Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich be-kannt, dass die Kollegin Dr. Erika Ober ihr Amt alsSchriftführerin niedergelegt hat. Die Fraktion der SPDbenennt als Nachfolgerin die Kollegin GabrieleLösekrug-Möller. Sind Sie damit einverstanden? – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist die KolleginLösekrug-Möller als Schriftführerin gewählt.Im Beirat der Regulierungsbehörde für Telekommuni-kation und Post ist von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen die noch offene Position des stellvertreten-den Mitglieds zu besetzen. Hierfür wird die KolleginUlrike Höfken vorgeschlagen. Sind Sie auch damit ein-verstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Damit istdie Kollegin Höfken als stellvertretendes Mitglied imBeirat der Regulierungsbehörde bestimmt.Interfraktionell wurde vereinbart, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ih-nen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Lage auf dem Aus-bildungssektor
2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Hintze,RedetMichael Stübgen, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSU: Stand der Beratungen des EU-Verfassungs-Vertrages – Drucksache 15/1207 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheitender Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussSportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktoAusschuss für Menschenrechte und humanitäreAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
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Carmen Freia Heller, Ursula Heinen, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU: Kennzeichnung allergenerStoffe in Lebensmitteln vernünftig regeln – Druck-sache 15/1227 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-MichaelGoldmann, Horst Friedrich, Rainer Brüderle, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDP: Neue Chancen für dieBinnenschifffahrt – Drucksache 15/311 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuss8 Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugelei-teten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht– Drucksache 15/1161 –9 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSUund der FDP: Haltung der Bundesregierung zu den Streiksin den neuen Bundesländern und deren Auswirkung aufden Wirtschaftsstandort Deutschland10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd Neumann
, Günter Nooke, Renate Blank, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU: 50 Jahre Deutsche Welle– Perspektiven für die Zukunft – Drucksache 15/1208 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss11 Vereinbarte Debatte zur Änderung der Verpackungs-verordnung12 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verwendung von
sache 15/520 –
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fürWirtschaft und Arbeit
– Drucksache 15/1229 –Berichterstattung:Abgeordnete Gudrun Koppb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäߧ 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 15/1237 –Berichterstattung:Abgeordnete Volker KröningKurt J. RossmanithAnja HajdukJürgen Koppelin13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Funke, UlrikeFlach, Daniel Bahr , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP: Rechtssicherheit für biotechnologischeErfindungen durch schnelle Umsetzung der Biopatent-richtlinie – Drucksache 15/1219 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4307
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Die Menschen sind durch den Streit in der Koalitionund durch den Streit zwischen Bund und Ländern überdie weitere Entwicklung zutiefst verunsichert. Die Men-schen haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Steu-ern sie auch im nächsten Jahr zahlen müssen. Es ist einSkandal, dass dieses Recht der Bürger ignoriert wird.Deshalb beantragt die FDP, die Tagesordnung der heuti-gen Sitzung um die Beratung des Antrags „Steuersen-kung vorziehen“ zu erweitern.
Uns ist absolut unverständlich, warum sich die rot-grüne Koalition und die Union – ich habe gehört, auchSie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von derUnion, wollen dem nicht zustimmen; ich kann es nochnicht glauben, aber wir werden es nachher sehen – wei-gern, der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes, deralle Menschen in unserem Lande bewegt, zuzustimmen.Ist der Grund etwa, dass Finanzminister Eichel noch kei-nen Haushaltsentwurf 2004 vorgelegt hat? Oder ist derGrund, dass immer noch kein Nachtragshaushalt 2003eingebracht wurde? Oder ist der Grund, dass der Kanzlerin seiner Inszenierungsliebe dies selbst erst am Wochen-ende nach der Kabinettsklausur verkünden will? Wirwissen es nicht. Niemand weiß es. Jeder möchte es wis-sen, auch die FDP möchte wissen, wie es mit unseremLand weitergeht und wie die Entwicklung unseres Lan-des weiter gestaltet wird.
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Die Stimmung und die Lage in Deutschland sind lei-er verheerend. Die Zahl der Arbeitslosen steigt vermut-ich auf ein Rekordniveau von fast fünf Millionen. Dieahl der Insolvenzen steigt. Die Lohnnebenkosten stei-en auf ein Rekordniveau. Die Neuverschuldung wird iniesem Jahr vermutlich auf 40 Milliarden Euro oder hö-er steigen. Im Gegenzug sinken die Zahl der Arbeits-lätze, das Wachstum und leider auch das Vertrauen inie Zukunft. Das Vertrauen in eine verlässliche Politik,ie Planungssicherheit ermöglicht, ist durch den Zick-ackkurs, den wir in den letzten Monaten erleben durf-en, endgültig verloren gegangen.
eshalb müssen wir leider feststellen, dass Deutschlandirtschafts- und finanzpolitisch vor einem Scherbenhau-en steht.Neun Monate nach der Bundestagswahl ist von dergenda 2010, die eine strukturelle Wende in unseremand einleiten soll, lediglich die Gesundheitsreform inrster Lesung im Deutschen Bundestag behandelt wor-en. Wir haben in unserem Land aber keine Zeit zu ver-ieren. Wir brauchen Wachstum. Trotz Rot-Grün brau-hen wir dringend ein positives Signal für dientwicklung unseres Landes. Das Vorziehen der Steuer-eform könnte zumindest ein erstes solches Signal sein.
Die FDP ist dagegen, dass das durch Neuverschul-ung finanziert wird. Deshalb fordern wir in unseremntrag, die Staatsausgaben zu reduzieren. Wir schlagenierzu einen linearen Subventionsabbau um 20 Prozentor. Ferner benötigen wir dringend ein Haushaltssiche-ungsgesetz, damit auch gesetzlich gebundene Leistun-en eingeschränkt werden können. Zudem ist nach wieor nicht einzusehen, warum der Bund mehr als 450 Un-ernehmen privatwirtschaftlich betreibt. Es ist nicht dieufgabe des Staates, diese Unternehmen zu betreiben.
iese Unternehmen können privatisiert werden. Das istrdnungspolitisch vernünftig und so bekommen wiruch dringend notwendiges Geld in die Kasse.Zudem haben wir eine Diskussion über die Arbeits-eit in unserem Land. Die 35-Stunden-Woche in deneuen Bundesländern ist in dieser Situation absurd. Des-alb appellieren wir an Arbeitnehmer und an Arbeitge-er, durch eine Verlängerung der bezahlten Arbeitszeitur Steigerung des Bruttoinlandsprodukts beizutragen.lles, was das Bruttoinlandsprodukt stärkt, stärkt unserand und stärkt auch die Finanzkraft der öffentlichen
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Carl-Ludwig ThieleKassen. Deshalb müssen wir alles dazu Notwendige bei-tragen.
Mit diesen mutigen Schritten wäre das Vorziehen derSteuerreform gegenfinanziert und wäre die Entlastungfür die Bürger auch tatsächlich spürbar. Lassen Sie unsdoch bitte alle daran arbeiten, dass zumindest dieses Zei-chen kurzfristig gesetzt wird, ohne dass die Neuver-schuldung erhöht wird oder den Bürgern an andererStelle in die Tasche gegriffen wird! Ich bitte Sie, demGeschäftsordnungsantrag der FDP zuzustimmen, damitdiese Diskussion heute im Deutschen Bundestag stattfin-den kann. Hier müssen wir später darüber entscheiden.Deshalb sollten wir dieses Thema heute auch hier disku-tieren.Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-
Fraktion, das Wort.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wiedereinmal Zeit für eine Geschäftsordnungsdebatte, bean-tragt von der FDP, unsinnig wie immer und überflüssigwie ein Kropf.
Sie versuchen, uns hier mit solchen Dingen in einerWeise zu überziehen, die der Sache nicht angemesssenist.
Herr Thiele, ich nehme Ihren Hinweis, dass ganzDeutschland über das Vorziehen der Steuerreform redet,
gern auf. Aber das verlangt gleichzeitig ein solides Um-gehen mit diesem Thema. Das ist bei Ihnen nun wahr-haftig nicht zu erkennen.
Glauben Sie denn, dass die Gegenfinanzierung fürdas, was hierdurch hervorgerufen würde, nämlich einweiterer Steuerausfall in Höhe von 18 Milliarden Eurofür den Haushalt 2004,eannASbvg2hdTWwTgWszoMeAhraniAZpeudTKwdGl
infach so aus dem Handgelenk geschüttelt werden kannn einem Tag wie diesem ohne jede Vorbereitung bei Ih-en und auch bei anderen hier im Haus? Das geht dochicht zusammen!
Ich will Ihnen einmal die Widersprüchlichkeit Ihresntrags aufzeigen: Auf der einen Seite schreiben Sie,ie hätten zu Recht gegen das Steuervergünstigungsab-augesetz gestimmt, weil so Steuererhöhungen hättenermieden werden können. Auf der anderen Seite schla-en Sie aber vor, die Subventionen pauschal um0 Prozent zu kürzen. Das ist doch auch eine Steuererhö-ung in dem Sinne, wie Sie sie verstehen. Das passtoch alles nicht.
Das ist also ein Schnellschuss, wie er gerade diesemhema nicht angemessen ist.
ir meinen, dass sorgfältige Beratungen nötig sind undir uns darüber auf andere Weise unterhalten sollten.Um auch noch auf den Zeitfaktor einzugehen, Herrhiele: Was hat denn die FDP in dieser Woche zustandeebracht? Auf der Tagesordnung steht ein Antrag, diealdbesitzer in Deutschland zu schützen und die mittel-tändische Holzwirtschaft zu schonen. Das ist das Ein-ige, was von Ihrer Seite in dieser Woche auf die Tages-rdnung gesetzt wurde. Wenn Sie das, was Sie heuteorgen in der Geschäftsordnungsdebatte fordern, selberrnst nehmen würden, hätten Sie einen entsprechendenntrag vor drei Wochen formulieren können. Dann wäreeute bzw. in dieser Woche eine ernsthafte Debatte da-über möglich. Sie sind nicht in der Lage, solche Dingeuf den Weg zu bringen. Deswegen lassen wir uns auchicht mit einem Schnellschuss von Ihnen traktieren, umrgendetwas aus dem Handgelenk heraus zu beraten.
Ich will gar nicht weitere Vokabeln wie „lächerlicherktionismus“ oder Ähnliches verwenden, womit dieeitungen so etwas ab und zu beschreiben, sondern ap-elliere an Sie: Nehmen Sie die Sache so ernst, wie Sies hier eben dargestellt haben,
nd versuchen Sie mit uns zu einem Einvernehmen überen Weg zu kommen, über den wir ja in den nächstenagen beraten werden! Sie wissen ganz genau, dass dasabinett am Wochenende in Klausur geht. Am Endeerden Vorschläge unterbreitet werden, wie man mitiesem Thema umgeht. Das ist der angemessene Weg.eben Sie doch allen Beteiligten erst einmal die Mög-ichkeit, sich mit den Dingen auseinander zu setzen und
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Wilhelm Schmidt
eine solide Finanzierung auf den Weg zu bringen! Damitsorgen Sie dafür, dass wir darüber hier im DeutschenBundestag angemessen diskutieren können.Wir tragen diesen Antrag aus den eben genanntenGründen nicht mit und bewahren Sie davor, eineSchnellschusspolitik zu betreiben, indem wir diesen An-trag ablehnen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Kauder,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Intention des Antrages der FDP ist ja völlig
richtig.
Auch wir sagen: Steuererhöhungen sind in der jetzigen
Situation Gift und Steuersenkungen können helfen, den
Standort Deutschland wieder voranzubringen.
Trotzdem unterstützen wir den Antrag der FDP, die-
ses Thema auf die heutige Tagesordnung zu setzen,
nicht,
und zwar aus einem einzigen Grund: Wir wissen, dass
die Regierung in Klausur geht. Das ist normalerweise
eine Maßnahme, die in Deutschland als Bedrohung emp-
funden wird, wenn man bedenkt, was dabei bisher her-
auskam.
Wir sind aber der Auffassung, dass wir einmal abwarten
sollten, was an diesem Wochenende herauskommt, Herr
Finanzminister. Wir sind auch der Auffassung, dass die-
jenigen, die ständig herumtönen, was gemacht werden
soll, wie der Bundeskanzler, der nach dem Motto ver-
fährt: „Man kann es so oder so machen, ich bin für so“,
sagen sollen, wie sie es machen wollen. Sie sollen in
Vorlage treten. Das erwarte ich.
Herr Finanzminister, ich freue mich sehr, dass Sie
noch lächeln. Ich habe nämlich in den letzten Tagen in
der Zeitung nur noch Bilder gesehen, wo Ihnen das La-
chen vergangen war. Lachen Sie heute noch! Am Wo-
chenende wird es wohl für Sie angesichts des Drucks,
den man auf Sie ausübt, nicht so angenehm.
Wir erwarten nächste Woche eine klare Vorlage. Wir
haben deswegen unseren Antrag, der sich mit dem
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Volker Beck
Besonders erklärungsbedürftig ist – dafür habe ichvon Ihnen, Herr Thiele, keinen guten Grund gehört –,warum wir uns jetzt mit diesem Antrag beschäftigen sol-len. Das Kabinett wird sich am Wochenende mit dieserFrage beschäftigen und dann nächste Woche unsere Vor-stellungen zur Finanzierung des Vorziehens der Steuer-reform präsentieren.
Wir haben gestern in der Geschäftsführerrunde verein-bart – hören Sie einmal zu, Herr Gerhardt; vielleicht hatHerr van Essen Ihnen dies nicht erzählt –, dass wir überdieses Thema am nächsten Freitag im Deutschen Bun-destag debattieren werden.
Warum es dann heute so eilbedürftig ist, das müssten Siejetzt doch einmal erklären. Sie schreien so laut, weil Siees nicht erklären können.
Ich möchte aber auch den Erkenntnisgewinn der Op-position, und zwar beider Fraktionen, durchaus würdi-gen. Wir haben gehört, dass die Opposition das Vorzie-hen der Steuerreform solide finanzieren will. Das findenwir auch in beiden Anträgen, bei der CDU/CSU alsWunsch, während die FDP sogar einen Vorschlag ge-macht hat. Im Wahlkampf haben wir immer noch gehört,das finanziere sich alles selbst, wir müssten Steuern sen-ken, Steuern senken, Steuern senken, koste es, was eswolle. Ich meine, in einer solchen Debatte sollte manden Fortschritt durchaus würdigen und feststellen. Dashilft den weiteren Diskussionen hier im Land.
Aber, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP,Ihr Antrag ist weder in der Sache glaubwürdig noch kon-zeptionell überzeugend. Sie bejammern die viel zu hoheSteuerbelastung. Dazu ist zunächst einmal festzustellen:Gegenwärtig ist unser entscheidendes Problem die vielzu hohe Abgabenbelastung des Faktors Arbeit. Da müs-sen wir ran; das tun wir mit den Strukturreformen imRahmen der Agenda 2010, die wir auch heute und mor-gen hier im Deutschen Bundestag beraten und wozu dienächsten Gesetzentwürfe in der kommenden Woche hierbehandelt werden. Deshalb sind wir auf einem gutenWeg.Ein Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreformkann einen wichtigen wirtschaftlichen Impuls setzen,obwohl wir sagen müssen: Durch die Steuerreform die-ser Koalition ist Deutschland hinsichtlich der Steuerbe-lastung in Europa relativ gut platziert.
Das haben wir in den letzten Jahren erreicht. Wenn wirbei diesen Schritten jetzt noch etwas an Geschwindigkeitzulegen, wird uns das bei der wirtschaftlichen Entwick-luSpVrgdimzgsgbSmdSsFiIvznuwcgDcadleWg
Meine Damen und Herren, das Entscheidende beimorziehen der Steuerreform ist die Frage der Finanzie-ung. Wenn diejenigen, die das Steuersubventionsabbau-esetz ausgebremst und gerupft haben, nun als Heldenes Subventionsabbaus durch die Lande ziehen, nimmthnen das wirklich niemand ab: niemand im Haus, nie-and bei der Presse und niemand in der Bevölkerung.
Herr Steinbrück und Herr Koch haben in diesem Pro-ess von Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat dieroße Verantwortung übertragen bekommen, ein schlüs-iges sowie in Bundesrat und Bundestag mehrheitsfähi-es Konzept vorzulegen. Ich bin sehr gespannt, was da-ei herauskommt.Aber der Vorschlag der FDP, alle Zuwendungen, alleubventionen des Staates mit dem Rasenmäher gleicher-aßen um 20 Prozent zu kürzen, ist so simpel wieumm und verkehrt.
ie würden auf diese Weise wichtige Mittel für die For-chung, zum Beispiel Zuwendungen an die Deutscheorschungsgemeinschaft,
n gleichem Maße streichen wie die Eigenheimzulage.ch finde, wir müssen zeigen, dass wir auch beim Sub-entionsabbau gestalten, dass wir die Zukunftspoten-iale unserer Gesellschaft weiter entwickeln und scho-en
nd dass wir das, was von gestern und vorgestern ist,as umweltschädlich und veraltet ist, energisch anpa-ken und abbauen.Zum Thema Eigenheimzulage will ich Ihnen eines sa-en:
eutschland ist in weiten Teilen des Landes mit ausrei-hendem Wohnraum versorgt. Dass wir die Menschenntreiben, weiter Immobilien anzuschaffen, indem wiras staatlich subventionieren, bedeutet eine große Fehl-nkung von staatlichen Mitteln.
ir müssen der Bevölkerung auch angesichts des demo-raphischen Wandels sagen, dass es nicht gesichert ist,
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Volker Beck
dass die Immobilien die Wertsteigerung bringen, die ihreine Alterssicherung garantiert.Deshalb müssen wir dieses Thema angehen. Wirbrauchen wahrscheinlich einen linearen Subventionsab-bau. Wir brauchen aber gleichermaßen einen energi-schen Zugriff auf das, was veraltet und nicht mehr zeit-gemäß ist.Noch einen letzten kollegialen Hinweis an die Kolle-gen von der FDP. Wenn es Ihnen mit der Aktualität die-ses Themas wirklich ernst gewesen wäre, dann hättenSie das Instrument der Aktuellen Stunde nutzen können.Sie haben vorgezogen, heute eine Aktuelle Stunde zumThema Tarifautonomie und Streiks in den neuen Län-dern zu beantragen. Auf diese Weise haben Sie Ihre Mu-nition verschossen und beweisen, dass es Ihnen mit derDringlichkeit dieses Debattenpunktes nicht wirklichernst ist,
sondern dass es Ihnen um Klamauk geht. Offensichtlichkommen Sie aus der Rolle des Klamaukmachens einfachnicht mehr heraus.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für denGeschäftsordnungsantrag der Fraktion der FDP? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist ge-gen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 f sowieZusatzpunkt 2 auf:3 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-rung zu den Ergebnissen des Europäischen Ra-tes in Thessaloniki am 20./21. Juni 2003b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 16. April 2003 über den Beitritt derTschechischen Republik, der Republik Est-land, der Republik Zypern, der Republik Lett-land, der Republik Litauen, der Republik Un-garn, der Republik Malta, der Republik Polen,der Republik Slowenien und der SlowakischenRepublik zur Europäischen Union– Drucksachen 15/1100, 15/1200 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheitender Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOc) Erste Beratung des von den Abgeordneten ErnstBurgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,Daniel Bahr , weiteren Abgeordnetenund der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund-
richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union zu demAntrag der Abgeordneten Peter Hintze, PeterAltmaier, Dr. Gerd Müller, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der CDU/CSUEin Verfassungsvertrag für eine bürgernahe,demokratische und handlungsfähige Europäi-sche Union– Drucksachen 15/918, 15/1138 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael Roth
Peter AltmaierAnna LührmannSabine Leutheusser-Schnarrenbergere) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union zu demAntrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer,Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, DanielBahr , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPInitiativen des Brüsseler Vierergipfels zurEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungs-union über den Europäischen Verfas-sungskonvent vorantreiben– Drucksachen 15/942, 15/1139 –Berichterstattung:Abgeordnete Hedi WegenerPeter HintzeRainder SteenblockSabine Leutheusser-Schnarrenbergerf) Beratung des Berichts des Ausschusses für dieAngelegenheiten der Europäischen Union
gemäß § 93 a Abs. 4 der Ge-
schäftsordnung zu der Unterrichtung durch dieBundesregierungVermerk des Präsidiums für den KonventOrgane – Entwurf von Artikeln für Titel IVdes Teils 1 der Verfassung –CONV691/03– Drucksachen 15/1041 Nr. 3.1, 15/1163 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael Roth
Peter AltmaierAnna LührmannSabine Leutheusser-Schnarrenberger
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Präsident Wolfgang ThierseZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten PeterHintze, Michael Stübgen, Peter Altmaier, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUZum Stand der Beratungen des EU-Verfas-sungsvertrages– Drucksache 15/1207 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheitender Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussSportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussZur Regierungserklärung liegen zwei Entschließungs-anträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung zweieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Euro-päische Union steht vor einer der wichtigsten Weichen-stellungen ihrer Geschichte. In nur knapp einem Jahrwerden zehn neue Mitglieder aufgenommen. Damit wirddie Teilung unseres Kontinents endgültig aufgehoben.Der Konvent für eine europäische Verfassung hat seineArbeiten vor wenigen Tagen weitestgehend abgeschlos-sen. Der Weg hin zur Erweiterung und zu einem nötigenund grundlegenden Integrationsfortschritt in der Euro-päischen Union ist somit vorgezeichnet.Vor diesem Hintergrund war der Europäische Rat inPorto Carras bei Thessaloniki vom 19. bis 21. Juni einwichtiges Ereignis. Erstmals nach der Unterzeichnungder Beitrittsverträge saßen die zehn künftigen Mitgliedermit am Tisch und waren an den Verhandlungen beteiligt.Die Erweiterung wird damit immer sichtbarer zur Reali-tät. Die letzte Etappe auf dem Weg zu einer Europäi-schen Verfassung wurde in Thessaloniki eingeleitet.Sowohl im Konvent als auch beim Europäischen Rat– das war keine Selbstverständlichkeit – haben die künf-tigen Mitglieder schon vollkommen gleichberechtigtmitgearbeitet. Dies zeigt: Es gibt zumindest für die er-wfseuvEwAPffAsueplseKpnhmnmEsVliBtaspwhkmDSguM
Man kann jetzt mit Fug und Recht sagen, dass sichnter der griechischen Präsidentschaft die EU nachorne bewegt hat. Der Rat von Thessaloniki verlief füruropa sehr erfolgreich. Gerade in Deutschland könnenir mit den Ergebnissen zufrieden sein. Viele unserernliegen wurden berücksichtigt und zahlreiche unsererositionen durch den Europäischen Rat in den Schluss-olgerungen bestätigt.Valéry Giscard d'Estaing, der Präsident des Konventsür eine europäische Verfassung, hat nach 16 Monatenrbeit der griechischen Ratspräsidentschaft den Verfas-ungsentwurf übergeben. Was noch vor wenigen Jahrentopisch zu sein schien, ist heute Realität: der Entwurfiner Verfassung für Europa, erarbeitet von einem euro-äischen Konvent, der zu mehr als zwei Dritteln aus Par-amentariern bestand.Auf dem Weg zum Jahrhundertprojekt einer europäi-chen Verfassung sind wir durch den Konvent einenntscheidenden Schritt vorangekommen. Einen solchenonvent – zusammengesetzt aus Mitgliedern des Euro-äischen Parlaments, der Nationalparlamente, der natio-alen Regierungen und der Europäischen Kommission –at es noch nie gegeben. Ich denke, allein diese Zusam-ensetzung spricht schon für sich. Dass dieser Konventoch ein erfolgreiches Ergebnis hervorgebracht hat, isteines Erachtens in der Tat eine historische Leistung.
in Dank für diese Leistung gebührt an erster Stelleelbstverständlich dem Präsidenten des Konvents,aléry Giscard d’Estaing, aber auch allen anderen Betei-igten.16 Monate wurde hart miteinander gerungen; Monatentensiver Verhandlungen und Arbeit liegen hinter uns.ei 28 beteiligten Staaten und noch vielen weiteren Ak-euren ist jedoch klar: Ein Ergebnis, das gleichermaßenlle Wünsche und Vorstellungen berücksichtigt, ist pere nicht denkbar. Das Ergebnis muss vielmehr ein Kom-romiss sein. Meines Erachtens ist der vorliegende Ent-urf ein sehr gut ausbalancierter Kompromiss; denn esandelt sich keinesfalls um ein Minimalergebnis aufleinstem gemeinsamen Nenner. Es handelt sich viel-ehr um einen fairen Interessenausgleich, der vor alleningen – das war der schwierigste Punkt – bis zumchluss die Belange der kleinen wie der großen Mit-liedstaaten in Betracht zieht.
Bei der künftigen europäischen Verfassung geht esm zwei zentrale Aspekte. Zum einen geht es um einehr an Transparenz, an Bürgernähe und an Demokratie
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Bundesminister Joseph Fischerin Europa. Hier sieht der Entwurf unter anderem eineklare Kompetenzordnung vor. Lassen Sie mich an dieserStelle die Subsidiaritätsklausel erwähnen. In der Subsi-diaritätsklausel wird gleichzeitig ein Verfahren definiert,in dem die Kontrollfunktionen der nationalen Parla-mente im europäischen Gesetzgebungsverfahren fest-geschrieben sind. Das heißt, es liegt in den Händen dereuropäischen Nationalparlamente, mit dem Subsidiari-tätsgebot im Gesetzgebungsverfahren tatsächlich ernstzu machen.Neben der klaren Kompetenzordnung, die ich geradeerwähnt habe, will ich noch die Gewährleistung bürger-naher Entscheidungen, ein neues Bürgerbegehren, das esEU-Bürgern ermöglicht, die Kommission zu einem Ge-setzesvorschlag aufzufordern, die enge Einbeziehungder nationalen Parlamente, die Stärkung der Rechte unddamit – ich will das hinzufügen – die größere Verantwor-tung des Europäischen Parlaments sowie die Festigungder Europäischen Union als Wertegemeinschaft nennen.Zum anderen geht es um die Verbesserung derHandlungsfähigkeit der Union. Das institutionelleDreieck in der erweiterten Union der 25 und mehr wirdinsgesamt gestärkt, dabei vor allen Dingen diejenigenInstitutionen, die das Gemeinschaftsinteresse vertreten:das Europäische Parlament und die Kommission.Darüber hinaus werden vorgeschlagen: Instrumentefür eine handlungsfähigere Außen- und Sicherheitspoli-tik unter Einschluss eines europäischen Außenministers,sodass es eine klarere europäische Stimme nach außengeben wird, die Ausweitung der Entscheidungen mitqualifizierter Mehrheit und nicht zuletzt die spürbareVereinfachung aller Instrumente und Verfahren.Beides, mehr Bürgernähe und Demokratie sowieeine größere Handlungsfähigkeit, waren KernanliegenDeutschlands bei den Verhandlungen. Daher können wirmit dem jetzt offiziell vorliegenden Resultat zufriedensein. Deutschland kann über das Ergebnis nur schwer-lich klagen. Das zeigen auch die positiven Reaktionenbei uns im Land. Wir freuen uns, dass der Konventsent-wurf – mit wenigen Ausnahmen – auf allgemeine Zu-stimmung trifft.
Ich möchte hier ganz besonders betonen, wie gut dieparteiübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der deut-schen Delegation und auch zwischen Bund, Ländern undden Regionalvertretern gewesen ist. Ganz besondersmöchte ich hervorheben, dass Ministerpräsident Teufelals Konventsvertreter des Bundesrates und die übergroßeMehrheit der deutschen Länder das Ergebnis sehr positivaufgenommen haben. Wir haben im Konvent mit ihnenebenso wie mit den Vertretern des Bundestages, Profes-sor Jürgen Meyer und Peter Altmaier, eng und, wie ichfinde, sehr konstruktiv zusammengearbeitet. Ich möchteihnen allen dafür danken.
Meine Damen und Herren, der Entwurf der europäi-schen Verfassung fand auch in Thessaloniki großeZSmbsPiKrVgdPhKdddrSDBinstBwekVBctuSßATsdsaeJTgcg
Kurz, intensiv und ergebnisorientiert, so sollte dererlauf der Regierungsberatungen sein. Es ist daher fol-erichtig, dass die Konferenz nur auf politischer Ebeneurchgeführt wird. Der Kompromiss, der im Konvent alsaketkonsens erzielt wurde, muss als Ganzes Bestandaben. Lassen Sie mich auch das klarstellen: Wer denonsens in einem Punkt öffnet, trägt die Verantwortungafür, einen neuen Konsens herbeizuführen. Ich wageie Prophezeiung: Das wird alles andere als einfach wer-en.Wir haben in Thessaloniki beschlossen, die Regie-ungskonferenz im Oktober dieses Jahres einzuberufen.ie soll ihre Arbeiten sobald wie möglich abschließen.enn wir müssen den europäischen Bürgerinnen undürgern vor den Wahlen zum Europäischen Parlamentm Juni 2004 genügend Zeit lassen, sich mit den Ergeb-issen vertraut zu machen. Wir haben weiter beschlos-en, dass die zehn neuen Mitgliedstaaten gleichberech-igt an der Regierungskonferenz teilnehmen werden. Dieeitrittskandidaten Rumänien, Bulgarien und die Türkeierden einen Beobachterstatus besitzen.Wir sind überzeugt, dass die Regierungskonferenz zuinem schnellen und zufrieden stellenden Abschlussommt. Die europäische Verfassung, unsere europäischeerfassung, ist ein Jahrhundertprojekt. Sie muss denürgerinnen und Bürgern die Vorteile Europas verdeutli-hen, ihnen Vertrauen in die Europäische Union vermit-eln und die Europäische Union insgesamt nach innennd außen handlungsfähiger machen.Der Gipfel von Thessaloniki hat gezeigt: Die von denkeptikern immer wieder totgesagte Gemeinsame Au-en- und Sicherheitspolitik der EU ist sehr lebendig.uf dem Rat wurde eine Vielzahl von außenpolitischenhemen behandelt. Wir konnten dabei beachtliche Fort-chritte verzeichnen.Ein Kernpunkt dabei war die Sicherheitsstrategieer Europäischen Union. Die Außenminister hatten dazuchon im Mai die Initiative ergriffen und den Hohen Be-uftragten für Außen- und Sicherheitspolitik beauftragt,ine solche Strategie zu erarbeiten. In Thessaloniki hatavier Solana dem Rat einen ersten Entwurf mit demitel „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ vor-estellt. Wir waren uns alle einig: Es ist ein viel verspre-hendes Dokument geworden; Solana hat eine hervorra-ende Arbeit geleistet.
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Bundesminister Joseph FischerZugrunde liegt diesem Dokument ein umfassender Si-cherheitsbegriff, der die ganze Bandbreite möglicher Ri-siken und Gefahren für die europäische Sicherheit undStabilität beschreibt. Die neuen Bedrohungen sind nichtrein militärischer Natur. Deshalb kann gegen sie auchnicht rein militärisch vorgegangen werden. Diese Erfah-rung machen wir ja gegenwärtig.Diesem umfassenden Sicherheitsbegriff entspricht da-her ein breites Spektrum von Mitteln zum Krisenma-nagement und vor allen Dingen auch zur Prävention.Auf diesen Ansatz haben wir besonderen Wert gelegt. Eskommt darauf an, Konflikte und Krisen durch geeigneteMaßnahmen schon im Vorfeld zu entschärfen oder garzu verhindern.
Ziel der Europäischen Union muss bleiben, noch vorKrisenbeginn angemessen zu reagieren. Der diplomati-schen Prävention muss daher höchster Stellenwert einge-räumt werden.Die Bedrohungsanalyse der SicherheitsstrategieSolanas macht drei Hauptgefahren fest: Terrorismus,Massenvernichtungswaffen und die aus gescheitertenStaaten resultierenden Gefahren sind die zentralen Be-drohungen, denen wir uns ausgesetzt sehen. Diesen He-rausforderungen muss durch eine reaktionsfähigereEuropäische Union begegnet werden, die aktiver und ko-härenter handelt.In Zukunft muss die EU bei Fehlentwicklungen frü-her und entschiedener aktiv werden. Aber an dieserStelle sei erneut deutlich gemacht: Auch wenn wir unterden Zwangsmaßnahmen militärische im Grundsatz nichtausschließen können, müssen sie letztes, müssen sie al-lerletztes Mittel bleiben. Sie dürfen nur in Übereinstim-mung mit Art. 51 und Kap. VII der Charta der VereintenNationen erfolgen – und nur dann, wenn andere Maß-nahmen nicht zum Ziel geführt haben. Dies war und istauch die Position der Bundesregierung.
Javier Solana wurde in Thessaloniki von den Staats-und Regierungschefs beauftragt, die Strategie auszuar-beiten und weiterzuentwickeln, und zwar in enger Ab-stimmung mit den Mitgliedstaaten und der Kommission.Bis zum kommenden Gipfel Ende des Jahres in Romsollen die Arbeiten dazu abgeschlossen werden. Nachder ermutigenden Aufnahme, die das Dokument in Thes-saloniki fand, sind wir zuversichtlich, dass dem HohenRepräsentanten der Europäischen Union dies gelingenwird.Meine Damen und Herren, in Thessaloniki haben wiruns auch mit dem Konflikt im Nahen Osten befasst. DieEU ist ein Teil des Quartetts und war an der Abfassungder Roadmap ganz wesentlich beteiligt. Lassen Siemich das sagen: Angesichts dessen, was die viel ge-scholtene Außenpolitik der Europäischen Union in derjüngsten Vergangenheit im Nahen Osten geleistet hat, istihUelhgMmSrsErtaamürvdszzwjeinbmdsvSkrRFChDwvEuih
Die so genannte Nahost-Roadmap hätte es ohne dieuropäische Initiative nicht gegeben. Die Reform der pa-ästinensischen Behörde und damit die neue Regierungätte es ohne den nimmermüden Einsatz vor allen Din-en des jetzt ausscheidenden Sonderbeauftragten Migueloratinos nie gegeben, genauso wenig den neuen Pre-ierminister. Deswegen möchte ich auch von diesertelle aus Miguel Moratinos, dem Nahostbeauftragten,echt herzlich für die vielen Jahre nie ermüdenden Ein-atzes und nie ermüdender Arbeit danken. Er hat ganzntscheidendes geleistet.
Meine Damen und Herren, dasselbe gilt für die He-anführungsstrategie für die Türkei und für die Assozia-ionsabkommen, die wir mit Ausnahme von Syrien mitllen arabischen Anrainerstaaten, aber auch mit Israelbgeschlossen haben. Das gilt für den Mittelmeerprozessit den südlichen Anrainerstaaten – das einzige Formatbrigens, wo sich selbst in den krisenhaftesten Zeiten Is-aelis und Araber getroffen haben. Das darf man nichtergessen. Erst wenn dieser Prozess nicht mehr durchen Konflikt im Nahen Osten blockiert wird, wird ereine eigentliche Dynamik entfalten und das Mittelmeeru einem Raum des wirtschaftlichen Wachstums, der so-ialen Sicherheit, des Friedens und des Wohlstandes ent-ickeln können.Der Golf-Kooperationsrat, aber auch – das stellen wirtzt fest – die Verhandlungen mit dem Iran sind gerade dieser kritischen Situation, in der es zu Recht eine De-atte über das iranische Atomprogramm gibt, Instru-ente europäischer Außenpolitik. Die Tatsache, dass wirurch die Verfassung neue institutionelle Zusammen-chlüsse und eine entsprechende Repräsentanz schaffen,erdeutlicht, welche Bedeutung diese Politik für unsereicherheit im 21. Jahrhundert tatsächlich gewinnenann.
Zurück zum Nahostkonflikt. Die Staats- und Regie-ungschefs waren sich in Thessaloniki einig, dass dieoadmap eine neue und wichtige Chance darstellt, denrieden in dieser Region herbeizuführen. Damit diesehance nicht verpasst wird, muss die Roadmap inner-alb ihrer klaren zeitlichen Vorgaben umgesetzt werden.ie Umsetzung ist der entscheidende Punkt. Darüberar man sich in Thessaloniki einig. Andauernde Gewaltor Ort darf die Umsetzung nicht gefährden.Der Rat begrüßte zudem ausdrücklich das persönlichengagement von Präsident Bush für die Roadmap undnterstrich die Bereitschaft der Europäischen Union, zurer Umsetzung umfassend beizutragen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4315
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Bundesminister Joseph FischerDie Erweiterung der Europäischen Union – wie ofthaben wir in diesem Hause darüber gestritten; nicht überdie Sache als solche, sondern eher über die Zeitpläne, dieErnsthaftigkeit und Ähnliches? – wird mit der Aufnahmeder zehn neuen Länder im nächsten Jahr noch nicht ab-geschlossen sein. In Thessaloniki haben wir Rumänienund Bulgarien nochmals bestätigt, dass unser Ziel, sie2007 in die Union aufzunehmen, weiterhin Bestand hat.Jetzt sind diese beiden Länder am Zuge. Sie bestimmenmit ihren Reformen und – das ist noch wichtiger – mitihren innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen selbstdas Tempo ihres Beitrittsprozesses. Wir glauben, dass siees bis zu dem geplanten Aufnahmetermin tatsächlichschaffen können, die Voraussetzungen für eine Auf-nahme zu erfüllen, wenn sie sich ernsthaft engagieren.Auf dem Westbalkangipfel, der im Anschluss an denRat stattgefunden hat, bekräftigten die Staats- und Re-gierungschefs der EU nochmals die europäische Per-spektive aller Länder in dieser Region: Es liegt in derHand dieser Staaten, die Kriterien zu erfüllen, die ihnendie Perspektive eines Beitritts eröffnen. PolitischePreise, politische Kulanzentscheidungen, darf und wirdes dabei aber nicht geben; denn es handelt sich um ob-jektive Kriterien, die erfüllt werden müssen. Das wurdeim Beschluss von Helsinki für den Beitrittsprozess ins-gesamt fixiert. Ich finde, das war ein sehr kluger und zu-kunftsweisender Beschluss.
Wir wollen die Beziehungen der Länder des westli-chen Balkans zur EU weiter intensivieren, bis hin zurPerspektive einer späteren Mitgliedschaft. Die Europäi-sche Union ist bereit, einen substanziellen Beitrag zurStabilisierung auf dem Balkan zu leisten. Dabei gilt fürdie Länder dieser Region: Eine erfolgreiche Reformpoli-tik im Inneren ist die Voraussetzung für eine engere Ko-operation mit den Staaten der Europäischen Union.
Die Schaffung eines starken und handlungsfähigenEuropas entspricht eindeutig unseren nationalen Interes-sen; denn einzelne europäische Staaten, selbst die größ-ten, können weder für sich alleine noch in wechselnderAllianz ihre Interessen auf Dauer wirksam vertreten. Nurgemeinsam, als Europäische Union, haben die europäi-schen Staaten die Chance, das 21. Jahrhundert nachhal-tig mit zu gestalten. Gerade die Krisen der jüngsten Zeithaben gezeigt, dass dies die machtpolitische Wirklich-keit des beginnenden 21. Jahrhunderts ausmacht.Thessaloniki war ein wichtiger Schritt hin zu diesemstarken und handlungsfähigen Europa. Wir sind zuver-sichtlich, dass wir auf diesem Weg weiter voranschreitenwerden.Ich danke Ihnen.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Aus der Sicht des Landes Baden-Württemberg,as in seiner Geschichte unter den deutsch-französischenriegen und den europäischen Bürgerkriegen ganz be-onders gelitten hat, bin ich ein überzeugter Europäer.uropa ist für mich zuerst eine Friedensordnung. Weilch will, dass das 21. Jahrhundert so aussieht wie dieweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und nicht wie dierste Hälfte des 20. Jahrhunderts, setze ich mich aus gan-er Überzeugung für Europa ein.
n diesem Zusammenhang ist die Erweiterung der Euro-äischen Union um zehn osteuropäische und südosteuro-äische Länder ein großer Fortschritt für eine umfas-ende Friedensordnung.Das europäische Projekt darf nicht scheitern. Es mussoch jedem Europäer zu denken geben, dass Volksab-timmungen in einigen Ländern gescheitert sind und inielen Ländern, auch in Deutschland, die Akzeptanz deruropäischen Union in den monatlichen Umfragen kon-inuierlich auf unter 50 Prozent gesunken ist. Aus meinericht gibt es dafür einen Hauptgrund: Die Bürgerinnennd Bürger übersehen die europäischen Angelegenhei-en nicht mehr. Sie sind zu wenig transparent, zu weiteg, zu unübersichtlich und die Bürger haben denindruck, die Europäische Union kümmere sich um tau-enderlei Dinge, die auf kommunaler Ebene oder Län-erebene weit bürgernäher, besser, effizienter und trans-arenter gelöst werden könnten.Europa muss also vom Kopf auf die Füße gestellterden. Nach dem Subsidiaritätsprinzip muss Europaon unten nach oben gebaut werden mit dem Vorrang fürie jeweils kleinere Einheit. Ich bin für ein starkes Eu-opa, aber Europa ist doch nicht dann stark, wenn es sichm tausenderlei Dinge kümmert, sondern es ist stark,enn es sich um die richtigen Aufgaben kümmert.
Die richtigen Aufgaben lassen sich ganz genau defi-ieren. Es sind die Aufgaben, deren Bewältigung überie Kraft des Nationalstaates hinausgehen, also Fragener Außen- und Sicherheitspolitik, der Verteidigungspo-itik, selbstverständlich Fragen der Währungspolitik,enn man eine gemeinsame Währung hat, Fragen desinnenmarktes, wenn man einen gemeinsamen Marktat, Fragen der Außenhandelspolitik, Fragen der grenz-berschreitenden Umweltpolitik, Fragen der Großfor-chungspolitik. All das sind klassische europäische Auf-aben.
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4316 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Ministerpräsident Erwin Teufel
Diese Zielsetzungen waren die Leitlinien für die Be-schlüsse des Bundesrates und der Ministerpräsidenten-konferenz, das spiegelte sich in den vergangenen zehnoder 15 Jahren nicht nur in hoher, sondern in umfassen-der Übereinstimmung aller 16 deutschen Länder wider.Es ist ein hohes Gut, dass wir eine übereinstimmendeAuffassung über die Zukunft der Europäischen Unionhaben. Das hat uns in den letzten 15 Jahren im Verhältniszum Bund geholfen und das hat uns jetzt bei den Bera-tungen im Europäischen Konvent sehr geholfen. Fürdiese gemeinsame Zielsetzung habe ich mich aus Über-zeugung eingesetzt. Ich erhielt dabei vielfältige Unter-stützung von deutschen Konventsteilnehmern, beispiels-weise von den Vertretern der Bundesregierung,Professor Glotz und Außenminister Fischer, von denVertretern des Bundestages, Professor Meyer und PeterAltmaier, und von den Vertretern des Bundesrates, Mi-nister Senff und später Minister Gerhards. Dafür möchteich mich ausdrücklich bedanken.
An diesen Zielen messe ich jetzt auch das Ergebnisdes Konvents mit der Überschrift „Viel erreicht, aus derSicht der deutschen Länder aber noch einige wichtigeFragen offen“. Aus der Sicht der Länder möchte ich zu-nächst einmal sagen, dass wir einige wesentliche Ergeb-nisse nur durch die direkte Unterstützung von PräsidentGiscard d’Estaing erreicht haben, was ich ganz beson-ders dankbar vermerken möchte.Meine Damen und Herren, es wurde viel erreicht. Da-für möchte ich einige Beispiele nennen. Es gibt in derVerfassung eine klare Kompetenzordnung. Das hättevor einem Jahr, selbst noch vor einem halben Jahr nie-mand für möglich gehalten. Bisher hat Europa jede Auf-gabe an sich gezogen, die es bekommen konnte.Was waren die großen Einfallstore für immer neueAufgabenverlagerungen auf die europäische Ebene? Daserste Einfallstor war der Artikel zum Binnenmarkt, derden Wettbewerb regelt. Ich muss mich fragen, was ei-gentlich nicht zum Wettbewerb gehört. Auf diesem Weghat sich die EU in alle Bereiche eingemischt, von derkommunalen Daseinsvorsorge über die Sparkassen bishin zur Kultur und zu den Medien.Das zweite Einfallstor ist die Generalermächtigungaus Art. 308. Mir sagten zwei Kommissare ganz offen:Wenn wir in den Verträgen keine Kompetenz gefundenhaben, dann haben wir uns auf Art. 308 gestützt.Das dritte Einfallstor stellen die allgemeinen Zieledar. Jeder europäische Vertrag beginnt auf zwei bis vierDIN-A4-Seiten mit allgemeinen Zielen. Das ist Lyrik.Wenn man diese allgemeinen Ziele als Kompetenzbe-gründung nimmt, dann gibt es kein Halten mehr, danngibt es keinen Bereich, für den Europa nicht zuständigist.
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as ist ein ganz zentraler Punkt. Wir haben die klareompetenzordnung – übrigens durchaus nach dem Mus-er unseres Grundgesetzes – mit ausschließlicher Zustän-igkeit der Europäischen Union, geteilten Zuständigkei-en und ergänzenden Zuständigkeiten.Genauso wichtig wie diese Kompetenzkategorien ist,ass die Europäische Union künftig bei alle Aufgaben,ie sie haben wird, drei Prinzipien beachten muss: ers-ens die begrenzte Einzelfallermächtigung – das ist dasegenmodell zu den allgemeinen Zielen –, zweitens denrundsatz der Verhältnismäßigkeit und drittens das Sub-idiaritätsprinzip.Diese Prinzipien stehen – das ist außerordentlichichtig – nicht als hehre Ziele im Vertrag, so wie bei-pielsweise das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag vonmsterdam und – schon früher – im Vertrag vonaastricht, wodurch sich allerdings überhaupt nichts ge-ndert hat; diese Ziele sind vielmehr zum ersten Mal be-ehrt. Zum ersten Mal werden die nationalen Parla-ente zum Zeitpunkt einer Gesetzesinitiative derommission sozusagen in einem Frühwarnsystem ein-eschaltet. Ich glaube, das ist ein wesentlicher Fort-chritt für Bundestag und Bundesrat. Es kommt jetzt da-auf an, dass wir diese Möglichkeit auch nutzen.
Bundestag und Bundesrat können im Rahmen ihreruständigkeit Einwände wegen Verletzung des Subsidia-itätsprinzips einbringen. Zum ersten Mal bekommen siein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof, wenn sieas Subsidiaritätsprinzip und die Kompetenzordnungerletzt sehen. Durch eine entsprechende innerstaatlicheegelung kann auch das Klagerecht jedes deutschenundeslandes begründet werden. Wir sind hier auf gu-em Weg, und zwar einvernehmlich mit der Bundesre-ierung. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
ll dies ist für den Bundestag und den Bundesrat, aberuch für die Bürgernähe, für ein Europa von unten nachben von entscheidender Bedeutung.Auch in einem anderen Punkt wurde viel erreicht. Dierundrechtecharta als Ausdruck der Wertegemein-chaft Europas wird rechtsverbindlich. Alle Teile deserfassungsvertrags haben die gleiche Rechtsqualität.as heißt, alle Vertragsänderungen bedürfen der Zustim-ung aller Mitgliedstaaten.
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Ministerpräsident Erwin Teufel
Zum ersten Mal wurde das kommunale Selbstverwal-tungsrecht in einem europäischen Vertrag verankert.
In der gesamten europäischen Geschichte haben vor al-lem die Städte und Gemeinden Europa getragen. Bishersind sie in einem europäischen Vertrag überhaupt nichtvorgekommen. Vor allem dafür, dass das geändertwurde, habe ich mich eingesetzt; denn die Gemeindenund Städte sind das Fundament einer europäischen Ord-nung.
Meine Damen und Herren, es gibt keinen Artikel übereine offene Koordinierung. Auch das ist ein wichtigerFortschritt. Die Regelung des Verhältnisses zwischenStaat und Kirche bleibt Teil der nationalen Identität undZuständigkeit. Es gibt künftig einen Legislativrat, deröffentlich tagen muss. Es ist doch ein Ding der Unmög-lichkeit, dass die europäische Gesetzgebung bisher unterAusschluss der Öffentlichkeit vollzogen wurde.
Es war das einzige demokratische Parlament der Welt,das nicht öffentlich getagt hat. Dieser Fehler ist behobenworden und die Änderung ist nun Teil der Verfassung.
Beim Übergang zu Mehrheitsentscheidungen konntenwir eine doppelte Mehrheit durchsetzen: Mehrheit derStaaten und sogar eine 60-prozentige Mehrheit der Bür-ger. Ich glaube, gerade die Bundesrepublik Deutschland– die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundes-rat – sollte diesen Punkt berücksichtigen und es sichzehnmal überlegen, bevor sie das Paket wieder auf-schnürt und diese Möglichkeit unter Umständen wiederaufs Spiel setzt.
Das Europäische Parlament wurde gestärkt. Auch daswar ein wichtiges Anliegen. Als Bürgerkammer ist eskünftig ein weitestgehend gleichwertiger Gesetzgeberneben dem Legislativrat. Auch das halte ich für einengroßen Erfolg.
Schließlich bleiben die Mitwirkungsrechte der Länderim Ministerrat, die wir im Vertrag von Maastricht erst-mals verankert haben, erhalten.Meine Damen und Herren, nun verhehle ich nicht,dass ich mit einigen wesentlichen Ergebnissen nicht zu-frieden bin. Teilweise können sie noch geändert werden,nämlich dann, wenn sie Teil III betreffen, über den imJuli in drei Sitzungen beraten wird. Sie könnten auch inder Regierungskonferenz geändert werden, falls das Pa-ket wieder aufgeschnürt wird. Aber wie gesagt: Das soll-ten wir uns überlegen. Gleichzeitig sollten wir bereitsein, unsere Änderungswünsche zu allen Teilen derVerfassung einzubringen, wenn andere das Paket wiederaufschnüren.
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Meine Damen und Herren, die Flexibilitätsklausel inrt. 17 ist zwar nicht mehr so weit gehend wie im altenrt. 308, aber eine Flexibilitätsklausel ist im Grunde ge-ommen auch überflüssig, wenn man eine klare Kompe-enzordnung hat. Die Flexibilitätsklausel ist auf jedenall zu weit gehend formuliert.Die in den bestehenden EU-Verträgen geltenden Zu-tändigkeiten der Mitgliedstaaten bei der Koordinie-ung der Wirtschaftspolitik, der Beschäftigungspolitiknd der Sozialpolitik müssen erhalten bleiben. Die Bin-enmarktklausel in Art. III-62 des Verfassungsent-urfs, die noch zu beraten ist, muss aus unserer Sichträzisiert werden. Die Finanzierung der Europäischennion aus Eigenmitteln muss der Kontrolle durch alleitgliedstaaten unterliegen. Die EU-Finanzierung musso ausgestaltet sein, dass finanzielle Risiken füreutschland begrenzt bleiben. Eine EU-Steuer wäre deralsche Ansatz.
Zu all diesen, den Teil III betreffenden Punkten habech zahlreiche konkrete Änderungsanträge für die fol-enden drei Sitzungen gestellt. Gestern las ich in einerpa-Meldung, dass der SPD-Europapolitiker Michaeloth Außenminister Fischer kritisiere, weil dieser fürie abschließende Beratung im Konvent 57 Änderungs-nträge gestellt habe.
ch frage mich, warum das zu kritisieren ist. Teil III dererfassung wurde bisher nicht nur im Konvent nicht be-aten. Er wurde uns überhaupt erst vor zehn Tagen vor-elegt. Er ist noch nicht einmal im Präsidium des Kon-ents beraten worden. Es ist deshalb logisch, dass wirnderungswünsche beim Teil III haben und dass wir uns
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Ministerpräsident Erwin Teufel
alle bis zur letzten Minute dafür einsetzen, unsere Wün-sche tatsächlich durchzusetzen.
Abschließend möchte ich sagen: Wir haben viel er-reicht und wir wollen noch einiges erreichen. Europamuss eine gute und bürgernahe Verfassung bekommen.Europa muss in eine gute Verfassung kommen.
Ich erteile dem Kollegen Günter Gloser, SPD-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! „Idee Europa. Entwürfe zum Ewigen Frieden“,so lautet der Titel einer Ausstellung im HistorischenMuseum. Wer den ersten Teil dieser Ausstellung be-trachtet, ist auf der einen Seite von den vielen Missionenbeeindruckt, die in den letzten Jahrhunderten für diesesEuropa entwickelt worden sind. Auf der anderen Seiteaber sieht er, welche Realitäten in diesen Jahrhundertengeherrscht haben: Angriffskriege, Kriege, mit denenVereinigungen herbeigeführt werden sollten, Erbfolge-kriege und viele mehr. Kurzum: Kriege, Konflikte,menschliches Leid und viele tote Menschen.Der zweite Teil zeigt auf, wie sich Europa heute ent-wickelt. Das ist die Verbindung zur aktuellen Debatte imDeutschen Bundestag. Für die SPD kann ich – auch inAnlehnung an diese Ausstellung – sagen: Wir sind dabei,vom Europa der Utopien zum Europa der Nationen zugelangen. Mehr noch: Wir wollen vom Europa derNationen zum Europa der Völker und der Bürger ge-langen.
Auf diesem Weg – dieser Weg ist nicht immer einfachgewesen – haben wir Erfolge zu verzeichnen. Diesewichtigen Erfolge sind für Europa und die Zukunft unse-res Kontinents von ausschlaggebender Bedeutung: dieErweiterung der Europäischen Union und die Vertie-fung des europäischen Integrationsprozesses. Beidegroße Themen sind zwei Seiten einer Medaille, die sichnur zusammen zu einem Ganzen fügen. Das Erreichteberuht auf dem Willen, die europäische Teilung endgül-tig zu überwinden, und auf der Einsicht, dass keiner derNationalstaaten fähig sein wird, die Herausforderungendes 21. Jahrhunderts im Alleingang zu meistern. Des-halb ist es gut und richtig, heute beide Themen in dieserEuropadebatte zusammenzuführen.Die fortschreitende Einigung Europas, die Erweite-rung der EU um zunächst zehn neue Mitglieder, dieSchaffung des weltgrößten Binnenmarkts und die ge-wachsene internationale Verantwortung stellen uns vorneue Aufgaben, von deren Bewältigung es abhängenwhtcDBPmgWu–gnmnvilgevnwdTrtDÜnmsrdftgiddPaews
ir haben uns diesem Projekt verschrieben. Wir habenns dafür eingesetzt und trotz vieler EinwendungenAußenminister Fischer hat das vorhin gesagt – über soenannte Zeitpläne unser Ziel erreicht. Wir werden imächsten Jahr in einer feierlichen Zeremonie das Doku-ent über den Beitritt zehn weiterer Länder unterzeich-en.
Die entsprechende Bewertung des Verfassungskon-ents durch uns ist ein wichtiges Signal für die Debattenn den Parlamenten der Nachbarländer. Bei der Beurtei-ung des Verfassungsentwurfs kann nicht das im Vorder-rund stehen, was vielleicht wünschenswert, aber nichtrreichbar war. Im Vordergrund der Bewertung mussielmehr stehen, was erreicht worden ist; und das isticht wenig.Wer vor vielen Monaten darüber philosophiert hat,ie der Konvent ausgehen wird, muss heute zugeben,ass sich die Unkenrufe nicht bewahrheitet haben. In derat – Herr Ministerpräsident Teufel, Sie haben das ge-ade auch bestätigt – hat der Konvent gute Arbeit geleis-et.
er hoch gelobte Verfassungsentwurf ist nach meinerberzeugung geeignet, eine gemeinsame Politik in ei-em erweiterten Europa zu gestalten, die sich durchehr Demokratie, mehr Bürgernähe und Transparenzowie größere Handlungsfähigkeit auszeichnet. Der er-eichte Konsens stellt einen ausgewogenen Kompromissar und ist eine gute Grundlage für die europäische Ver-assung.
Viele von uns können sich andere, weiter gehende, in-egrationsfreundlichere Regelungen vorstellen. Aber eseht nicht einfach darum, all unsere Positionen, die wirn Deutschland formuliert haben, durchzusetzen. Es gehtarum, auf der europäischen Ebene mit Ländern, die an-ere Verfassungstraditionen haben, eine gemeinsameosition zu finden. Deshalb bin ich froh darüber, dassuch die Opposition und vor allem die Union wieder zuinem vernünftigen Weg zurückgefunden hat. Denn vorenigen Wochen war im „Kölner Stadtanzeiger“ zu le-en, dass der Landesgruppenchef der CSU gesagt hat
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4319
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Günter Gloser– wenn es richtig zitiert ist –, dass die CSU im Grundekeine Verfassung Europas wolle. Aber, wie so häufig,wird Michael Glos einige Tage später von der Wirklich-keit eingeholt;
denn es heißt in einem Positionspapier von CDU undCSU:Der vorliegende Entwurf ist ein wichtiger Fort-schritt für die Weiterentwicklung der europäischenIntegration und für eine bessere Wahrnehmung derberechtigten Interessen von Bund, Ländern und Ge-meinden.Wie wahr! So schnell können sich die Zeiten ändern,Herr Glos.
Wir sollten sorgfältiger mit dem Konventsergebnisumgehen. Herr Ministerpräsident Teufel, es gibt sicher-lich große Übereinstimmung über das, was Sie vorhingesagt haben. Sie haben jedoch vorhin gesagt, was dieEU-Kommission so alles macht, ohne dabei zu erwäh-nen, dass viele Dinge auf nationale Initiative zurückzu-führen sind, die letztendlich von der Europäischen Kom-mission nur umgesetzt worden sind.Sie haben beispielsweise den leidigen Bankenstreitangesprochen. Sie wissen genauso gut wie ich, wie derentstanden ist. Der ist nicht auf Initiative der EU-Kom-mission, sondern durch die Klage des Verbandes derdeutschen Privatbanken entstanden. Deshalb sollte manklar zwischen berechtigter Kritik an der EuropäischenKommission und ebensolcher an nationalen Institutionenunterscheiden.Der vereinbarte Fahrplan, so wie ihn Außenminis-ter Fischer vorhin dargestellt hat, entspricht unserenHoffnungen, aber auch unseren Erwartungen. Wichtig istaus meiner Sicht, dass die Regierungskonferenz auf derEbene der Staats- und Regierungschefs und der Außen-minister stattfindet. Ich sehe darin einen Garanten dafür,dass das im Konvent erzielte Konsenspaket nicht wiederaufgeschnürt wird.Es ist das Schöne an diesem freiheitlichen Europa,dass ein frei gewählter Abgeordneter auch einmal etwasKritisches anmerken kann, auch wenn der Außenminis-ter vielleicht eine andere Position dazu hat. Wir habenuns schließlich dafür eingesetzt, dies in Europa zu errei-chen.
Vor dem Hintergrund der anstehenden Erweiterung istes zwar eine Selbstverständlichkeit, aber ich möchte estrotzdem noch ausdrücklich würdigen, dass die zehnBeitrittsländer von Anfang an gleichberechtigt an derRegierungskonferenz teilnehmen und dass die übrigenBeitrittsländer einen Beobachterstatus erhalten. AuchwdMsvabrRadgksdzsAwpsaZBfgDEBiwcsGndDwmgesdddt
Die Konventmethode hat sich bewährt. Zum zweitenal hat ein Konvent getagt. Seine Arbeit – besser ge-agt: seine Methode – wird sicherlich in naher Zukunftonseiten der Wissenschaft bewertet werden, die wohluch die eine oder andere Kritik vorbringen wird. Aberei aller Kritik war es wichtig und richtig, nach dem Eu-opäischen Rat in Nizza den Weg der herkömmlichenegierungskonferenzen zu verlassen. Wir freuen unsuch darüber, dass die Konventmethode immer nachem Motto „Mehr Demokratie und mehr Parlament wa-en“ von der Bundesregierung unterstützt wurde. Heuteönnen wir alle feststellen: Es hat sich gelohnt.
Die Akteure, die unser Parlament vertreten haben,ind bereits erwähnt worden. Ich möchte auch vonseitener SPD Professor Jürgen Meyer, der nach dem Konventur Erarbeitung der Europäischen Grundrechte-Chartachon den zweiten Konvent mit bestritten hat, für seinerbeit danken. Es gab aber auch – das soll nicht uner-ähnt bleiben – in der Frage der Ausarbeitung der euro-äischen Verfassung eine gute Zusammenarbeit zwi-chen allen Fraktionen im Parlament. Deshalb gilt meinusdrücklicher Dank Peter Altmaier für die konstruktiveusammenarbeit.
Der Europäische Rat von Thessaloniki hat in vielenereichen – bei der Einwanderung, in Grenz- und Asyl-ragen, aber auch in der Wirtschafts- und Beschäfti-ungspolitik – zahlreiche positive Ergebnisse erzielt.iese sind ein Indikator dafür, dass sich allgemein dieinsicht durchsetzt, dass Politik gerade auch in diesenereichen nur im gesamteuropäischen Kontext möglichst.Wir wissen, dass Europa gestaltungsfähiger Akteurerden muss, der mehr kann, als nur seine wirtschaftli-hen Interessen zu vertreten. Gleichzeitig ist aber das zu-ammenwachsende Europa verpflichtet, angesichts derefahren des internationalen Terrorismus und der inter-ationalen Kriminalität nicht nur seinen eigenen Bürgernas höchstmögliche Maß an Sicherheit zu gewähren.eshalb muss die EU bereit sein, einen Teil der Verant-ortung für die globale Sicherheit zu tragen. Europauss den ökonomischen, politischen, aber auch ideolo-ischen Gefahren politisch begegnen. Die Entwicklunginer neuen europäischen Sicherheitsstrategie ent-pricht diesen Notwendigkeiten.Der jetzt gebilligte Entwurf legt eine detaillierte Be-rohungsanalyse vor und definiert die strategischen Zieleer Europäischen Union. Er kommt zu dem Ergebnis,ass keine der neuen Bedrohungen rein militärischer Na-ur ist und deshalb auch nicht rein militärisch bekämpft
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4320 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Günter Gloserwerden kann. Dieser umfassende Sicherheitsbegriff ent-spricht unserem Anliegen. Unsere Vorstellungen deckensich auch mit den strategischen Zielen der EuropäischenUnion. Diese sind auf die Ausdehnung des Sicherheits-gürtels in und um Europa, auf die Stärkung der Weltord-nung und die Verrechtlichung der internationalen Bezie-hungen ausgerichtet.Die Schaffung der Beitrittsperspektive für die West-balkanstaaten hat die Befriedung der Region zweifellosgefördert. Der von der Europäischen Union in Gang ge-setzte Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess hat dieRahmenbedingungen für Stabilität und Sicherheit aufdem Balkan geschaffen.Der Westbalkangipfel vom 21. Juni 2003 hat konse-quenterweise die Beitrittsperspektive für diese Staatenbekräftigt und die materiellen Voraussetzungen für dieHeranführung an die EU verbessert. Dies ist ein wichti-ges politisches Signal. Die Balkanländer haben es nun inder Hand, das Tempo der Annäherung an die Europäi-sche Union selbst zu bestimmen.Die EU pflegt seit geraumer Zeit enge, auf Zusam-menarbeit ausgerichtete Beziehungen im Rahmen desBarcelonaprozesses. Ich denke, das ist gerade in diesenTagen von Bedeutung, in denen eine Parlamentarierdele-gation aus Marokko im Deutschen Bundestag zu Gastist. Ich glaube aber, dass wir es nicht allein bei dieserStrategie belassen können. Auch hier müssen wir – dazuhat die Kommission auch Vorschläge unter-breitet – völ-lig neue Wege beschreiten, die zwar nicht zur Aufnahmedieser Länder in die Europäische Union führen sollen,durch die aber diese Nachbarschaft entsprechend ge-stärkt wird.Wir haben es nun in der Hand – der Gesetzentwurfliegt uns heute zur ersten Beratung vor –, den Ratifizie-rungsprozess maximal zu beschleunigen und als Deut-scher Bundestag dazu beizutragen, dass der Europäi-schen Union zum 1. Mai 2004 zehn neue Mitgliederbeitreten können.Damit sprechen wir auch unsere Anerkennung für dieerheblichen Transformationsprozesse in den zehn Bei-trittsländern aus. Die Regierungen, aber auch die Bürge-rinnen und Bürger dieser Länder haben enorme Anstren-gungen unternommen. Die positiven Ergebnisse derbisherigen Volksabstimmungen in den Beitrittsländernsollten uns ein zusätzlicher Ansporn sein, den Beitritts-vertrag noch vor der Sommerpause zu ratifizieren.Europas Aufgabe liegt nicht mehr darin und wirdnie wieder darin liegen, die Welt zu beherrschen, inihr mit Gewalt seine Vorstellung von Wohlstandund Gut zu verbreiten oder ihr seine Kultur aufzu-zwingen, nicht einmal darin, sie zu belehren.So schreibt Vaclav Havel 1996. Er fährt fort:Die einzige sinnvolle Aufgabe für das Europa desnächsten Jahrtausends besteht darin, sein bestesSelbst zu sein, das heißt, seine besten geistigen Tra-ditionen ins Leben zurückzurufen und dadurch aufeine schöpferische Weise eine neue Art des globa-len Zusammenlebens mitzugestalten.IdssSKtEdHmrfBjemHbhlugsDwdgVtEgeginGdhssgpK
Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine Leutheusser-
chnarrenberger, FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Liberale Außenminister und die FDP-Bundes-agsfraktion haben sich jahrzehntelang für die Einheituropas in Frieden und Freiheit eingesetzt. Wir habenie Osterweiterung gegen heftige Kritik auch aus diesemaus immer vorangetrieben und immer auf feste Ter-ine gedrängt. Heute ist die erste Lesung zur Ratifizie-ung des Beitrittsvertrages. Gerade das ist auch ein Er-olg liberaler Politik der letzten Jahrzehnte in derundesrepublik Deutschland.
Wir wollten als Liberale immer mehr Europa in den-nigen Bereichen, in denen die Nationalstaaten nichtehr in der Lage sind, die globalen und internationalenerausforderungen wirklich anzunehmen und ihnen zuegegnen. Das sind die Bereiche der Außen-, der Sicher-eits- und der Verteidigungspolitik. Aber natürlich spie-en auch Fragen der inneren Sicherheit, der Innenjustiznd der Rechtspolitik eine große Rolle.Für die FDP-Bundestagsfraktion ist der jetzt vorlie-ende Entwurf einer europäischen Verfassung ein ent-cheidender Schritt für das Zusammenwachsen Europas.ieser Entwurf bietet die bislang grundlegendste Ant-ort der Europäischen Union auf die großen Herausfor-erungen Erweiterung, Demokratisierung und die drin-end notwendige Bürgernähe. Nur mit den jetzt in einererfassung festgelegten rechtsstaatlichen und demokra-ischen Strukturen und Kompetenzverteilungen kann dieuropäische Union mit 25 – und auch mit mehr – Mit-liedstaaten handlungsfähig sein. Nur dann, wenn wirine wirklich gute Verfassung bekommen, ist ein Gelin-en der Osterweiterung möglich, die wir alle, glaube ich,zwischen wollen.
enscher hat Recht: Thessaloniki wird in die Geschichteer Europäischen Union als ein wichtiges Datum einge-en.Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik. Das mussein. Auch der FDP-Bundestagsfraktion geht der Verfas-ungsentwurf in einigen wesentlichen Punkten nicht weitenug. Aber es darf jetzt nicht aus taktischen oder innen-olitischen Motiven versucht werden, den vorliegendenompromiss von über 200 Konventmitgliedern, ordent-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4321
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Sabine Leutheusser-Schnarrenbergerlichen und stellvertretenden, aus 25 Staaten kleinzure-den. Im Gegenteil: Es sollte in den Beratungen über dendritten Teil der Verfassung das hervorgehoben werden,was gelungen ist, und es sollten Chancen zur Verbesse-rung dort genutzt werden, wo es noch möglich ist; dennbei diesen Beratungen wird nicht nur über technischeFragen verhandelt werden.Die Vorlage eines im Konsens gefundenen Verfas-sungsentwurfs ohne Optionen ist für die Regierungskon-ferenz Verpflichtung, die ersten beiden Teile nicht gene-rell wieder aufzuschnüren; denn dann kommt imZweifelsfall weniger an Demokratie, Transparenz undEffizienz für Europa heraus, als wir wollen. Dann kannauch das Gelingen der Osterweiterung wieder gefährdetsein.
Wir wollen, dass gerade die Grundrechte-Charta soschnell wie möglich Wirkung für die Bürgerinnen undBürger entfaltet; denn sie stellt eine Wertebasis dar, aufder Identität und Identifikation mit der EuropäischenUnion von unten her, von den Bürgern, entwickelt undverbessert werden können.Für uns hat immer im Mittelpunkt gestanden, die De-mokratiedefizite in der Europäischen Union – sie sindunstreitig vorhanden – zu beseitigen. Das kann natürlichnur in einem gewissen Umfang, aber nicht vollkommengelingen. Das Europäische Parlament soll gestärktwerden und in Gesetzgebungsverfahren – sie sollen ein-facher werden – endlich das Recht der vollen Mitent-scheidung erhalten. Das wäre für uns ein großer Erfolg.Wir waren schon immer der festen Überzeugung, dassder Präsident der Europäischen Kommission vom Euro-päischen Parlament gewählt werden muss, damit er einegrößere Legitimation, aber auch eine größere Verantwor-tung und Verpflichtung gegenüber dem EuropäischenParlament erhält. Entsprechende Schritte werden jetztgemacht. Wir begrüßen die Verbesserungen gerade imBereich der Demokratisierung.
Herr Ministerpräsident Teufel, Sie haben durch dieausführliche Bewertung der im derzeitigen Entwurf ent-haltenen Kompetenzordnung verdeutlicht, dass die Eu-ropäische Union durch seine Umsetzung transparenterwerden wird. Wir unterstützen das, was Sie durch IhrenEinsatz in den Verhandlungen erreicht haben. Wir, dieLiberalen, wissen, dass es in Ihrer „Familie“ eben nichtso leicht ist, dies durchzusetzen, weil immer äußerst kri-tische, sehr einseitige Töne – gerade aus dem FreistaatBayern von Ministerpräsident Stoiber – kommen. Dashat Ihnen Ihr Geschäft nicht erleichtert. Wir begrüßen,dass diese Kompetenzordnung jetzt deutlich klarer undverständlicher ist. Im politischen Geschäft in Europawird man nämlich merken, dass gerade Ziele nicht mehrkompetenzbegründend sind. Man wird in Zukunft ganzbesonders merken, dass das Subsidiaritätsprinzip nichtnur auf dem Papier steht, sondern auch wirklich bessereingefordert und durchgesetzt werden kann.BrsdZsroguuGVIzlmsVztlgmgphabddwsdKfsPuduubvSdfklM
Wir von der FDP-Fraktion haben immer gesagt: Derundestag muss diesbezüglich – auch durch ein Klage-echt – die Kontrolle haben, aber auch – entsprechend un-erer internen Verfassungsordnung – der Bundesrat undamit die Bundesländer. Wir kritisieren, dass in diesemusammenhang die Landtage nach wie vor keine Rollepielen; aber wir werden durch eine Debatte über eine eu-opäische Verfassung nicht auch noch die Verfassungs-rdnung in Deutschland verbessern und ändern können.In einer erweiterten Europäischen Union ist es drin-end notwendig, Mehrheitsentscheidungen zuzulassen,m mehr Effizienz zu erreichen. In diesem Bereich gehtns der Verfassungsentwurf eindeutig nicht weit genug.erade auf dem Gebiet der Außen-, Sicherheits- underteidigungspolitik sehen wir die große Gefahr, dassnitiativen durch einen europäischen Außenministerwar eingebracht werden können, aber dass es letztend-ich sehr schwer sein wird, hier zu einem stärkeren ge-einsamen Handeln Europas zu kommen. Wir wün-chen uns natürlich, dass bei den noch anstehendenerhandlungen zum dritten Teil der Verfassung diesbe-üglich Verbesserungen erreicht werden. Wir wollen na-ürlich nicht das ganze Paket aufschnüren; aber wir wol-en die Weichen richtig stellen, damit wir uns 2006 nichtleich mit der ersten Verfassungsänderung befassenüssen; denn das könnten wir den Bürgerinnen und Bür-ern nicht vermitteln.Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern diese euro-äische Verfassung nahe bringen. Deshalb haben wireute einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Volks-bstimmung über die europäische Verfassung einge-racht. Ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, anem wir uns nicht mehr damit herausreden können, dasser Bürger nicht mündig genug sei, dass dies nicht gehe,eil es das Grundgesetz nicht vorsehe. Wir wollen in un-erer Verfassung die Voraussetzungen dafür schaffen,ass die Bürgerinnen und Bürger – begrenzt auf diesenomplex – beteiligt werden.
Wir beklagen doch, dass es zu wenig europäische Öf-entlichkeit und zu wenig Kenntnis über die europäi-chen Grundlagen gibt. Umso mehr müssen wir diesenrozess, der jetzt, nach dem Vorliegen einer endgültigennd umfassenden europäischen Verfassung, beginnt,urch eine Einbeziehung der Bürger stärken.Deshalb fordere ich alle auf, diesen Gesetzentwurf zunterstützen. Ich kann eigentlich nicht sehen, dass SPDnd Grüne etwas dagegen haben könnten; denn sie ha-en in der Legislaturperiode viel weiter gehende Anträgeorgelegt. Ich freue mich darüber, dass es doch vieletimmen gerade aus dem Süden gegeben hat, unter an-erem von Ministerpräsident Stoiber, die Bürger zu be-ragen, und zwar richtig zu befragen und nicht nur eineonsultative Meinungsbildung herbeizuführen, die letzt-ich nicht verbindlich ist. Wir haben keine Angst vor dereinung der Bürgerinnen und Bürger.
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Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerZweifellos sind wir mit dem Verfassungsentwurf je-ner Vorhersage und Vision George Washingtons, desGründungspräsidenten der Vereinigten Staaten vonAmerika, ein gutes Stück näher gekommen. Es war die-ser große amerikanische Präsident, der vor weit mehr als200 Jahren an seinen Freund und Mitstreiter für die ame-rikanische Unabhängigkeit, den französischen Marquisde Lafayette, die tröstlichen Worte schrieb – ichzitiere –:Eines Tages werden sich nach dem Modell der Ver-einigten Staaten von Amerika die Vereinigten Staa-ten von Europa bilden... der Gesetzgeber allerNationalitäten sein.Ich würde mir wünschen, der derzeitige Präsident derVereinigten Staaten würde sich dieser Worte erinnern,sie ständig präsent haben und den Prozess der europäi-schen Einigung unterstützen.Vielen Dank.
Ich erteile der Kollegin Anna Lührmann, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Freude, schöner Götterfunken“ heißt es inder „Ode an die Freude“, unserer Europahymne. AlsFriedrich Schiller diese Zeilen 1786 schrieb, hat er wohlkaum daran gedacht, dass sich Europa einst eine Verfas-sung geben würde. Trotzdem passen diese Worte exzel-lent auf das, was hier heute zur Debatte steht: die ersteeuropäische Verfassung.Die Verfassung ist ein Meilenstein in der Geschichteder europäischen Integration. Es gibt Skeptiker, dievom Konvent enttäuscht sind, weil sie den Konvent ander amerikanischen verfassunggebenden Versammlungvon Philadelphia messen. Solche Vergleiche, glaube ich,helfen uns hier jedoch nicht weiter, weil die EuropäischeUnion eine andere Qualität als die Vereinigten Staatenvon Amerika hat. Auf die Europäische Union trifft eherdas Sprichwort zu, dass auch Rom nicht an einem Tagerbaut wurde. Es ist eben ein Wesensmerkmal der Euro-päischen Union, dass sie sich schrittweise entwickelt:von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahlüber die Zollunion zum Binnenmarkt und zur Währungs-union. Jetzt haben wir die europäische Verfassung, diesich auch in Zukunft sicherlich immer weiter entwickelnwird.Das Gleiche kann man auch in der Gemeinsamen Au-ßen- und Sicherheitspolitik beobachten, die sich mithilfedes europäischen Außenministers – so hoffen wir dochalle – immer weiter integrieren wird. Wir sind also nochlange nicht am Ende der Integration in Europa angekom-men. Das finde ich auch nicht schlimm. Die Diskussio-nen über die Finalität der Europäischen Union halte ichondwvldcAfglVMeaUmWBdDmshsdknmVVnbuKgledueBrh
Insgesamt war es die Aufgabe des Europäischen Kon-ents, dafür zu sorgen, dass die Europäische Union end-ich auch den grundlegenden Prinzipien entspricht, die inen vergangenen mehr als 2 000 Jahren in Europa entwi-kelt wurden, nämlich Demokratie, Gewaltenteilung undchtung der Menschen- und Bürgerrechte. Mit der Ver-assung nähern wir uns diesem Ziel des Europas der Bür-erinnen und Bürger mit einem großen Schritt an. End-ich ist Europa in guter Verfassung.Die Konventmethode haben meine Vorredner undorrednerinnen schon zu Recht gewürdigt. Zum erstenal hatten alle Menschen in Europa die Möglichkeit,ine Verfassungsdiskussion zu verfolgen und sich aktivn ihr zu beteiligen. Noch nie wurde die Europäischenion in einer so transparenten Art und Weise refor-iert. Aber nicht nur das Wie, sondern gerade auch dasas der Reform ist ein großer Schritt für das Europa derürgerinnen und Bürger und der Staaten. Die Stärkunges Europäischen Parlaments ist der zentrale Punkt.ie Wahl des Kommissionspräsidenten oder der Kom-issionspräsidentin und die Ausweitung der Mitent-cheidungsrechte des Europäischen Parlaments sindierbei die wichtigen Punkte. Endlich legt die Verfas-ung ein Gesetzgebungsverfahren als Regelfall fest, beiem Parlament und Rat gleichberechtigt entscheidenönnen. Leider gibt es von dieser Regel auch noch ei-ige Ausnahmen. Trotzdem kann das Europäische Parla-ent, wie ich denke, als der große Gewinner der neuenerfassung angesehen werden.
Eine weitere positive Neuerung in der europäischenerfassung, die Europa seinen Bürgerinnen und Bürgernäher bringen wird, ist die Einführung des Unions-ürgerbegehrens. So können 1 Million Bürgerinnennd Bürger bei einem ihnen wichtigen Anliegen dieommission zum Handeln auffordern. Das ist ein sehruter Schritt hin zu mehr direkter Demokratie, die Sie,iebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, auchndlich hier in Deutschland zulassen sollten.
Apropos direkte Demokratie: Damit die Verfassungie größtmögliche Legitimation erhält, würden wir esns wünschen, dass die Bürgerinnen und Bürger sie ininem Referendum annehmen können.
ekanntermaßen fehlen dazu in Deutschland noch die Vo-aussetzungen im Grundgesetz. Die rot-grüne Koalitionat ja schon in der letzten Legislaturperiode in diesem
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4323
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Anna LührmannHause den Antrag eingebracht, direkte Demokratie imGrundgesetz zu verankern. Ich denke, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wir dürfen direkte Demokratie nichtnur auf diesen einen Punkt beschränken.
Wir als rot-grüne Koalition wollen immer nochVolksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid imGrundgesetz verankern. Dazu gehört auch die Möglich-keit, ein Referendum über die europäische Verfas-sung zu veranstalten. Sie können davon ausgehen, dassentsprechende Anträge auch noch kommen werden.
– Natürlich rechtzeitig, wir haben ja noch ein bisschenZeit. – Wir befürchten jedoch leider abermals die Blo-ckade der CDU/CSU. Deshalb wollen wir das sorgfältigvorbereiten. Ich appelliere nochmals an Sie, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der Union: Finden Sie denMut, den Bürgerinnen und Bürgern mehr Einfluss zu ge-ben. Lassen Sie uns die Demokratie in Deutschland undin Europa auf eine breitere Grundlage stellen! Ich würdemich freuen, wenn Sie sich in dieser Frage bewegenwürden.
Mehr Europa für die Bürgerinnen und Bürger, dasheißt auch, dass die Konstruktion der EuropäischenUnion endlich transparenter werden muss.
Nur wenige Spezialisten haben bislang verstanden, wases mit den verschiedenen Verträgen und den drei Säulenauf sich hat. Jetzt haben wir eine Verfassung aus einemGuss, die mit diesem Chaos aufräumt. Allerdings gibt esnoch immer Sonderbestimmungen für die Justiz- und In-nenpolitik sowie im Bereich der Außen- und Sicherheits-politik, sodass die Säulen immer noch nicht ganz ver-schwunden sind.Dazu kommt noch der Euratom-Vertrag, den ich hiereinmal als Leftover des verfassungsgebenden Prozessesbezeichnen möchte. Dieses Fossil bleibt nach wie vorneben der Verfassung bestehen und widerspricht so demZiel einer einheitlichen Verfassung für Europa. In Anbe-tracht der Tatsache, dass die große Mehrheit der aktuel-len und der zukünftigen EU-Mitgliedstaaten entwedernoch nie Atomkraftwerke hatte, wie Deutschland aus derAtomenergie ausgestiegen ist oder zumindest beschlossenhat, keine neuen Atomkraftwerke zu bauen, ist Euratomnicht mehr zeitgemäß.
Deshalb sollte dieser Vertrag baldmöglichst nach demKonvent abgewickelt werden.rDbddzsBAuedDVuzdgDTnImdGuhbtkas9lmddgaC
ie Regierungskonferenz ist deshalb gut beraten, denerfassungsentwurf nicht wieder ganz neu aufzumachennd sich schon beim Europäischen Rat in Rom im De-ember politisch zu einigen. Ich finde es jedoch gut, dassie Verfassung erst nach dem Beitritt der neuen Mit-liedstaaten unterzeichnet werden soll.ie Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vonhessaloniki legen fest, dass dies „so bald wie möglichach dem 1. Mai 2004“ geschehen soll. Dafür mache ichhnen, Herr Außenminister, jetzt einen konkreten Ter-invorschlag: den 9. Mai.
Es gibt keinen besseren Tag als den 9. Mai, denn aniesem Tag hat Robert Schuman 1950 seinen Plan zurründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohlend Stahl vorgestellt. An diesem denkwürdigen 9. Maiat die europäische Integration begonnen. Deshalb ha-en die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel-reffen 1985 in Mailand beschlossen, dass der 9. Mai zu-ünftig „Europatag“ heißen soll. Welches Datum wärelso angemessener für die Unterzeichnung der europäi-chen Verfassung als der 9. Mai? Dann werden wir den. Mai nicht nur als den Tag feiern, an dem die Grund-age für mehr als 50 Jahre Frieden und Wohlstand zu-indest im westlichen Teil Europas gelegt wurde, son-ern wir werden den 9. Mai auch als den Tag feiern, anem sich das neue, größere Europa eine Verfassung ge-eben hat.
Ich bin mir sicher, dass zu einem solchen Feiertaguch Herr Minister Clement nicht Nein sagen wird.
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Hintze, CDU/SU-Fraktion.
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4324 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Bundeswirtschaftsminister scheint von derIdee, die Frau Kollegin Lührmann hier angesprochenhat, ganz angetan zu sein;
er kann ja dann Festredner für diesen neuen Feiertagwerden. Die Opposition wird diesen Vorschlag kritischwürdigen, liebe Frau Kollegin.Meine Damen und Herren, es war ein Akt der politi-schen Klugheit, dass wir die neue Verfassung für Europamehrheitlich in die Hände von Parlamentariern gelegthaben, und es ist eine beachtliche Leistung von ValéryGiscard d’Estaing, dass er sich der Suche nach demkleinsten gemeinsamen Nenner verweigert hat, zuguns-ten einer Regelung, die für Europa einen echten Fort-schritt bedeutet. Wir können feststellen: Die Konvents-arbeit war interessant und wichtig; sie hat guteErgebnisse gebracht. Nie war so viel Demokratie in derEuropäischen Union wie heute.
Für mich ist das ein Sieg der Demokratie über die Diplo-matie hinter verschlossenen Türen.
Auch wir von der CDU/CSU-Fraktion danken JürgenMeyer und Peter Altmaier, die den Bundestag im Kon-vent vertreten haben.
Ebenso richte ich ein ausdrückliches Wort des Dankesan Erwin Teufel, der nicht nur als Ministerpräsident andem Verfassungsentwurf mitgewirkt und dabei die Inte-ressen der Bundesländer wirksam vorgebracht hat, son-dern mit seinem Parlamentarierherzen – er hat ja auchheute gesprochen – dafür gesorgt hat, dass wir auch zu-künftig Raum für genügend eigene Arbeit haben. Manwird Erwin Teufel nach diesem Verfassungsprozess mitFug und Recht den Vater des Subsidiaritätsgrundsatzesin der europäischen Verfassung nennen können. Dafürmeinen herzlichen Dank!
Wenn wir heute eine Bewertung vornehmen, dannmüssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es um dieBewertung des ersten großen Hauptwerkes, aber nochnicht um die Abschlussbewertung geht. Diese könnenund wollen wir erst vornehmen, wenn auch der dritte Teildieser Verfassung seinen Abschluss gefunden hat. Trotz-dem können wir auch jetzt schon sagen, dass Beträchtli-ches erreicht wurde, und dies unter nicht ganz einfachenBedingungen. Nie zuvor waren an einer Weiterentwick-lung der Europäischen Union so viele Staaten beteiligtwie heute: neben den 15 Mitgliedstaaten die zehn künfti-gen Mitgliedstaaten sowie die Bewerberstaaten.Die Tatsache, dass die Staaten Mittel- und Osteuropasund des Mittelmeerraumes, die im nächsten Jahr dazu-kmnwfdmnKvwiwbHhzfDPdnumzenfdrdmrtAsrrgdstBSfobgh
Wir haben in diesen Debatten oft darüber diskutiert,ass mehr für den Bürger in Europa herauskommenuss. Das haben wir geschafft. Wir haben die Grund-echtecharta rechtsverbindlich aufgenommen. Zum ers-en Mal erhalten die Bürgerinnen und Bürger verbrieftebwehrrechte bezüglich des Handelns der europäi-chen Institutionen, die sie vor dem Europäischen Ge-ichtshof einklagen können.Der Kommissionspräsident muss in Zukunft vom Eu-opäischen Parlament gewählt und entsprechend dem Er-ebnis der Europawahl ausgewählt werden. Damit habenie Bürger ebenfalls zum ersten Mal mit ihrer Wahlent-cheidung Einfluss auf die politische Spitze, die Exeku-ive in Europa. Das ist ein weiterer Fortschritt für dieürgerinnen und Bürger im Land.
Wir müssen allerdings, Frau Leutheusser-chnarrenberger, aufpassen, dass wir hier keine Schein-ortschritte einbauen. Ich bin ausgesprochen skeptisch,b es klug ist, eine Frage, die man in Wahrheit nur mit Jaeantworten kann, zum Gegenstand einer Volksbefra-ung zu machen. Die Länder, die das einmal versuchtaben, haben damit böseste Erfahrungen gemacht. Den-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4325
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Peter Hintzeken wir an die Volksbefragung zum Vertrag vonMaastricht in Frankreich. Ich fürchte, wir machen mit ei-nem solchen Vorschlag ein Forum für die Falschen auf.Aber das werden wir in diesem Hause noch in Ruhe mit-einander besprechen.
Zu einer bürgernahen Union gehört, dass jeder weiß,wer für was zuständig ist. Es ist gelungen, eine klareKompetenzordnung, eine klare Normenhierarchie undvor allen Dingen klare Kompetenzausübungsregeln auf-zustellen. Ich denke, das ist ein Stück Arbeit, in das un-ser Kollege Peter Altmaier besonders viel Herzblut in-vestiert hat. Er hat sich hierüber mit den Kollegen imEuropaausschuss permanent ausgetauscht, wie das auchunserer früherer Kollege Jürgen Meyer stets getan hat.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein wichti-ger Punkt – ein Einzelpunkt, aber unerlässlich für mehrDemokratie – ist das Konzept der qualifizierten Mehr-heit, wie es sich nun im Vertrag findet. Nach den kom-plizierten und – so muss man sagen – fast verkorkstenRegelungen, die in den Vertrag von Nizza Eingang ge-funden haben, haben wir nun eine klare Regelung:Mehrheit muss jetzt immer Mehrheit der Bürger in Eu-ropa bedeuten. Das wird zu Transparenz und Akzeptanzführen.Ein weiterer wichtiger Punkt ist, wie man in Europain Zukunft die gemeinsame Außenpolitik gestaltet. EinFortschritt ist ohne Frage die Einführung des Amtes ei-nes europäischen Außenministers. Das ist ein sicht-bares Signal dafür, dass Europa in der Außenpolitik inZukunft mit einer Stimme sprechen möchte. MeineHoffnung ist, dass der künftige Inhaber dieses Amtes
klug ausgewählt wird und er durch seine Person und seinHandeln gewährleistet, dass Europa einig handelt undman fair miteinander umgeht, dass sich Europa in einerengen transatlantischen Partnerschaft mit unseren Freun-den und Partnern in den Vereinigten Staaten von Ame-rika und Kanada versteht
und dass die praktizierten Leitideen der europäischenAußen- und Sicherheitspolitik, die über Jahrzehnte un-sere Sicherheit und unseren Erfolg bewahrt haben, einekluge Fortsetzung finden. – Das wären meine Auswahl-kriterien für dieses Amt. Es mag jeder für sich entschei-den, welche Kriterien er zur Beurteilung diverser Kandi-daten anlegt.
– Der Kollege Gloser hat mich mit dem Zwischenrufprovoziert, ob das eine Bewerbung sei.
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4326 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Ganz getrennt davon ist die Frage zu betrachten, nachwelcher Vorschrift des Grundgesetzes wir diesem Bei-tritt zustimmen sollen. Ich persönlich bin der Auffas-sung, dass die Zustimmung mit verfassungsändernderZweidrittelmehrheit erfolgen sollte, damit der besonde-ren Qualität dieser Erweiterung Rechnung getragenwird. Diese Erweiterung führt nämlich zu einer Vergrö-ßerung der Europäischen Union und auch zu einergrundlegenden Gewichtsverlagerung in den Institutio-nen, die sich unmittelbar auf das relative Stimmenge-wicht Deutschlands auswirken. Das bedeutet nach mei-ner Auffassung eine materielle Verfassungsänderung, dieerst mit diesem Zustimmungsgesetz rechtlich gültig wirdund die nicht bereits mit der Ratifizierung des Vertragesvon Nizza in Kraft trat.Aus diesem Grund möchte ich zu bedenken geben, obwir nicht aus rechtlichen und demokratietheoretischenGründen gut beraten wären, die Zustimmung auf Grund-lage des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79Abs. 2 des Grundgesetzes zu erklären und die Eingangs-formel des Gesetzes entsprechend zu ändern.
Wenn wir über die Erweiterung sprechen, dann müs-sen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass die Euro-päische Union nicht grenzenlos erweitert werden kann.Wir müssen diese wichtige Erweiterung durchführenund uns Zeit geben, über einige Jahre hinweg zu evaluie-ren, wie sie sich ausgewirkt hat. Vorfestlegungen dürfennicht bereits heute erfolgen.Deswegen, Herr Bundesaußenminister, haben wir et-was Sorge über den Entscheid des Europäischen Rates,dass zum ersten Mal in der Geschichte der EuropäischenUnion die Türkei, obwohl mit ihr noch keine Beitritts-verhandlungen geführt werden, voll – wenn auch nichtmit Stimme – an der Regierungskonferenz beteiligt wird.Wir haben Sie im Verdacht, einen Automatismus einzu-leiten, sodass Sie hinterher sagen: Daran konnten wirjetzt nichts mehr ändern; die Dinge haben sich eben soentwickelt.tSdhRukesvstdzdzWsdntMsDPGmmtSnsVdda
Ich erteile dem Kollegen Michael Roth, SPD-Frak-
ion, das Wort.
Lieber Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!eine Damen! Meine Herren! Lieber Herr Ministerprä-ident, gelegentlich sagt man ja, der Teufel stecke imetail. So war das möglicherweise auch beim Lesen desresseartikels. Ich könnte eine ganze Menge dazu sagen.lücklicherweise bin ich mit meiner Kritik im Einklangit Rainder Steenblock und Anna Lührmann; da fühltan sich schon viel wohler.Einmal ganz unabhängig davon: Es wurde ja der Got-esbezug angesprochen. Herr Außenminister, ich hoffe,ie stimmen mit mir darin überein, dass die Kritik an ei-em Mitglied der Regierung keine Gotteslästerung dar-tellt.
or diesem Hintergrund sehen Sie es mir also bitte nach,ass ich gelegentlich – und hoffentlich auch zukünftig –as eine oder andere sage, was vielleicht dem einen odernderen in der Regierung nicht schmeckt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4327
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– Es mag für Sie, vor allem für die CSU-Mitglieder, un-gewöhnlich sein, dass man ein Regierungsmitglied gele-gentlich kritisiert. Aber das gehört, so glaube ich, zumparlamentarischen Selbstbewusstsein,
zumal dieses Projekt, über das wir uns heute freuen kön-nen, maßgeblich durch Parlamentarierinnen und Parla-mentarier zustande gekommen ist,
die dafür gekämpft und gestritten haben sowie Überzeu-gungsarbeit – gelegentlich auch bei Vertretern der Regie-rung – leisten mussten.Wir auf unserer Seite freuen uns heute natürlich ganzbesonders. Denn die europäische Verfassung war und istein sozialdemokratisches Projekt,
für das viele große Sozialdemokratinnen und Sozialde-mokraten engagiert gestritten haben. Wenn man sich denVerfassungsentwurf anschaut, dann wird man vieles le-sen, was zum sozialdemokratischen Selbstverständ-nis gehört. In diesem Verfassungsentwurf wird ein Be-kenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, zur nachhaltigenEntwicklung, zum sozialen Fortschritt abgegeben. Damachen sich Sozialdemokraten stark für die Bekämp-fung der sozialen Ausgrenzung, für die Gleichstellungsowie für die Solidarität zwischen den Generationen.Deswegen sind wir sehr stolz auf dieses Verfassungspro-jekt. Es ist maßgeblich durch nationale Parlamentarierund Europaparlamentarier zustande gekommen, natür-lich auch durch Regierungsvertreter, aus immerhin28 europäischen Staaten. Sie haben im Konvent mehr er-reicht als in den vergangenen Regierungskonferenzen.
Mit dieser Verfassung wird Europa – das ist nunschon mehrfach gesagt worden – endlich handlungsfähi-ger, demokratischer und bürgernäher. In Europa wirdkünftig besser erkennbar, wer die Verantwortung fürwelche Entscheidung trägt. Was mir besonders wichtigist – unser geschätzter ehemaliger Kollege Jürgen Meyerhat dafür ja sehr engagiert gestritten –: Mit der Grund-rechtecharta verfügt die europäische Politik über ein ei-genes, solides Wertefundament.Mit ihren anspruchsvollen Zielen und Werten klärt dieeuropäische Verfassung zugleich, wo die Grenzen derEuropäischen Union liegen. Dieses ambitionierte Projektmacht deutlich: Europa teilt Werte. Europa ist nicht nurein Europa der Handelsströme, des Marktes und derÖkonomie. Das freut sicherlich viele Bürgerinnen undBnWmisdDtzdwiusdesddEpMdhgkRzKgfirpnadA
Das Lob geht natürlich auch an dich, Peter Altmaier,er du regelmäßig im Ausschuss oder informell für dieine oder andere zu klärende Frage zur Verfügung ge-tanden hast.
Lob zollen will ich aber auch Außenminister Fischer,em Staatsminister für Europa Bury und Klaus Hänsch,er im Präsidium eine großartige Arbeit geleistet hat.Ich nehme auch voller Respekt zur Kenntnis, waslmar Brok geleistet hat. Elmar Brok hat dem Konvents-räsidenten Valéry Giscard d’Estaing öfter einmal denarsch geblasen. Ich fand toll und eindrucksvoll, wie eras gemacht hat. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, erat das sicherlich auch in unserem Interesse getan.Herr Ministerpräsident Teufel, Sie haben vor allemegen Ihren bayerischen Kollegen gekämpft. Dasommt ja nicht so häufig vor – auch dafür unserenespekt und unsere Dankbarkeit!
Wir sollten mit dem Selbstbewusstsein noch nichtum Abschluss kommen. Denn ich glaube, dass deronvent als mehrheitlich parlamentarisch besetztes Or-an nicht nur zu mehr Demokratie und Transparenz ge-ührt hat, sondern auch zu besseren Ergebnissen. Geraden der entscheidenden Endphase haben die Parlamenta-ier wesentlich dazu beigetragen, dass tragfähige Kom-romisse erzielt wurden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo Licht ist, da istatürlich auch Schatten. Wir hatten gestern im Europa-usschuss schon einmal Gelegenheit, im Gespräch mitem Außenminister, mit Jürgen Meyer und Peterltmaier darüber zu diskutieren, wo der Schatten liegt.
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4328 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Michael Roth
Da möchte ich Herrn Kollegen Müller direkt anspre-chen, der mir vorwarf, ich sei dafür, überhaupt nichtmehr zu diskutieren. Selbstverständlich wird jeder hierim Plenarsaal mindestens einen Punkt finden, wo er mitdem Verfassungsentwurf nicht zufrieden ist. Die Frageaber ist doch: Wie gehen wir mit unserer Kritik um? Dawünschte ich mir vor allem auch von der CSU ein Stück-chen mehr Verantwortungsethik. Denn wir alle wissendoch: Wenn wir diesen Sack noch einmal aufschnüren,dann wird das Ergebnis schlechter werden als das, waswir vielleicht in einzelnen Teilen bekritteln. Ich stelle Ih-nen, Herr Kollege Müller, die Frage: Was machen Sie,wenn Ihre Kritikpunkte nicht umgesetzt werden? Ichweiß, die CSU hat Erfahrung in der Ablehnung von Ver-fassungen. Sie haben ja auch das Grundgesetz abgelehnt.Aber das sollte nicht die Grundlage für das europäischeVerfassungsprojekt sein.
Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Müller?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Roth, können Sie bestätigen, dass zu
dieser Debatte keinem Mitglied des Deutschen Bundes-
tages der vollständige Vertragsentwurf vorliegt? Wir de-
battieren auf der Basis von Zeitungsberichten.
Herr Kollege Müller, Sie haben doch, ebenso wie
viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der CSU, be-
reits bevor das Ergebnis zum Abschluss gebracht wurde,
deutlich gemacht, dass Sie keine Verfassung wollen,
dass Sie das ganze Projekt ablehnen, dass Sie hier und
dort etwas zu bekritteln haben.
Sie müssen in Ihren eigenen Reihen klären, wohin die
Reise Ihrer Meinung nach gehen soll. Wollen Sie das
Verfassungsprojekt konstruktiv begleiten oder wollen
Sie dem Verfassungsprojekt Steine in den Weg legen?
Das ist die Frage.
Herr Kollege Müller, ich dachte bisher, dass wir in
diesem Hause alle der Meinung sind, dass es um eine
konstruktive, kritische Begleitung dieses Verfassungs-
projektes geht.
Wir haben heute schon viel über Handlungsfähigkeit
gesprochen. Die Handlungsfähigkeit ist der entschei-
dende Lackmustest für Europa. Deswegen müssen wir
das Prinzip der nationalen Vetos überwinden. Wer
glaubt, dass wir dem nationalen Interesse dienen, indem
wir in allen Fragen auf dem Einstimmigkeitsprinzip be-
harren, der irrt.
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ir bringen Europa im Sinne der Bürgerinnen und Bür-
er nur voran, wenn wir den Mut aufbringen, auch in
ielen zentralen Politikfeldern auf das Einstimmigkeits-
rinzip zu verzichten; denn ohne ein handlungsfähiges
uropa können wir die Globalisierung mit ihren Risiken
nd Chancen nicht demokratisch gestalten. Das muss
ns allen klar sein. Deswegen treten wir für den Grund-
atz ein – das haben wir in allen diesbezüglichen Bun-
estagsbeschlüssen manifestiert –, dass Mehrheitsent-
cheidungen die Regel sein müssen.
Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Ramsauer?
Selbstverständlich, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Roth, nachdem Sie der Frage des Kolle-
en Dr. Müller ausgewichen sind, weil diese Frage Ihnen
nd den Regierungsfraktionen – das vermute ich – unan-
enehm ist, möchte ich sie noch einmal stellen und prä-
isieren: Liegt dieses Dokument vor oder nicht? Meines
issens liegt es nicht vor. Außerdem möchte ich wissen,
ie Sie das Fehlen des Dokuments bewerten.
Herr Kollege Ramsauer
ich weiche überhaupt nicht aus –, was wollen Sie dennun von mir?
ben haben Sie moniert, ich kritisiere die Regierung unden Außenminister, weil die Regierung mit Unterstüt-ung der Ressorts 57 Änderungsanträge vorgelegt hat,nd jetzt fragen Sie mich, ob das Projekt abgeschlossenei. Die Verfassung liegt vor. Wir ringen noch gemein-am darum, was im dritten Teil stehen soll.
Herr Ramsauer, Sie waren doch gar nicht dabei. Ichrage mich, warum Sie diese Frage stellen. Ich wendeich an den Kollegen Müller.Die Frage, die wir hier zu klären haben, ist: Begleitenir den Verfassungsprozess konstruktiv oder fangen wirchon frühzeitig an herumzukritteln, sodass sich eineblehnung abzeichnet? Das müssen Sie innerhalb dernion klären. Das können wir Sozialdemokratinnen undozialdemokraten nun wirklich nicht für Sie klären.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4329
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Michael Roth
Lassen Sie mich zur Handlungsfähigkeit zurückkom-men. Die Staaten, die gemeinsam handeln und gestaltenwollen, werden Wege aus der Vetofalle suchen und fin-den. Eine Avantgarde integrationswilliger Staaten– innerhalb der Union hat es vor vielen Jahren Kollegengegeben, die ein entsprechendes Modell skizziert haben –wäre die einzige Alternative zu einem Europa des Still-standes. Wir wollen das nicht. Weil wir das nicht wollen,müssen wir für die Abschaffung des Einstimmigkeits-prinzips in der Europäischen Union streiten und kämp-fen. Die eine oder andere Überzeugungsarbeit müssenwir in diesem Zusammenhang noch leisten.
Mit dem Verfassungsentwurf allein ist der Reformbe-darf in der europäischen Politik aber noch längst nichtgestillt. Den Reformbedarf gibt es vor allem bei den na-tionalen Parlamenten, die die Rolle der Mitgestalter vonPolitik innehaben.Die SPD-Bundestagsfraktion wird die Stärkung derparlamentarischen Dimension zur Leitlinie bei der inner-staatlichen Umsetzung des Konventergebnisses machen.Wir müssen unsere europapolitische Aufgabe im Plenumdes Deutschen Bundestages noch intensiver als bislangwahrnehmen. Wir müssen die uns zur Verfügung stehen-den Instrumente und Mechanismen konstruktiv, aberauch entschlossen und selbstbewusst nutzen. Nur sokönnen wir unsere Rolle als Partner und Mitgestalter dereuropäischen Politik wirklich ausfüllen.Wer den Konvent und die parlamentarische Methodelobt, muss auch national die entsprechenden Konsequen-zen ziehen. Ich schlage daher vor, dass wir unsere bishe-rige Arbeit kritisch hinterfragen, Konsequenzen aus dereuropäischen Verfassung ziehen und Reformvorschlägeunterbreiten. Es muss darum gehen, die parlamentari-sche Mitgestaltung des Deutschen Bundestages in dereuropäischen Politik innerstaatlich zu stärken. Auch hiergilt es, mehr Demokratie zu wagen.Es gibt viele Fragen, die wir beantworten müssen:Wie behandeln wir die europapolitischen Themen hierim Plenum? Sitzen hier nur die üblichen Verdächtigenoder betrifft das Thema auch die anderen Fachbereiche,die Arbeitsgruppen und die Ausschüsse? Wie effektivnutzt der Europaausschuss seine Kontroll- und Mitwir-kungsrechte? Wie sollen wir künftig mit dem in dereuropäischen Verfassung verankerten Klagerecht eigent-lich umgehen? Wir müssten zu gegebener Zeit auch ein-mal mit dem Bundesrat besprechen, wie wir dieses Mit-tel konstruktiv zu nutzen bereit und in der Lage sind.Es kann natürlich nicht darum gehen, dass sich derBundestag zu einem Blockadeinstrument europäischerPolitik entwickelt; das wünschen sich wohl nur mancheKolleginnen und Kollegen aus den Reihen der CSU.Aber wir müssen Regierungshandeln konstruktiv undaktiv mitgestalten. Das ist eine große Aufgabe, die voruwienswmBdASweWFldmCdfIwwtJdsubussAdFususmu
ber, Herr Kollege Löning und Frau Leutheusser-chnarrenberger, es kann doch nicht darum gehen, dassir diese Frage hier isoliert betrachten, wenn es um dasuropäische Referendum geht.
er den Bürgerinnen und Bürgern in europapolitischenragen mehr zutraut und ihnen mehr Entscheidungsmög-ichkeiten gestatten will – da sind wir auf einer Linie –,er muss es doch auch auf nationaler Ebene tun. Deruss bereit sein – das ist unser Angebot an die CDU/SU –, auch auf der nationalen Ebene im Grundgesetzie Instrumente für mehr direkte Demokratie zu schaf-en.
n dieser Frage, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, sindir doch überhaupt nicht auseinander und dafür müssenir kämpfen. Da können Sie Überzeugungsarbeit leis-en, wir werden das an entsprechender Stelle auch tun.
ürgen Meyer ist dafür schon gelobt worden. Wer hatenn für ein Bürgerbegehren in der europäischen Verfas-ung gestritten? – Das waren doch Sozialdemokratinnennd Sozialdemokraten und niemand sonst. Mehr Bürger-eteiligung gibt es entweder ganz oder gar nicht, das istnsere Position. Deswegen würden wir uns freuen, wennich alle Fraktionen an einem sorgfältig geschnürten Ge-amtpaket beteiligten.Der Konvent – damit komme ich zum Fazit – hat guterbeit geleistet und wir alle haben diesem Konvent zuanken. Diese Verfassung gibt Antworten auf drängenderagen vieler Menschen. Wie können wir die Risikennd die Chancen der Globalisierung demokratisch undozial gestalten? Und vor allem: Wie sichern wir Friedennd Wohlstand gerechter und nachhaltig? Die europäi-che Verfassung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ver-ag aber nur dann zu einem Projekt der Bürgerinnennd Bürger zu werden, wenn wir Parlamentarier hier im
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4330 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Michael Roth
Bundestag Europa endlich als unsere gemeinsame Auf-gabe begreifen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Sozialdemokraten als Paten des Verfassungsgedan-kens? Wenn ich mich recht erinnere, haben wir unserenFreund Guy Verhofstadt, den liberalen belgischen Minis-terpräsidenten, erfolgreich bedrängt, einen Verfassungs-konvent in Laeken einzuberufen, als Sie noch das Ergeb-nis von Nizza schöngeredet haben. Das ist für mich einebemerkenswerte Bewertung.
Was die Frage des Referendums angeht, Herr KollegeRoth: Ich bin schon der Auffassung, dass man nicht sa-gen kann, wir hätten hier eine europapolitische Entschei-dung wie jede andere zu treffen. Es geht vielmehr umeine fundamentale Entscheidung, die auf Jahrzehnte,wenn nicht länger, die Zukunft unseres Kontinents undauch unseres Landes bestimmen wird. Ich halte es für ei-nen richtigen Gedanken, bei einer solchen Entscheidungdie grundsätzliche Zustimmung der Bevölkerung, desVolkes, einzuholen,
ohne dass man grundsätzlich darüber entscheidet, wieman sonst mit Bürgerbeteiligung umgeht.Meine Damen und Herren, es liegt ein vorläufiges Er-gebnis vor; das ist vollkommen richtig. Wir müssen auchweiterhin aufpassen, denn es sind noch wesentliche Ar-beiten zu leisten, gerade im dritten Teil. Ich denke nur andas Thema Sozialunion. Wir müssen bis zuletzt daraufachten, dass die Sozialunion nicht durch die Hintertürdoch in dem Vertrag festgeschrieben wird. Diese könn-ten wir uns nicht leisten und die Bürgerinnen und Bürgerwürden sie auch nicht mittragen. Zum Beispiel vor demHintergrund, dass Rot-Grün gerade angekündigt hat, dieRentenerhöhung nicht stattfinden zu lassen, können wirkeinen großen Sozialtopf in Brüssel aufmachen. Daswäre nicht gut.
Eine Zwischenbewertung: Das, was hier vorgelegtwird, ist beachtlich und weit mehr, als ich bis vor kur-zem erwartet habe. Denn gerade in der letzten Zeit sinderhebliche Verbesserungen durchgesetzt worden. Dasbegrüße ich außerordentlich.Es kommt natürlich aus allen Richtungen auch Kritik,die durchaus nachvollziehbar ist. Diese Kritik kann manin drei Strömungen einteilen: Die erste Gruppe von Kri-tEhTBtdzaezDKDPfsiuggdmDtwwknEwhJArhofnwu–pVhT
Die dritte Kritik betrifft den Punkt – auch ich habeich das gefragt –, ob dieser Text weit genug geht.iese Kritik nehme ich am wichtigsten, weil sie mir na-ürlich auch am sympathischsten ist. Ich hätte natürlicheiter gehende Ambitionen gehabt und hätte mir ge-ünscht, man hätte Europa vollständig föderal durchde-liniert. Ich hätte mir natürlich eine geradezu architekto-ische Ästhetik und bestechende Schlichtheit wie die derntwürfe von Philadelphia oder Herrenchiemsee ge-ünscht.Das ist aber nicht zu erwarten gewesen, auch vor demistorischen Hintergrund; denn es haben nicht nur dieeffersons, Washingtons oder die Carlo Schmids und diedenauers gefehlt, sondern wir sind in einer ganz ande-en Situation. Das ist keine Verfassung, die nach eineristorischen Katastrophe, nach einem furchtbaren Kriegder nach einer Revolution entsteht, sondern eine Ver-assung, die auf dem aufbaut, was ist und was die Natio-en, die Regionen, die Kulturen und die Religionen be-ahren wollen. Das ist das Europa der Einheit in Vielfaltnd nicht der Zwietracht in Einfalt.Es ist doch die Erkenntnis des letzten Jahrhunderts
Herr Minister, diese Bemerkung war nicht besondersfiffig –, dass ein Verfassungsentwurf, der versucht, dieereinheitlichung, den Schmelztiegel, den melting pot,erbeizuführen, der keine Rücksicht auf die gestandenenraditionen und Kulturen nimmt, der nicht erkennen
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4331
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Dr. Werner Hoyerlässt, dass Europa seine Stärke in dieser Verschiedenheit,in dieser Diversität hat zum Scheitern verurteilt ist. Un-ter diesem Gesichtspunkt ist das, was hier vorliegt, eingroßer Entwurf.Deswegen ist es auch völlig irrelevant, darüber zustreiten, wo wir in der Entwicklung vom Staatenbundzum Bundesstaat stehen. Es ist etwas ganz Einzigartiges,was wir hier entstehen lassen. Das ist eine Herausforde-rung, die Europa noch nie hat bewältigen müssen. Esgeht um die Organisation der Selbstbehauptung derEuropäer im globalen Wettbewerb.
Wirtschaftlich haben wir das schon lange begriffen.Mit den Römischen Verträgen haben ihre mutigen Väterund Mütter etwas Erstaunliches, etwas Einzigartiges zu-stande gebracht. Jetzt kommt die Dimension des Rechtsund der inneren Sicherheit hinzu. Aber wenn wir dieAußenpolitik als äußere Sicherheit im weitesten Sinneverstanden nicht dazu bringen, dann wird das Gesamt-projekt scheitern. Deswegen ist es wichtig, dass wir auchin dem Bereich der äußeren Sicherheit im weitestenSinne, in der Außen-, der Sicherheits- und der Verteidi-gungspolitik, vorankommen, auch bei den Methodenund den Institutionen. Das ist der Punkt, an dem ichzwar all denjenigen voll zustimme, die sagen, das Ganzejetzt nicht aufzudröseln – das wird hinterher eine Ver-schlimmbesserung geben und nichts Besseres –,
aber wenn es gelingen sollte – ich bitte die Bundesregie-rung, sich nach Kräften darum zu bemühen –, in denEntscheidungsverfahren in der Außen- und Sicherheits-politik einen großen Fehler zu vermeiden, dann sollte al-les daran gesetzt werden.
Nach den Erfahrungen mit der Schlussakte von Hel-sinki und den damaligen Blockademöglichkeiten, diedem einzelnen Land eingeräumt waren, kann es nichtsein, dass Europa in diese Falle hineintappt. Wir brau-chen zumindest so etwas wie n minus 1 oder eine super-qualifizierte Mehrheit in der Außenpolitik.Abschließend noch eine Anmerkung zum europäi-schen diplomatischen Dienst. Hier verstehe ich die Auf-regung überhaupt nicht. Wenn Europa als globaler Ak-teur ernst genommen werden will, dann braucht es einenwirklichen Auswärtigen Dienst.
Dabei kann es sich nicht einfach um die Übertragung derDelegationsprinzipien der Kommission handeln.
Die Delegationsbüros der Kommission sind keine diplo-matischen Vertretungen, sondern sie sind in den meistenFällen Handelsmissionen oder Entwicklungsagenturen.WdnadsmDmVüiewBsndblUBNHHmslRvHBw
Herr Müller, natürlich muss das so geschehen, dassan Synergien schafft und vom nationalen Bereichinge auf die europäische Ebene überträgt und zusam-enführt.
ertun wir uns aber nicht: Die Betonmischer sind schonberall am Werke, sowohl in der Kommission als auchn den nationalen Regierungen.Meine Damen und Herren, die Europäer leisten sichinen insgesamt doppelt so großen Auswärtigen Dienstie die Amerikaner.
ei uns sind es 40 000 Personen, bei den Amerikanernind es 20 000.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Meine Redezeit ist zu Ende. Deswegen werde ich dies
icht weiter ausführen.
Wenn es uns nicht gelingt, diese Synergien zwischen
er nationalen und der europäischen Ebene zustande zu
ringen, dann wird ein ganz wesentliches Element, näm-
ich die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen
nion, ein Torso bleiben.
Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock,ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Noch vor wenigen Wochen haben hier in diesemause eine ganze Reihe von Kollegen das Ende der Ge-einsamen Außen- und Sicherheitspolitik vorausge-agt. Der Gipfel von Thessaloniki hat all diesen Zweif-ern und Schwarzmalern einen Strich durch dieechnung gemacht. Ich hätte mir gewünscht, dass heuteon der Opposition – auch von Ihnen, Herr Hoyer underr Hintze – deutlich gesagt worden wäre, dass sich dieefürchtungen, die Sie hier geäußert haben, nicht be-ahrheitet haben.
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4332 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Rainder SteenblockGerade die deutsche Bundesregierung hat es mit ihrenInitiativen und ihrer Strategie, aber auch mit ihren Inhal-ten geschafft, nach wenigen Wochen dieser Differenzeneine gemeinsame europäische Sicherheitsstrategie aufden Weg zu bringen und abgestimmt vorzulegen. Das istein ganz großer Erfolg, der auch von Ihnen hätte gewür-digt werden müssen.
Noch vor wenigen Jahren erschien uns allen eine eu-ropäische Sicherheitsstrategie doch als eine ferne Vision.Jetzt haben sich die Regierungen Europas darangemacht,dass diese Vision eine europäische Realität wird. Ichmöchte Ihnen sehr deutlich sagen: Natürlich hat derHohe Repräsentant der EU, Solana, einen ganz wichti-gen Anteil daran gehabt, aber auch die deutsche Bundes-regierung und unser Außenminister haben einen ganzwichtigen Baustein dazu beigetragen, diese Strategie zuunterstützen. Dafür möchte ich mich im Namen meinerFraktion sehr herzlich bedanken.
Ich glaube, dass wir von dem, was in den letzten Wo-chen und Monaten in Europa in der Außenpolitik ge-schehen ist, nichts beschönigen dürfen. Diese sehrschwierige außenpolitische Situation hat den Bürgerin-nen und Bürgern Europa und unsere Regierungen eherals zerstritten dargestellt. Wir müssen aber auch erken-nen, dass sich die Kraft der europäischen Gedankendurchgesetzt hat. Wir haben gesehen, was auf den Stra-ßen und Plätzen dieses Europas los war. Die Menschenin diesem Europa wollen eine gemeinsame Sicherheits-politik und eine Identität Europas in dieser Frage. Wennwir gesehen haben, wie schnell es die Regierungen jetztgeschafft haben, dem Weg zur europäischen Identitätund dem Wunsch der Menschen Europas, zu einer ge-meinsamen Sicherheitsstrategie zu kommen, zu folgenund ihn zu realisieren, dann wissen wir, dass das den Eu-ropäern wirklich Vertrauen für die Zukunft gibt, dassdiese Kraft der europäischen Gedanken auch in Politikumgesetzt werden kann.
In Thessaloniki hat Europa gerade in diesem Bereichzu seinen Grundlagen zurückgefunden. Europa war undist ein Friedensprojekt. Friedens- und Sicherheitspoli-tik bedeutet für uns sehr viel mehr, als Europa nur vorKriegen zu bewahren. Die europäische Sicherheitsstrate-gie, wie sie in Thessaloniki vorgestellt wurde, geht voneinem modernen und umfassenden Verständnis von Frie-dens- und Sicherheitspolitik aus. Frieden und Sicherheitbewahren heißt natürlich auch, dass wir uns den neuenRisiken und Bedrohungen mit neuen Methoden zu stel-len haben. Dafür ist kein europäischer Nationalstaat ge-wappnet. Das kann die Europäische Union nur als ge-meinsam handelnder politischer Akteur realisieren.Die Strategie, die Solana in Thessaloniki vorgelegthat, enthält die notwendige Mischung aus Instrumenten.Sie enthält politische, ökonomische und natürlich auchmsSpelvcaügzmsiwpdhdfddKudiRWbwStCzMlrhCdbcrgpgvdc
ir haben ein Interesse an Sicherheit. Diese darf nichtilligen populistischen Sprüchen geopfert werden, auchenn in Bayern Wahlkampf herrscht. Das geht so nicht.Das Dach dieser Sicherheitspolitik – auch das hatolana sehr deutlich gemacht – ist die Stärkung interna-ionaler Organisationen. Der Handlungsrahmen ist dieharta der Vereinten Nationen und deren Unterstüt-ung. Auch wenn wir militärische Gewalt als letztesittel nicht ausschließen, so sagen wir doch sehr deut-ich – darin sind wir uns mit allen europäischen Regie-ungen, die sich in diesem Bereich zusammengefundenaben, einig –: Diese Möglichkeit bleibt an Kap. VII derharta der Vereinten Nationen gebunden. Ich bin zutiefstavon überzeugt: Nur ein effektiver Multilateralismusewahrt auf diesem Planeten langfristig Frieden und Si-herheit.
Diese Strategie stattet uns aber auch mit etwas ande-em Notwendigen aus: Wir alle haben betont, dass einutes transatlantisches Verhältnis im Interesse der Euro-äischen Union liegt. Durch die Vorlage dieses Strate-iepapiers von Solana hat die Europäische Union eineernünftige Grundlage erhalten, um mit unseren Freun-innen und Freunden in Amerika eine gemeinsame Si-herheitsstrategie zu entwickeln, bei der wir als Euro-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4333
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Rainder Steenblockpäer auf der Grundlage unserer Interessen undVorstellungen zusammen mit den Amerikanern ein Si-cherheitskonzept entwickeln. Diese Einigkeit der euro-päischen Staaten ist eine wichtige Voraussetzung, umhier voranzukommen.Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ichmöchte auch Folgendes sagen – denn das ist ebenfallsBestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik der Euro-päischen Union –: Wir müssen aktiver werden. Wir müs-sen als Europäer, als europäischer Akteur, global stärkerauftreten. Das liegt an unserer größeren Verantwortung.Wir müssen Krisen frühzeitiger erkennen und dann han-deln können. Unsere Aktionen müssen kohärenter wer-den. Diplomatische Bemühungen müssen am gleichenStrang ziehen. Wir müssen eine Außenpolitik betreiben,die mit der Entwicklungspolitik und der Handelspolitikkohärent ist. Diese Synergieeffekte müssen wir nutzen.Das geht nur dann, wenn wir auch einen gemeinsa-men europäischen diplomatischen Dienst haben. Nurauf diesem Feld werden wir die Möglichkeit haben, sol-che Strategien in den einzelnen Ländern auch materiellumzusetzen oder auch Vorwarnsituationen schon sehrfrühzeitig politisch umsetzen. Deshalb haben wir großesInteresse daran, dass der Antrag der Bundesregierung,die Europäische Union bzw. den europäischen Außenmi-nister mit einem aktionsfähigen diplomatischen Dienstzu versehen, angenommen und dies auch durchgesetztwird.
– Kollege Müller, in dem Punkt, dass dies Konsequen-zen für die nationalen diplomatischen Dienste habenmuss, sind wir uns überhaupt nicht uneinig.
Wenn wir in den Bereichen der europäischen Sicher-heitsstrategie und der europäischen Außenpolitik einePriorität setzen wollen, dann müssen wir auch ehrlicher-weise sagen, dass die nationalen Möglichkeiten be-schränkt und begrenzt werden müssen und dass wir hierzu Einsparungen kommen müssen. Das ist überhauptkeine Frage.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich zum Schluss noch einen Gedanken äußern: Im eu-ropäischen Raum von Freiheit und Sicherheit besteht einProblem, das wir lösen müssen. Ich hoffe, dass die deut-sche Bundesregierung hier auch wieder handlungsfähi-ger wird. Es geht um das Thema Einwanderung undAsyl. Wir sind – das sage ich für die Bündnisgrünen –ein bisschen enttäuscht, dass wir auf diesem Gipfel nochnicht, wie von uns gewünscht, in der Lage waren, dieFagapaupdmpgsNdndieCKsvEldsdfewsnUEsg
Herr Kollege Steenblock, Ihre Zeit ist deutlich über-
chritten.
Ich komme zu meinem letzten Satz. – Das macht sehr
eutlich, dass Sie, wenn Sie denn mitgestalten können,
icht diejenigen sind, die nach vorne schauen, sondern
ass Sie, wenn es um konkrete Sachpolitik geht, leider
m Bremserhäuschen der europäischen Politik sind.
Wir wollen Europa gemeinsam gestalten und weiter-
ntwickeln. Dafür stehen die Grünen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Altmaier,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen, der Entwurf des Verfas-ungsvertrages ist, wie er bis jetzt in den Teilen I und IIorliegt, sicherlich weit davon entfernt, perfekt zu sein.s gibt vieles, was man an ihm kritisieren kann. Sicher-ich gibt es auch viele Kritikpunkte, die man zu Recht anen Konvent richten kann. Wenn ich mir allerdings an-ehe, wie schwer sich nationale Regierungen bisweilenamit tun, auch nur einen einigermaßen verfassungskon-ormen Haushalt vorzulegen oder sich auf das Vorzieheniner Steuerreform zu einigen, dann, meine ich, ist das,as der Konvent in den letzten eineinhalb Jahren zu-tande gebracht hat, mit Recht als historisch zu bezeich-en.Wir haben das geschafft, und zwar entgegen vielernkenrufe und vor dem Hintergrund der Zerstrittenheituropas in der Irakkrise, die viele dazu veranlasst hat, zuagen, dass die Europäische Union noch nicht so weit ist,emeinsam zu handeln: Sie ist an einem wichtigen Punkt
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4334 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Peter Altmaiergescheitert. Trotzdem hat es der Konvent geschafft, sichauf einen Entwurf zu einigen, der von 98 Prozent allerDelegierten im Konvent unterschrieben werden wird.Das heißt, mit Ausnahme eines dänischen Nationalis-ten und eines britischen Abgeordneten haben wir alle,von links über die Mitte bis rechts, von den Liberalen bishin zu den Grünen, es geschafft, uns auf einen Entwurfzu einigen. Das ist ungeachtet des konkreten Inhalts einentscheidendes Signal dafür, dass die Europäische Unionschon heute mehr ist als eine reine Wirtschaftsgemein-schaft. Es zeigt vielmehr, dass sich die Politiker ihrerVerantwortung für die Zukunft der Europäischen Unionbewusst sind.Dass die Einigung auf den Verfassungsentwurf gelun-gen ist, ist zum einen dem Prinzip der Öffentlichkeit zuverdanken. Der Europäische Konvent hat in der Öffent-lichkeit, das heißt unter der Kontrolle der Medien undder Bürgerinnen und Bürger, getagt. Das hat im Gegen-satz zu Regierungskonferenzen und Verhandlungen hin-ter verschlossenen Türen die Möglichkeit, offensichtlichunsinnige Positionen zu vertreten, erheblich reduziert.Zum anderen lag der Einigung das Bewusstsein zu-grunde, dass es nach dem Scheitern der Regierungskon-ferenz in Nizza nur diese eine Chance gab, die Europäi-sche Union am Vorabend der Erweiterung zukunftsfähigzu machen. Wenn der Konvent scheitern würde, gäbe esso schnell keine zweite Chance für die EuropäischeUnion. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns für die erstenbeiden Teile auf ein Ergebnis geeinigt haben. Ich hoffe,dass wir die Kraft finden, dies im Juli auch für den drit-ten und vierten Teil des Konvents zu erreichen.Ich bedauere es, wie andere Redner auch, dass esnicht gelungen ist, einen eindeutigen Bezug auf dieTranszendenz – das heißt einen Bezug zu Gott oder zuden christlichen Traditionen und Überlieferungen Eu-ropas – in den Verfassungsvertrag aufzunehmen. Wir ha-ben dafür gekämpft, weil wir glauben, dass dies bei al-lem Respekt gegenüber Andersdenkenden ein wichtigerBeitrag gewesen wäre, um die europäische Identität nachinnen wie nach außen sichtbar zu machen.Ich stelle fest, dass sich der Bundesaußenministernach seiner Audienz beim Papst – offenbar wurde ervom Heiligen Geist überzeugt – in dieser Frage stärkerals in der Vergangenheit konstruktiv eingesetzt hat. Da-für bedanke ich mich ausdrücklich bei ihm. Ich hättemich allerdings gefreut, wenn es zu gemeinsamen Anträ-gen der Vertreter von CDU/CSU und Rot-Grün im Kon-vent zu diesem Thema gekommen wäre.Trotzdem ist das, was wir erreicht haben, nicht wenigund nicht unbeachtlich. Erstmals wird auf die religiösenÜberlieferungen Europas Bezug genommen. Es gibt ei-nen strukturierten Dialog mit den Kirchen; des Weiterenist die Anerkennung ihrer rechtlichen Stellung nach na-tionalem Recht zu nennen.Vor allen Dingen ist durch die Aufnahme der Grund-rechte-Charta in den Verfassungsvertrag Art. 1 Abs. 1Satz 1 der Grundrechte-Charta – er lautet: Die Würde desMenschen ist unantastbar – rechtsverbindlich geworden.Dieser Satz ist identisch mit Art. 1 Satz 1 des deutschenGndDikeddVatGswsniIzBtsfpSddgzirddmgpspBvwwEadgtMüven
Ich verhehle nicht, dass wir in einem Bereich nicht soeit gekommen sind, wie ich persönlich mir das ge-ünscht hätte. Das ist die Ausdehnung des Prinzips derntscheidungen mit qualifizierter Mehrheit auf fastlle Politikbereiche. Wir haben es zwar geschafft, vonem sehr komplizierten Prinzip der Stimmgewichtungemäß dem Vertrag von Nizza zu einem einfachen Sys-em der doppelten Mehrheit, das heißt der Mehrheit deritgliedstaaten und der Mehrheit der Bevölkerungen,berzugehen, was dazu führt, dass auch die deutsche Be-ölkerungszahl mehr als bisher ihren Niederschlag inuropäischen Entscheidungen findet. Wir haben es abericht geschafft, uns zum Prinzip der Mehrheitsentschei-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4335
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Peter Altmaierdung in all den Bereichen zu bekennen, die keinen ver-fassungsändernden Charakter haben oder die nichts mitder Finanzausstattung der Europäischen Union zu tunhaben. Ich persönlich bin aufgrund meiner langjährigenErfahrungen als Beamter in der Europäischen Union undals Abgeordneter im Europaausschuss des DeutschenBundestages überzeugt, dass das Einstimmigkeitsprinzipüberall dort, wo es im konkreten politischen Alltag zurAnwendung kommt, dazu führt, dass die Entscheidun-gen länger dauern sowie schlechter und teurer werden.
Wir konnten in den letzten Wochen und Monaten imKonvent beobachten, dass sich, ausgehend von den Be-reichen der Außen-, der Sicherheits- und der Verteidi-gungspolitik, in denen die Irakkrise die Atmosphäre ver-giftet und das Vertrauen zerstört hat, zunehmend dieErkenntnis durchgesetzt hat, dass wir noch nicht im-stande sind, überall zum Prinzip der Mehrheitsentschei-dungen überzugehen.Damit komme ich zu einem Punkt, der für die ab-schließenden Beratungen des Konvents in den nächstenWochen sicherlich von großer Bedeutung sein wird. Dasist die Frage, wie wir mit dem Bereich der Zuwande-rung und des Asyls umgehen sollen. Selbstverständlich– das bestreitet sicherlich niemand in diesem HohenHause – kann man über die Fragen des Asyls von Bür-gerkriegsflüchtlingen und der Zuwanderung auf europäi-scher Ebene diskutieren und kann die damit zusammen-hängenden Probleme in vielen Bereichen nur aufeuropäischer Ebene lösen. Deshalb hat die damaligeCDU/CSU-FDP-Bundesregierung in Maastricht undAmsterdam dafür gesorgt, dass eine entsprechende Zu-ständigkeit in den europäischen Verträgen festgeschrie-ben wird.Ich glaube allerdings – das möchte ich mit der glei-chen Deutlichkeit sagen –, dass wir angesichts der enor-men Unterschiede in der Wirtschaftskraft und insbeson-dere angesichts der augenblicklichen wirtschaftlichenSituation der Mitgliedstaaten gut daran getan hätten, da-rüber nachzudenken, ob wirklich alle Entscheidungen indiesem Bereich auf europäischer Ebene getroffen werdenmüssen. Das wäre auch ein Signal dafür gewesen, dass esmöglich ist, Zuständigkeiten, die einmal auf Europaübertragen worden sind, wieder auf die nationale Ebenezurückzuübertragen. Zuständigkeit für Bürgerkriegs-flüchtlinge? – Selbstverständlich! Zuständigkeit fürAsylfragen? – Selbstverständlich! Aber sind wir wirklichder Auffassung, dass die Zuwanderung zum nationalenArbeitsmarkt für alle europäischen Länder gleich gere-gelt und in Brüssel zentral entschieden werden muss?Diese Frage könnte man bejahen, wenn es überall gleicheWirtschaftsbedingungen gäbe. Aber in einer Situation, inder die Arbeitslosigkeit zum Beispiel bei uns in Deutsch-land dreimal so hoch ist wie die in Großbritannien, Lu-xemburg, Portugal oder in Österreich, wäre es sinnvollgewesen, diese Frage – jedenfalls in den nächsten Jahren –in nationaler Zuständigkeit zu belassen.
gnsErkfrgssAwctFaEaEbedUShbggimewshldsvsr
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
bgeordneten Schily?
Mit dem allerhöchsten Vergnügen.
Herr Kollege Altmaier, ich teile Ihre Auffassung, dass
ir bei der Regelung der Zuwanderung aus wirtschaftli-
hen, sozialen und anderen Gründen die nationalen Un-
erschiede beachten müssen. Mein Standpunkt in dieser
rage kommt dem Ihren offenbar sehr nahe. Halten nicht
uch Sie es für notwendig, dass die Mitgliedstaaten der
uropäischen Union ihre jeweilige Migrationspolitik
ufeinander abstimmen? Es könnten sich ja nationale
ntscheidungen durchaus auf die Situation in den Nach-
arstaaten auswirken. Beispielsweise könnte Spanien
ine Immigrationspolitik mit der Perspektive betreiben,
ass die Zuwanderer spanische Staatsbürger und damit
nionsbürger werden. Das würde auch Einfluss auf die
ituation in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten
aben. Ist es unter Beachtung der Unterschiede – Sie ha-
en darauf hingewiesen – nicht sinnvoll, dass die Immi-
rationspolitik auf europäischer Ebene aufeinander ab-
estimmt wird?
Herr Bundesinnenminister, unsere Standpunkte liegenn dieser Frage mit Sicherheit nicht auseinander. Manuss allerdings zwischen der Frage, ob man etwas aufuropäischer Ebene abstimmt, und der Frage, ob man et-as auf europäischer Ebene zentral regeln muss, unter-cheiden.
Was die europäische Wirtschaftspolitik angeht, ent-ält der Vertrag beispielsweise eine Koordinierungsmög-ichkeit. Damit verbunden ist aber nicht die Möglichkeiter Europäischen Union, rechtlich verbindliche Ent-cheidungen zu treffen. Aus meiner Sicht ist es deshalböllig in Ordnung, dass man auf europäischer Ebene bei-pielsweise sogar mit Verordnungen und Gesetzen da-über entscheidet, wie es mit der Freizügigkeit derjenigen
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4336 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Peter Altmaieraussieht, die aufgrund nationaler Entscheidungen Zu-gang zum Arbeitsmarkt finden und sich anschließendzehn, 15 Jahre oder länger rechtmäßig in einem Mit-gliedstaat aufhalten. Fragen dieser Art müssen euro-päisch geregelt werden.Das lässt aber die Möglichkeit offen, auch in Zukunftin nationaler Zuständigkeit zu entscheiden, wie vieleBürger aus Drittstaaten aus Afrika, aus Asien und vonwoanders – ich denke nicht an Bürger der EuropäischenUnion oder der Kandidatenländer, die der EuropäischenUnion zum 1. Mai nächsten Jahres beitreten werden –neu auf den Arbeitsmarkt kommen. Ich wiederhole: Dassoll und muss auch in Zukunft in nationaler Zuständig-keit entschieden werden können.Als dieses Problem im Konvent erörtert wurde, war esnicht möglich, dass die deutschen Konventsdelegierten– in Kenntnis der Position der Bundesregierung; ichglaube, sie ist vom Grundsatz her von der unseren garnicht so weit entfernt – einen gemeinsamen Brief an denVorsitzenden des Konvents Giscard d’Estaing schreiben,in dem gestanden hätte: Wir treten dafür ein, dass dieZuständigkeit der Mitgliedstaaten, den Zugang der Zu-wanderer zu ihrem Arbeitsmarkt selbst zu regeln, vonden übrigen Regelungen unberührt bleibt.Die jetzt vorgesehene Einstimmigkeit ist im Grundegenommen nur die zweitbeste Lösung. Sie bedeutet, dassin Zukunft alle 25 Mitgliedstaaten ein Vetorecht haben,mit dem sie verhindern können, dass im Ministerrat Ent-scheidungen getroffen werden, die gegen die eigenen In-teressen gerichtet sind. Meine Befürchtung ist: DieseRegelung wird im besten Fall dazu führen, dass garnichts geregelt wird, und sie wird nicht dazu führen, dassetwas wirklich gut geregelt wird.
Herr Kollege Altmaier, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Müller?
Bitte, mit dem gleichen Vergnügen.
Herr Altmaier, wir haben hier in dieser für Deutsch-
land so zentralen Frage der Regelung der Zuwanderung
Übereinstimmung zwischen Opposition und Bundesre-
gierung festgestellt. Wie erklären Sie angesichts dessen,
dass die Position, die Sie vertreten und die hier mittler-
weile auf Zustimmung stößt, bei der entscheidenden
Debatte im europäischen Konvent vom Vertreter der
Bundesregierung nicht in einem Änderungsantrag einge-
bracht wurde, obwohl ein entsprechender Änderungsan-
trag des Bundesaußenministers mir heute – nachdem der
Gipfel getagt hat und sämtliche Beschlüsse gefasst wor-
den sind – im Internet überraschenderweise zugänglich
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Wir werden im Konvent noch zwei oder drei Wochenang über die letzten Einzelfragen zu reden haben. Esind wichtige Einzelfragen. Es geht nicht nur um Zu-anderung. Es geht auch um viele andere Fragen zurbgrenzung der Kompetenzen zwischen der europäi-chen und der nationalen Ebene. Wir alle werden gut da-an tun, gemeinsam daran zu arbeiten, dass das Ergebnis,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4337
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Peter Altmaierdas am 10. Juli vorliegen wird und am 18. Juli der italie-nischen Präsidentschaft übergeben werden wird, so aus-fällt, dass wir eine Tradition in diesem Haus fortsetzenkönnen, die wir in den 60er-Jahren begründet haben,nämlich dass alle wesentlichen Zukunftsentscheidungenzu Europa von allen demokratischen Parteien in diesemHause gemeinsam getragen werden. Für dieses Ziellohnt es sich, zu arbeiten. In diesem Sinne wünsche ichuns allen einen erfolgreichen Verlauf der nächsten Wo-chen im europäischen Konvent.
Das Wort hat der Staatsminister für Europa Hans
Martin Bury.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Europa wagt mehr Demokratie – so könnte man die Ar-beit des Konvents, seine Ergebnisse und deren Auf-nahme beim Gipfel in Thessaloniki in einem Satz zu-sammenfassen. Europa bekommt eine Verfassung.Auch wenn uns das nach den langen und intensiven Be-ratungen im Plenum des Deutschen Bundestags und imEuropaausschuss schon fast selbstverständlich erscheint,so ist es am Beginn dieses Beratungsprozesses keines-wegs eine Selbstverständlichkeit gewesen. Denken Siean Großbritannien! Die Briten kennen im eigenen Landkeine geschriebene Verfassung und mussten sich mitdem Gedanken an eine geschriebene europäische Verfas-sung erst anfreunden. Auch in Deutschland gab es vorwenigen Jahren noch kaum jemanden, der das Projekt ei-ner europäischen Verfassung für mehr als eine kühneVision gehalten hätte.Jetzt wird diese Vision Realität. Europa wird hand-lungsfähiger, transparenter und damit bürgernäher. ImVerfassungsentwurf werden nicht nur die grundlegendenWerte und Ziele der Europäischen Union, sondern auchdie Regeln und Prinzipien ihres Handelns beschrieben.Diese für die Bürgerinnen und Bürger wesentlichen Teilewürden sogar den Jack-Straw-Test bestehen. Der briti-sche Außenminister hat als Kriterium für eine gute Ver-fassung einmal genannt, dass sie in seine Hemdtaschepassen muss.Auch wenn wichtige Themen, die im dritten Teil ge-regelt werden, in den abschließenden Beratungen desKonvents noch sorgfältiger Verhandlung bedürfen, kön-nen wir heute feststellen: Deutschland hat im Konventzentrale Anliegen durchsetzen können. Am vordring-lichsten für uns war, dass mit dem Verfassungsentwurfdie Voraussetzung für die erfolgreiche Erweiterung derEuropäischen Union geschaffen und die Handlungs-fähigkeit Europas auch bei 25 und mehr Mitgliedern derEU gewährleistet wird. So kann die Erweiterung und da-mit die endgültige Überwindung der Teilung Europasjetzt zu einem guten Abschluss gebracht werden.Deutschland hat als Land in der Mitte Europas daran einbesonderes Interesse.DdUddsbseKVrwsbssessdzrmasdznsrsdwigdeud–vdPrv
Meine Damen und Herren, wer unterschiedliche Tra-itionen und Vielfalt in Europa bewahren will, mussum Kompromiss bereit sein. Entscheidend für mich isticht, ob eine Verfassung alle Partikularinteressen voll-tändig berücksichtigt – diesen Anspruch kann keine eu-opäische Verfassung erfüllen –, sondern ob sie zwei ent-cheidenden Kriterien genügt: Sie muss eine Verfassunger Bürger und eine Verfassung für die Bürger sein.Eine Verfassung der Bürger ist der vorliegende Ent-urf, weil er das Ergebnis einer lebendigen Diskussionn einem Konvent ist, der die innere Vielfalt der Mit-liedstaaten widerspiegelt. Das Ergebnis geht weit überas hinaus, was in Regierungskonferenzen zuvor jemalsrreicht wurde. Die Konventsmethode hat sich bewährtnd soll daher auch für künftige Reformen genutzt wer-en.
Herr Kollege Müller, es gehört ja zur Stärke des Kon-ents, dass neben Regierungsvertretern und Vertreterner Kommission Parlamentarier sowohl der nationalenarlamente als auch des Europaparlaments an diesen Be-atungen beteiligt wurden. Insofern geht Ihr Zwischenruföllig in die Irre.
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4338 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Staatsminister Hans Martin BuryEine Verfassung der Bürger ist der Entwurf auch, weiler auf bewährte Selbstregulierungsmechanismen entwi-ckelter europäischer Gesellschaften vertraut. Er ist Aus-druck und Spiegelbild der Zivilgesellschaften der Mit-gliedstaaten und verschafft diesen neue Freiräume aufeuropäischer Ebene.
Herr Kollege Bury, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Müller?
Aber ja.
Herr Staatsminister, bei der Betrachtung des Kon-
vents haben Sie zu Recht darauf hingewiesen, die natio-
nalen Parlamente sollten dort vertreten sein. Könnten Sie
dem Hohen Haus mitteilen, welches Mitglied des Deut-
schen Bundestages Vollmitglied – mit vollem Stimm-
und Sprechrecht – des 105-köpfigen Konvents war?
Herr Kollege Müller, ich habe nicht darauf hingewie-sen, dass die nationalen Parlamente im Konvent vertre-ten sein sollten, sondern darauf, dass Parlamentarier imKonvent vertreten sind und sogar die Mehrheit der Mit-glieder des Konvents stellen. Der Deutsche Bundestaghat entschieden, als Vertreter des deutschen Parlamentsden Kollegen Jürgen Meyer und als seinen Stellvertreterden Kollegen Altmaier, den wir gerade gehört haben, zuentsenden. Als föderaler Staat haben wir darüber hinausals Vertreter des Bundesrates Herrn MinisterpräsidentenTeufel und als seinen Stellvertreter Herrn MinisterGerhards in diesem Verfassungskonvent gehabt. Sie ha-ben mit den Vertretern der Bundesregierung sehr inten-siv und konstruktiv zusammengearbeitet. Ich glaube, wirkönnen selbstbewusst miteinander feststellen: Wir habenbei dieser Zusammenarbeit gemeinsam viel erreicht.
Eine Verfassung für die Bürger ist der vorliegendeEntwurf, weil er die Handlungsfähigkeit der Union nachaußen und ihre Transparenz im Inneren stärkt und damitdie berechtigten Erwartungen der Europäerinnen undEuropäer an das Funktionieren der Union erfüllt. Trans-parenz nach innen bedeutet, dass die Union durch die ge-plante Verfassung bürgernäher wird. Die Anzahl derRechtsinstrumente wird verringert und sie werden den inden Mitgliedstaaten vertrauten angenähert. Damit wer-den die Entscheidungsverfahren nachvollziehbar. Eswird klar, wer was entscheidet – ein wichtiges Element,um der verbreiteten Skepsis zu begegnen, die nicht zu-letzt auf mangelnder Transparenz beruht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Stärkungder außenpolitischen Handlungsfähigkeit Europas kön-nen wir darauf bauen, dass sich ein gemeinsames euro-pepaWIumuAtAbsrNswmrswsdSTzStüehMsdsumhWSdukzzhpNddrnuei
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4339
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerd Müller,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn diese Verfassungsdebatte von historischer
Bedeutung sein soll, dann muss dieses Parlament sie
auch ernst nehmen. Dazu müsste – so sollte man anneh-
men – der Vertragstext, über den wir diskutieren, den
Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorliegen.
Das ist aber eine falsche Annahme: Keinem Mitglied des
Hauses liegt der Text, über den wir reden, vor.
Meine Damen und Herren, der Bundesaußenminister
nimmt dieses Parlament nicht ernst. Wir haben gestern
eine Schlussdebatte über die Ergebnisse des europäi-
schen Gipfels am Wochenende und über den europäi-
schen Verfassungsvertrag geführt. In dieser Debatte
hieß es, in der Juli-Sitzung seien nur noch technische
Veränderungen nötig. Es war nicht, Herr Bundesaußen-
minister, von den 57 Änderungsanträgen die Rede, die
Sie in der Nacht via Internet für die Konventsitzung ein-
gebracht haben.
Mit dem Inhalt dieser Änderungsanträge bestätigen
Sie in vielen Punkten den Kurs unserer Partei: Sie grei-
fen die Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf, Sie
stellen den Antrag, die Zuwanderung in der Kompetenz
der Mitgliedstaaten zu belassen, Sie stellen einen Antrag
zum Thema Kernenergie usw. Ich stelle mir die Frage:
Warum sind Sie nicht zu dem Zeitpunkt aktiv geworden,
als die Themen im Konvent verhandelt wurden und als
noch etwas zu bewegen war? Was Sie jetzt machen, ist
Schaumschlägerei.
Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Lührmann?
Ja, bitte.
Herr Müller, wenn ich mich richtig entsinne, dann
waren Sie gestern bei der Sitzung des Europaausschus-
ses anwesend. Wenn ich mich weiter richtig entsinne,
dann lag in dieser Sitzung der Entwurf für die europäi-
sche Verfassung vor uns auf dem Tisch. Ich gehe davon
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Der Verfassungsvertragsentwurf, wie er in Thessalo-iki behandelt wurde, liegt den Mitgliedern des Deut-chen Bundestages einschließlich mir nicht vollständigor.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der ent-cheidende Bereich III, in dem es um die Kompetenz-estlegung geht, soll im Juli noch einmal verhandelt wer-en. Dazu liegen die 57 Änderungsanträge vor. Dietaats- und Regierungschefs hingegen haben gesagt, esehe nur noch um technische Veränderungen.Ich wiederhole meine Feststellung: Wenn es ein histo-ischer Vertrag sein soll, muss man anders miteinanderiskutieren. Wir wollen über die Inhalte diskutieren.Das jetzt vorliegende Ergebnis ist ambivalent. Wir se-en die vielen positiven Vorstöße und Vorschläge vonerrn Teufel, Herrn Altmaier, unseren Vertretern imonvent. Sie finden Anerkennung. Die Weiterentwick-ung zur doppelten Mehrheit, die Reform des Minister-ats, das Subsidiaritätsprinzip, das sind wichtige undichtige Punkte. Aber – Herr Teufel, ich greife gerne auf,as Sie in Ihrer Rede gesagt haben – die Allzuständig-eit der Europäischen Union war in der Vergangenheitas Hauptärgernis. Dies war auch der Auslöser, den Auf-rag zu einer klaren Kompetenzabgrenzung zu geben:as macht zukünftig Brüssel, was macht Stuttgart undas macht Berlin, wo liegen die Zuständigkeiten?In dieser Frage der Kompetenzabgrenzung ist derntwurf absolut nicht befriedigend. Es wird jetzt eineeue Aufteilung geben – Sie haben das dargestellt –:usschließliche und geteilte Zuständigkeiten, koordinie-ende Funktion, Unterstützungs- und Ergänzungsfunk-ionen; kaum noch Durchsicht, kaum noch Transparenz.ahinter, so sagen Sie, Herr Teufel, stecke das Bundes-taatsmodell für Europa, ein Aufbau, wie wir ihn ineutschland kennen. Da frage ich: Was ist bei diesemundesstaatsmodell der konkurrierenden Zuständigkei-en in Deutschland den Landtagen noch verblieben außerem Erziehungs- und Unterrichtsgesetz? Ich meine nichtie Landesregierungen – Sie verstehen mich –, sondernie Landtage.So wird auch der Prozess in Europa angelegt. Wirerden uns in fünf Jahren fragen: Was bleibt bei diesemodell in Zukunft noch der Ebene der nationalen Parla-ente? Die Länder, in Deutschland die Bundesländer,aben relativ gut abgeschnitten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Abgren-ung der Zuständigkeiten war eigentlich der Kernpunkt.rsprünglich sollte – auch das wurde hier angespro-hen – die Ermächtigungsklausel abgeschafft werden.
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4340 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Dr. Gerd MüllerEingeführt wurde aber eine Supergeneralklausel, dieHerr Bundesaußenminister Genscher in einem Ände-rungsantrag herauszubringen versucht.
– Bundesaußenminister Fischer, ja. Ich denke bei Europanatürlich an die großen deutschen Außenminister wieHans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel und andere.
Da fällt mir natürlich weder im Unterbewusstsein nochim Bewusstsein Joschka Fischer ein.Wir alle sind angeblich gegen eine europäischeSteuer. Dennoch bekräftigen wir die entsprechendeRechtsgrundlage.Europa soll sich auf das Große beschränken und denMitgliedstaaten die Regelung der Details überlassen.Das war immer unsere Vorgehensweise. Der neue Ver-fassungsvertrag schafft neue Zuständigkeiten für dieEuropäische Union – damit mich jeder richtig versteht:das kann man wollen, aber man muss wissen, über wasman entscheidet; natürlich kann man diesen Weg gehen,aber man muss auch wissen, wohin er führt – in den Be-reichen Gesundheitspolitik, berufliche Bildung, Jugend-politik, Sport, Kultur, Zivilschutz, Energiepolitik, For-schungspolitik, Innen- und Justizpolitik, Koordinierungder Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie neue Zustän-digkeiten in Bezug auf die Zuwanderung in die EU.Da stellt sich natürlich die Frage: Was bleibt über-haupt noch in nationaler oder in Länderkompetenz? Ichsehe überhaupt keinen Bereich mehr, in dem es Kompe-tenzen ausschließlich der Mitgliedstaaten und der Län-der gibt. Das heißt, in Zukunft wird es keinen Politikbe-reich mehr geben, in dem die Europäische Union nichtmitentscheidet und Kompetenz hat. Das kann man zwarwollen – aus der Sicht von Brüssel ist das vielleicht derrichtige Weg –, aber es ist der Weg in Richtung Zentrali-sierung der Entscheidungsebenen. Wir sind für einenWeg der klaren Abgrenzung und für einen Weg des Fö-deralismus, der der Zentralisierung entgegensteht.
Für mich ist wichtig, noch auf einen weiteren Punkthinzuweisen: Die christlichen Grundwerte und derGottesbezug fehlen. Die Präambel ist praktisch inhalts-und wertlos. Jean Monnet hat einmal gesagt, dass er dieKultur in den Vordergrund stellen würde, wenn er heutenoch einmal mit der europäischen Einigung beginnenwürde. Nur durch die Bezugnahme auf die Wurzeln derchristlich-abendländischen Kultur, die Kultur der An-tike, der Römer, der Griechen, des Judentums, sowiedurch den Bezug auf den Humanismus und auf Gott be-kommen wir ein inhaltliches Fundament für die europäi-sche Einigung und schaffen die Voraussetzungen für dieGestaltung der Zukunft. Herr Fischer, solange Sie dieseBezüge auf Gott und auf die christliche Tradition Euro-pas leugnen, wird Ihnen auch kein großer Schöpfungsaktgelingen.2wPscs–BVbdmrninznwesgrwERwemAktrbLnnMlituJ
Die Bundesregierung hat kein Gesamtkonzept, aber00 Änderungsanträge vorgelegt. Das Gesamtkonzepturde von der Union vorgelegt. Das Schäuble-Bocklet-apier wäre der richtige Weg gewesen. Sie versteckenich mit Ihren Vorschlägen hinter Frankreich. Sie ma-hen sich mehr für türkische als für deutsche Interessentark.
Natürlich muss die Frage gestellt werden, mit welchererechtigung die Türkei an der Regierungskonferenz zurerabschiedung dieses Verfassungsvertrages teilnimmt.Wenn wir dieses Projekt auf diese Weise zu Enderingen, dann habe ich hinsichtlich der Zuwanderung inie EU die Befürchtung, dass der zukünftige Chefaußen-inister Fischer in Brüssel einen türkischen Zuwande-ungskommissar aus Ankara benennen wird. Ich willicht, dass diese Vorstellung in der Europäischen Union Zukunft wahr wird.
Nach meinen Ausführungen zur Kompetenzabgren-ung, zum Wertebezug und Gottesbezug möchte ichoch eine Schlussbemerkung machen: Schaffen wirirklich mehr Demokratie? Es würde sich lohnen, dazuine eigene Debatte zu führen. Ich bin der Meinung, wirchaffen weniger Demokratie. Mehr Brüssel heißt weni-er Volksnähe. Wir schaffen die Entparlamentarisie-ung der Gesetzgebung. Es ist nämlich so, dass das,as uns an Kontrollmöglichkeiten genommen wird, demuropäischen Parlament nicht zufällt. Deshalb sind dieegierungen alle so glücklich mit diesem Vertragsent-urf. Die Parlamentarier müssen endlich aufwachen undrkennen: Dieser Verfassungsentwurf bedeutet eine Ent-achtung der Parlamente.
lle Macht der Exekutive! Dies ist eine Exekutivdemo-ratie. Nein, wir brauchen die Mitsprache und die Kon-olle der Parlamente im europäischen Bereich. Wirrauchen sie weiterhin auf nationaler Ebene und aufandesebene. Wir wollen ein Europa, das das Volk mit-immt und das sich von unten nach oben föderal undicht zentralistisch organisiert.Deshalb setzen wir darauf, im Laufe der nächstenonate und im Laufe der Regierungskonferenz wesent-che Änderungen durchzusetzen. Die Schlussbewer-ng dieses Entwurfes bleibt deshalb offen.Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollegeoschka Fischer.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4341
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Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Frau Präsidentin, gestatten Sie mir, dass ich ganz kurzauf den verehrten Kollegen Vorredner,
auf Herrn Dr. Müller, eingehe, der es geschafft hat, einweiteres Mal das Niveau dieser Debatte weit nach untenzu drücken.
Ich lasse mir vieles gefallen. Nur, dass Sie der Bundes-regierung vorwerfen – natürlich, ihr habt in BayernWahlkampf –, sie vertrete keine deutschen Interessen,sondern türkische und verstecke sich hinter Frankreich,kann ich nicht akzeptieren.Ich gehe einmal konkret auf das ein, was Sie gesagthaben, nämlich dass ein möglicher deutscher Kandidatfür die Position des EU-Außenministers einen türkischenZuwanderungskommissar benennen würde. Das wollenSie nicht. Gestatten Sie mir einen Blick in den Verfas-sungsentwurf; niemand denkt daran, dieses System zuändern! Mit voller Unterstützung Ihrer Parteifreunde, diedas genauso sehen und dies wichtig finden, wird es inZukunft so aussehen: Der EU-Kommissionspräsidentwird – Herr Hintze hat das vorhin zu Recht angeführt; ersieht darin einen großen Demokratisierungsfortschritt;ich stimme ihm darin zu – im Lichte der Ergebnisse derEuropawahlen vom Europäischen Rat nominiert werden.Dann wird dieser Kommissionspräsident vom Europäi-schen Parlament gewählt werden. Dieser Kommissions-präsident – und nicht der Außenminister – wird dann auseinem ganzen Paket von Vorschlägen – pro Land drei –die Kommissare auswählen.Ich frage mich, warum Sie es nötig haben – der baye-rische Wahlkampf kann so wichtig auch nicht sein –, ineiner so zentralen historischen Debatte eine solche Ver-zerrung der Tatsachen zum Gegenstand Ihrer Äußerun-gen zu machen.
Zur Beantwortung hat das Wort der Kollege Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niveau
hin oder her: Wir müssen über diese Fragen diskutieren.
Das sind die Fragen, die das Volk interessieren.
Sie können davon ausgehen: Wenn sich der Bundesau-
ßenminister nicht intensiv mit dieser Frage beschäftigt
hätte, hätte er sich jetzt nicht in die Debatte eingeschal-
tet. Ein Kernpunkt ist: Wohin steuert Europa? Wer wird
Mitglied der Europäischen Union?
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as ist die Vorstufe für eine Mitgliedschaft.
Herr Außenminister, Sie haben sich sehr differenziert
it Ihren zukünftigen und mit Ihren nicht bestehenden
echten als europäischer Außenminister auseinander ge-
etzt. Sie haben sich diese Dinge ganz bewusst zurecht-
eschneidert. Nun kann ich Ihnen sagen: Wenn die Euro-
äische Union die Türkei als europäisches Mitgliedsland
ufnimmt, dann ist sie Mitglied im Europäischen Parla-
ent und dann kann ein griechischer, ein spanischer
der ein italienischer Kommissionspräsident aus dem
weitgrößten Mitgliedsland, aus der Türkei, einen Kom-
issar berufen. Natürlich kann dieser für Zuwande-
ungsfragen zuständig sein. Die Zuwanderungsfragen
er Türkei sind dann gelöst. Denn wenn sie Mitglied ist,
ann sie sich der vollen Freizügigkeit innerhalb der Eu-
opäischen Union bedienen.
Das ist ein Punkt – da danke ich Ihnen für die Inter-
ention –, über den wir mit der Bevölkerung diskutieren
üssen: ob wir diesen Weg gehen wollen. Man kann
iesen Weg ja gehen wollen, so wie Sie. Nur muss man
as dann der deutschen Öffentlichkeit sagen und ein Vo-
um vom Volke dafür einholen, nicht von bürokratischen
tuben der Regierungen.
Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken,
ündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Ich will gleich mit einem weiteren Ver-uch des Kollegen Dr. Müller aufräumen, hier Volksver-ummung zu betreiben. Die Teile I und II der Verfassungiegen Ihnen vor und lagen in Thessaloniki vor. Dieeile III und IV werden am 10. und 11. Juli abschließendehandelt.
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4342 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Ulrike HöfkenDer Entwurf liegt Ihnen ebenfalls vor. Hätten Sie IhrenKollegen, Ministerpräsident Teufel und allen anderen,zugehört! Genau das ist die Grundlage unserer heutigenDiskussion. Daran hat niemand gezweifelt.Heute können wir wichtige und erfolgreiche Schrittein der europäischen Entwicklung verzeichnen. Es liegtdas Ergebnis von Thessaloniki inklusive seiner sicher-heitspolitischen Bereiche vor, die schon diskutiert wur-den. Vor allem liegen uns der Gesetzentwurf zu demVertrag über den Beitritt von zehn Ländern und der Ver-trag über eine europäische Verfassung vor. Das alles ist– das muss man deutlich sagen – keine Selbstverständ-lichkeit, sondern vieler Arbeit der Beteiligten im Kon-vent zu verdanken, insbesondere der deutschen Bundes-regierung, die dieses Ergebnis von Thessaloniki mitzustande gebracht hat.
Eine Selbstverständlichkeit ist es im Übrigen auchnicht, dass heute der Beschluss des Agrarministerrateszur Weiterentwicklung der EU-Agrarpolitik zustandegekommen ist – ebenfalls eine zwingende Voraussetzungfür die Osterweiterung und die weitere Entwicklung derEuropäischen Union.Nicht alle unsere Ziele hat der Konvent erfüllt. Schonlange laufen die Anstrengungen, die EU-Agrarpolitiknachhaltiger, marktgerechter usw. zu gestalten. Aber esist unsinnig, unrealistisch, undemokratisch und auchfortschrittsfeindlich, zu verkennen, dass es unterschiedli-che Positionen bisheriger und künftiger Mitgliedsländergibt, und diese zu ignorieren.Ein gemeinsames Ergebnis muss tragfähig sein undgetragen werden. Am Konvent waren – das ist bereitsdeutlich gemacht worden – 28 Regierungen, nationaleParlamente, EU-Parlament und -Kommission beteiligt,ebenso übrigens auch die Türkei – ohne irgendeinenKonflikt.Ich bin sehr beeindruckt von der Leistung der Bei-trittsländer, die die Voraussetzungen für den Beitritt mitseinen scharfen Kriterien erfüllt haben, und von ihren er-folgreichen Referenden. Die bedeuten nämlich auch,dass die Länder ihre Bevölkerungen in diese Diskussioneinbezogen haben.
Wir sollten das als Ansporn und Verpflichtung nehmen,unsere Bevölkerung ebenfalls für Europa und die euro-päischen Entwicklungen zu sensibilisieren und aktiv da-für zu werben.Angesichts der auch in unserer Nähe weiter stattfin-denden Terroranschläge und Kriege ist die Sensibilitätgewachsen. Die Sicherheit und der Frieden Europas sindGrundvoraussetzungen und Grundmotivation. Ich darfgleich noch einmal auf den Punkt Türkei eingehen.Es gilt natürlich auch, die Ängste der Menschen ernstzu nehmen – aber nicht, sie zu schüren – und eine Ein-heit in Vielfalt zu unterstützen, die Fragen der Erweite-rdBlbiNffrdDlvmdstnwdzAdMcrPbsÜdwRflJmidbamEehedRl
s geht um die Beschlüsse von Helsinki. Die Türkei istin Beitrittskandidat und soll ein ehrliches Angebot er-alten. Ansonsten würde man die Glaubwürdigkeit alleruropäischen Regierungen infrage stellen und sie völligiskreditieren. Die Türkei entwickelt sich in die richtigeichtung; sie macht Fortschritte. Sie haben offensicht-ich etwas dagegen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4343
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Ulrike HöfkenFür uns ist es selbstverständlich wichtig, dass dieMenschenrechte gewahrt und die Kopenhagener Krite-rien erfüllt werden.
Was diese Entwicklung angeht, kann man sehr positivgestimmt sein.
Mit dem Beitritt der Türkei – das ist ganz klar – wird dieEU und insbesondere Deutschland in ökonomischer undsicherheitspolitischer Hinsicht gewinnen. Diesen Pro-zess darf die Union nicht gefährden; das dürfen auch Sieim bayerischen Wahlkampf nicht tun.
Ich möchte eine ganz persönliche Bemerkung hinzu-fügen: Ich sehe enge Verbindungen zwischen der Bevöl-kerung unseres Landes und jener der Türkei. Auch dasist für mich ein Grund, diese Verhandlungen zu unter-stützen.Ich will noch kurz auf die westlichen Balkanstaatenzu sprechen kommen. Ich wage keine Vorhersage, wannsie beitreten werden. Aber allein der Prozess des Bei-tritts bietet den jungen Menschen, die sich in diesen Län-dern in einer sehr schwierigen Situation befinden, dieHoffnung auf neue Perspektiven, die Chance, den Hassund die Risse zu überwinden. Er bietet die Möglichkeit,auch auf regionaler Ebene neue Formen der Zusammen-arbeit und des Zusammenlebens zu entwickeln. Das al-lein ist es wert, diesen Prozess zu führen.Die Agenda von Thessaloniki stellt an diese Länderhohe Anforderungen, die sie erfüllen wollen. Sie ist fürdiese Länder eine Chance, aus ihrer jetzigen Situationherauszukommen.Ein Schlusssatz.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist aber überschritten.
An die CDU richte ich die Aufforderung und die
Bitte, den Ratifizierungsprozess, was die zehn neuen
Beitrittsländer und den vorliegenden Gesetzentwurf an-
geht, nicht zu verhindern und durch unangemessene, for-
male Debatten zu belasten.
Mit der Zustimmung zum Vertrag von Nizza haben Sie
der Übertragung hoheitlicher Aufgaben zugestimmt.
Stimmen Sie in der nächsten Woche der Ratifizierung
zu, in Würde und im Sinne der neuen Beitrittsländer.
Vielen Dank.
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Jetzt sagen Sie: Es sind ja keine vollendeten Tatsa-hen. Dazu sagen wir Ihnen: Wenn Sie die Türkei an deregierungskonferenz beteiligen,
enn Sie die Verhandlungen wegen der Aufnahme in dieuropäische Union beginnen, werden Sie irgendwannur mit größten Kosten diese Rutschbahn in Richtungollmitgliedschaft beenden können. Wir fordern, dassan solche weit reichenden Entscheidungen, bevor manie trifft, mit der Bevölkerung diskutiert; denn eine euro-äische Verfassung muss von der Bevölkerung getragen
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4344 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Dr. Friedbert Pflügerwerden und dann muss man auch über die Grenzen derEU ein offenes Wort miteinander sprechen.
Das Wort zur Beantwortung hat Frau Kollegin
Höfken.
Herr Kollege Hintze, ich glaube, Sie konnten bei mir
und bei anderen die Interpretation nicht entkräften, dass
Sie den Beitritt der Türkei für Wahlkampfzwecke in-
strumentalisieren.
Das ist doch verrückt angesichts der Situation, dass die
Türkei schon 1963 das erste Angebot erhalten hat, der
EU
– damals der EG, ich weiß – beizutreten. Über diesen
Prozess wird mit Fug und Recht schon seit vielen Jahren
diskutiert. Ich bin nicht die Türkeiexpertin, aber ich
frage Sie – viele Menschen in unserem Land fragen sich
das auch –: Was passiert, wenn Sie der Türkei nach die-
sem Prozess über so viele Jahre hinweg jetzt Nein sagen
und ihr dieses Angebot, das ein ehrliches Angebot sein
muss, verweigern, wenn sie – es gibt keinen Automatis-
mus – alle Kriterien erfüllt?
Das ist ein sicherheitspolitisches Risiko. Wir treiben ein
Land in eine Situation, die uns allen schaden wird und
die zu einem Ungleichgewicht und zu einer Gefährdung
der Stabilität führen wird. Das finde ich unverantwort-
lich.
Das Wort hat der Bundesaußenminister Joschka
Fischer.
Meine Damen und Herren von der Opposition, so wieSie mit der Türkei-Frage umgehen, kann das nicht ste-hen bleiben.
– Entschuldigung, ich meine nicht die FDP, ich meineCDU und CSU. Das war ein richtiger Zwischenruf.Ich finde es unerträglich, wie Sie mit diesem zentra-len und wichtigen Thema umgehen. Ich will Ihnen auchsrme1Hgvd„awhsWivaFgdFnadFRwmehsfhmEBsfacnIh
ir werden zukünftig in Bezug auf die Außengrenzenm Zusammenhang mit der Ukraine, mit Moldawien undor allem mit Weißrussland, was die Polen zunehmenduf die Tagesordnung setzen werden, vor schwierigenragen stehen. Aber dort gibt es keinerlei Verpflichtun-en, die mit denen vergleichbar sind, die Sie gegenüberer Türkei eingegangen sind.Im Zusammenhang mit dem Maghreb stellt sich dieserage nicht. Das alles weiß der Kollege Pflüger ganz ge-au.Gerade die Menschen, die zugewandert sind, hoffenuf eine Europäisierung der Türkei. Lesen Sie heute iner „Süddeutschen Zeitung“ einmal den Artikel vonrau Schlötzer. Darin schreibt sie, dass in der Türkei imahmen des Beitrittsprozesses, um EU-kompatibel zuerden, das Verhältnis des Militärs zu den Gesetzenehr und mehr im Vordergrund der Debatte stehe, dassine Debatte über das Verhältnis zur kurdischen Minder-eit begonnen habe und das Thema nicht länger tabui-iert werde und dass die Frage der wirtschaftlichen Re-ormen angegangen werde. Gleichzeitig stellen Sie sichin und fordern, dass wir im Kampf gegen den Terroris-us energischer vorgehen sollen. Ich sage Ihnen: Dieuropäisierung der Türkei wird einer der wichtigsteneiträge im Kampf gegen den internationalen islamisti-chen Terrorismus sein.
Der formidable Herr Müller stellt sich dann hin undragt – das muss ich hier in diesem Hohen Hause einmaluf den Tisch bringen –, was wäre, wenn es einen grie-hischen Kommissionspräsidenten und gleichzeitig ei-en türkischen Zuwanderungskommissar gäbe. Ich kannhnen nur sagen: Das sind primitivste Vorurteile, die Sieier vorbringen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4345
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Bundesminister Joseph FischerIch will Ihnen auch sagen, warum. Wenn die Mehrheitder Mitgliedstaaten der Europäischen Union und das Eu-ropäische Parlament einen griechischen Kandidaten alsKommissionspräsidenten benennen, dann habe ich zudiesem Mann oder dieser Frau dasselbe Vertrauen wie zueinem deutschen oder niederländischen Kommissions-präsidenten oder einem Kommissionspräsidenten aus ei-nem anderen Land.
Er wird entweder der Mehrheit der Linken oder derRechten angehören – das ist in diesem Zusammenhangegal – und wird denselben europäischen Verfassungs-grundsätzen und europäischen Interessen verpflichtetsein wie alle anderen. Das gilt auch für die Kommissare,
egal aus welchem Land sie kommen, ob aus Bayern odereinem anderen Staat.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Peter Hintze.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben eben in der De-batte Niveau eingefordert.
Wir bitten Sie herzlich darum, das von Ihnen eingefor-derte Niveau in dieser Aussprache einzuhalten.
sgdg–NggengraoUuüssgzEtdkanliwUvuwtskzkn–
Wir möchten gerne, dass wir uns in der Europäischennion darüber verständigen, wie viel Erweiterung wirertragen, was unsere inhaltliche Grundausrichtung istnd ob, wann und mit wem was in Zukunft verwirklichterden kann. Wir haben die große Frage zu beantwor-en, was mit den Balkanstaaten wird; Thessaloniki hatie aufgeworfen. Das alles sind Dinge, die noch zu ver-raften und zu überlegen sind. Deswegen bitten wir Sie,u sachlichen Überlegungen zurückzukommen und hiereinen falschen Popanz aufzubauen.Ich habe das in meiner Rede angesprochen: Es isticht unproblematisch.
Bitte?
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4346 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Peter Hintze– Das stimmt, aber weil der Einwand durchaus interes-sant war, will ich doch darauf eingehen. Herr Schily, Siehaben dazwischengerufen, wir würden uns hier gegenalle europäischen Regierungen stellen. Wenn man mitden Vertretern der europäischen Regierungen darüberspricht, wie das in Helsinki beispielsweise bezüglich derBeschlüsse über den Beitrittsstatus war, dann kann sichniemand so recht daran erinnern, weil es im Schnellganggeschah.
– Doch, so war es. – Leider beruft sich hier jeder auf denanderen und es tritt dann ein Automatismus ein, zu demwir sagen: Es ist klüger, einen solche SchicksalsfrageEuropas in Ruhe zu beantworten und sich nicht auf einenAutomatismus zu stützen.Im Übrigen kann uns niemand das Denken und dasEntscheiden abnehmen. Wir erkennen sehr wohl, dass inunserer Parteienfamilie dazu auch andere Auffassungenherrschen.
Das ist absolut korrekt. Darüber sind wir uns im Klaren.
Herr Kollege Hintze, Sie haben für eine Kurzinter-
vention drei Minuten Zeit. Sie sind schon deutlich darü-
ber.
Ja, das ist vollkommen zutreffend. Ich komme zum
Schluss.
Ich schließe damit, dass ich die Regierung auffordere,
auch in dieser Frage zur Sachlichkeit zurückzukehren
und uns das Niveau zu bieten, das Sie Ihrerseits von uns
eingefordert haben.
Herr Außenminister, Sie können auf diese Kurzinter-
vention antworten.
Herr Kollege Hintze, zur Richtigstellung: Diesem Be-
schluss haben alle Staats- und Regierungschefs in Thes-
saloniki zugestimmt. Ich füge aus meiner parteipoliti-
schen Sicht hinzu: Leider gehört deren Mehrheit in
Europa heute der EVP-Familie, also der konservativen
Familie, Ihrer Familie, an.
– Sie sagen: Gott sei Dank. – Dieser Beschluss war nur
möglich, weil er einstimmig gefasst wurde, also mit den
konservativen Stimmen.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Ich wiederhole: Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine
ötzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst-als seit ihrem Bestehen droht die Europäische Unionit der Anwendung militärischer Gewalt gegen Län-er, die Abrüstungsverpflichtungen ignorieren und Mas-envernichtungswaffen verbreiten.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4347
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Es gibt keine
Kurzintervention auf eine Kurzintervention.
Ich möchte nun darum bitten, dass man der Kollegin das
Mikrofon und auch das Wort überlässt.
Meine Herren, ich möchte Sie bitten, dass ich nunmeine Rede fortsetzen darf.Der Bundesaußenminister und auch andere Rednerder Grünen haben heute Morgen versucht, uns diesenBeschluss der EU-Außenminister als mit dem Völker-recht und der Charta der Vereinten Nationen in Überein-stimmung stehend zu erklären. Ich muss Ihnen sagen,Herr Außenminister: Meine Kollegin Petra Pau undmich haben Sie damit nicht überzeugt.Der Konvent hat in Art. 3 Abs. 4 des Verfassungsent-wurfs die strikte Einhaltung des Völkerrechts und dieWahrung der Grundsätze der UN-Charta beschrieben.Ich denke, dazu sind auch Sie verpflichtet.
In dieser Charta ist schon die Androhung von militäri-scher Gewalt zur Lösung von Konflikten untersagt.Nach diesen Beschlüssen der Außenminister muss manden Eindruck gewinnen, dass die Verfassung, bevor sieüberhaupt beschlossen wird, Makulatur ist. Das ist nichtzu akzeptieren.Im „Spiegel“ ist eine Umfrage zu genau diesem Be-schluss der Außenminister veröffentlicht worden:80 Prozent der Befragten haben erklärt, dass sie diesevon den EU-Außenministern verkündete Gewaltandro-hungsstrategie strikt ablehnen. Nur eine verschwindendeMinderheit war dafür. Das sollte Ihnen zu denken geben.Herr Bundesaußenminister, Sie haben damit und auchmit Ihrer Erklärung von heute Morgen den Eindruck er-weckt, dass Sie sehr vieles unterschreiben würden, umbloß den begehrten Posten des europäischen Außenmi-nisters zu erhalten.Über den Konvent wurden heute schon viele lobendeWorte geäußert. Die Europaabgeordnete Sylvia-YvonneKaufmann von der PDS ist Mitglied dieses Konvents.Ich will sie mit Erlaubnis der Präsidentin kurz zitieren:Die wichtigsten Fortschritte sehe ich im Bereich derDemokratie. So sind das Europäische Parlamentund auch die nationalen Parlamente deutlich ge-stärkt worden.WsSrarmARRRdLsksrngselAdbümWwwdgdhnvlDmUgndrsdr
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– Auch falsche Argumente können sachlich vorgetragenwerden.
Dann wird man wieder resignativ und sieht, dass dieAufklärung weiter ihre Aufgaben hat. Ich mache eineganz persönliche Bemerkung: Die Aufklärung in derFormulierung Immanuel Kants in die Präambel zuschreiben, das wäre mein Vorschlag für einen Zusatz zureuropäischen Verfassung.
Deshalb möchte ich noch einmal daran erinnern, wasEuropa ausmacht. Europa macht aus, zu überwinden,dass es Trennungen
aufgrund religiöser Gegensätze gibt,
dass es Trennungen aufgrund von Grenzverschiebungendurch Militärerfolge gibt, und schließlich, dass es Tren-nungen durch den tragischsten Irrtum der europäischenGeschichte gibt, nämlich dass völkische, rassistische,ethnische Kriterien in irgendeiner Weise natürlicheGrenzen zwischen Menschen sein könnten. Dies zuüberwinden ist die Idee Europas.
Ich bin schon sensibel, wenn ich das Wort Volk höre. Eshat seine Assoziation zu „völkisch“.–spSrIlmDLelgwIMetsDSshmwIlEsPdtFtsiVvtdmkn
Herr Kollege Müller, ich sehe es so. Dass Sie es andersehen, weiß ich. Ich halte das, was Sie sagen, im euro-äischen Sinne in der Tat für gefährlich. Damit müssenie leben.
CSU]: Das ist unglaublich!)Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu der Konfe-enz mit einigen Staaten Südosteuropas in Thessaloniki.ch sage bewusst Südosteuropa, weil schon die Formu-ierung „Westbalkan“ ein Teil westeuropäischen Hoch-uts gegenüber diesen Staaten ist.
er Balkan ist ein Gebirge in Bulgarien. Kroatien als einand des Westbalkans zu bezeichnen ist geographischtwa so richtig, wie Niedersachsen als ein Nordalpen-and zu bezeichnen.Der zweite Gesichtspunkt ist, dass von vielen Staatenesprochen wird. Zumindest mit dem Verfassungsent-urf haben wir jetzt die Europäische Union der Bürger.n der Europäischen Union der Bürger sind für mich alleenschen gleich: gleich vor dem Gesetz, gleich vor deruropäischen Verfassung. Nur diese Gleichheit garan-iert ihnen übrigens, dass sie ihre kulturellen Unter-chiede leben können.
eswegen beachten Sie bitte, bevor wir über diese vielentaaten – geographisch auch noch falsch bezeichnet –prechen, die Zahlen der Bürger. 380 Millionen Bürgerat die EU bereits. 70 Millionen sind jetzt dazugekom-en. Rumänien und Bulgarien werden 30 Millioneneitere europäische Bürger zu uns bringen.
n den südosteuropäischen Staaten, über die wir reden,eben noch 25 Millionen Menschen. Das sind so vieleinwohner, wie Nordrhein-Westfalen und Hessen zu-ammen haben. So viel zur Bevölkerungsdimension desroblems.Es gibt historische Verpflichtungen, diese Staaten inie Europäische Union aufzunehmen. Diese Verpflich-ungen erfordern immer wieder zu prüfen, in welcherorm vor allem die Staaten im Zentrum Europas im Gu-en wie im Tragischen zum Schicksal anderer europäi-cher Staaten beigetragen haben. Die Staaten, von denench spreche, wurden über Jahrhunderte von der Republikenedig, einige Zeit von Frankreich, mehrere Jahrzehnteon der habsburgischen Monarchie und – schon in derragischen Phase des 20. Jahrhunderts – von dem Mittel-ing zwischen Königreich und Republik, das Italien da-als war, beherrscht. Diese Staaten sind historisch stär-er in Europa integriert als manche Staaten amördlichen oder westlichen Rand.
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Dr. Christoph ZöpelDie bestehenden Probleme lassen sich anhand derKopenhagen-Kriterien festmachen. Erlauben Sie mirin diesem Zusammenhang eine prinzipielle Bemerkung.Es kann keinen Zweifel daran geben, dass diese Krite-rien auf dem gesamten Territorium der EuropäischenUnion gelten müssen.
Sie werden aufgrund der Verfassung auch auf EU-Ebenegelten. Wie Günter Verheugen immer wieder betont hat,war das bisher nicht der Fall.Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie die Krite-rien zu verstehen sind. Dienen sie zur Abwehr, mit demArgument: Weil sie nicht gelten, könnt ihr nicht kom-men? Oder sind sie ein Instrument, mit dem weitereStaaten in die Europäische Union hineingeholt werdensollen? Im Interesse der Menschen in den betreffendenStaaten und in der Europäischen Union befürworte ichdie zweite Auslegung.
Ein immer wieder vorgebrachter Einwand lautet: Indiesen Staaten herrschen Schmuggel, Drogenhandel undKriminalität. – Schmuggel funktioniert aber vor allemdort, wo es überflüssige Grenzen gibt. Er wird einge-stellt, wenn diese Grenzen wegfallen. Wirtschaftskrimi-nalität auf niedriger Stufe herrscht dort, wo es wegenmangelnder Integration in übergeordnete Märkte zu we-nige wirtschaftliche Chancen gibt. Die Lösung des Pro-blems im Interesse der Menschen dort und in der Euro-päischen Union besteht in der Integration. Deshalb mussschnell gehandelt werden.Ein weiterer Punkt sind die Statusfragen im Zusam-menhang mit dem Kosovo und mit Albanien. Auch da-rüber führen wir absurde Debatten. Selbst wenn alle Al-baner zusammen einen Staat bilden würden – was diepolitisch Verantwortlichen nicht wollen –, dann hätte einsolches Großalbanien Millionen Bürgerinnen und Bür-ger weniger als Bayern. Über ein Großbayern wird abermeines Wissens nicht debattiert.
Fatos Nano, der albanische Ministerpräsident, sprichtzu Recht von fünf Staaten mit sieben Hauptstädten. Dasillustriert das Problem. Ich habe dazu einen klaren Vor-schlag: Wir sollten einen Beitrittsvertrag für diese Staa-ten entwerfen. Dann wird nämlich deutlich, was auf bila-teraler Ebene – zum Beispiel zwischen Serbien undMontenegro – nicht mehr geregelt werden muss, weil einGroßteil der Statusfragen bereits durch das europäischeRecht geregelt wird. Das würde diesen Vorgang erkenn-bar beschleunigen.
Erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zu dem euro-päischen Interesse an der Integration der erwähnten25 Millionen Menschen. In den vergangenen Wochenhaben wir wieder viel über außenpolitische Hand-luutigMddßcddDadSUktDamsudFUasdMHWfdnEDe
iese Erkenntnis ist für mich in dieser historischen Situ-tion der entscheidende Grund, mich dafür einzusetzen,ass wir die Mitgliedschaft der fünf südosteuropäischentaaten ohne Zögern befördern.
Herr Kollege Zöpel, schauen Sie bitte einmal auf die
hr!
Frau Präsidentin, ich danke für den Hinweis und
omme zu meinem letzten Satz.
Es gehört zu den Ritualen der europäischen Diploma-
ie, immer wieder mitzuteilen: Wir nennen kein Datum.
as hat einen funktionellen Sinn, ist aber manchmal
uch überflüssig. Zumindest ein Parlament sollte manch-
al den Mut haben, Daten zu nennen, vielleicht auch
ymbolische Daten. Ich selber glaube, dass wir Europäer
ns vornehmen sollten – das müssen wir auch wollen –,
ass im Jahr 25 nach 1989, dem Jahr der europäischen
reiheit, alle europäischen Länder der Europäischen
nion angehören. Ich setze nicht nur für mich, sondern
uch für viele andere das Ziel: 2014 muss das geschafft
ein.
Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention zuerst
em Kollegen Pflüger und dann dem Kollegen Dr. Gerd
üller. Auf diese beiden Kurzinterventionen wird der
err Kollege Zöpel zusammenfassend antworten.
Herr Kollege Zöpel, zuerst eine kurze Vorbemerkung:enn Sie mit dem Ausdruck „deutsches Volk“ nichts an-angen können und dabei sofort an „völkisch“ denken,ann ist das Ihr Problem. Wir teilen diese Sichtweiseicht.
s gibt ein deutsches Volk und zu ihm bekennen wir uns.as hat mit völkischen Traditionen nichts zu tun. Da gibts einen großen Unterschied.
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Dr. Friedbert PflügerEs geht aber eigentlich um Folgendes: Sie haben sich– wie einige Ihrer Vorredner – erneut darüber aufgeregt,dass wir in sachlicher Art und Weise die Frage gestellthaben, ob es klug sei, sich schon jetzt auf eine Rutsch-bahn in Richtung Vollmitgliedschaft der Türkei zu be-geben. Das hat nichts mit Wahlkampf und antieuropäi-schen Gefühlen zu tun. Ich bin mit Ihnen einer Meinung,dass Europa dazu dient, Grenzen und Trennendes zuüberwinden sowie Frieden zu schaffen. Aber: Gilt dasfür alle? Man muss die Frage stellen dürfen, wo dieGrenzen Europas liegen. Müssen wir nicht genau dann,wenn wir wollen, dass Europa handlungsfähig wird,ganz bestimmte Kriterien an jedes einzelne Land anle-gen?Es gibt die Kopenhagener Kriterien von 1993. Einesdieser Kriterien – es wird sehr oft unter den Teppich ge-kehrt – ist die Aufnahmefähigkeit der EU. Wir habengerade beschlossen, zehn neue Länder in die EU aufzu-nehmen. Das ist eine gewaltige Aufgabe von historischerDimension. Meine Fraktionskollegen und ich waren dieErsten, die gesagt haben: Dieser historischen Aufgabestellen wir uns. Aber ist es klug, bevor der jetzt begin-nende Erweiterungsprozess abgeschlossen ist, bereitseine neue große Aufgabe anzugehen? Darüber kann manunterschiedlicher Meinung sein. Ich räume ein, dass esArgumente dafür gibt. Wir haben aber auch gehört, dassHerr Fischer gegenüber dem dänischen Außenministerzugegeben hat, dass es Argumente dagegen gibt. Der dä-nische Außenminister hat uns neulich mitgeteilt, HerrFischer habe an einem Abend drei verschiedene Meinun-gen zu diesem Thema geäußert. Das macht deutlich, wieschwierig dieses Thema ist. Deshalb bitte ich Sie, unshier nicht zu verunglimpfen und zu behaupten, wir woll-ten antieuropäische Gefühle hervorrufen oder die Türkeiausgrenzen.
Wir stellen lediglich die Frage, ob eine so große EUhandlungsfähig sein kann und ob wir uns selbst und dereuropäischen Idee einen Gefallen tun, wenn wir den Ein-druck vermitteln, wir könnten jedes Land aufnehmen,und zwar allein aufgrund des wirklich gut gemeintenWunsches, zu allen Staaten gute Beziehungen zu haben.Die Kollegin Höfken hat vorhin behauptet, wir hättender Türkei mit dem Assoziierungsvertrag ein Beitritts-versprechen gegeben. Ich mache darauf aufmerksam,dass dieser Vertrag mit der EWG, also mit einer Wirt-schaftsgemeinschaft, geschlossen worden ist. Inzwi-schen – darüber reden wir doch und hier sind wir in vie-len Punkten einer Meinung – gibt es aber eine EU undeine EU-Verfassung. Das ist eine ganz andere Form derIntegration. Über die Frage, ob sich die Aufnahme derTürkei damit verträgt, sollte jedenfalls mit der Bevölke-rung diskutiert werden, bevor wir uns auf eine Rutsch-bahn begeben.Ich habe gerade zur Kenntnis genommen, dass derKalif von Köln nicht an die Türkei ausgewiesen werdendarf, weil ihm dort angeblich Folter droht. Zum jetzigenZeitpunkt mit einem Land, in dem eventuell Folter drohtund aus dem Menschen kommen, die in DeutschlandAaRsdkKlag„n4gszdgvzZuvddelztrztvJSSzsdWosnsBd
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Ob ich damit so allein stehe, bezweifle ich. Ich be-
chäftige mich viel mit Preußen. Es gibt viele, die er-
annt haben, dass Vielvölkerstaaten wesentlich friedli-
her als andere waren.
Herr Kollege Pflüger, es ist hochinteressant, sich da-
it auseinander zu setzen, was Franzosen unter „Na-
ion“ verstehen;
enn das unterscheidet sich völlig von dem, was viele
eutsche damit verbinden – das zeigt die Diskussion
ber das Staatsbürgerschaftsrecht –: nämlich die deut-
che Abstammung. Es gehört zum tragischen Versagen
er deutschen Konservativen, 200 Jahre gebraucht zu
aben, um die Vernunft des französischen Staatsbürger-
chaftsrechts anzuerkennen. Es waren Sozialdemokraten
nd Grüne, die das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht re-
ormiert haben.
er immer noch in diesen Kategorien denkt, hinkt der
ranzösischen Revolution 200 Jahre hinterher. Denken
ie einmal darüber nach!
Zur Türkei. Nachdem Sie mich darauf angesprochen
aben, obwohl ich gar nicht auf die Türkei eingegangen
ar, habe ich jetzt die große Chance, etwas zur Türkei
u sagen. Ich halte es für offen, ob die Türkei Mitglied
er Europäischen Union werden wird, und zwar deshalb,
eil ich heute nicht weiß, ob die große Mehrheit des po-
itischen Systems und der Bevölkerung in der Türkei den
riterien, die eben genannt habe – Europa dient der reli-
iösen Vielfalt, der kulturellen und sprachlichen Vielfalt,
en Entwicklungsmöglichkeiten jeder sprachlichen und
ulturellen Minderheit und dem endgültigen Überwin-
en der Grenzen –, genügen wird. Die Türkei ist auf dem
ege. Die Türkei war aus tragischen Gründen an den
rrweg der nationalen Abgrenzung – aus Europa impor-
iert – in einer Weise gebunden, dass sie ihn bisher nicht
o überwunden hat wie die meisten Europäer. Der Dis-
ussionsprozess ist im Gange.
Wir Europäer sollten mit der Türkei allmählich so
mgehen wie sonst mit unserer Geschichte. Da wird es
anz merkwürdig.
Herr Kollege Zöpel, Sie haben nur drei Minuten. Sieönnen nicht mehr lange Ausführungen machen.
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Frau Präsidentin, ich gehe auf zwei relativ ausführ-
liche Kurzinterventionen ein, die die Präsidentin, die vor
Ihnen die Sitzung geleitet hat, in ihrer Großmut zugelas-
sen hat.
Ich komme aber zum letzten Satz.
Europa muss darüber nachdenken, in welchen Phasen
und Zusammenhängen die Türkei schon in die europäi-
sche Geschichte hineingezogen wurde. Das alles sollte
man mit reflektieren. Wenn man das tut, kommt man
nicht auf Abgrenzungskriterien wie die, die ich kritisiert
habe.
Die Türkei ist in der ersten Hälfte des 16. Jahrhun-
derts durch den allerchristlichsten König von Frankreich
in die europäische Geschichte gezogen worden, der
nämlich gestützt auf das Bündnis mit dem Osmanischen
Reich die deutsche Kaiserkrone erlangen wollte. So weit
reicht das zurück. Wir sollten all das berücksichtigen,
die Kriterien, die ich eben genannt habe, im Auge haben,
mit der Türkei über religiöse, ethnische und kulturelle
Vielfalt sprechen und sie dazu auffordern, den National-
staat in Europa zu überwinden. Dabei sollten wir uns be-
wusst machen, was wir Europäer mit der Türkei schon
alles angestellt haben. Zum Beispiel hat man sich mit ihr
entgegen religiösen Gründen machtpolitisch verbunden.
Andere vergessen ihre Geschichte oft viel langsamer als
wir deutsche Europäer.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas
Silberhorn.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Der geradezu irrwitzige Beitrag des Kollegen Zöpel – erhat mit dem Wort Volk schon deshalb Probleme, weil eres offenbar mit völkischen Traditionen in Verbindungbringt – zeigt, dass wir uns um etwas mehr Differenzie-rung in der Debatte bemühen müssen. Ich lade Sie herz-lich dazu ein,
wenn ich jetzt zum Thema des EU-Verfassungsvertragszurückkehre und einen spezifischen Aspekt heraus-greife, der meines Erachtens bislang noch nicht die ge-botene Aufmerksamkeit findet, nämlich die Frage, wel-che Rolle wir als Deutscher Bundestag in derEuropäischen Union künftig noch spielen werden.Der Konvent hat hier durchaus Fortschritte erzielt, dieunsere Position stärken, jedenfalls soweit es um die Beach-tung des Subsidiaritätsprinzips geht. Ich nenne das Früh-warnsystem, das es uns ermöglicht, an Rechtssetzungsver-fEvwhwAttBüvnsMütvegmmDessbsddndsNztbgBgzdAbtmdSerBAwSd
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Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zu den Entschließungsanträgen derFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen.Abstimmung über den Entschließungsantrag aufDrucksache 15/1213. Wer stimmt für diesen Entschlie-ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koa-litionsfraktionen und der FDP gegen die Stimmen derCDU/CSU bei Enthaltung der beiden fraktionslosen Ab-geordneten angenommen worden.sdMRsSÜdisDsUttfdsssfEl1TE
antreiben“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufrucksache 15/942 abzulehnen. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-en? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmener Koalitionsfraktionen und der beiden fraktionslosenbgeordneten gegen die Stimmen der FDP bei Enthal-ung der CDU/CSU angenommen worden.Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten deruropäischen Union gemäß § 93 a Abs. 4 der Geschäfts-rdnung auf Drucksache 15/1163 zu der Unterrichtungurch die Bundesregierung mit dem Titel „Vermerk desräsidiums für den Konvent; Organe – Entwurf von Ar-ikeln für Titel IV des Teils 1 der Verfassung“. Kann ichavon ausgehen, dass Sie den Bericht zur Kenntnis ge-ommen haben? – Gut.Wir kommen zum Zusatzpunkt 2. Interfraktionellird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1207n die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsseorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ister Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Zusatzpunkte 3 bis 6 auf:P 3 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Modernisierung des Arbeitsrechts
– Drucksache 15/1182 –
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerÜberweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschussZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zu Reformenam Arbeitsmarkt– Drucksache 15/1204 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschussZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten RainerBrüderle, Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, wei-teren Abgeordneten und der Fraktion der FDPeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Si-cherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit– Drucksache 15/1225 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschussZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten DirkNiebel, Rainer Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPRahmenbedingungen für einen funktionsfähi-gen Arbeitsmarkt schaffen– Drucksache 15/590 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Herr Bun-desminister Wolfgang Clement.Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftund Arbeit:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es geht heute um weitere wichtige Schritte aufdem Weg zur Modernisierung unseres Wirtschafts- undArbeitslebens sowie unseres Arbeits- und Sozialrechts.Wir diskutieren diese Fragestellungen vor dem Hinter-grund eines außerordentlich geringen Wachstums, einerausgeprägten Wachstumsschwäche, und einer außeror-dentlich hohen und verhärteten Arbeitslosigkeit.tDiKdndsDWddhmwdgUidncsvAdlßsEmrmfEWu–uuotwnsvg
Aus meiner Sicht ist es demgegenüber nicht unge-echt und auch nicht unsozial, wenn wir die Arbeits-arktförderung und das Arbeitsrecht einer strengen Er-olgskontrolle im Hinblick auf ihre Leistung bei deringliederung in den Arbeitsmarkt unterziehen.
enn es uns mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeitnd auch mit der Schaffung von Gerechtigkeit ernst istund es ist uns bitterernst –, dann müssen wir alles tun,m zu verhindern, dass weiterhin millionenfach Talentend Begabungen in der Arbeitslosigkeit verloren gehender vergeudet werden.Ich verstehe die Flexibilisierung des Arbeitsmark-es auch als einen Beitrag zu größerer Gerechtigkeit,eil wir so die Chancen des Einzelnen und der Einzel-en auf Arbeit, auf persönliche Entfaltung und Wohl-tand verbessern und dadurch am Ende des Tages sehriel mehr Menschen bessere Arbeits- und Lebensbedin-ungen vorfinden können.
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Bundesminister Wolfgang ClementFür diese Flexibilisierung und Modernisierung desWirtschafts- und Arbeitsrechts haben wir bereits eineReihe von Maßnahmen unternommen. Wir haben auf derGrundlage der Vorschläge der Hartz-Kommission mitder Schaffung von neuen Beschäftigungsmöglichkeitenbegonnen. Dazu gehören die Minijobs und die Möglich-keit, sich im kleingewerblichen Bereich etwa in Formder Ich-AG selbstständig zu machen. Diese Maßnahmeist wesentlich erfolgreicher, als manche vorausgesagt ha-ben.
Wir haben die Möglichkeiten der Leih- und Zeitarbeit,für die es jetzt Gott sei Dank Tarifverträge gibt, die auchangewandt werden, erweitert. Wir haben eine Reihe vonzusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen.
– Wenn Sie, Herr Kollege Hinsken, daran Kritik übenwollen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass al-lein in diesem Jahr etwa 100 000 Menschen in Deutsch-land den Weg aus der Arbeitslosigkeit in die Selbst-ständigkeit gegangen sind. Die Experten rechnen mitetwa 200 000 Menschen, die diesen Weg gehen wollen.Nach den Erfahrungen, die wir bislang mit dem so ge-nannten Brückengeld und mit der Ich-AG gemacht ha-ben – beide Maßnahmen laufen parallel –, kann man sa-gen, dass nach etwa zwei bis drei Jahren zwei Dritteldieser Unternehmen überlebensfähig sind. Sie sindebenso wie andere Existenzgründungen bestandskräf-tig. Das mag viele überraschen, ist aber von besondererBedeutung.Übrigens schaffen sie nach den Erfahrungen, die wirbisher haben, innerhalb dieser Zeit zwei bis drei Arbeits-plätze. Es empfiehlt sich also, die neuen Beschäftigungs-möglichkeiten, die wir gemeinsam geschaffen haben,mit einiger Zuversicht zu betrachten. Wir werden davonweiterhin mit allem Nachdruck Gebrauch machen.
Wir haben ferner, was das Arbeitsrecht und den Ar-beitsmarkt angeht, neue Vermittlungsbedingungen ge-schaffen: Erwartungen an die Mobilität und an die Auf-nahme von zumutbaren Arbeitsplätzen, Jobs. Einigesdavon wird erst jetzt, am 1. Juli, in Kraft treten: bei-spielsweise die Regelung, die wenig beachtet wird, dassArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, denen gekün-digt wird, unverzüglich, das heißt gewissermaßen amTag der Kündigung, zur Arbeitsvermittlung gehen müs-sen, damit keine Zeit zwischen drohendem Arbeitsplatz-verlust und Vermittlung in einen neuen Arbeitsplatz ver-säumt wird.Dies ist ein Thema von außerordentlicher Bedeutung,wie ich mir vor kurzem bei einem Besuch in London ineinem dortigen Jobcenter, die wir auch in Deutschlandaufbauen werden, habe anschauen können. In Großbri-tannien gelingt es in der Regel, Arbeitslose innerhalbvon im Durchschnitt 21 Wochen nach dem Verlust ihresAB3rKdtGwfguLDddzngsdvmVbHfgSbcrKgdAWbmdaUKWbhdwKwzAw
ir höhlen deshalb den Kündigungsschutz nicht aus undeseitigen ihn nicht, sondern wollen ihn dort, wo er sichöglicherweise als Hemmschwelle für den Eintritt inas Arbeitsleben erweisen könnte oder erwiesen hat,uflockern. Um es klar zu sagen: Wir sprechen hier übernternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten. Für dieseleinunternehmen gilt bisher kein Kündigungsschutz.ir wollen, dass in Zukunft Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer über diese Schwelle von fünf Beschäftigteninaus befristet eingestellt werden können, damit sichiese Betriebe, wenn notwendig, wenn gewünscht oderenn geboten, vergrößern können, ohne deshalb in denündigungsschutz hineinzuwachsen.Diese Frage so anzugehen ist deshalb vernünftig, weilir aus Umfragen wissen, dass eine nicht zu unterschät-ende Zahl von Kleinstunternehmen bereit sein könnte,rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen,enn die Folge daraus nicht ein Hineinwachsen in einen
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Bundesminister Wolfgang Clementdauerhaften Kündigungsschutz wäre. Ob dies so ist,weiß niemand von uns. Es gibt dazu Umfragedaten undoberflächliche Untersuchungen. Es gibt in keiner Volks-wirtschaft – weder in der amerikanischen noch in einereuropäischen – ein klares Datenmaterial über dieseFrage.Deshalb empfiehlt es sich, außerordentlich vorsichtigund behutsam mit diesem Thema umzugehen. Das tunwir mit unserem Vorschlag. Ich sehe hier – wir werdendarüber in der Folgezeit noch genauer debattieren – ei-nen klaren Gegensatz zum Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion, die vorsieht, in Unternehmen mit weniger als20 Mitarbeitern bei Neueinstellungen den Kündigungs-schutz auszusetzen. Ich halte den Weg, den Sie dazu vor-schlagen, für nicht gangbar – um das deutlich zusagen –, weil er die Belegschaften in Beschäftigte mitund ohne Kündigungsschutz aufspaltet.
Ich frage mich erstens, ob dies sachlich zu rechtfertigenist, und zweitens, ob dies verfassungsrechtlich überhaupthaltbar ist. Ich habe da schwerste Bedenken.
Aber wir werden das sicherlich noch genauer debattie-ren.Was die Bundesregierung weiter vorschlägt, ist vorallem dem Ziel gewidmet, bei der so genannten Sozial-auswahl bei betriebsbedingten Kündigungen für mehrRechtssicherheit zu sorgen. In Zukunft sind nur nochdrei Kriterien zu berücksichtigen: Alter, Betriebszugehö-rigkeit und Unterhaltsverpflichtungen.
Dazu sehen wir vor, dass die so genannten Leistungsträ-ger in Betrieben und die Personalstruktur beachtet und indie Überlegungen bei betriebsbedingten Kündigungeneinbezogen werden können. Dies ist heute schon gel-tende Rechtsprechung; wir übernehmen diese Regelun-gen ins Gesetz.Wir schaffen einheitliche Klagefristen von drei Wo-chen für alle. Wir schaffen besondere Möglichkeiten fürExistenzgründer, nämlich Beschäftigungsverhältnisse inden ersten vier Jahren nach der Existenzgründung sach-grundlos befristet eingehen zu können. Dies sind Instru-mente, die die Beschäftigungsschwelle senken. Sie tra-gen dazu bei, Arbeitsuchenden – in Großbritannienspricht man übrigens interessanterweise von „job see-kers“ – den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.Sie gefährden aber nicht die Rechtssicherheit derer, dieim Arbeitsmarkt sind. Das ist der Unterschied zwischenden Vorschlägen, die zu dieser Debatte vorliegen.Eine besonders weit reichende Reform, die wir ange-hen, ist die des Arbeitslosengeldes. Uns allen ist vermut-lich klar, dass der Vorschlag, den wir dazu machen, näm-lich die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld in derRegel auf zwölf Monate und für über 55-Jährige auf1dslR–ABdldcmUdlgUgdddfDdll6vtAvbzddlaüvnFzdtbPwüfrbdzw
m wirklich offen miteinander zu reden: Auch ich wararan beteiligt. Wir haben dieses Instrumentarium natür-ich auch im Ruhrgebiet und in vielen anderen Regionenenutzt, vor allem als es in der Vergangenheit um tiefembrüche am Arbeitsmarkt in den Industrieregionening. Aber dieser Prozess muss nun einen Abschluss fin-en. Er überfordert die Kräfte der öffentlichen Kassen,er Kassen der Beitragszahler.Zweitens ist dieser Schritt aus unserer Sicht notwen-ig, weil wir erreichen müssen, dass die Tendenz zumrühzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ineutschland gebrochen wird. Wir müssen erreichen,ass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass wir alleänger im Berufsleben bleiben, als es heute in Deutsch-and Praxis ist. Wir haben eine Pensionsgrenze von5 Jahren. Wir haben ein tatsächliches Pensionsalteron etwa 60,5 Jahren. Dieser Durchschnitt ist in der letz-en Zeit etwas angestiegen: von gut 59 auf gut 60 Jahre.ber wir haben uns innerhalb der Europäischen Unionerpflichtet, die tatsächliche Dauer der Erwerbstätigkeitis zum Jahr 2010 deutlich zu erhöhen, und zwar um bisu etwa fünf Jahre. Dies ist nur zu erreichen, wenn wiren Trend zum vorzeitigen Ausscheiden durchbrechen.Dies ist auch vor dem Hintergrund der ständig steigen-en Lebenserwartung, die wir – gottlob! – in Deutsch-nd haben, richtig und vernünftig. Auch ich freue michber die gestiegene Lebenserwartung und profitiere da-on hoffentlich noch ziemlich lange. Aber sie bedeutetatürlich eine gravierende Veränderung gegenüber denakten, die wir zum Zeitpunkt der Entstehung unserer so-ialen Sicherungssysteme hatten. Vor 30, 40 Jahren, alsie sozialen Sicherungssysteme aufgebaut wurden, hat-en die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Le-enserwartung, die nur vier Monate über die damaligeensionsgrenze hinausging. Heute liegt die Lebenser-artung der Menschen im Durchschnitt etwa 20 Jahreber der Pensionsgrenze. Wenn man sich dies vor Augenührt, weiß man, dass eine Reform der sozialen Siche-ungssysteme angegangen werden muss.All diese Gründe sprechen auch für eine Veränderungeim Arbeitslosengeld. Dies kann aber nur in Verbin-ung mit der Reform der Arbeitslosenhilfe und der So-ialhilfe, die wir im August vorlegen werden, betrachteterden. Hier besteht nämlich ein enger Zusammenhang.
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4358 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Bundesminister Wolfgang ClementWir wollen, dass vor allem die über 50-jährigen Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Beruf bleibenkönnen oder, sofern sie ihren Arbeitsplatz verlieren,rasch einen neuen finden. Wir müssen auf diesem Gebieteine Veränderung vollziehen. Wir müssen sie unter ande-rem auch vollziehen, weil die Schülerabgangszahlen abetwa 2006 deutlich sinken werden. Das bedeutet, dasswir in Deutschland dann vor einer Phase des wirklichenFachkräftemangels stehen werden.Wir bieten Instrumente, Gesetze an – einige habenwir im Deutschen Bundestag bereits beschlossen, anderebefinden sich im Gesetzgebungsverfahren –, damit Men-schen, die über 50 Jahre alt sind, ihren Arbeitsplatzbehalten können bzw. so rasch wie möglich vermitteltwerden können: Wir bieten die Förderung von Qualifi-zierungsmaßnahmen für über 50-jährige Arbeitnehmerin kleineren und mittleren Unternehmen an. Wir bietenbeim Übergang in eine schlechter bezahlte Beschäfti-gung eine Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer an.Die Bundesanstalt für Arbeit ersetzt 50 Prozent des Dif-ferenzbetrages zwischen dem vorherigen und dem neuenEinkommen. Wir bieten den Arbeitgebern einen Bei-tragsbonus für die Einstellung älterer Arbeitnehmer an.Außerdem gibt es die Sozialplanförderung und Weiteres.Wir sind an möglichst kreativen Vorschlägen interes-siert, wie wir noch bessere Instrumente entwickeln kön-nen, damit Unternehmerinnen und Unternehmer allestun, um die Erfahrungen und Kompetenzen ihrer älterenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihr Unterneh-men zu erhalten. Außerdem sind wir an Vorschlägen in-teressiert, die dafür sorgen, dass ältere Arbeitnehmer imArbeitsleben gehalten werden können.Bei den weit reichenden Veränderungen, die wir vor-nehmen, gilt Vertrauensschutz. Es ist nicht gerechtfer-tigt, eine so tief greifende Veränderung wie die, die wirbeim Arbeitslosengeld vornehmen, von heute auf mor-gen umzusetzen. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, die bereits Arbeitslosengeld empfangen oder innächster Zeit Arbeitslosengeld empfangen werden, gibtes Vertrauensschutz. Dieser Vertrauensschutz gilt – dasberuht auf dem, was die Experten entwickelt haben – für26 Monate. Das bedeutet, dass die neuen Fristen für dasArbeitslosengeld erst ab 2006 in Kraft treten. Wir habenalso ausreichend Zeit, um insbesondere am Arbeitsmarktzu den Veränderungen zu kommen, die wir heute anstre-ben.Das ist der Kern unseres heute vorliegenden Gesetz-entwurfs. Es handelt sich um Veränderungen im Arbeits-recht und bezüglich des Leistungsgeldes. Das sind wich-tige Veränderungen, die den Arbeitsmarkt in Bewegungbringen sollen. Sie sollen dazu beitragen, dass Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer eher in den Arbeits-markt vermittelt werden können, dass ältere Arbeitneh-mer eher auf dem Arbeitsmarkt gehalten werden könnenund dass die Arbeitslosigkeit insgesamt überwundenwird, die zur Geißel der Bundesrepublik Deutschlandgeworden ist, weil sie das Wirtschafts- und Arbeitslebenvergiftet.Wir stehen vor weit reichenden Anstrengungen, dienicht allein mithilfe gesetzgeberischer Maßnahmen ge-mgddARkbnDagzwgüdewsuhdsSuwlurirugb–nwvDtdBewdgA
Ich weiß nicht, warum Sie darüber lachen. Ich kann Ih-en gern Auskunft geben über die Situation im Kreditge-erbe in Deutschland; dann würde Ihnen das Lachenielleicht vergehen.
as ist nämlich eines der Probleme, mit denen wir es zuun haben. An diesem Problem wird übrigens deutlich,ass es, obwohl nach Ihrem Verständnis die rot-grüneundesregierung für alles verantwortlich ist, vielleichtinzelne Sektoren gibt, in denen auch andere Mitverant-ortung tragen. Deshalb sind wir darauf angewiesen,ass der Modernisierungs- und Erneuerungsprozess dieesamte Wirtschaft und den gesamten Wirtschafts- undrbeitsmarkt erreicht und alle daran mitwirken, die hier
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Bundesminister Wolfgang Clementin der Verantwortung stehen – in der Politik, in den Un-ternehmen, in den Verwaltungen. Darauf setzen wir.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedrich Merz
für die CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir hatten in den letzten Monaten verschiedent-lich Gelegenheit, Vorschläge der Bundesregierung undVorschläge der Unionsfraktion zu den großen Problemenunseres Landes zu diskutieren.
Wir hatten noch nie eine so gute Gelegenheit, dies zutun, wie am heutigen Tag, denn heute liegen dem Deut-schen Bundestag zwei Gesetzentwürfe vor,
ein Gesetzentwurf von Sozialdemokraten undBündnis 90/Die Grünen und ein Gesetzentwurf derCDU/CSU-Bundestagsfraktion
– und einer der FDP –, aus denen sich eine ganze Reihevon Gemeinsamkeiten, aber auch eine ganze Reihe vonfundamentalen Unterschieden ergeben.Bevor ich auf das, was uns bei den Vorschlägen fürdie Lösung der Probleme eint, und auf das, was unstrennt, zu sprechen komme, erlauben Sie mir, meine Da-men und Herren, dass ich zunächst den Versuch unter-nehme, auch mit Ihnen, Herr Clement, Einigkeit in derBeschreibung der Ausgangslage in unserem Land her-beizuführen.Das, was Sie hier gerade gesagt haben, ist in derGrundausrichtung nicht falsch, aber wenn Sie wiederholtvon einer Konjunktur- und Wachstumsschwäche spre-chen, so wie Sie das eben auch getan haben, dann ist daseine aus meiner Sicht viel zu optimistische Beschreibungder tatsächlichen Lage.
Wir haben in Deutschland nicht eine Konjunkturschwä-che, die sich sozusagen parallel zur Konjunkturschwä-che der gesamten Weltwirtschaft darstellt, sondern wirhaben – und das ist keine Schwarzmalerei der Opposi-tion, sondern ein Befund, den uns die Wirtschafts-forschungsinstitute und die internationalen Institutionensowie alle diejenigen, die sich mit der Lage unsererVolkswirtschaft befassen, geben – eine tief greifendestrukturelle Wachstums- und Beschäftigungskrise.
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Bevor ich gleich auf die Arbeitsmarktreformen zusprechen komme, lassen Sie mich vorweg Folgendes sa-gen: Diese Unternehmen bekommen in doppelter Hin-sicht Probleme; in einer konjunkturellen Abschwung-phase, in einer Krise, sind sie viel schneller als anderevon der Insolvenz bedroht. Aber mindestens genausodramatisch ist, dass diejenigen, die eine solche Kriseüberleben, in der Phase des wirtschaftlichen Auf-schwungs nicht stark genug sind, um Schritt halten zukönnen und sich an die Spitze zu setzen. Das ist das ei-gentliche Problem, das wir noch an anderer Stelle, näm-lich im Zusammenhang mit Ihrer Steuerpolitik, diskutie-ren müssen. So wie Sie Politik betreiben, schaffen Sienicht das notwendige Vertrauen, damit es gerade beikleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland wie-der aufwärts geht. Diese finden so kein Vertrauen in dieBeständigkeit der Politik; aber dies an anderer Stelle.
Die Behauptung der Bundesregierung der letzten Mo-nate und Jahre, dass sich die Stärke der deutschen Volks-wirtschaft an den Exportzahlen ablesen ließe, habenSie, Herr Clement, von diesem Platz aus dankenswerterWeise nicht wiederholt; denn sie ist schlicht falsch. DerAnteil der deutschen Volkswirtschaft am Welthandelnimmt nicht zu, sondern ab. Wir sind noch nicht einmalin der Lage, mit der Entwicklung des WelthandelsSchritt zu halten.
Der relative Anteil der Bundesrepublik Deutschland amWelthandel geht kontinuierlich zurück. Ich gebe aller-dings zu: Das ist nicht erst seit dem Regierungswechselso, weist aber seit dem Regierungswechsel ein beschleu-nigtes Tempo auf.
Das ist ein weiteres Problem unserer Volkswirtschaftund ihrer Wettbewerbsfähigkeit.Letzter Punkt zu den Vorbemerkungen und zur Be-schreibung der Lage – hier stimmen wir in der Tat über-ein –: In Deutschland gibt es Arbeit genug. Das habenSie in Ihrem Beitrag gerade deutlich zum Ausdruck ge-bracht, als Sie darauf hingewiesen haben, dass wir einerasant wachsende Schattenwirtschaft haben. Die rasantwachsende Schattenwirtschaft unseres Landes zeigt,dass wir ein viel größeres Arbeitskräftepotenzial, ja so-gar ein viel größeres Wachstumspotenzial in Deutsch-land haben, als es gegenwärtig im regulären Arbeits-markt zum Ausdruck kommt und dort umgesetzt werdenkann.Damit komme ich nun zu den Lösungen dieser Pro-bleme. Herr Clement, zunächst will ich die Punkte vo-rgMhshgndinbauwwthWbDAblbngzdkSDweRfssgdlABRcvdbV
arum wird den Arbeitnehmern in den kleinen Betrie-en das wichtigste Grundrecht der Arbeitnehmer ineutschland vorenthalten?
lso: Gemach, gemach. Lassen Sie bei der Beschrei-ung dieses Sachverhaltes die Kirche im Dorf.Richtig ist, dass der Kündigungsschutz eine beträcht-iche Eintrittsschwelle in den Arbeitsmarkt darstellt. Icheglückwünsche Sie zu dieser Erkenntnis. Wir helfen Ih-en auch gegen den Widerstand in Ihren eigenen Reihenerne dabei, eine vernünftige Lösung dazu durchzuset-en. Ich habe bereits gesagt, dass wir die Sozialauswahl,ie früher schon galt, längst hätten haben können. Sieommen also zum alten Recht zurück.Ich beglückwünsche Sie auch zu der Erkenntnis, dassie am Arbeitslosengeld etwas korrigieren müssen.ies hat über den eigentlichen Sachverhalt hinaus eineeit reichende Bedeutung. Ich gebe zu, dass auch wirine sehr schwierige Diskussion dazu in unseren eigeneneihen geführt haben.Entscheidend ist – das haben Sie hier richtig ausge-ührt –, dass das Arbeitslosengeld keine Ersatzrentenver-icherung ist. Das sollten wir all denjenigen sagen, dieich mit dieser Thematik beschäftigen und vielleicht so-ar von ihr betroffen sind. Es wird – auch wir habenurch eigenes Tun in den letzten Jahren und Jahrzehnteneider dazu beigetragen – häufig so verstanden, dass dasrbeitslosengeld zulasten der Beitragszahler und derundesanstalt für Arbeit sozusagen eine vorgezogeneentenversicherung ist. Das ist die Arbeitslosenversi-herung nicht. Sie ist eine reine Risikoversicherung, dieom ersten Tag der Beitragszahlung an eintritt. Das ister Sinn einer Risikoversicherung. Das Risiko der Ar-eitslosigkeit wird vom ersten Tag an versichert. Dieersicherung muss im Grundsatz und im Prinzip unab-
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Friedrich Merzhängig von Beitragszeiten und vom Alter des Betroffe-nen mit der gleichen Leistung eintreten.So weit, so gut. Für viele Betroffene muss es aber hei-ßen: So weit, so schlecht; denn insbesondere diejenigen,die älter sind, arbeitslos werden und in Zukunft richti-gerweise nicht mehr mit einer Arbeitslosenhilfe in dieserHöhe rechnen können, müssen einen Vertrauensschutz inAnspruch nehmen können, den wir alle zusammen ihnengegeben haben. Insofern ist auch hier eine Übergangslö-sung richtig.So weit reichen die Gemeinsamkeiten zur Lösung derProbleme. Noch einmal: Ich biete Ihnen hier ausdrück-lich an, dass wir zu vernünftigen gemeinsamen Lösun-gen kommen. Wir liegen auch nicht so weit auseinander,als dass es nicht möglich sein könnte, solche Lösungenzu erzielen. Aber: Die entscheidende Herausforderungzur Neugestaltung unseres Arbeitsrechtes haben Sie,meine Damen und Herren von den Sozialdemokratenund den Grünen, mit Ihrem Gesetzentwurf überhauptnicht angesprochen.Sie geben zu, dass der Kündigungsschutz, die Über-regulierung des Arbeitsmarktes und zu kurze Arbeitszei-ten ein Problem sind. Wenn dies aber richtig ist, dannhätten Sie konsequenterweise auch eine Antwort auf dieFrage geben müssen, ob unsere Lohnfindungssystemein Deutschland insgesamt reformbedürftig sind.
Dass sie reformbedürftig sind, sieht man daran, was ge-genwärtig in der ostdeutschen Metall- und Elektroindus-trie geschieht.Ich will das sehr ruhig und sachlich sagen: Dass hierin der vierten Woche für die Herabsetzung der Wochen-arbeitszeit gestreikt wird, wodurch der einzige Wettbe-werbsvorteil, den die ostdeutsche Industrie gegenüberder westdeutschen Industrie noch hat, beseitigt würde,zeigt die ganze Absurdität des ritualhaft vorgetragenenArbeitsstreites bzw. Arbeitskampfes in der Metallindus-trie.
Wenn weniger als 10 Prozent der Beschäftigten einenStreik auslösen können und gleichzeitig aus dem Westenherbeigekarrte IG-Metall-Funktionäre
den Versuch unternehmen, vernünftige ostdeutsche Ar-beitnehmer, die nicht streiken wollen, am Zugang zu denBetrieben zu hindern, sodass sie einen Spießrutenlaufmachen müssen, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen,dann müssen wir im Deutschen Bundestag über dasTarifvertragsrecht in Deutschland reden. Es gibt einenerheblichen Reformbedarf.
Frau Kollegin Barnett und andere, ich habe mit diesenZwischenrufen gerechnet. Dass Ihnen das nicht gefällt,kddG1eIDBhasStrimfItrwrgksdgRÜmLFrTbdtcDiVRwvfz
Wir müssen etwas ändern. Daher machen wir an diesertelle einen Vorschlag. Wir schlagen vor, das Tarifver-agsgesetz zu ändern und zusammen mit einer Änderung Betriebsverfassungsgesetz betriebliche Bündnisseür Arbeit in Deutschland gesetzlich zu ermöglichen.ch will denjenigen, die uns zuhören und die an den un-erschiedlichen Konzepten von Opposition und Regie-ung sehr interessiert sind, erläutern, worum es geht. Wirollen nicht die Tarifautonomie infrage stellen. Die Ta-ifautonomie hat Verfassungsrang. Selbstverständlich er-eben sich aus der Tarifautonomie – auch der Bundes-anzler hat dies so begründet – nicht nur Rechte,ondern auch Pflichten. Daraus ergibt sich insbesondereie Pflicht, auf die gesamtwirtschaftlichen Auswirkun-en von Tarifverhandlungen und deren Ergebnisseücksicht zu nehmen.Flächentarifverträge bleiben nach unserer festenberzeugung auch in Zukunft das entscheidende Instru-ent einer weiterhin notwendigen überbetrieblichenohnfindung. Nur der Flächentarifvertrag begründet dieriedenspflicht in den Unternehmen. Wir wollen die Ta-ifautonomie nicht so verstanden wissen, dass in Zukunftarifverhandlungen und Tarifabschlüsse nur noch aufetrieblicher Ebene stattfinden. Aber unter dem Dacher Flächentarifverträge muss es möglich sein, auf be-rieblicher Ebene von den Kernbestandteilen der Flä-hentarifverträge nach unten und oben abzuweichen.ies betrifft Entgeltregelungen, Urlaubsregelungen undnsbesondere Arbeitszeitregelungen. Es gibt dazu eineielzahl von Fällen, die Sie alle kennen und die zum Teilechtsgeschichte in Deutschland geschrieben haben. Ichill sie an dieser Stelle aus Zeitgründen nicht aufzählen.Um es klar und deutlich zu sagen: Es geht niemandemon uns darum, in Tarifverträge in der Weise einzugrei-en, dass in Zukunft niedrigere Löhne in Deutschland ge-ahlt werden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
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Friedrich Merzin Deutschland haben im Zweifel nicht zu hohe Löhne,sondern viel zu niedrige Nettolöhne, weil die Scherezwischen Netto und Brutto immer weiter aufgeht.
Auf der einen Seite stehen viel zu hohe Bruttoarbeits-kosten. Auf der anderen Seite stehen im Zweifel zuniedrige Nettolöhne der Arbeitnehmer. Es geht also nichtin erster Linie um die Entgeltregelungen, sondern um dieArbeitszeitregelungen.Herr Clement, aus dem, was Sie gerade gesagt haben,müssten Sie eigentlich auch für das Tarifvertragsgesetzund das Betriebsverfassungsgesetz die richtige und not-wendige Konsequenz ziehen. Sie lautet: Wir müssen diegesetzlichen Grundlagen schaffen, damit die Menschenin diesem Land zur Erhaltung des Sozialprodukts unddes Wohlstand in Zukunft wieder mehr arbeiten. Ich ver-mute, dass dies auch für einen großen Teil der Bevölke-rung in Deutschland erklärungsbedürftig ist.Viele Menschen in Deutschland glauben bis heute, ir-regeleitet durch die Propaganda eines Teils der deut-schen Gewerkschaften, dass uns nur ein statisches Ar-beitsvolumen zur Verfügung steht, das man möglichstgerecht auf die Menschen verteilen müsse, um am EndeVollbeschäftigung zu erreichen. Das ist ein großer Irr-tum, mit dem wir uns seit mehreren Jahren, vielleicht so-gar seit zwei Jahrzehnten hätten befassen müssen; denndie Politik der Arbeitszeitverkürzung hat erkennbar nichtzu einer Lösung des Beschäftigungsproblems geführt,sondern hat über eine kontinuierliche Verteuerung derArbeit in Deutschland zu dieser hohen Massenarbeits-losigkeit entscheidend beigetragen.
Es geht also darum, dass wir in Zukunft gemeinsamwieder ein höheres Sozialprodukt erwirtschaften, indemwir mehr arbeiten. Mehr Arbeit schafft ein höheresWachstum und nicht umgekehrt. Wir sind uns darübereinig, dass Deutschland unter einer Wachstums- und Be-schäftigungskrise leidet. Wir erreichen ein höheresWachstum aber nur dann, wenn wir zuvor gemeinsamein höheres Sozialprodukt durch mehr und nicht durchweniger Arbeit erwirtschaften.
Nun gibt es auch an dieser Stelle einige, die völlig zuRecht darauf hinweisen, dass sie schon heute weit überdie tarifliche Arbeitszeit hinaus arbeiten. Das ist zwarwahr, aber genau an dieser Stelle schließt sich doch derKreis jeder vernünftigen Argumentation. Wir müssendafür sorgen, dass Einstellungen in den Betrieben wiedermöglich sind, sie erleichtert und nicht durch eine Über-reglementierung und Überregulierung unseres Arbeits-marktes künstlich verhindert werden. So schließt sich andieser Stelle der Kreis zu unseren Vorschlägen zumKündigungsschutzrecht. Wenn wir mehr arbeiten müs-sen, dann wird es auch mehr Arbeitsplätze geben. Siewird es nicht in der Schattenwirtschaft geben und eswird auch nicht mehr Überstunden geben, sondern siewird es, wenn die Betriebe eine Perspektive erkennen, inregulären Beschäftigungsverhältnissen geben. DadurchemHsvhdiwbAdcbudgmgnNwgbRgMehGshwmbBaVvscbamw
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Thea Dückert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichöchte angesichts der seit Jahren überfälligen notwendi-en strukturellen Reformen zu Beginn meiner Rede ei-en interessanten Gedanken von Herrn Merz aufgreifen.atürlich geht es, wenn wir das große Projekt der Über-indung der strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt an-ehen wollen, auch darum, zu bilanzieren, wo Einigkeitesteht und wo das Trennende ist. Sie haben insoweitecht, als bei der Analyse und bei bestimmten Vorschlä-en Einigkeit besteht. Bei dem Zusammenschustern derinijobregelung ist das sogar Realität geworden.Es ist klar, dass die Höhe der Lohnnebenkosten eineklatante Bedeutung für die Beschäftigungsentwicklungat. Aber, Herr Merz, ich glaube, das Trennende liegt imrundsätzlichen, das heißt, in der arbeitsmarktpoliti-chen Philosophie. Das sieht man auch daran, wie dieeute vorliegenden Anträge von Ihnen aufgenommenerden.Sie schreiben in Ihrem eigenen Antrag, wir müsstenehr „Flexicurity“ am Arbeitsmarkt herstellen. Wir ha-en uns gefreut, als wir das gelesen haben, weil das einegriff ist, den auch die Grünen verwenden. Wenn manber schaut, wie Sie mit dem Kündigungsschutz, demorschlag, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zuerändern, und dem JUMP-Programm umgehen, dannieht man eines: Sie haben nicht begriffen, dass „Flexi-urity“ heißt, auf der einen Seite Dynamik und Flexi-ilität herzustellen und Barrieren zu überwinden, auf dernderen Seite aber berechtigte Interessen der Arbeitneh-erinnen und Arbeitnehmer zu schützen. Genau dasollen Sie mit Ihren Anträgen nicht.
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Dr. Thea DückertBeim Kündigungsschutz wollen Sie so etwas wieeine Zweiklassenregelung in den Betrieben einführen.Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen, dass mandie Debatte über den Kündigungsschutz nicht überhöhensollte. Aber eines ist schon klar: Es muss beim Kündi-gungsschutz darum gehen, Einstellungen zu ermögli-chen, und nicht darum, Kündigungsschutz für diejeni-gen, die ihn haben, abzubauen. Das tun wir auch nicht.Es geht darum, gerade für kleine und mittlere Betriebeeine flexible Lösung zu finden, damit diese am Arbeits-markt reagieren können, wenn es einen Silberstreif amHorizont gibt. Es geht darum, eine Balance bei Beibehal-tung des Kündigungsschutzes zu finden. Der Kündi-gungsschutz wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern nicht weggenommen. Wir wollen den sozialenSchutz sichern, gleichzeitig aber eine flexible Lösungfinden. Das würde ich „Flexicurity“ nennen. Das ist dieIdee, die dahinter steht.Nehmen wir Ihren Vorschlag, das JUMP-Programmzu streichen, der heute wieder gemacht wurde und denich zutiefst unsozial und ignorant gegenüber der jetzigenSituation auf den Arbeitsmärkten finde. In verschiede-nen Anträgen haben Sie auch ausgeführt, mit der Strei-chung des JUMP-Programms – das würde 1 MilliardeEuro jährlich ausmachen – könnten die Lohnnebenkos-ten gesenkt werden.Aufgrund schlimmer konjunktureller Entwicklungenund starker struktureller Defizite gibt es in diesem Landjunge Leute, die Schwierigkeiten haben, in den Arbeits-markt hineinzukommen. Sie selbst haben eben zu Rechtdarauf hingewiesen, dass dies für junge Leute immerschwieriger wird. In dieser Situation mit dem Hinweisauf die Entwicklung der Lohnnebenkosten die Strei-chung von JUMP vorzuschlagen, ist ein arbeitsmarktpo-litischer Irrweg, der nichts mit der Realität und ihrer Be-wältigung zu tun hat.
Ich glaube, dass eines der größten Reformprojekte imZusammenhang mit dem Arbeitsmarkt vor uns liegt. An-gefangen mit dem Hartz-Konzept und dem Job-AQTIV-Gesetz sind bereits viele Schritte unternommen worden.Wir haben viele neue Maßnahmen eingeleitet. Heutegeht es nur um zwei Bausteine, die eher eine strukturelleund nachhaltige Wirkung entfalten werden, als dass siebereits zum Jahresende Entlastungen bringen.Ein Baustein ist die Senkung der durchschnittlichenBezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Die CDU/CSUwendet sich auch gegen diesen Ansatz. Die Dauer derArbeitslosigkeit beträgt in Deutschland durchschnittlich32 Wochen. Seit Mitte der 80er-Jahre hat sich die durch-schnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit immer weiter er-höht. Das ist ein Skandal. Die durchschnittliche Dauerder Arbeitslosigkeit ist in Deutschland doppelt so hochwie in den Nachbarländern. Mit jedem Tag Arbeitslosig-keit mehr verringern sich für die Menschen die Chancen,in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Deswegen müssenwir dieses Problem angehen.D3bUbJdfnsdSvtbbAbasgtdblmuJdnBl1Nes4wdzlada
Gegen unser Vorhaben, die Bezugsdauer des Arbeits-osengeldes auf zwölf bzw. 18 Monate zu senken, argu-entieren Sie meiner Meinung nach sehr populistischnd vordergründig. Aber wie sehen Ihre Vorschläge aus?Nach den bestehenden Regelungen wird nach einemahr Berufstätigkeit der Anspruch auf eine Bezugsdaueres Arbeitslosengeldes von sechs Monaten erworben;ach zwei Jahren sind es zwölf Monate. Wir wollen dieezugsdauer grundsätzlich auf zwölf Monate begrenzen,ediglich für Arbeitnehmer über 55 Jahre kann sie bis zu8 Monate betragen.Was schlagen Sie unter dem sozialen Deckmantel vor?ach Ihren Vorstellungen muss ein Arbeitnehmer oderine Arbeitnehmerin zehn Jahre arbeiten, um den An-pruch auf ein Jahr Arbeitslosengeld zu erwerben, bzw.0 Jahre für zwei Jahre Arbeitslosengeld. Außerdemollen Sie noch einen Karenzmonat einführen, das heißt,ass das Arbeitslosengeld im ersten Monat des Bezugs-eitraums auf das Sozialhilfeniveau gesenkt wird.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit!
Junge Leute, die 23 Monate arbeiten und dann arbeits-os werden, würden nach Ihren Vorstellungen völlig leerusgehen. Leute, die einen Monat länger arbeiten, wür-en sechs Monate Arbeitslosengeld bekommen, müsstenber im ersten Monat auf Sozialhilfeniveau leben.
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Dr. Thea DückertWo leben Sie eigentlich? Es geht doch um jungeLeute in der Phase der Familiengründung. Die jungenLeute haben heutzutage keine bruchlose Erwerbsbiogra-fie vor sich, wie es bei uns oder unseren Eltern noch derFall war. Sie müssen sich vielmehr mit Patchwork-Er-werbsbiografien auseinander setzen. Mit Ihrem Vor-schlag streichen Sie diesen Menschen, wenn sie Über-gangsprobleme haben und von einem Job in den anderenwechseln wollen, auch noch die Möglichkeit auf ein an-ständiges Arbeitslosengeld, nur um weiterhin die Früh-verrentung finanzieren zu können. Das aber ist ein Irr-weg. Den Weg, den Sie bei der Bezugsdauer desArbeitslosengeldes beschreiten, ist völlig falsch. Unterdem Deckmäntelchen des Sozialen schlagen Sie hier et-was vor, was auf Kosten –
Frau Kollegin, das geht jetzt auf Kosten des nächsten
Redners Ihrer Fraktion.
– der jungen Menschen und damit auf Kosten der Ge-
nerationengerechtigkeit sowie zulasten des Arbeitsmark-
tes geht.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Minister Clement, ich muss zugeben, dassSie bei Ihrer Rede stark begonnen haben, besonders alses um die Beschreibung der momentanen Situation aufdem Arbeitsmarkt in Deutschland ging. Sie haben zuRecht festgestellt, dass sich die Leistungen eines Sozial-staates nicht an der Höhe der Transferleistungen, son-dern an der Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeits-plätze bemessen lasse und dass ein Großteil der von deralten Bundesregierung, aber auch viele der von derneuen Bundesregierung mit schönen Namen versehenenund eingeführten arbeitsmarktpolitischen Instrumenta-rien schlichtweg gescheitert seien. Das wissen wir spä-testens seit der Eingliederungsbilanz der Bundesanstaltfür Arbeit, in der nachzulesen ist, dass ohne Folgeförde-rung bundesweit nur 35 Prozent aller Maßnahmen dazugeführt haben, dass ein Arbeitsloser sechs Monate nachMaßnahmeende einen Arbeitsplatz bekommen hat. Dasist herausgeschmissenes Geld.
All das war richtig. Ich gebe zu, dass das für einenMinister ein starker Auftritt war. Nur schade, dass keineinziger Kollege aus den Regierungsfraktionen applau-diert hat.
DrsPDngdwchLtZmtthehdbDADsgaGSWkrrfmohdfzdvDSBwlbkdsn
Das Kündigungsschutzgesetz ist ein Einstellungs-emmnis und sorgt dafür, dass die Menschen in diesemand oft nicht die Möglichkeit haben, ihren Lebensun-erhalt selbst zu finanzieren. Das sieht man an folgendenahlen: In Deutschland gibt es 1,46 Millionen Betriebeit weniger als fünf Mitarbeitern, aber nur 260 000 Be-riebe mit sechs bis neun Mitarbeitern und 200 000 Be-riebe mit zehn bis 19 Mitarbeitern. Daran kann man se-en, dass es hier eine Hemmschwelle gibt, die esrschwert, mehr als fünf Mitarbeiter einzustellen. Des-alb geht man den Weg der Zeitarbeit und der Überstun-en. Man geht aber noch einen anderen Weg – diesen ha-en Sie schon beschrieben –: Es gab Zeiten ineutschland, in denen Wayss & Freytag einer der großenrbeitgeber war. Heute ist es „Schwarz & Samstag“.as hat nicht nur etwas mit dem Kündigungsschutzge-etz, sondern unter anderem auch mit den Rahmenbedin-ungen in der Bundesrepublik Deutschland zu tun, die esttraktiver machen, in der Schattenwirtschaft und imraubereich als in der regulären Wirtschaft zu arbeiten.Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzentwurf, denie vorgelegt haben, nur die Durchschlagskraft einesattebäuschchens. Sie haben es geschafft, sich in relativleinen Schritten auf den Rechtszustand von 1998 zu-ückzubewegen. Im Jahre 1996 hat die alte Bundesregie-ung zum Beispiel drei Kriterien für die Sozialauswahlestgelegt und – um Rechtssicherheit zu schaffen – Na-enslisten eingeführt. Im Rahmen der rot-grünen Reform-rgie von 1998 haben Sie das alles abgeschafft. Damitaben Sie Ihre Versprechen eingelöst, aufgrund derer Sieie Bundestagswahl gewonnen haben und der DGB Sieinanziell so stark unterstützt hat. Jetzt stellen Sie suk-essive – wortgleich – den Rechtszustand von 1998 wie-er her. Ich muss sagen: Willkommen im Klub! Fünferschenkte Jahre für Deutschland!
en entscheidenden Schritt gehen Sie aber nicht. Dieozialauswahl muss zwar klar definiert werden, aber dieetriebe – wer außer diesen könnte besser definieren,er Leistung erbringt und wer nicht? – müssen die Mög-ichkeit haben, dafür zu sorgen, dass die Leistungsträgerleiben und dass die Luschen gehen. Es darf nicht umge-ehrt sein, wie es heute oft der Fall ist.Sie haben eine Regelung für kleine Betriebe gefun-en, weil Sie festgestellt haben, dass es eine Hemm-chwelle gibt, die es schwer macht, mehr als fünf Arbeit-ehmer einzustellen. Aber Ihre Regelung hebt nur auf
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4365
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Dirk Niebeldie befristeten Beschäftigungsverhältnisse ab. Damitverlagern Sie das Problem des Schwellenwerts in dieZukunft, und zwar bis zum Ende des längstmöglichenBefristungszeitraums. Spätestens da wirkt sich derSchwellenwert wieder voll aus. Ein Arbeitgeber stehtdann nämlich vor folgender Entscheidung: Entweder erstellt einen eingearbeiteten Mitarbeiter fest ein und an-schließend genießen alle Beschäftigten denselben Kün-digungsschutz oder er entlässt diesen Mitarbeiter undmuss jemand anders einstellen, der eingearbeitet werdenmuss. Was Sie vorhaben, schafft keine dauerhaften, gesi-cherten Beschäftigungsverhältnisse. Sie fördern das, wasIhre Kolleginnen und Kollegen immer als prekäre Ar-beitsverhältnisse bezeichnet haben. Sie gehen den fal-schen Weg.
Im Hinblick auf den Arbeitslosengeldbezug sind Sieendlich in der Realität angelangt. Ich bedauere sehr, dassdie Blüms und Dreßlers der beiden großen sozialdemo-kratischen Parteien den Weg der Ausweitung der Be-zugsdauer damals – ich war damals noch nicht Mitglieddieses Hauses – eingeschlagen haben. Wir alle wissenjetzt: Er war falsch.Mittlerweile wissen wir doch auch, dass sich die Ar-beitslosenversicherung von ihrem eigentlichen Zweckeiner Ausfallbürgschaft zur Absicherung des Lebensun-terhaltes für einen klar definierten Suchzeitraum weg-und hin zu einer Daueralimentierung entwickelt hat. Dashat dazu geführt, dass manch einer, der wirtschaftlichklar denken kann, mit dem Klammerbeutel gepudert seinmüsste, wenn er einen Arbeitsplatz annimmt: Beispiels-weise lohnt sich für einen 56-Jährigen nach zweijährigerArbeitslosigkeit die Annahme eines Arbeitsplatzes ange-sichts der Tatsache, dass er bis zu 32 Monate ein Ar-beitslosengeld in Höhe von 60 Prozent seines letztenNettolohns beziehen kann, wirtschaftlich überhauptnicht; das liegt auch an der Dauer des Arbeitslosengeld-bezugs. Das müssen wir ändern. Auch an dieser Stellegilt: Willkommen im Klub! Über die Details müssen wirin den Ausschussberatungen noch streiten.Nichtsdestotrotz haben Sie zwei ganz entscheidendePunkte übersehen:Der eine Punkt – Herr Kollege Merz hat ihn schon an-gesprochen; wir haben hier eine entsprechende Geset-zesvorlage eingebracht – betrifft das Tarifrecht.Der andere Punkt betrifft die Rahmenbedingungen,die darüber hinaus vorhanden sein müssen, damit mehrMenschen auf dem Arbeitsmarkt wieder eine Chance ha-ben.Zunächst möchte ich auf das Tarifrecht eingehen. ImOsten der Bundesrepublik Deutschland sehen wir geradeganz aktuell: Wenn sich weniger als 10 Prozent der in ei-ner Branche Beschäftigten für einen Arbeitskampf ent-scheiden und wenn Betriebsräte von Siemens von derIG Metall auf Solidaritätsreise in den Osten geschicktwerden, um dazu beizutragen, dass diejenigen ausgepfif-fen werden, die arbeiten gehen, dann stimmt doch irgend-etwas nicht mehr. „Der Spiegel“ zitiert aus dem IG-Me-tßMObngdttDTMfüwidfBWmeZlSSRvgLtuUIhcnhwa–g
Ich weiß, der Beifall war sehr vage. Wir wollen Ihnenern dabei helfen, Ihre Truppen hinter sich zu scharen.
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Dirk NiebelDas Grundproblem besteht darin, dass sich einige we-nige Mitglieder dieser Regierung, die verstanden haben,was zu tun ist, nicht durchsetzen können und sich nichttrauen, die Opposition zu Rate zu ziehen. Das Bestewäre es, den Regierungsauftrag zurückzugeben und dieWählerinnen und Wähler erneut entscheiden zu lassen.Das Beste für Deutschland, aber auch für Nordrhein-Westfalen wäre, wenn es Neuwahlen gäbe.
Nur so bekommen wir Zukunftschancen für diese Repu-blik. Nur so können wir es bewerkstelligen, dass dieMenschen, die heute außen vor stehen, wieder eineChance haben, selbst für ihren Lebensunterhalt zu arbei-ten.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die heutige Debatte ist aus meinerSicht eine sehr zentrale; denn mit dem Entwurf eines Ge-setzes zu Reformen am Arbeitsmarkt setzen wir einenweiteren Schwerpunkt der Agenda 2010 um und zeigendamit, wie entschlossen wir sind und wie ernst wir es mitden Reformen in diesem Lande meinen. Zusammen mitdem Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz, der No-vellierung der Handwerksordnung, der Modernisierungder Bundesanstalt für Arbeit, der Stärkung der Gemein-definanzen sowie der Zusammenlegung von Arbeitslo-senhilfe und Sozialhilfe haben wir damit einen Reform-schwung, der von allen internationalen Institutenunterstützt wird.Ziel ist es, Einstellungshemmnisse im Arbeitsrecht zubeseitigen und die Lohnnebenkosten, was den Teil Ar-beitslosenversicherung betrifft, zu senken. Wir werdenden Kündigungsschutz für Unternehmer und Arbeitneh-mer leichter handhabbar machen. Wir werden Einstel-lungen erleichtern. Handwerker und kleine Gewerbe-treibende werden ermutigt, Mitarbeiter neu einzustellen.Zumindest können insbesondere Sie von der Oppositionkünftig nicht mehr auf ein zu starres Kündigungsschutz-recht verweisen.Durch den Gesetzentwurf der Koalition bleibt derKündigungsschutz in seiner Substanz voll erhalten.Heuern und Feuern wird es mit Sozialdemokraten nichtgeben.
Wir schaffen einen fairen Ausgleich zwischen Arbeitge-bern, Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden. Davon kannbei dem Entwurf, den Sie von der CDU/CSU vorgelegthiLgnmwbnsgsoEkwgDbkmSIrA–rdDsAnDshFtildrsE
ine solche Diskriminierung belastet das Betriebs-lima, Herr Göhner. Das Betriebsklima ist auch ausirtschaftspolitischer Sicht ganz entscheidend. Es ist einanz wesentlicher Produktivfaktor.
eshalb wenden wir uns gegen Spaltungspolitik auf deretrieblichen Ebene. Wir sind für ein gutes Betriebs-lima.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,it Ihren Vorschlägen zum Tarifvertragsrecht erklärenie die Entrechtung der Arbeitnehmer zum Programm.hre Vorstellungen laufen darauf hinaus, Arbeitnehme-innen und Arbeitnehmer zu Bittstellern gegenüber ihrenrbeitgebern zu degradieren.
Hören Sie gut zu! – Genau das träte ein, wenn von Ta-ifverträgen abweichende Regelungen ohne Beteiligunger Tarifvertragsparteien vereinbart werden könnten.
ie Funktion der Tarifverträge würde damit ad ab-urdum geführt; denn auf diese Art und Weise würdenrbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leicht zu Tagelöh-ern gemacht. Das setzt leichtfertig aufs Spiel, waseutschland stark gemacht hat, nämlich Stammbeleg-chaften, die für ihre Betriebe durch dick und dünn ge-en. Wettbewerb kann doch wohl nicht allein auf dierage reduziert werden, wer sein Personal am schlech-esten bezahlt.
Jeder in diesem Land, der nicht ideologisch verbohrtst, weiß doch inzwischen, dass die Tarifverträge in denetzten zehn Jahren erheblich flexibilisiert und auch stän-ig weiterentwickelt worden sind. Die Beispiele für ta-ifliche Öffnungsklauseln sind zahlreich: Einstiegsklau-eln für Langzeitarbeitslose, Regelungen für variablentlohnung, Arbeitszeitkorridore, befristete Arbeitszeit-
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Klaus Brandnerreduzierung ohne Lohnausgleich, Aussetzen von Tarif-erhöhungen, Härtefallklauseln für Krisenfälle. Insgesamtkann man feststellen, dass wir insbesondere in der Ar-beitszeitgestaltung die flexibelsten tarifvertraglichen Re-gelungen in ganz Europa haben.
– Wenn Sie den Tarifvertrag zum Sündenbock für dieHöhe der Arbeitslosigkeit erklären, dann liegen Sie na-türlich nicht richtig. Dass es auch andere Faktoren fürdie Höhe der Arbeitslosigkeit gibt, davon kann manwohl überzeugt sein.
Verträge haben aber nur dann Wirkung, wenn sie fürbeide Seiten verbindlich sind. Deshalb kommen für unsgesetzliche Öffnungsklauseln nicht infrage.
Betriebsvereinbarungen dürfen nicht unterlaufen wer-den, auch nicht solche, die mit dem schönen Etikett „Be-triebliches Bündnis für Arbeit“ versehen sind.
– Der Bundeskanzler vertritt keine andere Auffassung,Herr Göhner.Offenbar geht es Ihnen aber weniger um inhaltlicheWeichenstellungen innerhalb eines grundsätzlich akzep-tierten Betriebsvertragssystems. Sie schüren mit IhrenVorhaben die Existenzängste von Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern und kündigen den gesellschaftlichenKonsens insbesondere in Fragen der Tarifautonomie auf.Das führt jedoch nicht zu der von Ihnen erhofften Auf-bruchstimmung.
Sie zementieren alte Feindbilder, die sich längst überholthaben, Herr Hinsken, und der politischen Gegenwart ausmeiner Sicht nicht gerecht werden. Es lohnt sich ange-sichts der bislang guten Erfahrungen mit der Sozialpart-nerschaft schon, darüber nachzudenken, ob die Bundes-republik Deutschland auf harten Konfrontationskurs, dererhebliche soziale Spannungen mit sich bringt, ein-schwenken soll oder ob nicht doch das Erfolgsmusterdes Konsensprinzips der angemessenere Weg ist.Sie wollen die Gewerkschaften am liebsten ganz kleinhalten.
Ich zitiere als Beleg nur Herrn Merz, der sagt, er haltenichts von Tarifverträgen. Das ist auch keine Mutma-ßung, Herr Hinsken, wenn ich mich direkt auf HerrnMerz berufe. Ich zitiere Sie doch wohl richtig, HerrMmesWkhwdldzmzjGtAnezStwmmnkslsmdRbfmtBgbsgDddRdF
Meine Damen und Herren, zu den Neuregelungen be-üglich der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeldöchte ich Sie auf Folgendes hinweisen. Wir nehmenur Kenntnis, dass die deutsche Wirtschaft Arbeitnehmerenseits des 50. Lebensjahrs zum alten Eisen erklärt.anze Stäbe von Personalmanagern in den größeren Un-ernehmen haben über Jahre daran gefeilt, wie sie ältererbeitnehmer möglichst kostengünstig freisetzen kön-en. Unter kostengünstig verstehen sie dabei auch, dieigenen Personalprobleme in möglichst großem Umfangulasten der Sozialversicherungssysteme und unterchonung der eigenen Kassen zu lösen. Auch dazu hät-en wir, Herr Göhner, gerne ein offenes Wort beispiels-eise der BDA, des BDI und des DIHT gehört. Wirussten das leider vermissen. Hier wäre ein gemeinsa-es Vorgehen angebracht, denn die Senkung der Lohn-ebenkosten und der Missbrauch der Sozialkassen isteine Angelegenheit nur einer Gruppe in der Gesell-chaft, sondern hier ist gemeinsames Handeln erforder-ich.Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, handeln ent-chlossen, weil wir zum einen diesen Missbrauch nichtehr zulassen wollen und zum anderen die Chancen fürie älteren Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt durch eineeihe von aktivierenden Maßnahmen erhöhen, die dazueitragen, dass die Beschäftigungsfähigkeit Älterer lang-ristig erhalten bleibt. Ich will jetzt nicht alle Maßnah-en im Einzelnen auflisten. Hier wird aber unsere Stra-egie klar und deutlich: Falsche Anreize, die zurelastung der Sozialsysteme führen, müssen weg; inte-rierende Anreize für mehr Beschäftigung älterer Ar-eitnehmer werden konsequent aufgebaut.Wir haben die Kohlen aus dem Feuer geholt und dieehr schwierige öffentliche Debatte um die Agenda 2010eführt. Wir haben Sie durch öffentlichen Druck aus dereckung gezwungen. Regierungstauglich – da darf ichie FDP zitieren – sind Sie, meine Damen und Herren,adurch aber noch lange nicht geworden.
ichtig ist, dass die Positionen klar geworden sind – iner heutigen Debatte ganz besonders. CDU/CSU undDP wollen im sozialen Bereich deutlich abbauen;
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Klaus BrandnerSPD und Grüne wollen den Sozialstaat umbauen. ZumUmbauen reichen wir Ihnen die Hand; insofern sind wirgesprächs- und konsensbereit. Zum Abbau steht dieseKoalition nicht zur Verfügung.
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel unseresGesetzentwurfes, den wir heute in den Bundestag ein-bringen, ist es, zu mehr Beschäftigung in Deutschland zukommen. Es ist eine Tatsache, dass wir in Deutschlandein Wachstum von gut 2 Prozent brauchen, bis überhauptein positiver Arbeitsmarkteffekt messbar ist.
Es gibt Länder, in denen das anders ist. In Amerika sagtman, dass ein Wachstum von 0,5 Prozent ausreicht, umeinen Arbeitsmarkteffekt zu erreichen. In unserem Nach-barstaat Niederlande sagt man, 1 Prozent Wachstum rei-che aus, um mehr Beschäftigung zu erreichen. Insofernmüssen wir uns in der Tat überlegen – darüber gibt esauch viele Studien –, warum wir in Deutschland ein rela-tiv hohes Wachstum brauchen, um überhaupt einen posi-tiven Effekt auf dem Arbeitsmarkt feststellen zu können.Wenn das, was die Bundesregierung sagt, zutrifft,nämlich dass wir für dieses Jahr ein Wachstum von0,75 Prozent bekommen, dann bedeutet das – nach demZusammenhang, den ich eben erklärt habe –, dass es indiesem Jahr mit der Arbeitslosigkeit eher schlimmer alsbesser wird.
Wenn das Deutsche Institut für WirtschaftsforschungRecht hat, das sagt, die von der Bundesregierung ange-nommenen 0,75 Prozent stimmten gar nicht,
vielmehr müssten wir von einer schrumpfenden Wirt-schaft ausgehen, dann macht dies umso deutlicher, wowir am Ende dieses Jahres landen werden.
Es gibt Mitglieder der Bundesregierung wie den Außen-minister, der vor kurzem in einem öffentlichen Interviewdie Zahl von 5 Millionen in Bezug auf die Arbeitslosen-entwicklung in diesem Jahr in den Mund genommen hat.vVgwldcGtdrnSdjliSaiDDaÄezrFnAdBmszlg8hszD
Deswegen müssen wir, wie in unserem Gesetzentwurforgesehen, Instrumente einführen, mit denen wir denersuch unternehmen, Wachstum über mehr Beschäfti-ung zu erreichen. Es ist immer die Rede davon, dassir für Beschäftigung Wachstum brauchen; aber viel-eicht sollten wir einfach einmal überlegen, ob wir nichturch mehr Beschäftigung auch mehr Wachstum errei-hen können.Aus diesem Grund hat unser Gesetzentwurf imrunde genommen drei Ziele. Erstens geht es um Kos-ensenkung. Wir sind uns im Großen und Ganzen einig,ass wir zu Einsparungen bei der Arbeitslosenversiche-ung kommen müssen. Frau Dückert, wir haben nur ei-en etwas anderen Ansatz. Sie legen bei der Tabelle, wieie das Arbeitslosengeld in Zukunft gestalten wollen,as Lebensalter zugrunde, während wir Beschäftigungs-ahre zugrunde legen.
Ich bin durchaus der Meinung, dass ein Mensch, derange Zeit Steuern und Beiträge gezahlt hat – vor allemm Blick darauf, dass wir die Arbeitslosenhilfe mit derozialhilfe auf Sozialhilfeniveau zusammenführen –,uch über eine längere Zeit Schutz genießen soll, bis ern ein bedürftigkeitsabhängiges System fällt.
ies haben wir eben in Beschäftigungsjahren gemessen.as kann man sehr wohl rechtfertigen.
Daneben haben wir unsere Intention in das Gesetzufgenommen, die Schwellenwerte, die bei der letztennderung des Betriebsverfassungsgesetzes von Riesterrhöht wurden, wieder auf das Niveau von 1998 zurück-uführen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Betriebs-äte für etwas Unvernünftiges hielten, aber man mussolgendes wissen: Vor 1998 gab es in Deutschland kei-esfalls eine heftige Bewegung, aufgrund derer man dienzahl der Betriebsräte und der Freistellungen unbe-ingt hätte vergrößern müssen. Es gab damals keineriefe von Betriebsräten, dass das alles so kommenüsse, sondern – erinnern wir uns! – das war das Danke-chön von Herrn Riester für die Wahlkampfunterstüt-ung von 8 Millionen DM im Wahlkampf 1998.
Dass wir nun eine Regelung wieder abschaffen wol-en, die lediglich zustande gekommen ist, weil diese Re-ierung den Gewerkschaften Danke sagen wollte für dieMillionen DM im Wahlkampf, das müssen Sie verste-en. Das erfordert schon unsere Ehre. Deswegen beab-ichtigen wir, diese Schwellenwerte wieder so festzuset-en, wie sie vor 1998 galten.
as spart natürlich auch Kosten.
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Karl-Josef LaumannEin zweiter Grundsatz ist mehr Flexibilität. In die-sem Zusammenhang ist das betriebliche Bündnis für Ar-beit unstreitig ein wichtiges Thema. Lieber Herr KollegeBrandner, Sie sind ja Bevollmächtigter der IG Metall inGütersloh. Ich möchte nicht wissen, wie viele solcherfunktionierenden betrieblichen Bündnisse es in IhremWahlkreis gibt.
Sie nehmen diese schlicht und ergreifend nicht zurKenntnis. Aber der normale Mensch muss doch vom Ge-setzgeber verlangen können, dass dieser für Rechtssi-cherheit sorgt. Deswegen meine ich: Wenn wir wissen,dass es viele solcher Bündnisse gibt, warum stellen wirsie dann nicht auf rechtlich einwandfreie Füße und zei-gen einen rechtlich einwandfreien Weg auf? Nicht mehrund nicht weniger tun wir hier.
Die Gewerkschaften sagen, das sei ein Angriff aufden Flächentarifvertrag, und lehnen das deswegen ab.Gut; aber wenn ich mir jetzt die Diskussion über denStreik in Ostdeutschland und die Wahrnehmung diesesStreiks in den Medien anschaue, dann sage ich ganz of-fen: Herr Peters hat der IG Metall mit diesem Vorgehenin Ostdeutschland einen Bärendienst erwiesen, denn daswar sehr ungeschickt. In einer Zeit, in der das Land überdie größte Wirtschaftskrise redet und die Menschendiese Wirtschaftskrise immer mehr spüren, fordert mandort, weniger arbeiten zu müssen, obwohl jeder weiß,dass in einer schwierigen Situation mehr gearbeitet wer-den muss. Das ist ein Naturgesetz. Wer dagegen ver-stößt, muss sich nicht wundern, wenn er in eine be-stimmte Ecke gestellt wird.Aber dieses Thema macht deutlich, dass wir betriebli-che Bündnisse brauchen. Überlegen Sie – auch Sie, HerrBundesminister – einmal, ob man durch diese Bündnissenicht sogar den Flächentarifvertrag in sich stärkt, weilman die Flucht aus den tarifvertragschließenden Verbän-den damit ein Stück weit verhindert. Der Tarifvertragwird als eine Art Richtschnur schon bestimmen, wiehoch die Löhne sind. Aber ich finde, wenn es zur indivi-duellen Beschäftigungssicherung notwendig ist, muss esAbweichungen geben können. Wenn man zwei Dritteleiner Belegschaft von Veränderungen überzeugen will,muss man sicherlich sehr gute Gründe in die Argumenta-tion einbringen. Das scheint mir schon ein vernünftigerSchutz zu sein.In dem dritten Punkt in unserem Gesetzentwurf gehtes um mehr Chancen für Beschäftigung. Damit sindwir beim Kündigungsschutz und der Schwelle von20 Beschäftigten bei Neueinstellungen. Jeder von unsweiß, dass die mittelständischen Unternehmen geradedas Thema Kündigungsschutz immer als Argument da-für gebracht haben, warum sie sich mit Einstellungen soschwer tun. Wir fordern, dass das Kündigungsschutzge-setz nicht für Neueinstellungen bei Unternehmen mitweniger als 20 Beschäftigten gelten soll. Nun sage ichals Vertreter der Arbeitnehmer: Liebe mittelständischeUnternehmer, jetzt beweist einmal, dass das, was ihr im-magmnnmKamAuHnsginwswdteWId5LBsälprdugudminl
m die – nach Ihren Worten – unsoziale und unanstän-ige Politik anzugreifen.Ich kann Ihre emotionale Empörung im ersten Mo-ent durchaus verstehen; ich schätze auch Ihren Einsatzn diesem Bereich. Aber ich scheue die Diskussionicht: Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die über-ange Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere
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Markus KurthArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als eine Schein-wohltat. Sie hat doch nicht zu einer höheren Beschäfti-gungssicherheit geführt, sondern zu einer gesunkenenErwerbsquote bei älteren Beschäftigten. Wir müssendoch einmal zur Kenntnis nehmen, dass bei den über60-Jährigen weniger als ein Drittel noch erwerbstätigist.Jetzt kann man natürlich die Auffassung vertreten– das sagen beispielsweise Sie, das sagen auch viele inmeiner Partei –: Gerade weil ältere Arbeitnehmer am Ar-beitsmarkt offenbar nicht gefragt sind, müssen wir diepassiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung fürdiesen Personenkreis großzügig ausgestalten. Aber um-gekehrt wird ein Schuh daraus: Gerade weil die passivenLeistungen für ältere Arbeitnehmer so lange so großzü-gig ausgestaltet worden sind, ging ihre Zahl am Arbeits-markt zurück.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Laumann?
Noch einen Moment, bitte. Ich will noch eine Bemer-
kung machen.
Der jüngste Wochenbericht des DIW weist noch ein-
mal darauf hin, dass 1986/87, als die Bezugsdauer aus-
geweitet worden ist, die Rate für den Zugang in die
Arbeitslosigkeit dieser Personengruppe von 2,5 auf
12,9 Prozent gestiegen ist. Sie hat sich verfünffacht. Die
empirischen Belege für meinen Standpunkt liegen also
vor.
Jetzt Ihre Zwischenfrage, bitte.
Herr Kollege Kurth, die Beitragsdauer in der Arbeits-
losenversicherung ist – Stichwort: Äquivalenzprinzip –
ein Faktor für die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld.
Geben Sie mir Recht, dass man diesen Zusammenhang
auch bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe sehen muss?
Wenn bei einer Zusammenführung auf Höhe des So-
zialhilfeniveaus nur eine bedürftigkeitsabhängige Leis-
tung erbracht wird – wobei man beachten muss, dass
Ihre Mehrheit die Vermögensfreigrenzen bei der Arbeits-
losenhilfe stark abgesenkt hat –, sollte man dann nicht
denjenigen, der in Deutschland 25 oder 30 Jahre Steuern
und Beiträge bezahlt hat, länger davor bewahren, in die-
ses bedürftigkeitsabhängige System zu kommen, als
denjenigen, der erst wenige Jahre Steuern und Beiträge
gezahlt hat? Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir es
in Deutschland in wenigen Monaten wahrscheinlich mit
einem ganz anderen System, nämlich mit einem System,
das auf der Bedürftigkeitsabhängigkeit basiert, zu tun
haben werden! Dieses neue System gilt auch für Men-
schen, die in der Vergangenheit lange Jahre gearbeitet
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Es haben sich Förderketten entwickelt, die für ältererbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Orkus dereschäftigungslosigkeit führen: zwei Jahre Struktur-urzarbeitergeld, 32 Monate Arbeitslosengeld und dannrühverrentung. So wurde eine halbe Generation von äl-eren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ruhig ge-tellt. Sie wissen auch, dass man nach 32-monatigemezug von Arbeitslosengeld keine realen Chancen mehrat, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren.Wir setzen noch zusätzlich an einem anderen Punktn. Wir sind uns durchaus darüber bewusst, dass dasrbeitslosengeld II eine Leistung ist, die aufgrund ihreredürftigkeitsabhängigkeit für viele Menschen eine pre-äre Situation bedeutet. Aber statt einen Ausschluss vomrbeitsmarkt hinzunehmen, wird das Ganze um einektive Förderung ergänzt. Auf diese aktive Förderungetzen wir; die brauchen wir.Nehmen Sie den demographischen Wandel – diesst schon angesprochen worden –: Ab 2006 sinken diechulabgängerzahlen, ab 2020 sinkt die Zahl der Fach-rbeitskräfte, ab 2015 besteht ein Akademikermangel.enn meine Generation – ich bin Jahrgang 1966 – inente gehen wird, haben wir eine riesige Bugwelle vonlteren Menschen, die arbeiten müssen. Dann muss eineultur der Altersarbeit entstehen; denn wir werden einenrbeitskräftemangel haben. Da wird es uns um jede ar-eitsfähige Person Leid tun, die wir verloren haben, weilir jetzt eine Förderung unterlassen haben.Deswegen muss man nicht nur die flankierendenunkte im Gesetzentwurf, die Herr Clement genannt hat,ehen, sondern auch die Programme der aktivenrbeitsmarktpolitik. Dazu gehört selbstverständlichuch das JUMP-Programm. Denn wir wollen keinenenschen unter 25 Jahre verlieren. Wir dulden nicht,ass die Beschäftigungsfähigkeit derjenigen, die noch
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Markus Kurth40 Jahre auf dem Arbeitsmarkt vor sich haben, verlorengeht.Ich finde es wirklich unsäglich, dass Sie das JUMP-Programm und die aktive Arbeitsmarktförderung immerwieder verunglimpfen, statt dazu beizutragen, dass sichdas zu einem ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt weiterent-wickelt. Sie wischen den gesamten Bereich der aktivenFörderung einfach weg und behaupten, das bringenichts, das sei unsinnig.
Wir müssen neben der Umstellung des passiven Leis-tungssystems die aktive Förderung und den aktivenAufbau – das gehört verzahnt – im Blick haben. Genaudarin besteht das Besondere des Umbaus des Arbeits-marktes. Beim Umbau – Herr Brandner hat das richtigfestgestellt – sind Sie willkommen; aber beim Abbausind wir natürlich sehr weit auseinander.Danke.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Leutheusser-Schnarrenberger hatte dieser Tageempfohlen, die parlamentarische Sommerpause auszu-setzen oder zumindest zu verkürzen.
Sie verwies auf den Reformstau und darauf, dass so vielzu tun sei. Gerade das, finde ich, spricht dafür, dass wiruns eine Besinnungspause gönnen sollten. Denn bei alldem, was derzeit im Bundestag vorangebracht wird,kommt nichts Gutes heraus. Der heute zu diskutierendeGesetzentwurf im Rahmen des Hartz-Konzeptes gehörtdazu.
Sie sprechen von einer Reform des Arbeitsmarktes.Sie versprechen damit weniger Arbeitslosigkeit. InWirklichkeit entlasten Sie bestenfalls die Statistik, in-dem Sie Arbeitslose weiter belasten. Sie laden Ihr politi-sches Versagen bei den ohnehin Beladenen ab. Oben-drein bitten Sie diese zur Kasse. Das ist der Kern der sogenannten Reformen, die heute auf dem Tisch diesesHauses liegen.Die vermeintliche Reform des Arbeitslosengeldeszeigt dies ganz exemplarisch. Sie wollen erreichen, dassmehr über 55-Jährige am Arbeitsleben teilhaben können;so sagen Sie. Also denkt man mit normalem Menschen-verstand: Aha, die wollen mehr Arbeitsmöglichkeitenschaffen oder zumindest fördern. Doch Pustekuchen! IhrHartz-Verstand rät, den Arbeitslosen noch tiefer in dieTUDssgpr1gsmsGnteD2AwraMesnPdDrsakiPfdddsdzvms
iese Ehrlichkeit unterschied sie von der SPD des1. Jahrhunderts.Rot-Grün hat das CDU/CSU-Bild vom oberfaulenrbeitslosen übernommen. Sie hören nicht einmal mehr,ie es im Grabe von August Bebel und Willy Brandtumpelt. Vollends grotesk werden aber Ihre Vorschlägengesichts der Lage in den neuen Bundesländern. Inecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit knapp vier-inhalb offene Stellen für 100 Arbeitsuchende. In Sach-en und in Thüringen sieht es nicht besser aus.Die „Harald-Schmidt-Show“ hat sich in der vergange-en Woche an den Mathematikaufgaben der Klasse 5 zurISA-Studie versucht – mit Erfolg. Ich glaube, die Bun-esregierung würde selbst an diesen Aufgaben scheitern.
ie PDS im Bundestag hat Ihnen schon mehrfach vorge-echnet, dass Ihre Hartz-Fantasien vollends ungeeignetind, Abhilfe zu schaffen. Denn wo keine Arbeitsplätzengeboten und geschaffen werden, können eben aucheine Arbeitsmöglichkeiten ergriffen werden. So simpelst es manchmal im richtigen Leben außerhalb dieseslenarsaals. Übrigens gilt diese einfache Rechnung auchür strukturschwache Gebiete in den alten Bundeslän-ern.Und doch haben Ihre Anträge Methode. Sie folgener gleichen Philosophie, die auch Ihre Agenda 2010urchzieht. Sie bauen den Sozialstaat ab, um die Wirt-chaft zu hofieren, anstatt die Wirtschaft zu motivieren,en Sozialstaat zu stärken.
Das alles ist ein Irrweg, allemal wenn man sich so-ialdemokratisch wähnt. Innerparteilich können Sie dasielleicht auf Parteitagen mit professioneller Regie undit Rücktrittsdrohungen des Kanzlers noch einmal ka-chieren. Die Betroffenen Ihrer Politik können das nicht.
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Petra PauSie bekommen zu spüren, was Sie als Reform feiern.Deshalb lehnt die PDS im Bundestag diese Vorschlägeab.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Göhner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In die-sen Wochen findet in den neuen Bundesländern ein Ar-beitskampf statt, der die Frage nahe legt, ob der Gesetz-geber, wenn er eine Modernisierung des Arbeitsrechtesdiskutiert, an den Sachverhalten, die sich dort abspielen,vorbeigehen kann.Wir haben in Deutschland eine Krise der Tarifauto-nomie, die, glaube ich, unbestritten ist. Immer mehr Ar-beitnehmer und Arbeitgeber entziehen sich einer Tarif-bindung. Die Akzeptanz von Branchentarifverträgennimmt ab. Die Akzeptanz dessen, was die Tarifpartnermachen, nimmt in der Öffentlichkeit ab. Diese Erosiondes Flächentarifvertrages – eigentlich und präzise: derzumeist regionalen Branchentarifverträge – zeigte sichAnfang dieses Jahres auch in der Tarifflucht in einer Ta-rifrunde für den öffentlichen Dienst, mit verheerendenErgebnissen. Berlin ist seit längerem an der Spitze derTarifflucht.Nun kann man sagen: Diese Entwicklung ist unsegal. – Sie reagieren darauf mit dem Versuch, Tarif-zwang zu organisieren: bei der Vergabe öffentlicherAufträge, bei der Zeitarbeit oder durch mehr Allgemein-verbindlichkeitserklärungen und die Erweiterung ge-setzlicher Spielräume dazu.Ich glaube, der Weg aus dieser Krise der Tarifautono-mie führt nur über eine Rückbesinnung auf die ord-nungspolitischen Grundüberlegungen, die Grundlagen,die im Spannungsverhältnis zwischen Tarifautonomieund Vertragsautonomie liegen.Die Tarifautonomie – natürlich verfassungsrechtlichgeschützt – beruht letztlich auf einem privatrechtli-chen Vorgang, nämlich der Bevollmächtigung der Ge-werkschaften und der Arbeitgeberverbände durch ihreMitglieder, die Bedingungen des Tarifvertrages für sieauszuhandeln. Wenn nun im Vollzug dieser Bevoll-mächtigung ein Vertrag ausgehandelt wurde und dieVollmachtgeber, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber,anschließend feststellen: „Was die da ausgehandelt ha-ben, passt in unseren Betrieb nicht; wir brauchen hiereine Abweichung“, dann müsste es eigentlich wie beijedem anderen Vertrag sein, der durch Bevollmäch-tigte geschlossen wird: Die Vollmachtgeber haben dieMöglichkeit, die Vereinbarung abzuändern.Es gibt ein einziges Argument, mit dem man begrün-den kann, dass das bei Arbeitsverträgen anders seinmuss, nämlich dass man die Arbeitnehmer besondersschützen will, damit sie vom Arbeitgeber nicht über denTdüBsgbvzWvWgWgwlsGvslTwSsbbDtnbnntomEmAdTgbgbtBe
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4373
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Zurück zum Gesetz. Wir schaffen den Kündigungs-chutz nicht ab, sondern gestalten ihn beschäftigungs-reundlicher.
ir haben neue Lösungen gefunden. Wir legen keinenöheren Schwellenwert im Kündigungsschutz fest.
ie haben vor, alle neu Eingestellten in Betrieben mitbis 20 Beschäftigten – da gab es doch schon einmal et-as, das in die Hose ging – auf Dauer vom Kündigungs-chutz auszuschließen, in Sachsen will man diese
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4374 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Doris BarnettGrenze sogar bei 80 Beschäftigten ziehen. Wir dagegenflexibilisieren die Anwendungsschwelle des Gesetzes,indem befristet Beschäftigte nicht auf den Schwellen-wert von fünf Arbeitnehmern angerechnet werden.
Das nimmt keinem Beschäftigten den Kündigungsschutzund führt auch nicht zu einer Zweiklassengesellschaft imBetrieb,
nämlich zu Beschäftigten mit und ohne Kündigungs-schutz, wie Sie das wollen.
Dass damit natürlich leichter herrschen und regieren istnach dem Motto „Teile und herrsche“, kann ich mir vor-stellen, Herr Niebel. Aber mit uns ist das nicht zu ma-chen.
Wir setzen genau dort an, wo die jetzige Schwelle Hand-werker und kleine Gewerbetreibende oft davon abhält,neue Arbeitnehmer einzustellen, obwohl die Auftragsbü-cher überquellen. Statt neue Arbeitnehmer einzustellen,lassen die nämlich ihre Leute einfach nur länger arbei-ten.Wenn wir uns nach fünf Jahren wieder sprechen, wer-den Sie sehen, wie weit wir damit gekommen sind, dennwir haben auch ins Gesetz geschrieben, dass es nach fünfJahren überprüft werden soll.
Vergleichen Sie doch einmal unseren Gesetzentwurfmit Ihren Vorschlägen zur Abfindung bei Kündigungen.Die Entscheidung eines Arbeitnehmers für einen Ver-zicht auf Kündigungsschutz und für eine Abfindungs-zahlung vor der Einstellung wäre nicht freiwillig. DieserArbeitnehmer hätte in Wahrheit keine Wahl, wenn er denArbeitsplatz wirklich haben will. Andererseits dürftesich aber auch kaum ein Arbeitgeber finden, der sich aufeine solche dubiose Abfindungsregelung einlässt; dennim Gegensatz zum geltenden Recht müsste er bei IhrerLösung befürchten, auch dann zahlen zu müssen, wenner zu Recht gekündigt hat. Nach dem von uns vorge-schlagenen Abfindungsmodell müssen sich Arbeitgeberund Arbeitnehmer erst dann entscheiden, wenn eineKündigung konkret ansteht.Aus der Mottenkiste sind auch Ihre Vorschläge zurTeilzeit. Sie wollen den Teilzeitanspruch auf die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer beschränken, die Kinderbis zwölf Jahre oder pflegebedürftige Angehörige haben.Glauben Sie wirklich, dass dieser Ansatz beschäfti-gisgD7ü4rzgndDtZzaHsuWtdkkdjzSSwslSrbIebiWsBbbtbDSnss
Ebenso undifferenziert ist auch Ihr Vorschlag zu denchwellenwerten. Die unterschiedlichen Schwellen-erte im Arbeitsrecht rechtfertigen sich durch die unter-chiedlichen Zielsetzungen der arbeitsrechtlichen Rege-ungen. Sie können nicht auf einen einheitlichenchwellenwert zurückgeführt werden. Da, wo es sachge-echt ist, muss es bei unterschiedlichen Regelungen blei-en. Wie gesagt: Die Rasenmähermethode mag wohlhre Methode sein, unsere ist es nicht.Es gibt vielmehr eine Reihe von guten Gründen, voniner pauschalen pro-rata-Berücksichtigung der teilzeit-eschäftigten Arbeitnehmer abzusehen. Davon sind Sien den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit auch ausgegangen.as Sie jetzt reitet, das alles aufzugeben, werden Sie unsicherlich bei gegebener Gelegenheit erklären.Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel erwähnen. Deretriebsrat repräsentiert die Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer des Betriebes unabhängig von ihrem Ar-eitszeitvolumen. Schließlich ist ein Teilzeitbeschäftig-er von den Entscheidungen des Arbeitgebers ebensoetroffen wie seine in Vollzeit beschäftigten Kollegen.asselbe gilt übrigens auch für die Auszubildenden, dieie bei der Berechnung der Arbeitnehmergrenzzahlenicht berücksichtigen wollen. Ihr Vorschlag auf Herauf-etzung der Schwellenwerte wird die betriebliche Mitbe-timmung geradewegs zurück in die 70er-Jahre katapul-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4375
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Doris Barnetttieren. Denn durch die zusätzlich geforderte pro-rata-Anrechnung von Teilzeitbeschäftigten und den Aus-schluss von Auszubildenden bei der Berechnung derSchwellenwerte für die Betriebsratsgröße und die Frei-stellung von Betriebsratsmitgliedern schwächen Sie daswichtigste demokratische Element im Betrieb.Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, dass wir auf dieMithilfe der vielen engagierten Frauen und Männer inden Betriebsräten bei der Bewältigung der drängendenHerausforderungen in unserem Land in Zukunft verzich-ten können. Das wissen mittlerweile selbst die Unterneh-men in diesem Land, nur Sie noch nicht. Auch die Un-ternehmen wollen, dass die Betriebsräte Verantwortungbei der Sicherung und Förderung des Standortes sowieder Zahl der Beschäftigten übernehmen. Deshalb brau-chen die Betriebsräte auch ausreichende personelle Res-sourcen.Ich kann zum Schluss nur sagen: Mit derAgenda 2010 haben wir ein Reformkonzept mit Augen-maß vorgelegt. Die Umsetzung der Vorschläge wirddazu beitragen, die strukturellen Probleme zu lösen, diewir zurzeit auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland haben,allerdings nicht über Nacht.Wenn das, was die CDU/CSU hier vorgelegt hat, mo-derne Arbeitsmarktpolitik sein soll, dann können wir allenur froh sein, dass Sie noch lange auf der Oppositions-bank bleiben.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 15/1182, 15/1204, 15/1225 und 15/590an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-geschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Dasist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-schlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 o sowieZusatzpunkte 7 a und 7 b auf:23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung und Ergänzung des Entschädigungsgesetzes
– Drucksache 15/1180 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Zollverwaltungsgesetzes undanderer Gesetze– Drucksache 15/1060 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwick-lung der Bundesanstalt für vereinigungsbe-
– Drucksache 15/1181 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesend) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-sung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht– Drucksache 15/1222 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzunge) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 25. Februar 2002 über die Änderungdes Grenzvertrages vom 8. April 1960 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland unddem Königreich der Niederlande– Drucksache 15/1053 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 24. Juni 2002 zwischen der Bundes-republik Deutschland und dem KönigreichThailand über die Förderung und den gegen-seitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/1054 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschussg) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 17. August 2002 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Islami-schen Republik Iran über die gegenseitige För-derung und den gegenseitigen Schutz von Ka-pitalanlagen– Drucksache 15/1055 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschussh) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen vom 9. September 1996 über
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastnerdie Sammlung, Abgabe und Annahme von Ab-fällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt– Drucksache 15/1056 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheiti) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzeszu dem Übereinkommen vom 9. September1996 über die Sammlung, Abgabe und An-nahme von Abfällen in der Rhein- und Bin-nenschifffahrt– Drucksache 15/1061 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitj) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 30. März 1998 zwischen derBundesrepublik Deutschland und BruneiDarussalam über die Förderung und den ge-genseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/1057 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschussk) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zurÄnderung des Europawahlgesetzes und einesNeunzehnten Gesetzes zur Änderung desEuropaabgeordnetengesetzes– Drucksache 15/1205 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnungl) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertragvom 5. März 2002 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Schweizerischen Eidgenos-senschaft über den Verlauf der Staatsgrenze inden Grenzabschnitten Bargen/Blumberg, Barz-heim/Hilzingen, Dörflingen/Büsingen, Hüntwan-gen/Hohentengen und Wasterkingen/Hohenten-gen– Drucksache 15/1187 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschussm) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zu-satzabkommen vom 5. November 2002 zumAbkommen vom 11. April 1967 zwischen derBundesrepublik Deutschland und dem König-reich Belgien zur Vermeidung der Doppelbe-steuerungen und zur Regelung verschiedeneranderer Fragen auf dem Gebiete der Steuernvom Einkommen und vom Vermögen ein-Zt
Wright, Reinhard Weis , Sören Bartol,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck , Peter Hettlich, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNENErgänzung der Fahrerlaubnisverordnung– Drucksache 15/1093 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale Sicherungo) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Birgit Homburger, DanielBahr , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPILO-Arbeiten an einem internationalen Aus-weis für Seeleute unterstützen– Drucksache 15/939 –Überweisungsvorschlag:InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenP 7a)Beratung des Antrags der Abgeordneten JuliaKlöckner, Uda Carmen Freia Heller, UrsulaHeinen, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUKennzeichnung allergener Stoffe in Lebens-mitteln vernünftig regeln– Drucksache 15/1227 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ,Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPNeue Chancen für die Binnenschifffahrt– Drucksache 15/311 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4377
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/1181, Tages-ordnungspunkt 23 c, soll federführend im Haushaltsaus-schuss beraten werden. Die Vorlage auf Drucksache15/939, Tagesordnungspunkt 23 o, soll – abweichendvon der Tagesordnung – zusätzlich und federführend anden Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit überwiesenwerden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 b bis 24 e sowieZusatzpunkt 8 auf. Es handelt sich um die Beschlussfas-sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-hen ist.Tagesordnungspunkt 24 b:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juli2001 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und Rumänien zur Vermeidung der Dop-pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuernvom Einkommen und vom Vermögen– Drucksache 15/880 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 15/1220 –Berichterstattung:Abgeordnete Lydia WestrichManfred KolbeDer Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1220,den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-nommen.Tagesordnungspunkt 24 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu derVerordnung der BundesregierungVerordnung zur Änderung der Verordnungüber Verbrennungsanlagen für Abfälle undähnliche brennbare Stoffe und weiterer Ver-ordnungen zur Durchführung des Bundes-Im-missionsschutzgesetzes– Drucksachen 15/947, 15/1038 Nr. 2.1, 15/1173 –Berichterstattung:Abgeordnete Petra BierwirthMarie-Luise DöttWinfried HermannBirgit HomburgerDer Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksa-che 15/947 zuzustimmen. – Wer stimmt für diese Be-sBGagi1magind
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4378 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Beim gegenwärtigen Streik stellt sich die Frage, ob die-ser nicht nur den Interessen der Gewerkschaftsfunktio-näre dient.
Die Initiative zum Metallerstreik ging nicht von den Ar-beitern im Osten aus, sondern er wurde von den Gewerk-schaftszentralen im Westen quasi verordnet – als ob manuns zum Jagen tragen müsste. Wenn es nicht so traurigwäre, so könnte man auch von einem so genanntenZahnpastastreik sprechen, denn die westdeutschen Ge-werkschafter haben denen, die nach Dresden zu denStreiks gefahren sind, Zahnpasta, Deo, Waschlappen so-wie Essen und Trinken reichlich mitgegeben.Vielleicht liegt diese vermeintliche Unterstützung derwestdeutschen Gewerkschafter an der schwachen Basisder Gewerkschaften im Osten. Von 130 000 Metallernhaben 10 000 an der Urabstimmung teilgenommen, dassind 7,6 Prozent; davon waren 8 000 für den Streik,ganze 6,1 Prozent. Von diesem Minderheitenvotum aufdie Allgemeinheit zu schließen, finde ich schon abenteu-erlich.
Das, was stellenweise vor den Werktoren in Dresdenpassiert, erfüllt glattweg den Tatbestand der Nötigung.
Das Streikrecht ist geschützt und vollkommen legi-tim. Ebenso legitim ist es, sich für die Einheit der Le-bens- und Arbeitsverhältnisse in Ost und West einzuset-zen. Aber Gleichheit ist eben nicht immer Gerechtigkeit,zumal es hier um den Erhalt von Arbeitsplätzen und gan-zen Existenzen geht. Die Frage muss erlaubt sein, ob derZeitpunkt und die eingesetzten Mittel angemessen sind.Auch Tarifparteien sind dem Gemeinwohl verpflichtet.Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu erken-nen, dass gerade die geringeren Arbeitskosten bisher einwesentlicher Standortvorteil Ostdeutschlands waren.Mit der Durchsetzung der 35-Stunden-Wocheschwächt die Gewerkschaft diesen Standortvorteil.
Unternehmen werden sich künftig noch genauer überle-gen, ob sie im Osten neu oder weiter investieren odernicht doch lieber in Regionen gehen, in denen sie lang-fristig bessere Produktionsbedingungen vorfinden. InPolen, Tschechien und Rumänien liegt die ArbeitszeitbksLGkbWwDarSpNgSbsGBnniAVlaEgEnUbHwesfdtzmV
eit dem Regierungsantritt von Rot-Grün ist der Aufhol-rozess Ost nachweislich ins Stocken geraten.
ach fünf verlorenen Jahren liegt noch immer keinanzheitliches Konzept vor.
elbst Schröders Agenda 2010 hat, auf Ostdeutschlandezogen, weniger Inhalt, als 4711 Duftstoffe hat.
Das Motto dieser Bundesregierung lautet: „Wir wis-en nicht, was wir wollen, aber das mit ganzer Kraft.“ut ist, dass dieses Motto nicht für die unionsgeführtenundesländer gilt; denn sonst wäre es gerade auch in deneuen Bundesländern nicht gelungen, zahlreiche Unter-ehmen der Automobil-, Metall- und Zulieferindustrie inhren Regionen anzusiedeln.
ls Vorbild nenne ich Sachsen mit Porsche, BMW undW.Ob in Zukunft solche Ansiedlungen in Ostdeutsch-nd noch erfolgen können, hängt entscheidend von denrgebnissen der morgen beginnenden Tarifverhandlun-en ab. Es ist wichtig, dass eine rasche Einigung erfolgt.benso wichtig ist es, diese Entscheidung an die Verhält-isse der ostdeutschen Wirtschaft zu binden. Nach einermfrage wollen 70 Prozent der Ostdeutschen länger ar-eiten, um dafür ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Wennasso Düvel von der IG Metall stattdessen mit der Aus-eitung des Streiks auf den Westen droht, dann schädigtr das Ansehen und Vertrauen nicht nur in den Wirt-chaftsstandort Ost, sondern in ganz Deutschland.Es kann aber auch sein, dass sich die Gewerkschaftür diejenigen Westdeutschen instrumentalisieren lässt,ie ganz offen sagen: Schluss mit den Wettbewerbsvor-eilen Ostdeutschlands, Schluss mit den längst prakti-ierten Bündnissen für Arbeit und Haustarifen, Schlussit den Ziel-1-Fördergebieten in der EU, Schluss mitorteilen bei Lohn und Lohnnebenkosten und Schluss
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4379
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Veronika Bellmannmit der Investitionszulage. Diesen Spaltpilzen kann derBundesminister für Wirtschaft, Herr Clement, am3. Oktober getrost einen vollen Arbeitstag verordnen;denn den Tag der Deutschen Einheit als Feiertag zu be-gehen, haben diese Menschen nicht verdient.Ich komme zum Abschluss. Ich appelliere an die Ge-werkschaften, ihre sozialromantischen Ideologien end-lich an den Nagel zu hängen. Sie gefährden damitWachstum, Arbeitsplätze, den ostdeutschen Produk-tionsstandort und damit letztlich eine wesentliche Säuleunserer Wirtschaftsordnung, die Tarifautonomie.
Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Abschluss
kommen. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
Ich komme zum letzten Satz: Ich plädiere für betrieb-
liche Bündnisse für Arbeit statt Verordnung starrer Tarif-
regelungen für alle. Kreativität und Flexibilität statt
Klassenkampf in der Tarifpolitik,
das ist das Gebot der Stunde.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anette Kramme,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lassen Sie mich vorab den Kolleginnen undKollegen von der CDU/CSU und der FDP die Bedeu-tung des Wortes „Tarifautonomie“ erklären.
Sie verstehen es nicht und sie wollen es offensichtlichnicht verstehen. Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes ge-währt Tarifautonomie. Das heißt: Arbeitnehmer und Ar-beitgeber legen in freier Vereinbarung
in den Unternehmen ohne regelndes Eingreifen des Staa-tes die Arbeitsbedingungen fest. Auch das Bundesver-fassungsgericht hat Sinn und Zweck der Tarifautonomiesehr gut beschrieben:Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautono-mie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem die Ar-beitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegen-sätze in eigener Verantwortung austragen können.
–SstHerIFrWdSdShrgGtititrshczopFlghrrIvzN
Das hat nicht der DGB falsch aufgeschrieben. Schauenie sich einmal die Entscheidungen des Bundesverfas-ungsgerichts an! Dann werden Sie es feststellen.Viele Köche verderben den Brei. Dieses Sprichwortrifft hier den Nagel auf den Kopf. Meine Damen underren von der CDU/CSU und der FDP, kochen Sie Ihrigenes Süppchen und lassen Sie die Finger von der Ta-ifpolitik, von der Sie ohnehin nichts verstehen!
nsbesondere Sie, Kolleginnen und Kollegen von derDP, sollten sich als Vertreter einer liberalen Partei zu-ückhalten, meinen Sie doch grundsätzlich, dass eineirtschaftsordnung um so erfolgreicher ist, je mehr sicher Staat zurückhält. Es ist ganz offensichtlich, warumie seitens der Opposition den Streik in den neuen Bun-esländern zum Thema einer Aktuellen Stunde machen.ie versuchen, wie schon so oft, die Tarifpolitik auszu-öhlen. Sie beabsichtigen, Tarifautonomie und Streik-echt Fesseln anzulegen. Damit begeben Sie sich auf einefährliches Terrain. Sie verlassen demokratischenrundkonsens.
Wir haben andere Aufgaben, als uns in die Tarifpoli-k der Gewerkschaften einzumischen und eine vernünf-ge Einigung zu erschweren. Wir haben für die Tarifver-agsparteien funktionsfähige Arbeitsbedingungen zuetzen, nicht mehr und nicht weniger. Staatliche Politikat nun einmal staatliche Aufgaben zu bewältigen. Si-herlich ist der Zeitpunkt des Streiks gerade in der der-eit schwierigen wirtschaftlichen Lage vielleicht nichtptimal gewählt. Aber wann gibt es den optimalen Zeit-unkt für einen Streik?Meine Damen und Herren der CDU/CSU und derDP, bevor Sie die IG Metall weiter an den Pranger stel-en,
estatte ich mir, Ihnen die Hintergründe des Streiks nä-er zu erläutern. Anscheinend herrscht hierüber Verwir-ung. Anders kann ich mir Ihre Äußerungen nicht erklä-en.
m letzten Jahr haben sich IG Metall und Arbeitgeberertraglich dazu verpflichtet, 2003 über einen Stufenplanur Angleichung der Wochenarbeitszeit zu verhandeln.ach neun Tarifrunden und verschiedenen Angeboten
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4380 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Anette Krammeseitens der IG Metall war die Reaktion der Arbeitgeberweiterhin null. Ein Streik war damit unausweichlich undauch legitim.Anzumerken ist, dass zunächst wichtige Zulieferervom Streik ausgenommen blieben. Doch weiterhin keineReaktion bei den Arbeitgebern. Beim wichtigenGetriebehersteller ZF wurden die Streiks nun ausgesetzt.BMW kann also aufatmen. Die IG Metall zeigt Kompro-missbereitschaft.
Nun sollte auch die Arbeitgeberseite einen Schritt nachvorne wagen.Polemische Zeitungsanzeigen – auf polnisch undtschechisch wird sich für die 35-Stunden-Woche be-dankt –, hollywoodreife Hubschraubereinlagen – beimAutomobilzulieferer Federal Mogul ließ die Firmenlei-tung Angestellte per Hubschrauber auf das Werksge-lände fliegen – sind fehl am Platz.
Die IG Metall will die Angleichung der Wochenar-beitszeit von 38 auf 35 Stunden erreichen. Das ist auchsinnvoll. Die Einkommensunterschiede zwischen Westund Ost sind immer noch offensichtlich. Allein schon alsermutigendes Signal gegen die hohe Abwanderung sindAngleichungsschritte wichtig. Dafür haben sich auchPolitiker ausgesprochen.Ich will die Notwendigkeit einer Angleichung kon-kretisieren. Im Jahr 2001 verdienten die ostdeutschenBeschäftigten der Metall- und Elektroindustrie etwa 73bis 75 Prozent des westdeutschen Niveaus. Die Arbeits-zeit der ostdeutschen Beschäftigten ist jedoch um 7 bis8 Prozent länger als die der westdeutschen Beschäftig-ten.Was will die IG Metall? Sie will nichts sofort und aufeinmal. Es geht vielmehr um einen Stufenplan und umeine Regelung, die es den Betrieben ermöglicht, gege-benenfalls schrittweise unter Berücksichtigung der ört-lichen Gegebenheiten zu handeln. Sie ist mit einer Revi-sionsklausel einverstanden.Ich rate beiden Seiten, Kompromissbereitschaft zuzeigen. Aber die Anliegen der IG Metall sind legitim.Mischen Sie sich hier bitte nicht ein!
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wennman in diesen Tagen nach Deutschland blickt, meintman, hier würde absurdes Theater inszeniert. Die Ar-bdtkdzImsdzf–sJzergggCWeDGFzulwgaz
Ich kann ihn nicht anders bezeichnen; er richtet sichchließlich gegen die Interessen der Arbeitnehmer.
Düvel sagte der „FAZ“ zufolge:Die Einführung der 35-Stunden-Woche müsse …von einem finanziellen Förderprogramm der Ban-ken und der öffentlichen Hand begleitet werden.etzt sollen also die Steuerzahler den Irrsinn noch finan-ieren. Wir sind doch hier nicht im Irrenhaus! Das istine wirtschaftspolitische Tollwutpolitik!
Herr Peters hat erklärt, Deutschland sei eine Bananen-epublik, weil die Arbeitszeit im Osten und Westen nichtleich ist. Die IG Bergbau, Chemie, Energie hat ausuten Gründen bis 2009 die 40-Stunden-Woche fest-eschrieben. Sind das denn alles Idioten, wenn sie imhemiesektor die 40-Stunden-Woche festschreiben?issen nur die Oberbonzen von der IG Metall, wie mans richtig macht? – Absurdes Theater von A bis Z!Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm vonaimler-Chrysler hat Herrn Peters als tarifpolitischeneisterfahrer bezeichnet.
ür Bundeswirtschaftsminister Clement ist das ein Streikur falschen Zeit am falschen Ort für das falsche Themand den falschen Weg. Damit hat er völlig Recht.Meine Damen und Herren, welches Fehlverhalten zu-asten der Steuerzahler und der Arbeitnehmer müssenir uns denn noch gefallen lassen?
Durch den Irrsinn, der in den neuen Bundesländerneschieht, gibt es in Bayern und Niedersachsen Kurz-rbeit. Die anderen Arbeitnehmer und auch die Steuer-ahler zahlen für diesen Blödsinn. Die Bundesanstalt für
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Rainer BrüderleArbeit zahlt pro Woche 10 000 Personen Kurzarbeiter-geld in Höhe von insgesamt 1,7 Millionen Euro.Es kann nicht so weitergehen, dass sich einige, die dieWelt nicht verstanden haben und nicht wissen, wie einArbeitsplatz entsteht, zulasten der Allgemeinheit – dazugehören die Steuerzahler wie auch diejenigen, die keinenArbeitsplatz haben, und die, die durch ZwangskurzarbeitEinkommen verlieren – austoben.
Meines Erachtens müssten die Gewerkschaften jetztam Defizit der Bundesanstalt für Arbeit finanziell betei-ligt werden.
Es müssen für solche Fälle Haftungsgrundsätze erarbei-tet werden; denn es kann nicht angehen, dass eine Min-derheit der Mehrheit ihren Willen aufzwingt. Im OstenDeutschlands sind schließlich weniger als 8 Prozent derBeschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Den Ge-werkschaften laufen Monat für Monat die Mitgliederweg. 300 000 bis 500 000 Mitglieder treten jedes Jahraus dem DGB aus, weil sie von einer Politik, die sich ge-gen die elementaren Rechte und Belange der Arbeitneh-mer richtet, die Schnauze voll haben.
Es ist unglaublich, was sich einige Gewerkschaftsfunk-tionäre in diesem Land erlauben und wie sie sich austo-ben. So können wir jedenfalls keine Perspektiven eröff-nen. Wie wollen wir eine Angleichung zwischen Ost undWest schaffen, wenn wir dazu noch nicht einmal eineChance geben?Einer der wenigen Wirtschaftssektoren, der zur Er-folgsstory der neuen Bundesländer gehört, ist die Auto-mobilindustrie. Die Ansiedlung von Automobilbetriebenin den neuen Bundesländern war strategisch wichtig.Hier sind Paradeinvestitionen getätigt worden. Aber aus-gerechnet die Automobilbetriebe, die sich dort angesie-delt haben, sollen für ihren Mut abgestraft werden, in-dem man sie zwingen will, den ihnen noch verbliebenenkleinen Vorteil bei der Arbeitszeitgestaltung aufzugeben.Ich wiederhole: Bei der VW-Tochter Skoda in derTschechischen Republik, nur wenige Stunden von denneuen Bundesländern entfernt, werden 3 Euro pro Ar-beitsstunde verdient und gilt die 42,5-Stunden-Woche.Vor diesem Hintergrund ist das, was die Gewerkschaftenvorhaben, ein Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. Daswissen auch Sie. Selbst der Bundeskanzler hat das schongerügt. Tun Sie bitte also nicht so, als ob bei Ihnen alleüber diesen Unfug glücklich wären. Wenn einige völligdie Balance verloren haben und die Realität nicht mehrerkennen, muss man doch die Kraft haben, Korrekturenvorzunehmen. Ich sage Ihnen: Jede Stunde des jetzigenStreiks ist ein Schlag in das Gesicht der Arbeitslosen inder Bundesrepublik und insbesondere in den neuen Bun-desländern und verringert die Chancen, in den neuenBundesländern Betriebe anzusiedeln.dfvzbvd7huedddddDemmiArgWNpeSAd
5 Prozent der Arbeitnehmer wollen eigene Regelungenaben. Sie müssen das Recht haben – es geht schließlichm ihren Job, ihr Leben und ihre Lebensperspektive –,igene Entscheidungen zu treffen. Sie wollen nicht mehrurch Gewerkschaftsfunktionäre fremdbestimmt wer-en. Es darf nicht sein, dass man – ich wiederhole das –urch Gewerkschaftsbonzen,
ie nicht wissen, wie die Realität aussieht, daran gehin-ert wird, eine vernünftige Regelung zu erarbeiten.amit muss Schluss sein. Dafür schreie ich. Wenn Sietwas anderes vertreten, dann sollten Sie sich dafür schä-en.
Herr Kollege Brüderle, Sie müssen zum Schluss kom-
en. Gleiches Recht für alle! Diesen Grundsatz pflege
ch einzuhalten.
Frau Präsidentin, ich komme sofort zum Schluss.
ber Sie haben Ihre Parteigenossen ein bisschen länger
eden lassen.
Herr Kollege Brüderle!
Ich finde zwar, dass Sie bei anderen ein bisschen
roßzügiger waren. Aber ich gehe schon.
Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollegeerner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-EN):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Op-osition hat die heutige Aktuelle Stunde beantragt, umtwas über die Haltung der Bundesregierung zu dentreiks in der ostdeutschen Metallindustrie zu erfahren.ber Ihre Worte, Kollege Brüderle, lassen bei mir eheren Eindruck aufkommen, dass es Ihnen nicht darum
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Werner Schulz
geht, die Sichtweise der Regierung zu erfahren, sonderndarum, die Gewerkschaften zu beschimpfen, was Sieauch getan haben.Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie nicht wissen, wasTarifautonomie ist. Sie wissen das sehr wohl. Wenn Sieaber auf die Zeit zurückschauen, in der Sie selbst Regie-rungsverantwortung hatten – das ist zwar schon ein paarJahre her; aber man kann sich durchaus noch erinnern –,dann werden Sie feststellen, dass die Wortwahl ganz an-ders war, als Anfang der 90er-Jahre die Arbeiter in Ost-deutschland gestreikt und protestiert haben, weil derAufbau Ost nicht vorankam – die damalige Regierunghatte keine Mittel dafür eingestellt – und weil die Löhnehinten und vorne nicht ausreichten. Damals hieß es:Die Bundesregierung sieht mit großer Sorge, dassdie Tarifauseinandersetzungen in einen Konflikt ge-führt haben. Es liegt im Interesse der Bundesregie-rung, dass sich die Tarifpartner möglichst schnellauf eine tragfähige und wirtschaftlich vernünftigeLösung verständigen.Diese Haltung hat man offenbar, wenn man in der Regie-rung ist. Wenn man aber in die Opposition kommt, dannwird man auf einmal radikal. Ich verstehe ja, dass man,wenn man nie in seinem Leben radikale Neigungenhatte, wenigstens einmal radikal werden und ein biss-chen über die Stränge schlagen möchte.
– Das kommt noch. Dafür verbleibt mir noch genügendRedezeit.Das momentane Problem ist folgendes: Die Tarifpart-ner sind gerade dabei, sich zu einigen und den Streik zubeenden, der in der jetzigen Situation sicherlichschmerzhaft ist. Auf der anderen Seite kann ich verste-hen, dass diese Gewerkschaft 13 Jahre nach der deut-schen Einheit endlich die Angleichung der Arbeits- undLebensbedingungen verlangt, die die Politik den Men-schen von Anfang an versprochen hat.
Frau Bellmann, in der letzten Legislaturperiode – Siewaren damals noch nicht Abgeordnete – hat Ihre Frak-tion – es ist nur zwei Jahre her – einen Antrag mit demTitel „Leitbild für ein modernes Deutschland“ einge-bracht. Dieser Antrag formulierte das Ziel, eine stufen-weise Angleichung der Tarife im öffentlichen Dienst inDeutschland bis 2007 zu erreichen. Warum sollte geradeder öffentliche Dienst Schrittmacher dafür sein? Warumsollte das, was dem öffentlichen Dienst recht ist der Pri-vatwirtschaft an dieser Stelle nicht billig sein? Das istdoch der Punkt.Der Weggang junger Leute ist doch auch das Ergebnisdessen, dass die Standortfaktoren des Ostens für die Be-schäftigten offenbar nicht so attraktiv sind und dass mandie Arbeits- und vor allem die Einkommensverhältnisseim Westen als etwas attraktiver empfindet. Das ist dieKehrseite dieses Standortfaktors.Eigentlich geht es nicht um die 35-Stunden-Woche.Die Arbeitgeber würden 35 Stunden gern bezahlen,wdaznalgNduswhzuldrknest3Gcfddntueiideswhg–z
Eine Diskrepanz in diesem Land besteht darin, dassich Unternehmensvorstände an internationalen Spitzen-erten orientieren, während sich die Belegschaft die Ge-älter von Arbeitern in weniger entwickelten Ländernum Vorbild nehmen soll.
Ich kenne die ideologischen Auseinandersetzungenm die 35-Stunden-Woche. Man kann sich darüber treff-ich streiten. Ich glaube, dass beide Seiten die Effekteer 35-Stunden-Woche überschätzen. Aus der Einfüh-ung der 35-Stunden-Woche per Gesetz in Frankreichönnen wir erkennen, dass sie Effekte hat: Es sind zwaricht, wie man sich erhofft hatte, 700 000 Arbeitsplätzentstanden, aber immerhin knapp 400 000. Der franzö-ische Unternehmerverband – er war anfangs sehr skep-isch und gegen die Einführung – verteidigt heute die5-Stunden-Woche. Sie hat zu einer Modernisierung deresellschaft und zur Belebung der Dienstleistungsbran-he geführt. Sie hat in einer gewissen Weise auch etwasür das Familienleben und für die Konkurrenzfähigkeitieses Land getan.
Sie sollten Ihr Augenmerk nicht nur auf die Senkunger Lohnkosten richten. Ökonomisch betrachtet, sindicht nur die Lohnkosten, sondern auch die Energiekos-en, die Materialkosten, die Produktivitätsentwicklungnd die Arbeitsproduktivität, also die Lohnstückkosten,ntscheidend. Was diese Bereiche angeht, hat der Ostenn den letzten Jahren enorme Vorteile erzielt. Das Niveaum Osten liegt heute 10 Prozent unter dem im Westen.Die entsprechenden Mittel können schon verteilt wer-en. Die Gewerkschaften fordern keinen Ruck, sonderninen Stufenplan, also das, was man unter Planungs-icherheit versteht. Die Gewerkschaften sind in einer ge-issen Weise moderat vorgegangen, indem sie gesagtaben: Für schwächere Betriebe sollen längere Fristenelten; wir haben eine Revisionsklausel vorgesehen usw. Es ist keine starre Situation.
Herr Kollege Schulz, denken Sie bitte an Ihre Rede-eit.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4383
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Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Die Politik wäre gut beraten, sich aus diesem Konfliktherauszuhalten und darauf zu setzen, dass sich die bei-den Tarifpartner vernünftig einigen, wie es auch der Fallwar, als Sie regierten.
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kollegin Kramme, ich kann eigentlich nur hoffen,dass die Mehrzahl der Mitglieder Ihrer Fraktion IhrenThesen hier nicht folgt. Schauen Sie doch einmal nachdraußen!Wir haben in unserem Land zurzeit eine Abfolge vonGeschehnissen, die sich einer rationalen Nachvollzieh-barkeit entziehen und die in der Summe eigentlich nurnoch bezeichnet werden können als Drama – aus meinerSicht mit einem Hang zur tragischen Komödie, die be-kanntlich mit der Niederlage des Helden, motiviertdurch seine menschlichen Schwächen, endet. Das lässtInterpretationsspielraum.Mir geht es um den Wirtschaftsstandort Deutschland.Wir sind das Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum inEuropa.
Der Wirtschaftsminister kündigt für dieses Jahr inzwi-schen ein Nullwachstum an. Die Arbeitslosenzahlen sindauf einem Rekordniveau seit der Wiedervereinigung.Die Bundesanstalt für Arbeit benötigt über 8 MilliardenEuro Zuschuss aus dem Bundeshaushalt, Tendenz wei-terhin steigend. Die Arbeitslosenzahlen werden im Win-ter möglicherweise – das wäre erschreckend – auf über5 Millionen steigen. Unsere Sozialsysteme haben dieGrenzen ihrer Finanzierbarkeit schon weit überschritten.Wir haben eine katastrophale Situation auf dem Ausbil-dungsmarkt. Und da wird in einer Zeit, in der wir übermehr Arbeit und über Mehrarbeit diskutieren, um dieWirtschaft in Deutschland wieder voranzubringen, einArbeitskampf geführt, der die wirtschaftlich schwächsteRegion in Deutschland noch schwächer machen wird!
Eine Reduzierung der Arbeitszeit von 38 Stunden auf35 Stunden bei Lohnausgleich wird den WirtschaftsplatzOstdeutschland zum Verlierer im Wettbewerb um Unter-nehmensansiedlungen, zum Verlierer im Wettbewerb umArbeitsplätze und zum Verlierer bei der Bekämpfung derMassenarbeitslosigkeit machen. Das kann nicht unserZdbdmDlOnsdnPwnmMtl8fdTUedlnfStgLmWssmIgsdsDwkdt
Ich bin froh darüber, dass sich diese Erkenntnis lang-am durchzusetzen scheint und auch unser Bundeswirt-chaftsminister die Auffassung vertritt: In Deutschlanduss wieder mehr gearbeitet werden.
ch muss dem Herrn Wirtschaftsminister allerdings sa-en: Wir brauchen keine Feiertagsdiskussion. Wir müs-en über höhere Wochenarbeitszeiten nachdenken, umie Produktionskosten in Deutschland maßgeblich zuenken und somit wieder wettbewerbsfähiger zu werden.
as schafft mittel- und langfristig die Arbeitsplätze, dieir brauchen. Wir müssen neue Arbeitsmodelle mit Zeit-orridoren für den flexiblen Einsatz der Arbeitskraft fin-en. Damit werden unsere Unternehmen wieder leis-ungsfähiger und es entstehen neue Jobs in Deutschland.
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4384 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Alexander DobrindtEs wird Zeit, dass alle Beteiligten begreifen: Das Pro-jekt 35-Stunden-Woche ist gescheitert. Wenn die Ge-werkschaften jetzt eine vertretbare Lösung für Ost-deutschland propagieren wollen, dann müssen sie dieForderung nach der 35-Stunden-Woche aufgeben, sichfür den Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze einsetzen,endlich das Prinzip der Umverteilung von Arbeit aufge-ben und nach dem Prinzip „Arbeit schafft Wachstum undWachstum schafft Arbeit“ handeln.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Wend, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Natürlich ist dieser Tarifkonflikt einer Bewer-tung zugänglich. Bei näherer Betrachtung muss man sa-gen, dass es gute moralische Argumente für dieIG Metall gibt, diesen Tarifkonflikt zu führen, es aberauch gute ökonomische Argumente gibt, diesen Tarif-konflikt nicht zu führen.Es ist richtig, dass sich Arbeitgeber und IG Metall am18. Mai 2002 in Berlin darauf verständigt haben, übereine schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit in Ost-deutschland zu verhandeln. Vor diesem Hintergrund sinddie Forderungen der IG Metall zu verstehen. Wahr istauch, dass die IG Metall eine schrittweise Einführungder 35-Stunden-Woche bis zum Jahre 2009 verlangt undbereit ist, bei Veränderung der wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen auch an diesem Zeitkorridor noch Verände-rungen zuzulassen. Das zeigt also: Wer angesichts diesesTarifkonflikts ausschließlich von Verantwortungslosig-keit aufseiten der Gewerkschaften spricht, vergisst, dassdiese aktuelle Auseinandersetzung in bestimmten frühe-ren Vorgängen wurzelt.Die ökonomischen Gründe, die aufgeführt wurden,lassen es aber auch aus meiner Sicht nach einer differen-zierten Bewertung am Ende unvernünftig erscheinen,diesen Tarifkonflikt zu führen. Das will ich nicht ver-schweigen.
Ich möchte auf drei Dinge hinweisen, die mich in dieserheutigen Debatte stören.Punkt Nummer eins: Es wurde mehrfach gesagt, Ge-werkschaftssekretäre aus dem Westen werden eingeflo-gen, um vor den Toren der Betriebe in OstdeutschlandStreikbrecher am Betreten zu hindern.
Es wird gesagt, dass in den Gewerkschaftszentralen imWesten entschieden wurde, ob dieser Arbeitskampf ge-führt wird oder nicht.DBwoowewbOinnMdznDngtimgzzwgZgtrlenVazfwliZwKCwti
azu will ich Ihnen sagen: Wenn wir einen Streik inayern oder Baden-Württemberg hätten und aus Schles-ig-Holstein Streikposten kämen
der in Frankfurt entschieden würde, ob gestreikt wirdder nicht,
ürde keiner davon reden, dass der Norden dem Südeninen Streik aufzwingt. Sie beleben an dieser Stelle – daserfe ich Ihnen vor – wieder Vorurteilsstrukturen undauen in den Köpfen wieder Mauern zwischen West undst auf. Das weisen wir an dieser Stelle zurück.
Die zweite Sache, die ich Ihnen vorwerfe – das hatsbesondere Herr Göhner beim vorherigen Tagesord-ungspunkt getan –, ist, dass Sie die auch nach meinereinung schwierige tarifpolitische Auseinandersetzungazu benutzen, um die Tarifautonomie insgesamt infrageu stellen. Dazu sage ich Ihnen ein bisschen selbstiro-isch, dass es sich mit der Tarifautonomie wie mit deremokratie verhält: Wie oft habe ich mir nach Kommu-al- oder Landtagswahlen, die schlecht für uns ausgin-en, gewünscht, dass man es vielleicht mit der Demokra-e nicht so ganz ernst nehmen müsste. So ist das auchit der Tarifautonomie. Nur weil einem einmal ein Er-ebnis nicht gefällt, kann man nicht das bewährte Prin-ip der Tarifautonomie aufs Spiel setzen.
Damit hängt auch die Bewertung der Vergangenheitusammen. Sehen Sie sich doch einmal an, wie die Ge-erkschaften in dieser Republik mit Tarifverträgen um-egangen sind: Die tarifpolitische und die lohnpolitischeurückhaltung der letzten Jahre war angesichts unsereresamtökonomischen Situation vorbildlich. Tarifver-äge bilden seit den 50er- und 60er-Jahren ein sinnvol-s Rückgrat unserer Ökonomie. Von daher sollten Sieicht der Versuchung erliegen, um eines kurzfristigenorteils willen eine schwierige tarifpolitische Situationuszunutzen und die Tarifautonomie insgesamt infrageu stellen. Das wäre schädlich.Dritter Punkt – hier liegt vielleicht die größte Ge-ahr –: Ich greife Ihr Wort, Herr Brüderle, von den Ge-erkschaftsbonzen auf. Ich will nun nicht über Begriff-chkeiten streiten – hier liegen mir Worte auf derunge, die ich lieber herunterschlucke, weil ich aucheiß, dass Sie, Herr Brüderle, sonst ein ganz nettererl sind –, aber ich habe das Gefühl, es geht CDU/SU und FDP hier um etwas anderes. Sie wollen die,ie auch ich finde, schwierige wirtschaftliche Situa-on, die tarifpolitische Situation und die – auch das
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Dr. Rainer Wendräume ich ein – suboptimale intellektuelle Beweglich-keit einiger Gewerkschaftssekretäre
nutzen, damit am Ende der politische Einfluss der Ge-werkschaften in dieser Republik auf null zurückgefahrenwird. Das werden wir Sozialdemokraten nicht zulassen;da können Sie sicher sein, meine Damen und Herren.
Gewerkschaften sind nicht immer einfach. Das wis-sen wir Sozialdemokraten aus den letzten Wochen. Ichsage Ihnen aber eines: Eine Demokratie, wie sie in unse-rem Lande mithilfe von Gewerkschaften aufgebautwurde, ist stabil.Ich wünsche mir Gewerkschaften, die die Reformnot-wendigkeiten verstehen, die auf dem sozialen Ausgleichbei diesen Reformen bestehen, die ein wichtiger politi-scher Faktor in unserer Republik sind und nicht, wie vonIhnen gewünscht, beiseite gestellt werden, die vielmehrmit dabei sind und Einfluss haben. Ich wünsche mir,dass uns dies in den nächsten Monaten noch besser ge-lingt, als es zurzeit der Fall ist. Ich wünsche mir in die-sem Sinne starke und weltoffene Gewerkschaften.
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Günther,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Frau Kollegin Kramme, Sie haben hier eine tolleLehrstunde zur Tarifautonomie abgeliefert. Ich stelle dieFrage: Wann waren Sie zum letzten Mal im Osten undhaben sich die Realität vor Ort angeschaut? Denn darumgeht es doch heute.
Ich möchte damit einmal Folgendes in Verbindungbringen: Im Osten stehen 1 Million Wohnungen leer;62 000 Bürger haben im vergangenen Jahr zum Beispielmein Heimatland Sachsen verlassen.
Von der Kommunalpolitik bis zur Bundespolitik machtman sich Gedanken darüber, wie Arbeitsplätze dort ge-halten werden können. Denn wegen des Mangels an Ar-beitsplätzen verlassen die Bürger ihre Heimat.Zaghaft sind in letzter Zeit neue Ansiedlungen ent-standen: in der Industrie, im Gewerbe und vor allem inder Metall- und in der Autozulieferindustrie. Die Stand-orte dieser neuen Arbeitsplätze standen im harten inter-nationalen Wettbewerb mit anderen Standorten. Es warnsBsvnLebgwtjmzhsHstbiAssvAldssdsaMsdigmsnndkld
ngesichts dessen muss man sich schon die Frage gefal-en lassen: Wenn es die Gewerkschaften im Osten aufiese Weise nicht schaffen, einen Streik auf die Beine zutellen, wie machen sie es dann? Dann werden eben bus-eweise die Leute angekarrt, von Frankfurt oder Düssel-orf dirigiert; sie stehen vor den Werktoren, sie sindtreikerfahren und sie verwehren im Regelfall denen, dierbeiten wollen, den Einlass in den Betrieb.
Meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich:it dieser Aktion haben sich die deutschen Gewerk-chaften aus der gesellschaftlichen Verantwortung füren Aufbau Ost verabschiedet.
Das kann man auch ganz deutlich an den Reaktionenn der Presse und im Fernsehen der letzten Tage verfol-en: Von internationalen Investoren in Aussicht genom-ene oder in Vorbereitung befindliche Objekte werdentorniert. Die Investoren überlegen, ob sie den Schrittach Ostdeutschland unter den jetzigen Bedingungenoch tun sollen. Das bedeutet weniger Arbeitsplätze inen neuen Bundesländern. In diesem Zusammenhangann durchaus die Frage gestellt werden: Ist das viel-eicht eine gewollte Aktion? Will die Gewerkschaft da-urch im Endeffekt den Aufbau von Arbeitsplätzen im
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Joachim Günther
Osten verhindern, um ihren Einfluss im Westen konstantzu halten?
Ich lehne diese Klientelpolitik auf dem Rücken desWirtschaftsstandortes Ost eindeutig ab, meine Damenund Herren.
Es ist höchste Zeit, dass wir über diese Art von Arbeits-kampfritualen nachdenken. Es ist höchste Zeit, dass wirdem Osten eine faire Chance für die Entstehung von Ar-beitsplätzen geben, damit nicht noch mehr Menschendieses Gebiet verlassen. Entsprechend lautet meine Auf-forderung an die Bundesregierung – weil Sie gefragt ha-ben –: Nehmen Sie Stellung, wie Sie Einfluss daraufnehmen wollen, dass es zu keinem weiteren Abbau indieser Richtung kommt.
Deshalb wollen wir uns aus den starren Flächentarif-verträgen verabschieden. Wir wollen den Beschäftigtenin den Betrieben mehr Spielraum geben. Wenn es ge-lingt, dass die Mehrheit in einem Betrieb für etwas eineEntscheidung trifft, dann muss dies allgemein akzeptiertwerden. In diesem Sinne stehen wir hinter den Arbeit-nehmern in Ostdeutschland und in diesem Sinne blockie-ren wir nicht den Aufbau Ost.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Hubert Ulrich, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke,eben ist zu Recht in den Vordergrund gestellt worden,wie wichtig die Tarifautonomie der Gewerkschaften undder Arbeitgeber ist. Daran führt kein Weg vorbei unddarüber brauchen wir hier auch nicht zu streiten.Auf der anderen Seite muss es erlaubt sein und ist esnotwendig, dass sich dieses Parlament mit Fehlentwick-lungen in diesem Bereich befasst. Deshalb halte ich dieheutige Aktuelle Stunde zu diesem Thema nicht unbe-dingt für falsch. Es ist aber ein völlig falscher Ansatz– das kam eben ganz stark aus den Reihen der FDP, teil-weise auch aus den Reihen der CDU/CSU –, die Ge-werkschaften hier insgesamt zu attackieren. Dass manGewerkschaftsfunktionäre wie Herrn Peters wegen dervöllig falschen Linie, die er vertritt, brandmarkt, kannich nachvollziehen. Das sage ich als jemand, der seit30 Jahren Mitglied der IG Metall ist. Aber Peters stehtnicht für die ganze IG Metall; dort gibt es auch Leute,die andere Positionen vertreten.–dilrmvwsvsbsdddFPbmDfSbWnddOctusgkZv
Wie gesagt, ich kritisiere Herrn Peters ganz offen,eutlich und laut von dieser Stelle aus.Man muss sich einmal klar machen – damit kommech zum Thema –, wie die Gesamtsituation in Deutsch-and im Moment aussieht. Wir sind in einer ganz schwie-igen wirtschaftlichen Situation. Aber im Moment siehtan einen Silberstreif am Horizont, und zwar aufgrunderschiedener Anzeichen: Der Ifo-Geschäftsklimaindexeist nach oben, der Leitzins hat mittlerweile ein histori-ches Tief erreicht, die Steuerreform wird vermutlichorgezogen, die Aktienkurse haben sich von ihrem Tief-tand wieder erholt, auch dort sieht es langsam wiederesser aus. In dieser Situation einen solchen Streik zu in-zenieren ist einfach falsch; das muss man offen sagen.
Das Ziel, das dabei verfolgt wird, nämlich die 35-Stun-en-Woche, ist im Westen bereits 1984 durchgesetzt wor-en. Man muss sich einmal genau anschauen: Wozu hatenn die 35-Stunden-Woche im Westen geführt? Für dieacharbeiter hat sich dadurch nicht viel verändert. Dasroblem bestand darin, dass die gering qualifizierten Ar-eitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeits-arkt herausgedrängt wurden.
iese Gefahr besteht auch jetzt, wenn man die Linie ver-olgt, die 35-Stunden-Woche im Osten einzuführen. Dertandortvorteil, den der Osten heute noch hat, ginge da-ei verloren; das ist nun einmal Fakt.
ie soll man denn ein Unternehmen im Westen heuteoch motivieren, sich im Osten anzusiedeln, wenn aucher letzte Vorteil wegfällt?
Der Osten hat ein Sonderproblem, nämlich die Pro-uktpalette. Die Produktpaletten in vielen Betrieben imsten sind heute nicht mehr weltmarktfähig. Wir brau-hen im Osten neue, innovative Betriebe. Aber innova-ive Betriebe müssen insbesondere im Bereich Forschungnd Entwicklung einiges zu bieten haben. Gerade For-chung und Entwicklung sind jedoch nun einmal ein soenannter Engpassfaktor, der durch die Arbeitszeitver-ürzung noch verstärkt würde. So kann es nicht gehen.
Man muss einmal ganz nüchtern die entsprechendenahlen betrachten: Die gesamtwirtschaftliche Produkti-itätslücke zwischen dem Westen und dem Osten beträgt
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Hubert Ulrich40 Prozent. Wenn sich die Gewerkschaften mit ihrerForderung durchsetzen würden, würde diese Lücke nochgrößer werden.Man muss die Dinge so sehen, wie sie sind: Die IG-Metall-Forderung macht einfach keinen Sinn.
Mit Blick auf die Gesamtsituation muss man sagen, dasses der falsche Zeitpunkt ist. Mit Blick auf den Ostenmuss man sagen, dass es der falsche Ort ist. Angesichtsder Auswirkung auf den Westen kommt man ebenfallszu der Schlussfolgerung, dass diese Forderung völligfalsch ist und keinen Sinn macht.Wir brauchen die 35-Stunden-Woche im Osten ge-nauso wenig wie ein Loch im Kopf.
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ichkann dem Kollegen Ulrich in vielen Punkten nur bei-pflichten. Die IG Metall hat einen Streik vom Zaun ge-brochen, der volkswirtschaftlich völlig sinnlos ist undder vor allen Dingen den Wirtschaftsstandort Ost-deutschland massiv schädigt und dort den Verlust vonArbeitsplätzen bewirkt.
Wir von der Union halten es deshalb mehr mit denForderungen des Bundeswirtschaftsministers: Um dieKrise in Deutschland zu überwinden, ist es notwendig,dass wieder mehr und nicht weniger in Deutschland ge-arbeitet wird.
Mehr arbeiten bedeutet natürlich Vollbeschäftigung.
– Darauf komme ich gleich noch, Frau Kollegin Wolff.Ich möchte einmal zurückblicken. 1960 hatten wir un-ter Ludwig Erhard Vollbeschäftigung. Die Deutschen ha-ben damals 90 Tage mehr gearbeitet. Dies ist ein Belegdafür, dass die 35-Stunden-Woche gescheitert ist; dennwir werden bei 5 Millionen Arbeitslosen anlangen –
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ie Begründung unter der Überschrift „Was haben wirom Arbeitskampf?“ lautet:Immer mehr Unternehmen führen Vergleiche …durch, um herauszufinden, wo am billigsten produ-ziert werden kann. Wenn gleiche Arbeitsbedingun-gen bestehen, können Belegschaften an verschiede-nen Standorten nicht mehr gegeneinanderausgespielt werden.
Die Forderung der IG Metall ist sozusagen, keine Ar-eitsplätze im Osten entstehen zu lassen, sondern alle anestehenden Standorten zu konzentrieren. Dies passticht damit zusammen – die Gewerkschaften gehen jammer so großartig mit dem Wort „Solidarität“ um –,ass man Solidarität üben und einen Beitrag für den Auf-au Ost leisten will. Das ist eine falsche Politik.
Wie der Streik von den Menschen in Deutschland be-ertet wird, hat die IG Metall erfahren. Ich habe michrst heute mit Betriebsräten von BMW in Dingolfing,ie der Christlichen Gewerkschaft
ngehören, unterhalten. Sie sagten, bei der IG Metallürden die Austrittsscheine nur so gesammelt werden.
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Max StraubingerDarüber hinaus kommt die Position der Menschen aufder Homepage der IG Metall zum Ausdruck.Gestern wurde in der „Welt“ getitelt: „Gewerkschafts-deppen ab nach Kuba.“
Dies zeigt sehr deutlich, wie sich die Bevölkerung undvor allen Dingen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer gegen den Druck und die Bevormundung der Ge-werkschaften gegenüber arbeitswilligen Menschen weh-ren. Dies muss für die Gewerkschaften ein Alarmzeichensein. Diese haben auch eine gesellschaftspolitische Ver-antwortung und eine Verantwortung für den Wirtschafts-standort Deutschland. Deshalb sind sie aufgefordert, die-sen nutzlosen Streik sofort abzubrechen
und darüber hinaus dafür zu sorgen, dass zukünftig wie-der einheitliche Lebensverhältnisse in Deutschland ge-schaffen werden. Dafür steht unsere Politik. Deshalbsind die Gewerkschaften aufgefordert, einen Beitrag zuleisten und den Streik zu beenden.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wer der Debatte zuhört, stellt fest, dass hier, po-litisch beabsichtigt, massiv geholzt wird.
Das ist legitim; das ist zulässig. Man kann Tarifausein-andersetzungen bewerten, wie man möchte. Es ist legi-tim, eine politische Bewertung der Tarifauseinanderset-zungen vorzunehmen.Ich will erstens festhalten: In der Debatte zuvor hatder stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion erklärt: „Die Tarifautonomie hat Verfassungs-rang.“ Er hat darüber hinaus erklärt: „Flächentarifver-träge bleiben … das entscheidende Instrument einer …Lohnfindung.“ Wer den Verfassungsrang der Tarifauto-nomie ernst nimmt, muss natürlich zur Kenntnis neh-men, dass zur Tarifautonomie zwei Tarifparteien gehö-ren, dass diese Tarifparteien ihre Angelegenheitenautonom bestimmen und aushandeln können
und dass es in diesem Land nach Art. 9 des Grundgeset-zes im Rahmen der Tarifautonomie ein entwickeltes Ar-beitskampfrecht gibt, für das ganz bewusst kein einzigerSrBddnbdztAdisvAaGsgenRsnbegWsutakkSönddivktüidlsG
Zum Zweiten muss man festhalten: Wenn man sichie Entwicklung der Tarifautonomie im Verlauf der Jahr-ehnte anschaut, dann stellt man fest, dass wir bestimm-en Bedingungen und Veränderungen unterworfen sind.uch in der Debatte zuvor haben manche Redner voner Krise der Tarifautonomie gesprochen. Das kann sichn vielerlei Dingen ausdrücken, zum Beispiel darin, wietark die Tarifbindung in bestimmten Bereichen ist, wieiele Arbeitgeber auf der einen Seite überhaupt noch zurbeitgeberverbänden gehören und welche Bindekraftuf der anderen Seite Gewerkschaften haben, wie sichewerkschaften organisieren können und ob Gewerk-chaften überhaupt in der Lage sind, tarifliche Forderun-en durchzusetzen. Das sind ganz wichtige Fragen, dieine Rolle spielen, wenn hier Gewerkschaftsorganisatio-en kritisiert werden. All diese Fragen spielen eineolle. Man muss sie sich, wie ich finde, sehr genau an-chauen. Wer die Tarifautonomie will, wer die Tarifauto-omie für richtig hält, der muss ein Interesse daran ha-en, dass es Tarifparteien gibt, die in der Lage sind,twas durchzusetzen, dass es Tarifparteien gibt, die aufleicher Augenhöhe miteinander umgehen können.
enn das nämlich nicht mehr gewährleistet ist, dannetzt sich eine der beiden Tarifvertragsparteien durchnd die Tarifautonomie verkommt zur Farce.Damit bin ich beim dritten Punkt – meine sehr verehr-en Damen und Herren, ich will dem überhaupt nichtusweichen; ich finde das völlig richtig –: Der Bundes-anzler hat am Rande des Gipfels in Thessaloniki er-lärt, die Tarifparteien täten gut daran, sich lieber einetunde früher als eine Stunde später zu einigen; denn diekonomische Entwicklung im Osten könnte Schadenehmen.Die Haltung der Bundesregierung ist – ganz beson-ers in der gegenwärtigen ökonomischen Situation –,ass jede Stunde, die der Streik länger dauert, schädlichst. Deswegen wäre es ganz wichtig, dass sich die Tarif-ertragsparteien auf den Weg machen, zu Gesprächenommen und sich verständigen.Damit sind wir bei einem Prinzip, das hier gerne un-erschlagen wird – manchen nehme ich das gar nichtbel; sie sind halt so gestrickt –: Ein Streik ist ein Mitteln einer Tarifauseinandersetzung. Es ist völlig legitim,ieses anzuwenden. Manche, die aus den neuen Bundes-ändern kommen, wissen, dass sie früher in einer Gesell-chaftsordnung lebten, in der aus ganz bestimmtenründen Streik verpönt, ja sogar verboten war, und dass
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresdie, die gestreikt haben, mit Gefängnis und politischerVerfolgung bedroht wurden.Das Streikrecht ist ein legitimes Mittel in unseremLande. Damit ein Streik beendet werden kann, muss manzu einer Vereinbarung kommen, die voraussetzt, dasssich zwei Tarifvertragsparteien auf den Weg machen.
– Sie können so viel dazwischenreden, wie Sie wollen.Sie werden mich nicht daran hindern, das zu sagen, wasich für richtig halte – damit Sie das genau wissen, HerrKollege.
Deswegen sage ich: Die Bundesregierung hat ein gro-ßes Interesse daran, dass es morgen bei den Gesprächenzu einer Einigung kommt, die möglichst dazu führt, dassder Streik so schnell wie möglich beendet werden kann.Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit binich bei einer weiteren Bewertung. Was Sie hier mit derBeantragung dieser Aktuellen Stunde abziehen, ist einesehr offensichtliche Angelegenheit.
Dies ist insbesondere bei Herrn Brüderle als Redner vonder FDP zum Tragen gekommen, der sich echauffiertund aufgeblasen hat und der Menschen in einer Art undWeise beschimpft hat, die ich überhaupt nicht unterstüt-zen kann.
Man kann sich sachlich politisch auseinander setzen; dasist überhaupt keine Frage. Aber diese Art und Weise! Ichhabe schon gedacht: Man muss aufpassen; sonst bekom-men Sie hier noch einen Schlaganfall. – So haben Siesich erregt, Herr Kollege Brüderle.Beim Nachlesen Ihrer Rede, stößt man auf ein paarProbleme, mit denen man sich in der Tat auseinandersetzen muss. Das finde ich völlig richtig. Sie haben drei-mal das Beispiel gebracht, dass in der Automobilindus-trie in Tschechien, bei Skoda, 3 Euro Stundenlohn ge-zahlt werden. Gut, Herr Brüderle, was lehrt uns das?Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus? Ich kannIhnen eine Schlussfolgerung nennen, die ich darausziehe und die die Bundesregierung ziehen muss: DieStandortvorteile, die es in manchen Regionen der Bun-desrepublik Deutschland gibt, muss man nicht nur zwi-schen Ost und West abwägen.Ich kann viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerin den neuen Bundesländern verstehen, die darüber ver-bittert sind und das auch öffentlich vortragen, dass es13 Jahre nach Herstellung der staatlichen Einheit in vie-len Fragen noch Unterschiede gibt. Das kann ich verste-hnteE1SmAzrceImSbnspmDsASRgnvSrbüdgmnthshdaSzit
icht nur mit den Bedingungen, die im Westen herr-chen. Vor dem Hintergrund der Erweiterung der Euro-äischen Union gibt es auch einen Standortwettbewerbit den östlichen Beitrittsländern.
as muss man im Auge behalten und damit muss manich auseinander setzen. Das bedeutet, dass man auf diendeutung von Herrn Brüderle bezüglich der 3 Eurotundenlohn reagieren muss. Man kann so etwas in denaum stellen; entscheidend ist aber, wie man darauf rea-iert.Ich will auf einen Punkt zu sprechen kommen, dericht neu ist. Ich kann mich daran erinnern, dass wir unsor zwei Jahren in einer Aktuellen Stunde – das könnenie in den Parlamentsprotokollen nachlesen – zu den Ta-ifverträgen – Stichwort „5 000 mal 5 000“ – in Wolfs-urg auseinandergesetzt haben. Damals haben Sie sichber das Verhalten der IG Metall aufgeregt. Damalsurfte ich hier reden und habe auch über Tarifautonomieesprochen. Ich habe zum Ausdruck gebracht, dass ichir sehr sicher bin, dass die Tarifvertragsparteien zu ei-er Lösung kommen werden und es zu einem Tarifver-rag zu der Bedingung „5 000 mal 5 000“ kommt. Dasat Sie aber nicht daran gehindert, das Thema aufzubla-en und propagandistisch so zu nutzen, wie Sie das aucheute hier wieder tun.Meine politische Bewertung lautet wie folgt: Wer iner jetzigen Situation, in der die Tarifvertragsparteienngekündigt haben, miteinander zu reden, eine Aktuelletunde in der Form nutzt, wie Sie das getan haben, dereigt, dass er nur ein Interesse daran hat, ordentlich Ölns Feuer zu gießen, und kein Interesse an einer vernünf-igen Regelung zwischen den Tarifvertragsparteien hat.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir ha-
ben in den letzten Wochen erlebt, dass in Frankreich, in
Österreich und in Italien große Streikbewegungen statt-
gefunden haben. Jeder, der sich die Entwicklung der
Streiktage in Deutschland im internationalen Vergleich
in den letzten zehn Jahren ansieht, der stellt fest, dass
wir dabei auf dem drittletzten Platz landen. Auch das be-
ruhigt mich.
Ich fordere die Tarifvertragsparteien auf, morgen zu
einer Einigung zu kommen.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Luther,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Andres, Sie haben mir ein Stichwort ge-liefert: 13 Jahre nach der deutschen Einheit müssen end-lich gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen in Ost undWest geschaffen werden. Das sei eine Sache der politi-schen Vernunft und Gerechtigkeit. Das sagte gestern ineinem Interview der designierte IG-Metall-VorsitzendeJürgen Peters.Geht es wirklich darum, dass den so ungerecht behan-delten Arbeitnehmern bei VW in Zwickau jetzt endlichauch die 35-Stunden-Woche zugestanden werden muss?Ist das die entscheidende Gerechtigkeitslücke, für die essich lohnt, ungeachtet der Folgen für den Wirtschafts-standort neue Bundesländer, ungeachtet der Folgen fürden Wirtschaftsstandort Deutschland, ungeachtet der Fol-gen für die wichtigste Wirtschaftsbranche in Deutschland,nämlich die Automobilindustrie, diese lahm zu legen? Ichbeantworte diese Fragen wie folgt – Herr Schulz, ichkomme auf das zurück, was Sie gesagt haben –: Die Ge-rechtigkeitslücke, die größte soziale Ungerechtigkeitzwischen Ost- und Westdeutschland, ist die im Ostendoppelt so hohe Arbeitslosigkeit.
Man kann natürlich auf die Idee kommen, dass hinterdiesem Streik vielleicht das Bestreben steckt, durch die35-Stunden-Woche mehr Arbeitsplätze in Deutschlandzu schaffen. Bringt die 35-Stunden-Woche mehr Ar-beitsplätze? Ich will aus der „Süddeutschen Zeitung“von gestern zitieren:Aber was hat den Westdeutschen die 35-Stunden-Woche gebracht? Deutschland hat heute die kürzes-ten Arbeitszeiten und das niedrigste Wachstum inder EU, die Beschäftigtenzahlen werden im interna-tionalen Vergleich immer schlechter, die Arbeitslo-sigkeit wird sich im nächsten Winter der Marke vonfünf Millionen nähern.DfzibatkDndEmnussdBttem3MrOoezauWwsSDkabbGVKP
s geht also nicht um die Arbeitnehmer, sonst würdean wesentlich stärker für mehr Arbeitsplätze in deneuen Bundesländern streiten. Ich glaube, es geht hierm die Profilierung einzelner Gewerkschaftsbosse.
Dieser Streik kommt zur Unzeit. Wir müssen die wirt-chaftliche Lage in Deutschland und vor allem die kata-trophale Lage der Wirtschaft in den neuen Bundeslän-ern betrachten. Wir alle diskutieren hier im Deutschenundestag darüber, dass wir mehr Reformen und Entlas-ungen bei den Lohnkosten brauchen, weil die Lohnkos-n je Arbeitsstunde zu hoch sind. Für mich ist es ökono-isch nicht einzusehen, weshalb man die Arbeitszeit von8 auf 35 Stunden pro Woche verringern muss. Was dieenschen in den neuen Bundesländern brauchen – ichede nicht von 3 Euro –, sind auskömmliche Einkommen.b man diese auskömmlichen Einkommen in 35, 38der 40 Stunden pro Woche verdient, ist möglicherweiseine wichtige Frage; aber das ist in dieser Situationweitrangig und nebensächlich.
Die Lohnkosten und die Lohnnebenkosten müssenbsolut erarbeitet werden. Bei den Beiträgen zur Renten-nd Krankenversicherung kommt es darauf an, dass sieoche für Woche erarbeitet werden. Bei einer längerenöchentlichen Arbeitszeit würden sich die Kosten bes-er verteilen und Deutschland bekäme wieder einentandortvorteil. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir ineutschland Abschied nehmen von dem Holzweg zuürzerer Arbeitszeit. Wir müssen endlich wieder zurückuf einen richtigen Weg, nämlich zu vernünftigen Ar-eitszeiten in Deutschland. Das ist aus meiner Sicht ganzestimmt nicht die 35-Stunden-Woche.
Deshalb will ich an dieser Stelle ganz deutlich an dieewerkschaften appellieren: Kommen Sie wieder zurernunft.
ommen Sie zu vernünftigen Entscheidungen in Ihrerolitik. Stellen Sie diesen Streik ein, bevor es zu spät ist.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4391
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Dr. Michael LutherIch habe jetzt noch ein Zitat vorzutragen, das ich ges-tern in der „Welt“ gefunden habe:Bis heute ist nicht vergessen, wie die britische Pre-mierministerin Maggie Thatcher in den 70er-Jahrendem hochmütigen Führer der Bergarbeitergewerk-schaft, Scargill, die Stirn bot.
Nach wochenlangem Streik, während Frau Thatcherhart blieb, gaben die Bergarbeiter auf. Damit wurdedie Wende zu einem neuen Aufbruch Großbritanni-ens eingeleitet.Meine Damen und Herren, ich halte viel von Tarifau-tonomie und ich halte viel von starken Gewerkschaften.Wenn aber die Gewerkschaft auf dem jetzigen Weg wei-ter geht, befürchte ich, dass auch wir zu einer englischenLösung kommen. Das will ich nicht. Deswegen fordereich die Gewerkschaft zur Vernunft auf.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Wilfried Schreck,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich gebe zu: Ich stehe hier heute mit einem gewissen Un-behagen. Das liegt nicht am Thema, zu dem ich wohleine Meinung habe, die ich auch sagen werde, sonderndas liegt am Ort. Ich bin wie einige meiner Vorredner derMeinung, dass wir uns in diesem Hause aus aktuellenTarifauseinandersetzungen heraushalten sollten.
Das sage ich auch in Richtung meiner eigenen Partei undin Richtung unseres Koalitionspartners.Ich habe zu dem Thema einen ganz persönlichen Be-zug. Als Abgeordneter aus dem Osten und als Betriebs-rat der ersten Stunde habe ich schon vor der Wende Ge-werkschaftsarbeit gemacht. Sie können sich vorstellen,dass das nicht immer leicht war; denn wir hatten großeProbleme. Eines der Hauptprobleme, das mich am meis-ten gestört hat, war die ständige Einmischung der allge-genwärtigen und scheinbar allmächtigen Partei. Ich erin-nere mich daran, dass wir zur Zeit der Wende Stundenund Tage über das Streikrecht diskutiert haben. ZumGlück haben wir jetzt andere politische Verhältnisse, wirhaben Freiheit und Demokratie. Wir haben heute großeVorzüge. Ein ganz wichtiger Vorzug ist für mich die Ta-rifautonomie. Ich bin dafür, dass wir dieses Grundrechtgemeinsam hochhalten, und fordere Sie auf, das zu un-terstützen.
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uch den Ost-West-Konflikt, den Sie mit Ihrer Diskus-ion hervorgerufen haben – darauf hat der Kollege Wendchon hingewiesen –, empfinde ich genauso, ich willieses Thema aber nicht weiter ausführen.Zum Stichwort Standortvorteil: Natürlich sind im Os-en Bezahlung und Arbeitszeit wichtige Standortvorteile.ber wenn sie so wichtig sein sollen, wie hier immer ge-agt wird, dann muss ich mich schon wundern, dass wir Osten, nachdem dieser Zustand so lange angehaltenat, nicht mehr Betriebe und mehr Unternehmensansied-ngen aufweisen können.Ich möchte mich in den Bereich der Kollegen derG Metall keinesfalls einmischen. Ihre Diskussion kannch verstehen. Ich weiß aber auch, dass andere Branchennd andere Gewerkschaften einen anderen Stil pflegen.an kann sich seinen Sozialpartner aber nicht aussu-hen. Ich bin aber auch der Auffassung, dass die Kolle-en der IG Metall zum Beispiel beim Abschluss in dertahlindustrie verantwortlich gehandelt haben. Es istchon angesprochen worden: 2009 – also 19 Jahre nacher deutschen Einheit – wird es, wenn es bis dahin keine
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4392 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Wilfried SchreckZwischenfälle gibt, die gleiche Arbeitszeit geben. Ichdenke, das ist vernünftig.Ich möchte meine Hoffnung aussprechen, dass dasheutige Spitzengespräch und die morgige Verhandlungerfolgreich sein werden. Ich hoffe, dass wir am Wochen-ende eine entsprechende Lösung haben werden.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zwei Argumente gegen den Streik, die auch heute in die-
ser Debatte vorgetragen wurden, will ich gleich ausräu-
men. Das erste Argument lautet, es sei die falsche Zeit.
Richtig ist: Ich habe von Arbeitgeberseite noch nie ge-
hört, jetzt sei die richtige Zeit für einen Streik. Das wäre
auch schizophren.
Das zweite Argument lautet, der Streik vernichte Vor-
teile des Ostens. Richtig ist: In den neuen Bundesländern
wird für weniger Geld mehr gearbeitet als in den alten
Bundesländern. Die Arbeitslosigkeit ist dennoch im-
mens höher.
Die Logik der Billiglohnpropheten stimmt auch hier
nicht. Es muss wohl noch andere Standortfaktoren ge-
ben, die einwirken.
Mich bewegen in dieser Debatte ganz andere Fragen.
Zum Beispiel: Die Forderung „gleicher Lohn für gleiche
Arbeit“ ist zwar uralt, aber mitnichten überholt.
Was also setzt die Streikenden vermeintlich ins Unrecht,
obwohl sie nichts anderes wollen als gleichen Lohn für
gleiche Arbeit?
Zweitens. Die Angleichung der Ostlöhne an die im
Westen üblichen ist ein erklärtes Ziel der rot-grünen Re-
gierung. Warum wenden sich also auch Minister der rot-
grünen Bundesregierung flugs gegen die Streikenden?
Drittens. Das Grundgesetz gilt für alle. In ihm wird
gefordert, dass alle gleich behandelt werden. Gilt dieses
Gebot für Ossis nicht?
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Das Wort hat der Kollege Manfred Grund, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehrereedner – zuletzt der Kollege Schreck, aber auch derollege Andres – haben hier mit Verweis auf die Tarif-utonomie die Frage gestellt, warum sich das Parlamentberhaupt mit Tarifauseinandersetzungen beschäftigt.as ginge uns doch eigentlich nichts an. Meine liebenreunde, ich glaube, es geht uns eine ganze Menge an,eil die Politik im Zweifel für die Folgen verantwortlichemacht wird.
Im Zusammenhang damit, dass jemand für Tarifab-chlüsse verantwortlich gemacht wird, erinnere ich anen ersten Tarifabschluss in der ostdeutschen Wirtschaftach der Wende. Damals wurde in der Wirtschaft der-elbe Tarif angenommen wie im öffentlichen Dienst. Dasat dazu geführt, dass trotz der Arbeitsproduktivität vonur ungefähr einem Drittel im Vergleich zum Westen einohnniveau von zwei Dritteln – also von 66 Prozent –es Westniveaus erreicht wurde, wodurch in den neuenundesländern massenhaft Arbeitsplätze verloren ge-angen und uns die Probleme vor die Haustür gekehrtorden sind. Wir sind also gut beraten, uns hier damit zueschäftigen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4393
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Manfred GrundDieser Tarifabschluss 1990/91 war im Nachhineinfast wie eine Verabredung von Politik, Gewerkschaftenund Wirtschaft gegen den Standort Ost. Die Politik – allemit eingeschlossen – wollte Wähler, die Gewerkschaftenwollten Mitglieder und die Wirtschaft West wollte keineKonkurrenz im Osten. In einer ähnlichen Situation be-finden wir uns heute wieder.Der Kollege Wend, Vorsitzender des Ausschusses fürWirtschaft und Arbeit, hat in seiner bemerkenswertenRede von vorhin bezogen auf die Gewerkschaftsfunktio-näre den Begriff der „suboptimalen Beweglichkeit“ ge-prägt. Er hat in Richtung der Opposition gesagt, dass sieeigentlich das Geschäft der Ost-West-Spaltung betreibt.Kollege Wend, dazu braucht es in diesem Haus nicht dieOpposition;
denn dazu hat schon das geführt, was Gewerkschafts-funktionäre mit diesem unsäglichen Streik in Ost undWest herbeigeführt haben.
Vor einigen Tagen war in einer Münchener Abendzei-tung zu lesen: Weil Ossis streiken, muss BMW kurzar-beiten. Meine Damen und Herren, ich möchte es hiernoch einmal festhalten: Es ist kein Streik der Ossis undes ist erst recht kein Streik der Ossis gegen BMW. DieMetaller im Osten sind nicht im Streik, sie werden be-streikt. Das ist ein fundamentaler Unterschied.
– Das ist kein Unsinn, meine liebe Kollegin.Man sieht das zum Beispiel vor den Werkstoren vonFederal-Mogul in Dresden. Von den 300 Beschäftigtenin diesem Betrieb sind ganze 25 vor den Toren. Am Dia-lekt – man hört ihn, wenn Interviews gegeben werden –und an den Autokennzeichen aus Stuttgart, Schweinfurtund Göttingen erkennt man, von wo die Leute herbeige-karrt worden sind, um die Betriebe zu bestreiken, in de-nen die eigenen Leute lieber arbeiten würden, als für35 Stunden einzutreten.
Hier wird davon gesprochen, dass Streikende aus demStuttgarter Raum vor den Toren stehen und damit einenZulieferer für ein Konkurrenzunternehmen in Müncheneine Zeit lang aus dem Markt herausnehmen; das ist pi-kant. Daran kann man erkennen, welche Auswirkungendieser Streik mit der herbeigerufenen Streikhilfe ausWestdeutschland tatsächlich hat. Das kann es weiß Gottnicht sein.Man fragt sich: Warum wurde dieser Streik jetzt be-gonnen, vom Zaun gebrochen? Warum eskaliert er?Wem nutzt er? Wer hat davon einen Vorteil? Nutzt er denBeschäftigten der ostdeutschen Metallbranche,
die froh sind, einen Arbeitsplatz zu haben und38 Stunden arbeiten zu können? Sie gehören nämlichmdlwanVsIsDcGAlldivBdJwbgaSndmiihsWDAkuritgstdz
Die Gewerkschaften verweisen bei der Gerechtig-eitsdiskussion immer wieder auf den Vergleich von Ostnd West. Hier ist auch vom Kollegen von der FDP da-auf hingewiesen worden, dass das eigentliche Problemm Osten liegt. Die Sonne geht zwar tatsächlich im Os-en auf, aber 80 Kilometer von hier entfernt beginnt einanz anderer Osten, wo die Sonne früher aufgeht. Dortind die tatsächlichen Herausforderungen für die Be-riebe in den neuen Bundesländern. Auch das sollte voner IG Metall bedacht werden.
Herr Kollege Grund, bitte achten Sie auf Ihre Rede-eit.
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All die, die zum Streik aufgerufen haben, leisten dem
Osten einen Bärendienst. Lassen Sie davon ab!
Herzlichen Dank.
Letzte Rednerin dieser Debatte ist die Kollegin
Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Eine Frage, die mir immer und immer wiedergestellt wird, wenn ich in meinem Wahlkreis in Sachsen-Anhalt unterwegs bin, ist: Wann kommt denn nun dieAngleichung des Ostens an den Westen?
Ich weiß nicht, ob die Kollegen von der Opposition ausden neuen Bundesländern, die hier gesprochen haben,andere Wahlkreise haben. Ich will nur sagen: Alle Men-schen warten auf die Angleichung.
Zum Thema: Streik ist schlecht. Wenn man Menschennach ihrer Meinung fragt, dann ist diese ganz eindeutig:Streik verhindert Produktion, Streik kostet viel Geld undzieht oft Unbeteiligte in Mitleidenschaft, Streik verunsi-chert, reibt Nerven auf und entzweit, Streik schädigt mo-mentan die Volkswirtschaft. All das ist richtig. Aberrichtig ist auch, dass Streik das allerletzte Mittel von Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist, um nach un-endlichen Versuchen der Konsensbildung ihren berech-tigten Forderungen Ausdruck zu verleihen.
Nicht umsonst gibt es in Deutschland ein Streikrecht.Glaubt irgendjemand hier im Hause, dass es den Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern in den neuen Bundes-ländern leicht fällt, gerade in dieser Arbeitsmarktsitua-tion die Arbeit niederzulegen?
Ich finde es schon sehr überheblich und anmaßend, denStreikenden in Ostdeutschland Leichtfertigkeit zu unter-stellen.
Gewerkschaften erfüllen keinen Selbstzweck, son-dern sie setzen sich für die Rechte der arbeitenden Be-völkerung ein.
Was war noch einmal die Forderung? Die Forderungwar: Angleichung der Arbeitszeit. Wann wurde diesesVhWlAgVdhfWnJdvNEvzzwwHdnmnvnt97gBBzamAgAhdi
iel wichtiger wäre es gewesen, dass er als Moderatorie Verhandlungspartner wieder an einen Tisch geholtätte. Deshalb gehört, auch wenn es hier nicht jedem ge-ällt, das Thema Arbeitszeit auf den Tisch. Nur durchachstum allein werden wir die Arbeitslosigkeit in deneuen Bundesländern nicht bekämpfen.
eder kann selber nachrechnen: Für Vollbeschäftigung inen neuen Bundesländern brauchen wir ein Wachstumon 50 Prozent, und zwar sofort.Was kenne ich aus meinem Bundesland und auch ausiedersachsen? Arbeitszeitverkürzung hat Lehrern undrziehern Arbeitsplätze gerettet. Herr Hartz – das istorhin auch schon einmal angesprochen worden – hatusammen mit der IG Metall durch Arbeitszeitverkür-ung Zigtausende von Arbeitsplätzen gerettet. Dasurde damals von allen gefeiert. Ist das heute nicht mehrahr?
Niedrigere Löhne, längere Arbeitszeit und EU-öchstfördergebiet sollen Standortvorteile für Ost-eutschland sein. Wenn das stimmen würde, hätten wiricht eine solche hohe Arbeitslosigkeit. Außerdemüssten die Investoren noch heute Schlange stehen undicht in Frankfurt am Main oder München, wo alles sehriel teurer ist. Ostdeutschland ist als Dumpingsektoricht erfolgreich gewesen. Das hat sich nicht bewährt.Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle ermit-elte, dass die Arbeitsproduktivität im Osten bei0 Prozent liegt, die Arbeitskosten dagegen bei3 Prozent. Das führt dazu – das ist auch schon einmalesagt worden –, dass die Lohnstückkosten in den neuenundesländern circa 10 Prozent unter denen der altenundesländer liegen, Tendenz fallend.Wir alle beklagen die Abwanderung junger qualifi-ierter Menschen aus den neuen Bundesländern. Wieber wollen wir Perspektiven schaffen, wenn Unterneh-en nicht einmal bereit sind, gleichen Lohn und gleicherbeitszeit zu gewährleisten? Soll weiterhin die Deviseelten: Abwanderung muss sich lohnen?Zuletzt komme ich zum Gipfel der Infamie. Mancherbeitgeberfunktionäre und Politiker – das hat sicheute auch in dieser Debatte gezeigt – versuchen, wiederie Mauer in den Köpfen hochzuziehen. Die Streikendenm Osten werden wegen des Stillstandes der Produktion
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Waltraud Wolff
im Westen an den Pranger gestellt. Ich frage: Würde je-mand diese Debatte hier führen, wenn es sich, wie meinKollege schon gesagt hat, um Hamburg, Dortmund odereine andere Stadt handeln würde?
Ganz sicher wäre diese Debatte nicht begonnen worden.
Es liegt auch nicht in der Verantwortung der Arbeitneh-mer, dass die Wirtschaft immer enger verflochten ist.„Just in time“ ist der Ausdruck der Rationalisierung undKostensenkung als unternehmerischer Strategie. Dasweiß doch jeder. Auch die Sachsen, die eigentlich dieEinigung blockieren und die IG Metall an dieser Stellevorführen wollen, sollten sich das einmal durch denKopf gehen lassen. Sie beklagen selbst das, was sie ge-schaffen haben. Mit dieser neuen Ost-West-Spaltungagieren solche Arbeitgeber aus meiner Sicht politischsehr gefährlich.Morgen werden die Verhandlungen auf Initiative derIG Metall fortgesetzt. Ich wünsche mir von Herzen, dasssie zu einer guten Einigung kommen, dass sie es schaf-fen, eine stufenweise Angleichung in dieser Frage zu be-kommen.Herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie den Zusatz-
punkt 10 auf:
5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Griefahn, Eckhardt Barthel , Detlef
Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Antje Vollmer, Claudia Roth ,
Volker Beck , weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
50 Jahre Deutsche Welle – Zukunft und Mo-
dernisierung des Deutschen Auslandsrund-
funks
– Drucksache 15/1214 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd
Neumann , Günter Nooke, Renate
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ir sind uns nach Jahren der Diskussion in diesemause weitgehend einig, wie das Deutsche-Welle-Gesetzovelliert werden muss.Heute steht die Deutsche Welle als Auslandsrund-unksender vor neuen Herausforderungen. Mit dem Um-ug in das neue Funkhaus in Bonn, das wir morgeninweihen dürfen, ist die Deutsche Welle dabei, in tech-ischer Hinsicht zum modernsten Sender Europas zuerden. Beides zusammengenommen hebt die Deutscheelle aus der deutschen Rundfunklandschaft heraus.leichzeitig bedarf der Sender der Neuregulierung, dieir nach der Sommerpause gemeinsam angehen werden.Ich möchte der Deutschen Welle heute für die in denergangenen 50 Jahren geleistete Arbeit danken. Sie hat dieser Zeit sehr viel dazu beigetragen, das Bildeutschlands im Ausland positiv zu prägen.Die Arbeit des jetzigen Intendanten und seiner Vor-änger sowie aller seiner 1 500 Mitarbeiter weltweitägt täglich dazu bei, die Menschen in über 60 Ländernu verschiedenen Zeiten in rund 30 verschiedenen Spra-hen mit Informationen aus und über Deutschland zuersorgen und vielfach auch dafür zu sorgen, dass dieenschen etwas über ihre eigene Region erfahren.So hilft die Deutsche Welle in Afghanistan, einenernsehsender aufzubauen. Im Kosovo wurden Familien
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Monika Griefahnzusammengeführt. Auch wird durch die Programme derDeutschen Welle die Informationsfreiheit in vielenLändern gewahrt. Die Deutsche Welle wendet sich anMenschen in aller Welt, die Interesse an Deutschlandund Europa – ich glaube, das ist heutzutage besonderswichtig – haben, wie auch an Multiplikatoren und die sogenannten Infoeliten.Für Deutsche, die zeitweise oder auf Dauer im Aus-land leben, ist die Deutsche Welle eine Brücke zur Hei-mat geworden. Das zunächst in den USA als Pay-TVneu gestartete German TV wird demnächst über Kabel inverschiedenen Regionen der USA ausgestrahlt, damitnoch mehr Menschen erreicht werden. Des Weiterenwird zurzeit erprobt, auch Kanada zu erreichen.1953 startete die Deutsche Welle mit den guten Wün-schen von Theodor Heuss, zur Entkrampfung der deut-schen Außenbeziehungen beizutragen. Dies ist gelun-gen. Seit 1959 tragen arabische Radioprogramme zurErfüllung dieses Wunsches bei. In den 60er-Jahrenwurde das Angebot um mehr als 20 Sprachen erweitert.Seit 1966 hat die Deutsche Welle 17 000 Rundfunk-fachkräfte aus Entwicklungsländern und Osteuropa aus-gebildet, die heute zum Teil als Botschafter, Intendantenoder Minister in ihren Heimatländern arbeiten. Insofernhat die Deutsche Welle einen bedeutenden Beitrag zurMeinungsvielfalt geleistet.Zwei Drittel der Menschheit leben in autoritär odertotalitär regierten Staaten, in denen die fehlende Mei-nungsfreiheit den Informationszugang erschwert. DieseMenschen können sich durch die Deutsche Welle inten-siv informieren.Während der Regierungskrisen in der Tschechoslowa-kei und in Griechenland 1968 und 1969 hat die DeutscheWelle ihre erste Bewährungsprobe als Krisenrundfunkbestanden, was bis heute den guten Ruf des Senders alsfreies Informationsmedium in Krisen und Konflikten be-gründet und seine Fortsetzung in Ruanda und im ehema-ligen Jugoslawien ebenso wie derzeit in Afghanistan ge-funden hat.Sie ist als einziger Fernsehsender mit dem Wieder-aufbau des afghanischen Fernsehens beauftragt. Darü-ber hinaus produziert die Deutsche Welle eine täglicheNachrichtensendung in den Landessprachen Dari undPaschtu für Kabul, Kandahar und Djalalabad und andereafghanische Regionen sowie ein Programmfenster inarabisch für die arabischen Staaten.Begeistert hat mich das neue Projekt „100 Klassen-zimmer für Afghanistan“, mit dem über das InternetSpenden gesammelt werden, um konkrete Ausbildungs-möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler in Afgha-nistan zu schaffen. Das zeigt, wie das neue Medium In-ternet praktische Hilfe vor Ort leisten kann.
Zwar gab und gibt es immer wieder Debatten überSinn und Unsinn der Deutschen Welle im Ausland, überihre Programme und Zielgruppen. Solche Debatten sindaber notwendig; denn ohne sie kann die Deutsche Wellenicht das leisten, was sie leisten soll. In den letzten Jah-rdBBrgPtPawvHDisgsDdzzwdtzüZwSDndeüPAlinfDgkziubdcdbße
Unkenntnis ist immer ein Grund für Vorurteile, Hassnd Intoleranz und macht Verständigung unmöglich. Wirrauchen aber die geistig-kulturelle Verständigung unden Austausch. Das hilft nämlich auch beim wirtschaftli-hen Handeln. Wenn das Bild Deutschlands nicht voner Vergangenheit, sondern von dem, was heute passiert,estimmt ist, dann haben wir die Chance, ein zeitgemä-es, der Lebenswirklichkeit nahe kommendes Image zutablieren. Ich glaube, dass das sehr wichtig ist; denn in
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Monika Griefahnvielen Ländern, die man heutzutage als Deutscher be-sucht, wird man gefragt, ob es denn noch Hitler gebe.Selbst in uns nahe stehenden Ländern wie den USA oderFrankreich ist das Bild und das Wissen übereinandermanchmal erschreckend lückenhaft, wie eine gerade er-schienene Studie des Deutsch-Französischen Jugend-werks wieder zeigt. Zwar haben seit 1963 circa 7 Millio-nen Jugendliche am deutsch-französischen Jugendaus-tausch teilgenommen. Trotzdem haben sie noch immerVorurteile übereinander, auch wenn sie die Beziehungenzwischen Frankreich und Deutschland als gut bis sehrgut einschätzen. Ihr Wissen ist zum Teil sehr stark vonStereotypen geprägt, wie „Baguette“, „Eiffelturm“ und„Käse“ auf deutscher Seite und „Zweiter Weltkrieg“,„deutsche Automarken“ und „deutsche Küche“ auf fran-zösischer Seite. Hier ist noch viel zu tun. Deswegen darfder Dialog nie aufhören.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Zielgruppenori-entierung sehr bedeutsam. Das Internet ist gerade fürJugendliche ein wichtiges Medium. Die Präsenz derDeutschen Welle in den Telemedien ist entscheidend,wenn es darum geht, Multiplikatoren zu gewinnen und– das gilt besonders für den Jugendbereich – den Dialogüber Deutschland zu führen. Mit Radio und Fernsehenalleine lässt sich das nicht erreichen.Der krisenpräventive Bereich ist ebenfalls sehr wich-tig. Wir haben immer zeigen können, dass die DeutscheWelle ein ehrlicher Makler ist. Das wollen wir mit derInternetpräsenz noch verstärken. Dafür ist es aber auchnotwendig, eine enge Zusammenarbeit mit den Verfas-sungsorganen zu organisieren. Bisher stellte die Zulei-tung der jährlichen Aufgabenplanung an den Bundestagquasi Anfangs- und Endpunkt der Zusammenarbeit dar.Die Formalien waren eingehalten.Wir wollen zukünftig einem transparenten Prozess,der es der Deutschen Welle in einer Art Selbstevaluationermöglicht, in Konsultationen mit dem Bundestag, mitder Bundesregierung und mit der Öffentlichkeit überZielgruppen, Aufgabenplanung, Sendegebiete und Ver-triebswege zunächst selbst zu bestimmen und dann ineinem offenen Prozess zu justieren. Das Parlamentbekommt somit die Möglichkeit, sich mit der Arbeit derDeutschen Welle intensiver als bisher auseinander zusetzen, sich in diesen Prozess einzuklinken und darüberzu diskutieren, wo die Schwerpunkte der Zukunft liegen.Sicherlich muss auch das im Gesetz geregelt werden.
Die Deutsche Welle soll sich weiterhin bei der Ver-breitung von Sprachkursen engagieren. Wichtig ist au-ßerdem, dass sie mittelfristig Planungssicherheit be-kommt. Das Parlament will ihre Arbeit weiterhinwohlwollend begleiten. Dafür muss aber ein Dialog mitdem Parlament vorhanden sein. Die Vermittlung vonDemokratie und Menschenrechten und ihre praktischeUmsetzung in der täglichen medialen Arbeit sind ebenein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen die technischenEzitcmdllvbrNDsW–TRndIod1t3eh–drWfrDeKM
Vorsichtig! – Dennoch werden sich auch bei diesemhema einige Anmerkungen zur Verantwortung vonot-Grün nicht vermeiden lassen. An sich ist es ange-ehmer, Geburtstagsreden auf Empfängen zu halten;enn da sind einfach mehr Menschen, die zuhören.
ch danke Ihnen allen sehr herzlich, dass Sie hier sind,bwohl dieser Empfang nicht mit einem Buffet verbun-en ist.
Zum Geburtstagskind: Herzlichen Glückwunsch den500 Mitarbeitern der Deutschen Welle und ihrem In-endanten Erik Bettermann! Die Deutsche Welle ist mit0 Hörfunkprogrammen in 30 Sprachen, die weltweitmpfangen werden können, sowie mit dem seit 1992inzugekommenen Fernsehprogramm, das dreisprachig ebenfalls weltweit – ausgestrahlt wird, der entschei-ende Faktor außenmedialer Repräsentanz der Bundes-epublik Deutschland. Man schätzt, dass die Deutscheelle weltweit etwa 30 Millionen Menschen über Hör-unk und 25 Millionen Menschen über das Fernsehen er-eicht. Diesen Menschen wird ein umfassendes Bildeutschlands vermittelt. Die Deutsche Welle ist deshalbin unverzichtbarer Eckpfeiler im Rahmen auswärtigerulturpolitik.Ich habe noch Verständnis dafür, dass die zuständigeinisterin, die Staatsministerin im Kanzleramt für die
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Bernd Neumann
Angelegenheiten der Kultur und Medien, heute nicht aufder Regierungsbank sitzt, weil sie sich mit den Minister-präsidenten trifft, um über ein vergleichbares Thema zusprechen. Ich habe allerdings überhaupt kein Verständnisdafür – die Deutsche Welle ist ein wichtiger Faktor derauswärtigen Kulturpolitik –, dass noch nicht einmal einStaatssekretär aus diesem Ressort – Herrn Fischer habeich ohnehin nicht erwartet; er versteht davon auch zuwenig – hier anwesend ist. So missachten Sie den50-jährigen Geburtstag einer Rundfunkeinrichtung, diesie selbst finanzieren. Ich finde, das ist unmöglich.
50 Jahre Deutsche Welle, das ist ein Grund, einmaldie Leistungen der Vergangenheit herauszustellen; es istaber natürlich auch Anlass, lieber Kollege Marschewski,nicht über Ihre, sondern über die Zukunft der DeutschenWelle nachzudenken.
Die gravierenden politischen und kulturellen Verän-derungen und Umbrüche in Europa und in vielen Teilender Welt, auch die Veränderungen im Bereich der Kom-munikationstechnologie, stellen die Deutsche Welle vorneue Herausforderungen und Aufgaben, die eine No-vellierung des Deutsche-Welle-Gesetzes unverzichtbarmachen. Umso mehr bedauern wir, verehrte KolleginGriefahn, dass die in der Koalitionsvereinbarung von1998 von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angekün-digte und von der Bundesregierung mehrfach zugesagteNeugestaltung des deutschen Auslandsrundfunks bisheute nicht erfolgt ist. Seit fünf Jahren versprochen –bisher nicht vorgelegt. Das ist kein gutes Zeichen zum50. Geburtstag.
Wir haben in dem vorliegenden Antrag unsere Posi-tionen zur Zielsetzung der Novellierung klar gemacht.Lassen Sie mich einige Anmerkungen dazu machen:Die Hauptzielsetzung des Auslandsrundfunks mussdie Vermittlung eines umfassenden Bildes des politi-schen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens inDeutschland mittels Hörfunk, Fernsehen und neuerdingsnatürlich auch Internet sein und bleiben. Nichts gegenden Dialog der Kulturen – er gehört dazu –, aber er istnicht prioritär; prioritär ist die Vermittlung eines Bildesvon Deutschland in der Welt.
In Ländern ohne oder mit eingeschränkter Informa-tionsfreiheit kann die Deutsche Welle als Stimme derFreiheit eine zusätzliche wichtige Aufgabe wahrnehmen.In diesem Zusammenhang kommt der Deutschen Wellenämlich die wichtige Aufgabe zu, gerade nach dem Endedes Kalten Krieges Programme in die Länder Ost- undSüdosteuropas auszustrahlen. Weder in Russland noch inder Ukraine oder gar in Weißrussland herrscht Presse-freiheit, wie wir sie im Westen Europas kennen. In derRegel sind die elektronischen Medien in den meistenGUS-Republiken staatlich gelenkt. Folglich sind dieMEasKszrwGdgzsEdGhtisddGdHKatesdGenssuIp2MzWkahdaSnw
Beim künftigen Auftrag der Deutschen Welle, den wireu formulieren wollen, müssen die Förderung der deut-chen Sprache und ihre Bedeutung als Vermittlungsin-trument im Hörfunk- und Fernsehprogramm im Gesetznmissverständlich verankert werden.
ch sage dies deshalb, weil in einem Nida-Rümelin-Pa-ier – Nida-Rümelin war der frühere BKM – im Jahr002 entgegengesetzte Zielsetzungen formuliert waren.an hatte vorgesehen, das deutschsprachige Programmu reduzieren. Das ist inakzeptabel. Der umgekehrteeg ist der richtige.Ein ganz wichtiger Punkt ist die Staatsunabhängig-eit der Rundfunkanstalt Deutsche Welle. Diese mussuch in Zukunft gewährleistet sein. Die Deutsche Welleat zwar einen gesetzlich definierten Auftrag im Diensteer Bundesrepublik Deutschland zu erfüllen. Sie ist aberls Mitglied der ARD eine Rundfunkanstalt, bei der dertaatseinfluss den verfassungsrechtlichen Kriterien ge-ügen muss. Hiermit meine ich die Rundfunkfreiheit,ie sie in Art. 5 Grundgesetz normiert ist. Auch wenn
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Bernd Neumann
die Deutsche Welle aus dem Bundeshaushalt finanziertwird, muss die Staatsferne ihres Programms gewährleis-tet sein. Aussagen wie jene aus einem Papier des frühe-ren BKM – der heutige ist leider nicht vertreten – vomSeptember 2000, in denen die Meinung vertreten wird,die Deutsche Welle habe „politische Überzeugungsarbeitzu leisten“ und die Programmangebote müssten sich an„politischen Leitentscheidungen ausrichten“, sind völligabwegig.
– Es ist ja schön, dass das Schnee von gestern ist. Dasändert aber nichts daran, dass einer Ihrer Staatsministerso gedacht hat. Allein der Gedanke ist abwegig. Sie soll-ten solche Gedanken gar nicht äußern.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da einige von Ih-
nen gleich noch reden werden, muss jetzt nicht alles
gleichzeitig vorgetragen werden.
Die Wahrheit ist manchmal unangenehm; sie darf
aber nicht verschwiegen werden. Deshalb ist die Deut-
sche Welle in vielen Ländern vertreten.
Natürlich muss das Parlament im Deutsche-Welle-
Gesetz den Rahmen, wenn auch weit gefasst, für den
Programmauftrag festlegen. Die geplante Selbstevalu-
ation der Ziele und Aufgaben der Deutschen Welle sollte
selbstverständlich in regelmäßigen Abständen in Kon-
sultation mit dem Bundestag und der Bundesregierung
stattfinden; aber Eingriffe in die Programmverantwor-
tung und Einflussnahme auf das Programm seitens der
Politik sind unzulässig. Um dies sicherzustellen, treten
wir in Abstimmung mit unseren Haushaltspolitikern da-
für ein, dass die Finanzierungshöhe wie bei den Landes-
rundfunkanstalten von einer unabhängigen Kommission
ermittelt wird. Das Ergebnis kann dann dem Parlament
als Anhaltspunkt für seine Beschlussfassung dienen.
Um die Unabhängigkeit des Auslandsrundfunks von
aktuellen politischen Lagen sicherzustellen, muss wie
bei den Landesrundfunkanstalten eine mittelfristige, das
heißt mehrjährige, Finanz- und Planungssicherheit ge-
währleistet sein. Ohne Finanz- und Planungssicherheit
kann man eine Rundfunkanstalt im Grunde genommen
nicht führen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu miss-
billigen – ich kann es Ihnen nicht ersparen –, dass unter
Ihrer Verantwortung, also unter der Verantwortung der
rot-grünen Bundesregierung und der sie tragenden Frak-
tionen, in den letzten Jahren bei der Deutschen Welle
ohne jedwedes Konzept und ohne Aufgabenkritik ein fi-
nanzieller Kahlschlag erfolgt ist, und zwar von 1999 bis
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Dr. Antje Vollmerheute nur anreißen können. Natürlich muss sich das Par-lament mit der Deutschen Welle beschäftigen; denn im-merhin macht das Budget der Deutschen Welle von indiesem Jahr 277 Millionen Euro ungefähr ein Drittel desgesamten Kulturhaushalts des Bundes aus. Das ist ein er-heblicher Batzen, den man nicht kleinreden sollte, zumalin heutigen Zeiten.
– Wir leisten uns damit auch etwas. Aber nicht nur ausdiesem Grunde beschäftigen sich die Parlamentarier da-mit, sondern auch, weil sie eine wichtige mediale Visi-tenkarte für die Bundesrepublik ist.Damit nicht nur Schönes und Gutes gesagt wird,wozu es viel Grund gibt, möchte ich auch einige Punktefesthalten, über die wir ernsthaft und teilweise auch kri-tisch miteinander diskutieren müssen.Die Finanzen sind nicht nur heute, angesichts unsererGesamtlage, ein zentraler Punkt. Ich verstehe das Be-dürfnis des Senders nach möglichst langfristiger Pla-nungssicherheit und einem großzügigen Budget natür-lich sehr gut. Jeder von uns möchte das, gerade dieInstitutionen, die vom Bund auf doch relativ sicherenGrund gestellt werden. Allerdings muss inzwischen auchallen Beteiligten deutlich geworden sein, wie knapp un-ser Haushalt ist. Es gilt also, mit den vorhandenen Mit-teln sehr sorgfältig umzugehen. Genau dies bietet aberimmer die Chance, Prioritäten zu setzen, und über diesePrioritäten müssen wir sehr offen diskutieren.Wir müssen darüber diskutieren, in welche Richtungsich die Deutsche Welle eigentlich entwickeln soll, wel-che Zielgruppen auf welchen medialen Kanälen und zuwelchem Zweck angesprochen werden sollen. Hier istmeines Erachtens eine Besinnung auf relativ wenigeGrundaufgaben und eine Schwerpunktsetzung auf be-stimmte Regionen notwendig, nämlich auf die Regionen,in denen das Interesse an Deutschland eine ganz beson-dere Rolle spielt. In diesem Zusammenhang denke ich inerster Linie an Asien, an Zentralasien und an Osteuropa.Dort gibt es ein riesiges Bedürfnis, Kontakt zu unseremLand zu haben, und eine ebenso starke Orientierung aufunser Land hin. Dies müssen wir auch in der Bildungs-politik berücksichtigen, weil so viele Eliten zu uns kom-men wollen. Für sie ist die Deutsche Welle häufig dasEinstiegstor.In diesem Zusammenhang bitte ich die Verantwortli-chen aber auch um Mut und Ehrlichkeit in der Einschät-zung des Projektes German TV. Nach einer sehr hartenAnfangszeit sind die ersten 5 000 Abonnenten in denUSA gewonnen.
Ein Konkurrent, der Pleite ging, mag auch dazu beigetra-gen haben. Die darüber hinaus notwendigen 65 000 Abon-nenten müssen in den nächsten Jahren noch gewonnenwerden. Wenn das gelingt, ist es schön; gelingt es nicht,shAhJzRDSsslrftmcVsKhRhudtstjpBtGcbshAdwsOt
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichabe drei Minuten, um diesem großartigen Sender meineeverenz zu erweisen. Bitte, lieber Herr Bettermann, ge-en Sie davon aus: Ich schließe mich allen guten Wortennd Dankesworten an die Kolleginnen und Kollegen beier Deutschen Welle von Herzen an.Ich möchte mich auf einige wenige Punkte konzen-rieren. Man könnte jetzt natürlich auch etwas zu derchwierigen Stellensituation und zu der schwierigen Si-uation der freien Mitarbeiter sagen. Aber all das kannetzt hier nicht hinreichend gewürdigt werden.Die Deutsche Welle ist ein Instrument der Außen-olitik. Das ist ein wichtiger Punkt. Natürlich ist sie imesonderen ein Instrument der auswärtigen Kulturpoli-ik, aber ihre Existenz begründet sich nicht auf demrundversorgungsauftrag der übrigen öffentlich-rechtli-hen Rundfunkanstalten. Das muss man immer im Kopfehalten. Das heißt nicht, dass man irgendeine Ein-chränkung an Grundprinzipien wie der Rundfunkfrei-eit vornehmen dürfte; das würden Liberale nie tun.ber der Auftrag ist ein außenpolitischer, der, wie ichenke, im Wesentlichen hervorragend wahrgenommenird. Die Flexibilität, die die Deutsche Welle in Krisen-ituationen aufgebracht hat, nach dem Umbruch imsten, auf dem Balkan in den 90er-Jahren, jetzt in Zen-ralasien und überhaupt im asiatischen Bereich, in Af-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4401
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Dr. Werner Hoyerrika, ist eine hervorragende Leistung. Damit wird auchder außenpolitische Auftrag erfüllt.Deshalb bin ich der Auffassung: Wenn wir über dasneue Gesetz sprechen, müssen wir darüber reden, ob esrichtig ist, die Deutsche Welle, die früher dem BMI zu-geordnet war, jetzt beim BKM anzusiedeln, oder obnicht eine Ansiedlung beim Auswärtigen Amt konse-quenter und angemessener wäre.
– Das ist allerdings der Hammer. Wenn ich so scharf da-rauf wäre, die Deutsche Welle in meinen Bereich hinü-berzuziehen, wie der Bundesaußenminister, der das ganzgerne sehen würde, dann hätte ich dafür gesorgt, dassdas Auswärtige Amt heute hier vertreten ist. Das kannich nur deutlich unterstreichen.
Die große Rolle der Deutschen Welle ist auch nichtdadurch kleinzureden, dass man fragt: Wer hört dennheute noch Kurzwelle oder Mittelwelle? Die Menschen,die in Unfreiheit leben, die sehr daran interessiert sind,eine glaubwürdige Informationsquelle geboten zu be-kommen, nutzen jedes Medium, das ihnen zur Verfügungsteht. Wenn sie das Internet nutzen können, nehmen siediese Möglichkeit sicher gerne wahr, aber sie werden imZweifel auch auf Langwelle, Kurzwelle oder Mittelwellezurückgreifen. Nicht immer wird die Möglichkeit beste-hen, mit einem örtlichen UKW-Anbieter zusammenzuar-beiten. Auf jeden Fall darf man diese Aufgabe der Deut-schen Welle nicht kleinreden. In manchen Gebieten istdieses Medium nach wie vor als seriöse und überauswichtige Informationsquelle erforderlich.Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Vollmer hatzu Recht angesprochen, dass es Fehlentwicklungen gibt;diese sehe auch ich. Ich bin nicht glücklich darüber, wieschwer es seit vielen Jahren ist – das weiß ich auchdurch meine frühere Tätigkeit im Verwaltungsrat derDeutschen Welle –, die Synergieeffekte zwischen derDeutschen Welle und den öffentlich-rechtlichen Rund-funkanstalten zu organisieren,
und wie gemauert wird, wenn es im Hinblick auf Rechtedarum geht, aus dem Programm der öffentlich-rechtli-chen Rundfunkanstalten in die Deutsche Welle einzu-speisen. Es ist sehr viel besser geworden; komischer-weise war German TV dabei eine Brücke, diebeschritten worden ist.
Es ist in der Tat sehr ärgerlich, dass die Zusammenar-beit erst funktioniert, nachdem es zu der Fehlentwicklungdes German TV gekommen ist. Das ist ein Skandal.
Ich finde es ziemlich unerträglich, dass wir die Welt überGerman TV mit deutschen Seifenopern beglücken undddaDsgsmLedgDdddsN
iese Gelder werden auf Dauer bei der normalen Fern-ehversorgung durch Deutsche Welle TV und eines Ta-es möglicherweise sogar im Rundfunkbereich fehlen.Jetzt hören wir, wir hätten von den 65 000 – andereagen 80 000 – erforderlichen Abonnenten gerade ein-al 5 000 gewonnen. Das war schon mühsam genug.eute, begrabt das Projekt und steckt das Geld dahin, wos bei der Deutschen Welle dringend gebraucht wird!
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 15/1214 und 15/1208 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –amit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann sindie Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten GünterNooke, Bernd Neumann , RenateBlank, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUFusion der Kulturstiftung der Länder und derKulturstiftung des Bundes– Drucksache 15/1099 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
InnenausschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto , Helga Daub, RainerFunke, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPFusion der Kulturstiftung des Bundes mit derKulturstiftung der Länder– Drucksache 15/1113 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
InnenausschussHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist füriese Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. – Auchazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-chlossen.Ich erteile als erstem Redner dem Kollegen Günterooke, CDU/CSU, das Wort.
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4402 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Dassgerade heute im Deutschen Bundestag ein wichtigesThema der Kulturpolitik auf der Tagesordnung steht, istkein Zufall. Dass die Debatte verhältnismäßig früh – beiTageslicht – stattfindet, unterstreicht zusätzlich, dass esuns mit diesem Thema ernst ist. Wenn noch dazu zweiAnträge der Opposition – aber kein Antrag der Regie-rungskoalition – die Gründe für die Debatte sind, dannweiß jeder: Hier ist Gefahr im Verzug, aber es bestehtnoch eine kleine Chance, das Schlimmste zu verhindern.Worum geht es? Es geht darum, die seit vielen Jahrenerfolgreich arbeitende und vom Bund und den 16 Län-dern gemeinsam finanzierte Kulturstiftung der Länderund die erst vor einem Jahr gegründete Kulturstiftungdes Bundes zu fusionieren. Ihre Fördermaßnahmen über-schneiden sich teilweise. Das allein wäre ein Grund füreine Zusammenführung. Aber auch die Wahrnehmungihrer Aktivitäten könnte bei einer Zusammenlegung ver-bessert werden. Wir haben also nichts gegen eine Fu-sion. Ich denke, alle hier im Haus sind der gleichen Mei-nung.Doch was in dem Eckpunktepapier der Staatsminis-terin für Kultur und Medien vorgeschlagen wird, ist ausunserer Sicht die schlechteste der denkbaren Möglich-keiten, diese Fusion zu gestalten. Im Prinzip soll nämlichalles beim Alten bleiben. Es soll nur ein neues gemeinsa-mes Dach entstehen.Wir debattieren heute und zu dieser Stunde darüberim Bundestag, weil dieses Eckpunktepapier am späterenNachmittag, also zur selben Stunde, Grundlage der Bera-tungen der Ministerpräsidenten beim Kanzler über dieStiftungsfusion ist. Insofern haben wir ein gewisses Ver-ständnis, dass die Staatsministerin nicht anwesend ist.Aber dieses Verständnis hält sich in Grenzen, weil esbesser gewesen wäre, wir hätten erst einmal im Parla-ment über diese Punkte gesprochen, ehe man sich an-hört, was die Wünsche der Ministerpräsidenten sind.
Es ist unnötig, zu betonen, dass unser Antrag die bes-sere Grundlage für diese Beratung ist. Zusätzlich mussman betonen, dass unser Antrag auch die bessere Grund-lage für die Position der Bundesregierung in den Ver-handlungen mit den Ländern wäre; denn wir vertretenkeineswegs nur Länderinteressen. Auch die Länder ha-ben ein Eckpunktepapier vorlegt, das der ehemaligeStaatsminister für Kultur und Medien, Herr Naumann,heute in der „Zeit“ als „bürokratisches Monstrum“ be-zeichnet hat. Wenn man sich dieses Papier ansieht, dannmuss man sagen, dass es sich nicht nur gegen die Kultur-förderung in Deutschland richtet, sondern auch alleHoffnungen auf eine Reform des Föderalismus ad ab-surdum führt. Wir wollen nicht ausschließen, dass un-sere Debatte noch dazu beiträgt, dass die Einsicht an ei-ner anderen Stelle in dieser Stadt noch zunimmt undetwas Vernünftiges aus dieser Fusion der Kulturstiftun-gen hervorgeht.Es ist wichtig, festzustellen, dass 50 Millionen Euroverteilt werden. Damit handelt es sich um die größteKZlidAasndunsgFbmOmkkkaemndGwemnzahksdugFDZmDGwnfdd
nstatt weiter wie zuletzt im Mai dieses Jahres – dasabe ich schon erwähnt – Papiere zu erstellen, in denenomplizierteste Konsultationsverfahren für den Fall kon-truiert werden, dass der Bund die Kultur überhaupt för-ern wolle.Wo, wenn nicht in der entstehenden Stiftung, könntenser föderales Prinzip der Kulturförderung sinnfälligeremacht werden? Wir sollten uns gemeinsam von derrage leiten lassen: Was dient der Kulturförderung ineutschland am besten? Denn am Ende wird sich dieusammenführung der Stiftungen daran messen lassenüssen, ob sie zur Förderung von Kreativität ineutschland einen Beitrag geleistet hat. Es geht imrunde um nichts anderes als um Kulturförderung imeiten und besten Sinne.Um unseren Antrag nicht zu wiederholen, greife ichur kurz einige Aspekte auf, die uns bei der Zusammen-ührung der beiden Stiftungen wichtig sind: Um eineauerhafte Konkurrenz zu dieser Förderung durch an-ere bestehende und künftige Förderinstrumente, vor
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Günter Nookeallem im Rahmen des Hauptstadtkulturfonds, auszu-schließen, sind Modalitäten zu formulieren, die eine un-bürokratische und sich ergänzende Arbeit überhauptmöglich machen. Bestehende andere Förderinstrumentesind im Zuge der Neugestaltung daraufhin zu überprü-fen, ob sie Teil der Stiftung werden und in das neue Ge-bilde mit eingebaut werden könnten. Bei internationalenProjekten ist die Abstimmung mit den Trägern der aus-wärtigen Kulturpolitik und auch der Bildungspolitik zugewährleisten.Besonders wichtig ist aus unserer Sicht: Das Instru-ment der allgemeinen Projektförderung muss erhaltenbleiben, also die Möglichkeit von Künstlern, Kulturein-richtungen und anderen, Anträge zur Förderung zu stel-len. Das ist im Eckpunktepapier der Staatsministerinnicht mehr vorgesehen.
Der derzeit bestehende grundsätzliche Ausschluss derinstitutionellen Förderung im Rahmen der Kulturstiftungdes Bundes ist nicht in die neu entstehende Stiftung zuübernehmen.Ich wünsche mir alles in allem, dass sich diese Ge-sichtspunkte in den künftigen Gesprächen wiederfinden.
Das würde die Chance erheblich erhöhen, dass es künf-tig eine gemeinsame Stiftung von Bund und Ländernund darüber hinaus eine von allen Fraktionen des Deut-schen Bundestages gemeinsam beschlossene DeutscheKulturstiftung gibt.Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Eckhardt Barthel,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Nooke, ich weiß nicht, warum es mir so geht;aber jedes Mal, wenn ich Sie höre – ich will Ihnen einenTipp geben –, habe ich das Bedürfnis, Ihnen zuzurufen:Denken Sie doch bloß einmal positiv!
Wir haben vorhin Geburtstagsreden zum 50-jährigenBestehen der Deutschen Welle gehört. Was wir jetzt ma-chen, könnte man vielleicht so beschreiben: Wir befin-den uns in einer Geburt, die bereits seit 30 Jahren andau-ert.
Jetzt schaffen wir es endlich, etwas umzusetzen, waswir, zumindest die Kulturpolitiker auf Bundesebene,aber auch viele Kulturpolitiker auf Landesebene, schoninwneegRwdZzdePhetuKnLsHdmgDdkuuLduIEddbs
Ich weiß, dass ich nicht der Einzige hier im Saal bin,er es zutiefst bedauert hat, dass wir diesen Föderalis-usstreit ausgerechnet auf dem Rücken der Kultur aus-etragen haben.
a bin ich mit vielen einig. Insofern finde ich erfreulich,ass dieser Streit in letzter Zeit durchaus etwas abge-lungen ist und dass, während wir hier über Verfahrens-nd Gestaltungsanträge debattieren, der Bundeskanzlernd die Bundesregierung mit den Regierungschefs deränder über eine Systematisierung – ich lege Wert aufieses Wort anstelle von „Entflechtung“ – diskutierennd versuchen, den erforderlichen Rahmen zu schaffen.ch bin eigentlich ziemlich sicher: Es wird ein positivesrgebnis geben. Das werde ich an den Umständen bzw.en Kräfteverhältnissen der beiden Parteien messen.Im Rahmen dieser Systematisierung bekennen sicher Bund und die Länder zu einer engen Zusammenar-eit in der Kulturförderung. Diese Aussage ist schonehr schön. Ich darf zitieren:Die Stärkung der Kulturstaatlichkeit Deutschlandsund die Förderung des kulturellen Lebens im Innernund nach außen ist gemeinsame politische Aufgabevon Bund und Ländern
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Eckhardt Barthel
– und jetzt kommt etwas, was mich in der Erwartung be-stärkt, dass der Kompetenzstreit auch in Zukunft nichtgänzlich verfliegen wird –im Rahmen ihrer jeweiligen Verantwortung.Darüber werden wir uns im Einzelfall sicher noch häufigzu unterhalten haben.Bei allem, was man an diesem Eckpunktepapier kriti-sieren kann, hoffe ich aber, dass Auseinandersetzungenin Zukunft – wenn es sie schon gibt – wenigstens ratio-naler als bisher werden. Ich will in dem Bild bleiben:Vielleicht gelingt es, dass bei solchen Konflikten dererste Blick der Kultur und erst der zweite der Hoheit gilt.
In den parallel zu unserer Debatte laufenden Gesprä-chen geht es um die Festlegung von Eckpunkten für dieSystematisierung der Kulturförderung von Bund undLändern und ganz konkret und logischerweise um dieEckpunkte für die Fusion beider Stiftungen. Es geht umEckpunkte, um nicht mehr und nicht weniger.Dann stellt sich logischerweise die Frage – das klangbei Herrn Nooke an; auch andere werden das fragen –:Welche Rolle spielt der Bundestag in diesem Prozess?
– Das ist sowieso vorausgesetzt, weil von dort die Finan-zierung kommt, die übrigens Sie und die FDP eigentlichabschaffen wollen; Sie wollen eine Sockelfinanzierung.
Sie haben 2 Milliarden Euro vorgeschlagen. Ich kennekeinen hier im Raum, der dem nicht sofort zustimmenwürde. Aber sagen Sie uns dann bitte auch, woher dasGeld kommen soll.
Die CDU war in diesem Punkt ehrlicher. Sie hat gesagt:Das machen wir längerfristig. Ein gewisser Realitätssinnist dem nicht abzusprechen. Aber Sie von der FDP wol-len ja gleich 2 Milliarden Euro. Das ist mehr als dasDoppelte des Haushaltes der BKM.Man muss ehrlich sagen: Wir sind bei dieser Konstel-lation nicht Herr des Verfahrens. Über Ihre Klage, Siewürden zu wenig beteiligt, will ich doch meine Verwun-derung ausdrücken. Auch Sie – wir alle im Kulturaus-schuss – kannten das Eckpunktepapier.
– Sie sind gar nicht im Kulturausschuss. Herr Otto kenntes.
– Das reicht manchmal nicht.
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it der Fusion der Stiftungen ist nämlich auch das Zielerbunden – jedenfalls glaube ich das –, die Worthülsekooperativer Kulturföderalismus“ mit Inhalt zu füllen.ch zitiere den von mir hoch verehrten Michael Naumann:s darf „kein neues bürokratisches Monstrum des Föde-alismus“ dabei herauskommen. Diese Meinung teilech. Es wird unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dassas nicht passiert.Nebenbei bemerkt: Ich bin froh darüber, dass unsereartner in Zukunft nicht mehr die Staatskanzleien, son-ern für Kultur Verantwortliche sein werden. Ich glaube,as wird die Arbeit mächtig erleichtern.
Ich kann es mir nicht verkneifen, zum Antrag derDP noch ein Wort zu sagen: Sie hat in ihrem Antrag ge-chrieben, sie wolle die „Konkurrenzen zwischen Bundnd Ländern in der Kulturförderung beenden“. Dazuage ich Ihnen – es ist erstaunlich, dass ich das an diedresse der FDP sage –: Ich habe gar nichts gegen Kon-urrenz.
ch hatte kein Problem mit der Konkurrenz, sondern miter Blockierung von Vorhaben des Bundes durch die
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Länder. Das ist der Punkt. Die Blockade muss beendetwerden, nicht die Konkurrenz.
Ich weiß nicht, warum ich mich jetzt an der FDP auf-hänge; vielleicht, weil es so schön ist. Einiges ist merk-würdig: Vor vier Wochen haben Sie eine Presseerklärungherausgegeben, die sich inhaltlich auf das bezieht, washeute verabschiedet werden soll. Ich zitiere:Der Grund für die Einbeziehung der Stiftung Kul-turfonds ist nicht ersichtlich.Im Antrag schreiben Sie:Die Integration der Stiftung Kulturfonds ist denk-bar.Sie sollten sich besser abstimmen. Ich halte die Integra-tion der Fonds in diese Stiftung in der Tat für sinnvoll,weil das die Arbeit gewaltig erleichtert.Mit dieser Fusion schaffen wir die größte Kulturstif-tung Europas. Es ist in der Tat richtig, dass der Bund38 Millionen Euro zahlt, weitere 8 Millionen Euro wer-den über die Länderstiftung eingebracht. Herr Nooke– leider telefonieren Sie gerade –, ich wünschte mirauch, dass sich aus dieser ungleichen Verteilung der Mit-tel auch eine ungleiche Entscheidungskompetenz er-gibt. Bei einigen Säulen ist das ja so; das sollte mannicht ganz vergessen. Trotzdem hätte ich mir ein stärke-res Gewicht gewünscht.
In der Politik habe ich aber gelernt, dass man erst dasProblem erkennen muss, bevor man es lösen kann. Dem-entsprechend wird unsere Arbeit an diesem Eckpunktpa-pier aussehen. Wir werden dieses Thema aufnehmen unddiskutieren. Ich bin mir sicher, dass wir an viele Punktenoch ein Fragezeichen setzen werden.In der Grundtendenz sind wir uns aber darüber einig,dass wir diese Fusion wollen. Wir wissen, dass wir sienur – ob uns das gefällt oder nicht – zusammen mit denLändern erreichen können. Ich glaube, dass am Ende einpositives Ergebnis herauskommen wird. Die CDU/CSUund die FDP begrüßen in ihren Anträgen die Fusion.
– Ja, das haben Sie aber nicht geschrieben. Herr Nooke,das ist eine schöne Arbeitsteilung: Wir machen die Fu-sion und Sie begrüßen sie. Das ist eine schöne Regelung.Danke.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Pieper von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Barthel, mich wundert und enttäuscht Ihr Vor-wK–mddtug„ovdBwVdpvP–biäKLsZlnisdmheehm–dw
Gut, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie das zurückneh-en. Ich will Sie nur daran erinnern, dass wir beide zuem Thema schon Podiumsdiskussionen geführt haben,ass ich neben meinem Kollegen Otto Initiatorin des An-rages zu dem Thema „Kulturstiftung des Bundes“ binnd dass wir in der Sache an sich an einem Strang gezo-en haben, sonst hätten wir wahrscheinlich das ThemaKulturstiftung des Bundes“ heute nicht auf der Tages-rdnung.Lassen Sie mich noch einmal sagen: Für mich ist eserwunderlich, dass das Hohe Haus, das Parlament, beiieser Debatte über die Fusion der Kulturstiftung desundes mit der Kulturstiftung der Länder nicht beteiligtird. Das hat der Kollege Nooke zu Recht angemahnt.on daher kann ich nur sagen: Um Kultur muss sich je-er Abgeordnete dieses Hauses kümmern. Ein Eck-unktepapier, das von der zuständigen Staatsministerinorgelegt und dann nicht mit den Kulturpolitikern imarlament diskutiert wird, finde ich schon eigenartig.
Dann legen Sie es bitte auch dem Parlament vor undetrachten es nicht nur als ein Dokument, mit dem Siem Kulturausschuss umgehen.Meine Damen und Herren, ich will mich zur Sacheußern und ganz klar sagen: Die geplante Fusion derulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung deränder wird von der FDP-Bundestagsfraktion grund-ätzlich begrüßt.
u denken gibt uns aber, was wir aus den Staatskanz-eien der Länder hören. Auch Äußerungen der Staatsmi-isterin sind für uns eher unbefriedigend. Heute warnthr Vorgänger in der „Zeit“ sogar vor einer Fusion. Erchreibt, sie könne zur Entwertung der Bundesbehörde,es Staatsministers für Kultur, führen. Michael Nau-ann nennt die Tatsache, dass der Kulturausschuss bis-er in die Konsultationen nicht einbezogen wurde, sogarinen „Skandal im Skandal“. Recht hat er und wie Rechtr hat, zeigt sich heute. Frau Weiß – ich sagte es schon –at offensichtlich kein Interesse daran, sich in der Sacheit dem Parlament auseinander zu setzen.
Was wahr ist, muss wahr bleiben. Wir glauben, dassie Fusion in die falsche Richtung geht. Deshalb habenir unsere Forderungen zu Papier gebracht.
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Cornelia Pieper– Frau Griefahn, es wäre besser, Sie hörten sich an, wasdie Opposition dazu zu sagen hat.
Frau Kollegin Pieper, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Barthel?
Nein, ich möchte meine Gedanken zur Fusionsdebatte
hier fortführen und vortragen können, Herr Präsident.
Erstens. Die Aufgaben und Ziele der Deutschen Kul-
turstiftung müssen nach unserer Auffassung aus den bis-
herigen Stiftungszwecken der Kulturstiftung des Bundes
und der Kulturstiftung der Länder resultieren. Notwen-
dig erscheint uns aber auch die Evaluation der bisherigen
Arbeit beider Stiftungen, und zwar vor deren Zusam-
menschluss und durch ein unabhängiges, mit Kunst- und
Kultursachverständigen besetztes Gremium.
Zweitens. Der institutionellen Kulturförderung
müssen Bund und Länder weiterhin gerecht werden, wo-
bei eine Kontrolle der Mittelvergabe durch die jeweili-
gen Parlamente gewahrt bleiben muss.
Drittens. Ein für die Liberalen entscheidender Punkt
ist, dass weder der Bund noch die Länder oder die Ge-
meinden Antragsteller sein dürfen. Antragsteller müssen
die Produzenten, die Künstler oder die Beteiligten an ei-
nem zu fördernden Projekt sein.
Nur so ist gewährleistet, dass alle sich um Förderung be-
mühenden Projekte von der Stiftung auch begutachtet
werden.
Viertens. Die Arbeit der Stiftung muss transparent
sein. Die Vergabe von Mitteln durch die Stiftung muss
klar und nachvollziehbar sein. Deswegen fordern wir,
dass die Vergabe finanzieller Mittel auf ein unabhängi-
ges Kuratorium übertragen wird. Bei der Schaffung der
Kulturstiftung dürfen wir es nicht versäumen, effiziente
Strukturen aufzubauen. Es muss eine neue Personal-
struktur aufgebaut werden – das sage ich ganz klar zur
Regierungskoalition –, weil es nicht sinnvoll ist, die Per-
sonalstellen aus beiden Stiftungen einfach nur zu addie-
ren. Wie bei der Fusion des Goethe-Instituts mit Inter
Nationes muss die so genannte Fusionsrendite nach un-
serer Auffassung aber der Kultur erhalten bleiben.
Frau Kollegin Pieper, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident.
Fünftens. Herr Barthel, wir glauben – das möchte ich
nur noch ganz kurz sagen –, dass der beste Weg, um eine
größtmögliche Unabhängigkeit der Kulturstiftung zu er-
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eswegen fordern wir vehement ein Stiftungskapital.
afür kämpfen wir. Das würde neue Finanzierungsmög-
ichkeiten für die Bundesstiftung eröffnen.
Als Letztes möchte ich folgenden Punkt erwähnen:
ir wissen, dass nicht alle Länder dieser Fusion zustim-
en werden. Ich habe aus dem Kultusministerium in
achsen-Anhalt gehört, dass eine Zustimmung infrage
estellt wird, und weiß, dass es einige Länder gibt, die
ur Bedingung machen werden, dass der Sitz der künfti-
en Stiftung nach Berlin kommt. Ich hoffe, dass sich die
undesregierung der herausragenden Rolle Halles, des
ulturreichen Standortes in Mitteldeutschland mit seinen
rancke’schen Stiftungen, bewusst ist und dass Sie, Herr
arthel, sich auch weiterhin für diesen Ort einsetzen
erden.
Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Rücksicht-
ahme.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rau Kollegin Pieper, die Staatsministerin befindet sichm Moment mit den Ministerpräsidenten in der Verhand-ung, über die wir die ganze Zeit gesprochen haben. Dasat sie dem Kulturausschuss vorher mitgeteilt. Sie istlso wirklich entschuldigt.Auch an dem parlamentarischen Prozess gibt esichts zu kritisieren. Wir alle, auch Ihre Kollegen, habenas Eckpunktepapier rechtzeitig bekommen. Wir habenoch in der gestrigen Sitzung einen Sachstandsberichtekommen. Es wurde angekündigt, dass uns in derächsten Sitzung ein Bericht über diese Verhandlungorgelegt wird. Wir haben gemeinsam beschlossen, dassir noch eine Anhörung durchführen werden. Sorgfälti-er kann man einen Prozess in dieser Phase parlamenta-isch nicht begleiten.
Weil das so aktuell ist, denke ich manchmal sogar, wirollten einige Kerzen anstecken; denn man muss über-innliche Kräfte haben, um diesen unglaublich hartnä-kigen Widerstand der Ministerpräsidenten und der Län-er endlich zu überwinden. Ich finde, es spricht für dieompetenz und den Charme der Staatsministerin, dassie geschafft hat, woran so viele Männer vor ihr geschei-ert sind.
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Dr. Antje VollmerMit der Fusion werden wir die größte KulturstiftungEuropas bekommen. Ich freue mich, dass das auch dieOpposition grundsätzlich begrüßt. Die Fusion war über-fällig. Wir alle haben aber noch über den Prozess und dieweiteren Inhalte zu diskutieren und darüber, dass es, wieMichael Naumann in einem wirklich brillanten Artikelin der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ geschrieben hat,nicht zu einer bloßen Scheinehe zwischen zwei extremverfeindeten Bürokratien kommen wird. Es wird vielvon den Beteiligten abhängen, wie sich das entwickelnwird.Es ist deswegen, glaube ich, das Beste, an den Grün-dungsmythos dieser Stiftung zu erinnern. Die Grund-ideen wurden 1973 von Willy Brandt und Günter Grassformuliert und 1998 von Michael Naumann – unterstütztvon Gerhard Schröder – wieder aufgenommen. Es gingim Wesentlichen um den Erhalt des kulturellen ErbesDeutschlands und um unser Agieren im europäischenRaum. Ich stimme, wegen der Erinnerung an den Grün-dungsmythos auch dem Teil des Antrags der CDU/CSUzu – ich finde ihn interessant –, der von „Bewahrung undRückerwerb national wertvollen Kulturgutes“ als einerzentralen Aufgabe der neuen Stiftung ausgeht, was bis-her immer Aufgabe der Länderstiftung gewesen ist.In Zeiten, in denen uns in den Städten und Kommu-nen Kulturinstitutionen reihenweise wegbrechen, in Zei-ten, in denen Theater und Museen ums Überleben kämp-fen, müssen wir von einer flüchtigen Eventkulturwegkommen, welche das publikumswirksame Ereignishöher schätzt als die gewachsenen kulturellen Traditio-nen und Institutionen unseres Landes.
Es macht Sinn, dass wir die größte Kulturstiftung Eu-ropas bekommen, weil wir auch die größte und tradi-tionsreichste Kulturlandschaft Europas haben. Dass wirinzwischen in allen Bereichen, in den Bereichen Musik,Theater und Museum, Ausbildungsstätte vieler jungerTalente sind – sie kommen vor allem aus Osteuropa –,hat damit zu tun. Das heißt, wir müssen auch das Be-wusstsein für diese Kulturlandschaft stärken. Die Auf-gabe der gemeinsamen Stiftung muss genau dem dienen.Während in der Gegenwartskultur eine Vielzahl vonzivilgesellschaftlichen Förderungen vorhanden ist, istder Staat beim Erhalt des kulturellen Erbes der zentraleund maßgebliche Akteur. Deswegen und weil daraus al-les in allem schließlich auch ein bedeutender Wirt-schafts- und Standortfaktor für Deutschland heraus-kommt, muss der Wert der Kulturpolitik auch in denparlamentarischen Debatten steigen. Das, was wir getanhaben und was wir unter anderem demnächst mit derEinrichtung der Enquete-Kommission tun werden, dientgenau dieser wachsenden Bedeutung.Ich finde, es ist auch ein guter Vorschlag im Antragder Opposition, zu überlegen, ob die Förderung der imBlaubuch aufgeführten einzelnen Kulturstandorte nichtauch in die deutsche Kulturstiftung überführt werdenkönnte. Ich halte das jedenfalls für eine interessanteÜwtBdfeBfSSPSrEwdFWnhDLlfwbsi–sIpdLWaEndgK
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
er Kollege Dr. Norbert Lammert von der CDU/CSU-
raktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn das Anliegen nicht so ernst und seine Behandlungicht so zäh wäre, dann könnte man die gleichzeitige Be-andlung dieses unendlichen Themas Kulturstaateutschland und Kulturstiftung des Bundes und deränder heute Nachmittag an zwei Orten mit unterschied-ichen Akteuren, bei denen die einen in einer Pressekon-erenz in wenigen Minuten sagen, was sie tun wollen,ährend wir hier darüber debattieren, wie es vielleichtesser wäre, für eine Operette halten. Nur: Operettenind in der Regel auch deshalb unterhaltsam, weil manhren Inhalt besser nicht allzu ernst nehmen sollte.
Ihren Zwischenruf nehme ich als Motivationshilfe be-onders gerne zur Kenntnis.
n der jungen Formation des Bundestages in der Kultur-olitik bin ich lange genug persönlich engagiert, um mirie Zuversicht auf eine am Ende halbwegs überzeugendeösung bewahrt zu haben.Das Anliegen, über das wir reden, ist in der Tat ernst.ir können es gar nicht ernst genug nehmen. Ich habeuch bei niemandem, der heute dazu gesprochen hat, denindruck gewonnen, als wolle man das mal eben ein we-ig herunterfahren. Im Kern reden wir über die Zukunftes Kulturstaates Deutschland, und zwar nicht deswe-en, weil die Kulturstiftung des Bundes oder gar dieulturstiftung der Länder, die bei genauerem Hinsehen
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Dr. Norbert Lammertdie erste Kulturstiftung des Bundes war, Kerne des deut-schen Kulturstaates wären oder werden könnten, son-dern weil deren beabsichtigte Fusion im Kontext einerangestrebten Entflechtung von Zuständigkeiten und ei-ner Systematisierung der Aufgabenstellung von Bundund Ländern liegt, wobei es im Übrigen schon eine sub-tile Logik hat, dass gemäß ein und demselben Eckpunk-tepapier der erste konkrete Beitrag zur Entflechtung derZuständigkeiten die Zusammenführung von zwei Stif-tungen des Bundes und der Länder unter gemeinsamerVerantwortung sein soll.Das soll vielleicht nur ein weiterer Hinweis an alleBeteiligten dafür sein, dass man die Veränderungswutnicht mit fundamentalistischem Eifer betreiben sollte,schon gar nicht, wenn man beim ersten konkreten Bei-spiel zu besseren Einsichten kommt.
Ich möchte gerne das aufgreifen, was auch mehreremeiner Vorredner angesprochen haben. Wie halten wires mit dieser Systematisierung? Wir haben dazu schonbei früherer Gelegenheit eine Debatte geführt. Dabei ha-ben wir mehr oder weniger übereinstimmend zu Proto-koll gegeben, dass es für eine stärkere Entflechtung vonBundes- und Länderaufgaben sicher manche gute Argu-mente gibt. Ich wiederhole, dass mich bis heute niemanddavon hat überzeugen können, dass diese Entflechtungim Kulturbereich besonders dringlich wäre
und dass mit der angestrebten Entflechtung eine Verbes-serung der Kulturförderung in Aussicht stünde. Ich sagevoraus: Am Ende dieser Entflechtung wird es nicht mehrGeld für die Förderung von Kunst und Kultur geben.Aber es wird mehr Bürokratie in Form von mehr Gre-mien, Genehmigungs-, Antrags- und Anzeigeverfahrengeben, was wir in diesem famosen Eckpunktepapiernachlesen können.Die Lösung, die hier angestrebt wird, ist sicher gutgemeint. Sie ist aber so, wie sie jetzt konzipiert ist, hoff-nungslos misslungen. Damit keine Missverständnisseentstehen, sage ich noch einmal: Wir sind für eine Zu-sammenführung dieser beiden Stiftungen, weil es sichbei genauem Hinsehen ohnehin um zwei Bundeskultur-stiftungen handelt. Aber wir sind nicht bereit, die Addi-tion von zwei unbefriedigenden Zuständen für die Lö-sung zu halten.
Hier geht es wirklich nach dem Prinzip: manches an-ders, aber nichts besser. Herr Kollege Barthel, ich kannbuchstäblich nichts erkennen, was nach dem jetzt vorlie-genden Vorschlag besser werden soll, zumal die Skurrili-täten des Status quo, dass sich nämlich die Kulturstif-tung der Länder vornehmlich mit Aufgaben beschäftigt,die man für originäre Bundesaufgaben halten könnte,während sich die später gegründete Kulturstiftung desBundes gewissermaßen kompensatorisch um Aufgabenkümmert, die eigentlich Länderangelegenheiten sind, aufDauer beibehalten werden sollen. Es sollen nämlich„nddeVmAdsudrdAze–AhdgvfawsWdldtddEKadLlsgnlLumlk
Herr Kollege Barthel, wenn Sie Ihre im Unterschiedu meinen schlappen fünf Minuten üppige Redezeit vonlf Minuten dazu genutzt hätten
ich gönne sie Ihnen durchaus –, den heutigen „Zeit“-rtikel von Michael Naumann hier vorzulesen, dannätten wir im Protokoll stehen, warum es nicht so wer-en darf, wie es die Bundesregierung – möglicherweiseemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder –orschlägt. Das, was hier vorliegt, ist die Selbstpersi-lage des deutschen Kulturföderalismus. Ich kann nurlle, die die Kultur ernst nehmen und für nicht wenigerichtig als die Politik halten, herzlich bitten, sich an die-er drohenden Fehlentwicklung nicht zu beteiligen.enn im Übrigen das, was hier vorgeschlagen wurde,ie Systematisierung der Kulturförderung in Deutsch-and ist, dann gebe ich hier zu Protokoll, dass ich ein lei-enschaftlicher Anhänger einer unsystematischen Kul-urförderung bin.Nun befinden wir uns glücklicherweise am Beginnieses Verfahrens. Die vorliegenden Anträge werden inie Ausschüsse überwiesen. Ich habe noch in lebhafterrinnerung – darauf will ich mich gerne beziehen, Herrollege Kubatschka –, dass gerade die Kulturpolitikerller Fraktionen im Regelfall sehr kooperativ miteinan-er umgehen und sich um eine gemeinsam tragfähigeösung bemühen. Diese muss ich allerdings ausdrück-ich einfordern. Wir dürfen uns – mit oder ohne polemi-che oder unfreundliche Bemerkungen über den bisheri-en Verfahrensgang – bei der geschilderten Sachlageicht zum Notar von Regierungsvereinbarungen machenassen. So richtig es ist, dass die Ministerpräsidenten deränder und auch der Regierungschef des Bundes nichtnbedingt den Empfehlungen der Parlamentarier folgenüssen, so gilt dies bitte schön auch umgekehrt.Ich jedenfalls mache mir diese Eckpunkte ausdrück-ich nicht zu Eigen. Ich werde mit Nachdruck dafürämpfen, dass es zu einer völlig anderen Lösung kommt
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Dr. Norbert Lammertals der, die jetzt vorgesehen ist. Bevor diese beschlossenwird, bin ich eher bereit, den bisherigen Zustand nocheine Weile zu ertragen.
Eine Kurzintervention des Kollegen Barthel.
Herr Kollege Lammert, Ihr Kampf, den Sie uns ge-
zeigt haben, macht Sie mir sehr sympathisch. Aber ich
finde, dass wir bei der Frage der Fusion bzw. Nichtfu-
sion auch daran denken müssen, wer die Spieler in dieser
Arena sind. Sie wissen genau, dass dann, wenn wir die
Fusion der Kulturstiftung der Länder und der des Bundes
alleine herbeiführen könnten, die Lösung anders ausse-
hen würde als die, die jetzt aufgrund des notwendigen
Kompromisses mit den Ländern entstehen kann.
– Ich traue mir viel zu, aber ich möchte am Ende ein po-
sitives Ergebnis haben. Trauen ist die Voraussetzung,
aber Ergebnis ist das Ziel. Deswegen kann man hier so
locker sagen, dass man dieses andere auch möchte.
Ich habe mich etwas gewundert, Herr Lammert, dass
Sie die beiden Stiftungen, so wie sie jetzt funktionieren,
so negativ sehen. Man kann immer an der Vergabepraxis
für dieses oder jenes Projekt Kritik äußern. Aber unter
dem Strich – das bestätigen alle, die diese beiden Stiftun-
gen beobachten – sind es positive Stiftungen. Ich wun-
dere mich, dass Sie gesagt haben, dass es um die Zusam-
menlegung von zwei negativen Stiftungen geht.
Ihre Fraktion hat über das Eckpunktepapier anders
gesprochen, als Sie es jetzt getan haben. Das möchte ich
einmal festhalten. Sie vertreten eine Einzelmeinung, für
die Sie erstaunlicherweise von den Leuten Beifall erhal-
ten, die im Ausschuss ganz anders geredet haben. Das ist
eine merkwürdige Konstellation.
Was geschieht, wenn das Gespräch zwischen dem Bun-
deskanzler und den Ministerpräsidenten negativ aus-
geht?
Dann bleibt es so, wie es ist. Damit sind Sie ja zufrieden.
Aber diese eine Stiftung, die wir wollten, ist weg.
Jetzt sage ich einmal, was ich zufällig erfahren habe:
Dieses Gespräch ist geplatzt. Es ist am Widerstand des
Landes Bayern gescheitert.
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Ich erlaube mir, noch einmal an meine Bemerkungber die beiden Kerzen zu erinnern. Manchmal sindoch höhere Mächte notwendig.
Ich schließe die Aussprache.
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerInterfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 15/1099 und 15/1113 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Die Vorlage auf Drucksache 15/1113 soll zusätzlich anden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-genabschätzung überwiesen werden. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-sungen so beschlossen.Ich rufe Zusatzpunkt 11 auf:Vereinbarte Debattezur Änderung der VerpackungsverordnungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Herr Bundesminister Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit An-fang des Jahres wird vollzogen, was unter Klaus Töpferverabschiedet worden ist, nämlich die Einführung derPfandpflicht für Einwegverpackungen. Festzustellenist, dass die Pfandpflicht wirkt. Das Gesetz wirkt genauso, wie es diejenigen, die es seinerzeit verfasst haben,beabsichtigt haben.Anders, als vor einem Vierteljahr von einigen Unter-nehmen behauptet wurde, ist nicht etwa massenhaftMehrweg ausgelistet und Einweg eingelistet worden.Vielmehr stellen Supermarktketten, die noch vor einemJahr erhebliche Mengen an Einweg ausgelistet haben, in-zwischen komplett auf Mehrweg um.Die Pfandpflicht wirkt, weil sie den Prozess der Ver-nichtung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen in denkleinen Brauereien und in den mittelständischen Geträn-kefachhandlungen gestoppt hat.
Im Gegenteil: Nach Auskunft des Verbandes des Deut-schen Getränke-Einzelhandes und des Bundesverbandsdes Deutschen Getränkefachgroßhandels sind in denkleinen und mittelständischen Brauereien seit Jahresbe-ginn 10 000 neue Arbeitsplätze entstanden.
Warum haben die großen Handelsunternehmen dennüber all die Jahre hinweg massenhaft Mehrwegausgelistet? — Weil sie die Kosten für Rücknahmesys-teme sparen wollten. Diesen Trend haben wir mit demVollzug der Pfandpflicht gestoppt bzw. umgekehrt.
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enn sich heute noch jemand in diesem Hause dafürtark macht, dass Blech ökologisch vorteilhafter ist alsehrweg, dann verkneife ich mir die Bemerkung, dassas, was Sie dazwischenrufen, Herr Kollege, auch Blecht.
Was wir erreichen müssen, meine Damen und Herren,t Investitionssicherheit für die Wirtschaft. Mit dernderung der Verpackungsverordnung wollen wir – des-egen haben wir sie mit den Ländern abgestimmt – auchicherheit für die Verbraucher erreichen. Die Ände-ung der Verordnung zielt nicht auf eine Ausweitung derfandpflicht; im Gegenteil: Sie begrenzt sie. Wenn wiruwarten würden, wenn wir also den Fehler wiederholenürden, den der Bundesrat schon 2001 gemacht hat,ann würden aller Voraussicht nach zum nächsten Jah-eswechsel auch Kartons und Weinflaschen der Pfand-flicht unterliegen. Das kann niemand ernsthaft wollen.eil wir das nicht wollen, haben wir uns mit den Län-ern auf die vorliegende Novelle verständigt. Dabei ha-en wir die Erkenntnisse gerade jener Ökobilanzen be-ücksichtigt, deren Richtigkeit Sie immer so gerneezweifeln, zum Beispiel den Umstand, dass heutigeartonverpackungen und Mehrwegverpackungen inkologischer Hinsicht gleichwertig sind.
eswegen stellt die vorliegende Novelle zur Verpa-kungsverordnung auch ein Stück Innovation dar.Was bedeutet das für die Verbraucher? Die Verbrau-her werden ab kommenden Herbst ein Rücknahmesys-em an allen Kiosken, Tankstellen und Bahnhöfen
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Tanja Gönner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In derheutigen Debatte geht es einmal mehr um die unendlicheGeschichte des Dosenpfandes. Wir diskutieren zumwiederholten Mal über ein Gebiet der Abfallpolitik, dassage und schreibe 4,3 Prozent des Hausmülls ausmacht.Herr Minister Trittin hat aber die Dose zum StaatsfeindNummer eins erklärt.
Scheinbar gibt es in der Umweltpolitik kein dringen-deres Thema mehr. Da dem nicht so ist, möchte ich Ih-nen einige wichtige umweltpolitische Themen ins Ge-dächtnis rufen. Eine grundsätzliche Novellierung desKreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes sollte dringendin Angriff genommen werden. Aber nein, hier wird keinBedarf gesehen. Wir diskutieren lieber noch immer überdie Pfandregulierung. Des Weiteren steht die Novelledes EEG vor der Tür. Aber nein, Herr Trittin, Sie müssenerst davon überzeugt werden, dass Ihr Verpackungsver-ordnungsentwurf in der jetzigen Fassung nicht tragbarist. Die Umsetzung des Kioto-Protokolls, Klimaschutz,Emissionshandel und Nachhaltigkeitsstrategie sind dieweiteren Themen, mit denen wir uns momentan ausein-ander setzen sollten. Stattdessen beißt sich der Umwelt-minister an der Dose fest und verschiebt die wirklichenHerausforderungen auf morgen.
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ie, Herr Minister, waren derjenige, der sich diesemeg verweigert hat – nicht der Bundesrat.Unsere Aufgabe ist es nun, Schadensbegrenzung zuetreiben. Wir brauchen schnellstmöglich eine zweck-äßige Lösung im Interesse des Verbrauchers und derirtschaft. Deswegen hat die Union die jetzige Debatteonstruktiv begleitet
nd vier Mindestanforderungen vereinbart, und zwarit den Ländern, mit denen Sie keinerlei Einigung er-ielt haben, auch wenn Sie das hier immer anders dar-tellen.
Erstens. Wir wollen für alle der Pfandpflicht unterlie-enden Getränkeverpackungen im Interesse der Verbrau-her ein einheitliches Pfand in Höhe von 25 Cent.
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Tanja GönnerZweitens. Wir wollen, dass Einweggetränkeverpa-ckungen mit einem Füllvolumen von mehr als drei Li-tern ebenfalls von der Pfandpflicht freigestellt werden.
Drittens. Sie haben alle Einwegverpackungen fürMilch von der Pfandpflicht bereits freigestellt. Viertens.Wir wollen, dass im Rahmen einer so genannten Innova-tionsklausel Möglichkeiten geschaffen werden, dassökologisch vorteilhafte Verpackungen anerkannt unddann aus der Pfandpflicht herausgenommen werden.
Noch nicht einmal diesen Mindestanspruch erfüllt dervorliegende Entwurf.
Um den für uns ganz zentralen Punkt herauszugrei-fen, möchte ich auf die Innovationsklausel noch einmaleingehen. Der Begriff „ökologisch vorteilhaft“ ist in derNovelle noch nicht einmal ansatzweise definiert.
Stattdessen soll der Status quo, der anhand statischer undrückwärts gerichteter Kriterien misst, welche Verpa-ckungen der Mehrwegglasflasche als Grundlage der Be-urteilung gleichkommen und welche nicht, festgelegtwerden. Gerade die Einweggetränkeverpackungen wur-den in den letzten Jahren ökologisch immer besser. Wol-len wir diese Entwicklung in Zukunft wirklich dadurchstoppen, dass wir der Industrie keine kalkulierbare Mög-lichkeit einräumen, ihre Verpackungen auch künftigökologisch zu optimieren?Nach den Vorstellungen des Bundesumweltministersmüssen Bilanzen erstellt werden und muss jede einzelneneue Verpackung ein langwieriges Prüfverfahren unddas gesetzgeberische Verfahren durchlaufen, um neueingestuft zu werden. Der Zeitraum, bis eine neue Verpa-ckung Marktreife erlangt hat, wird sich vervielfachen.Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen und unterbindetjeden Anreiz zu Innovationen.
Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, dieden Verpackungsmarkt prägen, werden durch dieseHemmnisse geschwächt.Wir befinden uns mit dieser Regelung in der geradezugrotesken Situation, dass neue Verpackungsformen, diewir heutzutage im Übrigen noch nicht einmal kennen,von vornherein als schlecht eingestuft werden.
Nehmen wir also einmal an, dass die Bewertung undKontrolle von Verpackungsinnovationen durch Sachver-ständige und durch vom Umweltbundesamt anerkannteInstitute durchgeführt wird. Nennen Sie mir ausrei-chende Argumente dafür, dass eine Verpackung nochden in dieser Novelle vorgesehenen Weg durchlaufensoll, bevor sie den Status „ökologisch vorteilhaft“ erhält!
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Herr Minister, es ist eine Unverfrorenheit, denchwarzen Peter einfach weiterzuschieben und den Han-el des Rechtsbruchs zu bezichtigen. Sie, Herr Minis-er, sind momentan nicht in der Position, andere Men-chen über einen Rechtsbruch zu belehren.
ach der aktuellen Rechtslage müssten Getränkeverpa-kungen durchaus bepfandet werden. Dass Sie – in die-em Fall aber auch erfreulicherweise – in Absprache miter betroffenen Wirtschaft beschlossen haben, in diesemall eine Ausnahme zu machen, heißt noch nicht, dassie sich im Einvernehmen mit dem Recht befinden.
Sie sollten nur nicht beim einen etwas tun und beimnderen nicht. Man sollte vorsichtig sein, jemanden desechtsbruchs zu bezichtigen, wenn man selbst das Ge-etz nicht einhält, Herr Minister.
Es zeigt sich, warum die Union immer eine große No-elle wollte.
m Übrigen: Die SPD-Kollegin Conrad, Umweltminis-erin in Rheinland-Pfalz, bemerkte zutreffend: Aus mei-er Sicht ist eine große Novelle unverzichtbar. – Alsnion können wir uns dem nur uneingeschränkt an-chließen.Ein weiterer erstaunlicher Aspekt: Glasrecycling.an muss sich auf der Zunge zergehen lassen, dass einrüner Umweltminister gerade das altbewährte und gutunktionierende Glasrecycling mit Rücklaufquoten von0 Prozent gefährdet. Der erwartete Rückgang beläuftich auf 30 Prozent. Es wird zu einem Downrecyclingommen. Es wird nicht mehr sortenrein eingesammelterden. Das bedeutet, dass ein hochwertiger Rohstoffur noch unter großen Qualitätsverlusten wieder verwer-
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Tanja Gönnertet werden kann. Auf diese Weise verliert man wertvolleRohstoffe und verschwendet zusätzliche Energien.
Wie viele Fehlschläge wollen Sie eigentlich noch hin-nehmen, bevor Sie ernsthaft handeln? Sie haben die In-sellösungen und die Auslistung vieler Einwegproduktehingenommen. Die Verwirrung und Zusatzbelastung derVerbraucher haben Sie stoisch hingenommen. Sie habenhingenommen, dass es kein einheitliches Rücknahme-system geben wird und damit der Verbraucher in Mitlei-denschaft gezogen wird. Die Gefährdung von Arbeits-plätzen im Einweg- und Brauereibereich ebenso wie dieGefährdung des etablierten Glasrecyclings berühren Siekaum. In diesem Zusammenhang geht es darum, denSaldo bei den Arbeitsplätzen im Blick zu haben.
Sie dürfen nicht nur gucken, wie viele Arbeitsplätze imBereich Mehrweg entstehen, sondern Sie müssen auchsehen, wie viele Arbeitsplätze bereits vernichtet wordensind.
Glauben Sie wirklich, dass alle diese Aspekte und dieentstehenden Parallelstrukturen im Sinne der Umweltund der Nachhaltigkeit sind? Im Gegenteil: Mit Ihrer Hal-tung gefährden Sie sogar die Erfolge, die Klaus Töpferund Angela Merkel für die Umwelt bereits erzielt haben.
Wir müssen heute mit Rücksicht auf alle drei Säulender Nachhaltigkeit die Ziele einer Verordnung ganzklar festlegen. Der Ansatz der vorgelegten Novelle gehtviel zu kurz und wird diesem Anspruch in keiner Weisegerecht.
Ich fordere Sie auf, Herr Minister: Zeigen Sie Verant-wortung und prüfen Sie die Möglichkeiten für die von unsgeforderte Innovationsklausel! Die CDU/CSU bietet gernihre konstruktive Mitarbeit an. Ich zitiere erneut Ihre Kol-legin Conrad, die gerade erst bestätigte: Die Innovations-klausel ist gewollt. – Erzählen Sie uns also nicht, es gäbekeine Möglichkeiten für eine derartige Klausel!Wir sollten gemeinsam prüfen: Gibt es ein Verfahren,durch das die Überprüfung eines Antrags in einer be-stimmten Zeit nach definierten Vorgaben stattfindenkann? Gibt es die Möglichkeit, Kriterien festzulegen, ausdenen sich klar ergibt, wann eine Verpackung ökolo-gisch vorteilhaft ist und wann nicht? Ist für eine solcheInnovationsklausel eine Kombination aus beidem, Ver-fahren und Kriterien, denkbar? Alle drei Möglichkeitenführen für sich allein zu einer sinnvollen und zuverlässi-gen Bewertung von innovativen Produkten.Herr Minister, wenn der Bundeskanzler Sie im Kabi-nett schon aufgefordert hat, mit dem Bundesrat ein ver-eggSjeIwszesBLPAvMmlEudwWSLbrrstRupDPiüd
Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrer
rsten hier vorgetragenen Rede; Sie haben, glaube ich,
chon einmal eine Rede zu Protokoll gegeben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerd Friedrich
ollmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Wieder einmal sprechen wir über diefandpflicht für Getränkeverpackungen. Der heutigenlass ist das Einbringen der Novelle der Verpackungs-erordnung durch die Bundesregierung. Wir sind dereinung, diese Novelle schafft ökologisch und ökono-isch sinnvolle Regelungen und ist verbraucherfreund-ich. Vor allen Dingen aber hoffen wir, dass wir mit deminbringen der Novelle die Diskussion versachlichennd zügig eine einvernehmliche Regelung verabschie-en können.
Bevor ich näher auf die Verpackungsnovelle eingehenerde, möchte ich jedoch zunächst noch einige deutlicheorte zu dem Streit der letzten Wochen sagen. Diesertreit um das Dosenpfand, der auch die Bürger unseresandes bewegt, ging von Handel und Industrie aus. Dieeteiligten Kreise der Wirtschaft sind zu Recht – im Üb-igen auch von CDU-Ministern wie der Umweltministe-in von Sachsen-Anhalt – kritisiert worden. Man kannogar mit Fug und Recht behaupten: Was sich die Vertre-er von Handel und Industrie erlaubt haben, hat unsereepublik noch nicht erlebt.
Über zehn Jahre sank trotz der Pfanddrohung in dernter Umweltminister Töpfer verabschiedeten alten Ver-ackungsverordnung der Mehrweganteil kontinuierlich.ie Wirtschaft hatte es damals selbst in der Hand, dasflichtpfand zu vermeiden. Der Markt wurde jedoch mitn Dosen und Plastikflaschen abgefüllten Getränkenberschwemmt; mit anderen Worten: Die Wirtschaft hatas Pfand selber ausgelöst.
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Gerd Friedrich BollmannNachdem der Mehrweganteil unter 72 Prozent gesunkenwar und Anfang 2002 feststand, das Pfand würde kom-men, legten Handel und Industrie demonstrativ dieHände in den Schoß. Statt mit dem Aufbau eines einheit-lichen Rücknahmesystems zu beginnen, setzten sie aufKonfrontation und versuchten mit zahlreichen Klagen,die Einführung des Pfandes zu verhindern.
Erst nachdem klar war, dass das Pflichtpfand nichtabzuwenden sei, lenkten sie ein. Im Dezember letztenJahres verpflichtete sich die Wirtschaft, bis zum1. Oktober 2003 ein einheitliches Rücknahmesystemaufzubauen. Die Bundesregierung ist dabei der Wirt-schaft entgegengekommen, indem sie eine neunmona-tige Übergangsfrist zur Installierung eines einheitlichenPfandsystems gewährt hat. Mit ihrer Ankündigung, denAufbau eines solchen Systems zu stoppen, brachen Teilevon Handel und Industrie ihre verbindliche Zusage undgeltendes Recht. Sie veranstalteten ein absurdes Theater,um sich ihren Verpflichtungen zu entziehen.
Besonders grotesk waren die Begründungen für denBruch der Vereinbarungen. In irreführender Weise wurdeein Brief der Brüsseler Umweltkommissarin MargotWallström als Beweis für fehlende Rechtssicherheit her-angezogen. Darin hatte Frau Wallström im Gegenteil denzügigen Aufbau eines Rücknahmesystems gefordert undnur die jetzige, wenig verbraucherfreundliche Über-gangsregelung kritisiert. Frau Wallström hat auch sofortklargestellt, dass ihr Brief vollkommen missverständlichinterpretiert worden sei und sie nichts gegen das Dosen-pfandmodell als solches habe.
Ebenso wenig greift das Kostenargument: Erstensspart die Getränkeindustrie seit Januar dieses Jahres dieLizenzgebühren für den Grünen Punkt, circa 160 Millio-nen Euro pro Halbjahr. Zweitens verdient der Handeldurch den Pfandschlupf zurzeit circa 50 Millionen Europro Monat.
Durch das jetzige, verbraucherunfreundliche Systemwerden also von Januar bis Juni 2003 dem Bürger rund300 Millionen Euro vorenthalten.
Drittens werden sich die Kosten für ein Rücknahmesys-tem auf maximal 1 Cent pro Dose belaufen.
Ein Finanzierungsproblem dürfte also für Handel und In-dustrie nicht gegeben sein.Der geschätzte Pfandschlupf bei einem funktionieren-den Rücknahmesystem beläuft sich dagegen auf circa100 Millionen Euro pro Jahr. Der Aufbau eines einheitli-czsTEdsqdnMagsTtaskvufgbteSrtrDvvmpufluwDazte
s darf in unserer Republik nicht zur Gewohnheit wer-en, dass bindende Zusagen, Vereinbarungen und Ge-etze nach Gutdünken aufgekündigt werden. Als Konse-uenz daraus müssen wir uns überlegen, ob in Zukunftas Instrument der Selbstverpflichtung der Wirtschaftoch akzeptiert werden kann.
eine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP,uch bei unterschiedlichen Auffassungen in Einzelfra-en sollten wir dieses Verhalten der beteiligten Wirt-chaftskreise gemeinsam verurteilen.
eile des Handels haben inzwischen eingesehen, dass to-le Verweigerung und Gesetzesbruch der falsche Wegind, und den Aufbau eines Rücknahmesystems ange-ündigt.
Mit der heute eingebrachten Novelle zur Verpackungs-erordnung sorgen wir für die nötige Rechtssicherheitnd schaffen eine ökologisch sinnvolle und verbraucher-reundliche Regelung beim Dosenpfand. Grundsätzlichilt dann, dass auf alle Einwegverpackungen Pfand erho-en wird. Ausgenommen davon sind nur ökologisch vor-ilhafte Verpackungen wie Getränkeverbundkartons,chlauchbeutel und Folienstandbeutel sowie Wein, Spi-ituosen, diätetische Getränke, Milch und Milchmixge-änke mit einem Mindestanteil von 50 Prozent Milch.amit wird die von allen Seiten als unübersichtlich underbraucherunfreundlich kritisierte bisherige Regelungerbessert. Zukünftig wird sich die Pfandregelung nichtehr am Getränkeinhalt orientieren, sondern an der Ver-ackungsart. Unser Ziel ist es, Mehrwegsysteme undmweltfreundliche Verpackungen zu fördern.
Meine Damen und Herren, mit dieser Regelung schaf-en wir eine für den Verbraucher übersichtliche Rege-ng. Genau das ist es, was die Bürger unseres Landesollen.
ie überwiegende Mehrheit begrüßt das Dosenpfand,ber die Bürger wollen vor allem klare Regelungen be-üglich der Pfandpflicht und der Rückgabemöglichkei-n.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4415
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Gerd Friedrich BollmannIn der Novelle wird klar geregelt, dass alle Vertreibervon pfandpflichtigen Getränkeverpackungen mit einerVerkaufsfläche von mehr als 200 Quadratmetern diepfandpflichtigen Verpackungen zurücknehmen müssen.Kleinere Läden und Vertreiber von Verkaufsautomatenhaben sicherzustellen, dass in zumutbarer Entfernungeine Rückgabemöglichkeit vorhanden ist.
Mit diesen Vorschriften haben wir eine eindeutigeGrundlage geschaffen; nun muss der Handel entspre-chende Rücknahmesysteme aufbauen.Ich begrüße hier ausdrücklich, dass die FirmaLekkerland ein Rücknahmesystem für Kioske, Tank-stellen und kleinere Läden aufbauen will.
Ich bin überzeugt, dass sich weitere Händler diesem Sys-tem anschließen werden. Ich fordere die Verweigerer vonHandel und Industrie auf, ihre destruktive Blockadehal-tung aufzugeben und sich zugunsten des Verbrauchers amAufbau eines Rücknahmesystems zu beteiligen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heute vorge-legte Novelle beruht auf den Vorstellungen von SPD undBündnis 90/Die Grünen sowie auf den Vereinbarungendes Bundesumweltministeriums mit den Bundesländern.
Wir Sozialdemokraten sind überzeugt, dass das Pflicht-pfand im Sinne der Verbraucher sowohl ökologisch alsauch ökonomisch die beste Lösung ist. Bereits jetzt zei-gen sich ökologisch positive Effekte: Der Dosenmüll inder Landschaft ist zurückgegangen.
Der Anteil von Mehrwegverpackungen hat wieder zuge-nommen. Ich empfinde die gestern öffentlich gewordeneNachricht, dass Deutschlands Brauereien aktuell unter ei-nem akuten Mangel an Mehrwegflaschen leiden und dassden rund 1 200 Braustätten insgesamt 1 Million Leergut-kästen fehlen, als eine durchaus positive Nachricht. DieNachfrage nach Bier in Pfandflaschen ist im Jahr 2003 er-heblich gestiegen. Genauso wichtig ist es, dass der durchdie Dosenflut hervorgerufene Wettbewerbsnachteil mit-telständischer Brauereien aufgehoben wird.
Gleichzeitig gibt es aber noch große Unsicherheit be-züglich der Zukunft des Pfandes. Ich appelliere an Sie,meine Damen und Herren von Union und FDP sowie andie unionsgeführten Bundesländer, konstruktiv und vorallem rasch an einer einvernehmlichen Lösung mitzuar-beiten. Eine schnelle Lösung liegt im Interesse des Ver-brauchers und der Verpackungsindustrie. Der mit denBundesländern ausgehandelte Kompromiss, der dieGbIWoUsgsdvKEgdddbuskIgVtddsAocsNb
nserer Auffassung nach darf die parlamentarische Zu-tändigkeit nicht ausgehöhlt werden. Dafür gibt es auchute Gründe. Ökobilanzen werden nach naturwissen-chaftlichen Kriterien erarbeitet, aber die Gewichtunger Kriterien ist eine politische Aufgabe. Die Ergebnisseon Ökobilanzen, aber insbesondere die Prioritäten derriterien müssen politisch bewertet werden.
ine demokratische Kontrolle ist daher unerlässlich.
Ebenso ist die Pfandhöhe umstritten. In der Tat lie-en die Pfandbeträge in den europäischen Nachbarlän-ern niedriger. Wir haben aber bewusst die Bevorzugunger Mehrwegsysteme über die Pfandhöhe gewählt; dennas Ziel der Verordnung sind die Stützung und der Aus-au von Mehrwegsystemen.Meine Damen und Herren, trotz dieser Streitpunktend einiger weniger Einzelpunkte ist diese Novelle zwi-chen Parlament, Bundesregierung und Bundesländernonsensfähig.
ch denke, dass wir uns über die streitigen Punkte eini-en können. Eine schnelle Einigung ist im Interesse dererbraucher und der Wirtschaft. Die Verpackungsindus-rie, zum Beispiel auch die Dosenhersteller, brauchenringend Planungs- und Investitionssicherheit.Ich habe vor einiger Zeit mit den Betriebsräten unden Besitzern der Firma Nacanco in Gelsenkirchen ge-prochen. Sie haben gesagt: Wir brauchen dringend klarengaben, wie das Rücknahmesystem demnächst funkti-nieren soll, wir brauchen Planungs- und Investitionssi-herheit. – Ich denke, dafür werden wir sorgen, insbe-ondere mit dieser Novelle.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass dieovelle der Bundesregierung eine gute Lösung ist, unditte um Ihre Zustimmung.Danke schön.
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4416 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir debattieren heute endlich über die Novelle der Ver-
packungsverordnung. Ich frage mich, Herr Minister
Trittin, warum Sie diese Novelle eigentlich nicht früher
vorgelegt haben, wenn Sie hier so stark betonen, dass es
um Investitionssicherheit für die Wirtschaft gehe.
Sie verschweigen bei dieser Gelegenheit nämlich,
dass Investitionssicherheit mit dem Verfahren, das Sie
vorhaben, überhaupt nicht erreicht wird.
Denn selbst wenn der Bundesrat, der sich damit eben-
falls noch befassen muss, über die Novelle in der nächst-
möglichen Sitzung abschließend beraten würde, was gar
nicht zu erwarten steht, weil es Änderungswünsche gibt,
dann wäre das erst am 26. September und mithin vier
Tage vor dem 1. Oktober. Nun frage ich Sie, was das für
eine Investitionssicherheit für die Betriebe sein soll,
wenn diese erst vier Tage vor der Umsetzung vielleicht
wissen, um was es geht!
Deswegen müssen Sie sich schon Folgendes anhören:
Im Februar haben Sie hier einen Kompromiss mit den Län-
dern verkündet – den es so nicht gibt, wie wir wissen –, der
dem entspricht, was in diesem Entwurf steht. Heute füh-
ren wir eine vereinbarte Debatte über dieses Thema.
Nächsten Freitag soll abschließend darüber beraten wer-
den. Am nächsten Mittwoch soll es dazu von 10 bis
13 Uhr eine Anhörung im Ausschuss geben. Nach einer
Pause von zwei Stunden wird dann um 15 Uhr darüber
entschieden.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen, Herr Minister Trittin:
Ich finde, Sie legen im Umgang mit diesem Hause eine
unglaubliche Arroganz an den Tag.
Ich verstehe nicht, warum die Kolleginnen und Kollegen
von der SPD und den Grünen sich von Ihnen dazu miss-
brauchen lassen, dieses Thema im Schweinsgalopp
durch den Deutschen Bundestag zu peitschen.
Dabei gibt es erheblichen Klärungsbedarf; das wissen
auch Sie. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Ar-
beit hat angekündigt, es wolle eine Studie in Auftrag ge-
ben, um die Kosten für die Rücknahmesysteme zu klä-
ren, weil es da unterschiedliche Zahlen gibt. Wie soll
denn das funktionieren? Wenn wir dieses Thema schon
am 4. Juli abschließend im Bundestag beraten, sollten
Sie die Kosten für dieses Gutachten sparen und sich lie-
ber in der Regierung einigen.
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Es geht nicht nur darum, was ökologisch vorteilhaft ist, es
eht – die Innovationsklausel wurde angesprochen – auch
m Transparenz. Ihre Regelung ist nicht transparent und
chon gar nicht unbürokratisch, sondern sie ist sehr bü-
okratisch. Angesichts dessen frage ich mich, warum Sie
en offensichtlichen Klärungsbedarf verneinen. Selbst
er Herr Bundeswirtschaftsminister Clement hat im Ka-
inett eine Protokollnotiz abgegeben, in der es heißt,
ass es in diesem Punkt ein Problem gibt. Wieso lassen
ie uns im Deutschen Bundestag nicht vernünftig darü-
er beraten?
Es gibt nach wie vor kein flächendeckendes Rück-
ahmesystem. Auch das müssen Sie einräumen. Sie ha-
en keine Klarheit für die Verbraucherinnen und Ver-
raucher geschaffen. Stattdessen gibt es das Problem
it den Insellösungen, von denen wir hier schon gehört
aben. Damit haben Sie in der Tat ein europarechtliches
roblem;
enn Frau Wallström hat schon deutlich gemacht, dass
ie nur ein bundeseinheitliches Rücknahmesystem und
ichts anderes akzeptieren wird.
Ich sage Ihnen ganz klar: Die Verwirrung hört nicht
uf. Sie verlagern die Verwirrung zwischen Cola und
hiskey-Cola sozusagen ins Kühlregal zu Kefir und
olke. Da gibt es dasselbe Problem mit der Verpackung:
ie eine Verpackung wird bepfandet und die andere
icht. Auch was Sie zur Vermüllung der Landschaft ge-
agt haben, stimmt in dieser Form nicht. Genauso wenig
timmt die generelle Aussage, dass das Pfand wirkt.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.
Noch eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. – Herr
inister Trittin, Sie vergessen nämlich, dass sich die Si-
uation wieder ändern wird, wenn erst einmal Rücknah-
eautomaten installiert sind. Deswegen fordere ich Sie
uf: Machen Sie den Menschen draußen im Lande nicht
in X für ein U vor! Nutzen Sie die Chance für eine um-
assende Novelle der Verpackungsverordnung!
Ich schließe die Debatte. Da es eine vereinbarte De-atte war, gibt es keine Überweisung.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenChristoph Hartmann , Gudrun Kopp,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4417
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerOtto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPBergschäden regulieren – kohlepolitische Wei-chenstellung vornehmen– Drucksache 15/475 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abgeord-nete Christoph Hartmann für die FDP.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Stellen Sie sich vor, es gäbe heute hier einenAntrag, der folgendermaßen lauten würde: Wir forderneine Beschäftigungsoffensive für 43 000 Arbeitsplätze,die 3 Milliarden Euro kostet. Das bedeutet eine staatli-che Subvention pro Arbeitsplatz von 70 000 Euro. – Siewürden den Antragsteller – offen gestanden – für ver-rückt erklären, und das vollkommen zu Recht.Aber die Realität ist, dass wir genau dieses in Deutsch-land im Moment haben. Trotz leerer Haushaltskassen leis-ten wir uns eine Alimentierung einer sterbenden Industrie.3 Milliarden Euro könnte man besser ausgeben, als diedeutsche Steinkohle damit zu subventionieren.Das häufig angeführte Argument, dass wir die deut-sche Steinkohle zur Energiesicherung brauchen, trägtnicht mehr. Denn nur knapp über 10 Prozent des Gesamt-energieverbrauchs in Deutschland werden von der hei-mischen Steinkohle gedeckt. Durch Importkohle aus kri-sensicheren Ländern wie Australien, Polen oderSüdafrika könnte die heimische Steinkohle substituiertwerden. Importkohle ist preisgünstiger, sie ist qualitativhochwertiger und sie ist umweltfreundlicher
als die Steinkohle, die wir in unserem Lande aus derErde holen.Es gibt immense Schäden durch den Abbau der Stein-kohle. Der Kohleabbau unter dem Rhein, der Schädenwie Absenkungen von Deichen hervorruft, ist nicht ver-antwortbar; das Elbehochwasser sollte jedem von unsnoch im Gedächtnis sein. Zu den umweltpolitischen Pro-blemen kommen die Eigentumsschäden hinzu, die diepersönliche Lebensumwelt und die wirtschaftliche Lageder betroffenen Bewohner stark beeinflussen.Ich will Ihnen einmal ein Beispiel aus meiner saarlän-dischen Heimat nennen. Fürstenhausen ist ein Stadtteilvon Völklingen. Völklingen hat 50 000 Einwohner undliegt in der Nähe von Saarbrücken. Laut einem Brief desOberbürgermeisters von Völklingen an Bundeswirt-schaftsminister Clement wurden allein im letzten Jahr3nFwgEdwaWmHPfsi1bhDAwfnUwBbvakvgtlGdswGnewepBu
nser Antrag stellt keine Maximalforderung dar. Wirollen lediglich zum ersten Mal über alle Aspekte desergbaus sprechen, also auch über die Belange der Berg-aubetroffenen.Die Bundesregierung erklärt immer, sie sei für Sozial-erträglichkeit. Dabei meint sie aber immer nur die Mit-rbeiter im Bergbau. Wenn wir über Sozialverträglich-eit sprechen, dann wollen wir, dass dies auch für dieom Bergbau betroffenen Menschen gilt.
Deswegen haben wir in unserem Bundestagswahlpro-ramm die Forderung des Abbaustopps unter bewohn-em Gebiet festgeschrieben. Unseren Ankündigungenassen wir Taten folgen. Das unterscheidet uns von denrünen. Die hatten in ihrem Bundestagswahlprogrammie gleiche Forderung. Der Kollege Ulrich im Saarlandchreibt auf seine Plakate: „Abbaustopp sofort!“ Aberenn diesen Worten Taten folgen sollen, dann fallen dierünen um. Sie müssen jetzt beweisen, ob es sich dabeiur um Lippenbekenntnisse handelt oder ob Sie wirklichtwas für die betroffenen Menschen in der Region tunollen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht uminen Paradigmenwechsel in der deutschen Steinkohle-olitik. Es geht darum, die Umwelt und die betroffenenewohner vor weiteren Schäden zu schützen. Geben Sienserem Antrag Ihre Stimme!
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4418 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Christoph Hartmann
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Ulrich
das Wort.
Lieber Kollege Hartmann, Sie sagen es natürlich rich-
tig:
Wir als Grüne im Saarland haben Positionen, die sich in
weiten Teilen mit dem decken, was Sie in Ihrem Antrag
formuliert haben. Der deutsche Steinkohlebergbau rich-
tet in der Tat sowohl an der Saar als auch an der Ruhr
enorme Schäden an – so enorme Schäden, dass auch ich
der Meinung bin, dass das in dieser Art und Weise nicht
weiter tragbar ist. Aber deshalb treten die Grünen so-
wohl hier im Deutschen Bundestag als auch in Nord-
rhein-Westfalen und im Saarland dafür ein, dass der
Steinkohlebergbau bis zum Jahre 2010 gegen null gefah-
ren wird.
Was in den Gebieten geschieht, wo unter bewohntem
Gebiet abgebaut wird, ist ein Sonderproblem. Man sollte
sich das – ob das in Nordrhein-Westfalen oder im Saar-
land ist – einmal anschauen.
Herr Kollege, Sie dürfen hier nicht einfach eine Rede
halten. Sie sollten schon irgendwie auf den Kollegen
Hartmann eingehen.
Ich komme gleich zum Kollegen Hartmann. – Diese
Menschen dort leiden unter echtem Psychoterror; das
kann man nicht von der Hand weisen.
Nur, Herr Hartmann – jetzt komme ich zur FDP –, man
muss einmal die Frage stellen: Wer hat uns denn diese
ganzen Steinkohlesubventionen mit eingebrockt? Als die
Steinkohlesubventionen hier im Deutschen Bundestag
beschlossen wurden, war ein FDP-ler Bundeswirt-
schaftsminister. Als der Kohlepfennig vom Bundesver-
fassungsgericht gekippt wurde, hat ein FDP-Bundeswirt-
schaftsminister dafür gesorgt, dass diese Gelder fortan
aus dem Bundeshaushalt geflossen sind – ohne dass es
eine Deckung gegeben hätte. Die FDP ist also einer der
ursprünglichen Verursacher der Steinkohlesubventionen.
Insofern ist es schon ein wenig heuchlerisch, wenn
Sie heute hier so tun, als seien Sie der Kämpfer für den
Abbau der Subventionen im Steinkohlebergbau. Sie
selbst haben das verursacht, worunter wir heute in die-
sem Lande leiden.
Herr Kollege Ulrich, für wen reden Sie eigentlich?
eden Sie für sich oder reden Sie für Ihre Fraktion?
enn für Ihre Fraktion redet, glaube ich, gleich die Kol-
egin Hustedt, die eine ganz andere Position vertritt.
iese Regierungskoalition wird – so haben Sie schon
erlauten lassen – unserem Antrag nicht zustimmen.
ie sind also in Ihrer Fraktion isoliert. Wenn Ihnen das,
as die grüne Fraktion hier erzählt, nicht gefällt, dann
önnen Sie gerne aus den Grünen austreten.
Es geht jetzt endlich um die Frage, was wir für die
enschen in diesem Land tun können. Deswegen geht
s nicht mehr um Worte, sondern um Taten. Wir haben
iesen Antrag gestellt, weil endlich Taten folgen müssen
nd weil es mit den Lippenbekenntnissen endlich vorbei
ein muss.
Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Das Wort hat der
bgeordnete Dieter Grasedieck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Nicht alles darf man kritisieren, was die alteDP eigentlich ganz gut gemacht hat: die Einstielung derubventionen. Genau hier wollen wir in den nächstenahren weitermachen. Darauf legen wir Wert.Vor allem aber finden wir, dass die Diskussion, welcheie FDP heute führt, nur zur Verschleierung beiträgt. Ihrberziel ist die Streichung der Kohlesubventionen; nur alsebenprodukt sprechen Sie den Bergschaden an. Die Pro-leme des Bergschadens werden natürlich auch vom Berg-au gesehen. Er bietet Problemlösungen an und bemühtich nach Kräften. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Hartmann,ohne ich in einem Bergschadensgebiet. Ich sehe die vie-n Bemühungen des Bergbaus und weiß, wie verantwort-ch unser Bergbau bei Schadensregulierungen vorgeht:
Zum Beispiel baut man in Wohngebieten flächig ab,ruchkanten sind so ausgeschlossen. Das wissen Sieielleicht nicht. Schauen Sie sich das etwas genauer an!chäden an Wohngebäuden, die auf Bruchzonen basie-en, will der Bergbau so vermeiden. In Waldgebietennd Weidegebieten versucht man, den Bergbau durchkologische Planungen zu begleiten. Man hat viele gutensätze wie die Haldenbegrünung gefunden. Ich meine,nser Bergbau geht da wirklich verantwortlich vor.
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Dieter GrasedieckSeit einigen Jahren sind auch Servicezentren in denBergwerken eingerichtet. In dem großen Servicezentrumin Duisburg zum Beispiel können Fragen und Problemeerläutert werden, immer mit dem Ziel, die Bergschädenmöglichst schnell zu regulieren. Genau das wird auch er-reicht.Herr Hartmann, Sie führen jetzt eine große Debatteüber die Streichung der Kohlesubventionen. Vielleichtwissen Sie nicht, dass die Kosten für die Regulierung derSchäden sowieso weiter übernommen werden müssen;diese liegen bei etwa 1,5 Milliarden Euro. Ein Teil derSubventionen muss allein für diesen Bereich eingesetztwerden.Unser Bergbau steht zu seiner Verantwortung. DieFDP hingegen sieht nur die Probleme, nicht die Stärkendes Bergbaus: Der Mittelstand wird durch unserenBergbau gefördert.
Das ist ein Vorteil. Weitere Beispiele sind zu nennen:Beim Bau des Tunnels zwischen Dover und Calais wur-den deutsche Bergmaschinen eingesetzt und sind deut-sche Firmen bei der Vermessungstechnik beteiligt. Deut-sche Unternehmen produzieren auch die Maschinen fürden Gotthardtunnel.Unser Bergbau treibt Innovationen voran. Der Dreh-strommotor des ICE ist für den Bergbau entwickelt wor-den. Auch das muss gesehen werden. Unser Bergbaufördert und sichert Arbeitsplätze, sowohl im Osten alsauch im Westen, sowohl im Norden als auch im Süden.Der Mittelstand wird so unterstützt.Unser Bergbau fördert auch die Zukunft. Betrachtenwir den Quantensprung bei der Hobelmaschine! Sie istein Exportschlager: 40 Prozent höhere Geschwindigkeitbeim Abbau.Das bedeutet natürlich Vorteile. Dadurch wird derMittelstand gefördert. Die Mittelstandsförderung istdoch ein Spezialthema – offensichtlich eher ein Schein-thema – der FDP. Die Hobelanlage ist ein Exportschla-ger: Amerikaner, Russen und Chinesen sind daran betei-ligt. In der Bergtechnik hat das Markenzeichen „Made inGermany“ wirklich noch einen guten Ruf. Das ist keineFrage.
Die FDP spricht in ihrem Antrag von klaren Rahmen-bedingungen für die Zukunft. Natürlich brauchen wirdiese Planungssicherheit für unseren Bergbau auch über2010 hinaus. Wir brauchen auch für unseren MittelstandPlanungssicherheit über 2010 hinaus, weil viele BetriebeTeile für unsere Bergmaschinen produzieren.Im Bergbau gibt es 7 500 Ausbildungsplätze. Dortwerden Industriemechaniker, Elektroniker und IT-Kauf-leute ausgebildet. Die Qualität der Ausbildung steht au-ßer Frage; sie ist allgemein anerkannt. Die ausgebildetenjungen Leute werden von der Industrie übernommen.Zusammenfassend können wir feststellen:nstnf2eHzSmhdWVcwgg6wgn5rgTAizzldins
Frau Kumpf, auch Sie sollten wissen, dass Bergbautwas mit Energie zu tun hat.Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Ich möchte einige grundsätzliche Bemerkungenur Steinkohle machen. Die Rolle und Bedeutung derteinkohle hat sich in den letzten Jahrzehnten bekannter-aßen drastisch verändert. Einst war die Steinkohle vonerausragender nationaler strategischer Bedeutung fürie Energie- und Wärmeerzeugung, sowohl was dieirtschaft und die Haushalte betrifft als auch was dieersorgungssicherheit generell betrifft als auch zur Si-herung der Unabhängigkeit vom Ausland. Vor allemar sie aber ein dominanter Wirtschafts- und Beschäfti-ungsfaktor.Hierzu nenne ich nur einige Zahlen und Fakten: 1960ab es im Steinkohlebergbau in Deutschland noch00 000 direkt Beschäftigte. In über 150 Bergwerkenurden circa 150 Millionen Tonnen Steinkohleeinheitenefördert. Wie war die Entwicklung? 1980 waren es nuroch rund 190 000 Beschäftigte; heute sind es knapp0 000 Beschäftigte. Bis zum Jahr 2005 wird ein weite-er Rückgang auf 36 000 Beschäftigte prognostiziert. Imleichen Zeitraum sank die Förderung von 87 Millionenonnen 1980 auf 26 Millionen Tonnen im Jahr 2002. Dienzahl der Zechen sank von den genannten 150 auf 39m Jahr 1980 und auf 10 im Jahr 2002. Die Schließungweier weiterer Zechen steht bereits fest.Warum erzähle ich Ihnen das? Weil im Ergebnis fest-ustellen ist, dass die wirtschafts- und beschäftigungspo-itische Bedeutung des Steinkohlebergbaus nicht nur iner nationalen Dimension sehr viel geringer gewordenst, sondern er und die mit ihm verbundenen Implikatio-en mittlerweile nur noch von regionaler Bedeutungind.
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Dr. Joachim PfeifferSie beschränken sich im Wesentlichen auf zwei Bun-desländer, nämlich auf das Saarland und Nordrhein-Westfalen. Das Saarland hat den Mut zum konsequen-ten Strukturwandel. Der Steinkohlebergbau wird imSaarland auslaufen. Die neue Regierung unter PeterMüller stellt sich dieser unangenehmen Wahrheit
und ist dabei, dem Wirtschaftsstandort Saar ein neues,zukunftsfähiges Profil zu geben.
Das Thema Steinkohle befindet sich dort sozusagen inAbwicklung und ist abgehakt. Es bleibt Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen wird der heimischenSteinkohle eine, wenn auch zunehmend weiter schwin-dende, Zukunft gegeben.Vor diesem Hintergrund stelle ich mir die Frage: Wel-che Rolle soll bzw. muss der Bund in einer ehemals nati-onalen, jetzt aber überwiegend regional – politischenThemenstellung überhaupt noch spielen? Kommt ihmdabei überhaupt noch eine Rolle zu?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ulrich?
Nein.
Darüber hinaus ist in der Schule die Frage zu beant-
worten, welche Zukunftsoptionen es gibt.
Klar ist – auch das ist angeklungen –, dass der Stein-
kohlebergbau in Deutschland allein aus tektonischen
Gründen auf dem Weltmarkt niemals wettbewerbsfähig
sein kann und sein wird. Dies ist keine Frage der Pro-
duktivität und auch keine Frage der technischen Mög-
lichkeiten.
Welche Zukunftsfragen sind also zu klären? Erstens
geht es – das wurde gerade von Ihnen angesprochen –
um die Frage der Erhaltung und Weiterentwicklung der
Export- und Technologiekompetenz im Bergbau, der
Kernkompetenz in der Gewinnungs- und Fördertechno-
logie, um auf dem Weltmarkt erfolgreich zu bleiben.
Was ist hierfür notwendig? Brauchen wir Referenzanla-
gen in Deutschland und, wenn ja, wie viele?
Brauchen wir dafür einen Sockel aus heimischer Förde-
rung und, wenn ja, wie hoch muss er sein? Müssen wir
langfristig einen Zugang zur Steinkohleförderung auf-
rechterhalten? Alles Fragen, die es in diesem Prozess zu
beantworten gilt.
Ein zweites Thema ist die Rolle der Steinkohle im zu-
künftigen Energiemix. Gegenwärtig kommt ungefähr
die Hälfte der bei der Steinkohleverstromung in
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Ich fordere Sie auf: Kommen Sie Ihrer Regierungs-
erpflichtung nach und sagen Sie, was Sie wollen. Der
teinkohlebergbau und die Menschen, die davon betrof-
en sind, haben es verdient. Die CDU war immer ein Ga-
ant dafür.
ie jetzige Regelung von 1997 kam unter Führung der
DU zustande. Es gab Planungssicherheit. Jetzt dauert
s nur noch zweieinviertel Jahre, bis der Vertrag aus-
uft, und bis heute wurde nichts vorgelegt.
nsofern stimmen wir dem Antrag der FDP zu.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bis005 gilt der Kohlekompromiss von 1997. Während deraufzeit dieses Kompromisses, also bis 2005, wird dieohlesubvention von 4,73 Milliarden auf 2,81 Milliar-en Euro, Bundesanteil 2,17 Milliarden Euro, herunterefahren. Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dassas durchaus ein klarer Degressionspfad ist. Er zeigtber auch deutlich, dass die deutsche Steinkohle im in-ernationalen Vergleich eben nicht konkurrenzfähig istnd deshalb die Subventionen herunter gefahren werdenüssen. Hinzu kommt noch eine so genannte Bugwelle,ämlich die Mittel aus der Finanzverpflichtung nachem Steinkohlebeihilfengesetz von 1997. In den Jahren006 bis 2008 kommen daraus im Bund 700 bis00 Millionen und in NRW 500 bis 600 Millionen Eurouf uns zu.
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Michaele HustedtIn diesem Jahr muss die Nachfolgeregelung für dieZeit nach 2005 gefunden werden. Die Koalition wirddeshalb über diesen Punkt verhandeln. Da wir mit demSteinkohlebeihilfengesetz ein Bundesgesetz ändern wol-len und werden, muss das mit Zustimmung beider Frak-tionen geschehen.
Dazu sage ich Ihnen, Kollege Hartmann: Anträge sindnoch keine Taten. Anträge sind Worte.
Wir werden mit unserer Mehrheit hier im Bundestag ei-nen gemeinsamen Beschluss fassen und dann werdenunseren Worten Taten folgen. Sie werden sehen, dass wirzum richtigen Zeitpunkt einen gemeinsamen Vorschlagauf den Tisch legen werden.
Für uns Grüne ist das durchaus eine energiepolitischbedeutsame Frage. Allerdings muss man sagen: Wenndie deutsche Steinkohle durch Importkohle ersetzt wird,hat man natürlich umweltpolitisch auch nichts gewon-nen. Viel sensibler ist die Frage: Wie viel Subventionenkönnen wir uns in knappen Haushaltszeiten leisten?Diese Frage wird im Zentrum der Diskussionen stehen.
Wir diskutieren zurzeit darüber, ob wir die nächsteStufe der Steuerreform vorziehen können. Das machenwir davon abhängig, dass wir tatsächlich Subventionenabbauen. Das ist also auch in diesem Zusammenhangwichtig.Die Grünen waren schon immer für Sinkflug und nichtfür Sturzflug. Dazu stehen wir auch weiterhin. Unser Zielist – ähnlich wie das der EU-Kommission –, bis zum Jahr2010 zu einem Abschluss zu kommen. Ich weiß, dass dieSPD in dieser Frage eine andere Position hat;
das muss ich gar nicht unter den Teppich kehren. Aberich bin davon überzeugt, dass wir einen Kompromissfinden werden. Ein Kompromiss deutet sich schon darinan, dass die EU das Jahr 2010 als Zeitfenster vorgibt. Ichfinde, auf dieses Zeitfenster sollten wir uns in den Ge-sprächen auch konzentrieren.Man muss sich natürlich auch mit den Folgeschädenauseinander setzen. Dazu zählen die deutliche Erhöhungder Überschwemmungsgefahr, Grundwasseranstieg undTrinkwasserverschwendung, die es in großem Maßegibt. Außerdem sind die drastischen Absenkungen zunennen, die teilweise bis zu 14 Meter betragen. Wennman sich das konkret vor Ort ansieht, dann weiß man,dass die Menschen, die dort Häuser gebaut haben, sehrstark betroffen sind.
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Bei einer Nachfolgeregelung zur Kohlesubventionuss es – das sage ich ganz deutlich – einen weiterenegressionspfad geben. Wenn wir den bisher bestehen-en Degressionspfad fortsetzen, dann bedeutet das circa00 Millionen Euro pro Jahr weniger. Das ist die Größe,n der wir uns messen lassen müssen.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass wir beien Überlegungen, welche Zechen geschlossen werdenollen, auch Qualitätskriterien berücksichtigen müssen,lso welche Folgeschäden es bei der jeweiligen Zecheibt. Warndt/Luisental oder Walsum sind zwei Zechen,ie besonders weit reichende Folgeschäden hervorrufen.ch fände es gut, wenn wir zu dem Kompromiss kom-en würden, dass dies die nächsten Zechen sind, die ge-chlossen werden.Abschließend komme ich auf die Rechte der Betroffe-en zu sprechen. Das Bundesberggesetz stammt nochus preußischer Zeit. Ich glaube nicht, dass es noch un-erem heutigen Demokratieverständnis entspricht. Inordrhein-Westfalen gibt es den scherzhaften Spruch:erfassung bricht Bundesrecht, Bergrecht bricht Verfas-ung. Ich glaube, wir sollten im Zusammenhang mit derteinkohlesubvention auch darüber sprechen, ob wiricht, was die Rechte der Betroffenen betrifft, das Bun-esberggesetz an das heutige Niveau anpassen. Ichinde, es gehört zu einem Gesamtpaket dazu, dass dieechte der Betroffenen gestärkt werden.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl-Josef
aumann, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich glaube, dass es unter den heutigen Natur-chutz- und Umweltschutzgesichtspunkten eine Selbst-erständlichkeit sein muss und dass es an der Zeit ist,ass sich der Gesetzgeber angesichts der Entwicklungtwa im Abbaugebiet Dinslaken, der großen Sorgen, dieie Menschen dort haben – diese kann man nicht igno-ieren; das sieht man auch an der Stärke der Bürgerinitia-ive –, oder auch angesichts der Auswirkungen der Un-ertunnelung des Rheins etwa auf den Wasserhaushalt in
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Karl-Josef Laumannder Region überlegt, wie durch ein modernes Bergrechtdiese Gedanken des Umweltschutzes, die früher bei wei-tem nicht die Bedeutung gehabt haben wie heute, stärkerberücksichtigt werden.
Ich vertrete einen Wahlkreis, zu dem auch das Berg-baugebiet Ibbenbüren gehört. Ich weiß sehr wohl, wieschwer es ist, eine ländliche Region, die seit vielen Ge-nerationen vom Bergbau geprägt ist, umzustrukturieren,um den Menschen in dieser Region auch ohne Bergbaueine Perspektive zu geben.
Wir haben in den vergangenen Jahren vieles geschafft.Vor 20 Jahren waren auf dem Bergwerk, von dem ichgerade gesprochen habe, noch 8 000 Leute beschäftigt.Heute arbeiten auf diesem Bergwerk noch 2 600 Leute.Im Arbeitsamtsbezirk Rheine im Kreis Steinfurt – dasliegt im Tecklenburger Land – haben wir die niedrigsteArbeitslosenquote in ganz Nordrhein-Westfalen. Dasheißt, diese Region hat einen guten Teil der Umstruktu-rierung mit einem lebenden Bergbau geschafft. Ichglaube, dass diese Umstrukturierung nur Schritt fürSchritt und mit einem lebenden Bergbau möglich ist.Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Als ich 1990 inden Bundestag kam, damals war die Kohlepolitik auchwieder einmal Thema – das ist temporär alle paar Jahreder Fall –,
konnten wir uns – daran kann ich mich gut erinnern – eineRuhrkohle AG als einen der industriellen Kerne im Ruhr-gebiet ohne die Steinkohle gar nicht vorstellen.
Schauen wir uns die Ruhrkohle AG heute einmal an.Sie macht in Deutschland mehr Umsatz mit Chemie undImmobilien als mit der Steinkohle. Es ist gut, dass ein sowichtiger Arbeitgeber für Nordrhein-Westfalen dieseUmstrukturierung mit einem lebenden Bergbau Schrittfür Schritt geschafft hat. Für Nordrhein-Westfalen unddie Menschen, die bei der RAG beschäftigt und dort aufArbeit und Brot angewiesen sind, ist das eine gute Ent-wicklung. Im Übrigen hat die Union diese Entwicklungbei der RAG politisch schon unterstützt, als die SPD imRuhrgebiet das noch für Vaterlandsverrat gehalten hat.
Natürlich hat die FDP in einem Punkt ihres AntragesRecht: Die Bundesregierung muss mit der DeutschenSteinkohle AG noch in diesem Jahr darüber reden, wiees ab 2005 weitergehen soll; denn gerade im Bergbaubraucht man Planungssicherheit und vernünftige Vor-läufe.
Das ist aber auch der einzige Punkt, den ich in IhremAntrag unterschreibe.dbnIgniKodtNnSn–nswvbwüwBEBgMdVLh
ch glaube auch, dass die Steinkohle nur in einem Ener-iemix aus Kernenergie, fossilen Brennstoffen und rege-erativen Energien darstellbar ist. Deswegen bedauerech es sehr, dass diese Koalition den Ausstieg aus derernenergie im Grunde beschlossen hat.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Subventi-nen für die erneuerbaren Energien über den Strompreisie Subventionen für den Steinkohlebergbau im nächs-en Jahr zum ersten Mal übersteigen werden.
och einmal ganz ruhig: Die Subventionen für die er-euerbaren Energien über den Strompreis werden dieubventionen für den deutschen Steinkohlebergbau imächsten Jahr übersteigen.
Ich habe ja gesagt: über den Strompreis.Ich sage Ihnen: Diese Subvention, die Sie für die er-euerbaren Energien über den Strompreis organisieren,ichert in Deutschland nur etwa ein Zehntel der Kilo-attstunden, die die Steinkohle mit der gleichen Sub-ention produziert. Ich finde, auch das muss man dabeiedenken.Ich glaube auch, dass wir gut überlegen sollten, obir am Ende nicht doch einen lebenden Restbergbauber das Jahr 2010 hinaus behalten müssen,
eil es in Deutschland – das muss man bedenken – auchergbautechnologie gibt.
s ist unstreitig, dass die Steinkohle, dieser fossilerennstoff, in diesem Jahrhundert für die Energieversor-ung dieser Erde eine enorme Bedeutung haben wird.
Wenn ich richtig informiert bin, dann liefert der deutscheaschinenbau etwa 45 Prozent der Bergbautechnologie,ie weltweit gekauft wird. Mir wird gesagt, dass dieseerkäufe oft nur deswegen zustande kommen, weil dieeute aus China, Südamerika und Russland vor Ort se-en, wie diese Maschinen arbeiten.
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Karl-Josef Laumann
– Wir haben modernste Zechen.
Viele hier im Bundestag sagen, dass wir den Metro-rapid in Deutschland brauchen, weil wir diese Technolo-gie verkaufen wollen. Ich glaube, das könnte auch einArgument für eine weltweit so wichtige Technologie wiedie Bergbautechnologie sein, was man mit berücksichti-gen sollte.
Herr Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Ulrich?
Ich gestatte gern eine Zwischenfrage.
Wenn die Logik, die Sie für den Referenzbergbau an-
führen, auch für andere Zweige gilt, dann müssten wir
im Prinzip für alle Produkte, die Deutschland stark in die
Welt exportiert, Referenzanlagen vorweisen können.
Ich frage Sie: Ist das so? Ich nenne als Beispiel Meer-
wasserentsalzungsanlagen. Wo laufen diese denn in
Deutschland? Sie werden doch trotzdem von Deutsch-
land exportiert. Ich halte Ihr Argument mit den Refe-
renzanlagen für völlig falsch und an den Haaren herbei-
gezogen.
Ich sage noch einmal ganz ruhig: Ich glaube, dass es
sich eine Volkswirtschaft, die Wohlstand und soziale Si-
cherung nur über exportfähige Produkte verteidigen
kann, gut überlegen sollte, ob sie aus einem Markt, der
weltweit noch viele Jahre, wahrscheinlich noch dieses
Jahrhundert, eine riesige Rolle spielt, schlicht und er-
greifend aussteigt.
Dies gilt in besonderem Maße, weil wir in diesem Be-
reich schon Anteile am Weltmarkt haben. In anderen Be-
reichen müssen wir sie uns erst erkämpfen. Dies ist zu
berücksichtigen.
Ich finde es in Ordnung – das sage ich deutlich –, dass
sich bis jetzt in Deutschland nur eine Partei klar geäußert
hat, wie sie sich das mit der Kohle in Zukunft vorstellt,
nämlich die CDU in Nordrhein-Westfalen.
Der CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen hat klar
gesagt, dass zwar eine weitere Degression bei den Koh-
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Wir dürfen nicht vergessen, dass mit den Kohlebeihilfennicht nur die 46 100 Arbeitsplätze bei der Deutschen Stein-kohle gesichert werden, sondern dann, wenn man den Fak-tor 1,3 unterstellt, indirekt auch weitere 60 000 Arbeits-plätze bestehen bleiben. Das heißt, wir reden hier über100 000 Arbeitsplätze, die direkt und indirekt von denKohlebeihilfen abhängen. Wer in Zeiten hoher Arbeits-losigkeit meint, 100 000 Arbeitsplätze seien vernachläs-sigbar, der soll bitte schön mit den Menschen und ihrenFamilien in den ohnehin von Arbeitslosigkeit überpro-portional betroffenen Regionen reden. Dort wird er an-deres zu hören bekommen.
Dann kommt das beliebte Argument, das HerrHartmann eben auch gebracht hat, nämlich die Summeder Kohlebeihilfen durch die Anzahl der im Kohleberg-bau Beschäftigten zu dividieren. Dann kommt man aufeinen Betrag x je Arbeitsplatz. Dabei wird völlig verges-sen, dass noch wesentlich mehr Arbeitsplätze in anderenBereichen vom Bergbau abhängen, es wird vergessen,dass Mehrwertsteuer, Lohnsteuer und Unternehmen-steuer gezahlt werden und, wenn 100 000 Leuten gekün-digt würde, auch Arbeitslosengeld zu finanzieren ist.Das fällt nicht vom Himmel. Es muss auch irgendwoherkommen.
Vielleicht sollten Sie sich alle einmal die Mühe machen,diese Rechnung aufzumachen. Sie werden dann sehen,dass Sie zu anderen Ergebnissen kommen.Es wird immer wieder gesagt, dass der Bergbau eineAuslauftechnik ist. Ich fordere Sie auf, sich die Technikeinmal unter Tage anzuschauen.
Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal unter Tage ge-wesen sind. Das ist Hochtechnologie, was wir dort ha-ben. Wenn es so ist, dass die Bergbautechnik – im Übri-gen auch die Kraftwerkstechnik – in Deutschland zurWeltspitze gehört
und wir deutliche Vorteile beim Export auf dem Welt-markt haben, dann muss man sich vergegenwärtigen,was das für die Zukunft bedeutet. Wenn Schwellenländerwie China und andere in den nächsten Jahrzehnten einenhöheren Energiebedarf haben werden und diesen durchihre Kohlevorräte decken werden, dann wären wir dochmit dem Klammersack gepudert, wenn wir es nichtschaffen würden, die modernsten Anlagen der Bergbau-technik und der Kraftwerkstechnik dorthin zu exportie-ren. Denn das, was wir dort durch die moderne Techno-logie an CO2 einsparen, könnten wir hier selbst dannngIzkPg1aüSIDAggrMvsKaddaegdnSgeDfvs
ch muss eines zum Thema Planungssicherheit sagen.ie Regierung aus CDU/CSU und FDP, die vor 1998 immt war, hat alle zwei bis spätestens drei Jahre angefan-en, die Vereinbarungen, die über längere Zeiträume ge-olten haben, infrage zu stellen und damit Verunsiche-ung bei den Unternehmen, den Beschäftigten und denenschen in den Regionen hervorgerufen.Diese Bundesregierung hat den Kohlekompromisson 1997 eingehalten. Wir werden eine tragfähige An-chlussfinanzierung finden. Darauf haben wir uns imoalitionsvertrag verständigt. Wenn man sich das allesnschaut, dann ist klar, dass wirtschaftliche und indivi-uelle Interessen vor Ort in den Bergbauregionen beien Bergschäden aufeinander stoßen. Ich würde miruch wünschen, dass es an der einen oder anderen Stelletwas unbürokratischer zugeht und vielleicht noch weni-er als bisher von den Gerichten in der Frage der Scha-enregulierung geklärt werden müsste. Aber die Alter-ative kann nicht sein, dass der Ausstieg aus demteinkohlebergbau in Deutschland beschlossen wird. Ichlaube, damit würden wir uns allen einen Bärendienstrweisen.Deshalb können wir Ihren Antrag nur ablehnen.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/475 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Verwendung von Verwaltungsdaten für
– Drucksache 15/520 –
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4425
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)Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
– Drucksache 15/1229 –Berichterstattung:Abgeordnete Gudrun Kopp
– Drucksache 15/1237 –Berichterstattung:Abgeordnete Volker KröningKurt J. RossmanithAnja HajdukJürgen KoppelinNach einer interfraktionellen Vereinbarung war fürdiese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Da esdazu keinen Widerspruch gibt, ist das so beschlossen,wenngleich wir diese damit vereinbarte Zeit vermutlichnicht gänzlich brauchen, weil von den angemeldetenRednern, nämlich dem Parlamentarischen StaatssekretärGerd Andres und dem Kollegen Fritz Kuhn und der Kol-legin Gisela Piltz, die sorgfältig vorbereiteten Reden zuProtokoll gegeben werden1). Der ParlamentarischeStaatssekretär Gerd Andres hat das mit der Erwartungverbunden, dass seine besonders sorgfältig vorbereiteteRede in Marmor gemeißelt und in Glasvitrinen aus-gestellt wird.Das kann ich – schon wegen des Risikos von Wieder-holungsfällen – ausdrücklich nicht zusagen. Dennochnehmen wir das Angebot, die Rede zu Protokoll zu ge-ben, dankbar zur Kenntnis.Ich erteile nun dem Kollegen Hartmut Schauerte dasWort und weise ihn ausdrücklich darauf hin, dass ihmkeineswegs die gesamte eingesparte Redezeit zur Verfü-gung steht.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich gehöre zu der kleiner werdenden Minderheit in
diesem Haus, die dem Wort den Vorrang gegenüber der
in Marmor gemeißelten Schrift gibt.
Ich wende mich jetzt kurz dem vorliegenden Gesetz-
entwurf zu. Wir alle wollen, dass insbesondere zuguns-
ten des Mittelstands unnötiger Ballast durch statistische
Erhebungen verringert bzw. beseitigt wird. Das soll mit
dem Gesetzentwurf erreicht werden. Wir halten dieses
Gesetz für ungeeignet, um das angestrebte Ziel zu errei-
chen.
Wir haben ein besonderes Anliegen: Wir würden es
begrüßen, wenn ein solches „Gesetzchen“, um das es
heute geht und das der Zustimmung des Bundesrates be-
darf, vorher mit dem Bundesrat abgestimmt wird, damit
eine Chance besteht, dass es zur Verabschiedung kommt.
Sie beschäftigen das Parlament im zunehmenden Maße
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1) Anlage 2
Wenn es darum geht, mir eine Frage zu stellen, würde
ch sie ausnahmsweise zulassen.
Nun erhält der Kollege Andres das Wort für eine in
armor gemeißelte Zwischenfrage.
Herr Kollege Schauerte, Sie wissen, dass ich auch da-
in geübt bin, frei zu sprechen. Das verleitet mich zu der
rage, ob es möglich ist, dass Sie nicht dazu gekommen
ind oder nicht die Gelegenheit hatten, ein Manuskript
nzufertigen, und dass Sie dieser Sachverhalt zwingt,
ine Rede zu halten.
Wäre es nicht jenseits des generellen Vorwurfs an die
undesregierung, dass wir alles schlampig und schlecht
orbereitet hätten, möglich, alle Redebeiträge zu diesem
agesordnungspunkt zu Protokoll zu geben, weil sie
ahrscheinlich keinen Menschen mehr interessieren?
Wir hatten verabredet, dass ich Sie nur zwei Minutenufhalten würde, aber jetzt zwingen Sie mich, darausrei zu machen.
Ich sehe mich in diesem Hohen Hause absolut auf derichtigen Seite; denn wir werden immer wieder dazu er-ahnt, nicht abzulesen, wie Sie es wahrscheinlich getanätten, sondern frei zu sprechen.
arum habe ich mich bemüht. Ich meine aber, dass wirie Debatte an dieser Stelle abbrechen können. Arbeitenie in Zukunft etwas weniger an der schriftlichen Vorbe-eitung Ihrer Reden und dafür etwas solider an den Ge-etzen!Herzlichen Dank.
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Um eine völlig unnötige Kontroverse über die Ge-schäftsordnung zu vermeiden, weise ich zu dem Disputzwischen den Kollegen Andres und Schauerte abschlie-ßend auf § 33 unserer Geschäftsordnung mit der Über-schrift „Die Rede“ hin:Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vor-trag. Sie können hierbei Aufzeichnungen benutzen.Ich füge der Vollständigkeit hinzu: Aufzeichnungen,die man nicht hat, kann man auch nicht benutzen.
Nun schließe ich die Aussprache.Ich komme zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Verwaltungs-datenverwendungsgesetzes auf Drucksache 15/520. DerAusschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 15/1229, den Ge-setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen dieStimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann istdieser Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit auch indritter Beratung angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die An-passung von Dienst- und Versorgungsbezügen in
– Drucksachen 15/1186, 15/1223 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines... Gesetzes zur Änderungdienstrechtlicher Vorschriften– Drucksache 15/1021 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussc) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungZweiter Versorgungsbericht der Bundesregie-rung– Drucksache 14/7220 –hDCR–adDsa7sDsfADnS1)
ie Kollegen Hans-Peter Kemper, Stephan Mayer,lemens Binninger und Ernst Burgbacher geben ihreeden zu Protokoll.1)
Ich bitte um Nachsicht. Wir nehmen selbstverständlichuch diese zu Protokoll. Ich konnte eben nur die Namenerjenigen förmlich mitteilen, die mir annonciert waren.as ist einer der seltenen Augenblicke, in denen das Prä-idium nicht alles weiß. Wir ergänzen aber gerne.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenuf den Drucksachen 15/1186, 15/1223, 15/1021 und 14/220 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-chüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –as ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-chlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenSiegmund Ehrmann, Karin Kortmann, DetlefDzembritzki, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der Abgeordneten ThiloHoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENAuf dem Weg zur Erreichung der MillenniumDevelopment Goals – Probleme beider Zielerreichung erkennen und bewältigen– Drucksache 15/1005 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeKeine Sorge, der Antrag ist in deutscher Sprache ver-asst.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache ebenfalls eine halbe Stunde vorgesehen. –azu gibt es keinen Widerspruch.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-er das Wort dem Kollegen Klaus Werner Jonas für diePD-Fraktion.Anlage 3
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4427
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Nachsicht, dassich Sie jetzt strapaziere. Aber ich glaube, es gibt nichtsBesseres, als seine Jungfernrede in heiterer Runde zuhalten. Aus diesem Grunde habe ich mich in Absprachemit unserer Geschäftsführung dazu entschlossen, zu re-den.Über 50 Jahre hat sich die Welt drastisch verändert.Die Grenzen in Europa sind in diesem Zeitraum größten-teils verschwunden. Die Mauern sind gefallen. Dieneuen Informations- und Kommunikationstechnologienbringen die Menschen näher zueinander. Es ist eine vielversprechende Welt, aber auch eine Welt, in der leiderein großer Teil der Menschen von den Errungenschaftender Technologie und der Kultur ausgeschlossen ist.Während ein Sechstel der Weltbevölkerung eine Lebens-qualität genießt, wie es sie noch nie gegeben hat, leidetein anderes Sechstel der Weltbevölkerung unter großemHunger, Krankheit, Armut und höchster Unsicherheit.1,2 Milliarden Menschen leben in unserer Welt mit we-niger als 1 US-Dollar pro Tag und sind damit als extremarm einzustufen.Angesichts dessen wird der eine oder andere sicher-lich fragen: Was gehen uns diese Zahlen an, da wir dochzu dem besser gestellten Sechstel der Weltbevölkerunggehören? Obwohl wir unsere eigenen Probleme haben– die Arbeitslosigkeit, die Entwicklung in den neuenBundesländern, die anstehenden Reformen in den Ge-sundheits- und Sozialsystemen –, gibt es in der Bevölke-rung Verständnis für die Notwendigkeit der Entwick-lungszusammenarbeit. Hier möchte ich ganz deutlichfeststellen: Armut, Krankheit, Kriege, ob hier oder aufanderen Kontinenten, diese Probleme gehen uns sehrwohl etwas an; denn sie haben Auswirkungen bis in un-sere Hemisphäre. Gerade in dieser Woche haben wir imEuroparat zu diesem Thema feststellen müssen, dass dieAuswirkungen für uns von erheblicher Bedeutung sind.Ich denke nur an das Problem des Menschenhandels inZentralasien. Ich nenne in Bezug auf die Umwelt alsStichworte nur den Klimawechsel und die Umweltkata-strophen, in Bezug auf unsere Gesellschaft die Migrationund – aus ökonomischer Sicht – die Weltwirtschafts-krise.Als die Staats- und Regierungschefs die Millenniums-erklärung der Vereinten Nationen unterzeichnet ha-ben, haben sie diese Tatsache offiziell anerkannt. Nir-gendwo werden die Herausforderungen, vor denen wirstehen, besser als in dieser Millenniumserklärung be-schrieben. Mit dieser Erklärung haben die Staaten einenbemerkenswerten Schritt getan, indem sie sich verpflich-teten, gemeinsam die globalen Probleme anzugehen. Indieser Erklärung manifestieren sich konkrete und zumTeil klar bezifferte Ziele, etwa die Halbierung der Armutin der Welt bis 2015, aber auch die Themen Frieden, Si-cherheit, Abrüstung, Demokratie, Entwicklung, Um-weltschutz und Menschenrechte. Halbierung der Armutder Welt bezieht sich auf diejenigen Menschen, die mitweniger als 1 Dollar pro Tag leben müssen.assStAdpMszWwdtHauhvsmib2dbdOsrszdlddtdwhzdnt
Im April 2001 wurde das Aktionsprogramm 2015om Bundeskabinett beschlossen, in dem Deutschlandeinen Beitrag zur Erreichung der Millennium Develop-ent Goals festlegt. Trotz der Bemühungen sowohl aufnternationaler als auch auf nationaler Ebene gibt es abereträchtliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung.Aus dem Bericht des UN-Generalsekretärs vom Herbst002 über die Umsetzung geht hervor, dass 13 Jahre vorer gesetzten Frist die Fortschritte in der Armuts-ekämpfung weitgehend unzureichend sind. Währendavon ausgegangen werden kann, dass Teile Süd- undstasiens die festgelegten Ziele erreichen können, wennie ihren Kurs fortsetzen, haben Regionen wie Lateiname-ika, Afrika und große Teile Zentralasiens nur kleine Fort-chritte, wenn nicht sogar tragische Rückschritte zu ver-eichnen. Deshalb stellen wir diesen Antrag.Die Probleme müssen erkannt werden. Von der Bun-esregierung muss erwartet werden, dass sie in ihrer Po-itik Fortschritte macht. Der Bundestag hat die Aufgabe,ie Bundesregierung hierbei nachhaltig zu unterstützen.
Auch der Deutsche Bundestag muss seinen Beitrag zuer beispiellosen Anstrengung der Völker und der Staa-en leisten, die Globalisierung aktiv mitzugestalten, in-em er der Bundesregierung den Rücken stärkt und dort,o es nötig ist, auch Lösungsansätze vorträgt.
In diesem Antrag benennen wir die einzelnen anste-enden Aufgaben. Ich bitte Sie ganz herzlich: Unterstüt-en Sie diesen Antrag! Stimmen Sie zu! Zeigen wir, dasser Deutsche Bundestag die Armutsbekämpfung als ei-en der Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik betrach-et! Wir werden in Zukunft Nutznießer sein, wenn die
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Klaus Werner JonasArmut in der Welt nachhaltig gesenkt wird; denn es ent-bindet uns von vielen anderen Aufgaben.Vielen Dank.
Herr Kollege Jonas, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-
ten Rede im Deutschen Bundestag, verbunden mit allen
guten Wünschen für die weitere parlamentarische Ar-
beit.
Nun hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort. Ich glaube, das ist min-
destens schon seine zweite Rede.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Jonas, ich schließe mich der Gratulationausdrücklich an, auch wenn ich sagen muss: Ich hättemir gut vorstellen können, diese Debatte hier bei einergrößeren Präsenz – auch von meiner Arbeitsgruppe – zuführen. Da aber der FDP-Redner noch nicht da ist,
muss ich Ihnen jetzt ziemlich langsam, aber hoffentlichdeutlich ein paar Dinge zu den Millennium DevelopmentGoals ins Stammbuch schreiben.CDU und CSU unterstützen die so genannten Millen-niumsentwicklungsziele, die die Vereinten Nationen – esist schon angesprochen worden – unter anderem mit ih-rer Millenniumserklärung im Jahr 2000 und auch imMonterrey-Konsens verkündet haben. Diese Ziele liegeninhaltlich in der Kontinuität unserer jahrzehntelang be-triebenen Politik und sind für die Zukunft auch einedurchaus nützliche, stetige Mahnung an die Menschheit,entschieden gegen Hunger, Armut und Umweltzerstö-rung einzutreten.Nun ist es sicherlich sinnvoll, sich auch ehrgeizigepolitische Ziele zu setzen, wenn denn dieser Ehrgeizdazu führt, dass zur Zielerreichung zumindest auch dasmaximal Mögliche unternommen wird. Schlecht istallerdings, wenn ehrgeizige, als konkrete politischeHandlungsvorgabe eher wenig geeignete Ziele lediglichständig propagiert werden, in der harten entwicklungs-politischen Alltagsarbeit aber keinen Niederschlag fin-den. Das ist nun einmal genau die Situation, die wir inder deutschen Entwicklungspolitik festzustellen haben.Der Versuch, insbesondere das Millenniumsziel der Hal-bierung der weltweiten absoluten Armut bis zum Jahr2015 in ein nationales Aktionsprogramm zu gießen, istleider kläglich gescheitert. Deswegen drängt sich für unsder Verdacht auf, dass Sie diese Ziele mehr wie eineMonstranz vor sich hertragen, um den stetigen sowohlfinanziellen als auch qualitativen Niedergang der deut-schen Entwicklungspolitik zu kaschieren. Sie werdenVte–wissugwaDnndgsksprndhlaLgdrdhdUzAffvhJwEl
Wir haben in einer Anfrage die Bundesregierung aus-rücklich gebeten, einmal zu konkretisieren, wie das er-eicht werden soll. Nichts! Fehlanzeige! Sie sind nicht iner Lage, Mindestziele darzustellen, und tragen dochohe Ziele wie eine Monstranz vor sich her.Sie schreiben in Ihrem Antrag als Erfolgsmeldung,ass dem BMZ die federführende Koordination für denmsetzungsprozess zur Erreichung der Millenniums-iele übertragen worden ist. Das klingt auch so weit gut.ber einig sind wir uns darüber: Besser als eine feder-ührende Koordinierung wären mehr finanzielle Mittelür die Entwicklungszusamenarbeit, wie Sie sie immerersprochen haben, was Sie aber bis heute nicht einge-alten haben.Sie haben durch Ihre Bundesministerin im letztenahr wiederholt erklären lassen, Sie wollten den Ent-icklungshilfeetat langsam steigern und den Anteil derntwicklungshilfeleistungen am Bruttoinlandsproduktangsam steigern. Da war von 0,28 Prozent für das letzte
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Dr. Ralf BrauksiepeJahr die Rede. Nicht einmal das haben Sie erreicht. Siesind bei den 0,27 Prozent stehen geblieben. Über einessind wir uns sicherlich einig: Das lag nicht daran, dassdas Bruttoinlandsprodukt im letzten Jahr so unerwartetstark gestiegen ist. 0,2 Prozent mehr, das spricht nunwirklich nicht dafür, dass Sie von Ihrem eigenen Wirt-schaftswachstum geradezu überrascht und überwältigtworden sind.Wir können Sie im Übrigen auch nur davor warnen,aus falscher Rücksichtnahme gegenüber unseren Part-nerländern politische Augenwischerei zu betreiben. Esmag ja sein, dass nach Aussagen der Afrikanischen Ent-wicklungsbank – Sie zitieren das in Ihrem Antrag – circa30 effizient wirtschaftende afrikanische Staaten die öf-fentliche Entwicklungszusammenarbeit hinreichend nut-zen. Das hieße, dass in mehr als der Hälfte der afrikani-schen Staaten mit öffentlichen Entwicklungshilfegelderneffizient gewirtschaftet wird. Bei allem Respekt: Ichglaube nicht, dass wir davon ernsthaft ausgehen können.Es nützt auch den Menschen in Afrika nichts, wenn wirdie Illusion nähren, es wäre anders.Die Europäische Kommission ist da übrigens in ihrenBerichten sehr viel kritischer.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie als Koali-tionsfraktionen eher zahme Forderungen an die eigeneRegierung stellen, ist ja durchaus nachvollziehbar. Ichhöre gelegentlich von älteren Fraktionskolleginnen und-kollegen, dass das früher bei uns auch einmal so war.Sie sollten aber durchaus das zur Kenntnis nehmen, wasdie Regierung früher schon einmal gemacht hat. Deswe-gen geht Ihre Forderung an die Bundesregierung, Instru-mente wie die Devisentransaktionssteuer, die Sie ja alsinnovativ bezeichnen, zu prüfen, in die falsche Richtung.Das BMZ – die Parlamentarische Staatssekretärin wirddas bestätigen können – hat genau zu diesem Thema be-reits eine Studie vorgelegt. Sie müssen jetzt einfach ent-scheiden, ob Sie sich die Forderung nach diesem Instru-ment, die sich bisher immer nur die PDS auf die Fahnengeschrieben hat, jetzt zu Eigen machen. Sie haben dazueine Untersuchung gemacht; jetzt müssen Sie sich ent-scheiden. Wir haben dazu eine klare Position und sindgern bereit, das mit Ihnen zu diskutieren. Die richtigenAnsätze für eine moderne Entwicklungspolitik im Inte-resse effizienter Armutsbekämpfung und globaler Zu-kunftssicherung finden sich nach unserer Überzeugungaber in anderen Bereichen. Wir haben das bei der De-batte über die Regierungserklärung der Frau Bundesmi-nisterin bereits deutlich zum Ausdruck gebracht.Die deutsche Entwicklungspolitik hat ja in den ver-gangenen Jahrzehnten überwiegend unter unionsgeführ-ten Bundesregierungen durchaus beachtliche Erfolge beider Armutsbekämpfung erzielt. In unserer globalisiertenWelt gilt es nun, die bilaterale Entwicklungszusam-menarbeit auch konzeptionell diesen veränderten Rah-menbedingungen anzupassen und gleichzeitig die längstüberfällige Reform der multilateralen Entwicklungs-zusammenarbeit mit aller Kraft anzugehen. Wir stellenaber unser Konzept einer internationalen sozialenMarktwirtschaft als globale Regelarchitektur, mit derfür Kohärenz zwischen wirtschafts-, finanz- und ent-wsgSohmvöMwD–DggövwbNgthddtvvnIlam–ÜEdteuuSWdNV
Ja, aber das ist bei uns auch Konsens, Frau Kollegin.
er Kollege Marschewski als mein erfahrener Ruhr-ebietskollege wird sich jetzt aus Solidarität bestimmtleich hinsetzen.Wir fordern Sie weiterhin auf, die Strukturen derffentlichen deutschen Entwicklungszusammenarbeit zuerbessern, die Entscheidungen, die seit 1998 Fehlent-icklungen eingeleitet haben, zurückzunehmen und da-ei auch verstärkt die großen Potenziale von Kirchen,ichtregierungsorganisationen und politischen Stiftun-en zu nutzen. Wir fordern Sie auf, die richtigen Priori-äten bei unseren Kooperationssektoren zu setzen; daseißt, verstärkt auf Bildung und Ausbildung sowie aufie Verbesserung der staatlichen Rahmenbedingungen inen Entwicklungsländern selbst, verstärkt auf Demokra-isierung und gute Regierungsführung sowie auf eineerstärkte Förderung gerade des mittelständischen Pri-atsektors zu setzen.
Wir fordern Sie auch auf, einmal den Mut zu haben,icht nur von Schwerpunktländern zu reden, was ja beihnen einen großen Teil der Welt umfasst, sondern wirk-ich den Mut zu haben, eine klare Schwerpunktsetzunguf bestimmte Länder vorzunehmen. Außer auf Länderit Willen und Engagement zu guter Regierungsführung das wurde bereits angesprochen – müssen nach unsererberzeugung die Schwerpunkte auch auf islamischentwicklungsländer gelegt werden, um die Rahmenbe-ingungen dort zu verbessern und den Politik- und Kul-urdialog mit ihnen zu intensivieren. Genauso wollen wirinen Schwerpunkt auf die Wirtschafts-, Wissenschafts-nd Hochschulbeziehungen mit Schwellenländern legen,m auch hier zu einer Intensivierung zu kommen. Diesechwerpunktsetzung liegt im gegenseitigen Interesse.ir bekennen uns im Gegensatz zu Ihnen auch dazu,ass Entwicklungspolitik den Interessen von Geber- undehmerländern gleichermaßen dienen soll. Das ist unsererständnis von wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
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Dr. Ralf BrauksiepeNicht zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, for-dern wir Sie als Regierungskoalition auf, endlich IhreAnstrengungen zur Reform der europäischen Entwick-lungszusammenarbeit zu intensivieren.
Es kann doch uns alle nicht ruhen lassen, was wir in die-sem Bereich beobachten: Allein im Bereich der Zusam-menarbeit mit den AKP-Staaten – das berühmte Kern-und Herzstück der europäischen Entwicklungszusam-menarbeit – haben sich bereits 29 Milliarden Euro nichtabgeflossener Mittel angestaut.Ich will jetzt gar nicht über die Inhalte reden. Dennnatürlich geht es nicht nur darum, das Geld einfach aus-zugeben; vielmehr soll es für sinnvolle Projekte verwen-det werden. Über die Sinnhaftigkeit muss man dann imEinzelnen noch reden. Aber es kann nun wirklich nichtder Sinn der Sache sein, 29 Milliarden Euro nur in derPipeline zu haben, die nicht für die Bekämpfung vonHunger und Armut zur Verfügung stehen. Da diesesGeld zu einem erheblichen Teil aus deutschen Steuergel-dern stammt, meine ich, dass wir aufgefordert sind, ge-meinsam etwas zu unternehmen.
Nach unserer festen Überzeugung brauchen wir einenverstärkten deutschen Einfluss auf die Entwicklungs-politik der EU-Kommission. Die EU-Entwicklungspoli-tik wird nicht zukunftsfähig sein, wenn sie weiter in denüberkommenen, künstlichen und sachlich nicht zu recht-fertigenden regionalen Schubladen denkt. Wir werdendemnächst in diesem Hause auch dazu Initiativen ergrei-fen.Frau Kollegin Kortmann, ich bin für Ihren Zwischen-ruf dankbar und hoffe, dass wir auch dann zusammenfin-den, wenn es konkret wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Grundpfei-ler unserer Entwicklungspolitik stehen nicht im Wider-spruch zu den Millenniumsentwicklungszielen der Ver-einten Nationen; im Gegenteil: Nach unserer festenÜberzeugung fördern sie deren Erreichung. Nur ist esjetzt eben Ihre Aufgabe, neben der Propagierung dieserhehren Ziele im internationalen Bereich auch nationalIhre Hausaufgaben zu machen. Dazu fordern wir Sie auf;CDU und CSU werden Sie dabei weiter kritisch be-gleiten, möglicherweise auch – der Redner der FDP istmittlerweile auch eingetroffen – die gesamte Opposition.Herzlichen Dank.
Bevor dieser nun das Wort erhält, ist aber zunächst
der Kollege Thilo Hoppe für Bündnis 90/Die Grünen an
der Reihe.
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Die WTO-Verhandlungen stecken in der Krise. Vorllem die USA, aber auch die Europäische Union mussich bewegen, besonders beim Subventionsabbau; sonstann die Doha-Runde ihrem Anspruch, Entwicklungs-unde zu sein, nicht gerecht werden.
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Thilo HoppeUm die Millenniumsziele zu erreichen, bedarf es gro-ßer Anstrengungen und Aktivitäten in vielen Bereichen.Ich möchte angesichts meiner kurzen Redezeit nur zweiBereiche herausstellen.Erstens: zum Energiebereich. Es gibt Entwicklungs-länder, die mittlerweile 80 bis 100 Prozent ihrer gesam-ten Exporterlöse für die Einfuhr von fossilen Energieträ-gern, also für Erdöl und Gas, ausgeben. Der Ölpreis wirdweiter steigen. Die Preise für Nichtenergierohstoffe, alsofür Produkte, die die meisten Entwicklungsländer expor-tieren, sind in den letzten 20 Jahren um rund 50 Prozentgefallen. Daran wird deutlich, dass die Abhängigkeitvom Öl für viele Entwicklungsländer zu einer furchtba-ren Armutsfalle geworden ist. Daraus folgt, dass auch imRahmen der Entwicklungszusammenarbeit eine Politikweg vom Öl und hin zu den erneuerbaren Energien vonganz zentraler Bedeutung ist.
Ich freue mich, dass in genau einem Jahr – im Juninächsten Jahres – die große Weltkonferenz zum Themaerneuerbare Energien hier in Deutschland stattfindet unddass sich bereits jetzt, im Vorfeld dieser Konferenz, inte-ressante Kontakte zwischen der Bundesregierung undvielen Entwicklungs- und Schwellenländern anbahnen.So wird beispielsweise zwischen Brasilien und Deutsch-land über eine strategische Partnerschaft auf diesem Ge-biet geredet. Eine Delegation aus Brasilien war jetzt so-gar in meiner Heimatregion, in Ostfriesland, und hat sichdort über die Anwendung der Windenergie informiertund viele Anregungen mit nach Hause genommen.Zweitens: zum Bereich Landwirtschaft. Um die Zahlder Hungernden deutlich zu senken, brauchen wir keinengenmanipulierten Mais, also nicht die Art von Nah-rungsmittelhilfe, die momentan durch George Bush pro-pagiert wird, sondern wir brauchen Strukturreformen iminternationalen Agrarhandel und eine Trendwende in derbilateralen und multilateralen Entwicklungszusammen-arbeit, hin zu einer stärkeren Förderung des ländlichenRaumes.
Dort leben mehr als 70 Prozent – fast 80 Prozent – derHungernden, aber dort liegt auch das Potenzial, durcheine nachhaltige und angepasste Landwirtschaft die Ver-sorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln zusichern und regionale Märkte wieder aufzubauen und zustärken.
Sowohl in der Energiepolitik als auch in der Agrarpoli-tik gilt, dass wir nur dann die Länder des Südens davonüberzeugen können, hier Reformen in Angriff zu nehmen,wenn wir selber mit gutem Beispiel vorangehen. Ener-giewende – weltweit und bei uns! Agrarwende – weltweitund bei uns! Das haben wir uns vorgenommen. Auf die-sem Weg gibt es natürlich viele Hindernisse. Zu diesemWeg, nämlich Politik so zu gestalten und so zu leben,dALulsodsSdcMBWFaIbnMubcgudAAmsaTwizs
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Markus
öning, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDPnterstützt das Millenniumsentwicklungsziel, die abso-ute Armut in der Welt bis 2015 zu halbieren, selbstver-tändlich; denn ein Leben ohne Armut und ein Lebenhne Hunger ist ein Leben in Würde. Es ist das Ziel je-er Entwicklungspolitik, ein solches Leben für die Men-chen in den Entwicklungsländern zu erreichen.
Sie setzen allerdings mit diesem Antrag aus unserericht falsche Prioritäten, Sie setzen falsche Akzente anieser Stelle. Ich will anhand von drei Beispielen versu-hen, das deutlich zu machen.Eines der wichtigsten Entwicklungsziele, die in denillennium Development Goals genannt werden, ist dieekämpfung von Aids. In Ihrem Papier taucht zwar dasort „Aids“ auf; in den 17 – ich betone: 17 – konkretenorderungen, die Sie stellen, taucht die Aidsbekämpfungber nicht auf.
ch weiß nicht, ob das vorauseilender Gehorsam gegenü-er der Bundesregierung ist, die sich an dieser Stelleicht gerade mit Ruhm bekleckert, da sie die zugesagtenittel an den globalen Aidsfonds nicht fließen lässt
nd da sie jetzt – wir haben es gerade wieder erlebt –lockiert, dass aus Europa 1 Milliarde Euro an zusätzli-hen Mitteln für die Bekämpfung von Aids zur Verfü-ung gestellt werden. Die FDP fordert die Regierungnd die sie tragenden Fraktionen auf: Sorgen Sie dafür,ass dieses Geld fließt, damit Aids gerade im südlichenfrika wirkungsvoller bekämpft werden kann!
ids ist dort eine der wichtigsten Ursachen für die Ar-ut.Es gibt noch andere Punkte, die ich erwähnen möchte. Sieetzen sich sehr unkritisch mit dem Thema Entschuldunguseinander. Herr Hoppe, Sie haben vorhin die Tobin-ax angesprochen. Sie sollten sich einmal anschauen,as passiert ist. Man muss doch aus dem, was geschehenst, Lehren ziehen und versuchen, es in Zukunft besseru machen. Sie können doch nicht einfach sagen, dass eso, wie es in Bolivien gelaufen ist, auch in Zukunft
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4432 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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Markus Löninglaufen soll. Es hilft den Armen dort nicht und kostet dendeutschen Steuerzahler viel Geld. Das muss anders,nämlich besser geregelt werden.
Das Wichtigste ist: In dem gesamten Antrag wirdkein roter Faden und kein Konzept deutlich. Es wird eineVielzahl von Einzelforderungen aufgezählt. Aber auf diewichtigen Forderungen, auf die es ankommt, wird keinAkzent gesetzt.Es kommt eben darauf an, Rechtsstaatlichkeit undDemokratie zu fördern. Es kommt darauf an, in den Ent-wicklungsländern Bildung und Ausbildung zu ermögli-chen. Es kommt auch – Herr Hoppe, das ist so, so Leides mir tut – auf Marktwirtschaft und freien Handel an.Ich erinnere zum Beispiel an die Gespräche mit dem Di-rektor des UNDP, der diese Punkte deutlich genannt hat.Das sind die Säulen für Entwicklung. Es bedarf ebenauch der Marktwirtschaft und des freien Handels.Auch wenn es Ihnen nicht gefällt, Herr Hoppe, mussich Ihnen sagen: Das sind die Voraussetzungen dafür,dass sich die Länder der Dritten Welt ihren Wohlstandaus eigener Kraft erarbeiten können.
Dafür setzen wir uns ein. Wir fordern Sie auf, das eben-falls zu tun.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Siegmund Ehrmann, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Brauksiepe undHerr Löning, ich habe Sie während der Ausschussarbeitals durchaus vernunftbegabte Menschen kennengelernt.
Aber hier habe ich nur rituelles Gemäkel bemerken kön-nen.
Das hat mich doch sehr erstaunt.Ich will konkret werden. Wer hat denn dieses hetero-gene Geflecht Ihrer bilateralen Aktivitäten strukturiertund methodisch aufbereitet, um die Entwicklungszusam-menarbeit sorgfältiger auszurichten?
Ich gebe Ihnen Recht, Herr Dr. Brauksiepe: Es gibt Pro-bleme, was die EZ der Europäischen Union anbelangt.Darüber haben wir gemeinsam diskutiert. Da Sie die Ge-berkoordination angesprochen haben, muss ich Ihnen sa-gmalAeer–daSlZuunuvhgAtedldMSdAcRsdhSRSduwm
Ja, den Vortrag haben Sie unterstützt. Auch er gehört inen Kontext der Millenniumsziele.Ausgehend von den MDGs müssen wir uns damituseinander setzen, dass wir speziell im Bereich vonubsahara-Afrika Probleme haben. Da stellen sich natür-ich die Fragen, die auch Sie formuliert haben: Sind dieiele realistisch? Gibt es eine Chance? Überfordern wirns nicht gegenseitig in dem, was wir da tun?Ich habe gestern deutlich verspürt – daran sollten wirns in der Entwicklungspolitik immer gegenseitig erin-ern –, dass es sich um das Bohren dicker Bretter undm einen langfristigen Prozess handelt, der unendlichiel Geduld erfordert. Der griechische Philosoph Epiktet
at uns folgende weise Erkenntnis mit auf den Weg ge-eben:Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungenüber dieselben beunruhigen die Menschen.uf die Entwicklungschancen Afrikas bezogen interpre-iere ich dies so: Ja, es gibt Konflikte, die verabscheu-nswürdig ausgetragen werden. In manchen Regionenroht ein sozialer, humanitärer und ökologischer Kol-aps. Und dennoch: Afrika besinnt sich auf seine vorhan-enen ökonomischen und intellektuellen Energien.Es wäre deshalb mehr als fahrlässig, die afrikanischenillenniumsperspektiven ausschließlich aus dem erstentatusbericht des UN-Generalsekretärs abzuleiten undanach zu beurteilen. Was sich in den letzten Jahren infrika auf der Ebene guter Regierungsführung entwi-kelt hat – Herr Löning, damit sind wir bei den Aspektenechtsstaat und Menschenwürde –, ist eine gute Voraus-etzung dafür, dass wir auf längere Sicht auch in Afrikaie ehrgeizigen Millenniumsziele erreichen.Auch der internationale Dialog mit und über Afrikaat sich weiterentwickelt. Im Juli 2001 haben die G-8-taaten in Genua auf die aus Afrika selbst erwachseneeformbewegung NEPAD reagiert. Die afrikanischeelbstverpflichtung mit dem Bekenntnis zu tief greifen-en wirtschaftlichen Reformen, zu Eigenverantwortungnd zur Achtung universell gültiger Werte belegt die ge-achsene innerafrikanische Kooperationsfähigkeit.Julius Nyerere hat den Begriff der Self-Reliance for-uliert: Afrika mobilisiert eigene Energien und will
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4433
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Siegmund Ehrmannendgültig die langen Schatten des Kolonialismus, desNeokolonialismus und der Despotie hinter sich lassen.Darauf aufbauend gibt es G-8-Aktionspläne. In Evian istein Statusbericht vorgestellt worden; weitergehendeZiele sind verabredet worden. Dies alles zeigt: Es be-wegt sich etwas. Die Früchte des Ringens um eine guteRegierungsführung aus dem afrikanischen Kontext he-raus sind erkennbar.Dies wird von den Industriestaaten, von den G-8-Staa-ten, aufgenommen und erwidert, indem wir etwas tun,was ich geradezu als Beleg für eine kohärente Außen-, Si-cherheits- und Entwicklungspolitik im internationalenKontext bewerte. Wenn wir die afrikanischen Staaten be-fähigen, eigene Konfliktlösungsmechanismen zu entwi-ckeln und die Konfliktprävention auszubauen, und wirals Deutsche die Aktivitäten in der Entwicklungs- undBildungszusammenarbeit unterstützen, dann ist dies einsehr wichtiger Ansatz, an zentraler Stelle die afrikani-sche Stabilität demokratisch auszubauen, die Zivilgesell-schaft zu stärken und auf diese Art und Weise solcheRahmenbedingungen zu entwickeln, dass die konkreteEntwicklungszusammenarbeit nachhaltig Früchte trägtund nicht durch wetterwendische Despoten zum Schei-tern verurteilt ist.Insofern soll mit den Millenniumszielen eine wesent-liche globale Herausforderung gestaltet werden. Einegute Regierungsführung und die Entmilitarisierung vonKonfliktlösungen, das ist der Humus, der auch die Ent-wicklung in Subsahara-Afrika fördern wird.Herr Dr. Brauksiepe, gehen wir den bisherigen Ergeb-nissen nicht rituell mäkelnd nach!
Gehen wir im Dialog mit den Partnern nach dem Motto:„Stärken stärken und Schwächen schwächen – und dasmit Geduld und Optimismus“ vor, dann werden wir dieProbleme lösen und dann haben die Industriestaaten ei-nen wertvollen Beitrag dazu geleistet, die Entwicklungs-länder insbesondere im Gebiet Subsahara-Afrika auf ei-nem richtigen Weg zu begleiten.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/1005 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 mit demZusatzpunkt 13 auf:12 Beratung des Antrags der Abgeordneten HelmutHeiderich, Dr. Norbert Röttgen, Dr. MariaBöhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUZhDfubIddsRDstTMvAb1)
nterfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 15/1024 und 15/1219 an die iner Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie zu-ätzlich an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undeaktorsicherheit vorgeschlagen. Die Vorlage aufrucksache 15/1219 im Rahmen des Zusatzpunktes 13oll zusätzlich an den Ausschuss für die Angelegenhei-en der Europäischen Union und – abweichend von deragesordnung – nicht an den Ausschuss für Kultur undedien überwiesen werden. Sind Sie einschließlich derorgetragenen Änderungen damit einverstanden? –uch das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen soeschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
– Drucksache 15/1075 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAnlage 4
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertAuch hierzu ist interfraktionell eine Aussprache von30 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Wider-spruch. Dann haben wir das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derBundesministerin der Justiz, Frau Zypries.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren Kollegen! Eigentlich ist es schade, dass wir um dieseUhrzeit zu diesem Thema debattieren. Denn parallelhierzu findet die Veranstaltung „100 Jahre Marken-verband“ statt, von der ich gerade komme. Leidermusste ich vorzeitig – genauer gesagt: nach einer halbenStunde – gehen. In gewisser Weise ist die Marke ja dieSchwester des Geschmacksmusters. Die beiden habeneine Menge miteinander zu tun. Ich stehe hier am Ge-schmacksmuster Pult. Eine Marke wäre das, wenn es alssolche geschützt wäre; ich weiß nicht, ob das der Fall ist.Das Markenrecht wird heute 100 Jahre alt. Ähnlich altist das Geschmacksmusterrecht. Seit 1876 gibt es inDeutschland ein Gesetz betreffend das Urheberrecht anMustern und Modellen. Damals war das ein sehr zu-kunftsweisendes Gesetz. 1998 hat die EuropäischeUnion erkannt, dass Deutschland das alles recht ordent-lich gemacht hat. Sie hat eine Richtlinie erlassen, die imWesentlichen das deutsche Recht aufgenommen hat.Diese Richtlinie setzen wir jetzt mit dem eingebrachtenGesetzentwurf um. Sicherlich auch deshalb ist er von ei-nem relativ breiten Konsens getragen. Denn wir bleibenim Wesentlichen bei dem Recht, das wir in der Vergan-genheit gehabt haben.Es werden – das zeigt, wie akzeptiert das Ge-schmacksmusterrecht in Deutschland ist – im Durch-schnitt jährlich 60 000 Muster oder Modelle beim Deut-schen Patent- und Markenamt als Geschmacksmusterangemeldet. Diese Zahlen belegen die erhebliche wirt-schaftliche Bedeutung des Geschmacksmusterschutzes.Die Änderungen, die wir aufgrund der Richtlinie vor-nehmen, sind relativ marginal. Zum Beispiel verlängernwir die Schutzdauer von derzeit maximal 20 Jahren umfünf Jahre auf dann höchstens 25 Jahre.Die Verbände, die Organisationen und die übrigen in-teressierten Kreise haben den Gesetzentwurf sehr be-grüßt. Auch die Reaktionen auf unsere Antwort zumThema „Schutz von Ersatzteilen“ sind insgesamt gutund ermutigend. Sie wissen sicher, dass die Frage desrechtlichen Schutzes von Bauteilen eines komplexen Er-zeugnisses – natürlich ist dies vor allen Dingen bei denKraftfahrzeugersatzteilen wichtig – der schwierigste Teildieser Reform ist. Ausgerechnet zu diesem Thema ent-hält die Richtlinie keinerlei Vorgaben. Sie räumt denMitgliedstaaten vielmehr die Möglichkeit ein, die in ih-rem Bereich bestehenden Rechtsvorschriften zunächstbeizubehalten.In Deutschland sieht das geltende Geschmacksmus-tergesetz keine Einschränkungen des rechtlichen Schut-zes von Ersatzteilen vor, sodass zum Beispiel Einzelteileeiner Fahrzeugkarosserie wie der Kotflügel oder die Mo-torhaube geschützt werden können, vorausgesetzt, sie er-fFsgDDisV–WtkuIwOcdfssnsdvwlE–rsbzwZdSwwsrS
Darüber können wir vielleicht im Ausschuss diskutie-en.Ich kann Ihnen versichern, dass wir die Entwicklungelbstverständlich – wie wir es auch sonst tun – beo-achten werden. Wir werden sehen, ob es notwendig istu reagieren. Gegebenenfalls würden wir – das habenir schon einmal getan – unsere Haltung überprüfen.unächst gilt aber: Lieber keine Gesetze machen, son-ern freiwillige Übereinkünfte und Absprachen treffen.
ie wissen, dass das für alle Beteiligten besser ist. Wirollen Gesetze schließlich nur dann machen, wenn sieirklich nötig sind.
Ich gehe davon aus, dass wir über den von uns vorge-chlagenen Gesetzentwurf im Rechtsausschuss diskutie-en werden und uns in dem von uns vorgeschlageneninne verständigen werden.
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Bundesministerin Brigitte ZypriesVielen Dank für die Aufmerksamkeit zu dieser spätenStunde.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Günter Krings
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren, die Sie trotz des Sommerfestes der Parlamentari-schen Gesellschaft ausgeharrt haben! Der eine oder an-dere unserer Fraktionskollegen wäre vielleicht aus Neu-gier zu dieser Debatte gekommen, als er das Stichwort„Geschmacksmusterrecht“ auf der Tagesordnung dieserWoche sah, weil er dabei vermutlich eher an Lebensmit-telpolitik dachte. Wir konnten die Kollegen inzwischenaufklären: Es geht hier um ein wesentliches Immaterial-güterrecht unserer Rechtsordnung, um den Schutz vonDesign.In einer Konsumgesellschaft, die Produkte nicht nurnach ihrer Funktionalität, sondern auch nach ihrem Aus-sehen bewertet, ist der Schutz eines bestimmten Designsvon entscheidender wirtschaftlicher und ideeller Bedeu-tung. Auch eine bestimmte Formgebung ist geistigeSchöpfung. Design ist sozusagen Kunst, die sich nütz-lich macht. Schon von daher hat der Entwerfer einesMusters ebenso wie der Urheber oder der Erfinder An-spruch auf Schutz durch unsere Rechtsordnung. Wir be-grüßen es deshalb ganz ausdrücklich, dass gemäß § 10des Gesetzentwurfes nunmehr erstmalig auch dem Ent-werfer das Recht eingeräumt wird, im Rahmen der An-meldung genannt und gewürdigt zu werden.Dieser Gesetzentwurf setzt die im Jahre 1998 erlas-sene Richtlinie der EU – Frau Ministerin, Sie wiesendarauf hin – über den rechtlichen Schutz von Musternund Modellen um. Leider müssen wir übermorgen, amSamstag, ein wenig schönes Jubiläum begehen. Dannwird die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie nämlichum exakt 20 Monate überschritten sein.
Das halte ich – um beim Thema zu bleiben – für alles an-dere als mustergültig. Deutschland ist offenbar wiederdabei, einen europäischen Spitzenplatz zu erobern – lei-der allerdings nur, was die Überschreitung der Umset-zungsfristen von EU-Recht angeht.Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten,über die Ausgestaltung des Geschmacksmusterschutzesaber schon; denn daran hängen Unternehmen, Arbeits-plätze und Verbraucherinteressen in Deutschland. Derje-nige, der in Deutschland ein Geschmacksmuster anmel-den will, hat die Wahl, ob er das beim europäischenHarmonisierungsamt für den Binnenmarkt in Alicanteoder beim Deutschen Patent- und Markenamt in Mün-chen tut. Im ersten Fall gilt die Geschmacksmusterver-ordnung der Europäischen Union.sznREisdesnSSpkfsuJDFtwshsEnFgkVMrEIagdummgurku
ch engagiere mich für den Schutz geistigen Eigentums,ber nicht für den Schutz von Monopolrenten. Darumeht es an dieser Stelle. Das Auto unterscheidet sich voner Musik und vom Buch dadurch, dass es bei der Musiknd beim Buch keinen Ersatzteilemarkt gibt. Wenneine Musik-CD defekt ist, kaufe ich eine neue. Ist aberein Auto defekt, beispielsweise der Außenspiegel ab-ebrochen, kaufe ich normalerweise kein neues Autond entsorge das alte, sondern lasse den Spiegel reparie-en.
Für Ersatzteile, für die es aus technischen Gründeneine Designalternative gibt, enthalten die deutschend die europäische Rechtsordnung aus gutem Grund
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Dr. Günter Kringsdie Aussage: keine Designalternative – kein Schutz.Wenn Sie, etwa nach einem Unfall, den linken KotflügelIhres Autos austauschen müssen, sind technisch vieleMöglichkeiten denkbar. Ich bin aber überzeugt, dass je-dermann hier im Saal niemals einen linken Kotflügeleinbauen ließe, dessen Design nicht dem des rechtenKotflügels entspricht.
Jeder wird auf ein Produkt zurückgreifen, das wie dasOriginal aussieht. Es gibt also praktisch und ökonomischkeine Alternative. Deshalb verstehen wir nicht, warumnicht auch hier der Grundsatz gilt: keine praktischeDesignalternative – kein Schutz.
Nun wissen wir, dass der amtierende Bundeskanzlersich besonders wohl fühlt in der Nähe der Automobilin-dustrie. Das ist an sich an dieser Stelle nicht zu kritisie-ren. Allerdings kritisieren wir, wenn ein AutokanzlerSchröder diese Chance der ersten grundlegendenNeufassung des Geschmacksmusterrechts nach 125 Jah-ren verstreichen lässt, ohne der Ersatzteileindustrieendlich Planungssicherheit für ihre Investitionen zu ge-ben. Diese Chance wird vertan, aber das werden wir alsOpposition so nicht durchgehen lassen.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu der Aus-sage der Regierung – Frau Ministerin, Sie haben dasfreundlicherweise selbst schon vorgetragen, ich wieder-hole es trotzdem –, die Automobilindustrie habe ihr, derBundesregierung, gegenüber – ich zitiere wörtlich ausdem Gesetzentwurf – „klar und eindeutig erklärt, dass esihr nicht darum geht, den Wettbewerb und den Ersatz-teilmarkt zum Nachteil der Ersatzteilehersteller und desHandels zu beeinträchtigen.“Es geht ihr also nicht darum, aber wenn es passiert, istes wahrscheinlich einfach Pech für den Ersatzteilehan-del. Im Klartext soll das wohl heißen: Die Automobilin-dustrie will von dem gesetzlichen Musterschutz eigent-lich keinen Gebrauch machen.Als Rechtspolitiker habe ich meine Probleme damit,wenn die Bundesregierung uns einen Musterschutz fürErsatzteile vorschlägt und ihn damit rechtfertigt, die In-dustrie wolle ihn ja gar nicht nutzen.
Das Versprechen seiner Nichtanwendung, egal ob essich um ein altes oder ein neues Gesetz handelt, ist im-mer eine denkbar schlechte Begründung für ein Gesetz,unabhängig von der bisherigen oder zukünftigen Rechts-lage. In ein neues Gesetz sollten wir Rechte, die niemandhaben will, auch nicht hineinschreiben.
Der von mir eben zitierte Satz aus der Vorlage ist we-nig geeignet, uns zu beruhigen; er stimmt uns in der Tateher misstrauisch. Ich frage: Welche Rechts- und Pla-nhsihbdImdItiddBBEddAuqDke–IstAgüzrdaGaP
Unsere Überlegungen, zuerst auf den freien Marktnd auf Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu setzen,uittieren Sie damit, dass Sie nach einem Gesetz rufen.as werden wir Ihnen in den Wirtschaftsdebatten derommenden Wochen entgegenhalten können. Es warine interessante Erfahrung, das von Ihnen zu hören.Zur Sache. Das Geschmacksmustergesetz stammtdie Ministerin hat es ausgeführt – aus dem Jahre 1876.hm haftet durchaus nicht der Ruf eines gesetzgeberi-chen Jahrhundertwerkes an. Es gilt in der Praxis als an-iquiert und unübersichtlich und war den europäischennforderungen nicht gewachsen. Deswegen ist es zu be-rüßen, dass die Bundesregierung die EU-Richtlinieber den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellenum Anlass genommen hat, das Gesetz zu modernisie-en.Ich persönlich hätte mir auch eine Modernisierunges Titels gewünscht. Es wäre vielleicht besser gewesen,nstatt von Geschmacksmuster von einem Design- oderestalt- und Formenmuster zu sprechen. Aber das nurm Rande.
Das Gesetz wird Innovation und Kreativität in derroduktgestaltung fördern, indem es durch einen weiten
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Jerzy MontagSchutzumfang die notwendigen Anreize schafft. Ich willeinige Beispiele dazu nennen:Das neue Geschmacksmusterrecht stärkt die Rechts-stellung des Rechteinhabers. Er erhält ein Ausschließ-lichkeitsrecht, darf alleine über sein Muster verfügenund es wirtschaftlich verwerten. Damit wird der Schutz-umfang, verglichen mit dem bisherigen Schutz vorNachahmung, erweitert.Die Höchstschutzdauer wird von 20 auf 25 Jahre ver-längert.Bei der Beurteilung der Neuheit und der Eigenart desMusters bleiben künftig nicht sechs, sondern zwölf Mo-nate vor der Anmeldung außer Betracht. Dies schütztden Entwerfer vor missbräuchlichen Handlungen Dritterin dieser Zeit.Das Merkmal der Eigentümlichkeit des Erzeugnisseswurde durch das Merkmal der Eigenart ersetzt. Damitwird es für eine Rechtsbegründung ausreichend sein,wenn noch kein identisches Muster offenbart worden ist.Das ist zu begrüßen; denn die schützenswerte Innovationbeginnt jetzt da, wo eine gestalterische Neuheit geschaf-fen wird, ohne dass daran überzogene Anforderungengestellt werden.Das Geschmacksmusterrecht wird sich mit dem vor-liegenden Gesetz zu einem eigenständigen gewerblichenSchutzrecht emanzipieren. Das Gesetz ist aber auch des-wegen zu begrüßen, weil es Rechtsklarheit schafft. Esenthält Legaldefinitionen für wichtige Begriffe wie Mus-ter, Erzeugnis und andere. Es befähigt damit die vomGesetz betroffenen Personen, die Schutzrichtung des Ge-setzes konkret und klar zu ermessen. Es ist deswegenanwenderfreundlich.Dies alles erwähne ich, um klar zu machen, dass esnicht nur um die Reparaturklausel geht, über die es inden letzten Wochen Auseinandersetzungen gegeben hat.Damit bin ich bei dem Thema Reparaturklausel, zu demauch ich einiges sagen will. Der Gesetzentwurf enthälttatsächlich keine Reparaturklausel. Deswegen könnenäußerlich sichtbare Ersatzteile eines Autos auch weiter-hin als Geschmacksmuster geschützt werden.In der Diskussion um die Reparaturklausel werdendie Ersatzteilehersteller nicht müde, zu betonen, dassdurch diese gesetzgeberische Entscheidung der freie Er-satzteilemarkt zerstört werden würde.
Das ist alleine schon deswegen nicht richtig, weil dasGesetz überhaupt keine Änderung der Rechtslage vor-sieht.In diesem Gesetz gibt es keine Regelung für das auchbisher ungelöste Problem. Die Interessenvertreter desGroßhandels für Kfz-Teile beziffern ihren Anteil an dementsprechenden Markt selber zurzeit mit 40 Prozent.Deswegen vermag ich auch nicht zu erkennen, warumder Ersatzteilemarkt durch das Gesetz nachteilig verän-dert oder zerstört werden sollte.Der Verzicht ist ja auch nicht endgültig. 2005 wird dieKommission dazu Stellung nehmen. Dann wird dernsgauvwhwSdgtjdsSFGsgzWdpbDmddltnmddsednnM
Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeu-ung, dass das vorliegende Gesetz Innovation und Krea-ivität bei der Produktgestaltung fördern wird. Es wirdetzt an den kreativen Gestaltern und Designern liegen,ie Rechte, die durch das Gesetz gewährt werden, in An-pruch zu nehmen und so bei diesem Gesetz im wahrsteninne des Wortes auf den Geschmack zu kommen.Danke schön.
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Funke, FDP-
raktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesesesetz ist trotz des etwas altertümlichen Namens wirt-chaftspolitisch sicherlich ganz besonders wichtig. Hiereht es unter anderem darum, einen Milliardenmarktu verteidigen bzw. aufzuteilen.In meinen Augen kommt diese Reform viel zu spät.ir diskutieren über dieses Gesetz schon „seit Jahren-en“, wie wir in Hamburg sagen würden. Wegen der Re-araturklausel wurde darüber bereits in den Jahren 1994is 1998 intensiv mit der Europäischen Union diskutiert.iese Reparaturklausel war in der Bundesregierung im-er streitig. Die Haltung richtete sich immer danach, obarüber im Bundeswirtschaftsministerium oder im Bun-esjustizministerium verhandelt wurde.Das Bundesjustizministerium hat bis zur jetzigen Vor-age durch die Ministerin immer die Auffassung vertre-en, dass der Mittelstand und die Teileverkäufer aus ord-ungspolitischen Gründen besonders geschützt werdenüssen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat immerie Interessen der geringen Zahl an Großbetrieben aufiesem Gebiet vertreten. Nunmehr ist das BMJ offen-ichtlich dem Drängen des Bundeswirtschaftsministersrlegen. Es hat ein Geschmacksmustergesetz vorgelegt,as mit der Reparaturklausel nichts im Sinn hat.Wenn keine Reparaturklausel in dieses Gesetz aufge-ommen wird, dann werden wir von der FDP es aus ord-ungspolitischen Gründen – wir wollen nämlich denittelstand schützen – ablehnen,
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Rainer Funkeobwohl es sonst, Frau Ministerin, durchaus unsere Zu-stimmung finden könnte; denn es enthält in der Tat eineReihe von guten Regelungen. Die grundlegende Frageder Reparaturklausel ist aber nicht geregelt. Aus diesemGrunde müssen wir dieses Gesetz ablehnen.Die Bundesregierung verweist auf die Zusage der Au-tomobilhersteller.
– Ich habe keine Zweifel, dass sie durchaus in der Lagesind, eine solche Vereinbarung einzuhalten. Diese Ver-einbarung könnte man aber doch auch in Gesetzesformgießen.
Ich sehe überhaupt nicht ein, warum das nicht geschieht.Es muss andere Gründe dafür geben, dass die Reparatur-klausel nicht in Gesetzesform gegossen worden ist. Dasmacht mich natürlich sehr skeptisch.Sie sprechen immer von einer Art Revisionsklauselfür das Jahr 2005. Das stimmt nicht ganz. Wenn Sie dieRichtlinie der EU lesen, stellen Sie fest, dass die Zeitbe-fristung für das Jahr 2005 vom Jahr 2001 an zählt. Esgeht also um eine Revisionszeit von vier Jahren. Da aberdiese Richtlinie bisher noch nicht von allen umgesetztworden ist, wird diese Revisionsklausel allenfalls imJahr 2007 zur Anwendung kommen. Ich meine, dass dieZeit bis dahin vertan wird.Herr Montag, Sie hören doch sonst immer auf dieVerbraucherschutzverbände. Sie wissen doch, dass derADAC und andere Verbraucherschutzverbände die Re-paraturklausel fordern. Wir sollten im Rechtsausschusshierüber etwas intensiver diskutieren. Vielleicht kom-men wir dann zu einem vernünftigen Ergebnis.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Manzewski für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debat-tieren heute über das Geschmacksmusterreformgesetz.Im Grunde genommen ist bei diesem Gesetz – das hatman den Redebeiträgen entnehmen können – nur eineFrage streitig, und zwar die so genannte Reparaturklau-sel. Über die weiteren Maßnahmen streiten wir nicht.Kollege Krings, ich hatte bei Ihrer Rede den Ein-druck, als hörte ich einen Vortrag des GesamtverbandesAutoteile-Handel. Sie haben im Grunde genommen dasvorgebracht, was der Verband in seinem an uns alle ge-richteten Schreiben gefordert hat.
–AddawRl–GhedlehKEsd–esoRRsstdsJfmEBnsAIebbWdIAd
Kollege Krings, ich habe gesagt, dass dies von derVA, vorgebracht wird, nicht, dass Sie es vorgetragenätten. Diese Behauptung ist völliger Quatsch, weil dasine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hat. Beier Gruppenfreistellungsverordnung der EU geht es al-in um Wettbewerbs- und Kartellrecht. Es wird über-aupt keine Aussage zum geistigen Eigentum gemacht.Sie haben eine weitere Behauptung übernommen,ollege Krings. Sie haben erklärt, die Einheitlichkeit derU-Rechtsordnung sei gefährdet, weil die Gemein-chaftsgeschmacksmusterverordnung eine entsprechen-e Klausel enthalte. Das stimmt nicht.
Lassen Sie uns darüber diskutieren. Diese Verordnungnthält keine Reparaturklausel. Kollege Krings, Sie müs-en bedenken, die Gemeinschaftsgeschmacksmusterver-rdnung – auch auf EU-Ebene gilt nämlich vorrangigesecht – ist gegenüber der Richtlinie nachrangig. In derichtlinie wird aber über die Reparaturklausel nicht ent-chieden. Daher sind auch in der Gemeinschaftsge-chmacksmusterverordnung dazu keine Regelungen ge-roffen worden. Es wird abgewartet, was auf der Ebenees höherrangigen Rechts beschlossen wird. Die Ent-cheidung, abzuwarten, was in der Richtlinie imahr 2005 entschieden wird, war vernünftig.Kollege Krings, Sie haben wahrscheinlich etwasalsch verstanden. Da ein Gemeinschaftsgeschmacks-uster innerhalb der gesamten EU Geltung hätte, sollenrsatzteile aufgrund der unterschiedlichen rechtlicheneurteilung, die auch Sie erwähnt haben, hiervon zu-ächst ausgenommen bleiben. Das ist vollkommenchlüssig.Nehmen wir einmal Ihr Beispiel auf: Sie melden inlicante ein Geschmacksmuster für einen Kotflügel an.n der Konsequenz würde dieses Geschmacksmuster beiinem positiven Entscheid auch zum Beispiel in Groß-ritannien Geltung haben. Sie wissen aber, dass in Groß-ritannien bereits eine Reparaturklausel gilt. Da dies imiderspruch zu dem Entscheid stände, wird in Art. 110er Richtlinie geregelt, dass eine Entscheidung bis zumn-Kraft-Treten der Richtlinie abgewartet werden muss.nsonsten funktioniert das Ganze nicht. So muss manen Art. 110 interpretieren, nicht anders.
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Dirk ManzewskiMir ist offen gestanden völlig unverständlich, warumSie die Reparaturklausel präferieren. Sie vertreten damiteine Maximalposition. Erst einmal hat der GVA – undSie haben es auch so gesagt, so habe ich es jedenfallsverstanden, Kollege Krings – einfach behauptet, wirwürden Designschutz schaffen. Der Kollege Montagund die Ministerin haben darauf hingewiesen, dass wirdiesen nicht zu schaffen brauchen, weil er bereits exis-tiert. Designschutz für Ersatzteile gibt es bei uns bereits.Das heißt, wir verändern am Status quo überhauptnichts. Das ist momentan die Praxis.Wie sieht es auf EU-Ebene aus? Wir haben dort völligunterschiedliche Positionen. Auf der einen Seite istGroßbritannien, das als einziges Land die Reparatur-klausel tatsächlich positivrechtlich verankert hat. Aufder anderen Seite ist Frankreich, das momentan den um-fassendsten rechtlichen Schutz von Ersatzteilen hat.Ganz interessant ist es, dazu die Renault-Rechtspre-chung zu lesen.Wir müssen uns einmal vergegenwärtigen, um was eseigentlich in diesem Zusammenhang geht. Als Ge-schmacksmuster wird, vereinfacht gesagt, die äußereFormgebung von Erzeugnissen geschützt. Es geht hieralso um geistiges Eigentum. Sie haben immer nur dieWirtschaftsbelange angesprochen. Mich hat gewundert,dass Sie den Begriff des geistigen Eigentums hier über-haupt nicht erwähnen.
Mir ist nicht klar, warum der Kotflügel eines fabrik-neuen Fahrzeuges dem Schutz unterliegen soll, dieserSchutz aber bei einem unfallbedingten Ersatz verlorengehen soll. Das ist für mich unter der Prämisse des geis-tigen Eigentums nicht erklärlich.
Sie mögen mir einmal – das werden Sie vielleichtnächste Woche tun, wenn wir im Rechtsausschuss darü-ber diskutieren – die Rechtssystematik dazu erklären,auch im Zusammenhang mit dem bisherigen deutschenGeschmacksmusterrecht.Sie verweisen einfach auf England oder andere Län-der. Ich empfehle Ihnen, sich anzuschauen, wie dieseProblematik dort geregelt ist. Wir können unsere Situa-tion nicht mit dem britischen Rechtssystem vergleichen.Dort sieht es völlig anders aus, Kollege Krings. Das istauch das große Problem der entsprechenden Richtlinien,über die wir heute debattieren, weil die Systeme desSchutzes völlig unterschiedlich sind. Die Briten – das istdas Entscheidende – lassen zum Beispiel noch nicht ein-mal die Zulassung des Geschmacksmusters auf alle Ori-ginalteile und dementsprechend natürlich auch nicht aufReparaturteile zu. Das muss man wissen.
Herr Kollege Manzewski, möchten Sie kurz vor Ende
Ihrer Redezeit
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Kollege Funke, ich würde da schon differenzieren.
ch kann das nicht so stehen lassen, wie Sie das sagen.
s ist ja auch vom Kollegen Krings behauptet worden,
ass ein Monopol auf die Ersatzteilproduktion bestehen
ürde, wenn wir diese Reparaturklausel nicht einführen
ürden.
as würde gegenüber den Einzelteilherstellern ausgenutzt
erden, was wiederum zu Arbeitsplatzverlust führen
ürde. Der Kollege Montag hat aber schon darauf hinge-
iesen, dass gerade der boomende Ersatzteilhandel in
eutschland genau das Gegenteil zeigt.
ie Automobilhersteller, Kollege Funke, haben aus uns
uristen bekannten Gründen kein großes Interesse – blei-
en Sie bitte stehen, ich bin mit der Beantwortung der
rage noch nicht fertig; ich will das noch ein bisschen
usnutzen, weil sonst meine Zeit abgelaufen wäre –,
ieses geltend zu machen. Wir wissen doch, dass das Ge-
chmacksmusterrecht – so deutlich muss man das sagen –
in Anmelderecht ist. Es erfolgt keine Überprüfung.
ine Überprüfung würde erst stattfinden, Kollege Funke,
enn es tatsächlich zu einem Verfahren kommt. Das
eißt, dass es ganz schnell passieren kann, dass der Klä-
er zum Beklagten wird. Aus diesem Grund ist es auch
rklärlich, dass in den letzten Jahren nur ganz wenige
erfahren tatsächlich betrieben worden sind.
Herr Kollege Manzewski, jetzt muss ich Sie doch da-auf aufmerksam machen, dass ich Ihre Redezeit nicht soange verlängern kann, wie Sie den Kollegen Funkeerne stehen ließen.
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Herr Präsident, ich lasse ihn ja nicht im Regen stehen.
Ganz kurz noch zwei Sätze dazu. Kollege Funke, wir
sind ja Rechtspolitiker. Das ist eigentlich für mich bei
dieser Frage das entscheidende Argument.
Das wäre eigentlich ein schöner Schlusssatz gewesen.
Nein. – Kollege Funke, die Liberalisierung ver-
meintlicher Monopole kann doch nicht die Aufgabe des
Geschmacksmusterrechts sein.
Hier geht es um die Frage des Schutzes von geistigem
Eigentum und von nichts anderem. Mich wundert schon
sehr, dass diejenigen, die beim Urheberrecht hier noch
die Rächer der Enterbten gegeben haben, weil wir im
Rahmen der zulässigen Schrankenregelung, immerhin
unter Beibehaltung des Urheberrechtsschutzes, für Bil-
dung und Forschung Ausnahmen gemacht haben, nun
das geistige Eigentum wegen des schnöden Mammons
verhökern wollen. Das kann ich offen gestanden nicht
nachvollziehen.
– Jetzt darf er sich setzen. Ich komme auch gleich zum
Schluss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bereits
dargestellt – Sie wissen es auch selbst –, dass innerhalb
der EU sehr verhärtete Fronten bestehen. Ich glaube of-
fen gestanden nicht, dass sich eine der Maximalpositio-
nen durchsetzen wird. Ich glaube nicht, dass es zu einem
so weit reichenden Schutz wie in Frankreich kommen
wird. Ich glaube allerdings auch nicht, dass eine Repara-
turklausel nach britischem Vorbild eingeführt wird, und
zwar schon deshalb nicht, weil die EU-Richtlinie in
Art. 3 Abs. 3 von einer selbstständigen Schutzfähigkeit
von Ersatzteilen ausgeht. Ich befürchte fast, dass Sie das
übersehen haben.
Meiner Auffassung nach wird das Ergebnis irgendwo
dazwischen liegen. Denkbar wäre zum Beispiel eine Lö-
sung – meines Wissens haben Sie, Herr Kollege Funke,
das in der Vergangenheit präferiert – in Form von Li-
zenzgebühren. Das würde aber bedeuten, dass der
Schutz weiterhin den Automobilherstellern obliegt.
Eine andere Lösung, die ich mir vorstellen könnte,
wäre ein befristeter Rechtsschutz, der, meine ich, in
Griechenland bereits praktiziert wird. Dort läuft der
Rechtsschutz fünf Jahre nach dem In-Verkehr-Bringen
eines Fahrzeugs aus. Griechenland soll damit gute Er-
fahrungen gemacht haben.
Ich komme zum Schluss. Einer Entscheidung der EU
vorzugreifen, um nach kurzer Zeit wieder zurückrudern
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Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Kurt Segner für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das über25 Jahre alte Geschmacksmustergesetz soll durch eineues Gesetz abgelöst und der Richtlinie der Europäi-chen Union angepasst werden.
ieser Gesetzentwurf hat eine große Bedeutung für un-ere heimische Wirtschaft.Wir begrüßen den Gesetzentwurf im Ansatz, da esich bei dem Geschmacksmuster um ein ausschließlichesecht mit Sperrwirkung handelt. Damit verbleibt die-es Schutzrecht in der Tradition des deutschen gewerbli-hen Rechtsschutzes.Erfinderische und gestalterische Leistungen werdenls ein absolutes Recht festgelegt. Mit der EU-Verord-ung wurde ein für die gesamte EU wirksames Gemein-chaftsgeschmacksmuster mit einer Reparaturklauselum Schutz des Ersatzteilmarktes eingeführt.In dem vorliegenden Gesetzentwurf hat Rot-Grün lei-er auf die Einführung einer Reparaturklausel verzichtet.
amit geht Rot-Grün wieder einen eigenen Weg
nd schadet Handwerk, Handel und Verbrauchern.Durch die Nichtübernahme der Reparaturklausel wirder Wettbewerb auf dem deutschen Ersatzteilmarkt weit-ehend ausgeschaltet. Freie mittelständische Zuliefererder Teilehersteller – wie viele von Ihnen sie in Ihremigenen Wahlkreis haben – verlieren ihren Absatzmarkt.er Jobmotor Mittelstand wird dadurch weiterhin ge-chwächt,
nd das bei einer Zahl von mehr als 4,7 Millionen Ar-eitslosen. Aber der Gesetzentwurf ohne Reparaturklau-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4441
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Kurt Segnersel hat auch Auswirkungen auf die 48 Millionen Auto-besitzer als Verbraucher in Deutschland.Ich frage mich, ob es die Absicht der rot-grünen Bun-desregierung ist, den Verbraucher zu bevormunden.
Wir von der CDU/CSU jedenfalls wollen den Ver-braucher selber entscheiden lassen, welches Produkt erin sein Fahrzeug einbaut. Wir von der CDU/CSU wollenden mündigen Verbraucher und nicht den „gefesselten“Verbraucher.
Denn ohne die Reparaturklausel schaffen Sie wenigerWettbewerb. Wir wollen dagegen mehr Wettbewerb undweniger Bürokratie.Nach Aussage der Bundesregierung sollen die Aus-wirkungen der Richtlinie Ende 2004 von der Europäi-schen Kommission überprüft werden und eventuell soll2005 die Reparaturklausel übernommen werden.
Ich frage Sie: Wollen Sie wirklich in zwei Jahren schonwieder einen Gesetzentwurf vorlegen und damit die Bü-rokratie aufblähen?Meine Damen und Herren von Rot-Grün, geben Siesich einen Ruck und machen Sie ein Gesetz aus einemGuss!Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/1075 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu
gibt es offenkundig keine anderweitigen Vorschläge.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Siegfried Kauder , Dr. Nobert
Röttgen, Andreas Storm, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Op-
ferentschädigungsgesetzes
– Drucksache 15/1002 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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4442 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003
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ieses Hohe Haus ist herausgefordert, die Lücke impferentschädigungsgesetz zügig zu schließen.Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion habenns sehr viel Mühe gegeben, das zu berücksichtigen, wasbgeordnete anderer Fraktionen in diese Debatte einge-racht haben. Wir haben versucht, einen ausgewogenenesetzentwurf vorzulegen, durch den nicht nur den deut-chen Staatsangehörigen nach einer Straftat im Auslandine Entschädigung zugestanden wird, sondern auch ih-en gleichgestellten ausländischen Mitbürgern, die be-eits eine gewisse Zeit in Deutschland leben.
Man kann das Fass ganz aufmachen; aber beim Erlas-en eines Gesetzes spielen auch fiskalische Gesichts-unkte eine Rolle. Das wissen Sie so gut wie ich.
Deswegen haben wir gesagt: Nicht alle deutschen Tat-pfer im Ausland, nämlich nicht diejenigen, die ihrentändigen Wohnsitz im Ausland haben, sondern nur die-enigen, die noch einen engen räumlichen Bezug zumeimatland haben – grob gesagt: die Touristen –, sollenntschädigt werden. Ich bin der Meinung, dass dieserntwurf wohl ausgewogen ist.Nun kann man die Einwendung erheben, das sei fürie ausländischen Behörden, für die Konsulate, ein zu-ätzlicher personeller Aufwand. Wir haben uns in unsererraktion kundig gemacht und haben einen Sach-earbeiter der zuständigen Behörde aus Österreich – ös-erreichische Staatsangehörige können nach dem dorti-en Recht auch als Opfer im Ausland einentschädigung erhalten – bei uns gehabt. Nach dessennformationen sind es nur wenige Fälle, die zu bearbeitenein werden. Man darf auch nicht verkennen: Der Auf-and ist schon heute vorhanden. Wohin anders als an diem Ausland befindlichen deutschen Behörden soll sichin deutsches Tatopfer im Ausland wenden?Wir wissen, dass diese Gesetzesänderung Kosten ver-rsacht. 40 Prozent der Opferentschädigung trägt derund, 60 Prozent tragen die Länder. Ich danke der Frauundesjustizministerin, dass sie hier ist. Wir wissen, dasss zwei Titel im Haushalt des Bundesjustizministeriumsibt, die nicht ausgeschöpft sind. Das betrifft den Fondsür die Opfer terroristischer und rechtsextremer Gewalt-aten. Dieses Geld steht den Opfern zu. Ich bin der Mei-ung, dass man mit den Ländern verhandeln kann undann, wenn ein gesetzlicher Anspruch begründet wird,inen Teil dieser Fondsmittel auf sie übertragen kann.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4443
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Siegfried Kauder
Auch wenn es nur wenige sind, die von dieser Ände-rung profitieren, wäre es ein deutliches Zeichen dafür,dass sich der Deutsche Bundestag der Bedürfnisse vonTatopfern gewärtig ist, dass er bereit und in der Lage ist,kurzfristiger als in den Anfängen der Opferentschädi-gung solche Gesetzgebungsvorhaben umzusetzen. Ichfreue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen.Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Karsten Schönfeld für die SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieKriminalstatistik zeigt: Deutschland ist eines der sichers-ten Länder in der Welt. Doch auch wenn wir statistischvon einem Rückgang der Zahl schwerer Straftaten spre-chen können, so dürfen wir nicht vergessen, dass hinterjeder Zahl ein Einzelschicksal steht.Viele Tausende von Menschen werden jedes Jahr di-rekt oder indirekt Opfer von Gewalt und Kriminalität. Esist schwer vorstellbar, was viele dieser Opfer durchge-macht haben und oft ein Leben lang durchmachen müs-sen. Wenn wir von Opferhilfe sprechen, dann geht es da-bei nicht allein um Geld. Die Menschen brauchenseelischen und psychischen Beistand. Viele Organisatio-nen nehmen sich dieser Aufgabe an. Bundesweit einzig-artig ist sicherlich der Weiße Ring. Seit seiner Gründungvor 25 Jahren wurden über 150 000 Gewaltopfer, Ge-schädigte vom Weißen Ring materiell unterstützt. Min-destens ebenso wichtig ist aber auch die psychischeBetreuung der Opfer und deren Angehörigen. Hierbeileisten Organisationen wie der Weiße Ring eine hervor-ragende Arbeit.Wir dürfen Verbrechensopfer nicht allein auf dierechtlichen Ansprüche gegenüber den Tätern verweisen;denn dann würden sie wohl oft ganz leer ausgehen, wieauch das Beispiel, das Sie, Kollege Kauder, angespro-chen haben, belegt.Mit dem Opferentschädigungsgesetz hat die Bundes-republik ein Rechtsmittel geschaffen, um für die Betrof-fenen eine schnelle Hilfe unabhängig von ihren Rechts-ansprüchen zu gewährleisten. Wie sich an den Zahlenzeigt, ist dies nicht nur ein Lippenbekenntnis. Fast10 000 Anträge werden jedes Jahr gestellt und Mittel inHöhe von über 100 Millionen Euro werden von Bundund Ländern bereitgestellt. Dennoch: Wir müssen aufdiese Zahlen nicht stolz sein. Mir wäre es lieber – dasgilt, glaube ich, für uns alle –, wenn weniger Menscheneinen Antrag stellen müssten.Leider erleben wir in jüngster Zeit immer öfter, dassdeutsche Staatsangehörige Opfer von Straftaten oder vonAnschlägen im Ausland werden. Der Terroranschlag vonDjerba ist ein solch erschreckendes Beispiel; das trifftebenso auf die Anschläge von Bali oder jüngst auf dieEntführung von Saharatouristen in Algerien zu.wDreUdsssBgdvPWtadsAhjgmibAoatidFOleOKdUhUvcsnSlODspwkBwe
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Da ich den konkreten Fall des von Ihnen angespro-
chenen Opfers in Spanien nicht kenne, kann ich auf die-
sen Punkt nicht eingehen. Ich glaube dennoch, dass es in
Zeiten zunehmender europäischer Harmonisierung da-
rauf ankommt, hierzu eine europäische Regelung zu tref-
fen; darauf richtet sich auch unser Bemühen.
Aber noch einmal zurück zu Ihrem Antrag: Wenn wir
alle Straftaten im Ausland aufnehmen, werden wir am
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss an dieenschen appellieren, sich der Risiken einer Reise imorfeld bewusst zu sein. Dazu gehört auch, sich darüberlarheit zu verschaffen, ob der Versicherungsschutz, denan in Deutschland genießt, im Ausland gleichermaßenilt oder ob man sich oder seine Familie zusätzlichchützen muss, beispielsweise durch eine Unfall- oderuslandskrankenversicherung. In einer Zeit, in der vielber die Finanzierung der sozialen Sicherungssystemeeredet wird und gerade von Ihnen in der Union mehrigenverantwortung gefordert wird, kann es nicht sein,ass der Staat eine Pauschalversicherung für Abenteuer-ouristen übernimmt.
Was ich in Ihrem Entwurf ebenfalls nicht nachvollzie-en kann, ist die Dreimonatsausschlussfrist. Das Krite-ium des vorübergehenden Aufenthalts für längstens dreionate scheint – Sie haben es in Ihrer Rede bestätigt,err Kollege Kauder – weitgehend auf Touristen zuge-chnitten zu sein. Eine plausible Begründung dafür, wa-um ein deutscher Staatsbürger, der sich länger im Aus-and aufhält, keinen Anspruch auf Opferentschädigungaben soll, gibt es nicht. So hätte beispielsweise ein Ar-eitnehmer, der für länger als drei Monate – sei es auchur für ein halbes Jahr – von seinem Arbeitgeber insusland entsandt wird, keinen Anspruch auf Opferent-chädigung, seine Familie, die ihn für ein paar Tage oderochen besucht, aber gleichwohl.Sie sehen, es gibt noch viel zu klären. Dazu werdenir das parlamentarische Verfahren nutzen. Ich wünscheir, dass wir möglichst bald eine Regelung – möglichstine EU-einheitliche Regelung – hinbekommen.Ich bedanke mich.
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Das Wort hat nun die Kollegin Sibylle Laurischk,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im
April des vergangenen Jahres wurde von der FDP-Frak-
tion eine Ergänzung des Opferentschädigungsgesetzes
beantragt, weil angesichts der internationalen Terroran-
schläge in den vergangenen Jahren offenkundig wurde,
dass davon betroffene deutsche Opfer keine Entschädi-
gung nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten
konnten. Hier besteht nach wie vor eine Regelungslücke,
die angesichts der Belastung der Opfer nicht länger hin-
zunehmen ist. Dementsprechend hat die FDP-Fraktion
im November des vergangenen Jahres die Bundesregie-
rung erneut aufgefordert, das Opferentschädigungsge-
setz zugunsten von Opfern von Terroranschlägen im
Ausland zu ergänzen. Wir verlangen weiter, zu prüfen,
ob die Opfer bei der Durchsetzung rechtlicher Ansprü-
che durch die Bundesregierung oder die deutschen Bot-
schaften unterstützt werden können.
Der vorliegende Gesetzentwurf der CDU/CSU-Frak-
tion hat die von der FDP-Fraktion verfolgte Zielsetzung
aufgegriffen. Die Bundesregierung hat noch in der ver-
gangenen Legislaturperiode erklärt, dass sie die erste
Initiative der FDP-Fraktion ebenfalls unterstütze.
Es wird ständig über terroristische Übergriffe im Aus-
land berichtet, sodass es deutschen Bürgerinnen und
Bürgern nicht länger zuzumuten ist, im Ausland hin-
sichtlich ihrer Opferentschädigungsansprüche schlechter
gestellt zu sein als in Deutschland, nur weil sie nicht in
Deutschland Schaden erleiden. Wie in der Begründung
zum Antrag auch ausgeführt, handelt es sich aber eben
nicht nur um die Entschädigung von Terroropfern, son-
dern auch von Opfern allgemeiner Straftaten. Als Bei-
spiel wird unter anderem der Fall einer traumatisierten
Mutter angeführt, die vom Bundessozialgericht keine
Opferentschädigung zuerkannt bekam, nachdem ihre
Kinder vom Vater im Ausland ermordet wurden. Auf-
grund entsprechender Traumatisierung hätte sie wohl
eine Opferentschädigung bekommen, wenn sich dieser
Fall in Deutschland, also im Inland, ereignet hätte.
Herr Kollege Kauder, Sie haben auch sehr persönlich
von Fällen gesprochen, die Sie selbst begleitet haben.
Ich habe einen solchen Fall wie den gerade geschilderten
selbst in meiner beruflichen Praxis begleitet. Ich muss
sagen, es ist einer der dramatischsten Fälle, die ich erlebt
habe, gerade auch angesichts der Hilflosigkeit solcher
Opfer, die auf weitere Begleitung und Hilfestellung
staatlicherseits angewiesen sind. Nur weil das Ausland
der entscheidende Faktor ist, bekommen sie keinen An-
spruch auf Entschädigung zuerkannt. Solche Konse-
quenzen sind Opfern von Gewalttaten nicht vermittelbar.
Für sie ist es unerheblich, wo sie betroffen werden; sie
müssen letztendlich eine angemessene Versorgung ha-
ben, unabhängig vom Ort der Straftat.
Die FDP hat in ihrer Aufforderung an die Bundesre-
gierung, gesetzgeberisch tätig zu werden, auch die Unter-
stützung der Opfer bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!err Kollege Kauder, aus Ihren Zwischenfragen und Zu-ufen kann man ein wenig den Eindruck gewinnen, dassie es als Aufgabe des Deutschen Bundestages ansehen,hre Opfer – damit meinen Sie wohl die von Ihnen ver-retenen Opfer – zu versorgen, also für sie eine Regelungu finden.
as Problem ist aber wesentlich umfassender und weistehr viel mehr Details auf.
Ich habe vor etwa zehn Jahren die Angehörigen derürkischstämmigen Opfer des Anschlages von Mölln an-altlich vertreten.
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Hans-Christian StröbeleWir mussten feststellen, dass die Angehörigen derNichte – bei den Angehörigen der ermordeten Mutter lagder Fall anders –, die dort zu Besuch war und ebenfallsbei dem Brandanschlag ermordet worden ist, keine Ent-schädigung bekommen konnten, weil die Regelung inDeutschland vorsieht, dass man mit dem getöteten Fami-lienangehörigen in gerader Linie verwandt oder mit ihmverheiratet sein muss. Das war bei der Nichte nicht derFall. Deswegen bekamen ihre Angehörigen keine Ent-schädigung. Wir haben uns Mitte der 90er-Jahre an diedamalige Bundesregierung und auch an den Bundestaggewandt, weil den Angehörigen nur sehr schwer zu ver-mitteln war, dass es diese Unterscheidung gibt.Sie erkennen also, dass auch ich einen Regelungsbe-darf sehe. Die Koalition hat bereits im letzten Jahr dieInitiative ergriffen und eine Reihe von Forderungen auf-gestellt. Auch wir sehen natürlich nicht ein, warum Op-fer einer Tat in Deutschland, zum Beispiel auf Sylt, ent-schädigt werden, aber Opfer einer Tat auf Mallorca – daswar ein konkreter Fall –, einer Tat auf Djerba oder aufBali nicht entschädigt werden bzw. keinen Rechtsan-spruch auf Entschädigung haben. In dem konkreten Fallist versucht worden, zu helfen. Das war richtig, abertrotzdem muss man nachbessern.Herr Kollege Kauder, man kann es sich aber nicht soleicht wie Sie machen. Es sind schon eine ganze Reihevon Problemen aufgezeigt worden. Es gibt beispiels-weise fiskalische Probleme, die man natürlich im Augehaben muss. Wir können nämlich nicht Geld verspre-chen und Ansprüche schaffen, die nachher nur schweroder überhaupt nicht erfüllt werden können. Dieser As-pekt muss also genau überdacht werden.Es muss aber auch überlegt werden, wer unter einesolche Regelung fallen soll. Sie haben einen Vorschlaggemacht, der – wenn ich das richtig verstanden habe –einen Schritt weiter geht als der Vorschlag, den Sie inder letzten Debatte gemacht haben. Jetzt wollen Sie EU-Bürgern aus Deutschland, die im Ausland betroffen sind,einen Anspruch auf Entschädigung zubilligen.Aber Sie gehen diesen Schritt nicht weit genug. Wirmeinen, dass auch Nicht-EU-Bürger, die in Deutsch-land drei Jahre oder länger wohnen und die während ei-nes Urlaubs nicht nur in der Türkei, sondern auch in an-deren Ländern wie beispielsweise Griechenland voneiner Tat betroffen sind, nicht anders behandelt werdensollen als der Deutsche oder der EU-Bürger aus derNachbarschaft, der mit ihm zusammen dort Urlaubmacht. Es gibt also vieles zu bedenken, um eine gerechteund richtige Lösung zu erreichen.Es ist auch zu überlegen, ob etwa mit den Ländern, indenen sich viele Deutsche aufhalten, weil sie dort bevor-zugt Urlaub machen, Gegenseitigkeitsregelungen ge-troffen werden können, was eine Erstreckung deutscherRegelungen auf diese Länder überflüssig macht. All dasmüssen wir beobachten, prüfen und im Ausschuss erör-tern.Dann sollten wir zu einer Regelung kommen, die überdas hinausgeht, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf in Be-zug auf einen Paragraphen vorgelegt haben.SDgwdRLLswndn
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enn vorher haben Sie nur von denjenigen Deutschenesprochen, die, wenn sie im Ausland durch eine Ge-alttat einen Körperschaden erleiden, entschädigt wer-en sollen. Lassen Sie uns also gemeinsam in dieseichtung weitergehen!
assen Sie uns ein Gesetz finden, das zu einer gerechtenösung führt! Da können wir zusammenarbeiten. Sieind aufgerufen, daran mitzuwirken.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-urfes auf Drucksache 15/1002 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlichicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten ClemensBinninger, Wolfgang Bosbach, HartmutKoschyk, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUMehr Sicherheit im Luftverkehr– Drucksache 15/747 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHierzu geben die Kollegen Frank HofmannVolkach)1), Clemens Binninger, Silke Stokar voneuforn, Dr. Max Stadler und für die Bundesregierunger Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körperhre Reden zu Protokoll2).Bevor ich Tagesordnungspunkt 16 aufrufe, sollten wirer Ordnung halber die Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/747 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse beschließen. Dazu besteht offenkun-ig Einverständnis. – Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenKatherina Reiche, Hubert Hüppe, ThomasRachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUWird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.Anlage 5.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2003 4447
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertGentests in Medizin, Arbeitsleben und Versi-cherungen– Drucksache 15/543 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungDie hierzu vorgesehenen Redner Wolfgang Wodarg,Katherina Reiche, Jerzy Montag und Detlef Parr gebenihre Reden ebenfalls zu Protokoll1).Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/543 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-sen.Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-nung.Ich wünsche den verbliebenen Kollegen und Kolle-ginnen einen schönen Rest dieses Abends.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 27. Juni 2003, 9 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen.