländer sind nun an der Reihe, hier aktiv mitzuar-
beiten. Frau Künast hat für die nächste Woche eingela-
den. Ich kann mir vorstellen, dass es möglich ist, gemein-
sam an zukunftsorientierten Maßnahmen zu arbeiten,
über Ländergrenzen und – wie ich mir wünsche – über
Parteigrenzen hinweg, für unsere Bauern und für unsere
ländlichen Räume.

Auch wenn es die Opposition in diesem Hause nicht
wahrhaben will: Die Neuausrichtung der EU-Agrarpoli-
tik bestätigt den Kurs der Bundesregierung. Sie müssen
akzeptieren, dass die Weichenstellung, die wir nach dem
Auftreten von BSE vorgenommen haben, richtig war.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Was hat das mit der Roggenintervention zu tun?)


In der Rede von Peter Bleser wurde deutlich, dass Sie
die Neuausrichtung der Agrarpolitik anscheinend emoti-
onal noch zu bewältigen haben. Kommen Sie damit end-
lich zum Ende und versuchen Sie, aus der Opposition
heraus mitzugestalten! Denn es gilt der alte Spruch: Wer
zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Mit Ihrer Agrarpolitik werden die Bauern bestraft!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505608500

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Michael

Goldmann, FDP-Fraktion.

Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1505608600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen.
Sie gilt Frau Künast, die schon auf dem Weg nach Frei-
burg ist, was ich sehr bedauere. Ich hätte mir gewünscht,
dass sie uns im Plenum zuhört.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Sie hat nämlich behauptet, dass wir immer Bewegung
fordern würden, dass wir aber, wenn es ernst wird, lieber
Stillstand hätten. Es hätte ihr gut getan, einem FDP-Red-
ner zuzuhören; denn dann hätte sie gemerkt, dass das ge-
nau nicht unsere Position ist. Im Gegenteil, lieber Kol-
lege Bleser: Ich meine, dass auf europäischer Ebene im
Hinblick auf unternehmerische Marktwirtschaft und un-
ternehmerische Landwirtschaft von Frau Künast eine
große Chance verspielt worden ist und dass wir in Zu-
kunft bitter darunter leiden werden.

Wir Liberale wollen eine Agrarpolitik, die all das zum
Ziel hat, was sich eigentlich jeder wünscht: gute Quali-
tät, artgerechte Haltungsformen und natürlich höchsten
Verbraucherschutz. Vor allen Dingen aber wollen wir
uns sichtbar vor die Bauern stellen, die gerade in der jet-
zigen Zeit, in der es um Subventionskürzungen und
Haushaltskürzungen geht, zum Teil äußerst ungerecht-
fertigten Angriffen ausgesetzt sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist fachlich nicht begründet und es macht wirklich

keinen Spaß, wenn zum Beispiel Sabine Christiansen
eine Abenddiskussion damit eröffnet, gerade bei den
Subventionen für die Bauern könne besonders viel ge-
kürzt werden, und meint, man könne das auf nationaler
Ebene machen. Wer sich damit nie beschäftigt hat, der
weiß nicht, dass wir seit langem auf dem Weg zu einer
europäischen Agrarpolitik sind. Für mich bleibt eine
europäische Agrarpolitik die Voraussetzung für eine
globale Agrarpolitik. Eine solche globale Agrarpolitik






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann

brauchen wir, wenn wir bei den WTO-Verhandlungen
bestehen wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Den deutschen Bauern geht es nicht gut, wie der Er-
nährungsbericht belegt. Aber die deutschen Bauern ver-
fügen wie der Landwirtschaftsbereich insgesamt über
ein hohes Maß an Wissen und Können, sodass es mir um
die Zukunft nicht bange sein müsste, wenn man ihnen
nicht dauernd Knüppel zwischen die Beine werfen
würde


(Beifall bei der FDP)

und wenn man endlich der Idee folgen würde, die wir Li-
berale seit langem vertreten, nämlich weg von der Pro-
duktsubvention hin zur Zuwendung in die Fläche zu
kommen. Die von uns vorgeschlagene Kulturland-
schaftsprämie ist die kluge Antwort auf die Herausfor-
derungen, vor denen wir stehen. Sie hat einen riesengro-
ßen Vorteil: Sie ist unbürokratisch und bewirkt – bei
erheblicher Einsparung im System –, dass das Einkom-
men des Bauern über die gut bewirtschaftete Fläche um
das Doppelte erhöht wird. Das wäre der Weg gewesen,
den wir hätten gehen sollen.

Die FDP zieht seit Jahren unter Günther Bredehorn,
unter Uli Heinrich und den anderen Mitstreitern eine
glasklare agrarpolitische Linie. Wir brauchen mehr
Marktorientierung und – ich sage das hier noch einmal –
wir brauchen die entschiedene, unbürokratische, volle
Entkopplung.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Er hat unser Programm gelesen!)


– Nein, nein, Peter Harry; ich will dich ja gesundheitlich
schonen. Auf euer Programm komme ich gleich noch zu
sprechen.

Jetzt möchte ich erst einmal etwas zu den Sozialde-
mokraten und den Grünen sagen. Sie betreiben meiner
Meinung nach an vielen Stellen eine ideologische Politik
gegen die Bauern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie diskriminieren die Bauern. Sie setzen europäische
Vorgaben nicht im Verhältnis von 1 : 1 in nationales
Recht um – das machen Sie übrigens nicht nur in der
Agrarwirtschaft, sondern im gesamten grünen Bereich –
und vermindern so die enormen Chancen des grünen Be-
reichs im Hinblick auf volkswirtschaftliches Wohlerge-
hen, Ausbildungsplätze, Arbeitsplätze und Investitionen.


(Beifall bei der FDP)

Sie sollten das schlicht und ergreifend lassen. Das macht
überhaupt keinen Sinn. Das bringt uns gegenüber den
Nachbarn im Westen wie den Gartenbaubetrieben in den
Niederlanden ins Hintertreffen und wird uns auch gegen-
über den Nachbarn im Osten, die wir Gott sei Dank ha-
ben, den Polen, ins Hintertreffen bringen.

Wir wollen die Probleme ja gemeinsam lösen. Im
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft sind wir uns häufig viel näher, als es beim
Kommentieren von Ergebnissen, möglicherweise auch
manchmal in der Presse, hinterher dargestellt wird. Auch
beim Tierarzneimittelgesetz – das möchte ich ganz klar
sagen – wollen wir eine gemeinsame Lösung.

Lassen Sie mich jetzt zurückkommen auf die ge-
nannte blitzsaubere agrarpolitische Linie. Lieber Peter
Harry Carstensen, lieber wirklich sehr geschätzter Albert
Deß, lieber Herr Bleser, hier gibt es einen riesigen Kon-
flikt in eurer Fraktion. Schaut mal, wer eure WTO-An-
träge unterschreibt


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Richtig, richtig! So ist das!)


und was die zum Inhalt haben! Die Botschaft ist – das
muss man sich einmal vorstellen –, dass die WTO-Ge-
spräche sozusagen auf der Basis der Vereinbarungen,
die jetzt auf europäischer Ebene getroffen worden ist,
fortgeschrieben werden sollen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ja, und?)


Ich sage euch: Eure WTO-Anträge sind richtiger als eure
Agraranträge.

Lieber Albert – ich sage das auch vor dem Hinter-
grund der Wahlen in Bayern –, wer glaubt, dass man mit
Schutzzöllen, mit einer nationalen Quote den globalen
Herausforderungen am Agrarmarkt wird begegnen kön-
nen, der liegt falsch. Ich bin dafür, dass man den Bauern
die Wahrheit sagt. Unternehmerische Bauern, tüchtige
Bauern werden in einem globalen Wettbewerb bestehen.
Aber es macht keinen Sinn, einen Schutzzoll hochzuzie-
hen in einer Situation, in der Produkte aus der weiten
Welt weit unter den Schutzzollpreisen in unseren Markt
hineinkommen können. Das ist keine zukunftsorientierte
Agrarpolitik.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505608700

Herr Kollege Goldmann, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Carstensen?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1505608800

Ja, klar.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1505608900

Herr Kollege Goldmann, eigentlich wollte ich Ihnen

ja nicht noch zusätzliche Redezeit verschaffen. Aber ich
möchte Sie doch Folgendes fragen: Sind Sie bereit, in
unser Husumer Papier zu schauen? Dann würden Sie
nämlich feststellen, dass es gewaltige Parallelen gibt. In
Ihrem Antrag treten Sie für eine „Kulturlandschaftsprä-
mie“ ein; in unserem Papier finden sich Maßnahmen
für eine Entkopplung, um in einem sehr einfachen Ver-
fahren der Finanzierung dafür zu sorgen, dass der
Bauer, der zum Beispiel am 1. Juli den Antrag stellt, am
7. Juli sein Geld bekommen kann. Sind Sie also bereit,
sich das einmal anzuschauen, damit Ihnen bei einigen
Dingen die Parallele deutlich wird, und sind Sie auch






(A) (C)



(B) (D)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)


bereit, dies bei Ihrem Vergleich mit dem für mich in der
Tat nicht leicht verständlichen Beschluss, den die Euro-
päische Union uns jetzt auf den Tisch gelegt hat, zu be-
rücksichtigen?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1505609000

Ich bin zu jeder Form der fachlichen Zusammenarbeit

mit Christdemokraten bereit. Diese Bereitschaft brauche
ich nicht mehr zum Ausdruck zu bringen. Ich habe das
Papier bereits gelesen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Aber nicht verstanden! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


– Peter Harry Carstensen, ich glaube, Sie waren gestern
gesundheitlich geschädigt. Entweder sind wir jetzt be-
reit, uns verstehen zu wollen, oder wir lassen es bleiben.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Okay!)


Ich habe das Papier gelesen und bilde mir auch ein, es
verstanden zu haben. Ich meine, dass es in der CDU-
Sprache so simpel ist, dass mir das auch wirklich ge-
glückt ist.

Wir werden die Diskussion miteinander fortsetzen.
Dann werden Sie zu der Erkenntnis kommen, dass un-
sere Kulturlandschaftsprämie, unsere Flächenprämie
wesentlich unbürokratischer, wesentlich effektiver ist als
jede Form von Teilentkopplung, die in Ihrer Grünland-
prämie zum Ausdruck kommt.


(Beifall bei der FDP – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Keine Teilentkopplung!)


Lieber Peter Harry Carstensen, ich könnte auch zu-
rückfragen: Sind Sie bereit, den Antrag, den Sie hier
stellen, mit den Anträgen zu vergleichen, die Sie bei der
WTO-Debatte heute Abend stellen werden, und kommen
Sie vielleicht dann nicht selbst ins Grübeln, weil Sie
feststellen, dass einige Ihrer agrarpolitischen Ausführun-
gen sehr oberflächlich sind?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch einmal auf den Kern der Ge-
schichte zurückkommen – das ist mir wichtig –: Wir sind
für eine schnelle, zielorientierte und unbürokratische
Entkopplung. In der Tat gibt es auch mit den europäi-
schen Beschlüssen kleine Trippelschritte hin zu einer
Entkopplung. Teilweise gibt es eine Flächenprämie, es
gibt aber auch noch jede Menge Betriebsprämien. Im
Grunde genommen gibt es von allem ein bisschen – aber
nicht den großen Wurf. Das, was vorhin hier ausgeführt
worden ist, ist völlig richtig: Wir werden ein bürokrati-
sches Gebilde erhalten, das sehr hohe Kosten verursa-
chen und dazu führen wird, dass doch wieder viel zu we-
nig Geld bei den wirklich Betroffenen ankommt.

Ich bin für eine europäische Agrarpolitik und sehe
größte Probleme darin, dass man jetzt sozusagen regio-
nale Lösungen finden kann. Als Beispiel nenne ich das
Grenzgebiet in meiner Heimatregion. Fünf Kilometer
von uns entfernt, bei den Niederländern, wird es ein an-
deres Modell geben als bei uns in Niedersachsen. In Nie-
dersachsen wird es möglicherweise wieder ein anderes
Modell geben als in Nordrhein-Westfalen. Es kommt zur
Regionalisierung und zu einem erhöhten bürokratischen
Aufwand. In diesem Punkt ist das, was auf europäischer
Ebene vereinbart worden ist, schlicht und ergreifend
schlecht.

Liebe Freunde, ich sage das unter uns Agrarpoliti-
kern: Wir waren doch schon viel weiter. Als Herr
Fischler im Ausschuss war, hatten wir wirklich die Hoff-
nung, dass es zu einer substanziellen Entkopplung, zu ei-
ner Vereinfachung im System und zu einer Weichenstel-
lung in Richtung eines Wettbewerbs im europäischen
und im globalen Rahmen kommt. Wir waren uns doch
darin einig, dass wir diesen Schritt gehen müssen, um
die WTO-Gespräche chancenreich zu bestehen. Wir wa-
ren uns doch auch darin einig, dass dieser Beitrag gerade
den Entwicklungsländern hilft. Nach dem Besuch von
Herrn Chirac in der Bundesrepublik Deutschland aller-
dings wurden – Herr Schröder und Herr Chirac waren
sich einig – die klugen Ansätze, die es gab und die auch
die Frau Ministerin im Ausschuss vertreten hat, plötzlich
aufgegeben. Frau Künast hat bei diesen Agrargesprächen
auf der ganzen Strecke verloren.

Das ist bedauerlich; denn die riesige Chance, gesell-
schaftliche Akzeptanz für ein Agrarmodell zu gewinnen,
wie es sich die FDP vorstellt und wie es viele Vernünf-
tige mittlerweile begleiten, wurde vertan, indem die un-
bürokratische und an die bewirtschaftete Fläche gebun-
dene Kulturlandschaftsprämie auf der Strecke geblieben
ist. Wir haben eine riesige Chance für gesellschaftliche
Weichenstellungen in Richtung einer klugen unterneh-
merischen Agrarpolitik verpasst. Das ist bedauerlich.


(Beifall bei der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505609100

Nächster Redner ist der Kollege Reinhold Hemker,

SPD-Fraktion.

Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1505609200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Ich glaube, es ist noch nicht ausreichend deutlich
geworden, dass es bei der heutigen Debatte – das gibt
auch der Bericht der Bundesregierung wieder – letztlich
um den Dreiklang Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft geht. Darüber hinaus geht es aber auch
um folgenden Dreiklang:

Erstens geht es um die Weiterentwicklung einer
standortgerechten und für die Verbraucher transparenten
Agrar- und Ernährungswirtschaft in Deutschland unter
Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedingungen in
unterschiedlichen Regionen. Es geht also um nationale
und regionale Aspekte und um die Weiterentwicklung
der Methoden, wie sie gerade auf EU-Ebene beschlossen
worden sind.

Zweitens geht es um die Reform und die Erweiterung
der EU mit dem wichtigen – ich nenne es bewusst so –
Teilbereich der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik






(A) (C)



(B) (D)


Reinhold Hemker

unter den jetzt und in Zukunft noch vermehrt auftreten-
den neuen Bedingungen. Es geht also um den europäi-
schen Aspekt. Das ist insbesondere nach dem, was wir
vorhin in einer namentlichen Abstimmung beschlossen
haben, wichtig zu sagen.

Drittens geht es um die Entwicklung in der einen
Welt; das ist mir besonders wichtig. Dazu gehören – wir
haben das in unserem Antrag mit der Drucksachennum-
mer 15/550 niedergeschrieben – eine nachhaltige Agrar-
politik und ein gerechter Interessenausgleich bei den lau-
fenden WTO-Verhandlungen. Erforderlich ist ein
globales Konzept mit mehr Freizügigkeit und Liberali-
sierung, aber auch Schutz und Hilfe für die Armen in
den armen Ländern, und zwar weltweit.

Bei allen Entwicklungen und Reformen geht es um
die Bemühungen zugunsten von mehr Nachhaltigkeit
auf einer globalen Agenda. Seit der Rio-Konferenz be-
deutet das:

Erstens. Die ökonomischen Rahmenbedingungen
müssen weiterentwickelt werden. Das geschieht im
WTO-Verhandlungsprozess und wird in einigen Mona-
ten – da bin ich sicher – bei der Ministerkonferenz in
Cancun auf der Tagesordnung sein.

Zweitens. Die ökologischen Notwendigkeiten im
Kontext dessen, was nicht nur wir Christen Schöpfungs-
verantwortung nennen, müssen international und global
berücksichtigt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. Es gilt, einen Gerechtigkeitsausgleich als so-
zialen Auftrag für all diejenigen, die gesellschaftliche
und politische Verantwortung tragen, als Auftrag zur So-
lidarität zu begreifen und entsprechend zu handeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund kann es bei den WTO-Ver-
handlungen nicht mehr vorwiegend um die Absiche-
rung des europäischen Landwirtschaftsmodells – so
steht es im Antrag der Union unter der Drucksachen-
nummer 15/534; so hat sie es sogar als Überschrift for-
muliert – gehen. Vielmehr muss darauf hingewirkt wer-
den, dass im Zuge einer Weiterentwicklung die
Maßnahmen im Rahmen der EU-Agrarreform WTO-
konform gemacht werden. Die Kollegin Waltraud Wolff
hat deutlich gemacht, wie das schon jetzt geschieht. Die
EU-Vereinbarungen helfen, dass es diejenigen, die für
uns auf der WTO-Ebene verhandeln, nun leichter ha-
ben.

Vor diesem Hintergrund und dem, was die Bundes-
regierung im Ernährungs- und agrarpolitischen Bericht
2003 in dieser Hinsicht feststellt, ist es wichtig, sich für
einen verbesserten Marktzugang auch für schon weiter-
entwickelte Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika
einzusetzen und das Problem der handelsverzerrenden
Exportsubventionen mit klaren quantitativen Vorgaben
und einer klaren Zielperspektive offensiv anzugehen.
Für die weitere Qualifizierung des Agrarbereichs im glo-
balen Kontext ist es natürlich wichtig, dass die Multi-
funktionalität der Landwirtschaft und damit die Maßnah-
men zur Förderung des Natur- und Landschaftsschutzes,
der Entwicklung ländlicher Räume, der Arbeitsplatz-
sicherung, des ländlichen Tourismus und regionaler
Wirtschaftskreisläufe als förderungswürdig im Rahmen
der Greenbox anerkannt werden.

All das unterstützt die Bundesregierung für die Wei-
terentwicklung der Regionen, in denen standortge-
rechte und nachhaltige Landwirtschaft nach wie vor ein
Standort- und Raumfaktor ist. Das bedeutet dann auch
mehr Sicherheit für die Entwicklung der Betriebe in
Deutschland und in Europa im nächsten Jahrzehnt. Wir
wollen aber auch, dass bei den Verhandlungen dafür
Sorge getragen wird, dass bestehende Präferenzen für
die ärmsten Entwicklungsländer sowie die AKP-Staaten
erhalten bleiben. Es muss Maßnahmen zum Schutz der
Landwirtschaft der ganz armen Länder geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Billigimporte von Nahrungsmitteln aus reichen Ländern
be- bzw. verhindern deren Entwicklung, die meistens
von Kleinbauern getragen wird. Im Blick haben wir na-
türlich auch die Instrumente der bilateralen und mul-
tilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Im Rah-
men der Umsetzung des Aktionsprogramms 2015 wird
– vorwiegend in der Verantwortung des BMZ – schon
viel Gutes getan.

Die Grundlagen sind gelegt. Die EU-Agrarreform
kommt voran, wenn auch anders, als es manche wollen.
Die EU-Erweiterung erschließt neue Märkte, auf denen
sich unsere Leistungsträger – der Kollege Goldmann hat
darauf schon hingewiesen – nicht nur aus dem Bereich
Agrar- und Ernährungswirtschaft gut platzieren können.
Der neue WTO-Rahmen wird neue Möglichkeiten schaf-
fen, auch wenn vieles erst im Laufe der Zeit zum Tragen
kommt. Natürlich gab und gibt es noch viele Ungerech-
tigkeiten, egoistische Verhandlungsstrategien und Son-
derwege, zum Beispiel der USA und einzelner Staaten
der so genannten Cairns-Gruppe. Auch bedeuten die un-
terschiedlichen Vorschriften und Standards, zum Bei-
spiel in Brasilien bei der Zuckerproduktion und in
Argentinien bei der Fleischproduktion, Wettbewerbsvor-
teile. Darüber muss man bei den Verhandlungen reden.
Das ist dann selbstverständlich Gegenstand der Verhand-
lungen.

Die Vorschläge, die wir in unseren Anträgen, insbe-
sondere in dem Antrag auf Drucksache 15/550, gemacht
haben, können dabei hilfreich sein im Sinne einer, wie
wir es genannt haben, nachhaltigen Agrarpolitik und ei-
nes gerechten Interessenausgleichs weltweit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505609300

Das Wort hat der bayerische Staatsminister für Land-

wirtschaft und Forsten, Josef Miller.






(A) (C)



(B) (D)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1505609400

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen des

Deutschen Bundestages! Die Frau Bundesministerin
streut Sand in die Augen und redet den Menschen an-
schließend nach dem Mund.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch nie lagen Anspruch und Wirklichkeit so weit aus-
einander. Das zeigt dieser Agrarbericht.

Der Strukturwandel hat sich beschleunigt und das Hö-
festerben hat mit 4,2 Prozent einen Spitzenwert erreicht,
wie es Jahrzehnte nicht mehr der Fall war.


(Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

Eine positive Entwicklung der Zahl der Betriebe gibt es
nur noch bei Betrieben über 100 Hektar LF. Die Frau
Bundesministerin redet den bäuerlichen Betrieben das
Wort, treibt aber in Wirklichkeit eine Politik für die
Großstruktur.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Rot-Grün gibt vor, den Tierschutz und den Umwelt-
schutz besonders ernst zu nehmen. Die rot-grün regier-
ten Länder bilden aber das Schlusslicht, wenn es um
Mittel für Agrarumweltmaßnahmen geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Einkommen in der Landwirtschaft fallen gegen-
über dem Vergleichslohn in der gewerblichen Wirtschaft
immer mehr zurück. Sinkende Gewinne, besonders in
Futterbaubetrieben und benachteiligten Gebieten, führen
dazu, dass dort das Land nicht mehr bewirtschaftet wird.
Wenn Sie mit Ihrer Politik so weitermachen, dann ist die
Gefahr groß, dass es dort, wo es landschaftlich am
schönsten ist, keine Bauern mehr gibt, die das Land pfle-
gen. Das ist die Wirklichkeit.

Das ist die Schreckensbilanz der Bundesregierung im
Agrarbereich. Das ist wahrlich eine Wende, aber eine
Wende, die allen schadet: den Bauern – das beweisen die
Zahlen –, den ländlichen Räumen, der Umwelt, den Tie-
ren und den Verbrauchern.

Nationale Alleingänge mit weit überzogenen Regle-
mentierungen verteuern die Produktion in Deutschland.
Die Frau Bundesministerin hat das Verbraucherverhal-
ten völlig falsch eingeschätzt. Die Bürgerinnen und Bür-
ger greifen im Gegensatz zu Ihren Ankündigungen zu-
nehmend zu Produkten, die unter wirtschaftlich
günstigeren, oft auch weit weniger kontrollierten Bedin-
gungen hergestellt werden, nämlich im Ausland. Noch
nie ist so viel bei den Discountern eingekauft worden,
wie es derzeit der Fall ist. Das spiegeln die Zahlen unbe-
streitbar wider.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Das von der Bundesregierung erklärte Ziel, eine ver-
braucher-, umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft zu
fördern, wird angesichts dieses Berichtes und der Reali-
tät zur Farce.
Es besteht wirklich kein Grund, über die Entscheidun-
gen zur gemeinsamen Agrarpolitik zu jubeln. Lesen Sie
nach, wie vor drei Jahren die Agenda 2000 als großes
Reformwerk bejubelt worden ist. Heute sind drei Jahre
vergangen und Sie sprechen von einer völlig neuen
Agrarpolitik. Also kann die letzte Reform wirklich nicht
gut gewesen sein. Die Halbwertszeit dieser Reform wird
auch nicht länger sein. Das sage ich Ihnen voraus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesministerin schmückt sich jetzt mit frem-

den Federn und sagt, sie habe Schlimmeres verhindert
und Großes erreicht. Vergleichen Sie doch unsere Situa-
tion mit der in Frankreich, Österreich, Portugal oder Ita-
lien: Wir liegen weit hinten. Die Bundesministerin hat
nichts erreicht, außer dem Durchbruch ihrer ideologi-
schen Vorstellungen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Es gehört schon Mut dazu, sich hier hinzustellen und zu
sagen: Wir haben doch die Garantiemengenregelung
durchgesetzt. Vor einem halben Jahr – das können Sie in
allen Fachblättern nachlesen – hat sich die Bundesminis-
terin massiv gegen die Beibehaltung der Garantiemen-
genregelung ausgesprochen.

Tatsache ist, dass die in der Agenda 2000 vorgesehe-
nen Interventionspreissenkungen um ein Jahr vorgezo-
gen werden, dass der Interventionspreis für Butter um
25 Prozent sinkt und dass eine drastische Reduzierung
der Interventionsmenge auf 30 Tonnen – also praktisch
auf null – vorgesehen ist, obwohl es in der Produktion
durchaus nicht nur um den Verkauf oder um Lagerhal-
tung, sondern auch um den Ausgleich jahreszeitlicher
Schwankungen geht.

Es ist schon ein besonderes Verständnis von Mathe-
matik, wenn man beschließt, den Grünlandgebieten et-
was wegzunehmen und dies nur zu 50 Prozent auszu-
gleichen, um dies anschließend als Stärkung der
Grünlandgebiete zu verkaufen. Jeder Mathematiklehrer
würde eine solche Rechnung mit einer Sechs benoten,
weil die einfachsten Grundrechenarten nicht beherrscht
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nichts verstanden!)


Das Grünlandprogramm, das Sie angemahnt haben,
wird in Bayern erfolgreich durchgeführt. Auch die Kul-
turlandschaftsprämie, die hier vorgeschlagen wurde, gibt
es bereits. Tatsache ist, dass zum Beispiel die bayeri-
schen Milchbauern 5 000 Euro ihres Gewinnes einbüßen
werden. Ein Preisrückgang um 1 Cent bedeutet Einbu-
ßen in Höhe von 70 Millionen für die bayerischen
Milchbauern. Das lässt sich für die Bundesrepublik
Deutschland entsprechend hochrechnen. Dabei findet
kein Ausgleich statt; es erfolgt vielmehr eine Umvertei-
lung.

Die Landwirtschaft wird von Brüssel gebeutelt. Die
deutsche Landwirtschaft hat am schlechtesten abge-
schnitten. An dieser Stelle wäre die Hilfe der Bundesre-
gierung gefordert. Was aber macht sie? Wer geglaubt






(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Josef Miller (Bayern)


hat, dem würde mit entsprechenden Hilfen Rechnung
getragen, der wird enttäuscht: Das Gegenteil ist der Fall.
In keinem Ressort sind so starke Kürzungen vorgesehen
wie im Agrarhaushalt: 7,4 Prozent!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unmöglich!)


Das ist der Stellenwert, den Sie der Landwirtschaft, der
Ernährung, dem Tierschutz und der Umwelt schließlich
beimessen.

Wen treffen die Kürzungen? Im sozialen Bereich sind
die kleinen und mittleren Betriebe am stärksten betrof-
fen. Allein in der landwirtschaftlichen Krankenversiche-
rung ist mit Beitragssteigerungen bis zu 40 Prozent zu
rechnen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch
daran, dass es in Ihrer Regierungszeit in der Alterskasse
schon zu Beitragssteigerungen um 100 Prozent gekom-
men ist. Welchem anderen Berufsstand in der Bundesre-
publik mutet man so etwas zu? Sie haben die Bauern ab-
geschrieben und meinen inzwischen, dass es auch ohne
die Bauern geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie planen darüber hinaus eine Kürzung der Agrar-

dieselrückvergütung. Während Ihrer Regierungszeit ist
der Steueranteil des Agrardieselpreises von 11 Cent um
15 Cent auf 26 Cent gestiegen. Damit liegen wir inner-
halb der Europäischen Union an der Spitze, gefolgt von
Italien mit 8 Cent. In Frankreich sind es nur 2,5 Cent, in
Belgien gar 0 Cent. Das bedeutet für die Landwirte eine
weitere Belastung in Höhe von 157 Millionen Euro pro
Jahr. Allein daraus ergibt sich für einen 40-Hektar-Be-
trieb ein Nachteil von 1 100 Euro pro Jahr gegenüber ei-
nem vergleichbaren französischen Betrieb.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Diese Agrarpolitik führt zur Vernichtung von Arbeits-

plätzen im ländlichen Raum. Sie führt dazu, dass die Be-
wirtschaftung in vielen Gebieten des ländlichen Raumes
auf Dauer voraussichtlich nicht mehr sichergestellt wer-
den kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das reicht Ihnen aber noch nicht. Sie ziehen die

Modulation vor und schwächen damit die Wettbewerbs-
fähigkeit unserer Landwirtschaft zusätzlich, indem Sie
mit einem ungeheuren Verwaltungsaufwand für nur zwei
Jahre eine nationale Modulation einführen, obwohl in-
zwischen feststeht, dass 2005 die Modulation auf
EU-Ebene eingeführt wird. Sie erschweren damit die Ar-
beit der Landwirtschaftsverwaltungen und erhöhen den
ohnehin nicht unbeträchtlichen Bürokratieaufwand für
die Landwirtschaft.

Kennen Sie denn die Stimmungen draußen im Lande
nicht? Spielt es keine Rolle, wie die Steuermittel ver-
wendet werden? Sie sollten nicht der Verwaltung, son-
dern den Bauern zugute kommen. Für Sie ist die Agrar-
politik ein Experimentierfeld geworden. Der Ausgang
bleibt ungewiss.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Tage war in den Zeitungen die interessante
Nachricht zu lesen, dass heuer Obst und Gemüse doppelt
so teuer wie im vergangenen Jahr seien.

Weiter hieß es, die Verbraucher könnten aber hoffen,
dass dann, wenn die Produkte aus heimischer Erzeugung
auf den Markt kämen, die Preise nach unten gingen. Das
Problem ist nur: Die heimische Erzeugung spielt in Ihren
Überlegungen überhaupt keine Rolle mehr. Das zeigt ge-
rade Ihr Umgang mit den Ökoprodukten, dem sensibels-
ten Bereich. Dort hat man die rechtlichen Anforderun-
gen in Deutschland auf das niedrige europäische Niveau
gesenkt, weil man in erster Linie – das haben Sie heute
bestätigt – auf Importe von vermeintlich billigeren Nah-
rungsmitteln aus dem Ausland setzt.

Die deutsche Landwirtschaft hat nicht nur die Auf-
gabe, Nahrungsmittel und Rohstoffe zu produzieren. Die
land- und forstwirtschaftlichen Betriebe pflegen auch
etwa 80 Prozent der Fläche unseres Landes. Die Land-
wirtschaft ist außerdem das wirtschaftliche Standbein in
den Dörfern und trägt entscheidend zur sozialen Stabili-
tät im ländlichen Raum bei. Sie ist deshalb nicht mit
der Landwirtschaft in anderen Ländern vergleichbar. Die
deutsche Landwirtschaft kann nicht länger neue Regle-
mentierungen, nationale Alleingänge und Belastungen
ertragen, die ihre Wettbewerbskraft gegenüber Landwirt-
schaften in anderen EU-Staaten entscheidend schwä-
chen. Die deutsche Landwirtschaft braucht vielmehr ver-
lässliche Rahmenbedingungen und Rückhalt in der
Gesellschaft.

Ich bitte Sie, unserem Gesetzesantrag zuzustimmen,
den wir im Bundesrat eingebracht haben, mit dem wir
erreichen wollen, dass die nationale Modulation zumin-
dest ausgesetzt wird. Die EU-Modulation wird dann das
ihrige tun. Ich bitte Sie, die Landwirtschaft als eine
wichtige Daseinsvorsorge für unsere Bevölkerung zu se-
hen. Sie ist es, die Lebensraum gestaltet und Lebensmit-
tel erzeugt und die damit einen ganz wesentlichen Ein-
fluss auf unsere Lebensqualität hat.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine sehr gute Rede für die Bauern! Respekt!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505609500

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wilhelm

Priesmeier, SPD-Fraktion.

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1505609600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-

ginnen und Kollegen! Ich kann Sie beruhigen: Die Stim-
mung ist durchaus nicht so schlecht, wie die eben vorge-
tragene Schulmeisterei und Schwarzmalerei vermuten
lassen. Ich war gerade am letzten Wochenende in Aus-
übung meines Berufs in einem landwirtschaftlichen Be-
trieb. Nach der Geburt hat es den traditionellen Schnaps
gegeben. Ich glaube, wenn man die ehrliche Auseinan-
dersetzung mit den Landwirten sucht, dann hat man auch
in der jetzigen Situation, die weiß Gott nicht einfach zu






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wilhelm Priesmeier

bewältigen ist, die Chance auf eine Agrarpolitik mit Zu-
kunft. Schwarzmalerei allein nutzt uns jedenfalls wenig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nach wie vielen Schnäpsen sind Sie darauf gekommen?)


Unter Tierärzten gibt es das alte Sprichwort: Wo man
impft, da lass dich nieder; denn Seuchen kehren immer
wieder.


(Heiterkeit)

Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass das auch
einen materiellen Hintergrund hat. Das gilt natürlich
auch für die Geflügelpest. Erfahrungen aus den Verei-
nigten Staaten und vor allen Dingen aus Italien zeigen,
dass die Seuchen in der Tat wiederkehren und dass sie
selbst mit Impfungen nicht in den Griff zu bekommen
sind.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die Maulund Klauenseuche gibt es in Niedersachsen schon lange nicht mehr!)


Vorbeugende Impfungen haben in beiden Ländern kei-
nen Erfolg gezeitigt. Der Grund dafür liegt auf der Hand:
Wir haben es zum Beispiel bei der Geflügelpest mit ei-
nem Erreger zu tun, der in über 100 Subtypen auftritt.
Niemand wird wohl in der Lage sein, für jeden Anwen-
dungs- und Einsatzfall einen adäquaten Markerimpf-
stoff zu entwickeln. Theoretisch ist das natürlich mög-
lich. Aber praktisch ist das nicht zu realisieren.

Deshalb ist der heutige Antrag der FDP „Impfen statt
Töten – Grundlage für den Einsatz von Markerimpfstof-
fen schaffen“ eigentlich unsinnig und fehl am Platz.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Forschungsauftrag!)


Bereits in der vergangenen Legislaturperiode gab es ei-
nen ähnlichen Antrag der FDP. Dort wurde unter dem Ti-
tel „Impfen statt Töten“ eine flächendeckende MKS-
Impfung verlangt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Auf diesem Gebiet hat sich eine Menge getan!)


– Sicherlich hat sich eine Menge getan, und zwar sowohl
auf der europäischen Ebene als auch bei den Initiativen
der Bundesregierung. Das konzediere ich Ihnen ja. Dass
sich aber damit der wesentliche Teil Ihres heutigen An-
trags bereits erledigt hat, sollten Sie wohl klar und ein-
deutig erkennen, Herr Kollege Goldmann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie als Tierarzt wissen doch ganz genau, dass Virus nicht
gleich Virus ist und dass eine Kuh nicht genauso wie ein
Huhn behandelt werden kann. Ein Huhn läuft – wie Sie –
auf zwei und eine Kuh auf vier Beinen; trotzdem gibt es
erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Bekämp-
fung von Seuchen bei diesen beiden Spezies.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eines möchte ich hier klarstellen: Die Notimpfung
hat bei der Bekämpfung von Schweinepest und Maul-
und-Klauenseuche durchaus ihre Berechtigung.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Siehste!)

Das zeigt sich natürlich auch ganz deutlich daran, dass
auf der Brüsseler Ebene die Impfstrategie geändert wor-
den ist. Mittlerweile gibt es eine Alternative zu den bis-
lang erfolgten exzessiven Massentötungen. Die Umset-
zung erfolgt konsequent. Die neue MKS-Richtlinie ist
dafür ein Beispiel. Für den Bereich Schweinepest wird
es in absehbarer Zukunft vermutlich eine ähnliche neue
Richtlinie geben, die uns zumindest der Sorge enthebt,
wieder solche Zustände zu erleben – Sie haben darüber
zu Recht geklagt –, wie sie in Großbritannien zuletzt zu
beobachten waren.

Es ist nicht damit getan, aus einem zwei Jahre alten
Antrag einfach bestimmte Passagen zu streichen, etwas
Neues hinzuzufügen, das Ganze mit ein bisschen Popu-
lismus zu versehen, alles sozusagen zweimal umzurüh-
ren und diesen Antrag dann erneut zu stellen. Darauf
kommt es hier weiß Gott nicht an.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das machen Sie erst beim Tierarzneimittelgesetz so!)


– Wenn man aus einem Antrag alles wegstreicht, was
nicht hineingehört und auch sachlich nicht richtig ist,
dann bleibt eines übrig: Impfen statt Töten. Das klingt
zwar nach aktivem Tierschutz, ist aber zumindest in mei-
nen Augen bloß eine hohle Phrase und blanker Populis-
mus.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das wollte Frau Höhn in Nordrhein-Westfalen!)


Diesen Populismus übertrifft die Union noch bei der
Auseinandersetzung über die Geflügelpest. Da wollte
man der Öffentlichkeit doch allenthalben weismachen,
dass man mit einem 10 Kilometer langen Cordon sani-
taire ein neues Instrument zur Bekämpfung von Tierseu-
chen erfunden hat. Das ist zweifellos nicht richtig, wie
uns die Erfahrungen gelehrt haben. Die Seuche wäre
durch die Anwendung einer solchen Maßnahme nicht
verhindert worden; dadurch wären vielmehr Hundertau-
sende von Tieren – an sich sinnlos – getötet worden;
denn die Seuche ist westlich von so einem potenziellen
Cordon sanitaire ausgebrochen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ich weiß nicht, ob die Union weitergehende Pläne in
Bezug auf Regelungen zur Bekämpfung von Tierseu-
chen in der Tasche hat. Wenn das der Fall ist, dann
möchte ich darum bitten, diese Pläne letztendlich an den
Realitäten und an den wissenschaftlichen Erkenntnissen
zu orientieren und Forderungen dieser Art nicht wieder
aufzustellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir holen sie dann aus der Tasche, wann wir es für es richtig halten!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wilhelm Priesmeier

Man kann die Idee eines Cordon sanitaire auch weiter-
entwickeln. Wenn dann irgendwann alle Tiere getötet
sind, ist auch das Problem der Seuche gelöst.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Gib uns noch einen Ratschlag!)


Wir Sozialdemokraten und die rot-grüne Koalition
haben einige andere Vorstellungen von praktischem
Tierschutz. Wir haben uns maßgeblich dafür eingesetzt,
dass der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz veran-
kert wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Und was hat es gebracht? – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nennen Sie einmal eine Erfolgsmeldung!)


Im Vorfeld – ich denke an das Jahr 2000 – haben Sie sich
dabei nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Das muss
man einmal deutlich sagen. Die rot-grüne Koalition ist
dabei – das ist klar und deutlich –, die geltenden Rechts-
vorschriften, insbesondere zur Tierhaltung, Stück für
Stück zu überprüfen und auf der Grundlage von wissen-
schaftlichen Erkenntnissen an die Erfordernisse anzu-
passen. Alles andere überlassen wir denjenigen, die mei-
nen, sie hätten davon Ahnung, obwohl das in
Wirklichkeit gar nicht der Fall ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, wie ernst es Ihnen mit dem Tierschutz
ist, zeigt im Augenblick die Auseinandersetzung über
die Schweinehaltungsverordnung.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Ihre Agrarpolitiker in den Bundesländern und auch Sie
selbst stellen regelmäßig Anträge, Standards, die älter
als 13 Jahre sind, im Verhältnis eins zu eins umzusetzen.
Das kann nicht Sinn einer zukunfts- und tierschutzorien-
tierten Politik sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was wollt ihr denn?)


Im Klartext heißt das nämlich: Ungefähr 0,65 Quadrat-
meter pro Zweizentnermastschwein. 0,65 Quadratmeter
sind vielleicht so viel wie das Kopfkissen von Peter
Harry, aber nicht mehr.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Damit kommst du nicht aus!)


Die in anderen Bundesländern, unter anderem in mei-
nem Heimatland Niedersachsen, geltenden gesetzlichen
Regelungen gehen, was die Flächenzumessung angeht,
zum Teil schon erheblich darüber hinaus.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt nicht!)

– Aber selbstverständlich! Sie gehen, was die Flächen-
zumessung betrifft, erheblich darüber hinaus.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: In keinem einzigen Punkt!)


Es ist nicht an der Zeit, wieder hinter das zurückzuge-
hen, was sich schon als Stand der Technik etabliert hat;
denn das hieße wirklich, den Tierschutz mit Füßen zu
treten. Es hat sich auch schon in Brüssel herumgespro-
chen, dass wir höhere Werte und eine Anhebung der
Standards brauchen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Dann müssen wir was machen! Wir sind auch dazu bereit!)


2005 wird es eine solche Anhebung geben. Dann werden
wir vielleicht noch einmal eine Diskussion um weitere
Anhebungen der Standards führen müssen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: 1 : 1 umsetzen!)


Wir werden unter Berücksichtigung der wirtschaftli-
chen Gegebenheiten dafür Sorge tragen – das ist meine
Politik und das ist die Politik der SPD-Arbeitsgruppe in
diesem Hause –, dass die Standards sukzessive erhöht
werden, dabei aber wirtschaftliche Nachteile weitestge-
hend beherrschbar gehalten werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das geht doch gar nicht!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505609700

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1505609800

Ja. – Im Zusammenhang mit der Anhörung, die in der

letzten Woche stattgefunden hat, möchte ich der Opposi-
tion ein Lob aussprechen. Ich möchte mich für die Ko-
operationsbereitschaft der Union und der FDP, auch be-
züglich des Tierarzneimittelgesetzes, noch einmal recht
herzlich bedanken.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Damit fangen wir erst an!)


Wir haben zusammen eine ganz gute Linie gefunden. In
dem Zusammenhang kann ich nur noch einmal an die
rechte Seite des Hauses appellieren.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505609900

Herr Kollege, Sie können nicht mehr lange appellie-

ren. Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1505610000

Ich hoffe, dass wir da zu einer gemeinsamen Lösung

kommen, die letztlich den Tieren, den beteiligten Land-
wirten, den Tierärzten und damit auch dem Tier- und
Verbraucherschutz dient.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505610100

Herr Kollege Priesmeier, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer

ersten Rede in diesem Hohen Hause sehr herzlich und
wünsche Ihnen alles Gute.


(Beifall)

Das Wort hat der Kollege Albert Deß, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1505610200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lieber Kollege Priesmeier, nach Ihrem Ausflug
in die Impfpolitik würde ich Ihnen raten: Lassen Sie
doch einen Impfstoff gegen rot-grüne Agrarpolitik ent-
wickeln. Mehr als 400 000 Portionen würden in
Deutschland schnellstens angefordert.

Der Ernährungs- und agrarpolitische Bericht 2003 be-
legt an vielen Stellen deutlich, dass seit dem Amtsantritt
einer ohne Sachkunde ins Amt gekommenen, dafür
umso stärker ideologisch fixierten Ministerin Künast
festgestellt werden muss: Die rot-grüne Bundesregie-
rung hat sich von einer Politik für die Bauern in unserem
Land verabschiedet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Wenn infolge dieser Agrarpolitik die Agrarproduktion
immer mehr aus Deutschland verlagert wird, dann er-
reicht man damit weniger Verbraucherschutz.

Frau Künast hat von Anfang an versucht, unsere Bau-
ern in die Ecke zu stellen und mit Kampfbegriffen wie
„Agrarfabriken“, „industrialisierte Landwirtschaft“,
„Massentierhaltung“, „Agrarwende“, „Klasse statt
Masse“ zu diffamieren. Ihr Trommeln für „Klasse statt
Masse in der deutschen Landwirtschaft“ unterstellt, dass
die Bauern in Deutschland keine hochwertigen und ge-
sunden Nahrungsmittel produzieren. Mit einer solchen
Diffamierung wird die Arbeit unserer Bauern und Bäue-
rinnen – sie sind gut ausgebildet und produzieren nach
guter fachlicher Praxis – in Misskredit gebracht. Richtig
muss es heißen – das habe ich schon oft gesagt –: Die
Masse unserer Nahrungsmittel ist klasse. – Die Frau Mi-
nisterin hätte nur das Bundesinstitut für gesundheitlichen
Verbraucherschutz und Veterinärmedizin befragen müs-
sen. Dort ist festgestellt worden, dass es bei 98,4 Prozent
der untersuchten Lebensmittel in Deutschland nicht die
geringsten Beanstandungen gegeben hat. Selbst bei den
restlichen 1,6 Prozent waren die Beanstandungen nicht
des Inhalts, dass eine Gesundheitsgefährdung besteht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Peter Bleser [CDU/CSU]: Das Gegenteil wird immer suggeriert!)


Da die Frau Künast immer von Massenproduktion
spricht, möchte ich hier einmal anmerken: Aus der Mas-
senproduktion der deutschen Autoindustrie zieht auch
niemand den dümmlichen Schluss, dass die deutschen
Autos nicht klasse Autos sind.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU] – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Bravo!)


Der Berichtsteil über die wirtschaftliche Lage der
Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr 2001/2002 umfasst
erstmals einen Zeitraum, den Frau Künast als Ministerin
voll und ganz zu verantworten hat. In dieser Periode hat
sich die wirtschaftliche und strukturelle Lage der deut-
schen Landwirtschaft in beängstigender Weise ver-
schlechtert. Dafür trägt Rot-Grün die Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Einkommen der deutschen Landwirte sind in diesem
Zeitraum um 6,6 Prozent zurückgegangen. Für das lau-
fende Wirtschaftsjahr 2002/2003 ist mit einem dramati-
schen Einkommensrückgang von bis zu 20 Prozent zu
rechnen. In einigen Gebieten – dafür kann die Frau Mi-
nisterin nichts – mit starken Trockenschäden wird der
Einkommensrückgang noch wesentlich gravierender
ausfallen. Frau Künast könnte sich aber doch in Brüssel
dafür einsetzen, dass die Bauern in den Trockengebieten
wenigstens den Futteraufwuchs auf den Stilllegungsflä-
chen nutzen dürfen, weil ihnen sonst die Futtergrundlage
entzogen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Matthias Weisheit [SPD]: Tut sie doch schon längst!)


– Dann hoffen wir auf ein schnelles Ergebnis, weil es zu
spät für die Betriebe wäre, wenn das Ergebnis erst im
Herbst käme.

Das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes, der Landwirt-
schaft eine Teilhabe an der allgemeinen Einkommens-
entwicklung zu ermöglichen, wurde laut Agrarbericht
deutlich verfehlt. Nach einer Veröffentlichung des Statis-
tischen Amtes der Europäischen Union betrug der Ein-
kommensrückgang je Arbeitskraft in Deutschland bezo-
gen auf das Kalenderjahr 2002 sogar 19,5 Prozent. Noch
schlimmer war die Situation nur noch in Dänemark. An-
gesichts solch einer negativen Einkommensentwicklung
kann sich Rot-Grün nicht mehr mit dem Marktgeschehen
herausreden. Vielmehr sind diese Ergebnisse größten-
teils den von Rot-Grün gesetzten politischen Rahmenbe-
dingungen zuzuschreiben. Die derzeitige Politik der rot-
grünen Bundesregierung setzt jedoch alles daran, dass
die Ziele des Landwirtschaftsgesetzes noch stärker ver-
fehlt werden.

Besonders betroffen macht die Tatsache, dass viele
Betriebe aufgrund des agrarpolitischen Kurses der rot-
grünen Bundesregierung rat- und mutlos in die Zukunft
schauen müssen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)

Das mindert auch die Investitionsbereitschaft der
Betriebe. Die Steigerung um 1,4 Prozent, die Sie,
Frau Kollegin Wolf, angesprochen haben, bezieht sich
auf eine ganz niedrige Basis. Im Jahr zuvor war die






(A) (C)



(B) (D)


Albert Deß

Investitionsbereitschaft der deutschen Landwirtschaft
auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten angelangt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht! – Zurufe von der SPD)


Aus dem Agrarbericht geht ganz deutlich hervor – Sie
müssten ihn dazu lesen, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen –, dass die bereinigte Quote der Eigenkapital-
bildung der Betriebe gegenüber dem Vorjahr um
40 Prozent zurückgegangen ist. Diese Zahl sagt alles
über den Erfolg der rot-grünen Agrarpolitik aus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist der Künast-Effekt!)


Hauptursache für die fehlenden Investitionen ist ein-
mal die Verunsicherung der Landwirte durch zahlreiche
nationale Alleingänge – sie wurden heute schon ange-
sprochen – sowie die Vernachlässigung deutscher Agrar-
interessen bei der EU-Agrarreform und den WTO-
Verhandlungen durch Rot-Grün. Die rot-grüne Bundes-
regierung hat in der EU auch im Agrarbereich durch
nationale Alleingänge einen deutschen Sonderweg be-
schritten und für unsere Landwirte große Wettbewerbs-
nachteile geschaffen. Statt die EU-Verordnungen eins zu
eins umzusetzen, werden den deutschen Bauern zusätz-
liche Lasten aufgebürdet und sie werden auf nationaler
Ebene benachteiligt.

Ein weiteres Beispiel für den investitionshemmenden
Kurs der rot-grünen Bundesregierung ist die beabsich-
tigte Novellierung des Baurechts. Ziel muss es sein,
dass auch weiterhin die bisherige Privilegierung der
Landwirtschaft im Außenbereich erhalten wird, sonst
kann dort nicht mehr gebaut werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die von Rot-Grün verursachte schlechte Einkom-

menslage würde laut Landwirtschaftsgesetz Maßnahmen
zur Einkommensverbesserung erfordern. Statt sich ge-
setzeskonform zu verhalten, will Rot-Grün den Agrar-
haushalt, der in den vergangenen Jahren bereits massive
Kürzungen verkraften musste, weiter stark kürzen und
hier – ganz unsozial – die Beiträge zu den Krankenversi-
cherungen in einem Ausmaß erhöhen, das schlichtweg
unverantwortlich ist. Ich frage mich, wo da das soziale
Gewissen der Sozialdemokraten bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die düstere Stimmung in der deutschen Landwirt-

schaft kann auch der von Frau Künast gepriesene Agrar-
kompromiss von letzter Woche nicht aufhellen. Ganz
im Gegenteil: Wenn das Luxemburger Ergebnis in Teilen
der veröffentlichten Meinungen positiv beurteilt wird,
meine sehr geehrten Damen und Herren, liegt das daran,
dass die Propagandakunst von Frau Künast bei weitem
ihre Kunst, sich bei Verhandlungen für deutsche Interes-
sen einzusetzen, übertrifft.


(Zuruf von der SPD: Bierzeltargumente!)

Wie man die Interessen seines eigenen Landes und
seiner Bauern erfolgreich vertritt, hat wieder einmal
Frankreich gezeigt. Der französische Landwirtschafts-
minister konnte seine Interessen durchsetzen. Er hat ver-
hindert, dass eine Getreidepreissenkung beschlossen
wurde. Außerdem hat er eine Totalentkoppelung der Di-
rektzahlungen verhindert. Ich sage Ihnen, warum er das
getan hat – darüber wurde bisher überhaupt noch nicht
diskutiert –: Frankreich wird nicht entkoppeln, damit die
Produktion zu 100 Prozent erhalten bleibt. Deutschland
wird, soweit das möglich ist – ich gehe davon aus, dass
Rot-Grün entsprechende Vorschläge machen wird –, ent-
koppeln. Deutschland wird dadurch massiv Marktanteile
verlieren, weil die deutschen Landwirte – insbesondere
in schlechten Lagen – zu einem großen Teil nicht mehr
in der Lage sein werden, zu diesen Bedingungen zu pro-
duzieren.

Inwiefern hat Frau Künast die Interessen der deutschen
Milcherzeuger vertreten? Mir liegt ein Presseartikel aus
Niederbayern vor. Ich kenne den Landwirt, der in diesem
Artikel die Auswirkungen der Maßnahmen auf seinen
Betrieb berechnet hat: Er hat in einen Milchkuhstall in-
vestiert, der eine Jahresproduktion von 400 000 Kilo
Milch ermöglicht. Er hat berechnet, dass ihm aufgrund
dieser Beschlüsse am Jahresende 14 200 Euro weniger
Milchgeld übrig bleiben.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Fast 30 000 Mark! – Peter Bleser [CDU/CSU]: Genau! Das ist die Wahrheit!)


In dem Artikel heißt es weiter:
Beim Verlassen der Stube schüttelt er den Kopf:
„Und woanders streiken sie wegen drei Stunden
mehr Freizeit.“

Daran sieht man, was unseren Bauern zugemutet
wird. Dieser Landwirt hat 15 000 Euro weniger Einkom-
men in der Tasche. Wenn seine Familie ein Jahresein-
kommen von 30 000 Euro brutto hat, bedeutet das einen
Einkommensverlust in Höhe von 50 Prozent. Und das
stellt man noch als großen Erfolg dar!

Man sagt – das bedrückt mich besonders –, dass mit
diesen Beschlüssen die Voraussetzungen für die im
Herbst stattfindenden WTO-Verhandlungen geschaffen
wurden. Wir haben bereits 1999, bei den Debatten über
die Agenda 2000, vom Bundeskanzler und vom damali-
gen Minister Funke gehört, dass mit dieser Agenda die
Voraussetzungen für die WTO-Verhandlungen geschaf-
fen worden seien. Warum muss man diese jetzt erneut
schaffen?


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das steht doch in Ihrem Antrag! Lesen Sie den doch einfach einmal!)


Die Begründung, dass jetzt die Voraussetzungen für
die WTO-Verhandlungen geschaffen worden seien, wird
sehr schnell ad absurdum geführt werden. Nach den im
Herbst stattfindenden WTO-Verhandlungen werden wir
sehr schnell – Peter Bleser hat das schon angesprochen –
über neue Einschnitte bei der Landwirtschaft diskutie-
ren.






(A) (C)



(B) (D)


Albert Deß

Frau Präsidentin, ich will meine Redezeit nicht über-

schreiten. Ich habe aber noch einen Vorschlag für die
Frau Ministerin – sie hat uns leider schon verlassen –:
Damit die Öffentlichkeit weniger getäuscht wird, wäre
es besser, wenn Frau Künast ihre Amtsbezeichnung
schnellstens in Bundesministerin für Verbrauchertäu-
schung, Bauernverunsicherung und Arbeitsplatzvernich-
tung ändern würde. Das würde ihre Arbeit treffender be-
schreiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben wir von Herrn Deß anderes zu erwarten?)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505610300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken,

Bündnis 90/Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505610400

Frau Präsidentin! Man muss schon sagen, die CDU/

CSU hat den absoluten Tunnelblick.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Was haben wir?)


An Ihren Ausführungen sieht man sehr deutlich, dass die
Isolation der Agrarpolitiker in der CDU/CSU ganz be-
sonders groß ist.

Die Luxemburger Beschlüsse bedeuten einen Sys-
temwechsel, zu dem es keine Alternative gab. Wer
glaubt, wir hätten auf diese Reformschritte verzichten
können, der lebt in einer anderen Welt:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit diesen Beschlüssen wurde die Finanzierbarkeit
der weiteren Entwicklung der EU gewährleistet, wurden
die Voraussetzungen für die Osterweiterung der EU ge-
schaffen und wurde der Weg für die WTO-Verhandlun-
gen frei gemacht. Auch die CDU/CSU hat verfolgen
können, dass es vonseiten der Außen- und der Wirt-
schaftspolitik einigen Druck gegeben hat.

Die Akzeptanz der Agrarpolitik wird deutlich größer.
Das können Sie an der Presseresonanz, insbesondere bei
den Berichten, die sich mit der Bewertung der Reformen
befassen, erkennen.

Es gibt tatsächlich mehr Unterstützung für ländliche
Räume. Der Umweltschutz, der Tierschutz und die Kul-
turlandschaftspflege werden gestärkt. Der Weg hin zu
mehr Marktorientierung – das scheint Ihnen am schwers-
ten zu fallen – wird beschritten. Herr Goldmann hat auf
die Widersprüchlichkeit in Ihren Äußerungen schon hin-
gewiesen: Auf der einen Seite ist Ihr Antrag, bezogen
auf die WTO, absolut liberalistisch; auf der anderen
Seite propagieren Sie im Grunde eine massive Staats-
orientierung. Wir alle wissen inzwischen, dass dieser
Weg nicht mehr gangbar ist. Auch Sie wissen ganz ge-
nau, dass die Subventionen an den Bauern vorbeigegan-
gen sind. Die Gelder der EU wurden an die verarbei-
tende Industrie und an den Handel durchgereicht.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Da hat Herr Thalheim eine völlig andere Antwort gegeben!)


Die Wirtschaft ist dafür verantwortlich, diese Probleme
zu lösen und dafür zu sorgen, dass sich im Wege der
Marktorientierung vernünftige Erzeugerpreise entwi-
ckeln können. Dafür sind auch die Geschäftsführer in
den großen Molkereien verantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Agrarbericht macht ganz deutlich, wie diese un-
befriedigende Situation entstanden ist. Deswegen gibt es
auch die Reformen, die zum Teil schon im Jahr 2000
verabredet worden sind. Der Ministerin gebührt Dank;
denn es ist ein großer Vermittlungserfolg, dass die Be-
schlüsse zustande kommen konnten. Ohne die deutsch-
französische Absprache wäre dies nicht möglich gewe-
sen.

Natürlich sind im Reformpaket schwierige Elemente
enthalten. Diese Elemente ergeben sich immer, wenn es
zum Schluss eine Art Teppichhandel gibt. Die mit der
Kopplung verbundene Bürokratie im Milchbereich ist
zwar nicht in unserem Sinne. Aber man muss sagen, dass
die Probleme im Milchbereich ihren Ursprung in frühe-
ren Beschlüssen und Marktentwicklungen haben. Wenn
die deutsche Milchwirtschaft heute 104 Prozent über
dem Bedarf produziert, dann ist klar, dass es keine ver-
nünftige Erzeugerpreisentwicklung geben kann. Hätten
wir damals unter Minister Funke unsere Vorstellungen
zum Lieferrecht realisieren können, dann hätten wir
heute andere Verhandlungsgrundlagen und andere Mög-
lichkeiten für eine Reduzierung der Menge.

Es gibt in den Reformbeschlüssen sehr wichtige Ele-
mente, die in ihrer Wirkung auf die zukünftige Entwick-
lung beurteilt werden müssen. Dazu zählt auch das ein-
heitliche Vorgehen der Länder. Wir brauchen keine
Wettbewerbsverzerrung zwischen den Bundesländern.
Wir möchten die heutigen Ungleichgewichte zwischen
Ackerbau und Grünland beseitigen sowie eine Stärkung
der Viehwirtschaft erreichen. Wir möchten möglichst
unbürokratische Ansätze aus den Vorgaben entwickeln
und die Probleme im Milchbereich lösen. Wir möchten
außerdem die Probleme im Bereich der Schafhaltung
und der Ziegenhaltung lösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Position der Landwirtschaft am Markt muss
gestärkt werden. Es gibt daher große Gemeinsamkeiten
zwischen dem Bauernverband, der Arbeitsgemeinschaft
bäuerliche Landwirtschaft und den Grünen. Es gibt auch
Differenzen und Kritikpunkte, die wir klar benennen. Es
ist aber falsch, dass Peter Bleser von „Feind“ und von
„Ideologie“ spricht. Ganz im Gegenteil: Wir instrumen-
talisieren die Bauern nicht, was besonders im
Wahlkampf – ich sage das an die Adresse von Herrn






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken

Miller – geschieht. Wir möchten, dass es zu einer ver-
nünftigen Entwicklung kommt.

Ich komme zum Schluss. Der heute schon im Rahmen
der steuerpolitischen Debatte angesprochene Dreiklang,
nämlich Strukturreformen, Vorziehen der Steuerreform
und Haushaltskonsolidierung, wird unserer Volkswirt-
schaft insgesamt zugute kommen. Die Landwirtschaft
wird ihren Beitrag leisten müssen. Sie von der CDU/
CSU und von der FDP fordern einen massiven Subven-
tionsabbau. Wir möchten natürlich, dass dieser Subven-
tionsabbau für die Landwirtschaft gerecht ausgeht. Wir
werden uns in den Beratungen damit auseinander setzen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505610500

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Matthias Weisheit, SPD-Fraktion.


Matthias Weisheit (SPD):
Rede ID: ID1505610600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vorhin geriet ich in Gefahr, bei der Rede von Peter
Bleser Beifall zu klatschen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur kurz!)


Das hatte aber nichts mit dem Inhalt seiner Rede zu tun.
Es war vielmehr so, dass ich mir gestern Abend überlegt
habe, was uns der Kollege heute erzählt. Meine Vermu-
tung ist eingetroffen. Es war nämlich fast dieselbe Rede
wie die nach der Verabschiedung der Agenda 2000. Es
war inhaltlich der enge Schulterschluss mit dem, was der
Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Sonnleitner,
auf dem Bauerntag verkündet hat.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ist es denn falsch?)


Was Sie sagen, ist natürlich Humbug. Wenn hier be-
hauptet wird, es werde keine Politik für die Bauern ge-
macht, möchte ich zu bedenken geben, dass die Fehler,
mit denen wir heute in der europäischen Agrarpolitik zu
kämpfen haben, vor 20 Jahren gemacht worden sind, als
die Überschüsse auftauchten und kein Mensch den Mut
hatte, zu sagen: Hier muss es eine Marktorientierung ge-
ben und an dieser Stelle ist Schluss. Es war falsch, dass
immer weiter gezahlt wurde und dass der Staat die Pro-
dukte, die nicht zu verkaufen waren, aufkaufte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Agrarreform 1984!)


– Die waren alle nicht mutig genug. Das gilt im Endef-
fekt auch für die Reform von 1990.


(Albert Deß [CDU/CSU]: 1984 ist die Milchquote beschlossen worden, Matthias!)

– Die Milchquote hat zwar eine Zeit lang geholfen. Aber
es ist heute schon einmal klargestellt worden, dass Men-
genbegrenzungs- und Abschottungsstrategien in einer
offenen Welt nichts bringen. Heute haben wir die neuen
Beitrittsländer begrüßt – –


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wenn das so ist, dann nehmt doch die Milchquote weg!)


– Peter Harry, reg dich nicht auf, bleib ganz ruhig!

(Albert Deß [CDU/CSU]: Aber Abschotten am Arbeitsmarkt, das schon!)

– Nein, hör doch auf! Diese Diskussion müssen wir noch
einmal intensiver führen. Die Fehler liegen in der Ver-
gangenheit.

Jetzt sind mutige Schritte notwendig. Ein sehr muti-
ger Schritt ist in Luxemburg gemacht worden. Herr
Staatsminister Miller aus dem Nachbarwahlkreis in
Memmingen, der hier erklärt hat, Frau Künast streue
Sand in die Augen, liegt damit etwas auf dem Niveau
des Bauernverbandspräsidenten, der sagte, Frau Künast
und Franz Fischler seien Märchenerzähler. An dieser
Stelle ist zu fragen, wer in Wirklichkeit die Märchen er-
zählt. Das sind doch diejenigen, die so tun, als könne
man in Zukunft weitermachen wie bisher und dieses fal-
sche System erhalten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)

Frau Künast und Herr Fischler und schon vorher auch

Karl-Heinz Funke haben nie einen Zweifel daran gelas-
sen, in welche Richtung es gehen muss. Ihr wesentliches
Ziel war und ist Marktorientierung, also die Landwirt-
schaft marktfähig zu machen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Dann müsst ihr für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen!)


– Gemach, gemach!
Wenn ich Zwischentöne höre, aus denen hervorgeht,

dass alle Lebensmittelprodukte, die aus dem Ausland
kommen, von vornherein von schlechterer Qualität als
unsere seien, dann wird es natürlich ganz schlimm. Dass
die Produktionsstandards in den einzelnen Staaten unter-
schiedlich sind, lässt sich nicht verhindern. Das gibt es
übrigens bei allen Produkten; ich denke hier etwa an Au-
tos. Auch die Umweltstandards sind wenn nicht in jedem
Betrieb, so in jedem Land andere. Deswegen sind ja
auch manche, die ausgewandert sind, wieder zurückge-
kommen.

Bei der Diskussion, die ich vom Bauerntag mitbe-
kommen habe, gab es einen Lichtblick: In Zukunft muss
man sich mit der aufnehmenden Hand mit denen anle-
gen, die Handel betreiben, den Discountern, dem Le-
bensmitteleinzelhandel und den Milchaufkäufern. Die
Interessenvertreter des Bauernverbandes sollten sich mit
ihnen auseinander setzen – das ist der richtige Weg –,
anstatt dauernd auf die Politik einzuschlagen und von ihr
zu erwarten, dass sie das regelt, was in der Wirtschaft
geregelt werden muss.






(A) (C)



(B) (D)


Matthias Weisheit

Wir unterscheiden uns hier in der Grundtendenz mas-

siv: Sie wollen, dass alles über den Staat zu regeln und
vom Staat zu leisten sei.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Genau das wollen wir nicht!)


– Doch, ihr möchtet immer oben draufpacken und wollt,
dass der Staat das regelt, was in der Wirtschaft von den
Bauern selbst geregelt werden muss. Das kann auf Dauer
nicht vom Staat geregelt werden. Diese Ideen von einer
Planwirtschaft in der Landwirtschaft solltet ihr euch end-
lich abschminken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es bleibt noch eine Aussage zu den notwendigen
Kürzungen im Agrarbereich, die im kommenden
Haushalt anstehen, übrig: Es gibt für die Landwirtschaft
kein Grundrecht auf verbilligten Diesel; das sollte klar
sein. Darüber wird man sprechen müssen. Wenn ich
Subventionen abbauen will, dann gehört auch dieser
Punkt dazu.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Aber dann müsst ihr europaweite Regelungen durchsetzen! Alles andere ist Wettbewerbsverzerrung!)


– Europaweite Regelungen durchzusetzen habt schon ihr
nicht geschafft. Für uns ist es genauso schwierig, solche
Regelungen zu schaffen.

Ihr habt eben – das ist ganz einfach – Geld ausgege-
ben, das nicht vorhanden war,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


um das auszugleichen, was ihr auf europäischer Ebene
nicht hinbekommen habt. So kann man angesichts der
derzeitigen Situation nicht mehr arbeiten, vielleicht un-
ter anderem deshalb, weil damals zu viel Geld ausgege-
ben worden ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505610700

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/405 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 15/1325 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 15/1324, über den wir nach interfraktionel-
ler Vereinbarung heute abstimmen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Den wollen sie nicht im Ausschuss haben!)

Wer stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
der FDP zur Aufhebung des Gesetzes zur Modulation
von Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen
Agrarpolitik und zur Änderung des GAK-Gesetzes
auf Drucksache 15/754. Der Ausschuss für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/1158, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes zur Aufhebung des Modulationsgesetzes und zur Än-
derung des GAK-Gesetzes auf Drucksache 15/948. Der
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 15/1158, den Gesetzentwurf ab-
zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit demselben Stimmenverhältnis wie
zuvor abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft auf Drucksache 15/1025. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrages der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/462 mit
dem Titel „EU-Agrarreform mutig angehen und ausge-
wogen gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/422 mit dem Titel „Mit der Reform der gemeinsamen
Agrarpolitik die Landwirtschaft und die ländlichen
Räume in der EU stärken“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei
Enthaltung der FDP angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1025 die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/435 mit dem Titel „Marktwirtschaft-
liches Modell einer flächengebundenen Kulturland-
schaftsprämie verwirklichen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Koalition gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung
der CDU/CSU angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Druck-
sache 15/1133: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-
ner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrages
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 15/550 mit dem Titel „Für eine
nachhhaltige Agrarpolitik und einen gerechten Interes-
senausgleich bei den laufenden WTO-Verhandlungen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/534 mit dem Titel „WTO-Verhandlungen
– Europäisches Landwirtschaftsmodell absichern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/1232 und 15/1004 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Maria
Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Antje Blumenthal,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Achten Buches

(Drittes SGB VIII-Änderungsgesetz – 3. SGB VIII-ÄndG)

– Drucksache 15/1114 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die der Aus-
sprache nicht folgen wollen oder können, den Saal zu
verlassen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Andreas Scheuer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1505610800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Eines gleich vorweg: Man muss klar feststellen,
dass sich das Kinder- und Jugendhilfegesetz vom
1. Januar 1991 über all die Jahre grundsätzlich bewährt
hat. Jetzt geht es darum, die einzelnen Bereiche auf
Wirksamkeit und nach einer Kosten-Nutzen-Analyse zu
überprüfen. Im Übrigen ist dieser Vorgang in der freien
Wirtschaft selbstverständlich.

Ich will den weiteren Beratungen nicht vorgreifen.
Man soll ja nie das Hoffen aufgeben, dass die Koaliti-
onsparteien bei einem Unionsgesetzentwurf mitmachen.
Aber wenn nicht, dann stellt sich die Frage, meine Da-
men und Herren von Rot-Grün, nach Ihrer grundsätz-
lichen Fähigkeit, notwendige Veränderungen vorzuneh-
men. Wenn Sie hier nicht mitmachen, dann haben Sie
weiter Glaubwürdigkeit im Hinblick auf Korrekturen in
unserem System verloren.

Wie oft haben wir von der Opposition in diesem Ho-
hen Haus schon Anträge zur Verbesserung der kom-
munalen Finanzsituation eingebracht! Ihnen war das
immer egal. Wir von der Union sehen bei unserer Politik
über den Tellerrand des Bundestages hinaus, weil es
ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept und eine Verzah-
nung der verschiedenen Ebenen keine in sich schlüssige
Politik in unserem Lande gibt. Wie einige von Ihnen,
meine Damen und Herren von Rot-Grün, den Spagat
zwischen einem Mandat in einem Kommunalparlament
vor Ort und Ihrer kommunalfeindlichen Politik hier im
Deutschen Bundestag hinbekommen, das müssen Sie
mir noch einmal erklären.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Steuervergünstigungsabbaugesetz!)


Eines ist aber ganz klar: Dieser Gesetzentwurf ist kein
Kahlschlag in der Jugendhilfe. Es muss doch erlaubt
sein, Regelungen auf den Prüfstand zu stellen und bei
Fehlentwicklungen aus den Praxiserfahrungen heraus
Korrekturen vorzunehmen. Unser aller Wille muss doch
sein, Mitnahmeeffekte, Missbrauchsfälle und Ungerech-
tigkeiten zu vermeiden oder auszuschalten.

Uns geht es um eine gerechte und nachhaltige Kinder-
und Jugendhilfe für die Menschen, die sie wirklich brau-
chen. Wenn Sie gegen diesen Gesetzentwurf sind, dann
haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,
offenbar keinen Kontakt mehr zur kommunalen Basis.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegenteil dürfte der Fall sein!)


Reden Sie doch einmal mit den Jugendämtern vor Ort,
den Bürgermeistern und Landräten! Sie werden schnell
über Fälle in Kenntnis gesetzt, über die man nur den
Kopf schütteln kann und die draußen im Land keiner
mehr versteht.

Eine Bitte für die Beratungen: Kommen Sie nicht mit
einer hoch emotionalisierten Sozialromantik und einer
absichtlichen Nichtbeachtung der Fakten und der Praxis!
Argumentieren Sie bitte nicht nur mit Ihrer Kritik an der
Kostendämpfung, sondern lassen Sie uns über die Ziel-
richtung und den Zweck einer gerechten und nachhal-
tigen Leistungsgewährung streiten.

Wir wollen zudem bürokratische Hemmnisse ab-
bauen, Länderkompetenzen stärken und zurückholen






(A) (C)



(B)


Andreas Scheuer

und durch Deregulierung auf diesem Gebiet eine Opti-
mierung erreichen. Klar ist, meine Damen und Herren
von der Koalition, dass Sie als Zentralismusfans sich
hier immer etwas schwer tun. Das wissen wir. Aber jetzt
wäre die Zeit, einmal über den Schatten zu springen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte auf drei Regelungen in unserem Gesetz-

entwurf eingehen, erstens auf die Änderung des § 10.
Mit unserem Vorschlag werden die Zuständigkeitsstrei-
tigkeiten und Vollzugsprobleme zwischen der Jugend-
und der Sozialhilfe entfallen. Durch die Neufassung der
Vorschrift wird erreicht, dass für die seelisch behinder-
ten oder von einer solchen Behinderung bedrohten jun-
gen Volljährigen vorrangig die Träger der Sozialhilfe,
nicht die der Jugendhilfe zuständig sind. Gerade bei die-
ser Zielgruppe ist es zum Teil besonders schwierig, eine
klare Trennlinie zwischen erzieherischem Bedarf und
Rehabilitation zu ziehen. Während die körperliche Be-
hinderung klassifiziert ist, gibt es für den Begriff der
seelischen Behinderung keine rechtliche Definition,
sondern nur einen Katalog von Beispielfällen. Durch
diese Neuregelung gäbe es mehr Klarheit und mehr Ver-
einfachung, weil das Drohen einer seelischen Behinde-
rung erstmals definiert ist. Jetzt gibt es trotz fachärztli-
cher Gutachten Unklarheiten, sodass letztlich
Verwaltungsgerichte entscheiden müssen.

Zweitens: § 35 a. Es gibt neben der enormen Kosten-
steigerung für die Kommunen in den letzten Jahren deut-
liche Mitnahmeeffekte sowie erhebliche Auslegungspro-
bleme aufgrund der ausgedehnten und unbestimmten
Reichweite des Leistungstatbestandes nach § 35 a. Der
Leistungstatbestand würde enger und klarer gefasst wer-
den. Die ausgeuferten Hilfen zum Beispiel bei Lese- und
Rechtschreibschwäche oder auch bei Rechenschwäche
werden eingeschränkt. Meine Damen und Herren von
Rot-Grün, es gibt hier eine klar bessere Möglichkeit,
junge Menschen mit solchen Schwächen zu fördern,
nämlich eine gute Schulpolitik. Das müssen Sie nur Ih-
ren zuständigen Länderministern erklären. Dass unions-
geführte Länder bei PISA besser abgeschnitten haben,
brauche ich hier nicht zu vertiefen; das wissen Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Neufassung hat zur Folge, dass a) die wesentlich

seelische Behinderung zum Rechtsanspruch auf Einglie-
derungshilfe führt und dass b) ein einheitliches Recht für
alle jungen Menschen mit Behinderungen entsprechend
der Intention des SGB VIII geschaffen wird. Ziel ist eine
Gleichbehandlung und mehr Gerechtigkeit; deshalb
von unserer Seite der Vorschlag für eine Neuregelung.

Drittens: § 41. Junge Volljährige können bis zum
Ende des 27. Lebensjahres erstmals Jugendhilfeleistun-
gen in Anspruch nehmen. Dies sollte die Ausnahme sein,
jedoch hat es sich in der Praxis zum Regelfall entwi-
ckelt. Durch die Neuregelung schaffen wir eine saubere
Abgrenzung, es werden Zuständigkeiten geklärt und
Reibungsverluste durch den hohen Verwaltungsaufwand
sowie Mitnahmeeffekte vermieden. Durch die Neufas-
sung wird erreicht, dass bei jungen Volljährigen nur be-
gonnene Jugendhilfemaßnahmen fortgesetzt und die
Leistungen der Jugendhilfe spätestens mit Vollendung
des 21. Lebensjahres beendet werden. Notwendige Hilfe
zur Selbsthilfe kann jungen Volljährigen effektiver durch
moderne und qualifizierte Ansätze der Sozialhilfe, Woh-
nungsvermittlung oder Schuldnerberatung angeboten
werden.

Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem
Entwurf unter anderem eine praxisnahe Ausgestaltung
der Regelung des Datenschutzes, eine Optimierung der
Jugendhilfeplanung und eine Rückholung von Länder-
kompetenzen bei Struktur- und Organisationsfragen
durchsetzen. Diese Analyse des SGB VIII ist nach rund
einem Jahrzehnt erforderlich und notwendig. Die Kor-
rekturen müssen aus unserer Sicht unbedingt gemacht
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der heutige Plenartag

wurde mit einer Regierungserklärung des Bundeskanz-
lers eröffnet. Die Ankündigungen der letzten Tage und
Wochen bedeuten, dass endlich auch in den Reihen von
SPD und Grünen ein Hauch von Bewegung zu verspüren
ist. Es ist festzustellen: Die Bewegung ist noch sehr dif-
fus und Sie wissen nicht, in welche Richtung Sie laufen
müssen. Sie scheuen sich selbst beim Reförmchenpaket
Agenda 2010, das ja den Namen deshalb hat, weil diese
Agenda spätestens am 20. 10. dieses Jahres schon wie-
der veraltet sein wird. Sie bringen diese Agenda 2010
nicht einmal ins Parlament ein, weil Sie sich der eigenen
Mehrheiten in diesem Hohen Haus nicht sicher sind.

Ihre Kommissionsstrategie verpufft auch bei der Ge-
meindefinanzreform.


(Zuruf von der SPD: Thema!)

Sie wollen ganz einfach nicht kapieren, dass die Kom-
munen für Investitionen die Luft zum Atmen und für
kommunale Entscheidungen Planungssicherheit brau-
chen.


(Widerspruch des Abg. Anton Schaaf [SPD])

In Sachen aktuelle Steuerreform haben Sie in Zukunft

auch nicht gerade Wohltaten für die Kommunen zu ver-
teilen, Herr Kollege Schaaf. Jetzt rächt es sich, dass sich
die Gemeindefinanzreform so lange hinzieht und dass
Sie hier völlig verpennt haben.

Sie machen Politik nach dem Motto: Wasch mir den
Pelz, aber mach mich nicht nass. So werden Sie sich
nicht durchschlängeln können. Jetzt gilt es, Entscheidun-
gen zu treffen. Der vorliegende Entwurf ist ein Beispiel
von vielen, bei denen Sie sich bewegen müssen.
Deutschland muss sich bewegen.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNISS 90/DIE GRÜNEN]: Aber in die entgegengesetzte Richtung!)


Wir von der Opposition geben Ihnen Orientierung; denn
diese haben Sie dringend nötig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abge ordneten der SPD)


(D)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505610900

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin

Christel Riemann-Hanewinckel.

Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Mit dem Achten Buch Sozi-
algesetzbuch hat die Kinder- und Jugendhilfe im ver-
einten Deutschland Ende 1990/Anfang 1991 eine neue
Rechtsgrundlage erhalten. Das vorrangige Ziel dieses
Gesetzes war und ist die Stärkung der elterlichen Erzie-
hungskompetenz als zentraler Voraussetzung für die Ein-
lösung des Rechtes eines jeden Kindes und Jugendlichen
auf Erziehung und Entwicklung zu einer eigenverant-
wortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In den 13 Jahren der Geltung dieses Gesetzes ist es

mehrfach verbessert worden. Ich erinnere hier nur an die
Einführung des Rechtsanspruches auf einen Kindergar-
tenplatz zum 1. Januar 1996 und an die Verbesserung der
Beratungsangebote der Jugendhilfe im Zusammenhang
mit der Kindschaftsrechtsreform zum 1. Juli 1998.

Dieses Gesetz hat sich in seinen Zielsetzungen be-
währt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darin sind sich die Bundesregierung, die fachliche Pra-
xis und der Bundesrat einig. Wir haben damit die Verant-
wortung, die bewährte Zielsetzung dieses Gesetzes auch
in Zukunft im Auge zu behalten. Ich hoffe, Herr Kollege
Scheuer, dass wir vorrangig eine Sachdebatte führen
werden, die den Kindern und Jugendlichen dient.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wir schon!)


Die Änderungsvorschläge, die der Bundesrat bzw. die
CDU/CSU-Fraktion zum SGB VIII unterbreiten, sollen
vor allem die Kostenentwicklung in der Kinder- und Ju-
gendhilfe stoppen. In der Tat sind die öffentlichen Aus-
gaben für die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland
von 14,3 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf 19,2 Milliar-
den Euro im Jahr 2001 angestiegen.

Ein genauerer Blick in die Statistik zeigt, dass es im
Wesentlichen zwei Aufgabenfelder sind, die zu dieser
Steigerung geführt haben. Zum einen ist es die Umset-
zung des Rechtsanspruches auf einen Kindergarten-
platz. Die Aufwendungen für diesen Bereich sind in den
alten Bundesländern in diesem Zeitraum um fast
3 Milliarden Euro gestiegen, während sie in den neuen
Bundesländern aufgrund der demographischen Entwick-
lung um 1 Milliarde Euro gesunken sind. Diese Ausga-
ben beruhen auf einem klaren Gesetzesauftrag des Deutschen
Bundestages im Zusammenhang mit der Neuordnung
des § 218 und damit dem Schutz des ungeborenen Le-
bens. Eltern sollen bessere Möglichkeiten haben, ihre El-
ternschaft und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinba-
ren.

Die anderen Aufgaben, die im Wesentlichen für die
Kostenentwicklung verantwortlich sind, sind die Hilfen
zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige.

Wenn der Gesetzentwurf des Bundesrates nun darauf
abzielt, eine weitere Kostenbelastung der Kommunen zu
vermeiden oder wenigstens deutlich einzudämmen, so
ist diese Zielsetzung bezogen auf die Haushaltssitua-
tion der Kommunen gut zu verstehen und nachzuvoll-
ziehen. Zu fragen bleibt aber, welche Folgen mit den
vom Bundesrat beabsichtigten Leistungskürzungen für
junge Menschen und Familien verbunden sind. Bei stei-
genden Kosten in diesem Feld einfach die Leistungen zu
kürzen wäre etwa so, als wenn wir bei vermehrten Feu-
erwehreinsätzen das Wasser für die Feuerwehr rationie-
ren würden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir als Politikerinnen und Politiker die
Pflicht, uns mit den Ursachen für die steigende Inan-
spruchnahme von Leistungen der Kinder- und Jugend-
hilfe auseinander zu setzen. Wir müssen also weiterhin
die Rahmenbedingungen verändern, damit Eltern Part-
nerschaft, Elternschaft und ihre beruflichen Verpflich-
tungen unter den berühmten einen Hut bringen können.

Zentrales Anliegen der Bundesregierung ist es des-
halb, in guter Kooperation mit Verbänden und Initiativen
die Kompetenzen von Eltern zu stärken. Das ist mög-
lich durch die Stärkung der sozialen Netzwerke und der
Infrastruktur der Familien vor Ort. Ein wichtiges Anlie-
gen ist auf den Weg gebracht, der Ausbau der Tagesbe-
treuung für Kinder, eng verbunden mit einer Qualitäts-
offensive in Bildung und Erziehung.

Die Bundesregierung wird Länder und Gemeinden
beim Ausbau nicht nur der Ganztagsbetreuung, sondern
auch der Betreuung der unter dreijährigen Kinder unter-
stützen. Gerade Kindern aus Familien, die auf weniger
Ressourcen zurückgreifen können, wird auf diese Weise
bekanntlich die Chance auf gute und gleiche Bildungs-
möglichkeiten eröffnet. Die soziale Herkunft dieser Kin-
der darf nicht über ihre soziale Zukunft entscheiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn der Bundesrat nun beabsichtigt, Leistungen der
Kinder- und Jugendhilfe an verschiedenen Stellen zu
kürzen bzw. einzuschränken, dann lehnt die Bundesre-
gierung Gespräche darüber grundsätzlich nicht ab. Aber
es muss geprüft werden, ob durch die beabsichtigten
Einsparungen tatsächlich nicht die Folgekosten in ande-
ren Bereichen erhöht werden und ob die Einsparungen
den Kindern und Jugendlichen und jungen Volljährigen,
die auf solche Leistungen angewiesen sind, nicht Chan-
cen der Entwicklung und der Integration in unsere Ge-
sellschaft nehmen.

Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu
dem Gesetzentwurf des Bundesrates, die am 9. Juli im
Kabinett beschlossen werden wird, zu den einzelnen






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel

Vorschlägen dezidiert Stellung genommen. Ich möchte
jetzt hier nur drei Themen kurz herausgreifen.

Erstens geht es um den § 35 a – das sind die Vor-
schläge zur Einschränkung des Rechtsanspruchs auf Hil-
fen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche –,
der wohl bei allen eine wichtige Rolle spielt. Auch die
Bundesregierung verfolgt die Entwicklung der Ausga-
ben nach diesem Paragraphen im SGB VIII mit Sorge.
Dabei fällt insbesondere die starke Inanspruchnahme
von Eingliederungshilfen wegen so genannter Teilleis-
tungsstörungen wie Legasthenie oder Dyskalkulie auf.
In letzter Zeit wird auch Eingliederungshilfe für hoch
begabte Kinder gewährt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505611000

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Scheuer?
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-

tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich da-
von ausgehe, dass wir im Ausschuss genügend Zeit ha-
ben werden, um hierüber zu diskutieren.

Alle diese Beispiele weisen darauf hin – darin sind wir
uns fast einig –, dass vorrangig zuständige Institutionen
mit Hilfesystemen, allen voran die Schule, hier ihrer Pri-
märverantwortung nicht in ausreichendem Maße gerecht
werden mit der Folge, dass die Kinder- und Jugendhilfe
als nachrangiges Leistungssystem hier in größerem Um-
fang eintreten muss. Es ist die vordringliche Aufgabe der
Länder, und zwar die aller Bundesländer – da müssen wir
uns nicht gegenseitig etwas vorrechnen –, im Rahmen
der Schule spezifische Förderprogramme für diese
Kinder vorzusehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung unterstützt durchaus die Ab-
sicht des Bundesrates, § 35 a auf seine Zielgenauigkeit
hin zu überprüfen. Allerdings haben wir zurzeit große
Zweifel daran, dass die angestrebten Ziele mit dem Än-
derungsvorschlag tatsächlich erreicht werden können.

Zweitens komme ich auf die beabsichtigte Änderung
von § 41 SGB VIII – Hilfe für junge Volljährige – zu
sprechen. Die Verbesserung der Hilfen für junge Volljäh-
rige war eines der zentralen Ziele der Neuordnung des
Kinder- und Jugendhilferechts im Jahre 1990/91.

Die individuelle Persönlichkeitsentwicklung richtet
sich nicht immer nach dem juristisch abstrakt bestimm-
ten Zeitpunkt der Volljährigkeit. Das Erwachsenwerden
und der Prozess der Ablösung vom Elternhaus sind häu-
fig mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Der
Übergang in Ausbildung und Arbeit gestaltet sich nicht
immer reibungslos.

In dieser sensiblen Phase werden für viele junge Men-
schen die Weichen dafür gestellt, ob sie gesellschaftlich
integriert werden oder nicht. Eine Reduzierung der Leis-
tungen für junge Volljährige mag vordergründig die
kommunalen Kassen entlasten, tatsächlich aber würden
damit vielen jungen Menschen in dieser sensiblen Phase
wichtige Leistungen für ihre gesellschaftliche Integra-
tion vorenthalten. Die Folge wäre, dass sie den Einstieg
in Beruf und Gesellschaft nicht fänden, sondern ausstie-
gen. Deshalb ist auch dieser Änderungsvorschlag sehr
genau zu prüfen.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ich denke, Sie haben schon geprüft!)


Drittens möchte ich auf den Vorschlag des Bundesrats
zu sprechen kommen, den Ländern durch einen so ge-
nannten Landesrechtsvorbehalt die Möglichkeit zu er-
öffnen, die Aufsicht über Tageseinrichtungen für Kinder
anderen Behörden als den Landesjugendämtern zuzu-
weisen. Die Aufgabenwahrnehmung soll auf die Kreis-
verwaltungsbehörden delegiert und die Aufsicht damit
dezentral angesiedelt werden. Die Aufsicht über Tages-
einrichtungen hat eine wichtige Aufgabe zum Schutz
von Kindern. Sie gewährleistet nämlich Mindeststan-
dards für das Wohl der dort betreuten Kinder und Ju-
gendlichen. Eine Kommunalisierung dieser Aufsicht
würde bedeuten, dass Finanzverantwortung und Fach-
aufsicht in einer Hand liegen, wodurch die große Sorge
entstünde, dass eine so organisierte Aufsicht nicht in ers-
ter Linie dem Kindeswohl, sondern vorrangig dem Kas-
senwohl dient.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Sie haben ja ein großes Vertrauen in die Kommunen! Ihr Verhältnis zur Kommunalpolitik ist gestört!)


Meine Damen und Herren, der Staat kann nur das
Geld ausgeben, das ihm zur Verfügung steht. Das wissen
wir alle; das ist eine Binsenweisheit. Daher muss auch
die Kinder- und Jugendhilfe kostenbewusst agieren und
alle Möglichkeiten für eine noch bessere Effektivität und
Qualität der Aufgabenwahrnehmung ausschöpfen. Darü-
ber werden wir in den Ausschüssen beraten. Ich hoffe,
dass wir für die Kinder und Jugendlichen gute und ver-
antwortliche Entscheidungen treffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andreas Scheuer [CDU/ CSU]: Ein guter Schlusssatz!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505611100

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Haupt, FDP-

Fraktion.

Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1505611200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das 1991 in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfege-
setz ist ein gutes Beispiel für den Stellenwert der Ju-
gendpolitik der damaligen liberal-konservativen Bun-
desregierung. Es hat sich insgesamt bewährt. Das haben
auch meine Vorredner schon festgestellt. Zwölf Jahre
nach dem In-Kraft-Treten ist eine kritische Überprüfung
jedoch sicherlich sinnvoll.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Haupt

Das Ausgabevolumen in der Kinder- und Jugend-

hilfe von 19,2 Milliarden Euro im Jahre 2001 ist ange-
sichts der Finanzmisere der öffentlichen Haushalte
durchaus kritisch zu analysieren. Generell kann Sparen
ein Beitrag zur Nachhaltigkeit einer politischen Maß-
nahme sein. Kostendämpfung in der Jugendhilfe kann
man als Maßnahme zur Sicherung des Fortbestandes der
Jugendhilfe verstehen. Das gilt natürlich insbesondere
für die finanziell besonders belasteten Kommunen. Wer
jedoch in der Jugendhilfe sparen will, darf nicht verges-
sen, dass Ausgaben für unsere Kinder und Jugendlichen
Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft sind
und dass falsches Sparen an dieser Stelle schlimme Fol-
gen haben kann.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Jugendarbeit den heute sehr großen Anfor-
derungen nicht gerecht werden kann, dann trägt die ganze
Gesellschaft die negativen – auch die finanziellen – Fol-
gen. Außerdem ist im Blick zu behalten, dass die Kin-
der- und Jugendhilfe im Ausgabenblock des Sozialbud-
gets unseres Landes im Jahre 1998 ohnehin einen sehr
bescheidenen Anteil von 7 Prozent einnahm und dass
auch der Anteil an den Ausgaben der Kommunalhaus-
halte mit 9,4 Prozent keineswegs sehr hoch ist. Vor die-
sem Hintergrund sind Vorschläge für Leistungsein-
schränkungen in der Jugendhilfe stets kritisch zu prüfen.

Mit dem vorliegenden Entwurf werden vor allem
zwei Ziele verfolgt:

Erstens soll angesichts der katastrophalen Finanzlage
eine finanzielle Entlastung der Kommunen geschaffen
werden.

Zweitens sollen bürokratische Hemmnisse abgebaut
und die Effizienz in der Jugendhilfe durch Deregulie-
rung gesteigert werden.

Beide Ziele teilt die FDP uneingeschränkt. Es wird
aber noch näher zu prüfen sein, ob erstens die in dem
Gesetzentwurf gewählten Maßnahmen uneingeschränkt
geeignet sind, diese Ziele zu erreichen, und ob zweitens
inakzeptable negative Wirkungen für die Kinder- und Ju-
gendhilfe dabei auszuschließen sind.


(Beifall bei der FDP und der SPD)

Zu den einzelnen Vorschlägen in dem Gesetzentwurf

wird die FDP-Fraktion daher einen konstruktiven Dialog
führen. Wir halten zum Beispiel eine Angleichung der
Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte oder von
einer solchen Behinderung bedrohte junge Menschen an
die Regelungen, die für körperlich und geistig behin-
derte Kinder und Jugendliche nach dem Sozialhilfege-
setz bestehen, grundsätzlich für sinnvoll und diskussi-
onswürdig. Die bisherige Unterscheidung zwischen
geistig und körperlich Behinderten auf der einen und
seelisch Behinderten auf der anderen Seite ist nicht ganz
überzeugend. Deshalb geht auch der Vorschlag, den Un-
terschied der Leistungszuständigkeit zwischen den Trä-
gern der Jugend- und der Sozialhilfe aufzuheben, in eine
plausible Richtung.
Auch die Einschränkung der Leistungen für junge
Volljährige auf die Fälle, in denen Jugendhilfemaßnah-
men vor der Volljährigkeit begonnen wurden, trägt zu ei-
ner Klärung der Zuständigkeiten bei. Grundsätzlich
sollte sich die Jugendhilfe auf die Förderung der betrof-
fenen Jugendlichen beschränken; denn dadurch würden
auch hier Reibungsverluste durch Abgrenzungsprobleme
vermieden.

Die FDP begrüßt vor allem den Vorschlag zur Auf-
wertung der Jugendhilfeplanung im Hinblick auf einen
kontinuierlichen Prozess und einen höheren Gesamtstel-
lenwert. Der Vorschlag, Kollege Scheuer, durch Landes-
recht veränderte Zuständigkeiten für die Aufsicht über
Tageseinrichtungen für Kinder zu ermöglichen, kann ei-
nen positiven Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung
leisten. Allerdings darf es nicht zu Interessenkollisionen
auf der Ebene der örtlichen Träger der Jugendhilfe kom-
men.

Ebenso wird die FDP die Vorschläge zu Änderungen
im Datenschutz kritisch beleuchten. Auch hier müssen
wir zwar Kostendämpfung in Verwaltungsverfahren im
Blick haben, doch dürfen mit doppelter Zielsetzung an-
vertraute Daten nicht einfach aus dem Vertrauensschutz
herausgenommen werden.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Alles in allem ist die Diskussion um Reformen in der
Kinder- und Jugendhilfe sinnvoll. Es wird jedoch eine
sehr genaue Prüfung der einzelnen Vorschläge notwen-
dig sein. Daher spricht sich die FDP dafür aus, dass der
federführende Ausschuss zu dem Gesetzentwurf eine
Anhörung mit Experten durchführt, die uns eine Basis
für eine sachgerechte Entscheidung unter Berücksichti-
gung der Wirkungen für Kinder und Jugendliche sowie
für Länder und Kommunen gibt.

Ich danke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505611300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Jutta Dümpe-Krüger

von Bündnis 90/Die Grünen.


Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505611400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir leh-

nen die von CDU/CSU geplanten Änderungen zum Kin-
der- und Jugendhilfegesetz ab,


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ach nein!)

und zwar nicht deshalb, Herr Scheuer, weil wir Zentra-
lismusfans wären, sondern weil damit einschneidende
Leistungseinschränkungen im Bereich der Eingliede-
rungshilfen für Kinder und Jugendliche eintreten würden.
Der Antrag beinhaltet außerdem Verschlechterungen bei
den Hilfen für junge Volljährige.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Im Bundesrat hat das noch ganz anders geklungen!)







(A) (C)



(B) (D)


Jutta Dümpe-Krüger

Im Grunde genommen hat er nur ein einziges Ziel,

nämlich Einsparungen in Höhe von 150 bis 250 Millio-
nen Euro. Das ist der einzige Grund, warum das KJHG
auf den Prüfstand soll – auf Kosten von Kindern und Ju-
gendlichen. Ich bin der Ansicht: So geht das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie wollen § 10 KJHG dahin gehend ändern, dass
Leistungen für junge Volljährige in den Zuständigkeits-
bereich des Bundessozialhilfegesetzes verschoben wer-
den. Damit wäre der Vorrang der Jugendhilfe aufgeho-
ben. Das wäre so ziemlich das Dümmste, was wir
machen könnten. Ganz deutlich: Es geht um Hilfemaß-
nahmen für junge Menschen, die körperlich behindert
oder von Behinderung bedroht sind. Es geht um Volljäh-
rige, die seelisch behindert oder von einer solchen Be-
hinderung bedroht sind. Gerade für diese jungen Men-
schen wäre es fatal, wenn Effekte begonnener
Hilfeleistungen in hohem Maß infrage gestellt würden.

Ich habe mit Interesse im Bundesratsprotokoll vom
23. Mai nachgelesen, dass Bayern der Auffassung ist – ich
zitiere –, die Jugendhilfe könne nicht auf Kosten der Sub-
stanz leben und man müsse „ausufernde“ Leistungen
vermeiden. Dazu ist zu sagen – der Kollege Haupt hat es
angesprochen –: Bei einem Wechsel von einem örtlichen
zu einem überörtlichen Träger werden keine nennens-
werten Kosten eingespart, sondern nur verschoben. Ge-
rade Bayern ist das Paradebeispiel für die Unsinnigkeit
einer Neuregelung wegen angeblicher Einspareffekte.
Das dortige Landesjugendamt weist in seiner Jugendhil-
festatistik von 1999 nämlich nur 36 Fälle von Eingliede-
rungshilfen für 18- bis 21-Jährige und ganze sechs Fälle
von Hilfen für junge Menschen von 21 bis 27 Jahren aus.

Sie wollen § 35 a KJHG neu fassen. In dem Gesetz-
entwurf ist vorgesehen, dass Kinder und Jugendliche
von einer wesentlichen Behinderung bedroht sein müs-
sen. Dasselbe soll für die Fähigkeit zur Teilhabe an der
Gesellschaft gelten. Dabei wissen Sie genau: Die Wider-
sinnigkeit der Unterscheidung in „wesentliche“ und „un-
wesentliche“ Behinderung ist hinlänglich und differen-
ziert belegt.

Meine Damen und Herren von der Union, Ihre Vor-
schläge tragen außerdem zur Unschärfe und Verkompli-
zierung bei. Entscheidungen der Jugendämter würden
nämlich stärker als bisher im willkürlichen Ermessen ge-
troffen werden müssen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505611500

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Scheuer?


Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505611600

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. – Das bedeu-

tet, dass die geplante Neuregelung zum Nachteil von be-
troffenen Kindern und Jugendlichen ausgelegt würde.
Da solche Ermessensentscheidungen aber juristisch sehr
fragwürdig sind, heißt das auch, es würde zu einer Zu-
nahme von Klageverfahren kommen. Das vergeudet so-
zialpädagogische Ressourcen und verursacht in hohem
Maße Kosten.

Mit der geplanten Neuregelung des § 41 beabsichti-
gen Sie unter anderem ein generelles Maßnahmeende
mit Vollendung des 21. Lebensjahres. In der Begründung
heißt es, dass sich Jugendhilfeleistungen von der Aus-
nahme zum Regelfall entwickelt hätten. Ich weiß nicht,
wie Sie zu dieser Annahme kommen. Sie wird in keiner
Weise durch die statistischen Zahlen der Dortmunder
Zentralstelle für Kinder- und Jugendhilfe untermauert.

Was Ihre weiteren Vorschläge angeht, nämlich keine
Ersthilfe mehr ab dem 18. Lebensjahr und Weiterfüh-
rung von Maßnahmen für über 18-Jährige nur noch als
Kannleistung, sage ich Ihnen: Sie gefährden bedarfsge-
rechte Hilfeleistung und Sie gefährden damit die berufli-
che und soziale Integration junger Menschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ihnen würden nämlich wichtige Unterstützungsleistun-
gen entzogen und sie würden im Zuständigkeitsgeran-
gel – das ist wirklich ein ganz großes Manko – zwischen
Jugendhilfe und Sozialhilfe auf der Strecke bleiben.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Jetzt haben wir ein Zuständigkeitsgerangel!)


Der von Ihnen geplante Kahlschlag

(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ich habe ge wusst, dass das Wort kommt!)

in der Jugendhilfe ist unter allen Umständen zu verhin-
dern. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass junge
Menschen mit Benachteiligungen jede Unterstützung be-
kommen, die sie brauchen, um sich positiv entwickeln
zu können. Wir alle müssen endlich zu der Einsicht kom-
men, dass das keine Ausgaben, sondern Investitionen
sind. Wenn wir die nicht tätigen, dann werden wir Kos-
ten haben, und zwar doppelt und dreimal so hohe.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505611700

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Fischbach von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1505611800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass
sowohl die Frau Staatssekretärin als auch die Kollegin
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen keine Zwi-
schenfragen gestatten.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht Frau Reiche auch nicht!)


Das wundert deshalb, weil sie sonst immer gern bereit
sind, selber Fragen zu stellen und auch zu beantworten.






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach

Frau Kollegin Dümpe-Krüger, das Wort „Kahlschlag“

habe ich vor einiger Zeit schon einmal gehört. Das ist ein
paar Jahre her und es ging um die Einführung des demo-
graphischen Faktors. Damals war es auch Ihre Seite, die
von einem Kahlschlag gesprochen hat. Heute führen Sie
in ähnlicher Form einen Faktor ein und Sie sprechen
nicht mehr von einem Kahlschlag.


(Klaus Haupt [FDP]: Das ist Reform!)

Wenn wir am Ende der Diskussion über dieses Gesetz
sind, dann werden auch Sie das Wort Kahlschlag aus Ih-
rem Vokabular gestrichen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben heute einen Gesetzentwurf auf der Tages-

ordnung, der sich mit der Änderung des Kinder- und Ju-
gendhilfegesetzes beschäftigt. Man muss ganz deutlich
sagen: Es steht außer Frage, dass das KJHG sich bisher
im Großen und Ganzen bewährt hat und dass es richtig
war, seinerzeit diese Entscheidung zu treffen und das
KJHG auf den Weg zu bringen.

Aber die Praxiserfahrungen zeigen auch, dass es gilt,
sich einzelne Bereiche dieses Sozialleistungsgesetzes
anzuschauen und diese auf ihre Wirksamkeit und gerade
in der heutigen Zeit auf ihre Kosten-Nutzen-Relation zu
überprüfen.

Seit dem In-Kraft-Treten des KJHG am 1. Januar 1991
haben sich die Zahlen dramatisch verändert. 1992 – die
Frau Staatssekretärin hat es schon gesagt – betrugen die
Jugendhilfeausgaben 14,3 Milliarden Euro, 2001 19,2
Milliarden Euro. Das ist knapp ein Drittel mehr. Die
Klage der kommunalen Spitzenverbände ist deshalb
durchaus gerechtfertigt, wenn in ihr darauf hingewiesen
wird, dass ein durch ein Bundesgesetz geregelter Rechts-
anspruch letztlich einzig und allein im Wirkungskreis
der Kommunen angesiedelt ist und diese die finanziellen
Belastungen haben. Wir sollten mit Blick auf das
Konnexitätsprinzip zukünftig darüber nachdenken, ob
wir nicht dahin kommen müssen, dass derjenige, der Ge-
setze erlässt, auch die finanziellen Mittel bereitstellen
muss.

(Nicolette Kressl [SPD]: Wie war das mit dem Kin dergartenplatz unter der CDU-Regierung?)

– Das wird kommen. Ich bin gespannt, ob Sie zustim-
men, wenn wir das Konnexitätsprinzip hier thematisie-
ren werden.

Insofern sind der Wunsch und die Aufforderung der
Kommunen zu verstehen, das KJHG auf den Prüfstand
zu stellen. Ich sage hier ganz deutlich: Es darf keinen
Kahlschlag geben. Es darf auch keinen Qualitätsverlust
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dennoch gilt auch in der Jugendhilfe das Prinzip der
Nachhaltigkeit, das Ihnen bestens bekannt ist. Damit
auch die jungen Menschen von morgen eine Chance auf
positive Entwicklungsbedingungen haben, gilt es stärker
als bisher, die knapper werdenden Ressourcen ziel- und
zweckgerichtet einzusetzen.
In der Vergangenheit traten aber in der Praxis häufig
Abgrenzungs- und Zuständigkeitsprobleme zwischen
der Sozialhilfe und der Jugendhilfe auf, die zum Teil auf
die fehlende rechtliche Definition des Begriffs „seelisch
Behinderte“ zurückgehen. Dadurch wiesen sowohl die
Inanspruchnahme als auch die Bewilligung von Hilfen
nach § 35 a SGB VIII bei genauerer Analyse deutliche
regionale Disparitäten auf.

Ich habe an einer Veranstaltung kommunaler Träger
teilgenommen, Frau Dümpe-Krüger, die deutlich ge-
macht hat, dass es sehr wohl Disparitäten gibt. Das müs-
sen wir ändern. Es geht nicht an, dass es vom Wohnort ab-
hängt, ob junge Leute bestimmte Leistungen bekommen.
Anhand Ihrer Fallzahlen aus Bayern haben Sie das als un-
sinnig bezeichnet. Das Land Rheinland-Pfalz, das nicht
im Verdacht steht, der CDU nahe zu stehen, hat im Bun-
desrat erklärt: Das Land Rheinland-Pfalz unterstützt die
bayerische Initiative zur Änderung des § 35 a SGB VIII.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was die Fallzahlen angeht, hat das Land Rheinland-

Pfalz angegeben, dass knapp 25 Prozent des gesamten
Kostenanstiegs bei den Hilfen nach den §§ 27 bis 35 a
sowie nach § 41 SGB VIII auf die Hilfen für seelisch be-
hinderte Kinder zurückgehen. Diese Angaben stammen,
wie gesagt, nicht aus Bayern, sondern aus Rheinland-
Pfalz.


(Christel Humme [SPD]: Schaffen wir die seelisch behinderten Kinder doch ab!)


Nicht nur aus diesem Grunde fordern wir die Anglei-
chung der Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte an
die Eingliederungshilfe für körperlich und geistig behin-
derte Kinder und Jugendliche. Aber auch dabei ist
selbstverständlich sicherzustellen – das ist mir besonders
wichtig –, dass seelisch behinderten jungen Menschen
über die Sozialhilfeträger die erforderlichen Leistungen
zukommen, die im Rahmen der rehabilitativen Maßnah-
men zum Wohle der jungen Menschen erforderlich sind.
Aber dazu hat schon mein Kollege Scheuer ausführlich
Stellung genommen.

Ich möchte noch kurz auf einige andere Schwer-
punkte des Gesetzentwurfs eingehen, zum Beispiel auf
den Datenschutz. Der Kollege Haupt hat schon darauf
hingewiesen. Das Wohl der Kinder und Jugendlichen er-
fordert oft eine zeitnahe Weitergabe der Daten innerhalb
des Jugendamtes. Es geht nicht darum, Daten nach au-
ßen zu tragen. Es muss möglich sein, die Daten inner-
halb des Jugendamtes zügig weiterzugeben. In diesem
Zusammenhang darf der Datenschutz nicht zu Reibungs-
verlusten führen bzw. die Zusammenarbeit innerhalb ei-
nes Jugendamtes erschweren. Daten, die mitgeteilt wor-
den sind, um Sach- und Geldleistungen zu erhalten, sind
unserer Meinung nach „nicht anvertraut“ und können
deshalb weitergegeben werden. Ich denke, auch in die-
sem Bereich würde eine Änderung zu einer größeren
Rechtssicherheit und Verwaltungsvereinfachung führen.

Um den jungen Menschen und ihren Familien im Ein-
zelfall rasch und zielgerichtet zu helfen, um Fehlinvesti-
tionen zu vermeiden und Synergieeffekte zu nutzen,
brauchen wir ein kompatibles Netz an Jugendhilfeleistun-






(A) (C)



(D)


Ingrid Fischbach

gen. Dazu muss – auch das hatten Sie schon angespro-
chen, Herr Haupt – die Jugendhilfeplanung regelmäßig
fortgeschrieben werden. Diese Notwendigkeit wollen wir
mit unserem Antrag gesetzlich klarstellen. Nur so können
die Kontinuität der Jugendhilfeplanung in der Praxis
verbessert, die Aktualität und Prozesshaftigkeit betont
und dem Prinzip der Nachhaltigkeit – wie bereits er-
wähnt – Rechnung getragen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer Punkt
unseres Gesetzentwurfs ist die Rückholung von Länder-
kompetenzen in Struktur- und Ordnungsfragen. Bereits
seit 1998 wurden länder- und parteiübergreifend – auch
das zu Ihrer Information – Initiativen zur Änderung des
§ 85 SGB VIII bzw. zur Öffnungsklausel eingebracht,
zum Beispiel durch das Land Schleswig-Holstein. Noch
ist Schleswig-Holstein rot, aber auch daran kann sich et-
was ändern.

Bisher sind für die Wahrnehmung der Aufgaben zum
Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen
nach § 85 SGB VIII grundsätzlich die überörtlichen Trä-
ger der Jugendhilfe zuständig. Die beabsichtigte Neu-
regelung soll den Ländern die Möglichkeit geben, die
Aufsichtskompetenz für Kindertageseinrichtungen auf
die örtliche Ebene zu übertragen. Allerdings handelt es
sich hierbei um ein Kanngesetz, Frau Dümpe-Krüger.
Der Text der Bestimmung lautet:

Im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder kann
durch Landesrecht die Zuständigkeit abweichend
von Abs. 2 Nr. 2 bis 7 bestimmt werden.

Damit wird den Ländern eine eigene Gestaltungsmög-
lichkeit gegeben. Wer will, kann davon Gebrauch ma-
chen. Wer es nicht will, weil sich die alte Regelung be-
währt hat, kann es lassen.


(Zuruf des Abg. Anton Schaaf [SPD])

– Herr Schaaf, ich hoffe nicht, dass Ihr Zuruf, das nach
Kassenlage zu entscheiden, an die Adresse von Schles-
wig-Holstein gerichtet ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als Letztes möchte ich auf die Anrechnung des Kin-

dergeldes bei bestimmten Jugendhilfeleistungen einge-
hen. Es ist nachvollziehbar, dass insbesondere Eltern, die
selbst keine Aufwendungen für ihre Kinder haben, da sie
außerhäuslich in einer Einrichtung oder in Wohnformen
des betreuten Wohnens untergebracht sind und dort auch
betreut werden, nicht mehr das volle Kindergeld bezie-
hen können. In diesen Fällen, wenn also das Jugendamt
den Lebensunterhalt des Kindes sicherstellt, muss es
möglich sein, das Kindergeld anzurechnen. Die bishe-
rige Schlechterstellung der Eltern, die ihre Kinder selbst
betreuen, wird damit beseitigt.

Die gerade von mir dargestellten Änderungsvor-
schläge haben insgesamt den Sinn, in Zukunft Hilfen
und Finanzen ziel- und zweckgerichteter einsetzen zu
können. Wir alle sind uns sicherlich einig, dass unsere
jungen Menschen ein Recht auf kindgerechte und ju-
gendgemäße Förderung haben. Dafür muss die Politik
die Rahmenbedingungen schaffen. Das bedeutet aber
auch, der jungen Generation nicht weitere Hypotheken
aufzubürden. Nicht nur die jungen Menschen von heute,
sondern auch die von morgen müssen eine Chance auf
gute Entwicklungsbedingungen haben.

Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen insbe-
sondere von den Koalitionsfraktionen, in diesem Sinne
in die Beratungen zu gehen und mit uns gemeinsam et-
was für die jetzige und die zukünftige Jugend zu tun.

Ich danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505611900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von

der SPD.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1505612000

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Frau

Fischbach, Sie schreiben in der Maiausgabe der Zeit-
schrift „Jugendpolitik“ des Deutschen Bundesjugend-
rings:

Investitionen in die junge Generation sind die er-
folgreichsten und wirksamsten Zukunftsinvestitio-
nen unserer Gesellschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Aussage ist richtig. Ich kann sie nur voll und ganz
unterstützen.

Umso überraschter war ich allerdings, meine Herren
und Damen von der Union, als ich Ihren Gesetzentwurf
– er und der Gesetzesantrag, den Bayern in den Bundes-
rat eingebracht hat, sind wortgleich – gelesen hatte; denn
von der richtigen Erkenntnis, dass wir dringend Investi-
tionen in die junge Generation benötigen, haben Sie sich
offensichtlich bei der Formulierung Ihres Gesetzent-
wurfs nicht leiten lassen. Sie schlagen nämlich Leis-
tungskürzungen für Kinder und Jugendliche vor. So wol-
len Sie – das behaupten Sie jedenfalls – die Kommunen
entlasten und für Nachhaltigkeit in der Jugendhilfe sor-
gen, Frau Fischbach. Wenn man aber genau hinschaut,
dann stellt man fest, dass Sie tatsächlich nur die Verlage-
rung von Kosten und – das ist entscheidend – die Ver-
schlechterung von Bildungschancen erreichen. Mit
Zukunftspolitik und Nachhaltigkeit haben Ihre Vor-
schläge nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich werde Ihnen das an zwei Punkten verdeutlichen,
und zwar an Ihren Vorschlägen zum Umgang mit behin-
derten Kindern und Jugendlichen und an Ihren Vorschlä-
gen zur Zuständigkeit bei der Aufsicht über die Kinder-
tagesstätten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie wollen die Leistungen für seelisch behinderte Kinder
und Jugendliche einschränken sowie jungen Volljährigen
mit seelischen Behinderungen den Anspruch auf Ein-
gliederungshilfe gänzlich verwehren. Sie unterstellen
damit, dass die Leistungsgewährung für viele dieser jun-
gen Menschen nicht nötig sei.

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme

Wer sind denn diese jungen Menschen mit seelischen

Behinderungen, die Eingliederungshilfen bekommen?
Es sind sehr häufig Kinder und Jugendliche mit so ge-
nannten Teilleistungsschwächen, also Kinder und Ju-
gendliche, die große Schwierigkeiten haben, richtig le-
sen, schreiben oder rechnen zu lernen. Davon können
viele betroffen sein, der Sohn des Arbeiters bei BMW
genauso wie die Tochter des Hochschulprofessors. Das
gebe ich natürlich zu. Aber ich weiß aus meiner Zeit als
Kommunalpolitikerin und Lehrerin, dass für diese
Gruppe Eingliederungshilfen sehr wohl notwendig sind;
denn aufgrund ihrer Lese- und Schreibschwäche werden
die Betroffenen vielfach ausgegrenzt. Herr Scheuer, es
hat nichts mit Sozialromantik zu tun, wenn wir erken-
nen, dass aus Kindern mit einfachen Lernschwächen Au-
ßenseiter der Gesellschaft mit psychischen Problemen
werden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Das müsste allerdings nicht so sein.
Herr Scheuer, ich gebe Ihnen vollkommen Recht: Wenn
ein Kind Probleme hat, zu lernen, dann braucht es unsere
Unterstützung; das ist keine Frage. Vor allem müssten
die Schulen – das ist richtig – spezielle Förderangebote
machen, um diese Kinder an das Leistungsniveau ihrer
Mitschüler heranzuführen. So könnte Ausgrenzung un-
terbunden werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil die öffentliche Verantwortung an dieser konkre-
ten Stelle fehlt, steht die Jugendhilfe in der Pflicht. So
wird die Jugendhilfe zum Auffangbecken für Aufgaben
gemacht, die eigentlich von anderen erledigt werden
müssten. Es ist also kein Wunder, dass die Kosten bei
der Jugendhilfe steigen.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Union,
die Jugendhilfe von diesen Kosten entlasten wollen, ha-
ben Sie in Ihren Bundesländern dazu die Möglichkeit.
Hierfür müssen Sie nicht das Kinder- und Jugendhilfege-
setz ändern, sondern zum Beispiel von München oder
Wiesbaden aus für mehr Personal an den Schulen sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Scheuer, das wäre eine echte Entlastung für die
Kommunen und eine wirkliche Hilfe für die jungen
Menschen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Warum sprechen Sie nicht Nordrhein-Westfalen an? – Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Haben Sie sich die Zahl der Einstellungen von Lehrern in Bayern schon einmal vor Augen geführt?)


Kommen wir nun zu der Gruppe der jungen Erwach-
senen mit seelischen Behinderungen. Diesen jungen
Menschen wollen Sie den Anspruch auf Eingliederungs-
hilfe nach dem KJHG gänzlich verwehren. Sie wollen
stattdessen, dass diese jungen Menschen Leistungen aus
der Sozialhilfe beziehen. Wie wollen Sie so Einsparun-
gen für die Kommunen, die Sie so gerne wollen, errei-
chen, Herr Scheuer? Das ist doch nichts anderes als ein
Verschiebebahnhof.

Ganz abgesehen davon ist zu sagen, dass die Fallzahlen
sehr niedrig sind – in diesem Zusammenhang bin ich Frau
Dümpe-Krüger sehr dankbar – und der Einspareffekt da-
mit bedeutungslos ist. In Bayern gab es ganze 42 Fälle.
Das zeigt, dass wir an der falschen Stelle sparen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre vermeintliche Sparpolitik wird die Kommunen
– das ist das Problem – teuer zu stehen kommen; denn
jeder Jugendliche, der heute nicht integriert wird, be-
kommt morgen keinen Ausbildungsplatz, hat übermor-
gen keine Arbeit und schließlich keinen eigenen Renten-
anspruch. Dies verursacht deutlich höhere Kosten als ein
Eingliederungshilfeanspruch nach dem KJHG. Ihr Vor-
schlag hat mit Nachhaltigkeit überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine solche Politik können wir nicht zulassen. Herr
Scheuer, bei allem Verständnis für die kommunale Haus-
haltssituation werden wir sicherstellen, dass bedürftige
Kinder Hilfe erhalten. Es bringt uns nicht weiter, Pro-
bleme zu ignorieren, indem man sie als nicht wesentlich
bezeichnet, und Kosten einfach auf andere Träger abzu-
wälzen. Das führt uns in eine Sackgasse.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eltern und Kinder in schwierigen Situationen brau-
chen oft professionelle Hilfe. Sie bekommen sie von den
örtlichen Jugendämtern. Das ist gut und das ist richtig
so. Das haben wir gewollt; dazu haben wir das KJHG
geschaffen. Es bringt uns nicht weiter, wenn wir diesen
Familien die Hilfe, die sie brauchen, nehmen. Es bringt
uns aber sehr wohl weiter, wenn wir für die Familien
vernünftige Rahmenbedingungen schaffen, damit sie gar
nicht erst in schwierige Situationen kommen.

Genau das tut die Bundesregierung: Sie setzt nicht auf
einfallslose Sparpolitik, sondern auf einen investieren-
den Sozialstaat.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wo investieren Sie denn etwas? Haben Sie die Agenda 2010 nicht komplett durchgelesen?)


Sie setzt auf den Ausbau der Infrastruktur für Kinder und
Familien. Unser Schlüsselwort heißt: Bildung, Bildung
und nochmals Bildung. Bildung ist nämlich ein Ticket
für die Zukunft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb bauen wir die Betreuung und die Bildung von
Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Ganztags-
grundschulen aus. Kinder früh groß und stark zu machen
heißt, sie zu stabilen Persönlichkeiten heranzubilden, die
später möglichst keine Eingliederungshilfe nach dem
KJHG benötigen. Chancengleichheit in der Bildung
bedeutet aber auch, dass wir – möglichst bundesweit –
einheitliche Standards entwickeln müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme

Damit komme ich zu einem weiteren Ihrer Vor-

schläge: Lockerung von Zuständigkeiten. Sie wollen
erreichen, dass Kindertageseinrichtungen künftig nicht
mehr vom überörtlichen Träger, sondern von der Kom-
mune selbst beaufsichtigt werden. Das heißt, die Kom-
mune, die einen Kindergarten unterhält, könnte künftig
selbst die Qualität dieser Einrichtung kontrollieren. Ich
denke, das ist absurd, vor allen Dingen dann, wenn Stan-
dards eingehalten werden sollen.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Mit Delegieren haben Sie es nicht!)


Herr Scheuer, Sie fordern, die Kommunen zu entlasten.
Aber dadurch tun Sie es in diesem Bereich nicht: Den
Kommunen werden mehr Kosten aufgebürdet, weil sie
diese Aufsicht durchführen müssen. Also gilt auch hier:
Ziel nicht erreicht!

Wir brauchen keine Leistungskürzungen, Verschiebe-
bahnhöfe und Verschlechterung der Bildungschancen,
wie Sie sie vorschlagen. Wir brauchen Rahmenbedin-
gungen, die § 1 des Kinderjugendhilfegesetzes entspre-
chen, nämlich Rahmenbedingungen, die gewährleisten,
dass jeder einzelne junge Mensch ein Recht auf Förde-
rung seiner Persönlichkeitsentwicklung erhält.

Die Bundesregierung schafft diese Rahmenbedingun-
gen mit ihren Investitionen in Bildung und Betreuung.
Liebe Frau Fischbach, das sind diejenigen Zukunftsin-
vestitionen, die Sie selbst in der am Anfang meiner Rede
erwähnten Zeitschrift fordern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die Weichen richtig gestellt. Ich lade Sie herz-
lich ein, gemeinsam mit uns auf diesem richtigen Weg
weiterzugehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505612100

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 15/1114 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. –
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 e auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung der Vorschriften über die
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim-
mung und zur Änderung anderer Vorschriften
– Drucksache 15/350 –

(Erste Beratung 22. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen,
Günter Baumann, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des
Schutzes der Bevölkerung vor Sexualverbre-
chen und anderen schweren Straftaten
– Drucksache 15/29 –

(Erste Beratung 10. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/1311 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Joachim Stünker
Dr. Norbert Röttgen
Jerzy Montag
Sibylle Laurischk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Günter Baumann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Sozialtherapeutische Maßnahmen für Sexual-
straftäter auf den Prüfstand stellen
– Drucksachen 15/31, 15/1311 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Joachim Stünker
Dr. Norbert Röttgen
Jerzy Montag
Sibylle Laurischk

c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung des
Einsatzes der DNA-Analyse bei Straftaten mit
sexuellem Hintergrund
– Drucksache 15/410 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Strafvollzugsgesetzes
– Drucksache 15/778 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor schwe-
ren Wiederholungstaten durch nachträgliche
Anordnung der Unterbringung in der Siche-
rungsverwahrung
– Drucksache 15/899 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und

des Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1505612200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren Abgeordnete! Bei Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung geht es nicht nur um so spektakuläre
Fälle wie den Fall des kleinen Pascal im Saarland, der
vor einiger Zeit durch die Presse ging. Es geht um viele
Tausend Übergriffe. Im Jahr 1999 waren es rund
20 000 Kinder, die die Polizei als Opfer von sexueller
Gewalt registrierte. Das aber – das wissen wir alle – ist
nur die Spitze des Eisbergs. Im Bereich des sexuellen
Missbrauchs von Kindern ist eine Dunkelziffer von
rund 70 Prozent zu verzeichnen. Kinderschutzexperten
nehmen sogar an, dass die Dunkelziffer noch deutlich
höher ist.

Trotz aller Fortschritte, die wir gemacht haben, ist es
immer noch eine traurige Realität, dass Kinder über Mo-
nate und Jahre hinweg gequält werden, ohne dass sich
jemand für sie einsetzt oder ihnen beisteht. Dagegen
sollten wir etwas tun. Das war die einhellige Meinung in
dem Gesetzgebungsverfahren. Nur: Darüber, wie dieses
Tun aussehen soll, sind die Meinungen doch sehr deut-
lich auseinander gegangen. Im Ergebnis muss ich kon-
statieren, dass es keine Einigkeit gibt.

Ich hatte mit der Fraktion der SPD und der Fraktion
der Grünen vorgeschlagen, eine Anzeigepflicht einzu-
führen. Dieser Vorschlag hat sich als der wohl umstrit-
tenste Punkt in dem ganzen Gesetzgebungsverfahren
überhaupt erwiesen. Sie wissen, dass wir uns nun ent-
schlossen haben, auf die Anzeigepflicht zu verzichten.
Das beruht zum Teil auf der Kritik der Opferverbände.
Sie haben bei der Anhörung im Bundesministerium der
Justiz verschiedene Punkte dafür angeführt, dass sie die
Anzeigepflicht nicht mittragen können. Im Ergebnis war
dafür vor allem die Unsicherheit über ihren eigenen
Rechtsstatus in dem Verfahren maßgebend. Insoweit
kann ich einen Teil der Argumente nachvollziehen. In
dem anderen Teil geht es mehr um Fragen des Glaubens
daran, dass eine bestimmte Entwicklung so oder so ihren
Lauf nimmt. Das ist einer empirischen Prüfung nicht so
recht zugänglich. Betroffene Jugendliche haben uns ge-
sagt, dass sie eine Anzeigepflicht für richtig halten und
dafür eintreten würden. Man sieht also: Die Wahrneh-
mungen können auch in dem Bereich sehr unterschied-
lich sein.

Ich kann Ihnen versprechen: Ich werde das Thema
nicht fallen lassen. Ich meine nach wie vor, dass die An-
zeigepflicht ein richtiger Weg ist, und werde weiter die
Diskussion zu verschiedenen Punkten führen, um zu se-
hen, ob sich vielleicht in der öffentlichen Wahrnehmung
und insbesondere in der Wahrnehmung der Verbände et-
was ändert. Wir sind uns aber einig darüber, dass es kei-
nen Sinn macht, ein Gesetz zu schaffen, wenn die Be-
troffenen von vornherein sagen, dass sie damit nicht
arbeiten wollen und nicht arbeiten werden. Deshalb ha-
ben wir darauf verzichtet.

Die Frage ist nur, was es für Alternativen gibt. Das
Bedauerliche ist, dass ich weder aus diesem Haus noch
von den Opferverbänden Alternativen gehört habe, die
man umsetzen sollte, um zu einer Verbesserung der Situ-
ation zu kommen. Deswegen sollten wir an diesem
Thema gemeinsam weiterarbeiten.

Wir schlagen jetzt zunächst vor, eine Öffentlichkeits-
kampagne unter dem Motto „Hinschauen statt Weg-
schauen“ zu starten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Prinzip wollten wir ja auch mit der Anzeige-
pflicht stärken. Das ist das, was wirklich wichtig ist. Das
Bundesministerium der Justiz wird gemeinsam mit dem
Bundesfamilienministerium Maßnahmen dazu unterneh-
men. Wir werden uns auch gemeinsam an Bund und
Länder wenden, um zu erreichen, dass in den Schulen in-
sofern für mehr Sensibilität geworben wird. Da gibt es
offenbar noch Erlasse, die Lehrer daran hindern, in ein-
zelnen Bereichen tätig zu werden. Wir werden dafür
werben, dass ehrenamtliche Mitarbeiter besser geschult
werden und vor allen Dingen auch im Bereich von Justiz
und Polizei die Fortbildung weiter ausgebaut wird.

Wir haben von den Opferverbänden gelernt, dass die
Fortbildung gerade bei der Polizei, was den Umgang
mit den Opfern angeht, schon relativ weit gediehen ist,
während bei der Justiz sehr häufig mangelnde Sensibili-
tät beklagt wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Das Thema werde ich mit den Kolleginnen und Kollegen
im Rahmen der Justizministerkonferenz besprechen. Wir
werden auch in den Fortbildungseinrichtungen, die der
Bund mitfinanziert, spezielle Angebote ins Programm
aufnehmen, weil, wie ich meine, diesem Missstand ein
Ende gemacht werden muss. Dazu gehört auch, dass die
Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern, Opferschutz-
verbänden, Polizei, Gerichten und Staatsanwaltschaften
verbessert werden muss. Wir werden hierzu eine Tagung
veranstalten, auf der wir die jeweils Verantwortlichen
zusammenbringen und gemeinsam überlegen, wo es am
meisten hakt.

Lassen Sie mich noch zu einem weiteren Punkt kom-
men, der uns sehr wichtig war. Es geht um den Schutz
behinderter Menschen vor sexuellen Übergriffen.
Dieses Thema vermisste man im Entwurf des von der
Opposition eingebrachten Gesetzes zunächst völlig. Im
Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sind wir uns auch
da ein wenig näher gekommen. Beim sexuellen Miss-
brauch widerstandsunfähiger Personen haben wir nun
den Gleichlauf zum strukturell verwandten sexuellen
Missbrauch bei Kindern hergestellt und die Strafrahmen
entsprechend angepasst. Das heißt, es gibt in Zukunft






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

keine minderschweren Fälle des sexuellen Missbrauchs
widerstandsunfähiger Personen mehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit wird es auch grundsätzlich keine Geldstrafen für
solche Taten mehr geben, sondern nur noch Freiheits-
strafen von mindestens sechs Monaten. Besonders
schwere Fälle werden mit einer Mindestfreiheitsstrafe
von einem Jahr belegt.

Mit einer anderen Regelung erfüllen wir eine schon
seit Jahren vorgebrachte Forderung der Behindertenver-
bände. Künftig wird der Beischlaf mit einem wider-
standsunfähigen Menschen ebenso wie die Vergewalti-
gung bestraft, nämlich mit mindestens zwei Jahren
Freiheitsstrafe.

Wir haben bei sehr vielen Fällen des sexuellen Miss-
brauchs von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrich-
tungen oder unter Ausnutzung eines spezifischen Macht-
verhältnisses dafür gesorgt, dass die Verjährung ebenso
wie bei anderen Fällen ruht. Das heißt, künftig wird die
Verjährungsfrist für diese Taten bis zu dem Zeitpunkt, zu
dem das Opfer 18 Jahre alt wird, nicht laufen. Dann tritt
vielmehr die normale Verjährungsfrist ein. Das heißt,
jede Frau und jeder Mann kann, wenn er oder sie er-
wachsen ist und sich die schweren Folgen von Vergewal-
tigungen im Kindesalter, wie es häufig der Fall ist, dann
einstellen, noch den Täter zur Anzeige bringen und
Klage einreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Zugunsten der Opfer haben wir auch geregelt, dass
Opfern, die ihre eigenen Interessen nicht hinreichend
wahrnehmen können, ein kostenloser Opferanwalt bei-
geordnet wird; sie erhalten insofern eine Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zwei weitere Punkte möchte ich gerne noch erwäh-
nen:

Zum einen war es uns ein Anliegen, die Verbreitung
von Kinderpornographie über das Internet wirksa-
mer zu bekämpfen. Sie wissen, dass sich diese über die-
ses Medium sehr schnell verbreitet. Wir mussten fest-
stellen, dass die diesbezüglichen Strafandrohungen, die
wir im Gesetzbuch hatten, bei weitem nicht mehr ausrei-
chen. Der Handel in den so genannten geschlossenen
Benutzergruppen im Internet war von unserem Strafge-
setzbuch nämlich nicht umfasst. Deswegen bedurfte es
einer Änderung. Es können jetzt Freiheitsstrafen von bis
zu fünf Jahren verhängt werden, um dem Handel gerade
in diesen geschlossenen Benutzergruppen Einhalt zu bie-
ten.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])

Wir versprechen uns davon nicht nur eine Reduzierung
der Nachfrage nach solchen Bildern, sondern darüber hi-
naus vor allen Dingen eine Reduzierung der Produktion.
Man muss sich ja eines klar machen: Jedem Bild, das im
Internet gehandelt wird, ist ja vorher ein Missbrauch des
Kindes oder eine Gewalttat vorausgegangen; das ist ja
nötig, damit so etwas fotografiert werden kann. Darauf
zielen wir auch eigentlich hin.

Schließlich – das ist der nächste Punkt – werden wir
mit der vorgeschlagenen Möglichkeit der vorbehalten-
den Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden,
die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, eine
Gesetzeslücke schließen. Die Gerichte können sich
künftig auch bei den 18- bis 21-Jährigen, die nach Er-
wachsenenstrafrecht abgeurteilt werden, die Entschei-
dung über eine Sicherungsverwahrung bis zur Entlas-
sung des Täters vorbehalten. Das setzt voraus, dass der
Heranwachsende schwere Straftaten mit erheblicher
Schädigung seiner Opfer begangen hat und entspre-
chende Taten von ihm auch in Zukunft zu befürchten
sind.

Mit dieser Regelung tragen wir zum einen dem Si-
cherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung; wir be-
rücksichtigen zum anderen aber auch – darauf möchte
ich gerne besonders hinweisen – die Besonderheiten die-
ser Altersgruppe und die besondere Verantwortung des
Staates zur Förderung einer positiven Entwicklung von
jungen Menschen, selbst wenn sie schwere Straftaten be-
gangen haben.

Der Vorschlag eröffnet nicht pauschal – wie der Ent-
wurf der CDU/CSU-Fraktion es vorsieht – die Vorschrif-
ten des allgemeinen Strafrechts zur Sicherungsverwah-
rung, sondern es wird eine spezifische Lösung für diese
Altersgruppe geschaffen, die wir auch angesichts der
wissenschaftlichen Diskussion für erforderlich halten.

Ich meine, dass der Gesetzentwurf mit den vom
Rechtsausschuss empfohlenen Änderungen eine ausge-
wogene und in sich geschlossene Lösung für die anste-
henden Fragen des Sexualstrafrechts darstellt. Die Kin-
der- und Opferschutzverbände haben das im Übrigen
auch zum Ausdruck gebracht: Sie haben gesagt, dass sie
die vorgesehenen Regelungen sehr gut fänden, dass sie
sich einzig und allein an der Anzeigepflicht gestört hät-
ten.

Die Opposition fordere ich auf: Nehmen Sie den Op-
ferschutz ernst und stimmen Sie mit uns für dieses Ge-
setz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505612300

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norbert Röttgen

aus – –

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aus dem Rhein-Sieg-Kreis!)

– Von der CDU/CSU-Fraktion. – Ich hätte hinzufügen
können: Aus dem Rhein-Sieg-Kreis.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1505612400

Es ist eine besondere Ehre, dass mein schöner Wahl-

kreis hier Erwähnung findet.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Röttgen

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Sexualstraf-
rechts erfordert von uns als Gesetzgeber eine Gratwande-
rung. Geboten ist sowohl konsequente Entschlossenheit
als auch die Wahrung des rechtsstaatlichen Maßes.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Emotionale Anteilnahme an Einzelschicksalen ist legi-
tim. Die politische Instrumentalisierung solcher Einzel-
schicksale, wie wir sie leider erlebt haben, ist nicht legi-
tim, sie ist abstoßend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sagen Sie das Ihrem Bundeskanzler.

Die Erwartung der Bevölkerung an den Staat ist wahr-
scheinlich höher, als sie der auf Rationalität und Rechts-
staatlichkeit verpflichtete und dadurch begrenzte Staat
erfüllen kann. Rechtsstaatlichkeit und grundrechtlicher
Schutz der Bürger bilden aber nicht nur eine Grenze des
staatlichen Handelns, sondern auch ein Handlungsgebot,
wenn und weil es um den Schutz von Schwachen, den
Schutz von Kindern, von Behinderten und von Frauen,
gegen sexuelle Gewalt geht. Darum ist das rechtsstaat-
lich Mögliche zugleich das rechtsstaatlich Nötige.

Die Koalition, unter Einschluss des Bundeskanzlers,
ist in den letzten Monaten bei dieser Gratwanderung ein
paar Mal abgerutscht. Frau Zypries, auch Sie haben bei
Ihrem ersten wichtigen Gesetzgebungsvorhaben nicht si-
cher geführt. Nicht nur der Weg, sondern auch das Er-
gebnis ist nicht überzeugend. Das möchte ich anhand
von fünf konkreten Punkten nachweisen:

Erstens. Frau Zypries, am Anfang stand Ihre Forde-
rung, sexuellen Missbrauch nicht mehr nur als Verge-
hen, sondern als Verbrechen zu verfolgen. In einem In-
terview der „taz“ vom 20. November 2002 haben Sie
dazu erklärt:

Diese Heraufstufung soll deutlich machen, dass der
Kindesmissbrauch zu den abscheulichsten Strafta-
ten überhaupt gehört.

Ich zitiere weiter:
Es geht darum, der Gesellschaft ein Signal zu ge-
ben, dass auch die nicht ganz schweren Fälle beson-
ders verwerflich sind … Aber selbstverständlich
müssen die angedrohten Strafen angemessen sein.
Deshalb muss es die Möglichkeit geben, minder
schwere Fälle auch mit weniger als einem Jahr Haft
zu bestrafen.

Diese Aussage der Bundesjustizministerin, die sie
während ihrer Amtszeit machte, entspricht exakt der Po-
sition der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Stimmen Sie
ihr also zu. In der letzten Runde haben Sie bekannt, das
sei ein Irrtum gewesen.


(Brigitte Zypries, Bundesministerin: Kein Irrtum!)


Vielleicht war es nicht nur ein Irrtum; denn der rechts-
politische Sprecher der Grünen hatte in Reaktion auf
Ihre Ankündigungen sofort erklärt, Frau Zypries habe
dabei nur „für sich“ gesprochen. Politisch hat er leider
Recht behalten, auch wenn er in der Sache nicht Recht
hatte.

Unsere erste Forderung ist es, Kindesmissbrauch
nicht so zu behandeln wie Ladendiebstahl und Sachbe-
schädigung, sondern deutlich zu machen, dass Kindes-
missbrauch die schwerste Einstufung als abscheuliches
Verbrechen verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses gesellschaftspolitische Signal müssen wir geben.
Alle Ihre Kampagnen nützen nichts, wenn der Gesetzge-
ber selber diese Wertung nicht ernsthaft ausspricht.


(Joachim Stünker [SPD]: Reine Polemik!)

– Dann richtet sich dieser Vorwurf der reinen Polemik an
Ihre Bundesjustizministerin, die unsere Position vertre-
ten hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. „Wer bei Kindesmissbrauch wegschaut,

muss ins Gefängnis.“ Diese Überschrift der „Bild am
Sonntag“ drückte das nunmehr wichtigste Anliegen der
Frau Justizministerin aus. Sie haben für diese Auffas-
sung gekämpft, aber Sie sind mit dieser Auffassung al-
leine geblieben. Ich finde es bemerkenswert, mit welcher
Offenheit Sie heute eingeräumt haben, dass Sie sich
nicht haben durchsetzen können und dass Sie diesen Ge-
setzentwurf, der gleich beschlossen werden wird, in die-
sem für Sie entscheidenden Punkt nicht für richtig hal-
ten. Das ist auch das Eingeständnis mangelnder
politischer Durchsetzungsfähigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sind die Bundesjustizministerin und nicht nur ir-
gendein Mitglied des Bundestages, das sich auf diese Art
äußern kann.

Sie sind, wie gesagt, mit Ihrer Auffassung allein ge-
blieben. In der Sachverständigenanhörung des Rechts-
ausschusses haben alle Ihrer Auffassung widersprochen.
Die Rechtspraktiker haben gesagt, diese Vorschrift, die
die Justizministerin immer noch für richtig hält, sei nicht
praktikabel. Die Rechtswissenschaftler haben davon ge-
sprochen, dass sie überflüssig sei. Die Vertreter der Op-
ferverbände waren der Meinung, sie sei kontraproduktiv.

Ich zitiere den Bundesgeschäftsführer der Arbeitsge-
meinschaft deutscher Kinderschutzzentren, der in einem
Gespräche mit „Spiegel Online“ sagte: Wenn das Gesetz
geworden wäre, hätte das einen Sprengsatz in das ge-
samte System der Jugendhilfe gelegt. – Sie haben Ihre
Meinung nicht geändert und Sie haben sich nicht durch-
setzen können.

Für den Verzicht auf Ihr wichtigstes Anliegen wurde Ih-
nen von den Grünen eine kleine Konzession bei der Siche-
rungsverwahrung gemacht. Die Sicherungsverwahrung
soll nun bei Heranwachsenden, auf die Erwachsenen-
strafrecht angewendet wird, möglich sein. Diese Forde-
rung – das ist auch eine Forderung von uns – hatten Sie
immer vehement abgelehnt, weil das Ganze nach Ihrer
Meinung verfassungsrechtlich nicht möglich sei.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorbehalte! Sie müssen genau lesen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Röttgen

Ihre Bereitschaft, auf Kommando in die entgegenge-
setzte Richtung zu laufen, ist schon beachtlich, meine
Damen und Herren von der SPD und von den Grünen.
Wir halten das, was Sie vorschlagen, immer noch nicht
für ausreichend. Es bleibt noch eine Lücke.

Wir halten es im Hinblick auf die potenziellen Opfer
von Sexualverbrechen für nicht hinnehmbar – ja für
skandalös –, dass der Staat Verbrecher, die wahrschein-
lich erneut ein Gewaltverbrechen begehen werden, auf
freien Fuß setzt. Diese gegenwärtige Rechtslage wollen
Sie nicht ändern. Natürlich ist das ein großer Eingriff in
die Freiheit des Straftäters. Darum sind hohe Anforde-
rungen an das Verfahren zu stellen.


(Joachim Stünker [SPD]: Die haben Sie aber nicht!)


Aber wenn unabhängige Gutachter zu dem Ergebnis
kommen, dass die Wiederholungswahrscheinlichkeit
hoch ist, dann muss die Abwägung zugunsten des Opfers
und nicht zugunsten des Täters ausfallen. Es ist ein
rechtsstaatliches Gebot, Opfer zu schützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir können dem Bürger doch nicht vermitteln, dass

der Staat nicht anders handeln kann und den Täter auf
freien Fuß setzen muss, obwohl dieser Mensch mit hoher
Wahrscheinlichkeit erneut ein Verbrechen begehen wird.
Erst wenn er erneut ein Verbrechen begeht, sind Sie be-
reit, ihn in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Das ist
zynisch und absurd. Diese Verweigerung des Schutzes
von Opfern und der Bevölkerung ist keinem Menschen
zu erklären.

Sie haben zu der nachträglichen Sicherungsverwah-
rung unterschiedliche Auffassungen. Die Grünen haben
dazu noch im Ausschuss erklärt, sie sei aus materiell-
verfassungsrechtlichen Gründen nicht haltbar. Herr
Stünker hat ebenfalls erhebliche verfassungsrechtliche
Bedenken geäußert und davon gesprochen, dass die
nachträgliche Sicherungsverwahrung hoch problema-
tisch sei.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Auffassung!)


In der Sitzung des Rechtsausschusses war Ihr Minis-
terium auf mehrere Nachfragen des Kollegen Krings
nicht in der Lage, zu sagen, was denn Ihre verfassungs-
rechtliche Auffassung zu diesem Punkt ist. Der Parla-
mentarische Staatssekretär hat sich herausgewunden.


(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Sie müssen einmal zuhören, Herr Dr. Röttgen!)


Sie, Frau Zypries, halten materiell-verfassungsrechtlich
eine nachträgliche Sicherungsverwahrung für zulässig;
denn Sie haben die Länder aufgefordert, eine entspre-
chende Vorschrift zu erlassen. Das ist erneut ein offener
Dissens! Was gilt eigentlich in der Koalition auf dem
Gebiet der Rechtspolitik?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie es nach!)

Das bestätigt unsere These von der strukturellen Hand-
lungsunfähigkeit der Koalition auf diesem Gebiet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie können aus politischen Gründen nicht handeln und
das Notwendige tun.

Ich komme zum genetischen Fingerabdruck. Was
spricht eigentlich dagegen, dieses präventive Instrument
konsequent auszunutzen und den genetischen Fingerab-
druck auf alle Straftäter anzuwenden, die eine Straftat
mit sexuellem Hintergrund begangen haben? Das würde
dem Straftäter klar machen, dass er bei der nächsten
Straftat erwischt wird. Sie setzen aus ideologischen
Gründen dieses Instrument nicht ein.

Der letzte Punkt betrifft den sexuellen Missbrauch
von Widerstandsunfähigen. Die betroffenen Behinder-
ten halten es für diskriminierend, dass das Ausnutzen ih-
rer Widerstandsunfähigkeit nicht in gleicher Weise be-
straft wird wie das Brechen des Widerstandes.


(Joachim Stünker [SPD]: Wird es doch!)

– Nein, das ist falsch. – Der sexuelle Missbrauch von
Widerstandsunfähigen ist kein Verbrechen. Unsere For-
derung ist, diese Tat als Verbrechen einzustufen. Warum
weigern Sie sich, dieser Forderung nachzugeben?

Ich zitiere den früheren sozialdemokratischen Kolle-
gen – –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505612500

Nein, Herr Röttgen, Ihre Redezeit ist schon erheblich

überschritten.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1505612600

Ich ende mit dem Zitat des früheren sozialdemokrati-

schen Abgeordneten Antretter, der mir in einem Schrei-
ben mitgeteilt hat:

Sowohl Frau Ministerin Däubler-Gmelin als auch
Frau Ministerin Zypries hatten uns zugesagt, sich
für eine entsprechende Änderung des StGB einzu-
setzen.

Gemeint ist damit die Einstufung des sexuellen Miss-
brauchs von Widerstandsunfähigen als Verbrechen.
Auch diese Ankündigung ist nicht realisiert worden. Sie
halten die Forderungen nicht ein, die Sie an sich selbst
gestellt haben.

Dieses Gesetz ist eine Kette eingestandener Irrtümer,
erzwungener Korrekturen und fauler Kompromisse. Da-
rum findet es unsere Zustimmung nicht. Wir haben einen
überlegenen Entwurf eingebracht. Wenn Sie ihm zustim-
men, tun Sie etwas für den Opferschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505612700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-

Gerigk von Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was lange

währt, wird endlich gut. So könnte man das Gesetzge-
bungsverfahren zum Sexualstrafrecht beschreiben. An-
hörungen, produktiver Streit und die Lehre, dass das,
was gut gemeint ist, manchmal doch nicht gut ist, haben
jetzt zu einem guten Ergebnis geführt: Der Schutz der
Opfer wird verbessert, die Strafwürdigkeit einer Tat wird
im Strafmaß deutlich gemacht und Strafbarkeitslücken
werden geschlossen.

Leider gehören alle Formen von sexualisierter Gewalt
zu den alltäglichen Verbrechen in Deutschland. Sie wis-
sen, dass viele dieser Straftaten die Opfer an Körper und
Seele verletzen und ihre Persönlichkeit tiefgreifend ver-
ändern. Die Zahlen der Kriminalstatistik belegen es:
Die sexualisierte Gewalt an Kindern hat im letzten Jahr
um 6 Prozent zugenommen. Ich benutze den Begriff „se-
xualisierte Gewalt“ bewusst; denn das Wort „Miss-
brauch von Kindern“ impliziert, dass es auch einen Ge-
brauch von Kindern gibt. Dies werden wohl alle in
diesem Hause ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung hat
es 2002 eine Erhöhung um bis zu 14 Prozent gegeben.
Ich sehe darin eine erhöhte Bereitschaft, diese Delikte
anzuzeigen. Dies ist sicherlich auch ein Erfolg des 2002
in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetzes, das Frauen in
die Rechtsposition versetzt, sich effektiver gegen Ge-
walttäter zur Wehr zu setzen. Das ist praktizierter Opfer-
schutz.

Auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den
dazu eingebrachten Änderungen verfolgen wir das Ziel,
die Opfer zu stärken. Unsere Leitlinie – sozusagen der
rot-grüne Faden der Reform – ist die Verbesserung des
Opferschutzes. Dabei gilt unser Augenmerk ganz be-
sonders den Kindern und den Menschen mit Behinde-
rung.

Unser Bemühen, zusammen mit der Bundesregierung
dieses Gesetz in allen Punkten optimal auf die Erforder-
nisse der Praxis abzustimmen, ist auch daran zu erken-
nen, dass noch im Gesetzgebungsverfahren wesentliche
Verbesserungen erreicht wurden. Den Rat der Fachex-
pertinnen und -experten aus den Verbänden und der ge-
richtlichen Praxis haben wir aufgenommen. Herr Kol-
lege Röttgen, es gibt hier überhaupt keinen Anlass für
Häme gegenüber der Ministerin. Für mich ist es ein Zei-
chen von Stärke, die eigene Position zu verändern, wenn
man damit etwas Besseres bewirken kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Hat sie ja nicht getan!)


Dafür danke ich Ihnen, Frau Ministerin, ausdrücklich.
Meine Damen und Herren, ich gehe zunächst auf die

Änderungen zum Schutz von Kindern vor sexualisierter
Gewalt ein. Gerade diese verabscheuungswürdigen Ver-
brechen erregen in der Öffentlichkeit immer wieder be-
sonderes Aufsehen. Hier haben wir Strafbarkeitslücken
geschlossen. Bisher waren teilweise schwer wiegende
Gefährdungen von Kindern straffrei, zum Beispiel das
Anbieten von Kindern im Internet. Der Gesetzentwurf
reagiert auf die neuen Entwicklungen bei der Internetkri-
minalität. So können in Zukunft auch Täter verfolgt wer-
den, die Kinder im Internet anbieten.

Daneben haben wir auch den Strafrahmen für Kin-
derpornographie angehoben; denn Kinderpornographie
ist für uns keine Bagatelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ebenso wird es keine bloße Geldstrafe mehr bei sexu-
ellem Missbrauch geben. Stattdessen wird die Mindest-
strafe eine Freiheitsstrafe von drei Monaten sein. Dies
macht den Unrechtsgehalt der Tat deutlicher.

Die Möglichkeiten, einen minder schweren Fall an-
zunehmen, haben wir stark eingeschränkt. Bei sexuellen
Übergriffen empfinden die Opfer die Bezeichnung „min-
der schwer“ oft als Verharmlosung. Daher wurde diese
Möglichkeit auch nur für den Einzelfall beibehalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
die von Ihnen vorgeschlagene Mindeststrafe von einem
Jahr für jede Form von sexuellem Missbrauch von Kin-
dern ist eine Mogelpackung.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Im minder schweren Fall, im Gegensatz zu Ihnen!)


Auf der einen Seite suggerieren Sie, es handle sich in je-
dem Fall um einen Verbrechenstatbestand, selbst wenn
es um eine einvernehmliche sexuelle Handlung zwi-
schen einer 13-Jährigen und einem 15-Jährigen geht.
Auf der anderen Seite wollen Sie den minder schweren
Fall beibehalten, der sogar mit einer Geldstrafe geahndet
werden kann.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505612800

Frau Schewe-Gerigk, erlauben Sie eine Zwischen-

frage?

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Hat sich er ledigt!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies hat sich mit meinem letzten Satz erledigt. – Herr
Röttgen, Sie sollten warten, bis ich fertig bin. Dann stim-
men auch Sie mir zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Menschen mit Behinderungen sind besonders gefähr-

det, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden. Auch
sie erhalten endlich den gleichen strafrechtlichen Schutz
wie alle anderen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505612900

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Herr Kauder möchte

eine Zwischenfrage stellen. Sie genehmigen das?






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505613000

Bitte schön, Herr Kauder.

Siegfried Kauder (CDU):
Rede ID: ID1505613100

Frau Kollegin, weil es zum zweiten Mal falsch gesagt

wird, erlaube ich mir eine Zwischenfrage: Sind Sie be-
reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass nach § 47 Abs. 2
StGB Freiheitsstrafen von bis zu einem halben Jahr auch
als Geldstrafen verhängt werden können und dass Ihre
Behauptung, die Mindestfreiheitsstrafe von drei Mona-
ten lasse eine Geldstrafe nicht zu, demnach falsch ist?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Mindeststrafe haben wir auf drei Monate fest-
gesetzt. Natürlich besteht die Möglichkeit, in jedem ein-
zelnen Falle eine Geldstrafe zu verhängen; das wissen
wir. Trotzdem ist es wichtig, ein Signal zu geben, dass
ein sexualisierter Missbrauch nicht mit Geld entkräftet
werden kann. Für die Opfer, die Unrecht erlitten haben,
ist es sehr wichtig, zu wissen, dass der Täter möglicher-
weise auch ins Gefängnis gehen muss. – Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siehe Anhörung!)


Ich möchte jetzt auf die widerstandsunfähigen Perso-
nen und damit auch gleich auf die Position der CDU/
CSU eingehen: Auch hier haben Sie gefordert, dass der
Grundtatbestand der Vergewaltigung mit einem Jahr
Strafe belegt wird. Wir haben gesagt: Wir belassen die
jetzige Regelung. Aber die Mindeststrafe haben wir ge-
strichen. Insofern ist das zwar rechtsdogmatisch etwas
anderes; aber wir kommen zu dem gleichen Ergebnis.
Wir haben mit den Behindertenverbänden sehr intensiv
darüber gesprochen. Die Vergewaltigung einer wider-
standsunfähigen Person ist mit zwei Jahren Freiheits-
strafe belegt. In anderen Fällen wird § 177 StGB in An-
rechnung gebracht; das wissen Sie genauso wie ich.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist ein Verbrechenstatbestand! Das ist das Entscheidende!)


Wir haben weitere Verbesserungen zum Schutz von
Menschen mit Behinderungen erreicht. Ich nenne hier
nur die zwingende Nebenklagevertretung bei Menschen
mit einer geistigen Behinderung, die Gleichstellung im
ambulanten und stationären Bereich und die Strafbarkeit
des sexuellen Missbrauchs in der Therapie bei körperlich
Behinderten, die bisher davon ausgenommen wurden.

Aber alle gesetzlichen Verbesserungen – so nötig sie
sind – haben eine Grenze und die heißt: Strafanzeige.
Denn es lässt sich nur das verfolgen, was vorher zur An-
zeige gebracht wurde. Deshalb muss es in unser aller In-
teresse sein, die Anzeigenbereitschaft zu erhöhen. Die
Absicht, Menschen verstärkt zum Hinschauen zu bewe-
gen, anstatt wegzuschauen, hat die Praxis begrüßt. Ernst
zu nehmende Bedenken haben dazu geführt, die geplante
Anzeigenpflicht wieder zurückzunehmen. Missbrauchs-
opfer brauchen Zeit. Sie brauchen unterstützende Hilfe
durch Vertrauenspersonen, bevor sie im Strafverfahren
aussagen können. Eine Pflicht zur Anzeige hätte für die
Opfer die Hemmschwelle angehoben, sich jemandem
anzuvertrauen. Erfahrungsgemäß ist das betroffene Kind
dann zu keinerlei Aussage mehr bereit. Möglicherweise
bliebe es dem sexuellen Missbrauch länger ausgeliefert.

Wir brauchen präventive Maßnahmen, Aufklärungs-
aktionen und ein möglichst breites Angebot an Bera-
tungsmöglichkeiten. Ich stimme mit dem FDP-Antrag
überein. Es tut gut, dass die FDP ihr Rechtsstaatsprofil
schärfen möchte. Denn der Ausfall von Frau Pieper,
Menschen für etwas zu bestrafen, was andere getan ha-
ben, hatte mit Rechtsstaatlichkeit und liberalem Denken
nicht sehr viel zu tun.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, wir sind in vielen Punkten auf Sie zugegan-
gen. Wir haben die Möglichkeit der DNA-Analyse auf
alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung er-
weitert, im Einzelfall bei einer geringfügigen Tat. Aber
das ist Ihnen noch immer nicht genug: Sie fordern eine
umfassende Erweiterung auf andere Delikte. Für uns ist
das rechtsstaatlich äußerst bedenklich. Da machen wir
nicht mit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ebenso sieht es mit der Sicherungsverwahrung für
Heranwachsende aus. Sie wollen eine nachträgliche
Anordnung bis zum Tage vor der Entlassung, ohne dass
das Gericht das im Urteil vorgesehen hat. Das halten wir
für verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Stattdessen ha-
ben wir uns für einen eng eingegrenzten Bereich ent-
schieden, zum Beispiel wenn jemand zu einer Strafe von
fünf Jahren verurteilt wurde und der Vollzug der Strafe
grundsätzlich in einer sozialtherapeutischen Anstalt er-
folgt.

Im vorliegenden Gesetzentwurf und im Entschlie-
ßungsantrag wird der Fokus auf die strafrechtlichen As-
pekte gelegt. Allerdings kann das beste Strafrecht nicht
ersetzen, was wir alle zu verantworten haben: eine sen-
sible und aufmerksame Gesellschaft, die jede Form von
sexualisierter Gewalt ächtet und den Opfern Schutz und
Hilfe bietet.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505613200

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk von

der FDP-Fraktion.

Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1505613300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue

mich, dass wir bei der Beratung der verschiedenen






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk

Gesetzesinitiativen zum Sexualstrafrecht von einer an-
fänglich sehr emotionalen Diskussion doch zu einer der
Sache angemessenen Debatte gefunden haben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr gut!)

Damit können wir der Ernsthaftigkeit des Themas ge-
recht werden.

Die Tatsache, dass man nach den umfassenden Refor-
men der vergangenen Legislaturperioden erneut zu einer
Reform dieses Themenkomplexes kommt, zeigt, wie
sehr dieser Bereich in den Blickpunkt der Öffentlichkeit
gerückt ist. Trotzdem dürfen wir nicht der Versuchung
erliegen, die notwendige juristische Feinarbeit hinter
plakativen Aktionismus zurücktreten zu lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier sind gerade die Aufstufung des Strafrahmens bei
sexuellem Missbrauch von Kindern vom Vergehen zum
Verbrechen sowie der Wegfall des minder schweren Fal-
les zu nennen. Dies mag den Eindruck der Handlungsfä-
higkeit des Gesetzgebers bei der Bevölkerung hervorru-
fen, hat aber den gegenteiligen Effekt, da absehbar ist,
dass in der Praxis die Neigung zur Einstellung von Baga-
tellfällen steigen wird. Zu Recht sollte aber hier die
Strafbarkeitsschwelle schon früh einsetzen, um einen
möglichst hohen Schutz von Opfern gerade in Anfangs-
bereichen solcher Straftaten zu erreichen. Im Übrigen
kann man durch die Verschiebung von Strafrahmen kei-
nen Richter veranlassen, diese Strafrahmen tatsächlich
auszuschöpfen. Hier ist die Regierung ebenso wie die
CDU/CSU-Fraktion schlichtweg auf dem Holzweg.

Zu begrüßen sind die Maßnahmen gegen die Verbrei-
tung der Kinderpornographie. Hier sind die Vorschläge
von Rot-Grün geeignet, dem offenbar bestehenden
Handlungsbedarf gerecht zu werden. Der eigenständige
Straftatbestand macht deutlich, dass wir das besondere
Unrecht dieser Handlungen würdigen und der durch die
Entwicklung gerade des Internets stark veränderten Ver-
breitungssituation ernsthaft Rechnung tragen.


(Beifall bei der FDP)

Ein weiteres Problemfeld, das in der Diskussion im-

mer wieder angeschnitten wurde, ist die nachträgliche
Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Heran-
wachsenden. Hier ist grundsätzlich zu sagen, dass die
FDP-Fraktion die Einführung dieses Instruments für
sinnvoll erachtet. Aus rechtsstaatlicher Sicht sind wir
aber für die Vorbehaltslösung, das heißt das Vorsehen
der nachträglichen Anordnung der Sicherheitsverwah-
rung durch das erkennende Gericht.

In diesem Zusammenhang sind wir auf die Entschei-
dung des Verfassungsgerichts gespannt, die uns hoffent-
lich bei der Frage, ob diese Materie im Rahmen der Ge-
fahrenabwehr bei den Ländern oder als strafprozessuale
Frage in der Kompetenz des Bundes zu regeln ist, Klä-
rung bringen wird. Aus meiner Sicht wäre hier eine bun-
desweit einheitliche Regelung sehr zu begrüßen, um im
gesamten Bundesgebiet einheitliche Sicherheitsstan-
dards zu gewährleisten. Im Moment haben wir da sozusa-
gen einen Flickenteppich, je nach Regelung auf Landes-
ebene. Das ist letztendlich nicht wirklich überzeugend.


(Beifall bei der FDP)

Die Einführung der DNA-Analyse unabhängig von

der erheblichen Bedeutung der Anlasstat greift eine For-
derung auf, die auch aus der FDP stammt. Sie stellt auf
die mittlerweile wissenschaftlich fundierte Erkenntnis
ab, dass ein erheblicher Anteil der zunächst als Exhibi-
tionisten auffällig gewordenen Menschen später Täter
eines gewalttätigen Sexualdelikts wird. Gerade hier kann
nach meiner Auffassung in dem uns allen am Herzen lie-
genden präventiven Bereich eine Menge getan werden.

Hier liegt auch der Schwachpunkt der vorliegenden
Entwürfe der Regierungskoalition und der CDU/CSU-
Fraktion. Um die Zahl der Missbrauchsfälle zu verrin-
gern, ist ein integriertes Maßnahmenpaket erforderlich,
das sich nicht in der Änderung von Strafgesetzen er-
schöpft. Vielmehr muss die psychosoziale Versorgung
von missbrauchten Kindern – ich greife sehr gerne Ihre
Aussage, Frau Schewe-Gerigk, auf, dass es sich hier um
Opfer von sexualisierter Gewalt handelt, und stelle den
Begriff „Missbrauch“ infrage; das Thema ist sexuelle
Gewalt an Kindern – gewährleistet und die Präventions-
arbeit gestärkt werden. Daran müssen wir arbeiten.

Auch eine weitere Stärkung von Opferrechten ist
ein Schritt in die richtige Richtung. Hierzu gehören eine
weitere Stärkung der Nebenklage, die Bereitstellung ei-
nes Opferanwalts sowie die Beteiligung des Opfers im
Fall einer Einstellung des Verfahrens, um ihm auch dann
noch eine echte Mitwirkungsmöglichkeit zu geben.


(Beifall bei der FDP)

Vor Gericht muss vermieden werden, dass die Kinder

ein zweites Mal zu Opfern werden.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Dazu ist es auch erforderlich, besser auf die bereits ge-
schaffenen zahlreichen Möglichkeiten zu ihrem Schutz
im Verfahren hinzuweisen, sodass diese stärker in An-
spruch genommen werden. Dies kann auch mit einer ge-
setzlichen Hinweispflicht auf das Opferentschädigungs-
gesetz geschehen.

Im präventiven Bereich muss eine verstärkte Aufklä-
rung mit einer erhöhten Sensibilität gegenüber den An-
zeichen und Phänomenen der sexualisierten Gewalt an
Kindern einher gehen. Gerade die Stärkung des Selbst-
bewusstseins der Kinder ist der beste Schutz vor Über-
griffen. Es ist für Kinder sehr wichtig zu erleben, dass
ihnen geglaubt wird. Wenn ihre Geschichte aufgrund
falsch verstandener Loyalität mit dem Täter oder dessen
Umfeld, welches häufig dasselbe ist wie das des Kindes,
mit einem Achselzucken abgetan wird, ist es nur noch
leichter Opfer. Es handelt sich hier ganz häufig um Be-
ziehungsstraftaten und selten um die in der Presse wahr-
genommenen spektakulären Fälle.

In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass die
Nichtanzeige von Sexualstraftaten nicht in den Katalog
des § 138 StGB aufgenommen worden ist. Dies würde
zu einer unerträglichen Belastung für potenzielle Zeugen






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk

führen, die dann immer in einer Grauzone stehen und
sich letztendlich häufig auch dem Vorwurf der falschen
Verdächtigung ausgesetzt sehen würden.


(Beifall bei der FDP)

Für sehr wichtig, Frau Ministerin, halte ich Ihren Vor-

schlag, der mich sehr positiv überrascht hat, die Fortbil-
dung für Richter und Staatsanwälte zu forcieren. Hier
besteht ein großer Nachholbedarf und die Justiz, auch
die Justiz der Länder, muss sich sehr ernsthaft darum
kümmern. Nach meiner Meinung müssen das auch die
Familienrichter – es betrifft nicht nur die Strafjustiz, son-
dern auch die Ziviljustiz, soweit sie mit dieser Problema-
tik zivilrechtlich befasst ist – tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505613400

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1505613500

Den Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion, die Therapie-

möglichkeiten für Täter einer Evaluierung zu unterzie-
hen und ein Forschungsprojekt in diesem Feld durchfüh-
ren zu lassen, halten wir für sehr richtig und notwendig.

Sie sehen, meine Damen und Herren, dass alle von
der FDP-Fraktion gemachten Vorschläge im Entschlie-
ßungsantrag der FDP-Fraktion ihren Niederschlag fin-
den. Wir hoffen, dass damit tatsächlich dem Thema der
Sexualstraftaten fachlich sehr viel besser entsprochen
wird und letztendlich auch für die Opfer eine Entwick-
lung eintritt, die ihnen hilft und ihnen die Möglichkeit
bietet, sich wieder in der Gesellschaft zurechtzufinden,
nachdem sie Schweres erlebt haben.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505613600

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin

Renate Gradistanac von der SPD-Fraktion.

Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1505613700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sexueller
Missbrauch von Kindern – ich bleibe jetzt bei dem ein-
geführten Begriff, obwohl ich sehr viel mehr Sympathie
für den Begriff sexualisierte Gewalt habe, den Sie ver-
wendet haben –, Kinderpornographie, Kinderhandel und
Kinderprostitution sind abscheuliche Straftaten und
müssen konsequent verfolgt und bestraft werden. Die-
sem Ziel kommen wir mit der heutigen Reform des Se-
xualstrafrechts ein großes Stück näher.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig ist die Reform ein wichtiger Beitrag zur
Umsetzung des nationalen Aktionsplans zum Schutz
von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt
und Ausbeutung. Daran möchte ich ausdrücklich erin-
nern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Aktionsplan geht zurück auf den Zweiten Weltkon-
gress gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von
Kindern, der im Dezember 2001 in Yokohama stattge-
funden hat. Wir durften mitreisen; Herr Haupt, Sie wis-
sen bestimmt noch – ich erinnere mich besonders gut da-
ran –, dass sich die teilnehmenden Staaten verpflichtet
haben, anhand einer nationalen Gesamtstrategie die se-
xuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche umfassend
zu bekämpfen.

Der Aktionsplan bündelt ressortübergreifend einen
Katalog von Maßnahmen, die vier Ziele verfolgen: den
strafrechtlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen
weiterzuentwickeln – darüber diskutieren wir heute –,
Prävention und Opferschutz zu stärken, internationale
Strafverfolgung und Zusammenarbeit sicherzustellen
und die Vernetzung der Hilfs- und Beratungsangebote zu
fördern. Frau Ministerin, Sie haben vorhin einige Bei-
spiele dazu genannt.

Die Reform des Sexualstrafrechts ist eine – ich
möchte herausstellen: eine – zentrale Maßnahme bei der
Umsetzung dieser Ziele. Dabei geht es uns im Gegensatz
zur CDU/CSU-Fraktion nicht um eine grundsätzliche
Verschärfung. Wir wollen Lücken im Gesetz schließen
und eine differenzierte Anpassung vornehmen.


(Beifall bei der SPD)

Das will ich an einigen Beispielen verdeutlichen:

Der strafrechtliche Schutz von Kindern gegen sexuel-
len Missbrauch wird durch neue Straftatbestände verbes-
sert. So macht sich bei einfachem sexuellen Missbrauch
ohne Körperkontakt künftig auch strafbar, wer durch
Schriften auf ein Kind einwirkt, wer ein Kind zu sexuel-
lem Missbrauch anbietet und wer sich mit einem anderen
zum sexuellen Missbrauch eines Kindes verabredet. Da-
mit wird eine große Lücke im Strafgesetz geschlossen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang möchte ich herausstellen,
dass wir das so genannte elterliche Erzieherprivileg ein-
schränken. Dadurch wollen wir die Verantwortung der
Eltern und Sorgeberechtigten, die zum Beispiel porno-
graphische Schriften zugänglich machen, einfordern.

Die Strafbarkeit der Darstellung von Gewalttätigkeit
wird um das Merkmal „menschenähnliche Wesen“ er-
weitert. Gemeint sind künstliche Wesen, Außerirdische
oder auch gezeichnete Menschen. Die schockierenden
Ereignisse von Erfurt erfordern die verbesserte Bekämp-
fung von Gewaltdarstellungen.

Die heutige Reform umfasst auch den wichtigen Be-
reich des Kinderhandels. Mündel und Pfleglinge werden
in den Kreis der geschützten Personen aufgenommen.
Die Schutzaltersgrenze wird von 14 auf 18 Jahre ange-
hoben.






(A) (C)



(B) (D)


Renate Gradistanac

Wichtig und richtig ist, dass Nebenklageberechtigte,

die aufgrund ihrer psychischen und physischen Situation
nicht in der Lage sind, ihre Interessen ausreichend wahr-
zunehmen, einen so genannten Opferanwalt bestellen
können.

Im EU-Jahr für Menschen mit Behinderungen – das
wurde heute schon verschiedene Male angesprochen –
freut es mich, dass wir die Forderungen der Behinderten-
verbände aufnehmen und erfüllen konnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angeglichen werden die Strafrahmen des sexuellen
Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen an die
Strafrahmen der sexuellen Nötigung bzw. der Vergewal-
tigung nach § 177 StGB.

Die Einführung einer Anzeigepflicht bzw. Mittei-
lungspflicht ist nicht weiter verfolgt worden. Wir haben
die Bedenken der Praktikerinnen und Praktiker ernst ge-
nommen; ich bedanke mich an dieser Stelle für die kon-
struktive Unterstützung. Damit wird deutlich, dass das
Kindeswohl oberste Priorität hat und keine Mechanis-
men in Gang gesetzt werden, die dem Strafrecht gerade
in diesem hoch sensiblen Bereich einen Vorrang einräu-
men.

Frau Ministerin Zypries, wir unterstützen ausdrück-
lich Ihre Auffassung, dass Menschen mehr Zivilcourage
zeigen müssen und „hinschauen statt wegschauen“ sol-
len.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine breit angelegte Präventionskampagne mit dem
Ziel, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für das drän-
gende Problem des sexuellen Missbrauchs zu schärfen,
begrüßen wir nachdrücklich.

Einen besonderen Handlungsbedarf sehen wir in der
Tourismuswirtschaft, die aufgerufen ist, ihren eigenen
Ehrenkodex endlich einmal ernst zu nehmen und umzu-
setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505613800

Das Wort hat der Justizminister des Landes Hessen,

Christean Wagner.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1505613900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich spreche zu einer Bundesratsinitiative des
Landes Hessen betreffend das Strafvollzugsgesetz.

Nach unseren Vorstellungen soll § 2 dieses Gesetzes
dahin gehend geändert werden, dass der Schutz der
Allgemeinheit als gleichrangiges Vollzugsziel neben der
Resozialisierung Berücksichtigung findet.

Die im Strafvollzugsgesetz genannten Ziele und Auf-
gaben des Strafvollzugs müssen nach meiner Überzeu-
gung in eine neue Balance gebracht werden. Der jetzige
Gesetzestext erweckt den Eindruck, als müsse der Straf-
vollzug ausschließlich auf die Resozialisierung des Tä-
ters ausgerichtet sein.

Unser Anliegen ist Folgendes: Der Schutz der Allge-
meinheit vor dem Straftäter darf keine bloß nachrangige
Aufgabe des Strafvollzugs sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Gesetzestext muss eindeutig zum Ausdruck gebracht
werden, dass der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren
Straftaten ebenfalls ein Vollzugsziel ist und dass dieses
gleichrangig neben das Ziel der Resozialisierung tritt.

Die geltende Fassung des § 2 lautet wie folgt:
Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene
fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein
Leben ohne Straftaten zu führen …

Folgendes soll angefügt werden:
Zugleich dient der Vollzug der Freiheitsstrafe dem
Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten

(Vollzugsziele).


Die derzeitige Struktur des § 2 Strafvollzugsgesetz ver-
leitet zu dem Schluss, dass der Schwerpunkt des Voll-
zugs in der als Vollzugsziel genannten Resozialisierung
liegt und dass der Schutz der Allgemeinheit zwar eine
Aufgabe, jedoch nicht das Ziel des Strafvollzugs sei. In
der Rechtsprechung und der Literatur wird daher konse-
quenterweise die Auffassung vertreten, dass der Reso-
zialisierung der uneingeschränkte Vorzug gelte.


(Joachim Stünker [SPD]: So ist es!)

Die Resozialisierung sei oberste Richtschnur für die
Gestaltung des Vollzugs im Allgemeinen und im Einzel-
nen. Alle übrigen Aufgaben, also auch der Schutz der
Allgemeinheit, und die allgemeinen Strafzwecke des
Strafgesetzbuchs, zu denen ich hier auch gern reden
würde, dies aber aus Zeitgründen nicht tun kann, seien
nachrangig. Die damit notwendig verbundene Inkauf-
nahme von Risiken etwa bei der Gewährung von Aus-
gang, Freigang, Urlaub aus der Haft und offenem Voll-
zug sei gerechtfertigt. Dem Prinzip der Eröffnung von
Freiheitsspielräumen zur Einübung sozialer Verantwor-
tung gebühre der Vorrang.

Meine Damen und Herren, diese Auffassung teile ich
ausdrücklich nicht. Ich halte es nicht für akzeptabel, im
Zweifel der Resozialisierung den Vorrang vor der Si-
cherheit der Allgemeinheit zu geben. Strafvollzug darf
nicht auf dem Rücken potenzieller Opfer stattfinden.

Mit der Fixierung auf die Resozialisierung als einzi-
gem Vollzugsziel wird verkannt, dass Freiheitsstrafe
selbstverständlich auch dann zu vollziehen ist, wenn klar
ist, dass dieses Vollzugsziel nicht erreicht werden kann.

Meine Damen und Herren, im Übrigen möchte ich
noch auf Folgendes hinweisen: Die Gefangenenpopula-
tion mit den Problemgruppen der Ausländer, der
Drogenabhängigen und der Gewalttäter hat sich in den
letzten Jahrzehnten nachhaltig verändert. Bundesweit ist
der Ausländeranteil von 9 Prozent im Jahre 1977 auf






(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Dr. Christean Wagner (Hessen)


30 Prozent im Jahre 2002 gestiegen. Hessen liegt mit ei-
nem Ausländeranteil von 44 % an der Gesamtzahl der
Gefangenen bundesweit an der Spitze. In der Untersu-
chungshaft beträgt dieser Anteil in Hessen sogar etwa
64 Prozent.

Es muss heute auch zur Kenntnis genommen werden,
dass immer mehr Gefangene für Behandlungen ungeeig-
net sind. Unter den ausländischen Strafgefangenen be-
findet sich eine steigende Anzahl Gefangener ohne jegli-
che soziale Wurzel in Deutschland. Das Vollzugsziel der
Resozialisierung läuft hier völlig ins Leere.

Lassen Sie mich deshalb Folgendes feststellen: Im Ge-
setzentwurf des Bundesrates wird – das will ich zur Ver-
meidung von Missverständnissen ausdrücklich sagen –
keine Alternative zum Resozialisierungsauftrag, sondern
die längst überfällige Aufwertung des gleichrangigen
Auftrages des Staates zur Sicherheitsgewährleistung
postuliert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Um es noch einmal mit anderen Worten zu sagen: Das

Ziel der Resozialisierung ist parteiübergreifend völlig
unbestritten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Es ist ein vernünftiges Ziel, dafür zu kämpfen, dass ein
straffällig gewordener Straftäter nach Verbüßung der
Haft als – ich will es einmal mit meinen Worten sagen –
rechtstreues Mitglied unserer Rechtsgemeinschaft wie-
der in die Gesellschaft eingegliedert werden kann. Dage-
gen kann doch niemand etwas haben, auch ich nicht.


(Hans-Christian Ströbele GRÜNEN)


– Nicht „fast“.
Ich sage aber gleichzeitig: Auch die Sicherheitsbe-

lange der Bevölkerung müssen beim Vollzug der Strafe
beachtet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das tun wir doch!)


– Herr Schmidt, so steht es aber nicht im Gesetzent-
wurf. – Ich füge hinzu: Wenn ich zwischen dem Ziel der
Resozialisierung des Straftäters auf der einen Seite und
dem Ziel des Schutzes der Bevölkerung auf der anderen
Seite abwägen muss – das ist ein schwieriger Vorgang –,
dann muss ich im Zweifel für den Schutz der Bevölke-
rung votieren. Ich bin sehr gespannt darauf, von Ihnen zu
hören, ob Sie das aufgrund Ihrer Erfahrungen aus der
Praxis anders sehen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also gar kein Freigang mehr?!)


Ich jedenfalls plädiere dafür, dass § 2 des Strafvoll-
zugsgesetzes in dem vorgetragenen Sinne novelliert
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505614000

Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Stünker von

der SPD-Fraktion.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1505614100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Röttgen, ich
meine, das Thema, das wir heute am späten Nachmittag
hier behandeln, ist viel zu ernst, als dass man derart po-
lemisch und populistisch damit umgehen kann, wie Sie
es in Ihrer Rede heute wieder getan haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Man muss doch mal Kritik vertragen können!)


Vor allen Dingen die Vorwürfe, die Sie an die Justizmi-
nisterin gerichtet haben, wiederholen sich; es perpetuiert
sich langsam.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Welcher war denn falsch?)


Herr Kollege Röttgen, Sie haben jede Woche dieselbe
Melodie drauf. Ich glaube, Sie sollten das in Zukunft ein
wenig zurückfahren. Es würde der Zusammenarbeit die-
nen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Soll er lieber singen?)


Ich möchte mich heute schwerpunktmäßig noch ein-
mal mit dem Thema beschäftigen, das auch bei Ihnen
wieder eine große Rolle gespielt hat, nämlich mit der
Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwah-
rung. Sie möchten von uns, dass wir das ins – ich
betone – Strafgesetzbuch schreiben; das ist Ihr Begeh-
ren.

Ich bin seit 1998 im Bundestag und glaube, dass ich
heute meine siebte Rede zu diesem Thema halte. So
lange schon kommen Sie fortwährend mit dem gleichen
Anliegen. Heute beraten wir den über den Bundesrat uns
zugeleiteten Entwurf aus Baden-Württemberg mit.


(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Wir wollen den § 106 JGG ändern und nicht das materielle Strafrecht, Herr Kollege!)


– Nein, Sie wollen den § 66 StGB ändern.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Nein, den § 106 JGG, schauen Sie nach!)


– Ja, das ist die sich anschließende Geschichte. Das an-
dere ist der Entwurf aus Baden-Württemberg, Herr Kol-
lege. Das ist der Punkt, um den es Ihnen hierbei geht.
Herr Kollege Röttgen hat vorhin ja auch darauf hinge-
wiesen.

Wie sieht die Rechtslage heute aus? Ich glaube, das
müssen wir noch einmal kurz darstellen. Im vorigen Jahr
haben wir hier die Regelung getroffen, nach der sich der
Tatrichter im Urteil eine Sicherungsverwahrung vorbe-
halten kann. Nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe von






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker

mehreren Jahren wird durch das Tatgericht endgültig ge-
prüft, ob es zu verantworten ist, einen Straftäter aus der
Haft zu entlassen oder ob die Sicherungsverwahrung
vollzogen werden muss.

Sie fordern von uns immer wieder eine Regelung, die
es ermöglicht, auch nachträglich noch eine Sicherungs-
verwahrung anzuordnen. Dabei denken Sie an Straftäter,
für die das Gericht bei der Verurteilung zwar keine Si-
cherungsverwahrung angeordnet hat, die aber während
des Vollzugs bei bestimmten Personen den Eindruck er-
wecken, sie seien so gefährlich, dass sie zukünftig ver-
gleichbare Straftaten begehen werden. Genau darum
geht es. Zu dieser Frage – darum widme ich mich diesem
Thema – verbreiten Ihre Kolleginnen und Kollegen in
der Lokalpresse Polemik, die teilweise wirklich abstrus
ist.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wer macht das denn? – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Guter Mann!)


– Auch Ihr Kollege Grindel ist ein guter Mann, aber von
rechtsstaatlichen Dingen versteht er wenig; das ist rich-
tig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben Ihnen schon von Anfang an gesagt, dass
wir gegen eine solche Regelung schwerwiegende ver-
fassungsrechtliche Bedenken haben. Sie sind auch
heute nicht ein einziges Mal bereit gewesen, sich mit
diesen Bedenken auseinander zu setzen. Ich nenne Ihnen
noch einmal die drei wesentlichen Gründe:

Erstens. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung,
wie von mir skizziert und von Ihnen gefordert, verstößt
nach Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes gegen das
Rückwirkungsverbot. Sie treffen damit einen Personen-
kreis, der zu einem Zeitpunkt verurteilt worden ist, als es
eine solche Regelung gar nicht gegeben hat.

Zweitens. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung
verstößt nach Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes gegen
das Verbot der Doppelbestrafung. Bei ihrer Anordnung
würden gegen einen Straftäter durch zwei konstitutive
Entscheidungen nacheinander eine Freiheitsstrafe ver-
fügt.


(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Das ist Unsinn!)


Drittens – das ist das wesentliche Argument –: Die
nachträgliche Sicherungsverwahrung, die von Ihnen ge-
fordert wird, ist mit Art. 5 Abs. 1 der Europäischen
Menschenrechtskonvention unvereinbar; denn danach ist
nur die in einer strafrechtlichen Verurteilung angeord-
nete Sicherungsverwahrung zulässig. Sie wollen dies zu-
künftig durch Beschluss auf der Grundlage einer Ge-
fährdungsprognose zulassen. Ich meine, das ist nicht
tragbar. Die Bedenken, die ich Ihnen eben genannt habe,
sind in mehreren Anhörungen, die wir seit 1998 gemein-
sam durchgeführt haben, von den Sachverständigen be-
stätigt worden.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505614200

Herr Kollege Stünker, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Kauder?

Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1505614300

Nein, jetzt keine Zwischenfrage.


(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Das wird auch besser sein!)


Ein weiterer, aus unserer Sicht durchschlagender Ein-
wand ist prozessrechtlicher Natur; auch darauf gehen Sie
nie ein. Stattdessen haben Sie vorhin erklärt, das, was
Sie vorschlagen, sei ein rechtsstaatlich sicheres Verfah-
ren. Die von Ihnen vorgeschlagene Regelung unterläuft
aus unserer Überzeugung die rechtsstaatlichen Garantien
der Strafprozessordnung, wie sie für jeden Beschuldig-
ten zu gelten haben. In Ihren Entwürfen ist vorgesehen,
die schwere Sanktion der Sicherungsverwahrung durch
Beschluss im Wege eines Anhörungsverfahrens vor der
Strafvollstreckungskammer nachträglich zu verhängen.
Durch einen Beschluss soll also im Nachhinein die mate-
rielle und formelle Rechtskraft des Strafurteils durchbro-
chen werden.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein!)

Damit werden dem rechtskräftig Verurteilten im Er-

gebnis die grundlegenden rechtsstaatlichen Garantien
vorenthalten. Diese gelten für jeden und sind: die münd-
liche öffentliche Hauptverhandlung, Beteiligung von
Schöffen an der Urteilsfindung, Unmittelbarkeit der Be-
weisaufnahme, das durch die Möglichkeit der Revision
gesicherte Beweisantragsrecht und die Pflichtverteidi-
gung in der Hauptverhandlung. Ein verurteilter Straftäter
hat diese Garantien nach Ihren Vorschlägen nicht mehr.
Sie schaffen zwei Arten von Strafprozessrecht. Ich frage
mich: Warum gehen Sie, Herr Röttgen, so fahrlässig mit
Rechtsstaatsgarantien unserer Verfassung um? Sie tun
dies,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


um in der Tagespolitik populistisch Stimmung zu ma-
chen, wie dies die vorhin gemachten Ausführungen zum
Strafvollzugsgesetz gezeigt haben.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Lassen Sie doch mal eine Frage zu! Dann können wir uns darüber unterhalten! Entziehen Sie sich nicht der Diskussion!)


– Ich sage Ihnen noch einmal: Die Fälle, von denen Sie
meinen, sie würden durch unsere Regelung der vorbe-
haltenen Sicherungsverwahrung nicht erfasst, sind nach
wie vor Fälle der Prävention, des Polizeirechts. Poli-
zeirecht ist nach unserer Verfassung nun einmal Länder-
sache. Die Länder müssen diese Regelungen treffen. Das
müssen wir sauber trennen, sonst bewegen wir uns auf
einem sehr schmalen Grat.

Um Ihren Gedankengang zu Ende zu führen und um
Ihnen zu verdeutlichen, wie abstrus es werden kann,
wenn man Ihren Vorstellungen folgen würde, möchte ich
Ihnen dazu einiges sagen. Ich habe Ihnen das schon ein-






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker

mal vorgehalten, aber Sie hören gar nicht zu, Herr Kol-
lege Röttgen. Wenn Sie die Sicherungsverwahrung nach-
träglich anordnen wollen, wie Sie es von uns fordern,
dann taucht die Frage auf, warum die nachträgliche Si-
cherungsverwahrung nicht auch für bereits entlassene
Straftäter gelten soll,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


die fünf Jahre Führungsaufsicht haben, wenn innerhalb
der fünf Jahre Führungsaufsicht festgestellt wird, dass
die Gefährlichkeit besteht. Wollen Sie auch dann durch
Beschluss einer Kammer diesen Weg gehen? Mit Sicher-
heit nicht. Polizeirecht ist hier die richtige Lösung.

Ich kann das auf die Spitze treiben, um Ihnen zu ver-
deutlichen, wie gefährlich das für den Rechtsstaat ist,
was Sie machen, und wie Sie mit diesen Überlegungen
am Rechtsstaat zündeln. Wie verhält es sich denn mit der
Sicherungsverwahrung ohne Straftat? Wie ist es, wenn
wir feststellen, dass ein Mensch herumläuft, von dem
zwei Sachverständige sagen, dass er so gefährlich sei,
dass er möglicherweise erhebliche Straftaten begehen
kann? Auch das ist ein Fall des Polizeirechts. Das ist
überhaupt keine Frage. Das ist eine Sache, die die Län-
der regeln müssen.

Ich habe versucht, Ihnen heute noch einmal deutlich
zu machen, dass Sie mit diesen Vorschlägen zur nach-
träglichen Sicherungsverwahrung auf dem Irrweg sind.
Wir werden Ihnen nicht folgen. Was Sie nach wie vor
vorschlagen, ist aus unserer Sicht rechtsstaatlich äußerst
bedenklich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505614400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Daniela Raab von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1505614500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Erneut diskutieren wir heute über das Sexual-
strafrecht. Meine Kollegen haben dazu nicht nur heute,
sondern auch in anderen Debatten genauestens und zum
Teil verständlicherweise hoch emotional Stellung ge-
nommen und Fakten und Fälle aufgezeigt, die verdeut-
licht haben, dass eine strikte Verschärfung des Sexual-
strafrechts dringend notwendig ist.

Ich möchte zunächst auf die DNA-Analyse eingehen.
Es freut uns zu hören, dass Sie die Möglichkeiten der
DNA-Analyse nun doch ausweiten wollen. Denn eines
ist nun offenbar auch Ihnen klar geworden: Die DNA-
Analyse ist inzwischen zu einem der wichtigsten rechts-
medizinischen Erkenntnismittel geworden, einem Mittel,
das man sich nicht mehr wegdenken kann und dessen
Möglichkeiten man deshalb voll ausschöpfen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zurzeit enthält die Datenbank des BKA 265 000 Daten-
sätze. Allein 2002 hat die Datenbank geholfen, dass
66 Fälle von Mord und Totschlag, 135 Sexualverbre-
chen, 250 Raubüberfälle, Erpressungen und mehr als
3 000 Eigentumsdelikte aufgeklärt werden konnten. Otto
Schily wird es gefreut haben.


(Beifall des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU])


Bei solchen Ergebnissen, meine Damen und Herren
von der Regierung, müssten Sie doch eigentlich bemüht
sein, das geltende, unserer Meinung nach zu enge Recht
zu erweitern und neue Voraussetzungen zu schaffen, um
wirklich effektiv vorbeugen zu können.

Wie erklären Sie sonst einem Opfer, dass es leider nur
möglich ist, gegen den Willen eines Betroffenen DNA
zu entnehmen, wenn seine Straftat erhebliche Bedeutung
hatte oder wenn vorhersehbar ist, dass künftig Strafver-
fahren von erheblicher Bedeutung gegen den Betroffe-
nen geführt werden?

Es ist unerlässlich – das steht deutlich in unserem
Gesetzentwurf –: Der Katalog der Anlasstaten muss er-
weitert werden, und zwar auf alle Taten mit sexuellem
Hintergrund.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist genau dieser sexuelle Hintergrund, auf den es uns
ankommt. Denken Sie zum Beispiel an sexualbezogene
Straftaten wie Beleidigung mit sexuellem Hintergrund,
denken Sie an sexuell motivierte Drohanrufe. Hier han-
delt es sich natürlich nicht um Straftaten von erheblicher
Bedeutung. Jedoch hat eine Studie der Universität Göt-
tingen vom April 2002 ergeben, dass bei exhibitionisti-
schen Straftätern mit einer Wahrscheinlichkeit von im-
merhin rund 2 Prozent mit der späteren Begehung eines
sexuellen Gewaltdelikts zu rechnen ist. Eine schwere
Straftat ist in diesem Bereich oft der traurige Höhepunkt
einer sexuell geprägten Straftatenserie.

Dieser Erkenntnis hat sich die Bundesregierung zwar
angeschlossen, die notwendigen Konsequenzen aber lei-
der nicht gezogen. Der sexuelle Hintergrund vieler Taten
wird in Ihrem Gesetzentwurf nicht gebührend gewür-
digt. Es geht hier – da sollten wir uns alle einig sein –
um das Sicherheitsbedürfnis unserer Bürger und die
Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung. Dem muss drin-
gend Rechnung getragen werden.

Gerade vor dem Hintergrund, dass 56 Prozent der ver-
urteilten Exhibitionisten innerhalb der nächsten zehn
Jahre wieder ein Sexualdelikt begehen, ist ein Eingriff
in das informationelle Selbstbestimmungsrecht unse-
rer Meinung nach klar gerechtfertigt und auch sachlich
begründet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aus diesem Grund plädieren wir dafür, Straftaten mit se-
xuellem Hintergrund in den Anlasstatenkatalog mit auf-
zunehmen. Diese Lösung ist sachgerecht und prägnant.
Schließen Sie sich unserer Forderung an!






(A) (C)



(B) (D)


Daniela Raab

Die DNA-Analyse ist ein Weg der Strafverfolgung,

bei dem wir scheinbar einen gemeinsamen Ansatz ge-
funden haben. Wir fordern Sie aber in einem weiteren
Punkt auf, unserer Forderung zu folgen, und zwar hin-
sichtlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Wir fordern konsequente Maßnahmen, die Wiederho-
lungstäter daran hindern, erneut Kinder, Frauen und Be-
hinderte zu überfallen und zu vergewaltigen. Eine Lösung
in solchen Fällen ist die nachträgliche Sicherungsverwah-
rung, deren Notwendigkeit ich Ihnen in der Hoffnung,
Sie überzeugen zu können, gerne näher bringen möchte.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung gibt es im
geltenden Recht bereits, jedoch nur in den Fällen, in de-
nen das erkennende Gericht im Urteil einen entsprechenden
Anordnungsvorbehalt ausgesprochen hat. Nicht erfasst
werden die Fälle, in denen während des Strafvollzugs er-
kannt wird, dass es sich um einen gemeingefährlichen
Täter handelt.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: So ist es!)

Es geht uns auch in diesem Zusammenhang – ich wie-

derhole mich an dieser Stelle gerne – um den Schutz
möglicher Opfer und damit um den Schutz unserer Be-
völkerung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Harald Leibrecht [FDP])


Der Justiz sind gegenwärtig die Hände gebunden, wenn
sich während des Strafvollzugs herausstellt, dass ein Tä-
ter nicht therapierbar ist. Darf das sein? Entspricht das
Ihrem Rechtsgefühl? Ich frage Sie vor allem: Wird das
dem Sicherheitsbedürfnis unserer Bürger gerecht? Ich
beantworte diese Frage eindeutig mit Nein.


(Joachim Stünker [SPD]: Haben Sie schon mal im Strafrecht gearbeitet?)


„Wegsperren – und zwar für immer“ hat sogar Ihr
Kanzler gefordert. Im Nachhinein stellt sich aber heraus,
dass sich diese Forderung im Gesetzentwurf nicht wie-
derfindet. Es war wohl nur Wahlkampfgetöse. Er hat im
Juli 2001 sogar noch einen draufgesetzt, indem er sagte,
ein Sexualstraftäter müsse komplett weggesperrt wer-
den, wenn sich während der Haft herausstellt, dass er
weiter gefährlich ist.

Einige Bundesländer – darunter Bayern – haben sich
dieser Auffassung angeschlossen und entsprechende
Landesgesetze geschaffen. Wir können nicht damit rech-
nen, dass sich weitere Länder anschließen. Deswegen
fordere ich Sie auf – es ist Aufgabe des Bundes, in die-
sem Bereich tätig zu werden –: Tun Sie etwas! Schützen
Sie unsere Bürger und die potenziellen Opfer! Führen
Sie die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch ohne
Anordnungsvorbehalt ein! Wenn Sie sich dazu durchrin-
gen können, haben Sie uns selbstverständlich auf Ihrer
Seite.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505614600

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt der Kollege Siegfried Kauder von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Siegfried Kauder (CDU):
Rede ID: ID1505614700

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich

habe heute Nachmittag das Wort Opferschutz zu oft ge-
hört. Opferschutz muss man von Herzen wollen, aber
man muss ihn auch umsetzen können. Als ich die Bei-
träge gehört habe, hat sich mein Verdacht verstärkt, dass
Sie nicht etwa den perfekten Opferschutz nicht wollen,
sondern dass Sie ihn nicht perfektionieren können.

Herr Kollege Stünker hat über die Sicherungsver-
wahrung räsoniert und den Eindruck erweckt, es sei ein
Verbot der Doppelbestrafung zu diskutieren. Die Siche-
rungsverwahrung ist eine Maßregel der Besserung und
Sicherung. Deswegen ist die Doppelbestrafung in die-
sem Zusammenhang kein Thema.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, aber das sagen Sie mal dem Sicherungsverwahrten! – Joachim Stünker [SPD]: Zweites Semester, Herr Kauder!)


Da laboriert man fachunkundig am Grunddelikt des se-
xuellen Missbrauchs von Kindern herum, weil man es
nicht fachkundig kann.


(Joachim Stünker [SPD]: So etwas Dünnes! Dünnbrettbohrer!)


Dass die Kollegin Schewe-Gerigk feststellt, deshalb,
weil die Mindeststrafe in einigen Fallvarianten auf drei
Monate erhöht worden sei, sei eine Geldstrafe nicht
mehr möglich, sehe ich ihr nach.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Normalfall nicht! Das haben wir doch schon geklärt! – Joachim Stünker [SPD]: Der Oberlehrer ist wieder dran!)


Aber von einer Justizministerin darf ich erwarten, dass
sie § 47 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs kennt; den kennt je-
der Jurastudent im zweiten Semester. Danach ist bei
einer Mindeststrafe bis zu sechs Monaten eine Geld-
strafe möglich und auch weitgehend üblich.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Erbsenzähler!)

Meine Damen und Herren, Sie ändern den Grundtat-

bestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern und
schaffen den minder schweren Fall ab. Dafür führen Sie
den besonders schweren Fall ein und dienen damit nie-
mandem.


(Joachim Stünker [SPD]: Das haben Sie doch gefordert!)


Das ist nicht die Botschaft, die Eltern, die Angst um die
Entwicklung ihrer Kinder haben, hören wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn!)







(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)


Die richtige Botschaft wäre gewesen, § 176 StGB so zu
ändern, dass der sexuelle Missbrauch eines Kindes als
Verbrechen angesehen wird, so wie wir es verlangen. Se-
xueller Missbrauch eines Kindes ist nämlich – das habe
ich in diesem Hohen Haus schon einmal gesagt – Mord an
einer kleinen Seele. Die Antwort kann nur heißen: Min-
deststrafe ein Jahr. Aber es sollte die Möglichkeit des
minder schweren Falls geben, damit sich der Täter, der
ein Geständnis ablegt und damit dem missbrauchten
Kind das Auftreten in der Hauptverhandlung erspart,
eine Strafmilderung erarbeiten kann.

Rückfalltäter – darauf haben wir Sie bereits aufmerk-
sam gemacht – müssen ebenfalls als Verbrecher behan-
delt werden. Auch hier kannten Sie das Gesetz nicht;
denn Sie haben zuerst § 12 StGB übersehen. Sie hätten
beinahe aus Nachlässigkeit ein Verbrechen zu einem
Vergehen herabgestuft. Ich danke Ihnen, dass Sie das
korrigiert haben.

Aber nun haben Sie den nächsten Fehler eingebaut.
Wenn ein Straftäter ein Kind sexuell missbraucht und
das Ergebnis für pornographische Zwecke verwenden
will, dann ist das ein Verbrechen. Bisher gab es die
Möglichkeit des minder schweren Falls. Und das war
auch gut so. Es handelt sich hier um ein so genanntes un-
echtes Unternehmensdelikt mit weit vorverlagerter
Strafbarkeit, bei dem außerdem der Gehilfe die gleiche
Strafe wie der Täter bekommt und die Strafmilderungs-
möglichkeit nach § 27 Abs. 2 StGB nicht nutzen kann.
Der Gesetzgeber sagt, dass man die Möglichkeit des
minder schweren Falls braucht, damit der Gehilfe, der
nur die Videokamera besorgt, die Möglichkeit hat, sich
Strafmilderung mit einem Geständnis zu verdienen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Gesetzgeber sagt etwas anderes! – Gegenruf des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie wissen gar nicht, was Sie sagen! Das ist das Problem!)


Ich empfehle Ihnen, hierzu im gängigen Praktikerkom-
mentar Tröndle/Fischer Anmerkung 13 zu § 176 a StGB
zu lesen. Dann kennen Sie die Gründe. Auch hier ist Ih-
nen ein gesetzgeberischer Fehler unterlaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben über den Opferschutz zuletzt am 8. Juni

dieses Jahres diskutiert. Ich habe damals erklärt, dass
beim Opferschutz nie ein großer Wurf gelungen ist. Dan-
kenswerterweise war es der Kollege Ströbele, der einge-
worfen hat, dass das Flickschusterei sei und dass man
das einmal richtig machen müsse. Heute hätten Sie Gele-
genheit. Sie wollen § 387 a StPO so ändern, dass Men-
schen, die nicht allein in der Lage sind, ihre Rechte
wahrzunehmen, einen Opferanwalt auf Staatskosten
erhalten. Hier haben Sie meine Sympathie. Wir haben
aber am 8. Juni 2003 auch darüber gesprochen, dass die
Hinterbliebenen von Mordopfern ebenfalls einen Opfer-
anwalt benötigen. Das haben Sie nicht berücksichtigt.
Das ist Flickschusterei. Warum haben Sie nicht auch das
geregelt? Heute wäre die Zeit dafür gewesen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Sexualstrafrecht! Das hat damit erst einmal nichts zu tun! – Gegenruf des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Deswegen haben wir ja auch ein Opferschutzgesetz vorgelegt!)


– Es hat schon etwas damit zu tun; denn der Opferanwalt
hat – jedenfalls nach Ihrem Vorschlag – auch Bedeutung
für das Sexualstrafrecht.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Man sieht, dass Sie nicht bereit sind, den Opferschutz
und das Sexualstrafrecht unter dem Blickwinkel eines
Tatopfers, eines Kindes, zu betrachten. Sonst würden Sie
eine solche Flickschusterei nicht machen!


(Zuruf von der SPD: Das ist einfach unverschämt!)


Wenn es um Opferschutz und Opferentschädigung
und insbesondere wenn es um den Schutz von Kindern
gegen sexuelle Übergriffe geht, dann ist auf eines immer
Verlass: Sie sitzen im Bremserhäuschen.


(Zuruf von der SPD: Ich finde es furchtbar, dass Sie dieses Thema für parteipolitische Zwecke missbrauchen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wissen Sie, was Sie da sagen, Herr Kauder? Das ist unfassbar!)


Das werden wir nicht zulassen. Wir werden Sie jagen. Es
gibt noch zwei offene Baustellen: den Opferschutz und
die Opferentschädigung. Auch hier haben Sie sich als
Bedenkenträger profiliert. Das steht Ihnen aber nicht zu.
Sie sollten lieber an die Opfer denken, anstatt grund-
rechtliche Bedenken vorzutragen, deren Tragweite Sie
überhaupt nicht abschätzen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Pharisäer! Hagestolz! – Joachim Stünker [SPD]: Das ist unglaublich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505614800

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den

Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der
Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschrif-
ten, Drucksache 15/350. Der Rechtsausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/1311, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
dritter Lesung angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-

antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1344. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
CDU/CSU und Zustimmung der FDP abgelehnt.

Abstimmung über den von der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des
Schutzes der Bevölkerung vor Sexualverbrechen und ande-
ren schweren Straftaten, Drucksache 15/29. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 15/1311, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 15/1311 zu dem An-
trag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Sozial-
therapeutische Maßnahmen für Sexualstraftäter auf den
Prüfstand stellen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 15/31 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Tagesordnungspunkte 9 c bis 9 e: Interfraktionell
wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 15/410, 15/778 und 15/899 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter
Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate
Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Umsetzung des Bundestagsbeschlusses zur
Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses
– Drucksache 15/1094 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Günter Nooke das Wort.


(Unruhe)

Herr Kollege Nooke, warten Sie bitte noch einen Mo-

ment, damit diejenigen, die der Beratung dieses Tages-
ordnungspunktes nicht beiwohnen wollen, den Saal ver-
lassen können.

Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1505614900

Herr Präsident, ich danke für die Aufmerksamkeit,

die Sie dem wichtigen Thema „Berliner Stadtschloss“
durch Ihren Hinweis beigemessen haben. Das freut uns
ganz besonders.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Morgen ist es genau ein Jahr her, dass der Deutsche
Bundestag die Wiedererrichtung des Berliner Stadt-
schlosses unter Berücksichtigung der historischen Fassa-
den mit großer und fraktionsübergreifender Mehrheit be-
schlossen hat. Das ist die positive Botschaft.

Sehr geehrter Herr Kollege Barthel, Sie haben sich in
der letzten kulturpolitischen Debatte darüber beklagt,
dass ich das Positive nicht angemessen in den Vorder-
grund stelle.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Heute werde ich Sie enttäuschen!)


Ich wiederhole: Dass wir vor einem Jahr – fraktionsüber-
greifend und mit Zweidrittelmehrheit – den Beschluss
zur Wiedererrichtung dieses Schlosses gefasst haben, ist
ein gutes Zeichen gelungener parlamentarischer Zusam-
menarbeit: orientiert an der Sache, einig im politischen
Willen, entschlossen im Weg. Ich wiederhole gern: Das
ist die positive Botschaft.

Wie Sie wissen, hat die Unionsfraktion diesen Jahres-
tag zum Anlass genommen, mit einem Antrag an den da-
maligen Beschluss zu erinnern. Das ist für parlamentari-
sche Beratungen zwar nicht ganz üblich; in diesem Falle
erscheint es uns aber notwendig. Wir müssen leider fest-
stellen, dass es bisher wenig konkrete Schritte zur Um-
setzung dieses – eben zitierten – Beschlusses gegeben
hat. Das ist die schlechte Nachricht.

Da unser Antrag bewusst kurz gehalten ist, erlauben
Sie mir, dass ich die zentralen Forderungen hier noch
einmal mündlich vortrage:

Erstens. Wir sehen es als erforderlich an, dass die
Bundesregierung das für das Frühjahr 2003 angekün-
digte Nutzungs- und Finanzierungskonzept der Ar-
beitsgruppe, die von der Beauftragten für Kultur und
Medien geleitet wurde, nunmehr vorlegt. Es ist schlicht
unverständlich, warum der Bundestagsbeschluss so
stiefmütterlich behandelt wird. Es ist ein Papier, das für
das Frühjahr angekündigt war. Wir stehen kurz vor der
Sommerpause. Zumindest jetzt sollte es vorgelegt wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es liegt mir fern, Mutmaßungen darüber anzustellen,
warum man da in Verzug ist. Aber wir müssen unsere
Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass dieser ge-
meinsame Beschluss nicht die angemessene Würdigung
und Umsetzung erfährt. – Zumindest das wollte ich zu
Protokoll gegeben haben.

Zweitens. Aus dem eben Gesagten ergibt sich folge-
richtig, dass wir die Bundesregierung hiermit auffordern,
die für die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen
Bundestages von vor einem Jahr erforderlichen Maßnah-
men unverzüglich zu ergreifen. Verbunden damit ist die






(A) (C)



(B) (D)


Günter Nooke

Forderung nach Vorlage eines Zeitplans für die Umset-
zung des Beschlusses.

Drittens. Wir wünschen uns darüber hinaus, dass an
der Ecke Schlossfreiheit/Unter den Linden ein Areal als
Ort für die in dem Bericht der Expertenkommission vor-
gesehene Einwerbung von privaten Mitteln zur Verfü-
gung gestellt wird. Für die Realisierung einer Infobox
laufen Gespräche mit Sponsoren. Wir sollten uns durch-
aus bewusst machen, dass es wichtige private Initiativen
gibt, die es voranzutreiben und nicht zu behindern gilt.
Der Schlossaufbau ist auf private Initiative angewiesen.
Es wäre leichtfertig und fahrlässig, die privaten Initiati-
ven nicht nach Kräften zu unterstützen.

Ich will viertens deutlich sagen: Eine finanzielle wie
ideelle, direkte oder indirekte Unterstützung einer Nut-
zung des Palastes der Republik durch den Bund lehnen
wir ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Günter Rexrodt [FDP])


Auch in Bezug darauf ist die Einigkeit in der Sache groß.
Erst kürzlich hat sich der Regierende Bürgermeister Ber-
lins bei der Eröffnung der Ausstellung des Werkes von
Paul Kleihues für den schnellen Abriss des Gebäudes
ausgesprochen. Folgendes geht sicherlich nicht: Man
kann nicht beteuern, dass die Nutzung des Palastes nur
ohne öffentliches Geld möglich ist, und gleichzeitig Mit-
tel aus dem Hauptstadtkulturfonds für Projekte im Palast
mobilisieren.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das war eine autonome Entscheidung! Darauf haben wir keinen Einfluss!)


Einige mögen das als trickreich ansehen. Ich finde: Das
ist ein Versuch der Täuschung, zumindest ist es grober
Unfug. Dass im Hauptstadtkulturfonds zu 100 Prozent
Bundesmittel sind, haben zumindest wir nicht vergessen.

Wir müssen uns heute, ein Jahr nach dem Beschluss,
fragen: Was wollen wir eigentlich und was brauchen wir
jetzt? Wir brauchen keine Bekräftigung des Beschlusses,
sondern wir brauchen deutliche Signale, dass der Bund
und damit die Staatsministerin für Kultur und Medien zu
diesem Beschluss steht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505615000

Herr Kollege Nooke, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Gesine Lötzsch?


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1505615100

Bitte schön.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1505615200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Nooke,

Sie haben gerade zutreffend festgestellt, dass im Haupt-
stadtkulturfonds zu 100 Prozent Bundesmittel sind.
Würden Sie mir darin zustimmen, dass der Beschluss
des Deutschen Bundestages zum Wiederaufbau des
Stadtschlosses eigentlich gar nicht rechtmäßig gefasst
wurde, da das Areal Schlossplatz nicht dem Bund allein,
sondern dem Bund und dem Land Berlin gemeinsam ge-
hört? Hätte also nicht zumindest ein gemeinsamer Be-
schluss Voraussetzung für die Forderung sein müssen,
das Stadtschloss wieder aufzubauen?


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1505615300

Wir als Verfassungsorgan sind sehr darauf bedacht,

hier auch rechtmäßige Beschlüsse zu fassen. Da wir öf-
fentlich tagen, hat der Regierende Bürgermeister in Ber-
lin diesen Beschluss auch mitbekommen. Ich habe nie
den Eindruck gehabt, dass er das Grundstück nicht zur
Verfügung stellen will, wenn wir den Schlossbau be-
schließen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es könnte ein Signal sein, auch für Berlin, wenn wir
mit dem finanzpolitischen Gezerre aufhören. Es könnte
natürlich auch ein Signal sein, wenn der Bund klar sagte,
womit denn zu rechnen ist. Es wäre sicherlich ein Signal,
wenn auch ein schlechtes, wenn der Bund sagte: Das be-
schlossene Verhältnis von kultureller zu kommerzieller
Nutzung von 80 : 20 wird umgekehrt.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Was?)

Ich möchte das nicht, aber selbst das wäre besser, als
wenn gar nichts passiert und nur die Zwischennutzung
vorangetrieben wird. Wir müssen jetzt die Grundlagen
für eine Entscheidung schaffen und müssen unser ge-
meinsames Anliegen meines Erachtens gemeinsam wei-
ter vorantreiben.

Wir haben keine Zeit zu verlieren, sondern uns konse-
quent für die Umsetzung des vor einem Jahr gefassten
Beschlusses zu engagieren. Das Argument, dass in der
jetzigen Situation die Realisierung des Schlossbaus ein
zu vernachlässigendes Thema ist, über das man besser
nicht redet, lasse ich nicht gelten. Wir haben uns nie vor-
gemacht, dass der Bau in zwei Jahren fertig sein wird.
Wir sollten uns in ein paar Jahren aber auch nicht nach-
sagen lassen müssen, wir hätten unseren Beschluss von
vor einem Jahr nicht ernst genommen. Dafür brauchen
wir keine weiteren Beschlüsse im Bundestag zu fassen.

Eine neue Phase für den Schlossbau muss jetzt begin-
nen. Das meine ich auch aus Prinzip. Wir müssen das,
was wir vor einem Jahr beschlossen haben, ernst neh-
men. Der Beginn der neuen Phase könnte, ganz pragma-
tisch, wie folgt aussehen: Für die Vorbereitung und
Durchführung des Wettbewerbs sind zwei Jahre zu ver-
anschlagen. Jetzt ist es erforderlich, dass diese zwei
Jahre genutzt werden. Dafür ist die Unterstützung durch
eine Projektierungsgesellschaft nötig, die mit einer
überschaubaren Vorfinanzierung von 2,5 Millionen Euro
arbeiten kann.

Die 2,5 Millionen Euro sind jetzt erforderlich und wä-
ren gut angelegt, weil so keine Zeit verloren geht. Unser
Beschluss bekäme damit eine realistische Grundlage.
Ohnehin wird die Summe zurückgezahlt, da sie in den
Baunebenkosten enthalten ist. Mit dem Vorliegen der
Wettbewerbsergebnisse ist, wenn alles gut läuft, in






(A) (C)



(B) (D)


Günter Nooke

frühestens zwei Jahren zu rechnen. Dann hat unser Be-
schluss eine anschauliche Grundlage. An Anschaulich-
keit mangelt es dem Projekt „Stadtschloss Berlin“ ja
jetzt noch etwas. Mit Worten allein ist das Projekt offen-
sichtlich nicht so leicht zu beflügeln.

Ich komme zum Schluss: Dass es weitergeht, muss
unser vordringliches gemeinsames Interesse sein. Unser
Antrag bietet dazu die notwendigen Ansatzpunkte und
ermöglicht es, eine breite, fraktionsübergreifende, bisher
in der Sache positive Zusammenarbeit im Deutschen
Bundestag fortzuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich wiederhole für den Kollegen Barthel meine Bot-

schaft: Die positive Zusammenarbeit wünsche ich mir
weiter. Wir sollten uns die Situation ersparen, im Jahre
2004 – vielleicht wieder am 3. oder 4. Juli – hier sagen
zu müssen: Wir haben auch im vergangenen Jahr nichts
erreicht; wir stehen mit leeren Händen da. Vielmehr soll-
ten wir die Zeit nutzen. Das ist das Anliegen unseres An-
trages.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1505615400

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort die Staats-

ministerin Christina Weiss.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1505615500


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
richtig, auf den Tag genau vor einem Jahr hat die Bun-
desregierung mein Haus gebeten, gemeinsam mit den
Bundesministerien für Finanzen sowie für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen, dem Berliner Senat und den zu-
künftigen Trägern eines Humboldt-Forums ein Nut-
zungs- und Finanzierungskonzept für den Berliner
Schlossplatz zu erarbeiten.

Die Arbeitsgruppe hat intensiv gearbeitet und ein
praktikables Raumkonzept und mehrere Finanzie-
rungskonzepte vorgelegt.

Die Finanzierungsoptionen – Sie haben schon Recht,
dass sich darin das Problem verbirgt – werden derzeit
gewertet und gewichtet. Wir werden sie Ihnen, meine
verehrten Damen und Herren, nach der Sommerpause
als Teil unseres Abschlussberichtes vorstellen. Niemand
sollte doch meinen, man könne einen 600 Millionen
Euro teuren Stadtmittelpunkt einfach so über Nacht pla-
nen. Wer es mit einem Projekt, das Generationen über-
dauern soll, eilig hat, der meint es mit ihm schlicht nicht
ernst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit einem wolkigen Luftschloss ist auch niemandem ge-
dient.
Wenn ich die Ernsthaftigkeit betrachte, mit der in der
Arbeitsgruppe und in den entsprechenden Institutionen
an der Zukunft des Berliner Stadtzentrums gearbeitet
wurde und noch weiter gearbeitet werden wird, über-
rascht mich immer wieder der Argwohn der Opposition.
Ganz offensichtlich nimmt man dort noch immer an, die
Bundesregierung werde den Beschluss des Hohen Hau-
ses zur Neugestaltung des Schlossplatzes torpedieren.
Doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie irren
sich. Die Neugestaltung der Berliner Mitte ist und bleibt
ein zentrales Ziel auf der baupolitischen Agenda der
Bundesregierung. Es handelt sich für uns auch um ein
kulturpolitisches Bekenntnis, das unumstößlich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günter Nooke [CDU/CSU]: Woran liegt es?)


Es zwingt uns schlicht und ergreifend die Finanzdiszi-
plin dazu, alle verfügbaren Kräfte zunächst und zumin-
dest parallel auf die Sanierung der Berliner Museums-
insel zu konzentrieren. Als Teil des UNESCO-
Weltkulturerbes genießt die Museumsinsel zu Recht
oberste Priorität. Sie dürfen auch nicht vergessen, meine
sehr verehrten Damen und Herren, dass es gerade diese
Museumslandschaft ist, die wir durch die Neugestaltung
des Schlossplatzes inhaltlich wie architektonisch vollen-
den wollen. Am Ort des zerstörten Hohenzollern-Schlos-
ses soll das so oft beschriebene und klug konzipierte
Humboldt-Forum entstehen, zu dem es keine ernsthafte
Alternative gibt;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


es sei denn, man provoziert einen Schlossbau um seiner
selbst willen. Das allerdings hat für mich mit einer nach-
haltigen und wirkungsvollen Kulturpolitik, die Verant-
wortung auch für nachfolgende Generationen trägt,
nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erlauben Sie mir noch ein Wort zum Thema Verant-
wortungsbewusstsein und Ernsthaftigkeit, mit denen
sich die Bundesregierung der Wiedergewinnung der his-
torischen Mitte Berlins stellt. Verantwortungsbewusst-
sein und Ernsthaftigkeit sind nämlich die Tugenden ei-
ner modernen Kulturpolitik, die der Opposition
inzwischen wohl abhanden gekommen sind. Das merkt
man, wenn der Kollege Nooke regelmäßig kommunisti-
sche Morgenluft wittert, nur weil wir nicht sofort mit
dem Schleifen des Palastes der Republik beginnen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht nötig, Frau Staatsministerin! Das hat jemand aufgeschrieben!)


Sie schlottern regelrecht vor diesem Skelett, das doch ei-
gentlich so harmlos ist. Aber auch Ihnen, Herr Nooke,
kann geholfen werden.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Ich habe positive Erinnerungen an den Palast der Republik, wahrscheinlich als einer der wenigen in diesem Hause!)







(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Dr. Christina Weiss

Der Abschlussbericht, den Sie nach der Sommerpause
lesen können, wird nämlich – ganz gerecht – auch auf
die Möglichkeiten eingehen, wie der Palast der Republik
beseitigt werden kann.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Allen Unkenrufen zum Trotz wird die Zukunft dieses

geschundenen Ortes im Herzen unserer Hauptstadt nicht
durch die Bundesregierung bedroht, sondern eher durch
den Aktionismus von Grabenkämpfern. Ich glaube, wir
sollten diesen Aktionismus beenden und gemeinsam auf
die Zukunft des Schlossplatzes schauen und gemeinsam
darum ringen, wie wir ihn für nachfolgende Generatio-
nen am besten gestalten können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schauen hilft nicht! Anpacken!)


Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505615600

Nächster Redner ist der Kollege Günter Rexrodt für

die FDP-Fraktion.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1505615700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Staatsministerin, auch ich bin damit einverstanden, dass
wir hier keine Grabenkämpfe führen und nicht in Aktio-
nismus verfallen. Sie haben allerdings für spätestens
Juni einen Bericht angekündigt, diesen dann aber nicht
vorgelegt und als Begründung angegeben, die Arbeits-
gruppe arbeite ernsthaft. Obwohl Sie nicht zu Potte ge-
kommen sind, darf man Ihnen nun nicht einmal vorwer-
fen, dass es später wird. Das ist nicht zielführend.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie sprechen davon, dass bezogen auf den Wiederauf-

bau des Schlosses und den Abriss des Parlaments Aktio-
nismus festzustellen sei.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Nachdem ich mir Ihre Formulierungen, die Sie sehr fein-
sinnig vorgetragen haben, angehört habe, habe ich den
starken Eindruck gewonnen, dass eine unheilige Allianz
noch nicht aufgegeben wurde.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505615800

Herr Rexrodt, es ist gerade eine gewisse Unruhe ent-

standen, da aufgrund eines Versprechers der Eindruck
entstanden ist, die FDP wolle das Parlament abreißen.
Ich nehme an, dass es sich hierbei um ein Missverständ-
nis handelt, welches wir so nicht im Protokoll erscheinen
lassen sollten.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Ein halbes Jahr lang war das ein richtiges Parlament, Herr Präsident!)


Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1505615900

Herr Präsident, so weit sind wir noch nicht. Es geht

um den Palast.
Es gibt eine unheilige Allianz zwischen denen, die

sich selbst zur kulturpolitischen Elite befördert haben,
und jenen, die aus verschiedenen politischen, antiroya-
listischen Überlegungen heraus den Aufbau eines Kubus
mit der Fassade eines Schlosses nicht wollen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sind Sie Royalist?)

– Dieser Umkehrschluss ist nicht zulässig. Dagegen
brauche ich aber auch keine Verteidigung.

Diese unheilige Allianz hat noch nicht aufgegeben;
deshalb geht die Sache nicht voran. Ich bin äußerst be-
trübt darüber, dass es erst des Antrages der CDU/CSU
bedurfte, um überhaupt einmal etwas über den Fortgang
zu erfahren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich wünsche mir dringend, dass der Bundestag in den

Haushalt für 2004 2 oder 2,5 Millionen Euro einstellt,
die es möglich machen, die Planung dieses Kubus in
Angriff zu nehmen. Mit der Planung muss eine private
Planungsgesellschaft beauftragt werden können. Ich
wünsche mir die Beauftragung einer privaten Planungs-
gesellschaft mehr als die Einschaltung der Bundesbaudi-
rektion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich wünsche mir auch, dass der Bundestag in den
Haushalt 2004 Geld für den Abriss des Palastes der
Republik einstellt, um endlich deutlich zu machen, dass
er abgerissen wird. Der Palast der Republik – Frau
Staatsministerin, niemand schlottert hier vor einem, wie
Sie sagen, harmlosen Gerüst oder Gestell – ist über alle
Maßen unansehnlich,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Er ist häßlich!)

er ist ein häßliches Relikt aus den Zeiten der DDR. Es ist
ein Ausdruck der Unfähigkeit unseres Staates, dass man
immer noch nicht mit diesem Relikt fertig geworden ist
und es beseitigt hat.

Ich würde mir wünschen, dass wir die hohen Zuwen-
dungen, die die Bundesregierung dem Land Berlin, dem
Senat macht, mit der Auflage verbinden, dass das Land
Berlin – Frau Kollegin, Sie haben das eben angespro-
chen – endlich zu einer eindeutigen Aussage, was das
Stadtschloss angeht, kommt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Herummogeln des Berliner Senats um dieses Pro-
blem ist nicht mehr erträglich. Es ist im Übrigen auch
ein Alibi dafür, dass sich die „unheilige Allianz“, die ich
hier eben zitiert habe, immer wieder auf den Weg macht,
um am Ende doch noch eine Entwicklung zu verhindern,
die der Bundestag vor einem Jahr dankenswerterweise
mit überzeugender Mehrheit beschlossen hat.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Rexrodt

Ich wünsche mir sehr – als Parlamentarier sind wir

aufgefordert, dies zu tun; ich tue es aber auch aus vollem
Herzen –, dass nicht mehr nur lange diskutiert wird, son-
dern dass endlich Taten zu sehen sind. Das ist wichtig,
um mit diesem Platz, mit der Mitte Berlins Schritte nach
vorne zu tun, die die Menschen in diesem Lande wün-
schen und die dieses Land braucht.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505616000

Das Wort hat die Kollegin Dr. Antje Vollmer, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505616100

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Der vorliegende Antrag der CDU/CSU scheint
mir eine fürsorgliche Belagerung der Bundesregierung
an den Punkten, an denen sie schon längst katholisch ist
zu sein.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Nicht alle! Es gibt welche, vereinzelt!)


Wenigstens die wunderbare Opern-Entscheidung am
gestrigen Tage sollte Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Opposition, doch überzeugt haben, dass die
nachhaltigsten und entschlossensten Kämpfer für die
Mitte Berlins und für die Kulturpolitik Berlins gerade in
der Bundesregierung sitzen. In diesem Zusammenhang:
Herzlichen Glückwunsch, Christina Weiss!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Beschluss – über den auch ich mich sehr gefreut
habe –, der im letzten Jahr in freier Abstimmung der Ab-
geordneten mit großer Mehrheit gefasst wurde, war von
so eindeutiger Klarheit, dass niemand auch nur wagen
kann, an diesem Beschluss zu rühren. Er wurde von der
Mehrheit dieses Parlamentes gefasst und ist damit bin-
dend für jede Bundesregierung.

Wichtig ist auch, dass man mit diesem Beschluss so
sorgfältig umgeht, dass die richtigen Signale an die Zi-
vilgesellschaft ausgesendet werden, sodass zum Beispiel
die Bereitschaft besteht, dafür auch Geld zu spenden.
Darum finde ich es richtig, dass wir sofort nach der
Sommerpause den Bericht bekommen, in dem genau
aufgezeigt werden soll, wie das Stadtschloss genutzt und
wie es finanziert werden soll. Ich möchte ausdrücklich
meinen Wunsch unterstreichen, dass es öffentlich ge-
nutzt wird. Wenn man eine so große Anstrengung
unternimmt – in diesem Parlament und mit der Mobili-
sierung von Geldern –, dann muss das einfach sein; et-
was anderes fände ich der Würde des Platzes nicht ent-
sprechend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Günter Nooke [CDU/CSU])


Der Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Schlossareal,
der uns im Februar dieses Jahres gegeben wurde, hat
dies zum Teil schon erfüllt – auch deswegen verstehe ich
den CDU/CSU-Antrag nicht –; es heißt nämlich in dem
Bericht, dass durch die temporäre Nutzung keine Risi-
ken oder Kosten für die öffentliche Hand entstehen dür-
fen, dass es zu keinen Verzögerungen bei der weiteren
Planung kommen darf und dass der Abriss des Palastes,
etwa durch eine Verfestigung der Nutzung, nicht infrage
gestellt werden darf. Ich unterstreiche das; das ist auch
meine Absicht.

Ich finde aber auch, dass man die Kirche im Dorf las-
sen muss. Ich selbst lese mit großem Interesse die Be-
richte in den Zeitungen über die ersten Besichtigungen
des Palastes der Republik und achte dabei auch auf die
Tonlage. Ich sage Ihnen meine ganz persönliche Mei-
nung: Ich empfinde dies als richtig deutsch. Die Deut-
schen mögen offensichtlich Stätten, die als leicht gruse-
lig gelten. So gibt es auch schon alle möglichen
Nutzungsvorschläge von der Hochzeit bis zur Wagner-
oper.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wo gruselt es einen mehr?)


Dies erinnert mich an das Wort des französischen Philo-
sophen Alain Badiou, man habe stets den Eindruck, das
Sein an sich spreche noch Deutsch. Er meint damit, dass
alles, was einen besonders tiefen Sinn hat, unserer Seele
besonders nahe stehe. Wenn dies so ist, dann bin jeden-
falls ich bereit, das mit einiger Ironie und Großzügigkeit
zu ertragen, allerdings nur, solange die französische
Klarheit herrscht, die besagt, dass ein einmal gefasster
Beschluss nicht mehr geändert wird.

Geld, das in der Berliner Kulturszene so knapp ist,
soll nicht an falscher Stelle ausgegeben werden. Die Öf-
fentlichkeit braucht ein Signal, in welche Richtung es
geht, und Gewissheit, dass wir diesen Platz vor allen
Dingen für kulturelle und öffentliche Zwecke nutzen
wollen. Auch muss möglichst bald angefangen werden
können, für den Wiederaufbau des Stadtschlosses Geld
zu sammeln. Wir werden sehr bald nach der Sommer-
pause aktiv werden. Insoweit sind die Dinge diesmal
wirklich auf dem richtigen Weg und in den richtigen
Händen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505616200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Vera Lengsfeld,

CDU/CSU-Fraktion.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1505616300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Von der Gestaltung eines offenen Bürgerforums in
der Mitte der Spreeinsel war in einem PDS-Antrag von
vor etwa einem Jahr die Rede. Dies war der klar erkenn-
bare Versuch, den Beschluss des Bundestages zum Wie-
deraufbau des zerstörten Berliner Stadtschlosses pole-
misch zu unterlaufen. Bekanntlich unterlag die PDS
damit; der Beschluss zur Wiedererrichtung des Stadt-






(A) (C)



(B) (D)


Vera Lengsfeld

schlosses ist in diesem Hause mit überwältigender Mehr-
heit getroffen worden.

Trotzdem geht der Kampf weiter; denn bis heute gibt
es keine konkreten Schritte zur Umsetzung dieses Be-
schlusses. Mittlerweile wird mehr davon geredet, was
man mit der Ruine des Palastes der Republik anfangen
könnte, als davon, wie man sie los wird, obwohl jede
Nutzung der Palastruine indirekt ein Unterlaufen der
Umsetzung des Bundestagsbeschlusses bedeutet. Zudem
kostet diese Zwischennutzung sehr viel Geld. Manche
Schätzungen sprechen von 10 bis 16 Millionen Euro.
Der Verein für die Zwischennutzung des Palastes, der
sich im Mai dieses Jahres gegründet hat, nennt selbst
schamhaft 1,5 Millionen Euro, die nötig seien, um die
Ruine wieder in einen begehbaren Zustand zu versetzen.
Nach einer Pressemitteilung des Vereins sollen diese
1,5 Millionen Euro zunächst – ich betone das Wörtchen
„zunächst“ – aus privaten Mitteln aufgebracht werden.
Hier stellt sich sofort die Frage, was geschehen wird,
wenn die Mittel nur zur Hälfte oder zu drei Vierteln pri-
vat aufgebracht werden können. Sicherlich wird dann
wieder nach Bundesmitteln gerufen werden.

Immer wieder ist zu lesen, der so genannte Palast ver-
diene eine Gnadenfrist. Was heißt denn Gnadenfrist,
liebe Kolleginnen und Kollegen? Es ist unstreitig, dass
das Stadtschloss vor allen Dingen durch seine barocke
Erweiterung zu einer der kulturhistorisch bedeutendsten
Residenzen Europas wurde. Der Palast der Republik, der
in den 70er-Jahren auf dem Grund des abgerissenen
Stadtschlosses errichtet worden war, war niemals ein Pa-
last des Volkes. Er war beim Volk in etwa so beliebt wie
die DDR-Regierung. Er wurde allerdings zum Symbol
für all jene, die sich mit dem ruhmlosen Verschwinden
der DDR niemals abfinden konnten und mithilfe des Pa-
lastes der Republik ihre ewig gestrigen Grabenkämpfe
weiterführen wollen.

Frau Staatsministerin Weiss, Sie haben vorhin die
Grabenkämpfe beklagt. Ich weise Sie auf eine Presse-
erklärung des Vereins „Zwischennutzung“ hin, dem Sie
laut Internet ebenfalls angehören sollen. Ich persönlich
empfinde es als sehr problematisch, wenn Sie einen Par-
lamentsbeschluss durchsetzen sollen und gleichzeitig ei-
ner Bürgerinitiative angehören, die sich für eine Zwi-
schennutzung stark macht. Das ist ein Interessenkonflikt,
dem ich mich, wenn ich Kulturstaatsministerin wäre,
nicht aussetzen würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich hätte mich auch unhöflicher ausdrücken können.
Ich wollte einfach nett sein


(Horst Kubatschka [SPD]: Oh!)

und nett das rüberbringen, was eigentlich eine skanda-
löse Tatsache ist.

In dieser Pressemitteilung des Vereins „Zwischennut-
zung“ steht zu lesen, dass eine Zwischennutzung nicht
notwendigerweise den Erhalt des Palastes der Republik
zum Ziele habe. Was heißt denn „nicht notwendiger-
weise“? Das heißt, ein Erhalt des Palastes der Republik
wäre das eigentliche Ziel des Vereins – zu erreichen über
die Zwischennutzung –, das er aber aus politischen
Gründen jetzt nicht so deutlich nennen will.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Zwischennutzung wird also von diesem gleichnami-
gen Verein als Chance begriffen, um – ich zitiere – be-
wusst Abschied zu nehmen von einem Gebäude, das wie
kein anderes für die DDR-Gesellschaft von zentraler Be-
deutung war und dessen unvermeidbare Asbestsanierung
von vielen als symbolischer Akt eines kalten Abrisses
angesehen wurde. – Das, liebe Frau Weiss, sind nun
wirklich Grabenkämpfe. Die werden nicht im Antrag der
CDU/CSU geführt, sondern in Presseerklärungen wie
dieser.

Deshalb ist es nicht vermessen, den Initiatoren zu un-
terstellen, dass es ihnen um Ostalgie geht, um eine Wer-
bung für die Wiederherstellung des Palastes, um ihr
ewiggestriges Anliegen, die DDR nicht vergehen zu las-
sen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es doch schon lange nicht mehr!)


Deshalb erwarte ich eine ganz klare Haltung der Bun-
desregierung zur Umsetzung des Beschlusses des Parla-
mentes. Ich denke, es wäre eine tolle Sache, wenn wir
am 3. Oktober 2010 – passend zur Agenda des Kanz-
lers – gemeinsam die Schlosseröffnung feiern könnten.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wann?)

– 2010. Ich sagte: Passend zur Agenda Ihres Kanzlers
sollten wir gemeinsam die Schlosseröffnung feiern und
damit einen symbolischen Schlussstrich unter die DDR-
Nostalgie setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505616400

Ich erteile dem Kollegen Eckardt Barthel, SPD-Frak-

tion, das Wort.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt, bitte schön, ein gutes Schlusswort!)



Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1505616500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich

würde gern höflich sein. Aber bei dem letzten Beitrag
hatte ich das Gefühl: Ich bin im falschen Film.


(Jörg Tauss [SPD]: Das hatten wir auch!)

Denn es geht hier nicht darum, den Palast der Republik
wieder aufzubauen. Soviel ich weiß, geht die Debatte da-
rum, was mit dem Schloss geschehen soll bzw. wann es
wieder aufgebaut werden soll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Eckhardt Barthel (Berlin)


Es ist inzwischen eine wirklich nervende Geisterdis-

kussion darüber im Gange, ob eine Zwischennutzung
richtig oder falsch ist. Eine solche wird es kaum geben.
Denn das kann keiner bezahlen; so simpel ist die Ge-
schichte. Im vorliegenden Antrag wird gefordert, dass es
keine ideelle Unterstützung seitens der Bundesregierung
geben soll. Ich stelle mir einmal vor, im Palast der Repu-
blik fände eine Veranstaltung statt und Frau Weiss würde
sich eine Eintrittskarte kaufen und in den Palast hinein-
gehen. Ist das dann eine ideelle oder gar materielle Un-
terstützung der Bundesregierung im Hinblick auf eine
Zwischennutzung?


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Wir sind ein freies Land!)


Ich finde das alles sehr merkwürdig. Diejenigen, die
sich immer auf die Expertenkommission berufen, ver-
gessen an diesem Punkt die Aussage der Expertenkom-
mission. Denn gerade die Expertenkommission hatte den
Vorschlag einer Zwischennutzung gemacht, und zwar
mit der Bedingung – die Bundesregierung hat sie aufge-
nommen –, dass es keine Verfestigung der Nutzung ge-
ben darf und dass keine Mittel hineingesteckt werden
dürfen. Trotzdem immer wieder diese Mühle der Zwi-
schennutzung! Ich begreife es nicht. Aber vielleicht ist
das auch der leichteste Teil des gesamten Problems.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was ist eigentlich der Kern dessen, worüber wir spre-
chen?


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das hätten Sie sich vorher überlegen können!)


– Danke! – Sie fordern ja einen zügigen Wiederaufbau
des Stadtschlosses. Ich nenne drei Punkte, die den Rah-
men dieser Diskussion bilden, und zwar zunächst unse-
ren Beschluss. Ich wiederhole ihn nicht; ich lege nur
Wert darauf, ihn im Rahmen dessen, was ich vorschla-
gen möchte, zu erwähnen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505616600

Herr Kollege Barthel, darf der Kollege Rexrodt eine

Zwischenfrage stellen?


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1505616700

Natürlich.


Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1505616800

Herr Kollege Barthel, Ihre Ausführungen zur Zwi-

schennutzung veranlassen mich zu der Frage an Sie als
Mitglied einer Fraktion, die die Regierungskoalition
trägt, ob Sie bestätigen können, was die Kollegin
Lengsfeld eben geäußert hat: dass die Staatsministerin
Weiss Mitglied einer Initiative sei, die sich für die Zwi-
schennutzung des Palastes der Republik einsetzt. Dies
möchte ich gerne von Ihnen bestätigt oder dementiert ha-
ben, wenn Sie das können.


(Horst Kubatschka [SPD]: Woher soll der das denn wissen? Das kann doch Herr Barthel nicht wissen! – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Vielleicht vom Geheimdienst! – Gegenruf der Abg. Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Das ist eine Fragestellung! Es geht um Transparenz in der Politik! – Dr. Sigrid SkarpelisSperk [SPD]: Das ist eine Zumutung! Sie können sie ja direkt fragen!)



Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1505616900

Herr Rexrodt, ich gestehe, dass ich gar nicht alle Ver-

eine kenne, denen ich angehöre. Erst recht weiß ich
nicht, in welchen Vereinen die Staatsministerin ist. Ich
mache Ihnen einen einfachen Vorschlag: Fragen Sie sie
nachher selbst.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind ja gleich fertig. Vielleicht kriegen wir das dann
noch heraus.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

– Ich finde das jetzt wirklich ein bisschen kleinkariert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir reden über ein Projekt, das vielleicht 700 oder
800 Millionen Euro kosten wird, und Sie fragen nach der
Mitgliedschaft der Staatsministerin in einer Initiative.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Vielleicht sollte die Staatsministerin ihre ganze Kraft dafür einsetzen und nicht auf anderen Hochzeiten tanzen!)


– Wenn Sie mir jetzt die Chance gäben, weiterzureden,
wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Um die augenblickliche Situation richtig ermessen zu
können, sollte man sich noch einmal die Eckpunkte vor
Augen halten.

Der erste Eckpunkt ist unser Beschluss. Er steht. Das
sage ich ganz bewusst, auch angesichts dessen, was ich
noch sagen werde.

Zweitens. Der Schlossplatz ist potthässlich. Er schreit
nach Veränderung und nach Gestaltung.


(Beifall bei der SPD)

Drittens. Nach meiner Wertung – ich bin sicher, Sie

teilen diese Meinung – haben wir ein grandioses Nut-
zungskonzept für dieses Schloss.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Jetzt beginnt mein Problem, Herr Nooke. Das Konzept
geht von 80 Prozent öffentlicher Nutzung aus. Sie sagen
jetzt leichtfertig, Sie wollten es zwar nicht, aber es könn-
ten auch 20 Prozent öffentliche Nutzung sein.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!)


Um Gottes willen! Dann lieber nichts dorthin bauen.
Was gehört zum Nutzungskonzept? Die außereuropäi-

sche Sammlung aus Dahlem, die wissenschaftliche






(A) (C)



(B) (D)


Eckhardt Barthel (Berlin)


Sammlung Humboldt und Teile der Stadtbibliothek soll-
ten dort hinein. Das ist eine sinnvolle Nutzung.


(Beifall bei der SPD)

Das ist nur möglich, wenn mindestens 80 Prozent des
Gebäudes öffentlich genutzt werden.

Ich glaube, wir müssen einen vierten Eckpunkt for-
mulieren. Wir haben heute Morgen alle die Regierungs-
erklärung und die Debatte zur finanziellen Situation un-
seres Landes gehört. Jetzt erlaube ich mir, einen ganz
persönlichen Vorschlag zu machen. In Anbetracht der fi-
nanziellen Situation dieses Landes und dieser Stadt soll-
ten wir – obwohl der Bau des Schlosses zulasten des
Bundes gehen wird – ehrlich sagen: Wir verschieben
dieses Projekt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

bis wir ein Finanzierungskonzept entwickeln können,


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Wir haben doch einen Vorschlag gemacht!)


das dem Nutzungskonzept entspricht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] – Günter Nooke [CDU/ CSU]: Frau Vollmer hat etwas anderes gesagt!)


– Das ist meine persönliche Meinung. Das wäre Ehrlich-
keit. Das wäre Klarheit. Sie können dagegen sein. Ge-
statten Sie mir eine eigene Meinung! Vielleicht ist Ihnen
so etwas fremd.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Empfindlich ist er!)


Ich bitte Sie wirklich, sich zu überlegen, ob das nicht
eine Möglichkeit wäre.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Wie lange? – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Das ist doch euer Traum!)


Aber auch dazu gehörte erstens eine Schleifung des Pa-
lastes der Republik – so schnell wie möglich – und zwei-
tens eine Gestaltung dieses Areals; ich könnte mir eine
gärtnerische Gestaltung gut vorstellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann können wir – ohne unseren Beschluss infrage zu
stellen – die Zeit nutzen.

Wir sollten der nächsten Generation vielleicht nicht
nur – das betonen Sie ja immer – große Schulden, son-
dern auch eine Aufgabe übertragen, die zu lösen wir zur-
zeit aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sind.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Kleinkariert! – Horst Kubatschka [SPD]: 700 Millionen Euro sind für Sie kleinkariert? – Jörg Tauss [SPD]: Das bei 35 Prozent Steuern! Das ist nicht kleinkariert, das ist unseriös! – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das sind die Subventionsabbauer!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505617000

Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1505617100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist richtig: Vor Jahresfrist hat der Bundestag beschlos-
sen, den Berliner Schlossplatz neu zu gestalten, den Pa-
last der Republik abzureißen und eine Schlossattrappe
aufzubauen. Die PDS war dagegen; das wurde heute
schon gewürdigt. Ich hatte für mein Nein politische,
städtebauliche, historische, ökonomische und demokrati-
sche Gründe und ich habe sie mehr denn je. Die Debatte
vom Vorjahr ist nachlesbar, wir müssen sie heute hier
nicht wiederholen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr wollt wieder zurück!)


Als Berlinerin wiederhole ich: Der Schlossplatz ist alles
andere als ein werbendes Kleinod unserer Stadt. Er ist ein
totes Areal, und das schon seit 13 Jahren. Deshalb hat die
PDS vorgeschlagen, den Platz mit Zwischennutzungen zu
beleben, die anziehend und gefragt sind. Vor einer Wo-
che zog Beachvolleyball Tausende auf den Platz. In den
nächsten Tagen wird die Aktion „Schaustelle Berlin“
wiederum Tausende anziehen. Der asbestsanierte Palast
kann von innen besichtigt werden. Das ist gut und das
klappt nur, weil es Ideen und Initiativen gibt.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Damit Sie nicht noch eine Zwischenfrage stellen, ge-
stehe ich: Ich habe für ganze 5 Euro schon eine Eintritts-
karte erworben und werde mir morgen um 16 Uhr den
Palast ansehen. Die erste Führung ist schon seit drei Wo-
chen ausverkauft.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Sie kennen den doch schon, Frau Pau! Das ist doch gar nicht nötig! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Herr Nooke kennt ihn auch!)


Damit bin ich beim Antrag der CDU/CSU. In diesem
Antrag wird gefordert, jede finanzielle wie ideelle di-
rekte und indirekte Unterstützung einer Nutzung des Pa-
lastes der Republik abzulehnen.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Nachtigall, ick hör dir trapsen!)


Im Klartext: Sie fordern, dass der Bundestag jedwede
Initiative ablehnen soll, die dazu führen könnte, dass der
Palast zwischengenutzt und der Platz belebt wird. Frau
Merkel, Herr Nooke, Frau Lengsfeld, ich finde, so viel
Kalk und Berlin-Ferne wurden selten zu Papier gebracht.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Ach Gott, es gibt auch noch ein anderes als das PDS-Berlin!)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau

Deshalb verspreche ich Ihnen in Anlehnung an eine ost-
bekannte Satire: Am Ende des Sommers wird es heißen:
„Die Berliner lächelten sehr finster“, zumal es inzwi-
schen über 200 Ideen und Anträge gibt, den Palastroh-
bau zu nutzen.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Wie viel davon sind von ehemaligen Palastmitarbeitern?)


Dass garantiert nicht nur DDR-Nostalgiker an einer Zwi-
schennutzung interessiert sind, zeigt mir meine Post-
mappe, denn merkwürdigerweise kommen die Interes-
senten aus den westlichen Bundesländern und aus der
Architektenkammer, ehemals Westberlin.

Zum Schluss noch zum großen Thema Geld. Die
Schlossfans haben immer wieder behauptet, das Finanz-
problem sei ihr kleinstes Problem. Warum also belästi-
gen Sie heute den Bundestag mit Kleinkram, anstatt sich
dafür zu engagieren, dass nicht noch mehr Kulturein-
richtungen gefährdet werden,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Der Palast der Republik ist also eine Kultureinrichtung!)


weil den Ländern und Kommunen bundesweit immer
mehr Gelder entzogen werden? Sagen Sie mir bitte
nicht, die allgemeine Finanznot hätte allein Rot-Grün
verschuldet. Vor einem Jahr zog die CDU/CSU durchs
Land und forderte: Die Steuern müssen runter. – SPD
und Grüne sagten „Aber“ und fragten besorgt, wodurch
denn die Ausfälle im Staatssäckel kompensiert werden
sollen. Nun hat Rot-Grün das Gleiche beschlossen und
Sie fragen, wie es kompensiert werden soll. Dieses Wirr-
warr herrscht also bei Rot-Grün genauso wie bei Ihnen.
Und unisono weichen Sie unserer Frage aus, nämlich der
Frage nach gerechten Steuern – ganz wie Kaiser
Wilhelm weiland im Stadtschloss.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Wie ist das denn nun mit dem Stadtschloss?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505617200

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erteile ich

der Staatsministerin das Wort zu einer Erklärung zur
Aussprache.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Na siehste, dann haben wir doch Klarheit!)


D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1505617300


Herr Nooke! Frau Lengsfeld! Meine Damen und Her-
ren! Ich kann Ihnen mitteilen, dass ich außer in einem
einzigen Kunstverein und in einem einzigen Literatur-
hausverein in keinem anderen Verein Mitglied bin. Viel-
leicht beruhigt Sie das in Bezug auf die politische Sau-
berkeit.


(Horst Kubatschka [SPD]: Herr Rexrodt hat deswegen graue Haare gekriegt! – Gegenruf des Abg. Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Die grauen Haare haben Sie!)

Ich erlaube mir allerdings, die Vorschläge der Kommis-
sion sehr ernst zu nehmen, und ich habe immer die Posi-
tion vertreten: Wenn in der Zwischenzeit eine gute privat
finanzierte Zwischennutzung des Palastes möglich ist,
werde ich sie unterstützen. Wenn es diese Möglichkeit
nicht gibt, richte ich mich nach der Realität.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Das war doch sehr aufschlussreich!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505617400

Frau Staatsministerin, ich vermute, dass die Offenle-

gung Ihrer für Parlamentarier völlig untypisch niedrigen
Zahl von Vereinsmitgliedschaften Ihnen eine Flut von
Zuschriften mit entsprechenden Angeboten einbringen
wird.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Monika Griefahn [SPD]: Das hängt damit zusammen, dass sie kein Amt hat!)


Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/1094 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 d sowie
die Zusatzpunkte 4 und 5 auf:
11 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Doris Barnett, Uwe
Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele
Hustedt, Volker Beck (Köln), Ulrike Höfken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sicherung eines fairen und nachhaltigen Han-
dels durch eine umfassende entwicklungsori-
entierte Welthandelsrunde
– Drucksache 15/1317 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordnten Erich G.
Fritz, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Für ein höheres Liberalisierungsniveau beim
Welthandel mit Dienstleistungen – GATS-Ver-
handlungen zügig voranbringen
– Drucksache 15/1008 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katherina Reiche, Thomas Rachel, Günter
Nooke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Qualitätssicherung im Bildungswesen und kul-
turelle Vielfalt bei GATS-Verhandlungen ga-
rantieren
– Drucksache 15/1095 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Dirk Niebel, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Internationale Rechtssicherheit und transpa-
rente Regeln für den Dienstleistungshandel –
GATS-Verhandlungen voranbringen
– Drucksache 15/1010 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G.
Fritz, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
WTO-Doha-Runde zum Erfolg führen – Vor-
aussetzungen schaffen für eine erfolgreiche
WTO-Ministerkonferenz in Cancun/Mexico
– Drucksache 15/1323 –

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Hans-Michael Goldmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mehr Wohlstand für alle durch mutige Markt-
öffnung
– Drucksache 15/1333 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Dr. Skarpelis-Sperk, SPD-Fraktion.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1505617500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vor-
liegenden Antrag der Koalitionsfraktionen geben wir
Bundesregierung und EU-Kommission klare Richtlinien
für die laufende Welthandelsrunde und die GATS-Ver-
handlungen an die Hand.

Dies ist umso wichtiger, weil sich die Weltwirtschaft
und das Welthandelssystem in einer kritischen Situation
befinden: Seit der deutlichen Abschwächung der Welt-
wirtschaft vor drei Jahren ist es immer noch nicht zu ei-
ner dauerhaften Erholung gekommen; auch der Ausblick
auf das kommende Jahr ist nicht sonderlich rosig. Eine
stagnierende Weltwirtschaft mit schwachem Wachstum
und steigenden Arbeitslosenzahlen in der Europäischen
Union und den USA macht es den Industrienationen
schwer, substanzielle und schnell wirksame Handelszu-
geständnisse zu machen und zügig umzusetzen. Damit
entwickelt sich eine Vertrauenskrise zwischen den gro-
ßen WTO-Mitgliedern und den Entwicklungsländern,
die auf die Erfüllung des Versprechens von Doha po-
chen, eine Entwicklungsrunde zu machen.

Zur gleichen Zeit wird die Glaubwürdigkeit und Legiti-
mität des Welthandelssystems in Zweifel gestellt. Für große
Teile der Öffentlichkeit bleibt fraglich, ob das derzeitige
System tatsächlich zu mehr nachhaltigem Wachstum, höhe-
rem Lebensstandard, besseren Arbeitsbedingungen, besse-
rem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und einer
entscheidenden Reduzierung der Armut führt.

Für Deutschlands Wirtschaft und seine Arbeitsplätze
ist die Entwicklung des Welthandels von zentraler Be-
deutung; schließlich sind wir Vizeweltmeister im Ex-
port. Wir müssen aber auch erkennen, dass eine befriedi-
gende und stabile Aufwärtsentwicklung nicht allein in
der Zunahme des Handelsvolumens, sondern auch in
dessen gleichgewichtiger Entwicklung besteht. Gerade
im Kontext eines sich stets verlangsamenden weltweiten
Wachstums müssen wir erkennen, dass lange Zeit beste-
hende hohe Handelsbilanzdefizite, aber auch -über-
schüsse früher oder später auf den weltweiten Wäh-
rungs- und Finanzmärkten Ungleichgewichte und zum
Teil nicht unerhebliche Finanzkrisen hervorrufen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Diese Finanzkrisen haben häufig nicht nur negative

ökonomische Auswirkungen in den betroffenen Staaten
und Regionen, sondern führen zunehmend zu mehr






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

Armut und Verelendung von Hunderten von Millionen
Menschen. Der Handel und seine Liberalisierung bringt
gewiss Wohlstandsgewinne, dies aber, wie UNCTAD-
Studien zeigen, nicht automatisch und nicht in allen Län-
dern. Es bedarf mehr, damit der Handel eine Erfolgs-
story für viele wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in
Johannesburg wurde überzeugend aufgezeigt, dass Han-
del ohne Zweifel eine wichtige Säule der Entwicklung
ist, aber nur dann, wenn gleichzeitig und gleichrangig
ein umfassender Schuldenerlass, die Sicherung ange-
messener Beschäftigung einschließlich der grundlegen-
den Arbeits- und Sozialrechte, die Verwirklichung von
Demokratie und Menschenrechten, die Armutsbekämp-
fung und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundla-
gen angestrebt und schrittweise erreicht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer diese Zusammenhänge nicht sieht, wird mit Han-
delspolitik pur scheitern.

Das Welthandelssystem ist verwundbarer, als wir häu-
fig glauben. Das haben uns nicht nur die Ereignisse vom
11. September und der Irakkrieg gezeigt, sondern auch
die schädlichen Auswirkungen von letztlich kleinen Epi-
demien wie SARS. Deswegen müssen wir, wenn wir vor,
während und nach der Konferenz in Cancun verhandeln,
unsere Prioritäten für eine erfolgreiche Handels- und
Entwicklungspolitik deutlich machen:

Erstens. Jede Maßnahme in der WTO muss zu mehr
nachhaltigem Wachstum, weniger Armut, mehr Wohl-
stand und vor allem zu mehr Arbeitsplätzen, möglichst
regional gleichgewichtig verteilt, führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Jede Ausweitung des multilateralen Welt-
handelssystems muss sich als Bestandteil einer kohären-
ten Politik verstehen, die internationale Konventionen
und Verträge, die Ziele der UN-Organisationen wie
UNEP, UNCTAD oder ILO – zum Beispiel beim Klima-
und Umweltschutz, bei den Menschenrechten sowie bei
Arbeits- und Sozialrechten – nicht nur selbstverständlich
akzeptiert, sondern diese in ihren Streitschlichtungsver-
fahren auch respektiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. Die WTO muss wirklich multilateral sein
und von den kleineren und ärmeren Ländern auch als
Schutzschild gegenüber der Übermacht und – auch das
sage ich – dem politischen Übermut großer Handels-
mächte dienen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.
Wenn wir ein faires und für kleinere und ärmere Län-
der umsetzbares Handelssystem wollen, dann müssen
wir auch darauf achten, dass administrative Vorschrif-
ten für sie tragbar und umsetzbar sind. Wenn wir in un-
seren Ländern von einem „small business act“ sprechen,
dann müssen wir uns auch überlegen, ob wir in der Welt-
handelsorganisation nicht so etwas wie eine „small and
poor countries clause“ brauchen, sozusagen eine „WTO
light“, damit diese Länder die Vorschriften auch wirklich
handhaben können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viertens. Wir brauchen eine WTO-Reform an Haupt
und Gliedern, um die Organisation wieder politisch und
sozial hoffähig zu machen. Wenn die WTO in ihrem Ver-
handlungsprozess nicht möglichst offen, transparent und
partizipativ agiert und mit den anderen UNO-Organisati-
onen kooperiert, dann wird sie nicht erfolgreich sein
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was wir im Vorfeld bei den letzten Verhandlungen auch
im Zusammenhang mit GATS als Parlamente erlebt ha-
ben, von den Gewerkschaften, den Nichtregierungsorga-
nisationen und der breiten Öffentlichkeit einmal ganz zu
schweigen, das geht auf keine Kuhhaut. Geheimdiplo-
matie des 19. Jahrhunderts ist in einer modernen Mas-
sendemokratie des 21. Jahrhunderts fehl am Platze. Das
müssen sich die WTO, die EU-Kommission und unsere
Beamten endlich einmal hinter die Ohren schreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wieso haben wir dann eine öffentliche Anhörung?)


– Das Parlament muss sich das nicht hinter die Ohren
schreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben versucht, diesen Prozess klarzustellen und
durchzusetzen und wir haben zum ersten Mal in der Par-
lamentsgeschichte einen Parlamentsvorbehalt zu Außen-
wirtschaftsverhandlungen eingelegt, um genau dies zu
sichern.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Fünftens. Wir wollen bei GATS volle Flexibilität ge-

sichert wissen, weil es hierbei nicht nur um wirtschafts-
nahe Dienstleistungen geht, sondern um den ganzen Be-
reich von Bildung, Kultur, Gesundheitswesen und um
viele andere Dinge, über die unsere Kolleginnen und
Kollegen noch sprechen werden.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass künftige deutsche Parlamente Entschei-
dungen auch wieder rückgängig machen können, weil
ein demokratisch beschlossener Sozialvertrag auf Zeit,
wie nationale Gesetze nun einmal sind, nicht durch einen
faktisch nicht mehr revidierbaren internationalen Ver-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

trag, wie es GATS ist, abgelöst werden soll. Ich sage
nachdrücklich: Wir dürfen künftige Parlamente nicht
politisch entmündigen und in ihrer Souveränität be-
grenzen. Das ist unsere Aufgabe. Darauf müssen wir
achten, und zwar auch beim GATS und auch gegenüber
der EU-Kommission.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505617600

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Fuchs,

CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1505617700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Der heutigen Debatte liegen vier Anträge zu-
grunde, davon drei von der Opposition. Daran sehen Sie,
wie fleißig wir sind. In allen Anträgen geht es darum,
dass wir an dem globalen Welthandel weiterarbeiten,
dass wir die Welthandelsrunden endlich zum Abschluss
bringen.

Dabei ärgert es mich, dass durch falsche Behauptun-
gen, durch falsche Darstellungen von Fakten immer wie-
der Ängste geschürt werden.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Welche denn?)


Frau Skarpelis-Sperk, Sie haben gerade ein Beispiel da-
für gegeben, wie man das tun kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie sind eine falsche Tatsache!)


– Herr Tauss, ich erkläre es Ihnen ja. Wenn Sie zuhören,
dann werden Sie einiges lernen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich bin neugierig!)

Bei der ganzen Debatte wird immer wieder behauptet,

dass die öffentliche Daseinsvorsorge liberalisiert wer-
den soll. Das aber ist, wie wir wissen, überhaupt kein
Thema und davon steht auch in den gesamten Papieren
nichts.


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP] – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das haben wir ja ausgeschlossen durch unsere Beschlüsse!)


Wenn wir bei GATS diesen Bereich ausklammern – er ist
sauber ausgeklammert –, dann haben wir den NGOs im
Prinzip den Wind aus den Segeln genommen. Wir sollten
hier in diesem Hohen Hause nicht ständig darüber disku-
tieren, weil wir die Leute dadurch nur verunsichern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir alle sind aufgefordert – das ist auch meine Bitte an
Sie –, das Geschäft mit der Angst, welches Gruppen wie
VENRO, Attac und leider auch der DGB immer wieder
betreiben, zu ignorieren und eine intensive Öffentlich-
keitsarbeit dafür zu betreiben, dass genau das zukünftig
nicht mehr läuft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Leider gibt es in Ihrem wunderschönen weitschweifen-
den Antrag eine Reihe von Formulierungen, die genau
dieses Geschäft mit betreiben bzw. nach vorne bringen.
In Cancun soll beispielsweise eine Entscheidung über
zukünftige WTO-Themen von vornherein verhindert
werden. Wir halten das für grundsätzlich falsch.

Wir müssen nicht nur die Dienstleistungsmärkte öff-
nen. Natürlich müssen wir auch die Agrarverhandlungen
weiterbringen und bei den Zöllen weiterkommen. Es
müssen aber auch neue Themen her. Ich nenne nur Han-
del und Investitionen sowie Handelsvereinfachungen.
Wir können nicht einfach darüber hinweggehen; denn
diese Themen werden uns in der Zukunft beschäftigen.
Im Wesentlichen geht es dabei auch um Entbürokratisie-
rung und Deregulierung. Das jedoch sind Felder, auf de-
nen Rot-Grün sowohl national als auch international
keine besonders gute Rolle spielt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Unsinn!)

Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Regierung auf,

die europäische Verhandlungsposition bezüglich einer
Abstimmung über neue Themen zu verändern. Wir wol-
len diese neuen Themen und wir wollen nicht erst war-
ten, bis die nächsten Runden vorbei sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Was sind die neuen Themen?)


Die EU befindet sich nach dem Agrarkompromiss
von Luxemburg endlich auf einem besseren – wenn auch
noch nicht immer richtigen – Weg. Trotz der französi-
schen Totalverweigerung gab es in Luxemburg einen
Kompromiss, den wir begrüßen. Es ist notwendig, dass
den Entwicklungsländern gerade auf diesem Sektor ge-
holfen wird. Ich hoffe – hier sind wir sicherlich einer
Meinung –, dass wir das gemeinsam so sehen.

Lassen Sie mich zum Inhalt der GATS-Liberalisie-
rung nur ganz kurz das Wichtigste sagen. Cancun muss
in dieser Welthandelsrunde in allen Bereichen, ob das
GATS, TRIPS oder GATT ist, so zügig wie möglich wei-
tergeführt werden. Es darf keine Handelsbehinderungen
geben. Ich erinnere noch einmal an den Krimi von Lu-
xemburg.


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])

Der internationale Dienstleistungshandel besitzt

eine immense Bedeutung für die WTO. Zugleich ist dies
auch der Bereich, der zu Unrecht die größten Sorgen in
der Bevölkerung hervorruft.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Aber nicht zu Unrecht!)


Dagegen sollten wir gemeinsam vorgehen. Hier besteht
ein Bedarf an Aufklärung.


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])

Für die Konsumenten bringt die Liberalisierung der

Dienstleistungen nämlich jede Menge: mehr Wahlmög-
lichkeiten, bessere Preise und höhere Qualität.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Und welche Arbeitsund Sozialbedingungen?)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs

– Frau Skarpelis-Sperk, die Dienstleistungen sind zudem
ausgesprochen arbeitsintensiv und eine wichtige Quelle
für zukünftige Arbeitsplätze.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Jawohl!)

Dass wir in Deutschland durch Ihre falsche Politik dies-
bezüglich einen erheblichen Bedarf haben, weiß ja wohl
eigentlich jeder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mehr als 60 Prozent der Arbeitsplätze in der EU be-

finden sich im Dienstleistungssektor. Über 70 Prozent
unseres BIP werden dort erwirtschaftet. Die EU ist so-
wohl der größte Importeur als auch der größte Exporteur
von Dienstleistungen. Deswegen besitzen Dienstleistun-
gen eine gewaltige Bedeutung für das Wachstum und die
Beschäftigung. Seit den 90er-Jahren ist der Handel mit
Dienstleistungen im Schnitt immer etwa 10 Prozent
schneller gewachsen als der Exporthandel mit Waren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505617800

Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Tauss?

Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1505617900

Ich habe es befürchtet. Bitte schön.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505618000

Er wird das auch mit der Zusage der Reduzierung sei-

ner Zwischenrufe verbinden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1505618100

Lieber Herr Kollege Fuchs, es war ja unvermeidlich,

nachdem Sie mir versprochen hatten, ich könnte etwas
lernen. Bisher konnte ich nämlich noch nichts lernen.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das liegt aber an Ihnen!)


Sie haben viele Dinge gesagt, die natürlich zu unter-
streichen sind. Ich habe nur die Bitte, ob Sie freundli-
cherweise konkret werden können. Sie haben mehrfach
davon geredet, dass Dienstleistungen liberalisiert wer-
den sollten. Welche Dienstleistungen meinen Sie? Ge-
hört für Sie die Bildung – hier könnte man differenzie-
ren: die öffentliche Bildung, die der Universitäten, die
Weiterbildung – dazu? Gehören für Sie auch die Kultur
und das Wasser dazu? Was gehört an Daseinsvorsorge
für Sie dazu? Haben Sie meine Frage verstanden? –
Dann habe ich einfach die Bitte, dass Sie mir antworten,
damit das allen klar wird.


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1505618200

Unterscheiden Sie bitte zwischen Daseinsvorsorge

und Dienstleistung, Herr Tauss. Das hatte ich eben schon
einmal gesagt; Sie geben mir aber die Gelegenheit, das
zu wiederholen, weil Sie eben anscheinend nicht zuge-
hört haben.

Die öffentliche Daseinsvorsorge

(Jörg Tauss [SPD]: Ist Dienstleistung!)

wird bei GATS ausdrücklich ausgeklammert und liegt
nach wie vor in der nationalen Hoheit der Parlamente.
Fragen Sie Ihre Kollegin Frau Skarpelis-Sperk! Sie wird
es Ihnen erklären.

Insofern stehen diese Fragen überhaupt nicht zur Dis-
kussion. Es wird immer genau das falsch gemacht, was
auch Sie gerade falsch machen, nämlich dass dieser
Punkt in die Debatte über Dienstleistungen aufgenom-
men wird. Das ist nach wie vor national zu regeln. Jedes
Parlament hat weiter die Möglichkeit, dies zu tun.


(Jörg Tauss [SPD]: Darf ich trotzdem nach Dienstleistungen fragen? Das war meine Frage!)


– Sie haben gerade nach der Daseinsvorsorge gefragt.
Zur Frage der Dienstleistungen sage ich Ihnen klar, dass
auch bei Dienstleistungen über Deregulierung nachge-
dacht werden kann. Die französische Position zur Kultur
– sprich: die Beschränkung beim Einkauf amerikani-
scher Filme, die jeder sehen will – kann ich nicht nach-
vollziehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Seid ihr jetzt schlauer?)

Eine zügige Liberalisierung bedeutet auch den

Abbau von Handelshemmnissen. Hier ist die Regie-
rung in der Handlungsverantwortung. Ich fordere Sie
auf: Schließen Sie dauerhaft nationale Regelungen aus.
Dadurch werden nämlich Anbieter und Investoren im
Dienstleistungsbereich benachteiligt. Ich denke vor allen
Dingen an die Entwicklungsländer; sie sind mir beson-
ders wichtig. Frau Skarpelis-Sperk, für mich ist die beste
Formel für die Entwicklungsländer: Trade is better than
aid.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das stimmt nicht ganz!)


Wir müssen den Entwicklungsländern die Chance geben,
die Produkte, die sie herstellen können, zu exportieren.
Das gilt natürlich auch für den Agrar- und Textilbereich,
in dem in jedem Fall Hilfen vereinbart werden müssen.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Lesen Sie doch mal die Berichte dazu!)


Der Antrag der Regierungskoalition konzentriert sich
nicht auf das Wesentliche. Es gibt darin eine Menge an
Sozialschwärmerei. Dies stellt man fest, wenn man die
Ausführungen zu Geschlechtergleichbehandlung, Tier-
und Umweltschutz und vielen anderen Bereichen liest.
Sie wollen die WTO mit allen erdenklichen Politikfel-
dern zuschütten. Davon halte ich nichts. Wir brauchen
eine World Trade Organization und keine World Social
Organization.


(Widerspruch bei der SPD)

Die Bundesregierung praktiziert dies schon in Deutsch-
land zur Genüge. Ich glaube, die Ergebnisse sind nicht
so gut, als dass wir die dirigistischen Einflüsse, die wir
in diesem Land durch Ihre Regulierungswut haben, ex-
portieren sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs

Handel braucht einen Rahmen, in dem sich Unterneh-

mer ihrer Handels- und Handlungsfreiheit erfreuen kön-
nen. Vertreten Sie uns in Cancun mit dem Motto: Weni-
ger ist mehr!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505618300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaele Hustedt,

Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505618400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Welt-

handelsrunde in Cancun ist eine Zwischenetappe, aber
eine sehr bedeutsame. Aus unserer Sicht besteht spätes-
tens nach dem Golfkrieg die Gefahr einer Krise des Mul-
tilateralismus. Die Frage ist berechtigt, ob von der WTO
wie auch von anderen multilateralen Institutionen ein
konstruktives Signal ausgeht, dass das multilaterale Sys-
tem eine Zukunft hat. Ob dies gelingt, ist allerdings of-
fen. Multilaterale Spielregeln im Handel sind nicht nur
für eine Exportnation wie Deutschland wichtig, sondern
insbesondere ärmere und kleinere Länder sind bei der
zunehmenden Tendenz, bilaterale Verträge zu schließen,
deutlich benachteiligt, da sie keine Möglichkeiten haben,
strategische Allianzen zu bilden und so ihre Verhand-
lungsposition zu stärken.

Worum geht es bei der Doha-Runde? Gerade nach
den Ereignissen des 11. September hat die Staatenge-
meinschaft beschlossen, dass dies eine Runde für die
Entwicklungsländer werden muss, aus der sie einen Be-
nefit vom internationalen Welthandel ziehen sollen. Das
hat einen guten Grund. Bisher – so war die Analyse der
Staatengemeinschaft – waren es die Industrienationen,
die von der WTO-Runde profitiert haben. Vielleicht wa-
ren es auch einige Schwellenländer. Aber die große
Masse der Entwicklungsländer, insbesondere die ärms-
ten Länder, haben nur draufgezahlt und eben keinen Be-
nefit vom internationalen Welthandel gehabt.

Nun ist es so, dass gerade die Entwicklungs- und
Schwellenländer – das stimmt mich optimistisch – durch-
aus keine schwachen und hilflosen Länder mehr sind,
sondern die Schwellenländer werden zunehmend zu star-
ken Verhandlungspartnern. Auch die ärmeren Länder bil-
den Allianzen, wodurch sie sich Gehör verschaffen kön-
nen. Die Zeit, in der die Industrienationen einseitig ihre
Interessen durchsetzen konnten, ist vorbei. Hier liegt
auch ein entscheidender Unterschied zur Uruguay-
Runde. Es ist völlig klar: Wenn die Entwicklungsländer
in dieser Runde keinen Benefit mit nach Hause nehmen
können, dann droht die Blockade der gesamten Verhand-
lung. Das wäre für uns als Exportnation fatal. Deswegen
liegt es in unserem ureigenen, auch wirtschaftlichen Inte-
resse, dass bei dieser Runde ein Fortschritt für die Ent-
wicklungs- und Schwellenländer herausspringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Übrigen ist mehr globale Gerechtigkeit auch aus
anderen Gründen von Interesse. Denn wenn wir über
Terrorismusbekämpfung und Friedenssicherung in der
Welt sprechen, dann bedeutet das auch, dass wir Ent-
wicklungs- und Schwellenländern eine Chance zur Ent-
wicklung geben, damit auch sie eine Perspektive haben.

Dazu gehört sicher – das wurde schon angespro-
chen –, dass die WTO demokratischer und transparenter
wird und es keine informellen Absprachen zwischen den
Industrienationen und den größeren Schwellenländern
gibt. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir abgehen von glei-
chen Regeln für alle und hinkommen zu Regeln, die dem
Entwicklungsstand der Länder angepasst sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das heißt, dass die Schwächeren die Chance auf eine
spezielle und differenzierte Behandlung haben. Das gilt
für die Streitschlichtung genauso wie für die Umsetzung
der Verpflichtung und die Regeln für die Öffnung des
Marktzugangs.

Weil der Kernpunkt ist, Herr Fuchs, dass wir der
WTO-Runde zum Erfolg verhelfen, halten wir es für
falsch, die WTO-Runde mit den so genannten Singapur-
Themen zu überfordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir glauben, dass es ein Problem wird, wenn wir immer
noch etwas obendrauf packen, und dass das Ergebnis
nicht Fortschritt, sondern Blockade ist.

Die Parlamente müssen aus meiner Sicht – deswegen
hoffe ich, dass wir beim nächsten Mal diese Frage zu ei-
ner zentraleren Zeit debattieren – eine größere Rolle
übernehmen. Ich finde es gut, dass wir uns vorgenom-
men haben, mit regelmäßigen weltweiten Parlaments-
konferenzen diesen Prozess zu begleiten.

Ich wiederhole: Der Erfolg der WTO-Runde muss
substanzielle Zugeständnisse an die Entwicklungsländer
bedeuten. Das steht im Zentrum. Wichtig ist ein besserer
Marktzugang für die Entwicklungsländer, besonders in
den Bereichen, in denen sie exportfähig sind, das heißt
Landwirtschaft und Textilien.

Bedeutsam ist auch ein Abbau der Exportsubven-
tionen. Herr Fuchs, Sie haben die Ergebnisse der Agrar-
verhandlungen gelobt. Mein Kollege aus dem Agraraus-
schuss hat mir gesagt, dass Ihre Kollegen im Ausschuss
heute genau das Gegenteil gesagt haben und kein einzi-
ges Lob, sondern nur Kritik über die Verhandlungser-
gebnisse geäußert haben.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Herr Fuchs hat viel differenzierter gesprochen! – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Gespaltene Zunge!)


In Europa subventionieren wir jede Kuh mit 2,50 Dollar
pro Tag.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ich habe über Steuern gesprochen, die Sie erhöhen!)


Das ist mehr, als die Hälfte der Weltbevölkerung zum
Leben hat. Mit diesen hoch subventionierten Produkten
gehen wir in die Entwicklungsländer und zerstören dort






(A) (C)



(B) (D)


Michaele Hustedt

die heimischen Märkte. Das ist ein untragbarer Zustand,
der sofort beendet werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In einem Punkt bin ich besonders stolz auf unseren An-
trag: Wir wollen zumindest einen Teil der frei werden-
den Gelder als Wiedergutmachung den Entwicklungs-
ländern zur Verfügung stellen. Das ist eine sehr gute
Position.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der die Ent-
wicklungsländer betrifft. Ich finde, es ist ein Skandal,
dass wir die Einigung, die wir beim TRIPS-Abkommen
und beim Zugang der ärmeren Länder zu Medikamenten
in Doha erzielt haben, jetzt nachträglich von den USA
infrage gestellt wird. Ich erwarte und hoffe, dass nicht
weitere Zugeständnisse von den Entwicklungsländern
verlangt werden, sondern dass wir eine akzeptable Lö-
sung finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Abschließend möchte ich etwas zu den GATS-Ver-
handlungen sagen. Die Thematik hier betrifft weniger
die europäischen Märkte. Aber ich finde es absolut un-
verständlich, dass die Europäische Union die Entwick-
lungsländer auffordert, ihre Wassermärkte und Finanz-
märkte zu liberalisieren. Das ist erstens unglaubwürdig,
weil wir die Wassermärkte im eigenen Land nicht öffnen
wollen. Zweitens glaube ich, dass Wassermärkte nicht
pauschal liberalisiert werden sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man zum Beispiel Chile und Argentinien ver-
gleicht, dann stellt man fest, dass es besser ist, wenn sich
Entwicklungsländer punktuell gegen Krisen schützen
können und nicht eine pauschale Liberalisierung der Fi-
nanzmärkte vollzogen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505618500

Ich erteile der Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion,

das Wort.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Jetzt kommt ein guter Beitrag!)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1505618600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-

men! Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich die
Öffnung der Märkte für eine sehr wichtige Vorausset-
zung für den Wohlstand gerade auch der Entwicklungs-
länder halte, die einen Impuls für die Verbesserung der
Lebensverhältnisse und Chancen auf Bildung, Gesund-
heit und Rechtsstaatlichkeit bieten kann. Die Öffnung
der Märkte ist deshalb nicht zu verteufeln. Ich hebe das
noch einmal besonders hervor, weil dies in diesem Haus
offenbar auch nach der Enquete-Kommission „Globali-
sierung der Weltwirtschaft“, in der wir uns schon sehr
mühsam mit diesen Binsenweisheiten herumschlagen
mussten, immer noch nicht klar geworden ist.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wohl wahr! – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Immer noch nichts gelernt!)


Ich möchte wegen der knappen Redezeit, die mir
noch bleibt, nur kurz auf zwei Punkte eingehen. Es geht
nicht darum, weitere Themen zu verhindern oder die
WTO-Konferenz zu überfrachten. Zunächst muss – das
ist völlig klar – die bestehende Agenda abgearbeitet wer-
den. Danach aber müssen wir sie weiterentwickeln und
weitere Themen auf die Tagesordnung setzen – das
finde ich sehr wichtig, Herr Kollege Fuchs –; denn es
geht darum, die WTO erfolgreich zu gestalten. Insofern
geht es nicht um Stillstand und Blockade, sondern um
den Fortschritt.


(Beifall bei der FDP)

Als exportorientierte Nation eröffnen sich bei einem

erfolgreichen Abschluss der GATS-Verhandlungen für
Deutschland enorme Chancen durch mehr Transparenz
und internationale Rechtssicherheit. Die FDP wendet
sich deshalb strikt gegen alle Versuche – diese werden
im rot-grünen Antrag an mehreren Stellen deutlich –, die
Bemühungen um mehr Rechtssicherheit auf internatio-
naler Ebene beim Dienstleistungshandel zu blockieren
und sich von der übrigen Welt abzuschotten. Auch bei
den GATS-Verhandlungen erleben wir diese Zurückhal-
tung.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist doch ein Märchen!)


Gemäß der Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen
Bundesbank standen im Jahre 2002 – diese wichtigen
Zahlen möchte ich an dieser Stelle nennen – den Erlösen
aus dem Dienstleistungsexport in Höhe von 110 Milliar-
den Euro Ausgaben für Dienstleistungsimporte nach
Deutschland in Höhe von 140 Milliarden Euro gegenü-
ber. Zwei Drittel der deutschen Direktinvestitionsbe-
stände im Ausland entfallen auf die Dienstleistungs-
branchen. In dieser Branche sind 1,6 Millionen
Menschen für deutsche Firmen im Ausland tätig. Es han-
delt sich dabei um einen Markt mit einem Umsatz von
640 Milliarden Euro. Man muss sich einmal vor Augen
führen, worüber wir eigentlich sprechen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU])


Deutschland ist eine führende Exportnation. Wir dür-
fen aber nicht zögerlich handeln – das gilt auch für die
Behandlung der vorliegenden Anträge –, sondern müs-
sen dazu beitragen, dass die Verhandlungen vorankom-
men, um den Entwicklungsländern auf diese Weise mehr
Chancen zu bieten.

Wir als FDP sind entschlossen dagegen – und werden
entsprechende Versuche durchweg abwehren –, dass im-
mer neue Bereiche zur so genannten Daseinsvorsorge
erklärt werden, nur um sie auf diese Weise einer Libera-






(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp

lisierung zu entziehen. Auch diese Tendenz war heute
wieder festzustellen.


(Beifall bei der FDP)

Eines steht fest: Die WTO-Ministerkonferenz muss

besonders für die Entwicklungsländer ein Erfolg wer-
den. Sie ist schließlich als Entwicklungsrunde vorgese-
hen. Wir als FDP bekennen uns auch ausdrücklich dazu.
Mein Kollege Michael Goldmann hat heute im Laufe des
Tages schon einmal zur Agrarpolitik, die ein sehr wich-
tiger Punkt auf der Agenda sein wird, Stellung genom-
men. Wir halten das Ergebnis des Agrarrates für einen
Schritt in die richtige Richtung. Aber dieser Weg ist
längst noch nicht so konsequent beschritten worden, wie
wir uns das vorstellen. Wir haben schon im Jahr 2000
mit der Kulturlandschaftsprämie ein Modell entwickelt,
das weitaus zukunftsfähiger ist.


(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Wir hätten uns gewünscht, dass wir uns damit stärker

hätten durchsetzen können. Von der rot-grünen Regie-
rung wünschen wir uns, dass sie ihre Abschottungspoli-
tik nicht länger fortsetzt.

Herr Kollege Fuchs, bitte reden Sie noch einmal mit
den Agrariern, damit Sie auf einen gemeinsamen Nenner
kommen.


(Beifall bei der FDP – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schaffen sie doch nie!)


Im Antrag von Rot-Grün – da ich das sehr bemer-
kenswert finde, möchte ich Ihnen das kurz zitieren – be-
finden sich Formulierungen, die den Geist des Rück-
wärtsgewandten ganz hervorragend zum Ausdruck
bringen. Hier ist die Rede von einer „gerechten Vertei-
lung der Handelsgewinne“ – wer will die denn vertei-
len? – und von einer „Überprüfung aller Liberalisie-
rungsmaßnahmen auf ihre Kulturverträglichkeit“.


(Michaele Hustedt NEN)

rückwärts gewandt?

Des Weiteren heißt es – auch das halte ich für ein hervor-
ragendes Beispiel Ihrer Politik –:

Vor Unterzeichnung von Handelsabkommen sollen
geschlechtsspezifische Folgenabschätzungen durch-
geführt werden;


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ja, natürlich! – Helga Daub [FDP]: So ein Blödsinn!)


Ich empfehle, einmal über die Folgenabschätzungen Ih-
rer Politik zu diskutieren,


(Beifall bei der FDP)

insbesondere über die Bremswirkung Ihrer Politik auf
Verhandlungen über notwendige internationale Abkom-
men.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, das, was Sie vor-
schlagen, ist nach wie vor dazu geeignet, Reformen zu
verhindern.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau!)

Ich hoffe, dass wir diesen Duktus der 70er-Jahre bald
alle überwunden haben und wirklich nach vorne blicken
können. Wir dürfen nicht länger in den Dimensionen des
Protektionismus und in kleinen Schritten denken.

Ich bitte Sie alle, mitzuhelfen, damit die WTO-Ver-
handlungen ein Erfolg werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505618700

Frau Kollegin Hustedt, ich bitte um Nachsicht, dass

ich nach deutlich überschrittener Redezeit nicht zur Ver-
längerung derselben auch noch Zusatzfragen zugelassen
habe.


(Zuruf der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun hat das Wort der Kollege Dr. Raabe für die SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1505618800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geehrten Damen

und Herren! „Gerechtigkeit jetzt!“ – das ist das Motto
der Welthandelskampagne verschiedener Nichtregie-
rungsorganisationen mit Blick auf die kommende WTO-
Runde im September in Cancun. In der Tat geht es nicht
darum, den Entwicklungsländern irgendwelche handels-
politischen Geschenke zu machen, sondern endlich für
Gerechtigkeit im internationalen Handelssystem zu
sorgen. Deswegen muss ich erstaunt feststellen, dass in
einer Debatte, in der es um Strukturpolitik und nicht, wie
es oft dargestellt wird, um Almosen für die Entwick-
lungsländer geht, kein Entwicklungspolitiker von Union
und FDP anwesend ist. Das zeigt mir, dass Sie überhaupt
nicht begriffen haben, worum es in der Debatte am heu-
tigen Abend geht,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und dass in Ihren Parteien noch immer von einem Ent-
wicklungsverständnis ausgegangen wird, das den heuti-
gen Anforderungen nicht mehr gerecht wird. Das merkt
man auch an solch platten Sprüchen wie von Ihnen, Herr
Dr. Fuchs, dass die WTO keine Weltsozialorganisation
sein solle. Ich sage Ihnen: Doha ist als Entwicklungs-
runde definiert und das muss sie auch werden. Es geht
darum, den Entwicklungsländern faire Handelschancen
zu geben. Wir wollen mit unserem Antrag das Ziel errei-
chen, die Globalisierung sozial, ökologisch, nachhaltig
und gerecht zu gestalten. Dazu sollten Sie endlich Ihren
Teil beitragen, anstatt auf diese Weise die ärmsten Men-
schen zu diffamieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sascha Raabe

Da das Kräfteverhältnis zwischen dem reichen Nor-

den und dem armen Süden extrem ungleich ist, können
die WTO-Verhandlungen in Cancun nur dann zu einem
gerechten Ergebnis führen, wenn den Entwicklungslän-
dern bei den geplanten Liberalisierungen eine Sonder-
und Vorzugsbehandlung, ein „special and differential
treatment“, eingeräumt wird. Dies gilt besonders für den
Agrarbereich; denn im ländlichen Raum leben drei Vier-
tel der Hungernden dieser Welt.

Das Millenniumsziel, die Armut bis zum Jahr 2015 zu
halbieren, kann deshalb nur über eine Stärkung der
Landwirtschaft und insbesondere der Kleinbauern in
den Entwicklungsländern erreicht werden. Dies soll un-
ter anderem durch die Aufnahme einer klar definierten
Development Box im WTO-Agrarabkommen gesche-
hen. Dabei soll den Entwicklungsländern das Recht zu-
gestanden werden, ihren eigenen Agrarsektor durch Au-
ßenschutz und interne Stützung schützen und fördern zu
können. Allerdings nutzt das Recht der Subventionie-
rung den meisten Entwicklungsländern wenig, weil ih-
nen hierfür das Geld fehlt. Umso verwerflicher sind die
enormen Subventionen der Industrieländer für ihre
Agrarprodukte, die mit Billigstpreisen die lokalen
Märkte in den Entwicklungsländern zerstören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im vergangenen Jahr sind die Agrarsubventionen
der OECD-Länder nochmals gestiegen: um fast 13 Mi-
lliarden US-Dollar auf 318 Milliarden US-Dollar. Das
ist das Sechsfache dessen, was sie für öffentliche Ent-
wicklungszusammenarbeit aufbringen. Deshalb fordern
wir den vollständigen Abbau aller Exportsubventionen
und derjenigen Direktzuschüsse, die handelsverzerrend
wirken.

Frei werdende Mittel sollten – die Kollegin hat es
bereits gesagt – quasi als doppelte Dividende in die För-
derung des ländlichen Raumes in Entwicklungsländern
gesteckt werden, auch um die Kapazitäten für die Wei-
terverarbeitung von Agrarprodukten auf- und auszu-
bauen. Der von den europäischen Landwirtschaftsminis-
tern in Luxemburg erzielte Kompromiss, der vorsieht,
dass die europäischen Agrarsubventionen von der Pro-
duktion größtenteils abgekoppelt werden, ist sicherlich
begrüßenswert. Er wurde insbesondere auf Druck der
deutschen Bundesregierung erzielt. Er ist aber nur ein
Schritt in die richtige Richtung. Es müssen weitere
Schritte folgen – je schneller, desto besser!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig muss der Zugang der Produkte der Entwick-
lungsländer zum Markt verbessert werden. Für Produkte
aus fairem Handel sollte dies sofort und in bevorzugter
Weise geschehen.

Der Abbau von Zöllen und nicht tarifären Handels-
hemmnissen, insbesondere auf weiterverarbeitete Pro-
dukte, ist nicht nur für den Agrarbereich, sondern für alle
Erzeugnisse der Entwicklungsländer wichtig, nicht zu-
letzt für den Textilsektor.
Nach Schätzungen der Konferenz der Vereinten Na-
tionen für Handel und Entwicklung könnte ein entspre-
chender Zugang zu den Märkten der Industrieländer
den Entwicklungsländern bis 2005 zu zusätzlichen Ein-
nahmen von jährlich 700 Milliarden US-Dollar verhel-
fen. Dies entspricht 35 Prozent ihrer jährlichen Einnah-
men bzw. 65 Prozent ihrer derzeitigen Einnahmen aus
Warenexporten. Herr Dr. Fuchs, ich sage es noch einmal:
Es geht in dieser Debatte nicht darum, soziale Wohltaten
zu verteilen, sondern diese schreiende Ungerechtigkeit
endlich zu überwinden und den Entwicklungsländern
das Recht einzuräumen, das wir, die Industrienationen,
uns schon seit Jahrzehnten herausnehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der globalisierten Welt sind für die Entwicklungs-
länder natürlich auch andere Bereiche der WTO-Ver-
handlungen von großer Bedeutung. Das Abkommen zum
Schutz der geistigen Eigentumsrechte, TRIPS, wurde
schon genannt. Die Gewinninteressen der Pharmaindus-
trie müssen hierbei eindeutig hinter das Lebensrecht der
ärmsten Menschen zurücktreten. Es muss erlaubt wer-
den, dass diese Medikamente auch als Generika produ-
ziert werden. Wir dürfen dabei keine Kompromisse ein-
gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was die GATS-Verhandlungen über die Liberalisie-
rung von Dienstleistungen angeht, ist es keineswegs so,
wie es die Union hier dargestellt hat: dass überhaupt
nichts, was in den Bereich der öffentlichen Daseinsvor-
sorge fällt, zur Disposition steht. Das Menschenrecht auf
Trinkwasser gehört für mich zu den unverhandelbaren
Rechten; denn Trinkwasser ist kein beliebiges Handels-
gut und darf deshalb nicht einfach dem freien Markt
überlassen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Dr. Fuchs, Sie sollten sich nicht nur mit dem An-
gebotskatalog der Europäischen Union beschäftigen. In
diesem Katalog kommt in der Tat zum Ausdruck, dass
die Europäische Union nicht möchte, dass die Verfügung
über das Trinkwasser zur Verbesserung unserer kommu-
nalen Strukturen liberalisiert wird. Es ist unglaublich,
dass die EU eine entsprechende Forderung gleichzeitig
an 72 Entwicklungsländer stellt. Wir müssen dafür sor-
gen, dass diese Forderung nicht mehr erhoben wird. Dies
ist ein Ziel unseres Antrages.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Was macht denn die Bundesregierung?)


– Die Bundesregierung wird mit diesem Antrag von den
Regierungsfraktionen dazu aufgefordert, sich dafür ein-
zusetzen. Wir gehen fest davon aus, dass sie entspre-
chend agieren wird.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ihr macht doch wieder nichts!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sascha Raabe

Bei aller Kritik an bestehenden Ungerechtigkeiten im

Welthandelssystem – das möchte ich zum Abschluss sa-
gen – dürfen wir aber zwei wichtige Punkte nicht aus
den Augen verlieren:

Erstens. In einer Stärkung der WTO mit ihren interna-
tional verbindlichen Regelungen liegt eine große
Chance, gerade für die schwächeren Handelsnationen.

Zweitens. Die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre
zeigen uns, dass eine graduelle und selektive Liberalisie-
rung auch eine echte Chance zur Bekämpfung von Armut
und Unterentwicklung sein kann. Es kommt aber darauf
an – wir haben es in unserem Antrag ausgeführt –, dass
die Länder selbst ohne Druck entscheiden können, wel-
chen Schritt sie zu welchem Zeitpunkt gehen.

Ich komme zum Schluss.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505618900

Herr Kollege, es wäre schön, wenn der angekündigte

Abschluss auch stattfindet.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1505619000

Weltweite Gerechtigkeit ist kein Luxus und kein Hin-

dernis für mehr Wachstum; sie liegt vielmehr in unserem
wohl verstandenen eigenen Interesse; denn wir wollen in
einer friedlichen und gerechten Welt leben. Ich bin auch
unserer Ministerin dankbar, dass sie immer wieder da-
rauf hinweist, dass Resolutionen des UN-Sicherheits-
rates, auch solche zur Armutsbekämpfung, befolgt wer-
den müssen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505619100

Herr Kollege, Dankesadressen an die Bundesregie-

rung gehen nun wirklich entschieden zu weit.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1505619200

Die WTO-Runde in Doha muss eine Entwicklungs-

runde werden. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Im
wahrsten Sinne des Wortes: Gerechtigkeit jetzt!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. – Danke, Herr
Präsident.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505619300

Sie waren kurz vor dem Punkt, dass Sie für Wieder-

holungsfälle in besonderer Erinnerung geblieben wären.
Nun erteile ich dem Kollegen Erich Fritz für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1505619400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich lege das, was ich mir aufgeschrieben hatte,
beiseite, weil ich bei sechs Minuten Redezeit nicht auf
die Beiträge eingehen und meine Rede halten kann.
Frau Skarpelis-Sperk, Sie haben eine Rede gehalten,

(Karin Kortmann [SPD]: Die hervorragend war!)

die von manchen vielleicht als hervorragend einge-
schätzt wird, die aber nichts anders beinhaltet hat als die
ganz normale Forderung: Wir wollen alles, und zwar
jetzt.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist absolut ungerechtfertigt!)


Über die Frage „Wo stehen wir jetzt und was ist mach-
bar?“ haben Sie überhaupt keine Auskunft gegeben. Es
war ein Pauschalkatalog von Forderungen, die man sich
überhaupt nur ausdenken kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Nein!)


Das hilft im Augenblick natürlich überhaupt nicht wei-
ter.

Wegen der Art und Weise, in der Sie das hier zusam-
mengestellt haben, möchte ich Ihnen Folgendes sagen:
Vor wenigen Tagen fand in Genf ein Symposium bei
der WTO statt. Da waren NGOs aus der ganzen Welt
zusammen. Die Diskussion dort hat sich wesentlich en-
ger an den Problemen und an der Praxis orientiert, als
das in dem Antrag der Fall ist, den die Koalition vorge-
legt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gudrun Kopp [FDP] – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: So ist das leider!)


Sie waren viel näher an der Praxis und viel näher an
dem, um das es im Augenblick wirklich geht.

Sie haben gesagt, wir bräuchten eine Reform der
WTO. Haben Sie denn gar nicht mitbekommen, was sich
in der WTO geändert hat? NGOs sind bei der WTO ak-
kreditiert.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es!)

Es gibt eine Transparenz, wie sie früher wahrscheinlich
weder von den Mitgliedstaaten gewünscht noch üblich
war.


(Monika Griefahn [SPD]: Bei den Parlamenten muss man das erst noch einfordern!)


– Richtig! Der Prozess einer parlamentarischen Beglei-
tung beginnt. – Von Supachai, der das Konzept jetzt ent-
wickelt, gibt es das Dialogangebot an die unterschied-
lichsten gesellschaftlichen Gruppen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

In der Vorbereitung wird alles auf den Tisch gelegt, wie
das vorher überhaupt nicht üblich war. Das heißt: Von
Geheimniskrämerei können wir vielleicht bei uns, viel-
leicht noch in Europa reden, aber sicherlich nicht bei der
WTO. Dort gibt es einige Elemente, die den Prozess
auch für Entwicklungsländer wesentlich transparenter
machen. Ich weiß nicht, ob Sie mitbekommen haben,
was hinsichtlich der technischen Unterstützung und der






(A) (C)



(B) (D)


Erich G. Fritz

Kapazitätsbildung von dem kleinen Apparat der WTO
geleistet wird.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ich kenne die Mittel, die dafür zur Verfügung stehen!)


– Das ist gut so. Wir tun mehr als andere. Das ist sehr er-
freulich.

Das Ergebnis ist: Die Entwicklungsländer – nicht alle;
das ist klar – sind mittlerweile viel besser in der Lage
– da hat Frau Hustedt Recht –, an diesem Prozess teilzu-
nehmen. Sie organisieren sich zunehmend. Das Ergebnis
dieser Organisation ist, dass sie vieles von dem, was in
Ihrem Antrag steht, nicht auf der Tagesordnung haben
wollen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Nein!)


weil sie sich damit völlig überfordert fühlen und weil sie
nicht daran glauben, dass die Art und Weise, wie Sie die
Dinge miteinander verknüpfen, ihrer Realität wirklich
gerecht wird.

Sie wollen natürlich einen langsameren Fortschritt.
Sie wollen, dass bestimmte Themen nicht weiterverfolgt
werden. Sie wollen, dass die Singapur-Themen erst ein-
mal zurückgestellt werden. Wir haben uns ja auch ent-
schieden, dass in Cancun erst einmal darüber gesprochen
werden soll, ob zu den Themen Investment und Wettbe-
werb überhaupt verhandelt werden soll. Das heißt, da
gibt es Spielraum.

Die Europäer haben immer gedacht, mit der Agrar-
politik könne man sich Spielraum einhandeln. Das ist
ein großer Irrtum. Vertreter der Entwicklungsländer sa-
gen: Ihr handelt euch mit Agrarpolitik gar nichts mehr
ein. Ihr seid ohnehin gezwungen, da etwas zu tun. Ihr
haltet das selbst nicht durch. Ihr habt in Europa einen Er-
weiterungsprozess, der Änderungen verlangt. Wir sehen
es als unser einfaches Recht an, dass wir jetzt Marktzu-
gang bekommen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie mal den Agrarpolitikern!)


So hat sich die Situation verändert.
Ich sage Ihnen eines, Frau Hustedt: Mit der Formulie-

rung, die Sie gewählt haben, kommen Sie nicht weit.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Doch!)

Denken Sie nur einmal an das Beispiel Zucker. Wenn
wir den Zuckermarkt aufmachen, wie in „everything but
arms“ angeregt, dann müssen die Zucker produzierenden
AKP-Länder zunächst einmal einen drastischen Preis-
verfall hinnehmen. Daran muss man auch einmal den-
ken.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Wer hat den Nutzen, wenn wir uns tatsächlich auf die

von den Cairns-Ländern vorgeschlagene Liberalisierung
des Agrarmarkts einlassen? Was sind die Präferenzsys-
teme dann eigentlich noch wert, die heute gegenüber den
AKP-Ländern und in Zukunft, wenn es möglich ist, da-
rüber hinaus gegenüber noch mehr Entwicklungsländern
bestehen? Ist das wirklich miteinander vereinbar oder ist
es nicht eigentlich von noch größerem Nachteil, wenn
sie in kürzester Zeit der Konkurrenz der Cairns-Länder
ausgesetzt werden? Das sind Fragen, mit denen wir uns
beschäftigen müssen, um hier nicht falsche Eindrücke zu
bekommen.

Bei Public Health raschelt es, Frau Hustedt, hinter
den Kulissen. Der größte Blockierer sind im Augenblick
nicht mehr die USA, sondern ein kleines Land in der
Nähe: Die Interessen der Schweiz sind mittlerweile viel
hinderlicher als die USA.

Lassen Sie mich abschließend, Herr Präsident, etwas
zur parlamentarischen Beteiligung sagen. Wir haben es
geschafft, bei der WTO einen solchen Prozess in Gang
zu bringen. Hier sitzt heute kein Vertreter des Wirt-
schaftsministers; der Wirtschaftsminister selbst ist auch
nicht da. Das ist symptomatisch dafür, dass diesem Par-
lament die Informationen und Beteiligungsmöglichkei-
ten, auf die es im Vorfeld multilateraler Verhandlungen
Anspruch hat, nach wie vor nicht gewährt werden. Wir
haben uns alle darum bemüht, aber es ist nach wie vor
nur dem Zufall und dem Einzelengagement von Abge-
ordneten oder solchen Debatten zu verdanken, dass wir
überhaupt Gelegenheit haben, über diese Dinge vor Can-
cun zu diskutieren.


(Monika Griefahn [SPD]: Da müssen wir Ihnen Recht geben!)


Es gibt aber eine Bringschuld der Bundesregierung. Sie
muss eingefordert werden und demnächst auch einmal
formal geregelt werden.

So, wie es abläuft, geht es nicht, verehrter Kollege
von der SPD, der Sie hier zur Entwicklungspolitik ge-
sprochen haben. Wann haben Sie denn erfahren, dass es
Forderungen der EU an 65 Entwicklungsländer in Sa-
chen Wasser gibt?


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Es sind 72, Herr Kollege!)


– Es sind 65, aber das ist egal, darum müssen wir uns
nicht streiten; es sind jedenfalls viele. – Wann haben Sie
es denn als Mitglied der Regierungspartei erfahren? Sie
haben es auch erst erfahren, als es Ihnen die entspre-
chenden Initiativen mitgeteilt haben und nachdem Ihnen
auch endlich der Vorschlag der Bundesregierung zuge-
stellt wurde. Das muss sich ändern, denn wir werden nie
Akzeptanz in der Bevölkerung für diese Prozesse be-
kommen, wenn wir das Verfahren nicht ändern und es
nicht transparenter gestalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505619500

Das Wort hat nun die Kollegin Monika Griefahn,

SPD-Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)



Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1505619600

Ich weiß, dass die Zeit rennt, aber eine Sache muss

ich doch noch einmal klarstellen, Frau Kopp. Wenn man
darüber spricht, dass Frauen Zugang zu Bildung erhalten
und eine eigene wirtschaftliche Existenz aufbauen kön-
nen sollen, führt man keine grüne oder sozialdemokrati-
sche Quotendebatte, sondern es geht um die existenzielle
Frage von Entwicklung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit lassen sich wirklich viele Probleme lösen. Das se-
hen Sie in allen Ländern, in denen beispielsweise Mikro-
kredite für diese Belange eingesetzt werden. Ich möchte
Sie wirklich bitten, sich darüber noch einmal zu infor-
mieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit sind wir schon beim Thema, denn Bildung und
Kultur sind endlich auch einmal Gegenstand dieser
GATS-Verhandlungen. Das haben wir Präsident Chirac
zu verdanken, der bei der Konferenz in Johannesburg zu
der Frage von Umwelt und Entwicklung gesagt hat: Wir
brauchen die kulturelle Identität; das ist ein wichtiger
Punkt. Das sehen wir auch an den Auseinandersetzungen
bei den Welthandelskonferenzen. Vor Ort treten Kon-
flikte, auch mit NGOs, auf, weil viele Länder denken, sie
würden über den Tisch gezogen, ihre kulturelle Identität
würde von einer McDonald’s- und Britney-Spears-Kul-
tur überlagert, sodass sie sie verlieren, und dagegen pro-
testieren.

Deswegen müssen wir bei all den Verhandlungen
auch die Identitäten der Völker, die jetzt von uns be-
glückt werden sollen, mit bedenken. Deswegen müssen
die Maßnahmen und Regeln des WTO-Regimes endlich
auch einmal dahin gehend überprüft werden, wie die
kulturelle Identität mit eingebunden werden könnte.
Deshalb fordern wir Kulturverträglichkeit. Das ist keine
antiquierte, sondern eine vorwärts gerichtete Strategie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ähnliches gilt auch für das GATS-Abkommen. Dem-
zufolge sollen Bildung, Kultur und audiovisuelle Dienst-
leistungen möglichst liberalisiert werden. Okay, die EU
hat hierzu keine einheitliche Position und konnte deswe-
gen auch nicht bestimmte Vorgaben durchsetzen. Wir
wissen aber doch, was passiert, wenn es zu Verhandlun-
gen in einer großen Runde kommt. Hier herrscht tatsäch-
lich Basarmentalität: Gibst du mir dies, gebe ich dir das.
Es gibt nun Gruppen, die ein großes Interesse daran ha-
ben, genau diese Bereiche zu liberalisieren und in einen
solchen Tauschhandel einzubeziehen. Ich glaube, vielen
ist nicht klar, was die Konsequenzen wären, wenn es so
kommen wird. Das ist keine Schwarzmalerei. Das sagen
ganz seriöse Anstalten.

Vertreter der ARD haben uns bei Gesprächen in Brüs-
sel ganz deutlich gemacht, was zum Beispiel passieren
würde, wenn wir die audiovisuellen Medien doch libe-
ralisieren würden: Die Zulässigkeit unseres öffentlich-
rechtlichen Systems mit den Rundfunkgebühren, wel-
ches die Sicherstellung einer Grundversorgung für die
Öffentlichkeit ermöglicht, würde dann durch WTO-Re-
geln bestimmt. Wenn sich ein Staat über unsere Gebühren
beschwert, würde ein Expertenpanel der WTO, das aus
drei Handelsexperten – ich betone: Handelsexperten – be-
steht, darüber befinden, ob unsere Gebühren dem inter-
nationalen Handelsrecht entsprechen oder nicht. Würde
ein Verstoß festgestellt, wir aber auf unseren Gebühren
bestünden, weil wir glaubten, dass dadurch die öffent-
lich-rechtliche Versorgung gesichert werden kann, so
könnte der Beschwerdeführer gegen uns Handelssank-
tionen, und zwar in jedem Bereich, verhängen. Man
muss sich einmal vor Augen halten, was das in der Kon-
sequenz bedeutet. Ich will gar nicht die Länder auffüh-
ren, die ein Interesse an einem solchen Verfahren haben
könnten. Wir können uns aber, glaube ich, ganz gut vor-
stellen, welche Länder das sein könnten.

Das könnte auch die Deutsche Welle betreffen, die
vollständig vom Staat finanziert wird. Sie ist ein wichti-
ges Medium, auch zur Krisenprävention in der Welt.
Einzelne Länder könnten fordern, dass die Deutsche
Welle dort nicht mehr sendet, dass sie nicht mehr mit öf-
fentlichen Geldern unterstützt wird. Sie könnten sagen,
dass sie nur weiter senden darf, wenn sie privat finan-
ziert wird und gegenüber den anderen Sendern, die viel-
leicht von einem Millionär privat finanziert werden,
gleichberechtigt ist.

Ich kann nur sagen: Dagegen müssen wir uns wapp-
nen. Das dürfen wir auch nicht im Rahmen eines
Tauschhandels irgendwann wieder freigeben. Wir müs-
sen sehr wachsam sein. Viele, die sich mit der Materie
WTO und GATS beschäftigen, haben das nicht auf der
Platte. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir über dieses
Thema heute hier diskutieren können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen
Vielfalt ist auch für die Entwicklung der Länder wichtig.
Ich bin froh, dass die Verhandlungen darüber bald begin-
nen. Die WTO-Regime müssen Überlegungen zur Kul-
turverträglichkeit und die verschiedenen Identitäten be-
rücksichtigen. In verschiedenen islamischen Ländern
sehen wir, dass es, wenn wir die kulturellen Identitäten
nicht anerkennen, dazu kommt, dass diese Länder mit ih-
rer kulturellen Identität Verstöße gegen Menschenrechte
und das Gleichheitsprinzip rechtfertigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann erfolgt eine Radikalisierung.

Darauf müssen wir auch beim Handel achten; denn
auch der Handel miteinander ist eine Form des kulturel-
len Umgangs.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505619700

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Thomas Rachel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1505619800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

die Verhandlungen über das GATS-Handelsabkommen
sind auch die Bildungsdienstleistungen einbezogen.
Hierbei stehen wir vor der Situation, dass Bildung zum
einen ein überwiegend öffentliches Gut ist, das mit ei-
nem gewöhnlichen Handelsgut nicht gleichgesetzt wer-
den kann. Zum anderen ist Bildung aber auch ein Wirt-
schaftsfaktor, dessen Bedeutung im internationalen
Handel rasant wächst. In den USA werden allein von
ausländischen Studenten jährlich rund 10 Milliarden
Dollar durch Gebühren und täglichen Konsum umge-
setzt.

Grundsätzlich begrüßt die CDU/CSU, dass die Libe-
ralisierung des Welthandels mit Dienstleistungen kon-
krete Formen annimmt. Im Bildungsbereich trägt sie zu
mehr Wettbewerb zwischen den Bildungsanbietern, und
damit zu mehr Leistungsorientierung und Qualitätsstei-
gerung, bei.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort
zur besonderen Rolle der Kultur sagen. Wir haben sie in
unseren Antrag aufgenommen; denn Kultur entzieht sich
der reinen Lehre des Handels mit Dienstleistungen; zum
einen, weil die Grenzziehung zwischen Ware und Kultur
ein schwieriges Unterfangen ist. Sie ist eine Kernauf-
gabe in einer demokratischen Gemeinschaft. Sie ist iden-
titätsstiftend und lässt sich nicht ausschließlich wirt-
schaftlichen Gesichtspunkten unterordnen. Carl
Christian von Weizsäcker hat folgerichtig betont, dass in
der Kultur andere Regeln gelten.

Zum anderen darf die öffentliche Unterstützung und
Subventionierung der Kultur in Deutschland nicht gene-
rell zur Disposition gestellt werden. In Deutschland gibt
es im Gegensatz zu Amerika eine 350-jährige Operntra-
dition. Die Opernhäuser werden weitgehend aus öffentli-
chen Mitteln finanziert. Diese Unterstützung der deut-
schen Kultureinrichtungen kann nicht in gleichem Maße
von ausländischen Produzenten in Anspruch genommen
werden. Darauf werden wir achten müssen.

Während die Europäische Union in vielen Sektoren
Angebote zur Liberalisierung gemacht hat, hat sie im
Bildungsbereich kein Angebot zur Liberalisierung ge-
macht und auch keine Forderungen an die Länder ge-
stellt. Nach den Worten des EU-Handelskommissars
Lamy soll es bei der Bildung keine Veränderungen ge-
ben. Im Beschluss der EU-Kommission heißt es wört-
lich:

Die Kommission schlägt keine Verpflichtung im
Bildungssektor vor. Demzufolge behalten alle Mit-
gliedstaaten vollständig das Recht, über die geeig-
nete Organisation ihres Bildungssystems zu ent-
scheiden.
Somit stehen wir vor der Frage: Wie viel Markt ver-
trägt die Bildung? Im Bildungsbereich ist die Verantwor-
tung des Staates besonders groß. Deswegen sind einige
klare Regeln einzuhalten. Die Struktur des öffentlich fi-
nanzierten Bildungswesens in Deutschland darf nicht ge-
nerell zur Disposition gestellt werden. Die öffentliche
Aufsicht über das Bildungswesen hat sich in Deutsch-
land bewährt und muss aufrecht erhalten werden.
Ausländische Bildungsanbieter sind uns aber sehr
wohl willkommen, wenn sie die vom Staat oder von Ak-
kreditierungseinrichtungen gestellten hohen Qualitäts-
standards erfüllen. Außerdem dürfen aus dem GATS-
Abkommen keinesfalls Subventionsansprüche ausländi-
scher privater Bildungsanbieter abgeleitet werden. Der
so genannte Subventionsvorbehalt des Staates darf nicht
fallen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Da stimmen wir völlig überein!)


Wir sagen deshalb Ja zur Liberalisierung, wenn sie
gleichzeitig und in gleicher Intensität in anderen Län-
dern eingeführt wird und wenn diese Länder in der glei-
chen Form, wie wir das tun, ihren eigenen Bildungs-
markt öffnen.

Dabei gibt es eigentlich keinen Grund für großen Pes-
simismus. Unlängst hat eine Delegation des Bildungs-
und Forschungsausschusses des Bundestages mit Verant-
wortlichen für die GATS-Verhandlungen im amerikani-
schen Department of Commerce gesprochen. Zunächst
lässt sich positiv aus den Gesprächen vermerken, dass
die USA beschlossen haben, sehr bald der UNESCO
wieder beizutreten.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Hört! Hört!)


Dies sehe ich als klares Zeichen der Amerikaner, sich
wieder verstärkt der internationalen Zusammenarbeit im
Bildungsbereich zu stellen.

Interessant ist auch, dass die USA keine vollständige
Liberalisierung wollen, sondern sehr wohl eigene natio-
nale Anliegen formulieren. So sollen auch künftig US-
Studenten geringere Studiengebühren zahlen müssen als
ausländische Studierende. Außerdem sollen auch in Zu-
kunft ausländische Universitäten, die ein Bildungsange-
bot in den USA offerieren, nicht die gleichen Subventio-
nen und Steuermittel zur Unterstützung bekommen wie
die US-amerikanischen Universitäten. Auch nach einer
Liberalisierung sollen die US-Universitäten künftig ihre
Lehrpläne, Standards und Zulassungen selber regeln
können.

Was sagen uns diese amerikanischen Vorstellungen?
Es zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass die Auffas-
sungen der USA auf der einen Seite und Deutschlands
und Europas auf der anderen Seite eigentlich nicht so
weit auseinander liegen. Es wird auch künftig möglich
sein, dass deutsche Universitäten bzw. die staatlichen
Einrichtungen in den Bundesländern Qualitätsstandards
setzen und Hochschulabschlüsse anerkennen. Auch wer-
den die deutschen Bundesländer in Zukunft die eigenen
staatlichen Hochschulen mit Steuergeldern besonders






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Rachel

finanzieren und unterstützen können. Umgekehrt werden
ausländische Bildungsanbieter nicht automatisch die
gleiche Form der finanziellen Unterstützung bzw. Sub-
vention durch den Staat beanspruchen können. Es ist
also das gemeinsame Anliegen der USA und Deutsch-
lands, dass eine staatliche Finanzierung von Bil-
dungseinrichtungen im eigenen Land keine Subven-
tionsansprüche etwaiger ausländischer privater
Bildungsanbieter auslöst.

Insgesamt zeigt sich somit, dass es sehr wohl eine
ganze Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen den USA
und Deutschland bzw. der EU gibt. Ich denke, dies sollte
eine gute Grundlage dafür sein, dass die GATS-Verhand-
lungen auch im Bildungsbereich sachgerecht und konse-
quent zu einem für alle Beteiligten fruchtbaren Ergebnis
geführt werden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505619900

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der

Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
zur Sicherung eines fairen und nachhaltigen Handels
durch eine umfassende entwicklungsorientierte Welthan-
delsrunde, Drucksache 15/1317. Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkte 11 b bis 11 d: Interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
15/1008, 15/1095 und 15/1010 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu be-
steht offenkundig Einvernehmen. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Wir kommen zu Zusatzpunkt 4: Abstimmung über
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/1323 mit dem Titel „WTO-Doha-Runde zum Erfolg
führen – Voraussetzungen schaffen für eine erfolgreiche
WTO-Ministerkonferenz in Cancun/Mexiko“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dieser Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Zum Zusatzpunkt 5 wird interfraktionell die Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 15/1333 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
– Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Kul-
tur in Deutschland“
– Drucksache 15/1308 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Eckhardt Barthel für die SPD-Fraktion das
Wort.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1505620000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rot-Grün

hatte in der Koalitionsvereinbarung als Ziel formuliert,
eine Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ ein-
zusetzen. Wir haben uns nun sehr bemüht, dies noch vor
der Sommerpause zu erreichen. Dass dies gelungen ist,
darüber darf man sich freuen. Auch freue ich mich, Herr
Nooke, dass sich alle vier Fraktionen auf eine gemein-
same Aufgabenbeschreibung einigen konnten. Das ist
nicht nur wegen der Atmosphäre, sondern auch im Hin-
blick auf die spätere Arbeit wichtig. Herr Nooke, Herr
Otto, ich bedanke mich bei Ihnen auch dafür, dass wir
dies so kollegial geregelt haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Dies ist ein gutes Zeichen für die Arbeit in den nächsten
beiden Jahren. – Herr Nooke, so viel zur Frage, wo denn
das Positive bleibe.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir haben uns in doppelter
Hinsicht begrenzt: Erstens haben wir die Dauer der En-
quete-Kommission auf zwei Jahre festgelegt. Dies halte
ich insofern für sinnvoll, als am Ende dieser zwei Jahre
die Chance besteht, noch in dieser Legislaturperiode das
eine oder andere Ergebnis aus der Enquete-Kommission
in die parlamentarische Arbeit hineinzubekommen. Da-
her ist es gut, dass wir nicht in einer Endlosschleife lan-
den; das soll es ja auch schon gegeben haben.

Zweitens haben wir uns bei der Festlegung der
Themen begrenzt, die wir behandeln wollen. Mir tut es
zwar ein bisschen Leid um meine lieben Kolleginnen
und Kollegen – ich sehe gerade Frau Griefahn –: Aus-
wärtige Kulturpolitik und der Medienbereich einschließ-
lich der neuen Medien sind nicht dabei. Aber es war an-
gesichts der Begrenzung auf zwei Jahre notwendig, Mut
zur Lücke zu haben; anderenfalls hätte die Gefahr be-
standen, in die Oberflächlichkeit abzudriften.

Meine Damen und Herren, die Enquete-Kommission
soll nicht nur eine Bestandsaufnahme der Situation der
Kultur in Deutschland vornehmen, sondern auch Hand-
lungsempfehlungen erarbeiten. Wir alle wissen, dass es
mit unserer Kulturlandschaft nicht gerade zum Besten
bestellt ist.

Nun neige ich nicht dazu, die Arbeit einer Enquete-
Kommission überzubewerten und zu glauben, nach Ab-
schluss ihrer Arbeit sehe die Welt anders aus. Wir sollten
sie aber auch nicht unterbewerten. Wenn wir dies ge-
glaubt hätten, hätten wir uns allerdings auch nicht so
stark dafür engagiert.






(A) (C)



(B) (D)


Eckhardt Barthel (Berlin)


Was Aufgaben, Sinn und Kompetenz der Enquete-

Kommission angeht, zitiere ich eine Stimme von außen,
nämlich aus der „Welt“ von gestern, sofern es mir der
Präsident erlaubt.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ausnahmsweise!)


– Dieser Präsident tut das.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505620100

Der Präsident weist gern darauf hin, dass der Moder-

nitätsgrad dieses Parlaments schon so weit gediehen ist,
dass jederzeit Zitate ohne Genehmigung des Präsidenten
vorgetragen werden dürfen,


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)

es sei denn, Herr Kollege, sie seien unflätig. Dann
müsste eingegriffen werden.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1505620200

Da dieses Zitat aus der „Welt“ stammt, vermute ich,

dass das nicht zu erwarten ist.
Ich finde diesen Artikel ganz spannend; denn es wird

die Frage gestellt:
Wozu dieser ganze Aufwand im nationalen Parla-
ment, das doch nach streng föderalistischer Lesart
für Kultur gar nicht zuständig ist?

Die Antwort darauf ist sehr faszinierend; ich möchte sie
Ihnen mitgeben:

Es geht darum, dass der Bundestag als demokra-
tischer Souverän den politischen Willen der Kultur-
nation Deutschland zum Ausdruck bringt. Dazu
muss diese Kulturnation sich über sich selbst auf-
klären. Sie muss eine Vorstellung von ihrem Reich-
tum gewinnen und sich des Prozesses der schlei-
chenden Verödung der Kulturlandschaft bewusst
werden. Wenn in finanziell strangulierten Kommu-
nen die Stadttheater, die Bibliotheken, die Musik-
schulen sterben, dann geht das die ganze Nation an.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das soll alles die Enquete-Kommission selbst machen?)


– Sie hat einen Rahmen. Wir sollten uns nicht überschät-
zen. Ich glaube aber, es ist wichtig, nicht nur darauf hin-
zuweisen, wie wir die Enquete-Kommission sehen, son-
dern auch darauf, wie sie von außen gesehen wird.

Zu diesen Aufgaben gehört natürlich – ich will nur ei-
nige nennen –: die Frage der Strukturreformen, die über-
all notwendig sind, die Frage, wie wir das bürgerschaft-
liche Engagement, das ja vorhanden ist und das durch
unser Stiftungsrecht – wenn ich das hier einmal sagen
darf – erhöht wurde, stärker in den Kulturbereich lenken,
die Frage der kulturellen Bildung und nicht zuletzt die
Aufgabe, die wirtschaftliche und soziale Situation der
Menschen in unserem Lande, die Kunst machen, aufzu-
arbeiten.
Das öffentliche Interesse an der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ ist schon im Vorfeld riesengroß.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Schauen wir mal!)


– Da schauen wir nicht; das erleben wir permanent.
Wenn Sie einmal die Presse im Kulturteil verfolgen – die
FDP verfolgt anscheinend nur den Wirtschaftsteil –,


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


dann werden Sie feststellen, wie häufig darüber ge-
schrieben wird, manchmal auch mit Häme – das gebe ich
gerne zu – unter der Überschrift „Noch eine Kommis-
sion“, wobei die dann mit der Rürup-Kommission usw.
gleichgesetzt wird;


(Monika Griefahn [SPD]: Das sollte man nicht unterstellen!)


aber das ist ein anderes Thema.
Die Enquete-Kommission stößt also auf ein sehr gro-

ßes Interesse, vor allen Dingen – das ist für uns beson-
ders wichtig – auf das große Interesse von Kulturinstitu-
ten sowie von Künstlerinnen und Künstlern an der
Arbeit, die wir leisten wollen. Man merkt es erstaunli-
cherweise – ich weiß, wovon ich rede – an den vielen
Angeboten von Einzelpersonen aus der Kulturszene und
auch von Kulturinstituten, mitzuarbeiten.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist wohl wahr!)


– Herr Otto, ich finde es ganz toll, dass diese Bereit-
schaft vorhanden ist.

Über etwas anderes bin ich ein bisschen traurig: Da
wir nur eine begrenzte Zahl von Sachverständigen haben
werden, werden viele, die sich in diesem Bereich enga-
gieren wollen, enttäuscht sein. Das tut mir schon jetzt
Leid.

Wir werden heute gemeinsam den vorliegenden An-
trag beschließen. Ich bin sicher: Angesichts der gemein-
samen Vorbereitungen und der kooperativen Zusammen-
arbeit im Vorfeld wird auch die Arbeit in dieser Enquete-
Kommission sicher sehr erfolgreich werden – und dies
nicht, weil es uns Spaß macht, sondern weil hoffentlich
ein gutes Ergebnis herauskommt, was für unsere Kultur-
landschaft in Deutschland nur positiv sein kann.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505620300

Das Wort hat nun die Kollegin Gitta Connemann,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1505620400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-

land hat eine einzigartige Kulturlandschaft. Unser
Land bietet eine beispiellose kulturelle Vielfalt, die über
viele Generationen gestaltet worden ist. Der frühere
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat dies tref-
fend beschrieben. Er hat gesagt:

Unsere Kultur ist gewachsen wie ein kräftiger und
viel gestalteter Mischwald. Er leistet seinen Beitrag
zur lebensnotwendigen Frischluft.

Die Menschen in unserem Land – also wir – brauchen
Kultur. Stellen Sie sich ein Leben ohne Theater – sei es
Staatsbühne oder Volkstheater –, ohne Musik – sei es Phil-
harmonie oder Kirchenchor –, ohne Tanz – sei es Ballett
oder Volkstanzgruppe –, ohne Literatur – sei es Roman
oder Kinderbuch –, ohne bildende Kunst – sei es im Mu-
seum oder zu Hause – vor.

Wir brauchen Kultur wie die Luft zum Atmen. Doch
diese Luft wird zunehmend dünner. Grund hierfür ist die
Not der öffentlichen Haushalte. Versiegende Finanzen
führen zur Schließung von Theatern, Museen oder Mu-
sikschulen. Die meisten dieser Einrichtungen verschwin-
den unwiederbringlich. Was jetzt verloren geht, wird
wohl verloren bleiben, selbst wenn sich die Haushalts-
lagen entspannen.

Meine Damen und Herren, wenn diese Entwicklung
nicht beendet wird, werden wir über kurz oder lang vor
den Ruinen dessen stehen, was einmal eine einzigartige
Kulturlandschaft war.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser drohenden Gefahr sind sich alle Fraktionen in
diesem Hause bewusst. Mit dem vorliegenden interfrak-
tionellen Antrag wollen wir deshalb eine Enquete-Kom-
mission „Kultur in Deutschland“ einsetzen. Sie hat die
Aufgabe, eine umfassende Beschreibung des Kultur-
lebens in Deutschland zu liefern und folgende Fragen zu
beantworten: Was macht heute Kultur in Deutschland
aus? Was müssen wir schützen, was weiterentwickeln?

Es geht aber nicht nur um eine Bestandsaufnahme.
Ziel der Enquete-Kommission wird auch sein, dem Par-
lament auf dieser Basis konkrete, umsetzbare Vorschläge
für eine Bestandssicherung und für eine Stärkung von
Kunst und Kultur in Deutschland zu unterbreiten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um eine Grundlage für gesetzgeberische und ord-
nungspolitische Initiativen zu schaffen, bedarf es Fakten.
Da fehlen uns zum Teil aktuelle Daten, zum Beispiel für
den Bereich der Kulturförderung. Wie ist die Lage der
öffentlichen und der freien Kultureinrichtungen? Welche
Strukturen haben eine Perspektive, welche sind veraltet?

Wir wissen, dass die meisten kulturellen Einrichtun-
gen in Deutschland öffentlich finanziert werden. Aber
Kultur ist eine freiwillige Aufgabe, keine Pflichtaufgabe.
Gerade in Zeiten von Verteilungskämpfen wie heute ist
dies häufig der einzige Bereich, an den Hand angelegt
werden kann. Hieraus folgt die Kernfrage: Gibt es einen
Anspruch auf eine kulturelle Grundversorgung? Was ge-
hört zum notwendigen kulturellen Fundament einer Na-
tion? Wie viel Kultur gehört zur Bildung? Wie viel Bil-
dung setzt Kultur voraus?

Meine Damen und Herren, wenn über eine Verpflich-
tung des Staates – auf welcher Ebene auch immer –
nachgedacht wird, wird auf der anderen Seite über eine
stärkere Beteiligung des Nutzers zu diskutieren sein.
Wie viel Kultur muss aus öffentlichen Mitteln finanziert
werden? Es steht sicherlich außer Frage, dass der Staat
sich nicht gänzlich aus der Kulturförderung zurückzie-
hen darf. Aber ohne private Kulturförderung wird es
dauerhaft nicht gehen, und zwar unabhängig von der
Kassenlage.


(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


Denn im privaten Engagement liegt auch immer eine
Ressource, die finanziell nicht messbar ist. Wie können
wir in diesem Bereich bürgerschaftliches Engagement
stärken, wie können wir es attraktiver machen?

Auch bei uns gibt es Mäzenatentum. Denken Sie nur an
Männer in unserer Tradition wie Solomon Guggenheim
oder Heinz Berggruen! Privatleute wie zum Beispiel
Henri Nannen errichten Stiftungen. Schenkungen sind
keine Seltenheit. Sie sind aber nicht wie in angloameri-
kanischen Ländern die Regel. Kann dies durch flankie-
rende Maßnahmen attraktiver gemacht werden? Bedarf
es anderer Regelungen im Bereich des Steuerrechts und
des Stiftungsrechts? Welche weiteren Möglichkeiten,
wie zum Beispiel Sponsoring, gibt es?

Kultur ist selbst ein wichtiger ökonomischer Faktor.
Mit Kultur lässt sich Geld verdienen. Kultur bietet Ar-
beitsplätze. Kultur wertet jeden Standort auf. Heute will
kaum jemand an einem Ort leben oder arbeiten, in dem
es kein kulturelles Angebot gibt. Kein Tourist besucht
gerne einen solchen Ort. Welche ökonomischen Chancen
bietet also Kultur? Welche Möglichkeiten gibt es für die
in diesem Bereich Tätigen? Kultur ist immer nur das,
was Menschen schaffen.

Die wirtschaftliche und soziale Situation der Künst-
lerinnen und Künstler wird ein weiteres wichtiges
Thema sein. Ist ihre Situation befriedigend? Wie kann
sie gegebenenfalls verbessert werden, zum Beispiel im
Bereich der Künstlersozialversicherung? Wie steht es
mit dem Urheberrecht, dem Folgerecht im Kunsthandel?
In der derzeitigen Diskussion wird unter anderem die
Frage gestellt, ob wir das öffentliche Dienstrecht im
Kulturbereich brauchen.

Fragen über Fragen. Wir brauchen diese Enquete-
Kommission, um festzustellen, welche Fragen berechtigt
sind und wie sie beantwortet werden können. Die zu-
künftige Kommission trägt deshalb eine große Verant-
wortung; ihre Arbeit bietet aber auch eine große Chance.

Bitte erinnern Sie sich an die Worte von Richard von
Weizsäcker. Die Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ gibt uns die Chance, nicht nur
den Kahlschlag in dem von ihm beschriebenen Wald zu






(A) (C)



(B) (D)


Gitta Connemann

verhindern, sondern den Wald auch wieder aufzuforsten.
Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam nutzen!


(Beifall im ganzen Hause)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505620500

Ich erteile das Wort der Kollegin Ursula Sowa,

Bündnis 90/Die Grünen.


Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1505620600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ sorgt be-
reits für Schlagzeilen.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das stimmt!)


Die „Welt“ wurde schon zitiert; ich zitiere sehr gern die
„Süddeutsche Zeitung“, weil ich von dort komme. Dort
wird heute in einem ausgezeichneten Artikel über dieses
noch ungeborene Leben berichtet. Ulrich Raulff unkt:

Zu fürchten ist, dass die Enquete nur das jüngste
Bild vom Staat als Spielführer in der Kultur befesti-
gen wird. … die neue Enquete nur das Relief der
bedrohten Kulturlandschaft ausleuchten soll.

Am Ende kriegt dann noch einmal der Staat so richtig
sein Fett ab, wenn er schreibt:

Wer für den Erhalt von kulturellen Einrichtungen
plädiert, sagt: Staat. Und wer für ihre Schließung
ist, sagt wieder: Staat. Es ist die alte deutsche Lieb-
lingsvokabel.

Leider steht in dem Beitrag nicht, was denn seine Lieb-
lingsvokabel ist. Danach muss man wohl noch woanders
suchen.

Die Medien lieben es, immer wieder Schreckens-
nachrichten im Kulturbereich zu verbreiten. In letzter
Zeit ist es Usus, über die drohende Schließung von Häu-
sern zu berichten, angefangen von Stadtteilbibliotheken
bis hin zur Oper. In manchen Städten sind sogar drei
Opern gleichzeitig bedroht.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Manche Städte sind auch zehnmal so groß wie andere!)


– Das stimmt.
Ich möchte zwei Beispiele, stellvertretend für sehr

viele Bedrohungen in unserer Kulturlandschaft, heraus-
greifen. Über das eine Beispiel war erst Mitte Juni in der
„Thüringer Allgemeinen Zeitung“ zu lesen: „Noch ist
Polen nicht verloren“. So heißt auch das Stück, mit dem
das Ensemble in Erfurt heute seine letzte Vorstellung
gibt. Ab morgen ist Erfurt die einzige deutsche Landes-
hauptstadt ohne Schauspiel. Das Stück erzählt, wie sich
ein Theater in schwerer Zeit behauptet. Die Thüringer
Kulturpolitik gleicht eher dem Hamlet: Zaudern und
warten, bis jemand die Leichen zählt.

Ein Blick nach München zeigt, dass auch in einer der
reichsten Städte heftige Debatten darüber geführt wer-
den, ob das zur Sanierung anstehende traditionsreiche
Deutsche Theater erhalten werden kann; denn die ge-
schätzten Kosten für das zumindest hinter den Kulissen
marode Bauwerk belaufen sich auf stattliche 140 Millio-
nen Euro. Bei der Stadt selbst war bis vor kurzem die
Schließung fast beschlossene Sache.

Im Fall Erfurt zeigt sich, welche Auswirkungen die
Neustrukturierung der Theaterlandschaft in einem
ganzen Bundesland haben kann. Erfurt bekommt näm-
lich im Herbst statt des Theaters eine Oper. In München
hat sich Professor Wickenhäuser mit einer Studenten-
gruppe an das Projekt „Bedeutung und Zukunft des
Deutschen Theaters für München und Bayern“ gewagt.
Man will nicht nur Daten und Fakten erarbeiten, sondern
zugleich Perspektiven zur Rettung des Deutschen Thea-
ters aufzeigen. Dabei werde, so Wickenhäuser, nicht nur
nach Sponsoren geschielt, sondern die Rettung müsse so
gestaltet werden, dass die Münchner Bürger und Bürge-
rinnen, aber auch Firmen gerne an einer Rettungsaktion
mitwirken.

Diese beiden Beispiele sind so genannte Länderbei-
spiele; denn es sind so genannte Staatstheater betroffen,
die natürlich für die jeweilige Stadt – sei es Erfurt, sei es
München – von großer Bedeutung sind. Natürlich geht
es hier um die Finanzierung. Seit dem Jahr 2002 hat sich
die Situation bei der Kulturfinanzierung verschlech-
tert. Die öffentlichen Ausgaben von Bund, Ländern und
Gemeinden für Kultur hatten im letzten Jahr einen Um-
fang von 8,28 Milliarden Euro. Diese Zahl ist kaum be-
kannt, wie eine Umfrage zeigen würde. Von diesen
8,28 Milliarden Euro trägt der Bund etwa 10 Prozent,
nämlich 834 Millionen Euro. Daneben bringt der Bund –
eine weitere überraschende Zahl – noch einmal etwa die
Hälfte, nämlich 480 Millionen Euro, für die Pflege kul-
tureller Beziehungen im Ausland auf.

Wenn wir auf Bundesebene nun die Enquete-Kom-
mission „Kultur in Deutschland“ einrichten, sollten wir
uns dieser Zahlen bewusst sein. In der Tat wird der Lö-
wenanteil der Kulturpolitik – etwa 90 Prozent – von den
Gemeinden und Ländern finanziert, aber die Bedrohung
der Kulturlandschaft in Deutschland geht meiner Mei-
nung nach uns alle an. Umso erfreulicher ist in diesem
Zusammenhang, dass der Antrag zur Einsetzung der En-
quete-Kommission von allen Bundestagsfraktionen ge-
meinsam eingebracht wird. Der Bundestag macht damit
deutlich, welchen Stellenwert Kulturpolitik in diesem
Hause hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin davon überzeugt, dass die gemeinsame Suche
nach Lösungen für die drängenden ökonomischen Pro-
bleme unserer Kulturlandschaft und ihrer Institutionen
ein politischer Beitrag per se werden kann. Auch in der
Politik ist es nie verkehrt, neue Wege des Umgangs mit-
einander zu probieren, sozusagen die politische Kultur
zu pflegen.

Lassen Sie uns also in eine gemeinsame Beratung ein-
treten! Lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen su-
chen! Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutsch-
land“ soll ein Angebot an all diejenigen auf Bundes-,






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Sowa

Länder- und kommunaler Ebene werden, die sich dafür
einsetzen wollen, dass unsere bedrohte Kulturlandschaft
weder vertrocknet noch mutiert, sondern weiterhin in ih-
rer Vielfalt blühen wird. Ich wünsche dieser Enquete-
Kommission möglichst viel Esprit, der dazu führen soll,
Bürger und Bürgerinnen am besten von klein auf zu er-
muntern, diese Kulturlandschaft aktiv mitzugestalten.

Ich möchte im Sinne von Jean-François Lyotard
schließen, der die Stärkung von Kunst und Kultur for-
derte, um das „sonst Unbegreifliche fühlbar“ zu machen
und uns dazu zu bringen, „unser Bewusstsein zu erwei-
tern“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505620700

Ich erteile das Wort der Kollegin Helga Daub, FDP-

Fraktion.


Helga Daub (FDP):
Rede ID: ID1505620800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir be-

schließen heute in einem gemeinsamen Antrag aller Frak-
tionen die Einsetzung der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“. Obwohl das Wort „Kommission“ ge-
wisse Abnutzungserscheinungen erfahren hat – siehe
Hartz und Rürup –, obwohl wir gerne die Länder mit im
Boot sähen, werden wir engagiert mitarbeiten, weil uns
das Thema Kultur wichtig ist.

Wir sind ein Land mit bedeutender Kultur. Ja, es
stimmt: Unsere Theater- und Museenlandschaft ist welt-
weit einzigartig. Das gilt es, zu erhalten, für uns und für
unsere Kinder.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Zeitpunkt der Einsetzung dieser Enquete-Kom-
mission könnte passender nicht sein. Die Haushalts-
situation von Bund, Ländern und Gemeinden ist be-
drohlich für unsere kulturellen Aktivitäten. Die weit
verbreitete Ignoranz der eigenen Kultur gegenüber führt
in der Politik nur allzu leicht zu der Neigung, Kultur
nach Kassenlage zu machen, also zu sparen. Am Ende
bleibt von der Kultur nur noch der Kulturbeutel übrig.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Das war ein schönes Bonmot, aber nicht zutreffend!)


Der Umgang des rot-roten Berliner Senats mit seinen
Opern ist eines der traurigen und zugleich erschrecken-
den Beispiele dafür.

Die FDP begrüßt, dass sich endlich eine Kommission
mit den Auswirkungen der finanziellen Lage der Kom-
munen auf den Kulturbereich und mit dem Besucherinte-
resse an den jeweiligen Kultureinrichtungen befasst. Ich
fordere Sie deswegen auf, das Verlangen der FDP nach
einer gemeinsamen Bund-Länder-Enquete nicht mehr zu
blockieren.
Wie wichtig die Einbeziehung der Länder ist, zeigt
das Scheitern der Verhandlungen zur Fusion der Kultur-
stiftung des Bundes mit der Kulturstiftung der Länder in
der letzten Woche. Obwohl die Frau Staatsministerin
dieses Scheitern miterlebt hat, widersetzt sie sich unserer
Forderung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sie widersetzt sich eigentlich nicht so hart! Es sind andere!)


– Sie hat es vertreten müssen. – Dabei ist es Aufgabe der
Enquete-Kommission, die Rolle des Staates für eine kul-
turelle Grundversorgung zu definieren. Wir wollen
ohne Denkverbote über eine moderne Finanzierung,
über geeignete Rechtsformen und über zukunftssi-
chernde Strukturen diskutieren.

Es ist schön, dass die Koalitionsfraktionen nun end-
lich über ihren Schatten springen und sich FDP-Positio-
nen zu Eigen machen.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Nun hören Sie doch einfach bis zum Ende zu. – In dem
Sinne fördern wir bürgerschaftliches Engagement. Spon-
soring, die Arbeit von Stiftungen und das Engagement
von Mäzenen brauchen Strukturen, über die wir vorbe-
haltlos diskutieren müssen.

Es sind Menschen, die Kunst machen; sie entsteht nicht
von allein. Deshalb gehört natürlich auch die Situation der
Künstler in die Kommission. Eine klare Analyse darüber
soll uns später in die Lage versetzen, rechtliche Rahmen-
bedingungen – ich betone: Rahmenbedingungen – zu er-
stellen, die der Arbeitswirklichkeit der Künstler entspre-
chen.


(Beifall bei der FDP)

Um diese Arbeit zu unterstützen und zu fördern, ha-

ben wir zusammen mit der Union eine Große Anfrage
eingebracht. Die Künstler brauchen auch Kunstverwer-
ter wie beispielsweise Galeristen und Konzertmanager.
Auch damit werden wir uns befassen.

Wir reden viel von Bildung. Dazu gehört auch die
musisch-kulturelle Bildung.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Richtig!)

Eine langfristig angelegte Kulturpolitik muss die Folgen
der Schließung von Musikschulen, die Folgen der Kür-
zung der Kulturetats oder die Folgen des Ausfalls von
Musik- und Kunstunterricht an den Schulen kennen.
Hier wird der Grundstein zum Verständnis unserer Kul-
tur gelegt.


(Beifall bei der FDP)

Hier werden Neigung und Interesse von Kindern ge-
weckt. Die Schulen haben hier eine große Verantwor-
tung. Deshalb müssen wir klären, wie die Schulen durch
Kooperation mit anderen Kultureinrichtungen in dieser
Arbeit unterstützt werden können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Helga Daub

Es ist eine kluge Entscheidung, den Zeitrahmen für

die Kommissionsarbeit auf zwei Jahre festzulegen. Ge-
rade im Hinblick auf die notwendige Strukturerneuerung
und gleichzeitig sinkende Kulturetats dürfen wir keine
Zeit verlieren. Zudem schlagen wir vor, dass die En-
quete-Kommission in regelmäßigen Abständen die Öf-
fentlichkeit über Teilergebnisse unterrichtet. Die Ergeb-
nisse der Kommission sind eine Bestandsaufnahme und
Handlungsempfehlungen. Die eigentliche Kulturpolitik
findet aber natürlich im Ausschuss für Kultur und Me-
dien sowie bei den Menschen statt.

Ich bitte Sie darum, dass wir in diesem Sinne in der
Kommission effektiv miteinander arbeiten. Dann wird
auch etwas Gutes daraus.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1505620900

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Matthias

Sehling, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Matthias Sehling (CSU):
Rede ID: ID1505621000

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die

Einsetzung der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“ wird von der CDU/CSU-Fraktion nicht
aus Nächstenliebe gegenüber den Koalitionsfraktionen
unterstützt, nur weil diese das in ihrem Koalitionsvertrag
vorgesehen haben.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würden wir Ihnen auch nicht glauben!)


Vielmehr halten wir die damit beabsichtigte genauere
Untersuchung der Situation und des Strukturwandels öf-
fentlicher Kulturpolitik zur Sicherung der Kulturarbeit
angesichts der aktuellen Finanzmisere in den öffentli-
chen Haushalten für dringend erforderlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der frühere bayerische Staatsintendant August

Everding hat es treffend formuliert: „Kultur ist keine Zu-
tat, Kultur ist der Sauerstoff einer Nation.“ Kultur hat ei-
nen Wert an sich. Wenn sie einer Rechtfertigung bedarf,
dann der, dass der Staat ohne sie verkümmert und der
Einzelne erstickt. Deswegen muss jede Generation die
Chance haben, mit Kultur aufzuwachsen. Kulturpolitik
ist somit nicht nur die Aufgabe des Staates und der Kom-
munen, sondern gar ihre Pflicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ungeachtet der konkreten Ausgestaltung der Kompe-

tenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemein-
den wird im Grundgesetz ungeschrieben von der Kultur-
staatlichkeit der Bundesrepublik ausgegangen. Das
Bundesverfassungsgericht hat daraus auch die Legitimi-
tät staatlicher Mittel für die Kultur abgeleitet.

Der Staat hat sich jedoch auch Grenzen auferlegt. In
der Kulturpolitik gilt das Subsidiaritätsprinzip. Das be-
deutet nicht nur, dass die Länder und Kommunen und
nicht der Bund Hauptträger der Kulturpolitik sind. Sub-
sidiarität bedeutet vor allem, dass der Staat die kulturelle
Entfaltung nur unterstützt, und zwar mit erheblichen
Geldmitteln und fachlicher Kompetenz. Kaum eine grö-
ßere kulturelle Einrichtung könnte heute ohne öffent-
liche Förderung überleben.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Leider!)


Der Trachtenverein, der seine kostspieligen Trachten zu
erhalten hat, erwartet vom Staat ebenso Unterstützung
wie der Mühlenbesitzer, der seine denkmalgeschützte
Mühle unterhalten muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bund, Länder und Gemeinden geben jährlich insge-

samt – wir haben die Größenordnung vorhin schon ge-
hört – über 8 Milliarden Euro für Kunst und Kultur aus.
Von privater Seite werden dagegen bisher nur rund
255 Millionen Euro an Sponsorenmittel investiert. Die-
ses Dreißigstel der Privaten ist selbstverständlich noch
viel zu wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Städte und Gemeinde sind aufgrund der sinkenden

Gewerbesteuereinnahmen hier zunehmend überfordert.
Die öffentliche Kulturförderung muss deshalb stärker als
bisher – wer wüsste es nicht – durch privates Sponso-
ring ergänzt werden. Wir brauchen die Privaten, die
Wirtschaft, die Mäzene und die Stiftungen, und zwar
nicht nur, um dem Staat und den Kommunen Geld zu
sparen, sondern vielmehr auch, um möglichst zahlreiche
zusätzliche Projekte zu verwirklichen. Es wurde vorhin
schon angesprochen: Selbst das kürzlich reformierte
Stiftungswesen muss offenbar noch attraktiver gestaltet
und ausgebaut werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Angesichts der Vererbungswelle in den nächsten Jahren
darf der Staat nichts unversucht lassen, Anreize für Stif-
tungen und Sponsoring zu schaffen, und zwar nicht nur
für den Sport.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Erbschaftsteuer!)


Ein wesentlicher Bestandteil der staatlichen Kultur-
förderung, der im Einsetzungsantrag nicht erwähnt wird,
ist die Bewahrung und die Pflege des Kulturgutes der
deutschen Vertreibungsgebiete. Die Geisteswerke
Immanuel Kants aus Ostpreußen und Gerhart Haupt-
manns aus Schlesien gehören ebenso zur deutschen
Kultur wie die Leistungen des aus Eger stammenden
Balthasar Neumann oder des Böhmerwald-Dichters
Adalbert Stifter. Dieser Auftrag zur Bewahrung ist im
Übrigen eine der wenigen Aufgaben im kulturellen Be-
reich, die dem Bund ausdrücklich übertragen worden
sind. Sie wurde sogar eigens im deutschen Einigungs-
vertrag festgezurrt.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)







(A) (C)



(B) (D)


Matthias Sehling

Durch die Verankerung in § 96 Bundesvertriebenen-

gesetz verfügen Bund und Länder hier über einen zeit-
losen Gestaltungsauftrag. In der gesamten deutschen Be-
völkerung und übrigens auch im Ausland soll das
Bewusstsein um das Kulturgut der Vertreibungsgebiete
wach gehalten werden. Dieser Auftrag und die mit ihm
verbundenen Möglichkeiten werden, um es vorsichtig zu
sagen, bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Im Einsetzungsantrag der Enquete-Kommission wird
das Ziel genannt, zu zeigen, was Kultur in Deutschland
heute ausmacht. Gleichzeitig wird zu Recht betont, dass
die Pflege von Kunst und Kultur vorrangig Aufgabe der
Länder und Kommunen ist. Deswegen schlage ich, ähn-
lich wie bei der PISA-Studie, ein gezieltes Benchmar-
king vor. So könnte unsere Bestandsaufnahme der Kul-
turförderung und Kulturarbeit in Deutschland eine
Benchmarking-Bilanz der Kulturpolitiken der Länder
und des Bundes ergeben – sozusagen eine PISA-Studie
der Kulturförderung. In zwei Jahren werden wir dann
eine Datengrundlage haben, um zu erkennen, wo wir im
Kulturstaat Deutschland heute stehen, wo es Defizite
gibt und wie wir den Kulturstaat Deutschland trotz knap-
per Mittel nachhaltig sichern und ausbauen sollten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505621100

Nächster Redner ist der Kollege Siegmund Ehrmann,

SPD-Fraktion.


Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1505621200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte

Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sehling, ich
darf Sie direkt ansprechen: Sie haben beachtliche Ge-
danken vorgetragen und besonders herausgearbeitet,
dass in die Überlegungen unseres kulturellen Erbes si-
cherlich auch das einzubeziehen ist, was in den Vertrei-
bungsgebieten erschaffen wurde und was uns auch kul-
turell bindet. Da Sie das hervorgehoben haben, will ich
auf Folgendes aufmerksam machen: Wir haben unge-
heuer viel Kulturgut dadurch verloren, dass Emigrantin-
nen und Emigranten in der Zeit von 1933 bis 1945 das
Land verlassen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Dieser Aderlass lastet schwer auf uns. Auch das gehört
dazu und ergänzt sich. Das ist kein Widerspruch.

Die Aufgaben der Enquete-Kommission sind von
meinen Kollegen Vorrednerinnen und Vorrednern be-
schrieben worden. Bevor ich auf einzelne Aspekte ein-
gehe, erlauben Sie mir eine Anmerkung. Wir erleben
zurzeit eine sehr grundsätzliche und verfassungspoliti-
sche Debatte – das haben wir in dieser Woche im Aus-
schuss für Kultur und Medien erlebt; die Frage der Fu-
sion der Kulturstiftung ist dafür ein lebendiges Bei-
spiel – über die Aufgaben des Staates, die Zuordnung
der Verantwortlichkeiten auf Bund oder Länder sowie
die Finanzierung der Aufgaben.

Bei allen kooperativen Ausprägungen, die sich in der
Staatspraxis herauskristallisiert haben, ist klar – das ist
unstreitig –, dass die Kulturhoheit prinzipiell bei den
Ländern liegt. In den Debatten des Deutschen Bundesta-
ges aber wird die Kulturarbeit in den Städten und Kom-
munen selten bedacht. Dabei ist dies die Ebene, die im
Wesentlichen kulturelle Aktivitäten entwickelt und ver-
antwortet.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Da ist was dran!)


Die Kommunen selbst und die Menschen dort sind
die Hauptakteure; denn die Kommunen klären vor Ort
eigenverantwortlich und in aller Regel ohne Rechts-
pflicht, welche Angebote vorgehalten werden. Hier beo-
bachten wir seit Jahren, dass die kommunale Finanznot
auf der Kulturarbeit vor Ort lastet. Vieles ist infrage ge-
stellt. Manche Angebote wurden bereits aufgegeben.
Wenn sich diese Enquete-Kommission in einem beson-
deren Schwerpunkt den Bedingungen der Kulturarbeit
vor Ort zuwendet, geschieht dies ausdrücklich nicht in
der Absicht, die kommunale Eigenverantwortlichkeit zu
unterlaufen. Vielmehr geht es nach meiner Überzeugung
darum, die grundsätzlichen Entwicklungen aufzuspüren,
dabei ihre Risiken und Chancen auszuloten und sich zen-
tralinhaltlich selbst zu vergewissern, was wir zukünftig
auf Dauer brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Einige Themenfelder sind von meinen Vorrednerin-
nen und Vorrednern angesprochen worden. Ich möchte
einige Akzente unter einem speziellen Blickwinkel her-
ausarbeiten.

Der erste Punkt ist der Strukturwandel. Bei aller
Kritik an Krise und Finanznot liegt in Krisen – ich weiß,
das ist ein flacher Spruch – auch eine Chance. Konkret
ist zu beobachten, dass der Druck in den Kommunen und
unter den Kultur Schaffenden deutlich diskursive Pro-
zesse über kommunale Kulturentwicklung in Gang ge-
setzt hat. Deutlich zu beobachten ist, dass sich der Dia-
log zwischen den Kulturverantwortlichen einzelner
Institutionen und ihre Kooperationsfähigkeit deutlich
verbessert haben. Die Kulturverwaltungsreform zei-
tigte beachtliche Erfolge. Bedeutende Organisationsmo-
delle sind entwickelt worden, die Effizienzgewinne er-
zielten.

Das zweite Stichwort lautet Selbstorganisation und
ehrenamtliches Engagement. Deutlich ist: Nicht nur die
kommunalen Institutionen prägen das Klima in den
Städten. Jeder hat aus seinem Umfeld Beispiele deutlich
vor Augen.

Bildende Künstlerinnen und Künstler etablieren sich
autonom in Ateliergemeinschaften und öffnen ihre Ar-
beitsstätten. Bürgerinitiativen koordinieren kulturelle
Aktivitäten in ihren Stadtteilen, profilieren sie, lassen
aufhorchen und heben bewusst die kulturellen Schätze
ihrer Quartiere.






(A) (C)



(B) (D)


Siegmund Ehrmann

Breites bürgerschaftliches Engagement ist gerade

in Zeiten der Krise insofern zu beobachten, als sich eine
Fülle von Fördervereinen und Initiativen um Institutio-
nen herum bilden. Das sind lebhafte Beispiele konkreten
ehrenamtlichen Engagements. Wenn sich eine Bürger-
stiftung bildet, um eine aufgegebene städtische Galerie
zu retten, zeigt dies, dass auch moderne Formen, die wir
zum Teil gesetzgeberisch eröffnet haben, greifen und vor
Ort einen kulturellen Mehrwert organisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es sind die Stichworte kulturelle Grundversorgung und
kulturelle Grundbildung genannt worden. Aus einer
ganz anderen Ecke, nämlich dem Ausbau der Ganztags-
betreuung, wird eine engere Kooperation zwischen schu-
lischen Aktivitäten und den kulturellen Aktivitäten vor
Ort nahezu provoziert. Bei der Kooperation zwischen
Grundschulen und Institutionen wie Musikschulen, Kin-
der- und Jugendtheatern und Bibliotheken gibt es erfreu-
liche Beispiele von Pilotprojekten.

Zugleich stellt sich in diesem Kontext aber auch die
Frage, wie sich das Verhältnis von Zentralität und De-
zentralität von Grundbildungsangeboten gestaltet. Es ist
ein Aberwitz, Stadtteilbibliotheken zu schließen, wenn
stadtteilnahe Grundschulen mit Bibliotheken zur Lese-
förderung kooperieren sollen. Da stellen sich Fragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist aber letztendlich eine kommentierende Anmer-
kung. Ich weiß, es geht hier um kommunale Selbstver-
waltungsrechte, die ich angesichts unserer Kompetenz
abschließend nicht bewerten will. Aber es geht um in-
haltliche Entwicklungen, die aufzuzeigen sind. Da soll-
ten wir nicht wegtauchen.

Ich möchte schließlich das Augenmerk noch auf eine
weitere Aufgabe der Enquete-Kommission richten: die
Kulturwirtschaft. Wir reden immer von dem „weichen“
Standortfaktor.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Richtig!)

Wer das ausschließlich darauf verkürzt, der hat die Rea-
lität nicht richtig wahrgenommen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Kultur ist ein ausgesprochen harter Standortfaktor und
hat ökonomisch enorme Entwicklungspotenziale. Wer
daran Zweifel hat, der möge sich die Kulturwirtschafts-
berichte in Nordrhein-Westfalen, die schon in vierter
Edition herausgegeben werden, anschauen. Es gibt dort
sehr konkrete Beispiele, die die Umwegrentabilität
deutlich belegen. Da sollten wir alle nachdenklich wer-
den. Auch unter ökonomischen Aspekten ist die Kultur-
wirtschaft ein wichtiger Faktor. Damit wird existenziell
auch die Beschäftigungssituation der dort Schaffenden
angesprochen. Auch das ist ein Aspekt unserer Enquete-
Kommission. Insofern ist ihre Arbeit sehr breit angelegt.

Wenn wir Kultur als Treibsatz, als Ferment vielfälti-
ger Facetten des gesellschaftlichen Zusammenlebens be-
greifen, dann wird deutlich, dass diese Enquete-Kom-
mission eine sehr wichtige Aufgabe hat. Ich freue mich,
dass es in diesem Parlament möglich ist, die Enquete-
Kommission gemeinsam auf den Weg zu bringen. Ich er-
hoffe mir eine gute Zusammenarbeit, gute Ergebnisse
und eine Plattform, die weiteres und konkretes, vielleicht
sogar gesetzgeberisches Handeln in diesem Haus eröff-
net.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505621300

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1505621400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es

wurde von den Vorrednern schon darauf hingewiesen,
auch von den Vorrednern meiner Fraktion, nämlich der
designierten Vorsitzenden und dem Kollegen von der
CSU, dass wir einen gemeinsamen Einsetzungsbe-
schluss dazu benutzen wollen, gemeinsame und für die
Kulturförderung in Deutschland ergebnisreiche Arbeit
zu leisten.

Die Anfangsbedingungen in dieser Debatte sind gut.
Unser Ziel ist es, das Thema Kultur nicht nur zu untersu-
chen und darzustellen, sondern auch konkrete Maßnah-
men zu entwickeln und zu empfehlen, um Kulturförde-
rung in Deutschland zu stärken.

Ich will in diesem Zusammenhang an die Diskussion
erinnern, dass wir uns den Titel „Kulturförderung in
Deutschland“ als noch treffender für den Kernbereich
unserer Aufgaben hätten vorstellen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was wir mit der Enquete-Kommission „Kultur in

Deutschland“ vielleicht nicht vollständig schaffen wer-
den, ist – das kam in dieser Debatte auch schon zur Spra-
che – die Selbstfindung der Kulturnation Deutschland.
Ich glaube, daran müssten sich noch einige andere betei-
ligen. Wenn sich im Zusammenhang mit der Enquete-
Kommission einige in diesem Hause wie auch außerhalb
dieses Hauses und außerhalb der Politik darüber Gedan-
ken machen würden, worum es dabei eigentlich geht,
dann hätte die Kommission sicherlich schon eine we-
sentliche Debatte angestoßen.

Aus der Feststellung, dass das Untersuchen nicht das
einzige Anliegen der Kommission ist, sondern dass wir
auch umsetzbare Handlungsempfehlungen entwickeln
wollen, die auf verlässlichen Bestandsaufnahmen basie-
ren, ergibt sich auch die Notwendigkeit, dass wir die ent-
sprechenden Daten möglichst bald bekommen. Wir ha-
ben – zugegebenermaßen etwas streberhaft – schon
darauf hingearbeitet. Frau Daub hat bereits darauf hinge-
wiesen. In dieser Woche haben wir gemeinsam mit der
FDP eine Große Anfrage eingebracht, die sich mit der
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der künstleri-






(A) (C)



(B) (D)


Günter Nooke

schen Berufe und des Kulturbetriebs in Deutschland be-
schäftigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit wird die geplante Bestandsaufnahme der En-
quete-Kommission zur sozialen Lage der Künstlerinnen
und Künstler präzisiert und ergänzt. Darüber hinaus wird
der Kunstmarkt mit einbezogen. Die Künstlerinnen und
Künstler stehen als Akteure schließlich nicht allein. Uns
ist es wichtig, den Zusammenhang mit den Vermittlern
und den Verwertern von kultureller Produktion darzu-
stellen und näher zu untersuchen.

Auch wir wissen, dass nicht alle Künstlerinnen und
Künstler reiche Leute sind. Aber das gilt ebenso für an-
dere Berufsgruppen. Wir wollen für einen größeren
Blickwinkel sorgen und die Entwicklung der wirtschaft-
lichen und sozialen Lage derer näher betrachten, die
„nur“ Kultur vermitteln.

Die Antwort der Bundesregierung auf die Große An-
frage kann uns gerade am Beginn der intensiven Bera-
tungen der Kommission eine große Unterstützung sein.
Damit würde ein wichtiger Beitrag zum Erfolg der En-
quete-Kommission „Kultur in Deutschland“ geleistet.

Wir haben uns im Vorfeld auf den Text des Einset-
zungsbeschlusses und damit auch auf die Aufgaben geei-
nigt. Sprachlich weist er noch nicht ganz die Qualität
auf, die wir uns für die Arbeit der Kommission und den
Abschlussbericht wünschen, aber es sind durchaus Ver-
besserungen möglich.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Es soll ja auch keine Hochkultur werden!)


Wir haben mit diesem Beschluss die Dauer der Kom-
mission notwendigerweise auf zwei Jahre beschränkt.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!)

Ich halte das für einen weisen Beschluss. Herr Barthel
hat bereits darauf hingewiesen, welche Aufgaben der
Beschluss nicht umfasst. Ich meine aber, wir müssen
zum Beispiel – Herr Sehling und auch Sie haben das be-
reits angesprochen – auch die Kultur berücksichtigen,
die aus Gebieten, die nicht mehr zu Deutschland gehö-
ren, hierher zurückgekommen ist oder die in Berlin
durch die Vernichtung der Juden verloren gegangen ist.

Trotzdem müssen wir im Zusammenhang mit der
Enquete-Kommission noch einen wichtigen Gesichts-
punkt beachten. Wir wären gut beraten, wenn wir uns bei
den Themen, die wir in der Kommission behandeln, mit
der Materie beschäftigen, für die der Bundestag eine ori-
ginäre Zuständigkeit hat. Das bewahrt uns nämlich da-
vor, falsche und auch nicht zu erfüllende Erwartungen an
die Enquete-Kommission zu wecken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir hätten es aufgrund der Kompetenzverteilung vor-
gezogen, die originären Zuständigkeiten des Bundes
noch stärker in den Vordergrund des Einsetzungsbe-
schlusses zu stellen, allein deshalb, um von Anfang an
den Eindruck zu vermeiden, wir führten anderes im
Schilde als die Förderung der Kultur im verfassungsmä-
ßigen Rahmen.

Wir sollten uns bei der zukünftigen Arbeit der Kom-
mission auch darauf verständigen, dass die Aufgaben der
Länder und Gemeinden nicht zum Hauptgegenstand der
Beratungen werden. Trotzdem werden wir uns damit be-
fassen müssen, um zum Beispiel die von meinen Vorred-
nern angesprochene Analyse zu erstellen. Wenn wir über
die Situation der Theater in Deutschland sprechen,
werden wir uns mit den tariflichen Rahmenbedingungen
beschäftigen müssen. Wenn wir über Gastspiele von
Künstlern in Deutschland sprechen, werden wir über das
Steuerrecht sprechen müssen. Wenn wir darüber reden,
wie Privatleute besser eingebunden werden können,
müssen wir über das Gemeinnützigkeitsrecht diskutie-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin ebenso wie Herr Ehrmann der Meinung, dass es
um die harten Fakten der Kulturwirtschaft geht, über die
wir zu sprechen haben.

Wenn wir uns um die musisch-kulturelle Bildung
kümmern – auch das ist im Einsetzungsbeschluss aufge-
führt –, geht es um die Frage, wie wir in Deutschland ein
Klima erzeugen können, in dem es zur Selbstverständ-
lichkeit wird, dass Eltern ihren Kindern den Besuch von
Musik- und Kunstschulen ermöglichen und dass umge-
kehrt die Städte und Gemeinden attraktive Angebote ma-
chen können.

Bei dieser Enquete-Kommission geht es auch darum,
gute Stimmung für die Kultur in Deutschland zu ma-
chen. Ein günstiges Klima für die Kultur im Land hätte
zum Beispiel nicht zugelassen – wenn ich das als Berli-
ner einmal sagen darf –, dass ein Finanzsenator dadurch
Stimmung macht, dass er vorgibt, mit der Schließung ei-
ner Oper könne er den Etat der größten Stadt Deutsch-
lands sanieren.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das liegt vielleicht am Finanzsenator und nicht an der Stimmung!)


Wir sollten jedenfalls den Blick für die Größenver-
hältnisse behalten. Kulturförderung in Deutschland be-
deutet auch – darauf ist schon hingewiesen worden –,
dass Bund, Länder und Gemeinden in umgekehrter Rei-
henfolge Beiträge leisten, gerade wenn es um das finan-
zielle Engagement geht. Wenn es allerdings um die Rah-
menbedingungen geht, ist die Förderung der Kultur in
Deutschland schon wesentlich von dem abhängig, was
wir als Bundesgesetzgeber tun. Dafür sind wir auch un-
zweifelhaft zuständig. Hier sehe ich den Schwerpunkt
unserer zukünftigen Arbeit.

Wir verbinden mit dem Einsetzungsbeschluss also
durchaus ehrgeizige Pläne. Einig sollten wir uns alle da-
rin sein, dass am Ende der Bemühungen mehr für die
Kulturförderung in Deutschland herauskommen muss.
Wenn am Schluss sogar der Satz stünde, dass Kultur
nicht nur Kernaufgabe, sondern Pflichtaufgabe des Staa-
tes ist, dann hätten wir zumindest einen Arbeitsauftrag






(A) (C)



(B) (D)


Günter Nooke

und ein Ergebnis formuliert. Ich denke, es wird ein
schwerer, aber auch ein lohnender Weg.

Insofern wünsche ich uns gute Zusammenarbeit.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505621500

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktio-

nellen Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommis-
sion „Kultur in Deutschland“, Drucksache 15/1308. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen. Die Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ ist damit eingesetzt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (14. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Kranz,
Wolfgang Spanier, Sören Bartol, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig,
Volker Beck (Köln), Ursula Sowa, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Stadtumbau Ost auf dem richtigen Weg

– zu dem Antrag der Abgeordneten Henry
Nitzsche, Dirk Fischer (Hamburg), Arnold
Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Stadtentwicklung Ost – Mehr Effizienz und
Flexibilität, weniger Regulierung und Büro-
kratie

– zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim
Günther (Plauen), Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Stadtumbau Ost – ein wichtiger Beitrag zum
Aufbau Ost

– Drucksachen 15/1091, 15/352, 15/750, 15/1331 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Kranz
Henry Nitzsche
Peter Hettlich
Joachim Günther (Plauen)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ernst Kranz, SPD-Fraktion.


Ernst Kranz (SPD):
Rede ID: ID1505621600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen und

Kolleginnen! Beginnen möchte ich meine Ausführungen
mit einer Aussage, die Lutz Freitag, der Präsident des
GdW, am 21. Mai dieses Jahres im Rahmen eines Exper-
tengesprächs über den Stadtumbau Ost im Ausschuss für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen gemacht hat. Er hob
hervor, der Zusammenhang zwischen dem Programm
„Stadtumbau Ost“ und dem Aufbau im Osten sei von
entscheidender Bedeutung und dürfe in der öffentlichen
Diskussion nicht vernachlässigt werden. Das Programm
sei eine notwendige Bedingung für den Aufbau Ost. An-
dererseits sei auch die Wirkung des Programms „Stadt-
umbau Ost“ sehr begrenzt, wenn der Aufbau Ost nicht
gelinge.

Dieser Gedanke zog sich letztendlich wie ein roter
Faden durch das gesamte Expertengespräch im Aus-
schuss. Ich finde es auch gut, dass die Opposition die in
ihren Anträgen formulierte Unterstellung, das Programm
„Stadtumbau Ost“ wirke nicht bzw. es könne die Pro-
bleme nicht lösen, in den sachlich geführten Diskussio-
nen nicht wiederholt hat.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Da habe ich etwas anderes gehört!)


Wenn ich schon am 3. April dieses Jahres darauf ver-
weisen konnte, dass Minister Stolpe bereits zum Dritten
Leerstandskongress des GdW die Lösungen der von Ih-
nen angesprochenen Probleme präsentieren konnte, so
können wir heute feststellen, dass im Rahmen der Ver-
waltungsvereinbarung 2003 bereits ein wesentlicher
Teil auch Ihrer Vorschläge von der Bundesregierung auf
den Weg gebracht wurde.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Aufgrund unserer Vorschläge!)


– Genau das habe ich gesagt. – Ein wichtiger Punkt ist,
dass die Länder mehr Gestaltungsspielraum bei dem
Einsatz der Kassenmittel des Bundes haben. Sie können
mehr als die bisher vereinbarten 50 Prozent zugunsten
von Rückbaumaßnahmen einsetzen.

Weiterhin werden die Altschuldenhilfe und das Pro-
gramm „Stadtumbau Ost“ stärker aufeinander abge-
stimmt. Die Mittel für den Rückbau im Programm
„Stadtumbau Ost“ werden als Landesbeitrag nach § 6 a
des Altschuldenhilfe-Gesetzes anerkannt. Das ist ganz
wichtig; denn damit werden die Handlungsspielräume
der Länder zur Unterstützung existenzgefährdeter Woh-
nungsunternehmen erheblich erweitert.

Die Regierung hat Regelungen für den Programm-
baustein Wohneigentumsbildung geschaffen,


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Weil die alten Schwachsinn waren!)


derentwegen Pauschalierungen einfacher und flexibler
gestaltet und die bisher strikte Gebietstrennung gelockert
wurden.

Auch sind die Mittel des Programms „Stadtumbau
Ost“ künftig mit dem neuen Infrastrukturprogramm und
dem Wohnraummodernisierungsprogramm der Kredit-
anstalt für Wiederaufbau kombinierbar. Damit stehen
den Trägern der technischen Infrastruktur zinsgünstige
Darlehen für den erforderlichen Infrastrukturumbau zur
Verfügung. Zur Beschleunigung des Rückbaus wird bei
gegebenen Verpflichtungsrahmen die jeweils erste der






(A) (C)



(B) (D)


Ernst Kranz

fünf Jahresraten der Kassenmittel, über die jedes Pro-
grammjahr abgewickelt wird, von 5 Prozent auf 15 Pro-
zent angehoben. Der Ausgleich erfolgt durch eine ent-
sprechende Minderung der letzten Raten.

Das Programm „Stadtumbau Ost“ ist ein Paradebeispiel
für eine zügige Umsetzung von aktuellem Änderungsbe-
darf. Die lange Laufzeit dieses Programms, von 2002 bis
2009, verlangt eine ständige Überprüfung und Anpas-
sung an die veränderten Gegebenheiten. Aus diesem
Grund haben die Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen in ihrem Antrag „Stadtumbau Ost auf
dem richtigen Weg“ entsprechende Forderungen an die
Bundesregierung formuliert.

Den Kernpunkt bildet dabei die regelmäßige Informa-
tion des Bundestages über den Stand der Umsetzung des
Programms. Dabei sollen Auswertungen der erzielten
Erfolge bei unterschiedlichen städtebaulichen Konzep-
ten vorgenommen werden sowie auf Probleme bei der
Umsetzung auf den verschiedenen Ebenen und bei den
verschiedenen Beteiligten eingegangen werden.

Weiterhin wird an die Bundesregierung appelliert, die
geplante Wirkungsanalyse der Investitionszulage für
Maßnahmen der Modernisierung von Wohngebäuden
rechtzeitig vorzulegen, sodass eine zeitnahe Entschei-
dung über eine Verlängerung der Investitionszulage ge-
troffen werden kann.

Der Deutsche Bundestag appelliert gleichzeitig an die
ostdeutschen Bundesländer, zur Erleichterung der Vorfi-
nanzierung abtretungsfähige Bewilligungsbescheide
auszustellen. Dieser Punkt taucht in der aktuellen Dis-
kussion über die Gegenzeichnung der Verwaltungsver-
einbarung 2003 durch die Bundesländer auf.

Im Mai wurde die Verwaltungsvereinbarung 2003 an
die Länder überwiesen. Bis zum heutigen Tag haben ge-
nau fünf Bundesländer – Bremen, Hamburg, das Saar-
land, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein – unter-
zeichnet. Wie Sie wissen, sind die Mittel für das
laufende Jahr erst dann abrufbar, wenn die Verwaltungs-
vereinbarung unterzeichnet wurde. Die immer wieder
geäußerte Kritik, die Bundesregierung verschleppe das
Wirksamwerden der Verwaltungsvereinbarung,


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Richtig!)

muss ich deshalb klar und deutlich zurückweisen.

Ein schnelles Wirksamwerden der Verwaltungsver-
einbarung ist allein Sache der Länder. Zudem haben die
Länder ihre Kassenmittel des Jahres 2002 bisher in sehr
unterschiedlichem Maße abgerufen. Auch das zeigt: Es
liegt an den Ländern, die vom Bund bereitgestellten Mit-
tel zeitnah zu verbrauchen.

Die erfolgreiche Fortsetzung des Stadtumbaus Ost
verlangt auch in Zukunft von uns allen wichtige politi-
sche Entscheidungen, die diesen Prozess begünstigen
und fortführen. Ich bin mir sicher, dass uns auch in der
zukünftigen Diskussion die Investitionszulage Ost und
die Frage der Altschulden bei Abrissflächen beschäfti-
gen werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505621700

Nächster Redner ist der Kollege Henry Nitzsche,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber gesagt hat er doch noch gar nichts! – Gegenruf des Abg. Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Bei guten Leuten klatschen wir immer!)



Henry Nitzsche (Plos):
Rede ID: ID1505621800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über die

Lage der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundeslän-
dern habe ich bereits bei der Einführung unseres Antrags
geredet. Damit war ich offensichtlich erfolgreich, wie
ich heute feststellen kann; denn es hat Ihnen, Frau
Staatssekretärin, und auch der SPD-Fraktion bei der Ein-
schätzung der Situation der Wohnungswirtschaft in den
neuen Bundesländern genützt.

Ihr Antrag lag schon nach vier Monaten vor. Herr
Kranz, in Ihrem Antrag wird so lange abstrahiert, bis die
Sachverhalte nur noch positiv erscheinen. Ich dachte, Sie
seien Bürgermeister und nicht Lyriker oder Soziologe.
Sie wissen ja: Soziologen sind diejenigen Menschen, die
zu einer guten Lösung noch das passende Problem su-
chen.

Ich möchte als Erstes auf den Freizug der Wohnun-
gen eingehen. Es stimmt natürlich, dass die betroffenen
Mieter die Umsetzung in den meisten Fällen konstruktiv
und verständnisvoll mittragen. Auch erste Urteile stär-
ken die Position der Wohnungswirtschaft, wenn es da-
rum geht, die letzten Mietverhältnisse in einem Ab-
bruchhaus aufzulösen.

Dennoch bleibt eine generelle Frage offen, nämlich
wie beim Stadtumbau mit dem Aufheben von Mietver-
hältnissen umzugehen ist. Mein Kollege Wanderwitz
wird darauf noch näher eingehen.

Natürlich muss die unter Punkt II in Ihrem Antrag
vorgenommene Wertung der Maßnahmen der Bundesre-
gierung etwas relativiert werden. Es stimmt schon, dass
die Länder jetzt mehr als 50 Prozent der Stadtumbaumit-
tel für den Rückbau einsetzen können. Nicht gesagt
wird aber, Kollege Kranz, was als Fußnote in der Ver-
waltungsvereinbarung steht: Der Bund behält sich vor,
zu überprüfen, ob in späteren Jahren ein Ausgleich zu-
gunsten der Aufwertung erfolgt.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist auch richtig! Wir brauchen Aufwertung! Das ist gut!)


– Wir brauchen aber zunächst einmal den Rückbau, liebe
Frau Kollegin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Rückbau muss beschleunigt werden; denn sonst
bleibt es hinsichtlich der Finanzierung nur ein Nullsum-
menspiel.

Ähnlich verhält es sich mit der Aufstockung der
zusätzlichen Altschuldenhilfe. 658 Millionen Euro






(A) (C)



(B) (D)


Henry Nitzsche

ermöglichen in der Tat mehr Hilfe für existenzgefähr-
dete Unternehmen. Dennoch ist schon jetzt erkennbar,
dass die Anträge bei der KfW nicht komplett bedient
werden können. Existenzgefährdete Unternehmen kön-
nen nicht Wohnungen abbrechen und gleichzeitig Alt-
schulden zurückzahlen. So wird der Stadtumbau nicht
funktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Joachim Günther [Plauen] [FDP])


Die Möglichkeit der Kommunen, im Einzelfall den
Rückbau auch außerhalb der festgelegten Gebiete zu för-
dern, muss unterstützt werden. Dass jedoch im Vollzug
dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen die objektkonkrete Benennung vorzule-
gen ist, lässt die Bürokratie ausufern. Eine Entscheidung
der Einzelfälle durch die Länder oder – noch besser – so-
gar durch die Wohnungsunternehmen wäre wesentlich
angemessener.

Frau Staatssekretärin, ich habe mir die Mühe ge-
macht, einmal zusammenzustellen, was alles zu beach-
ten ist, wenn ein Abriss ansteht. Sie wissen das vielleicht
noch nicht. Also: Abrissgenehmigung, Denkmalschutz-
mit Sicherheitskonzept, Rückbauvereinbarung mit der
Kommune, öffentliche Ausschreibung – obwohl es noch
gar kein Regelwerk für den Abbruch gibt –, Finanzie-
rungskonzept, von der Bank bestätigt, Antragsteller
muss die Gemeinde sein, Fristen sind einzuhalten,
INSEK muss da sein und diskutiert sein,


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sonst würden sie dein Haus abreißen!)


Altschuldenhilfe-Gesetz, Testat, Bankunterschrift, Un-
terschrift des Freistaats, Beschluss des Aufsichtsrats,
Kommunikation mit den Bewohnern, Umzugsmanage-
ment, Ersatzwohnraum, Kündigung, Vertragsfristen der
Ver- und Entsorger, Kosten der Aufwertung. Das ist eine
ganz kleine Aufstellung dessen, was alles zu beachten
ist, wenn ein Objekt abgerissen werden soll. Und da
kommen Sie mit der Forderung nach objektkonkreter
Benennung!


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Katastrophe! Deswegen stagniert das! – Ernst Kranz [SPD]: Wie möchten Sie es denn gern?)


– Katastrophe hoch drei! Genau!
Auch mit der Anhebung der Kassenmittel der ersten

Jahresscheibe auf 15 Prozent ist der Bund unserer Forde-
rung nach einer verbesserten Mittelausstattung zum Be-
ginn der Programmjahre gefolgt. Die Forderung von
Rot-Grün an die Länder, abtretungsfähige Bewilligungs-
bescheide auszustellen, ist allerdings – das wissen Sie,
Kollege Kranz, am besten – nur eine Notlösung für not-
wendige Vorfinanzierungen. Vielmehr muss nach Wegen
gesucht werden, wie das tatsächlich benötigte Finanz-
volumen fristgerecht bereitgestellt werden kann.

Dass auch finanzschwache Kommunen am Stadtum-
bau Ost teilhaben, kann nur erreicht werden, wenn die
Kommunen entweder auf die Aufwertung verzichten
– das ist für das Gelingen des Stadtumbaus Ost sicher-
lich nicht hilfreich – oder wenn wir wie beim Rückbau
auf die Drittelung – Drittel Gemeinde, Drittel Land,
Drittel Bund – verzichten. Etwas mehr Klarheit hinsicht-
lich dieses Punktes in der Verwaltungsvereinbarung
wäre schon erforderlich.

Besonders skeptisch stehe ich natürlich dem Typisie-
rungsgedanken bei der Auswertung der kommunalen
Konzepte gegenüber. Hier ist nicht viel zu holen. Jede
Kommune muss ihren Weg für den Stadtumbau finden
und dabei eine Vielzahl von Randbedingungen beachten.
Ein Allheilmittel ist schlecht zu finden.

Positiv sind die von Ihnen aus unserem Antrag über-
nommenen Aussagen zur Grunderwerbsteuerbefreiung
bei Fusionen und zur Investitionszulage zu werten. Alles
in allem haben Sie wichtige Punkte unseres Antrags er-
neut formuliert. Wenn Sie auch gewillt gewesen wären,
den notwendigen Sprung zu wagen, was das Sonderkün-
digungsrecht angeht, wäre es für Sie einfacher gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es hätte damit sein Bewenden haben können, wenn Sie
sich schlicht unserem Antrag angeschlossen hätten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505621900

Nächste Rednerin ist die Kollege Franziska Eichstädt-

Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Leerstand im Osten ist wirklich ein großes Problem,
aber es handelt sich hier, Herr Nitzsche, nicht um ein
strittiges Thema; das wissen Sie auch. Bisher haben sich
alle Fraktionen immer darum bemüht, das Thema kon-
struktiv voranzubringen. Ich war eben nicht ganz sicher,
ob Sie einen Beitrag dazu leisten wollten, dass wir das in
diesem Sinne fortführen. Mir wäre das sehr wichtig.

Rot-Grün hat sich in der letzten Legislaturperiode je-
denfalls sowohl mit der §-6-a-Regelung im Altschulden-
hilfe-Gesetz als auch mit dem Stadtumbauprogramm Ost
konstruktiv und zügig diesem Thema gestellt und hat die
Initiative zur Lösung dieses Problems ergriffen. Wir alle
sollten darüber sehr froh sein. Das Erstaunliche ist, dass
dieses schwierige Thema auch in den ostdeutschen Län-
dern, Städten und Kommunen sowie von der Wohnungs-
wirtschaft rundherum konstruktiv angegangen wird.

Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir in dem
Stadtumbauprogramm Ost ein lernendes System se-
hen. Alle Beteiligten müssen step by step versuchen, die-
ses System zu optimieren und die anstehenden Aufgaben
so vernünftig und konstruktiv wie möglich zu lösen. Ob-
wohl ich nie und nimmer gerne Bürgermeister einer
Stadt sein würde, der den Leuten sagen muss, dass er ei-
nen halben Stadtteil abreißen wird, finde ich es trotzdem
großartig, wie konstruktiv alle Beteiligten, die Woh-
nungswirtschaft, die Kommunen und die Länder – zwar






(A) (C)



(B) (D)


Franziska Eichstädt-Bohlig

manchmal nicht ganz so toll, wie wir es uns wünschen –
und insbesondere die Mieter, an diese Frage herangehen.

Der erste Punkt, wo ein deutlicher Dissens zwischen
uns besteht, ist der Umgang mit den Mietern. Wir haben
es schon intensiv bei der Mietrechtsnovelle diskutiert:
Rot-Grün hält es nicht für notwendig, neue mietrechtli-
che Regelungen in diesem Bereich zu erlassen. Inzwi-
schen haben mehrere Gerichte, in Jena, in Hoyerswerda
und in Halle, wie ich glaube, in ihren Urteilen gesagt,
dass der Passus im BGB, demzufolge der Vermieter bei
berechtigtem Interesse kündigen kann, für den Abriss
ausreicht. Nach dieser Regelung geht man vor; das funk-
tioniert auch, im Übrigen sehr konstruktiv. Auch die
Mietervereinigungen arbeiten ihrerseits konstruktiv da-
ran mit. Ich werbe noch einmal inständig dafür, nieman-
dem einzureden, wir benötigten ein neues Mietrecht. Das
würde nur Streit zwischen der Eigentümer- und der Mie-
terseite provozieren. Das wäre nicht gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Henry Nitzsche [CDU/ CSU]: Das kostet alles Zeit! Goldener Handschlag!)


Zweiter Punkt: Die Koalition hat die Verwaltungs-
vereinbarung sehr gut weiterentwickelt. Ich bedanke
mich dafür, Frau Gleicke. Ich wünsche mir, dass die
Länder – ich halte es schon für ein Problem, dass diese
Vereinbarung von einer Reihe von ostdeutschen Ländern
noch nicht unterschrieben wurde – ihre eigene Bürokra-
tie überwinden und möglichst zügig die Verwaltungsver-
einbarung unterschreiben, damit das Geld auch wirklich
fließen kann. Auf weitere wichtige Veränderungen ist
der Kollege Kranz eben schon eingegangen.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Schön abgeschrieben!)


Ich möchte sie aufgrund meiner begrenzten Redezeit
nicht noch einmal wiederholen. Es handelt sich durch-
weg um gute Veränderungen, womit wir in diesem Punkt
weiterkommen.

Ein Satz wenigstens noch zur Frage von Abriss und
Aufwertung: Wir brauchen beides, aber wir wissen,
dass es jetzt erst einmal um zügigen Abriss geht.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Richtig!)

Wir wollen aber diese Gebiete nicht wie offene Wunden
liegen lassen, sondern die Bevölkerung in den jeweiligen
Stadtteilen soll auch sehen, dass es wieder vorangeht.
Deswegen ist Aufwertung genauso notwendig. Wir kön-
nen nicht sagen: „Jetzt wird erst einmal nur abgerissen“,
und dann bleiben die Stadtteile einfach so liegen. Das
wollen wir nicht. Wir engagieren uns genauso auch für
die notwendige Aufwertung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich bei allem Erfolg, den wir bei diesem
Programm bisher verzeichneten, und trotz all der Mühen
und der konkreten Arbeit auf den verschiedenen Ebenen,
besonders in den Kommunen, doch noch ein paar Punkte
ansprechen, über die wir zu diskutieren haben und wo
wir weiterkommen müssen.

Ich will darauf aufgrund meiner begrenzten Redezeit
nur stichpunktartig eingehen: Als Erstes haben wir noch
im ländlichen Raum große Probleme. Der zweite Be-
reich betrifft die Infrastruktur; diese Frage hat der Kol-
lege Kranz eben auch angesprochen. Der dritte Punkt be-
trifft die privaten Eigentümer. Auch wenn die privaten
Eigentümer im Endeffekt Nutznießer mutiger Abrissvor-
haben der städtischen und genossenschaftlichen Woh-
nungswirtschaft sind, bekommen wir doch in vielen
Städten Probleme mit privaten Eigentümern.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Haben wir schon!)


Ich möchte als Letztes auf drei Punkte hinweisen, wo
wir schon weitergekommen sind. Ein ganz wichtiger
Schritt ist, dass die Grunderwerbsteuerbefreiung bei der
Zusammenführung von Wohnungsunternehmen ge-
währt wird. Die Regierung hat zugesagt, die Bundesrats-
initiative wohlwollend zu begleiten. Wir müssen dann
sehen, ob die EU das mit trägt. Ich hoffe und werbe da-
für, dass wir auf diesem Weg einen Schritt vorankom-
men. Ich bitte darum, dass wir diesbezüglich alle zusam-
menarbeiten.

Der nächste Punkt ist die Investitionszulage im Bau-
bereich. Hinsichtlich der Aufwertung ist auch das sehr
wichtig.

Der letzte Punkt – ich komme gleich zum Schluss –:
Die Art und Weise, wie die Koalition das Thema Eigen-
heimzulage im Haushalt angegangen ist, halte ich für
sehr gut. Was der Osten wirklich braucht, ist: Schluss
mit der Eigenheimzulage und Schluss mit der Zersied-
lung. Stattdessen braucht der Osten ein solides Pro-
gramm für Stadterneuerung, familiengerechte Eigen-
tumsbildung in den Städten und eine Stärkung des
Stadtumbauprogramms Ost.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch eine Vergewaltigung der Bürger! Die müssen doch frei entscheiden können!)


In diesem Sinne hoffe ich, dass das auch die Opposition
im Zuge der Beratungen unterstützen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505622000

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Günther,

FDP-Fraktion.

Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1505622100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist fraglich, ob die Wohnungspolitik und die Woh-
nungswirtschaft es verdient haben, dass wir zu so später
Stunde diese Debatte führen. Ich bin der Meinung der
Stadtumbau Ost ist ein Thema, das nicht nur für den Os-
ten relevant ist. Dieses Thema sollten wir generell ein-
mal auf die Tagesordnung stellen;


(Beifall bei der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Überall ist Osten!)







(A) (C)



(B) (D)


Joachim Günther (Plauen)


denn die Regionalisierung ist in jeder Situation unter-
schiedlich. Darauf sollte man reagieren.

Kollege Kranz, Sie haben gesagt, dass die Opposition
von der Auffassung abgerückt ist, dass das Stadtumbau-
programm Ost nicht wirkt. Das ist nicht ganz richtig.
Das Stadtumbauprogramm Ost – das sage ich in Rich-
tung Bundesregierung – hat etwas auf den Weg gebracht,
das aus meiner Sicht optimal ist: In den Städten hat über-
haupt erst einmal eine Planung stattgefunden; man hat
sich mittelfristige Ziele gesteckt, die vieles voranbrin-
gen. Dieser Effekt ist absolut positiv.

Das Problem ist aus heutiger Sicht aber nach wie vor
die Bevölkerungswanderung in Deutschland und die Si-
tuation in den Städten, in den Stadtkernen selbst. Es gibt
eine Bevölkerungswanderung. Ein Bürgermeister oder
ein Baudezernent einer betroffenen Stadt – ich will nicht
das Superbeispiel Hoyerswerda nennen; es gibt im Osten
Deutschlands andere Städte, die ähnliche Probleme ha-
ben – sagt Ihnen: Wie soll ich denn für die nächsten zehn
Jahre planen, wenn aus meiner Stadt jährlich 2 000 bis
2 500 Menschen wegziehen? Das ist das Hauptproblem.

Deshalb kann das Wohnungsbauprogramm nicht der
Ansatz sein. Wir müssen vielmehr einen Ansatz in der
Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie in der Arbeits-
marktpolitik insgesamt finden. Nur wenn es uns gelingt,
die Bevölkerungsströme zumindest einigermaßen in
Grenzen und damit kalkulierbar zu halten, können wir auf
den Stadtumbau direkt eingehen; denn ein Bürgermeister,
der nicht weiß, wie viele Einwohner seine Stadt in zehn
oder 20 Jahren haben wird, sieht sich einer komplizierten
Planung gegenüber. Deshalb brauchen wir – das ist rich-
tig – einige Reformen, die in diese Richtung gehen.

In Bezug auf den Leerstand brauchen wir aber auch ei-
niges, was in Ihren Vorschlägen bisher noch nicht enthal-
ten ist: Frau Eichstädt-Bohlig, was den Freizug im Woh-
nungswesen anbetrifft, ist es zwar richtig, dass es kaum
Mieterdiskussionen gibt; das Problem bei einem Einzel-
abriss ist aber immer der letzte Mieter, dessentwegen es
Streit sowie wochen- und monatelange Verzögerungen
gibt. Solche Probleme unbürokratischer und schneller zu
lösen muss ein Ziel sein. Für solche Einzelfälle müssen
wir in den nächsten Monaten eine Regelung finden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das zweite Hauptproblem beim Abriss – jeder weiß

das; wir brauchen das nicht genauer auszuführen – sind
die Altschulden. Dieses Thema betrifft die Wohnungs-
gesellschaften und die Genossenschaften. Aber auch die
Privateigentümer – der Begriff wurde schon genannt –
bilden ein großes Potenzial. Die privaten Haus- und
Grundeigentümer im Osten Deutschlands sind von die-
sem Problem ebenfalls stark betroffen. Ich möchte nicht,
dass sie immer nur neben oder nach den Genossenschaf-
ten eingeordnet werden. Ihre persönliche Situation ist oft
viel härter als die mancher Genossenschaften.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505622200

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin

Iris Gleicke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


I
Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1505622300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu den wichtigsten Aufgaben in Ostdeutschland gehört
der Stadtumbau Ost. Das wird auch daran deutlich, dass
alle Fraktionen dieses Hohen Hauses hierzu Anträge ein-
gebracht haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion – Herr Günther, bei Ihnen bedanke ich mich ganz
ausdrücklich für den konstruktiven Beitrag –, bei allen
Problemen und Unterschieden, die wir im Detail sehen,
eint uns das Wissen darum, dass diese Aufgabe zu erfül-
len ist. Ich glaube, Sie tragen auch insgesamt das Pro-
gramm „Stadtumbau Ost“ mit. Wir sind uns darüber ei-
nig, dass dieses Programm zügig weiterlaufen und zügig
abgearbeitet werden muss.

Zu der Kritik, die in Ihrem Antrag geäußert wird,
Herr Nitzsche: Das sehe ich anders; denn vieles ist be-
reits erreicht. Das Programm läuft seit einem Jahr. Vor
einem Jahr hatten wir den Wettbewerb zum Stadtum-
bauprogramm, für den die Kommunen Stadtentwick-
lungskonzepte erarbeitet haben. Einige dieser Konzepte
sind auch ausgezeichnet worden. Herr Kollege Kranz,
wir haben dieser Tage eine Broschüre herausgebracht, in
der diese unterschiedlichen Konzepte veröffentlicht wer-
den, damit sich andere beteiligen und auch voneinander
lernen können.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


An dem ersten Programm, das wir aufgelegt haben,
beteiligen sich 179 Gemeinden. Wir hatten die Absicht
– das habe ich auch in der letzten Debatte gesagt –, mit
dem Programm „Stadtumbau Ost“ ein lernendes Pro-
gramm aufzustellen. Wir haben immer gesagt: Wir be-
treten an dieser Stelle Neuland.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Überall betreten Sie Neuland!)


Wir haben etwas in Gang gesetzt, das es in dieser Repu-
blik vorher nicht gegeben hat. Aus diesem Grunde wer-
den wir uns natürlich immer wieder damit zu beschäfti-
gen haben, welche Veränderungen es geben muss. Ich
will die Veränderungen, die wir jetzt mit der Verwal-
tungsvereinbarung für 2003 vorgenommen haben, ein-
fach noch einmal benennen.

Wir ermächtigen die Länder, auch mehr als
50 Prozent der Mittel für den Rückbau einzusetzen. Die
Entscheidung muss aber vor Ort getroffen werden, dort
wo diejenigen sitzen, die am Besten wissen: Brauchen
wir mehr Geld für den Rückbau, oder müssen wir das
Geld in die Aufwertung stecken, um auch Zielwohnun-
gen zu erhalten? Diese Entscheidung können wir den






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke

Trägern vor Ort nicht abnehmen. Das sollten wir auch
tunlichst lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir verzahnen den Stadtumbau Ost stärker mit unse-
rer Altschuldenhilfe-Regelung. Wir wollen, dass hier
stärker Hand in Hand gearbeitet wird. Wir wollen, dass
die Unternehmen, die am stärksten betroffen sind und
deshalb gemäß § 6 a Hilfe bekommen, mehr und schnel-
ler abreißen können. Auch dies ist aber vor Ort zu ent-
scheiden. Wir können hier niemanden aus der Verant-
wortung nehmen. Wir machen möglich, dass die Mittel
für den Rückbau im Programm „Stadtumbau Ost“ auch
als Landesbeitrag zur Altschuldenentlastung anerkannt
werden. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Bundesfi-
nanzminister, dass solche Dinge möglich sind, damit wir
zügig vorankommen.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Jawohl!)

Wir haben auch die Regelung für die Wohneigen-

tumsbildung vereinfacht und großzügiger gestaltet. Die
Ursache für den Wegzug aus der Stadt ist ganz oft das
Fördern des Bauens auf der grünen Wiese. Deshalb müs-
sen wir uns an dieser Stelle doch der Diskussion über die
Wohneigentumsförderung stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit verstärken wir auch unser eigenes Stadtumbau-
programm.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Wird endlich Zeit!)


Wir wollen, dass das Bauen auf der grünen Wiese ange-
sichts der Leerstände in den Städten nicht weiter betrie-
ben wird. Wir wollen vielmehr, dass in den Städten auch
wieder Familien leben können, indem familienfreundli-
che Wohnungen und auch die Wohneigentumsbildung
im Bestand ermöglicht wird.

Ich darf Ihnen noch etwas Erfreuliches vermelden: In
dem gestern beschlossenen Bundeshaushaltsplan haben
wir festgelegt, dass die Kassenmittelrate im Jahre 2004
auf 20 Prozent erhöht wird. Damit steht mehr Geld zur
Verfügung. Ich glaube, dass wir damit eine gute Voraus-
setzung geschaffen haben, den Stadtumbau zu beschleu-
nigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zu den 45 000 bewilligten Abrissen aus dem vergan-

genen Jahr werden noch einmal 50 000 hinzukommen.
Auch das macht deutlich, dass wir vorankommen und
dass wir auf einem guten Wege sind. Wir werden uns
weiter austauschen.

Übrigens ist unser Bundesminister dieser Tage unter-
wegs; heute ist er in Halle-Neustadt. Er wird eine Som-
merreise machen und wird sich stark mit dem Stadtum-
bau Ost auseinander setzen.

Herr Kollege Nitzsche, ich musste vorhin bei der Auf-
zählung der Litanei von Genehmigungen, die man so
braucht, etwas schmunzeln; wir haben schließlich nicht
all diese Genehmigungen erfunden.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Das habe ich auch nicht gesagt!)


Außerdem finde ich es schon ein bisschen witzig, wie
Sie beispielsweise angesichts der Silberhöhe in Halle auf
den Denkmalschutz kommen.

Wir sind uns doch einig, dass wir etwas tun müssen.
Lassen Sie uns doch bitte konstruktiv weiter diskutieren.
Die neuen Bundesländer brauchen den Stadtumbau Ost.
Wir sind auf gutem Wege und sind, denke ich, auch stolz
auf das, was bisher erreicht wurde. Wir müssen auch die
Arbeit derer loben, die sich vor Ort engagieren. Dann ge-
hört es auch dazu, dass man keine unsachgemäße Kritik
anbringt, sondern sich sachlich auseinander setzt. Wir
werden immer wieder Gespräche führen, um herauszu-
finden, worauf wir reagieren müssen und wie wir das
Programm noch besser machen können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das war ein schönes Schlusswort für die Debatte, Frau Präsidentin!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505622400

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Marco Wanderwitz, CDU/CSU-Fraktion.

Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1505622500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir alle sind nicht vor Fehleinschätzungen ge-
feit. Gerade die Wiedervereinigung war ein riesiger
Kraftakt für den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber.
In guter Absicht wurde auch ein Teilaspekt der heutigen
Debatte geregelt, die Problematik des Verbots so ge-
nannter Verwertungskündigungen in den neuen Ländern,
wie von meinem sächsischen Kollegen Henry Nitzsche
schon angesprochen wurde.

Unser Ihnen heute vorliegender Antrag fordert ein
Sonderkündigungsrecht für Rückbauvorhaben, diese
Forderung enthält auch der Antrag der FDP. Die Staats-
regierung des Freistaates Sachsen hat am 27. Mai 2003
beschlossen, einen weiter gehenden Gesetzesantrag für
die Aufhebung des Art. 232 § 2 Abs. 2 des Einführungs-
gesetzes zum BGB in den Bundesrat einzubringen.

Vor dem 3. Oktober 1990 begründete Mietverhält-
nisse in den neuen Ländern sind nach geltendem Recht
bis auf wenige Ausnahmen, auf die ich später noch zu
sprechen komme, für den Vermieter quasi unkündbar.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie haben aber nur vier Minuten!)


– Es ist noch ein bisschen von Herrn Nitzsches Redezeit
übrig; insofern werde ich schon hinkommen.

Dies gilt selbst und gerade dann, wenn der Vermieter
dadurch an einer anderen wirtschaftlicheren Verwertung
der Immobilie gehindert wird. Eine solche Verwertungs-
möglichkeit ist der Rückbau.






(A) (C)



(B) (D)


Marco Wanderwitz

Der Wille des Gesetzgebers war 1990 der Schutz von

Mietern preiswerten Wohnraums in den neuen Ländern
unter dem Gesichtspunkt der Wohnungsknappheit zu
diesem Zeitpunkt. Der Verfall ganzer Stadtteile war
keine Seltenheit. Andererseits konnten die Plattenbau-
siedlungen nie den tatsächlichen Bedürfnissen der Men-
schen gerecht werden. Zwischenzeitlich stehen rund
1,3 Millionen Wohnungen zwischen Chemnitz und
Greifswald leer. Neuerlicher Verfall setzt ein; die Silber-
höhe wurde gerade genannt. Die Gründe dafür sind viel-
fältig. Um nur einige zu nennen: Abwanderungswellen
in ungeahntem Ausmaß, demographische Entwicklung,
aber auch die Sanierung vorrangig von Altbauten und
der Neubau von Wohnungen. Aus meiner Sicht ist damit
der Normzweck entfallen.

Die derzeitige gesetzliche Regelung erweist sich so-
gar als Hemmnis für die Entwicklung in den neuen Län-
dern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer soll denn eine Immobilie mit einem verbliebenen
Mieter, der sich nicht am Verfall stört, einer neuen Nut-
zung zuführen? An dieser Stelle sage ich ganz deutlich,
dass nicht nur Sanierung die neue Nutzung sein kann.
Wir brauchen die gezielte Wegnahme von Wohnungen
vom Markt in erheblichen Größenordnungen, um das
Gefüge zu retten. Aber selbstverständlich sollen die Sa-
nierung und die Umnutzung genauso erfasst werden, da-
her greift eine reine Abrisskündigung zu kurz.

Die Situation wird nicht wesentlich dadurch verbes-
sert, dass die Rechtsprechung mittlerweile in Einzelfäl-
len trotz des Ausschlusses der Verwertungskündigung
die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung unter
den Bedingungen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB angenom-
men hat. Dies betrifft einerseits bisher nur besonders
gravierende Fälle, etwa den Fall des über Jahre aushar-
renden letzten verbliebenen Mieters in einem elfstöcki-
gen Wohnhaus. Die Mietzahlungen deckten in diesem
Fall nicht einmal mehr die Betriebskosten für den Wohn-
komplex. Zum anderen ist aufgrund der uneinheitlichen
Entscheidungspraxis der Gerichte erhebliche Rechtsun-
sicherheit gegeben. Jeder einzelne Fall bedarf derzeit der
gerichtlichen Entscheidung, gegebenenfalls durch meh-
rere Instanzen. Bereits der Zeitfaktor ist dabei absolut in-
akzeptabel.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Richtig!)

Das Teilaufheben des Art. 232 des Einführungsgeset-

zes zum BGB würde den Mieter ja auch nicht schutzlos
machen. Die erwähnte Regelung, die Kündigungsmög-
lichkeit bei berechtigtem Interesse an einer angemesse-
nen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks,
würde dann auch in den neuen Ländern alleinige An-
wendung für derartige Fälle finden. Für das dort nor-
mierte berechtigte Interesse setzt die Rechtsprechung be-
reits jetzt sehr enge Kriterien.


(Zuruf von der SPD: Jetzt fängt „später“ an!)

Der Antrag der Regierungsfraktionen von SPD und

Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Thema blendet leider
den von mir aufgezeigten Aspekt aus.


(Henry Nitzsche [CDU/CSU]: Wie immer!)

Das Programm Stadtumbau Ost und all die schönen
Stadtentwicklungskonzepte werden aber ohne Beach-
tung dieses Problems ins Leere laufen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
Rot-Grün, Ihr Antrag ist leider so falsch wie manche Ini-
tiative aus Ihrer Feder. Er ist in der Sache falsch, weil
schon die Analyse falsch ist.


(Zuruf von der SPD: Da haben wir vorhin aber etwas anderes gehört!)


Sie schreiben von den bereits bestehenden Möglichkei-
ten und Ausnahmefällen. Da fragt man sich schon, ob
Sie die Lage vor Ort wirklich kennen.

Lassen Sie uns die Verantwortung für die Entwick-
lung der Städte und Gemeinden in den neuen Ländern
übernehmen! Stimmen Sie für unseren Antrag und geben
Sie der Bundesratsinitiative des Freistaates Sachsen Ihre
Unterstützung!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1505622600

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 15/1331. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An-
trags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 15/1091 mit dem Titel „Stadt-
umbau Ost auf dem richtigen Weg“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 15/352 mit dem Titel „Stadtentwicklung Ost –
Mehr Effizienz und Flexibilität, weniger Regulierung
und Bürokratie“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit demselben Stimmenverhältnis
angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/750 mit dem
Titel „Stadtumbau Ost – ein wichtiger Beitrag zum Auf-
bau Ost“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit demselben Stimmenergebnis wie die bei-
den vorherigen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen,
Dr. Jürgen Gehb, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(Gesetz zur Beseitigung der Rechtsunsicherheit beim Unternehmenskauf)

– Drucksache 15/1096 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Beim Tagesordnungspunkt 12 sind von den Rednerin-
nen und Rednern aller Fraktionen die Reden zu Protokoll
gegeben worden.1)

Wir kommen deshalb zur Abstimmung. Interfraktio-
nell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf
Drucksache 15/1096 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (14. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Vorrang für die Ostseesicherheit
– Drucksachen 15/465, 15/1194 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße

Beim Tagesordnungspunkt 14 haben ebenfalls alle Red-
nerinnen und Redner ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen auf Drucksache 15/1194 zu dem An-
trag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Vorrang
für die Ostseesicherheit“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 15/465 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/
CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Be-
mühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und
Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der

(Jahresabrüstungsbericht 2002)

– Drucksache 15/1104 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

1) Anlage 12
2) Anlage 13
Hierzu haben ebenfalls alle Rednerinnen und Redner
ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)

Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1104 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Dies ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Harmonisie-
rung der Rechts- und Vewaltungsvorschriften
der Mitgliedstaaten über den Verbraucher-
kredit
KOM (2002) 433 endg.; Ratsdok. 12138/02
– Drucksachen 15/457 Nr. 2.2, 15/1288 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Dirk Manzewski
Michael Grosse-Brömer
Jerzy Montag
Sibylle Laurischk

Auch hierzu haben alle Rednerinnen und Redner ihre
Reden zu Protokoll gegeben.4)

Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung über einen Vorschlag für eine Richtlinie
des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmo-
nisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, Druck-
sache 15/1288. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der
Unterrichtung durch die Bundesregierung, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Für eine Verbesserung der privaten Vermitt-
lung im Aupairbereich zur wirksamen Verhin-
derung von Ausbeutung und Missbrauch
– Drucksache 15/1315 –

Auch hierzu haben alle Rednerinnen und Redner ih-
ren Reden zu Protokoll gegeben.5)

3) Anlage 14
4) Anlage 15
5) Anlage 16






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den in-

terfraktionellen Antrag mit dem Titel „Für eine Verbes-
serung der privaten Vermittlung im Aupairbereich zur
wirksamen Verhinderung von Ausbeutung und Miss-
brauch“. Wer stimmt für den Antrag auf Druck-
sache 15/1315? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 4. Juli 2003, um 9 Uhr ein.

Die Sitzung ist geschlossen.