Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 14 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Be-
grenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts
– Drucksachen 15/420, 15/522 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Max Stadler, Rainer Funke, Sibylle Laurischk, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zu-
wanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integra-
tion von Unionsbürgern und Ausländern
– Drucksache 15/538 –
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses
– Drucksache 15/955 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Dr. Michael Bürsch
Hartmut Koschyk
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Redet
Erwin Marschewski
Josef Philip Winkler
Dr. Max Stadler
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung
– Drucksachen 15/957, 15/960 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Klaus Hagemann
Anja Hajduk
Otto Fricke
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch
und Petra Pau vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarun
die Aussprache anderthalb Stunden vorgese
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlo
Zweitens – dieser Punkt ist schwieriger –: Deutsch-land ist ein Einwanderungsland. Das mag politischnicht jedem gefallen; aber es lässt sich statistisch sehrFest steht zum Beispiel: In den letzten32 Millionen Menschen nach Deutsch-n und 24 Millionen Menschen habendieser Zeit wieder verlassen. Das heißt,g sind fürhen. – Ichssen.leicht belegen.40 Jahren sindland gekommeunser Land in
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Dr. Michael BürschEinwanderung findet millionenfach statt und hat millio-nenfach stattgefunden.
Das allein kann kein Grund für Hysterie, Angstmachereioder gar Horrorvisionen sein.
In dieser Migrationsbewegung liegt sicherlich einegroße Herausforderung. Wenn man sie aber richtig be-trachtet und anschließend eine gute Regelung findet,liegt darin auch eine Chance. Wenn Deutschland alsoklar belegbar ein Einwanderungsland ist, dann tun wirgut daran, mit dieser Tatsache offen und offensiv umzu-gehen und die tatsächlich ständig stattfindende Zuwan-derung zu steuern und mit den Möglichkeiten der Steue-rung sachgerecht zu begrenzen.Die Behauptung, der vorgelegte Entwurf der Regie-rungskoalition führe zu massiver Ausweitung der Zu-wanderung, ist falsch und wird durch die hundertfacheWiederholung auch nicht richtig.
Die Auslegungsregel des § 1 stellt klar und unmissver-ständlich fest:Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzungdes Zuzugs von Ausländern in die BundesrepublikDeutschland.
– Das werden Ihnen meine Nachredner, insbesondere dersehr kundige Innenminister dieses Landes, im Einzelnennachweisen, Herr Grindel.
Dass auch die SPD die Grenzen der Belastbarkeit derdeutschen Gesellschaft kennt und respektiert, hat sienicht zuletzt mit dem Asylkompromiss von 1993 bewie-sen. Die Wirkungen dieser Regelung sind unübersehbar.Die Zahl der Asylbewerber ist seit 1993 kontinuierlichzurückgegangen.
2002 betrug die Zahl noch rund 70 000. Die Entwick-lung in diesem Jahr belegt, dass es wahrscheinlich einenweiteren Rückgang um 15 Prozent gibt. Niemand ist da-ran interessiert, die Asylbewerberzahlen wieder steigenzu lassen. Das wird auch durch dieses Gesetz geregelt.
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ntsprechen genau diesem defensiven Ansatz. Das isticht der Weg für ein modernes Zuwanderungsrecht. Erird uns nicht in eine geregelte, gesteuerte und be-renzte Zuwanderung führen.
Was wir vielmehr brauchen, ist ein offensives Geset-eskonzept zur Steuerung und Begrenzung der Zuwan-erung, ein Gesamtkonzept, das alle Fragen der Zuwan-erung gesamtheitlich regelt, also die Fragen desumanitären Zuzugs, die Fragen der Arbeitsmigrationnd die Fragen der Integration. Genau diese Anforderun-en erfüllt der vorliegende Gesetzentwurf der Regie-ungskoalition. Er verdient deshalb Zustimmung.
In den Eckpunkten ist der FDP-Entwurf ebenfalls zu-timmungsfähig. Er enthält jedenfalls auch den moder-en, offensiven Ansatz, mit Zuwanderung umzugehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mir wün-chen, dass die anstehende Entscheidung über das Zu-anderungsrecht frei von Vorurteilen und frei von Emo-
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Dr. Michael Bürschtionen getroffen wird. Vielmehr sollten Vernunft undwomöglich auch Objektivität die Richtschnur für denBeschluss bilden. Mit Immanuel Kant könnte man auchan manchen Oppositionspolitiker gerichtet sagen:
„Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu be-dienen.“Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koali-tion wird heute mit ihrer Mehrheit hier im DeutschenBundestag das rot-grüne Zuwanderungsgesetz verab-schieden, verbunden mit der sicheren Gewissheit, dassdieses Gesetz niemals in Kraft treten wird. Und das istauch gut so.
Für dieses Gesetz zur Ausweitung der Zuwanderungnach Deutschland haben Sie nur im Bundestag eineMehrheit. Es ist zustimmungspflichtig. Sie haben keineMehrheit im Bundesrat. Selbst wenn Herr Wowereit Prä-sident des Bundesrates auf Lebenszeit wäre
und alle Abstimmungen leiten würde, bekämen Sie dafürkeine Mehrheit.
Die Umsetzung dieses Gesetzentwurfes würde in derPraxis zu einer erheblichen Ausweitung der ohnehin ho-hen Zuwanderung nach Deutschland führen.
Das würde die Integrationskraft unseres Landes weitübersteigen.
Wir könnten so die Probleme auf dem Arbeitsmarktnicht lösen; im Gegenteil: wir würden sie weiter ver-schärfen. Wir würden die unübersehbaren Integrations-probleme, die es in weiten Teilen unseres Landes gibt,nicht lösen, sondern weiter verschärfen.
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Herr Bürsch, es gab und es gibt Zuwanderung nacheutschland und es wird sie auch in Zukunft geben. Dast keine Frage. Es muss uns aber darum gehen, ob mehruwanderung und die Werbung um Zuwanderung dennteressen unseres Landes dienen. Wir sind kein klassi-ches Einwanderungsland und können es aufgrund unse-er historischen, geographischen und gesellschaftlichenegebenheiten auch nicht werden.
Für uns ist nicht mehr Zuwanderung, sondern eineessere Integration das Gebot der Stunde. Beim Themauwanderung geht die Koalition viel zu weit, beimhema Integration bleibt sie zu weit hinter dem zurück,as richtigerweise schnell getan werden müsste.Nun bestreiten Sie, dass dieser Gesetzentwurf zu ei-er Ausweitung bei der Zuwanderung führen würde. Sieaben aber keine einzige Gruppe von Ausländern ge-annt, die nach geltendem Recht kommen, nach zukünf-igem Recht aber nicht mehr kommen kann. Das könnenie auch nicht, Herr Bürsch, weil es eine solche Restrik-on in Ihrem Gesetzentwurf gar nicht gibt.
eder Ausländer, der nach geltendem Recht in die Bun-esrepublik Deutschland kommen kann, kann es auchach dem künftigen. Es gibt keinerlei Beschränkungen.Es gibt aber zahlreiche Bestimmungen in dem Ge-etzentwurf, die zwangsläufig zu einer Ausweitung deruwanderung nach Deutschland führen würden.
Erstes Beispiel. Der Anwerbestopp von 1973 soll ge-erell und nicht etwa nur für besonders hoch qualifi-ierte Fachkräfte aufgehoben werden. Zweites Beispiel.insichtlich der Ermessensentscheidungen, bei denenie Behörde entscheiden kann, ob sie eine Aufenthalts-enehmigung erteilt oder nicht, heißt es im Gesetz wört-ich – Sie reden immer nur über das Gesetz, aber argu-entieren nicht mit dessen Inhalt –:Zu den öffentlichen Interessen gehören im Gegen-satz zum geltenden Ausländergesetz nicht längereine übergeordnete ausländerpolitische einseitigeGrundentscheidung der Zuwanderungsbegrenzungoder der Anwerbestopp.a sagen Sie, die Aufhebung des Zuwanderungstoppsühre zu einer Reduktion der Zuwanderung? Das glaubthnen doch kein Mensch.
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Wolfgang BosbachDer Familiennachzug nach Deutschland, der ohne-hin schon einen großen Umfang aufweist, wird nicht re-duziert, sondern ausgeweitet. Es gelten neue Schutzme-chanismen bei der Aufnahme von Flüchtlingen aushumanitären Gründen. Die Zuwanderung im Rahmendes so genannten Auswahlverfahrens nach § 20 aus reindemographischen Gründen zur Erhöhung der Bevölke-rungszahl soll ohne Nachweis eines Arbeitsplatzes mög-lich sein. Und da sagen Sie, das führe zu einer Begren-zung der Zuwanderung?
Nein, es wird zu einer Ausweitung führen. Deswegenbekommen Sie unsere Zustimmung zu diesem Gesetz-entwurf nicht.
Herr Schily wird in seinem Beitrag nachher bestimmtdas Gegenteil behaupten.
Deshalb möchte ich von einer Veranstaltung beim Evan-gelischen Stadtkirchenverband in Köln am 28. April be-richten. An dieser Veranstaltung habe nicht nur ich teil-genommen, sondern auch der verehrte Kollege Winklervon den Grünen. Ich zitiere ihn wörtlich:Mit diesem Gesetz soll die überholte Begrenzungs-logik im Ausländerrecht endlich überwunden wer-den.
Wer hat Recht, Herr Schily oder Herr Winkler? Jeden-falls können nicht beide gleichzeitig Recht haben. Wis-sen Sie, wer Recht hat? – Herr Winkler hat Recht, weiler das Gesetz offensichtlich nicht nur gelesen hat, son-dern auch verstanden hat.
In der gleichen hoch interessanten Veranstaltung hatdie Kollegin Dr. Lale Akgün zum Thema Zuwanderungim Auswahlverfahren gesagt:Die Zuwanderung im demographischen Verfahrenist das Herzstück des Gesetzentwurfes.Herr Schily sagt, diese Vorschrift könnten wir in dennächsten acht bis zehn Jahren vergessen, wir wolltenkeine Zuwanderung aus demographischen Gründen,jedenfalls zurzeit nicht. Hierzu folgende Bemerkung: Esist ein fundamentaler Unterschied, ob man sagt, das seidas Herzstück des Gesetzes, oder ob man sagt, manwolle diese Vorschrift nicht anwenden. Ihre Aussage,Herr Schily, wir sollten aus demographischen Gründenzu einer neuen Zuwanderung im Auswahlverfahrenkommen, Sie wollten diese Vorschrift aber acht oderznlusdGWlaDpemAsazAdnDLbSSfArsnandasiAdd
Herr Kollege Bürsch, Sie haben gerade diegenda 2010 angesprochen. Ein Blick ins Internet ver-chlägt einem glatt die Sprache, wenn man sich einmalnschaut, was die Bundesregierung der Bevölkerung be-üglich der Agenda 2010 dort glauben machen will. Zurgenda 2010 heißt es in der offiziellen Verlautbarunger Bundesregierung: Es gibt in Deutschland 1,5 Millio-en offene Stellen, die nicht besetzt werden können.
as beeinträchtige die wirtschaftliche Situation unseresandes, weswegen wir dieses Zuwanderungsgesetzräuchten.
Die Bundesanstalt für Arbeit weiß von diesen offenentellen allerdings nichts.
ie sollten dort die Adressen, unter denen sich diese of-enen Stellen befinden, angeben. Die Bundesanstalt fürrbeit sagt, dass sich 5,3 Millionen Arbeitsuchende da-um bemühen, 419 000 freie Stellen zu besetzen. Dasind taufrische Zahlen; die Druckerschwärze ist nochicht trocken.In welchem Land leben Sie eigentlich? Die Situationuf dem deutschen Arbeitsmarkt ist so dramatisch wieiemals zuvor in der Nachkriegsgeschichte. Im Aprilieses Jahres hatten wir über 400 000 Arbeitslose mehrls im April des vergangenen Jahres. Jeden Tag – ein-chließlich Samstag und Sonntag – machen 120 Betrieben Deutschland Pleite. Jeden Tag gehen Hunderte vonrbeitsplätzen verloren. Der Anteil der Ausländer anen Arbeitslosen ist doppelt so hoch wie ihr Anteil aner Bevölkerung. Der Anteil der Ausländer an den So-
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Wolfgang Bosbachzialhilfeempfängern ist dreimal so hoch wie ihr Anteil ander Bevölkerung.
In Berlin sind über 40 Prozent der Bevölkerung türki-scher Herkunft, die sich im arbeitsfähigen Alter befindet,arbeitslos. Glauben Sie ernsthaft, dass Sie diese Pro-bleme mit mehr Zuwanderung oder mit diesem Gesetz-entwurf lösen können? Sie werden die Probleme weiterverschärfen und nicht lösen.
Herr Schily, Sie sagen, wir müssen uns an dem welt-weiten Wettbewerb um die klügsten Köpfe beteiligen.Richtig so!
Wir würden uns selbst schaden, wenn wir uns nicht da-rum bemühen würden, weltweit Spitzenkräfte für dieWirtschaft und für Forschung und Lehre zu gewinnen.Sie sagen, dass wir dafür dieses Gesetz brauchen.
Nun zitiere ich jemanden, der jedenfalls für Rot-Grünunzweifelhaft zitierfähig sein dürfte, nämlich den Innen-minister höchstpersönlich. Die „Süddeutsche Zeitung“erwähnte 1999 ihm gegenüber: „Die Wirtschaft sagtauch, dass sie Zuwanderer benötigt.“ Schily erwiderte:Wenn mir Siemens sagt, wir brauchen so und soviele, bin ich sofort bereit. Da brauchen wir keinZuwanderungsgesetz, das geht schon mit dem gel-tenden Ausländergesetz.
Herr Schily, Sie haben ja Recht. Sie können Ihre Mei-nung aber nicht um 180 Grad drehen, sich im Jahre 2003hier hinstellen, das Gegenteil behaupten und dann vonuns noch verlangen, dass wir diesen Kurswechsel mit-machen.
Allerdings befinden Sie sich hier in guter Traditionmit Ihrem Bundeskanzler. 1996 hat er zum Thema Öko-steuer nämlich gesagt:Wo ist denn der Vorteil für einen ganz konkretenBetrieb in Deutschland, wenn ich dem sage: Ichsenke dir die Lohnkosten und brumme dir gleich-zeitig bei den Energiepreisen ordentlich einendrauf?1997 sagte er:Zwei Mark für den Liter Sprit bringen zwar mehrGeld in die Kasse, aber die ökologische Lenkungs-GWmsbbPZdreDadbrm6gLdkbftwaebzlWtavB
0 Prozent der Unternehmen in Deutschland beschäfti-en keine Arbeitnehmer über 50 Jahre. Wenn dadurchücken im Arbeitsmarkt entstehen, dann können wiriese nicht durch mehr Zuwanderung nach Deutschlandompensieren.
Dieser Gesetzentwurf wird in den Bundesrat einge-racht werden. Dort wird es zu einem Vermittlungsver-ahren kommen. Wenn es bei dem bleibt, was die Ver-reter von Rot-Grün in den letzten Monaten immerieder gesagt haben – redaktionelle Änderungen: ja,ber keine substanziellen Änderungen an diesem Gesetz-ntwurf –, wird es die Zustimmung der Union nicht ge-en. Wir werden keinem Gesetz die Hand reichen, dasu einer Ausweitung der Zuwanderung nach Deutsch-and führt.
ir wollen nicht mehr Zuwanderung, sondern mehr In-egration. Wir sind der festen Überzeugung, dass diesuch dem Willen der überwältigenden Mehrheit der Be-ölkerung entspricht.
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck vonündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geschätz-
ter Kollege Bosbach, auch wir wollen mehr Integration.
Wir wollen Zuwanderung steuern und begrenzen. Zu-
wanderung findet auch unter dem jetzt geltenden Aus-
länderrecht statt. Aber die Art, wie wir die Zuwanderung
steuern, ist einfach nicht effizient. Wir müssen jenseits
des humanitären Aspekts dafür sorgen, dass die Men-
schen zu uns kommen, die wir für unseren Arbeitsmarkt
tatsächlich brauchen.
Hierfür brauchen wir Steuerungsinstrumente, die
differenziert gehandhabt und mit denen je nach Bedarf
die Tore weiter geöffnet oder geschlossen werden kön-
nen. Das leistet das Zuwanderungsgesetz. Mit diesem
Gesetzentwurf wird durch die Steuerung der Zuwande-
rung dem nationalen Bedarf an Arbeitskräften Rechnung
getragen.
Der Mythos, wir bräuchten keine Zuwanderung mehr,
hilft nicht weiter. Bislang gilt die Ausnahmeverordnung
zum Anwerbestopp. Das Ergebnis ist, dass die Zuwande-
rungsrate in manchen Jahren sehr hoch ist. Es ist besser,
zu einem gesellschaftlichen Phänomen Ja zu sagen, als
diesen Mythos weiterhin zu verbreiten. Wir müssen den
Stier bei den Hörnern packen und ihn in die richtige
Richtung lenken.
Ich gestehe Ihnen gerne zu: Dies ist ein Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Es ist
kein Zuwanderungsverhinderungsgesetz. Dies wollen
wir auch nicht. Wir wollen die Zuwanderung, die aus
vielfältigen Gründen erfolgt, steuern. Das leisten wir mit
diesem Gesetzentwurf angemessen und differenziert.
Deutschland ist ein Einwanderungsland, in dem Zu-
wanderung im großen Stil stattfindet. Herr Bürsch hat
die Zahlen genannt. Es finden gleichermaßen Zuwande-
rung und Abwanderung statt. Im Saldo hatten wir in den
letzten 40 Jahren 12 Millionen mehr Zuwanderer als Ab-
wanderer. Insgesamt betrug die Zahl der Zuwanderer
32 Millionen. Hätten wir diese nicht gehabt, hätte die
Zahl von 20 Millionen Abwanderern zu erheblichen de-
mographischen Verwerfungen geführt. Wir verabschie-
den uns jetzt von den Mythen des deutschen Ausländer-
rechts. Das jetzt geltende Ausländerrecht ist als
Abwehrinstrument und nicht als Instrument der Steue-
rung geplant.
Mit dem Zuwanderungsgesetz erreichen wir eine effi-
ziente und vernünftige Steuerung der Arbeitsmigration.
Wir regeln die Aspekte der Integration. In diesem
Punkt, Herr Bosbach, können Sie sich von der Union
nicht aufblasen. Sie haben in den 16 Jahren Ihrer Regie-
rungszeit die Notwendigkeit einer Regelung der Integra-
tion von Ausländerinnen und Ausländern verschlafen.
Die von Ihnen beklagte hohe Arbeitslosigkeit bei Aus-
ländern ist darauf zurückzuführen, dass Sie sie von Inte-
grationsmaßnahmen ausgeschlossen und die Grundlage
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Sie verbreiten hier den Mythos, wir sagten mit dem
uwanderungsgesetz: „Nun kommt doch alle her nach
eutschland, die Tore sind offen!“ Sie wissen, dass das
nsinn ist.
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen würden, ins
esetz zu schauen – es ist ja schon lange genug ge-
ruckt –,
ann könnten Sie sehen: Was den § 20, Zuwanderung
m Auswahlverfahren, angeht, den Sie zitiert haben,
aben Sie einfach Unrecht. Bundesregierung, Bundestag
nd Bundesrat müssen sich Jahr für Jahr darauf verstän-
igen, nach welchen Kriterien Zuwanderung im Aus-
ahlverfahren stattfindet und wie hoch die Gesamtquote
ein soll. Wenn es hierüber keine Verständigung zwi-
chen den Häusern gibt, dann findet in dem jeweiligen
ahr Zuwanderung nach dem Auswahlverfahren über-
aupt nicht statt. Sie wissen – der Innenminister hat das
mmer wieder betont –, dass die Koalition überhaupt
icht daran denkt, vor dem Jahr 2010 von diesem Instru-
ent Gebrauch zu machen.
Es ist doch keine Reform, wenn in einem Gesetz ge-
ade einmal Regelungen für das nächste und das über-
ächste Jahr enthalten sind.
s bedarf eines Gesetzes aus einem Guss, das die Pro-
leme löst, mit dem man für die verschiedenen gesell-
chaftlichen, demographischen und wirtschaftlichen
ituationen gewappnet ist und die entsprechenden Steue-
ungsinstrumente in der Hand hat.
Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Bosbach?
Aber selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Bosbach.
Lieber Herr Kollege Beck, sind Sie wenigstens bereit,ir zuzustimmen, dass das, was Sie gerade über den20 gesagt haben – ich habe das Gesetz hier vor mir lie-en –, schlicht falsch ist? Jedenfalls steht das so nicht imesetz. Die Beteiligung des Bundesrates bezieht sich
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Wolfgang Bosbachausdrücklich und ausschließlich auf den Kriterienkata-log – Alter des Zuwanderungsbewerbers, Familienstand,Sprachkenntnisse –, nicht aber auf die Zahl.
Hinsichtlich der Zahl ist lediglich das neue Bundesamtfür Migration und Flüchtlinge zu beteiligen. Das heißt,Sie brauchen nur ein einziges Mal die Zustimmung desBundesrates, nämlich bei der Erstellung des Kriterienka-taloges, und dann hat die Bundesregierung Pleinpouvoir,sie kann mit diesem § 20 Zuwanderung organisieren,wie sie möchte.
Herr Bosbach, würden Sie mir im Gegenzug zugeste-hen – ich weiß, Sie dürfen mir nicht antworten; abervielleicht sagen Sie es mir nachher –, dass das, was Siehier vortragen, nicht ganz logisch ist?
– Vielleicht hören Sie noch auf meine Antwort.Wenn der Bundesrat, weil er mit der Quote nicht ein-verstanden ist, die Zustimmung beim Kriterienkatalogverweigert, dann gibt es in dem jeweiligen Jahr keineVerständigung über die gesetzlichen Voraussetzungen ei-ner Zuwanderung nach dem Auswahlverfahren und danntritt eben das ein, was ich hier geschildert habe: In demjeweiligen Jahr findet keine Zuwanderung nach demAuswahlverfahren statt.
Der Bundesrat hat so ein faktisches Vetorecht. Deshalbmuss man sich vorher mit der jeweiligen Mehrheit desBundesrates über die Höhe der Gesamtquote verständi-gen. Ansonsten funktioniert der Mechanismus nach die-sem Gesetz nicht. Solange Sie im Bundesrat noch überdie Mehrheit verfügen, können Sie sicher sein, dass ohneIhre Zustimmung in diesem Bereich nichts läuft. Siekönnen also alle ruhig schlafen.
Deshalb ist Gelassenheit und nicht Panikmache ange-sagt.
Ihren Beitrag zu diesem Gesetz hat der KollegeStadler im Innenausschuss – das möchte ich ausdrück-lich betonen – richtig beschrieben: Dieses Gesetz ist keinrot-grünes Gesetz, sondern ein überparteilicher Kompro-miss.
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ntsprechen den Vorstellungen der Union und der Mehr-eit des Bundesrates, weil wir sie im Rahmen der Ver-andlungen zum Zuwanderungsgesetz in den Entwurfbernommen haben. Wir haben uns nicht nur an den Er-ebnissen der Zuwanderungskommission der Bundes-egierung – der bekanntlich eine CDU-Politikerin vor-tand – orientiert, sondern auch an den Vorstellungen desollegen Müller, auch wenn sich dieser zwischenzeitlichavon distanziert hat.Ihr Vorgehen heute hier und im Innenausschuss zeigt:ie Union ist weder willens noch in der Lage, im Deut-chen Bundestag über dieses Gesetz zu verhandeln.tattdessen haben Sie versucht, Ihre Position mit28 Änderungsanträgen zu markieren. Angesichts deratsache, dass diese 128 Änderungsanträge, die Sie vor-elegt haben, noch nicht einmal in den unionsgeführtenundesländern mehrheitsfähig waren, kommt das einerundamentalopposition gleich.Sie signalisieren damit, dass Sie keine Einigung wol-en, weil Sie Ihr parteitaktisches Süppchen mit der Zu-anderung kochen wollen. Es ist auch ein Armutszeug-is für die Kollegin Merkel. Ganz offensichtlich hat sieei der Zuwanderungsfrage in der Union kein Verhand-ngsmandat.
Hier haben offensichtlich die Kollegen Stoiber undoch den Hut auf. Sonst hätten Sie sich doch im Bun-estag zu Verhandlungen bereit finden können, anstattich mit den 128 Anträgen zu verweigern.
Sie hätten mit Herrn Schily und den beiden Koalitions-raktionen verhandeln können, statt Ihre Anträge ausem Bundesrat hier sogar noch in verschärfter Form vor-ulegen.Sie wollen – das machen Sie in Ihren Anträgen deut-ich – an einem verstaubten Ausländerrecht festhalten.s geht Ihnen in Wirklichkeit um Abschottung und dieerhinderung von Zuwanderung. Wer Arbeitsmigratione facto gar nicht will, dem geht es auch nicht wirklichm das wirtschaftliche Wohl unseres Landes.Wir haben die entsprechenden Stellungnahmen derirtschaft. Arbeitswissenschaftler rechnen damit, dassir bis zum Jahr 2015 einen Mangel an hoch qualifi-ierten Arbeitskräften von sieben Millionen Erwerbs-ätigen haben werden, auch wenn wir aktuell noch eineohe Arbeitslosigkeit haben. Wer da nicht vorbeugt und
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Volker Beck
nicht dafür sorgt, dass wir dies vernünftig gestalten, derschadet der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wir ha-ben es bei der Greencard gesehen: Die jetzigen Regelun-gen, die wir hoch qualifizierten Zuwanderern anbietenkönnen, sind eben nicht attraktiv.
Im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfeziehen wir den Kürzeren, weil die Zuwanderungsvoraus-setzungen in Ländern wie den Vereinigten Staaten, Ka-nada oder Australien wesentlich attraktiver sind als das,was wir im deutschen Ausländerrecht anbieten können.Im humanitären Teil des Gesetzes zeigt die Union ihrwahres Gesicht. Sie wollen den integrationshemmendenStatus der Duldung beibehalten. Sie wollen die Voraus-setzung für die Erteilung des menschenrechtlichenSchutzstatus so weit verschärfen, dass ihn praktisch nie-mand mehr in Anspruch nehmen kann. Sie wollen diesenMenschen auch jegliche Aufenthaltsverfestigung neh-men. Sie wollen den Ehegattennachzug verschärfen undAusweisungen erleichtern. Beim Kindernachzug bege-ben Sie sich europaweit mit Ihrer Forderung, den Nach-zug von Kindern nur bis zum zehnten Lebensjahr zu er-lauben, in die völlige Isolation. Es ist schon bezeichnend,dass die familienfreundliche Union das Kindeswohl ausdem Ausländergesetz streichen will.
Diese Änderungsanträge sind eine Kampfansage undalles andere als ein Versuch, sich mit den Koalitionspar-teien und auch mit der FDP auf einen vernünftigen Kom-promiss zu einigen. Sie haben sogar noch eins draufge-sattelt gegenüber den Anträgen, die Sie im erstenDurchgang dieses Gesetzes eingebracht haben. Sie wol-len das Geburtsrecht im Staatsbürgerschaftsrecht wiederkippen, wo wir doch wissen, dass es ganz entscheidendfür die Integration jüngerer Migrantenkinder ist, dass sievon Anfang an nach der Geburt als Staatsbürger in die-sem Land willkommen geheißen werden, hier integriertwerden
und wissen, dass sie zu dem Land gehören, in dem siegeboren sind, und dass sie gleiche Rechte und gleichePflichten wie jeder andere haben. Hier zeigt sich: Ihnenliegt an der Integration, die Sie so gerne im Munde füh-ren, überhaupt nichts. Sie leisten auch mit Ihren Beiträ-gen zu der Zuwanderungsdebatte einen Beitrag zur Des-integration, wenn Sie Ausländer immer nur imZusammenhang mit terroristischen Anschlägen oder mitAbzocken von Sozialkassen in Verbindung bringen. Siemüssen zu einem anderen Diskussionsstil kommen.
Herr Kollege Beck, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Ich glaube, man greift nicht zu hoch mit der Fest-tellung, der Deutsche Bundestag hätte heute die Chanceu einem historischen Kompromiss, um den seit einemahr andauernden Streit um das Zuwanderungsgesetz zueenden. Deutschland braucht in seinem eigenen Inte-esse ein Gesamtkonzept, um die Zuwanderung zu steu-rn und zu begrenzen und um die Integration zu fördern.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat basierend auf Vorar-eiten aus Baden-Württemberg einen, wie wir meinen,llseits akzeptablen Kompromissvorschlag vorgelegt. Esäre schade, wenn der Deutsche Bundestag heute seinehance versäumen würde, sich auf diesen Kompromissu einigen.
Nach drei Jahren öffentlicher Debatte birgt eine sol-he Aussprache wie die heutige die Gefahr, dass nur alt-ekannte Argumente wiederholt werden. Ich meine aber,ass die Einwände, die die Union heute noch einmal gel-end gemacht hat – der Kollege Bosbach hat sie ebenorgebracht –, durchaus ernst zu nehmen sind.Auch wir, die wir ein Zuwanderungsgesetz befürwor-en, stellen uns die Frage, ob die Bedingungen für einolches Gesetz jetzt noch dieselben sind wie vor zweiahren, als die Süssmuth-Kommission ihren Bericht vor-elegt hat, oder vor einem halben Jahr. Denn derrbeitsmarkt hat sich inzwischen geändert; er ändertich aufgrund der verfehlten rot-grünen Wirtschaftspoli-ik leider zum Schlechteren.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3653
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Dr. Max StadlerDaher ist die auch von der Bevölkerung gestellteFrage berechtigt, ob bei mehr als 4 Millionen Arbeitslo-sen noch eine Zuwanderung auf den deutschen Arbeits-markt vertretbar ist. Wir glauben aber, dass diese Fragezu bejahen ist. Wir meinen sogar, dass es dringend not-wendig ist, die Zuwanderung – die ohnehin stattfindet –zu steuern.
Die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes hängtnicht vom Monats- oder Quartalsbericht der Bundesan-stalt für Arbeit ab. Wir schaffen eine gesetzliche Grund-lage – darin besteht der Unterschied zur derzeitigen Pra-xis der Ausnahmeverordnungen – nicht für eineSituation des Augenblicks; vielmehr streben wir mit die-sem Gesetz eine Grundlage für die gesamte weitere Zu-wanderungspolitik der Bundesrepublik Deutschland auflängere Dauer an. Dieses Gesetz soll sozusagen zumGrundgesetz für die deutsche Migrationspolitik werden.Deswegen macht es nach wie vor Sinn.
Im Übrigen – das ist der wichtigste Punkt, den es he-rauszustellen gilt – bedeutet ein Zuwanderungsgesetznicht automatisch mehr Zuwanderung. Es geht um zweivöllig verschiedene Fragen. Ob wir mehr Zuwanderungnach Deutschland brauchen, ist aufgrund der Situationauf dem Arbeitsmarkt von Zeit zu Zeit unterschiedlichzu beantworten. Hier geht es aber auch um die Frage, obwir ein Gesetz brauchen, das die Zuwanderung steuert.Wir Freie Demokraten meinen, dass ein solches Gesetznach wie vor notwendig ist.Wir schlagen Ihnen einen Mechanismus vor, der alleBedenken aufgreift, indem wir Ihnen anbieten, die Zu-wanderung auf den Arbeitsmarkt und aus humanitärenGründen nach einer Jahreshöchstquote zu gestalten.Damit hätten wir als Politiker es in der Hand, die jewei-lige aktuelle Situation zu beurteilen und die Quote gege-benenfalls auf Null festzusetzen. Insofern sind die zumAusdruck gebrachten Sorgen unbegründet und es ist undbleibt vernünftig, in diesem Bereich gesetzgeberisch tä-tig zu werden.
Lassen Sie mich nun auf einen weiteren Punkt zusprechen kommen. Nachdem wir in früheren Debattendarauf hingewiesen haben, dass bei der CDU/CSU An-spruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, indem siesich zum Beispiel hier gegen das Zuwanderungsgesetzausspricht, aber in Bayern Pflegekräfte aus der Slowakeiund Kroatien anwirbt,
hat die Union ihre Argumentation jetzt geändert und vor-gebracht, es sei zwar richtig, dass in manchen Bereichenausländische Arbeitskräfte benötigt würden; dies könnejedoch über Ausnahmeverordnungen geregelt werden.wvndrrzm–rlveggafnlacetAtzsmcsakKgskrnePn
Nun komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Not-endig ist nicht der alte Flickenteppich von Ausnahme-erordnungen;
otwendig ist vielmehr ein Gesamtkonzept, weil allerei Bereiche eng miteinander verzahnt sind: Zuwande-ung auf den Arbeitsmarkt, Zuwanderung aus humanitä-en Gründen und Integration. Alle drei Bereiche gehörenusammen.
Ich möchte Ihnen das an den Vorschlägen deutlichachen, die die FDP dazu gemacht hat. Wir meinendas kann niemand bestreiten –, dass es eine Fehlsteue-ung im Asylrecht gegeben hat. Viele versuchen näm-ich, sich über das Asylrecht Zugang zu Deutschland zuerschaffen, obwohl sie keine Chance haben, jemals an-rkannt zu werden. Wenn man diesen Menschen eine le-ale Zuwanderungsmöglichkeit – ich gebe zu: in be-renztem Umfang; denn die Zahlen würden etwasnderes nicht zulassen – bietet und wenn man zugleichestlegt, dass diejenigen, die sich zu Unrecht auf einicht mehr bestehendes Asylrecht berufen, von der lega-en Möglichkeit der Zuwanderung in den Arbeitsmarktusgeschlossen werden, dann wird dieser Steuerungsme-hanismus dazu führen, dass das Bundesamt für die An-rkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwal-ungsgerichte nicht mehr mit einer solchen Vielzahl vonsylverfahren, die im Endeffekt aussichtslos sind, belas-et werden wie jetzt.
Ich möchte Ihnen die Verzahnung noch an einemweiten Beispiel deutlich machen. Wenn man ein Ge-amtkonzept für die Integration entwickelt, dann hatan die Möglichkeit, mehr Angebote als bisher zu ma-hen, aber auch mehr Anforderungen an diejenigen zutellen, die nach Deutschland kommen, und zwar unternderem dadurch, dass man die Teilnahme an Deutsch-ursen und an Integrationskursen zum entscheidendenriterium für die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmi-ung macht. Das ist nicht unzumutbar, sondern eineinnvolle Steuerung und zeigt erneut, dass wir eine Ver-nüpfung aller Elemente brauchen.Der gescheiterte Gesetzentwurf war nur formal einot-grüner. Die FDP hat in den Verhandlungen mit Mi-ister Schily etliche ihrer Vorstellungen in den Gesetz-ntwurf einbringen können. Deswegen hat ja Rheinland-falz im Bundesrat zugestimmt. Aber wir werden heuteicht zustimmen, sondern uns enthalten;
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Dr. Max Stadlerdenn Sie haben den gescheiterten Gesetzentwurf erneutunverändert eingebracht, obwohl er nicht mehr dem ak-tuellen Stand der Diskussion entspricht.
Die weitere Diskussion hat nämlich ergeben, dass einZuwanderungsgesetz mehr Maßnahmen für die Integra-tion derjenigen vorsehen muss, die schon hier sind. Hiertreffen sich unsere Vorstellungen mit denen der Union.
Wir brauchen die so genannte nachholende Integration
und müssen besonders im Blick behalten, dass die jet-zige Generation der Spätaussiedler im Gegensatz zu den-jenigen, die Anfang der 90er-Jahre gekommen sind, auf-grund fehlender Sprachkenntnisse große Probleme hat,in den Arbeitsmarkt und in das Sozialgefüge integriertzu werden.
Daher gehen die Integrationsangebote der FDP – ich be-tone: mit entsprechenden Verpflichtungen betreffend dieMigrantinnen und Migranten – weiter als das, was IhrGesetzentwurf vorsieht. Aber alles muss seriös finan-zierbar sein. Die Angebote, die die Union in ihren Ände-rungsanträgen macht, sind zeitlich unbegrenzt. Das gehtnicht; denn das können die Kommunen auf keinen Fallmehr finanzieren. Auch wenn wir einen eigenen Beitragvon den Migrantinnen und Migranten verlangen, meinenwir, dass sich die nachholende Integration auf diejenigenbeziehen sollte, die in den letzten fünf Jahren nachDeutschland gekommen sind.Sie sehen also, dass wir Kompromissangebote in un-sere Vorschläge eingearbeitet haben, die dem neuestenStand der Diskussion entsprechen und die vor allemauch ein Angebot an die Union sind. Die Tatsache, dassSie 128 Änderungsanträge gestellt haben, kann als einhohes Pokern verstanden werden, um im Vermittlungs-ausschuss möglichst viel von den eigenen Vorstellungendurchzusetzen. Das wäre noch verständlich. Aber wirhaben nach der vorangegangenen Rede des KollegenBosbach den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht um einenKompromiss geht, sondern dass Sie ein Zuwanderungs-gesetz generell ablehnen, obwohl es dringend notwendigwäre.
Deswegen hoffen wir, dass diejenigen aus Kirche undWirtschaft, die Einfluss auf Sie haben und auf derenWort Sie hören, Sie doch noch eines Besseren belehren.Zum Schluss möchte ich noch folgendes Grundsätzli-che anmerken: Ein solches Gesetzesvorhaben löst beider Bevölkerung zunächst Ängste und Besorgnisse aus,beispielsweise Besorgnis darüber, dass es mehr Konkur-renz auf dem Arbeitsmarkt geben wird – und das, ob-wohl Inländer bei der Besetzung eines ArbeitsplatzesVlhuPnztvWSaddmpZtZmndnBlkGmdsezSAda
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-
olgast von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!elten ist ein Gesetz von der CDU/CSU so mutwillig, sonhaltend und so absichtsvoll fehlgedeutet worden wieieses. Leider hat der Kollege Bosbach dafür heute wie-er ein unrühmliches Beispiel geliefert.
Wenn es nur um reine Sachfragen ginge, dann könntean sagen: Zuspitzung ist nun einmal ein Mittel der Op-osition. Bei diesem Gesetz geht es aber um das künftigeusammenleben von Menschen unterschiedlicher Tradi-ionen, Kulturen und Glaubensgemeinschaften. Demiel, dass sie friedlich und in gegenseitigem Respektiteinander leben, nützt dieses Zerrbild wahrhaftigicht. Deswegen richte ich die dringende Bitte an Sie,iesen Gesetzestext endlich realistisch zur Kenntnis zuehmen.
Sie wollen den Bürgern seit Monaten einreden, dieseundesregierung habe nichts Eiligeres zu tun, als mög-ichst viele Menschen in dieses Land zu holen. Das istein Irrtum, sondern geplante Irreführung.
estatten Sie mir folgende Randbemerkung: Ich kannir angesichts des Elendsbildes, das Sie im Moment voner Bundesrepublik zeichnen, eigentlich gar nicht vor-tellen, dass noch irgendein Ausländer
in Interesse daran hat, seinen Fuß in dieses Land zu set-en. Leider spielen Sie mit dem Mittel der Verzerrung.Jeder, der sich ohne Scheuklappen – ich betone: ohnecheuklappen – mit diesem Gesetz befasst, erkennt:rbeitsmigration wird gerade dadurch beherrschbar,ass man sie steuert und politisch gestaltet. Jeder weißuch darum, dass Deutsche und EU-Bürger nach diesem
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Dr. Cornelie Sonntag-WolgastGesetz bei der Arbeitsvermittlung weiterhin Vorrang ha-ben und dass die Auswahlverfahren überhaupt erst in ei-nigen Jahren zum Zuge kommen, wenn die Überalterungbzw. die „Unterjüngung“ – so lautet der neue Begriff –der Gesellschaft ihre ersten deutlichen Spuren auf demArbeitsmarkt hinterlässt.Jeder kennt auch die Funktion des Sachverständigen-rates, der ebenfalls ein Wort mitzureden hat. Jeder merkt,wodurch dieses Gesetz die Einwanderung zugleich be-grenzt – Herr Kollege Grindel, nun können Sie noch et-was dazulernen –: durch die Beschleunigung der Asyl-verfahren; durch die konsequentere Abschiebung, wodies rechtsstaatlich vertretbar ist; durch die Senkung desKindernachzugsalters; durch erhöhte Anforderungen andie Sprachkenntnisse mitreisender Familienangehörigervon Spätaussiedlern, übrigens eine der im Moment pro-blematischsten Zuwanderungsgruppen.Durch unser Gesetz wird Zuwanderern ein realisti-sches Angebot gemacht. Es zeigt Möglichkeiten, aberauch Hürden für die Zuwanderung zwecks Arbeitsauf-nahme. Dieses Gesetz enthält Anforderungen an dieNeuankömmlinge, zeigt aber auch den hier Lebenden,wie man sich aufeinander einlassen, aufeinander zube-wegen kann. Es unterscheidet schärfer zwischen abge-lehnten Asylbewerbern, die nicht ins Heimatland zu-rückkehren können, und denen, die es nicht wollen. Esvereinfacht die komplizierten ausländerrechtlichen Re-gelungen und es reduziert die zahlreichen schwer ver-ständlichen Aufenthaltstitel. Vor allem aber bekennt sichder Staat endlich, nach mehr als vier Jahrzehnten Migra-tion, zu seiner Aufgabe, die Integration hier mitzugestal-ten und zu fördern. Das ist ein epochaler Schritt.
Das Grundkonzept der Integration – das ist Kernideedes gesamten Gesetzes – geht aber weit über Eingliede-rung und Sprachvermittlung hinaus – es gehört nämlichalles zusammen; Kollege Stadler hat es eben verdeut-licht –, weil wir einerseits unsere humanistischen Ver-pflichtungen deutlicher umreißen und weil wir anderer-seits Zuwanderung mit modernen und flexiblen Metho-den steuern und dabei – dies war im bisherigen Rechtnicht der Fall – unsere eigenen Interessen beim Namennennen. Deshalb macht es keinen Sinn, etwa den – viel-leicht am wenigsten strittigen – Integrationsteil heraus-zulösen und alle anderen Reformteile fallen zu lassen.Das Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung undder sie tragenden Koalition ist – das wissen Sie sehrwohl – in seiner jetzigen Form auf Konsens ausgerichtet:Es schlägt Brücken auch zur Union – wie wir eben hör-ten, auch zur FDP – in Bund und Ländern.
Es versöhnt endlich politisches Handeln mit der Wirk-lichkeit der heutigen Migration. Es zeigt Perspektivenund Optionen für morgen. Das Konzept der CDU/CSUjedoch, wie es sich in Ihren 128 Änderungsanträgenwiderspiegelt, beschwört den Geist von gestern. Sie wer-dgvtnbsEEdgcFdtwÜsnFskzSznGteklrawMsCsV
Wer, Herr Kollege Marschewski, soll eigentlich nach-ollziehen, warum Sie hoch qualifizierten Arbeitskräf-en, wenn wir sie hier brauchen können, wieder nur ei-en befristeten Aufenthalt – das war ja ein Kritikpunktei der Greencard-Regelung – erlauben wollen? Warumollen Migrantenkinder wieder Schwierigkeiten bei derinbürgerung bekommen? Warum sollen ausländischehefrauen wieder vier statt zwei Jahre auf ein eigenstän-iges Aufenthaltsrecht warten müssen und etwa bei einerescheiterten Beziehung Prügel und Schikanen einste-ken müssen? Warum um alles in der Welt wollen Sierauen und Mädchen, die aus Angst vor der Beschnei-ung zum Beispiel hierher geflüchtet sind, nicht wenigs-ens befristet eine verlässliche Lebensperspektive ge-ähren?
ber diese Art des Umgangs mit der geschlechtsspezifi-chen Verfolgung schütteln fast alle europäischen Part-erstaaten den Kopf. Sie erweisen sich in der Asyl- undlüchtlingspolitik ja überhaupt als europauntauglich.
Reformen sollen den Menschen zukunftsfähige Lö-ungen anbieten und ihnen auch die Angst vor Unbe-anntem und vor Unwägbarem nehmen. Weil der Pro-ess der gegenseitigen Annäherung wirklich keinpaziergang ist, weil Umdenkprozesse Zeit und Über-eugungskraft brauchen, weil wir Migration eben nichtur geschehen lassen, sondern gestalten wollen, ist dasesetz jetzt wichtig; das erkennt die FDP dankenswer-rweise auch an.Die gesamte Migration in all ihren Facetten als Droh-ulisse aufzubauen, wie Sie es tun, ist falsch und schäd-ich. Akzeptanz ist schon wichtig – ich weiß, wovon ichede –, aber Akzeptanz ist dehnbar und hängt sehr davonb, wie man über das Thema redet, welche Worte undelche Argumente man benutzt.
Ihr neues Bedrohungsgemälde ist der angeblicheigrationsdruck durch die EU-Erweiterung. Natürlichchafft sie Probleme, aber sie schafft eben auchhancen. Deswegen möchte ich jemanden zitieren, derich auskennt, nämlich den EU-Kommissar Güntererheugen. Er weist auf Folgendes hin:Derzeit verweilen mehr Deutsche in der Tschechi-schen Republik als Tschechen in Deutschland. DieFrage einer rechtlichen Regelung der Zuwanderungist also weit wichtiger als Spekulationen über ihrdramatisches Ausmaß.
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Dr. Cornelie Sonntag-WolgastMeine Damen und Herren, gestatten Sie mir eineSchlussbemerkung. Seit ich mich mit Ausländerpolitikbefasse, stört mich die scharfe Polarisierung in dieserFrage, diese Teilung in zwei große Lager: hier die so ge-nannten Gutmenschen, die praktisch jeden Ausländer inWatte packen, und dort die Scharfmacher, die der Ab-schottung das Wort reden. Das Zuwanderungsgesetzschafft nun endlich eine Möglichkeit, sich mit beidenLagern auseinander zu setzen und Brücken zu schlagen.Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und Migrationsfor-scher begrüßen es – nicht ohne Kritik, aber immerhinalle doch mit dem Votum: Das ist der richtige Weg. DieProbleme der Migration werden nicht verkleistert. Esbringt uns insgesamt voran.Wenn Sie die Gesellschaft jetzt wieder spalten, dannleisten Sie dieser Entwicklung einen Bärendienst. Ichkann Sie und uns alle vor dieser Strategie nur warnen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Erwin Marschewski
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wer sagt, das Problem ungesteuerter Zuwande-rung lösen zu wollen, und wer weiß, dass er dazu die Zu-stimmung der Union benötigt, und wer dennoch den vordem Bundesverfassungsgericht gescheiterten Gesetzent-wurf Wort für Wort wieder einbringt, ohne der Unionauch nur ein Jota entgegenzukommen, der beweist kei-nen ernsthaften Willen zur Lösung dieses Problems.
Er will wohl keinen Kompromiss, Herr Kollege; sonstwären die 128 Anträge der Union nicht samt und sondersabgelehnt worden.
Deswegen hat die „FAZ“ Recht, Herr Bundesinnen-minister: Es war unverantwortlich, das Zuwanderungs-gesetz im Bundestag mit einfacher Koalitionsmehrheitzu verabschieden. Es war geradezu verwerflich – soschreibt die „FAZ“ –, es mit Brachialgewalt – verfas-sungswidrig – durch den Bundesrat zu drücken.
Gesetze von dieser Tragweite, meine Damen undHerren, brauchen eine Mehrheit, die einen Regierungs-wechsel überdauert, Herr Bundesinnenminister.
Wir stimmen gerne zu, aber das Gesetz muss dann,err Kollege, auch wirklich eine Regelung zur Steue-ung und Begrenzung von Zuwanderung zum Inhalt ha-en, was beim vorliegenden leider nicht der Fall ist. –ieses Gesetz führt zu mehr Einwanderung. Die Zuwan-erung wird nicht begrenzt und die Integration – zumin-est da sind wir uns doch einig, Kollege Bürsch undollege Stadler – wird nicht hinreichend geregelt.
ies steht, meine Damen und Herren, in krassem Wider-pruch zur Position der Union. Deswegen können wir Ih-en Gesetzentwurf so nicht akzeptieren.Zunächst einmal wäre ein einheitliches Gesamtpaketrbeitsmarktpolitischer Leistungen sowie familien- undozialpolitischer Maßnahmen nötig, denn zur Bewälti-ung der demographischen Probleme bedarf es solcheraßnahmen in der Familien- und Bildungspolitik sowieer Ausschöpfung vorhandener Erwerbspotenziale. Daind wir uns doch einig: Zuwanderung allein löst dierobleme nicht.Ihr Gesetzentwurf, Herr Bundesinnenminister, bieteteine sachgerechten Lösungen für die Arbeitsmigra-ion. Es ist doch nicht verantwortbar – Herr Kollegeosbach hat es zu Recht gesagt –, bei so vielen Arbeits-osen in Deutschland die Arbeitsmigration in allen, auchen einfachen Arbeitsmarktsegmenten zuzulassen, ohneundesrat und Bundestag zu befragen.Herr Kollege Beck, Sie haben übrigens Unrecht, derorgeschlagene § 20 des Aufenthaltsgesetzes sieht nichtor, dass bezüglich der Zahl Bundestag oder Bundesratefragt werden müssen. Sie haben leider nicht zugege-en, dass Sie sich da geirrt haben. Es ist keine überregio-ale Steuerung vorgesehen, sondern nur eine durch deneweiligen Arbeitsausschuss der 181 Arbeitsämter iniesem Lande.Meine Damen und Herren, es ist gut bekannt, dass ausastarbeitern, die dabei helfen sollten, vorübergehendengpässe auf dem Arbeitsmarkt zu überwinden, Millio-en „Daueranwesende“ – „FAZ“ –, verteilt über mehrereenerationen, geworden sind und davon heute mehr alsine halbe Million arbeitslos sind. Vor diesem Hinter-rund ist es doch einfach nicht verständlich, wenn Sieen Anwerbestopp aufheben.
Herr Kollege, zu Zeiten Willy Brandts waren nur,8 Prozent der Ausländer arbeitslos, heute sind es über0 Prozent. Doch Sie heben den Anwerbestopp auf. Dasann doch nicht richtig sein!
Nein, meine Damen und Herren, auch die Sprecherer Wirtschaft – ich sage dies hier ausdrücklich – kom-en an diesen Tatsachen nicht vorbei. Tatsache ist eben,ass eine generelle Einwanderung von Arbeitskräften
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Erwin Marschewski
zurzeit nicht notwendig ist und nach der Osterweiterung,Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, erst recht nicht.
Tatsache ist auch: Weder die Unternehmer noch ihreVerbände werden sich an der Rückführung von Migran-ten beteiligen, die sie selbst aus konjunkturpolitischenGründen bzw. zur Einsparung von Ausgaben für die So-zialversicherung freigesetzt haben. Auch das ist Tatsa-che. Den Sprechern der Wirtschaft wird es nicht gelin-gen, ihre speziellen Interessen als Gemeinwohlinteresseumzudeuten.
Ebenso wenig wird es Ihnen, Herr Bundesminister,gelingen, Ihr Gesetz als Zuwanderungsbegrenzungsge-setz zu verkaufen, denn Sie selbst haben ja ausdrücklichim Gesetz von dieser Vorstellung Abschied genommen.Die Konsequenzen sind offenkundig: Durch die Gleich-stellung von Personen, die Abschiebeschutz genießen,mit Asylberechtigten werden die Wirkungen der Dritt-staatenregelung zumindest zum Teil aufgehoben.
– Natürlich werden sie aufgehoben, wenn Sie diesenLeuten, wenn sie nach Deutschland kommen, die in § 53des Ausländergesetzes enthaltenen Rechte gewähren.Auch Sie wissen doch, dass der Asylkompromiss damalszur Reduzierung der Zahl der Asylberechtigten von450 000 auf 100 000 geführt hat.
Zur geschlechtsspezifischen Verfolgung: Im Aus-schuss haben wir darüber, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, diskutiert. Sie haben mich gefragt, wo es denneine entsprechende Stellungnahme des Bundesinnenmi-nisters gibt. Ich kann sie Ihnen vorlesen. Am 23. Juni2000 hat der Bundesinnenminister eine Stellungnahmeherausgegeben, in der steht:Eine asyl- oder ausländerrechtliche Schutzlückezum Nachteil von Frauen besteht nicht.Da heißt es also ausdrücklich: besteht nicht. Das hat üb-rigens der Europäische Gerichtshof am 7. März 2000ebenfalls bestätigt.
Nein, Herr Bundesinnenminister, Sie steuern und be-grenzen die Zuwanderung nicht, wie von der Union ge-wollt. Ihr Gesetz wird – ich sage es noch einmal und be-weise das auch – die Zuwanderung nach Deutschlanderhöhen.Schauen Sie sich die Regelungen zum Familiennach-zug an. Sie weiten den Familiennachzug aus,
nämlich auf Homosexuelle und faktisch auf Kinderbis 18. Das ist doch Ihre Regelung.ÜDWswfmwwszvGDRdimrasmdrnvkOeWnVDUbW
ber diese Vorschriften kommen mehr Leute nacheutschland.Sie verkürzen außerdem die Asylverfahren nicht.arum schaffen Sie nicht beispielsweise eine einzige In-tanz, wie es europaweit üblich ist? Das Asylverfahrenird nicht verkürzt.
Wenn Sie Härtefallregelungen und -ausschüsse ein-ühren, dann bedeutet dies doch, dass die Abschiebungit Sicherheit nicht in größerem Umfang erfolgen wird,ie es im Augenblick der Fall sein müsste.
Herr Bundesinnenminister, ich habe Ihnen drei Be-eise genannt: Familiennachzug, Asylverfahren, Ab-chiebung. Das bedeutet eine Erweiterung Ihres Geset-es. Nehmen Sie Stellung dazu! Das widerspricht dochöllig dem, was Sie vor geraumer Zeit gesagt haben: Dierenze der Belastbarkeit, was Zuwanderung nacheutschland anbetrifft, ist überschritten. Sie habenecht, Herr Bundesinnenminister, nur, Ihr Gesetz ist an-ers als Ihre Aussage damals.
Was wir brauchen – darin sind wir uns wohl einig –,st mehr Integration. Da ist der Gesetzentwurf mehr alsangelhaft. Er enthält zwar Integrationsangebote; das istichtig. Aber er enthält keine Integrationspflichten. Vorllem gilt er nicht für die Leute, die bereits hier wohnen,ondern nur für neu ankommende Ausländer. Meine Da-en und Herren, eines ist doch auch klar: Insbesondereie Leute, die hier sind, müssen integriert werden. Dasegelt der Gesetzentwurf keineswegs.Ein weiterer Punkt. Sie sprechen hier von einer Teil-ahmeverpflichtung bezüglich der Integrationskurse,erzichten aber auf jede Durchsetzungsmöglichkeit. Dasann doch nicht in Ordnung sein. Es ist auch nicht inrdnung, Kollege Wiefelspütz, dass derjenige nicht zuinem Integrationskurs muss, der sich auf einfacheeise mündlich verständigen kann. Nein, das reichticht.
Nötig ist, die deutsche Sprache zu erlernen und dieerfassung und unsere Werteordnung anzuerkennen.as sind Forderungen aus dem Integrationskonzept dernion, das Sie leider vor einigen Jahren abgelehnt ha-en, Herr Kollege Wiefelspütz.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
iefelspütz?
Bitte schön.
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Herr Marschewski, sollten wir nicht einmal gemein-
sam den Präsidenten des Bundesamtes in Nürnberg,
Herrn Dr. Albert Schmid, aufsuchen und darum bitten,
dass Sie, Herr Marschewski, und ich einen Integrations-
kurs besuchen, damit wir erfahren, was da eigentlich ab-
läuft?
Ich bedanke mich herzlich für die Einladung und
nehme sie gerne an. Aber ich bin mittlerweile ziemlich
integriert; das sagt der Kollege Zeitlmann zumindest. –
Das soll ein Scherz sein.
Herr Wiefelspütz, Sie wissen doch ganz genau, dass
diese Dinge so nicht in Ordnung sind, weil sie letzten
Endes keine Integration bewirken. Wir haben unsere In-
tegrationsvorstellungen vor ein paar Jahren vorgelegt
und Sie haben sie abgelehnt.
Ich frage mich, Herr Bundesinnenminister, warum Sie
bei diesem Gesetzesvorhaben nicht den Weg gewählt ha-
ben, den wir, Wolfgang Schäuble – ich sehe ihn gerade –
und die CDU/CSU-Fraktion, 1994 gewählt haben. Er
war damals umstritten; es war falsch, dass er umstritten
war. Dieser runde Tisch, Herr Bundesinnenminister, hat
zu einem Ergebnis geführt, zu einem erfolgreichen Er-
gebnis, weil er die Flüchtlingsrechte bewahrte – wir ha-
ben das subjektive Asylrecht letzten Endes behalten –
und weil er unbegründete Zuwanderung begrenzte.
Eine solche Regelung, wie sie in Art. 16 a des Grund-
gesetzes erfolgte, war damals dringend notwendig. Wir
sind als Union der Meinung, dass genauso dringend not-
wendig eine Begrenzung der Zuwanderung ist; denn die
herrschende Asyl- und Einwanderungspraxis ist alles an-
dere als befriedigend, genauso unbefriedigend, Herr
Bundesinnenminister, wie Ihr Gesetzentwurf. Denn so,
wie er gestaltet ist, dient er keineswegs den Interessen
unseres Landes.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Josef Winkler,Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zunächst eine Bitte an die Union zwecks Förde-rung einer blühenden politischen Karriere: Bitte verzich-ten Sie in Zukunft darauf, mir in der Kernzeit zu applau-dieren; denn das wird mir bei meiner weiteren Karrierenicht helfen.dwebwkVsdzBr1tddunt–BdwwdlgPwlR6drdd
Nach nunmehr dreijähriger öffentlicher Debatte liegtiesem Haus nun zum zweiten Mal der Regierungsent-urf zum Zuwanderungsgesetz vor. Ich weiß nicht, obs das modernste Zuwanderungsrecht Europas ist. Ichin mir aber sicher, dass es sich um das modernste Zu-anderungsrecht handelt, das Deutschland je habenönnte, wenn die Union nur wollte.
or uns liegt ein Kompromiss, der für alle Seiten tragbarein könnte. Sie sehen: Ich formuliere im Konjunktiv;enn die Union will das Rad der Migrationsgeschichteurückdrehen.Die im Bundesratsverfahren von den unionsregiertenundesländern im Januar 2003 eingebrachten Ände-ungsanträge sowie die nahezu deckungsgleichen28 Änderungsanträge der CDU/CSU-Bundestagsfrak-ion zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes wollenen Entwurf tiefgreifend in seiner Ausrichtung verän-ern
nd zielen teilweise darauf, den Gedanken einer Moder-isierung des geltenden Ausländerrechts in das Gegen-eil zu verkehren.Darüber hinaus zielen einige Ihrer Änderungsanträge das wurde schon erwähnt – auf bereits vom Deutschenundestag verabschiedete rot-grüne Reformprojekte wieas neue Staatsangehörigkeitsrecht ab. Nicht ein Ein-anderer soll hier die Möglichkeit haben, Deutscher zuerden, schon gar nicht seine Kinder – wenn überhaupt,ann vielleicht seine Enkelkinder. Das ist für uns wirk-ich nicht akzeptabel.Sie von der Union fallen mit dieser Verhandlungs-rundlage zudem weit hinter Ihre eigenen früherenositionen, die in Ihrer Zuwanderungskommission ent-ickelt worden sind, zurück. Es ist für das gesellschaft-iche Klima in diesem Land verheerend, wenn Sie einoll-Back zur alten Gastarbeiterpolitik der 50er- und0er-Jahre planen.
Bereits im April 1983, also vor 20 Jahren, schrieb dieamalige Ausländerbeauftragte der Bundesregie-ung, Frau Liselotte Funcke, an den damaligen Bun-eskanzler Dr. Helmut Kohl – ich zitiere mit Erlaubniser Präsidentin –:Um die bestehenden Unsicherheiten, Befürchtun-gen und Unterstellungen im Interesse der Deut-schen und der Ausländer zu überwinden, erschei-nen mir die folgenden Entscheidungen undMaßnahmen notwendig und dringend: Der deut-schen Bevölkerung ist zu sagen, dass die Beschäfti-
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Josef Philip Winklergung ausländischer Arbeitnehmer auch bei hoherArbeitslosigkeit unverzichtbar ist, weil es nicht ei-nen undifferenzierten Gesamtarbeitsmarkt, sondernviele spezielle Teilarbeitsmärkte gibt. Um der Unsi-cherheit der Ausländer und der Deutschen entge-genzuwirken, sollten deshalb bald die Grundzügeeiner freiheitlichen und rechtsstaatlichen Auslän-derpolitik deutlich werden.So weit Liselotte Funcke. Genau diese Prämisse findenSie in dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf wieder.Die von Ihnen vorgelegten Anträge zeigen: Es gehtIhnen nicht um die Klärung sachlicher oder verfassungs-rechtlicher Fragen. Es geht Ihnen offensichtlich darum,die Lufthoheit über die Stammtische zu erlangen. Diesist eine für Migranten und Flüchtlinge in diesem Landgefährliche Strategie.
Mir zeigen die Erlebnisse der letzten Wochen undMonate vor Ort und unzählige Gespräche: Wir haben ei-nen Gesetzentwurf eingebracht, in dem das Bemühenum einen gesellschaftlichen Konsens klar erkennbarund der auch gut vermittelbar ist. Ein Kompromiss zwi-schen den Bedürfnissen der aufnehmenden Gesellschaftund den Interessen der Migranten ist mit diesem Gesetznach vielen Jahren des Stillstands endlich erreicht.Da mein Appell an Sie, werte Kolleginnen und Kolle-gen von der Union, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen,wahrscheinlich wieder verhallt, scheint die Endlosde-batte um die Gestaltung der Zuwanderung in diesemLand ins 21. Jahr zu gehen. Als migrationspolitischerSprecher der Grünen-Bundestagsfraktion kann ich Ihnenallerdings sagen
– so tolle Posten haben wir, Herr Koschyk –:
Unsere Maßstäbe für die Bewertung eines Zuwande-rungsgesetzes bleiben auch für das wohl anstehende Ver-fahren im Vermittlungsausschuss klar. Wir wollen einZuwanderungsgesetz, das Zuwanderung und den Schutzvor Verfolgung sozialverträglich, modern, europataug-lich, demokratisch und orientiert an hohem menschen-rechtlichem Niveau entwickelt und in einem weltoffenenDeutschland ausgestaltet.Daraus folgt für uns: Ein Zuwanderungsgesetz, indem alles einer reinen Begrenzungs- und Abschottungs-logik untergeordnet wird, ist nicht zukunftsfähig. EinZuwanderungsgesetz, durch das mehr Menschen in ei-nem ungesicherten Status belassen werden, der Statusanderer Gruppen verschlechtert und das elementareGrundrecht auf die Einheit der Familie angegriffen wird,ist integrationsfeindlich.Meine Damen und Herren von der Union, Sie greifenimmer wieder den Familiennachzug an. Ich bitte Sie:Es geht hier um enge Familienangehörige. Das kanndb–FeUmseguehrDAgSWcugPsnl
Eine Erweiterung mag vorliegen; aber im Sinne deramilienfreundlichkeit halte ich dies in unserem Gesetz-ntwurf für vertretbar.Ein Zuwanderungsgesetz, durch das ein Klima vonnsicherheit, Zwang und Druck zum Kern des Umgangsit Migranten gemacht wird, beschädigt unsere Gesell-chaft im Ganzen. Ein Zuwanderungsgesetz, das den an-rkannten menschenrechtlichen Standards nicht unein-eschränkt und umfassend genügt, ist nicht konsensfähignd würde Deutschland in Europa vollständig isolieren.
Unter diesen Gesichtspunkten werden wir die eventu-llen Ergebnisse eines Vermittlungsverfahrens zu prüfenaben. Ein Zurückgehen hinter das geltende Ausländer-echt ist mit den Grünen nicht zu machen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Grindel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!as Ziel unserer Politik muss sein, dass Deutsche undusländer friedlich zusammenleben. Nur, das setzt Inte-rationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit auf beideneiten voraus.
ir erwarten von Zuwanderern, dass sie deutsch spre-hen können oder es zumindest zügig lernen, dass siensere Gesetze – auch die Trennung von Staat und Reli-ion – achten und dass sie keine Gettobildung und keinearallelgesellschaften anstreben. Es geht um ein gesell-chaftliches und kulturelles Miteinander,
icht um ein Nebeneinander, nicht um Multikulti.Von diesem Grundansatz ist Ihr Zuwanderungsgesetzeider sehr weit entfernt.
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3660 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Reinhard GrindelSie betreiben eine ideologische Ausländerpolitik. Siewissen, Ideologen sind bekanntlich Leute, die sich vonTatsachen nicht beirren lassen.
Es ist nun einmal eine Tatsache, dass die Sprach-kompetenz der Ausländer in Deutschland – gerade der-jenigen, die hier geboren sind – zurückgeht. Immer mehrausländische Kinder werden wegen mangelnder Sprach-kenntnisse vom Schulunterricht zurückgestellt. Es isteine Tatsache – das sollte uns Sorgen machen –, dass im-mer mehr ausländische Jugendliche die Schule ohne Ab-schluss und ohne Zukunftsperspektive verlassen. Es isteine Tatsache, dass es in immer mehr Gegenden Parallel-gesellschaften gibt, die dort wegen hoher Arbeitslosig-keit und Sozialhilfebezug bei Ausländern entstandensind. Es ist eine Tatsache, dass die Gewaltkriminalitätgerade unter ausländischen Jugendlichen ständig zu-nimmt.
Wir müssen die Probleme, die bei den Ausländern be-stehen, die schon bei uns sind, anpacken und dürfen unsnicht neue Probleme durch weitere Zuwanderung in dasLand holen. Das ist das Gebot der Stunde!
Herr Minister Schily, Sie haben das zu Beginn IhrerAmtszeit im Grunde genommen ganz genauso gesehen.Ich will Ihnen noch einmal das Zitat vorhalten, auf dasErwin Marschewski bereits hingewiesen hat:Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durchZuwanderung ist überschritten, weil wir mehr Men-schen für absehbare Zeit nicht verkraften können.Die Probleme sind inzwischen viel größer geworden.Trotzdem legen Sie uns hier ein grün gefärbtes Zuwan-derungsgesetz vor. Reden wie Beckstein und handelnwie Ströbele, das ist keine überzeugende Politik, HerrMinister!
Wir müssen die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen.Die wachsenden Integrationsprobleme sehen Sozialde-mokraten mittlerweile genauso wie wir: Die Weigerungvieler ausländischer Eltern, sich zu integrieren, förderedie kriminellen Karrieren ihrer Kinder.
– Herr Kollege Bürsch, Sie sagen, das sei ein Vorurteil.Sie sollten das einmal unter Genossen klären. Denn das,was ich eben gesagt habe, war ein Zitat aus dem gestri-gDSlsltsctcMsAtwsrdgdWDAsarlAdzlBjIvBsAdVG
Während wir hier in Deutschland über die Zuwande-ung streiten, sollen unbemerkt in Brüssel, auf der Ebeneer EU, Fakten geschaffen werden. In Brüssel steht eineanze Reihe von Richtlinien zur Entscheidung an,
ie unser Ausländer- und Asylrecht, lieber Josefinkler, in dramatischer Weise verändern würden. Dierittstaatenregelung würde gekippt, durch die wir densylmissbrauch erheblich reduzieren konnten; nichttaatliche und geschlechtsbezogene Verfolgung würdennerkannt und damit würden dem Missbrauch des Asyl-echts wiederum Tür und Tor geöffnet; für alle Flücht-inge soll es schon nach kurzer Zeit freien Zugang zumrbeitsmarkt geben. Herr Beck von den Grünen sagtazu: Falls beim Zuwanderungsrecht kein Kompromissustande kommt, können wir besser mit den Regelungeneben, die auf europäischer Ebene sowieso kommen.Herr Minister Schily, über das Asylrecht muss inrüssel einstimmig entschieden werden. Sie können dasederzeit durch Ihr Veto verhindern.
ch fordere Sie nachdrücklich auf: Schaffen Sie keineollendeten Tatsachen! Warten Sie die Ergebnisse dereratungen über das Zuwanderungsgesetz ab! Oder bes-er: Beraten Sie dort in unserem nationalen Interesse!ndere Innenminister tun das ja in Brüssel auch.Ich habe sehr wohl mitbekommen, dass Herr Böse,er Innensenator von Bremen, Sie heute für Ihr gestrigeserhalten im Innenministerrat gelobt hat. Sie sehen:roße Koalitionen stimmen milde. Ich hoffe, dass Sie
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3661
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Reinhard Grindelden Kollegen Böse auch in Zukunft nicht enttäuschenund uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auch nicht.Es darf nicht sein, dass wir hier monatelang über das Zu-wanderungsgesetz streiten und Sie über die EU-Asyl-richtlinie in Brüssel, wie gesagt, vollendete Tatsachenschaffen, also einen Weg gehen, der den Grünen und So-zialdemokraten vielleicht hilft, ihren Laden zusammen-zuhalten, aber nicht den Menschen in unserem Land.
Die Integrationsbereitschaft in der deutschen Bevöl-kerung fördert man dadurch, dass Ausländer, die zu Un-recht nach Deutschland gekommen sind, unser Landauch wieder verlassen.
Das ist in der Praxis nicht der Fall. Nur 2 Prozent derAsylbewerber werden anerkannt, aber 90 Prozent blei-ben hier. Diesem Problem müssen wir uns stärker wid-men. Wir haben im letzten Jahr 71 000 Asylbewerbergehabt, aber 350 000 Menschen bekommen immer nochGeld aufgrund des Asylbewerberleistungsgesetzes – vonden 230 000 Geduldeten, die ebenfalls Sozialleistungenerhalten, ganz zu schweigen. Anstatt die Rückführungvon unrechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländernzu verbessern, schaffen Sie die Duldung ab und gebenihnen eine Aufenthaltserlaubnis, die später die Abschie-bung erschwert.
Wir lehnen das ab, weil das nur einen neuerlichen Anreizdarstellt, hier zu bleiben und sich der Ausreisepflicht zuentziehen. Wir wollen nicht, dass das Austricksen vonBehörden noch mit Aufenthaltsrecht und Sozialleistun-gen belohnt wird.
Wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.
Wir haben in der Hochphase des Asylbewerberzu-stroms 1992/1993 gemeinsam aus guten Gründen dasAsylrecht geändert und den Missbrauch damit erheblicheingedämmt. Die Bundesregierung hat vorgestern im In-nenausschuss mitgeteilt, dass die Zahl der Asylbewerberbisher im Jahr 2003 erneut um 24 Prozent zurückgegan-gen ist, wohlgemerkt – Herr Wiefelspütz, Sie nicken mitdem Kopf – aufgrund des alten Ausländer- und Asyl-rechts und nicht wegen des neuen Zuwanderungsrechts.WdsdMes–BEzDgdusgHwSeFEdF
ir wollen, dass es bei diesem alten Rechtszustand unden entsprechenden Ergebnissen bleibt.
Bassam Tibi, der Reform-Muslim – so nennt er sichelbst –, sagt: Europa hat eine westliche Identität undarf nicht zum multiethnischen Wohngebiet werden.
uslimische Migranten sollten auf der Basis deruropäischen Werte integriert werden und nicht die Be-trebung haben, Europa zu islamisieren.
Verzeihen Sie; Sie sollten, wenn ein Experte wieassam Tibi Ihnen so etwas auf den Weg gibt, Herrdathy, das schon ernst nehmen.Innenminister Schily hat am 20. März in „ZDF-Spe-ial“ gesagt:Da wir eine Demokratie sind, kann es nicht falschsein, die Auffassung zu vertreten, die die Mehrheitunseres Volkes vertritt.as haben Sie damals auf eine andere Thematik bezo-en, dennoch halte ich Ihnen diesen Satz heute entgegen;enn in Bezug auf das Zuwanderungsgesetz gilt er fürnsere Haltung. Wir gehen mit großem Selbstbewusst-ein in die weiteren Gespräche über das Zuwanderungs-esetz.Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Kollege Grindel, eine Bemerkung zu Ihnen vor-eg: Ich habe die ganze Zeit überlegt, was besser ist, obie zu diesem Thema hier im Bundestag reden oder vorinem Millionenpublikum im öffentlich-rechtlichenernsehen auftreten. Ich bin zu dem Schluss gekommen:ine Rede hier im Bundestag richtet nicht so viel Scha-en an wie Ihre Argumente im öffentlich-rechtlichenernsehen.
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Petra PauNun zur Sache: Wir erleben heute den dritten Aufgussein und derselben Debatte zu ein und demselben Gesetz.Auch die Pöbeleien der Opposition zur Rechten habenwir nun das dritte Mal hier gehört. Der Unterhaltungs-wert hält sich also in Grenzen. Das Ganze ist ein Ritualohne erkennbaren Nutzen. Dabei sah es vor drei Jahrenso aus, als wären wir uns einig, dass die Bundesrepublikein übersichtliches, handhabbares und modernesEinwanderungsgesetz braucht.Gerade die Grünen hatten dies, ebenso wie die PDS,seit Jahren gefordert, doch Rot-Grün stand von Anfangan vor einer Gewissensfrage: entweder ein modernesGesetz zu schaffen oder gemeinsame Sache mit derCDU/CSU zu machen. Sie haben sich mit Ihrem Gesetz-entwurf schon in der vergangenen Legislaturperiode mitder Opposition zur Rechten gemein gemacht, allen voranBundesinnenminister Schily. Er wird uns sicherlichgleich sagen, wie viele Anträge der CDU/CSU er in denGesetzentwurf übernommen hat. Es gibt also kein mo-dernes Gesetz und folglich wird die PDS im Bundestagauch heute Nein sagen.Die PDS hat sich von Anfang an für einen Paradig-menwechsel engagiert. Wir wollten ein Gesetz, das sichvon menschenrechtlichen Ansprüchen und nicht von Ka-pitalverwertungsinteressen leiten lässt. Wir wollten einGesetz, das mit dem Bild vom Ausländer als Gast undLückenbüßer für Arbeitsmarktengpässe sowie mit demBild vom Ausländer als potenzieller Bedrohung der in-neren Sicherheit bricht. Wir unterteilen Migrantinnenund Migranten nicht in nützliche und weniger nützlicheMenschen.
Diese Leitlinien sind modern, sie waren aber nichtmehrheitsfähig. Stattdessen wird seit Jahren ein Trauer-spiel mit wechselnden Kulissen gegeben. Mal muss derBundestag dafür herhalten, mal der Bundesrat. Ein Meis-terstück sieht anders aus.Nun haben wir in der gestrigen Debatte goldeneWorte über die Europäische Union und ihre künftigeVerfassung gehört. Die Krux ist nur: Mit diesem Ein-wanderungsgesetz bleiben Sie schon jetzt hinter Stan-dards zurück, die Europa prägen werden. Das betrifftvor allem den humanitären Bereich, den Umgang mitMenschen in Not, mit Asylsuchenden und Flüchtlingen.Das ist ein Bereich, der Bündnis 90/Die Grünen einst be-sonders wichtig war. Nun vermisse ich, Herr KollegeWinkler, Ihre bürgerrechtliche Handschrift. Ich sage dasauch mit Blick auf ein ganz aktuelles Problem, das Blei-berecht für Sinti und Roma.Die PDS im Bundestag hat heute zur abschließendenLesung des Gesetzes noch einmal einen Änderungsan-trag mit zahlreichen Vorschlägen vorgelegt. Dieser An-trag könnte das Gesetz – das gebe ich zu – auch nichtgrundlegend verbessern, aber unsere Vorschläge sind einGradmesser, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, für Ihre Bereitschaft, wenigstens Schlimmeres zuverhindern. Unser Antrag zielt auf drei Punkte: Wir wol-len hierzulande die Integration verbessern, wir wollenddünbbdgzsWkdaOgbpvvavt–Wrdbglv
Mit dem 21. Jahrhundert hat das wenig zu tun, aller-ings das heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzuch nicht.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesinnenminister,
tto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-en! Ich habe hier eine einigermaßen interessante De-atte verfolgen dürfen. Aber es gibt auch ganz neue As-ekte, nämlich dass sich die Bemerkungen von Frau Pauon ganz links außen mit denen von Herrn Marschewskion ganz rechts außen treffen. Beide kritisieren – wennuch zu Unrecht –, dass sich das Gesetz an den Kapital-erwertungsinteressen orientiere. Das ist schon eine in-eressante Erfahrung.
Sie haben doch gesagt, wir würden uns zu sehr an derirtschaft orientieren.Deutschland braucht dringend ein neues Zuwande-ungs- und Integrationsgesetz,
as den Zuzug von Ausländern aus Nicht-EU-Staatenegrenzt und die Voraussetzungen für eine bessere Inte-ration der dauerhaft und rechtmäßig hier lebenden Aus-änder schafft. – Hier hätte ich jetzt eigentlich Beifallon der CDU/CSU erwartet,
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Bundesminister Otto Schilydenn das war ein Zitat aus einer Presseerklärung derKonferenz der innenpolitischen Sprecher der Unions-fraktionen von Bund und Ländern vom 2. April diesesJahres. Aber vielleicht wollen Sie davon nichts mehrwissen. Damit erkennt auch die Union an, dass wir einneues Zuwanderungsrecht brauchen.
Das war doch Ausgangspunkt für die Kommissionen,die auf allen politischen Seiten gebildet worden sind.Wir brauchen dieses neue Zuwanderungsrecht, weilim Bereich des Ausländerrechts dringender Reformbe-darf besteht. Alle Klagelieder, die heute gesungen wor-den sind, unterstreichen das. Der Reformbedarf geht da-bei über einzelne Änderungen des geltenden Rechts weithinaus. Deutschland benötigt ein modernes aufenthalts-rechtliches Gesamtkonzept, wie es Michael Bürsch zuBeginn dieser Debatte richtig gesagt hat. Hierzu gehörtvor allem die Gestaltung der Arbeitsmigration, der Inte-gration und der humanitär begründeten Aufenthalte.Der von der Bundesregierung mit der Vorlage des Zu-wanderungsgesetzes beschrittene Weg ist deshalb rich-tig; denn das Zuwanderungsgesetz stellt das erforderli-che Gesamtkonzept dar, das mit einem umfassendenAnsatz sowohl die Zuwanderung aus wirtschaftlichenund humanitären Gründen als auch erstmals umfassenddie Integration regelt.
Übrigens, Herr Kollege Marschewski, Integrations-politik fängt bei der Wortwahl an. Wer Menschen, die zuuns gekommen und bei uns geblieben sind, als Daueran-wesende bezeichnet, hat die Integrationspolitik schon imAnsatz verfehlt.
Das Zuwanderungsgesetz beseitigt bestehende Män-gel des geltenden Rechts und legt gleichzeitig dieGrundlagen für eine moderne Ausländerpolitik. DieBundesregierung und hoffentlich auch der Bundestag so-wie die Gremien, die im Folgenden darüber zu beratenhaben, nehmen damit ihre politische Verantwortungwahr, die darin besteht, eine als notwendig erkannte Re-form zum Wohle unseres Landes auf den Weg zu brin-gen.Ich möchte anerkennen, dass die FDP bei diesen Be-ratungen eine sehr konstruktive Haltung eingenommenhat. Das begrüße ich sehr.
Herr Grindel – bevor Sie weiter dazwischen reden –, be-merkenswert ist, dass weder Sie noch Herr Marschewskinoch Herr Bosbach ein Sterbenswörtchen zu dem FDP-Gesetzentwurf gesagt haben.DorzWwwAs–Gszwa–drdfhdlEtÜmlsaudlrmkrIDrsZ
as ist ganz interessant. Es kam nicht ein Sterbenswort,bwohl dieser Gesetzentwurf in weiten Teilen mit unse-em Gesetzentwurf übereinstimmt. Es wäre interessant,u fragen, was in den Koalitionskabinetten in Baden-ürttemberg und Niedersachsen dazu gesagt werdenird. Ich bin gespannt, was da auf uns zukommt.Ich will mich nicht mit Einzelheiten dieses Gesetzent-urfs auseinander setzen. Er enthält einige interessantenregungen. Herr Stadler, Sie haben, wie ich finde, eineehr faire und vernünftige Rede gehalten.
Ist das oberlehrerhaft? Das ist meine Meinung. Herrrindel, von Ihrer Rede kann ich das leider nicht sagen,ie war – auch das können Sie als oberlehrerhaft be-eichnen – miserabel. Die Rede von Herrn Stadler warirklich gut.
Herr Stadler, ich muss allerdings eine sachliche Kritiknbringen. Ich halte eine Quote, die Sie gefordert haben wir haben sie früher im Gegensatz zu Ihnen gefordert;as gebe ich ehrlich zu –, für kein vernünftiges Steue-ungsinstrument. Das ist zu bürokratisch. Darüber wer-en wir dann im Vermittlungsausschuss zu reden haben.Interessant ist, dass es von der Union bisher kein um-assendes Gesamtkonzept gibt. Herr Grindel, Sie habenier eben Klagelieder angestimmt. Manches, was Sie zuen Tatsachen gesagt haben, stimmt; das ist nicht zueugnen.
s gibt Integrationsprobleme. Das wird keiner bestrei-en, ich zuallerletzt. Genau das meinte ich, als ich vonberbeanspruchung gesprochen habe. Herr Grindel, Sieüssen das Interview im „Tagesspiegel“ übrigens ganzesen, anstatt nur kleine Stücke herauszunehmen. Darinteht – das ist ganz interessant –, Zuwanderung sei auchus wirtschaftlichen Gründen notwendig und wichtig fürnser Land. Nur wer eine verstockte Gesellschaft will,er muss sich vor der Welt verschließen. In einer globa-isierten Welt brauchen wir in unserem Land offene Tü-en, sonst werden wir auch in Europa nicht weiterkom-en.
Meine Damen und Herren, die von den Innenpoliti-ern auch der Union formulierten Ziele eines Zuwande-ungsgesetzes, nämlich Zuzugsbegrenzung und besserentegration, finden sich in § 1 unseres Gesetzentwurfes.ort stehen alle Zielsetzungen, die ich im Übrigen fürichtig halte. Dieser Paragraph ist sozusagen die Über-chrift des gesamten Gesetzes. Die darin formulierteniele finden sich in den Instrumenten dieses Gesetzes
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Bundesminister Otto Schilywieder. Das Gesetz dient der Steuerung und der Begren-zung des Zuzuges von Ausländern in die Bundesrepu-blik. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unterBerücksichtigung der Integrationsfähigkeit sowie derwirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessender Bundesrepublik Deutschland.
Wer kann gegen ein Gesetz, das solche Ziele hat – wirkönnen im Vermittlungsausschuss gerne darüber reden,ob es an der einen oder anderen Stelle Klärungsbedarfgibt –, Kritik üben? Zu § 1 dieses Gesetzentwurfes habeich bisher keine Kritik gehört.Natürlich hat die Opposition das Recht, zu fragen, obsich diese Ziele im Gesetz wiederfinden.
Leider muss ich aber feststellen: Sie von der Union ha-ben bisher dazu nicht viel Sachliches beitragen können.Stattdessen haben Sie sich auf eine brutale Desinforma-tionspolitik versteift.
Das hat Ihnen nicht die Regierung oder die Regierungs-koalition ins Stammbuch geschrieben, sondern dasehemalige Mitglied Ihrer Fraktion, Frau ProfessorSüssmuth. Frau Süssmuth hat gesagt, sie habe in ihrergesamten politischen Laufbahn noch kein Gesetz erlebt,über das von der Opposition – in dem Fall nur von derUnion – so viel Falsches geredet worden sei. NehmenSie sich das einmal zu Herzen.
Herr Bosbach, Sie sind einer der Protagonisten, diediese Art von Politik am schärfsten betreiben.
Sie haben heute im Bundestag wie schon bei früherenDebatten durch das Zitieren eines Satzes aus der Begrün-dung des Gesetzes, ohne den Zusammenhang darzustel-len, versucht, den Eindruck zu erwecken, Ziel des Zu-wanderungsgesetzes sei nicht die Begrenzung und dieSteuerung der Zuwanderung, sondern ungehindertenZuzug zu ermöglichen.
Sie selbst wissen am besten, dass das nicht stimmt. Siehaben einen Satz aus der Begründung zu den allgemei-nen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 desAufenthaltsgesetzes zitiert.
– Das sage ich gleich. Seien Sie nicht so ungeduldig!–dDiiAlszkrGDbrgaDIdBg
Warten Sie einen Moment! Haben Sie ein wenig Ge-uld!Der Satz lautet:Zu den öffentlichen Interessen gehören im Gegen-satz zum geltenden Ausländergesetz nicht längereine übergeordnete ausländerpolitische einseitigeGrundentscheidung der Zuwanderungsbegrenzungoder der Anwerbestopp.ieser Satz – da haben Sie Recht, Herr Bosbach – stehtn einer Passage der Gesetzesbegründung,
n der darauf hingewiesen wird, dass im Rahmen deruslegung der Interessen der Bundesrepublik Deutsch-and künftig nicht mehr eine einseitige – ich betone: ein-eitige – Grundentscheidung der Zuwanderungsbegren-ung oder der Anwerbestopp zugrunde zu legen ist.
Nun lesen Sie den Begründungstext bitte weiter, dannennen Sie die ganze Wahrheit – das schließt an die be-ühmte Einsicht von Hegel an, dass die Wahrheit dasanze ist –:
Stattdessen ist Ziel der Anwendung der ausländer-rechtlichen Instrumentarien eine flexible und be-darfsorientierte Zuwanderungssteuerung. Dabeikönnen je nach bestehender Zuwanderungs- und In-tegrationssituation Interessen der Zuwanderungsbe-grenzung wie auch der gezielten Zuwanderung imVordergrund stehen. Um die notwendige Flexibili-tät zu erhalten, erfolgt abgesehen von dem Interesseder Zuwanderungssteuerung keine übergeordneteFestlegung.as ist vernünftig, modern und das entspricht der gege-enen Situation.
Herr Bosbach, Sie behaupten ferner, die Bundesregie-ung wolle den Anwerbestopp nicht teilweise, sondernenerell aufheben. Die gleiche Behauptung haben Sieuch bei früherer Gelegenheit schon aufgestellt.
iese Behauptung ist schlichtweg falsch. Ich empfehlehnen die Lektüre des § 39 des Aufenthaltsgesetzes. Inieser Vorschrift wird das Zustimmungserfordernis derundesanstalt für Arbeit zur Ausländerbeschäftigungeregelt. In § 39 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes steht:
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Bundesminister Otto SchilyDie Zustimmung zu einer Beschäftigung nach § 18,die keine qualifizierte Berufsausbildung voraus-setzt, darf nur erteilt werden, wenn dies durchRechtsverordnung oder zwischenstaatliche Verein-barung bestimmt ist.Das bedeutet Folgendes: Der Anwerbestopp für ge-ring qualifizierte Ausländer bleibt im Grundsatz beste-hen.
– Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt.
– Herr Bosbach, Sie können doch lesen. Sie müssen sichjetzt nicht mutwillig zu einem Legastheniker zurückent-wickeln; das ist doch nicht notwendig.
jetzt? – Wolfgang Bosbach : Dasist genau das Niveau, auf dem Sie sich wohlfühlen! Wenn Sie sich im Dreck suhlen kön-nen, sind Sie zu Hause!)Nur in Ausnahmefällen, die dann einer gesondertenRegelung bedürfen, kann die Arbeitsaufnahme zugelas-sen werden. Solche Ausnahmen gibt es aber auch schonjetzt, zum Beispiel für Schaustellergehilfen – dort kön-nen Sie sich auch einmal bewerben – und saisonaleErntehelfer.
Die teilweise Aufhebung des Anwerbestopps bedeu-tet zudem nicht, dass für die davon betroffenen Beschäf-tigungsbereiche künftig eine allgemeine aktive Anwer-bung stattfindet. Die teilweise Aufhebung desAnwerbestopps bedeutet auch nicht, dass künftig Ar-beitskräfte unkontrolliert und ohne weiteres nachDeutschland kommen dürfen. Vielmehr haben wir hiereine systematische Neuordnung des Zugangs von aus-ländischen Arbeitskräften auf den deutschen Arbeits-markt vorgenommen, die von der Union bewusst – dasmuss ich immer wiederholen – falsch interpretiert wird.Die Neuordnung erlaubt eine streng am Bedarf orien-tierte marktwirtschaftliche Zulassung von Arbeitskräf-ten. Durch Ihre Demagogie bilden Sie einen Gegensatzzwischen der Not der Arbeitsuchenden in Deutschland,die wir verdammt ernst nehmen,
und der Tatsache, dass wir der Wirtschaft an bestimmtenStellen, an denen es ihr dient, helfen wollen, dass arbeit-suchende Ausländer in Deutschland Arbeitsplätze findenkönnen. Wir haben die entsprechende Regelung mit ei-nem strengen und ausnahmslosen Vorrangprinzip ver-bunden. Sie wollen hier einen Gegensatz bilden. Das,wL–m–hwbDVwsmkmtNsPsafvcwHsfPDsf–Dwa
Ich habe Ihnen doch auch zugehört. Nun seien Sie ein-al ein bisschen ruhig!
Die Unruhe beweist mir, dass ich Recht habe.
Sie haben sich wieder einmal mit § 20 des Aufent-altsgesetzes beschäftigt. Herr Bosbach, es ist falsch,enn Sie diesen Paragraphen immer auf die Demografieeziehen.
as ganze Zuwanderungsgesetz steht nicht unter demorzeichen der demografischen Entwicklung. Dass Zu-anderung auch demografische Probleme mildern kann,timmt. Aber ich persönlich habe nie gesagt, dass wirit der Zuwanderung demografische Probleme lösenönnen. Das halte ich für illusionär.
§ 20 hat einen anderen Ansatz. Er ist einem Instru-ent aus Kanada nachgebildet, das dort mit Erfolg prak-iziert wird. Dort orientiert man sich nicht immer an derachfrage, sondern auch an dem Angebot. Einem be-timmten Kreis ausgewählter und hoch qualifizierterersonen wird die Möglichkeit gegeben, sich einen fürie passenden Arbeitsplatz zu suchen. Das ist ein ganznderer Ansatz. Unser Ansatz ist im Übrigen so beschaf-en, dass er die Zustimmung von verschiedenen Seitenoraussetzt, sodass Sie sich wirklich keine Sorgen ma-hen müssen. Herr Bosbach und Herr Marschewski,enn Sie das Problem haben, dass der Bundesrat bei deröchstzahl der Zuwanderung ein Wörtchen mitredenoll, dann kann ich Ihnen sagen: Es ist für mich die ein-achste Übung, Ihnen das zuzugestehen. Wenn das Ihrroblem ist, dann können wir uns sehr schnell einigen.Ich darf noch einmal daran erinnern – das ist in dieserebatte schon angesprochen worden –, dass dieser Ge-etzentwurf in der Gesellschaft breite Unterstützungindet.
Darüber brauchen Sie nicht zu lachen, Frau Kollegin.as ist so. Das können Sie nachlesen. Der Gesetzentwurfird von den Gewerkschaftsverbänden, den Kirchen,ber auch von allen Wirtschaftsverbänden unterstützt.
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Bundesminister Otto SchilyFrau Kollegin, es kommt nicht sehr oft vor, dass sowohlGewerkschafts- als auch Wirtschaftsverbände zustim-men.
– Das ist in dem klassenkämpferischen Ton von HerrnMarschewski eine zu starke Berücksichtigung der Wirt-schaft, aber bitte schön.
Ich halte diese Zustimmung für eine gute Grundlagefür ein solches Gesetz. Ich muss ehrlich sagen: Ich ver-traue mehr dem Sachverstand der Wirtschafts- und derGewerkschaftsverbände als
der Meinung von Herrn Marschewski. Das kann aber je-der halten, wie er will.Herr Grindel, Sie haben die EU angesprochen. Siemüssen einmal klar machen, wer nun Recht hat: HerrBöse oder Sie. Das würde mich wirklich interessieren.
– Beide haben Recht? Das ist natürlich die interessan-teste Lösung. Das erinnert mich an den ältesten Juristen-witz. Ein Referendar nimmt das erste Mal an einer Ge-richtsverhandlung teil.
Zuerst plädiert der Anwalt des Klägers. Daraufhin flüs-tert der Richter dem Referendar zu: Der Mann hat Recht.Anschließend hält der Anwalt des Beklagten ein furiosesPlädoyer. Wieder flüstert der Richter dem Referendar zu:Der Mann hat Recht. Daraufhin ist der Referendar ge-nauso verwirrt wie ich bei Ihrer Antwort.
Der Referendar erklärt daraufhin dem Richter: Beide ha-ben gegensätzliche Auffassungen vertreten. Sie könnennicht beide Recht haben.
Der Richter antwortet daraufhin dem Referendar: Da ha-ben Sie nun auch wieder Recht.
Wenn Sie so Ihre Politik definieren wollen, HerrGrindel, dann können Sie das gerne machen. Aber Siemüssen sich über eines im Klaren sein: Die Uhren in Eu-ropa werden nicht nach deutscher Zeit gestellt.
– Sie täuschen sich, Herr Grindel. – In Europa findeteine breite Debatte über diese Probleme statt. Wir müs-ssgdnDrHsdrDwwkGdrrkSbAddhsmgpnIm
Wir müssen eine europäische Diskussion führen.azu gehört auch die Frage des Staatsangehörigkeits-echts. Ich verspreche Ihnen: Ich werde niemals dieand dazu reichen, dass wir unser modernes, europäi-ches und offenes Staatsbürgerschaftsrecht wieder aufas völkische Denken zurückführen, das Sie noch immerepräsentieren. Das werde ich niemals zulassen.
Versuchen Sie, aus Ihrer Ecke herauszukommen!
as ist die einzige Möglichkeit, die Sie haben.
Sie müssen aufpassen, dass Sie dem gerecht werden,as von verschiedenen Seiten aus Ihren Reihen gesagtorden ist. Ministerpräsident Müller hat vor kurzem er-lärt: Wir streben einen Konsens an. Wir brauchen einesamtkonzept, das eben nicht nur die Integration undas Ausländerrecht betrifft, sondern die gesamte Steue-ung der Zuwanderung. Dafür bedarf es eben einer ande-en Qualität. Was wir heute haben – diese Zustände be-lagen Sie ja, Herr Grindel –, ist ein Zuzug in dieozialsysteme. Das Problem liegt nicht darin, dass Ar-eitskräfte an der einen oder anderen Stelle aus demusland zu uns kommen. Das ist sogar gut so, weil dasie Wirtschaft belebt. Selbst die relativ bescheidene Zahlerjenigen, die in der IT-Technik zu uns gekommen sind,at dazu geführt, dass die Zahl der Arbeitsplätze in die-em Bereich anstieg – im Gegensatz zu dem, was Sie im-er behaupten.
Deshalb: Versuchen Sie, auf einen Kompromiss zuzu-ehen, und füttern Sie bitte nicht das Gerücht, ein Kom-romiss scheitere an unserem Koalitionspartner, Bünd-is 90/Die Grünen.
ch muss unserem Koalitionspartner ein großes Kompli-ent machen.
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Bundesminister Otto SchilyDie waren nun wahrlich auf der ganzen Linie kompro-missbereiter und flexibler als Sie in auch nur einem ein-zigen Punkt, meine Damen und Herren von der Union.
Nehmen Sie sich ausnahmsweise einmal ein Beispiel anden Grünen,
dann kommen wir weiter.Wie wollen Sie sich eigentlich mit der FDP einigen?Auch diese Frage müssen Sie einmal beantworten. Siewollen doch irgendwann einmal, vielleicht in 20 Jahren,regieren. Dann müssen Sie aber sehen, wie Sie mit derFDP zurechtkommen.
– Dazu habe ich aber heute keine einzige Silbe gehört,Herr Grindel. Da müssen Sie sich noch einmal besinnen.
Das Wichtigste ist mir – das ist eine Bitte –: Verzich-ten Sie darauf, in der Bevölkerung Ängste zu schürenund die gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander auf-zuhetzen.
Vielleicht darf ich auch diesen Punkt noch anspre-chen: Ich durfte vor kurzem in der Unterkirche der Frau-enkirche in Dresden eine sehr eindrucksvolle Veranstal-tung miterleben, die vom „Bündnis für Demokratie undToleranz – gegen Extremismus und Gewalt“ initiiert unddankenswerterweise vom ZDF und der Dresdner Bankmit gestaltet und wurde. Wir haben dort die Preise imRahmen des Victor-Klemperer-Jugendwettbewerbes ver-liehen. Das Zuwanderungsgesetz ist ein Zukunftsgesetz.Deshalb hat, so finde ich, die Stimme der Jugend hier einbesonderes Gewicht. Wenn Sie einmal hören, wie unsereJugend mit diesem Thema umgeht, dann werden Sie ent-decken: Wir sind auf dem richtigen Weg und Sie müssenaus ihrer Ecke herauskommen. Das ist meine Überzeu-gung.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.
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ir haben 120 Änderungsanträge vorgelegt. Sie haben
ich nicht mit einem einzigen vernünftig und ernsthaft
eschäftigt.
as ist es, was die Bevölkerung draußen nicht versteht.
etzten Endes ist das auch eine Missachtung des Parla-
entes.
Sie können doch nicht einen Gesetzentwurf, der abge-
ehnt worden ist und von dem Sie wissen, dass er im
undesrat nicht angenommen werden wird, hier wieder
orlegen und in der ursprünglichen Form durchpauken
nd uns dann Kompromisslosigkeit vorwerfen. Ist das
hrlichkeit? So kann man mit der Opposition nicht um-
ehen. Sie können so auch nicht mit der Bevölkerung
mgehen. Was soll denn die Bevölkerung von diesem
arlament halten? Wir reden hier zum zweiten Mal über
inen Gesetzentwurf, von dem Sie wissen, dass er hier
ie Mehrheit bekommt, aber im Bundesrat abgelehnt
erden wird. Dann wird er wahrscheinlich in den Ver-
ittlungsausschuss kommen und dann ist dieses Parla-
ent nicht mehr gefragt. Aber im Parlament müssen wir
ie Kompromisse schließen. Das haben Sie nicht ver-
ucht.
Herr Kollege Geis, es besteht der Wunsch nach einer
wischenfrage. Wollen Sie die zulassen? – Bitte.
Herr Kollege Geis,
arum sprechen Sie hier wahrheitswidrig von Kompro-isslosigkeit, wenn in Wahrheit im ersten Gesetzge-ungsverfahren Rot-Grün in elf Punkten den Wünschenes Bundesrats, der von Ihnen dominiert war, nachge-ommen ist? 16 Änderungsanträgen der CDU/CSU istot-Grün im Innenausschuss nachgekommen. Hinzuommen die vier Stolpe-Punkte, deren Erfüllung Ihr Par-eikollege Herr Schönbohm zur Bedingung für die Zu-timmung Brandenburgs im Bundesrat gemacht hat. Erat leider an dieser Stelle sein Wort gebrochen. Warumerschweigen Sie dies? Warum sagen Sie wahrheitswid-ig, wir seien nicht kompromissbereit? Wir waren es undas ist bereits ein Kompromiss.
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3668 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Das Verfahren im Bundesrat kam vor das Verfas-
sungsgericht. Das Verfassungsgericht hat festgestellt,
dass das Verhalten des damaligen Bundesratspräsidenten
und das Verhalten der SPD-regierten Länder falsch und
verfassungswidrig gewesen ist. Deswegen ist dieses Ge-
setz nichtig.
Es ist nichtig, weil es nicht unserer Verfassung gemäß
zustande gekommen ist.
Im Übrigen wäre es bei Beachtung des Art. 51 GG im
Bundesrat gescheitert, weil die Mehrheit der CDU/CSU-
regierten Länder auch nach den Änderungen im Bundes-
rat Nein gesagt hat.
Wir haben aber jetzt das zweite Gesetzgebungsver-
fahren. Es geht jetzt nicht mehr um das Gesetzgebungs-
verfahren, das vom Bundesverfassungsgericht als ver-
fassungswidrig bezeichnet worden ist, sondern es geht
um das jetzige Gesetzgebungsverfahren.
– Warten Sie noch ein bisschen! – Sie haben in dem jet-
zigen Gesetzgebungsverfahren überhaupt keine Anstal-
ten gemacht, über die Vorstellungen, die im Bundesrat
geherrscht haben und die wir ins Parlament eingebracht
haben in Form der 120 Änderungsanträge, zu diskutie-
ren. Sie haben nicht ein einziges Mal Anstalten gemacht,
auf diese Anträge einzugehen.
Deswegen werfe ich Ihnen vor: Sie machen heute
eine große Schau; mehr ist es nicht. Sie missachten die
Rechte und damit auch die Würde dieses Parlamentes.
Das kann draußen niemand verstehen.
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Stadler? – Bitte.
Dann möchte ich doch, dass wir der Rede weiter zu-
hören.
Herr Kollege Geis, jedermann wird verstehen, dass
Sie jetzt in dieser Lesung nicht einem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zustimmen, den Sie vor kurzem mit Ih-
rer Mehrheit im Bundesrat noch abgelehnt haben. Aber
sind Sie bereit, mir zuzugeben, dass jedenfalls auf mei-
ner Tagesordnung, die ich vorliegen habe, heute nicht
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Lieber Herr Stadler, die Frage gebe ich natürlich zu-ück. Welche Anstrengungen haben Sie unternommen,m mit uns zu einem Kompromiss zu kommen? Das ha-en Sie nämlich auch nicht gemacht.
Wir wollen hier keine Spiegelfechterei betreiben, son-ern ich gebe Ihnen ohne weiteres zu: Es ist auch unsereuffassung – deswegen haben wir 120 Änderungs-nträge eingereicht –, dass die Zuwanderung in Deutsch-and besser regelbar ist, als es derzeit der Fall ist. Ichebe Ihnen auch zu, dass in Ihrem Gesetzentwurf vielensätze sind, über die man ernsthaft diskutieren kann.ber Sie kennen die Mehrheitsverhältnisse. Sie hättenie Frage, die Sie jetzt an mich gerichtet haben, viel ehern die SPD richten müssen, denn die hat die Mehrheit.enn Sie sich mit uns zusammentun, dann werden wirier genauso scheitern. Das wissen Sie. Deswegen isties wohl auch eine nicht ganz ernsthafte, sondern eineher spaßige Frage, die etwas Freude in den trüben All-ag bringt.
Ich habe eben in meiner Antwort auf Herrn Stadlereutlich gemacht, dass es uns durchaus um eine Verbes-erung der derzeitigen Regelungen im Ausländerrechtnd damit auch im Zuwanderungsbereich geht. Diestellt aber nicht die vorrangige Aufgabe dar. Vorrangigst vielmehr die Integration. Das haben alle Redner un-erer Fraktion betont. Die Integration scheint mir aber inen Gesetzentwürfen der Bundesregierung und der FDPicht in ausreichendem Maße berücksichtigt worden zuein.
ch wiederhole: Nicht die Zuwanderung ist der wich-igste Punkt, sondern die Integration. Die Zuwanderunguss sich nach der Integrationsfähigkeit unserer Bevöl-erung richten.Der Herr Minister hat vorhin behauptet, dass die Ju-end das Zuwanderungsgesetz befürworte. Mitnichten!ielmehr ist eine überwältigende Mehrheit der deut-chen Bevölkerung gegen die Zuwanderung.
arum denn? – Weil die Integrationsfähigkeit der deut-chen Bevölkerung an einem Punkt angelangt ist, an
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Norbert Geisdem sie leicht in eine sich selbst verstärkende Desinte-gration übergehen kann.
Das ist das Problem, das wir erkennen und mit dem wiruns beschäftigen sollten. Das ist bei dem vorliegendenGesetzentwurf aber nicht geschehen.Auch wenn Sie noch so lange rechnen, werden Siemit diesem Gesetz die Zuwanderung nicht begrenzen.Wie Sie es auch wenden, unterm Strich würde Folgendesherauskommen, wenn Ihr Vorhaben Gesetzeskraft erlan-gen würde:
Zurzeit gibt es eine Nettozuwanderung von200 000 Personen im Jahr, und zwar nicht aus dem Be-reich der Europäischen Union, sondern aus Nicht-EU-Staaten. Wenn das Gesetz in Kraft treten würde, würdedie Zahl auf über 300 000 steigen. Das ist zu viel.
Das war übrigens auch die Auffassung des Ministers.Er hat den Gesetzentwurf nur deshalb wieder vorgelegt,weil Sie mit Ihrem Koalitionspartner, der es ablehnt, dasVorhaben aufzugeben, in dieser Frage nicht zusammen-arbeiten können. Das ist doch der eigentliche Grund fürIhre Unvernunft, denselben Gesetzentwurf zum zweitenMal vorzulegen. Das liegt doch daran, dass Sie mit denGrünen nicht zurechtkommen.
Sie müssen meiner Meinung nach den Schwerpunktauf die Frage legen, wie die Integration bewältigt wer-den kann. Danach muss sich das Zuwanderungsgesetzrichten.
Es wird auch weiterhin Zuwanderung geben. Sie wirdin einem Rahmen von jährlich rund 200 000 Personenverlaufen. Es wird auch Zuwanderung aus den neuenEU-Staaten geben. Schätzungen belaufen sich auf300 000 bis 400 000 Personen jährlich. Das wird aberkein Problem darstellen, weil diese Menschen aus unse-rem Kulturkreis kommen. Ihnen wird die Integrationleichter fallen.Aber die Integration ist doch anerkanntermaßenschwierig – darüber müssen wir wohl nicht diskutie-ren –, wenn Menschen aus einem anderen Kulturkreiskommen. An dieser Stelle trifft das Zitat von GustavHeinemann zu, der festgestellt hat: „Wir wollten Ar-beitskräfte und es kamen Menschen“.
–FhtüD–digtwdKtmw1nzrAgBADedvcBhdlesfssabbnE
uch unter Deutschen macht sich Angst breit. Deswe-en lehnen doch weit mehr als 80 Prozent der deutschenevölkerung eine weitere Zuwanderung ab, weil siengst hat, ihre Identität zu verlieren.
as muss man sich vor Augen halten, wenn man sichrnsthaft mit dem Gelingen der Zuwanderung auseinan-er setzt.Es geht darum, die Integrationsfähigkeit unserer Be-ölkerung zu erhalten. Das geht nur, wenn wir versu-hen, die Zuwanderung ernsthaft zu begrenzen. Dieseegrenzung leistet der Gesetzentwurf nicht. Deswegenaben wir die 120 Änderungsanträge eingebracht undeswegen müssen wir den Gesetzentwurf ablehnen. Viel-icht wird es einen Kompromiss im Vermittlungsaus-chuss geben, vielleicht aber auch nicht. Es wäre jeden-alls nicht schlimm, wenn der vorliegende Gesetzentwurfcheitern würde; denn wir brauchen ein Integrationsge-etz. Wir müssen ernsthafter und in viel stärkerem Maßels in der Vergangenheit die Integration der bei uns le-enden und der zu uns kommenden Ausländer vorantrei-en. Sonst werden wir den Frieden in unserem Landicht erhalten können.
s geht letztendlich um die eigene Existenz.
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3670 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Norbert GeisEs geht um eine friedliche Gesellschaft.
Wir dürfen uns nicht nur mit der Lösung von Konfliktenbeschäftigen. Wir haben andere Aufgaben in dieser Ge-sellschaft zu bewältigen, die schwierig genug sind.Wenn noch Konflikte hinzukommen, dann wird dasnicht zu schaffen sein.
Herr Kollege Geis, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir werden erleben, dass der vorliegende Gesetzent-
wurf im Bundesrat scheitert.
Es wird dann im Vermittlungsausschuss viele Beratun-
gen geben. Es kann durchaus sein, dass der Entwurf auch
dort scheitert. Das wäre kein Unglück. Wir werden uns
auf jeden Fall in stärkerem Maße um ein Integrationsge-
setz bemühen. Das ist, wie ich meine – ich wiederhole
das –, die eigentliche Aufgabe der Ausländerpolitik.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Zuwande-
rungsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/955,
den Gesetzentwurf anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag auf Drucksache 15/961? – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ge-
gen die Stimmen der Abgeordneten Pau und Lötzsch ab-
gelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU sowie der
beiden fraktionslosen Abgeordneten bei Enthaltung der
FDP angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen worden.
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Wir sind damals mit großer Mehrheit der Auffassung ge-wesen, dass das sinnvoll sei. Es war damals nicht ganzeinfach, den grünen Koalitionspartner, insbesondere denKollegen Ströbele, davon zu überzeugen.
Ich habe den Eindruck, dass Herr Ströbele auch heutenoch letzte Zweifel hat.
Aber, Herr van Essen, anerkennen Sie bitte, dass der lei-denschaftliche Einsatz für eine vernünftige Regelung inBezug auf dieses Parlament letztlich auch Herrn Ströbelehat überzeugen können.Unser damaliger Gesetzentwurf war relativ umstrit-ten. Wir haben deswegen gesagt: Wir wollen einandernicht belehren. Die Gültigkeitsdauer dieses Gesetzeswurde befristet. Dies geschah mit der Maßgabe, dass so-wohl das Innenministerium als auch die Bundestagsver-waltung dem Parlament Erfahrungsberichte vorlegen.Wir beschlossen damals, im Lichte dieser Erfahrungenerneut zu entscheiden, wie es mit diesem Gesetz weiter-gehen soll.Wir haben die Erfahrungsberichte zur Kenntnis ge-nommen. Mich hat erstaunt, dass anders als in Bonn, woinnerhalb einer Legislaturperiode nur in Ausnahmesitua-tionen drei oder vier Demonstrationen stattfanden, imbefriedeten Bezirk – das ist der Bereich, der früher„Bannmeile“ genannt worden ist – in den vergangenenfast vier Jahren, also seitdem der Bundestag seinen Sitzin Berlin hat, mehrere hundert Demonstrationen stattge-funden haben.
Darüber sollten wir uns freuen,
denn das bedeutet doch, dass es uns gelungen ist, dieMenschen nicht auszusperren. Demonstrieren kann manauch vor den Toren dieses Parlamentes. Man kann daspolitische Geschehen in Berlin von der Besuchertribünedes Deutschen Bundestags aus verfolgen; das ist jeder-manns gutes Recht. Man kann sich aber auch an das Par-lament wenden, indem man im befriedeten Bezirk aktivdemonstriert. Das ist ein Ausdruck von Interesse und da-von, dass man das Parlament und auch die Parlamenta-rdRwf–SofkhabfwkHfominwfaErggaJzdawduuh
Nicht meinetwegen und auch nicht Ihretwegen, Herrtrobl. – Mit anderen Worten: Ich bin – das sage ichhne jedes Pathos – dafür dankbar, dass der Reichstagür viele Menschen so interessant ist. Die Menschenommen hierhin, weil sie sich selbst dazu entschiedenaben. Dieses Parlamentsgebäude ist offenbar genausottraktiv wie die Gebäude des amerikanischen oder desritischen Parlaments. Ich freue mich darüber.Herr Ströbele, dem Grundrecht auf Versammlungs-reiheit – man darf es nur friedlich wahrnehmen – ist,as den Verfassungsrang angeht, die Funktionsfähig-eit des Parlaments gleichgestellt. Vor den Toren diesesauses haben Hunderte von Demonstrationen stattge-unden,
hne dass die Funktionsfähigkeit des Parlaments und da-it unsere Arbeitsfähigkeit zu irgendeinem Zeitpunktfrage gestellt worden sind. Besser hätte gar nicht be-iesen werden können, dass die Bannmeilenregelungür dieses Parlament funktioniert, dass dieses Gesetzlso gelungen ist.
Ich freue mich darüber, geschätzter Kollege vanssen, dass die FDP inzwischen mit im Boot ist. Sie wa-en damals skeptisch, eher ablehnend, aber haben jetztesagt – so habe ich das verstanden; Sie werden dasleich selbst artikulieren, Herr van Essen; ich kann aberuch Ihre Rede halten, wenn es denn sein muss –:
awohl, das hat sich bewährt. Warum dann nicht auchustimmen? – Ich danke Ihnen ausdrücklich dafür.Ich will, mit etwas Abschwächung, auch Herrn Stroblanken, nicht dafür, dass er diesen Gesetzentwurf nachherblehnen wird, aber dafür, dass er doch anerkennt – dasird er nachher natürlich noch selbst sagen, denke ich –,ass sich das, was wir hier gemacht haben, im Großennd Ganzen doch ziemlich bewährt hat.Vor vier Jahren, Herr Strobl, habe ich nicht geglaubtnd auch nicht gewusst – das konnte ich auch nicht; wo-er sollte ich es auch wissen? –,
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3672 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Dr. Dieter Wiefelspützdass sich diese Art von Regelung zum befriedeten Be-zirk – einerseits Versammlungsfreiheit und andererseitsFunktionsfähigkeit des Parlaments gewährleisten – hierin Berlin so gut bewährt. Wir haben keine Angst vor denBürgern, aber hier muss frei entschieden werden können,hier darf der Zugang zum Parlament für Abgeordnetenicht beeinträchtigt sein. Beides, Freiheit der Versamm-lung und Funktionsfähigkeit des Parlaments, ist gewähr-leistet.
Also ist die Regelung gut und in Ordnung und dannsollte man sie auch so akzeptieren und schätzen.Nun kommt von der Union der Änderungsantrag, er-neut eine Frist zu setzen, für weitere vier Jahre sozusa-gen auszuprobieren. Ich räume ein: Auch bei uns hat daseine Rolle gespielt. Wir haben das hin und her gewendet.Insbesondere, Herr Strobl, bei den Bedenkenträgern vonden Bündnisgrünen – darüber wollen wir hier einmalganz offen sprechen – gab es erneut diese Überlegung.Es war nicht ganz einfach, die Kollegen davon zu über-zeugen, dass eine Frist doch nur Sinn macht, wenn manetwas ausprobiert. Wir haben ausprobiert. Wir haben Er-fahrungen gesammelt, nicht für vierzehn Tage, sondernfür vier Jahre.
Wir haben festgestellt: Die Probephase ist abgeschlossen.Es hat sich bewährt. Wir haben nicht eine Demonstrationoder zwei Demonstrationen gehabt, sondern Hunderte.Also gibt es keinen Grund für eine weitere Fristverlänge-rung. Eine bewährte Sache verdient es, keine Befristungmehr zu bekommen. Also schaffen wir heute die Fristab, ganz entspannt und ohne Dramatik.
Wir werden damit auch in der Zukunft, denke ich, gut le-ben können.Ich will noch einen Aspekt ansprechen und damitwende ich mich an Sie persönlich, Frau Präsidentin. Wirhaben hier den Platz der Republik. Er war lange Zeiteine Baustelle. Jetzt ist er weitgehend fertig gestellt. Ichglaube, dass auf diesem Platz in Zukunft die ganz, ganzgroßen Demonstrationen stattfinden werden, bei The-men, die die Nation bewegen,
wenn es möglicherweise um Krieg und Frieden oder umandere Fragen von ähnlichem Gewicht geht. Das ist derPlatz, auf dem früher, zu anderen Zeiten, schon einmalganz, ganz große Demonstrationen stattgefunden haben.Jetzt spanne ich den Bogen einmal von ganz ernst zunicht ganz so ernst. Ich höre, dass man auf dieser Wiesedort nicht Fussball spielen darf.
Schadet es wirklich dem Ansehen und der Würde diesesHauses,vwsIüudesHmDghhmpransPhH–iwAKgmHw
erehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,enn da und dort einmal ein eleganter Doppelpass ge-pielt wird?
ch bitte das Präsidium, das ja wohl das Hausrecht aus-bt, insoweit noch einmal zu bedenken, ob man nicht dand dort auch etwas toleranter sein kann.
Die Bundesrepublik Deutschland präsentiert sich iniesem Parlamentsviertel weltoffen, zugänglich und sontspannt, wie man uns das häufig nicht nachsagt. Wirind hier sehr entspannt. Hier kann man demonstrieren.ier kann man sich frei betätigen. Die Menschen kom-en herein, nehmen dieses Parlament als ihr Haus deremokratie für Deutschland an. So sollten wir das ins-esamt auch halten.Ich bitte um Zustimmung zu diesem insgesamt gese-en gut gelungenen Gesetz. Die Frist muss jetzt aufge-oben werden, weil es für die Befristung keinen Grundehr gibt.Ich danke Ihnen für das Zuhören.
Und Sie garantieren dann für die Eleganz des Doppel-
asses?
Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Strobl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-en! Bis zum Jahr 1999 wurde die Funktionsfähigkeituch des Deutschen Bundestages durch das so ge-annte Bannmeilengesetz aus dem Jahre 1955 ge-chützt. Dieses Gesetz hat sich in 44 Jahren deutscherarlamentsgeschichte außerordentlich bewährt, unab-ängig von den Mehrheitsverhältnissen in diesemause.
44 Jahre lang, Herr Ströbele. – Dieses Gesetz hat sichnsbesondere auch in den schwierigen Situationen be-ährt, die es ja zuweilen gab. Ich erinnere etwa an diesylrechtsdebatte im Bonner Bundestag. Die älterenollegen – es gibt sie ja noch – dürften sich noch sehrut erinnern. Damals ist klar geworden, dass eine Bann-eilenregelung notwendig ist. Das ist ja in diesemause – Herr Kollege Ströbele, Ausnahmen gibt es –eitgehend unstreitig.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3673
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Thomas Strobl
Wir meinen, dass wir Regelungen brauchen, die einFunktionieren von Verfassungsorganen auch in schwieri-gen Situationen und in Krisenzeiten ermöglichen. Auchdas ist ja weitgehend unumstritten; auf alle Fälle ist esdie eindeutige Auffassung der CDU/CSU-Bundestags-fraktion.Genauso unbestritten ist freilich, dass jede Bannmei-lenregelung in einem gewissen Spannungsverhältnis zuArt. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes und der darin verbürg-ten Versammlungsfreiheit steht. Wir akzeptieren undrespektieren selbstverständlich diese grundrechtlicheWertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers. Siesteht aber nicht im Widerspruch zu einer Bannmeilenre-gelung, denn der Verfassungsgesetzgeber hat ja aus gu-tem Grund in Art. 8 Abs. 2 des Grundgesetzes in Formeines Gesetzesvorbehaltes ausdrücklich „durch Gesetzoder aufgrund eines Gesetzes“ Beschränkungen der Ver-sammlungsfreiheit vorgesehen bzw. eingeräumt.
Insofern kann an einer grundsätzlichen Zulässigkeit vonBannmeilenregelungen keinerlei Zweifel bestehen.Mit dem Umzug des Deutschen Bundestages nachBerlin hat die rot-grüne Koalition das 44 Jahre geltendeBannmeilengesetz durch das Gesetz zur Neuregelungdes Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes er-setzt. Zur alten Regelung ergeben sich nicht geringe Unter-schiede. Die bis 1999 geltenden Regelungen beinhaltetengesetzestechnisch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt,das heißt, ob Demonstrationen innerhalb der befriedetenBezirke zulässig waren, war letztlich eine Ermessensent-scheidung im Einzelfall. Dass die Ausübung dieses Er-messens niemals willkürlich oder unverhältnismäßigsein darf und dass Ermessensentscheidungen auch ge-richtlich überprüft werden konnten und können, istselbstverständlich. Mit dem neuen Gesetz wurde ab1999 das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehaltdurch einen schlichten Genehmigungsvorbehalt er-setzt. Das heißt, jedermann und jedwede Organisationhaben nun einen Rechtsanspruch darauf, auch innerhalbbefriedeter Bezirke zu demonstrieren. Wir haben keinErmessen mehr; es besteht ein klarer, im Zweifel ein-klagbarer Rechtsanspruch.Außerdem wurden die Sanktionsmöglichkeiten ge-ändert. Aus dem Straftatbestand der Bannkreisverlet-zung wurde eine bloße Ordnungswidrigkeit. Dies begeg-net ernst zu nehmenden Bedenken.Ganz sicher war man sich im Übrigen seiner Sachewohl nicht, denn man hat das neue Gesetz ja seinerzeitmit einer auflösenden Befristung zum 30. Juni 2003 undeiner regelmäßigen Berichtspflicht des Bundesministersdes Innern vor dem Deutschen Bundestag versehen. Die-sem Bericht des Bundesinnenministeriums entnehmenwir gerne, dass unter der neuen Rechtslage keine Beein-trächtigungen der Funktionsfähigkeit von Verfassungsor-ganen des Bundes eingetreten sind. Diese positive Bilanznehmen wir selbstverständlich zur Kenntnis.Wir, die CDU und die CSU, entnehmen dem Berichtdes Bundesinnenministers aber auch, dass das neue Ge-srBsenWZnBaIdOwzSsdGztns
Dass Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,icht ganz frei von Zweifeln sind, zeigt im Übrigen einlick in Ihre eigene Gesetzesbegründung, nach der Sien der Berichtspflicht generell festhalten wollen.
m vorletzten Absatz des allgemeinen Teils der Begrün-ung schreiben Sie:Es soll aber sichergestellt werden, dass der Gesetz-geber in diesem sensiblen Bereich der Abwägungzwischen dem notwendigen Schutz der Arbeits-und Funktionsfähigkeit der Verfassungsorgane unddem Grundrecht der Versammlungsfreiheit über dienötige rechtstatsächliche Erkenntnisgrundlage fürdie Kontrolle und gegebenenfalls die Fortentwick-lung und Anpassung des geltenden Rechts verfügt.
Zu Beginn einer Legislaturperiode ist es damit demGesetzgeber möglich, die bisherige Praxis zu be-werten und zu prüfen, ob die Sonderregelung fürden Schutz der Verfassungsorgane des Bundes ne-ben dem der Versammlungsfreiheit weiter bestehenmuss oder wegfallen kann.
ffensichtlich sind also auch bei Rot-Grün durchaus ge-isse Zweifel vorhanden.
Zu diesen Zweifeln, die in der Gesetzesbegründungum Ausdruck kommen, passt es allerdings nicht, dassie heuer die Befristung, unter der das Gesetz bishertand, gänzlich aufheben. Wir halten es für sachgerecht,ie am 30. Juni dieses Jahres auflösende Befristung desesetzes um weitere vier Jahre, bis zum 30. Juni 2007,u verlängern. Damit wäre Gelegenheit, mit dem derzei-igen Gesetz weitere Erfahrungen zu sammeln, gegebe-enfalls auch dann, wenn das Gesetz Belastungen ausge-etzt sein sollte,
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3674 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Thomas Strobl
die bis jetzt – Gott sei Dank – nicht eingetreten sind. DasGesetz könnte sich dann aber jedenfalls wirklich bewäh-ren.Noch eine Bemerkung am Rande. Alle, inzwischenauch die Bundesregierung, reden von Bürokratieabbauund Entbürokratisierung. In diesem Zusammenhangwird immer wieder auch von der Befristung von Geset-zen geredet. Hier haben wir nun ein Gesetz mit einer Be-fristung, die Sie jedoch, meine Damen und Herren vonRot-Grün,
mit Ihrem heutigen Gesetzentwurf gerade abschaffenwollen.
Das passt nicht ganz in diesen Zusammenhang.Wir wollen als CDU/CSU ganz pragmatisch und ohnejede Ideologie,
die die Angelegenheit im Übrigen auch nicht verdient,dem geltenden Gesetz die Chance geben, sich tatsächlichzu bewähren. Wir wollen weiter Erfahrungen sammeln.Dann wäre der Deutsche Bundestag in vier Jahren aufge-fordert, aufgrund der gemachten Erfahrungen erneut zuberaten und zu entscheiden.Wir halten dies unter allen Gesichtspunkten für einesachgerechte Lösung. Deswegen haben wir entspre-chende Anträge im 1. Ausschuss und im Innenausschusseingebracht und bringen diese Anträge heute auch hierim Plenum ein und bitten um Zustimmung.Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen!
Wenn man die Vertreter der CDU/CSU im Ausschuss
und auch hier reden hört, dann hat man immer ein biss-
chen den Eindruck, Demonstrationen würden eigent-
lich als etwas Störendes empfunden. Ich sage Ihnen als
Vertreter einer Fraktion und einer Partei, die auch aus
Bewegungen, Demonstrationen und Meinungskundga-
ben auf der Straße entstanden ist, dass Demonstrationen
und Meinungskundgaben auf öffentlichen Plätzen und
Straßen in einer Demokratie dazugehören
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ie die Luft zum Atmen für die Menschen.
eshalb ist es auch richtig, logisch und nachvollziehbar,
ass die Beatmung des Parlaments, des wichtigsten Or-
ans in der Demokratie, auch aus der Nähe stattfinden
önnen muss, das heißt auch in unmittelbarer Umgebung
es Reichstagsgebäudes bzw. des Bundestages.
Deshalb waren und sind wir eigentlich der Meinung,
ass eine Bannmeile um ein Parlament, um den Deut-
chen Bundestag, überflüssig ist
nd dass wir uns durchaus einreihen könnten in die alten
emokratien, ob USA, England, Frankreich oder andere,
ie so etwas gar nicht kennen. Man kann beispielsweise
uf den Stufen des Kapitols demonstrieren; daran stört
ich keiner. In London und in Paris ist es genauso. Wir
aben immer dafür gefochten, dass das auch in Deutsch-
and möglich ist.
Herr Kollege Ströbele, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Schauerte?
Ja, wenn es der Sache und der Wahrheitsfindung
ient.
Das weiß man vorher nie.
Meine Frage dient der Sache und der Erkenntnisfin-ung.Herr Kollege Ströbele, ich kann das, was Sie sagen, janterschreiben.
ber sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass es auch ininer Demokratie und in demokratischen Prozessenrenzen geben muss, an denen man sein eigenes Be-usstsein schärfen und mit deren Hilfe man seine Ent-icklung voranbringen kann? Sie sind doch selbst einutes Beispiel dafür; denn gerade aufgrund dieser Gren-en, die Sie in Ihrer Jugendzeit erfahren haben, sind Sieahin gekommen, wo Sie heute stehen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3675
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Herr Kollege Schauerte, Sie verkennen mich völlig.
Ich halte Demonstrationen nach wie vor für ein ganzwichtiges demokratisches Mittel zur Willensbildung.
Ich bemühe mich, an fast allen Demonstrationen in Ber-lin teilzunehmen. Ich lasse nur die eine oder andere De-monstration aus, wie etwa Demonstrationen, die mitTraktoren und mit Lastwagen durchgeführt werden.Ich bin der Meinung, dass man sich in dieser Bezie-hung nicht verändern, sondern dass man seinen Idealentreu bleiben sollte. Deshalb sage ich: Ich demonstriereweiter für die politischen Ziele, für die ich einstehe. Esgibt hin und wieder Demonstrationen, für deren Ziele ichnicht eintrete und an denen ich deshalb nicht teilnehme.Aber bei den meisten kann ich meine Überzeugungensehr gut wiederfinden.Es ist doch nicht so, wie immer wieder dargestelltwird, dass öffentliche Einrichtungen wie Parlament,Bundeskanzleramt und Bundespräsidentenvilla schutz-los sind. Es gibt ein Versammlungsgesetz und ein Poli-zeigesetz, nach denen ein polizeilicher Schutz selbstver-ständlich immer möglich ist, wenn von Demonstrationeneine Gefährdung ausgeht. Dieser Punkt wird oft überse-hen. Verhältnisse wie in London, Washington und Pariswären ohne Bannmeilengesetz und auch ohne diesesvorliegende Gesetz auch in Berlin möglich.
Wir haben uns auf dieses Gesetz geeinigt, weil wirder Meinung sind, dass es unseren Vorstellungen sehrweit entgegenkommt. Es hat in der Tat nur ganz wenigeAusnahmen gegeben – ich komme gleich auf eine, dieich bedauere –, wo Demonstrationen in Reichstagsnähenicht stattfinden konnten. Ansonsten fanden an dieserStelle Hunderte von Demonstrationen statt. Das war gut,belebend und richtig, selbst wenn der eine oder die an-dere den jeweiligen Parolen nicht zustimmen wollte. DasGesetz hat sich also tatsächlich bewährt.Aber ich will gar nicht darum herumreden – der Kol-lege Wiefelspütz hat zu Recht darauf hingewiesen –, dasswir uns zunächst für eine weitere Befristung mit demZiel eingesetzt haben, irgendwann dieses Gesetz endgül-tig streichen zu können. Dafür gab es bei uns eine ganzeReihe von Befürwortern; ich habe auch dazu gehört.Der Kollege Wiefelspütz hat dann angefangen, michzu überzeugen.
AzdtheadhARwwbgmIBvasvwdRhDGMfgwRGblRtFkgagga
Wir sind deshalb gegen eine erneute Befristung. Wirollen das Gesetz unbefristet weiterlaufen lassen. Wirollen allerdings Berichte bekommen, wenn es Pro-leme geben sollte, die es in der Vergangenheit nicht ge-eben hat.Noch eine abschließende Bemerkung. Man hatanchmal den Eindruck, dass nicht die Polizei, nicht dasnnenministerium und auch nicht das Präsidium desundestages Demonstrationen und Lebensäußerungenor dem Reichstag verhindern, sondern das Gartenbau-mt Tiergarten-Mitte.
Das gilt übrigens nicht nur für das Fußballspielen,ondern auch für die große Friedensdemonstrationom 15. Februar dieses Jahres, von der ich mir ge-ünscht hätte, dass sich die Abschlusskundgebung inie Tradition der großen Demonstrationen vor demeichstag – damals in Westberlin – hätte einreihen undier vor dem Reichstag hätte stattfinden können.
as war aus Gründen des Rasens und anderer formalerründe angeblich nicht möglich. Sie musste ein paareter von hier entfernt auf der Straße des 17. Juni statt-inden.Ich bin dafür, dass solche Demonstrationen wie übri-ens auch die Abschlusskundgebung des Kirchentages,ie ich gehört habe, sehr wohl vor dem Deutscheneichstag ihren Platz haben. Hier soll zu allen wichtigenelegenheiten demonstriert werden. Auch andere Le-ensäußerungen wie beispielsweise Fußballspielen sol-en hier stattfinden können. Ich meine, es ist für dieseneichstag eine Zierde, wenn man vor dem Reichstagummelnde, liegende, sich unterhaltende, Volleyball oderußball spielende Menschen bei schönem Wetter erlebenann. Das ist eine gute Tradition. Die haben wir hier ein-eführt und die sollten wir fortsetzen. Die sollten wir unsuch nicht vom Bezirksamt Berlin-Mitte, das für Tier-arten zuständig ist, verderben lassen.Deshalb sind wir dafür, das neue Gesetz unbeschränktelten zu lassen. Den Antrag auf Befristung werden wirblehnen.
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3676 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Wiefelspütz hat es schon angekündigt: Die
FDP-Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf zu-
stimmen.
Das haben wir im Jahre 1999 nicht getan; denn wir hat-
ten Bedenken. Ich finde, es ehrt einen, wenn man sagt,
dass sich die Bedenken nicht bewahrheitet haben.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin sogar froh, dass
sie sich nicht bewahrheitet haben. Wir waren offen und
haben einen Schritt hin auf die Menschen gemacht. Wir
haben ihnen Vertrauen entgegengebracht. Heute müssen
wir feststellen: Die Menschen haben dieses Vertrauen
gerechtfertigt. Das erfreulichste Ergebnis der heutigen
Debatte ist für mich, dass wir das feststellen können.
Es haben sehr viel mehr Demonstrationen stattgefun-
den als in Bonn. Die Demonstrationen sind sehr viel nä-
her am Parlamentsgebäude gewesen als in Bonn. Wir
müssen feststellen, dass wir in der ganzen Zeit nie in un-
serer Arbeitsfähigkeit – von wenigen Ausnahmefällen zu
Beginn abgesehen, als die Zugänge zum Gebäude noch
nicht so vielfältig waren wie heute – beeinträchtigt wor-
den sind.
Deshalb sind beide Ziele zu erreichen: auf der einen
Seite die Möglichkeit zu demonstrieren, die ganz selbst-
verständlich zu einer Demokratie gehört, und auf der an-
deren Seite die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu
gewährleisten.
Ich verstehe nicht ganz, warum die CDU/CSU eine
neue Befristung will. Denn das bedeutet ja, dass das jet-
zige Gesetz weiter gilt. Das insinuiert auch, dass man der
Auffassung ist, dass dieses Gesetz, so wie es im Augen-
blick besteht, offensichtlich den Anforderungen gerecht
wird.
Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass bei-
spielsweise aufgrund einer anderen Entwicklung der
Demonstrationskultur reagiert werden müsste, dann
müssen wir unabhängig davon, ob ein befristetes oder
ein unbefristetes Gesetz gilt, selbstverständlich die ent-
sprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen treffen. Wir
als FDP werden dafür sorgen, dass sie getroffen werden,
weil für uns die Funktionsfähigkeit des Parlaments ein
hohes Gut ist.
Ich denke, dass wir nach dem Erfahrungshorizont,
den wir jetzt haben, klar sagen können: Das neue Gesetz
kann unbefristet gelten. Ich hoffe, dass die vernünftige
Praxis, die sich eingespielt hat, dazu beiträgt, dass wir
weiter viele friedliche Demonstrationen sehen und das
Parlament trotzdem vernünftig tagen kann.
Zum Schluss will ich einen Aspekt ansprechen, der
mich eigentlich am meisten freut. Wir hatten bei der
Bannmeilenregelung eine sehr starre Regelung, die bei-
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Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grüneningebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Verfas-ungsorganen des Bundes.Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/SU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt füren Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU aufrucksache 15/970? – Wer stimmt dagegen? – Gibt esnthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-en des ganzen Hauses gegen die Stimmen der CDU/SU abgelehnt worden.Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschussesür Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Derusschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-rdnung empfiehlt auf Drucksache 15/969, den Gesetz-ntwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitteiejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-ung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-timmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-it in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,ündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmenon CDU/CSU angenommen worden.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfst damit in dritter Lesung mit den Stimmen von SPD,ündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmenon CDU/CSU angenommen worden.Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Pro-tokollen vom 26. März 2003 zum Nordatlan-tikvertrag über den Beitritt der RepublikBulgarien, der Republik Estland, der Repu-blik Lettland, der Republik Litauen, Rumä-niens, der Slowakischen Republik und derRepublik Slowenien– Drucksache 15/906 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3677
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerVerteidigungsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Wi-derspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Herr Bundesminister Peter Struck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Beitritt der sieben europäischen Demokra-tien Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien,Slowakei und Slowenien zur NATO ist ein weiterer gro-ßer Schritt auf dem Weg zu einem ungeteilten und freienEuropa, zu mehr Sicherheit und Stabilität im euro-atlan-tischen Raum und zu einer gestärkten NATO.
Die Öffnung des Bündnisses nach Osten und Südos-ten Europas und die Erweiterung der EuropäischenUnion waren die historischen, politisch einzig richtigenAntworten auf die Jahrzehnte der Teilung Europas, aufKrieg und Zerstörung auf unserem Kontinent. Die Festi-gung und Erweiterung des europäischen Stabilitätsrau-mes war und ist immer noch zwingende Konsequenz so-wohl der veränderten europäischen Situation selbst alsauch der Entwicklung und der neuen Herausforderungenin der Welt der Globalisierung. Der Beitritt dieser neuenMitglieder im nächsten Jahr wird die Allianz stärken; erwird die Fähigkeit der NATO verbessern, die veränder-ten Herausforderungen zu meistern. Das setzt allerdingsvoraus, dass die neuen Mitglieder die Reformbemü-hungen der vergangenen Jahre auch nach dem Beitrittfortsetzen; dazu haben sie sich verpflichtet.Wir, die Bundesregierung, werden unsererseits allestun, um, wie bisher, die sieben eingeladenen Kandidatenund auch die drei Aspiranten Albanien, Kroatien undMazedonien bilateral konkret bei der Vorbereitung aufdie NATO-Mitgliedschaft zu unterstützen – zum Bei-spiel durch Ausbildungshilfe, Materialhilfe und militär-politische Konsultationen.Deutschland gehörte vor wenigen Jahren aus gutenGründen zu den politischen Vorreitern einer Öffnung derAllianz für Polen, Tschechien und Ungarn. Als Land inder Mitte Europas werden wir auch von der zweiten Bei-trittsrunde in besonderer Weise profitieren. Deshalb wol-len wir eine zügige Ratifizierung der NATO-Beitrittspro-tokolle. Denn das ist auch ein wichtiges politischesSignal an unsere europäischen Nachbarn.
Natürlich bringt der Beitritt von gleich sieben Staatenbesondere Herausforderungen für das Bündnis mitsich. Aber die Öffnung des Bündnisses für die neuen De-mokratien im Osten Europas war von Anfang an Teil ei-ner ehrgeizigen Agenda, mit der wir das Bündnis poli-tisch und militärisch auf das 21. Jahrhundert ausrichtenwollen.dAePdKdgPdidKiKNteePnitnscaAtEegldaWNcwBKsWntvsmis
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3678 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Die von uns angestrebte strategische Partnerschaft zwi-schen NATO und Europäischer Union ist der einzigeWeg, wie ein starkes Amerika und ein neues und stärke-res Europa konstruktiv zusammenwirken können, umihre gemeinsamen Ziele bestmöglich zu erreichen.Die Bundesregierung ist zum umfassenden Engage-ment in der NATO und der Europäischen Union bereit;das haben wir in den vergangenen Monaten und Jahrenmehr als deutlich unter Beweis gestellt.
Dafür spricht nicht nur unser politisches Handeln, son-dern auch das Engagement von mehr als 100 000 Sol-datinnen und Soldaten der Bundeswehr, die seit 1998zusammen mit Verbündeten und Partnern an internatio-nalen Einsätzen teilgenommen haben.
Ihren Bemerkungen, Herr Nolting, entnehme ich, dassSie Ihren Zwischenruf wieder zurücknehmen.Dafür sprechen auch die konkreten und weit reichen-den Reformanstrengungen, mit denen wir die Bundes-wehr auf die neue Sicherheitslage und die verändertenVerpflichtungen innerhalb von NATO und EuropäischerUnion ausrichten.Noch in diesem Monat werde ich erstmals nach überzehn Jahren wieder verteidigungspolitische Richtlinienerlassen. Sie bilden die konzeptionelle Grundlage für dieerforderliche Anpassung der Bundeswehr an grundle-gend veränderte Bedingungen und Risiken und an diefortentwickelte NATO-Strategie. Die verteidigungspoli-tischen Richtlinien werden verdeutlichen: Die Bundes-wehr wird konsequent mit Blick auf die wahrschein-lichsten Aufgaben im Bereich der internationalenKrisenbewältigung umgestaltet.
Die herkömmliche Landesverteidigung kann nicht mehrvorrangig die Strukturen und Fähigkeiten der Bundes-wehr bestimmen. Die erhöhten Anforderungen im inter-ngtfsdrdis3uBzDfnuHtgAtsNnttadcdnvwmupg
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedbert Pflüger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Das meiste dessen, was der Herr Bundesminis-er Struck zur NATO und zum Prozess der Erweiterungesagt hat, können wir nur unterstreichen.
ber eines können wir, wenn wir diese schönen Sonn-agsreden hören, nicht nachvollziehen, nämlich warumo wenig konkret für die Kraft und Ausstrahlung derATO getan wird.
CDU und CSU begrüßen, dass die Slowakei, Slowe-ien, Bulgarien, Rumänien, Estland, Lettland und Li-auen als neue NATO-Mitglieder zu uns stoßen. Aus dik-atorisch regierten Ländern sind Demokratien geworden,us Feinden Freunde. Die Erweiterung der NATO erhöhtie Stabilität in Europa in einer instabilen und gefährli-hen Welt.Wir als CDU/CSU sind stolz darauf, dass der erste,er das Thema der Öffnung des Bündnisses auf die inter-ationale Tagesordnung gebracht hat, und zwar bereitsor zehn Jahren, Verteidigungsminister Volker Rühe ge-esen ist. Der ganze Prozess der NATO-Erweiterung istit den Namen Kohl und Rühe verbunden. Wir freuenns, dass dieser Prozess jetzt, wenn auch nicht zum End-unkt, so doch zu einer ganz wichtigen Weichenstellungekommen ist.
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Dr. Friedbert Pflüger
In der ersten Erweiterungsrunde haben die Europäerkonzeptionell vorgedacht und als Fürsprecher der Mittel-und Osteuropäer in Amerika gewirkt. Sie haben dieAmerikaner überzeugt, die am Anfang sehr skeptischwaren. In der zweiten Runde war es leider umgekehrt: Inder zweiten Runde haben die Europäer konzeptionellquasi gar nichts gemacht, sondern gewartet, wie mansich in Washington entscheidet. Deshalb wird auch diejetzige NATO-Erweiterung in den Ländern Mittel- undOsteuropas nicht den Deutschen und den anderen euro-päischen Staaten zugerechnet. Vielmehr richtet sich derDank dieser Staaten in erster Linie an Amerika.Ich finde es schade, dass wir uns in dieser ureigensteneuropäischen Frage, nämlich der Integration Mittel- undOsteuropas in das Atlantische Bündnis nicht selbst enga-giert und konzeptionell vorgedacht haben sowie als Für-sprecher dieser Länder aufgetreten sind. Dann hätten wirmehr europäisches Gewicht; davon reden doch immeralle. Warum hat man diese große Chance verpasst?
Meine Damen und Herren, wir haben in den letztenWochen und Monaten viel über den Frieden am Golfgesprochen, der uns allen am Herzen lag und liegt. DieBundesregierung hat allerdings nicht viel dazu beigetra-gen, den Frieden in dieser Region zu erhalten. Sie hatsich auf eine Achse der Wirkungslosigkeit mit Frank-reich und Russland eingelassen. Auf diese Weise hat siezum Frieden nicht wirklich etwas beigetragen. Was siedamit in den letzten Monaten aber leider bewirkt hat, istdie Spaltung von EU und NATO. EU und NATO sindheute, nach den Problemen, Sorgen und Konflikten derletzten sechs Monate, schwächer denn je. Das gefährdetden Frieden auch bei uns; denn EU und NATO sind diebeiden Institutionen, die über fünf Jahrzehnte hinwegden Frieden bei uns garantiert und zu einer Stabilisie-rung beigetragen haben.
Was sind die Gründe für diesen Besorgnis erregendenBedeutungsverlust? Joseph Nye, der als ein hoher Bera-ter der Clinton-Regierung wirklich nicht im Verdachtsteht, ein Fan von George Bush zu sein, sagte am23. April in einem Interview in der „Frankfurter Allge-meinen Zeitung“:Deutschland hat seine Politik in der Vergangenheitja immer auf zwei Beine gestellt: auf ein atlanti-sches und auf ein europäisches. Die RegierungSchröder hat im vergangenen Jahr offenkundig ent-schieden, das eine Bein wegzuhauen. Das ist neu.
Das, was Joseph Nye sagt, trifft genau den Kern desProblems. Alle Kanzler, von Adenauer über Brandt undSchmidt bis zu Kohl, haben immer eine Balance zwi-schen der Orientierung auf das atlantische Bündnis undauf Europa gefunden. Wir als Deutsche haben es immerals unsere Aufgabe in Europa verstanden, nicht zuglerbsnAdhAnndSAgRdutwsGtBbDwwdWddrdbpm5udheNvLv
Vor allem aber sagen die Mittel- und Osteuropäer sehreutlich, dass sie sich nicht zwischen Europa und Ame-ika entscheiden wollen müssen. Sie haben uns aufgefor-ert, ihnen zu helfen, dass sie sich durch solche Achsen-ildungen nicht öffentlich gegen Amerika und Spanienositionieren müssen, dass sie sich nicht entscheidenüssen. Sie wollen das, was wir Deutschen über0 Jahre hinweg gemacht haben, nämlich europäischend atlantische Orientierung in der Balance halten.Der zentrale Fehler der Aufgabe der Balance ist beiem Vierer-Gipfel vor wenigen Tagen in Brüssel wieder-olt worden. Natürlich ist es legitim und notwendig, dieuropäische Verteidigung auszubauen.
atürlich ist es notwendig und über das Instrument dererstärkten Zusammenarbeit auch möglich, dass einigeänder bei einzelnen Fragen in Europa zunächst einmaloranpreschen und andere einladen, ihnen zu folgen.
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Dr. Friedbert PflügerAuf diesem Gebiet war das aber in der Tat nicht not-wendig; denn wir haben bereits eine Europäische Si-cherheits- und Verteidigungspolitik, eine Militärkom-mission, also ein permanentes Sicherheitskomitee, undeine entsprechende Bürokratie. Wir bauen an einer Ein-greiftruppe, die noch in diesem Jahr voll einsatzfähigsein soll. Warum wird in der jetzigen Situation ein sol-cher Vierer-Gipfel durchgeführt? Warum soll etwasNeues geschaffen werden, obwohl das Alte immer nochnur ein Papiertiger ist? Warum wird die bestehendeESVP nicht gestärkt? Es kommt nicht auf neue Haupt-quartiere und die 173. Deklaration und Willenserklärungan, sondern darauf, dass die Europäische Sicherheits-und Verteidigungspolitik endlich militärische Fähigkei-ten in die Hand bekommt. Dann, und nicht durch solcheAbsichtsbekundungen und Spaltergipfel, können wir alsEuropäer mitsprechen.
Spanien und Italien fühlten sich ausgeschlossen. Ichwar in der letzten Woche bei der spanischen Außenmi-nisterin, Frau Palacio. Sie sagte: Natürlich können sichvier Länder treffen. Sie sollen aber bitte nicht den An-spruch erheben, für Europa zu sprechen.Damit bin ich beim nächsten Problem: Ich freue michüber die Wiederbelebung der deutsch-französischen Zu-sammenarbeit.
Ich freue mich darüber, dass der Motor wieder läuft. Eswäre aber noch besser, wenn das Auto, in dem sich die-ser Motor befindet, in die richtige Richtung fahrenwürde, nämlich in eine Richtung, durch die Europa zu-sammengeführt, die kleinen Ländern ernst genommenund nicht der untaugliche Versuch unternommen wird,ein Gegengewicht zu Amerika aufzubauen.
In dem Kommuniqué von Brüssel wird viermal vonder Notwendigkeit geredet, den A400M, das großeTransportflugzeug, zu bauen. Es liegt ein wenig der Ver-dacht nahe, dass man den mangelnden Fortschritt in derSubstanz mit viel Gerede verdecken will. Das ist übri-gens das Grundproblem Ihrer Außenpolitik: Neue Insti-tutionen werden geschaffen, neue Erklärungen abgege-ben und zum zigsten Mal wird über den A400M geredet.Wir wollen endlich davon wegkommen, immer neue Pa-piertiger und Papierflieger zu produzieren. Wir wollenendlich Fortschritte in der Substanz sehen.
Was können wir in Zukunft besser machen? Ichglaube, wenn wir es in den nächsten Monaten besser ma-chen und wieder Vertrauen schaffen wollen – das liegt inunser aller Interesse –, dann wird es mit das Wichtigstesein, endlich wieder mit und nicht über Amerika zusprechen. Wir müssen endlich – auch auf der höchstenEbene – wieder direkt miteinander kommunizieren. SeitSommer des letzten Jahres hat es auf der höchstenEezDdidgfzzdifekFdisHGsfsrwiGmdrteanHdDdiskdtdSnmm
Sie müssen in Amerika jetzt darum baggern, endlichieder ernst genommen zu werden. Momentan wird esm öffentlichen Ansehen keine Emanzipation geben. Imegenteil: Es kommt zu einem Hinterherlaufen, damitan endlich wieder ins Gespräch kommt. Nicht die ein-rucksvolle Reise von Frau Merkel, die in einer schwie-igen Zeit Gesprächskontakte in Amerika aufrechterhal-n hat, sondern Ihr Verhalten ist würdelos undnbiedernd.
Das sollten Sie ändern. Beim Thema Irak sollten Sieicht die alten Fehler der Vorfestlegung wiederholen.err Struck und Herr Fischer, ich lese Ihnen jetzt einmalie Agenturmeldungen der letzten Tage vor: 7. Mai:eutschland lehnt Beteiligung an Irakfriedenstruppe ab,pa. 8. Mai: Struck für Prüfung eines NATO-Einsatzesm Irak. 9. Mai, 8.35 Uhr: SPD bereitet Bundeswehrein-atz im Irak vor. 9. Mai, 10.58 Uhr: Laut Struck gibt eseine konkreten Pläne.Wir möchten gerne wissen, wie Sie sich vorstellen,ass und unter welchen Umständen sich deutsche Solda-en beteiligen sollen. Wir möchten Sie bitten, mit diesenauernden Vorfestlegungen endlich aufzuhören. Gehenie doch einmal offen in die Gespräche mit der amerika-ischen Administration! Wir schlagen ein UNO-Mandatit der NATO als Auftragnehmer der UNO vor. Zusam-en mit einigen arabischen Staaten könnte eine Art
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Dr. Friedbert PflügerNATO plus als Schutztruppe im Irak gebildet werden.Das hat zwei Vorteile: Es befriedigt den amerikanischenund britischen Wunsch nach einer starken eigenen Prä-senz. Aber es schafft gleichzeitig eine Multinationalität.Versuchen wir doch einmal, konstruktiv in diese Rich-tung zu arbeiten und uns nicht sofort jedes Einflusses da-durch zu berauben, indem wir erklären: Am Wiederauf-bau beteiligen wir uns nicht und wir schicken keineSoldaten in diese Region, wie es Frau Wieczorek-Zeulgesagt hat.
Herr Kollege Pflüger, bitte achten Sie auf Ihre Rede-
zeit.
Wir wollen keine Beteiligung an einem „Kolonialre-
gime“, wie es der Kollege Nachtwei formuliert hat.
Hören Sie endlich mit Ihren Vorfestlegungen auf! Hö-
ren Sie auf, über andere zu reden, sondern reden Sie mit
ihnen! Finden Sie eine gemeinsame europäische Posi-
tion! Unsere Bitte ist: Hören Sie mit den Vierer-Gipfeln
und den Dreier-Achsen auf! Wenn Sie das berücksichti-
gen, dann werden wir auch Europa wieder stärken kön-
nen. Dann brauchen wir uns auch nicht länger über die
angebliche Dominanz Amerikas zu beschweren und da-
ran herumzukritteln, sondern dann können wir endlich
etwas Konkretes für die europäische Stärke und das eu-
ropäische Profil als Pfeiler in der Allianz tun.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludger Volmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrPflüger, ich hatte den Eindruck, dass Sie sich vor allenDingen an Ihrer eigenen Rhetorik berauscht haben.
Ich möchte nun versuchen, einen Maßstab zu setzen, umbeurteilen zu können, welch großer historischer Fort-schritt in dem heutigen Tag liegt, an dem wir die Ost-erweiterung der NATO im Deutschen Bundestag ratifi-zieren werden.Erinnern wir uns, was der erste NATO-Generalsekre-tär als Aufgabe der NATO beschrieb: Die NATO dientdazu, die Russen draußen zu halten, die Amerikanerdrinnen zu halten und die Deutschen unten zu halten.Das war damals die Aufgabe. Was ist aus der Aufgabegeworden, die Russen draußen zu halten? Diese Aufgabeist heute so überflüssig, wie sie in der Geschichte nochnie war. Die Russen sind Partner geworden und werdenbRReNsbsVIPdabtwdÖetcsDhhIslVlsbPsniRsmtuaobiIPnSppw
Wir haben nach dem Zusammenbruch des War-chauer Paktes über die Zukunft der NATO geredet. Da-ei standen sich zwei Perspektiven gegenüber: Die einenprachen von einem System kollektiver Sicherheit vonancouver bis Wladiwostok, organisiert über die OSZE.ch gebe zu, dass dies die Lieblingsvorstellung meinerartei war. Anderen – das war teilweise der Hintergrunder Politik von Herrn Rühe – ging es darum, die NATOls hegemoniale Struktur gegenüber dem zusammenge-rochenen Osten aufzubauen. Das haben wir damals kri-isiert. Zum Glück hat sich in der Realität nun eine Ent-icklung ergeben, die man als Kompromiss zwischeniesen beiden Positionen ansehen kann, nämlich eineffnung der NATO, ergänzt um die beiden eben von mirrwähnten Pakte. Wir werden daher ein System koopera-iver Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok errei-hen, wenn auch nicht auf Basis der OSZE. Aber insge-amt ist dies ein enormer Fortschritt, den wir begrüßen.eshalb werden wir dieser Erweiterung zustimmen.Die zweite Dimension: die Amerikaner drinnen zualten. Das ist nach wie vor eine wichtige Aufgabe. Wiraben ein Interesse daran – bei allen Streitigkeiten in derrakfrage –, dass die amerikanische Seite in Europa prä-ent bleibt und dass die NATO eine tragfähige Grund-age für die zukünftige Gestaltung des transatlantischenerhältnisses bleibt. Wir sagen aber auch: Die NATO al-eine reicht nicht mehr aus. Wir brauchen neue Dimen-ionen der transatlantischen Agenda, etwa was die glo-ale Verantwortung angeht. Stichworte sind: Kioto-rotokoll, Internationaler Strafgerichtshof. Auch auf die-en Ebenen müssen wir unseren Dialog mit den Verei-igten Staaten weiterführen und vertiefen. Grundlagest und bleibt aber die nordatlantische Gemeinschaft imahmen der Sicherheitspolitik.Wenn wir dies wollen, müssen wir bestimmte An-prüche an Partnerschaft stellen. Partnerschaft im Rah-en des transatlantischen Bündnisses kann nicht bedeu-en, dass ein Staat oder eine kleine Staatengruppenilateral Interessen definiert und quasi fordert, dass dienderen Bündnispartner dem folgen, unabhängig davon,b das deren verfassungsrechtliche Lage möglich machtzw. von ihrer Interpretation des Völkerrechts gedecktst.
ch glaube, das war das eigentliche Problem, Herrflüger. Daran aber haben Sie vorbeigeredet. Es gingicht um Imponiergehabe gegenüber den Vereinigtentaaten; es ging darum, in einer Situation zugespitzterolitischer Entscheidungen einzuklagen, dass die Euro-äer Partner sind in einer Allianz und sie sich nicht ohneeiteres hegemonialen Wünschen, die völkerrechtlich
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Dr. Ludger Volmerzumindest fragwürdig sind, anschließen oder gar unter-werfen können. Verfassungsrechtlich war das für uns un-möglich zu akzeptieren.
Damit komme ich zur dritten Dimension, die Ismayseinerzeit definiert hat: Deutschland unten halten. Dassdies heute keine Zielsetzung mehr sein kann, liegt aufder Hand. Aber aus dem neuen Selbstbewusstsein undder wiedergewonnenen Souveränität leiten wir jetztnicht etwa Großmachtsansprüche ab. Vielmehr habenwir gesagt: Souveränität und Selbstbewusstsein sind im-mer mit der Selbsteinbindung in internationale Zu-sammenhänge und mit der Selbstbeschränkung verbun-den. Wenn wir über Selbsteinbindung reden, reden wirgleichermaßen über die NATO wie über die EuropäischeUnion und die europäische Sicherheits- und Verteidi-gungsidentität. Diese beiden Pole auszutarieren wird im-merwährende Aufgabe deutscher Außenpolitik sein.Wenn die Bundesregierung im Fall des Irakkriegeseine kritische Position gegenüber der aktuellen Politikder amerikanischen Administration bezogen hat, dannheißt dies nicht, dass die Stärkung des europäischenPfeilers gegen die USA gerichtet ist. Es heißt nur, dassdie Europäer dabei sind, genau das Selbstbewusstsein zuentwickeln, das wir im transatlantischen Bündnis – alszweiten Pfeiler neben dem amerikanischen – brauchen.Ich finde, die Politik der Bundesregierung war hier sehrgelungen.
Selbstbeschränkung als eine Prämisse unserer Si-cherheitspolitik bedeutet auch: Obwohl wir einer derkräftigsten europäischen Staaten sind, sollten wir nichtversuchen, die anderen zu dominieren. Deshalb habenwir ein großes Interesse daran, dass auch kleinere und,vordergründig gesehen, schwächere Staaten Mitglied derAllianz werden. Sie verdienen, genauso konsultiert zuwerden und in ihren Sicherheitsansprüchen ernst genom-men zu werden, wie wir dies für uns im transatlantischenVerhältnis gegenüber den Vereinigten Staaten fordern.In den letzten Tagen gab es eine Diskussion über denpolnischen Vorschlag. Wir haben diesen Vorschlag abge-lehnt. Aber das Gefühl der Polen, das dahintersteht, kön-nen wir sehr gut nachvollziehen. Wir kennen die polni-sche Geschichte, wir kennen die polnische Sicht, wirkennen die polnischen Befürchtungen – und wir habengroßes Verständnis dafür, dass Polen, welches von sei-nen großen Nachbarn in der Vergangenheit nicht nur be-droht, sondern okkupiert und geteilt wurde, seine Sicher-heitsperspektive insbesondere jenseits des Atlantikssieht. Das sehen wir ohne großen Argwohn. Wir sindaber genauso sicher, dass im Zuge des dialogischen undpartnerschaftlichen Prozesses innerhalb der NATO diesealten, historisch gewachsenen Vorbehalte langsam, abersicher verschwinden
undisknssRVHsBkbMVkkdseglndRkgdiddnriv
Das Wort hat der Abgeordnete Werner Hoyer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Kollege Volmer, das waren eben schon fast ver-öhnliche Worte in Richtung Polen.
Das hat in den letzten Tagen aus der Richtung derundesregierung und der Koalition teilweise anders ge-lungen. Ich finde es gut, dass man hier nicht nur sensi-ler an das Thema herangeht, sondern dass man auch dieöglichkeiten offen auslotet, die vielleicht in diesemorschlag stecken können. Denn dieser Vorschlagönnte möglicherweise den Weg zurück zu einer Stär-ung der Rolle der NATO weisen, deren Bild, Herr Bun-esverteidigungsminister, in der Realität nicht ganz sochön aussieht, wie Sie es eben gemalt haben. Das warine wirklich tolle NATO-Rede, aber die Realität der ge-enwärtigen NATO sieht ein bisschen anders aus.Jedenfalls ist die FDP-Fraktion ausgesprochen glück-ich darüber, dass wir nun über die Aufnahme von siebeneuen Mitgliedern aus Mittel- und Osteuropa entschei-en können. Wir sind auch der Auffassung, dass wir dasatifikationsverfahren schnell über die Bühne bringenönnen. Das wäre ein gutes Signal.Es muss auch wieder das Signal von Deutschland aus-ehen, dass wir uns als Anwalt der neuen und insbeson-ere der kleinen neuen Mitgliedstaaten verstehen. Da istn der letzten Zeit einiges zu Bruch gegangen. Man hatteen Eindruck, dass Deutschland lieber Machtpolitik miten Großen betreibt, anstatt die Ausgleichsrolle wahrzu-ehmen, die Deutschland traditionell sowohl in der Eu-opäischen Union als auch in der NATO und erst rechtm Hinblick auf die Osterweiterung wahrzunehmen hat.
Es kommen nun Länder hinzu, für die die NATO nochor wenigen Jahren geradezu der propagierte Feind war.
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Dr. Werner HoyerDennoch war die NATO für viele Menschen jenseits desEisernen Vorhangs immer der offenbar unerreichbar er-scheinende Raum der Freiheit.Gemeinsam mit der bevorstehenden großen Erweite-rungsrunde der EU ist die Aufnahme der mittel- und ost-europäischen Staaten nicht nur ein historischer, sondernauch ein tektonischer Schritt, weil sich damit dramati-sche Verschiebungen innerhalb der politischen Geogra-fie Europas vollziehen. Zwei bislang getrennte TeileEuropas wachsen zusammen. Dass diese tektonischenVerschiebungen so harmonisch und jetzt fast geräuschlosüber die Bühne gehen können, verdanken wir nicht zu-letzt der Tatsache, dass es mittlerweile eine funktionie-rende vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Russlandund der Ukraine gibt. Das heißt, dass das besondere Pro-blem des Verhältnisses der früher dem sowjetischenMachtbereich zuzurechnenden neuen NATO-Mitgliederzu Russland gelöst ist. Das ist ein großer Fortschritt, dervor fünf oder acht Jahren noch nicht als selbstverständ-lich genommen werden konnte. Allen, die dazu beigetra-gen haben, gilt großer Dank.
Gleichzeitig ist die Aufnahme der neuen Mitglieder indie NATO ein entscheidender Schritt zur Stabilisierungder betroffenen Länder selber. Diese Länder haben denBeitritt zur NATO nicht geschenkt bekommen. Siemussten sich in erheblichem Umfang darum bemühen,die Voraussetzungen für eine NATO-Mitgliedschaft zuerfüllen. Sie hatten mit der Aufnahme in die NATO einZiel vor Augen, das es ihnen erleichtert, wenn nicht so-gar erst ermöglicht hat, viele dieser manchmal schmerz-haften Reformschritte zu unternehmen.Es war der amerikanische Sicherheitsschirm, der ge-wünscht wurde und der deswegen auch die Prioritätenbestimmt hat. Wie können wir es den Beitrittsländern ei-gentlich übel nehmen, dass sie bei der Abwägung zwi-schen EU und NATO diese Priorität gesetzt haben? Nachden Erfahrungen im größten Teil des letzten Jahrhun-derts musste für die neuen NATO-Länder die Frage imVordergrund stehen: Wie können wir verhindern, jemalswieder in eine solche Abhängigkeit wie zuvor zu gera-ten? Da war der Blick auf den Hühnerhaufen, den dieEuropäische Union bisweilen abgegeben hat, nicht unbe-dingt ermutigend im Vergleich zu dem, was die NATOan solider Sicherheit zu bieten hat.
Auch deswegen bin ich der Auffassung, dass wir aufdie Polen offen zugehen sollten und nicht die Debatteführen sollten, ob eine mögliche Annahme des polni-schen Vorschlages uns in die Situation führt, dass wirnachträglich etwas legitimieren, was wir damals nichtfür richtig gehalten haben.Wer sich zu lange mit der Debatte über die Legitimitätfrüherer Entscheidungen aufhält, könnte möglicherweisedie Zukunftsgestaltung verschlafen. Das hielte ich für ei-nen großen Fehler.dcnssälzutvncUcWddsmldwugvswdDwdNwDtgz–fGüzStw
Es ist höchste Zeit, dass Gräben zugeschüttet werden,ie nicht zuletzt durch den Brief der acht Regierungs-hefs und durch die einseitigen Entscheidungen einzel-er Regierungen innerhalb der EU und der NATO – ein-chließlich der Bundesregierung – aufgerissen wordenind. Ich fürchte aber, dass wir demnächst wieder in einehnliche Situation geraten werden, wenn es nicht ge-ingt, strittige Fragen auf europäischer Ebene rechtzeitigu klären. Das Gelingen dieser Aufgabe hat weniger mitnserem Verhältnis zu den USA als mit Europa selbst zuun.Nur wenn die Menschen in Mittel- und Osteuropa da-on überzeugt sind, dass die Europäische Union nichtur ein Garant für Wohlstand ist, sondern auch für Si-herheit, werden sie die Europäische Union in vollemmfang als politische Union annehmen und sich in Si-herheitsfragen im Zweifel nicht nur Hilfe heischend anashington wenden, sondern vielleicht auch an Brüsselenken.Eines ist klar: Die NATO ist heute leider nicht mehrer Bezugsrahmen, in dem die Abstimmung und Um-etzung transatlantischer Sicherheitsinteressen auto-atisch stattfindet. Die Ursachen dafür liegen bei Feh-ern auf beiden Seiten des Atlantiks. Sie liegen darin,ass in der NATO in den vergangenen Jahren versäumtorden ist, eine gemeinsame Strategiedebatte zu führennd unsere Sicherheitsinteressen und deren Umsetzungemeinsam zu definieren.Fakt bleibt, dass die Vereinigten Staaten als einzigerbliebene Supermacht heute nicht mehr auf die NATO,ondern auf einzelne NATO-Verbündete zurückgreifen,enn sie nach Partnern für die Definition und vor allemie Umsetzung von Sicherheitsinteressen suchen.
abei spielen die neuen NATO-Staaten bisweilen eineichtigere Rolle als manche der alten, aber den entschei-enden Handlungsrahmen bildet eben nicht mehr dieATO selbst. Wir haben ein nachhaltiges Interesse, dasieder zu ändern.
enn so unproblematisch das aus Sicht der Beitrittsstaa-en erscheinen mag, so stellt es für die bisherigen Mit-liedstaaten der NATO ein großes Problem dar, undwar aus zwei Gründen.Erstens ist es ausgesprochen unbefriedigend, wenn wie nach dem 11. September 2001 – erst der Bündnis-all festgestellt wird – übrigens zum ersten Mal in dereschichte der NATO –, aber anschließend der NATOberhaupt keine Rolle mehr zugewiesen wird.Zweitens ist es sehr wichtig, den Beitrittsländern jetztu verdeutlichen, dass auch die EU eine immer stärkereicherheitsdimension entwickelt, die nicht als Alterna-ive oder gar Konkurrenz zur NATO wahrgenommenird, sondern als Vorhaben, mit dem wir als Europäer
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Dr. Werner Hoyergemeinsam den europäischen Pfeiler der NATO stärkenwollen.Nur wenn wir die neuen EU- und NATO-Mitgliederdavon überzeugen, dass diese europäische Sicherheitsdi-mension einen wirklichen Mehrwert bringt, werden wirmit diesem Projekt Erfolg haben. Es ist aber sicherlichnicht hilfreich, mit dem Zeigefinger auf die neuen Mit-gliedstaaten der NATO in Mittel- und Osteuropa zu zei-gen. Nach Jahren der sowjetischen Dominanz reagierendiese Länder ausgesprochen sensibel auf jeglichen An-schein einer Bevormundung durch andere.
– Nein, die Bundesregierung hat sich durch die Aufgabeihrer Mittlerfunktion zwischen den Vereinigten Staatenund Frankreich und zwischen den großen und den klei-nen Staaten unglücklicherweise in die Situation ge-bracht, dass sie mit in die Haftung genommen wird fürdas, was zum Beispiel der französische Staatspräsidentdurch seine rhetorischen Fehlleistungen gegenüber denmittel- und osteuropäischen Staaten zuwege gebrachthat.
Meine Damen und Herren, wir haben eine riesigeChance, die wir nutzen sollten. Wir sollten unsere mittel-und osteuropäischen Partner in der NATO und dem-nächst auch in der Europäischen Union von Herzen will-kommen heißen.
Jetzt spricht der Herr Außenminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dietransatlantischen Beziehungen sind ein Eckpfeiler fürFrieden und Stabilität in der Welt des 21. Jahrhunderts,und zwar nicht nur für die globale Sicherheit, sondernauch für die regionale Sicherheit. Wir würden, wenn diePräsenz der USA in Europa nicht mehr gegeben wäre,sofort feststellen, dass dies vor allen Dingen unser Landbetrifft. Das gilt aber auch für viele andere Regionen. Obes um Konflikte in Süd- und Ostasien, um den Konfliktzwischen Indien und Pakistan, um Konflikte in Afrikaoder um die Zukunft des Nahen Ostens und insbesondereum die Friedensperspektive im israelisch-arabischenKonflikt geht, all dies ist ohne die Macht der USA nichtzu lösen. Deswegen führt – das ist von entscheidenderBedeutung, wie auch die heutige Debatte deutlichmacht – kein Weg an einer Neudefinition der Bezie-hungen zu den USA, die die wichtigsten sind, die wiraußerhalb Europas haben, auf der Grundlage dieserBasiserkenntnis vorbei – das gilt nicht nur für Deutsch-land, sondern auch für alle anderen europäischen Län-der, ob große oder kleine, ob Frankreich, Großbritannienoder Polen. Wir müssen auf dieser Grundlage eine realis-tische Bestandsaufnahme vornehmen.gEzbbbdrdndRtrgdatKszFBDzrBAujdWmPtpdeszkkrnhaa–ah
Ich finde das Bild des Pfeilers sehr gut. Was ist dieufgabe eines Pfeilers? Ein Pfeiler lenkt den Druck abnd stabilisiert damit die tragenden Teile einer Brücke,a er ermöglicht erst das Überbrücken. Das heißt aber,ass ein Pfeiler ein solides Fundament haben muss.enn wir vom europäischen Pfeiler sprechen, dannüssen wir uns also fragen, ob heute tatsächlich diefeilerfähigkeit gegeben ist. Das ist eine Frage der mili-ärischen Fähigkeiten, der Handlungsfähigkeit der euro-äischen Institutionen und der europäischen Willensbil-ung. Bei all diesen drei Elementen gibt esntscheidende europäische Defizite, egal wo man hin-chaut. Solange diese Defizite existieren, können wirwar die Pfeilerfähigkeit reklamieren, aber wir werdeneinen belastbaren europäischen Pfeiler haben. Damitomme ich zu meiner Grundthese. Ein schwaches Eu-opa, das die Pfeilerfähigkeit unter den neuen internatio-alen Bedingungen des 21. Jahrhunderts faktisch nichtat, wird die transatlantischen Beziehungen meines Er-chtens eher belasten – um nicht zu sagen: gefährden –ls ein starkes Europa.
Hören Sie auf! Das ist überhaupt keine Oppositions-nalyse. Wenn ich Herrn Pflüger richtig verstandenabe, dann hat er das Gegenteil gesagt.
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Bundesminister Joseph FischerDie Position der Bundesregierung ist immer gewesen– das ist die erste Priorität –: Wir wollen einen europäi-schen Pfeiler innerhalb der NATO. Dann – so konse-quent muss man sein – stellt sich auch die Frage nach ei-nem europäischen Element in der NATO. Bisher galt dasTabu: Es darf in der NATO keinen europäischen Caucus,also keine europäische Gruppenbildung geben.
Über diese Frage müssen wir – das tun wir bereits – mitunseren amerikanischen Partnern ernsthaft diskutieren;denn sonst wird über die Frage der europäischen Pfeiler-bildung mehr und mehr außerhalb Europas diskutiertwerden. Das hat zumindest die Diskussion in der Euro-päischen Union klar gemacht. Die Erfahrungen bei demGymnich-Treffen und dem Treffen in Griechenland, ge-nauer: auf Rhodos, wo die 25 Mitgliedstaaten der erwei-terten Europäischen Union erstmals zusammengekom-men sind, waren hervorragend. Ich war zunächst eherskeptisch, ob eine so große Runde in der Praxis arbeits-fähig ist. Ich kann Ihnen an diesem Punkt berichten: Eslief hervorragend. Auch was die Substanz der Diskus-sion angeht, war es eine sehr wohltuende Erfahrung.Das alles macht doch klar, dass es keinen Gegensatzzwischen der Stärkung des europäischen Pfeilers, derStärkung der europäischen Integration und der transat-lantischen Beziehungen und ihrer Neugestaltung gibt.
– Ach, nein. Was Sie zum Beispiel über die Viererinitia-tive gesagt haben, teile ich nicht. Verhofstadt hat bereitsvor einem Jahr einen Brief geschrieben, der in dieseRichtung ging. Der Europäische Konvent arbeitet jetztund genau darauf zielte diese Initiative. Ganz entschei-dend sind natürlich nicht nur die gemeinsame Außenpo-litik und ihre institutionelle Umsetzung, sondern auchder Ausbau der entsprechenden Fähigkeiten. Dieser Gip-fel hat der Diskussion einen Stoß in die richtige Rich-tung gegeben.
Von dem, was Sie, Herr Kollege Pflüger, hier dargestellthaben, habe zumindest ich in den europäischen Gremien– ich war sowohl im Rat als auch beim Gymnich-Treffen –nichts gehört.Wenn wir eine positive Entwicklung der Beziehun-gen der Mitgliedstaaten der Europäischen Unionwollen, dann müssen wir die Fähigkeiten stärken, dieuns Europäer in die Lage versetzen, in Zukunft – andersals auf dem Balkan in den 90er-Jahren – alle internen eu-ropäischen Sicherheitsprobleme selbst zu lösen. Das istvon entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus müssenwir in unserem strategischen Umfeld dazu beitragenkönnen, dass Sicherheit und Stabilität langfristig ge-schaffen werden können. Unsere Erfahrungen mit denlangfristigen Stabilisierungsbemühungen in Afghanis-tan, aber auch auf dem Balkan werden dazu wesentlichbeitragen. Außerdem müssen wir die Fähigkeiten entwi-cwlsSladeggksÜswufmgeßIlFWZFldptmgkhckVknW
ber das, was ich angesprochen habe, werden wir ver-tärkt diskutieren müssen.Die Erweiterung der Europäischen Union und die Er-eiterung der NATO werden Europa mehr Sicherheitnd mehr Stabilität bringen. Man wird mehr Verständnisüreinander aufbringen und mehr aufeinander zugehenüssen. Bis der Prozess der notwendigen äußeren Inte-ration tatsächlich zu einem größeren Verständnis unter-inander geführt hat, wird einige Zeit vergehen. Das grö-er gewordene Europa muss den politischen Willen, dienstitutionen und die Fähigkeiten haben, die zur transat-antischen Partnerschaft gehören. Das ist nicht nur fürrieden und Stabilität in Europa, sondern auch in derelt von entscheidender Bedeutung.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Karl Lamers.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einereitung stand etwas Bemerkenswertes: „Struck auf US-riedenstour“. Wer den entsprechenden Artikel genauas, der spürte: Es geht nicht um Frieden, sondern darum,ass ein Bundesminister nach Amerika reist, um außen-olitisches Porzellan, das von Ihnen, Herr Außenminis-er, und vom Bundeskanzler zerschlagen wurde, zusam-enzukehren. So weit sind wir in diesem Landekommen. Glückwunsch!
Es ist in der Tat bezeichnend, wie viel Aufmerksam-eit ein normaler Arbeitsbesuch in der Bundesrepublikeute erregt. Herr Außenminister, auch Ihr schönstes Lä-heln und auch die schönsten staatsmännischen Redenönnen nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass daserhältnis zwischen US-Präsident Bush und Bundes-anzler Schröder irreparabel zerstört ist. Das wird Ih-en in Washington überall bestätigt.Es ist ja in Ordnung, dass der Bundeskanzler inladimir Putin einen neuen Freund gefunden hat und
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Dr. Karl A. Lamers
sich mit ihm in Moskau und Sankt Petersburg an russi-schen Kaminen wärmt.
Aber klug wäre es, Herr Erler, sich nicht die Freund-schaft seines bisher verlässlichsten Partners zu verscher-zen, der USA, eines Landes, das bisher stets Garant un-serer Sicherheit gewesen ist. Setzen Sie, Herr Minister,dies nicht aufs Spiel!
Zu guter Politik gehört auch handwerkliches Können,gehört Sensibilität, gehört Fingerspitzengefühl – wennSie verstehen, was ich meine.
All das spreche ich dieser Bundesregierung in hohemMaße ab. Selbst wenn Sie dann einmal etwas Richtigestun, nämlich die Außen- und Sicherheitspolitik vertiefen,erweitern und ausbauen, schaffen Sie es, die gute Sachein Misskredit zu bringen. Ich denke an den Vierergipfelin Brüssel – ohne Großbritannien, ohne die Niederlande,ohne andere.Wer sich in diesen Tagen mit den Kolleginnen undKollegen der Parlamentarischen Versammlung derNATO unterhält, zum Beispiel mit meinem FreundMarkus Meckel, der erfährt, dass viele irritiert sind, dassviele misstrauisch sind: die Briten, die Amerikaner, dieItaliener, die Spanier. Herr Minister Fischer, da ist auchvon Ihrer Seite Vertrauen, das Grundkapital eines jedenBündnisses, zerstört worden. Damit muss Schluss sein.Vor allem muss jetzt wieder Verlässlichkeit bewiesenwerden.
Die französische Verteidigungsministerin hat in die-sen Tagen in Berlin mehr Dialog zwischen den Europä-ern gefordert. Ich sage: Recht hat sie. Wir brauchen nichteine Einladung an vier nach Brüssel, sondern an alle 15, umdie europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitikaufzubauen. Was wir vor allem brauchen, sind ein Neu-beginn und die Wiederaufnahme eines vertrauensvollenDialogs mit Amerika. Dies ist der Schlüssel zu einer gu-ten Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinig-ten Staaten.Zu erwähnen ist gerade auch das, was CondoleezzaRice, die Sie, Herr Minister Struck, am Montag getroffenhaben, gesagt hat. Sie hat scharfe Kritik an Deutschlandund Frankreich geübt, weil beide Länder – so wörtlich –während der Irakkrise die NATO als Geisel genommenhaben.
Ich finde es nicht tröstlich, Herr Minister Fischer, dasssie dann noch hinzugefügt hat, Frankreich und Deutsch-land blieben aber doch Verbündete. Wir waren einmalFreunde. Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.DeMhddaüWEvBtiZwsznWshLusjcddnUImoGsvslimwsms
iese Aussage spricht noch nicht dafür, dass Tauwetteringesetzt hat. Wir brauchen wieder ein vertrauensvollesiteinander.Wir stehen vor der zweiten Erweiterungsrunde. Wiraben die Öffnung der NATO immer gewollt. Wer sichie Landkarte Europas anschaut, der sieht, wie entschei-end sie sich verändert hat. Insbesondere sieht man dasm Beitritt der baltischen Staaten, von Ländern also, dieber Jahrzehnte von der Sowjetunion einverleibt waren.ir heißen alle Beitrittsländer herzlich willkommen. Dierweiterung erhöht die Stabilität in ganz Europa. Sieerbessert die Fähigkeit der gesamten Allianz, neuenedrohungen zu begegnen. Die Öffnung der NATO rich-et sich gegen niemanden. Partnership for Peace ist auchn Zukunft der Weg in die NATO. Die Tür bleibt auch inukunft offen.In fünf Jahren zehn neue Mitglieder – das zeigt uns,elch weiten Weg die Reformstaaten bei den politi-chen, wirtschaftlichen und militärischen Reformen hinu Demokratie zurückgelegt haben. Sie sind heute nichtur Kooperationspartner; sie sind echte Bündnispartner.o früher Gegner standen, stehen heute Freunde, dieich gegenseitig helfen und unterstützen. Diese Länderaben ihre Chance genutzt. Die Menschen in diesenändern wollen Demokratie. Sie wollen Marktwirtschaftnd echten Frieden. Eines muss uns aber immer klarein: Diese Länder spüren auch – Herr Minister Fischer,etzt spreche ich gerade Sie an –, wo letztlich ihre Si-herheit liegt, wer ihnen Sicherheit gibt: Amerika undie NATO. Wenn sich diese Länder wie Polen und an-ere in der Irakfrage hinter die USA stellen, dann ist esicht zu akzeptieren, dass sie seitens der Europäischennion dafür abgestraft oder gar gemaßregelt werden.
ch fordere weniger Arroganz und mehr Bescheidenheit,ehr Achtung diesen Ländern gegenüber.
EU und NATO sind für diese Länder kein Entweder-der.
erade vor dem Hintergrund ihrer leidvollen Geschichteind wir gut beraten, ihnen deutlich zu machen, dass sieollwertige und gleichberechtigte Mitglieder beider Zu-ammenschlüsse sind oder werden. Da gibt es Befind-chkeiten und Empfindlichkeiten, auf die wir achtenüssen.Eine persönliche Erfahrung: Markus Meckel und icharen vor wenigen Tagen in Georgien. Gerade in einemolchen Land mit großen inneren und äußeren Proble-en, das von der Geschichte nun wahrlich nicht verhät-chelt wurde, spürt man, wie die Menschen in die NATO
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Dr. Karl A. Lamers
streben. Das zeigt uns, wie ungebrochen die Attraktivitätdieses Bündnisses als Garant für Frieden und Stabilitätist. Auch das Beispiel Balkan zeigt doch: Nicht die UN-Schutztruppe konnte den Krieg stoppen, nein, es war dieNATO, die die blutigen Kämpfe, das Morden und andereVerbrechen beendet hat. Erst die NATO hat den Wieder-aufbau der zerstörten Landschaften ermöglicht.
Meine Damen und Herren, die Bedrohungen der heu-tigen Zeit sind andere und gravierendere, als sie noch1989/1990 bestanden. Ich denke an die Bedrohung durchden internationalen Terrorismus und durch Massenver-nichtungswaffen, an die Destabilisierung durch zusam-menbrechende Staaten. Gerade dieses Ausmaß der Be-drohung zeigt uns, dass Europa und Deutschland heuteallein überhaupt keine Chance haben, sondern dass wirdiese Bedrohungen nur Seite an Seite mit den Freundenin Amerika bewältigen können. Das ist gerade auch amheutigen Tag eine wichtige Grundaussage.
Das Bündnis braucht eine gemeinsame Bedrohungs-analyse. Wir müssen uns darüber einig werden, mit wel-chen militärischen Strukturen und Fähigkeiten wir unsereBürger schützen wollen. Die französische Verteidigungs-ministerin spricht von echter Partnerschaft. Herr Minis-ter Fischer, echte Partnerschaft mit Amerika kann nichtdadurch verwirklicht werden, dass man nur Reden hältund große Beschlüsse verabschiedet, sondern nur da-durch, dass man endlich etwas tut. Die Amerikaner sindes nämlich leid, Ihre Bekundungen bezüglich Gemein-samkeiten und einem konstruktiven Miteinander entge-genzunehmen. Sie wollen endlich sehen, was Sie kon-kret leisten, investieren und zur Verfügung stellen.Es reicht vor diesem Hintergrund eben auch nicht aus,wenn der Herr Bundesminister Struck immer wieder im-mer mehr Geld für die Bundeswehr fordert – da hat erunsere volle Unterstützung –, der Bundeskanzler ihmaber sagt, dass er vielleicht ab 2006 damit rechnenkönne. Das ist ein Jahr, in dem er hoffentlich gar nichtmehr an der Regierung ist.
Er sollte lieber etwas tun, solange er es noch machenkann.
Also Schluss mit Absichtserklärungen! Jetzt muss inves-tiert werden, um glaubwürdig zu sein.Bevor Sie auf irgendwelchen Gipfeln neue Be-schlüsse fassen, tun Sie doch erst einmal das, wozu Siesich bereits verpflichtet haben, zum Beispiel die Anfor-derungen des European Headline Goal erfüllen und denVerpflichtungen vom NATO-Gipfel 1999 und denen vonPrag aus dem Jahr 2002 nachkommen. Da ist noch vielzu tun. Reden Sie nicht, handeln Sie! So lautet meineForderung.ISSntsSinstrSnNSmkSLgÜaaimkngnßfJWdda
ch fordere Sie auf: Machen Sie Schluss mit den reinenonntagsreden, Herr Minister! Stellen Sie vielmehr mitchritten der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens dieordatlantische Solidarität wieder her! Das ist das Wich-igste.Statt an Achsenbildungen mitzuwirken,
ollte die Bundesregierung lieber an unserer besonderenicherheitspartnerschaft mit den USA festhalten und das Fundament der brüchig gewordenen transatlanti-chen Brücke wieder neuen Zement in Form von Ver-auen und Verlässlichkeit gießen. Darauf kommt es an.
Wir, CDU und CSU, sind selbstverständlich für dietärkung des europäischen Pfeilers der NATO, abericht auf Kosten der atlantischen Bündnissolidarität.ATO und EU dürfen nicht zu Konkurrenten in Sachenicherheit in Europa und in der Welt werden. Nur ge-einsam haben wir die Chance, die Aufgaben der Zu-unft zu lösen.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ieber Kollege Lamers, eines kann man ganz sicher sa-en: Ihr letzter Satz stimmt.
ber vieles andere müssen wir diskutieren; das will ichber nicht hier an dieser Stelle machen. Ich will vielmehruf den langen Diskussionsprozess innerhalb der NATOn den letzten zwölf Jahren eingehen.Wir sind heute an einem wichtigen Punkt angekom-en. Noch vor zwei Jahren wäre das so einfach und solar nicht gewesen. Man könnte einmal die verschiede-en damaligen Positionen auch in den Reihen der heuti-en Opposition über das, was damals für möglich undicht für möglich gehalten wurde, darstellen.Ich denke, es ist ein großer Erfolg, dass jetzt eine grö-ere Zahl von Staaten mit der NATO Verhandlungen ge-ührt hat, als es vor zwei Jahren Konsens war. Vor zweiahren war es Konsens, nur zwei Staaten aufzunehmen.ir haben es geschafft, dass jetzt sieben Staaten Mitglie-er werden. Dies ist ein großer Erfolg. Ich freue mich,ass einige Kollegen, Herr Panajotov und Herr Iltschevus Bulgarien, die oft mit Bangen verfolgt haben, was
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3688 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Markus Meckelwir in der NATO miteinander diskutieren, dieser Debattebeiwohnen.
Diese Diskussion war nicht einfach. Wir müssen unsdarüber klar sein, dass wir auch vor der Frage stehen – da-mit komme ich auf das Verhältnis von NATO und EU zu-rück –: Wie soll es weitergehen? Eben ist die Frage deroffenen Tür, künftiger Erweiterungen und mannigfalti-ger Wünsche angesprochen worden. Es sind noch fünfStaaten in der Mitte Europas, die eine Integrationsper-spektive haben wollen: Kroatien, Bosnien und Herzego-wina, Serbien und Montenegro, Mazedonien und Alba-nien.Wir sollten ein Interesse daran haben, dass die Mit-gliedschaft in der EU und in der NATO möglichst kon-gruent ist. Das mag nicht für jeden gelten; aber dieseKongruenz sollte uns, soweit sie möglich ist, bei der Per-spektive auf eine neue Mitgliedschaft ausgesprochenwichtig sein.
Wir werden in Zukunft eine intensive Diskussion überdie Frage miteinander führen müssen: In welchen Fällenwollen wir Staaten eine Mitgliedsperspektive geben undin welchen Fällen wollen wir unsere Nachbarschaftsver-hältnisse so gestalten, wie es im Verhältnis zu Russlandund zur Ukraine geschieht?Hier ist schon der Wunsch etwa Georgiens angespro-chen worden, Mitglied zu werden. Wir alle sollten die-sen Wunsch in dem Sinne akzeptieren, dass die Länderdamit ihre innere Perspektive, die politische Entwick-lung stabil halten wollen, dass sie ihre Westbindungdeutlich machen wollen, dass sie Sicherheit suchen, dieauch durch die Integrationsperspektive und die Koopera-tion mit dem Westen besteht. Ob dies unmittelbar in eineMitgliedsperspektive mündet, darüber werden wir mit-einander diskutieren müssen. Ich denke, dass wir jeden-falls die Kooperation in jedem Sinne verstärken unddeutlich machen sollten, dass wir unsere zukünftigenEU-Nachbarn im Blick haben und die Integration ent-sprechend weiter ausbauen wollen.Die NATO hat sich deutlich gewandelt. Manchmalhat man den Eindruck, dass Kandidaten, die ihren Mit-gliedswunsch äußern, vielleicht sogar Kandidaten, diejetzt Mitglied werden, in eine NATO wollen, wie sie vorzehn Jahren war, die also in erster Linie Schutz bedeutet.Diese Länder müssen erst einmal lernen, was es eigent-lich heißt, sowohl in der NATO als auch in der Europäi-schen Union ein globaler Akteur zu werden. Heute kannman nicht mehr von einer bestimmten Konstellation vonGefolgschaften, der EU oder der Amerikaner, reden. Da-für ist die NATO oft das Signum; da brauchen wir unsnichts vorzumachen. Wir müssen sehen, inwieweit wirselber partnerschaftsfähig sind. Da liegt unsere zentraleAufgabe. In diese Richtung werden unsere Bemühungenin Zukunft gehen müssen.
Der Bundesaußenminister hat schon deutlich ausge-sprochen, dass die europäischen Bemühungen um einesmSgdtrCntfednVtddNmSSnhgnelnmdFwkdENgsdbuherPRw
enn die Vereinigten Staaten – und nicht die Türkei – ha-en eine Verbindung zwischen dem Schutz der Türkeind eine Entsendung von amerikanischen Truppen dort-in hergestellt. Damit wurde die Kriegsvorbereitung zuinem Thema für die NATO. Dieser Instrumentalisie-ung haben sich einige Staaten entgegengestellt. Diesenunkt, auf den man genau schauen muss, sollte man Frauice sehr deutlich machen.In der Parlamentarischen Versammlung der NATOurde klar – das ist schon mehrfach angesprochen wor-
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Markus Meckelden, Herr Kollege Lamers –, dass viele Fragen von den-jenigen Staaten, die den Krieg für schwierig, problema-tisch und nicht gerechtfertigt gehalten haben, auf einbreites Interesse gestoßen sind. In vielen Gesprächen – so-wohl am Rande als auch in den Plenarsitzungen – ist un-sere Position akzeptiert worden, nicht zuletzt von briti-schen Abgeordneten und Abgeordneten anderer Länder,die sich am Irakkrieg beteiligt haben.Das Ziel der neuen Mitgliedstaaten ist – das ist völligklar –, sich nicht von Amerika abkoppeln zu lassen. Eswird mit Recht gefordert, dass wir beispielsweise dieBindungen Polens zu Amerika akzeptieren müssen unddass wir sensibel damit umgehen sollten. Diese Forde-rung bedeutet keine Kritik an der Position der Bundesre-gierung, sondern eine Akzeptanz ihrer Politik in der Ver-gangenheit.
Ich denke, das wird auch das heutige Treffen in Breslauzeigen.Wir müssen deutlich machen, dass auch Polens Rolleim Hinblick auf die Gestaltung Europas anerkannt wird.Angesichts der Tatsache, dass Polen das Weimarer Drei-eck stärken will, muss man sich natürlich fragen, wasdas bezüglich der Beziehungen zu den Vereinigten Staa-ten von Amerika bedeutet. Manchmal hat man den Ein-druck, dass darüber noch keine große Klarheit besteht.Wir sollten das den Polen nicht vorwerfen, sondern mitihnen ein klärendes Gespräch suchen.Die zentrale Frage ist, wie wir als Europäer das fort-setzen, was in Brüssel am 23. April beschlossen wordenist. Wir werden beim nächsten Gipfel im Juni sehen,dass sich nicht nur vier Staaten, sondern mehrere Staatenan dieser Pressure Group beteiligen, die die europäischeIntegration aus sicherheitspolitischen Gründen voran-bringen wollen. Auch die andernen EU-Partner werdendieses Vorgehen irgendwann unterstützen; das ist garkeine Frage. Wir sollten versuchen, diese Politik zu stär-ken, und wir sollten deutlich machen, dass die Sicherheitin der Welt größer wird, wenn Europa stark und damitauch das transatlantische Verhältnis gestärkt wird.Ich danke Ihnen.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Klaus Rose für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Unabhängig von der notwendigen politischen Aus-einandersetzung über das Thema NATO besteht heute,so glaube ich, eine gemeinsame Freude. Es liegt uns derEntwurf eines Gesetzes über den Beitritt von neuen Staa-ten vor; ich werde es im Weiteren noch genauer begrün-ddbzBmBhdnkRmadsaMdgsmbmudsdVgdddAhPNBsfkzUbBk
Der Gesetzentwurf, über den wir heute in erster Lesungeraten, besteht – auch das soll erwähnt werden – aus nurwei kurzen Artikeln. Wo sonst gibt es das?Aber es geht um den Inhalt, um die Denkschrift derundesregierung zu den Beitrittsprotokollen. Darausöchte ich zitieren; denn solche Worte hört man von derundesregierung leider sonst nicht sehr häufig. Dorteißt es, dass die Öffnung der NATO für neue Mitglie-er, insbesondere die Aufnahme der genannten siebeneuen Mitglieder, einen wesentlichen Beitrag zur Stär-ung von Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischenaum leisten wird. Außerdem heißt es:Als Land in der Mitte Europas wird Deutschland inbesonderer Weise davon profitieren.Das ist inzwischen eine Binsenweisheit, eine allge-eine Erkenntnis. Aber es gab Jahre, in denen das völlignders ausgedrückt wurde. Darum sollte man nochmalsarauf hinweisen.Ich sehe es genauso und sah es Mitte der 90er-Jahreo, als ich als damaliger Vorsitzender des Verteidigungs-usschusses die Öffnung der NATO mitbegleiten durfte.an möge mir die heutige Genugtuung verzeihen; aberamals gab es nicht bloß aus Moskau, sondern auch ausroßen Teilen der damaligen Opposition Sperrfeuer. Beio manchen Delegationsreisen und ernsten Gesprächenit Parlamentariern aus Ländern des ehemaligen Ost-locks, die zu Besuchen in Bonn weilten, mussten wirühsam Vertrauen schaffen, Argumente austauschennd vertrauensbildende Maßnahmen durchführen, umie beitrittswilligen Länder davon zu überzeugen, dassie in der NATO gut aufgehoben und zu Hause sind.Ich möchte das auch deshalb sagen, weil wir nicht nurarüber diskutieren sollten, was die Bundesregierung tut.ielmehr hat auch der Deutsche Bundestag einen wichti-en Beitrag zum euro-atlantischen Prozess geleistet. Dieamaligen Mitglieder des Verteidigungsausschusses,arunter der heutige Staatssekretär Walter Kolbow voner SPD oder Paul Breuer, können das alles bestätigen.uch heute sind einige Kollegen anwesend, die damalsart mitgearbeitet haben.Mir hat zum Beispiel 1995 US-Verteidigungsministererry bei einem Gespräch im Pentagon gesagt, dieATO sei kein Klub, zu dessen Eintritt man einfach einillet kaufen könne. Die mögliche NATO-Erweiterung,o hat er gesagt, sei vielmehr als ein Reifeprozess aufzu-assen, an dessen Ende von Fall zu Fall neue Beitritts-andidaten stünden. Das heißt, jetzt können wir das Reife-eugnis für zusätzliche sieben Partnerländer unterschreiben.nd das ist gut so.Ich persönlich habe all diese sieben Länder mehrfachereist. Ich möchte ihre Namen noch einmal aufzählen:ulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowa-ei und Slowenien. Ich erinnere mich an so manche
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Dr. Klaus Roseschöne Begegnung, zum Beispiel bei einem Gebirgsjä-gerbataillon in Rumänien. Das war 1996. Dieses guteBataillon hätte schon damals die Voraussetzungen dafürgehabt, unter dem NATO-Schirm zu stehen. Deshalbhabe ich keine Sorge, dass diese Länder nicht gut in dieNATO integriert werden können.Was wird sich durch die veränderte, die vergrößerteNATO neu ergeben? Natürlich muss man die Frage derRolle der NATO immer wieder stellen. Das ist heuteschon mehrfach kritisch getan worden. Bei uns mussman natürlich die Frage stellen können, was die neuenStaaten von sich aus zur kollektiven Sicherheit beitra-gen.Aus aktuellem Anlass möchte ich als CSU-Vertreterunseren Nachbarn Polen ansprechen – eigentlich möchteich mich nicht an unseren Nachbarn Polen, sondern andie Bundesregierung wenden –: Anstatt sich verärgertdarüber zu zeigen und beleidigt darüber zu sein, dass Po-len im Irak eine größere Rolle als Deutschland spielt undPolen das deutsch-dänisch-polnische Korps ins Ge-spräch gebracht hat – das haben wir bekannterweisewährend unserer Regierungszeit gewollt und eingerich-tet; jetzt hat es eine Funktion; ich finde es eigentlichschön, dass man an diese Funktion denkt –,
sollte die Bundesregierung fair vom NATO-Partner Po-len sprechen. Ein Partner darf nicht folgenlos beschimpftwerden.
Es passt auch nicht zusammen, dass der Parlamentari-sche Staatssekretär Kolbow vor kurzem bei seinem Be-such in Breslau die engen Beziehungen gepriesen unddie Reformschritte der polnischen Streitkräfte gelobt hat,andere aus der Bundesregierung aber beleidigte Maskenaufsetzen, nur weil sich die Polen einmal trauen, ein bis-schen selbstbewusst in der modernen politischen Land-schaft aufzutreten.
Natürlich muss und wird sich die NATO erneut refor-mieren. Sie hat sich schon oft reformiert; ich will das al-les gar nicht im Einzelnen aufzählen. Sie muss vor allenDingen in der Lage sein, größere Entfernungen zu über-winden, eine größere Flexibilität zu gewinnen und Stra-tegiefragen zu lösen. Peter Struck hat ja bekanntlich so-gar gesagt, dass die NATO und damit auch dieBundeswehr notfalls Verteidigungsmaßnahmen am Hin-dukusch durchführen müssten. Die Bundesregierung hatalso immer den Veränderungen der NATO zugestimmt.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie geneigt sind, eine Zwi-
schenfrage des gerade angesprochenen Kollegen Struck
zuzulassen.
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Erstens bin ich jederzeit bereit, etwas zur Kenntnis zu
ehmen, was der Klarstellung dient. Zweitens habe ich
en Namen Struck vorher nicht erwähnt; Sie haben jetzt
ür die Bundesregierung Stellung bezogen. Allerdings
ab es andere, die etwas beleidigt reagierten. Drittens
abe ich jetzt die Chance, dem ehemaligen Vizekapitän
er Fußballmannschaft des Deutschen Bundestages – de-
en Kapitän ich war – zu sagen: So geht man partner-
chaftlich miteinander um; das war eine Steilvorlage. Ich
offe, ich habe sie richtig zurückgegeben.
Es geht also auch darum, dass wir die Rolle der
ATO immer wieder neu definieren müssen. In der er-
ähnten Denkschrift der Bundesregierung ist ja vor al-
em betont worden, dass sich die NATO nicht nur als rei-
es Verteidigungsbündnis versteht, sondern zugleich
uch als eine breit angelegte transatlantische Wertege-
einschaft. Daher meine ich, zusätzliche Partner ge-
onnen zu haben bedeutet politische Erfüllung. Gerade
uch die CSU stimmt dieser Entwicklung zu. Die neuen
artner werden noch viele Reformarbeiten leisten müs-
en. Sie müssen NATO-kompatibel werden. Sie dürfen
icht nur in Teilaspekten einen hohen Standard errei-
hen.
Ich möchte namens der CDU/CSU-Fraktion unseren
euen Partnern viel Erfolg wünschen und unsere Unter-
tützung signalisieren.
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt istie Kollegin Monika Heubaum, SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3691
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir übereinen wahrhaft historischen Vorgang: die anstehende Er-weiterung der NATO um sieben Staaten. Um die heraus-ragende Bedeutung dieses Ereignisses richtig einschät-zen zu können, erscheint mir ein kleiner Rückblickangebracht.Am 4. April 1949 schlossen zwölf Staaten Europasund Nordamerikas in Washington den Nordatlantikver-trag mit dem Ziel, sich gegenseitig Beistand bei Angrif-fen von außen zu leisten und friedliche und freundschaft-liche internationale Beziehungen zu entwickeln.Während des Kalten Krieges standen sich zwei Militär-blöcke starr und in Konfrontation gegenüber.Das Ende des Kalten Krieges im Jahre 1990 hat diepolitischen Gegebenheiten fundamental verändert. Ausehemaligen potenziellen Feinden sind Freunde und Part-ner geworden. Die NATO hat durch ihre Kooperationmit diesen Nationen zu dieser Entwicklung einen ent-scheidenden Beitrag geleistet.Der Wegfall des alten Feindbildes machte die Allianzjedoch nicht hinfällig, sondern erfüllte sie sogar mitneuem Elan. Ehemalige Ostblockstaaten wollten nunneue Mitglieder des Sicherheits- und Wertebündnisseswerden. So erfolgte im März 1999 der Beitritt der dreiMitgliedstaaten Polen, Ungarn und Tschechische Repub-lik, was aus euro-atlantischer Sicht der Stabilitäts- undWertegemeinschaft einen enormen Zuwachs an Festig-keit und Sicherung gebracht hat.Schon zu dieser Zeit stand fest, dass die Tür für wei-tere Mitgliedstaaten offen bleiben muss. Damalige Be-fürchtungen über auftretende Probleme wie beispiels-weise verstärkte Spannungen mit Russland haben sichals irreal erwiesen. Im Gegenteil: Parallel zur Öffnungder NATO für neue Mitgliedstaaten haben wir in denvergangenen Jahren schrittweise die Kooperation gerademit Russland vorangetrieben. Insbesondere die Intensi-vierung der Beziehungen zwischen der NATO und Russ-land ist ein wichtiger Faktor für Sicherheit und Stabilitätim euro-atlantischen Raum geworden.Das hat zu großer Akzeptanz auch in der Bevölkerungbezüglich einer NATO-Erweiterung geführt. Für den ge-wünschten Beitritt zur NATO gibt es jedoch keinen Au-tomatismus. So haben in den vergangenen drei Jahrenweitere Aspirantenstaaten erhebliche Anstrengungen un-ternommen, um Beitrittsreife zu erlangen. Dazu gehö-ren zum Beispiel die Beilegung von Konflikten, die Ein-führung demokratischer Kontrolle bei den Streitkräften,die Achtung der Menschenrechte und Strukturreformenim militärischen Bereich. Ausrüstung und Strukturenmüssen dabei an die NATO-Standards angeglichen wer-den. Daran werden natürlich auch künftige Beitrittskan-didaten gemessen werden.Schritte zu Reformen werden nicht zuletzt mithilfeder NATO im Rahmen eines „Membership Action Plan“erzielt. Der „Membership Action Plan“ unterstützt dieBeitrittskandidaten in ihren Bemühungen, er eröffnet ih-nen konkretes Feedback auf durchgeführte MaßnahmenuPaldAiDiNe2rBzsdrEkdd2srrtnznkdmbdAgtRddmmwus
Wir müssen Alternativen zu rein militärisch angeleg-en Reaktionen auf Konflikte finden. Dies ist nur in ei-em multilateralen Rahmen auf allen relevanten Ebenenu verwirklichen. Eine elementare Funktion des Bünd-isses ist es, die richtigen Erwiderungen auf neue Risi-en zu finden. Neben politischer Solidarität gehört dazuie militärische Fähigkeit zur Bekämpfung des Terroris-us, aber auch zur zivilen Notfallplanung.Die NATO ist also mehr als ein reines Verteidigungs-ündnis. Sie ist eine Wertegemeinschaft, die entschei-end für die Sicherheit und Stabilität in der Welt sorgt.ußerdem sind Frieden und Sicherheit Grundlagen füresellschaftliche und wirtschaftliche Prosperität. Sorägt die NATO zur Stärkung der Demokratie und derechtstaatlichkeit ihrer Mitgliedstaaten bei.Aber nicht alle Länder, die Mitglied der NATO wer-en wollen, konnten zum NATO-Gipfel in Prag eingela-en werden. Mit Albanien, Mazedonien und Kroatienüssen wir in intensivem Kontakt bleiben. Gemeinsamit der Bundesregierung werden wir diese Länder aucheiterhin ermutigen, ihre Anstrengungen fortzusetzen,m die Beitrittskriterien zu erfüllen.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass allein die Per-pektive, Mitglied der NATO werden zu können, einen
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3692 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Monika Heubaumentscheidenden Beitrag zur Konfliktprävention undKonfliktlösung leisten kann. Die NATO-Operationen inMazedonien haben die Handlungsfähigkeit und Wirk-samkeit der NATO im Bereich der präventiven Konflikt-bearbeitung unter Beweis gestellt. Die Aussicht auf Mit-gliedschaft aktiviert und beschleunigt den Reformkursder Kandidatenstaaten. Sie trägt sichtbar zur Stabilisie-rung der Länder, aber auch der gesamten Region bei.Eine Erweiterung der NATO bedeutet auch immerVergrößerung und Stärkung der transatlantischen Werte-gemeinschaft. Gemeinsam mit der Erweiterung der Eu-ropäischen Union ist sie daher auch in unserem Inte-resse. Die Politik der offenen Tür muss fortgesetztwerden, denn wir wollen, dass alle Menschen in Frieden,Freiheit und Sicherheit leben können. Daher begrüßt dieSPD-Fraktion diese Erweiterung ausdrücklich.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/906 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu
gibt es offenkundig keine anderweitigen Vorschläge.
Dann stelle ich mit der ausdrücklichen Ermutigung des
Kollegen Hoyer die Zustimmung des Plenums fest. Da-
mit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatz-
punkt 16 auf:
15 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
kämpfung des Missbrauchs von 0190er-/
0900er-Mehrwertdiensterufnummern
– Drucksache 15/907 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Innenausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Krogmann, Ursula Heinen, Karl-Josef
Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Den Missbrauch von Mehrwertdiensteruf-
nummern grundlegend und umfassend be-
kämpfen
– Drucksache 15/919 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine Stunde vorgesehen, die wir nicht
benötigen werden, weil die von den Fraktionen gemelde-
ten Redner Hubertus Heil, Manfred Zöllmer, Martina
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1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf den Drucksachen 15/907 und 15/919 an die in der
agesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
er Gesetzentwurf auf Drucksache 15/907 – das ist
agesordnungspunkt 15 – soll zusätzlich an den Rechts-
usschuss, die Vorlage auf Drucksache 15/919 – das ist
usatzpunkt 16 – soll zusätzlich an den Innenausschuss
nd an den Ausschuss für Kultur und Medien überwie-
en werden. – Auch dazu gibt es offensichtlich keine an-
erweitigen Vorschläge. Ich vermute, dass mich der Kol-
ege Hoyer jetzt ermutigen möchte, die Zustimmung des
lenums zu den Überweisungsvorschlägen herzustellen,
as hiermit mangels Widerspruchs bereits erfolgt ist.
Damit komme ich zu Tagesordnungspunkt 16:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina
Reiche, Helmut Heiderich, Dr. Maria Böhmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrate-
gie für den Forschungs- und Wirtschaftsstand-
ort Deutschland
– Drucksache 15/423 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
iese Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. –
uch dazu höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
ie Kollegin Katherina Reiche für die CDU/CSU-Frak-
ion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen! Die Bedeutung dessen, was sich gegenwärtiguf dem Gebiet der Bio- und Gentechnik abspielt, istaum zu überschätzen. Eine Revolution ist im Gange,ie unser aller Leben tiefer und stärker verändern wirdls die industrielle und die informationelle Revolution. Anlage 2
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3693
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Katherina ReicheDenn die Erkenntnisse der modernen Biologie und ihreAnwendung beeinflussen unser Selbstverständnis alsMenschen viel unmittelbarer als andere Naturwissen-schaften. Kaum ein Lebensbereich wird davon unbeein-flusst bleiben.In Barcelona haben die EU-Regierungschefs im letz-ten Jahr eine europäische Life-Science-Strategie be-schlossen, eine strategische Vision für die Biowissen-schaften und die Biotechnologie bis in das Jahr 2010.Doch was hat die Bundesregierung seitdem getan, umdiese Strategie umzusetzen? – Nichts!
Die Rahmenbedingungen für die Biotechnologie habensich stattdessen verschlechtert.
Ich möchte Sie nur an die Haushaltsberatungen in die-sem Jahr erinnern – ich weiß, das hören Sie nichtgerne –: Der Spitzenforschung wurde mit einer Kürzungvon 60 Millionen Euro der Saft abgedreht.Im globalen Wettbewerb ist Deutschland gerade aufeinen innovativen Vorsprung bei Produkten und Dienst-leistungen angewiesen. Wissen und Forschung sind dieentscheidenden Faktoren. Fakt ist: Wir investieren nur2,4 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes in For-schung und Entwicklung. Das ist definitiv zu wenig.
Der Anteil der Förderung der Biomedizin an den For-schungsmitteln beträgt in Deutschland nur 25 Prozent. Inden USA sind dies 33 Prozent, in Großbritannien34 Prozent und in Dänemark 35 Prozent.Resultat dieser Politik ist, dass Forschung und Ent-wicklung zunehmend außerhalb von Deutschland statt-finden. Gleichzeitig verlassen immer mehr junge deut-sche Wissenschaftler unser Land. Sie forschen in derSchweiz, in Großbritannien und in den USA. Allein imletzten Jahr sind 111 000 junge Wissenschaftler abge-wandert. Da der Abwanderung der Forschung und Ent-wicklung erfahrungsgemäß auch die Produktion folgt,hat dies mittel- und langfristig negative Auswirkungenauf die Innovationskraft und die Leistungsfähigkeit derdeutschen Wirtschaft. Das führt zum Beispiel dazu, dassPatienten viel später Zugang zu neuen innovativen Me-dikamenten haben.
In Kürze werden auch die aufstrebenden asiatischenLänder in den Wettbewerb eingreifen.Die Bundesregierung hat es bis heute nicht fertig ge-bracht, neue Spielräume für private Zukunftsinvestitio-nen zu schaffen.
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eben Sie den Unternehmen endlich mehr Luft zum At-en!
ir stehen in Deutschland vor einer wichtigen Entschei-ung: Entweder wir spielen in der Biotechnologie eineassive und reagierende Rolle oder wir werden wiederorreiter in diesem Bereich.Die Erfahrungen in den vergangenen Jahren habenanz deutlich gezeigt, dass die Entwicklung in der Bio-echnologie stark von den politischen Rahmenbedingun-en abhängt. Wir haben in den 90er-Jahren das Gentech-ikgesetz novelliert und haben den Bioregio-Wettbewerbnitiiert. Das war der Ausgangspunkt für einen bislang un-rreichten Gründungsboom.
er Technologietransfer aus universitären Forschungs-inrichtungen in junge Start-up-Unternehmen hat seit-em zugenommen. In der Biotechnologiebranche ist einelbstbewusstes Unternehmertum gewachsen. Auch diekzeptanz der Biotechnologie hat in der Bevölkerungugenommen.Wie sieht die Situation heute aus? Die TageszeitungDie Welt“ titelte gestern: „Deutsche Biotech-Brancheteckt in ihrer ersten schweren Krise“.Der am 7. Mai vorgelegte „Deutsche Biotechnolgie-eport 2003“ von Ernst & Young ist ein Alarmzeichenn die Adresse der Bundesregierung. Den jungen Bio-echunternehmen geht die Luft aus. Die Zahl der Be-chäftigten ging 2002 um 7 Prozent auf 13 400 zurück.er Umsatz sank um 3 Prozent. Die Zahl der Unterneh-en sank zum ersten Mal seit fünf Jahren von 365 auf60. 26 Unternehmen mussten Insolvenz anmelden. Dieusgaben für Forschung und Entwicklung wurden um1 Prozent zurückgefahren. Von einer Aufholjagd ge-enüber den Konkurrenten USA und Großbritannienann wirklich nicht mehr die Rede sein.Die Bundesregierung muss reagieren, sonst bricht unsine der Schlüsseltechnologien weg. Die Wettbewerbs-ähigkeit des Standorts muss verbessert werden, umorschungsergebnisse schneller in marktfähige Produktend Dienstleistungen umzusetzen. Wir müssen die
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3694 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Katherina ReicheZulassungsverfahren beschleunigen und die steuerlichenRahmenbedingungen verbessern.
Die Akzeptanz der Biotechnologie ist eine entschei-dende Voraussetzung. Erfreulicherweise fand in der Be-völkerung ein Stimmungswechsel statt. 44 Prozent derBürgerinnen und Bürger sind mittlerweile der Ansicht,dass der Nutzen der Bio- und Gentechnik deren Risikenüberwiegt. 1998 waren es noch 25 Prozent.
Außerdem stimmen 42 Prozent der Deutschen der Auf-fassung zu, dass die Gentechnik für Deutschland einewirtschaftliche Bedeutung hat, und 46 Prozent der Deut-schen befürworten den Einsatz der Gentechnologie zurImmunisierung von Pflanzen.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,Sie kannten diese Ergebnisse der Allensbach-Studielange vor der Bundestagswahl. Sie haben sie aus ideolo-gischen Gründen verschwiegen
und die Veröffentlichung mehr als acht Monate ver-schleppt.
Es wird Zeit, dass diese Bundesregierung ein deutlichesBekenntnis zur Biotechnologie abgibt und sich deutlichhinter die Forscher der 360 Unternehmen mit 13 400 hochqualifizierten Beschäftigten stellt.Lassen Sie gentechnisch veränderte Organismen inder Pflanzenzüchtung wieder zu!
Setzen Sie sich für eine unverzügliche Aufhebung desDe-facto-Moratoriums für alle Neuzulassungen von gen-technisch veränderten Lebensmitteln auf EU-Ebene ein!
Bei keinem einzigen der über 38 000 weltweit durchge-führten Feldversuche konnten schädliche Auswirkungenauf die Menschen, die Tiere oder die Biodiversität fest-gestellt werden.
Frau Kollegin Reiche, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Tauss?
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Hören Sie auf, mit den Ängsten der Menschen zupielen! Reine Angst war noch nie ein guter Ratgeber,umal Sie diese mit einer hypertrophen Moral verbin-en.
ngst verengt den Blick und immunisiert vor allem ge-en jede Abwägung, die auch nach dem Nutzen neuerrkenntnisse fragt. „Wer jedes Risiko ausschalten will,er zerstört auch alle Chancen“, so Hans-Olaf Henkel,er Präsident der Leibniz-Gemeinschaft.
Wenn Deutschland seine führende Rolle innerhalb deruropäischen Biotechnologie-Industrie selbstbewusstehaupten will, sind weitere Anstrengungen notwendig.etzen Sie unverzüglich die EU-Biopatentrichtliniem!
ie Unternehmen warten seit Juli 2000 auf Rechtssi-herheit. Ohne Patente finden die Unternehmen keineeber von Venture Capital und ohne Venture Capitalibt es keinen Bestand der Unternehmen.Novellieren Sie das Gentechnikgesetz, aber bitteicht so, wie Sie es jetzt gerade planen! Das würde dieiotechnologiebranche nämlich weiter schwächen. Dasst ein Gentechnikverhinderungs- oder auch Ökoland-auschutzgesetz.
chon allein, dass der ursprüngliche Zweck des Geset-es, die Bio- und Gentechnik nämlich als Chance undotenzial für den Standort Deutschland anzusehen, er-atzlos gestrichen wurde, spricht Bände, Herr Tauss.
ie ebenso überraschenden wie faszinierenden Ergeb-isse von Professor Hans Schölers Arbeit an murinenS-Zellen sind ein weiteres Indiz für das ungeheure Po-enzial dieser Technologie.
ir beginnen, den Schlüssel für das Funktionieren unse-er Innenwelt zu verstehen. Auf diese faszinierende Op-on sollten wir uns einlassen.Wichtig ist ein Klima, in dem neue Ideen und Innova-ionen entstehen können. Schule und Ausbildung können
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Katherina Reichehier einen großen Beitrag leisten. Wir müssen die Neu-gierde der Schülerinnen und Schüler auf Mathematikund Naturwissenschaft weiter fördern.
Vielleicht ist ein naturwissenschaftlich interessierterAbiturient schon der selbstständige Life-Science-Unter-nehmer von morgen.Der fruchtbare Transfer, der im 19. und in der erstenHälfte des 20. Jahrhunderts im Bereich der Ingenieur-wissenschaften, der Chemie und der Physik zwischenWissenschaft und Unternehmertun stattfand, wiederholtsich heute im Bereich der Biologie und der Pharmazie.Es wäre fahrlässig, dieses Klima, in dem die Spitzenfor-schung und der Unternehmergeist oft ein ganz neues,symbiotisches Verhältnis eingehen, im Rückgriff aufstarre Dogmen zu zerstören, während die Entwicklungum uns herum ganz rasant voranschreitet.
Die Bundesregierung ist aufgefordert zu handeln.Vielen Dank.
Herr Kollege Tauss, Sie wissen, dass ich persönlich
eine ganz besondere Freude an gezielten, knappen und
vor allen Dingen intelligenten Zwischenrufen habe. Ich
habe aber den Eindruck, dass es nicht nur der jeweilige
Redner, sondern möglicherweise auch das anwesende
Auditorium begrüßen würde, wenn gelegentlich einmal
drei aufeinander folgende Sätze ohne Zwischenruf vor-
getragen werden könnten.
Ich wollte damit indirekt vorschlagen, dies bei der
nächsten Rednerin zu üben. Ich erteile dazu nun der Kol-
legin Frau Dr. Reimann für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kollegin von der CDU/CSU-Fraktion, es lohnte eigentlich nicht, Ihren Antrag zurWeiterentwicklung einer Biotechnologiestrategie zu Pa-pier zu bringen.
Nun haben Sie sich auch nicht sehr viel Mühe gemacht;denn Sie haben im Großen und Ganzen den alten Antragaus der 14. Legislaturperiode aus dem Papierkorb geholtund einfach abgeschrieben.
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ir haben die Forschungsförderung gerade für die Bio-echnologie von 119 Millionen Euro in 1998 auf43 Millionen Euro im Jahre 2003 verdoppelt.
it dieser Verdopplung der Mittel haben wir deutlicheignale für eine Förderung von zukunftsweisendenechnologien gesetzt. Wie Sie alle wissen, war dieserchritt überfällig; denn international hatte Deutschlanduf dem Gebiet der Biotechnologie in der Tat viel an Bo-en wettzumachen.Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nichtuf der Höhe der Zeit. Ein Großteil Ihrer Forderungen istbsolet. Ich muss sagen: Ihr Antrag ignoriert so souve-än alles bisher Geleistete, dass wir ihm deshalb nichtustimmen können.
Sie verlangen ein Rahmenkonzept für Biotechnolo-ie. Wir haben eines.
as ist auch überall nachzulesen. Seit 2001 ist diesesahmenprogramm mit 800 Millionen Euro für die För-erung von Projekten im Bereich der Biotechnologieusgestattet, Kollege Heiderich. Darüber hinaus habenir 180 Millionen Euro für ein „Nationales Genomfor-chungsnetz“ bereitgestellt, das nicht nur mit den nöti-en Mitteln ausgestattet ist, sondern von seiner Infra-truktur und seiner Vernetzung her internationaleachtung findet und beispielhaft ist.
Wir haben die besten Arbeitsgruppen und Forschungs-inrichtungen, die fortgeschrittensten Technologien undie notwendige interdisziplinäre Forschungsexpertise ausiologie, Medizin, Physik, Ingenieurwissenschaften,athematik und Chemie darin gebündelt. Sie sind gutusgestattet und haben mit 400 Millionen Euro Projekt-örderung in diesem Bereich eine Basis, sinnvoll zu for-chen. Darüber hinaus haben wir – das wurde bereits an-esprochen – 480 Millionen Euro für die institutionelleorschung über die DFG, die MPG und die HGF für denereich Biotechnologie zur Verfügung gestellt.Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf einemer wichtigen Zukunftsfelder in Wissenschaft und Wirt-chaft ist durch diese Bemühungen damit nachhaltig
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Dr. Carola Reimanngestärkt. Deshalb ist es für uns selbstverständlich, dieFörderung des Nationalen Genomforschungsnetzes auchüber das Jahr 2003 hinaus auf dem erforderlich hohenNiveau zu unterstützen.
Sie fordern zum Beispiel eine Fokussierung auf Zu-kunftsfelder. Ein Beispiel, die Proteomforschung, ist ge-nannt. Auf dieses Beispiel will ich näher eingehen. In derTat hat sich nach der Aufklärung der Genomsequenzenein Feld eröffnet, das nach der Sequenzierung desmenschlichen Erbguts und vieler größerer und kleinererOrganismen die Erforschung von Struktur, Funktionenund Interaktionen von Proteinen weltweit auf diesen Be-reich verlagert. Aber diese Tatsache wurde längst berück-sichtigt. Schon im Jahr 2000 gab es einen Förderschwer-punkt „Neue effiziente Verfahren für die funktionelleProteomanalyse“. Hierfür wurden 60 Millionen Euro zurVerfügung gestellt, und zwar mit Erfolg. Deutsche For-schergruppen liegen im Bereich der Proteomforschungmit an der Weltspitze.Ein weiterer Punkt: Sie fordern ein Konzept zur För-derung der Bioinformatik. Ohne Zweifel stellt die Bio-informatik ein weiteres Schlüsselfeld in der Forschungdar. Sie aber suggerieren in Ihrem Antrag, wir hätten denZug verpasst und in Untätigkeit verharrt. Schauen Siesich einmal die Zahlen an! Dann werden Sie feststellen,dass dies schlicht nicht stimmt. Schon 2000 gab es eineAusbildungs- und Technologieoffensive Bioinformatik.Das hat dazu geführt, dass von 2001 bis 2005 für denAufbau von sechs nationalen Kompetenzzentren imBereich Bioinformatik 50 Millionen Euro zur Verfügunggestellt wurden.
Zu nennen sind: Berlin, München, Köln, Braunschweig,Jena und Gatersleben. In diesen Zentren sollen interdis-ziplinäre Arbeitsgruppen aus Hochschule, Wirtschaftund außeruniversitären Forschungseinrichtungen inno-vative Werkzeuge für die Bioinformatik entwickeln undgleichzeitig einen aktiven Beitrag zur Ausbildung quali-fizierter junger Bioinformatikerinnen und Bioinformati-ker leisten; denn in der Tat gab es bisher in Deutschlandauf diesem Gebiet einen Mangel an qualifiziertem Perso-nal. Die Kompetenzzentren bieten gemeinsam mit denLändern Aufbaustudien- und Ausbildungsgänge an, umeine schnelle Deckung des Bedarfs an Nachwuchs inForschung und Wirtschaft sicherzustellen.
Mittlerweile gibt es nicht nur diese sechs, sondern elfKompetenzzentren für Bioinformatik. Wenn Sie sich in-formieren,
werden Sie erfahren, dass an 20 Hochschulen und Uni-versitäten in Deutschland Bioinformatik studiert werdenkann.cnDskRmedstrwlos„zzsCfdtedBzsdfteftiloswEimademUF
Meine Damen und Herren, es wurde bereits angespro-hen: Diese Woche wurde der neue „Deutsche Biotech-ologie-Report 2003“ von Ernst & Young vorgestellt.ie deutsche Biotech-Branche hat sich trotz eineschlechten gesamtwirtschaftlichen Umfeldes behauptenönnen. Freilich haben wir für das Jahr 2002 leichteückgänge auch in diesem Hightechsektor verzeichnenüssen. Aber nach Jahren überschießenden Wachstumsrlebt die deutsche Biotechnologie-Industrie eine Phaseer Konsolidierung, die von Ernst & Young eigentlichchon länger erwartet worden war, aber erst jetzt einge-eten ist. Vor diesem Hintergrund sehen wir die großeirtschaftliche Bedeutung der Förderung der Biotechno-gie.Ein Beispiel für die fortgesetzten Bemühungen, die-en Wirtschaftszweig zu entwickeln, ist das ProgrammBio-Chance“ der Bundesregierung. Es wendet sich ge-ielt an kleine und mittelständische Unternehmen. Zur-eit werden 52 Firmen mit 50 Millionen Euro unter-tützt. Eine kleine Geschichte am Rande: Die „Bio-hance“-Preisträger können sich in der Regel sehr er-olgreich am internationalen Markt etablieren.Der Report weist im Übrigen ausdrücklich darauf hin,ass für die erste Phase, die Gründungsphase, bei Bio-ch-Unternehmen genügend Kapital vorhanden ist undass es zahlreiche Zuschüsse gibt, allen voran vom Staat.Im Sommer werden Frau Ministerin Edelgardulmahn und Herr Minister Wolfgang Clement das Kon-ept „Innovation und Zukunftstechnologien im Mittel-tand“ vorstellen. Mit dieser Mittelstandsinitiative wer-en unter anderem die steuerlichen Rahmenbedingungenür Wagniskapital in Deutschland verbessert und so wei-re Anreize geschaffen, dass das in Deutschland zwei-ellos vorhandene Kapital auch in diesen zukunftsträch-gen Wachstumsmarkt fließt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, biotechno-gische Produkte erfahren – Frau Reiche hat es ange-prochen – eine steigende Akzeptanz und positive Befür-ortung durch die Verbraucherinnen und Verbraucher.s gibt bereits jetzt eine wachsende Nachfrage, gerade pharmazeutischen Bereich. Die Hoffnungen, die sichuf diesen Sektor unserer Wirtschaft richten, sind damiturchaus berechtigt und für uns überdies Ansporn, denrfolgreichen Weg fortzusetzen. Dafür bedarf es – es tutir Leid – nicht Ihres überholten Antrages, sondern dernterstützung der Regierung.
Nun hat die Kollegin Ulrike Flach das Wort für dieDP-Fraktion.
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)
)Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
– Selbstverständlich nicht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Lieber Herr Tauss, üben Sie sich ruhig weiter in Zu-
rückhaltung!
Die EU-Kommission hat bereits vor einem Jahr ein
Papier vorgelegt, in dem eine europäische Biotechnolo-
giestrategie konkretisiert wurde. Was auf EU-Ebene
geht, muss auch in Deutschland endlich umgesetzt wer-
den: eine konsistente, eine klare und eine einheitliche
Biotechnologiestrategie. Ich bin aus diesem Grunde der
Kollegin Reiche sehr dankbar, dass die CDU/CSU mit
einem Antrag – genau wie wir es in der vergangenen Le-
gislaturperiode getan haben – erneut auf dieses Manko in
Deutschland hinweist.
Das unterscheidet uns deutlich von Bundesregierung und
Koalitionsfraktionen,
die immer wieder gegenteilige, sich diametral wider-
sprechende Signale an die Wissenschaftler und Unter-
nehmer der Biotechnologiebranche gegeben haben.
Gerade die jüngsten Entwicklungen in den USA in
der Stammzellforschung machen klar, wie rasant die
Wissenschaft voranschreitet. Zum ersten Mal konnten
Wissenschaftler nachweisen, dass sich aus isolierten em-
bryonalen Stammzellen Eizellen züchten lassen. Auch
wenn vieles noch der Überprüfung in Versuchsreihen be-
darf, ergeben sich daraus weitreichende Perspektiven,
lieber Herr Röspel. Ich bin gespannt, wie unterschiedlich
wir beide das interpretieren werden.
Es sollte Ihre Ministerin, Frau Bulmahn, doch stutzig
machen,
dass es wieder einmal ein deutscher Wissenschaftler ge-
wesen ist, der in den USA arbeitet, der diese Entdeckung
gemacht hat. Wir haben ausgezeichnete Wissenschaftler,
aber wir halten sie offensichtlich nicht am Standort
Deutschland,
weil unsere Rahmenbedingungen in der Biotechnolo-
gie nach wie vor nicht optimal sind.
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as umfangreiche Dokumentations- und Meldepflichten
orsieht. Von Entlastung keine Spur, im Gegenteil. Das
t offensichtlich wieder einmal ein Fall für unsere Kol-
gin Birgit Homburger, die sich vor allen Dingen mit
ürokratie befasst.
Beispiel drei: Die Biopatentrichtlinie ist zwischen der
PD und den Grünen so umstritten, dass Sie das Vorha-
en offenbar aufgegeben haben.
Dabei haben sich schon im letzten Jahr die Verbände,
ie sich auch nicht ganz einig waren, auf eine Umset-
ung eins zu eins geeinigt, liebe Kollegen von der SPD
nd den Grünen. Die Umsetzung ist seit drei Jahren
berfällig. Die unmittelbare Folge für Wissenschaft und
ndustrie ist Rechtsunsicherheit und alles andere, als der
erühmte, eben von allen beschworene Ruck nach vorn.
Ich habe auch Zweifel, ob die gerade eingerichtete
nquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen
edizin“ dazu führen wird, dass wir endlich Entschei-
ungen bekommen. Der CDU-Antrag scheint offensicht-
ch auch nichts dazu beizutragen.
Frau Flach, würden Sie eine Zwischenfrage des Kol-egen Röspel gestatten?
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)
Herr Röspel.
Danke, Frau Flach, ich frage als Abgeordneter. – Sie
sprachen an, dass die Nichtumsetzung der Patentrichtli-
nie dazu führt, dass es Rechtsunsicherheit und Unsicher-
heit bei den Unternehmen gibt. Sind Sie darüber infor-
miert, dass das Europäische Patentamt bereits
Erteilungen in Vorwegnahme dieser Richtlinie vollzieht
und sozusagen de facto – das ist eines der diskutablen
Probleme – diese Richtlinie schon angewendet wird?
Es kann doch, lieber Herr Röspel, eine konsistente Bio-
technologiestrategie dieser Bundesregierung nicht darin
bestehen, dass Sie sagen, es passiere etwas im Hinter-
grund.
Wir wollen klare nationale Regeln haben, nach denen
unsere Unternehmen vorgehen können. Wenn sie die
nicht haben, sind sie verunsichert.
Gerade das Thema Ethikkommission hat bei mir zu
einer Verunsicherung geführt, liebe Frau Reiche, was das
Thema Ihres Antrags angeht. Ich sehe mit großem Inte-
resse, dass der Name des Kollegen Hüppe nicht auf dem
Antrag steht, was mich nicht weiter erstaunt, da ich seine
Gedanken zu diesem Thema verfolge. Wir brauchen auf
jeden Fall – das haben Sie deutlich gemacht – einen
Schub für dieses Land. Darin haben Sie unsere volle Un-
terstützung. Ihr Antrag ist an vielen Stellen mit unserer
Meinung konsistent, aber er atmet nach wie vor auch an
vielen Stellen die nicht gerade forschungsfreundliche
Seele der CDU, und das gerade im Stammzellbereich.
Wir werden uns aus diesem Grunde enthalten.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Loske,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zuerst etwas zu dem Antrag der CDU/CSU an-
merken. In der CDU/CSU gibt es eine gewisse Zwie-
spältigkeit, die durch diesen Antrag sehr deutlich wird.
Auf der einen Seite werden sehr fundamentale ethische
Positionen vertreten; auf der anderen Seite sind Sie völ-
lig kritiklos den Empfehlungen der Deutschen Industrie-
vereinigung Biotechnologie gefolgt. Das passt vorne und
hinten nicht zusammen. Das sollten Sie sich klar ma-
chen.
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er Hinweis von Frau Flach ist insofern berechtigt.
Es ist auch erstaunlich, wer in dieser Debatte nicht an-
esend ist. Ich möchte niemanden konkret nennen, aber
hr bildet in dieser Frage offenbar zwei Fraktionen, von
er nur eine hier vertreten ist, die sich aber umso lauter
ußert. Das ist nicht besonders glaubwürdig.
Als zweiten Punkt möchte ich auf Professor Schöler
urückkommen. Auch das ist ein interessanter Wider-
pruch. Man muss in diesem Zusammenhang die Frage
tellen, wann er in die Vereinigten Staaten gegangen ist,
eil er hier keine Beschäftigungsmöglichkeit gefunden
at. Das war nämlich zu einer Zeit, als es diese Regie-
ung noch nicht gab. Ich habe vergangene Woche auf der
rsten Seite der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen, dass
m Gegenteil inzwischen viele Wissenschaftlerinnen und
issenschaftler wieder aus dem Ausland nach Deutsch-
and zurückkehren. Wir haben es langsam geschafft
auch wenn wir noch viel besser werden müssen –, den
ug in eine andere Richtung zu bewegen.
Dass ausgerechnet Sie uns vorhalten, die Wissen-
chaftler seien ausgewandert, ist schon arg an den Haa-
en herbeigezogen, zumal Sie genau wissen, dass seit
998 im Bereich der Wissenschaft insgesamt eine
norme Aufstockung erfolgt ist. Zwischen 1994 und
998 gab es einen Rückgang; zwischen 1998 und 2002
ar ein Anstieg zu verzeichnen. Selbst in der schwieri-
en Situation, in der wir uns jetzt befinden, wächst die-
er Haushalt, wenn auch langsamer als geplant. Insofern
assen Ihre Ausführungen vorne und hinten nicht zu-
ammen.
Herr Loske, der Kollege Tauss möchte gerne eine
wischenfrage stellen.
Eine kritische?
Das wissen wir möglicherweise, sobald er sie gestellt
at.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Kollege Loske, es geht mir um einen Er-enntnisgewinn, weil sich die Kollegin Reiche beharr-ich geweigert hat, Zwischenfragen zu beantworten. –ehe ich es richtig, dass der von ihr erwähnte Wissen-chaftler Schöler 1996 das Land verlassen hat? Können
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3699
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Jörg TaussSie mir noch einmal auf die Sprünge helfen, wer 1996regiert hat?
Ob Professor Schöler 1996 das Land verlassen hat,weiß ich nicht. Sein Weggang ist jedenfalls ein Verlustfür die deutsche Forschungslandschaft; das ist keineFrage. Aber soweit ich mich erinnere, haben 1996 dieCDU/CSU und die FDP regiert.
Sie sehen, ich kenne mich in der deutschen Innenpolitikaus.Ich wollte, wie gesagt, auf die enorme Spaltung in derCDU/CSU zwischen den sehr heroischen, fundamenta-len Positionen zur Bioethik und der Tatsache, dass Sieeiner sehr kritiklosen Biopolitikstrategie das Wort reden,hinweisen. Das passt nicht zusammen.Ähnliches gilt für das Thema Biopatentrichtlinie.Ich gehe gleich näher darauf ein. Man kann diesesThema zwar sehr gewissenhaft diskutieren, aber einst-weilen ist Realität, dass nur sechs von 15 Ländern inner-halb der Europäischen Union die Biopatentrichtlinie innationales Recht umgesetzt haben. Neun Länder habensie noch nicht umgesetzt. Manche haben sogar vor demEuropäischen Gerichtshof dagegen geklagt. Viele ver-schleppen die Umsetzung; andere quälen sich damit. Nurdie Union – die FDP sowieso – weiß, was richtig ist.
Realität ist, dass es auch in Deutschland eine Spaltunggibt. Auf der einen Seite gibt es ernst zu nehmende Kriti-ken vonseiten der Kirchen, der Umweltverbände und in-teressanterweise vonseiten der Forschung und des Bau-ernverbands. Deren Kritik gilt der Sorge, dass es eineforschungshemmende Wirkung geben könnte und dieEntwicklung möglicherweise eingeschränkt würde. Aufder anderen Seite steht das Begehren nach Rechtssicher-heit und Rechtsklarheit. Das ist völlig klar. In diesemSpannungsfeld bewegen wir uns. Wir führen zurzeit Ge-spräche zwischen den Koalitionspartnern.
Die Gespräche sind keineswegs eingestellt worden, FrauKollegin Flach.Wir – ich meine in diesem Zusammenhang dieGrünen – verfolgen ein doppeltes Ziel: Wir sind bereit,die Biopatentrichtlinie auf nationaler Ebene umzusetzen,wenn die offenen Fragen geklärt werden, die die Reich-weite der Patente betreffen. Wir wollen nicht, dass großeKonzerne quasi ganze Gensequenzen besetzen und danndneeksEaDs9dkdrdkpe–msFNsNdn
Das zweite Ziel, das wir verfolgen, ist die Einführungines Herkunftsnachweises. Hinzu kommen Datenschutz-rwägungen.
Ich glaube, dass wir in diesen Fragen zu einer Lösungommen können. Ich bin zuversichtlich, dass wir daschaffen werden.Der entscheidende Punkt ist, dass auf europäischerbene über kurz oder lang ein neuer Anlauf zur Über-rbeitung der Biopatentrichtlinie erfolgen muss.
enn diese Richtlinie entspricht in ihrer heutigen Fas-ung dem Diskussionsstand von Anfang bis Mitte der0er-Jahre. Das wissen diejenigen unter Ihnen, die sichamit beschäftigen, sehr genau. Die Revolution der Er-enntnisse in der Bioforschung hat in den vergangenenrei bis fünf Jahren stattgefunden. Das heißt, das Patent-echt auf dem Stand der ersten Hälfte der 90er-Jahre under Forschungsstand zu Beginn des 21. Jahrhundertslaffen weit auseinander. Weil beides nicht zusammen-asst, ist die Überarbeitung der Biopatentrichlinie aufuropäischer Ebene notwendig. Das ist unsere Position.
Sie wissen doch, dass das Initiativrecht bei der Kom-ission liegt. Die Regierung kann sehr wohl Signaleenden. Das werden wir auch tun.
Herr Loske, darf nun vielleicht auch die Kollegin
lach eine Zwischenfrage stellen?
Ja, gerne. Warum nicht?
Lieber Kollege Loske, da Sie offensichtlich allwis-
end sind, möchte ich Sie gerne fragen:
Allwissend?
Darf ich das, was Sie gesagt haben, so interpretieren,ass Sie erst abwarten wollen, ob auf EU-Ebene erneutovelliert wird, bevor Sie zu Werke gehen?
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3700 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Was meinenSie mit „allwissend“?
Ich meinte das im Hinblick auf die zielführende Frage
des Kollegen Tauss.
Jetzt verstehe ich die tiefere Ironie. Der Groschen ist
bei mir pfennigweise gefallen.
Die Umsetzung der europäischen Richtlinie in natio-
nales Recht müssen wir angehen. Das ist gar keine
Frage.
Es gibt noch – das habe ich bereits erwähnt – drei of-
fene Fragen, nämlich die Frage der Reichweite der
Stoffpatente, des Herkunftsnachweises und des Daten-
schutzes. Hierüber gibt es im Moment Gespräche zwi-
schen SPD, Grünen und BMJ. Wir sind gewillt, zu ei-
ner Lösung zu kommen. Aber wir als Grüne wollen –
das hat das Kabinett schon in der letzten Legislaturperi-
ode beschlossen –, dass die Bundesregierung in Brüs-
sel einen neuen Anlauf zur Überarbeitung der Biopaten-
trichtlinie startet, um sie auf die Höhe der Zeit zu
bringen. Das ist unsere Position.
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage auch mit meinem durch-
schnittlichen Wissen ausreichend beantworten konnte.
Zurück zu dem, was wir Grüne wollen: Unsere Posi-
tion zur gesamten Gentechnik ist, glaube ich, in den letz-
ten Jahren klar geworden. Wir wollen die ethisch unbe-
denkliche Forschung im Bereich der roten Gentechnik
unterstützen. Das tun wir bereits im Rahmen unserer
Forschungspolitik. Das soll bei der medizinischen For-
schung und insbesondere bei der Medikamentenfor-
schung intensiviert werden. Wir wollen aber auch klare
ethische Prinzipien und vor allen Dingen Transparenz.
Deswegen sind solch große Konferenzen, die zur Auf-
klärung der Öffentlichkeit beitragen, wie die im Jahr
2000 von Andrea Fischer oder wie die im Jahr 2003 von
Edelgard Bulmahn zum Klonen initiierte, ein wichtiger
Beitrag zum öffentlichen Diskurs. Der Opposition fehlt
offenbar die Vorstellung, dass man über komplexe ethi-
sche Probleme auch fundamental diskutieren muss.
Für uns ist auch die ethische Begleitforschung sehr
wichtig; denn wir glauben in der Tat, dass neben der rei-
nen technischen Forschung auch dieser Forschung ein
großer Stellenwert beigemessen werden muss. Biotech-
nologie ist mehr als das, was Sie in Ihrem Antrag präsen-
tieren. Wir sind zum Beispiel der Meinung, dass der
ganze Bereich der Bionik ein sehr zukunftsträchtiges
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Es ist bekannt, dass wir der grünen Gentechnologie
keptisch gegenüberstehen. Wir glauben nämlich, dass
ie im Grunde genommen nicht erforderlich ist, dass
urch züchterische Leistungen die gleichen oder sogar
essere Ergebnisse erzielt werden können. Hier gibt es
ffenkundig einen Dissens. Wir sind jedenfalls der Mei-
ung, dass man in diesem Bereich eher Anbau-, Züch-
ungs- und auch Tierhaltungsoptionen fördern sollte, die
uf eine umweltverträgliche Landwirtschaft hinauslau-
en.
Man muss es vor allen Dingen ganzheitlich sehen.
an darf nicht einen kleinen Bereich herausnehmen.
it der CDU-Position habe ich folgendes Problem: Auf
er einen Seite vertreten Sie fundamentalistische Prinzi-
ien. Auf der anderen Seite reden Sie – quasi als Ersatz-
andlung – die grüne Gentechnologie hoch. Das ist recht
igentümlich.
Ich fasse zusammen: Das, was die CDU/CSU in ih-
em heutigen Antrag präsentiert hat, ist meines Wissens
ortgleich mit einem Antrag aus dem Jahre 2002. Die
iskussion ist aber weitergegangen. Sie sind genau ein
ahr hinter dem Stand der aktuellen Diskussion zurück.
eswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Helmut Heiderich,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Tauss, ich werde versuchen, Ihnen intellektuellerecht zu werden.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Zuerst: Die wirtschaftliche Lage ineutschland ist bedenklich. Die Arbeitslosigkeit steigtnaufhörlich. Anstatt Fortschritte zu erzielen, dümpelnir nur noch dahin. Es gibt mehr Stillstand als Entwick-ung. Wachstum weisen unter Rot-Grün nur noch dieergrößerten Löcher in den Haushaltskassen auf.
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Helmut Heiderich
– Verehrter Herr Kollege Schmidt, das ist keineSchwarzmalerei, sondern Feststellung der Fakten, die je-den Tag auf den Titelseiten der Zeitungen verbreitet wer-den. Das ist Ihre Politik. Diese müssen Sie schon zurKenntnis nehmen.
Warum sage ich das? Gerade in einer solchen Lage– so meine ich – müsste die Regierung doch massiv inte-ressiert sein, die Wachstumskerne der Zukunft mit allerKraft weiterzuentwickeln. Ich möchte in diesem Zu-sammenhang Herrn Schröder zitieren. In seiner Redebezeichnete der Bundeskanzler die Gentechnik – jetzthören Sie gut zu! – als Schlüsseltechnologie für die mo-derne Landwirtschaft – Herr Loske, haben Sie zugehört? –,für die Medizin, für die Pharmazie, für die Chemie undfür die Lebensmittelindustrie, für den Umweltschutz undfür viele andere Wirtschaftsbereiche. Solche Worte hörteman auf der EXPO 2000. Manche sollen daran sogar ge-glaubt haben.Die Realität der Politik von Rot-Grün und des Kanz-lers sehen schlecht aus, verehrter Herr Tauss. Das kannman aktuell beispielsweise dem Biotechnologie-Reportvon Ernst & Young entnehmen, aus dem hier eben schonmehrfach zitiert worden ist.Man muss die Situation genau betrachten. Wir vonder CDU/CSU weisen schon seit zwei Jahren in diesemHause auf Folgendes hin – Herr Tauss, hören Sie gutzu! –: Die Biotechnikbranche in Deutschland verliertzunehmend an Wettbewerbsfähigkeit. Die Bundesregie-rung, insbesondere Frau Ministerin Bulmahn, hat für dieÖffentlichkeit immer ein rosiges Bild gezeichnet, indemsie auf die bloße Anzahl der gegründeten Unternehmenhingewiesen hat. Die Praxis ist allerdings gar nicht rosig;denn die deutschen Unternehmen sind zu klein, sie sindin ihrer Entwicklung weit zurück und sie sind weit davonentfernt, wirtschaftlichen Erfolg zu haben.Ich nenne in diesem Zusammenhang zwei Zahlen.Schon 2001 stellten Ernst & Young fest, die deutsche Bio-technik habe in diesem Jahr einen Verlust von411 Millionen Euro erwirtschaftet; das seien 66 Prozentmehr als im Vorjahr. In 2002 ist der Verlust auf inzwi-schen 661 Millionen Euro – das ist ein Zuwachs ummehr als die Hälfte – gestiegen. Uns ist es ein Rätsel,wie Sie bei diesen Vorgaben behaupten können, im Be-reich der Biotechnik alles Erforderliche getan zu haben.
Des Weiteren zeigt der aktuelle Biotechnologie-Re-port, dass Deutschland in den wichtigen Entwicklungs-phasen II und III – in diesen Phasen werden die Ideender Forscher in Produkte, in wirtschaftlichen Erfolg undin Arbeitsplätze umgesetzt – weit abgeschlagen zurück-liegt. In diesen Phasen habe Deutschland einen Anteilvon gerade 6 Prozent an der europäischen Entwicklung.Zum Vergleich: Großbritannien hat einen Anteil von58 Prozent. Man hat uns jahrelang erklärt, man wolleeine Aufholjagd gegenüber Großbritannien und denUnLetürdnImfwbsndgsgAstbSr–Zt–esBLLe
ngesichts dessen frage ich Sie: Wo bleiben die For-cher? Wo bleiben die Wissenschaftler? Wo bleiben dieechnischen Mitarbeiter? Wo bleiben die Studenten? Woleibt die Entwicklung? Erst auf hohen Druck von alleneiten sind Sie von Ihren Plänen ein Stück weit abge-ückt. Dem gingen monatelange Diskussionen voraus.In der „FAZ“ vom 29. April 2003 steht Folgendes:Wegen besserer Arbeitsbedingungen, besserer Be-zahlung, besserer Perspektiven kommt es zu einerverstärkten Abwanderung von Spitzenkräften insAusland.
Ich bitte Sie, das einfach nachzulesen. Ich habe diesesitat nicht erfunden. Ich habe es hier einfach nur vorge-ragen.
Verehrter Herr Tauss, ich habe es so vorgetragen, wies in der „FAZ“ steht. Dort können Sie es gerne nachle-en.Ich komme auf das Biopatentrecht zu sprechen. Dieundesregierung sei auf der Höhe der Zeit, hat Herroske gesagt. Inzwischen sind aber fast fünf Jahre insand gegangen. Die Bundesregierung – das haben Sieben bestätigt – ist noch immer handlungsunfähig.
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3702 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Helmut HeiderichIch erinnere Sie daran, dass Sie schon einmal einen Ent-wurf in dieses Parlament eingebracht haben. Da Sie sichnicht einig werden konnten, mussten Sie Ihren Entwurfwieder zurückziehen. Sie sind bis heute nicht in derLage, einen neuen Entwurf einzubringen. Das ist einFaktum und das ist das Ergebnis Ihres politischen Han-delns.
Nun kann man natürlich, wie der Kollege Röspel, sa-gen: Was soll es? Das Europäische Patentamt macht so-wieso längst, was es will. – Dann können Sie auch IhreRegierungstätigkeit in Deutschland einstellen und sichverabschieden.
Dann können andere für Sie handeln.
Das wäre für Deutschland in dieser Situation sicherlicheine bessere Lösung.
Ich will an dieser Stelle, Herr Tauss, ein Zitat von EU-Kommissar Bolkestein einbringen, der zum Thema Bio-patentrichtlinie gesagt hat: Solange diese nicht umge-setzt ist, „sind dem europäischen Biotechnologiesektordie Hände gebunden; er wird folglich immer weiter zu-rückfallen“. Das ist ein Zitat vom 28. Januar dieses Jah-res. Das ist eine klare Aussage eines Fachmannes. Dassollte man zumindest einmal zur Kenntnis nehmen undnicht einfach so zur Seite wischen.Was macht die Bundesregierung sonst noch? Sie ver-schärft die Vorschriften; sie verstärkt die Bürokratie. Sieverzögert – das ist eben schon vorgetragen worden – Ge-nehmigungsverfahren. Herr Loske, an einer Stelle könn-ten Sie sich wirklich sehr erfolgreich betätigen. Es isthöchste Zeit, dass Sie Künast und Trittin von der Bremsenehmen. Solange sie die Verfahren weiter verschärfen,wird in Deutschland die Biotechnikbranche weiter aufdem Rückzug sein und nicht nach vorn kommen.
Beispiel Gentechnikgesetz; das ist schon angespro-chen worden. Erst haben Sie jahrelang gebraucht, bisüberhaupt eine Umsetzung in Gang kam.
– Ich bitte Sie, Herr Tauss!
– Ich kann Ihnen zum Nachlesen gern einen Bericht Ih-rer Bundesregierung geben, in dem sie versprochen hat,bis zum Jahr 2000 die Umsetzung vorzulegen. Das kön-nen Sie gern von mir haben. Eingehalten haben Sie esnicht; Sie haben es in 2002 endlich geschafft. Sie sindhinter Ihren eigenen Versprechungen also um Jahre zu-rück.–mhnfoetnmlsfDAsl–tshtmsFGsllWfhdA
Bundesregierung und Forschung. Vorhin ist die Ge-omforschung schon angesprochen worden. Was wirdit den UMTS-Förderungen im nächsten Jahr? Ihneniegen sicherlich so wie mir die Brandbriefe von For-chungsanstalten vor, zum Beispiel der Proteinstruktur-abrik Berlin. Es wird gesagt: Wir stehen vor dem Aus.ie Bundesregierung sagt nicht, wie es weitergehen soll.lles zerbricht und zerfällt. – Frau Bulmahn, ich habe eschriftlich. Sie können es gerne bei mir einsehen. Esiegt Ihnen bestimmt auch vor.
Gern; das können Sie haben. – Es besteht längst die Si-uation, dass Sie um die Probleme herumreden, aber Lö-ungen hermüssen.
Noch ein letztes Beispiel. In der grünen Gentechnikaben Sie es dazu gebracht, dass in diesem Jahr wenigs-ens ein Miniversuch auf sage und schreibe 200 Quadrat-etern in Thüringen stattfinden durfte. Nur, ehe der Ver-uch überhaupt in Gang kommen konnte, haben diereunde von Greenpeace den Versuch gegen Recht undesetz zerstört. Sie sitzen dabei, schauen sich das an undagen kein Wort; weder verhindern Sie es, noch verurtei-en Sie es. Da wäre eine Bundesregierung gefordert, end-ich einmal Position zu beziehen.
enn Sie das täten, könnten Sie sagen, Sie hätten etwasür die Gentechnik getan.Unser Antrag ist ein deutlicher Fortschritt.
Aber die Redezeit ist auch deutlich überschritten.
Es ist mein letzter Satz, Herr Präsident. – Ich bitte Sieerzlich, im Interesse der deutschen Biotechnikindustrieem Thema mehr Beachtung zu schenken und unseremntrag zuzustimmen.Schönen Dank.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3703
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Helmut Heiderich
Frau Kollegin Bulmahn, ich bitte um Nachsicht. Bei
deutlich überschrittener Redezeit kann ich eine Zusatz-
frage nur noch schwerlich zulassen.
Zum Schluss der Debatte zu diesem Tagesordnungs-
punkt erteile ich dem Kollegen Röspel für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte ei-gentlich meine Rede einmal mit einem ganz anders gear-teten Überblick über dieses Thema beginnen, aber ichkann nicht anders, als zunächst auf Herrn Heiderich ein-zugehen. Frau Reimann hatte ja wirklich in aller Deut-lichkeit gezeigt, was diese Bundesregierung in den letz-ten vier Jahren geleistet hat. Ich hatte gehofft, dass dasauch verstanden wird, aber vielleicht lesen Sie einfachnoch einmal das Protokoll nach, um die entsprechendenZahlen und Fakten nachzuvollziehen.
Es war schon hanebüchen, was ich hier teilweise von Ih-nen, Herr Heiderich, vernommen habe.Erster Punkt. Sie behaupteten, ein Gentechnikgesetzgebe es nicht und dessen Erstellung sei von uns ver-schleppt worden, während andere Länder Vorreiterrolleneingenommen hätten. Ich erinnere mich noch, als ich voretwas mehr als zehn Jahren im Labor gestanden habe,dass darüber diskutiert wurde, dass die Zulassungsver-fahren gerade für Laborversuche in allen anderen Län-dern viel einfacher und weniger bürokratisch seien, dieKohl-Regierung es aber wenigstens hinbekommen habe,das Gentechnikgesetz in Teilen zu verändern. Das heißt,es gab es schon damals und es gibt es heute auch noch.Es geht darum, es zu verändern und
– in der Tat – EU-Richtlinien umzusetzen.Zweiter Punkt. Ehe Sie etwas zur Situation von Bio-technologieunternehmen sagen, sollten Sie vielleichterst einmal den Bericht von Ernst & Young wirklichdurchlesen und nicht nur einige aus dem Zusammenhanggerissene Fakten bringen.
Natürlich steckt diese Branche im Moment in der Kriseund hat Probleme. Wenn man sich aber einmal um-schaut, stellt man zum Ersten fest, dass das für alle Bran-chen in Deutschland, in Europa und in der Welt zutrifft.Zum Zweiten ist die Krise der Biotechnologie nicht aufdeutsche Unternehmen beschränkt, sondern in allen an-deren Ländern besteht das gleiche Problem. Zum Drittensind auch die Verluste der Biotech-Unternehmen, die Siebeklagen, in größerem Zusammenhang zu sehen. Ichkenne bis auf wenige Ausnahmen in Deutschland welt-wbivndcmsI1DaddImnlnahwdVemtibeAdmDZmJfmw–nlo1e1tdwr
gleich, ich will nur einen Überblick geben; das dürfteicht schaden –, die ersten Würmer aufgetaucht, 350 Ki-meter entfernt in Göttingen die ersten Fische und im50 Kilometer entfernten Magdeburg würden wir diersten Säugetiere sehen, die sich jedes Jahr umMillimeter weiter auf uns zu bewegten. Der Menschrennt sich vom Affen etwa auf dem Ku’damm und aufem Wege von der Gedächtniskirche zum Kanzleramtürde er in den letzten 600 000 Jahren auch den auf-echten Gang erlernt haben.
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René Röspel– Warten Sie einmal ab. – Kurz vor dem Plenarsaalstünde der moderne Homo sapiens sapiens und 8 Metervon mir entfernt hätten wir vor 8 000 Jahren gelernt,Ackerbau zu betreiben. Vor 4 000 Jahren hat er das Her-stellen von Metallwerkzeugen erlernt; das wären dienächsten 4 Meter gewesen.Die Erfindung der Elektrizität vor 100 Jahren – jetztwird es vom Maßstab her vielleicht deutlich; ich merkean Ihrer Unruhe, dass Sie das möglicherweise noch niegehört haben, aber es bedarf auch einer gewissen Formvon Geduld – hätte 10 Zentimeter von mir entfernt statt-gefunden. Auf den letzten 3 Zentimetern befindet sichder Mensch im Zeitalter der Bio- und Gentechnologie,wo er beginnt, Evolution zu verändern, wo er das, wassich auf einer Strecke von Frankfurt oder Magdeburg bishierhin ereignet hat, auf eine Strecke von 2 oder3 Zentimetern reduziert.
– Was Sie daraus lernen, will ich Ihnen, wenn Sie dasnoch nicht verstanden haben, sagen: Wir sind dabei, evo-lutionäre Grenzen zu überschreiten, indem wir Gene ausBakterien in Pflanzen übertragen, wobei wir nicht über-blicken können, was in den letzten Jahrmillionen pas-siert ist. Dass es zu einer solchen Entwicklung kam,wussten wir nicht.Darf man nicht skeptisch sein, wenn sich die Ereig-nisse auf der Strecke von Magdeburg bis hierher nun auf2 Zentimetern abspielen sollen? Muss man sich nicht so-gar bewusst sein, dass man hier Prozesse initiiert, die inder Natur Jahrmillionen gebraucht und evolutionäre Ka-tastrophen am laufenden Band verursacht haben? Han-deln wir richtig, wenn wir glauben, im Vergleich dazureichten ein paar Jahre, um Folgen wirklich abschätzenzu können?
Darum geht es. Wir müssen die Dimension erkennen,die wir in Teilen überschreiten. Deswegen habe ich dasetwas ausführlicher dargestellt. Ich habe gehofft, dassSie das auf diese Weise begreifen.Ist das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Op-position, die Ideologie, die Sie uns auch heute wiedervorgeworfen haben? Auch im Antrag haben Sie uns vor-geworfen, wir seien per se gegen grüne Gentechnologie.Begreifen Sie nicht, dass wir in wenigen Jahren Evolu-tion spielen und überhaupt nicht wissen, was wir anrich-ten, wenn die Natur Tausende von Jahren gebraucht hat,um Erfahrungen zu sammeln?
Sie erwarten, dass wir das binnen zehn Jahren schaffen.Wir müssen und wollen mit freisetzender Gentechnikbewusst umgehen; aber es gibt keine wissenschaftlicheBeurteilung der Folgen. Eines ist sicher: Wenn wir gen-technisch veränderte Pflanzen, Fische, Mikroorganismenfwr–vzwDdzDtiwteuzghsSclaRleFefgaonuhetemumFFrs
ie Veröffentlichungen der letzten Woche zeigen, dassas, was wir noch vor einem Jahr bezüglich der Stamm-ellen glaubten, ebenfalls neu bewertet werden muss.Frau Reiche, Sie sagen, junge Forscher verlasseneutschland und gehen in die Schweiz. Dort hat der Na-onalrat vor zwei Tagen ein Moratorium beschlossen,onach die Landwirtschaft in der Schweiz bis 2009 gen-chnikfrei bleiben soll.
Sie haben gesagt, wir sollen die Biopatentrichtliniemsetzen. Sie haben als Opposition natürlich das Recht,u mäkeln; aber Sie bieten keine Lösungen an. Natürlichibt es kritische Stimmen aus den Kirchen, aus Kranken-äusern, von Ärzten, aber auch aus der Forschung, dieagen, dass sie so nicht umgesetzt werden kann. Wollenie, dass Gene patentiert werden, oder nicht? Wir ma-hen uns die Entscheidung sehr schwer und es ist einengwierige Auseinandersetzung; aber wir werden dieseichtlinie umsetzen und hoffen, dass sie zum Wohle al-r sein wird.
Eine weitere dicke Luftblase in Ihrem Antrag ist dieorderung, Tiere gentechnisch nur zu verändern, wenns nicht auf Kosten ihrer Gesundheit und ihres Wohlbe-indens geschieht. Ich frage Sie: Wer hat diesen Antrageschrieben? Müssten Ihre Forschungspolitiker da nichtufschreien? Wie wollen Sie in der Realität beurteilen,b sich eine Maus noch wohl fühlt, wenn sie gentech-isch verändert ist? Wenn Sie diesen Antrag eins zu einsmsetzen, gibt es keine Forschung an Tieren mehr. Ichabe mich zu Beginn meines Studiums wirklich dafüringesetzt und es gibt gute Initiativen, auch vom Minis-rium, um die Forschung an Tieren und Tierversucheöglichst zu reduzieren. Aber wenn dieser Antrag somgesetzt wird, wird Forschung an Tieren nicht mehröglich sein. Ich bin gespannt auf die Debatte mit denorschern. Oder haben Sie einen Dr. Doolittle in Ihrerraktion, der mit Tieren reden kann?Aber es gibt auch realistische und vernünftige Forde-ungen in Ihrem Antrag; das will ich gar nicht ver-chweigen.
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Herr Röspel, Sie werden die Forderungen nicht mehr
alle vortragen können, wenn Sie die Redezeit annähernd
einhalten wollen.
Das Gentestgesetz muss kommen. Ich bin guten Mu-
tes, dass wir nach der Sommerpause mit der parlamenta-
rischen Diskussion beginnen werden.
Vieles aus Ihrem Antrag hat sich erledigt; viele For-
derungen laufen ins Leere. Diese Regierung braucht sich
eben nicht, was die Förderung von Biotechnologie anbe-
langt, zu verstecken. Aber wir müssen auch die Beson-
derheit dieser Technologie berücksichtigen und verant-
wortungsvoll damit umgehen. Ich habe versucht,
darzulegen, welche Dimension Evolution und Gentech-
nik haben. Aber es scheint mir in Teilen nicht gelungen
zu sein.
Eine letzte Bemerkung. Mein Ausflug in die Evolu-
tion am Anfang meiner Rede hatte das Ziel, klar zu ma-
chen, dass es manchmal Zeit zum Nachdenken braucht.
Was uns als lang erscheint – ein Jahrzehnt oder zwei
Jahrzehnte –, ist im Maßstab der Evolution nur der
Bruchteil einer Sekunde. Diesen Punkt müssen wir se-
hen. Manche Entscheidungen darf man eben nicht in ei-
ner Sekunde fällen.
Danke schön.
Herr Kollege Röspel, die Übersetzung der Evoluti-
onsgeschichte in ein Entfernungs- und Streckenmodell
hat zweifellos den großen Reiz, dass man von der bild-
haften Vorstellung ausgehen kann, dass das erstmalige
Auftreten des Homo sapiens im Plenum des Deutschen
Bundestag stattgefunden hat.
Ich bin aber nicht ganz so sicher, ob man das unseren
Debatten immer anmerkt.
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord-
nungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 15/423 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu
darf ich offensichtlich Einverständnis feststellen. Dann
ist das so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 17 und Zusatzpunkt 17 der Tages-
ordnung auf:
17 Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Birgit Homburger,
Dr. Christel Happach-Kasan, weiteren Abgeord-
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– Herr Kollege Heinrich, Sie hatten natürlich Recht;denn Sie sind ein Experte. – Das Problem ist, dass es indiesem Bereich zu einer Verarmung kommt. Die Bio-agrarwende war eine dicke Bauchlandung.Eine nächste steht in dem Bereich der nationalen Mo-dulation bevor. Man muss sich das einmal auf der Zungezergehen lassen: An vielen Stellen diskutieren wir imHinblick auf die anstehenden Gespräche auf europäi-scher Ebene über die so genannten Fischler-Vorschläge,aber auch im Hinblick auf die anstehenden WTO-Ge-spräche sehr engagiert und qualifiziert über Möglichkei-ten, wie deutsche Bauern bzw. die europäische Land-wirtschaft mit den geplanten Maßnahmen klarkommenkönnen, und darüber, welche Perspektiven wir in diesemZusammenhang schaffen können. Sie reagieren mit dernationalen Modulation in einer Situation, in der die Eu-ropäische Kommission von der Modulation Abstandnimmt und andere Länder, die die nationale Modulationschon getestet haben, sagen: Das bringt jetzt nichts, weilwir europäische Vorstellungen und Richtlinien brauchen.Wenn wir das national machen, haben wir einen enor-men bürokratischen Aufwand. Wir könnten an dieLänder, die eigentlich davon profitieren sollten, zum Teilnur Mittel vergeben, die geringer sind als die Kosten, diedort aufgrund des bürokratischen Aufwands entstehenwürden. In einer Situation, in der alle die Ausweitungder Bürokratie kritisieren, sollte man sich das einmal aufder Zunge zergehen lassen. Das heißt, hier wird auf nati-onaler Ebene ein bürokratischer Moloch auf den WeggzvteteBbtiNmvnktegzdPkSrsKLlr–WnmssAn–m
Herr Goldmann, ich weiß überhaupt nicht, was für eineahrnehmung Sie haben.
Nun aber zu dem Thema, das Sie auf die Tagesord-ung gesetzt haben. Seit mehr als zwei Jahren – dasöchten wir an dieser Stelle einmal richtig stellen – be-chäftigen wir uns hier im Parlament in bestimmten Ab-tänden immer wieder mit der nationalen Modulation.uch nach dem Beschluss des Bundestages und der Ei-igung im Vermittlungsausschuss ist es der Oppositionnun mit neuen Mehrheiten im Bundesrat – wieder ein-al wichtig, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
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Waltraud Wolff
Nicht mit uns, sehr geehrten Kolleginnen und Kollegenvon der Opposition!
Das Modulationsgesetz ist seit 1. Januar 2003 in Kraftund wird es auch bleiben. Denn wir schauen nach vorn.Wir blicken nach Europa; wir arbeiten auf eine gemein-same Agrarpolitik hin.
Dazu gehört unbestritten natürlich auch die Modulation.Die FDP-Fraktion bringt heute diesen Gesetzentwurfein.
Das Papier kann ruck, zuck überflogen werden; die im-mer wiederkehrenden Schlagworte sind sofort im Blick,etwa: Einführung der nationalen Modulation nur für ei-nen kurzen Zeitraum ist nicht verantwortbar;
hohe Kosten;
enormer Verwaltungsaufwand.
Es kommt aber etwas für mich Neues hinzu. Daher zi-tiere ich aus dem Vorspann Ihres Entwurfs:Die dadurch verursachte Verschwendung von Steu-ergeldern ist auch gerade angesichts der derzeitigenHaushaltslage von Bund und Ländern nicht akzep-tabel.
Darauf werde ich nachher noch einmal zurückkommen.
In diese Beratungen ist auch ein Gesetzentwurf desBundesrates eingebracht worden, der den gleichen Wort-laut wie der Ihrige aufweist. Am 11. April hat der Bun-desrat mit Mehrheit beschlossen, dieses Gesetz demBundestag zuzuleiten. Ich sagte soeben: gleicher Wort-laut. Auch hier finden wir dieselben Schlagworte. Siewerden sagen: Es sind ja auch dieselben Probleme. Mankönnte allerdings auch auf die Idee kommen, dass Sie,nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesratgeändert haben, die im Vermittlungsausschuss erzieltenKompromisse über den Jordan schicken möchten, nurum damit zu zeigen, dass Sie das Unterste nach obenkehren können. Da frage ich mich natürlich: Was istdenn das für eine Politik?
WtaslddIkgtAidrfDOAsek2–GE2iIsbs
ber das mache ich ja gar nicht.
Ich möchte jetzt zu den Argumenten kommen. Sieprechen von einem zu kurzen Zeitraum für die Modu-ation auf nationaler Ebene. Ich weiß nicht, wieso Sieiese abgegriffenen Floskeln immer wieder verwenden;enn wir reden ja nicht das erste Mal darüber. Ich gebehnen gerne noch einmal Nachhilfe. Ich glaube, ich er-läre Ihnen das jetzt zum dritten Mal, aber ich mache esern. Der EU-Vorschlag über die obligatorische Modula-ion bezog sich auf den Beginn des Jahres 2006.
ls wir, auch mithilfe der Opposition, den Kompromissm Vermittlungsausschuss gefunden haben, war klar,ass die nationale Regelung nur so lange gilt, bis in Eu-opa die entsprechende Regelung obligatorisch einge-ührt wird.
as haben wir damals alle gewusst. Vielleicht war diepposition nicht so weitsichtig; das mag sein.
ber Fakt ist, dass wir alle über diesen Umstand Be-cheid gewusst haben.Der nächste Punkt: die zu hohen Kosten und dernorme Verwaltungsaufwand. Erstens ist ein Vorschlagein Beschluss. Das heißt, ob die EU die Modulation006 einführt, ist noch gar nicht klar.
Das ist geplant; ein Vorschlag ist kein Beschluss, Herroldmann.
s handelt sich um den kurzen Zeitraum von 2003 bis006. Über ihn kann man sicherlich sagen: Das ist nochn Ordnung.
ch bin ja nicht die Frau mit der Glaskugel; im Kaffee-atz kann ich auch nicht lesen. Deswegen sage ich: Wirleiben bei der Gesetzeslage, die wir beschlossen haben.Gemeinsam, meine Damen und Herren von der Oppo-ition, haben wir im Vermittlungsausschuss, auf Wunsch
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3708 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003
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Waltraud Wolff
der Länder, ausdrücklich die Kleinbeihilfen für Hopfen,Stärke, Saatgut und Tabak herausgenommen. Auf dieseWeise haben wir es ja erreicht, dass der bürokratischeAufwand vertretbar blieb. Haben Sie auch das schonwieder vergessen?
Ich sage es noch einmal – für Sie als Erinnerung –,dass nur diejenigen Direktzahlungen der Modulation un-terliegen, die im Rahmen des integrierten Verwaltungs-und Kontrollsystems abgewickelt werden. Auf gutDeutsch heißt das – falls Sie es nicht wissen –,
dass es für jeden Landwirt nur eine Zahlstelle gibt. Wo-rin besteht denn das Problem? Die 2 Prozent nationaleModulation werden für die Betriebe direkt berechnet undeinbehalten; das ist ein Vorgang. Dabei kann man nichtvon einem großartigen Aufwand sprechen.Wenden wir unseren Blick einmal woanders hin: Den-ken wir darüber nach, was seit dem Beschluss im Landepassiert ist. Die Landesministerien, alle Berufsverbände,jeder einzelne Bauer wusste, dass ab Januar 2003 einTeil der Betriebe 2 Prozent weniger Direktzahlungen ausBrüssel bekommen wird.
– Darauf kommen wir noch. – Dieses Geld wird zukünf-tig zur Stärkung der ländlichen Räume hin zu einer nochumweltgerechteren Landbewirtschaftung und für einenbesseren Verbraucherschutz verwandt, um nur einigeVerwendungszwecke zu nennen.Die Leute saßen zusammen – viele sogar in ihrer Frei-zeit –
und haben sich Gedanken darüber gemacht, wie sie dieneue Ausrichtung der Agrarpolitik mit eigenen Projektengestalten können. Alle Berufsverbände haben hier großeinhaltliche Zuarbeit geleistet. Auch wenn sie die Modu-lation nicht wollten, akzeptierten sie den Bundestagsbe-schluss
und gingen an die Arbeit.
Auch in den Landesministerien war man nicht träge.Man schimpfte zwar über die Entscheidung, doch auchdort wollte man nicht unvorbereitet auf den 1. Januar2003 zugehen. Es ist nicht nur Papier beschrieben wor-den. Man hat die Vorschläge und Programme
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Jetzt möchte ich gern auf den Anfang meiner Redeurückkommen. Die FDP-Kollegen schreiben im Ge-etzentwurf, dass es sich hier um eine Verschwendungon Steuergeldern handelt. Außerdem heißt es unterD. Kosten“, dass keine zusätzlichen Kosten entstehen.
berflächlich betrachtet mögen Sie ja Recht haben, aberch finde das sehr fadenscheinig. Wir würden hier natür-ich nur einen Federstrich machen, aber was ist mit dereleisteten Arbeit in den Ländern? Hat sie nichts gekos-et? Geht es nicht um Steuergelder?
ie Länder mussten Programme erarbeiten, möglicher-eise auch die EDV umstellen. Kostet das nicht daseld der Steuerzahler?
Zusätzlich haben Sie etwas ganz Schlimmes gemacht:ie haben nämlich mit der Einbringung des Gesetzent-urfs das gesamte ehrenamtliche Engagement der land-irtschaftlichen Berufsverbände, die nicht nur Zeit ge-pfert, sondern auch viele Ideen eingebracht haben,nfrage gestellt.
um Teil – so war es bei mir in Sachsen-Anhalt – sindie Berufsverbände sogar über ihren Schatten gesprun-en und haben dem Ministerium einen gemeinsamenorschlag vorgelegt. Hat das alles kein Geld gekostet?ugegeben, dabei handelt es sich nicht um Steuergeld,ber moralisch betrachtet ist Ihr Entwurf ein Tritt gegenas Schienbein all derer, die sich abgemüht haben.
Das bitte ich Sie noch einmal zu bedenken. Überlegenie, was Sie mit diesem Gesetzentwurf anrichten. Ziehenie ihn zurück! Lassen Sie uns die Zeit bis 2006 nutzen!estalten wir unsere Programme so, dass sie zukunftsfä-ig sind, den EU-Normen entsprechen und unsere Land-irtschaft weiterentwickeln!Schönen Dank.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Mai 2003 3709
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Das Wort hat der Kollege Bernhard Schulte-Drüg-
gelte, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Hans Goldmann hat gerade erwähnt, dass in Nord-rhein-Westfalen ein Verdachtsfall zur Geflügelpest posi-tiv bestätigt wurde. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und möchte sagen: Das ist ein sehr traurigerVorfall. Wir müssen jetzt alle Anstrengungen unterneh-men, um die Geflügelpest einzugrenzen, damit wirKlarheit erhalten. Staatssekretär Berninger ist anwe-send. Er hat heute Vormittag schon einmal darüber in-formiert, vielleicht nutzt er die Gelegenheit, um denAbgeordneten hier weitere Informationen zukommen zulassen.
Ich möchte zum Thema Modulation überleiten. Eu-ropa wird weiter zusammenwachsen. Die Verträge zurOsterweiterung sind Realität. Gemeinsam muss eine eu-ropäische Politik gestaltet werden. Das gilt auch für einegemeinsame europäische Agrarpolitik, die den neuenHerausforderungen gerecht wird. „Gemeinsam gestal-ten“ sind die Worte von Bedeutung. Nationale Sonder-wege führen ins Abseits. Die Regierung erhält nun aber-mals die Chance, das Gesetz zur Modulation vonDirektzahlungen rückgängig zu machen. Hier bietet sichdie Chance, fehlerhafte Entscheidungen der jüngstenVergangenheit zu korrigieren.
Hier besteht die Chance, die Wettbewerbsfähigkeit derdeutschen Bauern in Europa nicht noch durch einen wei-teren nationalen Sonderweg zu verschlechtern.Es drängt sich ohnehin der Eindruck auf, dass die Re-gierungsfraktionen das Modulationsgesetz im Mai 2002wider besseres Wissen verabschiedet haben, obwohl dieSchwierigkeiten und Nachteile eines deutschen Sonder-weges schon damals bekannt waren. Heute stehen nurnoch Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zudiesem Gesetz. Im Bundesrat hielt StaatssekretärDr. Thalheim seine eigenen Argumente für eine Modula-tion scheinbar selbst für so wenig überzeugend, dass eres für besser hielt, sie gleich zu Protokoll zu geben.Auch die neuerliche Begründung der MinisterinKünast für die Beibehaltung des Modulationsgesetzesnach dem Agrarministertreffen in Schwerin erscheintmir da etwas dünn. Ich zitiere die Ministerin:Wir werden ein erst vor kurzem beschlossenes Ge-setz nicht schon wieder aufheben, noch bevor esumgesetzt ist.Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regie-rung, noch haben Sie Gelegenheit, die Notbremse zu zie-hen. Ich fordere Sie auf: Machen Sie einfach Gebrauchvon dieser Technik!GtrdBfggöghmwgssfmtvELsfce„EafavbdSNdgrhreiw
Drittens. Eine Agrarstruktur- und Umweltpolitik kannon den Ländern auch ohne Modulation hervorragendetrieben werden. Das zeigen viele unionsgeführte Län-er wie beispielsweise Baden-Württemberg, Bayern,achsen und Thüringen.
ordrhein-Westfalen, das immer noch die Einführunger Modulation befürwortet, nimmt bei seinen Zahlun-en für Agrar- und Umweltmaßnahmen einen der hinte-en Plätze ein. Vielleicht sollte in Nordrhein-Westfalenier erst einmal ein Anfang gemacht werden.Viertens. Bürokratie und Regulierung im Agrarbe-eich haben überhand genommen. Das Gesetz wird Steu-rgelder in Millionenhöhe verschlingen. Die Modulationst bürokratischer Unsinn und liegt nicht im Interesse derirtschaftenden Betriebe.
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Bernhard Schulte-DrüggelteFünftens. Zuletzt möchte ich die europapolitischeArgumentation der Bundesregierung zurückweisen, dielautet: Mit der Einführung der Modulation setzeDeutschland auch ein positives Signal für die erforderli-che Reform der gemeinsamen Agrarpolitik. Das nachMeinung der Bundesregierung vermeintlich positive Si-gnal muss da wohl eher als Warnlicht für einen mögli-chen Irrweg gedeutet werden. Mit der Einführung dernationalen Modulation schlägt die Bundesregierungnämlich einen Weg ein, den andere EU-Länder wieFrankreich und Portugal aufgrund schlechter Erfahrun-gen gerade erst verlassen haben.In Europa findet derzeit eine Diskussion über die Mo-dulation in den Mitgliedstaaten statt. EU-KommissarFischler hat bereits angekündigt, dass die Einführung derobligatorischen Modulation in Europa auf das Jahr 2006verschoben werden soll. Ich frage mich, ob es in dieserSituation wirklich sinnvoll ist, mit nationalen Alleingän-gen zu beginnen. Zudem bestätigen die jüngsten EU-Be-rechnungen alle Befürchtungen: Bei einer Umsetzungeiner europäischen Modulation der Direktbeihilfenmüssten die deutschen Landwirte zugunsten ihrer Kolle-gen aus den anderen Mitgliedstaaten mit Einbußen von200 Millionen Euro rechnen.
Die Nettozahlerposition Deutschlands in der EU würdesich weiter verschlechtern.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Das mache ich. – Ich darf zum Schluss sagen – das
Plenum ist ja heute eher leerer –, was genau Modulation
eigentlich bedeutet. Dazu darf ich einen Kollegen zitie-
ren, der gesagt hat: Wenn man einem Lehrer 10 Prozent
seines Gehaltes wegnimmt und der Staat dann die glei-
che Summe dazutut, um die maroden Schulen zu sanie-
ren, dann ist das Modulation. – Ich füge hinzu: Wenn Sie
Pech haben, werden von der Summe Verwaltungskosten
in Höhe von 30 bis 50 Prozent fällig, und nicht eine
Schule wird saniert, sondern der Kiosk, der daneben
steht.
Schönen Dank.
Herr Kollege Schulte-Drüggelte, ich gratuliere Ihnen
zu Ihrer ersten Rede im Plenum des Deutschen Bundes-
tages, die Sie nach manchen Anläufen heute halten
konnten und nicht, wie Ihre Reden zuvor, zu Protokoll
geben mussten, und wünsche Ihnen für die weitere parla-
mentarische Arbeit alles Gute.
Nun hat der Parlamentarische Staatssekretär Matthias
Berninger das Wort.
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ir haben in den vergangenen Jahrzehnten falsche Ak-ente gesetzt. Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung,ie Agrarförderung so umzustellen, dass wir neue Ak-ente setzen können.Die geplanten Modulationsmaßnahmen sind inzwi-chen schon sehr konkret. Hier ist sehr abstrakt über diemverteilung von Mitteln gesprochen worden. Ich frageich, was dagegen spricht, in intensiv bewirtschaftetenegionen wie Vechta-Cloppenburg landwirtschaftlicheetriebe dabei zu unterstützen, ihren Viehbesatz zu ver-ingern. Das ist in Holland mit großem Erfolg gemachtorden. Das ist auch gut für die Umwelt; denn danntinkt die Landwirtschaft in den Regionen nicht mehrum Himmel. Das ist eine der ganz konkreten Maßnah-en.
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Parl. Staatssekretär Matthias Berninger
Was spricht, bitte schön, dagegen, – –
– Aha, das ist die Region mit der geringsten Arbeitslo-sigkeit. – Soll ich Ihnen mal etwas sagen? Wir haben rie-sige ökologische Probleme in Vechta-Cloppenburg. Indieser Region gibt es einen Viehbesatz, der bis zumHimmel stinkt.
Ihre Agrarpolitik hat dazu geführt, dass die Tiere aus denneuen Ländern abtransportiert und nach Vechta-Clop-penburg gebracht wurden. Das und die in den neuenLändern bestehende hohe Arbeitslosigkeit wollen wirkorrigieren, weil die Menschen in den ländlichen Gebie-ten dort Perspektiven brauchen.
– Lassen wir Herrn Goldmann am Freitagnachmittagnoch ein wenig dazwischenreden. Er kann gerne eineFrage stellen. Ich sage Ihnen aber eines: Nachhaltigkeitbedeutet, ökologische – –
Die Wortmeldung ist immer für den Kollegen erteilt,
der aufgerufen wurde. Wenn das Bedürfnis besteht, ir-
gendetwas klarzustellen oder nachzufragen, so gibt es
die Möglichkeit, sich zu einer Zwischenfrage zu melden.
Man kann das vernünftigerweise nicht durch ständiges
Zwischenrufen kompensieren.
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Herr Kollege Goldmann, Nachhaltigkeit bedeutet,
ökologische, soziale und wirtschaftliche Interessen inDeckung zu bringen und nicht so einseitig vorzugehen,wie Sie das hier wieder zum Ausdruck gebracht haben.
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Was spricht, bitte schön, dagegen, landwirtschaftli-hen Betrieben, die ihren Wirtschaftsdünger zielgenauerusbringen wollen, eine Unterstützung zu geben? Das istbrigens eine Maßnahme, die man gerade in Bayern be-onders favorisiert. Ich kann eine ganze Reihe weitereraßnahmen, die die Länder vereinbart haben – auch sol-he, die zum Beispiel die Biodiversität und die Frucht-olge landwirtschaftlicher Flächen erhöhen –, nennen.
er entscheidende Punkt ist: Durch diese Maßnahmenerden fehlerhafte Entscheidungen einer Agrarpolitik,ie Sie über viele Jahre zu verantworten hatten, korri-iert.
Weil wir schon mal bei den Arbeitsplätzen sind:urch diese Fehlentscheidungen in der Agrarpolitik sindetriebe massenhaft vor die Hunde gegangen. Dem gingin galoppierender Strukturwandel voraus. Wir wollener Landwirtschaft eine dauerhafte Zukunft sichern.azu gehört es eben auch, das Engagement der Bäuerin-en und Bauern für den Natur- und Tierschutz beson-ers zu fördern.
as wird die Modulation mit einem Gesamtvolumen von0 Millionen Euro natürlich nicht alleine schaffen. Siet aber ein ganz wichtiger Baustein, mit dem wir iniese Richtung gehen.Herr Kollege Goldmann, die Debatten auf deruropäischen Ebene sind hier ganz eindeutig. Natürlichird es so gesehen, dass Fischlers Reformvorschläge iner Agrarpolitik durch diese Maßnahmen in Deutschlandnterstützt werden. Das ist auch ein Grund dafür, wes-alb wir daran festhalten. Wir glauben, dass diese Re-orm der Agrarpolitik den ländlichen Räumen am Endetwas nutzt. Wir halten überhaupt nichts davon, Ihre, um Bild von vorhin zu bleiben, steinzeitliche Auffassungon Agrarpolitik fortzusetzen.Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die Bürgerin-en und Bürger – das zeigen alle Umfragen – wollenine umweltfreundlicher ausgerichtete Landwirtschaft,
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Parl. Staatssekretär Matthias Berningerin der besser mit Tieren umgegangen wird, unterstützen.Es ist die Aufgabe der Modulation, das zu belohnen. Wirwerden daran festhalten.Zum Schluss will ich noch eines sagen: Bund undLänder haben sich auf die Modulation geeinigt. Dass dieLänder ein paar Monate nach ihrer Zustimmung wiederanfangen, populistisch zu diskutieren und das umkehrenzu wollen, ist wirklich ein schlechter Stil.
Das widerspricht ein wenig den guten Sitten. Ich kennekeinen landwirtschaftlichen Betrieb, bei dem ein solchesGebaren an den Tag gelegt wird, wenn man sich einmaldie Hand gegeben und eingeschlagen hat.
Ich kann Ihnen ganz klar sagen: Auch das ist einGrund, weshalb wir daran festhalten. Wir wissen, wie hartdie Widerstände sind. Wir haben ja gemerkt, wie sehr Siesich selbst am ruhigen Freitagnachmittag aufregen. Auchgegen diese Widerstände werden wir die Reform derAgrarpolitik vorantreiben. Ich danke den Mehrheitsfrak-tionen im Deutschen Bundestag ganz ausdrücklich, dasssie uns dabei unterstützen.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Albert Deß für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Staatssekretär Berninger, ich habe Sie hin und wie-der gelobt, dass Sie sich manchmal vernünftiger verhal-ten als Ihre Ministerin. Anscheinend verfallen Sie aberimmer mehr in die Sprechweise Ihrer Ministerin.Ich möchte zwei Punkte aufgreifen. Erstens. Sie ha-ben genauso wie Ihre Ministerin erklärt, dass 50 Prozentdes EU-Haushaltes für die Landwirtschaft verwendetwerden. Es ist eine Ungezogenheit, diese Zahl so darzu-stellen. Sie ist zwar rechnerisch richtig, aber man mussergänzen, dass nur wenig über den Brüsseler Haushaltabgerechnet wird. Wenn die gesamten Ausgaben für dieVerteidigungspolitik und die Sozialpolitik genauso wiegroße Teile der Agrarpolitik über Brüssel abgerechnetwürden, dann betrüge der Anteil für Landwirtschaft viel-leicht 2 Prozent, nicht 50 Prozent. Ich kann es auch an-dersherum sagen: Wenn die Strukturpolitik nicht inBrüssel gemacht würde, dann betrügen die Ausgaben fürdie Agrarpolitik 100 Prozent. Das muss man den Bür-gern einmal sagen und die Zahlen nicht immer verleum-derisch darstellen.
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Zum Thema der Modulation: Wir machen heute eineneiteren Versuch – die FDP hat einen Gesetzentwurfingebracht, den die Union unterstützt –, zu erreichen,ass dieses unsinnige Modulationsgesetz zurückgenom-en wird. Dabei hoffen wir auf die Vernunft der Regie-ungsfraktionen. Aber inzwischen ist das Wort Vernunftei dieser Regierungskoalition anscheinend ein Fremd-ort geworden. Wir hatten dieses Thema bereits am0. Dezember des letzten Jahres diskutiert. Damals istin entsprechender Antrag abgelehnt worden. Der Bun-esrat hat erneut einen Gesetzentwurf eingebracht. Ichöchte die SPD und die Grünen bitten, dass sie diesemnliegen Rechnung tragen.Bis auf zwei Bundesländer sind alle Bundesländer fürie Abschaffung der Modulation. Diese beiden Bundes-änder sind mit Nordrhein-Westfalen und Schleswig-olstein genau diejenigen, die im Agrar- und Umwelt-ereich das wenigste Geld ausgeben. Anscheinend er-offen sich diese Bundesländer, über die Modulation daseld zu bekommen, das in ihrem eigenen Landeshaus-alt zur Verfügung zu stellen sie nicht bereit sind.
Ich habe diese Zahlen hier am Rednerpult schon öfterenannt. Baden-Württemberg, das von der Union under FDP regiert wird, sowie die drei unionsregiertenänder Bayern, Sachsen und Thüringen geben für Um-elt- und Tierschutzmaßnahmen im Agrarbereichwischen 54 und 104 Euro pro Hektar aus. In Nordrhein-estfalen und Schleswig-Holstein sind es nur 1 bis1 Euro pro Hektar. Das zeigt doch, wie weit hier Redennd Handeln auseinander klaffen. Wenn ihr euch eineispiel an Baden-Württemberg und den anderennionsregierten Ländern nehmt, dann brauchen wir dasodulationsgesetz nicht.
uch dort, wo die FDP zusammen mit der SPD regiert,ieht es besser als dort aus, wo Rot-Grün regiert. Es istchon interessant, sich einmal die parteipolitischen Kon-tellationen anzuschauen.Ich bin der Meinung: Dieses Gesetz muss auch des-alb zurückgenommen werden, weil sich die Landwirt-chaft in einer äußerst schwierigen Einkommenslageefindet. Der Agrarbericht dieser Bundesregierung hatusgewiesen, dass die deutsche Landwirtschaft imirtschaftsjahr 2001/2002 ein Einkommensminus vonast 7 Prozent zu verkraften hatte. Für das laufende Wirt-chaftsjahr hat diese Bundesregierung angekündigt, dass
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Albert Deßmit einem Einkommensminus von 15 bis 20 Prozent zurechnen ist. Einen großen Teil dieser Einkommens-schwierigkeiten hat nicht Brüssel, sondern diese rot-grüne Bundesregierung zu verantworten.
Lieber Matthias Weisheit, mir wurde einmal ein Pa-pier der SPD-Arbeitsgruppe Landwirtschaft von vorüber zwei Jahren zugespielt. Bezogen auf das Jahr 2004wurde in diesem Papier festgestellt, dass die Maßnah-men, die diese Bundesregierung plant, für die deutscheLandwirtschaft eine finanzielle Benachteiligung von da-mals 3 Milliarden DM, also 1,5 Milliarden Euro, bedeu-ten. Schon im heurigen Jahr wird die deutsche Landwirt-schaft diese Benachteiligung in Höhe von 1,5 MilliardenEuro zu spüren bekommen. Prozentual gesehen ist diesdie wegen der von Rot-Grün verursachten Wirtschafts-und Einkommensmisere ohnehin in Moll gestimmt ist,bringt das Modulationsgesetz als rücksichtsloses Abkas-siermodell den letzten Missklang. Dieser Missklangsollte abgeschafft werden.
Sie arbeiten anscheinend nach dem Prinzip: Ent-spricht die Wirklichkeit nicht der Ideologie – umsoschlimmer für die Wirklichkeit! Wir folgen einer ande-ren Verhaltensregel: Eine Wahrheit erklärt man einemErwachsenen einmal, einem Kind zweimal, einem Eseldreimal. Wir haben es jetzt zweimal erklärt und hoffen,es nicht ein drittes Mal erklären zu müssen. Schaffen Siees ab!
genau die Zahl, die die Bundesregierung im Voraus be-rechnet hatte. Die Bundesregierung rechnet, wie gesagt,für dieses Jahr mit einem Einkommensminus von 15 bis20 Prozent. Eine Benachteiligung von 1,5 MilliardenEuro durch die rot-grüne Bundesregierung bedeutet beietwa 7,5 Milliarden Euro Nettowertschöpfung der deut-schen Landwirtschaft einen Einkommensverlust von ge-nau 20 Prozent.Ich bin dafür, dass Rot-Grün noch einmal intensivdarüber nachdenkt, ob man nicht bereit sein sollte, zu-sammen mit der großen Mehrheit der Bundesländer einevernünftige Regelung zu finden.
Unsere Bauern brauchen Luft zum Atmen und haben ge-nug von den rot-grünen Alleingängen der deutschenBundesregierung. Die größte Benachteiligung der deut-schen Bauern ist doch, dass sie hier in Deutschland wirt-schaften. Sie sind wesentlich größeren Nachteilen ausge-setzt, als wenn sie ihre Betriebe in anderen LändernEuropas hätten.Es gäbe noch weitere Gründe, mit denen man daraufhinweisen könnte, dass die Modulation abgeschafft wer-den soll; der Verwaltungaufwand ist heute schon ange-sprochen worden. Was bedeutet denn „Modulation“?Modulation ist in der Musik das Wechseln von Dur inMoll und umgekehrt. Für die deutsche Landwirtschaft,wsszsGsadodI
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 21. Mai 2003, 13 Uhr, ein.
ch wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.