Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-zung ist eröffnet.Wir alle haben, glaube ich, das Gefühl, dass, währendwir hier zusammensitzen, entscheidende Dinge passie-ren, die uns wie auch die Bevölkerung sehr stark be-schäftigen. Auch wir kennen das Gefühl von Ohnmacht.Aber wenn einer diesem Gefühl nicht nachgeben darf,dann sind das die Parlamentarier. Deswegen ist es rich-tig, dass wir unsere Arbeit tun. Wir werden aber das, wasim Moment alle beschäftigt und was die Welt in diesenTagen möglicherweise verändern wird, in der Generalde-batte sicherlich ausführlich besprechen.So wollen wir nun mit unserer Arbeit beginnen undich rufe Tagesordnungspunkt I auf:Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2003
– Drucksachen 15/150, 15/402 –
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Zunächstonslosen Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und PetraPau bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenom-men.Ich rufe auf:Einzelplan 02Deutscher Bundestag– Drucksachen 15/552, 15/572 –Berichterstattung:Abgeordnete Johannes KahrsPaul BreuerFranziska Eichstädt-BohligJürgen KoppelinWer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschuss-fassung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Einzelplan 02 ist mit den Stimmen des gesamtenHauses angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 03Bundesrat– Drucksachen 15/553, 15/572 –Berichterstattung:stimmen wir über die drei Einzelpläne ab, zu denenkeine Aussprache vorgesehen ist.Ich rufe auf:Einzelplan 01Bundespräsident und Bundespräsidialamt– Drucksachen 15/551, 15/572 –Berichterstattung:Abgeordnete Herbert FrankenhauserKlaas HübnerFranziska Eichstädt-BohligJürgen KoppelinWer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuss-fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerEinzelplan 01 ist damit mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen, der FDP-Fraktion sowie der beiden frakti-Abgeordnete Petra-Evelyne MerkelAlbrecht FeibelFranziska Eichstädt-BohligOtto FrickeWer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschuss-fassung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Auch der Einzelplan 03 ist mit den Stimmen des ganzenHauses angenommen.Ich rufe nun auf:Einzelplan 08Bundesministerium der Finanzen– Drucksachen 15/558, 15/572 –Berichterstattung:Abgeordnete Jochen-Konrad FrommeBernhard Brinkmann
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerKlaas HübnerAntje HermenauDr. Günter RexrodtEinzelplan 32Bundesschuld– Drucksache 15/570 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterWalter SchölerAntje HermenauDr. Günter RexrodtEinzelplan 60Allgemeine Finanzverwaltung– Drucksache 15/571 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterHans-Joachim FuchtelWalter SchölerAntje HermenauDr. Günter RexrodtEinzelplan 20Bundesrechnungshof– Drucksachen 15/567, 15/572 –Berichterstattung:Abgeordnete Anja HajdukIris Hoffmann
Bernhard KasterOtto FrickeZu Einzelplan 32 liegen zwei Änderungsanträge derFraktion der CDU/CSU vor. Zu Einzelplan 60 liegen jeein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion der CDU/CSU sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion derCDU/CSU vor. Über die Entschließungsanträge werdenwir am Donnerstag nach der Schlussabstimmung ab-stimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Widerspruchhöre ich keinen. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache.
– Es liegt eine Meldung für eine Rede zur Geschäftsord-nung vor. Bitte, Herr Thiele.
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin, Sie haben die Aus-
sprache gerade eröffnet. Wir beantragen, die Aussprache
zu unterbrechen, bis der Finanzminister anwesend ist.
Ich halte es für einen ungewöhnlichen Vorgang, dass der
Bundeshaushalt erörtert wird und der Finanzminister,
der sogar sprechen soll, nicht anwesend ist. Ich bitte, die
Sitzung bis zu seinem Erscheinen zu unterbrechen.
Es wurde beantragt, die Sitzung zu unterbrechen. –
Mir wird Einverständnis im ganzen Hause signalisiert.
Ist das richtig oder gibt es weitere Meldungen zur Ge-
schäftsordnung? – Das ist nicht der Fall. Hiermit stelle
ich Einvernehmen in der Frage einer Sitzungsunterbre-
chung fest. Es wird Ihnen bekannt gegeben, wann die
Sitzung wieder eröffnet wird.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Der
Finanzminister ist inzwischen eingetroffen. Er bittet um
das Wort für eine persönliche Erklärung.
Meine Damen und Herren, meine Verspätung tut mir
Leid. Aufgrund eines Staatsbesuches – ich weiß im Mo-
ment nicht, welcher – waren die Kreuzungen an der Beh-
renstraße und Unter den Linden für eine längere Zeit
vollständig gesperrt. Eine solche Verspätung ist ansons-
ten nicht meine Art.
Ich kann die Aussprache nun eröffnen. Das Wort hat
zunächst der Abgeordnete Dietrich Austermann für die
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In denletzten Monaten hat auch in Deutschland die Außenpolitikin der politischen Debatte eine überragende Rolle gespielt.Die Lage spitzt sich heute zu. Die Verantwortung für dieseKrise und ihre Zuspitzung tragen Saddam Hussein unddiejenigen in seinem Lande, die den Terror unterstützen.Um der Menschen willen hoffen wir auf eine letzteChance für den Frieden.Unabhängig von der außenpolitischen Lage bleibtdie Verpflichtung, im Inland die Dinge in Ordnung zubringen. Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der letz-ten zweieinhalb Jahre Rot-Grün, nach 1 400 TagenFinanzpolitik unter Hans Eichel, nach fünf Haushalts-plänen aus seiner Feder und erst recht in dieser politi-schen Lage muss man immer mehr den Eindruck gewin-nen: Was hier von Rot-Grün veranstaltet wird, ist sinnlos.
Man kann das mit den Worten überschreiben, dass derim Dezember vorgelegte Bundeshaushalt an Realitäts-ferne nicht zu überbieten ist, dass der Haushalt wegendieser Realitätsferne das Vertrauen der Bürger und In-vestoren in Deutschland weiter zerstört und dass wir da-raufhin eine Entwicklung in unserem Land haben, die
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Dietrich Austermannjeder Bürger in seinem Portemonnaie spürt und die im-mer mehr Arbeitslose persönlich erleiden und ertragenmüssen. Es gibt kein Vertrauen mehr in die Haushalts-politik des Bundes. Bundesbank, Bundespräsident undBundesrechnungshof fordern Kurskorrekturen, die abernicht getroffen werden.
Das Frappierende an dieser Situation ist, dass derBundesfinanzminister, der die Menschen vor der Bun-destagswahl belogen und betrogen hat – –
– Herr Müntefering, für eine Schätzabweichung von11 Milliarden Euro im Haushalt gibt es keine andere Er-klärung als die, dass hier die Wahrheit vorsätzlich ver-dreht worden ist.
Dies wurde mit dem Nachtragshaushalt fortgesetzt, derim November vorgelegt wurde und bei dem die Schät-zungen wieder um einen fast zweistelligen Milliarden-betrag von der Realität abgewichen sind.Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass jede Zahl,die in der letzten Zeit vom Finanzministerium genanntworden ist, mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Dasist deshalb dramatisch, weil viele Investoren darauf ver-trauen wollen, dass es mit der wirtschaftlichen Entwick-lung in unserem Lande vorangeht, und in diesem Ver-trauen fast täglich neu enttäuscht werden.
Sie haben Ende letzten Jahres eine scheinbar positiveVeränderung in Ihrem Haushalt nur deshalb erreicht,weil Sie vor allen Dingen im Osten den zweiten Arbeits-markt konzeptionslos und brutal zusammengeknüppeltund Mittel eingespart haben, um nicht einen zu hohenZuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit ausweisen zumüssen.Auch haben Sie, Herr Eichel, die Einnahmen aus derMineralölsteuer in Höhe von 1 Milliarde Euro nochschnell in das Jahr 2002 vorgezogen.
– Doch, das hat Ihr Staatssekretär im Haushaltsaus-schuss zugegeben.
Sie haben Ende Dezember 2002 1 Milliarde Euro einge-zogen, um die Bilanz etwas zu schönen. Dies hatte imJanuar dieses Jahres entsprechende Konsequenzen inForm von Steuermindereinnahmen.Ein weiterer Punkt, an dem man feststellen muss, dassall die vorhandenen Vorgaben, mit der Realität nichtmehr in Einklang zu bringen sind, ist das Finanzierungs-konzept für die Fluthilfe, das grandios gescheitert ist.
Steuermehreinnahmen, die das Ganze decken sollten,sind nicht eingetreten. Jetzt finanzieren Sie die Hilfe fürden Wiederaufbau in den neuen Bundesländern über hö-here Schulden. Der Bundesbankgewinn wäre in der Tatdas bessere Finanzierungsmodell gewesen.
Meine Damen und Herren, die Haushaltspolitik wirdzunehmend irrational. Sie ist kaum noch nachvollzieh-bar.
Mit einer immer stärkeren Belastung von Bürgern undBetrieben sollen Konjunktur und Investitionen angekur-belt werden.
Das begann am Jahresanfang mit einer Fülle von Steuer-und Energiepreiserhöhungen, die jeder Bürger in seinemPortemonnaie spürt. Dann setzte es sich – Herr Müntefe-ring, Sie können gleich wieder aufschreien; ich möchtedas Ganze fast „Steuerterror“ nennen – mit dem Planfort, 48 neue Steuern zu erheben bzw. Steuerver-änderungen vorzunehmen.
Dabei ging es zum Teil um Kinderkram – von der Erhö-hung der Mehrwertsteuer auf Blumen bis zu allen mögli-chen anderen Regelungen.
Damit wollten Sie eine Verbesserung der Haushaltssitua-tion erreichen.Sie haben diesem Haushalt ein Steuervergünsti-gungsabbaugesetz mit Mehreinnahmen unterstellt, ob-wohl Sie genau wissen, dass dieses so genannte Steuer-vergünstigungsabbaugesetz im Bundesrat überhauptkeine Chance hat. Sie rechnen damit, durch die Abgel-tungsteuer mehr Geld einzunehmen.
– Wenn das, was Sie hier in Deutschland seit zweiein-halb Jahren machen,
Steuergerechtigkeit ist, dann fragen Sie doch bitte dieWähler in Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holsteinund – am letzten Sonntag – in Kiel, ob sie das, was Siemachen, für gerecht halten.
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Dietrich AustermannDie Bundesregierung rechnet laut Jahreswirtschafts-bericht mit einem geringeren Wachstum. Im Haushalts-entwurf findet dies aber keine Widerspiegelung.
Sie ziehen im Haushalt keine Konsequenzen. Immermehr kurzfristige Kredite werden aufgenommen, damitjetzt schnell Geld vorhanden ist. Dabei verschiebt mandie Belastung, die sich aus diesen kurzfristigen Kreditenergibt, in die Zukunft. Unverändert nehmen die konsum-tiven Ausgaben zu. Die Verschuldung steigt. Der Rück-gang der Investitionen zeigt eine Lastenverschiebung indie Zukunft.Eine Fülle von Haushaltsposten, von der Kohle biszur Raumfahrt, werden in diesem Jahr zu niedrig ange-setzt. Dies tut man in der Hoffnung, dass die Antragstel-ler – man muss sich in der Tat einmal mit Vertretern derRuhrkohle AG unterhalten – in diesem Jahr das Geld,auf das sie ein Recht haben, nicht einfordern werden.Nein, man könnte sich auf den ehemaligen Ministerpräsi-denten von Niedersachsen, Herrn Gabriel, beziehen – dieälteren Niedersachsen unter Ihnen werden sich noch anihn erinnern –,
der von „Voodoo-Ökonomie“ gesprochen hat, als er dieFinanzpolitik von Herrn Eichel beschrieben hat.Ich frage: Welche Konsequenzen wurden in denHaushaltsberatungen aus diesem unglaublichen Haus-haltsentwurf gezogen? Insgesamt gab es eine Verände-rung um 300 Millionen Euro. Auf dem Papier wurdenMehrausgaben durch Steuermehreinnahmen gegenfinan-ziert, die – ich habe davon gesprochen – überhaupt nichtrealistisch sind. Neue globale Minderausgaben wurdeneingeplant, andere ausgeplant. Die restliche globaleMinderausgabe in Höhe von 1 Milliarde Euro wird nocheingespart werden müssen. Im Bereich von Forschungs-und Verkehrsinvestitionen wurden Kürzungen vorgese-hen.Ich möchte den Metrorapid, weil er die Kollegen ausNordrhein-Westfalen interessiert, als Beispiel nennen.Man hat dem Land Nordrhein-Westfalen für dieses Jahr80 Millionen Euro zugesagt. Wie sind diese Mittel auf-gebracht worden? Im Verkehrsetat hat man für dieseMehrausgabe eine Minderausgabe in der gleichen Höhevorgesehen. Das bedeutet, dass alle anderen Verkehrsträ-ger – von der Schiene über die Straße bis zur Wasser-straße – jetzt das Geld für ein nicht haushaltsreifes undunsinniges Projekt aufbringen müssen.
Der Verkehrsetat wurde zurechtgestutzt bzw. zusam-mengestutzt, obwohl im Verkehrsetat eine Mehrein-nahme in Höhe von 1 Milliarde Euro aus der Maut ver-anschlagt ist. Vielleicht können Sie sich noch daranerinnern, dass vor zwei oder drei Jahren davon gespro-chen wurde, in Deutschland solle ein Anti-Stau-Pro-gramm aufgelegt, werden, sodass künftig auf allen Auto-bahnen durchgängig und ständig auf drei oder vierSpuren gefahren werden könne. Was findet man von die-sem Anti-Stau-Programm im diesjährigem Haushalterstmals wieder? Es ist ein Betrag in Höhe von 20 Mil-lionen Euro.Von diesen 20 Millionen Euro – das sind, glaube ich,zwei oder drei kleinere Straßenbauprojekte irgendwo inDeutschland – muss man ausgehen, wenn man berück-sichtigt, dass der Verkehrsetat insgesamt reduziert wor-den ist. Das heißt: Es wird weniger für Infrastruktur inDeutschland ausgegeben, obwohl durch die Mautgebüh-ren 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung stehen soll.Eichel hat trotz der im Jahreswirtschaftsbericht von1,5 auf 1 Prozent reduzierten Wachstumserwartungenpraktisch keine Anpassung der Haushaltseckwerte vor-genommen. Die wesentlichen Schätzansätze wurden ausanderen Gründen nur geringfügig verändert. Mittler-weile haben alle kompetenten Institute deutlich gemacht,dass sie davon ausgehen, dass es in diesem Jahr wederein Wachstum von 1,5 Prozent noch von 1 Prozent gebenwird. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft schätzt0,4 Prozent, das RWI 0,6 Prozent, die OECD hat eben-falls eine Reduzierung angekündigt. Das alles soll ohnejede Wirkung auf den Haushalt der BundesrepublikDeutschland sein? Wie kann man da den Finanzministernoch ernst nehmen?Wir wissen, dass er am Freitag mit dem Bundeskanz-ler und dem Bundesaußenminister nach Brüssel mar-schieren muss. Ich bezeichne das als Canossagang, weiles bedeutet, dass Deutschland darum bitten muss,
dass man trotz der absehbaren Überschreitung derMaastricht-Kriterien kein Strafverfahren zu gewärti-gen hat. Vielleicht sagen Sie etwas dazu, Herr Eichel,was eigentlich der Anlass dieses Termins ist und wie esmit dem Maastrichter Vertrag in Einklang zu bringen ist,
dass Ihnen die EU-Kommission diesen Nachlass fürschlechte Arbeit gewähren will. Wir werden in diesemJahr aufgrund der veränderten wirtschaftlichen DatenSteuerausfälle von mindestens 4 Milliarden Euro haben.Wir werden Mehrausgaben bei der Bundesanstalt für Ar-beit in der Größenordnung von etwa 5 Milliarden Eurohaben. Wenn Sie sich die Bilanz nach zwei Monaten an-sehen, Herr Kollege, dann werden Sie sehen, dass derBundesanstalt für Arbeit, die nach Regierungsverdiktmit einem Nullzuschuss in diesem Jahr auskommen soll,bisher schon 1,6 Milliarden Euro fehlen.Wenn ich nur diese beiden Daten zusammennehme,dann heißt das, dass die Nettokreditaufnahme des Bun-des um 10 Milliarden Euro über dem veranschlagtenSoll, also bei rund 30 Milliarden Euro, liegt. Alfred Bossvom Institut für Weltwirtschaft geht davon aus, dass wirbei einem Wachstum von 1 Prozent deutlich über30 Milliarden Euro liegen würden. Das heißt – die Dra-matik der Situation ist gar nicht hoch genug einzuschät-zen –: Der Bundesfinanzminister wird zum zweiten Mal
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Dietrich Austermannnacheinander einen Haushalt vorlegen, der der Verfas-sung nicht entspricht,
er wird zum zweiten Mal einen Haushalt vorlegen, dernicht im Einklang mit europäischem Recht steht. Ichglaube, es wird deutlich, dass das Königsrecht des Parla-ments, über den Haushalt zu beschließen und die Ent-scheidungen zu treffen, die Vertrauen in die Zukunftschaffen sollen, die zwischen Investitionen und Konsumabwägen und deutlich machen, in welche Richtung unserLand in diesem Jahr marschieren soll, zur Farce ver-kommt, wenn Daten auf dem Tisch liegen, die mit derRealität nichts zu tun haben.
10 Kilo Papier, 3 500 Seiten, aber nicht eine einzigeAndeutung dazu, wie es mehr Chancen für die Menschenin diesem Land geben soll. Dass mit Steuerminderein-nahmen und bei der Bundesanstalt für Arbeit mit Mehr-ausgaben zu rechnen ist, kann gar nicht bestritten werden.Ein weiteres Risiko für diesen Haushalt liegt in derSozialversicherung. Auch da sind nach 1 400 TagenHans Eichel Defizite in allen Bereichen zu beklagen, undzwar bei der Pflegeversicherung, bei der gesetzlichenKrankenversicherung und – was haushaltswirksam ist –bei der Rentenversicherung sowie bei der Sozial- und Ju-gendhilfe. Überall haben wir eine Defizitwirtschaft,nachdem wir 1998 eine andere Situation hatten.
– Es ist unbestreitbar, dass die Pflegeversicherung heutenoch davon lebt, dass wir einen Überschuss erwirtschaf-tet haben, der aus den Rücklagen von 1998 resultiert.
Es ist unbestreitbar, dass die gesetzliche Krankenversi-cherung – ich sehe den Kollegen Seehofer an – im Jahr1998 Überschüsse hatte, und es ist unbestreitbar, dassauch die Rentenfinanzen 1998 in Ordnung waren,
und zwar aufgrund einer Rentenreform, nach der Siesich heute, da die Zeitungen jeden Tag fragen, wie hochdenn der Beitrag in diesem Jahr sein wird, die Fingerlecken.
Angesichts der Tatsache, dass wir schon jetzt damitrechnen müssen, dass der Bund wegen der wegbrechen-den Schwankungsreserve bei der Rente in Anspruch ge-nommen wird, ist mir völlig unverständlich, wie manaufseiten der Koalition dicke Backen machen kann.
Die Folgen einer fehlerhaften Finanz-, Haushalts- undWirtschaftspolitik für die Nettokreditaufnahme sindunübersehbar. Ich will das noch einmal deutlich machen,weil der Finanzminister gerne den Eindruck erweckt, erhabe nun einen anderen Kurs eingeschlagen, der in dierichtige Richtung führe und etwas mit Konsolidierung zutun habe. Viele Wirtschaftsfachleute empfehlen in derTat, er möge seinen Konsolidierungskurs fortsetzen. Ichkann das nur so deuten, dass sich diese Fachleute nichtmit den Haushaltsdaten beschäftigt haben.
Lassen Sie mich eines konkret feststellen, Herr Minis-ter Eichel: Die Gesamtausgaben liegen in diesem Jahrum 16 Milliarden Euro höher als 1998. Das ist ein Plusvon 6,7 Prozent.
– Ich will nicht darauf eingehen, wofür es spricht, wennman in dieser Situation bei klaren Fakten vor sich hingrinst. – Die Investitionsquote hat ein historisches Tieferreicht. Die Ausgaben für den Arbeitsmarkt liegen aufeinem Rekordniveau. Die Nettokreditaufnahme – ichhabe das bereits ausgeführt – liegt zum zweiten Maloberhalb der Grenze, die die Verfassung zulässt. Wir ha-ben im vergangenen Jahr eine Rekordverschuldung ge-habt und es ist davon auszugehen, dass auch in diesemJahr die Maastricht-Kriterien verletzt werden.
Spricht das alles für einen Konsolidierungskurs oderfür einen geordneten Haushaltskurs?
Nein, vielmehr wird der Schuldenstand in diesem Jahr mitvoraussichtlich 825 Milliarden Euro um 80 Milliarden Eurohöher liegen als 1998. Das ist deshalb interessant, weil Sieim gleichen Zeitraum den Menschen 70 Milliarden Euromehr an Steuern aus der Tasche gezogen und außerdemnoch 50 Milliarden Euro durch den Erlös aus der Verstei-gerung der UMTS-Lizenzen eingenommen haben.
Trotz dieser zusätzlichen Rekordeinnahmen durch diePrivatisierung ist eine so kümmerliche Bilanz dieserFinanz- und Haushaltspolitik zu ziehen.
Die rot-grüne Perspektive ist – soweit man sie ausdem Haushalt ableiten will – nicht zukunftsorientiert.Die Ausgaben für den Konsum steigen, die Investitions-ausgaben sinken. Die Investitionsquote liegt ohne dieFluthilfe deutlich unter 10 Prozent. Die Bundesregierungerhöht den Staatsverbrauch bzw. die Staatsquote, umsich vor notwendigen Reformen zu drücken.Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers, die inTeilbereichen durchaus eine Kursbegradigung, wenn
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Dietrich Austermannauch leider keine Kurskorrektur ist und die in Teil-bereichen die Rechtslage von 1998 wieder herstellt unddies als großartigen Erfolg feiert, ist in der Summe ihrerAnkündigungen leider nicht angetan, in Deutschlandwieder die Dynamik herbeizuführen, die es 1998 in derwirtschaftlichen Entwicklung gegeben hat. Das ent-scheidende Kriterium für eine erfolgreiche Finanz- undHaushaltspolitik muss darin bestehen, ob die Regierung– soweit sie als staatliche Instanz dazu imstande ist –einen Beitrag dazu leistet, dass die wirtschaftliche Ent-wicklung aufwärts verläuft, oder ob sie weiter auf derStelle tritt.Wir sind – um das gleich festzuhalten – eindeutig gegendas schuldenfinanzierte Investitionsprogramm, das ges-tern im Haushaltsausschuss im Einzelnen konkret vorge-stellt wurde. Die Zinsen sind ohnehin auf einem histori-schen Tiefstand. Das Programm kann deshalb nur einenutzlose Subvention bedeuten. Die Investoren werdenzwar die Zinsverbilligungen mitnehmen, aber keinen Centmehr investieren. Es wird nicht einmal zu einem Stroh-feuer kommen. Denn das Stroh ist nass; Kredite sind be-reits jetzt extrem billig. Ein Kreditprogramm für hoch ver-schuldete Gemeinden bringt nichts. Diese Gemeindenbrauchen vielmehr frisches Geld und eigene Einnahmen.Die von Ihnen betriebene Politik in Bezug auf Gewer-besteuer, Gewerbesteuerumlage, Finanzausgleich, Öko-steuer und Grundsicherung bedeutet, dass Sie den Bür-germeistern der Gemeinden die Beine wegschlagen undihnen anschließend eine Gehhilfe zur Miete anbieten.Das tragen wir nicht mit.
Als wir im Haushaltsausschuss des Bundestages dieFreistellung der Kommunen von der Fluthilfe gefordert ha-ben, haben Sie abgelehnt. Immerhin: Jetzt soll dieses Vor-haben doch umgesetzt werden. Wir haben die Aufstockungder Mittel für die Forschungsgesellschaften – die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, dieDeutsche Forschungsgemeinschaft und andere – nachdem mit den Ländern vereinbarten Schlüssel gefordert.Sie haben das im Haushaltsausschuss abgelehnt. Der Bun-deskanzler hat zwar am letzten Freitag an dieser Stelle ge-sagt, das wolle man machen. Er hat bloß das Jahr 2003ausgespart. Die Mittel sollen also in diesem Jahr nochnicht zur Verfügung gestellt werden. Ich halte das für eineunglaubliche Täuschung der Bürger.Wir wollten beim Haushalt eine Reihe von Verän-derungen durchsetzen: Stärkung der öffentlichen In-vestitionen, insbesondere der Verkehrsinvestitionen, Er-höhung der Städtebauförderung und Stärkung derAusgaben im Bereich Bildung und Forschung. Es geht umInvestitionen in die Zukunft, die zurzeit dramatisch ver-nachlässigt werden. Wir wollten des Weiteren ein natio-nales Raumfahrtprogramm, mehr Mittel für Meeresfor-schung und Meerestechnik sowie für die Werften. Wirwollten vor allen Dingen den neuen Bundesländern einegrößere Chance geben, über höhere Ausgaben zur Verbes-serung der regionalen Wirtschaftsstruktur beizutragen.
Wir wollten außerdem eine Erhöhung der Mittel für dieGemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küsten-schutz“. Wir wollten auch den Verteidigungsetat anhe-ben. Es kann doch nicht richtig sein, dass der Bundes-außenminister von einer Stärkung des Militärischenspricht, dass aber der Verteidigungsetat durch klamm-heimliche Zusagen, die gegeben werden mussten, immerweiter sinkt.
An all diesen Stellen wollten wir Akzente in RichtungZukunft setzen. Sie haben das alles abgelehnt. Sie habendie Verantwortung für den vorliegenden Haushaltsent-wurf zu tragen, der mit der Realität nichts zu tun hat.Die Denkzettel bei den letzten drei Wahlen, bei denLandtagswahlen in Hessen und Niedersachsen sowie beider Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, sind offen-sichtlich noch lange nicht genug. Die Bürger haben er-kannt: Die jetzige Regierung hat es aufgegeben, einenBeitrag zu einer Finanzpolitik zu leisten, die der Zukunftzugewandt ist. Eichel hat es schon immer verstanden, dieZahlen zu verdrehen. Ich glaube, Herr Minister, wennSie heute Bilanz ziehen und versuchen, das, was vor-liegt, mit der Realität in Einklang zu bringen, dann wer-den Sie feststellen müssen, dass Sie von ihr meilenweitentfernt sind. Wer so weit von der Realität entfernt istwie Sie, der hat zumindest als Minister in einem Minis-terium nichts zu suchen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Schöler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Austermann hat soeben in der ihm eigenenArt – wir sind es ja nicht anders gewohnt – den Pinseltief in schwarze Farbe getaucht und Schwarzmalerei be-trieben, wie sie falscher nicht sein kann. Wie gesagt,Herr Kollege Austermann, ich bin von Ihnen überhauptnichts anderes gewohnt. Wir alle wissen, dass Sie einerder unbegabtesten Propheten in unserem Land sind;denn mit einer Fülle falscher Einschätzungen und kaumnoch zu zählender unsinniger Forderungen nach Nach-tragshaushalten in den letzten Jahren haben Sie sich sel-ber doch völlig disqualifiziert.
Herr Austermann hat noch am 19. Dezember des letz-ten Jahres in diesem Hause vorhergesagt, die Bundes-anstalt für Arbeit benötige 2002 einen Bundeszuschussin Höhe von 10 Milliarden Euro. Benötigt hat dieBundesanstalt tatsächlich gut 5 Milliarden Euro. HerrAustermann, Sie lagen also um gut 50 Prozent daneben.Das ist eine satte Quote für eine Fehleinschätzung. DieNettokreditaufnahme haben Sie knapp zwei Wochen vor
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Walter Schölerdem Jahresultimo auf 40 Milliarden Euro geschätzt. Hierlagen Sie um 8 Milliarden Euro neben der tatsächlich be-nötigten Summe. So sehen Ihre Fähigkeiten der Ein-schätzung aus. Sie selbst tragen mit Ihren Fähigkeitenzur Disqualifizierung Ihrer Grundaussagen bei, die Siehier gemacht haben.
– Herr Rexrodt, das ist die Realität.Ich möchte bei der Realität bleiben. Wir verkennenkeineswegs die schwierige Lage, in der wir alle sind.Das hat auch der Bundeskanzler in seiner Rede am letz-ten Freitag deutlich gemacht. Wenn man sieht, welch einzerrissenes Bild die Unionsspitze in der Debatte über dieRegierungserklärung abgegeben hat, dann lässt das er-warten, dass es angesichts der unterschiedlichen Mei-nungen und Mehrheiten, die es in diesem Hause und imBundesrat gibt, nicht leichter werden wird, in den wich-tigen Zukunftsfragen zu den vom Bundeskanzler aufge-zeigten Lösungen zu kommen. Aber die Menschen er-warten in den wesentlichen Fragen mehr Einvernehmenzwischen Regierung und Opposition, zumindest mehr alsdas, was Sie heute Morgen hier gezeigt haben.
Wer die Lösung nur aus seiner Interessenlage betrach-tet – Sie haben das eben getan; auch die Stellungnahmender Opposition zur Freitagsrede, die wir alle kennen, dieschon vorab verkündeten Stellungnahmen zum Haushalt2003 sowie die Stellungnahmen von Interessenverbän-den, ich nehme da keinen Verband aus, sind dementspre-chend –, der liegt absolut falsch. Wir brauchen einenstrikten Konsolidierungskurs und wir brauchen dieStärkung der Zukunftsaufgaben.
Das ist die richtige Antwort auf die augenblicklichsicherlich schwierige wirtschafts- und finanzpolitischeSituation. Wir werden der Wirtschaft mit dem vom Bun-deskanzler am Freitag vorgestellten Programm zusätz-liche kräftige Impulse geben.
Es ärgert Sie natürlich, dass wir sofort handeln. Es är-gert Sie, dass wir auch im Haushalt 2003 sofort reagierthaben. Das gilt für die Bauwirtschaft, die wir mit einem15-Milliarden-Euro-Programm unterstützen. Damit hel-fen wir vor allem kleineren Unternehmen, mittelständi-schen Betrieben.
Außerdem werden wir die Finanzausstattung der Ge-meinden in diesem Jahr um annähernd 2 Milliarden Euroverbessern. Damit werden kommunale Handlungsspiel-räume und die Investitionsmöglichkeiten wieder besser.
Von unseren Konsolidierungsmaßnahmen weichenwir deshalb keinen Jota ab.
Diese Maßnahmen sind solide finanziert. Die Nettokre-ditaufnahme des Bundes wird deshalb um keinen einzi-gen Euro steigen.Die Beratungen des Bundeshaushalts 2003 haben sichangesichts veränderter Konjunkturentwicklungen undauch angesichts der reduzierten Wachstumserwartungenschwierig gestaltet. Das geben wir zu. Dabei hatten sichdie Koalitionsfraktionen das ehrgeizige Ziel gesetzt, dieim Regierungsentwurf enthaltene globale Minderaus-gabe von 1,3 Milliarden Euro durch gezielte Einsparun-gen zu einem großen Teil aufzulösen.
Dieses Ziel haben wir erreicht – Sie haben das nicht fürmöglich gehalten – und das ärgert Sie. Das hat auch derRedebeitrag von Herrn Austermann heute gezeigt.
Was wir getan haben, war ein schmerzhaftes Unter-fangen und sicherlich auch mit einem Lernprozess ver-bunden, sogar in den Ministerien. Wir werden uns mit ei-ner globalen Minderausgabe dieser Größenordnung imHaushaltsausschuss künftig wahrscheinlich nicht mehrbefassen müssen; denn diejenigen, die im Kabinett füreine solche Ausgabe stimmen, werden nicht davon aus-gehen können, dass sie verschont bleiben. Das zu erken-nen war nun einmal ein schmerzhafter Prozess.
Es ist uns gelungen, die globale Minderausgabe aufknapp 400 Millionen Euro zu reduzieren. Das ist ein Be-trag, der unserer Meinung nach im Haushaltsvollzug ein-gesammelt werden muss.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sieblieben bei den Beratungen im Haushaltsausschussdoch jeden Beitrag zur Aufarbeitung der Problemeschuldig. An unserer Kernarbeit haben Sie sich dochüberhaupt nicht beteiligt!
Von Ihnen kamen keine konstruktiven Vorschläge. HerrFuchtel, nennen Sie mir einen einzigen! Stattdessen setzenSie auf Miesmacherei und auf populistische Forderungennach ungedeckten Ausgaben. Herr Austermann hat seinenWunschkatalog gerade noch einmal vorgetragen. Sie habenim Haushaltsausschuss Ausgabeanträge mit einem Volu-men von annähernd 3 Milliarden Euro gestellt, und dasohne dafür eine seriöse Deckung anbieten zu können.
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Walter SchölerUmso wichtiger ist das Ergebnis unserer Beratungen:Erstens. Es bleibt – das haben Sie gar nicht für mög-lich gehalten – bei der Nettokreditaufnahme von18,9 Milliarden Euro. Das ist die geringste Neuverschul-dung seit der Wiedervereinigung.
Es ist eine Reduzierung gegenüber dem Vorjahr um im-merhin 13 Milliarden Euro. Das macht eines klar: Wirbleiben auf Konsolidierungskurs.
Zweitens. Wir halten am Ziel eines ausgeglichenenHaushalts ohne Neuverschuldung bis 2006 fest.
– Das Jahr 2006, lieber Steffen! Wir werden das bei an-derer Gelegenheit sicherlich noch einmal diskutierenkönnen.Allerdings wissen wir – das muss ich auch sagen –,dass der Weg dorthin äußerst steil und auch schwierigergeworden ist. Deshalb ist er nur bei strikter Ausgaben-disziplin und bei einer wirtschaftlichen Erholung zumeistern. Die Ausgaben konnten mit 248,2 MilliardenEuro nahezu unverändert auf dem Niveau des Regie-rungsentwurfs gehalten werden. Sie liegen damit im Üb-rigen um 0,4 Prozent niedriger als 2002. Wenn man zurbesseren Vergleichbarkeit die Sonderbelastung aus demHochwasserhilfefonds herausrechnet, dann zeigt sich,dass die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr sogar um1,9 Prozent gesunken sind. Das ist ein deutlicher Indika-tor für Haushaltskonsolidierung.
Diese Zahlen werden nicht trügen.Das gilt im Übrigen – nächster Punkt – auch für diemittelfristige Betrachtung. Der Anteil der Bundesaus-gaben am Bruttoinlandsprodukt – er betrug 1999 noch12,5 Prozent – ist inzwischen auf 11,3 Prozent gesunken.Der Bund hat in diesem Zeitraum den Anteil seiner Aus-gaben am Bruttoinlandsprodukt also um 1,2 Prozent-punkte zurückgeführt. Das sind fast 30 Milliarden Euro.Das widerlegt eindeutig Ihr ständig wiederholtes Gerededavon, der Bund konsolidiere nur auf der Einnahmeseite,aber er spare nicht. Das ist nicht der Fall.
Auf der Einnahmeseite hatten wir Mindereinnahmenzu verkraften. Nach der Korrektur der Wachstumsannah-men Anfang des Jahres war eine Neuschätzung der Steu-ereinnahmen notwendig. Im Vergleich zur November-schätzung 2002 ergeben sich daraus Steuerausfälle vonrund 1 Milliarde Euro. Außerdem haben wir den Ansatzfür die Privatisierungserlöse um 700 Millionen Euro ge-senkt.
Wir halten das für eine reale Haushaltspolitik.Diesen Mindereinnahmen stehen aber auch Mehr-einnahmen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro aus dergeplanten Kapitalrückholaktion gegenüber. Im Zusam-menhang mit der geplanten Neuregelung der Zinsbesteu-erung bieten wir denen, die in der Vergangenheit ihresteuerlichen Pflichten nicht erfüllt haben – Sie sollteneinmal kritisieren, in welchem Maß das geschehen ist,und zwar in der Zeit, als Sie an der Regierung waren –,
die Möglichkeit zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeitan, allerdings befristet. Bis zum 31. Dezember sind25 Prozent und in dem Halbjahr danach 35 Prozent zuzahlen.Angesichts der riesigen Auslandsguthaben habenwir äußerst vorsichtig geschätzt. Davon, dass im Rah-men dieser Aktion mindestens 20 Milliarden Euro inDeutschland nacherklärt werden, können wir aber zuRecht ausgehen. Bei einer pauschalen Abgabe von25 Prozent bedeutet das bei diesem Volumen Einnahmenvon 5 Milliarden Euro. Davon erhält der Bund rund2,1 Milliarden Euro, erhalten die Länder 2,1 MilliardenEuro und die Gemeinden immerhin 750 Millionen Euro,die einen Teil des 2-Milliarden-Paketes ausmachen.Während Ihrer Regierungszeit – ich muss es noch ein-mal sagen, Herr Fromme – sind diese Milliardenbeträgean den Steuerkassen vorbei ins Ausland gewandert.
Diejenigen, die sich daran beteiligt haben, egal ob als In-haber des Kapitals oder als Berater – die muss man hierauch einmal erwähnen –, sollten – ich kann dazu nur ra-ten – die sich ihnen nun bietende Chance der Rückkehrin die Steuerehrlichkeit wirklich nutzen.Herr Austermann hat die Verfassungsmäßigkeit desHaushalts bezweifelt. Dazu kann ich nur feststellen: DerHaushalt ist auch verfassungsfest. Die Nettokreditauf-nahme liegt mit 18,9 Milliarden Euro
wesentlich unter dem Investitionsvolumen von26,7 Milliarden Euro und damit deutlich unter der Ver-schuldungsgrenze, die das Grundgesetz in Art. 115 zieht.Mit dem Haushalt leistet der Bund – das haben Sieebenfalls falsch gesagt, Herr Austermann – auch seinenBeitrag zur Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien. Da-bei sind die Arbeitsmarktreform, das Steuervergünsti-gungsabbaugesetz und Reformen in der Sozialversiche-rung die wesentlichen Bausteine zur Reduzierung desdeutschen strukturellen Defizits, so wie es die EU fordert.
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Walter SchölerAuch bei einer Wachstumsannahme von nur noch1 Prozent liegen wir noch unterhalb der magischen Drei-prozentgrenze, wenn nicht nur der Bund, sondern auchdie Bundesländer und die Gemeinden einen striktenKonsolidierungskurs fahren. Das setzt voraus, dass dieunionsgeführten Länder bei den Beratungen im Vermitt-lungsausschuss die mit dem Steuervergünstigungsabbau-gesetz erzielbaren Einsparungen in der Höhe mittragen.
– Steffen Kampeter, wenn das eure einzige Schuld wäre,dann ginge es ja noch, aber es gibt noch ganz andereDinge in der Vergangenheit, für die ihr die Verantwor-tung zu tragen habt.Die CDU/CSU steht in den Ländern auch in erhebli-chem Maß in der Mitverantwortung.
Was für ein Verhalten wird da an den Tag gelegt? UnserGesetz zur Steuervereinfachung und zum Abbau von un-gerechtfertigten Vergünstigungen und Subventionen zukritisieren, die daraus erzielbaren Einnahmen durch dieLandesfinanzminister in den Länderhaushalten veran-schlagen zu lassen
und anschließend im Bundesrat das Gesetz zu blockie-ren, das ist Doppelzüngigkeit, die Sie und die von ihnengeführten Bundesländer betreiben.
Damit – das sage ich Ihnen – werden Sie von der Oppo-sition nicht weiterkommen. Ich bin davon überzeugt: Siewerden letztlich im Vermittlungsausschuss einer Eini-gung – dazu müssen wir kommen – zustimmen.Im Übrigen: Unsere Konsolidierung geht nicht, wieSie gesagt haben, zulasten von Wachstum und Beschäfti-gung; denn die Investitionen übersteigen in einem erheb-lichen Maß – um 1,7 Milliarden Euro – den Ansatz desVorjahres. Wichtige Vorhaben in den Bereichen Familie,Infrastruktur, Bildung und Forschung haben wir auf ho-hem Niveau verstetigt oder sogar verstärkt. Am Beispielder Forschungstitel, die Sie angesprochen haben – wirhaben uns eine Zusammenstellung sämtlicher For-schungstitel des Bundeshaushalts fertigen lassen –, kön-nen wir nachweisen, dass wir diese über alle Einzelplänehinweg seit 1998 von rund 6 auf 7 Milliarden Euroerhöht haben. Der Bereich Forschung und Bildung hatsogar eine Steigerung von rund 7 auf insgesamt10 Milliarden Euro erfahren. Das können Sie im Haus-halt nachlesen.
Rot-Grün setzt damit seine wachstumsstärkende Re-formpolitik fort. Die Bundesregierung will grundlegendeReformen, die zur Regierungszeit von CDU/CSU undKanzler Kohl noch Tabus waren. Wir werden diese Refor-men durchsetzen. Ich nenne nur die Zusammenlegung vonArbeitslosen- und Sozialhilfe und die Reform im Gesund-heitswesen. Das sind dringend erforderliche Reformen,
die wir jetzt anpacken und in den nächsten Wochen undMonaten beraten werden.Zentralen Stellenwert hat auch die Gemeindefinanz-reform. Sie haben hier gerade das Hohelied des Jam-merns der Kommunen vorgetragen. Diese Gemeinde-finanzreform gibt den Kommunen wieder eine tragfähigeGrundlage. Der Bundeskanzler hat mit seiner Rede Klar-heit geschaffen, wofür ich sehr dankbar bin. Als erstenSchritt erhalten die Gemeinden 2 Milliarden Euro,
die sich aus der Stornierung des Beitrages für die Flut-opferhilfe, dem Steuervergünstigungsabbaugesetz undder Auslandskapitalrückholaktion ergeben.
– Herr Fuchtel, fuchteln Sie hier nicht so herum! Die Ge-setzentwürfe werden eingebracht.
Der 1. Januar 2004 ist ein unverrückbares Datum fürdiese Gemeindefinanzreform. Es wird eine erneuerteGewerbesteuer geben, die die Einnahmen verstetigt undden Gemeinden mehr Eigenverantwortung gibt. Die vor-gesehene Ausweitung des Kreises der Steuerpflichtigenist nicht nur geeignet, die Kommunen aus ihrer Abhän-gigkeit von nur noch ganz wenigen Steuerzahlern zu be-freien. Herr Professor Peffekoven hat hierzu vor einigenTagen ausdrücklich erklärt, dass kommunale Abgabenfür die Bürger und die örtliche Wirtschaft auch spürbarsein müssen, damit diese ihrer Verantwortung für dasGemeinwesen gerecht werden.
– Das hat Professor Peffekoven gesagt. Ich weiß nicht,warum Sie ihm widersprechen wollen.
Im Übrigen werden wir – auch das ist angekündigt –die Kommunen ab dem 1. Januar 2004 von der Zahlungfür die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger entlasten.Sie haben es jahrelang versäumt, eine Gemeindefinanz-reform anzupacken. Wir führen diese Reform jetzt durch.
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Walter SchölerIhre letzte Reform auf diesem Gebiet erfolgte 1970, umdas einmal in Erinnerung zu rufen. Sie haben es in den16 Jahren Ihrer Regierungszeit vollkommen verpasst,eine entsprechende Reform anzugehen. Deshalb sage ichIhnen: Konjunkturpessimismus ist nicht angebracht, erist sogar schädlich. Was Sie machen, ist nicht in Ord-nung. Sie machen mies, statt mitzumachen. Aber Mitma-chen ist jetzt die Devise.
Meine Damen und Herren, es ist nicht daran herumzu-deuteln: Der im Jahreswirtschaftsbericht 2003 ange-nommene Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts imJahresschnitt auf rund 1 Prozent liegt um 1,5 Prozent unterden Erwartungen, die wir noch vor einem Dreivierteljahrhatten. Das ist ein Wert, der uns prognostiziert wordenwar, den wir uns also nicht selber ausgedacht haben. Des-halb hat der Bundesfinanzminister, deshalb hat die Bun-desregierung nach ihrem ersten Entwurf im September ge-handelt und den Dezemberentwurf korrigieren müssen.
Dieser Entwurf beinhaltet auch ein umfassendes Paketvon ausgabenmindernden und einnahmenverbesserndenMaßnahmen zum Ausgleich der konjunkturbedingtenBelastungen.Ich erinnere an das Hartz-Konzept. Durch dessenUmsetzung werden die in der Arbeitsmarktpolitik einge-setzten Mittel effizienter verwendet. Mit weniger Mittelnwird mehr erreicht, um Voraussetzungen für Mehrbe-schäftigung in der Zukunft zu schaffen. Auf dieser Grund-lage wollen wir trotz der Verschlechterung am Arbeits-markt ohne Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeitauskommen und den Ansatz für die Arbeitslosenhilfe ein-halten. Auch Sie wissen, dass man im Kessel einen gewis-sen Druck halten muss, damit Maschinen funktionieren.Diesen Druck erzeugen wir mit unseren Maßnahmen.
Den zweiten Teil des Konsolidierungspakets im Haus-halt bilden Maßnahmen zur Stabilisierung der Steuerein-nahmen. Durch das Steuervergünstigungsabbaugesetzwerden Schlupflöcher und ökonomisch wie ökologischungerechtfertigte Ausnahmeregelungen beseitigt. Dasmag Sie zwar stören, weshalb Sie es Steuererhöhungsge-setz nennen; wir aber nennen das eine gerechtere undtransparentere Systematik im Steuerrecht.
Außerdem wird damit sichergestellt, dass die Steuerein-nahmen sich wieder etwa parallel zum Wachstum entwi-ckeln und sich nicht weiter davon abkoppeln. Sie zeigenhier nur populistische Verweigerungshaltung; das hat IhrBeitrag klar gemacht.Im Übrigen: Hätte die Kohl-Regierung rechtzeitig mitder Konsolidierung begonnen, statt dies sträflich zu ver-säumen,
hätten Sie eine ehrliche, gerechte Lastenverteilung auchim Rahmen der Finanzierung der vereinigungsbedingtenKosten vorgenommen, so stünden wir heute wesentlichbesser da.
– Herr Kampeter, es ist schon sehr erstaunlich, dass Siesich angesichts der hemmungslosen Verschuldungspoli-tik während Ihrer Regierungszeit heute als Mahner füreine solide Haushaltspolitik profilieren wollen undgleichzeitig den Bürgern völlig unsolide, weil nicht fi-nanzierbare Versprechen machen. Mit uns und mit HansEichel ist der Marsch in den Schuldenstaat gestoppt wor-den, nicht mit Ihnen, meine Damen und Herren.
Im Gegensatz zu Ihren Behauptungen sind unsere An-sätze für Investitionsmaßnahmen so hoch wie langenicht mehr. Aus Zeitgründen will ich mir die Einzelhei-ten ersparen. Im Übrigen werden die Kolleginnen undKollegen der Fachbereiche zu den verschiedenen Inves-titionen noch das Wort ergreifen.Ich will nur einen Punkt aus dem Verkehrsbereichaufgreifen, Herr Kollege Austermann: Jetzt kritisierenSie, dass der Metrorapid in Nordrhein-Westfalen vonder Bundesregierung finanziert werden soll.
Wir haben dafür eine VE in Höhe von 2,3 MilliardenEuro eingestellt. Sie hätten es noch vor einigen Wochendoch gar nicht für möglich gehalten, dass wir in diesemJahr vorzeitig und erstmalig Barmittel in Höhe von80 Millionen Euro einsetzen.Seien Sie im Übrigen bitte vorsichtig: Wir haben aucheine Zusage an Bayern gemacht; diese Zusage gilt. Ichweiß ganz genau, auch von Mitgliedern der BayerischenStaatsregierung, dass sie es sich nicht mehr erlaubenwerden, in der Weise, wie Sie es hier kritisieren
– das ist keine Drohung –, auf Nordrhein-Westfalen zuzeigen. Alle werden froh und dankbar sein,
sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Bayern,wenn wir diese Maßnahmen mitfinanzieren.
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– Sagen Sie Ihrem Ministerpräsidenten Stoiber, dass eseine bessere S-Bahn sei, die zum Münchener Flughafengebaut werden soll!Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Mit Inves-titionen in vielen Bereichen wird Deutschland für dieHerausforderungen der Zukunft fit gemacht. Bei den an-stehenden weitreichenden Strukturreformen scheuenwir keine Konflikte mit Interessengruppen. Es gehtdarum, überkommene Strukturen aufzubrechen, die zuhohen Effizienzverlusten geführt haben.Rot-Grün wird sich bei den anstehenden Reformvor-haben auf die Veränderungsbereitschaft der Bürgerinnenund Bürger stützen. Wir wissen, dass wir uns auf die Ihrenicht stützen können; die Bürgerinnen und Bürger sindjedoch zu viel mehr Maßnahmen bereit, als Sie hier sug-gerieren wollen.
Konsolidierung und sinnvolle Reformen der sozialen Si-cherungssysteme schaffen Vertrauen in die Zukunft undstärken das Wachstumspotenzial unseres Landes. Des-halb gibt es zu unserer Politik der Erneuerung auf langeSicht keine Alternative.Meine Damen und Herren, ich möchte noch Gelegen-heit nehmen, mich abschließend beim Finanzministerund den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Hau-ses für die Zusammenarbeit zu bedanken, ebenso beimSekretariat des Haushaltsausschusses.
Ich schließe in diesen Dank alle Mitglieder des Haus-haltsausschusses ein, auch wenn das Abstimmungsver-halten unterschiedlich war. Mein besonderer Dank giltunserem Vorsitzenden, der sicherlich zu einem positivveränderten Klima bei den Beratungen beigetragenhat.
Wir wissen auch zu schätzen, dass Sie bereit waren, denAntrag mitzutragen, die Beratungen des Haushalts, dieinhaltlich nicht reduziert werden, um einen Tag zu ver-kürzen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Rexrodt
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Schöler, Sie haben in der Sache den Mund wirk-lich sehr voll genommen. Sie haben von Doppelzüngig-keit gesprochen. Wer ist denn hier doppelzüngig? Aufder einen Seite sprechen Sie vom Festhalten am Konsoli-dierungskurs und von Stabilität. Auf der anderen Seiteknüpft der Herr Bundesfinanzminister das Einhalten derDefizitkriterien an Voraussetzungen und Bedingungen,von denen wir alle wissen, dass sie nicht einzuhaltensind.
Wir brauchen uns in diesem Land nur umzuschauen:Wer erwartet in diesem Jahr 1 Prozent Wirtschafts-wachstum und keinen signifikanten Anstieg der Arbeits-losigkeit? Sie wollen 2,1 Milliarden Euro durch die sogenannte Steueramnestie einnehmen. Außerdem gehenSie in Ihrem Rechenwerk davon aus, dass rund1,6 Milliarden Euro durch das so genannte Steuerver-günstigungsabbaugesetz eingespart werden.
Das ist schon an einer Hürde gescheitert und wird baldendgültig scheitern.
Das Rechenwerk ist mit dem Vorlegen des Haushaltsheute schon Makulatur, Herr Bundesfinanzminister.
Deutschland wird die Defizitkriterien von Maastrichtwieder nicht einhalten. Wir haben unsere Schularbeitennicht gemacht. Die Finanzpolitik, einstmals das Vorzei-geprojekt rot-grüner Politik, ist kläglich gescheitert.
Der Bundeskanzler hat am letzten Freitag in seinerspät- und halbeinsichtigen Grundsatzrede wie folgt for-muliert:Deshalb halten wir am Ziel der Haushaltskonsoli-dierung ... fest. Nur: Dieser Pakt darf nicht statischinterpretiert werden.
Er lässt Raum ... für Reaktionen auf unvorhergese-hene Ereignisse.
Das ist eine falsche und höchst gefährliche Aussage,
abgesehen davon, dass an der wirtschaftlichen Entwick-lung hier in Deutschland nichts unvorhergesehen war.Wir haben es vielmehr seit langem gewusst und davongesprochen.
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Dr. Günter RexrodtDas Entscheidende, Herr Kollege Mark, ist: DerStabilitäts- und Wachstumspakt lässt keinen anderenSpielraum als den des Einsatzes der so genannten auto-matischen Stabilisatoren.
Das sind bestimmte zinspolitische, fiskalpolitische undausgabenpolitische Maßnahmen
mit dem Ziel, die vorgegebenen Defizitkriterien einzu-halten, aber nicht zu verletzen, wie Sie das wollen.
Es widerspricht dem Geist und den Buchstaben diesesVertrages, hier Raum für Interpretation zu sehen. Das istMauschelei und ein Zerstören von wichtigen Basisele-menten der Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Weil ich hier riesige Gefahren sehe, will ich mit gro-ßem Nachdruck sagen, was von Rot-Grün an dieserStelle hineingemogelt wird. Die Bundesbank, eine, wiewir wissen, in der Spitze sozialdemokratisch besetzte In-stitution, schreibt in einem Papier vom Februar diesesJahres – also ganz aktuell –:Nur eine klare finanzpolitische Linie, die eine aufAusgabenbegrenzung ausgerichtete ... Konsolidie-rungsperspektive aufweist, kann bei Konsumentenund Investoren bestehende Befürchtungen weitererBelastungen seitens der Finanzpolitik ausräumenund ... Vertrauen schaffen.
Das klingt ein bisschen wissenschaftlich, aber es trifftden Nagel auf den Kopf. Die deutsche Wirtschaft leidetunter einer Vertrauenskrise. Die Verbraucher sind verun-sichert. Deutschland ist gegenüber seinen Partnerländernzurückgefallen.Die Realität des Jahres 2003, Herr Eichel, wird darinbestehen, dass wir einen Nachtragshaushalt haben wer-den, verbunden mit einer signifikanten Erhöhung derNettoneuverschuldung. Das ist so sicher wie das Amenin der Kirche.Wenn es nach Herrn Fischer ginge, dann würden dieKosten für die Aufrüstung in Europa – er begründet daseuropapolitisch – auch noch eingebaut werden. Das kos-tet Geld.
So sicher wie das Amen in der Kirche werden wir einehöhere Nettoneuverschuldung und einen Nachtragshaus-halt haben.
Sie müssen da gar nicht so erstaunt schauen. Das ha-ben wir schon in der letzten Haushaltsdebatte gesagt. Siehaben das zurückgewiesen; aber es ist eingetreten und eswird wieder eintreten. Wir bedauern das. Einen solchenHaushalt unter diesen Bedingungen vorzulegen unddann noch davon zu sprechen, die Kriterien einhalten zukönnen, ist einfach eine Täuschung des Parlaments undder Öffentlichkeit.
Denken Sie an meine Worte: Es wird kein Jahr dauern,Herr Eichel.Die Bundesregierung ist im Übrigen nicht nur in derFinanzpolitik, ihrem Vorzeigeprojekt, sondern vor allemauch – die Finanzpolitik liefert hierfür den rechentechni-schen Nachweis – in der Wirtschafts- und Arbeitsmarkt-politik gescheitert.
Arbeitsplätze entstehen dann, wenn ausreichend in-vestiert wird.
Die Investitionsneigung in unserem Lande ist seit Jahrenzu niedrig und in letzter Zeit sogar rückläufig. Investitio-nen leiden unter Unsicherheit. Sie werden wegen einerunsteten, unkalkulierbaren und widersprüchlichen Politikverzögert oder unterlassen. Investitionen versprechen zuwenig Ertrag. Die Politik der Unstetigkeit geht auf dieBundesregierung und die rot-grüne Koalition zurück.
Ich bin so fair, zu sagen: Sie haben es mit Ihren unseli-gen Arbeitsmarktgesetzen – das war 1999 und 2000 –,mit Ihrer am Ende als ungerecht und verkorkst wahrge-nommenen Steuerreform, mit Ihrer bürokratischen Ren-tenreform und mit Ihrem Unvermögen, die Lohnneben-kosten, so wie Sie es lauthals angekündigt hatten, zusenken – die Aufzählung dieser Versäumnisse ließe sichbeliebig fortsetzen –, nicht auf diese Unsicherheit ange-legt. Aber zu verantworten haben Sie sie.Vorhalten lassen müssen Sie sich in diesem Zusam-menhang, Herr Kollege Schöler, dass jeder Reforman-satz der alten Koalition in der Steuerpolitik, in der Sozi-alpolitik und in der Ostförderung – ich gebe zu, da warnicht alles Gold, was glänzte – von den Sozialdemokra-ten und den Grünen mit demagogischen Argumenten be-kämpft und blockiert worden ist. All das, was verändertwerden sollte, wurde blockiert und mit demagogischenArgumenten in die Ecke gestellt. So kann man keine Po-litik betreiben.
Nun muss und will der Bundeskanzler – wir habenseine Rede vom Freitag letzter Woche noch im Ohr –dieses Land in eine andere Richtung bewegen. Halbher-zig muss er das tun. Wir Liberalen haben seit vielen Jah-ren davon gesprochen, was zu tun und was zu lassen ist.
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Sie bewegen sich nun in diese Richtung; das ist derPunkt. Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Sie sich inlafontainesche Kategorien begeben? Sie begeben sich inKategorien, die von der anderen Seite des Hauses seitJahren vertreten werden. Nur, Sie tun sich schwer dabei;das merken wir.
Wie schreibt die Bundesbank: Die hartnäckige Wirt-schaftsflaute habe tief greifende gesellschaftspolitischeUrsachen. Kennzeichnend dafür seien eine niedrige Ge-burtenrate
und überzogenes Anspruchsdenken. Die „verbandsstaat-lichen und exekutiv-konsensualen Formen der Politikverhindern vielfach notwendige Reformen; die Folgensind Beharrung und Besitzstandsdenken“.
Meine Damen und Herren, die Bündnisse für allesund jedes waren erklärtermaßen Kernpunkt der Politik inder vorigen Legislaturperiode. Diese Bündnisse für allesund jedes und damit auch Ihre Politik sind gescheitert.
Nun soll alles besser werden, hat der Bundeskanzlergesagt;
zunächst einmal mit einem Konjunkturprogramm.Dies wird – bei der KfW – kreditfinanziert; die dafürnotwendigen Zinsverbilligungen kommen aus demHaushalt. In Bezug auf den Wohnungsbau wird nichtspassieren; da wird es Mitnahmeeffekte geben. Bei denKommunen wird deshalb nichts geschehen, weil dieKommunen hoch verschuldet sind und diese Kredite garnicht bedienen können.Sie sagen – zunächst noch folgerichtig –: Wir wollendie Finanzlage der Kommunen verbessern. – Das istschön. Wir waren aber immer der Meinung, dass man dieFinanzlage der Kommunen dadurch verbessern sollte,dass die Gewerbesteuer abgeschafft und den Kommunenein Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer und derKörperschaftsteuer eingeräumt wird. Das tun Sie nicht.
Sie wollen bei der Gewerbesteuer Veränderungen vor-nehmen; das wird wieder nach hinten losgehen. Herr Ei-chel, ich sage Ihnen: Das ist keine gute Politik.Nun zur Bundesanstalt für Arbeit. Die Bundesregie-rung geht von 4,1 Millionen Arbeitslosen aus. Leiderwerden wir mehr haben. Zuschüsse aus dem Bundes-haushalt sind für die Bundesanstalt nicht vorgesehen.Wenn wir uns die Januar- und Februarzahlen dieser Insti-tution angucken, dann sehen wir, dass sie aber bereitsdarauf hindeuten: Leider wird es gewaltige Zuschüssegeben müssen, Herr Eichel, die Sie nicht in den Haushalteingestellt haben.
Dabei würdige ich positiv die Anstrengungen desneuen Präsidenten Gerster und seiner Mannschaft,
diesen traditionsbelasteten Moloch Bundesanstalt fürArbeit mit Organisations- und Führungsmethoden, diesich in der Wirtschaft bewährt haben, in einen modernenDienstleistungsbetrieb zu verwandeln. Das Konzept derPersonal-Service-Agenturen ist prinzipiell richtig. Ichglaube auch, dass es bessere Vermittlungserfolge gebenwird, weil ein neuer Wind weht. Das muss gesagt wer-den. Aber eine bessere Bundesanstalt ist das eine, rich-tige Weichenstellungen in der Arbeitsmarktpolitik sinddas andere.
Hier gebietet es wiederum die Fairness, zu sagen, dassdie Rede des Bundeskanzlers wichtige Vorschläge ent-hält, zum Beispiel die Zusammenfassung von Arbeitslo-sen- und Sozialhilfe. Es ist richtig, verbesserte Anreizefür die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen vorzuse-hen. Auch bei den Vorschlägen zum Kündigungsschutzsind erste wichtige Schritte getan worden, aber wie-derum nur halbherzige. Das Ganze scheitert daran, dassSie keine Veränderungen im Tarifrecht wollen, die füruns Liberale der Kernpunkt für eine Reform des Arbeits-markts sind.
Der Flächentarifvertrag schafft eben nicht, wie der Bun-deskanzler sagt, gleiche Konkurrenzbedingungen in ei-ner Branche. Er bewirkt das Gegenteil und deshalb be-darf es gesetzlicher Maßnahmen, um auf betrieblicherEbene zu besseren Vereinbarungen zu kommen. Diesegesetzlichen Veränderungen müssen schnell stattfinden.Wir haben das immer gefordert. Sie sind der Schlüsselzur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Wenn es einen gibt, der mit Herz und Seele dagegenarbeitet, dann sind es die Gewerkschaften, eine Institu-tion, der Sie seit Jahrzehnten verbunden sind. Sie sindmittlerweile eine strukturkonservative Einrichtung.
Jede Bewegung und jede Veränderung wird von den Ge-werkschaften blockiert und das ist die Ursache für dieArbeitslosigkeit in diesem Land.
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Dr. Günter RexrodtNoch einige wenige Bemerkungen in Stichworten,weil ich nicht mehr Zeit habe: Nichts ist so überfälligwie die Reform des Rentensystems. Da sind Sie auf hal-ber Strecke stehen geblieben. Im Gesundheitssystemsind Sie noch gar nicht voran gekommen. Jetzt verwen-det der Bundeskanzler Begriffe,
die wir seit Jahren predigen: Wettbewerb der Kassen,Durchforstung der Leistungen, Selbstbehalt und dieFrage, ob es so viele Kassen geben muss. Das alles sagenwir seit Jahrzehnten. Bei Ihnen ist das alles nur halbher-zig.
Ich bin Liberaler. Wir haben immer dafür gekämpft.
Wir haben auch in der Union nicht immer den notwendi-gen Rückhalt gehabt, aber wir haben es immer gewolltund immer dafür gekämpft.
Nur ihr habt auf einen Schelm immer anderthalbe ge-setzt. Und jetzt geht ihr kleinlaut und halbherzig diesemKurs hinterher. Das ist die Tatsache.
Meine Damen und Herren, dieser Bundesregierungsieht man an: Sie sind die Getriebenen, nicht die Trei-benden. Das gilt auch für Sie, Herr Eichel, der Sie unsein Rechenwerk vorlegen, an das Sie selbst nicht glau-ben können. Das Parlament müsste Ihnen bei diesemHaushalt antworten: Thema verfehlt, Wiedervorlage indrei Monaten auf realistischer Grundlage.
Wir Freien Demokraten sagen Ihnen das heute, wirsagen es Ihnen sehr deutlich
und Sie werden sehen, dass wir leider Recht haben wer-den, Herr Eichel, weil Sie mit Ihrer Politik, auch mit Ih-rer Finanzpolitik, vor allem aber mit Ihrer Wirtschafts-und Arbeitsmarktpolitik, total gescheitert sind. Jetzt sindSie die Getriebenen. Die Menschen im Lande sehen dasund halten Sie nicht mehr für glaubwürdig.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Hermenau vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!Es sind ziemlich ernste Zeiten, in denen wir über denBundeshaushalt debattieren. Um das Gedächtnis derFDP aufzufrischen:
Zwischen 1982 und 1998 sind die Lohnnebenkosten von34 Prozent auf 42 Prozent angestiegen, Herr Rexrodt.Wahrscheinlich haben Sie das vergessen.
Es liegt ja auch schon fünf Jahre zurück.
Nachdem ich mir Ihre Rede angehört habe, muss ichsagen: Sie haben ein solides Feindbild; daran haben Siejahrelang gemeißelt, spätestens seit fünf Jahren sind Siean der Arbeit. Aber das hilft uns hier nicht weiter.
Der Haushalt ist in einer schwierigen Lage. Es gabschon früher schwierige Haushaltsjahre: Die deutscheEinheit musste verkraftet werden;
1997 ging es um Maastricht. Auch dieses Jahr warschwierig. Ich bin lange genug im Ausschuss, um daseinschätzen zu können.
Herr Rexrodt, wir sind nicht mit dem Prinzip derNachhaltigkeit gescheitert, jetzt muss es sich bewähren.Die Debatte darüber – das gebe ich gern frank und freizu – hat in beiden Koalitionsfraktionen fast ein halbesJahr gedauert. Wir haben aber die Kraft und den Mutaufgebracht, um am Prinzip der Nachhaltigkeit derStaatsfinanzen festzuhalten, damit das öffentliche Lebensolide und tragfähig finanziert werden kann.
Das manifestiert sich auch im Haushalt 2003. Das er-kennen Sie daran, dass wir an der Nettoneuverschuldungvon 18,9 Milliarden Euro festgehalten haben, obwohl esviele gab, auch in den eigenen Reihen, die gern mehrSchulden aufgenommen hätten. Wir werden versuchen,das Niveau zu halten.
Wir haben versucht, das Sparpaket umzusetzen. Siehaben Störfaktoren eingebracht, indem Sie im Bundesratversuchten, den Steuervergünstigungsabbau zu hinter-treiben. Wir mussten das im Haushalt schultern und nochmehr Einsparungen vornehmen, um Ihre Drohgebärdenzu verarbeiten. Aber auch das haben wir gemacht.
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Antje Hermenau
Wir haben sogar Zukunftsinvestitionen stabilisierenkönnen. Das betrifft die Bereiche Integration – siemüsste Ihnen eigentlich politisch am Herzen liegen –, er-neuerbare Energien, Mittelstandsförderung und Ganz-tagsschulen.
Damit ist ein wesentlicher Punkt für das strukturelle De-fizit benannt. Wenn man die Ganztagsbetreuung nichtgewährleisten kann, steht man automatisch vor dem Pro-blem, dass Frauen keiner Beschäftigung nachgehen unddamit am Bruttosozialprodukt nicht teilhaben können.
Vergleichen wir uns doch mit Frankreich: Dort ist dieFrauenerwerbsquote eine ganz andere als in Deutsch-land. Das hat etwas mit Ganztagsbetreuung zu tun, obIhnen das politisch passt oder nicht.
Da gerade auf der Investitionsquote herumgehacktwurde, möchte ich einen Vergleich zwischen den kon-sumtiven Ausgaben und den Investitionen vornehmen– das wird ein historischer Exkurs –: 1995 lagen die In-vestitionen bei 38 Milliarden Euro, das ist eine MengeGeld. 1998 wurden sie bereits von der alten Regierungauf 29,2 Milliarden Euro herunterkorrigiert,
und zwar aus verschiedenen Gründen. Wir fahren seitdrei Jahren einen Konsolidierungskurs in den Haushal-ten. Trotzdem haben wir in diesem Jahr die Investitionenauf 26,7 Milliarden Euro,
also nur ein wenig unter dem Niveau von 1998, festge-legt. Dazu gehören noch die 3,4 Milliarden Euro – daswissen Sie auch, Herr Austermann –, die aufgrund desInvestitionsförderungsgesetzes an die Länder verteiltworden sind.
Wenn Sie die noch drauflegen, kommen wir auf über30 Milliarden Euro. Wenn man ganz fair und sauberrechnet, kann man noch 2,5 Milliarden Euro abziehen,die im Flutopferfonds enthalten sind. Das will ich auchgern machen; denn wir sind dann immer noch bei einersehr guten, erklecklichen Investitionsquote von ungefähr28 Milliarden Euro.
– Sie können so viel dazwischenbrüllen, wie Sie wollen,Herr Austermann, die Zahlen sprechen eine eigene Spra-che.
Es wurde immer gefragt: Was sind eigentlich Ziel undZweck der nachhaltigen Finanzpolitik? Diese Frage hatdie Kanzlerrede beantwortet.
Es geht um unsere Zukunft.Frau Merkel stand hier am Rednerpult und meintevoller Verve, es gehe der CDU/CSU und ihr umDeutschland. Wenn man der Rede zugehört und sie mitder von Herrn Stoiber verglichen hat, dann musste mansich fragen: Meinte Frau Merkel das vergangeneDeutschland – Herr Stoiber war am vergangenen Freitagdeutlich mehr allgemeinwohlorientiert und zukunftswei-sender als Frau Merkel.Offensichtlich haben Sie politisch überhaupt nochnicht entschieden, ob Sie versuchen wollen, diese Regie-rung durch Fundamentalopposition – hier muss ich alsGrüne natürlich feixen; Sie werden das verstehen – zustürzen – Herr Glos hat es, glaube ich, so formuliert: Diemüssen weg, mit allen demokratischen Mitteln –;
oder ob Sie begriffen haben, dass die Situation so ernstist – das hat Herr Henkel Ihnen bereits nahe gelegt –,dass Sie jetzt kooperieren müssen, auch wenn Ihnen daspolitisch vielleicht nicht gefällt.Sie wollen gern zurück an die Macht; das kann ichverstehen, aber im Moment steht das nicht zur Debatte.Sie können sich aber in produktiver Weise über Ihre Ein-flussnahme im Bundesrat an der Macht beteiligen, dassteht Ihnen offen und diese Möglichkeit sollten Sie mei-nes Erachtens auch ergreifen.
Wenn wir die Reformen, die der Kanzler zum Teilin seiner Rede am Freitag angekündigt hat, nichtdurchführen, ergibt sich für die Haushaltsplanung dernächsten Jahre eine schwierige und düstere Perspek-tive. Man muss davon ausgehen, dass dann bereits imJahre 2006 ungefähr 60 Prozent aller Ausgaben desBundes trotz niedrigen Zinsniveaus nur noch für Zins-zahlungen und für den Rentenzuschuss ausgegebenwerden müssen.
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Antje HermenauDann bleiben nur noch 40 Prozent für Investitionen indie Gegenwart und in die Zukunft. Das ist zu wenig.Deswegen müssen wir diese Reformen machen.
Der wesentliche Punkt dabei ist: Man muss diese Re-formen parallel durchführen. Man darf sie nicht in derHoffnung auf den nächsten Konjunkturaufschwungverschieben.
Ich glaube, das ist die Denkschleife, in der Sie immerverharren. Das ist genau der Fehler.Die Menschen – egal in welchem Land – haben längstbegriffen, dass die fetten, friedensreichen Zeiten für dieIndustriestaaten offensichtlich erst einmal vorbei sind.
Das erkennen Sie an dem Anwachsen der Sparquoten; üb-rigens auch in Amerika. Die Sparquote ist im letzten Jahrauch in den USA gestiegen und das ist ein ganz untypi-sches Verhalten für den amerikanischen Konsumenten.Wenn man das weiß, kann man nicht mit Rezeptenaus den 70er-Jahren versuchen, irgendwelche Strohfeuerzu entfachen, sondern man muss nachhaltig sowie solideund tragfähig durchfinanzieren und die Reformen ma-chen, um die Staatsausgaben auf Dauer senken zu kön-nen. Das ist kein schöner Prozess, er ist aber überlebens-notwendig. Deswegen packen wir ihn an.
Bei den letzten zwei Jahrzehnten der deutschen Finanz-politik handelt es sich um eine Geschichte des Anhäufensvon Schulden und des Hoffens auf bessere Zeiten. Es gabeine Art Verschuldungsoptimismus, der immer darin gip-felte, dass man seine Finanzpolitik nach den Konjunktur-zyklen ausrichtete. Das muss man durchbrechen. Dennunabhängig von den Konjunkturzyklen ist die Verschul-dung immer stetig angewachsen. Damit hat man das Pro-blem für jeden deutlich erkennbar beschrieben: Die klassi-schen Instrumente versagen inzwischen. Das haben Sie anJapan und auch an den USA gesehen.Inzwischen steuert auch Frankreich um. In den letzenTagen hat der französische Finanzminister Mer deutlich ge-macht, dass jetzt auch darüber diskutiert wird, ob man dasSteuersenkungspaket, das Präsident Chirac versprochenhat, wirklich durchführen kann. Es werden Ausgabenkür-zungen vorgenommen. Das wurde bereits angekündigt. Ichwette mit Ihnen: Spätestens zum Jahresende werden wirauch aus Paris Ankündigungen einer Strukturreform hören.Die Konservativen in Frankreich haben sich längstder Diskussion über eine nachhaltige Finanzpolitik ange-schlossen. Die einzige konservative Partei in Europa, dieich kenne und die das noch nicht macht, ist die CDU/CSU in Deutschland.
Es ist ganz wesentlich, sich die zwei Prozesse vor Au-gen zu führen, die mit unterschiedlichem Tempo und un-ter unterschiedlicher Verantwortung laufen. 1997, demMaastricht-Jahr, haben wir einen Teil unserer Haushalts-kompetenz nach Brüssel abgegeben. Das weiß auch je-der. Das hatte auch seine Vorteile. So ist zum Beispieldie Gemeinschaftsverpflichtung auf bestimmte Zielesehr segensreich, sodass die Nationalregierungen versu-chen müssen, Kurs zu halten, weil man in der Gruppesonst immer wieder rechtfertigen muss, warum man dasnicht tut. Das halte ich für sehr vernünftig. Demgegen-über muss zum Beispiel bei externen Schocks wie jetztvielleicht einem anhaltend hohen Ölpreis und anderenDingen durch die Irakkrise in Brüssel eine gemeinsameLösung für einen Konjunktureinbruch im Euroraum ge-funden werden.Heute treffen wir hier die Berliner Entscheidung überden nationalen Haushalt, der nach bestem Wissen und Ge-wissen sowie Einschätzungsvermögen das widerspiegelt,was im Moment Realität ist. Sie werden verstehen, dassKonjunkturfragen, die sich aus der Irakkrise ergeben, inBrüssel und frühestens im Sommer, wenn man einschätzenkann, welche Auswirkungen diese Krise auf den EU-Raumwirklich gehabt hat, beantwortet werden. Insofern halte iches für unredlich, diese beiden Debatten miteinander zu ver-mischen und uns zu unterstellen, dass wir den Konsolidie-rungskurs verlassen würden. Das trifft einfach nicht zu.
Einen Teil der finanz- und strukturpolitischen Souve-ränität haben wir an die EU abgegeben. Den anderen Teilmüssen wir selber wahrnehmen. Ich habe mir einmal an-gesehen, wie Mitte der 80er-Jahre der Dollarkurs dras-tisch eingebrochen ist, weil es in den Vereinigten Staatenvon Amerika ein Zwillingsdefizit gegeben hat, also einHaushaltsdefizit und ein Leistungsbilanzdefizit. Dasheutige Haushaltsdefizit der USA ist ein bisschen niedri-ger als damals; jedoch ist das heutige Leistungsbilanzde-fizit sogar noch höher. Das kann heißen, dass die USAdamit für Europa als langfristiger Konjunkturmotor aus-fallen. Das müsste Ihnen eigentlich klar sein.
Ich habe vorhin von einem Ansteigen der Sparquoteder amerikanischen Bevölkerung gesprochen. Asien hatsich noch nicht erholt. Asien hat vor zehn Jahren, als einKrieg ausbrach, den Rückgang der US-Konjunktur auf-fangen müssen und kann das nicht noch einmal.
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Antje HermenauDas alte Europa hat sich – wie ich finde – diesemKrieg im Irak nicht nur aus politischer Weitsicht, son-dern auch aus ökonomischer Klugheit verweigert. Ichfinde, das ist völlig korrekt. Dieses Argument ist ange-messen.
Schon im Maastricht-Vertrag ist festgelegt, wie mandamit umgehen muss, wenn im europäischen Konjunk-turraum ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts ummindestens 0,75 Prozentpunkte zu verzeichnen ist. DieseSituation könnte – das habe ich schon erwähnt – in die-sem Jahr durchaus eintreten. Man könnte, wenn manwollte – das ist schon jetzt geregelt; man muss nichts än-dern –, die strikte Ausgabendisziplin aussetzen. Ich halteaber nichts davon, im Kaffeesatz zu lesen, um herauszu-finden, ob und inwieweit Effekte auf den europäischenKonjunkturraum durchschlagen werden. Wenn nur ein-zelne Länder betroffen sind, dann müssen nur diese da-mit umgehen. Wenn dagegen wirklich der gesamte EU-Raum betroffen sein sollte, dann muss es eine EU-weiteRegelung dazu geben. Das ist aber vielleicht erst imFrühling oder im Sommer zu erwarten.Das darf man, wie ich glaube, aber nicht als Freibriefbenutzen. Das gilt auch für unsere Bundesländer. Wennich mir ansehe, was im Rahmen des nationalen Stabili-tätspakts versucht wurde festzulegen, dann muss ichfeststellen, dass das vollkommen unbefriedigend ist. Esgibt keine Sanktionsbewehrung. Der Ministerpräsidentvon Sachsen, Herr Milbradt, hat den Vorschlag gemacht,eine Sanktionsbewehrung einzuführen. Die Bundeslän-der, die mehr Schulden machen, als sie eigentlich dürf-ten, müssten dann Strafe zahlen, so wie das Deutschland,Frankreich oder Portugal eventuell in Brüssel machenmüssen.Eine Sanktionsbewehrung gibt es allerdings nicht.Man hat sich nur darauf geeinigt, dass der Bund45 Prozent zum Defizit beitragen dürfe und die Länder55 Prozent. Diese 55 Prozent wurden unter den Ländernaber nicht aufgeteilt. Kein Land weiß also genau, wieviele Schulden es machen darf.
Jedes Land wurstelt nur so vor sich hin. Mecklenburg-Vorpommern hat bereits erklärt, dass es in diesem Jahr dieangestrebte Höhe der Neuverschuldung deutlich über-schreiten werde. Niedersachsen hat einen Doppelhaushaltgemacht und befindet sich auch in 2003 empfindlich nahan der Maastricht-Grenze. Auch in Hessen ist das der Fall.So kann es aber natürlich nicht funktionieren.
Frau Kollegin Hermenau, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Schauerte?
Ich glaube, dass der Kollege Schauerte nach meinerRede sicherlich eine Kurzintervention machen wird. Ichwill nun keine Frage von ihm beantworten. Wir diskutie-ren schon oft genug miteinander.Für mich ist es wesentlich, darauf zu achten, dass dieBundesländer ihrer Verantwortung nachkommen. Ichhabe Ihnen schon gesagt: Das haben auch Sie in derHand. Sie können mitmachen. Sie werden in Ihrer Frak-tion – es war doch kein Zufall, dass Frau Merkel undHerr Stoiber am Freitag so unterschiedlich akzentuierteReden gehalten haben –
noch Diskussionen darüber führen müssen, wie produk-tiv Sie mitarbeiten oder wie lange Sie sich noch verwei-gern wollen.
Das müssen Sie entscheiden. Ihre Haltung wird sich aberim nationalen Stabilitätspakt niederschlagen. In diesemRahmen werden wir sie erkennen.Ich komme noch einmal auf die Nebelkerzen zu spre-chen, die hier gerne geworfen werden. Ich gehe nicht nä-her auf die „Bild“-Zeitung ein, die versucht hat, zu sug-gerieren, dass es nur darum gehen müsse, die Steuern zusenken. Die Steuerquote in Deutschland liegt im Mo-ment bei 21,5 Prozent. Diese Höhe ist nicht problema-tisch. Das wirkliche Problem ist die Abgabenlast. Dashat die FDP messerscharf erkannt; Herr Thiele hat das inder ersten Lesung deutlich gesagt. Das ist völlig korrekt:Wir haben nicht unbedingt ein Problem mit den Steuern,sondern ein Problem mit den Lohnnebenkosten. Insofernist die Opposition hinsichtlich des Abbaus der Steuerver-günstigungen nicht ganz stringent. Die Lohnnebenkostensind zwischen 1982 und 1998 – das habe ich eben schonbeschrieben – von 34 auf 42 Prozent angestiegen. Dage-gen hat die FDP zumindest nicht lautstark protestiert.Das müssen Sie konzedieren, Herr Thiele. Das mussman festhalten.
Wenn Sie sich die Reformagenda ansehen, dann müs-sen Sie feststellen, dass die Haushälter ihr Ziel eingehal-ten haben und einen sehr knapp bemessenen Haushaltvorgelegt haben. Wir hatten in beiden Koalitionsfraktio-nen viele Anfeindungen auszuhalten; denn jeder wolltegerne ein wenig mehr an Bewegungsspielräumen haben.Wir haben strenge Vorgaben gemacht. Es ist ein Spar-haushalt und deswegen knapp bemessen. Das war dieVoraussetzung dafür, dass die Reformagenda klar unddeutlich formuliert werden konnte. Natürlich werden wirkeinen Zuschuss für die BA einstellen, damit der Re-formdruck erhalten bleibt. Wir wollen doch nicht so tun,als ob wir unseren eigenen Reformen nicht trauen wür-den. Das hätten Sie vielleicht gerne, aber wir sehen dasanders. Wir wollen erreichen, dass die Reformen umge-setzt werden.
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Antje Hermenau– Herr Austermann, abgerechnet wird am Schluss. Daswissen Sie. Am 31. Dezember 2003 reden wir weiter.Die Reformagenda ist der richtige Weg. Herr Rürupwird heute mit der Schlagzeile in der „Financial Times“zitiert, er wolle gerne die jungen Arbeitnehmer spürbarentlasten. Das ist genau der Punkt, auf den es ankommt.Darum geht es bei der Absenkung der Lohnnebenkosten.Darum geht es, wenn wir darüber sprechen, dass Struk-turreformen vorgenommen werden müssen. Die Abga-benlast muss abgesenkt werden. Arbeit muss billigerwerden. Sie können zu Recht behaupten, das hätten Sieschon immer gesagt. Dagegen habe ich nichts einzuwen-den. Aber man muss es auch tun.
Die FDP hat letzte Woche einen Entschließungsantragzur Rede des Bundeskanzlers eingebracht.
In diesem Antrag steht:Subventionen und Zuwendungen müssen umge-hend linear um 20 Prozent gekürzt werden.Das klingt superschick und richtig sparpolitisch.Die größte Zuwendung in Deutschland ist der Ren-tenzuschuss, den wir aus dem Bundeshaushalt finanzie-ren.
Ich habe einmal ausgerechnet, was die Umsetzung IhresAntrages bedeuten würde. Bei den Zuwendungen zumRentenzuschuss würde es zu Kürzungen in Höhe von16 Milliarden Euro kommen.
Das würde bedeuten, dass die Renten innerhalb wenigerMonate um 7,5 Prozent gekürzt würden. Bei einer unter-stellten Rente von 500 Euro ergäbe sich eine Kürzungum 37,5 Euro und bei einer Rente von 1 000 Euro ergäbesich eine Kürzung um 75 Euro. Wir reden nicht von ei-nem langsamen Anstieg oder von Nullrunden. Ich sagees ganz konkret: Sie wollen die Renten um 7,5 Prozentkürzen.
Das war Ihr Vorschlag in Ihrem Entschließungsantrag.
Eine weitere interessante Sache ist Ihr Vorschlag, dieSubventionen zu kürzen. Die Chance hatten Sie. Diegrößte Subvention ist mit 8 Milliarden Euro die Eigen-heimzulage.
Sie vergleichen sie immer mit der Steinkohlensubven-tion. Diese ist deutlich niedriger als die Eigenheimzulage.Die Union kam im Haushaltsausschuss mit sehr vie-len Erhöhungsanträgen
und hat in der Endrunde bei der allgemeinen Finanzpla-nung und Bundesschulden versucht, dem mit unsolidenFinanzierungsvorschlägen entgegenzutreten. Bei den Ge-währleistungen haben Sie eine Einnahmeverbesserungvon 1 Milliarde Euro vorgeschlagen. Das ist massiv kon-junkturabhängig. Herr Austermann, hier widersprechenSie sich selber; das ist unsolide. Wenn Sie zweifeln, dasssich die Konjunktur erholt, können Sie nicht mit Hinweisauf die Konjunktur eine Einnahmeverbesserung bezogenauf die Gewährleistung vorschlagen; das geht nicht.Des Weiteren haben Sie eine Absenkung des Disagiosvorgeschlagen und eine globale Minderausgabe ein-gebracht. Das war eine klare Unterveranschlagung derZinsausgaben. Auch das ist unsolide. Wir haben schonniedrige Zinsen. Viel niedriger werden sie nicht mehr.
Bei der IT-Ausrüstung haben Sie eine globale Minder-ausgabe vorgeschlagen. Das ist die Rasenmähermethode.Meine Meinung ist: Wenn man die Bürokratie effizientermachen und den Bürokratieabbau vorantreiben will,dann sollte man den Mitarbeitern nicht die Computerwegnehmen. Das kann aber jeder für sich entscheiden.Heute stand in der Zeitung, das Kardinal GeorgSterzinsky zur Finanzkrise des Berliner Erzbistums ge-sagt hat:Ich gestehe, dass ich notwendige Entscheidungennicht getroffen oder nicht durchgesetzt habe.
Diese Entschuldigung ist nobel. Alle Parteien in diesemHaus sollten jetzt genug Mut und Kraft aufbringen, umsich auch so verhalten zu können.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Merz von derCDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Vielleicht geht es dem einen oder anderen so wiemir. Ich habe in diesen Minuten das Gefühl, dass imDeutschen Bundestag zum jetzigen Zeitpunkt eigentlichandere Themen diskutiert werden müssten als derBundeshaushalt 2003 in zweiter und dritter Lesung.
Wenn ich Sie alle hier so sehe – vor allem die Regie-rungsbank –, dann kann ich mich des Eindrucks nicht er-wehren, dass es Ihnen vielleicht ganz recht ist, dass dieseKarikatur eines Bundeshaushaltes in dieser Woche imSchatten einer internationalen Krise durchgebracht wer-den kann, ohne dass es die verdiente öffentliche Auf-merksamkeit findet.
Meine Damen und Herren, die Trostlosigkeit desHaushaltes wird nur noch durch die Trostlosigkeit derer,die auf der Regierungsbank Platz genommen haben, un-terboten.
Ein Bundesminister und eine Hand voll Staatssekretärezeigen, wie ernst die Regierung der BundesrepublikDeutschland diese Debatte nimmt.
– Entschuldigung, Herr Minister, hier sitzen zwei Bun-desminister. Immerhin sind wir jetzt bei 10 Prozent desBundeskabinetts angekommen. Ich gratuliere Ihnenherzlich.
Wenn der Bundesfinanzminister gleich das Wort er-greift, werden wir hier vermutlich wieder einige der inmehreren Reden lang erprobten und vorgestanzten For-mulierungen über die Solidität der Staatsfinanzen undden guten Weg, auf dem wir uns alle befinden, seit Rot-Grün dieses Land regiert, hören. Vielleicht erlauben Siemir, zu dem, was gleich von ihm zu erwarten ist – HerrEichel hat in der Regel immer dieselbe Rede in der Ta-sche, wenn er hier ans Rednerpult geht –, einige Bemer-kungen zu machen. Sie werden behaupten, dass wir seitdem Regierungswechsel 1998 auf dem Weg heraus ausder Schuldenfalle sind. Herr Bundesfinanzminister, seitSie Ihr Amt von Ihrem Vorgänger Oskar Lafontaineübernommen haben, haben Sie den Gesamtschulden-stand des Bundes nicht gesenkt, sondern drastisch er-höht. Sie haben einen Schuldenstand von 743 MilliardenEuro übernommen. Ausweislich Ihrer Finanzplanung fürdas Jahr 2003 liegt der zu erwartende Schuldenstand bei814 Milliar-den Euro. Sie müssen damit rechnen – da-rauf komme ich gleich zu sprechen –, dass sich dieserSchuldenstand um noch einmal 10 Milliarden Euro er-höht.
Das heißt im Klartext: Vier Jahre Rot-Grün haben dafürgesorgt, dass die Gesamtverschuldung des Bundes umrund 80 Milliarden Euro angestiegen ist. So sieht der rot-grüne Weg aus der Schuldenfalle aus.
Nun haben wir alle am letzten Freitag eine großeRede des Herrn Bundeskanzlers gehört.
– Richtig, nach seinem eigenen Urteil. Wenn ihn schonkeiner lobt, dann muss er sich eben selbst loben. Das hater am Wochenende dann auch getan; er hat sich ja selbstNoten gegeben.Wir haben eine große Rede erwartet; er selbst meint,eine große Rede gehalten zu haben. Wir haben uns amWochenende die Frage gestellt: Was haben die Ausfüh-rungen des Bundeskanzlers nun für Auswirkungen aufden Bundeshaushalt? Das, was er am letzten Freitag an-gekündigt hat, wird zum Teil tief greifende Veränderun-gen haben, die auf den Bundeshaushalt 2003 Auswir-kungen hätten haben müssen. Aufschluss darüber, wieernst die Koalitionsfraktionen diese Rede nehmen, gibtein heute vorliegender Änderungsantrag, der sich aufdas Haushaltsgesetz 2003 bezieht. Dort heißt es:Der Bundestag wolle beschließen:In § 1– gemeint ist das Haushaltsgesetz –wird die Angabe „248 200 000 000“ durch die An-gabe „248 199 000 000“ ersetzt.Ende des Änderungsantrages.
Die rot-grüne Koalition nimmt die Rede des Bundes-kanzlers vom Freitag der letzten Woche so ernst, dass siedas Haushaltsgesetz des Jahres 2003 um sage undschreibe 1 Million Euro korrigiert. Wir haben eine wirk-lich bedeutungsvolle Rede gehört.
Das volkswirtschaftliche Wunder, das wir durch dieseÄnderung zu erwarten haben, schlägt sich in den Ankün-digungen nieder, die mit dieser 1 Million Euro verbun-den sein sollen: Damit sollen 800 Millionen Euro Flut-hilfe an die Gemeinden zurückgezahlt werden. Damitsoll ein Programm aufgelegt werden, mit dem Investitio-nen in die Infrastruktur der Gemeinden im Umfang von7 Milliarden Euro zinsverbilligt werden. Damit soll einProgramm für die Bauindustrie aufgelegt werden, mitdem Investitionen in Wohnraum, in Infrastruktur usw. inHöhe von 8 Milliarden Euro zinsverbilligt werden. Allesin allem hat das eine volkswirtschaftliche Wirkung von
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Friedrich Merzüber 15 Milliarden Euro. Demgegenüber steht ein Ände-rungsantrag mit einem Volumen von 1 Million Euro. Indieser Bundesregierung sitzen wahre Finanzpolitiker.
Wir werden vermutlich vom Bundesfinanzministergleich hören, dass ein großer Teil der Probleme, die imBundeshaushalt nach wie vor zu bewältigen sind, mit derfalschen Finanzierung der deutschen Einheit zusam-menhängt. Die falsche Finanzierung der deutschen Einheitist eine Entschuldigung, die nicht nur die rot-grüne Koali-tion seit viereinhalb Jahren vor sich herträgt, sondern diein diesen Tagen auch in öffentlichen Meinungsäußerun-gen von verschiedensten Seiten immer wieder vorgetra-gen wird. Ich nehme diese Vorwürfe auf, weil diese Be-hauptung nicht unwidersprochen stehen bleiben kann.
Zur Erinnerung: Das, was 1989/1990 und in den Fol-gejahren gemacht werden musste, konnte zum damali-gen Zeitpunkt in seiner Dimension niemand wirklich vo-raussagen.
– Als Reaktion auf den Kollegen Tauss will ich daran er-innern, dass es die beiden Ministerpräsidenten Schröderund Lafontaine gewesen sind – insbesondere der Letzt-genannte –, die im Zuge der Verhandlungen über denEinheitsvertrag im Jahre 1990 im Bundesrat versucht ha-ben, eine Protokollerklärung durchzusetzen, derzufolgeder Erlös aus der Tätigkeit der Treuhandanstalt – ichhabe mich nicht versprochen: der Erlös! – zwischenBund und Ländern hälftig aufgeteilt werden sollte.
Als die Treuhandanstalt am 31. Dezember 1993 ihreTätigkeit eingestellt hat, stand nicht ein Erlös, sondernein dreistelliges Milliardendefizit in den Büchern. Vondem Tag an war allerdings von einer Teilung zwischenBund und Ländern bei den Damen und Herren der So-zialdemokraten nicht mehr die Rede. Auch das gehörtzur historischen Wahrheit.
Heute, zwölf Jahre später, möge hier also bitte niemandsagen, dass der eine oder andere besser vorausgesehenhätte, welche Lasten zu schultern seien.
Ich lege schon Wert darauf, dass dies gesagt wird, da-mit nicht ständig diese Behauptungen wiederholt werden:Das, was seinerzeit entschieden worden ist, bedeutete eineanteilige Finanzierung – nicht der Lasten der deutschenEinheit, sondern der Überwindung der deutschen Teilung –in etwa folgendem Verhältnis: ein Drittel durch höhereSteuern, ein Drittel durch höhere Verschuldung und einDrittel über die sozialen Sicherungssysteme.Dies war in etwa die Größenordung, wie sie in denJahren 1990 und 1991 politisch entschieden wurde. Da-nach wurde sie, meine Damen und Herren von der Re-gierungskoalition, zwar immer wieder von Ihnen kriti-siert. Aber wenn Sie diese Planungen heute immer nochfür falsch halten, dann spricht nichts dagegen, dass siedie Methode der Finanzierung der deutschen Einheit, dieuns ja nach wie vor beschäftigt, heute ändern. Stellen Siealso entweder Ihre Kritik, die Sie hier mehrfach vorge-tragen haben, ein oder ändern Sie die Methode! Aber hö-ren Sie auf, hier ständig Märchen zu erzählen, um vonIhren eigenen Problemen abzulenken.
Gleich werden wir vom Bundesfinanzminister ver-mutlich hören, dass wenigstens die Zinslasten im Bun-deshaushalt zurückgegangen sind;
wahrscheinlich wird er versuchen, dies durch die Ent-wicklung der Zinssteuerquote zu belegen.
Auch dies, meine Damen und Herren, ist leider falsch.Wahr ist, dass die Zinssteuerquote gesunken ist. Richtigist allerdings: Die Ursache dafür ist nicht eine niedrigereVerschuldung des Bundes. Vielmehr handelt es sich imWesentlichen um drei Ursachen:Erstens: Vereinnahmung der UMTS-Lizenzerlöse. Ichkritisiere das nicht. Auch damals haben wir das nicht kri-tisiert, weil wir die Situation nicht richtig eingeschätzthaben. Aber heute wissen wir, dass das damalige Vorge-hen eine schwere Belastung für die Branche darstellteund dass es so, wie es damals gemacht worden ist, falschwar. Sie haben 50 Milliarden Euro einkassiert. Über dieAbschreibungen ging das übrigens zulasten der Länderund Kommunen.
Sie haben sich geweigert, den Ländern und Kommunenauch nur einen einzigen Euro davon zurückzugeben, ob-wohl die Abschreibungen den Bund, die Länder und dieGemeinden betrafen. Sie haben diese 50 Milliarden Eurofür sich vereinnahmt.
Zweitens profitieren Sie von einem sehr viel niedrige-ren Zinsniveau als in den Jahren 1998 und 1999.Drittens – Herr Eichel, für die ersten beiden Punktekönnen Sie nichts, aber dies werfen wir Ihnen vor – ha-ben Sie die Schuldenfinanzierung des Bundes weitge-hend von Langläufern auf Kurzläufer umgestellt. Dieshat natürlich erhebliche Konsequenzen.
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Friedrich MerzIm Augenblick profitieren Sie von dem sehr niedrigenZinsniveau. Aber in dem Augenblick, wo die Zinsen imZyklus der Zinsschwankungen wieder steigen, endenIhre kurzfristigen Finanzierungen. So werden Sie IhremNachfolger ein beträchtliches Zinsrisiko überlassen.
Meine Damen und Herren, dies sind die Gründe dafür,dass wir heute eine niedrigere Zinssteuerquote haben.
Vermutlich wird der Bundesfinanzminister in seinerRede gleich voller Stolz darauf verweisen, dass wenigs-tens die Investitionsquote des Haushaltes gestiegen ist.Aber auch hier sieht die Realität leider anders aus, als sievon der rot-grünen Koalition immer wieder beschriebenund beschworen wird. Sie haben im Jahre 1998 eine In-vestitionsquote des Bundeshaushalts von 12,5 Prozentübernommen. Diese Investitionen – in die öffentliche In-frastruktur, in Wissenschaft und Forschung, also in alldie Bereiche, die ein Land zukunftsfähig machen – sindseit Ihrem Regierungsantritt kontinuierlich zurückge-führt worden.
Zuerst lagen sie bei 11,6 Prozent, dann waren es11,5 Prozent, daraufhin 11,2 Prozent und schließlich9,9 Prozent. Jetzt berühmen Sie sich der 10,8 Prozentund verschweigen der Öffentlichkeit, dass darin etwa inder Höhe von einem Prozentpunkt reine Mittel für dieFluthilfe enthalten sind. Tatsächlich kommen wir im lau-fenden Haushalt ohne die Fluthilfe auf eine Investitions-quote von nur noch 9,8 Prozent. Das ist ein historischerTiefstand – zu einem Zeitpunkt, wo wir eigentlich nichtweniger, sondern mehr in Forschung, Bildung und Infra-struktur investieren müssten.
Da ich aus den Reihen der Sozialdemokraten Zurufewie „Das machen wir auch!“ höre, möchte ich Ihnen ein-mal kurz die traurige Realität vorstellen, so wie sie bei denBetroffenen ankommt. Wir argumentieren hier zwar mithohen Milliardenbeträgen, aber wie ist denn die Realitätderer, die in den Forschungseinrichtungen unmittelbarvon den Kürzungen betroffen sind, die Sie in diesen Tagenbeschließen? Ausbau und Neubau von Hochschulen: mi-nus 40 Millionen Euro; Europäische Weltraumorganisa-tion: minus 20 Millionen Euro; naturwissenschaftlicheGrundlagenforschung: minus 2,2 Millionen Euro; natio-nales Weltraumprogramm: minus 2,5 Millionen Euro;Forschung mit adulten Stammzellen – ein außergewöhn-lich wichtiges Thema vor dem Hintergrund des bis heutenicht wirklich zu Ende diskutierten Streits um die For-schung an embryonalen Stammzellen; die Alternativfor-schung wurde vom Bundeskanzler immer wieder alsbesonders wichtig betont –: minus 5 Millionen Euro;Meeres- und Polarforschung: minus 2,5 Millionen Euro.Dann die großen Forschungsgesellschaften – was machenSie mit diesen Gesellschaften? –: Max-Planck-Gesellschaft:minus 14 Millionen Euro; Zentren der Helmholtz-Gesell-schaft: minus 36 Millionen Euro; Fraunhofer-Gesellschaft:minus 10 Millionen Euro; Forschungseinrichtungen derLeibniz-Gesellschaft: minus 6 Millionen Euro; Akade-mieprogramm: minus 1 Million Euro; schließlich die Deut-sche Forschungsgemeinschaft: minus 7,5 Millionen Euro.
Sie können sagen, dass das alles kleine Beträge sind,die in der Gesamtschau des Haushalts nur wenig ausma-chen, aber entscheidend ist doch, dass Sie den For-schungseinrichtungen in unserem Land zu einem Zeit-punkt, zu dem sie mehr bräuchten, jetzt die Mittelentziehen, die notwendig wären.
Herr Kollege Merz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Tauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Präsident und lieber Herr Merz.
Das gibt mir die Gelegenheit, einige Missverständnisse
aufzuklären und Sie zu bitten, heute Mittag an der De-
batte zum Forschungshaushalt teilzunehmen.
Würden Sie bitte freundlicherweise zur Kenntnis neh-
men, dass Ihre Aussage bezüglich der DFG schlicht
falsch ist. Wir haben bei der DFG ausweislich des Haus-
haltsentwurfs 2003 einen Aufwuchs von 2,5 Prozent.
Dies entspricht – in exakten Zahlen – 17,684 Millionen
Euro. Von einer Kürzung, wie Sie gerade gesagt haben,
kann nicht die Rede sein. Würden Sie bitte die Zahlen
zur Kenntnis nehmen?
Herr Tauss, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar,dass Sie ausnahmsweise nicht nur Zwischenrufe ma-chen, sondern auch eine Zwischenfrage stellen.Nachdem der Bundeskanzler angekündigt hat, dass erdie Ganztagsbetreuung in Deutschlands Schulen auchüber den Bundeshaushalt finanzieren will, hat es Korrek-turen im Einzelplan 30 – Bildung und Forschung – gege-ben. Ich habe Ihnen hier aus der amtlichen Statistik derBundesregierung vorgetragen und die genauen Kürzun-gen – in einem Gesamtvolumen von 72 Millionen Euro
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Friedrich Merzbei den einzelnen Positionen und mit einem Kürzungs-betrag von insgesamt 75 Millionen Euro – benannt, vondenen die Einrichtungen betroffen sind.
Sie haben gegenüber dem Haushaltsentwurf zur Finan-zierung des Ganztagsbetreuungsprogramms die Kürzun-gen vorgenommen, die ich Ihnen gerade vorgetragenhabe. Wir sagen: Das ist eine falsche Entscheidung, dieSie getroffen haben, weil sie schlecht ist für den Wissen-schafts- und Forschungsstandort Deutschland.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, dass ichauf ein zweites Thema zu sprechen komme, das der Bun-deskanzler ebenfalls am Freitag hier angesprochen hat,nämlich den Maastrichter Vertrag. Herr Bundesfinanz-minister, wir erwarten, dass Sie vor dem Deutschen Bun-destag gleich eine klare Aussage dazu machen, wie Siebeabsichtigen, die Risiken des Haushalts so unter Kon-trolle zu halten,
dass Sie am Donnerstag der EU-Kommission gegenüberwirklich mit gutem Gewissen die Zahl vertreten können,die Sie dem Jahreswirtschaftsbericht zugrunde gelegt ha-ben und nach der das Defizitkriterium nicht überschrit-ten wird, sondern es bei einem Defizit von 2,8 Prozentverbleibt.Zur Erinnerung: Dass unsere kritischen Fragen nichtohne Grund vorgetragen werden, zeigt das letzte Jahr.Wir haben im letzten Jahr sehr frühzeitig darauf hinge-wiesen, dass Sie ein immer größeres Risiko tragen, denMaastrichter Vertrag nicht erfüllen zu können. Sie habendiese Kritik auch von dieser Stelle aus abgebürstet unduns der Schwarzmalerei bezichtigt. Sie haben uns Pessi-mismus und eine Falschinformation der Öffentlichkeitvorgeworfen.In Wahrheit haben Sie die Öffentlichkeit falsch infor-miert, wie nicht zuletzt auch durch den Untersuchungs-ausschuss festgestellt worden ist. Sie sind vom Anfangdes Jahres 2002 an von viel zu optimistischen Annahmenausgegangen und haben deshalb am Ende des Jahres einziemliches Desaster erlebt. Ich sage Ihnen voraus: WennSie so weitermachen, dann werden Sie auch im Jahr 2003ein ziemliches Desaster erleben; denn was Sie jetzt mit2,8 Prozent hier zugrunde legen, das hält einer Überprü-fung schon heute, am 18. März 2003, nicht mehr stand.
Ich will Ihnen dazu nur einiges kurz vortragen: Sie gehenim Bundeshaushalt davon aus, dass die Bundesanstalt fürArbeit am Ende des Jahres keinen Zuschussbedarf habenwird. Schon zum Ende des Monats Februar liegt das Defizitder Bundesanstalt für Arbeit bei 1,5 Milliarden Euro. Wenndas Wachstum nur um 0,5 Prozentpunkte niedriger ausfal-len wird als in der Größenordnung von 1 Prozent, die Siezugrunde legen – Sie sind einer der wenigen, der noch voneinem Wachstum in Höhe von 1 Prozent ausgeht; die For-schungsinstitute gehen durch die Bank von einem viel ge-ringeren Wachstum aus –, dann werden Ihnen in jenemHaushalt 2,5 Milliarden Euro fehlen.In Ihrem Gesetzentwurf gehen Sie immer noch davonaus, dass das Steuervergünstigungsabbaugesetz zustandekommt. Sie erwarten durch dieses Gesetz Mehreinnah-men in Höhe von 3,4 Milliarden Euro insgesamt bzw.1,6 Milliarden Euro für den Bund. Herr Bundesfinanz-minister, schminken Sie sich doch endlich dieses Gesetzab! Es wird nicht zustande kommen.
Des Weiteren – das ist der besonderen Erwähnungwert – stellen Sie 5 Milliarden Euro aus der Nacherklä-rung finanzieller Mittel, die ins Ausland geflossen sind,im Rahmen Ihres Amnestiegesetzes in den Bundeshaus-halt ein. Ich frage mich, ob Sie immer noch daran glau-ben, dass Sie dieses Gesetz so durchsetzen können, wieSie es konzipiert haben, und dass Sie, falls Ihnen das ge-lingen sollte, tatsächlich Steuermehreinnahmen in einemsolchen Umfang erzielen werden. Der Bundeskanzler hateinmal von 100 Milliarden Euro schwadroniert, die nachDeutschland zurückfließen würden. Sie, Herr Eichel, ge-hen jetzt von 20 Milliarden Euro aus. Wörtlich:Die Bundesregierung erwartet, dass im Rahmen derangesprochenen gesetzlichen Maßnahmen rund20 Milliarden Euro in 2003– das ist im laufenden Jahr –in Deutschland nacherklärt werden. Die Nacherklä-rung eines solchen Volumens führt zu Steuermehr-einnahmen von 5 Milliarden Euro.Herr Bundesfinanzminister, es wird erst dann zumRückfluss von finanziellen Mitteln nach Deutschlandkommen, wenn die Steuern gesenkt werden und wenneine Brücke in die Legalität gebaut wird.
Im Grunde stimmen wir hierin mit Ihnen ausdrücklichüberein; wir haben bereits im vergangenen Jahr den Vor-schlag gemacht, eine solche Regelung zu treffen. DerBundeskanzler hat das übrigens auch vorgeschlagen.Seinerzeit hat es zwischen Ihnen beiden einen großenStreit gegeben. Jetzt gehen Sie offenbar dazu über, denWeg über eine Abgeltungsteuer in Verbindung mit einerentsprechenden Regelung ebenfalls zu befürworten.Aber die Mittel fließen nur dann zurück, wenn diejeni-gen, die das Geld nach Deutschland zurückbringen sol-len, auch Vertrauen haben, ihr Geld in Deutschland ein-setzen und investieren zu können.
Glauben Sie im Ernst, dass dieses Vertrauen entsteht,wenn Sie an Ihrem Plan festhalten, in Deutschland flächen-deckend Kontrollmitteilungen einzuführen? Glauben Sie
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2575
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Friedrich Merzim Ernst, dass dieses Vertrauen entsteht, wenn Sie mit Ih-rer rot-grünen Mehrheit in diesem Hause bis heute nichtzu der Erkenntnis gefunden und den Mut aufgebracht ha-ben, endgültig auch das Vermögensteuergesetz formellaufzuheben?
Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie bei diesen Vorhabenbleiben – ich wiederhole: wenn er vernünftig gestaltetwird, werden wir den Weg mitgehen, über eine solcheAbgeltungsteuer mit einer entsprechenden Übergangs-regelung für Fluchtkapital die Mittel nach Deutschlandzurückzuholen –, werden Sie nur dann das notwendigeVertrauen schaffen, wenn Sie gleichzeitig unseren Anträ-gen folgen, erstens das Vermögensteuergesetz auchförmlich aufzuheben und zweitens auf Kontrollmittei-lungen zu verzichten. Anders werden Sie keinen einzi-gen Euro zurückbekommen.
Damit sind die Risiken des Bundeshaushaltes fast hin-reichend beschrieben. Allein in den Positionen, die icheben erläutert habe – das Defizit bei der Bundesanstalt fürArbeit, das geringere Wirtschaftswachstum, das Schei-tern des Steuervergünstigungsabbaugesetzes und der Ver-such, über die Abgeltungsteuer Kapital nach Deutschlandzurückzuholen –, ist ein Risiko von 12 Milliarden Euroenthalten. Sie befinden sich mit 2,8 Prozent – das sind ge-rade 4 Milliarden Euro – nur knapp von der Überschrei-tung des Defizits entfernt. Herr Bundesfinanzminister,wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie zum Jahres-ende – wenn Sie dann noch im Amt sind; wir haben alledamit gerechnet, dass Ihnen Herr Gabriel nachfolgenwird, aber das war wohl doch etwas zu arg –
wieder feststellen müssen, dass Sie keine Chance gehabthaben, den Maastricht-Vertrag einzuhalten. Wenn Siedas zugeben müssen, Herr Eichel, dann lassen wir Ihneneines nicht durchgehen: dass das Wirklichkeit wird, wasder Bundeskanzler am vergangenen Freitag angekündigthat. Dieser nämlich hat ganz offen den Maastricht-Ver-trag infrage gestellt und deutlich gemacht, dass die Bun-desregierung nicht mehr die Absicht hat, sich an diesenVertrag zu halten.An dieser Stelle hört aber der Spaß auf. Wir könnenuns auf innenpolitischer Ebene über viele Fragen streitenund Meinungsverschiedenheiten austragen. Aber werwie diese rot-grüne Bundesregierung den Maastricht-Vertrag infrage stellt und nicht bereit ist, sich an dasKorsett dieses Vertrags zu halten, das auch für konjunk-turell schwierige Zeiten ausreichende Flexibilität bietet,gefährdet mehr als nur die Volkswirtschaft der Bundes-republik Deutschland. Sie gefährden nicht nur in der Au-ßenpolitik, sondern jetzt auch in der Finanzpolitik denZusammenhalt innerhalb der Europäischen Union. Dasaber lassen wir Ihnen nicht durchgehen, Herr Eichel.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister Hans Eichel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zuerst möchte ich mich bei Ihnen allen im Deut-schen Bundestag dafür bedanken, dass Sie bereit waren,die Tagesordnung für die Haushaltsberatungen so umzu-stellen, dass die zuständigen Mitglieder der Bundesre-gierung, das heißt der Kanzler, der Außenminister undder Finanzminister, am kommenden Freitag an der Sit-zung des Europäischen Rates in Brüssel teilnehmenkönnen. Das nämlich ist der alleinige Grund – und keinanderer, Herr Austermann –, weswegen ich am kommen-den Freitag nicht im Hause sein kann. Herzlichen Dank,dass Sie bereit waren, das umzustellen.
Es ist keine Frage, selten sind Haushaltsberatungenunter so völlig unsicheren Rahmenbedingungen ge-führt worden, wie wir sie heute haben. Ich habe überlegtund erinnerte mich, dass es das letzte Mal vor zwölf Jah-ren eine vergleichbare Situation gab: Auch seinerzeitwurde der Bundeshaushalt – wie es nach einer Bundes-tagswahl traditionell der Fall ist – später, also nicht amEnde des Vorjahres, sondern in der ersten Hälfte des je-weiligen Folgejahres, verabschiedet. Damals brach derGolfkrieg aus und auch diesmal sind wir alle, glaube ich,nicht sehr optimistisch, dass es noch gelingen wird, denKrieg im Nahen Osten zu verhindern.
– Natürlich war die Situation schon vorher schlecht. Ichwerde noch auf Sie zurückkommen, Herr Kollege Aus-termann.Trotzdem sage ich: Es ist vernünftig, jetzt den Haus-halt zu verabschieden, und zwar mit all den Risiken,Herr Kollege Rexrodt und Herr Kollege Merz, die er imHinblick auf das laufende Jahr in sich birgt. Wir müssenbei diesen Risiken gegensteuern.Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklä-rung „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“ amFreitag die notwendigen Veränderungen genannt. Dieersten Reaktionen belegen: Man hat in Deutschlandkaum noch eine Chance, ungestört Politik zu machen –sei es, dass es gilt, eine Regierungserklärung vorzuberei-ten; sei es, dass ein Gesamtkonzept entwickelt werdensoll. Im Wege von Indiskretion, Spekulationen oderschlicht Erfindungen – ich weiß, wovon ich rede; ichhabe kürzlich gelesen, dass ich dem „Focus“ die meistenDementis zugesandt habe; das ist richtig; denn da das,was ich dort lese, meistens Falschmeldungen sind, mussich auch die meisten Dementis abgeben –
werden schon vorher alle Einzelheiten hin und her ge-wendet und wird alles zerpflückt. Kaum ein Konzept,das man präsentiert, wird deshalb in seiner Gesamtheit
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Bundesminister Hans Eichelwahrgenommen. Wenn ich mir zum Beispiel die Reak-tion des Vorsitzenden des Sachverständigenrates auf dieRegierungserklärung und die Empfehlungen dieses Ra-tes – diese waren außerordentlich positiv – ansehe, dannrate ich jedem, über diesen Punkt nachzudenken unddies – ich tue das – auch ernst zu nehmen; denn hier gehtes um unsere Fähigkeit, Politik im Land zu artikulieren.
– Nein, Herr Kollege.Wenn Sie sich die Reaktionen des Auslandes ansehen,dann stellen Sie fest, dass die Regierungserklärung dortganz anders aufgenommen worden ist. Das war auch not-wendig; denn der Blick des Auslandes auf Deutschland, obzu Recht oder zu Unrecht – Herr Kollege Merz, ich kommegleich auf das Thema Wiedervereinigung kurz zurück, ob-wohl ich es eigentlich gar nicht vorhatte; da Sie aber aufeine Rede geantwortet haben, die ich nach Ihrer Einschät-zung vermutlich halten werde, muss ich nachher noch einpaar Richtigstellungen vornehmen –, war bisher nicht po-sitiv. Wir brauchen deshalb ein anderes Bild von Deutsch-land im Ausland. Die Frage, ob Deutschland reformfähigist oder nicht, muss auch aus Sicht des Auslandes positivbeantwortet werden können. Der Bundeskanzler hat dieseFrage positiv beantwortet, wissend, welche Zumutungendas, was er vorgeschlagen hat, für dieses Haus, insbeson-dere für meine Partei, und für dieses Land beinhaltet. Da-rum herumzureden macht überhaupt keinen Sinn.
Das Kernproblem, vor dessen Lösung sich diesesLand selbst und viele der hier Anwesenden noch immerdrücken, heißt alternde Gesellschaft. Dies ist das Pro-blem unserer Generation. Die nächste Generation wirdsich fragen: Was war da eigentlich los? Man hat wenigKinder in die Welt gesetzt und hohe Schulden hinterlas-sen. Als wir die mit der alternden Gesellschaft und derNotwendigkeit der Vorsorge verbundenen Fragen kürz-lich diskutiert haben, hat mein finnischer Kollege – übri-gens, er ist ein Konservativer – berichtet, in seinenWahlkampfveranstaltungen hätten ihm junge Leute ge-sagt: Wir zahlen entweder für die Rente oder für dieSchulden; aber wir sind nicht bereit, für beides zu zah-len. Vor genau diesem Problem stehen wir.
– Ich komme darauf zu sprechen. Ihr Zwischenruf istnicht so toll.
Sie werden das gleich merken.Wenn wir aus der Krise herauswollen – auch das istklar –, dann brauchen wir eine Stärkung der Wachs-tumskräfte.
– Ja, natürlich.
Unsere Gesellschaft wird es in der Zukunft nur dannnicht mit ganz schwierigen Verteilungskämpfen zu tunhaben, wenn wir die Wachstumskräfte stärken. Das hatviele Konsequenzen. Zum Beispiel muss der Sozialstaaterneuert, nicht abgebaut werden. Die mit Krankheitenund Alter verbundenen großen Risiken müssen solida-risch getragen werden; denn die meisten Leute könnenes sich nicht leisten, diese Risiken privat abzusichern.Wenn das geschehen ist, muss man sich der Frage stel-len: Was kann mit Eigenvorsorge, mit mehr Eigenverant-wortung geleistet werden?Herr Rexrodt, ich habe mich in die Materie Gesund-heitswesen mittlerweile ein Stück eingearbeitet. Alle mitden Sozialsystemen, mit den Länderhaushalten und mitden Kommunalhaushalten verbundenen Probleme – ichkomme darauf später im Zusammenhang mit Maastrichtnoch zu sprechen – werden beim Bundesfinanzministerabgeladen. Das nicht zu tun macht erforderlich, dassman sich mit diesen Fragen etwas genauer beschäftigt. Inkeinem anderen System erlebe ich ein solches Maß anStaatswirtschaft wie im Gesundheitswesen. Das hatSchwarz-Gelb zu verantworten.
In welcher Marktwirtschaft gibt es denn Mehrbesitz-verbote? In welcher Marktwirtschaft gibt es denn Preis-spannenverordnungen? Dass der Hersteller einen Preisfestsetzt, ist in Ordnung. Dass aber der Staat dem Groß-handel und anschließend dem Einzelhandel – in diesemFall denke ich an die Apotheker – den Preis vorschreibt,das haben doch Sie erfunden. Das ist wirklich eine er-staunliche Leistung.
Die Kartellbildung und die Vermachtung in diesemBereich sind das allergrößte Problem. Schauen Sie sicheinmal an, welche Lobbyarbeit Sie in diesem Zusam-menhang gemacht haben! Wenn Sie das getan haben,dann unterhalten wir uns noch einmal. Ihre Lobbyarbeit– dies für diejenigen, die es ganz genau wissen wollen –lässt sich sogar an Namen festmachen.
Da ist also eine ganze Menge zu tun. Ich komme aufdieses Thema gleich an einer anderen Stelle, wenn ichüber Subventionsabbau sprechen werde, zurück. Wasman sagt, ist immer richtig, wenn es im Allgemeinenbleibt. Wenn die eigene Klientel von etwas betroffen ist,
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Bundesminister Hans Eicheldann gilt plötzlich genau das Gegenteil von dem, wasman vorher gefordert hat.
Wir haben also eine Menge zu tun.Ein Stück soziale Verantwortung haben wir schon.Wir meinen: Wer mehr verdient, der kann auch ein biss-chen mehr beitragen als derjenige, der weniger verdient.
– Auch darauf komme ich zu sprechen.Wir müssen bei den sozialen Sicherungssystemeneine ganze Menge ändern, damit die Lohnnebenkostensinken. Nur dann werden die sozialen Sicherungssys-teme altersfest, armutsfest und zukunftsfest sein.
Natürlich ist ebenso am Arbeitsmarkt eine Menge zu tun.Der Kern des Kündigungsschutzes darf allerdings nichtverändert werden. Kündigungsschutz besteht in ersterLinie, damit die Betriebe und die Arbeitnehmer bere-chenbare Rahmenbedingungen haben; das ist richtig.Wer eine Familie gründen, also Kinder in die Welt setzenwill, wer die Entscheidung trifft, ein Häuschen zu kau-fen, der trifft eine Entscheidung für Jahrzehnte und musseine gewisse Sicherheit für seine Lebensplanung haben.Das sollten Sie nicht ganz vergessen.
Herr Kollege Rexrodt, übrigens wollen auch die Ar-beitgeberverbände den Flächentarif, und zwar aus gutenGründen.
– Ich weiß nicht, ob man solche Vorschriften immerbekämpfen soll. Unser Grundgesetz kennt übrigens dieKoalitionsfreiheit, wie Sie wissen.Wenn Sie den Flächentarifvertrag und die Gewerk-schaften für die Arbeitslosigkeit verantwortlich ma-chen, dann sage ich Ihnen: Was zurzeit an Arbeitsplatz-abbau in den Banken passiert – das ist ein ganzwillkürlich herausgegriffenes Beispiel –, hat weder et-was mit dem Flächentarifvertrag noch mit den Gewerk-schaften zu tun.
Also: Bitte nicht so einseitig!
Wir haben zu entbürokratisieren.
Das wird im Kabinett noch spannend werden, weil derKollege Clement, der Kollege Schily, Frau KolleginZypries und ich das im jeweiligen Zuständigkeitsbereichsehr intensiv betreiben. Wo endet das? Das endet damit,dass der Einzelne bereit sein muss, für kleine Risikenauch wieder selbst ein bisschen mehr Verantwortung zuübernehmen.
Wenn eine Gesellschaft auch die allerprivatesten Berei-che mit Paragraphen regeln und absichern will – Sie tundas ja auch, indem Sie entsprechende Anträge stellen –,wenn gesagt wird – das war wirklich toll, Herr KollegeBrüderle –, dann, wenn es an den Aktienmärkten runter-gehe, solle der Staat das ersetzen, dann produziert dieGesellschaft den ganzen Wust an Bürokratie selbst, densie nachher beklagt und in dem sie erstickt.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Brüderle?
Ja, gern.
Bitte schön, Herr Brüderle.
Herr Minister Eichel, sind Sie bereit, einzuräumen,
dass das, was Sie eben gesagt haben, schlichtweg falsch
ist?
Ich habe nie gesagt, dass man Telekom-Aktionäre ent-
schädigen soll. Ich habe vorgeschlagen, bei weiteren Pri-
vatisierungen Kleinaktionäre, die durchgehalten haben,
etwa durch Frühzeichnerrabatte oder Mitarbeiterrabatte
günstiger zu stellen. Eine solche Äußerung, wie von Ih-
nen behauptet, hat es von mir nie gegeben. Das ist
schlichtweg Unsinn. Das wird auch nicht dadurch richti-
ger, dass Sie es wiederholen. Gegebenenfalls müssten
Sie es belegen.
Herr Kollege Brüderle, ich bin gern bereit, ein De-menti Ihrerseits entgegenzunehmen. Ich habe das in derZeitung gelesen. Wir werden das auch wiederfinden,denke ich, und dann zeige ich Ihnen das. Wenn Sie sa-gen, Sie hätten die Äußerung nicht gemacht, ist das inOrdnung. Wenn Sie das hier dementieren, dann nehmeich das natürlich so hin und werde das auch nicht wie-derholen. Das ist selbstverständlich.
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Bundesminister Hans EichelKommen wir nun zu unserer Finanzpolitik ganz un-mittelbar und zum Haushalt.
Zunächst eine Vorbemerkung, Herr Kollege Merz, zumThema deutsche Einheit. Es ist nicht wahr, dass nie-mand gewusst hat, dass das etwas kostet.
– Doch!
Damit kommen wir zu sehr unterschiedlichen Kon-zepten. Sie wissen, dass wir – ich auch – in meiner Parteigroßen Ärger mit meinem unmittelbaren Amtsvorgän-ger, Herrn Lafontaine, haben. In einem Punkt aber hatteer Recht. Er hat damals darauf hingewiesen,
dass mindestens 100 Milliarden DM jährlich an Transfernotwendig seien, um den Aufbau Ost zu leisten.Wir haben vor der Wiedervereinigung, als die letzteStufe der stoltenbergschen Steuerreform – wenn ich michrecht erinnere, ging es um 25 Milliarden DM – in Krafttreten sollte, gesagt: Lassen Sie das jetzt! Wir brauchendas Geld für den Aufbau Ost. – Sie, insbesondere unserfrüherer Bundeskanzler, haben damals – Sie wissen das –Illusionen geweckt, und zwar darüber, wie schnell es ge-hen könnte und mit wie wenig Aufwand das Ganze zu ma-chen sein würde. Das war eine Illusion. Es ist eine Gene-rationenaufgabe, mit der wir es zu tun haben. Das habenviele gewusst, zum Beispiel auch Karl Otto Pöhl. Das warein Grund dafür, dass Karl Otto Pöhl den Präsidentenstuhlin der Deutschen Bundesbank ganz leise verlassen hat.
Es hat großen Streit gegeben. Sie haben fundamentaleFehler gemacht. Ich will nur auf einen Fehler hinweisen.Wir wollten den Aufbau Ost im privaten Bereich überZulagen finanzieren. Sie haben ihn über übermäßigeSonderabschreibungen finanziert – eine unsinnigeMaßnahme, die eine Fülle von negativen Folgen hatte.
Wir haben Ihnen vorher gesagt, dass wir es über Zulagenmachen sollten.
Natürlich wollten wir in dieser Zeit nicht die Spielver-derber sein.
Was war die Folge dessen, was Sie gemacht haben? Inallerkürzester Zeit entstanden Überkapazitäten in derBauwirtschaft, die niemand gebraucht hat und an denenwir heute noch tragen. Die Sonderabschreibungen konn-ten nur von Beziehern höherer Einkommen – solche gabes im Osten gar nicht – in Anspruch genommen werden,sodass das Aufbauprogramm Ost ein Steuersparpro-gramm West war. Über Zulagen hätten wir dahin kom-men können, dass die Menschen im Osten den AufbauOst selbst betreiben. Wenn das geschehen wäre, wärenwir sozial ein ganzes Stück näher zusammen, als wir esnach Ihrer Politik sind. Sie haben die sozialen Folgen Ih-rer Politik nicht abgeschätzt.
Das ist doch das eigentliche Problem, meine sehr geehr-ten Damen und Herren.
Herr Kollege Eichel, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Thiele?
Nein, jetzt nicht mehr.Nun komme ich zur Treuhand. Da haben Sie Rechtmit dem, was Sie gesagt haben. Aber mindestens ebensosehr, wie damals Herr Ministerpräsident Schröder undandere geglaubt haben, die Treuhand umfasse etwasWerthaltiges, hat das leider auch Herr Kollege Waigelgetan. Ich sage heute „leider“, weil das genau die Folgehatte, die Sie beschrieben haben: In den 90er-Jahren istdie Staatsverschuldung, eines der beiden Kernprobleme,an denen wir lange arbeiten werden, um 20 Prozent desBruttoinlandsproduktes gestiegen.
Damit komme ich zum heutigen Haushalt und zu allIhren Behauptungen. Von 1994 bis 1998
– ich komme darauf zurück – sind die Staatsschulden mitdem Sondervermögen um 230 Milliarden Euro gestie-gen. In den letzten vier Jahren waren es noch etwas über40 Milliarden Euro. Das ist ein Riesenunterschied, mei-ne Damen und Herren.
Sie hatten von 1994 bis 1998 eine Nettokreditauf-nahme, eine durchschnittliche Kreditfinanzierung IhrerHaushalte von 13,1 Prozent. Wir haben trotz des Ausrei-ßers im vergangenen Jahr eine durchschnittliche Kredit-finanzierung von 10,6 Prozent. Auf diese Zahlen warenSie offenkundig nicht vorbereitet, Herr Kollege Merz.Das ist die Wahrheit, mit der wir es zu tun haben.
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Bundesminister Hans EichelTatsächlich sind die Staatsausgaben bei uns gesun-ken. Sie führen immer das Jahr 1998 an. Aber Sie wissenso gut wie ich, Herr Kollege Austermann, dass Ihre da-malige Haushaltsplanung keine Wahrheit und Klarheitenthielt. Die Postunterstützungskassen waren nicht ent-halten, die Mittel für das Saarland und Bremen warennicht enthalten. Der Haushalt hatte eine Fülle von Fehl-stellen. In Wirklichkeit war er viel höher, aber Sie habenihn vor der Bundestagswahl anders vorgelegt.
Wir haben konsolidiert und wir konsolidieren weiter.Ich sage einen ausdrücklichen Dank an die Haushälterder Koalitionsfraktionen. Ich gebe ihn sehr gerne zurück,Herr Kollege Schöler und Frau Kollegin Hermenau,
weil es natürlich außerordentlich anstrengend ist, denKonsolidierungskurs durchzuhalten; denn das Problemist nicht in wenigen Jahren zu lösen,
wenn in Jahrzehnten Schulden aufgebaut worden sind.Wenn die Gewohnheit bestand, jedes Jahr mehr Geldauszugeben, als man einnimmt, braucht man lange Zeit,um da wieder herauszukommen. Das ist leider wahr.
Wir bleiben auf dem Weg. Dass das nicht einfach istund im dritten Jahr konjunktureller Schwäche möglicher-weise noch schwieriger wird, wird keinen Moment be-stritten. Deswegen sage ich ganz ausdrücklich: Wir hal-ten die Nettokreditaufnahme bei 18,9 Milliarden Euro,aber die Bedingungen müssen klar sein, die übrigens im-mer klar waren.
– Herr Kollege Rexrodt, es macht keinen Sinn, alle paarWochen neue Zahlen in die Welt zu setzen.
– Hören Sie einmal: Im Jahr 2000 war es andersherum.Als ich im Herbst die 11/2 Prozent als Wachstumsprognosegenannt habe, waren wir am unteren Rand aller Progno-sen. Dann sind wir auf 1 Prozent gegangen; damit befan-den wir uns in der Mitte. Jetzt – da haben Sie Recht – gibtes schon Prognosen, die deutlich darunter liegen. Das istnicht zu bestreiten. Es macht aber keinen Sinn, alle paarWochen einen neuen Haushalt aufstellen zu wollen.
– So richtig, Herr Austermann, wie Ihre Aussage am19. Dezember, zwölf Tage vor Jahresende, als Sie gesagthaben, dass wir 40 Milliarden Euro neue Schulden ma-chen. Da waren es nicht einmal 32 Milliarden Euro. Einesolche Fehleinschätzung wie Ihre hat es noch nie gege-ben. Auf so etwas kann man sich also nicht verlassen.
Verehrter Herr Kollege Austermann, auch der KollegeFaltlhauser im Bayerischen Landtag, mit dem ich manch-mal streite, der aber in seinen Annahmen sauber und seriösist, sagt: Es gibt nur eine solide Grundlage, auf der ichmeine Haushalte aufbaue, und zwar die Steuerschätzungim Mai, mit der ich den Haushaltsplanentwurf mache, derins Kabinett geht, und die Steuerschätzung im November,auf der ich die Verabschiedung im Landtag aufbaue. – Somacht er es und so ist es auch hier immer gemacht worden,auch vor meiner Zeit. Das war richtig und so wird es wei-terhin geschehen. Es macht keinen Sinn, auf Zahlen auf-zubauen, die aus der Luft gegriffen werden.
Es ist wahr, dass die 1 Prozent für das Wirtschafts-wachstum 2003 risikobehaftet sind. Übrigens weiß kei-ner, was geschieht. Ich will jetzt bewusst nicht irgend-welche Spekulationen anstellen. Der InternationaleWährungsfonds und die Europäische Kommission habenin unserem Auftrag solche Studien angestellt. Das hilftuns aber nicht weiter, weil wir jetzt in eine unter Um-ständen etwas makabre Diskussion geraten könnten; alsolassen wir das und beschäftigen uns erst dann erneut da-mit, wenn und sofern die Situation dies erfordert. Auf je-den Fall ist klar: Mit der Maisteuerschätzung werden wireine neue, günstigere oder ungünstigere Wachstumsan-nahme oder aber die Bestätigung der alten Schätzung ha-ben; darauf aufbauend – je nachdem, was sich daraus er-gibt – werden wir Korrekturnotwendigkeiten erkennenkönnen und dann auch realisieren müssen.
Natürlich ist das, was Herr Kollege Clement und ichverabredet haben, nämlich keinen Zuschuss zur Bundes-anstalt für Arbeit zu zahlen, ein wahnsinnig anstren-gendes Programm für dieses Jahr; das kann nicht bestrit-ten werden. Darin steckt ein Risiko.
Es hat doch überhaupt keinen Zweck, darum herumzureden.Das ist einer der Gründe dafür, dass wir mit dem Zinsver-billigungsprogramm bei der KfW auch im ersten Arbeits-markt gegensteuern. Das gehört doch zusammen, meineDamen und Herren. So macht das dann auch einen Sinn.
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Bundesminister Hans EichelIn Bezug auf die deutsche Entwicklung halte ich Fol-gendes fest: Es ist eher erstaunlich, dass wir im Januarund Februar bei der Produktion und den Auftragseingän-gen eine durchaus respektable Entwicklung haben, diefür sich genommen, wenn sie ungebrochen weiterginge,die 1 Prozent ohne weiteres rechtfertigte.
– Ich weiß es doch nicht. Wissen Sie es denn? Sie habenes nur 14 Tage vor Jahresende massiv verhauen. Deswe-gen wollen wir doch nicht auf Ihre Spekulationen setzen,Herr Kollege Austermann.
Mit anderen Worten: Genauso wie für jeden Finanz-minister und auch für Herrn Faltlhauser ist dies die ver-nünftige Grundlage, die von allen Schätzern erarbeitetworden ist. Übrigens war falsch, was Sie gesagt haben:Die Korrektur der Wachstumsannahme von 11/2 auf1 Prozent aufgrund einer nachgeholten Steuerschätzunghaben wir danach im Umlaufverfahren in den Haushalteingearbeitet.Nun sage ich ausdrücklich: Es ist vernünftig, denHaushalt auf dieser Basis abzuschließen. Darin steckennatürlich viel Anstrengung und Arbeit sowie Annahmen,von denen wir heute wirklich nicht wissen können, obsie im Jahresverlauf so eintreten werden. Wir können nursagen, in welchem Feld wir uns bewegen. Allerdings set-zen wir auch darauf, dass mit der Umsetzung des Hartz-Konzeptes – dabei musste übrigens auch der Finanzpoli-tiker manchmal sein Herz über die Hürde werfen –
etwas ins Rollen kommt, was dann auch zu Bewegungam Arbeitsmarkt führt. Auch diese Hoffnung stecktselbstverständlich darin.
Zum zweiten Aspekt, meine Damen und Herren: DieKonsolidierung geht also voran.
– Herr Austermann, wenn Ihrer Ansicht nach zwischenden 230 Milliarden Euro von 1994 bis 1998 bei Ihnenund den 40 Milliarden Euro von 1999 bis 2002 bei unskein riesiger Unterschied besteht, dann können Sie mitZahlen wirklich nicht umgehen.
– Gut, nehmen wir die Einnahmen aus UMTS hinzu, dieSie auch gern noch ausgegeben hätten. Ich bin froh, dassich sie für den Schuldenabbau eingesetzt habe; dasmusste ich auch erst durchkämpfen. Dann bleibt immernoch ein Verhältnis von 230 zu 90 Milliarden Euro, an-gesichts dessen Sie immer noch sehr schlecht aussehen.Deswegen haben Sie es auch nicht gern, wenn man einwenig über die Aktivitäten redet, die unternommen wur-den, solange Sie die Verantwortung trugen.Der zweite große Aspekt für die Finanzpolitik lautet:Die Qualität des Budgets muss besser werden. Wir brau-chen also mehr Geld für die Zukunftsbereiche, aber nichtnur mehr Geld. Dazu gehören auch strukturelle Reformen.
Meine Damen und Herren, ich könnte mich totlachen,wenn ich mir allein ansehe, wie windig Ihr Investitions-begriff ist. Wenn es Ihnen nämlich passt, dann rechnenSie – so ist das im Bundeshaushalt; deswegen könnenSie diese Elemente eigentlich gar nicht gebrauchen – dieGewährleistungen mit hinein. Was heißt denn das? Wennunsere Schuldner ihre Schulden nicht bezahlen, dannmüssen wir bezahlen; dies erhöht unsere Investitionen.Welch unsinnigen Investitionsbegriff legen Sie da zu-grunde, meine Damen und Herren?
Auch unter diesem Aspekt sind wir sogar oben, ob-wohl bei uns die Gewährleistungen heruntergingen, weilwir zum Beispiel mit Russland Gott sei Dank einenSchuldner haben, der solide bezahlt. Das wäre sonst einriesiges Haushaltsrisiko.Die Verkehrsinvestitionen haben einen historischenHöchststand erreicht. Es kommt doch nicht auf dieHochbauinvestitionen an
– sie wären in einem übersättigten Wohnungsmarkt völ-lig falsch –, sondern auf die Verkehrsinvestitionen.Was haben Sie, meine verehrten Damen und Herren,im Bereich Bildung und Forschung gemacht? Das habeich mir nun gerade einmal herausgesucht, weil Sie dasgenannt haben, Herr Merz; das hätten Sie besser nichtgetan. Das war die Sparbüchse meines VorvorgängersTheo Waigel.
Seit 1993 haben Sie den Etat kontinuierlich von damalsumgerechnet 7,6 Milliarden Euro auf 7,2 MilliardenEuro im Jahr 1998 heruntergefahren. Seit jenem Jahrgeht der Etat für Bildung und Forschung kontinuierlichnach oben. Ich muss gleichzeitig dazu sagen, dass wirdie Ausgaben für das BAföG aus diesem Etat ausgeglie-dert haben und dass wir die Kosten für die Ganztags-schulen zusätzlich eingestellt haben.Ich wiederhole: Während Sie 1998 7,2 Milliarden Eurofür Bildung und Forschung im Haushalt hatten, habenwir an dieser Stelle jetzt knapp über 9 Milliarden Euro.Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Reden und un-serem Handeln.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2581
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Bundesminister Hans EichelSie haben selbstverständlich Recht: Die Förderung vonInvestitionen in diesem Bereich gehört zur Sicherstellungder Zukunftsfähigkeit. Ich stimme dem Kanzler zu, dass wirnoch nicht da sind, wo wir hin wollen. Wir sind zwar besserals die anderen großen Länder Europas, aber die kleinenLänder wie die skandinavischen Länder sind besser.
Natürlich müssen wir in diesem Bereich weiter voran-kommen. Aber jeder von Ihnen weiß doch: Wer solcheSchulden auf dem Buckel hat und so viel Zinsen zahlenmuss, der ist bei der Investitionsfähigkeit eingeschränkt.Man muss erst die Schulden mühselig zurückfahren
und darf keine neuen Ausgabenwünsche äußern, wie Siedas gemacht haben.
Wir haben die Ausgaben für Bildung und Forschungnach oben gefahren. Aber in Bezug auf Ausbildungs-plätze muss ich der Wirtschaft mit allem Nachdruck sa-gen: Die Verantwortung für die Ausbildungsplätze hatdie Wirtschaft in Deutschland.
Angesichts der Zumutungen, die der Kanzler den Arbeit-nehmern und Arbeitslosen am vergangenen Freitag an-gekündigt hat, kann es nicht so sein, dass auf der anderenSeite die eindeutige Verpflichtung der Wirtschaft, allenausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungenMenschen einen Ausbildungsplatz zu garantieren – dazuhat sich die Wirtschaft im Bündnis für Arbeit früher be-kannt –, nicht erfüllt wird. Ich erwarte von allen Präsi-denten der großen Wirtschaftsverbände, von allen Präsi-denten der Industrie- und Handelskammern, von allenPräsidenten der Handwerkskammern und von den Ober-meistern aller Innungen – viele haben das früher getan;ich hoffe, dieses Jahr wieder –, dass sie sich alle persön-lich darum bemühen, dass alle jungen Leute einen Aus-bildungsplatz bekommen.
Dritter Aspekt. Neben Schuldenreduzierung und Ver-besserung der Qualität im Bereich Bildung und For-schung durch mehr Investitionen ist der Subventionsab-bau ein wesentliches Element.
– Ja, sicher. Das ist für Sie ein blamables Kapitel, meinsehr verehrter Herr Kollege.
Die Finanzhilfen, die bei Ihnen ein Volumen von11,4 Milliarden Euro hatten, sind in diesem Haushalt auf7,7 Milliarden Euro gesunken. Das sind 30 Prozent we-niger.
– Richtig. Sie haben Recht: Dazu gehört auch die Kohle;die Kohlesubvention wird ständig heruntergefahren, ob-wohl Sie ständig etwas anderes sagen. Wenn Sie bei denAgrarsubventionen nur einen Bruchteil dessen gekürzthätten, was wir bei der Kohle ständig machen, dann sähedie Welt schon ganz anders aus.
Herr Bundesminister, Sie haben die vereinbarte Rede-
zeit schon um über sechs Minuten überzogen.
Sie dürfen als Bundesminister natürlich weiterreden,
aber es geht zulasten der Redezeit Ihrer Fraktionskolle-
gen.
Ich werde sehr schnell diese Rede beenden. – Subven-tionsabbau ist ein Punkt auf der Ausgabenseite. Ichweise Sie aber darauf hin, dass es genauso auf der Steu-erseite – das ist völlig widersprüchlich – Subventionengibt. Sie haben zum Beispiel die Eigenheimzulage undden halben Mehrwertsteuersatz für Zahntechniker selberso definiert. Daran sieht man die Scheinheiligkeit IhrerArgumentation: Wenn es ernst wird, stellen Sie sich vorjede Lobbygruppe. Vorher verkünden Sie Allgemein-plätze, denen aber hinterher keine Taten folgen.
Der Bundesrat und der Bundestag – vielleicht wenigerdie Oppositionsfraktionen und Regierungsfraktionen indiesem Hause – haben eine gemeinsame Verantwortung.Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss ganz klar: Wirwerden unsere Verpflichtungen aus dem Stabilitätspakterfüllen.
Diejenigen, Herr Kollege Rexrodt, die wie Sie oder wiedie CDU/CSU im vergangenen Herbst unter Inkauf-nahme aller Brüche der europäischen Verantwortungnoch Programme in zweistelliger Milliardenhöhe ver-kündet haben, können sich heute nicht als Wächter desStabilitätspaktes aufspielen.
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Bundesminister Hans EichelWir haben die Steuersenkung verschoben, um dieFlutaufbauhilfe ohne Schulden zu finanzieren.
Genau das ist passiert. Anderenfalls hätten wir7 Milliarden Euro weniger in der Kasse. Sie haben aberganz andere Versprechungen gemacht.
Wir bleiben dabei – die europäischen Finanzministersind sich samt und sonders darin einig –: Der Pakt wirdangewandt. Er ist ein ökonomisches Instrument. Die An-wendung liegt in europäischer Verantwortung, wobeieinstimmig entschieden werden muss.
– Genau: 3 Prozent sind 3 Prozent. – Das heißt dannauch, Deutschland wird in diesem Jahr – das haben Sievom Generaldirektor für Finanzen und Wirtschaft hörenkönnen –
in einer Schwächephase, wenn also das Wachstum unter1 Prozent liegt, nicht angehalten werden, zusätzliche Maß-nahmen zu ergreifen. Dann wird hingenommen, dass wirdas 3-Prozent-Kriterium überschreiten. Das ist nichts wei-ter als die Anwendung der automatischen Stabilisatoren.
Dieser Generaldirektor ist übrigens derjenige, der un-ter Herrn Waigel federführend den Stabilitäts- undWachstumspakt erarbeitet hat. Das müssten Sie eigent-lich besser wissen als ich.
Mit anderen Worten: Die entscheidende Frage ist, obwir uns im Ecofin oder im Rat der Staats- und Regie-rungschefs, im Europäischen Rat, bei der Anwendungdes Vertrages dem Geist und dem Buchstaben diesesVertrages einstimmig verpflichtet fühlen oder nicht. DieBundesregierung tut das.
Genauso haben wir uns die ganze Zeit über verhalten,selbst in Wahlkampfzeiten, als Sie Versprechungen ge-macht haben, die mit nichts zu begründen waren.
Fazit: In diesem Haushalt wird die Konsolidierungkonsequent weitergeführt.
Dieser Haushalt tut mehr für Investitionen in Bildung undForschung und mehr für den Subventionsabbau als jederHaushalt zuvor und verdient deswegen nicht nur Zustim-mung, sondern lässt auch die entsprechende Beteiligungder Länder, die haushaltsautonom sind, im Bundesrat er-warten. Was in Länderverantwortung nicht geschieht,müssen die Länder selber verantworten. Deren Verant-wortung kann die Bundesregierung nicht übernehmen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Andreas
Pinkwart von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Herr Bundesfinanzminister, wir haben soeben einekurze Geschichtsstunde – man könnte auch sagen: Mär-chenstunde – zur deutschen Einheit erlebt.
Es waren doch die SPD-Ministerpräsidenten, die sichanlässlich der Entscheidung über das Föderale Konsoli-dierungsprogramm vom Bund die Stimmen haben ab-kaufen lassen. Allen voran Oskar Lafontaine war es ge-wesen, der sich für das Saarland eine milliardenschwereBundesergänzungszuweisung hat durchreichen lassen,um für die deutsche Einheit stimmen zu können, der ervorher gewaltig entgegengetreten war. Das ist doch dieWahrheit in der Betrachtung der deutschen Einheit.
Ich möchte Ihnen einmal in Zahlen dokumentieren,was der Bundesfinanzminister hier vorgetragen hat.
– Wenn Sie zuhören würden, könnten Sie etwas lernen.
Sie könnten dann zur Kenntnis nehmen, welche Defizit-zahlen der Euroländer der Bundesfinanzminister, den Siestellen, in einer öffentlichen Verlautbarung hat feststel-len lassen. Hier muss Klartext gesprochen werden. Siehaben 1998, als Sie in die Regierung gekommen sind,ein öffentliches Defizit von minus 2,2 Prozent übernom-men. Das entsprach exakt dem Defizit des Euroraums.Jetzt zitiere ich die Erklärung des Herrn Bundesfinanz-ministers vom Januar 2003; dies ist eine öffentliche Be-kanntgabe der Defizitzahlen für den OECD-Raum. Dalesen wir: Italien minus 2,4 Prozent, Niederlande minus0,8 Prozent, Spanien 0 Prozent, Schweden plus 1,4 Pro-zent und Finnland plus 3,6 Prozent. Die Bundesrepublik
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Dr. Andreas PinkwartDeutschland ist in dieser Auflistung mit minus 3,8 Pro-zent das absolute Schlusslicht. – Das ist das Ergebnis Ih-rer Politik.
Wenn der Bundesfinanzminister sagt, dass Rot-Grünauf Bundesebene einen Beitrag zur Haushaltskonsolidie-rung geleistet hat, tatsächlich sich aber das gesamtstaatli-che Defizit seit 1998 dramatisch verschlechtert hat, dannist das nur auf eines zurückzuführen: Sie haben die Be-lastung systematisch auf Länder und Kommunen abge-wälzt und insgesamt mit Ihrer Politik das gesamtstaatli-che Defizit erhöht.Sie, Herr Eichel, sind hier als Sparminister angetre-ten, aber immer dann, wenn eine kleine, eine mittlereoder auch eine größere Krise am Horizont aufzieht, set-zen Sie auf Steuererhöhungen. Statt das Vertrauen in dieFinanzmärkte zu stärken, haben Sie nach dem 11. Sep-tember als erste Maßnahme die Tabak- und Versiche-rungssteuer erhöht. Statt die Flutwelle zum Anlass zunehmen, Subventionen abzubauen, haben Sie die fest zu-gesagten Steuersenkungen verschoben. Statt in derschweren Konjunkturkrise, in der wir uns jetzt befinden,die Steuern zu senken, haben Sie gegen jeden wirtschaft-lichen Sachverstand über 40 Steuererhöhungsmaßnah-men durch den Deutschen Bundestag gepeitscht. Sie,Herr Eichel, kämpfen mit dieser Politik gegen Ihre eige-nen Windmühlen. Don Quijote lässt grüßen.Der Abbau von Steuervergünstigungen macht nurSinn, wenn Sie gleichzeitig die Steuersätze senken. Dastun Sie aber nicht; Sie verschieben die Steuersenkung,die Sie fest zugesagt haben, und wollen jetzt die Bemes-sungsgrundlage verbreitern. Damit zerstören Sie bei denVerbrauchern und Investoren das Vertrauen in Ihre Poli-tik. Damit gefährden Sie nicht nur Ihre eigenen Wieder-wahlchancen, sondern Sie zerstören auch den konjunktu-rellen Pfad.Sie haben nicht nur die Stabilitätskriterien verfehlt,Sie haben vor allen Dingen auch den zweiten Teil – dasist auch Ursache für die schlechte wirtschaftliche Situa-tion – des Stabilitäts- und Wachstumspakts verfehlt.Sie setzen nämlich keine hinreichenden Ansätze für dieFörderung des Wachstums.
Das haben Sie, Herr Eichel, am vergangen Mittwoch imFinanzausschuss offenbart. Sie haben dort nach einer ge-wissen Buchhaltermethode gesagt, ein Euro Minderaus-gabe durch Einsparung entspräche in der Wirkung genaueinem Euro Mehreinnahme durch Steuererhöhung. Die-ses Denken haben Sie auf Nachfragen mit Verteilungsge-rechtigkeit begründet. Sehr geehrter Herr Eichel, werVerteilungspolitik der Wachstumspolitik vorzieht – dasscheint offensichtlich Ihr Kurs zu sein –, der wird amEnde nichts mehr zu verteilen haben. Das sehen wir andem jetzt von Ihnen vorgelegten Haushalt 2003.
Wir fordern Sie daher auf: Ziehen Sie Ihr Nettoein-kommenssenkungsgesetz endlich zurück, verzichten Sieauf Ihr Placeboprogramm zur Konjunkturstützung undstellen Sie endlich unmissverständlich klar, dass Sie dieSteuern wirklich senken wollen! Ziehen Sie die letzteSteuerreformstufe vor, stellen Sie die Signale endlich aufSteuervereinfachung! Wenn Sie es mit der Steuerverein-fachung, die auch von Herrn BundeswirtschaftsministerClement angekündigt worden ist, wirklich ernst meinen,Herr Bundesfinanzminister, dann vermag ich nicht zuverstehen, dass Sie uns im Finanzausschuss am Mitt-woch noch erklärt haben, bei der Gemeindefinanzre-formkommission zielten Sie darauf ab, entweder am al-ten Zopf festzuhalten oder aber, auch das könnten Siesich sehr gut vorstellen, die Gewerbesteuer ganz abzu-schaffen. Diese beiden Alternativen haben Sie uns amvergangenen Mittwoch vorgetragen.
Herr Kollege Pinkwart, kommen Sie bitte zum
Schluss.
– Ich komme zum Schluss. – Noch am Mittwoch hat
Ihre Finanzstaatssekretärin ausweislich von Pressebe-
richten erklärt, die Bundesregierung ziele in der Gemein-
definanzreformkommission darauf ab, an der Gewerbe-
steuer festzuhalten. Am vergangenen Freitag hat der
Bundeskanzler Sie mit seiner Erklärung auf die Beibe-
haltung und Reanimierung der Gewerbesteuer festgelegt.
Sehr geehrter Herr Finanzminister, damit ist Ihre groß-
artige Aufgabe als Vorsitzender der Gemeindefinanz-
reformkommission der Bundesregierung endgültig ge-
scheitert. Sie setzen auf einen alten Gaul, statt endlich
die deutsche Wirtschaft von der unnötigen, konjunktur-
anfälligen und überbürokratischen Gewerbesteuer zu
entlasten.
Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Fran-ziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mich hat die bisherige Diskussion irritiert. Wir gehen indiesen Stunden auf den Irakkrieg zu und gleichzeitig ste-hen wir alle vor der schwierigen Aufgabe, Haushalts-konsolidierung und Beförderung des Wirtschafts-wachstums zu leisten. Das ist keine Aufgabe, die nureine Seite dieses Hauses erledigen muss und die anderenicht. Vor dieser Aufgabe stehen wir gemeinsam und da-her muss ich sagen: Es irritiert mich ungemein, dass SieIhre alten Reden recyceln, statt mit Nachdenklichkeit
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Franziska Eichstädt-Bohligund Einsicht Ihre eigene Mitverantwortung zur Lösungder Probleme – sie sind weiß Gott groß genug – ernst zunehmen und sich aktiv und konstruktiv einzubringen.Das fehlt seit Jahr und Tag, das fehlt bis heute.
Sie begreifen einfach nicht, dass wir uns längst nichtmehr in den Zeiten dümmlicher Besserwisserei befinden,sondern dass wir in der Gesamtverantwortung stehen,um dieses Land durch das wirklich schwierige Fahrwas-ser, in dem wir uns innen- wie außenpolitisch befinden,zu steuern. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wirendlich in diese Diskussion gemeinsam einsteigen. Ichsage es ganz konkret: Der Kanzler hat am letzten Freitagdamit begonnen.
Er hat Strukturreformen vorgeschlagen,
die auch einen Teil der Forderungen erfüllen, die Sie seitJahr und Tag erheben. Insofern wäre es Ihre Aufgabe,sich auf diese Punkte konstruktiv zu beziehen.Kollege Rexrodt, Sie sagten: „Das war aber ein biss-chen spät.“ Als Sie Ihre Forderungen aufgelistet haben,habe ich nur gedacht: Meine Güte, war die FDP nun32 Jahre lang an der Regierung beteiligt, was hat sie vonihren eigenen Forderungen erfüllt?
Davon ist nie viel zu hören und zu sehen gewesen.
Ich möchte deutlich sagen, um welche Zielkonfliktees geht; denn aus meiner Sicht ist die Situation zu ernst,um hier dauernd Pingpong zu spielen:Erstens. Der traditionelle Sozialstaat, der durch Um-verteilung finanziert wird, ist an seine Grenzen gekom-men.Zweitens. Wir können Wirtschaftswachstum nicht aufPump finanzieren, sondern brauchen eine ausgewogeneMischung aus Haushaltskonsolidierung und Stärkungder Wirtschaft.
Das ist eine ganz schwierige Gratwanderung. Wirstellen uns diesen Aufgaben und müssen mühselig ler-nen, was das für harte Herausforderungen sind, geradefür Rot-Grün. Ich möchte Sie jedoch auffordern, das Ih-rerseits zu verstehen; denn alle, Staat, Wirtschaft undGesellschaft, müssen ein Stück einbringen, damit dieBewältigung dieser Aufgaben in Zukunft gelingen kann.
Das heißt ganz deutlich: Wir verteidigen den Konsoli-dierungskurs, wir verteidigen ihn auch gegen Ihre Ver-führung, wir sollten mehr Schulden machen.
– Schauen Sie sich doch Ihre Anträge an, Kollege Aus-termann. Allein im Verkehrsbereich haben Sie Anträgemit einem Umfang von über 1 Milliarde Euro Mehrkos-ten gestellt.
Es ist wirklich unverschämt, mit welcher Scheinheilig-keit – –
– Jetzt bin ich es wirklich leid. Ich wollte eine konstruk-tive Rede halten,
aber ich lasse mir Ihr Verhalten nicht gefallen. Sie ma-chen den großen Schwarzmaler und reden davon, dieRegierung halte die Maastricht-Kriterien nicht ein, weilsie das Defizitkriterium nicht einhält, und gleichzeitigstellen Sie Forderungen, wir brauchten hier und da unddort mehr Geld. Allein im Verkehrsbereich handelt essich um über 1 Milliarde Euro.
Als Drittes dröseln Sie das Steuervergünstigungsabbau-gesetz auf und tun so, als hätten Sie auf Länderebene nichtsmit den Maastricht-Kriterien zu tun. Als Viertes beschwe-ren Sie sich, die Bundesregierung würde in den Ländernund Kommunen nicht genügend Geld lassen. Diese Musikkennen wir in- und auswendig. Entweder haben Sie denPISA-Schulungskurs nicht kapiert oder Sie lügen die Be-völkerung systematisch an und streuen den Menschen Sandin die Augen, statt ehrlich zu sagen, was geht und was nicht.
Das ist Ihre Verantwortung, Kollege Austermann. Dasbezieht sich auch auf den Kollegen Merz und auf das,was er vorhin an Quatsch gesagt hat. Er kann offenbarnicht einmal die Haushaltsanträge, die eingebracht wur-den, lesen.
Es ist eine Unverschämtheit, zu sagen, dieser Haushaltsei eine Karikatur.
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Franziska Eichstädt-BohligDieser Haushalt ist die mühselige Gratwanderung, derwir uns stellen mussten. Ihre Verantwortung lag unteranderem darin, dass Sie uns einen Riesenschuldenberghinterlassen haben. Wir wissen alle, dass er zum Teil derVereinigung geschuldet ist.
Deswegen bringt es überhaupt nichts, hier ständig hinter-herzutreten. Die Aufgabe muss gelöst und die Situationdarf nicht durch Besserwisserei schlecht geredet werden.
Sie behaupten ständig – das hat eben auch Herr Pink-wart gemacht –, wir würden die Steuern erhöhen. Sie ha-ben noch gar nicht gemerkt, welch anspruchsvolles Steu-erreformkonzept
wir längst beschlossen haben. Die ersten Schritte sindbereits eingeleitet. Fragen Sie sich lieber selbst, warumSie die Steuern immer hoch getrieben haben.Wir haben bereits den Eingangssteuersatz von 25,9 auf19,9 Prozent und den Spitzensteuersatz von 53 Prozentauf 48,5 Prozent gesenkt.
Wie der Kanzler gesagt hat, werden wir diese Steuerre-form in den Jahren 2004 und 2005 wie beschlossen wei-terführen. Dann werden wir den Eingangssteuersatz auf15 Prozent und den Spitzensteuersatz auf 42 Prozentsenken. Seien Sie ehrlich: Sie sind unheimlich neidisch,dass Ihnen das in Ihrer Regierungszeit nicht gelungenist, obwohl Sie das immer groß propagiert haben.
– Ja, Kollege Rexrodt, Sie sind gemessen an den Wortender Größte und gemessen an den Taten der Kleinste. Dasmuss man einfach einmal sagen.
Ich bin in großer Sorge um den Streit in der Kommissionzur Erarbeitung einer Gemeindefinanzreform. Momen-tan mündet das Engagement, die Gemeindefinanzen wirk-lich auf eine solide Basis zu stellen, in einem Hickhack, dasder Problematik nicht angemessen ist. Kollege Rexrodt,ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, Ihrer Variante zu fol-gen, den Kommunen ein eigenes Einkommen- und Kör-perschaftsteuerhebesatzrecht zu geben. Das erhöht dieBürgermeisterkonkurrenz und den Streit zwischen dengroßen Kommunen, den Städten, die die großen sozialenund die mit entsprechend hoher Arbeitslosenquote verbun-denen Probleme zu schultern haben, und den Umlandkom-munen, für die sehr viel günstigere Bedingungen gelten.
Die können sich dann einen niedrigen Hebesatz leisten,während die großen Städte auf jeden Euro angewiesensind.
Richtig ist das, was wir propagieren, nämlich dass dieGewerbesteuer so weit stabilisiert wird,
dass dadurch die Grundfinanzierung der Kommunen be-stritten werden kann. Werben Sie also nicht ständig fürdie Abschaffung und streuen Sie den Unternehmen dies-bezüglich nicht Sand in die Augen. Die Kommunenbrauchen diese Steuern dringend.
Nur wenn es uns gelingt, diese Gemeindefinanzre-form zum 1. Januar 2004 in konstruktiver Weise auf denWeg zu bringen, können wir den Kommunen das geben,was sie brauchen, um ihre Investitionen zu tätigen, waswir wiederum für die Wirtschaft brauchen.In diesem Sinne wünsche ich mir, dass Sie mit IhrerBesserwisserei allmählich zum Schluss kommen undkonstruktiv an den Aufgaben dieses Landes arbeiten.
Wenn Sie es nicht machen, werden wir weiter vorange-hen und wir werden es schaffen. Die Einsicht wird esalle Beteiligten lehren.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Michelbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-gen! Es ist richtig: Die Menschen machen sich heuteernsthafte Sorgen: wegen eines kriegerischen Konfliktes,aber auch wegen der ökonomischen Abwärtsspirale undder zunehmenden Hilflosigkeit der Bundesregierung. Im-mer mehr Menschen in Deutschland erkennen: Deutsch-land wurde in den letzten 50 Jahren noch nie so schlechtregiert wie heute.
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Hans MichelbachDas gilt insbesondere für die Finanz-, Haushalts- undWirtschaftspolitik.Herr Eichel, Sie haben heute nur noch eine für michunredliche Verteidigungsrede gehalten. Bei der Einbrin-gung des Bundeshaushaltes haben Sie keine neuen Per-spektiven und keine neuen Ziele aufgezeigt. Sie habensich nur noch verteidigt. Das ist zu wenig, Herr Bundes-minister. Das führt zu keinem Aufbruch, sondern ver-stärkt nur die Abwärtsspirale. Sie sind der Abwärtsspira-lenminister.
Unsere Wirtschaft steckt in der schwersten Krise seitJahrzehnten und das können Sie, Herr Bundesfinanzmi-nister, nicht auf den bedauerlichen Konflikt im Irakschieben. Die Risiken, die dieser Haushalt enthält, sindhausgemacht. Jeden Tag gehen über 100 Firmen in diePleite. Jeden Tag werden 6 000 Arbeitnehmer arbeitslos.Viele von diesen Menschen hätten heute Arbeit und wür-den Steuern zahlen, wenn Sie, Herr Eichel, nicht regie-ren würden. Das sind Tatsachen, die heute anzusprechensind.
Wir haben es in Deutschland mit einer Abwärtsspiralezu tun, an deren Folgen wir leider noch sehr lange zu tra-gen haben werden: Die Staatsverschuldung ist auf einenRekordwert von 1 300 Milliarden Euro gestiegen. Mitknapp 50 Prozent haben wir die vierthöchste Staatsquoteder Welt. Der Staatsanteil frisst inzwischen 56 Prozentdes Volkseinkommens auf. Der Stabilitäts- und Wachs-tumspakt sowie unsere gemeinsame europäische Wäh-rung werden zunehmend beschädigt. Der Wachstums-verlust gegenüber anderen Ländern in der EU wirdimmer größer. Mit einer durchschnittlichen Steuerbelas-tung von 36 Prozent sind wir europaweit Schlusslicht.
Mit einer Grenzsteuerbelastung von 29,8 Prozent liegenwir in der Europäischen Union auf dem vorletzten Platz.Von 100 Euro Arbeitslohn beansprucht unser Staat, HerrEichel, leistungsfeindliche 66 Euro an Steuern und Ab-gaben. Beim Vergleich des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens sind unsere Bürger seit 1998 auf der Welt-rangliste von Platz 7 auf Platz 13 abgestürzt. – UnsereBürger sind durch Rot-Grün also immer ärmer gewor-den. Auch das ist eine Tatsache, die ich hier ansprechenmuss.
Auf diese Misere kennt Rot-Grün nur eine Antwort,die geradezu absurd ist: neue Steuererhöhungen, nochmehr Schulden und Flickschusterei durch viele Einzel-gesetze. Was für ein Irrweg! Eine solche Politik treibtuns nur noch mehr in die Krise.Welches System hinter dieser Politik steckt, hat unsHerr Müntefering entwaffnend erklärt. Er hat gefordert,wir sollten weniger Geld für den privaten Konsum habenund dem Staat Geld geben, damit er seine Aufgaben er-füllen könne. Das ist nichts anderes als Staatswirtschaft àla DDR-Ökonomie. Das sind die Grundlagen Ihrer öko-nomischen Arbeit!
Zu Beginn dieses Jahres haben die Menschen be-merkt: Rot-Grün führt zu immer mehr Steuern, mehrAbgaben und mehr Belastungen. Eine Durchschnittsfa-milie hat Monat für Monat bis zu 270 Euro weniger inder Tasche.
17 Milliarden Euro an Ökosteuer kassieren Sie bei denBürgern und den Betrieben in diesem Jahr ab. Das mussdeutlich werden.
Meine Damen und Herren, Deutschland braucht mehrFreiraum, mehr Markt, mehr Wettbewerb und nicht mehrRegulierung und mehr Belastung. Deutschland brauchteinfach eine wachstumsorientierte Politik, die Unter-nehmern und Arbeitnehmern Entfaltungsmöglichkeitenlässt, die Leistungsbereitschaft fördert und nicht immernur behindert.
Herr Bundesfinanzminister Eichel, wenn Sie vonWachstumspolitik reden, dann ist das für mich so, alswenn eine bayerische Kuh vom Sonntag spricht. Die Wi-dersprüchlichkeiten Ihrer Finanzpolitik gehen auf keineKuhhaut, zumindest auf keine bayerische Kuhhaut: Sie er-höhen erst die Steuern, weil angeblich kein Geld vorhan-den ist, und würgen so die Konjunktur ab, gleichzeitig ma-chen Sie aber neue Schulden, um die Konjunktur wiederanzukurbeln. Der Bundeskanzler beharrte am Freitag aufden Steuererhöhungen durch das Steuervergünstigungs-abbaugesetz und der Kürzung der Eigenheimzulage undkündigte am gleichen Tag ein Kreditprogramm für dieBauwirtschaft an. Mit der Erhöhung der Gewerbesteuer-umlage entziehen Sie, Herr Bundesfinanzminister, denKommunen in vier Jahren rund 10 Milliarden Euro undbieten ihnen gleichzeitig billige Kredite an. Was denn nun,Herr Eichel? Sie sind vielleicht kein Spielverderber, wieSie es vorhin gesagt haben, aber ein Mann voller Wider-sprüchlichkeiten in der Finanzpolitik. Das muss heutedeutlich werden. Mit diesem Haushalt haben Sie die Re-alitäten der Finanzpolitik aus den Augen verloren.
Deutschland braucht jetzt wirklich einen Weg aus derWachstums- und Haushaltsfalle und keine finanzpoliti-sche rot-grüne Gesundbeterei.
Deutschland braucht einen Kurswechsel in der Finanz-politik. Der Staat darf auf Dauer nicht mehr ausgeben,als er einnimmt; denn die Schulden von heute sind dieSteuern von morgen.
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Hans MichelbachHierzu wird eine zielführende Gesamtkonzeption in derFinanz- und Steuerpolitik benötigt, die bei den Bürgernwieder Vertrauen und bei den Betrieben wieder Pla-nungssicherheit schafft. Nur wer Vertrauen hat, nimmtHerausforderungen an und meistert sie. Ihr Problem inder Finanz- und Steuerpolitik ist, dass Sie jede Glaub-würdigkeit und jegliches Vertrauen verloren haben, wes-halb die Bürger nicht mehr konsumieren und die Inves-toren nicht mehr investieren. Deshalb brauchen wir inder Steuer- und Finanzpolitik einen klaren Kurswechselund eine klare ordnungspolitische Linie.
Meine Damen und Herren, in der Steuerpolitik gibt esnatürlich eine klare Lösung: Insbesondere muss auf neueSteuererhöhungen verzichtet werden. Natürlich müssenSie auch die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeitstärker vorantreiben, um die Zahl der Beitragszahler zuerhöhen. Mehr Arbeitslose bedeuten weniger Beitrags-zahler, weniger Steuerzahler, weniger Kreativität undweniger aktive Menschen in unserem Land. Wenn Siedas Grundübel der Arbeitslosigkeit nicht besser anpa-cken, kann Deutschland nicht aus der Wachstums- undHaushaltsfalle herauskommen. Durch eine Senkung derArbeitslosigkeit um nur 100 000 Personen kann einKonsolidierungsbeitrag von 2,5 Milliarden Euro pro Jahrerwirtschaftet werden. Deshalb muss es wachstums- undbeschäftigungsfördernde Maßnahmen geben. Das sinddie Grundlagen für eine neue Finanz- und Steuerpolitik.
Auf neue Steuererhöhungen muss verzichtet werdenund es muss ein zielführendes Steuerabbauprogrammmit einem klaren Plan für mehr Steuervereinfachungenund Steuergerechtigkeit geschaffen werden.
Dieses Gesamtsteuerkonzept muss natürlich inklusivealler Herausforderungen der Steuerpolitik erstellt wer-den.
Natürlich muss mit diesem Konzept der Forderung desBundesverfassungsgerichtes zur gleichen Besteuerungder Alterseinkünfte nachgekommen werden. Die Abgel-tungsteuer auf Kapitaleinkommen ohne Kontrollmittei-lungen sollte in den Bereich der Einkommensbesteue-rung eingebettet sein.
Es ist ganz klar: Wir haben schon sehr lange eine Ge-samtkonzeption in der Steuerpolitik gefordert. Hierzugehört natürlich auch eine Gemeindefinanzreform. AlsSubstanzsteuer ist die Gewerbesteuer natürlich auch Teilder gesamtsteuerlichen Belastung. Mit Ihrer rot-grünenSteuerreform haben Sie die Mittelständler gegenüberden großen Kapitalgesellschaften massiv benachteiligt.Im Jahre 2000 haben die Kapitalgesellschaften noch23 Milliarden Euro Körperschaftsteuer abgeführt. ImJahre 2001 haben die Finanzminister 400 Millionen Euroausgezahlt. Bei Ihnen ist aus einer Einnahmequelle einAusgabenposten geworden.Rot-Grün hat die Steuerbelastung insbesondere zulas-ten der mittelständischen Unternehmen umverteilt.Für die großen Kapitalgesellschaften gilt seit 2001 derdefinitive Steuersatz von 25 Prozent. Zuzüglich der Ge-werbesteuerlast werden sie mit insgesamt 38 Prozent be-lastet.
Dagegen sollen 80 Prozent der Unternehmen in Deutsch-land, die Personengesellschaften, erst 2005 auf 42 Pro-zent entlastet werden. Das haben sich diese Personenge-sellschaften auch noch teuer erkauft; denn gleichzeitigmüssen sie aufgrund der Verbreiterung der Bemessungs-grundlage die Mehrbelastung schon heute tragen. Ichnenne als Beispiel die Verschärfung der Abschreibungs-fristen. Damit haben die Personengesellschaften die heu-tige Entlastung der Kapitalgesellschaften finanziert. Dasist ungerecht. Deswegen brauchen Sie sich nicht zu wun-dern, wenn sich die Mehrheit der Personengesellschafteninnerlich verweigert und nicht mehr investiert.
Aus diesem Grunde rufe ich Sie zu einem vertrauens-bildenden Steuermoratorium auf. Die Steuerpolitik inDeutschland bedarf eines Kurswechsels. Wir braucheneine umfassende Reform unseres Steuersystems mit Ab-bau der Nachteile für den Mittelstand und einer wirkli-chen Nettoentlastung für Bürger und Betriebe, keineSteuererhöhungen. Das Ziel muss ein einfaches, transpa-rentes, gerechtes und nachvollziehbares Einkommen-steuerrecht mit niedrigen Steuersätzen und weitgehen-dem Verzicht auf Besteuerungsausnahmen sein.Hierzu gehört eine rechtsgültige Abschaffung derVermögensteuer und eine Neuregelung der Erbschaft-steuer im Falle einer Unternehmensfortführung genausowie eine Soforthilfe für die Kommunen, die zum 1. Ja-nuar 2004 eine wirtschafts- und ertragsbezogene Ge-meindefinanzreform benötigen. Dies würde dann daserste Steuergesetz ohne neue Belastungen für die Wirt-schaft sein. Wir brauchen keine neuen Steuererhöhungenunter dem Stichwort der Revitalisierung der Gewerbe-steuer mit Substanzbesteuerung von Mieten, Pachten,Zinsen und Leasingraten! Das, was der Bundeskanzlerzur Gemeindefinanzreform am Freitag vorgetragen hat,ist eine reine Steuererhöhung.
Wir haben für die mittelständischen Firmen eine Steuer-erhöhung zwischen 30 und 40 Prozent ausgerechnet,wenn man die Besteuerung von Mieten, Pachten, Zinsenund Leasingraten hinzurechnet, wie das von den kommu-nalen Spitzenverbänden und vom Bundeskanzler vorge-schlagen wurde. Das ist der neue Irrweg. Wir braucheneine Gemeindefinanzreform, mit der wirtschaftsbezogeneine gerechte Lösung nach den Erträgen geschaffen wird.
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Hans MichelbachAlles andere wäre eine neue Substanzbesteuerung, diedie Betriebe letzten Endes in die Illiquidität führt. Viel-mehr müssen Sie dafür sorgen, dass die Betriebe zah-lungsfähig bleiben. Darum geht es.
Deutschland braucht ein neues Verhältnis zwischenStaat, Wirtschaft und Gesellschaft, das heißt ein gewan-deltes Verständnis von Freiheit, Selbstverantwortung,Rechten und Pflichten. Insbesondere bei den Kommu-nalfinanzen muss es gerecht zugehen. Sie haben willkür-lich eine Erhöhung der Gewerbesteuerumlage vorge-nommen. Damit haben Sie die Kommunalfinanzenerheblich beschädigt. Daher dürfen Sie sich nicht wun-dern, wenn die Kommunen nicht mehr investieren.Als Soforthilfe müssen die willkürliche Erhöhung derGewerbesteuerumlage und die Belastung der Kommunendurch das Flutopfersolidaritätsgesetz in allen Bundeslän-dern zurückgenommen werden. Das heißt, wir müssen ei-nen Kurswechsel hin zu weniger Staat mit Senkung derStaatsquote bis zum Jahr 2010 auf 40 Prozent und eineHaushaltskonsolidierung mit materiellem Budgetaus-gleich beim Gesamtstaat bis zum Jahr 2006 vornehmen.
Insbesondere brauchen wir eine Steuernettoentlastungfür Arbeitnehmer und für den Mittelstand.Wir müssen Bürgern, Unternehmen und Kommunenwieder mehr Vertrauen und Handlungsfreiheit geben,statt ihre Leistungskraft immer mehr zu ersticken.
Sie müssen den Bürgern, den Kommunen und den Un-ternehmen mehr Freiraum geben, damit sie konsumierenund investieren können. Das ist der richtige Ansatz. DieBundesregierung und dieser Finanzminister hingegenbetreiben tagtäglich eine wachstums- und mittelstands-feindliche Politik.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Bernhard Brinkmann
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Bis vor gut zwei Stunden hatte ich wirklich nochdie leise Hoffnung, dass man auf der rechten Seite diesesHauses nicht nur kritisiert und polemisiert, sondern dassman dort bereit ist, sich an der Lösung der Probleme, dieohne Zweifel vorhanden sind, zu beteiligen. Das ist lei-der nicht der Fall. Im Gegenteil, weiterhin wird schlecht-und mies geredet und mit Zahlen jongliert, die einfachnicht der Wahrheit entsprechen.
Das möchte ich an zwei Beispielen deutlich machen.Der Kollege Michelbach stellt sich hier hin
und behauptet allen Ernstes,
dass eine Durchschnittsfamilie in Deutschland – ich fügehinzu: er meint bestimmt ein Ehepaar mit zwei Kindern –durch die Steuerpolitik der Bundesregierung eine mo-natliche Mehrbelastung in Höhe von 270 Euro hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr KollegeMichelbach, das ist jenseits jeglicher Wahrhaftigkeit undjenseits jeglicher Realität. Nehmen Sie das doch bitteeinmal zur Kenntnis.
Bevor Sie den Familien den Familienleistungsaus-gleich gezahlt haben, musste doch erst in Karlsruhe einUrteil gesprochen werden.
Für Sie wurde das Urteil gesprochen. Wir haben für diedeutsche Durchschnittsfamilie 1 000 Euro bzw. 2 000 DMmehr Kindergeld gezahlt. Das haben Sie in den 16 JahrenIhrer Regierungszeit nicht geschafft.
– Lieber Kollege Jochen Fromme, aus alter Verbunden-heit sage ich: Heute bist du hier der beste und lautesteZurufer. Lass das doch bitte.
Du kannst dich demnächst von diesem Pult hier vorneäußern.
Man sieht förmlich, dass dein Gesicht rosa anläuft. Dastut der Gesundheit nicht gut. Du solltest das lassen. Dannkönnen wir darüber in alter Verbundenheit – wir kennenuns ja schon viele Jahre – an anderer Stelle diskutieren.Die zweite Behauptung, die Kollege Michelbach – ichglaube, als Mittelständler – aufgestellt hat, schlägt demFass nun wirklich den Boden aus. Sie ist jenseits jegli-cher Realität. Er behauptet allen Ernstes, dass 80 Prozentder Mittelständler in Deutschland den Spitzensteuersatzzahlen.
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Bernhard Brinkmann
Er muss lange Zeit nicht in seinem Wahlkreis gewesensein. Herr Kollege Michelbach, die Mittelständler habeneinen Gewinn vor Steuern, der in der Breite bei50 000 Euro liegt. Sie zahlen einen Steuersatz in Höhevon 20 Prozent, nicht aber den Spitzensteuersatz. Neh-men Sie das doch bitte einmal zur Kenntnis und verbrei-ten Sie hier nicht ständig die Unwahrheit.
Auch durch ständiges Wiederholen wird das, was Sie sa-gen, nicht richtiger.
Nun sage ich etwas zum Kollegen Austermann. Vonihm bin ich ja seit November 2001 aus dem Haushalts-ausschuss gewohnt, dass er es oft mit der Wahrheit nichtsehr genau nimmt oder Dinge erzählt, die nicht der Rea-lität entsprechen.
– Wenn das eine Drohung gewesen sein soll, können wirunser Gespräch gleich gerne fortführen. Hören Sie aberlieber aufmerksam zu, Herr Kollege Austermann. Sie be-haupten hier, dass die Bundesregierung seit 1998, alsoseitdem sie im Amt ist, nichts anderes getan hat, alsSteuererhöhungen zu beschließen.
– Jochen, du wolltest doch nicht mehr dazwischenrufen.Lass das doch bitte.Dazu nenne ich Ihnen einige Punkte. Die Regierungaus CDU/CSU und FDP hat die Mineralölsteuer um50 Pfennig erhöht und damit die deutsche Einheit undden Irakkrieg finanziert.
Trotz der fünf Stufen der Ökosteuer sind wir von derarti-gen Entwicklungen noch weit entfernt.
Sie haben die Mineralölsteuer erhöht, ohne dass damalsauch nur ein Pfennig zurückgeflossen ist. Im Gegenteil,mit dieser Steuererhöhung mussten Sie seinerzeit letzt-endlich Ihr Wahlversprechen, das Sie nicht halten konn-ten
– Sie wollten ja die deutsche Einheit aus der Portokassefinanzieren –, einlösen, um die entstandenen Belastun-gen tragen zu können.Es kommt aber noch viel schlimmer.
Sie haben eine Versicherungsteuer in Höhe von5 Prozent geerbt. In den Jahren 1982 bis 1998 haben Sie,meine sehr verehrten Damen und Herren, die Versiche-rungsteuer auf 15 Prozent verdreifacht. Aber Sie spre-chen der Regierung allen Ernstes zu, eine Steuererhö-hungsregierung zu sein.
– Herr Kollege Austermann, Sie haben die Versiche-rungsteuer von 5 auf 15 Prozent verdreifacht, um auchdamit die Kosten der deutschen Einheit zu finanzieren.
Ich möchte in Erinnerung rufen, welchen Terz undTanz Sie hier veranstaltet haben, als wir die Versiche-rungsteuer wegen der Ereignisse des 11. September2001 um 1 Prozentpunkt erhöht haben, um damit diegestiegenen Kosten für die innere Sicherheit zu finan-zieren.Wer den Eingangssteuersatz und den Spitzensteuer-satz auf Rekordhöhe getrieben hat,
wie Sie es getan haben, der sollte doch bitte zur Kennt-nis nehmen, dass der Eingangssteuersatz durch die imGesetzblatt stehende Steuerreform nach der fünftenStufe bei 15 Prozent und der Spitzensteuersatz bei42 Prozent liegen wird. Auch hierzu sollten Sie sich ein-mal die Aussagen von Herrn Wiegard durchlesen, die ergestern in der „Berliner Zeitung“ zu diesem Thema ge-troffen hat.Herr Kollege Austermann, wer als Mitglied im Schat-tenkabinett von Herrn Steffel bei der Wahl zum BerlinerAbgeordnetenhaus solch eine Wahlniederlage einsteckenmusste, der sollte dieser Bundesregierung und den sietragenden Fraktionen nicht vorwerfen, sie hätten nurSteuererhöhungen vorgenommen. Genau das Gegenteilist der Fall.Ich will Ihnen noch anhand von vier Punkten, die Sieam 9. und 10. Februar auf Ihrer Klausurtagung beschlos-sen haben, sagen, wie unehrlich Sie mit der Bevölkerungumgehen: Absenkung des Spitzensteuersatzes auf unter30 Prozent und des Eingangssteuersatzes auf unter10 Prozent. Meine Damen und Herren, das sind Ausga-ben von rund 30 Milliarden Euro gegenüber dem gelten-den Recht. Aber es nimmt noch kein Ende: Aussetzender nächsten Stufe der Ökosteuer; Mindereinnahmenvon 3,5 Milliarden Euro. Einführung des Familiengeldes– das war der Wahlkampfschlager im Bundestagswahl-kampf im Sommer letzten Jahres; man hört immer weni-ger davon; damit wollten Sie den Familien wirklichgewaltig Sand in die Augen streuen –; Mehrausgabenvon 16 Milliarden Euro im ersten Jahr, weiter steigenddann, wenn die Endstufe erreicht wird, Mehrausgabenvon 30 Milliarden Euro. Dann sollten für die Bundes-wehr noch 1,5 Milliarden Euro obendrauf. Wenn mandas alles addiert – das ist wichtig zu wissen –, dannkommt man auf Mehrausgaben von 50 Milliarden Euro,ohne dass Sie einen konkreten Vorschlag gemacht hätten,
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Bernhard Brinkmann
wie diese 50 Milliarden Euro Mehrausgaben gegenfinan-ziert werden sollen. Widersprüchlicher kann eine Finanz-politik nicht sein.
Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung zu denLohnnebenkosten machen. Es ist völlig unstrittig unteruns – das setze ich voraus –, dass die Lohnnebenkostengesenkt werden müssen. Wer aber von 1992 bis 1998 dieLohnnebenkosten in dieser Größenordnung hat anstei-gen lassen,
der sollte die Anpassung des Rentenversicherungsbei-tragssatzes – Herr Kollege Fromme, da Sie viele JahreBeamter waren, haben Sie das wohl nicht mitbekommen –von 19,1 Prozent auf 19,5 Prozent nicht in dieser Art undWeise kritisieren. Wer starke Schultern hat, muss mehrtragen; das ist keine Frage. Das kann man nicht ernsthaftbestreiten. Aber für breite Bevölkerungsschichten wardas eine moderate Anpassung. Wer so eine Vergangen-heit hat wie die rechte Seite dieses Hauses, was die Stei-gerung der Lohnnebenkosten angeht, sollte nicht in die-ser Härte Kritik üben.
Ich komme zum Schluss.
Der Bundeshaushalt 2003, über den wir in dieser Wochein zweiter und dritter Lesung diskutieren, setzt die solideFinanzpolitik der Bundesregierung fort.
Wir laden Sie ein: Machen Sie mit! Wir brauchen mehrdenn je Mitmacher statt Miesmacher.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Meister
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Bundesfinanzminister Eichel, Sie habenvorhin zu Recht den irritierenden Verlauf der Reformde-batte in Deutschland beklagt. Es war auch berechtigt,dass Sie Ihren Blick auf die Koalitionsfraktionen gerich-tet haben; denn Irritationen in der Reformdebatte kom-men nicht aus der Opposition, sondern aus den Regie-rungsfraktionen.
Von dort werden jeden Tag neue Vorschläge, Dementis,Korrekturen vorgetragen und es wird dafür gesorgt, dassdurch diese Art der Reformdebatte jegliches Vertrauen inder Bevölkerung und der Öffentlichkeit zerstört wird.
Das heißt, Sie müssen in Ihrer Koalition dafür sorgen,dass ein vernünftiges Klima geschaffen wird, und solltenan dieser Stelle nicht auf die Opposition verweisen.Zum Zweiten möchte ich Ihnen sagen: Sie haben seitOktober letzten Jahres nur davon gelebt, jeden Tag neueVorschläge zu Steuererhöhungen und Abgabenerhöhun-gen zu bringen. An einem Tag wird im Hause von FrauSchmidt dementiert, dass der Krankenkassenbeitragsteigt, am nächsten Tag wird es bestätigt. Dann wird imArbeitsministerium debattiert, ob der Beitrag zur Ren-tenversicherung erhöht wird oder nicht. Herr Eichelkommt jeden Tag mit Listen von neuen Formen derSteuererhöhung. In dieser Form, Herr Bundesfinanzmi-nister, gewinnen Sie kein Vertrauen und schaffen damitauch kein Klima für eine vernünftige Reformdebatte.
Ich will Ihnen einen weiteren Punkt nennen: Wir be-klagen, dass zwischen 2001 und 2003 über 110 000 Un-ternehmen in Deutschland Insolvenz angemeldet haben.
Wir führen eine mühsame Debatte, wie wir für Existenz-gründer mehr tun können. Gleichzeitig findet in der Rea-lität das genaue Gegenteil statt: Es werden ständig Exis-tenzen vernichtet.
Ich stimme mit Ihnen darin überein, Herr Eichel, dasswir dringend etwas tun müssen, damit mehr Lehrstellengeschaffen werden. Das haben Sie völlig zu Recht ange-sprochen. Aber lassen Sie uns ein kleines Rechenbeispieldurchgehen: Wenn nur jedes vierte der 110 000 inDeutschland vernichteten Unternehmen in diesem Jahreinen einzigen Lehrplatz hätte schaffen können, dannwären das 25 000 zusätzliche Lehrstellen, deren FehlenSie zu verantworten haben, weil Sie gerade den Mittel-stand ständig mit mehr Bürokratie und höheren Abgabenbelastet und damit zur Insolvenz der Unternehmen undzu einem massiven Mangel an Ausbildungsplätzen inDeutschland beigetragen haben. Dafür tragen Sie dieVerantwortung. An dieser Stelle können Sie nicht auf dieWirtschaft verweisen.
Sie haben zu Recht angemahnt, dass wir eine kon-struktive Debatte über die Frage führen sollten, wie dieWirtschaftsentwicklung verstärkt und die Finanzpolitikgestaltet werden können. Aber für eine konstruktive De-batte wäre es dringend notwendig, sich auf Zielvorga-ben der Kennziffern der Finanzpolitik zu verständigen.
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Dr. Michael MeisterIch habe sowohl in der Regierungserklärung des Bun-deskanzlers am vergangenen Freitag wie auch in IhrerRede, Herr Bundesfinanzminister, eine klare Vorgabevermisst, welche Ziele Sie mit Ihrer Finanzpolitik verfol-gen.
Welche Ziele wollen Sie erreichen?
Wollen Sie die Staatsquote senken und, wenn ja, aufwelchen Stand? Wir haben in dieser Frage die klare Aus-sage getroffen, dass wir sie unter 40 Prozent senken wol-len.
Wollen Sie die Sozialabgabenquote senken? Was istIhre Vorgabe an dieser Stelle? Unsere Vorgabe ist, sieunter 40 Prozent zu senken.
– Das ist zunächst einmal Ihre Aufgabe, Herr Mark. De-finieren Sie erst einmal ein Ziel, das Sie erreichen wol-len! Dann können wir einen Weg definieren, auf dem wirdieses Ziel erreichen wollen. Sie aber haben kein Ziel,sodass man auch keinen Weg finden kann, dieses Ziel zuerreichen. Das ist Ihr Manko.
Wenn Sie kein Ziel haben, dann haben Sie auch keineMöglichkeit, Ihren Erfolg oder Misserfolg zu messen.Denn wenn man nicht weiß, wo man hin will, kann manauch nicht erkennen, wie weit entfernt man noch vomZiel ist. Das ist Ihr zentrales Manko.
Was der Herr Bundeskanzler am Freitag vorgetragenhat, war kein geschlossenes Gesamtkonzept für Wirt-schafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik, sondern einSammelsurium von Einzelmaßnahmen.
Mit einem solchen Sammelsurium, das auch noch stän-dig variiert wird, gewinnt man aber kein Vertrauen. Siebefinden sich in einem Prozess der Selbstfindung, denSie endlich abschließen sollten, und Sie sollten denMenschen klar und deutlich sagen, wohin Sie sie imnächsten Jahr führen wollen.
Das Steuervergünstigungsabbaugesetz ist bereits an-gesprochen worden. Mit einem solchen Gesetz, dem Sieständig etwas hinzufügen, während Sie anderes wiederherausnehmen, und der ständigen Debatte darüber, umwie viele Milliarden Sie die Steuern erhöhen wollen,schaffen Sie kein Vertrauen, sondern Sie verunsicherndie Menschen.Ich will am Beispiel Dienstwagen deutlich machen,wie Sie vorgehen. Im Zusammenhang mit diesem Themaerwarten Sie im dritten Monat dieses Jahres von denMenschen, dass sie ein doppeltes Steuerrecht beachten,nämlich das Gesetz, das Sie beschließen wollen, und daszurzeit geltende Recht. Mit solcher Art von Politik undGesetzgebung kann man in diesem Lande kein Vertrauengewinnen.Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen, nämlichdie Bauindustrie. Wenn Sie feststellen, Herr Bundes-finanzminister, dass der Abbau von 600 000 Arbeitsplät-zen, der seit Mitte der 90er-Jahre in der Bauindustrie er-folgt ist, eine Normalisierung darstelle, dann ist das einzynischer Umgang mit 600 000 Familien in diesemLand, den wir nicht akzeptieren.
Wir machen uns Sorgen um diese Menschen, ihren Ar-beitsplatz und ihre Familien und bezeichnen das nicht alseinen Normalisierungsprozess, wie Sie es getan haben.Deshalb lehnen wir auch die Mindestbesteuerung, dieSie im Blick haben, ab. Die Mindestbesteuerung wirdgerade im Baubereich zu weiteren Unternehmensinsol-venzen führen.Auch der Abbau der Eigenheimzulage wird zu einemmassiven Abbau von Arbeitsplätzen in diesem Bereichführen. Die Beschränkung der AfA wird zu einem weite-ren Abbau von Arbeitsplätzen führen. Ich möchte denMenschen nicht erklären, dass ich das für normal halte.Ich halte das für schlimm und möchte etwas dagegentun. Deshalb lehnen wir diese Politik ab, meine Damenund Herren.
Der Herr Bundesfinanzminister hat leider zum Aus-druck gebracht, dass in seinem Haus bzw. an der Spitzedes Hauses nicht volkswirtschaftlich gedacht wird. Viel-mehr wird rein fiskalpolitisch gedacht und Buchhaltungbetrieben. Zwar ist es in einem großen Unternehmen wieauch in einem Land wichtig, eine gute Buchhaltung zuhaben. Aber eine ordentliche Buchhaltung ersetzt nichtdie Strategie zur Lösung von Problemen. Es geht in Ih-rem Haus nicht darum, die Lösung der Probleme mit ei-ner guten Buchhaltung anzugehen, sondern Sie brauchendringend eine Strategie, Herr Eichel. Das ist Ihr Pro-blem. Wir verlangen, dass Sie endlich eine vernünftigeStrategie vorlegen.
Lassen Sie uns einen Blick auf den Kapitalmarktwerfen. In diesem Bereich haben wir etwas Tolles erlebt.Der Herr Bundesfinanzminister hat von Vertrauensbil-dung und der Notwendigkeit gesprochen, Sicherheit zuschaffen und die Unsicherheit zu beenden. Ein weitererBundesminister, für Wirtschaft und Arbeit verantwort-lich, hat an dieser Stelle ausgeführt, Kontrollmitteilungenseien überflüssig. Zwei Tage später erklärt der Bundes-finanzminister im Finanzausschuss, Kontrollmitteilun-gen seien dringend erforderlich. Wieder zwei Tage später
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Dr. Michael Meistersignalisiert der Bundeskanzler von diesem Rednerpultaus Gesprächsbereitschaft und sagt: Wir können darüberreden, was wir machen. Wie soll denn angesichts einersolchen Debatte, in der sich innerhalb von vier Tagen dreimaßgebliche Mitglieder der Bundesregierung unter-schiedlich äußern, Vertrauen in den deutschen Kapital-und Finanzmarkt entstehen? Das ist doch eine Katastro-phe, die nicht die Opposition und die Öffentlichkeit, son-dern Sie persönlich und Ihre Kollegen zu verantwortenhaben.
Sie sind es, die die Unsicherheit vergrößern, dieAngst schüren und dafür sorgen, dass das Vertrauen ab-nimmt. Die Kollegen Michelbach und Merz haben zuRecht gesagt, genau daran liege es, dass sich die Men-schen beim privaten Konsum zurückhielten und dass dieUnternehmen nicht investierten.
– Herr Mark, Sie haben uns vor der Bundestagswahl vor-gehalten, die Unternehmen investierten nicht, weil sieuns zum Wahlsieg verhelfen wollten. Wenn das stimmenwürde, dann müssten die Unternehmen doch längst be-gonnen haben, riesige Investitionen zu tätigen; denn dieBundestagswahl ist seit mehr als sechs Monaten vorbei.Aber jetzt behaupten Sie wieder, die Opposition seischuld. Nein, Sie mit Ihrer Politik tragen die Verantwor-tung, dass kein Unternehmer glaubt, investieren zu kön-nen. Sie sind verantwortlich, nicht die Opposition!
Sie haben im Bundeshaushalt – das ist schon zu Rechtangesprochen worden – die Folgen der Entwicklung aufdem Arbeitsmarkt – das gilt sowohl im Hinblick auf diefehlenden Beiträge als auch auf die Leistungen der So-zialkassen –, die Auswirkungen auf das Wachstum unddie Entwicklung der Steuereinnahmen vollkommen un-zureichend berücksichtigt. Von einem treu sorgendenBundesfinanzminister und Haushälter erwarte ich, dasser sich realistischer Zahlen bedient, zumal die Risikenzum heutigen Zeitpunkt bekannt sind, also nicht in derfernen Zukunft liegen. Sie können von uns doch nichtverlangen, dass wir einem Bundeshaushalt zustimmen,dessen Grundlage mit den bekannten Risiken nicht inEinklang zu bringen ist. Das, was Sie hier tun, ist un-solide!
Herr Eichel, Sie haben des Weiteren behauptet, dassSie die Kollegen des Arbeitskreises „Steuerschätzung“im Umlaufverfahren an der nachgeholten Steuerschät-zung beteiligt hätten. Diese Aussage halte ich für eineProvokation der Mitglieder dieses Arbeitskreises. Dennman kann den Kollegen im Rahmen eines Umlaufver-fahrens nicht mit einer 48-Stunden-Frist Zahlen vorlegenund sagen: Wenn Sie keine anderen vorlegen können,dann haben Sie zugestimmt. So kann man nicht mitein-ander umgehen. Deshalb weise ich die Behauptung zu-rück, dass hier ein vernünftiges Verfahren zur Ermittlungder Höhe der Steuereinnahmen stattgefunden habe. Dasist Ihre Lesart, aber nicht unsere.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie, Herr Bundesfinanz-minister, am letzten Freitag und auch heute eine klareAussage zum Steuervergünstigungsabbaugesetz ge-troffen hätten. Es wäre schön gewesen, wenn die Bundes-regierung angekündigt hätte, dass sie dieses Steuergesetzzurückziehen werde. Auch heute hätten Sie Gelegenheitdazu gehabt. Damit hätten Sie Klarheit geschaffen, dasses in diesem Land keine weiteren Steuer- und Abgaben-erhöhungen gibt. Ein solches Signal braucht man, wennman für einen Aufbruch sorgen will, und keines, das da-für sorgt, dass niemand weiß, wie es weitergehen soll.Nicht durch Unsicherheit und Unklarheit, sondern nurmit klaren Aussagen gibt es einen Aufbruch. Die Gele-genheit, dafür zu sorgen, haben Sie leider versäumt.
Frau Eichstädt-Bohlig, zum Thema Wachstummöchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es ist traurig, wennSie hier beklagen, dass es kein Wachstum gebe; denn Siesind in den letzten zwei Jahrzehnten von einem Ort zumanderen gelaufen und haben gegen Wachstum polemi-siert.
Sie haben dafür gesorgt, dass die Infrastruktur nicht aus-gebaut worden ist. Aber eine funktionierende Infrastruk-tur ist für Wachstum notwendig.
Es ist unredlich, wenn Sie zuerst gegen Wachstum pole-misieren und die Schaffung entsprechender Vorausset-zungen verweigern, um in der Regierungsverantwortungdie Folgen Ihrer eigenen Politik zu beklagen. Sie habenmit Ihrer Ideologie und Ihrem Verhalten dafür gesorgt,dass wir heute in dieser Lage sind. Versuchen Sie bittenicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen!
Die Kommunen hatten in den letzten drei Jahren ei-nen massiven Anstieg der Gesamtverschuldung zu ver-zeichnen. Die Gewerbesteuereinnahmen gehen seit 2000netto kontinuierlich zurück. Das ist natürlich auch durchdie von Rot-Grün zu verantwortende Erhöhung der Ge-werbesteuerumlage bedingt. Auch die kommunalen In-vestitionen, ein Teil der gesamten öffentlichen Investitio-nen, sind in den letzten drei Jahren massiv eingebrochen.Gleichzeitig sind die sozialen Belastungen der Kommu-nen, die Pflichtaufgaben, die zu erfüllen sind, massiv ge-wachsen.
Hinzu kommt, dass Sie mit Ihrer Mehrheit im Bereichder Grundsicherung, der Integration und der Betreuungweitere Aufgaben auf die kommunale Ebene verlagert
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Dr. Michael Meisterhaben, ohne für eine hinreichende finanzielle Ausstat-tung zu sorgen. Das ist schlimm, wenn man sich denStaatsaufbau unseres Landes anschaut; denn Sie habenfür mehr Staat und mehr Regulierung gesorgt, um dieLänder und die Kommunen an die Kandare zu nehmen,anstatt den Kommunen, der Basis, die Chance zu geben,mehr Eigeninitiative und mehr Eigenverantwortung zuergreifen. Es ist ein grundsätzlich falsches Denken, denKommunen nicht mehr Freiheit einzuräumen.Zu dieser Freiheit gehört natürlich auch eine angemes-sene Finanzausstattung. Es kann doch nicht richtig gewe-sen sein, dass Sie im Finanzausschuss gesagt haben: ImHerbst dieses Jahres werden wir Berechnungsmodellehinsichtlich der Gemeindefinanzreform vorlegen. Bis da-hin wird der Gesetzgebungsprozess schon längst imGange und nahezu abgeschlossen sein. Das heißt, Siemuten den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, denMitgliedern des Bundesrates und den kommunalen Käm-merern zu, Richtungsentscheidungen für die Zukunft derKommunen zu treffen, ohne dass man die Auswirkungendieser Entscheidungen überhaupt abschätzen kann. Es istein unmögliches Verfahren, im Blindflug eine Gemein-definanzreform zu beschließen. Weichen Sie davon ab!Legen Sie die Berechnungen auf den Tisch! Wenn dasgeschehen ist, dann beraten wir fundiert.
Sie haben 1998 beschlossen, eine Gemeindefinanz-reform durchzuführen. Das stand damals in Ihrem Koa-litionsvertrag. Dann haben Sie fast vier Jahre lang nichtsgetan.
Mittlerweile arbeitet die Kommission und Sie sprechenjetzt davon, dass das die Gemeindefinanzreform re-gelnde Gesetz bis zum 1. Januar 2004 im Gesetzblattverkündet sein müsse. Damit kann man leben. Besserwäre es aber gewesen, wenn Sie die Zeit vorher genutzthätten und der Kommission jetzt nicht solche Vorwürfemachten. Eigentlich müsste man Ihnen Vorwürfe ma-chen. Sie sind für die vierjährige Verzögerung verant-wortlich.
Wegen dieser Verzögerung stehen wir jetzt unter Zeit-druck.Seit Monaten sagen Sie – Sie haben es am Mittwochim Finanzausschuss noch einmal gesagt –, dass wir na-türlich respektieren müssten, was die Mitglieder dieserKommission erarbeiteten, damit auf Grundlage dieserVorschläge ein vernünftiger Gesetzentwurf erarbeitetwerden könne. Zwei Tage später sagte der Bundeskanz-ler: Was diese Kommission beschließt, interessiert michnicht; ich werde eine Revitalisierung der Gewerbesteuerin Deutschland mit einer Substanzbesteuerung durchfüh-ren. Sie sagen, Sie könnten sich nicht äußern. Der Kanz-ler aber wischt die Arbeit der Kommission mit einemSatz beiseite, indem er sagt: Das interessiert mich allesnicht. Wofür haben Sie die Kommission überhaupt ein-gesetzt, wenn Sie deren Ergebnis sowieso nicht beachtenwollen?Ich sage Ihnen eines: Mit der Union wird es eine Sub-stanzbesteuerung in Deutschland nicht geben; wir wer-den das nicht mitmachen.
Die Rolle rückwärts, die der Kanzler hier am Freitag an-gekündigt hat, ist keine moderne, sondern eine vergan-genheitsorientierte Wirtschaftspolitik. Das, was wir inden letzten drei Jahrzehnten überwinden wollten, wollenSie rückgängig machen. Die Richtung, die Sie einschla-gen, ist falsch. Das, was Sie vorhaben, werden wir nichtmitmachen.
Wir fordern – das haben wir mehrmals beantragt unddas werden wir auch weiterhin tun – als Soforthilfe fürdie Kommunen, dass die Gewerbesteuerumlage auf dasNiveau abgesenkt wird, das es vor der Gewerbesteuer-reform hatte.
In dieser Haushaltswoche liegt ein Antrag vor, denKommunen den Anteil an der Flutopferhilfe, den sie er-bracht haben, als Soforthilfe zurückzugeben, weil dieserAnteil nicht ausgeschöpft worden ist. Auch das wäre einStück Soforthilfe, die der Kanzler am Freitag angekün-digt hat. Ich wiederhole: Dieser Antrag liegt in dieserWoche zur Abstimmung vor. Wir werden prüfen, ob derBundeskanzler die SPD dazu bringt, diesen Antrag zuunterstützen, ob der Antrag eins zu eins umgesetzt wirdoder ob der Bundeskanzler an dieser Stelle nur leeresGerede produziert hat.
Wir sind der Auffassung, dass das kommunale Kre-ditprogramm falsch angelegt ist. Entweder wird durchdieses Programm die Neuverschuldung der öffentlichenHand um 7 Milliarden Euro erhöht – das wäre nämlichdann der Fall, wenn es von den Kommunen tatsächlich inAnspruch genommen wird; das würde für Sie ein zusätz-liches Problem im Hinblick auf die Einhaltung derMaastricht-Kriterien bedeuten; das müssen Sie natürlichberücksichtigen – oder Sie gehen davon aus – das habenSie, Herr Eichel, gesagt –, dass dieses Programm ledig-lich zu Umfinanzierungen führt. Wenn es nur zu Umfi-nanzierungen kommt, dann werden Sie kein Problem mitder Einhaltung der Maastricht-Kriterien haben. Aller-dings wird dieses Programm dann auch keine positivenAuswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung haben.Das muss man den Menschen klar sagen. Man sollte nichtsagen, wir nehmen keine Neuverschuldung vor, weil dassowieso keine positiven Auswirkungen auf Wachstumund Beschäftigung in Deutschland habe, wenn mangleichzeitig so tut, als wäre dies der Fall. So geht es nicht.
Wir wollen, dass das enge Band zwischen Wirtschaftund Kommunen erhalten bleibt. Wir wollen ein He-besatzrecht. In dem von mir eben beschriebenen Sinne
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2594 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Dr. Michael Meistersind wir bereit, an einer Gemeindefinanzreform kon-struktiv mitzuwirken. Das darf aber nicht dadurch ge-schehen, dass vernünftige Politik der letzten 30 Jahrerückgängig gemacht wird. Wir müssen darauf achten,dass es sich in Deutschland wieder lohnt, Unternehmenzu gründen. Wir dürfen keine Politik machen, die Unter-nehmen, Existenzgründer und Menschen, die etwas tunwollen, aus diesem Land vertreibt.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Sie von der Union und der FDP haben Ihr Herzfür die Steuerbürger und auch für die Konsolidierung desHaushalts entdeckt.
Schade nur, dass Sie es erst entdeckt haben, seit Siekeine Verantwortung mehr für die Bundespolitik tragen.
In der Regierungsverantwortung haben Sie ganz andersgehandelt.Ich habe ein Stück Nachsicht mit Ihnen – die mussman vielleicht auch bei den Kollegen der Koalitionsfrak-tionen erbitten –,
weil Sie so frisch zu diesen Erkenntnissen gekommensind. Konvertiten neigen eben doch zu schrillen Tönen.Das ist so.
Ich freue mich trotzdem darüber, dass Sie sich neuer-dings für die Steuerlast der Bürger und auch für dieHöhe der Staatsverschuldung interessieren.Nur der guten Ordnung halber möchte ich daran erin-nern, wie es eigentlich war, als im Bund noch dieschwarz-gelbe Koalition regierte:
Überforderung der steuerehrlichen Bürger,
investitionsfeindliche Belastung der Unternehmen, Ver-wüstung des Steuerrechts durch Schlupflöcher,
die Leistung bestrafte und Verluste belohnte,
ein Schuldenberg von 740 Milliarden Euro oder umge-rechnet 1,45 Billionen DM.
Dann möchte ich auch etwas zu der Legende sagen,dass die Verschuldung insbesondere mit der Finanzie-rung der deutschen Einheit zusammenhängt.
Das ist eine unfromme Legende. 1982 betrugen dieSchulden des Bundes 350 Milliarden DM.
Bis 1990 hatten Sie die Schulden auf 700 Milliarden DMverdoppelt.
In der zweiten Halbzeit der Regierungszeit Kohls habenSie die Schulden noch einmal verdoppelt, und zwar auf1 450 Milliarden DM.Ich darf noch auf Folgendes hinweisen:
Der Eingangssteuersatz
betrug 1998 25,9 Prozent. Heute beträgt er 19,9 Prozent.Der Spitzensteuersatz betrug 1998 53 Prozent. Heutebeträgt er 48,5 Prozent und im nächsten Jahr wird er47 Prozent betragen.Wer sich von der Union oder von der FDP hier hin-stellt und der Koalition von SPD und Grünen etwas übereine angemessene, volkswirtschaftlich solide und faireSteuer- und Finanzpolitik erzählen will,
der sollte ganz leise Töne anschlagen.
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Jörg-Otto SpillerDer Kollege Brinkmann hat schon auf Folgendes hin-gewiesen: Dass der normale Steuerzahler heute schlech-ter dasteht als zu Ihrer Regierungszeit,
ist eine Legende und eine Verdrehung der Tatsachen.
Ein Normalverdiener, ein Arbeitnehmer mit zwei Kin-dern, der 1998 5 000 DM brutto verdiente,
hatte damals netto 77 Prozent. Wenn er die Tarifsteige-rungen mitgemacht hat, die im Arbeitnehmerbereich üb-lich waren, hat er von seinem Einkommen heute netto80 Prozent.
Das ist eindeutig mehr. Heute ist das Kindergeld in einersolchen Familie höher als die Lohnsteuer und daraufsind wir stolz.
Lieber Herr Michelbach, das Stichwort Mittelstandist ja eines, das Sie besonders lieben. Es ist ein Gebot derEhrlichkeit, darauf hinzuweisen, dass mittelständischeUnternehmer heute weniger Steuern zahlen als zu IhrerRegierungszeit,
weil sie als Personenunternehmen die Gewerbesteuerpauschaliert auf die Einkommensteuerschuld anrechnenkönnen und weil der Einkommensteuertarif heute niedri-ger ist als zu Ihrer Zeit.Herr Michelbach, Sie regen sich immer auf, weil dieKapitalgesellschaften angeblich so viel besser gestelltseien als die Personengesellschaften, was mittelstands-feindlich sei.
Die Masse der Kapitalgesellschaften sind mittelständi-sche Firmen in der Rechtsform einer GmbH. Sie müssensich einmal bei Mittelstandskongressen umhören, wovielleicht ehrlicher diskutiert wird. Auf der Teilnehmer-liste finden Sie ganz überwiegend Gesellschafter oderGeschäftsführer der GmbHs. Sie folgen Ihrem lautenGerede überhaupt nicht.
Wir werden unsere konsistente Politik fortsetzen.
2004 – das steht schon im Gesetzblatt – wird der Ein-kommensteuertarif noch einmal gesenkt, ebenso wie2005; auch das steht im Gesetzblatt.
Es gibt allerdings eine Gruppe, der es heute schlechtergeht, das sind die Steuersparkünstler, die Abschrei-bungskünstler. Für die haben Sie schon Ihr Herz ent-deckt, als Sie noch Regierungsverantwortung getragenhaben, und viel für sie getan. Leider hat das aber der Ent-wicklung der deutschen Volkswirtschaft überhaupt nichtgenutzt.
Unser Problem im Deutschen Bundestag ist, dass dieUnionsfraktion und die FDP-Fraktion aus der Opposi-tion heraus noch nicht zu einer verantwortungsvollenMitarbeit gefunden haben. Wir haben eine Situation, dieuns leider zwingt, Kompromisse erst auf der Ebene derVerhandlungen mit den Vertretern des Bundesrates imVermittlungsausschuss zu schließen.
Mich wundert ein bisschen, dass Sie heute genau dasGleiche erzählt haben wie bei der Debatte über das Ge-setz zum Abbau von Steuersubventionen und Steuer-vergünstigungen.
Sie tun so, als gebe es überhaupt keine Chance, dass die-ses Gesetz in seinem Kern in das Bundesgesetzblattkommt.
Es wird aber dort landen, lieber Herr Austermann; denndie B-Länder, von der Union regiert, haben inzwischeneinen großen Abstand zu Ihrer Fraktion, weil auch sie er-kannt haben, dass sie mit Ihrer Fraktion keine gedeihli-che Politik machen können.Als der bayerische Ministerpräsident vor ein paar Ta-gen in einem anderen Zusammenhang darauf hingewie-sen wurde, dass auch aus den Reihen Ihrer Fraktion Kri-tik an seinen Äußerungen in der letzten Woche geübtworden sei, hat er gesagt, dass er das „Gesäusele“ nichtso wichtig finde.
Dafür muss er ja einen Grund haben.
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2596 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Jörg-Otto SpillerHeute schreibt das „Handelsblatt“ einen Kommentarmit der Überschrift: „CDU/CSU-Zänkische Schwes-tern“:Für die Union neigt sich die bequeme Zeit des blo-ßen Neinsagens dem Ende zu …
Kaum aber wird es bei den Konservativen konkret,kracht es auch schon mächtig im Gebälk.
Sie müssen ja doch irgendwelche Erkenntnisse haben.Man darf natürlich auch gespannt sein, wie wir inder nächsten Zeit das Vermittlungsverfahren konkretbetreiben. Da haben sich schon mehrere geäußert: HerrMilbradt,
der bayerische Finanzminister
und der thüringische Ministerpräsident, Herr Vogel. Allehaben sich in demselben Sinne geäußert. Natürlich wollensie, dass ein Gesetz zustande kommt, das Bund, Ländernund Gemeinden zusätzliche Einnahmen bringt, weil sie dasbrauchen. Auch sie haben erkannt, dass es einen Bedarf zurVerstetigung des Körperschaftsteueraufkommens gibt.
Es gibt Grund, über große Subventionen wie bei-spielsweise die Eigenheimzulage nicht nur nachzuden-ken, sondern in diesem Bereich auch Veränderungendurchzuführen.Letzte Bemerkung: In Bezug auf die Gemeindefinanzengilt das Gleiche; Sie haben dazu einen ähnlich hohen Ab-stimmungsbedarf, dem Sie einmal nachkommen müssen.
Das ist eine ganz billige Masche. Sie haben hier schonmehrmals vorgetragen, die Gewerbesteuerumlage mögegesenkt werden. Als die bayerische SPD-Landtagsfrak-tion einen entsprechenden Antrag in den BayerischenLandtag eingebracht hatte, das Land solle den Gemein-den entgegenkommen – die Länder bekommen von derUmlage nämlich viel mehr als der Bund –, wurde er glattabgelehnt.
Ich bin auch gespannt, wie Sie sich gegenüber denkommunalen Spitzenverbänden verhalten werden, bei-spielsweise gegenüber dem Deutschen Städtetag, dessenPräsidentin die Frankfurter Oberbürgermeisterin ist, dieim Kern unsere Position in Bezug auf die Zukunft derGemeindefinanzen, nämlich die Gewerbesteuer zu revi-talisieren, voll unterstützen. Es nutzt überhaupt nichts,hier billige Polemik zu machen. Wir müssen konkreteEntscheidungen für solide Finanzen und gerechte Steu-ern in diesem Lande treffen.
Wenn Sie dabei noch nicht mitmachen wollen, dann wer-den wir noch etwas auf Sie warten. Zum Glück ist es nichtunbedingt notwendig, dass Ihre beiden Fraktionen zustim-men; mit dem Bundesrat werden wir uns verständigen.
Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Sehr geehrte Gäste! Der Bundeskanzler hat in seinerRegierungserklärung darauf hingewiesen, dass nur dasausgegeben werden kann, was man auch einnimmt.
– Ich soll sagen, für wen ich spreche? Das tue ich sehrgern. Ich bin Abgeordnete der PDS, meine Damen undHerren von der CDU. Ich kann das für Sie gern wieder-holen.
Der Bundeskanzler hat mit seinem Hinweis darauf,dass man nur das ausgeben könne, was man einnimmt,Recht. Aber kaum jemand stellt in diesem Haus dieFrage, warum wir eigentlich so wenig einnehmen. Ichhalte es für eine der wichtigsten Aufgaben des Finanz-ministers, seine Einnahmen wenigstens zu sichern,wenn nicht gar zu erhöhen. In diesem Zusammenhangerleben wir ja erstaunliche Dinge.Anhand von Zahlen des Statistischen Bundesamteshabe ich mir angeschaut, wie sich die Einnahmen vonHerrn Eichel entwickelt haben. Sie sehen hier – das istkein Plakat, sondern eine Grafik; ich habe mich am Vor-gehen von Herrn Eichel bei der Haushaltsdebatte imletzten Jahr orientiert – einen beispiellosen Absturz derEinnahmen aus der Körperschaftsteuer.
1999 nahm der Bund noch 22,3 Milliarden Euro Körper-schaftsteuer ein; 2000 waren es sogar 23,5 MilliardenEuro. Dann trat der Eichel-Effekt ein, der Absturz von23,5 Milliarden Euro auf minus 426 Millionen Euro. Dasheißt, die Unternehmen haben sogar Geld von denFinanzämtern zurückerhalten.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2597
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Dr. Gesine LötzschMeine Damen und Herren, der Absturz, den ich Ihnenhier gezeigt habe, ist ein Desaster. Meiner Meinung nachreichte das aus, um den Finanzminister zu entlassen.Herr Scharping musste schon gehen, nur weil ihn ein ge-wisser Herr Hunzinger beim Hosenkauf und bei Waffen-geschäften beraten hat. Jeder Vorstandschef eines Unter-nehmens, dem eine solche Grafik unter die Nasegehalten werden könnte, müsste beschämt seinen Hutnehmen.
Dafür muss man Erklärungen abgeben. Wie kann einderartiger Einbruch bei den Einnahmen passieren, HerrEichel? Ich könnte dafür zwei Erklärungen anbieten.Die erste Erklärung lautet: handwerkliches Versagen.Wenn dies zutrifft, Sie also nicht in der Lage sind, solchegewaltigen Einnahmeverluste zu verhindern, dann sindSie mit dem Job des Finanzministers einfach überfordert.Hier wäre eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfer-tigt. Dazu müssten Sie von der Koalition nicht einmalden Kündigungsschutz ändern.Die zweite Erklärung könnte lauten, dass Sie wissent-lich und vorsätzlich so gehandelt haben, Herr Eichel.Damit hätten Sie den Absturz der Einnahmen billigendin Kauf genommen. Dann allerdings hätten Sie der Bun-desrepublik einen schweren Schaden zugefügt undmüssten nicht nur entlassen werden – dazu bräuchte mandas Kündigungsschutzgesetz, wie gesagt, überhauptnicht zu ändern –; vielmehr müssten Sie auch juristischzur Verantwortung gezogen werden, denn wer gibt Ihnendas Recht, einfach einmal 23 Milliarden Euro zu ver-schenken?Ich kann mir keine Versicherung in der Bundesrepu-blik vorstellen, die bereit wäre, eine Haftpflichtversiche-rung für Ihren Job abzuschließen; das Risiko wäre ein-fach nicht kalkulierbar.
Der Eichel-Effekt, den ich Ihnen hier aufgezeigt habe,hat folgende Wirkungen: Erstens. Er führt zu einer ge-waltigen Umverteilung von unten nach oben. Der nor-male Steuerbürger muss die Einnahmeverluste ausglei-chen; er wird wieder zur Kasse gebeten. Zweitens. Mitden geringeren Einnahmen begründen Sie gleichzeitigdie angeblich notwendigen sozialen Grausamkeiten, wiezum Beispiel die angedrohte Kürzung bei der Sozial-hilfe.
Nun könnte man glauben, dass dieses gigantischeSteuergeschenk von Herrn Eichel bei den begünstigtenUnternehmen ein Feuerwerk an Investitionen hervorru-fen müsste. Doch das ist nicht geschehen. Sie habenzwar die Steuern gesenkt, aber es sind keine neuen Ar-beitsplätze entstanden. Wie viele Arbeitsplätze – dasmüssten Sie einmal ausführen – sind durch den Wegfallder Körperschaftsteuer entstanden? – Keine! Wenn Siesich die dramatische Entwicklung der Arbeitslosigkeitim Lande anschauen, dann sehen Sie doch selbst, dassSie nichts für Ihre Steuergeschenke bekommen haben.Im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen.Nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen wer-den wir quasi von einer großen Koalition von CDU,CSU, SPD und den Grünen regiert. CDU und CSU be-herrschen den Bundesrat, SPD und Grüne haben nochdie Mehrheit im Bundestag. Die Wähler, die Stoiber ver-hindern wollten und deshalb Schröder die Stimme gege-ben haben, sehen sich getäuscht. Herr Stoiber sitzt mitim Regierungsboot und will zum Beispiel mal schnellden Kündigungsschutz für 8 Millionen Beschäftigte ab-schaffen.Ich finde diese informelle große Koalition besondersperfide, weil sie durch eine geschickte Arbeitsteilungden Menschen vorgaukelt, dass die rot-grüne Regierungdoch nicht so unsozial ist, dass sie zwar hart, aber sozialgerecht vorgehen würde. Im Bundesrat werden danndurch die Mehrheit von CDU und CSU alle Maßnahmenfür die Besserverdienenden herausgefiltert, sodass nurnoch die sozialen Grausamkeiten übrig bleiben.Und die Grünen? Sie stehen hierbei nicht am Rande.Sie sehen den Niedergang der SPD, machen dieses Spielmit und bereiten sich auf eine mögliche schwarz-grüneKoalition vor.
Gerade die Grünen fallen durch eine knallharte Klientel-politik auf. Beispielsweise haben sie die Besteuerungvon Aktienbesitz verhindert; denn sie wissen, wer ihreWählerinnen und Wähler sind und was sie von ihnen er-warten: eine bessere Welt, aber bitte keine Abstriche ameigenen, etwas gehobenen Lebensstandard.Ich kann Ihnen das einmal an einem Beispiel zeigen,das Ihnen vielleicht pietätlos vorkommt, das aber alle ir-gendwann betrifft: das Sterbegeld. Die Fraktionsvorsit-zende der Grünen, Frau Göring-Eckardt, ist der Mei-nung, dass man das Sterbegeld ganz abschaffen könnte,nachdem die rot-grüne Regierung es im letzten Jahr von525 Euro auf 262,50 Euro halbiert hat. Natürlich wirdFrau Göring-Eckardt nicht in Armut sterben. Sie be-kommt als Abgeordnete des Deutschen Bundestages einordentliches Sterbegeld wie auch die Ministerkollegen.Beim Tode eines Beamten wird ein Sterbegeld in Höhedes Zweifachen der monatlichen Bezüge gezahlt. BeimTod eines Ministers muss das Anderthalbfache reichen.Aber da sind wir schnell bei 25 000 Euro Sterbegeld, imGegensatz zu dem Sterbegeld von 262,50 Euro. Dasnennt man Wein trinken und Wasser predigen.Die Grünen haben ihre Wähler fest im Auge; nur dieSPD hat anscheinend die eigenen Wählerinnen undWähler vergessen:
kein Wort mehr zu der Vermögensteuer, die Sie 1998versprochen haben. Das wären immerhin 10 MilliardenEuro im Jahr. Der ehemalige Ministerpräsident von Nie-dersachsen, Herr Gabriel, wollte die Vermögensteuernoch einführen. Offensichtlich war er vom Kanzler er-mutigt worden. Es war ein Testballon, dem der Kanzler
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Dr. Gesine Lötzschkurz vor der Landtagswahl die Luft rausgelassen hat.Gabriel wurde vom Kanzler benutzt und fallen gelassen.Welcher sozialdemokratische Ministerpräsident wirdsich nach diesem Lehrstück noch trauen, eine entspre-chende Initiative zur Einführung der Vermögensteuer zustarten?Die PDS wird im Rahmen unserer Beratungen dieBundesregierung mit einem eigenen Antrag auffordern,in der Frage der Einführung der Vermögensteuer aktiv zuwerden, um die Einnahmesituation der Länder zu ver-bessern. Wir brauchen für die Kommunen kein Kredit-programm, wie es der Kanzler ausgeführt hat; denn dasnutzt nur den reichen Kommunen. Wir brauchen viel-mehr ein kommunales Investitionsprogramm, um denKommunen frisches Geld in die Hand zu geben, um diesoziale Infrastruktur zu verbessern und um Arbeitsplätzezu schaffen.Nicht zuletzt brauchen wir – das ist heute in der De-batte schon angesprochen worden – einen Zuschuss fürdie Bundesanstalt für Arbeit, um zu verhindern, dass derzweite Arbeitsmarkt weiter zusammenbricht. In Anbe-tracht des desolaten Zustandes des ersten Arbeitsmarktesist dieser zweite Arbeitsmarkt für die strukturschwachenRegionen im Osten und im Westen unverzichtbar.Entscheidend ist: Herr Eichel, erhöhen Sie die Ein-nahmen! Nutzen Sie die vorhandenen Reserven! Dabeiwerden Sie auch unsere Unterstützung haben.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaas Hübner,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen machen.Angesichts des bedauerlicherweise wohl doch heraufzie-henden Irakkrieges scheint es mir wichtig zu sein, aufzwei Besonderheiten im Bundeshaushalt einzugehen.Wir haben auf der einen Seite den Plafond im Verteidi-gungshaushalt gehalten und auf der anderen Seite imHaushalt des Bundesinnenministers die für die Durch-führung von Antiterrormaßnahmen notwendigen Mittelzur Verfügung gestellt. Mir ist es wichtig, dass wir bei al-len Konsolidierungszwängen, denen wir unterliegen unddie dazu führen, dass wir überall sparen, bei der innerenund der äußeren Sicherheit und damit bei der Sicherheitunserer Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht sparen.
Herr Kollege Austermann, Sie haben heute eine Redenach dem Motto „Wünsch dir was“ gehalten. Anhand ei-nes Beispiels aus dem Verteidigungshaushalt möchte ichzusammenfassend darstellen, wie Ihre Politik funktio-niert. Es ist so, dass die Fachpolitiker der Union, die ge-schätzten Kollegen Schmidt und Raidel, im Rahmen desVerteidigungshaushaltes den im Regierungsentwurf vor-gesehenen Kapiteln für Universitäten der Bundeswehr,Sanitätswesen, Fernmeldewesen, Quartiersmeisterwe-sen und Flugtechnisches Gerät zugestimmt haben.Nun weiß ich, dass wir Haushälter oftmals Forde-rungen von Fachpolitikern abwehren müssen, weil dieFinanzlage es so verlangt. Es ist mir aber relativ unbe-kannt, dass wir als Haushälter etwas drauflegen. Sie ha-ben in einer Haushaltsausschusssitzung entgegen demRat Ihrer Fraktionskollegen gerade für diese Bereiche48 Millionen Euro mehr gefordert. Das kommt mir sovor: Ein Kreditkunde geht zur Bank und sagt: Ichmöchte ein Haus finanziert bekommen. Die Bank fragtdann: Kann es nicht noch ein bisschen mehr sein? Kannes nicht noch ein bisschen teurer sein? Eine Bank kanndazu sagen: Das sind Peanuts. – Ich denke aber, mit die-ser Art der Haushaltspolitik haben Sie uns ein faules Eiin das haushaltspolitische Nest gelegt.
Ich möchte insbesondere auf die Situation in denneuen Bundesländern eingehen, darauf, wo in diesemHaushalt die neuen Bundesländer besondere Berücksich-tigung finden.
In den neuen Bundesländern gibt es ein Problem: Dort,wo sich Industrien entwickelt haben, sind sie in der Re-gel als verlängerte Werkbänke ausgeprägt. Hier müssenwir gegensteuern. Wir müssen versuchen, die Firmenwieder in die Lage zu versetzen, eigene Produkte zu ge-nerieren, damit sie in der Wertschöpfungskette eine hö-here Position einnehmen. Darum haben wir in diesemJahr die Mittel für das Inno-Regio-Programm, mit demgerade dieser Aspekt gefördert werden soll, das Netz-werk also zwischen innovativen Forschungsfirmen vorOrt und Produktionsfirmen, noch einmal um 4,5 Prozentauf insgesamt 68 Millionen Euro aufgestockt.Wir haben des Weiteren die Zuwendungen für dieForschungseinrichtungen der Blauen Liste um weitere2 Millionen Euro angehoben, damit in den neuen Bun-desländern Innovationen entstehen können.Wir haben – auch das gehört aus meiner Sicht in die-sen Zusammenhang – die in Verbindung mit dem Inves-titionsförderungsgesetz bereitgestellten Mittel in Höhevon rund 3,4 Milliarden Euro in Sonderhilfen des Bun-des umgewandelt. Das heißt, vorher hatte der Bund beiInvestitionen in den neuen Bundesländern immer einMitspracherecht. Jetzt können die Länder im Rahmen ih-rer Haushalte eigenverantwortlich über Investitionenentscheiden. Diese Mittel können sie nutzen, um innova-tive Firmen zu fördern. Da sind sie jetzt aber gefordert.
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Klaas HübnerEin weiterer Brennpunkt in den neuen Bundesländernist selbstverständlich das gesamte Thema Jugend. Wirhaben das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicherAusbildungsplätze in den neuen Ländern mit 91 Millio-nen Euro auf hohem Niveau verstetigt. Ich muss ganzehrlich sagen – dies sage ich als Unternehmer –: Dies istmir fast peinlich; denn früher gehörte es normalerweisezum Ethos eines jeden Kaufmanns bzw. Unternehmers,seiner gesellschaftlichen Verantwortung auch dadurchgerecht zu werden, dass er für fachlichen Nachwuchssorgt und Ausbildungsplätze schafft.
Ich hoffe daher sehr, dass es das letzte Mal so ist, dasswir ein Sonderprogramm dieser Art auflegen müssen.Wir haben darüber hinaus das BAföG für Schülerin-nen und Schüler sowie für Studierende erhöht – auch dasbetrifft insbesondere die Jugendlichen in den neuen Bun-desländern –, damit Chancengleichheit besteht. Wir ha-ben – auch das ist ein Teil der Jugendarbeit – die Mittelim Goldenen Plan Ost um noch einmal 2,5 MillionenEuro auf 10 Millionen Euro aufgestockt. Ich sage das,weil der Goldene Plan Ost den Ausbau von Sportstättenumfasst und gerade in den neuen Bundesländern derSport im Rahmen der Jugendarbeit eine enorme Rollespielt. Deswegen ist meines Erachtens der Weg, den wirhier gehen, gerade für die Jugend richtig.
Auch beim Punkt „Direktinvestitionen“ haben wir etwaszu bieten. Ich weise auf den Stadtumbau Ost hin. Wir ha-ben durch Umschichtungen im Verkehrshaushalt – derMinister wird es in dieser Woche ankündigen – Straßen-infrastrukturmaßnahmen in Höhe von 1,4 Milliarden Eurogerade in Regionen, die strukturschwach sind – Schwer-punkt Ostdeutschland –, vorgezogen. Damit wollen wirversuchen, speziell im Osten weitere Investitionen zu ge-nerieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen,dass wir in Deutschland vor sehr einschneidenden Refor-men stehen. Wir wissen auch, dass ein besserer Zeit-punkt Mitte der 90er-Jahre gewesen wäre und dass dieKohl-Regierung diesen Zeitpunkt seinerzeit verschlafenund diese Probleme auf die nächsten Generationen ver-schoben hat.
Im Gegensatz dazu ist es eine ganz alte sozialdemo-kratische Tugend, dass wir uns darum bemühen, dass esunseren Kindern mindestens genauso gut, möglichst aberbesser geht als uns heute. Darum verschieben wir dieProbleme nicht auf die nächsten Generationen, sondernhalten am Konsolidierungskurs fest.
Wir dokumentieren damit: Wir haben Vertrauen in dieGesellschaft, wir haben Vertrauen in die Menschen die-ser Gesellschaft, und darum vertreten wir die Auffas-sung, dass wir die Probleme, die heute anstehen, auchheute zu lösen haben.Ich danke Ihnen.
Kollege Hübner, das war Ihre erste Rede in diesemHause. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich dazu.
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord-nungspunkt. Wir kommen zu den Abstimmungen.Zunächst Abstimmung über den Einzelplan 08, Bun-desministerium der Finanzen, in der Ausschussfassung.Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Einzelplan ist mit den Stimmen von SPD undBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld,in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Ände-rungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 15/636? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mitden Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ge-gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 15/637? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit dergleichen Mehrheit wie soeben abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 32, Bundesschuld, in der Ausschussfassung. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Einzelplan 32 ist mit den Stimmen von SPD undBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 60, AllgemeineFinanzverwaltung, in der Ausschussfassung. Hierzu lie-gen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstim-men.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionenvon SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache15/617? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD undBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 15/638? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit denStimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegendie Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
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Präsident Wolfgang ThierseWir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 60 inder Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Än-derung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Einzelplan 60 ist mit den Stimmenvon SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-men von CDU/CSU und FDP angenommen.Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrech-nungshof, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan20 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-men.Ich rufe auf:8. Einzelplan 30Bundesministerium für Bildung und For-schung– Drucksachen 15/569, 15/572BerichterstattungAbgeordnete Carsten SchneiderKlaus-Peter WillschIlse AignerAlexander BondeDr. Günter RexrodtEs liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU und acht Änderungsanträge der Fraktion derFDP vor. Über einen Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU werden wir später namentlich abstimmen.Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionder FDP vor, über den wir am Donnerstag nach derSchlussabstimmung abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenKlaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Bundesministerin! Wie der gesamte Haus-haltsplanentwurf 2003 ist auch der Einzelplan Bildungund Forschung ein nicht durchdachtes und in sich nichtschlüssiges Werk, welches in bemerkenswerter Weisedie Unfähigkeit und die falschen Weichenstellungen vonRot-Grün widerspiegelt. Zugleich ist er ein erneuter Be-leg für die oberste Maxime Ihres Handelns: versprochen,gebrochen. Sie haben wieder einmal nichts von dem ein-gehalten, was Sie vor der Wahl versprochen haben.
Zuerst möchte ich den Bereich Bildung ansprechen. Ichmöchte gar nicht näher auf Ihre Forderung nach einheitli-chen Bildungsstandards eingehen; denn Sie haben be-wiesen, dass Sie aus PISA nicht allzu viel gelernt haben.
Sie sollten sich an bayerischen, baden-württembergi-schen oder sächsischen Standards orientieren, statt inFinnland oder sonst wo in der Welt herumzufliegen.
Sie aber pflegen gerade in der Bildungspolitik Ihre ideo-logischen Glaubenssätze und verteidigen diese mitKlauen und Zähnen. Der neue Glaubenssatz in diesemZusammenhang ist: Die Ganztagsschule ist das Rich-tige.
Hätten Sie ein wenig genauer auf die Ergebnisse vonPISA-E, also auf die vergleichende Bewertung auf Län-derebene, geschaut, so hätten Sie Schlüsse daraus ziehenkönnen. Für mich waren die Ergebnisse nicht überra-schend. Ich bin Jahrgang 1961 und komme aus Hessen,einem Bildungsnotstandsland, das lange Jahre sozialde-mokratisch regiert wurde. Als sich mein Jahrgang zumStudium anmeldete, haben wir von der ZVS einen Maluserhalten, das heißt, unser Abiturdurchschnitt ist um 0,2Punkte verschlechtert worden. Es war damals schon All-gemeingut, dass es um die Bildung im sozialistisch ge-prägten Bereich nicht besonders gut bestellt war.
Sie werden bei einem Vergleich der Ergebnisse aufLänderebene ganz eindeutig feststellen, dass diejenigenLänder, die langjährig von Christdemokraten in der Bil-dungspolitik geprägt worden sind,
im bundesdeutschen Vergleich gute Ergebnisse erzielen,
und die Länder, in denen sich alle möglichen Reformso-zialisten mit Bildungsexperimenten an ihren Schülernausgetobt haben, ganz am unteren Ende stehen.
Ich will Ihnen schildern – Herr Tauss, hören Sie end-lich zu; an der Qualität Ihrer Zwischenrufe kann man ab-lesen, dass Ihnen das Zuhören gelegentlich gut tunwürde –, wie man nicht nur quatscht, sondern Bildungkonkret verbessert.
Wir haben in Hessen 1999, als wir dort in die Regie-rungsverantwortung kamen, folgende Situation vorge-funden: Es sind Woche für Woche 100 000 Unterrichts-stunden ausgefallen. Das war das Vermächtnis desgroßen Finanzministers Hans Eichel, den die Hessen da-mals als Ministerpräsident abgewählt haben.
Wir haben in der ersten Legislaturperiode unter unse-rer Verantwortung das Thema konkret angepackt. Wir
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Klaus-Peter Willschhaben gesagt, wenn Stunden ausfallen, können wir ihreQualität nicht verbessern, also müssen die Stunden ersteinmal gehalten werden. Deshalb haben wir 2 900 Leh-rer und 1 600 Referendare eingestellt. Jetzt wird der Un-terricht nach Stundentafel gehalten. Das ist der Anfang.Nun sind wir vom Wähler mit der absoluten Mehrheitausgestattet worden; dafür sind wir dankbar. Wir werdendiesen Weg fortsetzen.
Frau Bundesbildungsministerin, ich möchte auf dasLand zu sprechen kommen, das am gleichen Tag wieHessen gewählt hat und in dem Sie, wenn auch nurvorübergehend, die SPD-Landesvorsitzende sind. Ichmuss sagen: Der Kollege Wulff hat dort ähnliche Pro-bleme vorgefunden. Er muss jetzt erst einmal einendeutlichen Schwerpunkt auf den Bildungsbereich set-zen, weil dieser Bereich hoffnungslos heruntergewirt-schaftet war.
Wir wären doch mit dem Klammersack gepudert, wennwir ausgerechnet Ihnen die Verantwortung für die Bil-dungsstandards in ganz Deutschland übertragen würden.
Ihr Lösungsansatz ist immer zentralistisch: alles nachoben holen und einheitlich machen. Sie wollen den Fö-deralismus nicht wirklich. Ich kann das aus Ihrer Sichtauch verstehen, denn überall dort, wo im Bildungsbe-reich Föderalismus herrscht, ziehen Sie als Rote denKürzeren und wir bringen die besseren Ergebnisse. Des-halb wollen Sie keinen Vergleich zwischen den Ländernund wollen daher überall gleiche Bildungsstandards.
Auch bei der Förderung der Ganztagsschulen und derGanztagsbetreuung schlagen Sie einen Irrweg ein. Ichgebe gerne zu, dass es heute – die gesellschaftlichen Ver-hältnisse ändern sich – einen erhöhten Bedarf an Ganz-tagsbetreuung gibt. Es gibt heute mehr Frauen, die in ih-rer konkreten Situation Beruf und Familie vereinbarenwollen oder auch müssen.
Hier kann es aber nur um ein Angebot gehen, dessenNutzung freiwillig ist. Wer eine Ganztagsbetreuung nut-zen möchte, soll sie in der Nähe vorfinden, aber bittedem örtlichen Bedarf entsprechend und so, wie es dieörtlichen Entscheidungsträger für richtig halten undnicht irgendeine zentrale Instanz, die meint, alles richtenzu können.
Dass Sie hierfür Geld zur Verfügung stellen wollen,wird sicher alle vor Ort freuen, aber damit wird – wieschon gesagt – der falsche Weg eingeschlagen. Es stehenohnehin nur 300 Millionen Euro im diesjährigen Haus-halt und diese auch nicht im Einzelplan 30 – Bildungund Forschung, sondern im Einzelplan 60 – AllgemeineFinanzverwaltung.
Die Länder und Kommunen sind aufgrund der desolatenrot-grünen Politik ausgeblutet. Sie werden jetzt zu einemProgramm gezwungen, das erhebliche Nachfolgewir-kungen unter anderem bezüglich der Personal- und Be-triebskosten haben wird.
Mit diesen Folgekosten werden sie allein gelassen.Tun Sie lieber Ihre Pflicht und sorgen Sie dafür, dassKommunen und Länder finanziell so ausgestattet wer-den, wie es ihrer Aufgabenzumessung entspricht. Ange-bote lagen auf dem Tisch: Umsatzsteuerpunkte, Senkungder Gewerbesteuerumlage. Sie sind darauf nicht einge-gangen und versuchen mit Programmen, die Gemeindenam goldenen Zügel zu führen.Sehr geehrter Herr Präsident, meine Kolleginnen undKollegen, liebe Frau Ministerin, ich komme zum Be-reich der Forschung. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangensoll, weil auch dort so ziemlich alles falsch gemachtworden ist. Zunächst zwei Vorbemerkungen: Erstens.Entgegen Ihren vollmundigen Erklärungen im Vorfeldhaben Sie den Forschungsstandort Deutschland nichtgestärkt, sondern Sie schaden ihm – und dies, wo wirbald 5 Millionen Arbeitslose haben werden. Sie produ-zieren damit die nächsten Arbeitslosen in diesem Land.
Zweitens. Sie täuschen und tricksen, Sie versprechen et-was und brechen es gleich wieder. Sie geben der deutschenForschung keinerlei verlässliche Zukunftsperspektive.
Lassen Sie mich bei Letzterem anfangen: Sie gebenvor, das Haushaltsvolumen erhöht zu haben, unterschla-gen aber, dass im Oktober letzten Jahres eine Haushalts-sperre verhängt wurde, und nehmen die so entstandenen,also reduzierten Istwerte als Basis für Ihre Steigerungs-berechnungen.
Das ist unredlich. Das ist ungefähr so, als wenn man je-manden sagt: Hier hast du 1 000 Euro im Monat zum Le-ben. Am 25. des Monats sagt man ihm: Jetzt ist Schluss.Zu dem Zeitpunkt hat er 900 Euro ausgegeben, mussaber noch weitere 100 Euro auf Pump ausgeben, um sei-nen Lebensunterhalt zu bestreiten. Im nächsten Monatsagt man ihm: Eigentlich hast du nur 900 Euro ge-braucht. Ich gebe dir jetzt 905 Euro und das ist eine Er-höhung. Das ist eine Milchmädchenrechnung. So kannes nicht funktionieren
Sie müssen die eingegangenen Vorbindungen, dieaufgrund der Langfristigkeit der Projektbindungennoch bestehen und von denen Sie auch wissen, bei der
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Klaus-Peter WillschBerechnung des Etats des nächsten Jahres berücksichti-gen, sonst kann es nicht funktionieren. Ihrer Berechnungliegt ein durchschaubarer Trick zugrunde, mit dem Sieversuchen, das, was nicht gut ist, gutzuzeichnen.
– Herr Tauss, wenn ich mich nicht irre, kommen Sie ausKarlsruhe. Ich glaube, Sie sind auch Senator der Helmholtz-Gesellschaft.
Mir liegt hier eine Erklärung von Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Forschungszentrums Karlsruhe vor, dieauf dem Jahresempfang am 23. Februar dieses Jahresverteilt worden ist. In ihr ist zu lesen, für die Helmholtz-Forschungszentren, von denen das Forschungszent-rum Karlsruhe eine der größten Einrichtungen ist, wür-den etwa 45 Millionen Euro nicht zur Verfügung stehen.Das entspreche einer realen Kürzung von mehr als3 Prozent. Darüber hinaus werde dem Forschungszent-rum Karlsruhe ein Sonderopfer in Höhe von 11 Millio-nen Euro auferlegt. Dieses zusätzliche Sonderopfer ent-spreche etwa 30 Prozent der für Forschung undEntwicklung direkt verfügbaren Mittel. – Herr Tauss,vertreten Sie Ihren Wahlkreis auch weiterhin auf dieseWeise. Ich kann verstehen – darüber freue ich michsehr –, dass Axel Fischer diesen mit großem Abstand di-rekt gewonnen hat und nicht Sie.
Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss?
Selbstverständlich, Herr Tauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wahlergebnis wundert mich noch heute. Es wird
auch denjenigen wundern, der den Kollegen Fischer
kennt.
Herr Kollege Willsch, nehmen Sie bitte zur Kenntnis,
dass die Projektfördermittel für die Helmholtz-For-
schungszentren in Ihrer Regierungszeit, also zwischen
1994 und 1998, um knapp 30 Prozent reduziert worden
sind und dass wir diese in unserer Regierungszeit zwi-
schen 1998 und 2002 um 48,8 Prozent erhöht haben.
Vergießen Sie hier keine Krokodilstränen angesichts der
Tatsache, dass der Betriebsrat damals merkwürdiger-
weise solche Flugblätter nicht verteilt hat.
Lieber Herr Tauss,
hören Sie mir bitte zu! Man muss sich an dem, was mansagt, immer messen lassen. Das ist entscheidend.
Sie haben bei allen Gelegenheiten erklärt und erklärenauch weiterhin, Bildung und Forschung sei der Schwer-punkt Ihrer Regierung. Die Frau Ministerin hat bei derersten Lesung von goldenen Köpfen gesprochen, die eszu heben gelte. Dem stimme ich ausdrücklich zu. AberSie müssen das auch tun. Wenn jedoch das, was Sie tun,mit dem, was Sie im Vorfeld vollmundig angekündigthaben, nicht übereinstimmt, dann müssen Sie sich dasvorhalten lassen. – Damit ist die Antwort auf Ihre Fragebeendet. Sie können sich wieder setzen. Danke schön.
Es gibt keine verlässlichen Planungsgrundlagen.Man kann nicht zusammen mit den Ländern den For-schungseinrichtungen im Juni versprechen, sie bekämeneine Mittelerhöhung von 3,5 Prozent, und ihnen im No-vember, wenn die Mittel verplant und die Drittmittel ein-geworben sind und wenn das Programm steht, verkünden,sie bekämen diese Mittelerhöhung doch nicht. So kannman im Bereich der Forschung nicht arbeiten. So schadetman nachhaltig dem Forschungsstandort Deutschland.
Dieser Umgang trägt vor allen Dingen nicht zu gutenArbeitsbedingungen in den Forschungseinrichtungenbei. Unterhalten Sie sich einmal mit den Direktoren oderdem wissenschaftlichen Personal in den Forschungszent-ren. Sie werden hören, dass unser Land mehr und mehrausblutet. Wir verlieren die fähigsten Köpfe. Jahr fürJahr wandern Tausende aus unserem Land aus, weil siehier nicht die richtigen Bedingungen für Forschung undEntwicklung vorfinden und in anderen Ländern sehr vielbesser wissenschaftlich arbeiten können. Dort wird ihreForschung, anders als hier, gefördert.
In Ihren Sonntagsreden versuchen Sie zum Besten zugeben und den Eindruck zu erwecken, Sie seien die mo-dernste Regierung, die es je gegeben habe. Das Gegen-teil ist der Fall. Sie müssen das, was Sie versprechen,auch einhalten. Denn anders gibt es kein Vertrauen inPolitik und anders wird dem ForschungsstandortDeutschland nachhaltig geschadet.
Ich will kurz einige Forschungsbereiche nennen, in de-nen Sie Einschneidungen bei den Mitteln vornehmen undin denen Sie, da Sie die Förderausgaben senken, nichtweiterhin intensiv Forschung betreiben wollen – derKollege Mayer wird auf das Problem Raumfahrt nähereingehen –: Forschung an adulten Stammzellen – der
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Klaus-Peter Willschstellvertretende Fraktionsvorsitzende Merz hat das heuteMorgen angesprochen –, Bio- und Gentechnologie, Mee-res- und Polarforschung, Grundlagenforschung. Das sindalles Bereiche, in denen Sie kürzen, in denen Sie die För-derung entgegen den Ansätzen des letzten Jahres senken.
Das halten wir von der CDU/CSU nicht für verantwort-bar. Das ist vor allen Dingen vor dem Hintergrund nichtverantwortbar, dass die anderen Länder in der OECD er-kannt haben, was die Uhr geschlagen hat. Die USA steigerntrotz schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, die es auchdort gibt, ihre Forschungsausgaben um 15,7 Prozent. InGroßbritannien beträgt die Steigerung in den Jahren 2003und 2004 10 Prozent. In Japan sind die Forschungsaus-gaben in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen.Auch die CDU/CSU setzt im Gegensatz zu Rot-Grünauf die Stärkung der deutschen Forschungsland-schaft.
Wissenschaft und Forschung zählen zu den Wachstums-motoren in unserer Gesellschaft und Wirtschaft.
Die Forschungsförderung ist deshalb essenzieller Be-standteil der Wachstums- und Beschäftigungsstrategieder Union.Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede
noch kurz auf die im Vorfeld mit linksseitigen Heilser-wartungen geradezu überfrachtete Ruckelrede des Kanz-lers vom vergangenen Freitag zu sprechen kommen.Dieser Kanzler stellte sich hier hin und kommentierte dieKürzungen im Bereich Bildung und Forschung wörtlichwie folgt:
Wir werden unser Wohlstandsniveau nur dann hal-ten können, wenn wir in dieser schwierigen wirt-schaftlichen Situation verstärkt in Bildung und For-schung investieren.Weiterhin sagte er, dass in diesem Jahr aus Kosten-gründen kürzer getreten werden musste. Das dürfe nichtso bleiben. Deshalb werde die Bundesregierung in dergegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen Situationein Zeichen setzen und die Etats der MPG und ande-rer Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr wiederum 3 Prozent erhöhen. –
Das ist ein Wort. Es kommt aber leider zu spät.
Da man die schwache Wirkung der Schröder-Rede imMinisterium offenbar realistisch eingeschätzt hat, greiftman zum Mittel der Autosuggestion. Im hausinternenPressespiegel vom 14. März
wird die dpa-Meldung „Schröder will mit Reformen neudurchstarten“ auf zweieinhalb Seiten insgesamt 13-malwiederholt. Das ist Autosuggestion. Wenn man es aufzweieinhalb Seiten 13-mal liest, muss man es glauben.
Sie reden beständig über Bildung und Forschung undwie wichtig sie Ihnen sind. Sie machen den Leuten vor,Sie würden hier Schwerpunkte setzen. In Wirklichkeitbetreiben Sie eine unberechenbare und sprunghafte Poli-tik. Sie treiben die besten Köpfe aus unserem Land. Siekönnen es nicht. Unser Land braucht einen Neuanfang.Wir von der CDU/CSU sind dazu bereit.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Carsten Schneider, SPD-
Fraktion, das Wort.
Lieber Kollege Willsch, wenn man Ihre Einlassungzur Bildungspolitik verfolgt hat und sie tatsächlich ernstnimmt, kann man nur sagen: Das war eine Rede aus den70er-Jahren. Die Grabenkämpfe der 70er-Jahren, die Siehier geführt haben, waren nicht hilfreich für die Zukunftder Bundesrepublik Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bun-des ist auch im Jahr 2003 ein Spar- und Reformetat. Wirhalten – das ist für mich die wichtigste Aussage – denKonsolidierungskurs, auch wenn uns der Wind der Kon-junktur mit voller Kraft entgegenweht. Da ist zum Bei-spiel die Angst vor dem Krieg im Irak, die die Investiti-onsbereitschaft dämpft. Sie lässt Aktienkurse in dieTiefe fallen und Rohölpreise in die Höhe schnellen. Diesalles sind widrige Bedingungen und kaum beeinfluss-bare Faktoren, auf die wir als Haushaltspolitiker in die-ser nicht ganz einfachen Beratung reagieren mussten.Für uns ist Haushaltspolitik aber mehr als lediglichdie Reaktion auf äußere Umstände. Haushaltspolitik, sowie wir sie betreiben, ist vor allen Dingen auch Gestal-tungspolitik. Ich glaube, dass der Haushalt für Bildungund Forschung das beste Beispiel für diese Gestaltungist; denn Bildung und Forschung spielen bei der Weiter-entwicklung der Bundesrepublik eine Schlüsselrolle.Die Innovations- und Wirtschaftskraft eines Landesist eng verbunden mit seiner technologischen Leistungs-fähigkeit.
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Carsten SchneiderDas Wissen, das Können und die Kreativität der Men-schen entscheiden über die Zukunft unseres Landes.Deshalb wollen wir als Sozialdemokraten – ich schließedie Grünen hier mit ein – die bestmögliche Bildung füralle.
Deshalb wollen wir ein sozial gerechtes Bildungssystem.Deshalb werden wir weiterhin kräftig in Bildung undForschung investieren.Der Etat des BMBF hat im Verlauf des heutigen Tagesschon in mehreren Debatten eine Rolle gespielt. AuchHerr Merz hat sich darauf eingelassen und mit seinenDarstellungen zu den Zahlen Schiffbruch erlitten. Erhätte sich die Zahlen wirklich genauer anschauen müs-sen.
Denn in diesem Jahr beträgt der Etat stolze 8,4 Mil-liarden Euro. Hinzuzurechnen sind der Darlehensanteilam BAföG in Höhe von 435 Millionen Euro, den wirüber die Deutsche Ausgleichsbank ausreichen, und300 Millionen Euro als erste investive Maßnahme fürdas Ganztagsschulprogramm. Das macht insgesamtmehr als 9,1 Milliarden Euro aus. Schauen Sie sich denHaushaltsplan 1998 an, den Ihre Regierung zu CDU/CSU- und FDP-Zeiten noch zu verantworten hatte. Dortsehen Sie die Zahl von 7,3 Milliarden Euro. Sie könnenganz einfach nachrechnen, dass dies eine Steigerung von25 Prozent bedeutet. Eine solche Steigerung wurde inkeinem anderen Haushalt der letzten Jahre erreicht.
Um Ihre Kritik gleich vorwegzunehmen: Der Etat desBundes für 2003 sieht gegenüber dem Haushalt des Jah-res 2002 eine Steigerung der Ausgaben für Bildung undForschung um 3 Prozent vor. Ich werde beim Forschungs-bereich auf einzelne Bereiche eingehen, bei denen wirKonsolidierungsmaßnahmen durchführen mussten. DieGesamtausgaben für Bildung und Forschung aber steigenum 3 Prozent.Das war eine in der Geschichte der Bundesrepublikbeispiellose Aufholjagd. Mit der Steigerung der letztenJahre haben wir meines Erachtens die Weichen richtiggestellt.
Gleichwohl gilt aber: Wir haben noch nicht alles er-reicht. Ziel der Koalition ist es, den FuE-Anteil vonWirtschaft und öffentlicher Hand auf 3 Prozent am Brut-tosozialprodukt zu steigern.
– Wir sind derzeit erst bei 2,5 Prozent, weil wir von Ih-nen eine schlechte Ausgangsbasis geerbt haben, die wirjetzt langsam verbessern.
Sie sehen, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. DieKoalition hat Bildung und Forschung wieder den politi-schen Raum gegeben, der notwendig ist.
Zum Haushaltsverfahren 2003: Wie ich schon gesagthabe, stand es unter schwierigen Vorgaben. Bedingtdurch die überraschend schlechten Ergebnisse der Steu-erschätzung im November,
ergab sich eine globale Minderausgabe in Höhe von1,3 Milliarden Euro. Herr Koppelin, weil wir Haushälterfür Wahrheit und Klarheit stehen, haben wir diese glo-bale Minderausgabe aufgelöst. Ich denke, Haushalts-wahrheit und -klarheit sollten fraktionsübergreifendauch für Sie kein Fremdwort sein.
Um diese globale Minderausgabe aufzulösen, war esnotwendig, dass jedes Ressort seinen Beitrag leistet. Da-von konnte dieses Jahr auch der Etat für Bildung undForschung nicht verschont bleiben. Ein weiterer Auf-wuchs wäre erfreulich gewesen. Aber ich bin der Mei-nung, dass man nach den spektakulären Aufwüchsen dervergangenen Jahre in diesem Jahr die Chance nutzenmuss, innezuhalten und kritisch zu prüfen, welche Aus-gaben tatsächlich gerechtfertigt sind.
– Die Ministerin ist immer sehr kooperativ, Herr Koppe-lin. Das wissen Sie doch. Sie kennen sie ja aus den Bera-tungen im Haushaltsausschuss.
Ich möchte zwei Bereiche nennen, wo wir hauptsäch-lich eingespart haben, um in anderen Bereichen aufzu-schichten. Der eine Bereich ist der Hochschulbau. DieMittel für den Hochschulbau haben wir gegenüber demRegierungsentwurf um 40 Millionen Euro reduziert.Diese Reduzierung um 40 Millionen Euro entsprichtdem zur Tilgung der Schulden vorgesehen Beitrag.Schulden aus der Zeit von Zukunftsminister Rüttgers,die wir jetzt gegenüber den Ländern langsam abbauen.70 Millionen Euro haben wir bereits zurückgeführt. Indiesem sehr schwierigen Haushaltsjahr haben wir dieseTilgung für ein Jahr ausgesetzt.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich als Haushalts-politiker bin es leid – ich möchte im Bereich von For-schung und Technologie gerne etwas gestalten –, immerIhre Schulden der vergangenen Jahre zurückzuzahlenund deswegen auf eigene Projekte zu verzichten. Aus
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Carsten Schneiderdiesem Grunde ist es durchaus nachvollziehbar – daswerden auch die Länder verstehen –, dass wir in diesemPunkt eine Reduzierung vorgenommen haben.
Der zweite Bereich der Einsparungen betrifft die Bei-träge zur Europäischen Weltraumorganisation. Die-sen Ansatz haben wir gegenüber dem Regierungsent-wurf um 20 Millionen Euro gekürzt. Auch wenn dieKlagen der Lobbyisten und der Opposition, die sich sehrähneln, gerade in diesem Bereich sehr laut waren, bin ichder Meinung, dass bei der ESA, aber auch beim nationa-len Weltraumprogramm eine Evaluierung der Ziele not-wendig, wenn nicht sogar überfällig ist. Ich erinnere andas verunglückte Spaceshuttle Columbia und dieAriane 5, die explodiert ist. Diese Zäsuren sollten unszum Nachdenken zwingen.Ich als Haushälter und als Vertreter der SPD möchteaber zugleich anmerken: Ich bin zutiefst unzufriedendarüber, dass wir als größter Beitragszahler der ESA vonden zu vergebenden Aufträgen nicht nach dem Finan-zierungsschlüssel berücksichtigt werden.
Ich bin der Ansicht, dass der „over return“ Frankreichs,der in diesem Bereich 80 Millionen Euro ausmacht, zu-rückgefahren werden muss. Die deutsche nationaleRaumfahrtindustrie sollte, wie im Vertrag vorgesehen,berücksichtigt werden und dementsprechend Aufträgeerhalten. Aus diesem Grund haben wir den Titel in Höhevon 50 Millionen Euro qualifiziert gesperrt. Ich hoffe,dass wir auf die Unterstützung des ganzen Hauses setzenkönnen, um der Regierung bei den Verhandlungen füreine bessere Ausgangsbasis der deutschen Raumfahrtin-dustrie den Rücken zu stärken.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aig-
ner?
Gern.
Herr Kollege Schneider, erstens glaube ich, dass wir
uns einig sind, dass wir uns über den Rückfluss unterhal-
ten und ihn steigern müssen. Nur müssen Sie mir wohl
Recht geben, dass der Rückfluss rechtlich korrekt ist.
Wir haben nicht 100 Prozent erreicht. Aber in Bezug auf
das ganze Budget liegt der Schlüssel bei 0,9. Deshalb ist
Ihre Aussage nicht ganz richtig. Wie gesagt, teile ich
aber Ihre Meinung, dass wir versuchen sollten, dies zu
erreichen.
Zweitens würde mich interessieren, was das Space-
shuttle konkret mit uns zu tun hat.
–Ich frage ja gerade. – Meines Erachtens sind wir hier
finanziell überhaupt nicht beteiligt.
Drittens möchte ich Sie bitten, mir folgendes zu erklä-
ren: Beim ESA-Budget haben Sie 20 Millionen Euro ab-
gezogen, die Sie ursprünglich wieder in das nationale
Programm transferieren wollten. Angekommen sind nur
17,5 Millionen Euro. Ich würde gerne den Grund von Ih-
nen erfahren.
Frau Aigner, die Antworten sind sehr einfach. Zumeinen stellt sich beim Spaceshuttle nicht die Frage, obwir uns an der Finanzierung beteiligen. Vielmehr lautetdie Frage: Was ist mit der Zukunft der bemannten Raum-fahrt?
Aus diesem Grund habe ich am Anfang gesagt, dass mansehr wohl über eine Evaluierung der Ziele nachdenkenmuss.
Damit möchte ich Ihre erste Frage beantwortet wissen.Nun komme ich zur Beantwortung Ihrer zweitenFrage bezüglich der Umschichtung. Jeder Forschungsbe-reich – vorhin sind ja einige Zahlen genannt worden –musste einen Beitrag zur Konsolidierung leisten. Wir ha-ben den ESA-Titel um 20 Millionen Euro gekürzt. Dasist vollkommen richtig. Auch haben wir den Titel „Nati-onales Weltraumprogramm“ gekürzt. Dies beruht aufAussagen von Verbandsvertretern – Sie wissen ja, dassim Haushaltsverfahren zunächst höhere Kürzungen vor-gesehen waren –, die selbst gesagt haben, dass in diesemBereich immer noch ein Spielraum in Höhe von 3, 4 oder5 Prozent besteht.
Mir als Haushälter müssen Sie zugestehen, dass ich aufdiese 3, 4 oder 5 Prozent nicht verzichte, wenn mir einsolches Angebot gemacht wird.
Es gibt aber auch eine ganze Reihe von erfreulichenThemen. Zumindest sehe ich mich als Haushälter undsieht sich auch meine Fraktion in einer solchen Rolle,dass wir nicht nur das abnicken, was uns von der Regie-rung vorgelegt wird, sondern dass wir auch selbst gestal-tend eingreifen. So haben wir in Abstimmung mit derRegierung zum Beispiel den Etat der Deutschen For-schungsgemeinschaft um 2,5 Prozent erhöht. Ich glau-be, dass dies in wirtschaftlich und auch haushaltspoli-tisch sehr schwierigen Zeiten eine Operation ist, die sich
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Carsten Schneiderlohnt und durch die man auch die Prioritäten richtigsetzt, indem man den Nachwuchsforschern in Deutsch-land eine bessere Chance gibt, sich zu entfalten.
– Ja, diese Aussage ist ein ganz klarer Widerspruch zuden Zitaten, die Herr Merz vorgetragen hat. Vielleichtsollte er sich hier noch einmal informieren.
Mit der Reform des Dienstrechts haben wir diestrukturellen Voraussetzungen für einen erfolgreichenGenerationswechsel an den Hochschulen geschaffen. Ichnenne nur das Programm der Juniorprofessuren, für daswir die Mittel in diesem Jahr verdreifacht haben. Auchsichern wir mit der Erhöhung gerade des DFG-Ansatzesdie materiellen Voraussetzungen für den Nachwuchs anden Hochschulen. Die Klagen darüber, dass nicht auchdie Mittel für die MPG, die HGF und die FhG erhöhtwerden konnten, gehen meines Erachtens fehl.Auch muss man deutlich sagen: Diese Mittel wurdennicht gekürzt, sondern sie sind überrollt worden. Ichkann nur sagen: Mir wäre es immer lieber, für diese Be-reiche mehr Geld einzustellen. Nur, wir sind mit demZiel angetreten, den Bundeshaushalt zu sanieren. Ichglaube, dass ein Jahr an Überrollung nach den spektaku-lären Steigerungen der vergangenen Jahre durchaus ver-tretbar ist. Nach der Ankündigung des Bundeskanzlersvom Freitag der letzten Woche haben die Forschungsein-richtungen für das nächste Jahr wieder Planungssicher-heit. Damit ist ganz klar gesagt, wohin die Fahrt mit derBundesregierung gehen wird: vor allen Dingen zu einerSteigerung und Verstetigung der Ausgaben für Bildungund Forschung, damit Wissenschaftler in diesem Landeine Heimstatt haben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders hervor-heben möchte ich an dieser Stelle das Ganztagsschul-programm. Herr Willsch hat sehr intensiv darüber be-richtet. Ich kenne die entsprechenden Debatten ja nur ausden Geschichtsbüchern der 70-er Jahre. Es sind frappie-rende Ähnlichkeiten festzustellen. Ich dachte eigentlich,dass wir jetzt im 21. Jahrhundert einen Schritt weitersind. Wir könnten unser Blickfeld durchaus einmal er-weitern und nicht nur über die Grenzen von Bundeslän-dern, sondern auch über unsere nationalen Grenzen hin-ausschauen und prüfen – das zeigen uns die PISA-Ergebnisse –, in welchen Ländern tatsächlich Erfolge er-zielt wurden.
Es ist unbestreitbar, dass dies nun einmal in Finnlandder Fall war. Man kann sich daran anlehnen und versu-chen, Anregungen aufzunehmen. Dieser Politikbereichunterliegt zwar nicht der Bundeskompetenz, aber ichsage Ihnen: Die Frage, ob dieses Thema der Bundes-oder Länderkompetenz zugeordnet ist, ist mir egal, weildieses Thema viel zu wichtig ist. Es handelt sich um einenationale Aufgabe und ein nationaler Kraftakt ist nötig.Wenn wir uns nicht zumindest auf vergleichbare natio-nale Standards einigen können – die Kulturhoheit jedesBundeslandes bleibt erhalten –, dann kann ich nur sagen:Gute Nacht, Deutschland! Gute Nacht, CDU, im Bil-dungsbereich!
Wir haben unser Wahlversprechen mit dem Ganztags-schulprogramm mit einem Volumen von 300 MillionenEuro in diesem Jahr eingelöst.
In den nächsten Jahren kommen noch 3,7 MilliardenEuro hinzu. Die Verwaltungsvereinbarung liegt denLändern vor. Ich glaube auch, dass man einen ge-meinsamen Weg finden kann. Ich hoffe es zumindestsehr. Ich bekomme das Feedback aus meinem Wahlkreis,dass es gerade unter dem Gesichtspunkt der Chancen-gleichheit von Frauen wichtig ist, dass es dieses Angebotgibt. Es gibt ja keinen Zwang und es ist wichtig, dass wirdies umsetzen.Ein weiterer Punkt, der meines Erachtens sehr deut-lich die Erfolge der Politik der vergangenen Jahre mar-kiert, ist die Entwicklung der Studienanfängerquote. Von1998 bis 2002 hat sich die Studienanfängerquote proJahrgang von 28 auf 36 Prozent erhöht. Wenn man sichdas unter gesamtwirtschaftlichen Bedingungen anschaut,dann wird man feststellen, dass diese Entscheidung eineder besten Voraussetzungen ist, um die technologischeFührerschaft der Bundesrepublik zu erhalten und, ichhoffe, auszubauen. Es muss unterstützt werden, dassmehr Jugendliche ein Studium aufnehmen und auch ab-schließen. Wir haben das in den vergangenen Jahren ge-tan, indem wir eine BAföG-Reform durchgeführt ha-ben. Diese BAföG-Reform hat dazu geführt, dass wirallein im vergangenen Jahr zweimal überplanmäßigeAusgaben im Haushaltsausschuss genehmigen mussten.Ich glaube, das zeigt sehr deutlich den Erfolg dieser Re-form.
Damit sind wir dem Ziel näher gekommen, dem ichmich vor allem als Sozialdemokrat verbunden fühle,nämlich jedem Jugendlichen, egal aus welchem Haus erkommt und wie viel „Kohle“ seine Eltern haben, dieMöglichkeit zu geben, ein Studium aufzunehmen, ohnein existenzielle Schwierigkeiten zu kommen. Ich glaube,dass das ein Grundansatz ist, den wir insgesamt hier tei-len müssten.
Aus diesem Grund mussten wir den BAföG-Titel nocheinmal um 20 Millionen Euro erhöhen. Ich tue das gern,weil ich glaube, dass das ein Gebot der sozialen Gerech-tigkeit und der Zukunftssicherung der Wirtschaft in derBundesrepublik ist.
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Carsten SchneiderEin weiterer sehr wichtiger Punkt ist für mich die Ent-wicklung in den neuen Bundesländern. Herr Hübner hatvorhin schon angesprochen, dass der Titel Inno-Regioum 4,5 Prozent erhöht wird. Ich korrigiere ihn nur sehrungern: Wir Haushälter haben ihn um 4,5 Prozent er-höht; aber die Regierung hat ihn vorher schon um80 Prozent erhöht. Ich glaube, das zeigt sehr deutlich,dass ein wichtiger Forschungsschwerpunkt – und das isteine Zukunftsinvestition in den neuen Bundesländern –mit dem Programm Inno-Regio gelegt wurde. Die Bun-desregierung steht zu ihrer Zusage und beschränkt sichnicht nur auf passive Transferleistungen in den Osten,sondern tätigt Zukunftsinvestitionen und treibt die Ver-knüpfung und Vernetzung mit den dortigen Akteuren inder Wirtschaft voran und macht damit deutlich, dass derOsten Deutschlands durch diese Bundesregierung eineZukunft hat.Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich noch anspre-chen möchte, betrifft ebenfalls die neuen Bundesländer.Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärungauch zu der Situation auf dem Ausbildungsmarkt Stel-lung genommen. Auch ich bin der Meinung, dass es zu-allererst die Aufgabe der Wirtschaft ist, für ein ausrei-chendes Ausbildungsplatzangebot zu sorgen. Das musssie vor allen Dingen im eigenen Interesse tun. Man darfnicht darüber klagen, dass man nicht genügend qualifi-zierte Arbeitskräfte oder Bewerber findet, sich abergleichzeitig vor der Ausbildung im dualen System drü-cken und dem Staat die Kosten für die Ausbildung auf-lasten.
Wenn aber aufgrund der fehlenden wirtschaftlichenBasis, wie es in den neuen Bundesländern der Fall ist, undaufgrund des großen Bewerberandrangs nicht die Mög-lichkeit besteht, alle Jugendlichen mit Ausbildungsplät-zen zu versorgen, dann muss meines Erachtens der Staateingreifen. Wir haben das getan, indem wir das Sonder-programm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätzein Ostdeutschland von 12 000 auf 14 000 Ausbildungs-plätze erhöht haben. Damit haben wir noch einmal2 000 Jugendlichen in den neuen Bundesländern eineAusbildung gewährleistet. Das ist eine Investition in dieZukunft von 2 000 Menschen, die es verdient haben. Ichglaube, dass das auch mit Ihrer Unterstützung erfolgreichdurchgeführt werden kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich alsHauptberichterstatter zum Abschluss noch einmal beiden Mitberichterstattern bedanken. Auch den verant-wortlichen Mitarbeitern der Bundesregierung, HerrnKleine Arndt vom BMBF, Herrn Hardt vom BMF undHerrn Klostermann vom Bundesrechnungshof danke ichrecht herzlich für die gute Zusammenarbeit.Ich kann schlussendlich nur feststellen: Nicht Rot-Grün, sondern Schwarz-Gelb hat den Forschungsetat alsSteinbruch für die Lösung von Haushaltsproblemenmissbraucht.Von 1993 bis 1998 sanken die Ausgaben für Bildungund Forschung um 360 Millionen Euro. Dabei ist die In-flation noch nicht einmal berücksichtigt. Wir haben dieAusgaben für Bildung und Forschung seit 1998 um25 Prozent gesteigert. Ich glaube, dass das eine gute Vor-aussetzung ist, um Deutschland in den nächsten Jahrenvoranzubringen.Ich bedanke mich bei Ihnen.
Ich erteile der Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kurz vor dem Frühlingsanfang beraten wir abschließendden Haushalt 2003. Das ist sehr spät. Jeder wird sich da-ran erinnern, dass diese Bundesregierung bereits vor denBundestagswahlen einen Haushaltsplanentwurf vorge-legt hat.Seinerzeit haben Sie, sehr verehrte Frau MinisterinBulmahn, mit Ihrem Mantra „Bildung und Forschungbehalten Priorität“ versucht, die Forschung an demMotto „Mit uns geht es jetzt nur noch bergauf!“ zu orien-tieren. Das hätten wir zwar durchaus begrüßt; aber ange-sichts der Regierungserklärung von Rot-Grün kommeneinem bei Ihrem Kurs große Zweifel daran. Denn alleVersprechungen und Zusagen, die Sie im vergangenenJahr, vor der Bundestagswahl oder noch danach, gege-ben haben, sind wie wahltaktische Seifenblasen zer-platzt.
Herr Schneider, es besteht große Einigkeit darüber,dass gerade die Bereiche Bildung und Forschung keineThemen sind, die man mit ideologischen Scheuklappenbetreiben soll. Darin sind wir uns durchaus einig.
Das heißt aber nicht, Herr Fell, dass wir als Oppositionnun alles durch eine rosarote Brille sehen.
Sie setzen bei Bildung und Forschung den Hobel an. Dasist gefährlich. Denn auf Höchst- und Hochtechnologiensowie auf die Leistungen des deutschen Wissenschafts-systems begründen sich die Hoffnungen auf einen wirt-schaftlichen Aufschwung, den Sie nicht herbeiführenwerden, auch nicht mit diesem Haushalt.
Ich erinnere Sie daran: Diese Bundesregierung hat derEntscheidung des Europäischen Rates vom März 2000zugestimmt, der sich in seiner Lissaboner Erklärungdazu geäußert hat, dass Europa bis zum Jahr 2010 zum
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Cornelia Pieperwettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasier-ten Wirtschaftsraum der Erde werden soll. Das bedeutetallein für Deutschland eine Wachstumsrate von 3 Pro-zent und Strukturreformen. Es bedeutet auch, dass hö-here Investitionen in Wissenschaft und Forschung not-wendig sind.
– Auch in Sachsen-Anhalt, Herr Kollege Tauss, wo nichtnur gekürzt wird, wo aber in einigen Bereichen Kürzun-gen vorgenommen werden müssen,
weil wir nach acht Jahren Höppner-Regierung ein Defi-zit von 1 Milliarde Euro übernommen haben.
Deutschland liegt mit seinen Ausgaben für Forschungund Entwicklung bei 2,4 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts. Will Deutschland das Ziel von Lissabon umset-zen, muss es unser Ziel sein, bis 2010 mindestens3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschungund Entwicklung zu investieren. Das bedeutet in der Tateine Kraftanstrengung.Was aber macht die Bundesregierung 2003? Sie kürztden Bildungs- und Forschungshaushalt.
Was Sie gesagt haben, ist nicht richtig, Herr Schneider.Von dem Versprechen, die Forschungs- und Bildungs-ausgaben sowie die Wissenschafts- und Technologieaus-gaben zu verdoppeln, ist nicht mehr viel übrig geblieben.
Ich erinnere Sie daran, dass die gesamte Technologie-förderung jetzt dem Einzelplan 09 zugeordnet ist. Wennman den Einzelplan 09 – Wirtschaft und Arbeit – undden Einzelplan 30 – Forschung und Bildung – zusam-menfasst, dann ergibt sich ein anderes Bild: Im Jahr 2003liegen die Ausgaben in diesem Bereich um 3,1 MilliardenEuro niedriger als 1998. Nehmen Sie das doch bitte zurKenntnis!
Betrachtet man die Ausgaben des Bundes allein imBereich Bildung und Forschung, so sind auch hier IhreVersprechungen einer Verdoppelung der Ausgaben nichteingehalten worden. Die Ausgaben lagen 1998 bei7,3 Milliarden Euro. Heute liegen sie bei 9,1 MilliardenEuro.Schmerzlich für uns, aber auch für die Wissenschaft-ler in Deutschland sind die Einschnitte, die Sie bei denForschungseinrichtungen vorgenommen haben,
und das, obwohl es eine andere Vereinbarung der Bund-Länder-Kommission gegeben hat. Betroffen sind vor allemdie Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesell-schaft, aber auch die Helmholtz- und die Leibniz-Gemein-schaft. So fehlen der Max-Planck-Gesellschaft 14 Millio-nen Euro und der Fraunhofer-Gesellschaft 17 MillionenEuro. Ich möchte auch erwähnen, dass 40 der 80 Instituteder Leibniz-Gemeinschaft in den neuen Bundesländernsind. Ausgerechnet in diesem Bereich kürzen Sie. Das be-deutet riesige Einschnitte in die Forschung und auch, dassNachwuchswissenschaftler in geringerem Maße als bisheroder gar nicht mehr gefördert werden können. Das ist IhrePolitik, meine Damen und Herren von der Regierung. Daskönnen wir nicht mittragen. Deswegen haben wir entspre-chende Änderungsanträge gestellt.
Bitte werfen Sie einen Blick in den Bericht derBundesbank, um einen wichtigen Indikator für dieBewertung der Entwicklung der Innovationskraft inDeutschland zu entdecken: die technologische Dienst-leistungsbilanz. Sie hat heute einen bisher nicht gekann-ten negativen Rekordsaldo erreicht. Lag der Saldo imJahr 1990 noch bei knapp 0,5 Milliarden Euro, so stieger im Jahr 2000 ruckartig auf knapp 5 Milliarden Euro,also auf das Zehnfache, und schnellte im Jahr 2001 auf7,5 Milliarden Euro hoch. Dieser überproportional starkeAnstieg begann 1999 und setzte sich unverändert fort.Das sind die Ergebnisse Ihrer Technologiepolitik, meineDamen und Herren von der Regierungskoalition.
Das ist das falsche Signal. So wird Deutschland im inter-nationalen Wettbewerb nicht bestehen können.
– Frau Flach wäre gerne hier gewesen. Sie hätte die glei-che Rede gehalten, Herr Tauss.
Ihr Bekenntnis im Koalitionsvertrag, die neuen Bun-desländer in besonders starkem Maße zu fördern, isthalbherzig. Das Inno-Regio-Programm ist zwar her-vorragend und findet unsere volle Unterstützung.
Aber als die Ministerin ihren Bericht über die Großfor-schungsgeräte und die Grundlagenforschung erstattethat, haben wir festgestellt, dass von den 975 MillionenEuro gerade einmal 25 Millionen Euro in die neuen Bun-desländer fließen. Ich frage Sie, Frau Ministerin: Warumhaben Sie den Antrag für eine europäische Neutronen-spallationsquelle bei der EU zurückgezogen? Warumunterstützen Sie nicht die Initiative von Sachsen undSachsen-Anhalt, die in ihre Länderhaushalte, die auchkonsolidiert werden müssen, entsprechende Mittel ein-gestellt haben? Sie setzen falsche Signale.
Frau Kollegin, Sie haben schon die Hälfte der Rede-zeit Ihres Fraktionskollegen aufgebraucht.
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Ich bedanke mich, sehr verehrter Herr Präsident.
Wir brauchen mehr Bewegung in Deutschland. Das
wird es aber mit der rot-grünen Bundesregierung auch in
Bildung und Forschung nicht geben.
Danke.
Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben heutewieder einmal die Fortsetzung der alten Oppositionsstra-tegie „Wir nörgeln den Optimismus herbei“. Auch in derBildungs- und Forschungspolitik wird die Schwarzsehe-rei der letzten Wochen und Monate fortgesetzt. Der Kol-lege Willsch hat, als es um die Zahlenbasis ging, wenigs-tens sein Hessenabitur als Alibi vorgeschoben. Ichmöchte Hessen hier explizit in Schutz nehmen.Die Fragen, um die es hier geht, sind, wie Bildungund Forschung solide finanziert werden, aber auch, wieEffizienzkriterien in diesem Bereich geltend gemachtwerden und wie wir gemeinsam Anstrengungen für zu-künftige Investitionen unternehmen können.
Ich glaube, dass die Opposition einen konstruktiven Bei-trag dazu leisten kann. Aber man muss von der gleichenZahlenbasis ausgehen und zur Kenntnis nehmen, wiedie Situation tatsächlich ist. Wir haben im Einzelplan 30eine Größe von 8,364 Milliarden Euro für 2003 einge-stellt. Hinzu kommen 435 Millionen Euro für BAföG-Darlehen und 300 Millionen Euro für die Betreuung anGanztagsschulen. In der Summe werden also im Bereichdes Ministeriums rund 9,1 Milliarden Euro für Bildungund Forschung ausgegeben. Wenn man den Vergleich zu2002 zieht, dann zeigt sich, dass es sich angesichts derdafür eingestellten Mittel in Höhe von 8,834 MilliardenEuro – aller Nörgelei zum Trotz – um einen Aufwuchshandelt.
Außerdem müssen wir darüber reden, dass auch an-dere Einzelpläne Ausgaben für Bildung und Forschungbeinhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von derOpposition, an dieser Stelle kann ich Ihnen den Hinweisauf folgende Zahlen nicht ersparen: In den Jahren von1993 bis 1998, also in Jahren, in denen die CDU, dieCSU und die FDP regierten, haben Sie die Ausgabenvon 7,6 Milliarden Euro auf 7,2 Milliarden Euro „herun-tergespart“.
Wäre Adam Riese Mitglied einer der Oppositionsfrakti-onen, dann könnte er den Schluss ziehen, dass9,1 Milliarden Euro im Vergleich zu 7,6 Milliarden Euroein deutlicher Aufwuchs sind. Ich finde, an dieser Stellemuss man deutlich sagen: Rot-Grün hat den Plafond fürBildung und Forschung seit 1998 um 25 Prozent gestei-gert.
Seit fünf Jahren wachsen die in diesem Einzelplan ver-anschlagten Mittel kontinuierlich an, während sie inIhrer Regierungszeit kontinuierlich gesunken sind. Diese9,1 Milliarden Euro stellen die bisher höchsten Ausga-ben für Bildung und Forschung dar.
– Dieser Kollege Austermann!Natürlich müssen wir auch im internationalen Ver-gleich stärker in Bildung und Forschung investieren. Wirmüssen die Rahmenbedingungen für Forscher verbes-sern; aber wir dürfen dabei auch die wirtschaftliche Lagenicht unberücksichtigt lassen. Mich besorgt in diesen Ta-gen sehr viel mehr als die Frage der staatlichen Ausga-ben das große Problem des massiven Rückgangs der pri-vaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben.
Meine Damen und Herren, Kollege Willsch, wir vonRot-Grün sind gewillt, die Mittel für Bildung und For-schung, so wie wir es für dieses Haushaltsjahr getan ha-ben, auch im nächsten Jahr zu erhöhen. Das heißt aberauch, dass diese Regierung ihren Konsolidierungskursfortführen muss. Die Mittel für Bildung und Forschungwurden erhöht und gleichzeitig wurde der Schuldenstandgesenkt. Das ist ein weiterer Unterschied zur Bilanz derCDU/CSU-FDP-Regierung. Diese Regierung hat dieBildungsausgaben nämlich gesenkt und die Verschul-dung gleichzeitig erhöht.
Wäre die Erhöhung der Verschuldung zugunsten von Zu-kunftsinvestitionen wie Bildung und Forschung gesche-hen, dann hätten wir dafür vielleicht Verständnis aufge-bracht. Aber wir wissen so gut wie Sie: Das war nichtder Fall.Für die von den damaligen Regierungsparteien zuverantwortenden Schulden zahlen wir bis heute die Zin-sen. Auch wegen der damit verbundenen großen Zinslastkönnen wir heute nicht in dem Maße in Bildung und For-schung investieren, wie wir es gerne wollen. Wir müssenden Konsolidierungskurs der rot-grünen Koalition, derunter anderem darin besteht, strukturelle Reformen, ge-rade in den Sozialversicherungssystemen, vorzunehmen,
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Alexander Bondevorantreiben, weil nur so der Spielraum für Zukunftsin-vestitionen entsteht.Angesichts dieser Haushaltslage verwundert michauch das eine oder andere Agieren der Opposition. Zudieser Debatte liegen einige Änderungsanträge vor, dieMehrausgaben in Höhe mehrerer Hundert MillionenEuro vorsehen. Wir stellen dazu fest: In diesen Ände-rungsanträgen gibt es keine Vorschläge für eine Gegen-finanzierung.
– Jetzt werden Subventionskürzungen vorgeschlagen.Das hätten Sie einmal vorschlagen sollen, als es um dieAbschaffung der Eigenheimzulage ging.
Frau Pieper, die Hälfte der Mitglieder Ihrer Fraktion hatgegen diese Subventionskürzung demonstriert. Ange-sichts der heutigen wirtschaftlichen Lage wäre die Op-position gut beraten, nicht immer nur unerfüllbare Hoff-nungen zu wecken und Schaufensteranträge zu stellen,die Sie nicht einmal dann vorlegen würden, wenn SieRegierungsfraktionen wären. Ich finde, für diese Oppo-sitionsspielchen ist die Lage viel zu ernst.
Im Einzelplan 30 sind verschiedene inhaltlicheSchwerpunkte gesetzt. Der Kollege Schneider hat ei-nige erläutert. Außerdem wird der Kollege Fell ein paargrüne Highlights herausstellen.
Ich will betonen: Wir werden weiterhin in die Zu-kunft investieren. Wir werden dazu beitragen, dass imEinzelplan des Ministeriums weiterhin eine Schwer-punktsetzung erfolgt. Wir werden aber nicht demMotto „Mehr Geld bedeutet bessere Ergebnisse“ fol-gen, das die von Ihnen heute eingebrachten Ände-rungsanträge beinhalten. Auch Forschung muss sichder Evaluation stellen. Auch im Forschungsbereichmuss man über Fragen der Effizienz und der Schwer-punktsetzung reden. Das ist mit diesem Haushalt inverantwortlicher Weise geschehen. Trotz einer äu-ßerst schwierigen finanziellen Situation wurde für dasJahr 2003 in diesem Bereich „draufgesattelt“. Daswird auch in der Zukunft so sein.Mit dem, was Rot-Grün als Regierungskurs vorgelegthat, und mit dem, was der Kanzler bei seiner Rede amFreitag vorgegeben hat, sind wir auf einem guten Weg.Hören Sie mit der Schwarzmalerei auf! Unterstützen Sieuns auf dem Weg! Die Opposition ist gefordert, endlichkonstruktiv mitzuarbeiten.Vielen Dank.
Ich erteile der Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!Frau Bulmahn, was hatten Sie für günstige Bedingun-gen, als Sie 1998 das Amt übernommen haben?
Ihr Bildungs- und Forschungsetat wurde im Wesentli-chen von allgemeinen Haushaltskürzungen verschont.Zusätzlich erhielten Sie Gelder aus der Versteigerung derLizenzen. Sie konnten nahezu aus dem Vollen schöpfen.Was haben Sie daraus gemacht? Sie haben eine Flutvon Programmen aufgelegt und viel Geld in die Ressort-forschung gesteckt. Ihrer eigentlichen Aufgabe jedochsind Sie nicht gerecht geworden, nämlich in guten Zeitenden Forschungsstandort Deutschland für schlechte Zei-ten wetterfest zu machen – das Volumen Ihres Haushaltsliegt im Jahr 2003 unter dem von 2002; es wurde um41 Millionen Euro gekürzt –,
für eine echte Aufbruchstimmung zu sorgen, mit einer ge-zielten Förderung der Industrieforschung in den neuen Län-dern, zum Beispiel mit einer Stärkung der Grundlagenfor-schung, mit der Förderung des wissenschaftlichenNachwuchses, mit Leistungsanreizen für die Hochschulenund die Wissenschaft, mit einer Stärkung des ersten Arbeits-marktes und mit dem Abbau von Bürokratie. Wertschöp-fung hätte im Mittelpunkt Ihrer Politik stehen müssen.
Wir vermissen eine Vision. Wir vermissen die Bereit-schaft, neue Themen aufzugreifen und Chancen zu nut-zen. Der große Ruck vom letzten Freitag ist ein Geruckelund das ist auch Ihre Politik.
Die Mitglieder der Europäischen Union wollen biszum Jahr 2010 für Forschung und Entwicklung einenAnteil von 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt errei-chen. Diese Vorgabe sollte auch für Deutschland gelten.Andere Staaten leisten das, auch unter schwierigen Be-dingungen. In Japan zum Beispiel steigen trotz Spar-haushalts die staatlichen Investitionen für Wissenschaftund Forschung
um 3,9 Prozent auf 10,3 Milliarden Dollar. Großbritan-nien hat einen Rekordhaushalt für Wissenschaft und For-schung vorgelegt. Auch die USA investieren in die Zu-kunft.
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Katherina ReicheSie wollten die Investitionen in Bildung und Forschungjährlich um eine halbe Milliarde Euro erhöhen. Sie ha-ben sich weit aus dem Fenster gelehnt und sind jetzt hartauf dem Boden der Tatsachen gelandet.
Nach falschen Weichenstellungen steckt Ihr Haus nunin der Sackgasse. Keine Spur von Konzept oder Strin-genz! Sie spielen Forschungs- und Bildungspolitik ge-geneinander aus.
Sie opfern die Priorität „Forschungspolitik“ zweifelhaf-ten Ausgaben für angebliche Ganztagsschulen. Sie mes-sen Ihren Erfolg an der Anzahl von BAföG-Empfängern.650 000 BAföG-Empfänger im Jahr 2003 sind aber keinDurchbruch in der Hochschulpolitik, sondern Ausdruckdes Versagens in der Wirtschaftspolitik.
Die Menschen in Deutschland werden immer ärmer.
Frau Bulmahn, Sie haben das Kerngeschäft, die For-schung, vernachlässigt und sich in die Bildungspolitikgeflüchtet, dorthin, wo Sie keine Kompetenz haben.PISA hat die Schwächen von rot-grüner Bildungspolitikoffen gelegt.
Auch Niedersachsen zählt zu den bildungspolitischenSitzenbleibern. Und da kommen Sie aus Niedersachsendaher und wollen Baden-Württemberg und Sachsen er-klären, wie man Bildungspolitik macht! In Niedersach-sen Hausaufgaben nicht machen und dann festlegen wol-len, wie es in Deutschland nach PISA weitergeht, dasgeht schief und das machen wir nicht mit.
Die Antwort auf PISA
sind nicht mehr Ganztagsschulen. Die Antwort sind ver-bindliche Bildungsstandards, verbesserte Lehrerausbil-dung, Transparenz, Leistungsvergleich, Leistungsprinzipin einem gegliederten Schulsystem, Wettbewerb undQualität, all das, wogegen Sie sich jahrelang gewehrt ha-ben. Aber das ist nicht Ihre, sondern das ist originär Län-dersache, Frau Bulmahn.Um es ganz klar zu sagen: Natürlich brauchen wirmehr Betreuungsangebote für Sechs- bis Zwölfjährigeam Nachmittag.
Aber das hat mit PISA nichts zu tun.
Ihr Ansatz, Frau Bulmahn, löst keine Probleme, schafftdafür aber 1,5 Milliarden Euro zusätzlicher Belastungenfür Länder und Kommunen. Deshalb sagen wir: Beteili-gen Sie die Länder an der Umsatzsteuer, entlasten Siedie Kommunen, führen Sie das Konnexitätsprinzip wie-der ein und dann gibt es auch mehr Ganztagsangebote!
Auch beim Thema Lehrstellen und berufliche Bil-dung ist die Situation dramatisch. Von 711 000 Bewer-bern um einen Ausbildungsplatz schafften am Ende desBerufsberatungsjahres 2001/02 nur 342 700 den Sprungin eine reguläre Ausbildung – nicht einmal die Hälfte.Für 2003 fehlen 110 000 Lehrstellen, davon 80 000 imOsten. 80 000 in den neuen Ländern!
580 000 arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren im Fe-bruar 2003, das ist absoluter Rekord der Nachkriegszeitin Deutschland. Das ist ein Skandal.
Meine Damen und Herren, der Bericht zur technolo-gischen Leistungsfähigkeit unseres Landes bescheinigtRot-Grün, dass die Basis unseres Wohlstandes in eineSchieflage geraten ist. Im weltweiten Vergleich liegt diedeutsche Wirtschaft mit ihren Aufwendungen für Zu-kunftsinvestitionen mit 2,5 Prozent abgeschlagen aufPlatz sieben unter anderem hinter Schweden, Finnland,Japan und den USA.
Ein Grund für das Abrutschen sind die jahrelangen fal-schen Allokationen im Forschungsetat.
Auch der aktuelle Haushalt 2003 verspricht keineUmkehr. Es gibt keine Verlässlichkeit mehr; fragen Siedie Forschungsorganisationen. Es gibt keine Konstanz,kein Vorausschauen und keine Langfristigkeit. Sie be-treiben tagespolitischen Aktionismus. Noch vor der Bun-destagswahl hat der Bund mit den Ländern für die deut-schen Wissenschaftsorganisationen Aufwüchse von3,5 bzw. 3 Prozent vereinbart. Über Nacht und einseitigwurde das gekündigt. Den Forschungsorganisationenfehlen mittlerweile 75 Millionen Euro in ihren Etats. DasKanzlerversprechen für 2004 lautete, nun den Aufwuchszu schaffen. Ich frage mich: Wem soll man da noch glau-ben? Das sind leere Worte. Hier und jetzt hätte der Be-weis angetreten werden müssen.Die MPG wird 20 Institute schließen müssen und dieLeibniz-Gemeinschaft meldet, dass rund 200 Wissen-schaftlerstellen gefährdet sind, 80 Einrichtungen, vondenen ein Drittel in den neuen Ländern ist. Es gibt erst-mals Entlassungen bei der Leibniz-Gemeinschaft in denneuen Ländern.
Die Entscheidung des BMBF gegen eine deutsche Be-werbung für das Großforschungsprojekt ESS bedeuteteine weitere Schwächung für den ForschungsstandortDeutschland.
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2612 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Katherina Reiche
Am Beispiel der Biotechnologie werden die Schwä-chen besonders deutlich. Seit dem Gipfel von Barcelonawaren Sie aufgefordert, eine nationale Biotechnologie-strategie vorzulegen – bislang Fehlanzeige. Weite Berei-che in der Biotechnologie befinden sich in einer Phaseder Stagnation, zum Teil bis hin zur Existenzgefährdung.Wirtschaftliches, aber auch wertvolles wissenschaftli-ches Potenzial droht jetzt verloren zu gehen. Die grüneGentechnik wird gegen die rote ausgespielt und ausideologischen Gründen ausgebremst.Meine Damen und Herren, wir stehen im internatio-nalen Wettbewerb um die besten wissenschaftlichenTalente. Dazu müsste Deutschland den besten Köpfendie besten Arbeitsbedingungen und größtmöglichenFreiheiten zubilligen. Wir bräuchten mehr Flexibilität,mehr Wettbewerb, eine bessere Verknüpfung von Wis-senschaft und Wirtschaft, weniger Vorschriften und we-niger direkte Eingriffe. Aber Frau Bulmahn hat in denvergangenen Jahren den Forschungsstandort durch mehrFesseln gelähmt und die Zügel angezogen.
Das Professorenbesoldungsreformgesetz – das kön-nen Sie sich ruhig anhören, Herr Tauss – schreckt jungeWissenschaftler ab. Mit dem 5. Hochschulrahmen-gesetz haben Sie faktisch die Habilitation abgeschafft.Exzellenzforscher aus den Wissenschaftsorganisationenschauen jetzt in die Röhre. Wir setzen uns deshalb füreine rasche Novellierung ein.Die Klage der Länder Hamburg, Baden-Württemberg,Bayern und Sachsen vor dem Bundesverfassungsgerichtgegen die 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes un-terstützen wir.Ich sage Ihnen: Novellieren Sie das Hochschulrah-mengesetz! Machen Sie aus dem Korsett des HRG end-lich einen echten Rahmen und lassen Sie den Ländernund Hochschulen mehr Freiheit!
Die Antwort auf Ihre Politik bekamen Sie vor weni-gen Tagen: Alle 16 Länder wollen aus der gemeinsamenBildungsplanung der BLK aussteigen. Frau Bulmahn,Sie wurden in der Bildungspolitik vor die Tür gesetzt,und das zu Recht.
Auch Ihre politischen Freunde auf Länderebene wer-den rar. Der ehemalige niedersächsische Wissenschafts-minister Oppermann, SPD, nun von seiner Amtslastbefreit, hat Ihre Politik in seinem Abschiedsbrief sehrdeutlich kritisiert. Er fordert von Ihnen zu Recht einen„stärker interessenorientierten Blick“, damit For-schungs- und Wissenschaftsstrukturen profiliert werdenkönnen. Recht hat der Mann!
Der Bundeskanzler hat Ihnen, Frau Bulmahn, imHaushalt 2003 die Unterstützung versagt. Er zieht auchnoch den für Juni geplanten Bildungsgipfel an sich –eine weitere Deklassierung für Sie.Frau Bulmahn, ich sehe, dass Ihnen der Wind derzeitscharf ins Gesicht weht. Wie Sie die nächsten drei Re-gierungsjahre ohne Konzept und roten Faden überstehenwollen, bleibt uns ein Rätsel.
Ich erteile das Wort Bundesministerin Edelgard Bul-mahn.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Herren und Damen! ImJahre 1998 habe ich alles andere als eine gute Situationvorgefunden: einen Haushalt, der voll gegen die Wandgefahren war,
der über Jahre hinweg gekürzt worden war mit dem Er-gebnis, dass die notwendigen und dringendsten Aufga-ben nicht mehr erledigt werden konnten.
Ich habe über Jahre hinweg verschobene Reformen vor-gefunden, die nicht angepackt worden sind, weil Ihnendie Courage und der Mut fehlten.
In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen etwas sa-gen, Frau Reiche: Wenn Sie als forschungspolitischeSprecherin einer großen Fraktion äußern, für die Wissen-schaft sei ein Besoldungssystem für Professoren gut, dasdas Älterwerden honoriert, aber nicht die Leistung inLehre und Forschung, dann haben Sie Ihren Job verfehlt.
Mit dieser Position stehen Sie in Ihrer eigenen Fraktionziemlich allein da; denn alle Bundesländer, auch die vonder CDU regierten, haben unserem Vorschlag zuge-stimmt.
Das war nicht einfach. Sie haben sich für eine Decke-lung eingesetzt; die CDU-regierten Länder haben diesdann auch durchgesetzt. Aber wenn Sie die Tatsacheignorieren, dass wir in Wissenschaft und Forschung ein
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2613
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Bundesministerin Edelgard BulmahnBesoldungssystem brauchen, das Leistung in Lehre undForschung, nicht aber das Älterwerden honoriert, dannhaben Sie den Charakter von Bildung und Forschungnicht erkannt.
Diese Bundesregierung, meine sehr geehrten Herrenund Damen, hat seit 1998 neuen Schwung für Bildungund Forschung gebracht.
Dieses Land ist stark geworden, weil es über Jahrzehntehinweg auf das Können, auf die Kreativität und die Leis-tungsfähigkeit seiner Menschen gesetzt hat. Dieses Landwird nur dann stark bleiben, wenn seine Menschen, dieunser eigentliches Kapital sind, auch künftig in der Lagesind, Leistungen für sich selbst, für ihre Familien undauch für unsere Gesellschaft zu erbringen. Dies ist diepolitische Aufgabe, die es zu bewältigen gilt.
Die Voraussetzung dafür ist, dass Bildung und For-schung nicht ausgebremst werden, so wie das in den16 Jahren der CDU/CSU-FDP-Regierungsverantwor-tung Jahr für Jahr geschehen ist. Deutschland lebt vondem Können und Wissen der Menschen. Deshalb gehö-ren Bildung und Forschung in das Zentrum der Politik.Genau diesen Kurs haben wir seit 1998 konsequent ein-geschlagen.Meine Vorredner haben darauf hingewiesen: Unterdieser Bundesregierung sind die Mittel für Bildung undForschung seit 1998 um mehr als 25 Prozent gestiegen.Das war nicht einfach, denn wir haben parallel dazu denHaushalt konsolidiert. Gleichzeitig haben wir die not-wendigen strukturellen Änderungen in der Forschungdurchgeführt,
zum Beispiel die von Ihnen seit über 10 Jahren aufge-schobene Reform der HGF, die wir im Ausschuss fürForschung und Technologie – ich denke, ein bisschenKenntnis über diesen Bereich sollte man haben – seitAnfang der 90er-Jahre immer wieder gefordert hatten.Sie haben sie nicht angepackt; wir haben sie in sehrmühsamen Verhandlungen durchgesetzt und damit dasZiel erreicht, dass die größte deutsche Forschungsorga-nisation endlich ihre durchaus vorhandene Leistungsfä-higkeit entfalten kann.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, der Sach-verständigenbericht zur technologischen Leistungs-fähigkeit hat uns gerade erst bescheinigt, dass wir dieForschung in den letzten vier Jahren deutlich gestärkthaben und auch bei den Strukturveränderungen auf demrichtigen Weg sind. Deutschland ist heute zweitgrößterExporteur forschungsintensiver Waren und Güter. Unterden großen europäischen Ländern weist Deutschland diehöchste Dichte an innovativen Unternehmen auf. Wirsind weltweit führend auf dem Gebiet der Automobil-technik,
der optischen Technologien und in der Mobilfunktech-nik. In Europa sind wir in der Biotechnologie und imMaschinenbau an der Spitze; in der Biotechnologie sindwir endlich wieder an die Spitze gerückt.
Das neue BAföG hat vielen jungen Menschen dieEntscheidung für ein Studium ermöglicht und einen Runauf unsere Hochschulen ausgelöst. Das ist auch notwen-dig, denn alle vergleichbaren Industrieländer haben eineStudierendenquote von durchschnittlich 40 Prozent. InDeutschland lag die Quote 1998 bei 27,7 Prozent.
Jetzt liegt sie bei 35,6 Prozent.
Wenn Sie das als einen Misserfolg der Politik betrachten,dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland.Wenn man nicht begreift, dass Deutschland keine ein-same Insel ist und dass man nur im internationalenWettbewerb mit bestausgebildeten Menschen unserwirtschaftliches Wachstum und auch unsere wirtschaftli-che Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen kann,
dann liegt man wirklich falsch. Herr Austermann, wirhaben eine deutliche Zunahme der Studienanfängerzah-len gerade in den Naturwissenschaften zu verzeichnen,und zwar zwischen 18 und 25 Prozent.
Das sind die Bereiche, in denen wir dringend Nach-wuchs brauchen. Unter Ihrer Regierung ist der Anteil bisauf 13 Prozent heruntergegangen.
Sie müssen einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen undnicht lauter Vorurteile streuen, die jeglicher sachlichenBasis entbehren. Beschäftigen Sie sich mit den Fakten!Dann können Sie etwas zu diesem Thema sagen.
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2614 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Wir haben das Meister-BAföG reformiert.
Auch das ist eine ähnliche Erfolgsstory. Wir wollen, dassdie Jugendlichen sowohl an den Hochschulen als auch inder beruflichen Ausbildung ihre Chancen bekommen.Schon im Jahre der Reform waren es 16 000 Fachkräftemehr, die dieses neue Angebot zum beruflichen Aufstieggenutzt haben. Das zeigt: Die Reform war ein Erfolg.
Wir erneuern unser Land und setzen diesen Moderni-sierungskurs auch unter schwierigen wirtschaftlichenBedingungen konsequent fort. Das gilt auch dann, wennuns die notwendigen Schritte zur Haushaltskonsolidie-rung in diesem Jahr zu einigen – das sage ich ausdrück-lich – schmerzhaften Entscheidungen gezwungen haben.
Die hohen Zuwächse, die wir in den vergangenen Jah-ren in Bildung und Forschung realisiert haben, werdenwir auch in diesem Jahr fortschreiben. Die Vorredner ha-ben bereits darauf hingewiesen: Wir haben einen Haus-halt für Bildung und Forschung von insgesamt über9,1 Milliarden Euro. Wir haben deutlich akzentuierteSchwerpunkte gesetzt: in der Forschungsförderung inden neuen Bundesländern, aber auch in den für uns sowichtigen Technologiefeldern, wie zum Beispiel in derBiotechnologie und in der IuK-Technologie.Die Zukunft unseres Landes entscheidet sich auch inden Schulen und Hochschulen. Es ist völlig richtig,wenn hier gesagt wird, dass die Länder für die Schulenzuständig sind. Aber wir haben eine gemeinsame Verant-wortung für Bildung. Deshalb kommt es darauf an, dasswir uns nicht zurückziehen und sagen: Das geht uns allenichts an!, wenn wir feststellen müssen, dass die PISA-Studie auf gravierende Mängel hinweist. Wir müssengemeinsam dafür Sorge tragen, dass sich unser Bil-dungssystem schnell und zügig verbessert. Darum gehtes. Deshalb haben wir den Ländern das Angebot ge-macht, sie bei der Verbesserung des Bildungssystems zuunterstützen.Ich will ausdrücklich sagen, dass es ein bildungspoli-tischer Skandal ist,
wenn wir feststellen müssen, dass in unserem Land25 Prozent der Jugendlichen die Schule mit 15 Jahrenverlassen, ohne dass sie einfache Texte lesen können.Mich lässt das jedenfalls nicht kalt. Ich hoffe, dass esvielen in diesem Hause so geht.
Herr Austermann, mich lässt es auch nicht kalt – auchdas ist ein gesellschaftspolitischer Skandal –, dass inBayern, so der Leiter der PISA-Studie, der führendeWissenschaftler Herr Professor Baumert, ein Kind auseiner Arbeitnehmerfamilie bei gleichen fachlichen Leis-tungen eine viermal schlechtere Chance hat, das Abiturzu machen.
Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir unserBildungssystem insgesamt verbessern. Wer anfängt, daseine Bundesland gegen das andere auszuspielen, wirdder Aufgabe nicht gerecht.
Wir haben Mängel und Defizite in SPD-regierten undin CDU-regierten Bundesländern. Wir müssen die Män-gel und Defizite insgesamt beheben. Darum geht es.
Deshalb haben wir gesagt, dass wir mit anpacken. Wirwollen bundesweite Bildungsstandards. Wer da vonZentralismus redet, der hat bei aller Liebe – das muss ichganz offen sagen – den Text nicht verstanden und erfülltdie Anforderungen der PISA-Studie nicht.
„Nationale Bildungsstandards“ heißt nämlich, dass vonWissenschaftlern und Praktikern im Bereich des Unter-richts entwickelt wird, welche Kompetenz ein Kind min-destens haben muss und was die mittleren und die höchs-ten Standards sind.
Ich sage ausdrücklich – das habe ich von Anfang angesagt –: Wir brauchen regelmäßig bundesweite Leis-tungsvergleiche und auch Ganztagsschulen, damit un-sere Kinder endlich eine gute individuelle Förderung er-halten.
Denn wenn wir in den Schulen nicht zu besseren Ergeb-nissen kommen, werden wir nicht die Zahl an Naturwis-senschaftlern und Fachkräften haben, die wir brauchen.Das ist doch der Zusammenhang und deshalb geht unsdies etwas an.Zweiter Punkt. Wir wollen, dass jeder junge Menscheine Ausbildung erhält. Wir haben mit der Wirtschaft ei-nen Ausbildungskonsens festgeschrieben. Jeder Jugend-liche, der ausbildungswillig und ausbildungsfähig ist,
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Bundesministerin Edelgard Bulmahnsoll eine Lehrstelle bekommen. Die Bundesregierung hathier ihren Part erfüllt und wird ihn auch in diesem Jahrerfüllen. Wir haben zusammen mit den SozialpartnernBerufsbilder modernisiert und neue Berufe geschaffen.Wir stellen auch im Haushalt 2003 erhebliche Mittel be-reit, um allen jungen Menschen eine Chance auf Ausbil-dung und Arbeit zu eröffnen. Die Modernisierung derberuflichen Bildung werden wir auch in den kommendenJahren gezielt vorantreiben.Herr Präsident, ich sehe, dass jemand eine Zwischen-frage stellen möchte.
Frau Ministerin, Sie gestatten also ganz offenkundig
eine Zwischenfrage. Ich bedanke mich für das Entgegen-
kommen.
Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Ministerin, Sie sprachen gerade von Skandalen.Ich finde, ein Skandal ist die Ausbildungsplatzsitua-tion; Sie sind soeben darauf eingegangen. Ich möchteSie fragen: Wie passt es in die Zeit, wenn pro Jahr40 000 Unternehmen Insolvenz anmelden und der Bun-deskanzler von einer Ausbildungsplatzabgabe spricht?Glauben nicht auch Sie, dass die wirtschaftlichen Rah-menbedingungen dazu geführt haben, dass es bei uns ei-nen Lehrstellenmangel gibt?Frau Ministerin, Sie haben die Mittel für das Sonder-programm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätzegekürzt. Wir wollten das ändern; damit sind wir nichtdurchgekommen. Sie haben sich in der „LeipzigerVolkszeitung“ vom 31. Januar 2003 folgendermaßen zi-tieren lassen: Man werde Ausbildungsplätze schaffen,und zwar 14 000 statt 12 000, wie bisher geplant. Be-trachtet man den Haushalt, sieht man, dass es einenHaushaltsvorgriff geben soll, was nichts anderes heißt,als dass ab August diese 2 000 Jugendlichen zwar in dieBerufsschule gehen können, sie aber erst ab Dezember2003 bzw. Januar 2004 eine praktische Ausbildung er-halten werden. Ist das Ihr Ernst? Glauben Sie, das Ver-sprechen, das Sie gegeben haben, damit zu halten?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ihre Interpretation dieses Haushaltsvermerkes ist un-zutreffend. Wir finanzieren nämlich Ausbildungsplätzeim Rahmen eines Bund-Länder-Programmes in Zusam-menarbeit mit den neuen Bundesländern. Wir achtensehr stark darauf, dass die Ausbildungsmaßnahmen, diewir im Rahmen dieses Programmes durchführen, zu ei-nem Erfolg werden. Wir haben mit den Bundesländernklar vereinbart, dass wir damit den Anteil der Ausbil-dung in den Betrieben stärken. Deshalb ist Ihre Interpre-tation falsch und unzureichend. Wir haben ausdrücklichgesagt, dass wir, wenn sich die Ausbildungssituationschlecht entwickeln sollte, im Rahmen dieses Bund-Län-der-Programmes 14 000 Ausbildungsplätze finanzierenwerden. Das besagt dieser Vermerk.
Die Umsetzung dieses Ausbildungsprogrammes er-folgt durch die Bundesländer. Das ist von diesen aus-drücklich so gewünscht worden und das ist Bestandteilder Vereinbarung mit den neuen Bundesländern.
Das heißt, sie entscheiden, wo die Ausbildung stattfin-det, und wir drängen darauf, dass sie in Betrieben statt-findet. Das zum einen.
Zum anderen möchte ich ausdrücklich festhalten: DerBundeskanzler hat in seiner Rede am vergangenen Frei-tag eine ganze Reihe von entscheidenden Veränderungendargestellt,
die das wirtschaftliche Wachstum unterstützen sollenund werden. Zudem haben wir bereits eine ganze Reihevon Maßnahmen getroffen. Ich nenne die Mittelstands-initiative, die Gründerinitiative und die steuerlichen Er-leichterungen für Unternehmen,
die die Rahmenbedingungen für das wirtschaftlicheHandeln gerade kleiner und mittlerer Unternehmen ver-bessern.Deshalb erwarten wir von den Unternehmen, dass siein ihrem ureigensten Verantwortungsbereich, nämlichbei der Ausbildung und der Qualifizierung ihres Nach-wuchses, Verantwortung übernehmen und dafür Sorgetragen, dass mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung ste-hen.
Ich sage Ihnen ganz klar: Auf Dauer kann es nichtdabei bleiben, dass nur ein Drittel der Unternehmen aus-bildet. Ich habe heute Morgen an einer Diskussion mitVertretern sowohl der Wirtschaft als auch der Gewerk-schaften teilgenommen, in der ich ausdrücklich und klargesagt habe: Es kann nicht sein, dass sich Unternehmenihrer ureigensten Verantwortung entziehen, Ausbil-dungsplätze abbauen bzw. überhaupt nicht ausbilden.
Da sägen sie an einem Ast, auf dem sie selber sitzen.Deshalb ist es ihre ureigenste Verantwortung, die Zahlder Ausbildungsplätze zu erhöhen und für eine qualitativgute Ausbildung Sorge zu tragen. Wir tun das Unsrige.Ich habe darauf hingewiesen, dass wir die Ausbildungs-ordnungen modernisieren und verändern.
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2616 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Bundesministerin Edelgard BulmahnMeine Uhr ist die ganze Zeit weiter gelaufen. Ichbitte, das zu korrigieren.
Das überrascht mich ein bisschen, weil meine Uhr
nicht weiter gelaufen ist. Wir werden das aber so oder so
ordentlich hinbekommen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich habe auch angekündigt, dass wir zum Beispiel
Qualifikationsbausteine entwickeln, dass wir die Verord-
nungen wegfallen lassen, bei denen wir davon ausgehen,
dass sie entfallen können. Wir machen es also für Unter-
nehmen einfach und attraktiv, auszubilden, aber sie müs-
sen diese Verantwortung auch übernehmen.
Ich habe im Übrigen mit dem Wirtschaftsminister eine
Ausbildungsoffensive 2003 verabredet. Dazu gehören
die Schaffung von neuen Ausbildungsverbünden auch in
den alten Bundesländern, regionale Branchenkampagnen
zur Mobilisierung von Betrieben, die betriebsnähere
Ausgestaltung der öffentlichen Ausbildungsförderung
und, wie bereits gesagt, der Wegfall von Vorschriften, die
wir für entbehrlich halten.
Drittens. Wir wollen leistungsfähige Hochschulen,
die auch international als Ort exzellenter Ausbildung und
als Motoren des Fortschritts wahrgenommen werden. In
der letzten Legislaturperiode habe ich auf dem Weg da-
hin zwei wichtige Ziele erreicht. Durch die Änderung des
Dienstrechts ist es uns gelungen, dem wissenschaftlichen
Nachwuchs deutlich mehr Selbstständigkeit und interna-
tionale Ausrichtung zu geben und parallel dazu auch An-
reize für die Leistungssteigerung in Lehre und Forschung
zu schaffen. Mit Erfolg übrigens, denn 15 Prozent der
neu berufenen Juniorprofessoren kommen aus dem Aus-
land; bisher hatten wir einen Anteil von 5 Prozent. Das
zeigt, dass wir hier den richtigen Weg gegangen sind.
Wir haben gleichzeitig durch die Novellierung des
BAföG sichergestellt, dass die Antwort auf die Frage, ob
jemand studieren kann, eben nicht mehr vom Geldbeutel
der Eltern abhängt, sondern allein von der eigenen Leis-
tungsfähigkeit.
In den kommenden vier Jahren kommt es mir darauf
an, zu erreichen, dass noch mehr Studierende ihr Stu-
dium erfolgreich abschließen. Deshalb habe ich den Län-
dern einen Pakt für Hochschulen angeboten, mit dem
eine Verbesserung der Studienbedingungen, eine klare
Strukturierung des Studiums und eine bessere Studien-
beratung erreicht werden sollen. Es kommt darauf an,
dass wir mehr Transparenz durch ein umfassendes Hoch-
schulranking, eine strukturierte Förderung des wissen-
schaftlichen Nachwuchses und eine stärkere internatio-
nale Ausrichtung unserer Hochschulen erreichen. Das
sind die Schwerpunkte dieses Pakts für Hochschulen.
Viertens. Schließlich wollen wir durch Forschung
und Innovation unser wirtschaftliches Wachstum voran-
treiben und stärken und Wachstum und Beschäftigung
sichern. Forschung ist der Grundstein jedes neuen Pro-
duktes und jedes neuen Verfahrens. Deshalb haben wir
die Forschung seit 1998 systematisch gestärkt, auch die
institutionelle Forschungsförderung.
Mein Ministerium betreibt im Übrigen keine Ressort-
forschung, Frau Reiche. Wir haben ein einziges Institut,
das zur Ressortforschung gehört; sonst gibt es in meinem
Zuständigkeitsbereich keine Ressortforschung. Das zu
Ihrer Information.
Die Förderung der DFG zum Beispiel ist seit 1998 um
mehr als 25 Prozent gestiegen. Das war richtig und not-
wendig. Umso schmerzlicher ist es, dass wir in diesem
Jahr die Mittel für die Forschungsorganisationen bis auf
die Mittel für die DFG nicht erhöhen konnten. Wir wer-
den das bereits ab dem kommenden Jahr verändern und
die Etats aller großen Forschungsorganisationen wieder
um 3 Prozent erhöhen. Das hat der Bundeskanzler am
Freitag angekündigt und das werden wir auch machen.
Frau Ministerin, es wäre schön, wenn Sie bei der Ein-
haltung der verlängerten Redezeit etwas behilflich sein
könnten, sonst müssten wir das anderswo berücksichti-
gen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich glaube, bis jetzt ist meine Redezeit noch nicht ver-
längert. Ich hatte noch drei Minuten, als ich wieder ange-
fangen habe.
Einvernehmlich sind wir der Meinung, dass es so ist,wie ich es gerade vorgetragen habe.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Mit der Steigerung der Projektförderung um44 Prozent haben wir neue Plattformen für eine verbes-serte Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaftgeschaffen und damit dem Wissens- und Technologie-transfer in Deutschland neuen Schwung gegeben. Daswill ich auch noch einmal an einigen konkreten Beispie-len deutlich machen. Mir ist das deshalb so wichtig, weileine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und
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Bundesministerin Edelgard BulmahnWissenschaft – die wird gerade über die Projektförde-rung geleistet – eine der wichtigsten Voraussetzungenfür wirtschaftliches Wachstum ist. Ich bitte auch darum,einmal in den Haushalt zu gucken, statt hier einfach zuschwabulieren.
Bei einem Blick in den Haushalt stellt man fest, dasszum Beispiel im Bereich Gesundheit und Medizin dieForschungsförderung von 1998 bis 2003 von 84 Mil-lionen Euro auf 101 Millionen Euro gestiegen ist. ImBereich der molekularen Medizin ist sie von 33 Millio-nen Euro auf 42,7 Millionen Euro gestiegen. Im BereichBiotechnologie ist sie von 86 Millionen Euro auf109 Millionen Euro gestiegen. Im Bereich Informations-technik ist sie von 248 Millionen Euro auf 270 MillionenEuro gestiegen.Ich sage Ihnen ganz klar: Natürlich hätte ich als For-schungsministerin gerne noch höhere Steigerungsraten.Aber hier den Eindruck zu vermitteln, dass nichts ge-schehen sei, ist nun wirklich falsch und Ihrer nicht wür-dig.
Wir haben es gerade in den wichtigen Bereichen ge-schafft, die Forschungsförderung deutlich zu verstärken.Im Übrigen ist diese Förderung gerade den kleinen undmittleren Unternehmen zugute gekommen. Denn unterdieser sozialdemokratischen Forschungsministerin istder Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen an derForschungsförderung meines Hauses um fast 60 Prozentgestiegen.
Das hätten Sie nicht gedacht. Das hat eine Sozialdemo-kratin durchgesetzt und erreicht.Wenn Sie, Frau Reiche, sagen, dass das die falschenSchwerpunktsetzungen seien – neue Bundesländer: um90 Prozent erhöht, Biotechnologie: drastisch erhöht,IuK-Technologien: drastisch erhöht, Nanotechnologien:deutlich erhöht –, dann müssen Sie bitte die Schwer-punkte vorstellen, die Sie für richtig halten. Das gehörtzu Solidität und Ehrlichkeit dazu.
Wenn Sie das nicht können, dann muss ich Ihnen vor-werfen, dass Sie keinerlei Perspektive dessen haben, wo-rum es in Deutschland eigentlich geht und worin unsereAufgabe liegt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Christoph Hartmann,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Etatansatz von Rot-Grün und die dahinterstehende Politik sind genauso wenig stimmig wie dieRegierungserklärung, die der Kanzler hier am vergange-nen Freitag abgegeben hat.
Ich will nur ein paar Punkte herausgreifen.Es beginnt beim Hochschulbau. Sie kürzen um40 Millionen Euro. Das Paradoxe daran ist, dass die Stu-dierendenzahlen steigen und die Abbrecherquoten stei-gen, die Sie selbst als schlimm empfinden. ÜberfüllteHörsäle und schlechte Studienbedingungen sind an derTagesordnung. Sie kürzen die Investitionen in den Aus-bau und den Neubau der Hochschulen. Das passt nichtzusammen.
Der zweite Punkt ist das BAföG. Sie haben beimBAföG auf Drängen der FDP nachgebessert.
Aber auch diese nachgebesserten Zahlen werden nichtausreichen. Denn das Soll für dieses Jahr ist niedriger alsdas Ist des letzten Jahres. Da es mehr Arbeitslose in die-sem Land gibt, gibt es auch mehr Schüler und Studie-rende, die Anrecht auf BAföG haben, als Sie in IhremHaushalt zugrunde legen. Sie stellen sehenden Auges ei-nen Haushalt auf, der dem Kriterium der Haushaltsehr-lichkeit nicht entspricht.
Betrachten wir die Schwerpunkte, die Sie am Anfangder Legislaturperiode hier verkündet haben.Da waren zunächst die nationalen Bildungsstan-dards. Offen gestanden gibt es im Haushalt nicht einmaleinen eigenen Titel für die nationalen Bildungsstandards.Es mag ja sein, dass Sie das in dem Titel „strukturelle In-novationen in Bildung und Forschung“ verstecken. Aberder wurde von Ihren Haushältern zuerst gekürzt und istanschließend noch mit einer Haushaltssperre in Höhevon 10 Millionen Euro belegt worden. Bei dieser Finan-zierung ist wirklich nicht zu erkennen, dass Sie es mitden nationalen Bildungsstandards ernst meinen.
Zuletzt nenne ich die groß angekündigte Stiftung„Bildung und Erziehung“. Der erging es noch vielschlechter. Denn dieser Schwerpunkt war Ihrer Bundes-regierung weder einen eigenen Haushaltstitel noch eine
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2618 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Christoph Hartmann
andere Art der Finanzierung wert. Auch dieser Schwer-punkt, den Sie selbst gebracht haben, wurde also wiedereinkassiert.Diese Haushaltsdebatte zeigt uns:
Sie machen Versprechungen, die Sie nicht halten. Sie ha-ben Konzepte, die Sie nicht umsetzen können, und Siekönnen sich gegen Ihre eigenen Haushälter nicht durch-setzen. So führt uns diese Regierung nicht aus der Bil-dungskrise dieses Landes heraus.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Bildung und Forschung sind die Grundlagen unsererZukunft. Ich betone dabei: beide. Daher steigern wir dasVolumen des Etats für Bildung und Forschung auch indiesem Jahr wieder um circa 3 Prozent. Zugegeben, wirhaben in diesem Haushalt eine leichte Kürzung der For-schungsmittel vornehmen müssen.
Das ist aber kein schlechtes Omen. Das mussten wirauch 1999 tun. Dennoch konnten wir in der14. Wahlperiode insgesamt einen deutlichen Aufwuchserreichen. Das wird auch in der 15. Wahlperiode wiederso sein.
Dies ist eine Steigerung, die Sie, meine Damen und Her-ren von Union und FDP, in Ihren Regierungszeiten niegeschafft haben.Für den nächsten Haushalt werden wir uns wiederumeine Steigerung vornehmen, so hat es sogar der Kanzlerhier in seiner Regierungserklärung verkündet. In derletzten Zeit und sogar noch am letzten Freitag hier indiesem Hause wurde der Regierungskoalition vorgewor-fen, die Bildung auf Kosten der Forschung zu fördern.Das ist sachlich falsch. Mehr als das: Der dahinter ste-ckende Versuch, Bildung und Forschung gegeneinan-der auszuspielen, wie Sie, Frau Reiche, das auch heutewieder versucht haben, ist schädlich.
Es geht nicht um Ganztagsschule oder Max-Planck-Gesellschaft. Worum es in der Bildung geht, hat unsPISA deutlich gezeigt: Ein anders strukturierter undpraktizierter Unterricht zum Beispiel in den naturwissen-schaftlichen Fächern und der Mathematik vermitteltbreite und tiefe Kenntnisse und weckt Interesse undFreude.Wir als Bund haben nur eng begrenzte direkte Reak-tionsmöglichkeiten auf PISA. Mit unserem Ganztags-schulen-Investitionsprogramm wollen wir die Länderunterstützen, mit dem Aufbau oder Ausbau von Ganz-tagsangeboten zu beginnen. Das dort mögliche verlän-gerte Lernangebot sollte, so machen uns PISA, aber auchandere Untersuchungen klar, vor allem für sprachlicheFörderung genutzt werden.Auch der Verweis auf den direkten Zusammenhangzwischen Lernerfolg und Migrationshintergrund unter-schlägt oder verdeckt zumindest etwas: Es gibt inDeutschland noch immer den direkten Zusammenhangzwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg, und zwargerade in Bayern. Das sollte uns anspornen, unsereSchulen zu verbessern.Länder und Bund sollten deswegen an dem Beschlussfesthalten, gemeinsame Bildungsstandards zu entwickelnund sie von einer nationalen Agentur stetig überprüfenund weiterentwickeln zu lassen. Gerade weil schulischeund berufliche Bildung, Kindergärten und Graduierten-kollegs, Lehrerinnen- und Lehrerausbildung sowie Be-rufsbildungsgesetz zusammenhängen, sollten Länder undBund hier konstruktiv zusammenarbeiten: Wettbewerbder Länder und Bildungseinrichtungen ja, Eifersucht aberbitte nein. In Ihren Reden wird deutlich, dass Sie vielfachdie Länder gegeneinander ausspielen wollen.Es geht – das hat PISA uns allen gezeigt – um nichtweniger als unsere Zukunftsfähigkeit. Wir freuen unssehr, dass wir mit unserer BAföG-Reform schon einenwichtigen Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit getanhaben. Die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger istseit der Reform um 16 Prozent auf 650 000 im Jahr 2001gestiegen. Dieser Erfolg schlägt sich auch in der Erhö-hung der Haushaltsmittel nieder. Aber es bleibt weiterhinviel zu tun. So sind zum Beispiel die Aussichten, was amEnde eines Studiums stehen kann, noch verbesserungs-würdig. Die Reform der Studiengänge wird es vielenStudierenden erleichtern, sich für eine wissenschaftlicheKarriere zu entscheiden.Bündnis 90/Die Grünen haben für die Bedingungender Spitzenforschung in Deutschland zusammen mitdem Koalitionspartner SPD in den letzen Jahren einigesbewirkt. Das werden wir fortsetzten.
Viele Forschungsbereiche, gerade die naturwissen-schaftlich-technischen, haben jedoch auch Unterstützungaus der Wirtschaft verdient. Uns ist bewusst, dass hin-sichtlich der Bedingungen zur Realisierung und ökonomi-schen Nutzung von Entdeckungen und innovativen Ideeneiniges verbessert werden muss. Daran arbeiten wir.Wir haben in den vergangenen Jahren verschiedeneForschungsbereiche besonders unterstützt. Den Leitbil-dern unserer Politik entsprechend sind dies vor allem dieNachhaltigkeitsforschung, die Friedens- und Konflikt-forschung – diese stehen in der aktuellen Situation eines
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2619
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Hans-Josef Fellmöglichen Krieges im Blickpunkt –, aber auch die Ener-gie- und die Biotechnologieforschung.Ich möchte kurz herausgreifen, dass wir vomBündnis 90/Die Grünen die Enquete-Kommission zurBioethik begrüßen. Wir sehen darin eine Stärkung dernotwendigen ethischen Begleitung. Der gesamte For-schungsbereich der Biotechnologie umfasst aber vielmehr als nur Gentechnik. In Zukunft wollen wir auchgentechnikferne Biotechnologien wie etwa die Bionikverstärkt unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Haus hateine Entscheidung zur Embryonenforschung getroffen.Bündnis 90/Die Grünen wird sich dafür einsetzen, dassdiese auch eingehalten wird. Den Vorstellungen von For-schungskommissar Busquin, der die Stammzellenfor-schung mittels verbrauchender Embryonenforschung an-strebt, stellen wir uns entgegen.
In Übereinstimmung mit dem Wissenschaftsrat haltenwir von Bündnis 90/Die Grünen die Entscheidung zurESS – Frau Pieper, hören Sie zu – für überprüfenswert.Nach unserer Vorstellung von Grundlagenforschung sindForschungen zur Spallationsquelle klar zukunftsfähigerals die Never-Ending-Story der Kernfusion. Forschun-gen zur Kernfusion, zählen zur Grundlagenforschung, dasie in den kommenden 50 Jahren nicht zur Energiege-winnung beitragen wird. Wir werden uns, wie im Koali-tionsvertrag vereinbart, im Energieforschungsbereichstattdessen verstärkt für die erneuerbaren Energien unddie Energiespartechnologie einsetzen.
Meine Damen und Herren von der FDP und der Union,Sie haben mit den heute vorgelegten Änderungsanträgenwieder eine unrealistische und unsolide Finanzpolitik un-ter Beweis gestellt. Sie von der FDP fordern zum Beispieleine Erhöhung der Mittel um mehr als 150 MillionenEuro, ohne Vorschläge für eine Gegenfinanzierung vor-zulegen. Diese Änderungsanträge können wir nicht ak-zeptieren und müssen sie deswegen ablehnen.
Die hohe Wertigkeit von Bildung und Forschung fin-det sich im Haushalt 2003 wieder. Wir werden auch inden nächsten Jahren ihrer hohen gesellschaftlichen Prio-rität gerecht werden.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Mayer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rot-Grünist vor fünf Jahren mit dem sehr hohen Anspruch ange-treten, die Ausgaben für Bildung und Forschung zu ver-doppeln. Davon ist schon lange keine Rede mehr. Im Ge-genteil: Wir haben sogar eine Stagnation zu verzeichnen.Frau Ministerin, ein Blick in den Haushalt zeigt, dass Sienicht 9 Milliarden Euro, sondern nur 8,3 Milliarden Eurozur Verfügung haben. Das ist weniger als im vorigenJahr.
Der Forschungshaushalt dient als Steinbruch für dasPrestigeprojekt des Bundeskanzlers, nämlich die Förde-rung der Ganztagsschulen. Wir wollen nicht die Bil-dung gegen die Forschung ausspielen,
aber Sie müssen erkennen, dass das Projekt der Ganz-tagsschulen bildungspolitisch fragwürdig ist. Zum Ers-ten gibt es nirgendwo einen Beweis, dass die Ganztags-schulen in Bezug auf den Lernerfolg besser sind als dieHalbtagsschulen.
Zum Zweiten ist dieses Projekt sozialpolitisch unausge-wogen, weil es auch die Eltern, die ihre Kinder selbst be-treuen, über die Steuern an der Finanzierung beteiligt,ohne dass diese davon einen Nutzen haben. Dieses Pro-jekt ist zum Dritten finanzpolitisch zu kurz gesprungen,weil es die Kommunen zu Investitionen anreizt. Diedann erforderliche Finanzierung des Unterhalts ist abernicht gesichert.
Eine Ganztagsbetreuung muss auf andere Weise gesi-chert werden.
Ich will darauf hinweisen, weil hier etwas anderesbehauptet wurde: Die unionsgeführten Bundesländer– Bayern hat beispielsweise keine Ganztagsschulen,bietet aber eine gezielte Ganztagsbetreuung –
schneiden bei PISA besser ab als viele SPD-geführteBundesländer.
Für dieses fragwürdige Prestigeprojekt wird die For-schung finanziell gerupft.
Beispielsweise werden die Mittel für die nationale Welt-raumforschung gegenüber dem Vorjahr zurückgefahren.Die Kürzungen werden zum Teil verschleiert. Dazu hat derKollege Willsch schon einiges gesagt. Infolge der Kürzun-gen bei den nationalen Raumfahrtmitteln wird Deutsch-land auf einem wichtigen Gebiet der physikalischenGrundlagenforschung und bei der Hochtechnologie in
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2620 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Dr. Martin Mayer
Zukunft nicht mehr mithalten können. In der Raumfahrtund Weltraumforschung werden zwar viele, ja, die meis-ten Projekte europäisch – und auch international – orga-nisiert, aber bei diesen europäischen Projekten kann nurmithalten, wer sich national die Kompetenz erarbeitet.Nur dann wird er interessante Anteile und Führungskom-petenzen in europäischen Projekten erhalten.
Statt die Mittel zu erhöhen – das ist dringend notwendig –,werden der Weltraumforschung mit diesem Haushalt rund40 Millionen Euro entzogen.
Gleiches gilt für einen anderen wichtigen Forschungs-bereich, die Kernfusion. Herr Fell, seit etwas mehr alsvier Jahrzehnten arbeiten auf der ganzen Welt Wissen-schaftler an dem Ziel, die Kernverschmelzung, die in derSonne natürlich abläuft, auf der Erde nachzuvollziehenund daraus elektrische Energie zu erzeugen. Deutschlandspielt bei diesem Vorhaben eine führende Rolle.
Nun geht es darum, den Fusionsreaktor ITER in interna-tionaler Zusammenarbeit zu bauen und damit die physi-kalische Machbarkeit eines Energie produzierendenPlasmas zu beweisen.
Die Möglichkeit, durch Kernfusion elektrischenStrom zu erzeugen, wird immer greifbarer. Das zeigtsich im Übrigen auch daran, dass sich die USA erneutund China neu daran beteiligen wollen. Es ist unerklär-lich, warum die Grünen die Fusionsforschung inDeutschland jetzt, da sich der Erfolg abzeichnet und siezu einer umweltfreundlichen und sicheren Energieerzeu-gung führen wird, zurückfahren wollen.
Man fragt sich, was hinter dieser irrationalen Haltungsteckt.
Meine Antwort lautet: Die Grünen und Teile der SPD ha-ben ein gestörtes Verhältnis zu bestimmten Lebensrisiken.
Unabhängig von den Gefahren und Risiken, die tatsäch-lich von jeder Technik ausgehen, verteufeln sie alles,was mit Radioaktivität zu tun hat.
Die ideologische Festlegung der Grünen gegen alles,was mit Kerntechnik zu tun hat, führt auch zu ihrer ableh-nenden Haltung gegenüber der Neutronenquelle für For-schungszwecke, dem Forschungsreaktor München. HerrFell, das haben Sie wohl mit der Fusion verwechselt.
Diese Gegnerschaft, die durch keinerlei Fakten zu unter-legen ist, kann man nur noch als absurd bezeichnen.
Die Verzögerung bei der Betriebserlaubnis, die dieseBundesregierung zu verantworten hat, führt zu großenSchäden für Deutschland. Es fallen Kosten für Unterhaltund Verzinsung an. Noch viel schlimmer ist aber, dassimmer mehr Wissenschaftler nicht mehr auf die Geneh-migung warten wollen, sondern ins Ausland abwandern.Sie verkünden in Frankreich, Großbritannien und denUSA die Botschaft von einem WissenschaftsstandortDeutschland, an dem man nicht mehr mit Sicherheit mitder Genehmigung und damit rechnen kann, dass man un-gestört seiner Forschung nachgehen kann.
Sie können noch so viele Programme für die Rück-kehr von Forschern nach Deutschland auflegen: WennSie diese Dinge nicht beseitigen, werden die Forschernicht zurückkommen. Denn wer will schon in einemLand arbeiten, in dem viele Forschungsbereiche nicht ra-tional, sondern nach Stimmungslage beurteilt werden?Dies belegt auch eine Studie des Stifterverbandes derDeutschen Wissenschaft.
Ein weiteres Beispiel für das irrationale Verhalten vonRot-Grün ist die Behinderung der Forschung zur gen-technischen Veränderung von Pflanzen, der grünen Gen-technik. Wohlgemerkt geht es hierbei nicht um die An-wendung, sondern um die Forschung, die auch dieSicherheitsforschung einschließt.Gefahr droht dem deutschen Wissenschafts- und For-schungsstandort auch aufgrund der Änderungen desHochschulrahmengesetzes. Das ist bereits mehrfachangesprochen worden. Ich finde: Das Schlimmste an derNovellierung dieses Hochschulrahmengesetzes ist dieDeckelung der Gehälter von Hochschullehrern, an derim Übrigen leider auch einige unionsgeführte Länder be-teiligt waren. Aber die Hauptverantwortung tragen Sie.Diese Deckelung wirkt sich katastrophal aus, weil damitDurchschnittsgehälter festgeschrieben werden. Dasheißt, wenn ich einen Spitzenforscher besser bezahlenwill, muss ich anderen das Gehalt kürzen. Das ist derWeg ins Mittelmaß. Diesen sollten wir in Deutschlandnicht gehen.
Man kann im Übrigen nur hoffen, dass die Klagen derLänder Erfolg haben werden und diese Vorschriftennicht in Kraft treten.Rot-Grün hat in der Bildungs- und Forschungspolitikhohe Erwartungen geweckt. Die Hoffnungen haben sichallerdings nicht erfüllt. Im Gegenteil: Durch einseitigeideologische Festlegungen wurde der deutschen For-schung schwerer Schaden zugefügt. Wir möchten, dassDeutschland als Wissenschafts- und Forschungsstandortweiterhin eine Spitzenstellung einnimmt. Das gilt auchfür die Weltraumforschung, die Kernfusionsforschung,die Neutronenforschung und die grüne Gentechnik. Es
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Dr. Martin Mayer
geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, die wirim Interesse künftiger Generationen erhalten und aus-bauen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Tauss, SPD-Frak-
tion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es herrscht einegewisse Unruhe im Saal; ich kann das verstehen: LieberHerr Kollege Mayer, Ihr Antrag im Bundesrat war es,der dazu geführt hat, dass gedeckelt worden ist. KeinWunder, dass bei Ihnen immer Verzweiflung herrscht,nachdem Herr Stoiber geredet hat. Mit den daraus fol-genden Widersprüchen müssen Sie fertig werden.
Lieber Kollege Dr. Mayer, beim Thema Ganztags-schulen war es Herr Zehetmair, der beim Forum Bildungein Bekenntnis zur Ganztagsschule abgegeben
und darauf verwiesen hat, dass das gute Abschneiden beiPISA in anderen europäischen Ländern etwas mit Be-treuung und Ganztagsschule zu tun hat. Einigen Sie sichdoch wenigstens in der CSU, wenn Sie sich schon nichtin der Fraktion einigen können!
Angesichts der im Raume stehenden Kriegsgefahrfällt es schon schwer, in gewohnter Form auf Ihre klein-karierten Nörgeleien einzugehen. Aber das ist einfachnotwendig.
Richtig ist – und das tut weh –: Wir haben in diesem Jahrauch im Einzelplan 30 einen Konsolidierungsbeitragzum Haushalt zu erbringen. Wir haben es mit einerschwierigen Gemengelage zu tun. Aber was Sie hier be-schreiben, hat mit der Realität relativ wenig zu tun. Viel-mehr ist es so, dass Sie im Bundesrat den Subventions-abbau verhindert haben, den Staat mit Ihrer Steuerpolitikhandlungsunfähig machen wollen und gleichzeitig neueEinnahmeforderungen stellen. Eine andere Antwort ha-ben Sie nicht.
Herr Kollege Hartmann, Ihre beim Hochschulbauhinterlassenen Schulden führen wir ein bisschen langsa-mer zurück. Entsprechende Kürzungen haben wir in die-sem Haushalt vorgenommen. Aber es ist nicht so, dassan den Universitäten deswegen ein einziges Projekt zu-rückgestellt werden müsste. Ich habe die herzliche Bitte:Korrigieren Sie sich in diesem Punkt!Es ist keine Frage, dass die Überrollung derWissenschaftsorganisationen eine schwierige Situationdarstellt. Vor allem bei der Nachwuchsförderung wäredies problematisch gewesen, wenn wir hier nicht gehan-delt hätten: Im Gegensatz zu dem, was Herr Merz erzählthat, ist es so, dass wir die Mittel für die DFG um 2,5 Pro-zent bzw. um mehr als 17 Millionen Euro erhöht haben.Damit wird der Nachwuchs gefördert. Trotz der Überrol-lung tun wir das, was Sie in der Vergangenheit nicht zu-stande gebracht haben.
Bei dem, was Sie zur Projektförderung erzählen,vergießen Sie auch noch Krokodilstränen, sodass manmeinen könnte, es sei wahr. Deswegen müssen wir hierschon ein bisschen über Zahlen reden, insbesondere zurEntwicklung zwischen 1994 und 1998: beim Max-Planck-Institut minus 27 Prozent, bei der FhG minus42 Prozent, bei der HGF minus 29,9 Prozent. Diese Kür-zungen haben Sie zu verantworten. Jetzt die Vergleichs-zahlen für den Zeitraum von 1998 bis 2002: beim Max-Planck-Institut plus 52,7 Prozent, bei der FhG plus129,2 Prozent, bei der HGF plus 48,8 Prozent. Wohernehmen Sie eigentlich die Chuzpe, unsere „Kürzungen“zu beklagen? Das ist eine Unverschämtheit! Sie versu-chen, die Menschen zu belügen. Etwas anderes könnenSie nicht, aber das können Sie in der Tat relativ gut.
–Ja, die Wahrheit tut weh.Liebe Frau Reiche, jetzt komme ich auf Sie zu spre-chen. Im Jahr 1998 lagen die Ausgaben im BereichBiotechnologie bei 86 Millionen Euro, heute bei109,8 Millionen Euro. Wie kommen Sie eigentlich aufdie Idee, uns auch nur ansatzweise vorwerfen zu können,dass wir nicht genug für die Biotechnologie täten? Dasist ja schon eine Form von – – Ich möchte es nicht aus-sprechen, der Herr Präsident würde mich rügen.
Hören Sie einfach auf, die Menschen zu täuschen!Meine sehr verehrten Damen und Herren, Überrol-lungen sind selbstverständlich nicht schön. Ich bedau-ere etwas, dass Frau Flach heute nicht anwesend seinkann. Sie nämlich hat eingeräumt, dass es ein Fehlerwar, in Ihrer Regierungszeit die Kürzungen, die ich be-schrieben habe, vorzunehmen. Diese Ehrlichkeit undAufrichtigkeit, die Frau Flach wenigstens in diesemPunkt an den Tag legt, täte auch Ihnen gut. Wenn dochauch Sie diese nur ein einziges Mal aufbringen würden!Doch Sie wollen die Menschen beschwindeln. Das istdas Problem.
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Jörg TaussSie haben doch einen CDU-Wirtschaftsrat. Wannsprechen Sie denn mit den Herren der Wirtschaft einmalüber die Fragen von Ausbildungsplätzen und For-schung? Da erlaubt sich Herr Rogowski, einen Brief anden Kanzler zu schreiben, in dem er kritisiert, dass dieAufwüchse im Forschungsbereich nicht ausreichendseien.
Ich kann dazu nur sagen: Eines unserer Probleme ist derRückzug der Großindustrie – wenn auch nicht der ge-samten – aus der Forschung.
Das Ziel eines dreiprozentigen Anteils der FuE-Ausga-ben am Bruttoinlandsprodukt haben wir deshalb nochlange nicht erreicht, weil die Industrie ihren Aufgabennicht nachkommt. Befassen Sie sich mit Ihrer Klientel,anstatt nur zu erzählen, dass dies eine staatliche Aufgabesei.
Der Bereich Forschung und Technologie ist auch eineAufgabe der Wirtschaft; genauso wie es ihre Aufgabeist, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Diese Aufgaben können Sie nicht auf uns verlagern. Dassollten Sie auch Ihrer Klientel, die Sie mit hohen Spen-den unterstützt, deutlich machen.Nun sage ich noch etwas zur gemeinsamen Bildungs-planung. Dies ist ein interessanter Punkt. Demnächstwerden wir Herrn Zehetmair dazu hören.
Herr Kollege Tauss, ich möchte Sie bitten, die Groß-
zügigkeit in der Bemessung der effektiven Redezeit
freundlicherweise durch eine gewisse Großzügigkeit in
der Einhaltung derselben zu begleiten. Das würde die
Geschäftsführung sehr erleichtern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihren Hinweis
und auch für Ihre Großzügigkeit.
Deswegen komme ich zum Schluss und stelle nur
noch folgende Fragen – vielleicht können Sie uns ja
einmal sagen, was die CDU-geführten Länder wollen –:
Wollen Sie die Kürzung der Projekte bei Innovationen
im Bildungssystem? Wollen Sie die Kürzung der Pro-
jekte im Bereich der Qualitätssicherung? Wie wollen
Sie es künftig mit den Hochschulsonderprogrammen
halten?
Wir als Bund wollen – die Ministerin hat es angespro-
chen – zusammen mit den Ländern, selbstverständlich
unter Wahrung ihrer verfassungsgemäßen Rechte, Mit-
verantwortung übernehmen und solidarisch sein. Es geht
hier nicht um kleinkariertes Geschwätz, es geht um die
Kinder und Jugendlichen dieses Landes, für die wir et-
was tun wollen.
Hören Sie auf, destruktiv Vereinbarungen aufzukündi-
gen, arbeiten Sie mit uns zusammen! Das wollen die
Leute – nicht aber Ihre Obstruktion.
Herr Präsident, ich bedanke mich.
Letzter Redner in der Aussprache zum Einzelplan 30
ist der Kollege Thomas Rachel für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Meine Herren!Die Sonntagsreden der Bundesregierung sind schonschlimm, aber die Dienstagsrede von Herrn Tauss warnoch schlimmer.
Deutschland fällt in seiner Wettbewerbsfähigkeit zu-rück. Dies hat der jüngste Bericht zur technologischenLeistungsfähigkeit dokumentiert. Der Anteil der Ge-samtausgaben für den Bereich FuE am Bruttoinlandspro-dukt beträgt nur 2,5 Prozent, obwohl die Bundesregie-rung in der EU 3 Prozent versprochen hat.
Im Vergleich der zwölf wichtigsten Industrieländer sindwir in den letzten zehn Jahren im Bereich Bildung undForschung um einen Rangplatz zurückgefallen und wirdrohen weiter ins Hintertreffen zu geraten. Dies ist einealarmierende Bilanz.
Die Bildungspolitik der rot-grünen Bundesregierunghat teilweise chaotische Zustände hinterlassen. Die Ha-bilitanden an den Universitäten sehen sich um ihre Zu-kunftschancen gebracht. An den Hochschulen stößt nichtdie Juniorprofessur generell auf Kritik, aber ihr Monopolals Qualifizierungsweg auf Unverständnis und Wider-stand.
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Thomas RachelFrau Bulmahn, deshalb fordere ich Sie auf: Lassen Siedie Juniorprofessur und das Habilitationsverfahrendurch eine HRG-Änderung als gleichberechtigten Quali-fizierungsweg in einem gesunden Wettbewerb koexistie-ren.Vollkommen verfehlt ist auch die Befristungsregelungin der HRG-Novelle. Die Begrenzung auf zwölf JahreBeschäftigung in der Qualifizierungsphase führt dazu,dass hoch qualifizierte 40-Jährige arbeitslos werden –dank Ihrer Politik!
Verheerend wirkt sich Ihre Politik für Wissenschaftlerin drittmittelfinanzierten Projekten aus. Aufgrund dervon Ihnen geschaffenen neuen Rechtslage stellen dieUniversitäten keine Mitarbeiter mehr für Drittmittel-projekte ein. Die Folgen sind absurd: Geld aus Drittmit-teln ist vorhanden, aber die Wissenschaftler werdennicht mehr eingestellt; sie stehen vor dem plötzlichenEnde ihrer Karriere. Das ist Forschungsverhinderungund nicht Forschungsförderung.
Sie haben die Zusage des Bundes und der16 Bundesländer, den Haushalt der Wissenschaftsorgani-sationen um bis zu 3,5 Prozent zu erhöhen, nach derWahl einseitig gebrochen.
Herr Kollege Rachel, Sie gestatten offenkundig eine
Zwischenfrage des Kollegen Fischer? – Bitte schön.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Kollege Rachel, der Kollege
Willsch hat vorhin darauf hingewiesen, was beim Jahres-
empfang des Forschungszentrums Karlsruhe los war. Er
hat auch die Zettel, die dort von den Mitarbeitern verteilt
wurden, angesprochen. Darin steht unter anderem: „Dar-
über hinaus wird dem Forschungszentrum Karlsruhe ein
Sonderopfer von 11 Millionen Euro auferlegt.“
Dieses zusätzliche Sonderopfer entspricht etwa 30 Pro-
zent der für die Forschung und Entwicklung direkt ver-
fügbaren Mittel.
Meine Frage an Sie, Herr Rachel: Haben Sie weitere
Beispiele, die zeigen, dass von der Bundesregierung ka-
tastrophal gekürzt wurde?
Herr Kollege Fischer, interessant ist, dass die Sorgen,die uns die Betriebsräte diese Woche im Forschungsaus-schuss des Bundestages am Beispiel von Karlsruhe vor-getragen haben, die SPD-Kollegen offensichtlich über-haupt nicht interessiert.Ich will Ihnen andere Beispiele nennen. Die Kürzun-gen, die Sie vorgenommen haben, bzw. die Nichteinhal-tung der zugesagten Erhöhungen, führen dazu, dass beider Max-Planck-Gesellschaft 20 Abteilungen geschlos-sen und dass in anderen Forschungsorganisationen mas-sive Kürzungen vorgenommen werden.Am Forschungszentrum Jülich gibt es große Kür-zungen – 7,6 Millionen Euro beim Investitionshaushalt –;
dies ist ein ungerechtes Sonderopfer wie in Karlsruhe.Millionen Euro für das dortige Höchstleistungsrechen-zentrum entfallen. Eine Vielzahl von Maßnahmen kön-nen nicht durchgeführt werden, mit folgenden Konse-quenzen – dies haben uns die Betriebsräte vorgetragen –:Verschiebung der Investitionsvorhaben, Stellensperren,weniger Stellen für Nachwuchswissenschaftler, Koope-rationen mit Hochschulen werden eingestellt oder in-frage gestellt, Doktorandenverträge werden nicht verlän-gert.Die Anzahl der Ausbildungsplätze wird nicht nur beiIhnen in Karlsruhe, sondern auch an allen anderen Ein-richtungen der Helmholtz-Gemeinschaft reduziert. Dasist die Auswirkung rot-grüner Forschungspolitik imJahr 2003.
Sie, Frau Ministerin Bulmahn – es wäre schön, wennSie dem Parlament Ihr Ohr schenken würden –, habenbei der Einführung der programmorientierten Förde-rung der Helmholtz-Gemeinschaft mehr Geld verspro-chen. Stattdessen verordnen Sie den großen For-schungszentren nun Sonderopfer und Nettokürzungen.Diese Woche haben die Arbeitnehmervertreter dazu ge-sagt, dies sei „Systembruch und Wortbruch“. Recht ha-ben sie.
Ihre Politik des gebrochenen Wortes bei der Fi-nanzierung der Wissenschaftsorganisationen schadetdem Forschungsstandort Deutschland. Aber auch IhreBehinderung der Forschung schadet dem Innovati-onsklima. So hat die Internationale Atomenergie-organisation der UNO das ForschungszentrumKarlsruhe gebeten, einen Fachmann in den Arbeits-kreis „Sicherheit künftiger Generationen von Reak-torsystemen“ zu entsenden. Die Bundesregierung istes gewesen, die untersagt hat, dass ein deutscherWissenschaftler an diesem UNO-Gremium teilneh-men darf. Damit wird Deutschland bei den neuenKernkraftkonzepten der anliegenden europäischen
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2624 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Thomas RachelHerzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 30 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Ände-
rungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/625 ab.
Hierzu hat die CDU/CSU-Fraktion namentliche Abstim-
mung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an
den Abstimmungsurnen besetzt? – Das scheint der Fall
zu sein. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? – Ich habe den Eindruck,
dass alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen Gele-
genheit hatten, ihre Stimmkarten abzugeben. Dann
schließe ich hiermit die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung geben wir später bekannt1). Zunächst setzen wir
die Abstimmungen fort.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/628. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? –
Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/626:
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer möchte sich der Stimme enthalten? – Auch dieser
Änderungsantrag hat keine Mehrheit.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/631:
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich der Stimme? – Der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 16/632:
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt gegen diesen Antrag? –
Wer möchte sich der Stimme enthalten? – Der Antrag
hat keine Mehrheit.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/633:
Wer ist für den Antrag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/634:
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Auch dieser Antrag hat keine Mehr-
heit und ist damit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, da wir vor der Abstim-
mung über den Einzelplan 30 das Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung zum Änderungsantrag der CDU/
CSU-Fraktion kennen müssen, unterbreche ich für ei-
nen Augenblick die Sitzung, bis uns dieses Ergebnis
vorliegt.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-mung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/625 bekannt. AbgegebeneStimmen 559. Mit Ja haben gestimmt 263, mit Nein ha-ben gestimmt 294, Enthaltungen 2. Damit ist der Ände-rungsantrag abgelehnt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2625
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Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Peter GauweilerDr. Jürgen GehbNorbert GeisRoland GewaltEberhard GiengerGeorg GirischMichael GlosRalf GöbelDr. Reinhard GöhnerTanja GönnerJosef GöppelDr. Wolfgang GötzerUte GranoldKurt-Dieter GrillReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundKarl-Theodor Frhr. von undzu GuttenbergOlav GuttingHolger-Heinrich HaibachGerda HasselfeldtKlaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenSiegfried HeliasUda Carmen Freia HellerJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumJoachim HörsterKlaus HofbauerMartin HohmannHubert HüppeSusanne JaffkeDr. Dieter Peter JahrDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiBernhard Nikolaus Kaster
Volker KauderGerlinde KaupaEckart von KlaedenJulia KlöcknerKristina KöhlerNorbert KönigshofenManfred KolbeHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausMichael KretschmerGünther KrichbaumGünter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertBarbara LanzingerKarl-Josef LaumannWerner LensingUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael LutherDorothee MantelErwin Marschewski
Stephan Mayer
Conny Mayer
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzLaurenz Meyer
Doris Meyer
Maria MichalkHans MichelbachKlaus MinkelMarlene MortlerStefan Müller
Bernward Müller
Dr. Gerd MüllerHildegard MüllerBernd Neumann
Michaela NollClaudia NolteGünter NookeDr. Georg NüßleinFranz ObermeierMelanie OßwaldEduard OswaldRita PawelskiDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzDaniela RaabThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore RoedelDr. Norbert RöttgenFranz-Xaver RomerDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Christian RuckVolker RüheAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteAndreas ScheuerGeorg SchirmbeckBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Andreas Schmidt
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerHorst SeehoferKurt SegnerMatthias SehlingMarion SeibHeinz SeiffertBernd SiebertThomas SilberhornJens SpahnErika SteinbachChristian von StettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Antje TillmannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAngelika VolquartzAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarko WanderwitzPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschMatthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerFDPDaniel Bahr
Rainer BrüderleHelga DaubOtto FrickeHorst Friedrich
Rainer FunkeJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Christel Happach-KasanChristoph Georg Hartmann
Klaus HauptUlrich HeinrichDr. Werner HoyerDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinHarald LeibrechtIna Lenke
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2626 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertSabine Leutheusser-SchnarrenbergerMarkus LöningDirk NiebelGünther Friedrich NoltingDetlef ParrCornelia PieperGisela PiltzDr. Andreas PinkwartDr. Günter RexrodtMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Rainer StinnerDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinNeinSPDDr. Lale AkgünGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierSabine BätzingErnst Bahr
Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Sören BartolUwe Karl BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigGerd Friedrich BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannMarco BülowDr. Michael BürschHans Büttner
Edelgard BulmahnUlla BurchardtMarion Caspers-MerkDr. Herta Däubler-GmelinDr. Peter Wilhelm DanckertKarl DillerMartin DörmannPeter DreßenDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelMarga ElserGernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagLilo Friedrich
Iris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßMonika HeubaumGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerBrunhilde IrberJann-Peter JanssenKlaus-Werner JonasJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h.c. Susanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerAstrid KlugDr. Heinz KöhlerFritz Rudolf KörperWalter KolbowKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerDr. Hans-Ulrich KrügerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelDr. Uwe KüsterUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Christine LehderWaltraud LehnDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGabriele Lösekrug-MöllerGötz-Peter LohmannErika LotzDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkCaren MarksChristoph MatschieHilde MattheisMarkus MeckelUlrike MehlPetra-Eveline MerkelUlrike MertenAngelika MertensUrsula MoggMichael Müller
Christian Müller
Franz MünteferingDr. Rolf MützenichGesine MulthauptVolker Neumann
Dietmar NietanDr. Erika OberHolger OrtelHeinrich PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeKarin Rehbock-ZureichGerold ReichenbachChristel Riemann-HanewinckelWalter RiesterReinhold RobbeRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Gerhard RübenkönigOrtwin RundeMarlene Rupprecht
Thomas SauerAnton SchaafAxel Schäfer
Gudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Heinz Schmitt
Carsten SchneiderWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserOlaf ScholzWilfried SchreckOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterBrigitte Schulte
Reinhard Schultz
Swen Schulz
Dr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesHans-Jürgen UhlRüdiger VeitJörg VogelsängerUte Vogt
Dr. Eva Marlies VolkmerHans Georg WagnerHedi WegenerAndreas WeigelReinhard Weis
Petra WeisMatthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendLydia WestrichDr. Margrit WetzelAndrea WickleinJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenWaltraud Wolff
Heidi WrightUta ZapfManfred Helmut ZöllmerDr. Christoph Zöpel
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2627
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Vizepräsident Dr. Norbert Lammertund des Bündnisses 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so ver-fahren.Bevor ich die Aussprache eröffne: Ich wäre dankbar,wenn diejenigen, die diesem Tagesordnungspunkt nichtfolgen können oder wollen, den Plenarsaal verlassenwürden, damit wir hier eine konzentrierte Beratung er-möglichen können.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er-teile ich der Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Frak-tion, das Wort.
Schade, dass sich diese gute Zusammenarbeit nicht infachlicher Sicht fortgesetzt hat. Ich hätte mir sehr ge-wünscht, dass wir über inhaltliche Dinge ebenso offendiskutiert hätten, wie wir dies im Umgang untereinandergetan haben. Tatsächlich haben Sie, liebe Kolleginnenund Kollegen der Koalitionsfraktionen, dies aber nurdort getan, wo Sie aufgrund der Bundesratsmehrheitdazu gezwungen werden. Im Übrigen haben Sie unsereVorstellungen getreu dem Motto des Bundeskanzlers„Mehrheit ist Mehrheit“ oft sogar ohne Diskussion vomTisch gewischt.
Ich will hier einige Schwerpunkte nennen.– Drucksachen 15/565, 15/572 –Berichterstattung:Abgeordnete Bettina HagedornAntje TillmannAntje HermenauOtto FrickeEs liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPDgetragen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter IhresHauses sowie der übrigen beteiligten Behörden und desFinanzministeriums haben jede aufkommende Frage inbewundernswerter Weise schnell und zufriedenstellendbeantwortet. Für diese Zusammenarbeit möchte ich michbedanken.
BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertJutta Dümpe-KrügerFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellKatrin-Dagmar Göring-EckardtAnja Margarete HelenaHajdukWinfried HermannAntje HermenauPeter HettlichUlrike HöfkenThilo HoppeMichaele HustedtRenate KünastFritz KuhnUndine Kurth
Markus KurthDr. Reinhard LoskeAnna LührmannJerzy MontagKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsFriedrich OstendorffSimone ProbstClaudia Roth
Krista SagerChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Petra SelgUrsula SowaRainder SteenblockSilke von Stokar vonNeufornHans-Christian StröbeleJürgen TrittinMarianne TritzHubert Wendel UlrichDr. Antje Vogel-SperlDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerJosef Philip WinklerMargareta Wolf
EnthaltenFraktionslose AbgeordneteDr. Gesine LötzschPetra PauEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-sammlung des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPUHöfer, Gerd Jäger, Renate Dr. Lucyga, Christine Rauber, HelmutSPD SPD SPD CDU/CSUWir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-plan 30 in der Ausschussfassung. Wer für den Einzelplanin dieser Fassung stimmt, den bitte ich um das Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich derStimme? – Der Einzelplan ist mit den Stimmen der Koali-tion gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich rufe auf:9. Einzelplan 17Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Die letzten Wochen waren für unsalle besonders anstrengend. Bei allem Sitzungsstress er-leichterte mir der freundliche Umgang untereinander,insbesondere mit der Kollegin Hagedorn als Hauptbe-richterstatterin, aber auch mit den Kolleginnen und Kol-legen der anderen Fraktionen, die Arbeit sehr. Auch Sie,Frau Ministerin Schmidt, haben zusammen mit IhrenStaatssekretären zu einer angenehmen Atmosphäre bei-
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Antje TillmannEiner der obersten Grundsätze unserer Familienpoli-tik ist die Förderung der Wahlfreiheit der Familien, alsodie Förderung der freien Entscheidung zwischen Berufund Erziehung bzw. die Förderung der Vereinbarkeitvon Beruf und Erziehung. Alle bisher vorgetragenenVorstellungen Ihrerseits beschränken sich auf die Bereit-stellung von öffentlichen Mitteln für Fremdbetreuung.Die Möglichkeit der Kindererziehung durch die Elternselbst verschlechtert sich durch jede Steuererhöhung undjede Steigerung der Lohnnebenkosten.
Für die Eltern wird es immer schwieriger, zugunsten derKindererziehung auf ein Gehalt zu verzichten.
Auch die von Ihnen angekündigte Betreuung der un-ter Dreijährigen hat nach der ersten Bestandsaufnahmein den Ländern einen kräftigen Dämpfer erhalten. Mitden prognostizierten 1,5 Milliarden Euro kommen dieKommunen bei weitem nicht aus. Darüber hinaus weh-ren sich gerade ländlich geprägte Gemeinden gegen einePauschalverpflichtung, 20 Prozent der Krippenplätze zuschaffen.
Hier sind individuelle Lösungen gefragt, zum Beispielein Tagesmütterkonzept.
Wir als CDU/CSU-Fraktion halten es nach wie vorfür richtig, zeitgleich die Situation der Familien zu ver-bessern, die sich für eine persönliche Betreuung ihrerKinder entscheiden, und wir werden auch weiter hierfürkämpfen.
Diejenigen, die sich dafür entscheiden, ihre Kinderselbst zu betreuen, zahlen nach Ihrem Konzept dieFremdbetreuung für andere mit. Das ist nicht unser Kon-zept.
Auf die erheblich gestiegene Jugendarbeitslosigkeitreagieren Sie erneut mit Sonderprogrammen. Mit demProgramm „Jugend bleibt“ wollen Sie mit 2,5 MillionenEuro junge Menschen motivieren, nicht aus den neuenBundesländern abzuwandern. Sie wollen durch Projekt-netzwerke und Kommunikation eine „positive Auf-bruchstimmung“ schaffen, die bei den jungen Leuten zueiner „Identifikation mit ihrer Heimatregion“ führt.Glauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen: Denjungen Leuten fehlt es keineswegs an Heimatbindung;ihnen fehlt es schlichtweg an Ausbildungs- und Arbeits-plätzen.
Sie haben mit Ihrer mittelstandsfeindlichen Politik inder Vergangenheit diese Situation mit verursacht. Durchständige Steuererhöhungen, steigende Lohnnebenkosten,bürokratische Hürden und Schwächung der Finanzkraftder Kommunen zulasten von Investitionen haben Sie mitdazu beigetragen, dass es gerade bei den mittelständi-schen Betrieben, die in der Vergangenheit 80 Prozent derAusbildungsplätze gestellt haben, einen Insolvenzrekordgibt.Auch die Steuererhöhungen nach dem so genanntenSteuervergünstigungsabbaugesetz – Verschlechterungenbei den Abschreibungen und der Eigenheimzulage –würden erneut zu Ausbildungs- und Arbeitsplatzverlus-ten führen. Mit Ihrem Sonderkreditprogramm wollen Siedie negativen Folgen auffangen. Viel besser wäre es ge-wesen, das Gesetz gar nicht erst zu verabschieden.
Die einzige Antwort, die Sie auf diese Situation derJugendarbeitslosigkeit haben, ist die Androhung einerAusbildungsplatzzwangsabgabe durch den Bundeskanz-ler. Nach dem Hartz-II-Konzept, das Sie verabschiedethaben, ist es für die Jugendlichen gar nicht mehr mög-lich, ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz an ihrem Hei-matort zu bleiben, ohne dramatische Leistungseinschrän-kungen hinzunehmen.Unser Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit heißt:Geben Sie dem Mittelstand Luft zum Atmen! Dann wirder auch wieder in der Lage sein, Ausbildungsplätze zurVerfügung zu stellen.
Das Programm scheint aber auch nach Ihrer Auffas-sung mittlerweile überflüssig zu sein; denn ich habeheute morgen in der „Süddeutschen Zeitung“ über einPapier aus dem Ministerium Clement gelesen, dass manden Jugendlichen nach Hartz II zwar grobe Einschnittezumutet, aber dass man eine hohe Arbeitsmotivationschaffen würde und „sogar eine Beschäftigungsgarantie“für Jugendliche unter 25 Jahren aussprechen würde. An-gesichts dessen frage ich mich: Wofür dann noch diesesSonderprogramm mit 2,5 Millionen Euro?
Dass Sie eine ernsthafte Diskussion über Ihre politi-schen Entscheidungen nicht zulassen, wird auch beimThema „Förderprogramme gegen Rechtsextremis-mus“ ganz deutlich. Neben Jugendpolitikern aller Frak-tionen auf kommunaler Ebene kommt auch die Fried-rich-Ebert-Stiftung zu dem Ergebnis, dass das von unsallen angestrebte Ziel, Extremismus zu verhindern,durch diese teuren Programme wohl nicht erreicht wird.Berlins Innensenator Körting, SPD, gibt in diesem Zu-sammenhang sogar an, dass sich trotz zusätzlicher eige-ner Landesprogramme die Zahl der rechtsextremisti-schen Straftaten im letzten Jahr sogar verdoppelt habe.Nicht zuletzt wegen der Entscheidung des Verfassungs-gerichts zum NPD-Verbot vom heutigen Tag müssen wiralle im Umgang mit dem Extremismus umdenken.
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Antje TillmannLeider sind Sie unserem Antrag, diese Mittel denKommunen für Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen,nicht gefolgt.
Vor Ort könnten diese Gelder langfristig und effektiv indie Jugendförderplanung eingebracht werden. Insbeson-dere könnte die Wirksamkeit zeitnah geprüft werden.
Wenn Sie den Antrag aus inhaltlichen Gründen abge-lehnt hätten, hätte ich mich mit diesen Argumenten aus-einander setzen können. Aber die einzigen Gründe, dieSie angeführt haben, waren formaler Natur. Das ist demThema nicht angemessen.
Zum Thema Jugendmedienschutz. Ab 1. April diesesJahres wird die Bundesprüfstelle für jugendgefährdendeSchriften mit dem neuen Namen „Bundesprüfstelle für ju-gendgefährdende Medien“ aufwarten. Neben dieser Na-mensänderung wird sie erweiterte Kompetenzen erhalten.Diese neuen Aufgaben stehen vor allem im Zusam-menhang mit dem In-Kraft-Treten des Jugendmedien-schutz-Staatsvertrages und des Jugendschutzgesetzeszum 1. April 2003.Auswirkung dieses Gesetzes, das wir alle wollten, ist:Der Kreis der Antragsteller für die Prüfung von jugend-gefährdenden Medien wird drastisch erweitert; die Bun-desprüfstelle kann jetzt auch ohne Antrag tätig werden;die Prüfstelle soll ihre Zuständigkeit auf elektronischeMedien ausweiten; die Prüfstelle wird durch die öffentli-che Diskussion weit mehr als vorher von Eltern abgefragt.Genau das wollen wir alle: stärkere Erziehungskompe-tenz der Eltern. Gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-gen der Koalitionsfraktionen, haben diese Forderung alsArgument gegen die Abschaffung des Elternprivilegsnoch vor einer Woche hier in diesem Haus angeführt.Aber umsonst ist das alles nicht zu haben. Selbst derGesetzentwurf zum Jugendschutzgesetz vom 13. Mai2002 weist darauf hin, dass es durch die Ausweitung derKompetenz der Prüfstelle zu zusätzlichen Kosten imBundeshaushalt kommen wird. Alle Redner, auch die Ih-rer Fraktion, haben die neuen Aufgaben als wesentlicheVerbesserungen des Jugendschutzes dargestellt. Aberjetzt, da es zum Schwur kommt, haben sie diese öffent-lichkeitswirksamen Reden vergessen und unseren An-trag zur Verbesserung der Personalstruktur diskussions-los abgelehnt.
– Wir haben die Deckung im eigenen Haushalt gebracht.Es ist uns auch bestätigt worden, dass eine solche Finan-zierung möglich ist. Es ist schade, dass Sie an dieserStelle wieder Worten keine Taten folgen lassen.
Beim Thema Zivildienst beschränke ich mich auf denVorgang und darauf, wie sich die erhebliche Verschlech-terung der Bundesbezuschussung auf die freien Trägerim Laufe des Verfahrens ausgewirkt hat. Unabhängigvon dem, was wir zum Zivildienständerungsgesetz indiesem Haus schon hinreichend diskutiert haben: Es istein Unding, dass Sie, Frau Ministerin, mit den Trägernund den freien Verbänden Vereinbarungen treffen undgenau an dem Tag, an dem diese Vereinbarungen inKraft treten sollen, die SPD-Kollegen zu den Einsparun-gen von 90 Millionen Euro einen zusätzlichen Kür-zungsantrag für weitere 10 Millionen Euro in den Haus-halt einbringen.
Die freien Träger sind dadurch in die Situation gebrachtworden, nicht erst zum 1. April, sondern schon zum1. März die erhöhten Zuschüsse zahlen zu müssen. Ganzviele, gerade kleinere Träger können dies nicht. Das gehtzulasten der Zukunft der Zivildienstleistenden und zulas-ten der Sozialarbeit. Sie alle haben die Briefe bekommen.
Ich appelliere an Sie, wenigstens in diesem Jahr, recht-zeitig vor dem 31. Dezember 2003, die Diskussion mituns und den Trägern der Zivildienste zu führen, damit einsolches Chaos im nächsten Jahr nicht wieder passiert.
Wenn ich die öffentlichen Streitigkeiten zwischen Ih-nen, Frau Schmidt, und Ihrem VerteidigungskollegenStruck verfolge, dann finde ich es zwar anerkennens-wert, dass Sie entgegen Ihrer persönlichen Auffassungfür den Zivildienst kämpfen; Sie sind aber leider nichtsehr erfolgreich. Gerade jetzt, da die Unsicherheit hin-sichtlich der inneren Sicherheit besonders groß ist, denZivildienst und damit auch den Ersatzdienst, den Kata-strophenschutz und die freiwilligen Feuerwehren ohneAlternativkonzept infrage zu stellen,
ist wirklich zynisch. Wie wollen Sie künftig dieseDienste sicherstellen, wenn Sie ständig den Etat desBundesamtes für den Zivildienst zum Löcherstopfen imGesamthaushalt verwenden?
Liebe Frau Ministerin, liebe Kollegen, dass Sie seit ges-tern wegen Buchungsfehlern im Bundesamt für den Zivil-dienst 30 Millionen Euro Mehrbedarf für Rentenbeiträge fürZivildienstleistende anmelden, will ich gar nicht weiter kom-mentieren. Dass Sie es aber für möglich halten, diese 30 Mil-lionen Euro zusätzlich zur Absenkung von 158 MillionenEuro gegenüber 2002 aus dem etatisierten Erziehungsgeld zunehmen – Begründung im Haushaltsausschuss: weil vom1. Januar bis zum 17. März die durch die Familien abgefor-derten Mittel dramatisch zurückgegangen seien –, ist docheine Bankrotterklärung Ihrer Familienpolitik.
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2630 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Antje TillmannBei all den großen Ankündigungen zur Familienför-derung scheinen die Familien nicht mitzugehen. Die er-hofften Kinder werden ganz offensichtlich nicht gebo-ren.Letzter Punkt: Ganztagsschulprogramm der Bundes-regierung, klassisches Beispiel für meine These, dass Siesich nur unter Druck mit unseren Vorstellungen ausein-ander setzen. Aus der ursprünglich vorgesehenen Fas-sung mit 10 000 neuen Ganztagsschulen unter Bundes-aufsicht mit dem vom Bund genehmigten pädagogischenKonzept wird hoffentlich ein flexibles Instrument zurVerbesserung verschiedener Formen der Ganztags-betreuung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nachwie vor der Auffassung, dass ein solches Programm aufBundesebene nichts zu suchen hat. Da Sie unseren Vor-stellungen aber offensichtlich nicht folgen, die Gewerbe-steuerumlage zu senken und damit den Kommunen vorOrt die Möglichkeit zu Schulsanierungsprogrammen zugeben,
werden wir mit allen demokratischen Mitteln darum rin-gen, dass unsere Vorstellungen der Ganztagsbetreuungberücksichtigt werden. Zu Ihrem Ärger haben wir damitErfolg, denn Sie brauchen die Bundesratsmehrheit. DieLänder werden ihre Vorstellungen in die Verhandlungeneinbringen.
Hierzu gehört vorrangig die Freiwilligkeit bei den Nach-mittagsstunden, hierzu gehören die Einbindung der Ju-gendarbeit und der Jugendverbandsarbeit, die dauerhafteFinanzierbarkeit durch die Schulträger und die Bedarfs-orientierung unter Berücksichtigung der örtlichen Gege-benheiten.La
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für uns ist es ab-
solut wichtig, dass bestehende Ganztagsschulen in dieses
Programm aufgenommen werden.
Das ist nach jetziger Fassung eben genau nicht der Fall.
Bei der gestern hier durchgeführten Konferenz ist genau
dies zum Knackpunkt in Bezug auf die Verwaltungsver-
einbarung zwischen den Ländern und dem Bund ge-
macht worden. Der Bund will bestehende Ganztagsschu-
len eben nicht fördern.
Sollte dieser Passus in den kommenden Verhandlun-
gen nicht aufgenommen werden, wird dieses Förderpro-
gramm an den neuen Ländern komplett vorbeigehen.
Wir haben nämlich ein flächendeckendes Netz von
Ganztagsschulen. Leider befinden sie sich aufgrund der
finanziellen Probleme in einem sehr schlechten bauli-
chen Zustand. Wir werden darauf bestehen, dass das Pro-
gramm auch für die neuen Länder gilt. Das war einmal
Chefsache; offensichtlich ist das vergessen worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden weiter-
hin mit Ihnen für unsere Vorstellungen streiten. Viel-
leicht machen Sie sich in Zukunft die Mühe, sich bei der
Suche nach dem besten Weg wirklich einmal mit uns
auseinander zu setzen. Ich freue mich darauf.
Das Wort hat die Abgeordnete Bettina Hagedorn,
SPD-Fraktion.
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen, liebe Kolle-gen! Als neues Mitglied dieses 15. Bundestages steheich heute das erste Mal an dieser Stelle und spreche zuIhnen als Hauptberichterstatterin über den Einzelplan 17des Renate-Schmidt-Ministeriums,
weil ich Ihnen Verbesserungen und Absenkungen vor-stellen möchte, die wir im parlamentarischen Verfahrenin den Ausschussberatungen erzielt haben, und weil ichdie Knackpunkte zwischen Rot-Grün und der Oppositiondarstellen will.Lassen Sie mich aber zu Beginn meiner Ausführun-gen einen Appell an die Damen und Herren der Opposi-tion richten. In der ersten Lesung, die ich hier am3. Dezember erlebt habe, haben Sie zwar viel gesagt,aber, um ehrlich zu sein, wenig zum Einzelplan 17.
– Ich glaube, da täuschen Sie sich.Frau Eichhorn suggerierte den Zuhörern hier und denFernsehzuschauern beispielsweise erneut und wider bes-seres Wissen
– sie hat gesprochen –, dass die CDU das Familiengeldeinführen wolle – hören Sie lieber zu, Herr Kampeter –,
obwohl es keinerlei Vorschläge zur Gegenfinanzierungdieser 30,7 Milliarden teuren Seifenblase gibt, eineSumme, die sechsmal so groß wie der kompletteEinzelplan 17 ist.
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Bettina HagedornFrau Tillmann unterstellte am 3. Dezember Rot-Grüngar den Bruch eines Wahlversprechens, weil sie die1,5 Milliarden Euro für die Aufstockung der Betreu-ungsplätze für Kinder unter drei Jahren im Haushaltnicht finden konnte.
Einer Nichtfachfrau hätte man Kompetenzmangel oderNaivität zugute halten können.
Als zuständige Haushälterin im Deutschen Bundestag je-doch wissen Sie, Frau Tillmann, nur zu genau, dass diese1,5 Milliarden Euro nie im Einzelplan 17 zu finden seinwerden, sondern als Selbstbehalt in den kommunalenHaushalten, und zwar nach erfolgreicher Umsetzung derHartz-Gesetze und der Gemeindefinanzreform.
Wer aber hier im Bundestag Tatsachen zum Haushaltbewusst so verdreht, der würdigt weder die Ernsthaftig-keit der Debatte noch das ganze Haus angemessen. Abernoch schlimmer: Dabei wird das Ziel offenbar, FrauLenke, Wählerinnen und Wähler an der Nase herumzu-führen.
Wenn Sie dann gleichzeitig, wie hier am 3. Dezembergeschehen, den Willen zur konstruktiven Zusammenar-beit für sich in Anspruch nehmen, dann wird offenbar,dass Sie dieses Schild zwar wie eine Monstranz vor sichhertragen, aber nicht mit Leben zu füllen bereit sind.
Sie haben heute die Chance, zu erläutern, was Sie imEinzelplan 17 anders und – aus Ihrer Sicht – besser ge-staltet hätten. Erklären Sie doch bitte – wir haben schoneiniges von Frau Tillmann dazu gehört –, warum Sieausgerechnet bei den Programmen für die Jugend, fürbürgerschaftliches Engagement, Demokratiefähigkeitund Toleranz gegen Rechtsextremismus und Antisemi-tismus, nämlich bei Civitas und Entimon, 20 Mil-lionen Euro streichen
und damit den Zuschuss auf Null absenken wollten.
Diejenigen, die bei der Friedrich-Ebert-Stiftung dieseStudie gemacht haben, verwahren sich sehr wohl dage-gen, sich von Ihnen instrumentalisieren zu lassen; dennsie wollten konstruktive Kritik üben. Aber es war ganzgewiss nicht ihre Absicht, dass diese Projekte, wie Sie esmit Ihren Vorschlägen bewirken würden, gegen dieWand gefahren werden.
Nutzen Sie also die Gelegenheit und erklären Sie, woSie die notwendigen Einsparungen vorgenommen hät-ten, Frau Lenke. Wir nehmen die Verantwortung wahr,einerseits der jungen Generation nicht weitere Schuldenaufzubürden und andererseits die europäischen Stabili-tätskriterien zu beachten,
während Sie uns im Haushaltsausschuss einen endlosenWunschzettel abgeliefert haben. Nur wenn Sie diese Ant-worten heute nicht schuldig bleiben – und nur dann –,kann man sagen: Thema nicht verfehlt.
– Ich bin die ganze Zeit bei der Sache, Frau Lenke. Ichkann Sie gerne einmal mit Ihren eigenen Reden konfron-tieren.
Ich hätte bei so viel Abgrenzung zum Regierungshan-deln vermutet, dass diesen Worthülsen konkrete Anträgevon Ihnen im Haushaltsausschuss gefolgt wären; dennSie haben öffentlich suggeriert, mit unseren Prioritätenvöllig unzufrieden zu sein.
Doch weit gefehlt! Positiv ausgedrückt: Der allergrößteTeil des mit über 5 Milliarden Euro ausgestatteten Haus-halts passierte die parlamentarische Beratung im großenEinvernehmen aller vier Fraktionen.
Das ist kein Wunder; denn die zentrale Botschaft desEinzelplans 17 lautet: Trotz Haushaltskonsolidierungund Einsparung bleibt die Förderung für Familien, fürSenioren, für die Frauen und Jugendlichen, für Vereineund Verbände, für Verbands- wie für Projektarbeit, fürWohlfahrtspflege und Integration auf dem von Rot-Grünangelegten hohen Niveau erhalten.
– Dazu komme ich noch.
Das Ministerium erbringt zwar wie alle anderen Mi-nisterien auch einen deutlichen Beitrag zur Haushaltssta-bilität durch Einsparung und damit zur Generationenge-rechtigkeit. Nach dem Willen von Rot-Grün wird abernicht, Frau Lenke, nach dem Gießkannenprinzip zulas-ten aller, sondern orientiert an politischen Zielrichtungengespart.
Ein Satz zum Erziehungsgeld, weil es Herr Haupt inder ersten Lesung angesprochen hat, frei nach demMotto: Es gibt eine Absenkung, was gleichbedeutend istmit familienfeindlicher Politik. Dazu muss deutlich ge-sagt werden – Frau Tillmann, das geht auch in Ihre Rich-tung, weil Sie vorhin den Betrag von 30 Millionen Euro
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Bettina Hagedornangesprochen haben –: Bereits im Haushaltsjahr 2002sind wie Sie wissen, 200 Millionen Euro, die für das Er-ziehungsgeld vorgesehen waren, nicht abgerufen unddem Haushalt gutgeschrieben worden. Dahinter stecktekeine politische Zielsetzung. Das war schlicht und er-greifend darauf zurückzuführen – es handelt sich näm-lich um einen Schätztitel –, dass das Erziehungsgeld zuhoch veranschlagt war. Deshalb ist es um insgesamt188 Millionen Euro abgesenkt worden.
Die Botschaft an die Familien im Land lautet daher: Aneurem Erziehungsgeld ändert sich überhaupt nichts.
Allerdings sollten wir gemeinsam darüber nachden-ken, warum die Geburtenrate in Deutschland eigentlichso niedrig ist
und warum überhaupt, Herr Kampeter, die jungen undüberwiegend gut ausgebildeten Frauen in unserem Landimmer weniger bereit sind, sich den Kinderwunsch zuerfüllen, obwohl er laut Shell-Studie vorhanden ist. InDeutschland gibt es im Vergleich zum europäischenAusland eben eine unterentwickelte Möglichkeit derVereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir geben mitdem rot-grünen Programm für mehr Ganztagsbetreuungund zusätzliche Krippenplätze die einzig vernünftigeAntwort auf diesen in Deutschland über Jahrzehnte ge-pflegten Missstand.
Dieser Bildungsoffensive geben wir Priorität und stellendas unter Beweis.Ich sage hier deutlich: Dieses Ziel kann nur als ge-samtgesellschaftliche Aufgabe gelingen. Daran solltensich auch die eigentlich zuständigen Länder undKommunen beteiligen. Ich weiß, welches Argumentjetzt – gebetsmühlenartig – kommt: die mangelhafteFinanzausstattung von Ländern und Kommunen.Dazu sage ich Ihnen: Noch bin ich amtierende Bürger-meisterin und Amtsvorsteherin in einer ländlichen,struktur- und finanzschwachen Region. Dort haben wirin den letzten drei Jahren für 4 000 Einwohner – HerrKampeter, hören Sie ruhig einmal zu – drei Jugendtreffsgebaut, eine Jugendpflegerin eingestellt und die ortsan-sässige Grund- und Hauptschule mit einem Ganztags-betrieb an drei Tagen ausgestattet,
und das im Übrigen mit der Unterstützung des gewissnicht reichen Landes Schleswig-Holstein.Ich sage Ihnen aber auch: Geld allein ist es nicht, wasfehlt. Das, was auch auf kommunaler und Länderebenevielfach fehlt, ist der Wille zu einer fortschrittlichen Po-litik für Kinder und Jugendliche, für Frauen und Fami-lien, der Wille, hier Schwerpunkte zu setzen.
Mir sind durchaus Kommunen bekannt – das darf ich alsBürgermeisterin sagen –, die erheblich gesündere Finan-zen haben als meine Heimatkommune und die ihr Geldlieber in granitgepflasterte Marktplätze als in Jugend-treffs investieren.
Wenn wir hier über die mangelnde Finanzausstattungvon Ländern und Kommunen sprechen, dann sollten Sieauf eine weitere Frage eine Antwort geben: Warum blo-ckieren Sie eigentlich das Steuervergünstigungsabbau-gesetz?
Wenn Sie es nämlich nicht blockieren würden, würde esLändern und Kommunen bis 2006 zusätzlich 24 Milliar-den Euro bescheren und sie in die Lage versetzen, FrauLenke, ihren Beitrag zur Qualitätsverbesserung der Bil-dung, der dringend erforderlich ist, zu leisten.
Für politischen Sprengstoff hat aber in erster Linie IhrAntrag auf Reduzierung der Mittel für die ProgrammeCivitas und Entimon auf null gesorgt. Ich bin stolz da-rauf – das kann ich so sagen –, dass wir, Rot-Grün, ob-wohl es im Finanzplan eigentlich nicht vorgesehen warund trotz aller Haushaltsnöte, es geschafft haben, dieseProgramme fortzusetzen, zu verstetigen.
– Ja, das ist einen Beifall wert.Frau Tillmann, ich muss mich sehr wundern: Alle öst-lichen Bundesländer profitieren insbesondere von demProgramm Civitas. Die herausragenden Länder – wennich Ihnen das einmal sagen darf –, die das Programm En-timon durchführen, sind zum Beispiel Nordrhein-West-falen, Bayern und Hessen. Insgesamt werden bei beidenProgrammen 680 Projekte gefördert – mit einer Unzahlan freiwillig engagierten jungen Leuten, an Hauptamt-lern und Ehrenamtlern.
Sie waren bereit, das alles voll gegen die Wand zu fah-ren. Bei aller Liebe: Dafür habe ich kein Verständnis.
Der CDU/CSU-Antrag auf ersatzlose Streichung die-ser Programme war ebenso wenig durchdacht wie die
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Bettina Hagedornvon der CDU/CSU geäußerte Idee, bei einer Senkungder Gewerbesteuerumlage – das war nämlich IhrGegenfinanzierungsvorschlag – könnten die Kommunendiese Projekte selbst tragen. Dabei sollten Sie wissen,dass die Projekte gerade in strukturschwachen Regionen,zum Beispiel in meiner,
in denen kaum Gewerbesteuereinnahmen existieren,
nötig sind. Wo aber keine Gewerbesteuer, da auch keinGewinn bei einer Gewerbesteuerumlageveränderungund auch keine Stärkung kommunaler Finanzkraft. Inso-fern hätte Ihre absurde Idee gerade die Kommunen be-vorteilt, in denen die Gewerbesteuer kräftig sprudelt.
Die jedoch sollten die kommunale Jugendarbeit als ei-genständige Pflichtaufgabe begreifen.
Ich komme jetzt zum Zivildienst, Frau Lenke. Der Zi-vildienst steht perspektivisch vor Herausforderungen undVeränderungen und mit ihm die sozialen Dienste, die in ei-ner demographisch sich dramatisch verändernden Gesell-schaft ihre Aufgaben und die zu deren Bewältigung not-wendige personelle Aufstellung neu definieren müssen.
Die Beschlussfassung zum Fortbestand der Wehrpflichtund damit auch des Zivildienstes wird den Bundestagspätestens 2006 beschäftigen.
– Hören Sie doch einmal ein bisschen zu! Mit dem Zu-hören haben Sie echt ein Problem.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Ich würde vorschlagen, sie stellt die Zwischenfrage,
wenn ich mit meiner Rede fertig bin.
Dieser künftigen Entscheidung darf in unserem Haus-
halt keinesfalls vorgegriffen werden und das passiert
trotz gegenteiliger Unterstellung auch in keiner Weise.
Unbestritten stellt jedoch eine solche künftige Wei-
chenstellung uns Haushälter und auch die Träger der so-
zialen Dienste und das Bundesamt für den Zivildienst
sowie das Ministerium vor die gemeinsame Aufgabe,
beide Alternativen in ihren Konsequenzen zu bedenken
und haushaltskonforme Antworten darauf zu suchen und
zu finden.
Das Ziel der Koalition ist es, mehr Wehrgerechtigkeit
herzustellen. Das ist in unserem Koalitionsvertrag so for-
muliert.
Wir haben schwerpunktmäßig in diesem Haushalt – Sie
wissen, das ist uns nicht leicht gefallen, aber das ist der
politische Schwerpunkt – circa 98 Millionen Euro im
Bereich des Zivildienstes gekürzt. Das ist eine giganti-
sche Summe, sie macht aber nur 11,5 Prozent des Ansat-
zes für den Zivildienst aus. Man muss dazu vor allen
Dingen wissen, dass der Ansatz für den Zivildienstbe-
reich ein halbes Jahr vorher um satte 80 Millionen Euro
aufgestockt worden ist. Insofern bewegt sich der im jet-
zigen Haushalt festgelegte Betrag mit marginalen Unter-
schieden etwa wieder auf dem Finanzplanniveau des
Vorjahres.
Frau Kollegin, berücksichtigen Sie bitte, dass die Re-
dezeit schon überschritten ist?
Ja, das werde ich gern tun. Aber ich habe dem Proto-
koll entnommen, dass man bei der ersten Rede von Frau
Tillmann in der ersten Lesung sehr viel Rücksicht ge-
nommen hat. Insofern glaube ich, dass ich meine Rede
hier noch zu Ende bringen darf.
Zum Zivildienständerungsgesetz und zu dem entspre-
chenden Haushaltsansatz: Wir wollten mit diesem Haus-
halt eigentlich eine sehr starke Absenkung vollziehen,
haben sie aber durch das Zivildienständerungsgesetz
aufgefangen und eine Übergangslösung geschaffen. Das
haben wir getan, weil wir sowohl für die Träger als auch
für die Zivildienstleistenden Planungssicherheit schaffen
wollten.
Bedauerlich ist nur, dass der Bundesrat mit seiner Blo-
ckadepolitik das In-Kraft-Treten des Gesetzes jetzt ver-
zögert und es deshalb im Moment keine Planungs-
sicherheit gibt, weder für die Träger noch für die jungen
Männer, die den Wehrdienst antreten.
Frau Kollegin, ich muss Sie gleichwohl bitten, zumEnde zu kommen.
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Das will ich gerne machen.
– Ich gebe mir Mühe, mich nicht von Ihnen irritieren zu
lassen.
Eines möchte ich dieser Stelle noch erwähnen; ich
glaube, ich tue das in unser aller Namen. Einige Ansätze
sind einmütig erhöht worden. Die Absenkungen haben
wir allein gemacht, aber die Erhöhungen haben wir mit
allen vier Fraktionen hingekriegt. Ich nenne hier insbe-
sondere das Deutsch-Französische Jugendwerk,
für das der Haushaltsansatz um 3 Millionen Euro erhöht
worden ist mit dem Ziel, zusätzliche Projekte für die Be-
gegnung junger Deutscher und Franzosen konzipieren zu
können: Franzosen und Deutsche als Achse der Verstän-
digung und Freundschaft in einem zusammenwachsen-
den Europa. Sie setzen die Schwerpunkte richtig, wenn
Sie in die Jugend, in den Austausch und in das Verstehen
investieren, weil das immer auch eine Investition in den
Frieden ist. Persönlich wünsche ich mir darum, dass die-
ses Geld entsprechend ausgegeben wird.
Ganz zum Schluss: Es waren schwierige Beratungen.
Ich bin stolz darauf, dass wir mit Rot-Grün den Konsoli-
dierungskurs fortgesetzt haben, denn wir sind das Minis-
terium, in dem Generationengerechtigkeit definiert wird,
und das hat auch etwas mit Haushaltskonsolidierung zu
tun.
Danke.
Frau Kollegin Hagedorn, ich gratuliere Ihnen herzlich
zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Ich bitte um Nachsicht, dass auch der Großzügigkeit des
jeweiligen Präsidenten natürliche Grenzen gesetzt sind,
weil nicht wir die Redezeiten festlegen, sondern die
Fraktionen.
– Ich bin ja beinahe geneigt, auf solche guten Vereinba-
rungen gleich spontan einzugehen. – Ich wollte nur noch
einmal darauf aufmerksam machen, dass es keine Un-
freundlichkeit gegenüber dem jeweiligen Redner ist,
sondern dass die Hinweise mit Rücksicht darauf erfol-
gen, dass Redezeit, die an einer Stelle zusätzlich gewährt
wird, an anderer Stelle dann fehlt.
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Ina Lenke für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ha-gemann,
Sie haben hier von Generationengerechtigkeit gespro-chen. Ich kann Ihnen das wirklich nicht ersparen: Siesind dafür verantwortlich, wenn es keinen direkten Über-gang von der Schule oder dem Beruf in den Zivildienstgibt.
Ich war am Freitag in einer großen Behinderteneinrich-tung. Dort müssen die Jugendlichen jetzt zwei oder dreiMonate warten, bis sie einen Zivildienstplatz bekom-men. Das haben Sie mit Ihrer Finanzpolitik zu verant-worten.
Meine Damen und Herren, das dramatische Sinkender Staatseinnahmen, das die Bundesregierung mit ihrerverunglückten Wirtschafts- und Steuerpolitik verursachthat, wirkt sich ganz besonders auf den Einzelplan 17,den des Familienministeriums, aus. Auch in diesem Ein-zelplan wird das politische Versagen dieser Bundesregie-rung offenkundig. Ihre Planungen von heute sind – dashat gerade der Zivildienst gezeigt – morgen schon wie-der Makulatur.
Das wissen Sie ganz genau. Ich möchte das an einigenkonkreten Themen festmachen.Erstens: der Zivildienst. Ich bin zivildienstpolitischeSprecherin der FDP-Bundestagsfraktion.
– Hier steht eine Expertin. Sie sind für anderes Experten-wissen zuständig. – Der finanzielle Kahlschlag beim Zi-vildienst hat bei Ihnen System. Er kann deshalb auchnicht nur haushaltspolitisch und haushaltstechnisch be-trachtet werden. Denn die weit überdurchschnittlichenEinsparungen im Haushalt des Bundesfamilienministeri-ums werden fast ausschließlich – da müssen Sie mirRecht geben – zulasten des Zivildiensthaushaltes reali-siert.
Meine Damen und Herren, die finanzielle Austrock-nung des Zivildienstes führt zu einem Verlust an Betreu-ungsqualität. Soziale Einrichtungen wie zum BeispielKrankenhäuser und Einrichtungen für behinderte Men-schen stürzen Sie alle Monate, alle Wochen wieder inPlanungsunsicherheit. Sie wissen ganz genau, dass die10 Millionen Euro, die Sie jetzt noch zu den90 Millionen Euro hinzugefügt haben, ein wirkliches
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Ina LenkePlanungschaos bei den Trägern der Einrichtungen hinter-lassen haben.
Wir von der Opposition fordern Sie auf: EntwickelnSie endlich Zukunftskonzepte für die Umgestaltung desZivildienstes.
– Herr Kollege, wenn Sie nicht in diesem Ausschuss ge-wesen sind, kann ich Sie gerne aufklären. Sie haben eineganze Legislaturperiode Zeit gehabt, um Konzepte vor-zulegen. Nichts ist gekommen, was den Zivildienst an-belangt.
– Wir haben ein Positionspapier zum Zivildienst. Dasschicke ich Ihnen zu. Wir werden das weiterentwickeln.Sie bekommen noch im ersten Halbjahr unseren Antrag,mit dem Sie sich beschäftigen können.Wir fordern klare Zukunftskonzepte statt hektischeKürzungen an der falschen Stelle. Ministerin Schmidt– ich freue mich, dass Sie heute hier sind und Zeithaben – verkündete zum Beispiel letzte Woche, 2004werde die Zahl der Zivildienstplätze nochmals drastischum 20 000 sinken.Frau Hagemann,
Sie sagen, Wehr- und Dienstgerechtigkeit bedeute,100 000 Wehrpflichtige und 100 000 Zivildienstleis-tende einzuziehen. Erklären Sie mir jetzt in Form einerZwischenfrage, was von der Wehrgerechtigkeit und derGenerationengerechtigkeit für junge Menschen übrig ist,wenn jeder zweite junge Mann weder Zivildienst nochWehrdienst leistet!
Dass Sie eine Einberufungsgerechtigkeit der Wehrge-rechtigkeit gleichstellen, spottet jeder Beschreibung. Ichmuss sagen, das empört mich. Herr Haupt und ich sindauch für die Jugend da. Was Sie hier von Generationen-gerechtigkeit geredet haben, ist wirklich nicht wahr.Meine Damen und Herren, das besteht eine Pflicht-dienstungerechtigkeit. Ich wiederhole für den Fall, dasses nicht verstanden worden ist: Ein Teil der jungen Män-ner leistet einen Zwangsdienst und der andere Teilkommt davon. Letzterer wird weiter zunehmen, wennFrau Schmidt noch in diesem Jahr 20 000 Zivildienst-plätze streichen wird. Weniger als die Hälfte eines Ge-burtsjahrgangs von jungen Männern wird noch Wehr-oder Zivildienst ableisten. Das ist Ihre rot-grüne Gerech-tigkeit. Der folgen wir Liberalen nicht.Es ist wirklich schier unglaublich, Frau Hagemann
– Frau Hagedorn? Entschuldigung! –: Sie reduzierenzum 1. Januar dieses Jahres die Zuschüsse zum Sold derZivildienstleistenden von 70 auf 50 Prozent, die Einrich-tungen müssen also 20 Prozent mehr zahlen. Außerdemerklären Sie, dass Sie den Einrichtungen 20 000 Zivil-dienststellen wegnehmen, weil Sie diese nicht mehr fi-nanzieren können.
Wir liberale Frauen fühlen uns verantwortlich für diezweite Seite der Medaille, für den Ersatz des Zivildiens-tes. Wir wollen einen Mix aus ordentlichen Arbeitsplät-zen, Freiwilligendiensten und Ehrenamtlichkeit. Wirwerden im April auf Bundesebene eine Expertenanhö-rung durchführen. Dann werden wir sehen, was aus un-seren Konzepten, die wir dann besprechen werden, wird.Wir wollen, dass der heutige Haushaltsansatz für denZivildienst als Anschubfinanzierung des Ausstieges ausdem Zivildienst hin zu diesem Mix genutzt wird. WennSie den Zivildienstetat immer weiter austrocknen, wer-den Sie keine sozialverträgliche Umgestaltung schaffen.Deswegen ist es wichtig, den Ausstieg aus dem Zivil-dienst schon jetzt und nicht erst im Jahre 2006 zu ma-chen. Diese Ankündigung hat mich sehr erschreckt.Aber Herr Struck hat gesagt, 2004 soll entschieden wer-den, ob der Zivildienst bleibt. Deshalb werden wir Ihnenzu diesem Zeitpunkt Vorschläge vorlegen.Kap. 1704 in Einzelplan 17 ist Ausdruck Ihrer politi-schen Konzeptionslosigkeit, aber das konzeptionsloseAusbluten des Zivildienstes wollen wir nicht mitmachen.Ich möchte zum zweiten Schwerpunkt, der Kinder-betreuung, kommen. Auch dazu haben Sie etwas ge-sagt. Richtig ist, dass sich in Einzelplan 17 kein entspre-chender Haushaltsansatz findet. Sie haben erklärt, dassdie Kommunen Gelder im Rahmen des Hartz-II-Kon-zepts bekommen. Ich bin gespannt auf die Rede der Mi-nisterin. Frau Schmidt, ich will schwarz auf weiß sehen,wie viel Geld die Kommunen aus dem Hartz-II-Konzeptbekommen, damit sie den Rechtsanspruch auf Realisie-rung einer Betreuungsquote von 20 Prozent für Kinderunter drei Jahren finanzieren können. Dieses Leistungs-gesetz wollen Sie den Kommunen aufdrücken. Jeder re-det nur noch vom Hartz-Konzept. Ich habe von Ihnenkeine einzige Zahl und keinen einzigen Finanzierungs-nachweis gehört.Sie haben das Fehlen der Betreuungseinrichtungenfür Kinder dargestellt. Dazu muss ich sagen, dass die Be-treuungsmisere der Integration von Frauen in den Ar-beitsmarkt, die wir alle wollen, entgegensteht und dietraditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechternfestigt. Was Sie in Ihrer Gemeinde gemacht haben, habeich in meiner Gemeinde vor ein paar Jahren auch ge-macht. Es funktioniert, aber nur, wenn Sie Ihr Verspre-chen, jedes Jahr 1,4 Milliarden Euro zu zahlen, auch ein-halten. Dieser Betrag steht aber nicht im Haushalt. EinenBeleg dafür, dass Sie Ihr Versprechen einhalten, habe ichbis heute noch nicht gesehen.
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Ina LenkeDie Finanzierung ist wichtig. Dabei muss die Ministe-rin hier und heute Auskunft darüber geben, wie sie denRechtsanspruch zur Realisierung der Betreuungsquote inHöhe von 20 Prozent für Kleinkinder finanzieren undmit den Ländern zusammen das Geld an die Kommunenweitergeben will. Die dafür notwendigen 4 Milliar-den Euro haben Sie meines Erachtens nicht, Frau Minis-terin. Ich gehe davon aus, dass Sie den Kommunen nurLuftschlösser versprechen und weiter nichts. Ich alspraktizierende Kommunalpolitikerin werde sehr daraufachten, dass Sie hier Butter bei die Fische tun, damitendlich etwas passiert.Mir ist wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dasssich die Bundesregierung der Kinderbetreuung sehrernsthaft widmen muss. In der letzten Legislaturperiodegab es dazu kein Wort und keine Aktion dieser rot-grü-nen Bundesregierung. Wenn Sie jetzt richtige Konzepteauf den Tisch legen, werden wir als Opposition Sie dabeikräftig unterstützen, aber wir werden Ihnen auch Beinemachen.
Ein drittes Beispiel Ihrer Konzeptionslosigkeit, FrauMinisterin, ist die Kürzung der Eigenheimzulage. DieseKürzung haben Sie gefordert. Sie bedeutet eine drasti-sche Kürzung für Familien. Man muss sechs Kinder ha-ben, um auch jetzt noch bei einem Neubau auf die Höheder alten Förderung zu kommen.
– Dies können Sie auch nicht mit einer Zwischenfrageaus der Welt schaffen.Wenn dann noch die Ministerin und auch einige Aus-schussmitglieder die Kürzung der Eigenheimzulage alsüberfälligen Subventionsabbau verkaufen, ist das schoneine Unverschämtheit gegenüber den Familien, die beimEigenheimbau unterstützt werden müssen.
Die FDP ist für den Abbau von Subventionen, aberwir brauchen Entlastungen in Form niedrigerer Steuer-sätze. Danach können Sie gerne Subventionen abbauen.Sie aber schmälern die Familieneinkommen durch im-mer mehr Steuern und Belastungen. Das machen wirnicht mit. Solche Mittelverschiebungen und eine Erhö-hung der Belastungen werden wir nicht mittragen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich, dass Sie mich
darauf aufmerksam machen. – Wenn Sie auf der einen
Seite die Eigenheimzulage kürzen, der Kanzler aber auf
der anderen Seite in seiner Regierungserklärung ein Pro-
gramm für die Sanierung des privaten Wohnungsbaus in
Höhe von 8 Milliarden Euro verspricht, dann halte ich
das für tragikomisch. Wir wollen sehen, was von diesen
8 Milliarden Euro übrig bleibt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Dieser Einzelplan – –
Frau Kollegin, ich habe Sie deshalb auf Ihre Redezeit
aufmerksam gemacht, weil diese wirklich deutlich über-
schritten ist.
Der Einzelplan für das Familienministerium, Frau
Präsidentin, ist nicht akzeptabel. Hierdurch werden Pro-
bleme geschaffen und nicht gelöst. Deshalb lehnt die
FDP den Einzelplan 17 ab.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jutta Dümpe-Krü-ger, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauLenke, ich gehe zunächst auf Sie ein, weil ich beimThema Eigenheimzulage langsam grüne Pickel be-komme.
Ist Ihnen erstens bekannt, dass der Deutsche Mieterbunddie derzeitige Eigenheimzulage kritisiert, weil sie – ichzitiere – „die Stadtflucht begünstigt“, „nicht hilft, Woh-nungsengpässe zu vermeiden“ und außerdem „diejeni-gen Haushalte fördert, die am wenigsten auf eine staatli-che Förderung angewiesen sind“?
Ist Ihnen zweitens bekannt, dass das Gutachten einernamhaften Expertin, Frau Professor Gisela Färber, dieserKritik des Deutschen Mieterbundes auf ganzer LinieRecht gibt und sogar ausweist, dass gerade diejenigenFördergelder erhalten, die zu den reichsten Haushalten inunserem Lande gehören? Wenn nicht, dann wissen Sie esjetzt.
Mit dem Einzelplan 17 setzt die Bundesregierung ei-nen wichtigen Schwerpunkt im Bereich Kinder, Jugendund Familie. Er ist darüber hinaus ein notwendiger
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Jutta Dümpe-KrügerSchritt in Sachen Generationengerechtigkeit; denn wirdürfen uns nicht länger auf dem Rücken der jungenMenschen in unserem Land verschulden.
Um den Stier nun gleich bei den Hörnern zu fassen:Durch den Konsolidierungskurs gab es auch schmerz-hafte Einschnitte, zum Beispiel im Bereich Zivildienst.So wurden die Träger im November darüber unterrichtet,dass es zu Einsparungen kommen müsse. Um zu vermei-den, dass es wegen der schon im Oktober 2002 erfolgtenEinberufung im Sommer dieses Jahres zu einer drasti-schen Absenkung der Zahl der Zivildienstpflichtigenkommt, haben sich die Spitzen der Freien Wohlfahrts-verbände dafür ausgesprochen, sich mit 50 statt wie bis-her 30 Prozent an den entstehenden Kosten zu beteili-gen, und zwar ausdrücklich befristet bis Ende 2003.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie ha-ben wiederholt die Behauptung aufgestellt, die Trägerseien dazu erpresst worden. Ich sage Ihnen: Diese Be-hauptung ist nicht wahr.
Das geht eindeutig aus einem Schreiben der Spitzenver-bände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohl-fahrtspflege vom 5. März hervor.Wenn der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hätte,dann wäre die Kuh vom Eis gewesen und alle hätten Pla-nungssicherheit gehabt.
Das sieht im Übrigen auch die Bundesarbeitsgemein-schaft so. Ich zitiere:Diese negativen Folgen sowohl für die Zivildienst-pflichtigen als auch für die von den Beschäfti-gungsstellen betreuten Klienten sollten geradedurch die mit der Bundesregierung getroffenen Ver-einbarungen vermieden werden.Dieses Schreiben ist an die zuständigen Minister und Se-natoren der Länder sowie an die Vertretungen der Länderbeim Bund gegangen. Ich lese nicht im Kaffeesatz, son-dern weiter aus diesem Brief:Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft zusammenar-beitenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrts-verbände bitten Sie daher nachdrücklich, dafürSorge zu tragen, die Dauer des Vermittlungsaus-schussverfahrens auf ein Mindestmaß zu beschrän-ken, damit im Interesse der Zivildienstleistendenund der Dienste und Einrichtungen der Freien Wohl-fahrtspflege endlich Planungssicherheit hergestelltwerden kann.Meine Damen und Herren, wer schafft den hier Pla-nungsunsicherheit? –
Sie und kein anderer. Ich fordere Sie auf, Ihre Blockade-haltung endlich aufzugeben.
Ich möchte jetzt auf den Bereich Rechtsextremismuseingehen. Seit dem Sommer 2000 sind mehrere Pro-gramme durch diese Bundesregierung aufgelegt worden.Darunter befindet sich das Aktionsprogramm „Jugendfür Toleranz und Demokratie“ mit den drei Programm-teilen „Entimon“, „Xenos“ und „Civitas“.
Was erleben wir nun vor und hinter den Kulissen derHaushaltsberatungen? Sie stellen die Behauptung auf,diese Bundesprogramme seien angeblich nicht effektiv.Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird von Ihnenin diesem Sinne flugs umgedeutet. Fast ebenso schnellstellt sich allerdings heraus, dass Sie das Gutachten ver-mutlich nur auszugsweise in der Zeitung gelesen und vorallem nicht verstanden haben.
Meine Damen und Herren von der Union, das Gut-achten enthält einzelne Kritikpunkte. Daneben ist es ins-gesamt ein Plädoyer für eine dauerhafte und nachhaltigeWeiterführung der Programme. Gerade den Befürchtun-gen, dass sich die Programme als kurze Strohfeuer er-weisen könnten, wird in der Studie entgegengetreten. Inihr wird eine langfristig angelegte Sicherstellung der fi-nanziellen Ausstattung befürwortet.
Dass der Verfasser der Studie – Herr Roth – öffentlichmitteilt, er fühle sich von Ihnen missinterpretiert und in-strumentalisiert, ist im Grunde schon eine schallendeOhrfeige. Anstatt nun aber nach dem Motto „Hättest dugeschwiegen, wärst du weise geblieben“ zu handeln, ha-ben Sie noch eines draufgesetzt: Die absolute Krönungwar Ihre Nachfrage in der Aktuellen Stunde, ob dennnicht eine Umwidmung der Mittel in den neuen Ländernzugunsten der Bekämpfung von Linksextremismus undAnschlägen mit islamistischem Hintergrund sinnvoll sei.
Das haben Sie gefragt, obwohl Sie wissen oder wissensollten, dass es in den neuen Bundesländern bei einemAusländeranteil von insgesamt rund 2 Prozent überhauptkeine nennenswerten islamistischen Gruppen gibt.
Meine Damen und Herren, unser aller Interesse musses sein, rechtsextremen und fremdenfeindlichen Gesin-nungen möglichst früh entgegenzutreten. Das geht nurmit langjährigen Demokratisierungsprozessen. Darumbrauchen wir die Programme und die dafür notwendigenMittel. Wir können es uns überhaupt nicht leisten, in diealten Mechanismen der Verdrängung und Verleugnungzurückzufallen.
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Jutta Dümpe-KrügerDanke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Professor Dr. Maria
Böhmer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Hoch gelobt und ausgebeutet – das ist die Si-tuation von Familien in unserem Land.
Wenn Sie sich daran erinnern, was Familien in diesemLand vor der Bundestagswahl versprochen
und was nach der Bundestagswahl ganz schnell wiederin der Schublade versenkt worden ist, dann erkennenSie, dass sich die Familien in unserem Land einer Situa-tion gegenübersehen, in der die Familienpolitik wiederauf Sparflamme gekocht wird.
Vor der Bundestagswahl hieß es: Wir werden die Ar-beitslosigkeit bekämpfen. Was ist daraus geworden?4,7 Millionen Arbeitslose haben wir. Das heißt, dass4,7 Millionen Menschen mit ihren Familien draußen vorder Tür stehen.
Wir haben gehört, es gebe keine neuen Belastungen fürFamilien. Was ist geschehen? Die Abgaben- und Steuer-last für Familien ist größer geworden als je zuvor.
Was ist mit den besseren Chancen? Wir alle haben ge-spannt auf die Rede des Bundeskanzlers am Freitag ge-wartet. Wir wissen heute: Es wird kein Ruck durch die-ses Land gehen und es wird mitnichten zu einem Ruckfür die Familien in diesem Land kommen.
Frau Ministerin Schmidt, Sie haben vor dem Bundes-tagswahlkampf SOS für die Familien gefunkt. Sie habengesagt: „Ohne Kinder sehen wir alt aus.“ Das ist einBuchtitel von Ihnen. Ich habe das Buch mit großer Span-nung gelesen und ich sage an dieser Stelle: Sie habenvöllig Recht. Ohne Kinder sehen wir in unserem Landalt aus. Es gibt immer weniger junge Menschen.Deutschland wird ein kinderarmes Land sein. Die Über-alterung der Bevölkerung nimmt zu. Daraus werden sichaußerordentlich negative Konsequenzen für die Wirt-schaft und die Gesellschaft ergeben. Deshalb müssen wirdringend umsteuern. Aber dieses Umsteuern bedeutet,dass wir die Familie nicht aussparen dürfen, wie es derBundeskanzler am Freitag getan hat; denn in seiner Redewar von Familie nicht die Rede.
Das Gegenteil muss der Fall sein. Das bedeutet: DieModernisierung unserer sozialen Sicherungssysteme,des Arbeitsmarktes und des Steuersystems muss von derFamilie her gedacht werden. Nur dann wird eine Reformin diesem Bereich auch wirklich erfolgreich sein. Daswird dann kein Kurieren an Symptomen sein, sondernein Zurückgehen auf die Ursachen.Wir wissen, was uns Fachleute immer wieder insStammbuch geschrieben haben – das können Sie auch inIhrem Buch nachlesen –: Die niedrige Geburtenrate stehtin einem eklatanten Zusammenhang mit der strukturellkinderunfreundlichen Gesellschaft. Unsere Arbeits-welt ist über weite Strecken kinderfeindlich. Familienmit Kindern haben gegenüber kinderlosen Paaren gra-vierende finanzielle Benachteiligungen. Zudem habendie Abgaben zugenommen. Das kann so nicht weiterge-hen.
Kindererziehung in Deutschland bedeutet fast ein Ge-lübde für die ewige Armut.Zurufe von der SPD: Das ist ja ein Überzie-hen! – Wie sind Ihre Vorschläge?)Sie bedeutet, dass Menschen, die Kinder erziehen, in derAltersversicherung bestraft werden. Darüber hinaus wer-den sie noch mit dem Aus im Beruf dafür bestraft, dasssie Kinder erziehen. Deshalb ist es nicht verwunderlich,dass der Kinderwunsch immer mehr auf der Streckebleibt.Frau Hagedorn, in einem Punkt haben Sie Recht ge-habt: Wir müssen an dieser Stelle mehr für junge Frauenund Männer in unserem Land tun, damit sie bereit sind,ihrem Wunsch, eine Familie zu gründen, wirklich nach-zugeben. Eine Geburtenrate von 1,3 ist dramatisch. Abernoch dramatischer ist, dass mehr als 30 Prozent derFrauen des Jahrgangs 1965 keine Kinder haben. 41 Pro-zent der Akademikerinnen haben ebenfalls keine Kinder.Das heißt, die Kinderlosigkeit greift um sich.Sie haben als Geheimrezept eine stärkere Kinderbe-treuung angeführt. Das mag auf den ersten Blick stim-men.
Wenn ich nach Skandinavien und nach Frankreichschaue, dann stelle ich fest, dass die Kinderbetreuungdort gut ausgebaut ist. Aber ich sage Ihnen auch: In an-deren Ländern wie beispielsweise in den USA, wo die-ses System so nicht existiert und die Kinderbetreuung oftselbst organisiert und bezahlt werden muss, ist die Ge-burtenrate wesentlich höher und das Ja zur Familie deut-licher.
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Dr. Maria BöhmerAlso, nur an der Kinderbetreuung allein etwas zu tun,greift zu kurz. Wir brauchen insgesamt ein familien-freundliches System in unserem Land. Das schließt Kin-derbetreuung und Finanzierung ein. Beide Bereiche dür-fen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
An dieser Stelle sind wir klar in die Vorlage getreten.Wir haben in der letzten Legislaturperiode ein stimmigesund modernes Familienkonzept vorgelegt. Wir wollendie bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wirwollen bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Dasschließt auch mehr Ganztagsangebote für Kinder ein.Wenn uns immer wieder unterstellt wird, dass die CDUund die CSU an dieser Stelle nicht Farbe bekennen wür-den, dann will ich Ihnen einmal die jüngsten Zahlen ausdem Saarland nennen. Das Saarland hat die freiwilligeGanztagsschule nach vorne gebracht. Innerhalb einesSchuljahres hat sich die Zahl der Ganztagsschulen beiden Realschulen von neun auf 22 erhöht. Das heißt, fastjede zweite Realschule im Saarland ist jetzt mit einemfreiwilligen Ganztagsangebot ausgestattet. Bei denGrundschulen ist innerhalb eines Jahres eine Steigerungvon 97 auf 168 zu beobachten. Ich finde das beachtlich.
Mehr als die Hälfte aller Grundschulen im Saarland hatnun auf freiwilliger Basis ein Angebot an Ganztagsschu-len. Bei den Gymnasien ist es so, dass jedes dritte Gym-nasium die freiwillige Ganztagsschule anbietet. Wer jetztimmer noch sagt, die Union würde nicht handeln, der irrtund sollte einmal in die SPD-regierten Länder schauen.Dort ist dieser Fortschritt noch nicht zu verzeichnen.
– Liebe Kolleginnen, Sie wissen genau, dass die Bun-desländer in einem deutlichen Wettbewerb zueinanderstehen. Ich bin über jedes Bundesland froh, das an dieserStelle seine ganze Kraft einsetzt, um in den Bereichender Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen weiterzu-kommen.
Aber ich sage Ihnen auch zum wiederholten Mal: Dieje-nigen Länder, die vorne liegen, sind die unionsregiertenLänder, und diejenigen Länder, die die Schlusslichterbilden, sind die SPD-regierten Länder.
Über eine Äußerung der Ministerin, die immer wiederin der Presse zu lesen ist, war ich doch etwas erstaunt.Frau Schmidt, Sie sagen immer wieder, dass Sie wenigGeld und kaum eigene Gesetzgebungskompetenz ha-ben und dass Sie auf einen Mentalitätswechsel setzen.Ein Mentalitätswechsel ist zwar nie falsch. Aber es kannnatürlich nicht sein, dass man nur darauf verweist, weilman machtlos ist. Auch war ich ganz erstaunt festzustel-len, dass eine Ministerin Renate Schmidt machtlos seinsoll. An dieser Stelle müssten wir in der Tat überlegen,eine Initiative zu starten.Dann habe ich mir aber einmal die Geschäftsordnungder Bundesregierung vorgenommen. Dort habe ich mitFug und Recht gelesen – dafür haben wir alle miteinan-der gekämpft; denn wir sind daran interessiert, dass wirein starkes Familienministerium und ein starkes Ministe-rium für Frauen haben –, dass das Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend stets zu betei-ligen ist, wenn Gesetze von gleichstellungspolitischerBedeutung behandelt werden. Das steht in der Ge-schäftsordnung.Auch habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich bei derRentenreform geschehen? Frau Schmidt, das fällt jetztzwar vor Ihre Amtszeit, aber es wird Ihnen mit Sicher-heit auch in Ihrer Amtszeit so ergehen. Wie sind die Re-gelungen umgesetzt worden? Heute sind wir mit einerRegelung in der privaten und betrieblichen Vorsorgekonfrontiert, die lautet: neue Benachteiligungen fürFrauen.
Diejenigen, die Verfassungsrechtler sind – ich nennehier Ute Sacksotsky, eine der Frauen, die viele Jahre amBundesverfassungsgericht tätig war und heute in Frank-furt Professorin ist –, erklären, dass diese Regelung vordem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hätte.Denn Frauen zahlen die gleichen Beiträge, bekommenaber schlechtere Leistungen in der privaten und in derbetrieblichen Altersvorsorge. Deshalb, Frau Ministerin,fordere ich Sie hier auf: Machen Sie damit Schluss! Nut-zen Sie Ihre Kompetenzen. Sorgen Sie dafür, dassFrauen in unserem Land Gerechtigkeit widerfährt.
Ich komme auf den von Ihnen angesprochenen Men-talitätswechsel zurück. An einer Stelle habe ich ge-schmunzelt, als Sie nämlich das Fach Familienkundegefordert haben. Familienkunde ist sicherlich ein wichti-ger Ansatz. Aber wir sollten die Schulen nicht zu einemReparaturbetrieb für etwas, was vorher nicht geleistetwerden konnte, verkommen lassen. Wir wollen Familienstärken, damit sie aus ihrer Verantwortung heraus dasleisten können, was ihre Aufgabe ist, nämlich die Kinderzu erziehen. Die Erfüllung dieser Aufgabe lässt sichnicht ersetzen.Ich erinnere mich daran, dass Olaf Scholz, der Gene-ralsekretär der SPD, angekündigt hat, die SPD wolle dieLufthoheit über den Kinderbetten erobern. Dazu mussich Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir sind dagegen, dassirgendjemand die Lufthoheit über den Kinderbetten hat.Hier sind die Eltern gefordert. Die Verantwortung liegtimmer noch bei ihnen.
Frau Schmidt, ich weiß aber auch, dass Sie immer wie-der sagen, dass Sie niemandem vorschreiben wollen, wieer zu leben hat. Das halte ich für richtig. Hier stimmenwir überein. Aber es gibt einen Unterschied zwischenuns. Die Fakten bei der SPD sprechen eine andere Spra-
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Dr. Maria Böhmerche als das, was Sie immer wieder verkünden. Dasmöchte ich an zwei Beispielen deutlich machen.Erstens. Kinderbetreuungskosten können nur dannsteuerlich abgesetzt werden, wenn beide Elternteile er-werbstätig sind. Ich frage mich: Warum gilt dies nichtauch für den Fall, in dem nur ein Elternteil erwerbstätigist?
Auch in diesem Fall kann es sinnvoll sein, Kinderbetreu-ung wahrzunehmen, beispielsweise dann, wenn ein Kindals Einzelkind aufwächst. Hier wäre diese Regelung hilf-reich. An dieser Stelle sollten wir mehr tun.Zweitens. Wie sieht es mit der Aufstockung derRentenbeiträge bei der Erziehung bis zum zehnten Le-bensjahr des Kindes aus? Wir haben heftig dafür kämp-fen müssen, dass diese Regelung nicht nur Erwerbstäti-gen zugute kommt, sondern dass auch Frauen, die wegenKindererziehung auf Erwerbstätigkeit verzichten, eineAufstockung der Rentenbeiträge bekommen. Aber im-mer noch sind die Mütter mit einem Kind bei dieser Ren-tenregelung außen vor. Diese Frauen haben keine Lobbybei Ihnen und so kann es nicht bleiben.
Zuletzt möchte ich noch einen Punkt ansprechen, dermir in der Tat Sorge bereitet. Wir sind in der Situation, dassden Familien zwar mehr Mittel gegeben werden – und Siehaben durchaus Finanzmittel in der letzten Legislaturpe-riode lockergemacht –, aber die Erhöhung des Kindergel-des durch mehr Steuern, mehr Abgaben und Mehrauf-wendungen für Kinderbetreuung aufgefressen wird. Dasheißt, dass sich Familien unter dem Strich heute schlech-ter in unserem Land stellen. Deshalb müssen wir alle aneinem Strang ziehen, damit die Vorgaben des Bundesver-fassungsgerichts beachtet werden, die die finanzielle Ge-rechtigkeit für Familien und die steuerliche Gleichstel-lung von Alleinerziehenden betreffen, was von Ihnenvöllig falsch interpretiert worden ist und deshalb zu einerSchlechterstellung von Alleinerziehenden geführt hat.Dasselbe gilt auch für die Urteile des Bundesverfas-sungsgerichts mit Blick auf die Pflegeversicherung unddie Rentenversicherung. Hier müssen bald die Weichengestellt werden.
Frau Kollegin Böhmer, darf ich Sie an Ihre Redezeit
erinnern.
Frau Ministerin, ich habe die Erwartung an Sie, dass
Sie mit ganz konkreten Vorschlägen auf uns zukommen
und deutlich machen, dass Sie nicht nur für die Familie
reden und SOS funken, sondern mit uns an einem Strang
ziehen, wenn es darum geht, die Weichen in diesem
Land richtig zu stellen. Wir werden alle Kraft über den
Bundesrat dafür einsetzen, dass Familien in diesem Land
nicht länger im Regen stehen.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nicolette
Kressl, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! Nun hat Frau Böhmer gerade, wie wir gehört haben,doch tatsächlich angemahnt, den Vergleich zwischendem zu ziehen, was in Wahlkämpfen versprochen wor-den ist, und dem, was jetzt stattfindet. Wir haben daraufhingewiesen, dass für uns ganz wichtig ist, nach dendeutlichen materiellen Verbesserungen für Familien inder letzten Legislaturperiode Maßnahmen einzuleiten,um endlich die Betreuungssituation zu verbessern.
Beides haben wir auf den Weg gebracht, während dieUnion, wenn ich mich richtig erinnere, in dem scheinbarschlüssigen Konzept, von dem Sie gerade gesprochenhaben, vorrangig ein Familiengeld versprochen hat. Jetztfrage ich: Warum haben wir heute nicht ein Wort davongehört, Frau Böhmer?
Das kann eigentlich nur damit zu tun haben, dass das,was Sie im Wahlkampf versprochen haben, heute über-haupt nicht mehr gültig ist. Sonst hätten Sie es wiederdeutlich gemacht.
Sie haben sich offensichtlich sang- und klanglos vonIhrem scheinbar schlüssigen Konzept verabschiedet, Siestellen aber keine Alternativen vor. Sie sagen uns, wasIhnen nicht recht ist. Sie haben sich von Ihrem ehemali-gen Konzept verabschiedet. Das heißt, auch in der Fami-lienpolitik reihen Sie sich in die Linie derer in der CDU/CSU ein, die nur noch sagen, was sie nicht wollen, aberkeine eigenen Konzepte auf den Tisch legen können.
Schauen wir einmal auf den Haushalt, über den wirheute debattieren. Haushalte sind nur auf den erstenBlick reines Zahlenwerk. Sie spiegeln in Wirklichkeitimmer wider, welche Prioritäten gesetzt werden; siemachen deutlich, welche Leitlinien, welche politischenVorstellungen bei der Aufstellung eines Haushalts wich-tig sind. Wie bei dem Haushalt für Bildung und For-schung, über den wir vorher gerade debattiert haben,steht auch bei diesem Haushalt für uns eines im Vorder-grund: Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, da-mit Menschen sowohl im ökonomischen als auch imgesellschaftlichen Bereich gleiche Chancen haben. Da-für steht dieser familienpolitische Haushalt.
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Nicolette Kressl
Das bedeutet natürlich auch – es lohnt sich vielleicht,sich darüber Gedanken zu machen –: Wer Rahmenbe-dingungen für gleiche Chancen für Kinder und jungeMenschen schaffen will, muss erst einmal überlegen,wie die gesellschaftlichen Realitäten sind. Ich habe im-mer noch den Eindruck – auch nachdem ich Sie heutegehört habe –, dass Sie die gesellschaftlichen Realitätennicht wahrnehmen und dementsprechend auch nicht inIhre Konzepte umsetzen, wobei man von Konzept, wiegesagt, eigentlich gar nicht mehr reden kann.
Weil wir unsere Aufgabe wahrnehmen, gesellschafts-politische Rahmenbedingungen zu schaffen, setzen wireben nicht mehr allein auf die direkte materielle Förde-rung von Familien. Vielmehr halten wir es für richtig,die Rahmenbedingungen zu verbessern, um den tatsäch-lichen Bedürfnissen von jungen Vätern und Mütterngerecht zu werden. Deshalb werden wir Familien dabeiunterstützen, ihre Lebensform nach ihren eigenen Vor-stellungen bestimmen zu können.Ich möchte noch auf Frau Tillmann und Frau Böhmereingehen; denn ich halte es für unverfroren, dass Siezum Beispiel die erwerbsbedingten Betreuungskostennennen und uns unterstellen, wir würden nur die berufs-tätigen Eltern unterstützen. Dabei verschweigen Sie,dass wir einen Freibetrag von mehr als 2 000 Euro fürBetreuung, Erziehung und Ausbildung eingeführt haben,der völlig unabhängig von der Art der Betreuung allenEltern gewährt wird.
Das zu verschweigen ist unredlich.
Neben der Unterstützung für junge Mütter und Väterin der Betreuung wollen wir erreichen, dass alle Kinderunabhängig vom sozialen Status der Eltern die bestmög-liche Bildung bekommen. Auch dabei steht das Ziel derChancengleichheit im Vordergrund.
Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir uns für die-ses Ziel einsetzen.Deshalb ist es unredlich, das Paket Bildung undBetreuung auseinander zu dividieren, wie es manchmalIhren Pressemitteilungen zu entnehmen ist. Wir meinen,dass zugunsten der bestmöglichen Chancen für Kinderund junge Menschen Bildung und Betreuung zusammen-gehören.
Wenn Sie wahrheitswidrig behaupten, der Bundwürde bei der Vorlage seiner Verwaltungsvereinbarun-gen den Ländern nicht die weitestmögliche Freiheit ein-räumen,
und andere unter Ihnen gleichzeitig fragen, warum wirkein pädagogisches Konzept fordern, dann kann ich nurfeststellen, dass es Ihnen offensichtlich nicht um dieChancen der Kinder geht, sondern wieder nur darum, et-was zu verhindern.
Ich habe mich sehr gefreut, als letzten Freitag nachder Kultusministerkonferenz eine Einigung über die Ver-waltungsvereinbarung erkennbar wurde. Ich gehe davonaus, dass sich die beiden Seiten noch aufeinander zu be-wegen werden.
Ich will Ihnen aber deutlich sagen: Wenn Ihnen so sehran Kleinigkeiten und Kompetenzstreitigkeiten liegt, dassschließlich die Verwaltungsvereinbarung scheitert, dannwerden Sie den Eltern und den Kindern erklären müssen,warum Sie ihnen nicht die Chancen für eine bessere Be-treuung ermöglichen. Sie werden das in jedem Land er-klären müssen.
Zu der Förderung von Chancengleichheit gehören un-serer Ansicht nach auch Programme, in denen sichereLebensräume für junge Menschen unabhängig von ihrerHerkunft in den Mittelpunkte gestellt werden. Deshalbunterstützen wir – auch der Haushaltsausschuss ist darinübereingekommen – weiterhin die Programme Entimonund Civitas. Denn mit diesen Programmen gegenRechtsextremismus werden die gesellschaftlichenGrundlagen dafür geschaffen, dass die Würde der Men-schen und nicht ihre Herkunft im Mittelpunkt von Politikund Gesellschaft steht.
Selbstverständlich muss bei Programmen, die ausSteuermitteln finanziert werden, auf ihre Wirksamkeitgeachtet werden. Deshalb hat sich das Familienminis-terium dafür ausgesprochen, dass Überprüfungen undEvaluationen durchgeführt werden. Aber so richtig esist, auf Zielgenauigkeit zu achten, so ist es für uns auchunabdingbar, dass auf Bundesebene ein Engagement ge-gen Fremdenfeindlichkeit gerade bei jungen Menschenerfolgt. Wir müssen jungen Menschen die Chance bie-ten, sich persönlich weiterzuentwickeln und rechte Paro-len hinter sich zu lassen. Die genannten Programme bie-ten jungen Menschen diese Chance.
Ich will von dieser Frage der Gewalt einen Bogen zueiner anderen Frage spannen, die mit Gewalt verbundenist, nämlich Gewalt, die gegen Kinder und Jugendlichegerichtet ist. Diese Gewalt kann junge Menschen nicht
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Nicolette Kresslnur zutiefst verletzen und auch zerstören, sondern imZusammenhang damit kann auch Gewalt entstehen, diesie gegen andere Menschen richten. Die Koalitionsfrak-tionen werden deshalb den nationalen Aktionsplan ge-gen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen unter-stützen und vorantreiben; denn der soeben erwähnteZusammenhang ist ganz wichtig.
Zur Chancengleichheit für Kinder, Jugendliche, Fa-milien und Frauen gehört die Vereinbarkeit von Familieund Beruf. Wir müssen darauf achten, dass es faire Be-dingungen für Frauen und Männer im Beruf und in ande-ren gesellschaftlichen Bereichen gibt. Deshalb legen wirauch auf die Umsetzung der EU-Gleichstellungsricht-linie Wert und unterstützen die Einrichtung eines Gen-der-Kompetenz-Zentrums, wie es geplant ist.Für eine lebendige und sich ständig fortentwickelndeGesellschaft müssen und wollen wir Menschen in all ih-ren unterschiedlichen Lebensformen und -phasen unter-stützen; denn gerade diese Mosaiksteinchen lassen eingeschlossenes und stabiles Ganzes entstehen. Dieses sta-bile Ganze wollen wir fördern und unterstützen. Auchdafür ist der vorliegende Haushaltsentwurf ein Signal.Deshalb können wir Sie nur auffordern, diesem Entwurfzuzustimmen.Vielen Dank.
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege An-
dreas Scheuer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Kollegin Kressl, bleiben Sie ruhig! Zum Fami-liengeld komme ich noch. Sie müssen nur ein bisschenGeduld haben.An einem Haushalt sollte man erkennen, wo Schwer-punkte gesetzt werden. Ihr Einzelplan, Frau MinisterinSchmidt, ist in dieser Hinsicht zum einen – in diesemFall: leider – sehr klar in der Ausrichtung und zum ande-ren stecken die Tücken im Detail.
Die Grundausrichtung beschränkt sich auf ein – diesenBegriff kennen Sie bereits von uns – Gesellschaftskonzeptà la DDR light. Das möchte ich Ihnen heute beweisen.
Das, was Sie vorgelegt haben, ist nichts anderes als eineTirade von Gleichmacherei, Verstaatlichung und Zentralis-mus. Ihr Konzept ist wie ein abrasierter englischer Rasender Gleichmacherei: Jeder, der mehr tun oder leisten willals seine Pflicht, wird bestraft und durch Regelungen ge-gängelt. Wir wollen dagegen eine kräftige Wiese der Un-terschiedlichkeit – jeder nach seiner Fasson –, weil es in un-serem Land viele Menschen gibt, die eigene Ideen habenund Kraft und Mut besitzen. Der Staat soll erst dort eingrei-fen, wo Wildwuchs herrscht. Damit werden Leistung,Wettbewerb, Eigenverantwortung, Selbstverwirklichungund Solidarität gefordert, aber auch gefördert.
Als Beispiel möchte ich Ihr Konzept einer Ganztags-schule auf Pflichtbasis nennen. Sie verstaatlichen damitdie Erziehung.
Ich muss das nicht vertiefen, da meine Vorredner von derUnion schon darauf eingegangen sind. Nur so viel: Hierist der Angriff auf die Entscheidungsfreiheit der Elternsowie auf das Ehrenamt und das freiwillige Engagementvorprogrammiert. Entschuldigen Sie, Ihr Kleckerbetragvon 300 Millionen Euro für diesen Bereich dient auchnur als Alibimaßnahme. Von der angekündigten1 Milliarde Euro auf nur 300 Millionen Euro in dem vor-liegenden Haushalt!
Für uns ist klar: Genauso wie bei der Grundsicherung – esgibt noch viele andere Beispiele – machen Sie auch hierein neues Fass in Sachen Belastung der Kommunen auf.Die Mittelverteilung in den verschiedenen Bereichenist ohnehin Ihre sehr anfällige Achillesferse, Frau Minis-terin Schmidt, wenn ich sehe – das ist heute schon öfterangeklungen –, wie Sie vom Bundesrechnungshof undvon der Friedrich-Ebert-Stiftung scharf gerügt werden,dass Gelder für die Programme gegen rechts ins Leeregehen. Eines dieser Programm in Höhe von 5 MillionenEuro beinhaltet zum Beispiel Kosten für die Servicestelleund für die Vergabe der Mittel in Höhe von 827 000 Eurojährlich. Sie schaffen mit dieser Servicestelle ein Kunst-gebilde. Das zum Thema Bürokratieabbau und Verwal-tungsvereinfachung. Vielleicht liegt es ja daran, dass da-mit besser SPD-nahe, ja sogar linksextreme Projekte undInitiativen berücksichtigt werden können.
Hier wird vielfach mit Staatsknete linientreu finanziertbzw. honoriert.Hören Sie sich doch einmal bei den verlässlich arbei-tenden Trägern um! Die bleiben nämlich auf der Streckeund beklagen sich, dass die Projektzahlen durch die zen-trale Verteilung zurückgehen, nämlich von 330 Projektenin Bayern auf nur 98 Projekte. Man fragt sich, warumman von der gut funktionierenden dezentralen Vergabe-methode abgerückt ist.
– Danke. Hervorragender Zwischenruf!
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Andreas Scheuer
Vor allem die Nähe zu den Antragstellern hat vorMissbrauch geschützt und die Projekte wurden „in dieFläche transportiert“. Genau darauf zielt im Großen undGanzen die Hauptkritik des Bundesrechnungshofes.Sie müssen sich endlich einmal fragen, ob allein Pro-jekte gegen rechts die Probleme der jungen Menschenlösen. Das ist aus unserer Sicht nicht so. Die Jugendli-chen fühlen sich in Sachen Ausbildung und Arbeit betro-gen. Auf die damit verbundenen Fragen haben Sie,meine Damen und Herren von Rot-Grün, keine Antwor-ten.
Der griesgrämige Kabinettsgrufti Schily, der geradeeingetroffen ist, agiert hier im Parlament mit Scheiben-wischergesten und unflätigen Kommentaren.
– Nein, ich nehme das nicht zurück, weil auch er dieScheibenwischergesten nicht mehr zurücknimmt. Ersollte sich lieber mit der Blamage des gescheitertenNPD-Verbots beschäftigen. Das wäre ein Programm ge-gen rechts.
Wie logisch das Bundesministerium von FrauSchmidt in Sachen Förderung des Ehrenamtes arbeitet,sieht man bei der Streichung der Mittel auf 40 Prozent.Die Begründung ist, dass das Jahr 2001 das Jahr des Eh-renamtes gewesen sei und deshalb die Mittel so hoch ge-wesen seien. Deshalb habe man so drastisch gekürzt.Das leuchtet wirklich nicht ein.Für uns von der Union ist jedes Jahr ein Jahr des Eh-renamtes. Wir müssen Menschen motivieren, in unsererGesellschaft aktiv zu werden und sich zu engagieren;denn wer sich engagiert, gewinnt.Es war schon komisch, dass der FraktionsvorsitzendeMüntefering am Freitag vergangener Woche sagte: „Wirwollen die Chance zur Eigenverantwortung und zurSelbstverwirklichung geben.“ Außerdem sagte er: „DerStaat muss sich zurückziehen.“ Jetzt auf einmal geht esdoch. Aber die Motivation von Rot-Grün ist dabei ganzklar: Wenn in der Staatskasse kein Geld mehr ist, dannrückt man den Menschen plötzlich wieder in den Vorder-grund. Vorher stellte man alles, was geht, unter staatlicheZuständigkeit und verteufelte die Union, weil sie dafürist, die Bürger selbst entscheiden zu lassen. Münteferingsagte auch, dass zu viele Menschen nur auf der Tribünesitzen und zusehen.
Genau auf dem Gebiet Ehrenamt wird in diesem Einzel-plan radikal gekürzt.Stimmen Sie sich von Rot-Grün in Ihren Strategienendlich in Ihren eigenen Reihen ab! Sie vergiften dieStimmung in unserem Land, weil sich die Menschen an-gesichts des Chaos Ihrer Aussagen nicht mehr ausken-nen.
Das ist in der Wirtschaftspolitik genauso wie in der Ge-sellschaftspolitik.Die SPD hat in der Vergangenheit eine falsche Politikgemacht. Daran war man gewöhnt, weil dieser falscheKurs verlässlich war.
Heute macht die SPD immer noch eine falsche Politik,aber das verlässlich unzuverlässig. Keiner kennt sich beiden Widersprüchen in den Aussagen und Taten mehraus.
Die Namen der verschiedenen Programme sindgroßartig. „Jugend bleibt“, ist ein Programm mit einemVolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Die Abwan-derung von jungen Menschen aus den neuen Ländern istdennoch dramatisch. Zudem waren im Februar2003 581 000 junge Menschen unter 25 Jahre arbeits-los. Die jungen Leute haben sehr wenig Perspektive,fühlen sich als Verlierer am Ausbildungs- und Arbeits-markt und sie haben kein Vertrauen in die Politik. Wenwundert es bei dieser Bundesregierung?Reparaturmaßnahmen wie solche Programme helfenda wirklich wenig. Sie meinen es mit diesen Program-men zwar gut; aber machen Sie, meine Damen und Her-ren von Rot-Grün, lieber eine gute Wirtschaftspolitik,die auf mehr Wachstum und mehr Beschäftigung basiert.Das wäre eine auf Nachhaltigkeit und Generationenge-rechtigkeit hin ausgerichtete Politik. Meine Damen undHerren von Rot-Grün, bringen Sie Ihre Gewerkschafts-bremser in den eigenen Reihen zur Räson. Das wäre diebeste Investition in unsere Jugend.
Grundsätzlich gilt in den verschiedenen Politikfel-dern: Wir wollen die Leistung der Menschen im Ver-gleich zu denen, die nichts oder sehr wenig zur Solidar-gemeinschaft beitragen, honorieren.Frau Kressl, wir stehen zu unserem Konzept zum Fa-miliengeld. Sie sollten sich anschließen. Wir wollenGeld für eine Investition in die Zukunft zur Verfügung stel-len, um den Fortbestand unserer Gesellschaft zu sichern.
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2644 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Andreas ScheuerWir wollen die jungen Familien für ihren gesellschaft-lichen Beitrag besser stellen. Sie von Rot-Grün wollendas demographische Problem mit starker Zuwande-rung lösen.
Das wollen genau zwei Gruppen in unserer Gesellschaftnicht: die Union und die überwältigende Mehrheit in derdeutschen Bevölkerung.
Wir wollen Ihren gesellschaftlichen Umbau durch mehrZuwanderung nicht lösen. Alle Experten sagen: Wennwir das demographische Problem nicht angehen, bekom-men wir massive Probleme, auch hinsichtlich unserer so-zialen Sicherungssysteme.Auch das ist ein Punkt in Sachen Generationenge-rechtigkeit: Deutschland ist im Weltvergleich einer derärmsten Staaten, nämlich arm an Kindern; Platz 180 von191 Staaten.
Das ist wahrlich alarmierend. Wir müssen den Genera-tionenvertrag endlich ganzheitlich sehen. Andere Länderin Europa haben das demographische Problem längst be-wältigt, und zwar auf ähnliche Weise, wie von uns vor-geschlagen worden ist. In diesem Haushalt ist bei diesemThema Fehlanzeige.Der Haushalt ist rückwärts- oder allenfalls gegen-wartsorientiert, Frau Ministerin, aber auf keinen Fall zu-kunftsorientiert. Sie brüsten sich immer mit der sozialenGerechtigkeit und stellen dies zur Schau. Ihre Politik– das geben die nackten Zahlen wieder – ist nicht sozial,geschweige denn generationengerecht. Erkennen Sieendlich die Zeichen der Zeit! Eine Agenda 2010 à laSchröder ist bei Ihrem Haushalt, Frau MinisterinSchmidt, nicht erkennbar. Offenbar haben Sie da im Ka-binett gefehlt oder nicht aufgepasst.
Ihr Haushalt ist nicht zeitgemäß und setzt die falschenSchwerpunkte.Herzlichen Dank.
Herr Kollege Scheuer, Ihre Ausdrucksweise gegen-
über dem Bundesinnenminister war beleidigend. Ich er-
teile Ihnen dafür einen Ordnungsruf und bitte Sie herz-
lich, sich dafür zu entschuldigen.
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Ministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend Renate Schmidt.
Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Ich möchte mich gleich zu Anfang bei den
Berichterstatterinnen und Berichterstattern zum Einzel-
plan 17 für die sehr solidarische, sehr offene, sehr zielge-
richtete und an manchen Stellen sicherlich auch kritische
Beratung meines Einzelplans sehr herzlich bedanken.
Das meine ich ganz ehrlich. Der Beitrag, den wir zuletzt
gehört haben, entsprach der Atmosphäre, die es während
dieser Beratung unter uns gab, in keiner Weise. Ich brau-
che jetzt nicht auf den in diesem Parlament nachgeholten
politischen Aschermittwoch einzugehen.
Ich möchte mich bei meinen Ausführungen auf das
beschränken, um das es geht, nämlich auf den Einzel-
plan 17, wie es die meisten Rednerinnen und Redner
auch getan haben.
Das BMFSFJ, das in seinem familienpolitischen Teil
in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiern kann, hat
in unterschiedlichen Regierungen viel erreicht, aber es
hat nicht selten auch herbe Rückschläge hinnehmen
müssen. Deshalb bin ich stolz darauf, dass es in einer
finanziell schwierigen Situation, in einer wirtschaftlich
angespannten Lage gelungen ist, zu erreichen, dass in
den Kernbereichen meines Ministeriums nicht gespart
werden muss.
Es musste nicht im zentralen und wichtigen Bereich der
Familienpolitik gespart werden. Es gibt keinerlei Ein-
schränkungen beim Erziehungsgeld. Ich darf an dieser
Stelle vielleicht einmal daran erinnern, dass in der letz-
ten Legislaturperiode nach 15-jährigem Stillstand die
Einkommensgrenzen endlich angehoben worden sind.
Es wird nicht beim Unterhaltsvorschuss gespart und es
wird auch nicht in solchen Bereichen wie dem Mütterge-
nesungswerk gespart. Nirgendwo im familienpolitischen
Teil muss gespart werden.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage derKollegin Eichhorn?
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Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend:Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnetwird, gern.
Natürlich nicht.
Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, dass es kei-nerlei Kürzungen beim Erziehungsgeld gibt. Wie ver-trägt sich Ihre Aussage mit der Tatsache, dass uns heuteein Änderungsantrag auf dem Tisch liegt, nach dembeim Erziehungsgeld 30 Millionen Euro eingespart wer-den sollen?Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend:Frau Kollegin Eichhorn, ich wäre ohnehin noch da-rauf zu sprechen gekommen. So kann ich mir das sparen.Herzlichen Dank.Ich habe gerade gesagt, es gebe keinerlei Einschrän-kungen beim Erziehungsgeld. Kein Kind, keine Familiewird auch nur 1 Euro weniger Erziehungsgeld bekom-men als in der letzten Legislaturperiode.
Es werden weniger Kinder geboren, als wir ursprüng-lich prognostiziert haben. Die Kürzung um 30 Millio-nen Euro bedeutet aber keinen dramatischen Rückgang,wie von einem der Vorredner gesagt worden ist, sonderneinen Rückgang um 1 Prozent. Wir können nach den ers-ten drei Monaten dieses Jahres genauer sagen, wie hochdie Geburtenraten sein werden. Wir werden mit diesemum 30 Millionen Euro gekürzten Ansatz gut zurecht-kommen. Beim Erziehungsgeld werden keine Leistun-gen eingeschränkt.
Aber auch in anderen Einzelplänen und Ressorts wirdnicht zulasten von Familien eingespart. Ich nenne hierbeispielhaft das Kindergeld. Ich weise an dieser Stellenoch einmal darauf hin, Frau Böhmer: Die deutlichenErhöhungen des Kindergeldes in der letzten Legislatur-periode um 80 DM waren durch das Bundesverfassungs-gericht nicht geboten, sondern es war eine freiwillige zu-sätzliche Leistung von uns.
Dass diese Leistung in der momentanen finanziellen Si-tuation ungeschmälert erhalten bleibt, halte ich für einenwesentlichen Erfolg.Frau Böhmer, ich freue mich, dass Sie mein Buch sogenau gelesen und vieles daraus zitiert haben.
– Es kommt als Taschenbuch heraus, also können Sie espreiswerter haben; aber dies nur nebenbei.
– Ich habe nur auf den Zwischenruf reagiert.Ich stehe zu allem, was in diesem Buch steht. Natür-lich weiß ich, dass die materiellen Leistungen für Fami-lien von erheblicher Bedeutung sind. Aber wir müssenheute feststellen, dass es nicht an erster Stelle um denFaktor Geld geht. Es gibt viele Staaten in Europa, dieweniger Transferleistungen zahlen und keine Steuerer-leichterungen ermöglichen; das gilt auch für die USA. Indiesen Ländern haben die Familien weniger und trotz-dem sind die Geburtenraten höher; denn dort erfüllensich die jungen Frauen den vorhandenen Kinderwunsch,weil sie ihren hauptsächlichen Wunsch – um den gehtes –, nämlich ihre Ausbildung nutzen und Beruf undKinder vereinbaren zu können, erfüllen können. Dahinmüssen wir kommen und darum setzen wir in diesemBereich Prioritäten.
Frau Lenke, wir haben vereinbart, dass wir ab Ende2004 – ich betone das; jetzt beraten wir den Haushalt2003 – 1,5 Milliarden Euro für die Betreuung der unterDreijährigen einsetzen. Das werden wir auch tun. Ichwerde im Ausschuss im Detail über diese Maßnahmenberichten. Ich werde den Kommunen nichts aufs Augedrücken, sondern, wie ich es schon jetzt tue, gemeinsammit den Kommunen darüber verhandeln.Ich habe mich bei meiner Fraktion versichert, dasswir, wenn wir es über den Weg, den wir im Koalitions-vertrag festgelegt haben, nicht schaffen sollten, das hin-zubekommen, einen anderen Weg finden werden, der fürdie Kommunen, die Länder und den Bund – das gehörtallerdings dazu – tragbar ist. Das ist ein wesentlichesProjekt dieser Legislaturperiode. Ich stehe dazu und ichwerde Sie rechtzeitig informieren, wie die Betreuungs-quote erreicht werden wird.
Frau Böhmer, Sie sagen, ich würde über Mentalitäts-veränderungen reden. Doch nicht nur, um Himmels wil-len! Sie sind notwendig, weil wir als Gesetzgeber, egalwelcher Couleur wir sind, den Menschen eine kinder-und familienfreundliche Gesellschaft nicht par ordre dumufti aufs Auge drücken können, sondern Überzeu-gungsarbeit leisten müssen.
Aber es geht um mehr als um Mentalitätsveränderun-gen. Es gibt beispielsweise – weil Sie das angesprochenhaben – ganz konkrete Vorhaben im Bereich der Gleich-stellungspolitik. Ich habe in dieser Bundesregierung er-reicht – auch ich kenne die Geschäftsordnung –, dasszum Beispiel die Federführung für die Umsetzung der
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Bundesministerin Renate SchmidtEU-Gleichstellungsrichtlinie in meinem Ressort undnicht bei irgendwelchen anderen Ressorts liegen wird.
– Nein, das war in Ihrer Regierungszeit anders. Ich erin-nere an das Arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz, wiees seinerzeit noch hieß. Wo lag die Zuständigkeit denn,bitte schön? Sie lag beim BMA, wie auch die Zuständig-keit für diese Richtlinien bisher beim BMA lag. Jetztliegt sie in meinem Ressort. Ich bin stolz darauf, dass dasgelungen ist und die Federführung bei uns sein wird.
Gleichzeitig, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ha-ben wir Ideen für Einsparungen, die Familien besondersbetroffen hätten, eine Absage erteilt. Solche Ideen ka-men auch aus Ihren Reihen, zum Beispiel die, eine Fall-pauschale in der Krankenversicherung einzuführen. Wenhätte das besonders betroffen? Familien.Ich habe auch sofort reagiert und mich eingemischtund war damit erfolgreich, als irgendjemand die Idee ge-boren hatte, die beitragsfreie Mitversicherung von nichterwerbstätigen Familienangehörigen zur Disposition zustellen.
– Das kam aber auch nicht von uns, sondern von irgend-welchen Experten. In solchen Fällen muss man sofortversuchen, klar Schiff zu machen.
Nicht gekürzt haben wir im Bereich der Frauenpoli-tik. Der Aktionsplan „Gewalt gegen Frauen“ wird un-verändert und mit großer Intensität weitergeführt wer-den. Wir haben die Mittel für die Stiftung Mutter undKind nicht gekürzt. Wir werden in wenigen Monaten daserste Gender-Kompetenzzentrum der BundesrepublikDeutschland installieren. Es wird etwas getan. Ich setzemitnichten nur auf Mentalitätsveränderungen; ich setzeaber auch darauf, weil sie dringend notwendig sind.
Ebenso haben wir im Bereich der Seniorenpolitiknicht gekürzt. So wird unser Projekt EFI, Erfahrungswis-sen für Initiativen – es ist mir sehr wichtig, auch wenn esnicht mit großen Beträgen im Haushalt steht –, genausofortgesetzt wie die anderen Projekte, die wir uns vorge-nommen haben, um die Situation von hilfsbedürftigenalten Menschen zu verbessern.Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-men, ebenso wurden die Mittel des Kinder- und Ju-gendplans nicht gekürzt, zum Beispiel für die Projekte„Entwicklung und Chancen“, die vor allen Dingen fürdie arbeitslosen jungen Menschen gedacht sind. Ichwerde alles tun, damit sie jetzt nicht irgendwie den Ar-beitsämtern zum Opfer fallen. Deswegen werde ichübermorgen, am Donnerstag, auch darüber mit HerrnGerster sprechen.
Genauso werden die Mittel für solch wichtige Pro-jekte wie Civitas, Entimon und Xenos nicht gekürzt.Weil mir das so wichtig ist, sage ich: Ich verstehe IhreKritik an dieser Stelle nicht. In den letzten Jahren wurdedoch deutlich, welche Brisanz Rechtsextremismus,Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in unsererGesellschaft entfalten können. Die Frage, wie durch Prä-vention und Intervention gegen rechtsextreme und frem-denfeindliche Einstellungen und entsprechend motivier-tes Handeln vorgegangen werden kann, bleibt damit inmeinen Augen auf der Tagesordnung, auch deshalb, weilim Jahr 2002 von 12 634 extremistisch motiviertenStraftaten 10 579, also mehr als 80 Prozent, zum Be-reich der rechtsextremen Gewalt zu zählen waren. Diesbeantwortet auch Ihre Frage: Warum nur gegen denRechtsextremismus? Wir müssen zur Kenntnis nehmen,dass darin der Schwerpunkt liegt, den wir bekämpfenmüssen – ich glaube, doch wohl gemeinsam.
Der bisherige Erfolg des Aktionsprogramms mitseinen drei Teilen Civitas, Entimon und Xenos ist beacht-lich. Seit 2001 war es möglich, insgesamt rund2 750 Projekte, Initiativen und Maßnahmen zu fördern.Bereits heute kann ohne Zweifel festgestellt werden, dassder Bund mit dem Aktionsprogramm einen wichtigenBeitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft geleistet hat.
Sie bezweifeln den Erfolg der Programme frei nachdem Motto, das heute Heribert Prantl in der „Süddeut-schen Zeitung“ wie folgt beschreibt:Wenn die Zahl der Anschläge nicht sinkt, heißt es:„Die Programme sind eh nicht erfolgreich.“ Wenndie Zahl der Anschläge aber sinkt, heißt es: „DieProgramme brauchen wir nicht mehr.“Diese Schlussfolgerung ziehen wir garantiert nicht.
Sie bezweifeln die Bundeszuständigkeit. Die Pro-gramme sind unter anderem wegen ihrer Kleinteiligkeit,der Unterschiedlichkeit der Projektansätze bei gleicherZielrichtung und der Einbettung in lokale Netzwerkemodellhaft. Sie haben Anregungsfunktion; dies ist Auf-gabe des Bundes. Die Programme werden selbstver-ständlich evaluiert; das steht doch überhaupt nicht in-frage.
Natürlich, meine sehr geehrten Herren, meine sehr ge-ehrten Damen, kann es bei solchen Programmen auchdas eine oder andere schwarze Schaf geben. Wir werden
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Bundesministerin Renate Schmidtjedem entsprechenden Hinweis, der uns erreicht, nach-gehen und dies abstellen. Wir haben uns selbstverständ-lich auch vorgenommen, in der nächsten Tranche, alsojetzt in 2003, die Zusammenarbeit mit den Kommunenzu verbessern, aber doch bitte nicht um den Preis, dassdie Kommunen sagen, sie hätten keinen Bedarf an derBekämpfung rechtsextremer Gewalt, und dann gar nichtsmehr passiert. Das werden wir garantiert nicht mitma-chen. Gegebenenfalls werden wir selbstständig Trägersuchen und dann versuchen, dies umzusetzen.
Weil Sie heute so häufig die Friedrich-Ebert-Stiftungund Herrn Roth, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung eineStudie gemacht hat, erwähnt haben, möchte ich aus derZeitschrift „Das Parlament“ zitieren. Dort heißt es:Aber auch Roland Roth fühlt sich missverstanden,wenn seine Studie nun instrumentalisiert wird, umProjekten den Geldhahn abzudrehen, wie zum Bei-spiel dem Verein „Miteinander in Sachsen-Anhalt“,der bundesweit anerkannt gute Arbeit leistet, nunaber vor dem Aus steht, weil die Landesregierungdie Zuschüsse weitgehend streichen will.
Das ist nicht unsere Methode der Bekämpfung desRechtsextremismus.
Wir sind selbstverständlich für Hinweise – vor allemauch des Bundesrechnungshofs – dankbar, was wir bes-ser machen können. Nichts ist so gut, als dass man esnicht noch besser machen könnte. Wir lassen uns abernicht davon abbringen, unseren Anteil bei der Bekämp-fung von rechter Gewalt und Antisemitismus zu leisten.Gespart werden musste natürlich auch im Einzel-plan 17. Angesichts der Struktur dieses Einzelplans be-stand die Notwendigkeit, die Einsparsumme vor allembeim Zivildienst zu erbringen und damit auch die Auf-lage des Koalitionsvertrages zu erfüllen, Wehr- und Zivil-dienstpflichtige im gleichen Umfang, wie es ihrem Anteilan einem Geburtsjahrgang entspricht, einzuziehen.Frau Lenke, ich gebe Ihnen inhaltlich voll recht: Daskann noch nicht die angestrebte Wehrgerechtigkeitsein. Sie gibt es aber angesichts der Tatsache nicht, dassdie Bundeswehr nicht mehr sämtliche Wehrpflichtigenbenötigt.
Sie haben die Wahl, Einberufungsgerechtigkeit, wie Siees genannt haben, zu erreichen – dafür haben wir unsentschieden – oder zu versuchen, an anderer Stelle Ge-rechtigkeit zu erreichen. Wir haben uns, wie gesagt, fürden ersten Weg entschieden. Ich halte ihn für eine Über-gangszeit auch für vernünftig.
– Ich bitte, jetzt keine Zwischenfrage mehr zu stellen, daich mit meiner Rede fast am Ende bin.Ich sage ganz deutlich: Wir brauchen eine schnelleEntscheidung über die Frage: Wehrpflicht ja oder nein?Möglichst bis Anfang 2004. Nach der Umsetzung dieserEntscheidung wird es wieder mehr Planungssicherheitgeben als in diesem Jahr. Die Planungsunsicherheit istdadurch entstanden, dass wir im Oktober des letzten Jah-res vor dem Hintergrund der geänderten Voraussetzun-gen bereits eine höhere Zahl von Zivildienstpflichtigeneingezogen haben.Ich bin den Wohlfahrtsorganisationen und den ande-ren Trägern des Zivildienstes sehr dankbar, dass sie be-reit waren, mitzumachen, und ihre Zuschüsse erhöht ha-ben. Ich bedauere es ungeheuer, dass die Anrufung desVermittlungsausschusses jetzt dazu beiträgt, dass wir dieMaßnahmen noch nicht umsetzen und die Sperre freige-ben können. Sie blockieren und erhöhen damit die Un-sicherheit bei den jungen Menschen wie bei den Trägerndes Zivildienstes weiter.
Eine Schwierigkeit taucht selten allein auf. So mussich sagen: Die Folgen des Programmierfehlers aus demJahr 2001 müssen korrigiert werden. Ich sage aber auch:Die Einsparmöglichkeiten in diesem Bereich haben dasEnde der Fahnenstange erreicht. Deshalb bin ich demHaushaltsausschuss sehr dankbar, dass er die erwähnteAbsenkung um 30 Millionen Euro mitgetragen hat unddafür sorgt, dass wir in diesem Bereich nicht in weitereSchwierigkeiten kommen.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-men, mit dem hier vorliegenden Haushalt wird es gelingen,zum einen zu sparen und zum anderen Politik weiter ge-stalten zu können. Ich frage am Schluss: Was wollen Sie?Ich habe mitbekommen, dass Ihr wesentlicher Antrag dieKürzung und die Zusammenstreichung der Programme ge-gen Rechtsextremismus beinhaltete. Sie hätten stattdessendeutlich machen können – auf diese Diskussion hätte ichmich heute vor dem Hintergrund konkreter Zahlen ge-freut –, dass Ihr Konzept eines Familiengeldes umsetzbarund finanzierbar ist. Die Haushaltsberatung wäre der rich-tige Ort und die richtige Stunde gewesen. Das haben Sieleider Gottes versäumt. Sie bieten den Menschen eine Mo-gelpackung an, weil Sie wissen, dass Ihre Vorschläge ers-tens nicht finanzierbar sind und zweitens bei der Bevölke-rung nicht auf eine positive Resonanz stoßen.
Dennoch darf ich mich bei Ihnen allen bedanken.Nachdem wir sofort wieder in die nächsten Beratungeneintreten werden, bitte ich um Unterstützung für dennächsten Haushalt.Herzlichen Dank.
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Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ministerin Schmidt, auch wenn Sie mir einbisschen Redezeit gestohlen haben, was ich Ihnen gernezugestehe, bedanke ich mich nicht nur bei den Haushäl-terinnen und Haushältern, sondern auch bei Ihnen. Dennwenn wir heute feststellen können, dass Kinder und Fa-milien im Mittelpunkt unserer Politik stehen, diesesThema an Bedeutung gewonnen hat und Sie bzw. IhrMinisterium immer lauter werden und Lobbyarbeit fürKinder und Familien betreiben, dann müssen wir uns da-für vor allem bei Ihnen bedanken. Die Koalition wirdweiterhin unter Beweis stellen, dass wir auch in dieserWahlperiode die gute Politik, die wir in den vergangenenvier Jahren gemacht haben, fortsetzen werden.
Ich möchte ansprechen, was mich an dieser gesamtenDebatte grundsätzlich gestört hat. Wenn man Frau Till-mann, Frau Böhmer oder auch Herrn Scheuer zuhört, ge-winnt man den Eindruck, als ob man Familienpolitik nurbetreiben sollte, um den demographischen Faktor zu ver-bessern und die Geburtsrate der Frauen zu steigern. Ichfinde, das ist eine Beleidigung für alle Familien, die Ver-antwortung übernehmen. Das ist der Unterschied zwi-schen Ihnen und uns.
Uns geht es nicht darum, sondern um Chancen- undTeilhabegerechtigkeit, um die Unterstützung jungerEltern, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmenund ihren Teil zu dieser Gesellschaft beizutragen, undum Gerechtigkeit beim Aufwachsen von Kindern inDeutschland. Es geht um die Kinder und nicht nur da-rum, was gut für die Eltern ist, also auch um die Frage:Was ist gut für unsere Kinder und Jugendlichen, die inunserer Gesellschaft aufwachsen?
Wir behalten die Leistungen für Kinder und Familienbei. Frau Böhmer, Sie haben davon gesprochen, dassKindererziehung ein Gelübde für Armut ist.
Warum aber kommt ausgerechnet aus Ihren Reihen zumBeispiel der Vorschlag, die Sozialhilfe um 25 Prozent zukürzen? 40 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen sindalleinerziehende Mütter. Wenn Sie die Sozialhilfe um25 Prozent kürzen, dann treffen Sie viele alleinerzie-hende Mütter, die Sozialhilfe beziehen.
Sie aber sprechen von einem Gelübde für Armut. Siesollten sich einmal in Ihren Reihen umschauen. Warumstellen Sie sich, wenn Sie die Armut bekämpfen wollen,gegen die Infrastrukturmaßnahmen im Bereich derGanztagsschulen und der Betreuung von Kindern im Al-ter von null bis drei Jahren?
Wir wissen spätestens seit der Vorlage des Armuts- undReichtumsberichts der Regierung bzw. weiterer Armuts-berichte: Die beste Form der Armutsbekämpfung ist im-mer noch die Förderung von Erwerbstätigkeit.
Warum stellen Sie sich dagegen? Warum unterstützenSie ein Programm wie das des Familiengeldes, bei demes um nichts anderes geht, als Prämien für das Zuhause-bleiben zu verteilen? Ist das Ihre Form der Armutsbe-kämpfung?
Dann setze ich lieber die Politik fort, die wir bisher be-trieben haben.
Warum haben Sie nicht zugestimmt, als wir dasUnterhaltsvorschussgesetz geändert haben? Warum wa-ren Sie gegen die Erhöhung des Kindergeldes? Warumwaren Sie gegen das neue Modell des Erziehungsgeldes,
bei dem es um die Gewährung von mehr Geld währendder Erziehungsphase ging? Das ist die DoppelzüngigkeitIhrer Politik.
Zu den Ganztagsschulen: Es ist eine Unverschämt-heit, in diesem Bereich von irgendwelchen DDR-Kopienzu sprechen. Sie haben die Argumente nicht verstanden:Es geht in der Tat um die Vereinbarkeit von Beruf undFamilie, um bessere Bildungsperspektiven und darum,eine andere Zeiteinteilung und andere Pädagogikmodelleauszuprobieren und sie im Sinne und zum Wohle desKindes einzuführen.Es geht um noch etwas: Sie sprechen von den Ganz-tagsschulen als den besseren Suppenküchen. 15 Prozentder Kinder in dieser Gesellschaft leiden unter Adipositas,das heißt unter Fettsucht. Noch mehr Kinder leiden unterMagersucht. Es gibt zunehmend Kinder, die falsch ernährtwerden und die ohne Frühstück in die Schule gehen. Esgeht also nicht um Suppenküchen, sondern um eine ge-sunde Ernährung. Auch das ist ein Teil der Ganztagsschule.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2649
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Ekin DeligözGerade deshalb werden wir uns als Grüne weiterhin fürdie Ganztagsschule einsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns indieser Wahlperiode einiges vorgenommen, auch mit demAusbau der Kinderbetreuung für Kinder von null bis dreiJahren. Wir werden das durchziehen, es wird am Schlussein Erfolgsmodell sein und dazu werden Sie uns gratu-lieren.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17,
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, in der Ausschussfassung.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst ab-
zustimmen haben. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 15/618? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Ent-
haltung der FDP angenommen.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschuss-
fassung mit der soeben beschlossenen Änderung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 17
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Ich rufe auf:
10. Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
– Drucksachen 15/556, 15/572 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Norbert Barthle
Klaus Hagemann
Lothar Binding
Anja Hajduk
Otto Fricke
Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion der
FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Beatrix Philipp, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angstist ein schlechter Ratgeber.
– Das sagt der Volksmund, Herr Wiefelspütz, und wie sooft hat er Recht.
Aber während wir noch vor ein paar Jahren in Veranstal-tungen, auch in Wahlkampfveranstaltungen, feststellten,dass die Menschen sehr viel mehr Angst haben, als sieeigentlich haben müssten, das heißt, das subjektive Ge-fühl der Bevölkerung ungleich schlechter war als dieRealität, hat sich dies inzwischen, spätestens nach dem11. September, leider ganz erheblich verändert.Ich möchte es aber bei dieser Feststellung geradeheute nicht belassen und ich denke auch, niemand wirdmir widersprechen: Gerade heute sollte man sich ein we-nig mit dem Thema Angst befassen, weil wir die Ängstein der Bevölkerung ernst nehmen müssen und ihnen ei-gentlich auch begegnen müssten. Angst muss ernst ge-nommen werden und man kann sie nicht wegreden.
– Richtig, Herr Wiefelspütz, man darf sie nicht schüren.Aber man darf, indem man den Menschen die Wahrheitsagt, dazu beitragen, dass ihnen vielleicht die Angst ge-nommen wird, die sie aus einem unbestimmten Gefühlheraus haben.Wir müssen uns deswegen damit auseinander setzen,weil wir gerade in dem Haushalt, der jetzt und hier zurBeratung ansteht, auch die richtigen Prioritäten setzenmüssen. Mehr können wir hier im Augenblick nicht tun,aber das, was wir tun können, müssen wir tun. Ich habeZweifel, dass diese Bundesregierung das auch so sieht.Dabei ist nach meiner Meinung Folgendes festzustel-len, ich will das gerade heute noch einmal ausdrücklichsagen: Zweifellos wollen die Menschen – und ich denke,auch jedes Mitglied in diesem Hause – keinen Krieg.Aber die Angst vor einer militärischen Auseinander-setzung ist aus vielen Gründen gerade in unserem Volkbesonders groß.Es ist auch festzustellen, dass die Menschen das Be-drohungspotenzial, das zweifellos von Saddam Husseinausgeht, immer noch nicht zu realisieren bereit sind. Da-ran mag auch die Angst sie hindern, aber wir müssen denMenschen die Wahrheit sagen. Ich verweise dabei aus-drücklich auf die Beantwortung der schriftlichen Fra-gen 275 bis 278 des Kollegen Dr. Schockenhoff vom Fe-bruar dieses Jahres.Ich finde es nicht in Ordnung, dass diese Bundesre-gierung seit mehr als vier Wochen weiß, dass SaddamHussein ein mobiles Raketensystem im irakisch-kurdi-schen Grenzgebiet stationiert hat. Sie weiß auch, dasssich die Gefahrenlage für die deutschen, englischen undamerikanischen Soldaten in Kuwait dadurch erheblichverschärft hat.
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Beatrix PhilippAber ich vermisse jedwede Konsequenz aus diesen Fak-ten.Herr Edathy, es gibt einen Zusammenhang zwischeninnerer und äußerer Sicherheit. Darauf komme ichgleich noch zu sprechen. Sie erschweren sich jetzt wie-der, das zur Kenntnis zu nehmen, indem Sie zwischen-durch schwätzen. Wenn Sie diesen Zusammenhang nichtsehen, finde ich das schwach.
Auch die Tatsache, dass die Vereinten Nationen seitzwölf Jahren versucht haben, Druck auf den Irak auszu-üben, ist in der aktuellen Debatte völlig in den Hinter-grund getreten.
– Das ist so. Ich stelle es hier nur fest. Deswegen weißich gar nicht, warum Sie das nicht in Ordnung finden.Selbst die schlichte Wahrheit, dass bis zum Augen-blick Saddam Hussein es in der Hand hat, die Krise zubeenden und eine friedliche Lösung herbeizuführen,scheint den Menschen überhaupt nicht zugängig oderpräsent zu sein. Dazu – auch das sage ich ganz ehrlichund offen; Sie kennen mich – hätte ich mir etwas mehrInhaltliches in den Ausführungen des Bundeskanzlersheute Morgen gewünscht.
Die Menschen erwarten von uns und auch vom Haus-halt im Bereich der Innenpolitik – auch wenn Ihnen,Herr Edathy, das immer noch nicht klar zu sein scheint –verständlicherweise einen starken Staat, der sie nachmenschlichem Ermessen optimal und umfassend schützt.Sie wollen möglichst angstfrei leben und sich sicher füh-len. Deswegen erwarten sie von uns – darauf haben sieeinen Anspruch –, dass wir in diesem Bereich Konse-quenzen ziehen.Wir haben schon mehrfach – auch in diesem Hause –darüber gesprochen, dass die althergebrachte Trennungvon äußerer und innerer Sicherheit nicht mehr durchzu-halten ist. Das empfinden die Menschen – jedenfalls dieMenschen, mit denen ich spreche – genauso. Wir habendarauf hingewiesen, dass wir eine Grundgesetzänderungfür notwendig halten. Was der hessische InnenministerVolker Bouffier hier am 16. Januar ausgeführt hat, musseinfach ernst genommen werden. Er hat dies aus sehrpersönlicher Kenntnis und Erfahrung mit den Vorgängenin Frankfurt, die ja harmlos zu Ende gegangen sind, aus-geführt. Ich zitiere:Es geht um die Frage: Wie organisieren wir in unse-rem Land die Gefahrenabwehr so, dass wir allestun, was wir können, was wir müssen, was rechts-staatlich geboten ist, um den Bürgerinnen und Bür-gern in diesem Lande den Schutz zu geben, den siebrauchen?
Frau Kollegin Philipp, gestatten Sie eine Zwischen-
frage?
Herrn Wiefelspütz eigentlich immer, nur im Augen-blick nicht. Ich würde gerne den Gedanken zu Ende füh-ren, weil es in Ihrer Fraktion offenbar Menschen gibt, diedas, was ich hier ausführe, nicht so nachvollziehen kön-nen, wie Sie, Herr Wiefelspütz, es normalerweise tun.Um dem berechtigten Wunsch nach optimalemSchutz zu entsprechen, müssen wir die Voraussetzungenfür den Einsatz der Bundeswehr auch im Innern – zurGefahrenabwehr – schaffen. Das müssen wir bald tun.Noch eine Vorbemerkung. Mir ist natürlich bekannt– Herr Wiefelspütz, vielleicht sind Sie ein wenig ent-täuscht –, dass eine Haushaltsplanberatung immer dieStunde der Opposition ist. Ich weiß auch, dass die Nei-gung besteht, zu überzeichnen. Die kenne auch ich. Dassich das kann, wissen Sie alle.
Aber ich habe ganz ausdrücklich – ich meine das ernst –am Anfang dieser Ausführungen über die Angst gespro-chen, weil ich glaube, dass wir gerade in diesem Jahr– vor dem Hintergrund der aktuellen Situation – ganzbesonders aufmerksam, sorgfältig und sensibel mit die-sem Thema und den hier anstehenden Fragen umgehenmüssen. Es gibt in diesem Zusammenhang eben keinenRaum für Polemik.
Die Menschen müssen nach der Debatte entwederglauben, dass wir alles Menschenmögliche für ihre Si-cherheit getan haben – oder eben nicht. Sie werden unsdaran messen, ob wir unserer Verantwortung gerecht ge-worden sind – oder eben nicht.Meine Damen und Herren, Haushaltswahrheit undHaushaltsklarheit sind Minimalanforderungen. Das wis-sen Sie alle. Leider muss ich schon am Anfang feststel-len, dass es just mit diesen beiden Anforderungen imEinzelplan 06 nicht weit her ist.Erstens. Es fehlt völlig die Umsetzung des Tarif-abschlusses im öffentlichen Dienst. Egal wie man ihnnun findet: Im vorliegenden Haushalt findet er überhauptkeine Berücksichtigung.Zweitens. Ebenfalls unberücksichtigt, das heißt nichtetatisiert, sind die Mittel, die der Staatsvertrag mit demZentralrat der Juden erforderlich macht.
– Dann nehme ich das sofort zurück und bedanke michdafür. Wir hatten ja im Innenausschuss darüber gespro-chen. Ich freue mich, dass auch diese Regierungskoali-tion schlauer werden kann. Wir geben ja die Hoffnungnicht auf. Gleich haben wir noch einen Antrag auf derTagesordnung. Auch da können Sie zeigen, dass Ihnendieser Weg nicht versperrt ist.
Drittens. Ebenso unumstritten ist – so hoffte ich je-denfalls nach den Etatberatungen im Ausschuss – die
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Beatrix PhilippBereitstellung der notwendigen Mittel für die IT-ge-stützte Rekonstruktion vorvernichteter Stasiunterla-gen. Die Summe für Personal und Hardware beläuft sichauf circa 2,6 Millionen Euro.Vor dem Hintergrund des 50. Jahrestages des 17. Juniin diesem Jahr hielte ich es nicht für ein gutes Signal,wenn nicht nur diese Mittel nicht eingestellt würden,sondern die Birthler-Behörde auch noch eine Kürzungum fast 3,5 Millionen Euro zu verkraften hätte.
Ich meine, wir müssen im Gegenteil etwas dafür tun,dass die Akzeptanz der Arbeit dieser Behörde auch inder Bevölkerung wieder wächst.
Die fehlende Sensibilität und die Unkenntnis – das sageich ganz bewusst von jeder Besuchergruppe, die ich hierdurch Berlin führe, zum Beispiel auch nach Hohen-schönhausen – über die Tätigkeit und die Machenschaf-ten der Stasi und die Folgen für die Opfer sind in der Be-völkerung oder zumindest bei denjenigen, die wir hier zubegrüßen haben, erschreckend hoch. Deshalb wäre es einvöllig falsches Signal, in diesem Bereich die Mittel zukürzen.
Das haben Sie vielleicht so nicht gesehen, und deswegenbieten wir – darauf habe ich eben schon hingewiesen –Ihnen durch unseren Antrag die Möglichkeit, Ihre Auf-fassung dazu zu ändern.
– Ja, so sind wir eben.Es gehört zur Wahrheit, dass auch wir in unserer Re-gierungsverantwortung in dem großen Bereich des Zivil-und Katastrophenschutzes erhebliche Einsparungenvorgenommen haben.
– Dazu komme ich gleich. – Aber die Bedrohungslagewar vor ein paar Jahren anders einzuschätzen als heute.
– Nicht dass Sie noch einen Herzinfarkt bekommen. Daswollen wir nun auch nicht.
Die Betonung des Bereichs des Zivil- und Katastro-phenschutzes muss zur Konsequenz haben, dass wir ihnmit entsprechenden finanziellen Mitteln ausstatten.
Die Menschen haben das Gefühl, dass dies nicht in aus-reichendem Maße geschieht. Bei Bedrohungen aus derLuft – ein Beispiel, das ich vorhin genannt habe –, also beiSicherheitsproblemen, die sich durch Angriffe mit Flug-zeugen ergeben, reichen Absprachen nicht aus, um eineLösung zu finden. Die Menschen brauchen das Gefühl,dass wir Vorsorge für eine zeit- und sachgerechte Reak-tion getroffen haben, um die Zusammenarbeit zwischenBundeswehr, Polizei, Feuerwehr, Bundesgrenzschutz,THW sowie anderen Landes- und Bundesbehörden si-cherzustellen. Das aber kostet Geld, welches nicht in demnotwendigen Umfang – das meinen wir jedenfalls – imHaushalt zu finden ist.Wir begrüßen die Absicht des Bundesinnenministers,ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Kata-strophenhilfe zu schaffen. Wir sind nicht in allen Fällenuneins und so stimmen wir Ihnen in diesem Fall zu. DieAkademie für Krisenmanagement, Notfallplanung undZivilschutz leistet hier schon wichtige Zuarbeit, wenn esum die Koordinierung der Landes- und Bundesaufgabengeht. Aber wie immer steckt auch hier der Teufel im De-tail.
In der Antwort der Bundesregierung auf unsereKleine Anfrage, Nr. 15/415, haben wir eine Reihe vonHinweisen auf dringend notwendige Maßnahmen erhal-ten. Ich nenne nur beispielhaft erstens die Ausstattungs-frage des THW in Bezug auf die Wartung der Fahrzeuge.Wer den Zustand und das Alter der Einsatzfahrzeugekennt, kann über Kürzungen in diesem Bereich, wie dieBundesregierung sie vorgenommen hat, nur entsetztsein.Zweitens ist die Einführung des digitalen Sprech-und Datenfunks für die Sicherheitsbehörden inDeutschland längst überfällig. Herr Minister, Sie mei-nen, bis zur Weltmeisterschaft 2006 müsste dieses Sys-tem funktionieren. Es ist auch keinem Menschen klar zumachen, dass Polizei und Feuerwehr in unterschiedli-chen Orten nicht miteinander kommunizieren können,weil unterschiedliche Netze genutzt werden.
Die Mittel für die Ausschreibung, die ja wohl der Ver-gabe vorausgeht – auch bei Ihnen, Herr Minister –, sindim Etat nicht zu finden. Vielleicht ist es vergessen wor-den, aber vielleicht ist es auch ein Beispiel für einen an-deren Umgang mit Finanzen: Sie und auch wir wissen,dass die Kosten für analoge Systeme in den nächstenJahren die Kosten für die Beschaffung und den Betriebdigitaler Funksysteme überschreiten werden. In diesemZusammenhang wird häufig von Milchmädchenrech-nung gesprochen. Wir halten es aus sachlichen wie ausfinanziellen Gründen für gravierend falsch, dass im Etatkeine Mittel für die Ausschreibung zu finden sind.
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Beatrix PhilippDrittens. Zu einem schlüssigen Konzept im Bereichdes Zivil- und Katastrophenschutzes gehören auch dieAusbildung der Bevölkerung in erster Hilfe und dieAus- und Fortbildung von Pflegehilfskräften. Im Haus-haltsentwurf waren dafür noch 5,4 Millionen Euro vor-gesehen, nun sind es nur noch 3,4 Millionen Euro. Ichwage es nur zu vermuten, wer Ihnen die 2 MillionenEuro weggenommen hat, Herr Minister. Wir halten die-ses Vorgehen für falsch. Man kann nicht auf der einenSeite Impfstoff gegen Pocken kaufen und auf der ande-ren Seite vor Ort und an der Basis Geld sparen. Das passtnicht zusammen. Außerdem trägt es nicht dazu bei, dasssich die Menschen in unserem Land sicherer fühlen undwahrnehmen, dass wir alles tun, was möglich ist.Noch ein Hinweis auf ehrenamtliches Engagement:Der Herr Minister hat sich in seiner Einbringungsredesehr zutreffend über Ehrenamtlichkeit geäußert. Ich darfzitieren:Stärker ins Bewusstsein ist die Tatsache getreten,dass wir uns auch auf Bundesebene mehr umBevölkerungsschutz und Katastrophenschutzhilfekümmern müssen.Das ist sehr wahr. Allerdings frage ich mich besorgt, HerrMinister, wessen Bewusstsein Sie gemeint haben. Einstärkeres Bewusstsein spiegelt sich nicht im Etat Ihres Mi-nisteriums wider; das wissen Sie. Bei der vorgesehenenAusstattung dieses Bereiches gibt es zwar leichte Verbes-serungen, aber die dringend notwendigen Mittel – da sindwir uns ganz sicher; das haben wir in der Beratung zumHaushaltsplan im Ausschuss aufgezeigt – fehlen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt The-men, auf die mich die Menschen auf eigentlich jederVeranstaltung ansprechen. Sie fragen mich zum Beispiel,was diese Bundesregierung und wir als Parlamentarier inBezug auf das deutsche Ausländer- und Sicherheits-recht tun. Dass es nicht ausreichend ist, haben wir hierschon mehrfach angesprochen. Leider gaben die Gesprä-che in der ersten Runde keine Veranlassung anzunehmen– das war eindeutig –, dass Sie mit uns in dieser Frage aneinem Strang ziehen. Wir haben bereits ein ausführlichesKonzept vorgelegt und würden uns sehr freuen, wennwir es, natürlich mit Zugeständnissen auf beiden Seiten,zur Sicherheit der Bevölkerung möglichst schnell be-schließen könnten.Zu diesen Eckpunkten gehören – darin müssen wiruns einig sein –: Wir müssen bereits die Einreise von Ex-tremisten und Terroristen verhindern. Wir müssen Extre-misten und Terroristen sicher und frühzeitiger identifi-zieren; dazu müssen wir – das haben wir schon gesagt –biometrische Daten in die Legitimationspapiere aufneh-men. Wir müssen dafür sorgen, dass Extremisten undTerroristen Deutschland tatsächlich verlassen; dort gibtes erhebliche Sicherheitslücken.
Extremisten und Terroristen dürfen keinen deutschenPass erhalten, wenn wir vermuten und die Annahme be-rechtigt ist, dass sie terroristische Vereinigungen unter-stützen oder bereit sind, diese zu unterstützen.Wir müssen aber nicht nur die gesetzlichen Bedingun-gen hierfür schaffen – das ist nur ein Teil der Hausaufga-ben –, sondern müssen die Menschen, die für unsereSicherheit vor Ort arbeiten, also zum Beispiel die Be-schäftigten bei Polizei und Bundesgrenzschutz, besserausstatten. Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterungwird es gravierende Mehrbelastungen geben. Daraufmüssen wir vorbereitet sein. Wir brauchen dringend ei-nen Einstellungskorridor – Herr Minister, das habenwir schon mehrfach angesprochen –, um die ausschei-denden BGS-Mitarbeiter ersetzen zu können. Das mussvorbereitet werden. Darüber hinaus brauchen wir drin-gend Verbesserungen der persönlichen Ausstattung, derDienststellen und der gesetzlichen Grundlagen, um si-cherzustellen, dass die BGS-Mitarbeiter den gesteigertenAnforderungen beim Schutz der Bevölkerung entspre-chen können. Das kostet Geld, das in diesem Haushaltfehlt.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluss.
Ich schließe ausdrücklich mit dem Dank an alle, die
im Bereich der inneren wie auch der äußeren Sicherheit
unter den besonders schweren Bedingungen ihre Pflicht
tun und oft mehr als das. Unsere Pflicht wäre es, die
haushaltsrechtlichen Möglichkeiten dafür zu schaffen.
Haushaltsplanberatungen, egal auf welcher politischen
Ebene, ob auf kommunaler, auf Landes- oder auf Bun-
desebene, sind immer eine Frage der Prioritätensetzung.
Weil wir die Prioritäten in diesem Haushalt anders ge-
setzt hätten, als Sie es getan haben, können wir dem
Haushalt leider nicht zustimmen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir beraten unseren Haushaltsplan 2003
am Vorabend eines sehr wahrscheinlichen Krieges imIrak, im Nahen Osten – Frau Kollegin Philipp hat schondarauf hingewiesen –, in unserer Nachbarregion, wie esder Bundesaußenminister immer wieder formuliert.Frau Philipp, nur einen Satz möchte ich doch nocheinmal herausstellen: Durch die Arbeit der Inspektorensind mehr Waffen beseitigt worden als durch den erstenIrakkrieg.
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Klaus HagemannDeswegen sollte man den Inspektoren auch weiterhin dieMöglichkeit geben, dafür zu sorgen, dass weitere gefähr-liche Waffen – da gebe ich Ihnen Recht – zerstört werdenkönnen.
Die Situation, die ich gerade beschrieben habe, wirdnatürlich auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage inunserem Land, der Bundesrepublik Deutschland, ha-ben. Es ergeben sich große Herausforderungen für denRechtsstaat, für die innere Sicherheit und für die Innen-politik insgesamt. Sie erfordern eine erhebliche Wach-samkeit der Sicherheitsbehörden. Es muss aber derGrundsatz gelten, dass Deutschland auch weiterhin einfreies, weltoffenes und sicheres Land ist. Daran wirdsich aus unserer Sicht auch zukünftig nichts ändern;
denn Sicherheit und Freiheit ergänzen einander. Sie sindzwei Seiten ein und derselben Medaille. Das gilt genausowie die Tatsache, dass die Rechtsstaatlichkeit und dieVerbrechens- oder Terrorismusbekämpfung keine Ge-gensätze sind, sondern sich gegenseitig ergänzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Grund-sätze, die ich hier dargelegt habe, finden sich auch imEinzelplan 06 wieder. Frau Philipp, Sie haben Recht:Wir müssen auf die Ängste der Menschen Rücksichtnehmen. Ich glaube, dass mit diesem Einzelplan deutlichwird, dass wir gerade durch die Stärkung der Sicher-heitsbehörden – durch Finanzmittel, durch Personalund Sachgegenstände – dafür sorgen, dass die Ängstenicht zunehmen müssen. Wir dürfen – auch das möchteich deutlich machen und noch einmal hervorheben –keine Ängste schüren und keine falschen Ängste hervor-rufen.
Durch unsere Politik in den zurückliegenden Jahren– und nicht erst seit dem letzten Jahr – haben wir dieKompetenz und die Arbeitsfähigkeit der Sicherheits-behörden gestärkt. Das haben wir insbesondere durchdie Gesetzgebung nach dem 11. September 2001, aberauch durch die Bereitstellung von Finanzmitteln überdas Antiterrorprogramm, das in diesem Jahr fortge-schrieben wird und das aus dem Einzelplan 60 genom-men und in den Einzelplan 06 eingefügt worden ist,deutlich gemacht. Sogar das haben Sie angezweifelt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade diePersonal- und Sachausstattung beim Bundesgrenzschutz,beim Bundeskriminalamt, beim Bundesamt für Sicher-heit in der Informationstechnologie und beim Bundesamtfür Verfassungsschutz sind gestärkt worden und werdenauch durch den Haushalt 2003 weiterhin gestärkt.
Das Zahlenwerk von insgesamt mehr als 4 MilliardenEuro macht deutlich, dass die Möglichkeit zur Haus-haltskonsolidierung auf der einen Seite und die Stärkungder inneren Sicherheit auf der anderen Seite kein Wider-spruch sind, sondern sich gegenseitig ergänzen.Gerade durch die Bemühungen der Koalition aus SPDund Grünen konnten wir in den zurückliegenden Jahrenetwa 280 Millionen Euro einsparen. In der gleichen Zeithaben wir durch Prioritätensetzung dafür gesorgt, dassdie Ausgaben für den Bereich der inneren Sicherheit um400 Millionen Euro aufgestockt werden konnten unddiese 400 Millionen Euro den Sicherheitsbehörden zurVerfügung gestellt worden sind. Das findet auch imHaushaltsplan 2003 seinen Niederschlag: Weil wir dasAntiterrorprogramm umsetzen, stocken wir den Etatauf 2,4 Milliarden Euro auf. Das ist mehr als die Hälftedes gesamten Haushaltes. Frau Philipp, ich meine, dasist ein Beitrag zum Abbau der Ängste und dazu – Sie ha-ben es unterstützend gesagt –, alles Menschenmöglichezu tun. Aber nichts ist so gut, als dass man es nicht nochverbessern könnte.
Aber nicht nur bei den Sicherheitsbehörden gilt dies,sondern genauso für den Zivil- und Katastrophen-schutz. Die Koalition aus SPD und Grünen hat hier dieMittel erheblich aufgestockt. Der Kollege Wiefelspützhat dies durch seinen Zwischenruf deutlich gemacht.Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutli-chen.An erster Stelle will ich den Bundesgrenzschutz nen-nen. Für den Bundesgrenzschutz stehen in diesem Jahr1,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind 200 Millio-nen Euro mehr als zur CDU/FDP-Regierungszeit. Da ichgerade den Kollegen Otto Fricke sehe: Natürlich sindauch populistische Anträge gestellt worden. Diesekönnte man, wenn sie finanzierbar wären, erfüllen. Aberbei den Beratungen im Haushaltsausschuss haben Sieuns die Deckung für Ihre Anträge nicht erläutern kön-nen. Wie immer fehlt sie bei Ihren Anträgen.Es gibt beim Bundesgrenzschutz 31 600 Stellen.Frau Philipp, auch das trägt dazu bei, dass diese Arbeitrichtig erledigt werden kann. Wichtig ist, dass das Stel-lenhebungsprogramm fortgesetzt wird. Seit 1999 konntefast die Hälfte der Bundesgrenzschutzbeamten befördertwerden. Das sollte einmal deutlich gemacht werden. Diepersönliche Ausstattung, die Sie angesprochen haben,Frau Philipp, wurde verbessert, indem für jeden Bundes-grenzschutzbeamten eine persönliche Schutzweste zurVerfügung gestellt wird. Auch diese sind finanziert wor-den.
Die Bauinvestitionen konnten fortgeführt werden.Gerade nach der Neugestaltung des Bundesgrenzschut-zes waren für Baumaßnahmen zur Renovierung von Un-terkünften weitere Mittel notwendig. Daher wurden dieMittel aufgestockt. Ich will nur darauf hinweisen: Seit1999 sind bisher 290 Millionen Euro für Bauinvestitio-nen zur Verfügung gestellt worden. Ebenso ist auch die
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Klaus HagemannAusstattung des Fahrzeugparks erheblich ausgeweitetworden. Dieses Jahr stehen dafür 62 Millionen Euro be-reit.Der Bundesgrenzschutz hat insbesondere nach dem11. September 2001 seine Aufgaben ausweiten müssen.Die Tätigkeit im Bereich der Sicherung von Flughäfen undder Luftsicherheit ist deutlich herauszustellen. In der ver-gangenen Woche haben wir mit dem Innenausschuss denFrankfurter Flughafen besucht. Wir haben uns dort vomBundesgrenzschutz informieren lassen, wie die lückenloseGepäckkontrolle funktioniert und wie das Programm derFlugbegleiter erfolgreich umgesetzt wurde. Auch daraufmöchte ich noch einmal mit Nachdruck hinweisen.Ein weiterer Bereich bei der Sicherheit ist das Bun-deskriminalamt. Die Mittel konnten gegenüber derschwarz-gelben Regierungszeit um 100 Millionen Euroaufgestockt werden, insbesondere zur Terrorismusbe-kämpfung, zur Bekämpfung der organisierten Krimina-lität oder zur Bekämpfung der Geldwäsche. Ebenso istdas Personal aufgestockt worden. Die Verbesserung derKriminaltechnik und die Verstärkung in der Informa-tionstechnologie sind zu ergänzen.Zum Bereich der Kriminalitäts- und Terrorbekämp-fung gehört auch die internationale Zusammenarbeit.Wir brauchen sie, um Erfolg zu haben. In demEinzelplan 06 sind für die internationale Tätigkeit erheb-liche Summen aus unserem Haushalt bereitgestellt wor-den. Auch darauf sei verwiesen.Was sich ebenso positiv ausgewirkt hat – das gehörtzum Sicherheitsbereich dazu –, ist, dass Bundesinnen-minister Otto Schily das Bundesamt für Sicherheit in derInformationstechnologie geschaffen hat und die Mitteldafür aufgestockt worden sind. In diesem zukunftsträch-tigen Markt ist dies besonders wichtig.Auch die Bereitschaftspolizei – lassen Sie mich das er-wähnen – können wir im nächsten Jahr besser ausstatten,weil mehr Mittel zur Verfügung stehen. Es hat mich gewun-dert, dass die CDU/CSU beantragt hat, die Mittel für denKauf von Fahrzeugen zu kürzen. Hierzu hatte die Union ei-nen Antrag auf eine 2,5-prozentige Kürzung gestellt.
– Es ist so, Herr Kollege. Sie müssten im Haushaltsaus-schuss sein. Dann hätten Sie das miterleben können.
Die Union hat hier also entsprechende Anträge einge-bracht. Meine Damen und Herren, auch INPOL ,also die Vernetzung der Informationstechnologien vonLänder- und Bundespolizei, kann in diesem Sommer zurVerfügung gestellt werden.
Zur inneren Sicherheit gehört auch der Zivil- und Ka-tastrophenschutz. Hier, Frau Philipp, sind wir einer Mei-nung. In diesem Bereich gilt es, weiterhin auf der einenSeite die ehrenamtliche und auf der anderen Seite diehauptamtliche Arbeit zu unterstützen und finanziell zufördern. Die aktive Arbeit gerade im Inland, zum Bei-spiel beim Elbehochwasser und bei anderen Katastro-phen, hat die hervorragende Qualität deutlich gemacht.Aber auch im Auslandsbereich sind viele zivile Einsätze,insbesondere durch das THW und andere Einrichtungen,gefördert worden. Gerade die Männer und Frauen, diehier im Einsatz sind, sind mit die besten Botschafter un-seres Landes im Ausland.
Wir sind bezüglich der Stärkung und Weiterentwick-lung des Zivilschutzes neue Wege gegangen. Ich finde esgenauso wie Sie richtig, dass das Bundesamt für denKatastrophenschutz gegründet und unter dem Dach desBundesverwaltungsamtes bzw. – um es konkreter zu sa-gen – in Zusammenarbeit mit dem Bundesverwaltungs-amt eingerichtet wird. Denn hier muss die Zusammenar-beit zwischen Bund und Ländern gestärkt und nochbesser koordiniert werden. Die Forschung muss voran-getrieben werden. Auch der Gesundheitsbereich solltemit einbezogen werden. Hier sind wir auf dem richtigenWeg, das möchte ich herausstellen. Ich denke, dass dieArbeit in Kürze aufgenommen werden kann.Eine besondere und herausragende Einrichtung ist dasTechnische Hilfswerk. Es ist für den Bund eine Perle.Das möchte ich betonen.
Ich will mit Nachdruck erwähnen, dass sich immer mehrMenschen im Technischen Hilfswerk organisieren undengagieren. Das drückt sich auch in der Zur-Verfügung-Stellung von Geld aus. Ich darf einmal zwei Zahlen nen-nen: Im Jahr 1998, als wir die Regierungsverantwortungübernommen haben, standen für das Technische Hilfs-werk 95 Millionen Euro zur Verfügung. In diesem Jahrwerden es 131 Millionen Euro sein. Frau Philipp, Sie se-hen, dass wir hier einen Schwerpunkt gesetzt haben.
Dies ist ein wichtiger und richtiger Schwerpunkt. DieAnerkennung, gerade bei den Betroffenen, ist immerwieder festzustellen.Die Mittel für die erste Hilfe haben wir – das wurdebereits angesprochen – in der Tat gekürzt. Wir haben unslange überlegt, wie wir uns entscheiden. Aber uns ist ins-besondere durch das Ministerium deutlich gemacht wor-den, dass die Mittel in diesem Bereich in den letzten Jah-ren nicht genügend abgeflossen sind. Dies war derGrund, aus dem wir hier etwas gekürzt haben. Sollte esnotwendig werden, werden die benötigten Mittel auchhier zur Verfügung gestellt.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ei-nen letzten Gedanken ansprechen. Der Beitrag zur inne-ren Sicherheit wird auch durch die Integrationsbemü-hungen und die Sprachförderung von Aussiedlern undAusländern geleistet. Dies wollten wir eigentlich durchdas neue Zuwanderungsgesetz regeln.
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Klaus HagemannDurch die Entscheidung in Karlsruhe ist es aber anders ge-kommen. Wir wollen diesen Gesetzentwurf erneut einbrin-gen, um die Zuwanderung besser steuern und die Integrationbesser fördern zu können. Schon jetzt haben wir im Hinblickauf das, was kommen wird, die Mittel für die Integrations-bemühungen, die Sprachförderung und die Qualifizierungvon Kursleitern und Multiplikatoren angehoben.
Auch die Förderung von ausländischen Frauen sei erwähnt.Außerdem haben wir, SPD und Grüne, zu den bereitsvom Ministerium vorgeschlagenen 169 Millionen Euro8,5 Millionen Euro zusätzlich beantragt.
Ich war sehr enttäuscht, dass die Union, obwohl ihreVertreter sonst immer so viel von Integration sprechen,unseren Antrag abgelehnt bzw. sich enthalten hat.
Ich meine, das ist doppelzüngig. Wichtig ist, dass Integra-tion und Sprachförderung tatsächlich stattfinden. Hierfürmüssen die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Durch die Be-ratungen des Einzelplans 06 wurden die Mittel auf dereinen Seite aufgestockt, auf der anderen Seite wurdenEinsparungen vorgenommen. Die innere Sicherheit hatim Ergebnis eine Stärkung erfahren. Das trägt dazu bei,Ängste bei der Bevölkerung abzubauen. Das ist einSchwerpunkt in diesem Haushalt. Ich meine, dass ei-gentlich eine Zustimmung der Opposition, insbesondereder Union, notwendig wäre.
Leider ist dem nicht so. Wir haben vieles erfüllt. DieSPD und die Grünen, die Regierungskoalition, sind dieGaranten für den Ausbau der inneren Sicherheit.
Der zuständige Bundesminister Otto Schily ist das äu-ßere Symbol dafür.
Herzlich Dank, dass Sie mir zugehört haben.
Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege
Otto Fricke, FDP-Fraktion.
Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Herr Hagemann, bei vielem kann ich Ihnen zustimmen,aber bei dem stetigen Blick auf 1998 kann man eigent-lich nur Udo Jürgens zitieren: Schau nach vorne, nichtzurück.
Das würde ich Ihnen wirklich einmal für Argumenteempfehlen.Der Einzelplan 06, der Haushalt des Bundesinnenmi-nisteriums, ist in unsicheren Zeiten – und in diesen be-wegen wir uns – stets ein Fokus der Öffentlichkeit. Da-her sind wir als Parlamentarier verpflichtet, konkreteAntworten zu geben. Dies betrifft Fragen der innerenSicherheit, die Fragen des Katastrophenschutzes, aberauch Fragen einer zukunftsfähigen Gesellschaft, Stich-wort: Zuwanderung. Die Antworten dürfen nicht zu kurzgreifen, sie müssen mittel- und langfristig in schlüssigeKonzepte eingebettet werden.Im Einzelnen: Ich habe bereits im Rahmen der De-batte zum Einzelplan des Bundesjustizministeriums beider ersten Lesung darauf hingewiesen, dass das Bundes-innenministerium – Herr Minister, bitte jetzt nicht wie-der erschrecken – mit einem riesigen Bauchladen annachgeordneten Behörden und Institutionen versehen ist.Ich bleibe auch dabei: Ich halte diesen Bauchladen fürfalsch.
Ich will – das wissen Sie – kein Bundespolizeiminis-terium oder Ähnliches haben, aber ich muss doch sagen,dass das, was ich in den kleineren Ministerien erlebthabe, deutlich zeigt, dass ein großes Ministerium in Zei-ten knapper Kassen noch flexibel ist und viele Dingeauffangen kann, die weh tun. Ein kleines Ministeriumkann dies nicht und geht an die Grenzen seiner Belas-tung. Dieses müssen wir in Zukunft bei der Haushaltspo-litik auch berücksichtigen.
– Das heißt für mich, wenn Sie das genau wissen wollen,Folgendes: Nehmen Sie als Beispiel den Datenschutzbe-auftragten oder die Stasiunterlagen-Behörde. Müssendiese beim Innenministerium sein? Kann man die nichtauch bei einem anderen Ministerium ansiedeln? So gibtes noch viele andere Dinge mehr.
– Meine Damen und Herren, hören Sie zu und denkenSie darüber nach. Dann bilden Sie sich Ihre Meinung.Im Bereich des Katastrophenschutzes, dessen Be-deutung wir bei der Flutkatastrophe deutlich vor Augengeführt bekommen haben, hat das THW eine sehr guteArbeit geleistet. Ich stimme Ihnen zu, Herr Hagemann:Die Bundesregierung, die Koalition, hat da vieles getan.Ich bin dennoch der Meinung, dass wir bei den Ortsver-bänden etwas mehr tun könnten.Bevor wieder der Einwand kommt: „Wo nehmen Siedenn das Geld her?“, mag ich doch einmal daran erinnern,
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Otto Frickedass die FDP im Haushaltsausschuss an einigen Stellenerstens Kürzungsanträgen der Koalition zugestimmt hatund zweitens – ich erinnere an den Verbraucherschutzund die Landwirtschaft – Anträge auf erhebliche Kür-zungen gestellt hat.
Der Versuch, immer unsere Kürzungsvorschläge anzu-mahnen, zielt nach meiner Meinung ins Leere.Was den Bundesgrenzschutz bzw. die künftige Bun-despolizei angeht, hat die FDP feststellen müssen, dasses trotz vieler Investitionen weiterhin einer erheblichenAusstattung und Einrichtung bedarf. Was den Beamtenjetzt teilweise zur Verfügung steht – und ich habe erstmeine ersten Besuche gemacht –, ist teilweise das, waswir in den 80er-Jahren vorgefunden haben. Der Schrittins 21. Jahrhundert, der dringend notwendig ist, ist anvielen Stellen leider noch nicht getan.Was den Bereich INPOL angeht, so kann mannur sagen: Ja, es bewegt sich etwas in die richtige Rich-tung, endlich. Im Haushaltsausschuss – ich habe ein biss-chen in den Archiven gestöbert – hat es quasi des Druckseiner Haushaltssperre bedurft, damit es endlich in dierichtige Richtung ging, nachdem wir mehrere Millionenin den Sand gesetzt haben. Das Beispiel des Bundesgrenz-schutzes zeigt nach meiner Meinung, wie die Exekutivemanchmal mit den Vorgaben der Legislative umgeht.
Ich möchte aber ausdrücklich etwas betonen, das beiINPOL leider immer wieder vergessen wird. DieFDP weist immer wieder darauf hin, dass ein stärkererVollzug unserer Gesetze notwendig ist, statt die Menschendurch immer wieder neue Eingriffsrechte kurz- oder mit-telfristig zu beruhigen. INPOL ist ein solches Mit-tel. Es geht eben nicht nur darum, mehr Polizisten undeine bessere Ausstattung für sie zu fordern, sondern auchum einen schnellen Datenabgleich. Denn er führt erstenszu kürzeren und effektiveren Eingriffen in das Recht aufinformationelle Selbstbestimmung, wenn sie denn seinmüssen, und zweitens sorgt er dafür, dass weitere Eingriffevermieden werden können, weil bestimmte Erkenntnissefrüher und schneller gewonnen werden können. Das müs-sen wir gerade in diesen eben angesprochenen unsiche-ren Zeiten berücksichtigen.Es kann und darf nicht sein, dass die einfache Ant-wort der Politik auf Bedrohungen und Ängste immer nurin neuen Gesetzen besteht, Frau Philipp. Die Antwortmuss vielmehr darin bestehen, zu prüfen, wie mit denvorhandenen Gesetzen schneller, effektiver und ein-griffsärmer gehandelt werden kann. Denn das sorgt fürSicherheit.
Der Kollege Hagemann hat das BSI, das Bundesamtfür Sicherheit in der Informationstechnik, angesprochen.Es ist in der Tat eine gute Einrichtung, die innerhalb vonEuropa führend ist. Dennoch wäre es – wenn wir ehrlichsind – an dieser Stelle besser gewesen weiterzugehen.Sie fragen jetzt sicherlich wieder, wo unsere Vorschlägebleiben. Aber wir werden – das merke ich auch bei ande-ren Einzelplänen – nur dann vorankommen, wenn wirerkennen, welche Potenziale im Bereich der EDV liegen,und einen entsprechenden Druck ausüben. Wenn ich inden anderen Ausschüssen, in denen ich auch Bericht-erstatter bin,
mitbekomme, wie immer wieder die EDV-Ausstattungals Sparbüchse genutzt wird und hier noch ein Milliön-chen und dort noch ein Milliönchen eingespart wird,dann bin ich gespannt, was aus Bund Online 2005 unterder Führung des Innenministeriums wird. Der Innenmi-nister wird uns sicherlich nachher bestätigen, dass alleswunderbar funktioniert. Aber auch hier gibt es Spar-büchsen, an die die Koalition leider viel zu oft herange-gangen ist.Ich will noch auf ein Thema eingehen, das neben derFrage des Irakkriegs in den Medien eine Rolle gespielt hatund vielleicht zum Glück für die Koalition, aber auch fürdie CDU/CSU ein wenig in den Hintergrund gedrängtworden ist, nämlich das NPD-Verbotsverfahren inKarlsruhe. Eines vorab, um gar nicht erst in den Verdachtfalscher moralischer oder sonstiger Positionen zu geraten:Die FDP bedauert ausdrücklich, dass das von der Bundes-tagsmehrheit, Bundesrat und Bundesregierung in Ganggebrachte Verbotsverfahren gegen die NPD eingestelltwerden musste und damit letztlich gescheitert ist.
– Es musste eingestellt werden. Das ist der Unterschied.Die Richter haben so entschieden und diese Entschei-dung sollten wir – –
– Sehen Sie, das ist der Unterschied. Für einen rechts-staatlich denkenden Menschen bedeutet das: Wenn dieRegelung besteht, dass eine Minderheit das Verfahrenbeenden kann, dann muss er auch akzeptieren, wenn dieMinderheit so entscheidet.
Wir als FDP ruhen uns nicht darauf aus festzustellen:Wir haben es schon immer gewusst; wir haben es euchprophezeit. Aber eines muss an dieser Stelle erlaubt sein.Ich habe mir in Vorbereitung auf diese Rede noch einmaldie Debatte über den Antrag auf Einleitung des NPD-Verbotsverfahrens durchgelesen und mir die bei unsPolitikern so beliebte Sendung „Vorsicht! Friedman“ zudiesem Thema angeschaut. Anhand der Debatten konnteman genau erkennen, dass zwischen einem moralischhoch gestellten „Gut gemeint“ und einem staatsverant-wortlichen „Gut gemacht“ Welten liegen.
Wer heute die Ausführungen des Bundesverfassungs-gerichts ein wenig verfolgt hat, weiß, dass ein Partei-verbotsverfahren ein zweischneidiges Schwert ist. In
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Otto Frickediesem Fall besteht das Problem darin, dass die zweiteSchneide des Schwerts zum Zuge kam und diejenigen,die das Schwert in der Hand geführt haben, mehr oderweniger verletzt hat. Ich begrüße ausdrücklich, dass derBundesinnenminister wie auch der bayerische Innenmi-nister nunmehr eingesehen haben, dass das Verbotsver-fahren nichts mehr bringt. Ob die SPD sich darin völligeinig ist, wage ich zu bezweifeln, nachdem ich gehörthabe, dass Herr Ringstorff beantragt hat, das Verfahrennoch einmal von vorn zu beginnen.Das Parteiverbotsverfahren kann nicht die Lösung sein.Lassen Sie es mich so ausdrücken: Der Königsweg derAuseinandersetzung besteht darin, bei den Wurzeln vonRechtsradikalismus anzusetzen, das heißt, potenzielleZielgruppen bereits gegen das freiheitsfeindliche Gedan-kengut Rechtsradikaler zu stärken. Es ist müßig, nachdem Schuldigen zu suchen. Wir sollten lieber unsererVerantwortung als Politiker gerecht werden und eine Lö-sung für dieses Problem finden.
– Danke für das Kompliment, Herr Edathy. Ich freuemich, dass auch Sie das so sehen. Es wäre schön, wennSie das auch noch verstehen und nachvollziehen würden.Ich komme zum Schluss, bevor die Präsidentin michrügt. Die erhebliche Kritik an den Programmen der Bun-desregierung zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit– Civitas, Xenon und Entimon – darf nicht dazu führen,dass wir die Mittel für diese Programme – hier gebe ichHerrn Prantl völlig Recht – kürzen oder sogar einstellen.Wir müssen sie vielmehr stärker auf diejenigen konzentrie-ren, die in die richtige Richtung geleitet werden sollen. Esgibt hier Probleme. Wer das verneint, macht einen Fehler.Ich glaube, dass Herr Prantl einen großen Fehler ge-macht hat, als er bei Herrn Friedman gesagt hat: Ich glaube,das Material ist zu dicht, und ich würde Haus und Hof dafürverwetten, dass der Antrag durchgeht. Leider hat damalsniemand die Wette von Herrn Prantl angenommen.
Eines darf man aber festhalten: In einem Rechtsstaat istes noch lange nicht möglich, dass man jede Hürde fürein Gesetz aus dem Weg sprengt, nur weil das Ziel legi-tim ist.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar, Bünd-nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauPhilipp hat zu Beginn ihrer Rede gesagt, die Haushalts-beratungen seien die Stunde der Opposition. Ich fügehinzu: Die Haushaltsberatungen sind auch Stunden derWahrheit.
Ich habe mich während der Rede von Frau Philipp gefragt,wie die Situation heute, wenige Stunden vor einem Irakkrieg,aussehen würde, wenn Sie an der Regierung wären.
Sie wären – das haben Frau Merkel und Herr Pflüger sehrdeutlich gemacht – mit den USA in den Krieg gezogen.
Sie sollten endlich einmal die Wahrheit sagen, welcheinnenpolitischen Auswirkungen Ihre Außenpolitik ge-habt hätte. Das wäre Ihr Beitrag zur inneren Sicherheitgewesen. Ich sage Ihnen: Sie hätten unsere Bevölkerungin Gefahr gebracht.
– Das ist keine Unverschämtheit. Ich habe mir die Redenund Interviews von Herrn Pflüger sehr genau ange-schaut.
Sie haben weitere Themen angesprochen, zu denenich etwas sagen möchte. Ich beginne mit dem Themadigitales Funknetz. Sie beklagen, dass wir für dessenEinführung keine Mittel eingestellt hätten. Ich darf Siean Folgendes erinnern: Es gibt hier nach wie vor eineAuseinandersetzung, weil Bayern zu den Ländern ge-hört, die eine Einigung über die bundesweite Einführungeines einheitlichen Systems – es stehen zwei Systemezur Auswahl – verhindern. Solange diese Auseinander-setzung nicht geklärt ist, solange also Bayern der Mei-nung ist, dass es zwar gut sei, wenn es in Deutschlandein digitales Funknetz gebe, dass man aber in Bayern einanderes einführen werde als in den anderen Bundeslän-dern, solange macht es überhaupt keinen Sinn, dass wirfür diesen Bereich Gelder einstellen.
– Das weise ich zurück. Sie benehmen sich wie die Lüm-mel von der ersten Bank.
Ihre Zwischenrufe sind dermaßen flach, dass ich nichtbereit bin, auf sie einzugehen.
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Silke Stokar von NeufornÜber den BGS werden alte Debatten geführt. Es gehtnicht um die Frage, ob es wichtig ist, dass der BGS neueFahrzeuge bekommt. Wir sollten uns vielmehr die verän-derte Realität vor Augen führen. Längst werden derdeutsche BGS im Ausland und die Bundeswehr im In-nern eingesetzt.Zum Thema „Aufbau der Europäischen Grenzpoli-zei“ habe ich von Ihnen inhaltlich überhaupt noch nichtsgehört. Dieser Haushalt ist für uns noch einmal eine Ver-pflichtung, uns Gedanken über die vorhandenen Struktu-ren und über die Anpassung dieser Strukturen an verän-derte Realitäten zu machen. Mit Ihrer 80er-Jahre-Argu-mentation in der Innenpolitik ignorieren Sie,
dass wir es längst mit neuen Themen zu tun haben, zudenen Sie einfach nichts zu sagen haben.
Der Kollege von der SPD hat es hier schon gesagt:Wir haben in diesem Haushalt bewusst ein Zeichen imBereich der Integration gesetzt. Begreifen Sie das docheinmal als ein Angebot auch an Sie! Schließlich habenSie gefordert, dass auf dem Gebiet der Einreise vonExtremisten etwas unternommen wird. Begreifen Siedoch unseren Haushaltsansatz, dessen Mittel in den Be-reich der Integration fließen, als ein Angebot, über dasZuwanderungsgesetz in diesem Hause vernünftig zureden!Wir haben den Auftritt von Herrn Stoiber hier erlebt.Herr Stoiber hat sich in der Auseinandersetzung über dieRegierungserklärung gegen Frau Merkel durchgesetzt.Wegen des Wahlkampfs in Bayern setzt sich HerrStoiber auch in dieser Situation gegen große Teile derCDU/CSU durch.
Herr Müller hat schon bedauert, dass Sie sich in derRolle „Wir blockieren das Zuwanderungsgesetz undbeugen uns dem bayerischen Diktat“ schon fest einge-richtet haben. Ich sage das in diesem Zusammenhangnicht nur, weil wir dafür gesorgt haben, dass in denHaushalt die entsprechenden Mittel für die Integrationeingestellt worden sind, sondern auch, weil Sie bis heutenicht begriffen haben, dass das Zuwanderungsgesetzkein Geschenk für Ausländer ist, sondern dass es für allein unserer Gesellschaft wichtig und ein Beitrag zu mehrinnerer Sicherheit in diesem Land ist.
Was den Punkt angeht, auf den ich noch eingehenmöchte, so habe ich für Änderungsanträge seitens derOpposition durchaus Verständnis. Ich denke dabei insbe-sondere an die Bundesstiftung zur Aufarbeitung derSED-Diktatur und an die Anträge, die den Bereich derBirthler-Behörde betreffen. Wir haben uns im Haushalts-ausschuss massiv dafür eingesetzt, dass die ursprünglichgeplanten Kürzungen weiter reduziert werden, und unsin dieser Frage auch durchgesetzt. Wir können für dieseReduzierung hier einfach nur um Verständnis bitten. Esist für jede Politikergeneration sehr wichtig, sich mit dereigenen Vergangenheit und mit den Fehlern der eigenenGeschichte auseinander zu setzen. Wir von Rot-Grünwerden uns nochmals Gedanken darüber machen, wiewir zum 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 außerhalb desHaushalts ein Zeichen setzen können, damit die geplan-ten Festveranstaltungen mit unserer Hilfe – wichtig istdabei auch ideelle Hilfe – durchgeführt werden können.
Zum Schluss möchte ich noch auf etwas eingehen,was die FDP hier angesprochen hat. Sie von der FDPhaben unter anderem gefordert – das halte ich für unsin-nig –, den Datenschutzbeauftragten einem anderenRessort zuzuordnen. Wenn dieses Parlament im Hinblickauf den Bundesdatenschutzbeauftragten ein Zeichen set-zen möchte, dann sollten wir uns nicht darüber streiten,an welches Ressort er gebunden ist. Wir sollten uns da-für einsetzen, dass die Unabhängigkeit des Bundesdaten-schutzbeauftragten dadurch gewährleistet ist, dass er anunser Parlament gebunden ist.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hagemann?
Nein, meine Redezeit ist abgelaufen und mein Kol-
lege möchte auch noch etwas sagen.
Ich erteile das Wort der Kollegin Susanne Jaffke,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach diesem Redebeitrag muss man, glaube ich, nocheinmal betonen: Wir sind in der Haushaltsdebatte. DerEinzelplan 06 – Bundesinnenministerium – eignet sichnicht dazu, besonders polemisch zu argumentieren.Dem Kollegen Hagemann möchte ich noch einmal dieAntwort geben, die ich auch schon im Haushalts-ausschuss gegeben habe. Der Vorschlag, bei Kap. 0624– Bereitschaftspolizeien – diese kleine Kürzung um240 000 Euro vorzunehmen, ist wie folgt zu begründen:Unter anderem das Land Mecklenburg-Vorpommern hältden Vertrag mit der Bundesregierung nicht mehr ein und
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Susanne Jaffkefährt die Zahl der Einsatzhundertschaften zurück. Dem-nach wird auch das Material an den Bund zurückgeführt.Der Rechnungshof hat das aufgegriffen und uns mitge-teilt, dass das so zutrifft.
– Selbstverständlich. Die Einsatzhundertschaft Anklamist aufgelöst worden. Es sind jetzt nur noch zwei Ein-satzhundertschaften; Sie wissen es, Herr Kollege Ha-cker.Ich möchte keine Polemik machen, sondern Zahlensprechen lassen. Der Einzelplan 06 belief sich ursprüng-lich auf 4,023 Milliarden Euro. Das sind 9,8 Prozentmehr als im Vorjahr; das ist korrekt.
Nun hat es in Kap. 0601 und 0602 eine globale Minder-ausgabe von insgesamt 61 Millionen Euro gegeben, wo-durch sich der Aufwuchs auf 8,1 Prozent verringerte.Die noch dazu veranschlagte globale Minderausgabevon 25 Millionen Euro, die die Regierungskoalitiondraufgelegt hat, hat dazu geführt, dass im Etat nur noch7,4 Prozent mehr zur Verfügung stehen.Wenn man sich den ursprünglichen Etat genau an-guckt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die rei-nen Personalkosten 2,148 Milliarden Euro ausmachen.Das sind 52 Prozent. Nach all den Kürzungen und nachder Änderung infolge der Tariferhöhung von 2,5 Pro-zent, für die das Bundesinnenministerium 53,7 Millio-nen Euro erwirtschaften muss, hat der Etat einen Perso-nalkostenanteil von 56 Prozent.Von vielen ist gesagt worden, dass dieser Etat erfreu-licherweise unendlich aufwachsen würde. Unter demStrich bleiben aber nur 117 Millionen Euro mehr übrig.Damit soll der Minister nun die Ausgaben für Sachaus-stattung, innere Sicherheit und andere Dinge bestreiten.Damit wird er seine Kernaufgaben, glaube ich, nicht er-füllen können.Zu seinen Kernaufgaben gehört die Integrationsar-beit für Aussiedler und Asylbewerber sowie die Sprach-förderung. Zu den Kernaufgaben gehören auch poli-tische Bildungsarbeit, Kampf gegen Extremismus vonlinks und rechts. Das wird ein Stück weit auf der Streckebleiben. Bei der inneren Sicherheit, der Ausrüstung derBundespolizei, der Schaffung der neuen Koordinie-rungsinstanz für den Zivilschutz in unserem Lande – dasgehört zu den wichtigsten Kernaufgaben – werden dieInvestitionen gestreckt werden.Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein ganz beson-deres Petitum für die besondere Situation an der EU-Au-ßengrenze abgeben. Wenn nicht mit diesem oder spätes-tens mit dem nächsten Etat gehandelt wird, dann werdenan der heutigen EU-Außengrenze zu Polen und Tsche-chien mindestens 1 700 BGS-Beamte mehr benötigt unddafür ist keine Vorsorge getroffen.
Mit dem Beitritt dieser Länder entfällt die Zollkontrolle,das heißt die zurzeit noch bestehende Zusammenarbeitvon Einsatzeinheiten von BGS und bewaffnetem Zollentfällt. Die Zöllner wissen im Moment nicht, was mitihnen passiert. Die Zöllner werden abgezogen. Es entste-hen Binnenzollämter. Der BGS muss diese Stellen erset-zen. Dem ist in dem Etat überhaupt nicht Rechnung ge-tragen worden.Wir waren uns eigentlich über die Parteigrenzen hin-weg einig, dass angesichts der besonderen Aufgaben, dieder Innenminister zu tragen hat, dieser Etat einer beson-deren Schonung bedarf. Ich kann nur feststellen: Die an-gekündigte Kraftbrühe, die dieser Etat eigentlich seinsollte, ist nur ein dünnes Wassersüppchen geworden;denn Sie haben mit Ihren Kürzungsanträgen zu stark zu-geschlagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es Ihnen mitder Arbeit des Ministers wirklich ernst ist, dann könnenSie sich zumindest den zwei Anträgen, die die CDU/CSU-Fraktion einbringen wird, nicht entziehen. Dererste Antrag wird sich natürlich mit der Anhebung derMittel für die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dik-tatur befassen,
damit – auch Frau Kollegin Stokar hat darauf hingewie-sen – dem Anliegen Rechnung getragen werden kann,die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit und Ge-schichte in unserem Land weiter voranzubringen.Zu dem zweiten Antrag, den wir am Donnerstag zumHaushaltsgrundsätzegesetz stellen werden, kann ich nursagen: Herr Kollege Hagemann, Sie haben Recht, wennSie sagen, das THW sei eine Perle. Aber warum um al-les in der Welt haben Sie das THW dann doch mit der1,5-prozentigen Stellenkürzung versehen? Das THW hatsich in den 90er-Jahren einer ganz intensiven Strukturre-form unterziehen müssen; seine Verwaltung ist schonjetzt extrem ausgedünnt. Wenn nun dort noch einmalPersonal abgebaut wird, kann es die Erfüllung seinerAufgaben nicht mehr sicherstellen. Deshalb lassen Sieuns gemeinsam beim Haushaltsgrundsätzegesetz dasTHW von der Personalkosteneinsparung ausnehmen,wie es immer gute Sitte war, und ein Absinken verhin-dern.
Als Hauptberichterstatterin zum Einzelplan 06möchte ich zum Schluss noch ganz besonders den Minis-terialbeamten und -angestellten – einige sitzen hinten aufder Regierungsbank – danken. Die Haushaltsabteilunghat uns in einer dankenswert intensiven Arbeit all daszur Verfügung gestellt, was wir als Berichterstatterbrauchten, und unsere Fragen beantwortet. Das war füralle Kollegen, vor allem die neuen Kollegen, sehr hilf-reich.Genauso möchte ich allen Behördenleitern danken,die ihre Behörden in unserer Marathonsitzung kurz undprägnant vorgestellt haben und damit den neuen Kolle-gen einen Einblick in ihre Arbeit gegeben haben.
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Susanne JaffkeLassen Sie mich auch dem Minister danken.
Der Minister hat sich für die Berichterstattergesprächeüber zwei Stunden Zeit genommen. Er hat den Bericht-erstattern seine Schwerpunkte deutlich erläutert. Umsoverwunderlicher ist es natürlich, dass die Regierungs-koalitionäre die Wünsche des Ministers nun nicht erfüllenund überdimensioniert zusammenkürzen. Herr Minister,ich wiederhole, was ich im Berichterstattergespräch ge-sagt habe: Sie werden erleben, dass die Opposition re-gierungstreuer ist als die eigenen Truppen.
Da wir regierungstreu sind, können wir dem vorgelegtenBeratungsergebnis nicht zustimmen.
Ich erteile das Wort Kollegen Lothar Binding, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damenund Herren! Über die Bedeutung von Sport, Breitensportund Spitzensport, besteht große Einigkeit. Deshalbmöchte ich all den Berichterstattern Dank aussprechen,die in diesem Bereich sehr gut zusammengearbeitet ha-ben. Das gilt parteiübergreifend. Das Ergebnis kann sichsehen lassen.
Sport hat auch politisch eine große Bedeutung; denn erschafft Fairness, Integrationskraft, Kameradschaft, Ge-sundheit, aber auch Vorbilder.Ich möchte auch dem Minister danken; denn der Mi-nister hat mit seinen Mitarbeitern, Fritz Rudolf Körperund Ute Vogt als Parlamentarischen Staatssekretären,aber auch den Abteilungen eine wirklich hervorragendeVorlage geliefert und die Sportförderung auf hohem Ni-veau stabilisiert.Ich möchte noch einer dritten Gruppe danken und diesmit einer kleinen Geschichte einleiten. Klaus Staeck hatmir Folgendes erzählt: Er kommt in ein großes Gebäudeund sieht einen Hausmeister, der sich im Fernsehen einwichtiges Rennen der Formel 1 anguckt. Darauf sagt er:Es ist ja schade, dass der Fahrer keine Steuern inDeutschland zahlt.
Der Hausmeister erwidert, der riskiere ja auch sein Le-ben. Klaus Staeck darauf: Jeder Feuerwehrmann bei unsim Staat riskiert sein Leben, aber er zahlt seine Steuernin Deutschland und trägt dazu bei, dass wir die Förde-rung des Breiten- wie des Spitzensports betreiben kön-nen.Jetzt wird die CDU/CSU sagen, es sei kein Wunder,dass der mit seinem hohen Einkommen ins Ausland geht,die Steuern seien zu hoch. Ich meine, so wie der Haus-meister und der Feuerwehrmann ihre Steuern in Deutsch-land bezahlen – dafür möchte ich ihnen danken –, kannauch jemand, der 40, 30, 10 oder vielleicht auch nur5 Millionen Euro an Jahreseinkommen hat, eben sehrwohl hohe Steuern entrichten, und zwar in Deutschland,denn er wurde hier sozialisiert und er hat seine momen-tane Leistungsfähigkeit, die ihn vielleicht nach vornbringt, letztendlich auf dem Rücken dieser Gesellschaftentwickelt.
Daher glaube ich, dass wir uns mit denjenigen, die mitAuslandskonten mehr Erfahrung haben als ich, darüberunterhalten müssen, als Spitzensportler Verantwortungauch im Sinne der eigenen Vorbildfunktion wahzuneh-men.Mit Blick auf die erfolgreich vorangeschrittenen Sa-nierungen und Modernisierungen der Stadien in Berlinund Leipzig können wir feststellen, dass die Sportförde-rung im Jahr 2003 mit einem Ansatz von mehr als130 Millionen Euro stabilisiert wird. Diese sehr deutli-che Aussage erkennen wir auch daran, dass für zentraleMaßnahmen auf dem Gebiet des Sports 70 MillionenEuro zur Verfügung stehen. Die Bundesportfachver-bände erhalten 18 Millionen Euro. Für das Personal imBereich Leistungssport stehen ebenfalls 18 MillionenEuro bereit, für Olympiastützpunkte und Bundesleis-tungszentren 26 Millionen Euro und für Behinderten-sport 3 Millionen Euro. Für zentrale Maßnahmen desBreitensports bleibt auch noch ein sehr nennenswerterBetrag.Das Bundesinnenministerium kümmert sich aber auchum eine sehr wichtige Einrichtung, die Welt-Anti-Do-ping-Agentur, und finanziert diese zur Hälfte. Ich haltedies für eine sehr wichtige Aufgabe. Die Förderung inder vorgesehenen Höhe bringt diese Institution erheblichvoran.Darüber hinaus ist der Sportstättenbau für den Hoch-leistungssport sehr wichtig; er kann mit einem Zuwachsrechnen. Die Förderung hierfür hat mit über 19 Millio-nen Euro ein sehr hohes Niveau erreicht.Für das Kulturprogramm der Fußballweltmeister-schaft waren im Rahmen der mittelfristigen Finanzpla-nung insgesamt 30 Millionen Euro angesetzt. Zum Leid-wesen des Ministeriums haben wir die für das Jahr 2003veranschlagten 5 Millionen Euro um 1 Million Euro ver-mindert. Dies geschah jedoch zugunsten einer sehr wich-tigen Sache, nämlich des Goldenen Planes Ost, der alsSonderförderprogramm für den Breitensport in den neuenLändern eine überragende Bedeutung hat. Das Besonderedaran ist, dass man damit investive Mittel induziert, dievon den Ländern und den Kommunen hinzugegeben wer-den, sodass dies auch unter wirtschaftspolitischem As-pekt eine sehr sinnvolle Maßnahme ist. Somit konnte die
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Lothar Binding
Förderung in dem Programm Goldener Plan Ost auf nun-mehr 10 Millionen Euro definiert werden. Darüber hi-naus wird das Bundesinstitut für Sportwissenschaften mit5 Millionen Euro gefördert.All diese Maßnahmen zeigen, mit welchem Engage-ment das Innenministerium und letztendlich auch dieBerichterstatter und der Haushaltsausschuss auf diesemGebiet agieren.
An diesem Programm erkennt man, dass es sich um ei-nen Wettkampf der Ideen handelt. Wettkampf ist durch-aus ein Begriff aus dem Bereich des Sports. Wenn manaber die Debatte eine Zeitlang verfolgt hat, merkte man,dass es kein Wettkampf der Ideen, sondern ein Wett-kampf der Beleidigungen, Unverschämtheiten und Dra-matisierungen war. Das ist etwa so, als ob es beim Fuß-ball nicht das Ziel wäre, Tore zu treffen, sondern dieSchienbeine des Gegners,
also hier des politischen Gegners. Das kann so weit füh-ren, dass der Gegner vorübergehend keine Tore schießt;sportliches Verhalten ist das nicht. Ich möchte dies miteiner kleinen Beobachtung belegen, die man hier voretwa einer Stunde machen konnte. Da sagte HerrScheuer, es sei doch eigentlich nicht zu verantworten,dass man die Stimmung im Land vergifte. Derselbe Kol-lege begann seine Rede mit der Feststellung – da dachteich noch, das liegt vielleicht daneben, aber man kann estolerieren –, das Programm sei „DDR light“. Aber erverstieg sich dann zu einer beleidigenden Formulierunggegenüber Innenminister Schily. Ich vermisse noch im-mer die öffentliche Entschuldigung des KollegenScheuer im Plenum.
– Er hat sich bei Ihnen entschuldigt. Dann mag es inOrdnung sein. Trotzdem denke ich, er sollte sich öffent-lich entschuldigen.Wer die Debattenbeiträge der CDU/CSU im Haus-haltsausschuss zu nur zwei Tagesordnungspunkten ein-mal etwas genauer analysiert, der wird folgende Worte indiesen Beiträgen finden. Die Sätze beginnen grundsätz-lich mit – manche Kollegen werden sich wiederfinden –:es ist zu hören, ich bekomme Informationen, ich habeGerüchte gehört, Kollege Sowieso hat behauptet. Dannkommt eine Sequenz von folgenden Begriffen: Lüge,Trugbild, kaschieren, tricksen, verschleiern, Legenden-bildung, falsche Zahlen, Täuschung, einseitig, dauerhaftverfehlt, die Bedrohung bleibt, schuldig gemacht, ein-fach dumm, missverständlich, bürokratisches Monster,beratungsresistent, lückenhaft, entlarven, Schimäre,Hirngespinst, Klientelbefriedigung, ungerecht, einseitig,durch und durch verfehlt, bedrohlich, Bedrohung bleibt,massiv beschädigt – ich zitiere nur die CDU/CSU –,
täuschen, tricksen.
– Ihr Zuruf zeigt, dass Sie sich in der Physik nicht so gutauskennen. Aber das verzeihe ich Ihnen gern.Ich zitiere weiter die CDU/CSU: Lasten, fatal, miss-bräuchlich, unterlaufen, europarechtswidrig, verfassungs-widrig, schmähliches Dokument des Versagens, Sanie-rungsfall, ruinös. So viel aus den Mitschriften vonÄußerungen, die zu zwei Tagungsordnungspunkten imHaushaltsausschuss gefallen sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie zu-künftig um einen fairen und sportlichen Wettkampf derIdeen.
Ich erteile das Wort Kollegin Dorothee Mantel, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Was passiert, wenn ein Haushalt aus demGleichgewicht gerät, können wir heute schon den ganzenTag erleben. Leider – das muss ich jetzt feststellen – hatauch der Haushalt des Innenministeriums das Gleichge-wicht verloren.
– Warum regen Sie sich jetzt auf? Sie reden doch denganzen Tag davon, mit welcher Anstrengung man die ge-steckten Ziele verfolgen muss, verehrte Regierungsmit-glieder und verehrte Kollegen von der Koalition. Dakönnen Sie doch stolz sein, dass Sie Ihr Ziel in einer An-gelegenheit schon erreicht haben, nämlich bei der politi-schen Bildung. Es scheint mir, als wäre der Kampf ge-gen Rechts das Einzige, was in der politischen Bildungnoch zu leisten wäre. Der Haushalt erweckt zumindestdiesen Eindruck.Doch mit dieser Prioritätensetzung liegen Sie falsch.Die politische Bildung ist wichtiger denn je. Es ist einAlarmzeichen, wenn die Zentralen für politische Bildungnur einen einstelligen prozentualen Anteil der Bevölke-rung erreichen.
– Herr Wiefelspütz, ich bitte auch um Ihre Aufmerksam-keit.
Lassen Sie sich dazu eines sagen: Die Wirksamkeitvon Maßnahmen zur politischen Bildung hängt nach-gewiesermaßen auch von der Überparteilichkeit des
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Dorothee MantelTrägers ab. Wird ein Träger nicht als politisch neutralwahrgenommen, erreicht die Maßnahme die Bevölke-rung nicht. Anders ausgedrückt: Die Maßnahme erreichtdann nur die eigene Klientel.
Das können Sie durchaus als Vorwurf auffassen, meineDamen und Herren von der Koalition. Ihre Programmezur politischen Bildung sind reine Klientelpolitik. –Wenn Sie etwas anderes tun würden, als nur Biografienzu studieren, und mir zuhören würden, dann würden Sieheute vielleicht noch etwas lernen.
Wenn Sie das Geld sinnvoll ausgeben, dann haben Sieunsere Unterstützung. Aber es geht nicht an, dass Sie nurIhre eigene Klientel bedienen.
Ich nenne einige Zahlen von Zuwendungen der Bundes-zentrale für politische Bildung aus dem vergangenenJahr. 336 000 Euro für das Bildungswerk des DeutschenGewerkschaftsbundes; das geht nicht.
502 000 Euro für die Arbeitsgemeinschaft Demokrati-scher Bildungswerke, darunter das Herbert-Wehner-Bil-dungswerk, das keinen Hehl daraus macht, der SPD nahezu stehen. Auch das geht nicht.
– Herr Edathy, da Sie im Ausschuss nur Zeitung lesen,sollten Sie mir zumindest jetzt zuhören.
Dagegen gibt es gerade einmal 8 000 Euro für den Bundder Vertriebenen, der eine unersetzliche kulturelle Arbeitleistet. Hier ist das Geld plötzlich knapp. Diese Verhält-nisse möchte ich nicht weiter kommentieren.Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt für dieAuseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassis-mus mehr aus als für die gesamten jugendspezifischenBildungsangebote. Weitere Programme gegen rechtsgibt es in Millionenhöhe beispielsweise vom Jugendmi-nisterium. Sie konnten und Sie können nicht nachwei-sen, dass dieses Geld effektiv verwendet wird.Ihnen dürfte sicher auch der Schülerkalender des Ver-eins „Brandenburg gegen Rechts“ bekannt sein; auchdieser Fall darf heute nicht unerwähnt bleiben. Mit Gel-dern des Landes wurde ein Kalender gedruckt, der Wer-bung für die Jusos und die Falken enthielt.
In einer Anzeige in diesem Kalender wurde für den Be-darf von Haschischrauchern geworben.
Immerhin soll dieser Verein künftig von der Landeszen-trale keine Zuschüsse mehr bekommen. Ein sehr schalerBeigeschmack bleibt aber.
Fünf Monate hat die Landeszentrale nichts bemerkt, ob-wohl ihr der Kalender angeblich vorlag.Die Bundeszentrale für politische Bildung betreibtmit www.bpb-aktiv.de eine eigene Seite gegen Rechtsex-tremismus. Dass wieder einmal der Extremismus nureinseitig behandelt wird, wundert mich nicht mehr. Da-mit wir uns nicht falsch verstehen: Jede Form von Extre-mismus ist zu verurteilen. Das haben wir von der Unionimmer deutlich gemacht.
Höchst fraglich ist aber, welchen Vorbildcharakter undwelche Lerneffekte die Internetseite der Bundeszentralebietet. Zum Beispiel wird die Aktion „Saufen gegenrechts“ in einer Linkliste mit Onlineinformationen gegenRechtsextremismus aufgeführt.
Halten Sie das für eine verantwortungsvolle politischeBildung? – Herzlichen Glückwunsch!
Die Bundesregierung hält Wettbewerbe, Feste undEvents für ein „taugliches Mittel der politischen Bil-dungsarbeit“. Das hat Marieluise Beck, Parlamentari-sche Staatssekretärin, in der Fragestunde vom12. Februar 2003 gesagt. Welchen Vorbildcharakter undwelche Lerneffekte haben dann Musikfestivals wie„Beat the Fascist Insect“? Den Indymedia-Skandalmöchte ich nicht mehr aufwärmen. Erwähnenswert findeich aber – ich habe das heute Nachmittag extra noch ein-mal nachgesehen –, dass von der genannten Seitewww.bpb-aktiv.de nach wie vor ein Link auf www.indy-media.de geschaltet worden ist.
Ich wünsche mir, dass politische Bildung wieder zuihrem wahren Auftrag zurückkehrt. Sie soll die Grundla-gen der Demokratie vermitteln. Wir werden nicht zulas-sen, dass Sie bestimmten Gruppen, die Ihnen ideologischnahe stehen, unter dem Deckmantel der politischen Bil-dung Geld zuschustern.
Das ist nicht nur unanständig, sondern bei dieser Haus-haltslage auch unverantwortlich.Dagegen kürzen Sie den Zuschuss an die Bundesstif-tung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur um130 000 Euro. Konsequent sind Sie; man kann Ihnen
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Dorothee Mantelnicht vorwerfen, Sie seien konsequent. Aber solide Haus-haltspolitik braucht einen langen Atem. Gerade meineGeneration wird die Fehler und die Kurzsichtigkeit desheutigen Handelns zu spüren bekommen. Gerade meineGeneration wird büßen, wenn sich der Bundesfinanzmi-nister die wirtschaftlichen Daten so berechnet, dass derHaushalt passt.Wir können es uns nicht leisten, Mittel unnötig auszu-geben oder mit riskanten Vorhaben unabsehbare Kosten-explosionen in Kauf zu nehmen. Das gilt besonders imBereich der Informationstechnologien.
– Ich werde sofort konkret. – Der große Sprung soll„Bund-Online 2005“ werden. Doch wer hoch springt,sollte bedenken, dass er auch tief fallen kann.
Der Bundesinnenminister hatte erst letzten MittwochGroßartiges zu vermelden:Bund online ist erfolgreich. Bereits 173 der400 Dienstleistungen des Bundes sind im Netz ver-fügbar. Wir liegen im Zeitplan.Doch wer kennt diese Dienstleistungen? Zahlen zurtatsächlichen Nutzung sind mir nicht bekannt, ebensowenig Untersuchungen über tatsächliche und potenzielleZielgruppen und die Akzeptanz der Angebote. Auch Ex-perten halten den Zeitplan für ehrgeizig. Die Warnungensind deutlich – ein Zitat aus der „Innovativen Verwal-tung“ 12/2002 –: Es „sollte nicht auf einen fertigen Ge-neralplan gewartet werden“. Vielmehr müsse die jahre-lange Erfahrung aus der Verwaltungsmodernisierungaufgegriffen werden. Die Initiative „Bund online“ ist zuwichtig, als dass am grünen Tisch geplant werden kann,was in der Praxis nicht ankommt.
Gerade hier muss Wert auf Akzeptanz gelegt werden.Der Bundesrechnungshof hat im vergangenen Jahrfestgestellt – dies ist ein Zitat aus der „Computerwoche“05/2002 –,
dass es kein Bestandsverzeichnis über die in der Bundes-verwaltung eingesetzte Informationstechnik gibt. Wiekann auf dieser Basis effizient geplant und koordiniertwerden?Die Digitalisierung der Verwaltung ist ein Schritt indie Zukunft, ein Schritt zu einem schlanken und effizien-ten Staat. Aber die Maßnahmen müssen überlegt sein,damit kein Geld in den Sand gesetzt wird.
Ich werde dem Hauptgeschäftsführer ausrichten, dassSie von der Hanns-Seidel-Stiftung so begeistert sind,dass Sie sie schon zehnmal erwähnt haben. Das wird ersicher gern hören.
Außerdem bin ich auch begeistert, wie sehr ich esschaffe, Ihre Gemüter zu erregen. Da scheint ja Einigesim Argen zu liegen.
Solide Haushaltspolitik zeigt sich nicht im guten Wil-len, sondern in der Tat. Lassen Sie mich noch einen Satzsagen: Zumindest farblich haben Sie den Haushalt imGriff, meine Damen und Herren von der Koalition: DieHoffnung ist grün, die Zahlen sind rot.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!Ich möchte mich im Gegenzug ausdrücklich bei denHaushälterinnen und Haushältern bedanken, speziell beiFrau Jaffke, die ja sich hier als regierungstreue Oppositi-onspolitikerin sehr freundlich geäußert hat. Ich meinedas auch mit Blick auf die schwierige Aufgabe der In-nenpolitik und der inneren Sicherheit, die dieser Haus-halt zu vertreten hat.Bei allem Streit in der Sache und im Detail kann ichdavon ausgehen, dass alle Mitglieder dieses Hauses einlebhaftes und engagiertes Interesse daran haben, denSchutz unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleis-ten. Ich will ausdrücklich hervorheben, dass die Haus-hälterinnen und Haushälter sich dadurch auszeichnen,dass sie den Haushalt des Innenministeriums in fairerund konstruktiver Weise begleiten. Das können wir hiergemeinsam feststellen.In der Tat dürfen wir uns rühmen – das ist in Zeitenschwieriger Haushaltslagen keine ganz einfach zu be-werkstelligende Leistung –, dass der Haushalt in ver-schiedenen Bereichen einen deutlichen Aufwuchs auf-weist, insbesondere in denen, die der inneren Sicherheitdienen. Ich will jetzt nicht alle Zahlen wiederholen. Abermir liegt schon sehr daran, dass das Bundeskriminalamt,die Bundespolizei – ich bedanke mich dafür, dass einigeden neuen Namen des Bundesgrenzschutzes schon vor-weggenommen haben –, das Bundesamt für Verfas-sungsschutz und das Bundesamt für Sicherheit in der In-formationstechnik über mehr Mittel verfügen. Das istwichtig für deren Arbeit.
Weil Sie mehrfach den Bundesgrenzschutz angespro-chen haben, will ich auch zum Ausdruck bringen, was
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Bundesminister Otto Schilyich aus dem Bundesgrenzschutz selber höre: Die perso-nelle und sachliche Ausstattung des Bundesgrenzschut-zes – dazu gehört auch Einkommensentwicklung – war
noch nie so gut wie unter dieser Regierung. Das wollenwir hier doch einmal festhalten.
Eine solide und erfolgreiche Innenpolitik drückt sich inden Zahlen des Haushaltes aus. Nun habe ich durchausmit Wohlwollen vernommen, dass seitens der Opposi-tion Anträge gestellt werden, um die finanzielle Ausstat-tung meines Haushalts zu verbessern.
Wer könnte dem als Innenminister widersprechen? Nurhaben Ihre Anträge einen Makel: Es fehlt die Finanzie-rungsseite.
Wenn man aus der Opposition nun pausenlos hört, wirsollten die Steuern doch noch weiter senken,
dann wird man einsehen, dass solche Anträge zur besse-ren finanziellen Ausstattung leider eine Verpackungohne Inhalt sind. Deshalb sind Ihre Anträge dann dochnicht so besonders eindrucksvoll.
Alle zusätzlichen Mittel, die uns zur Verfügung ge-stellt wurden, haben wir gut angelegt. Ich kann in einerkurzen Betrachtung im Rahmen der Haushaltsberatun-gen nicht die gesamte Arbeit darstellen und will deshalbein Beispiel herausnehmen, von dem ich glaube, dass esin der Zukunft noch besondere Bedeutung erhalten wird:das Bundesamt für Sicherheit in der Informations-technik. Allerdings gab es da von irgendeiner Seite– ich glaube, von der Koalition – ein bisschen zu vielLob: Wir hätten dieses Amt erfunden. – So weit geht dieeigene Anerkennung nicht. Aber wir haben dieses Amterheblich ausgebaut. Wir haben in diesem Bereich sehrviele neue Aufgaben verankert. Ich nenne: die Einrich-tung einer Einsatzzentrale des Bundes bei IT-Gefähr-dungslagen; die Analyse und Prognose von IT-Entwick-lungen und -Trends; den Ausbau der Zusammenarbeitmit den Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden; dieEinrichtung von so genannten Hot- oder Helplines imRahmen einer IT-Sicherheitskampagne; den Ausbau derinternationalen Zusammenarbeit – sehr bedeutsam –; dieKonzeption und Koordination des Aufbaus, des Betrie-bes und der technischen Weiterentwicklung ressortüber-greifender IT-Infrastrukturen; die Unterstützung der Be-ratungstätigkeit der Koordinierungs- und Beratungsstelleder Bundesregierung für Informationstechnik in derBundesverwaltung; die Intensivierung der Maßnahmenim Bereich der kritischen Infrastrukturen der Informati-onstechnik; die Öffentlichkeitsarbeit.Meine Damen und Herren, dieses Amt hat inzwischeninternational ein so hohes Ansehen gewonnen, dass vielenach Deutschland kommen, um es sich anzuschauen,von ihm zu lernen und in ihren Ländern ähnliche Ein-richtungen zu schaffen. Auf dieser Grundlage ist es mirgelungen, die Forderung nach einer Agentur für Sicher-heit in der Informationstechnik auf europäischer Ebenedurchzusetzen. Ich bin dafür dankbar, dass die Europäi-sche Kommission diesen Vorschlag aufgenommen hat.Wir bemühen uns darum, dass diese Einrichtung ihrenPlatz in Deutschland finden wird.Ohnehin möchte ich im Zusammenhang unserernächtlichen Debatte
– für unsere Verhältnisse ist es noch früh; die mitternächt-lichen Debatten stehen uns noch bevor – betonen, dassnationale Sicherheitspolitik sich immer in einen interna-tionalen Zusammenhang einbetten muss. Ich glaube, dasswir als Bundesregierung auch da deutliche Erfolge in dereuropäischen Politik aufweisen können. Ich habe schondie Agentur genannt. Ich will hier zwei weitere wichtigeInstitutionen nennen, die auf deutsche Vorschläge zu-rückzuführen sind: die Europäische Polizeiakademie unddie Europäische Grenzpolizei, um die wir uns bemühen.Am Vorabend eines möglichen Krieges will ich da-rauf hinweisen, dass wir im internationalen Bereich auchauf polizeilicher Ebene sehr aktiv sind. Wir haben Ver-bindungsbeamte in zahlreichen Ländern weltweit. Wirleisten vorbildliche polizeiliche Arbeit in so krisenge-fährdeten Gebieten wie Afghanistan und Kosovo. Ichmöchte nicht versäumen, den Kolleginnen und KollegenPolizeibeamten, die diese Arbeit leisten, hier meinen be-sonderen Respekt und meinen Dank zum Ausdruck zubringen.
Im Rahmen einer solchen Debatte ist es nicht mög-lich, eine umfassende Bilanz zu ziehen. Ich müsste docheinige Stunden zur Verfügung haben, um Ihnen die Er-folgsbilanz vorzutragen. Das werden Sie nicht ertragenwollen. Aber ich will durchaus nicht verschweigen, dasses an der einen oder anderen Stelle noch Reform- undWeiterentwicklungsbedarf gibt: von den gesetzlichenBefugnissen und Regelungen bis hin zu Fragen der ad-ministrativen und technischen Ausgestaltung der Institu-tionen.Ich bin der Opposition besonders dafür dankbar, dasssie – das hat sie schon bei früherer Gelegenheit getan –sehr deutlich – ich habe in Ihren Reihen eigentlich keineEinschränkung gesehen – und uneingeschränkt die For-derung nach Schaffung eines modernen Digitalfunksfür die Sicherheitsbehörden unterstützt. Ich wäre Ihnennur dankbar – das geht etwa an die Adresse von HerrnStrobl oder der Kollegen aus Hessen –, wenn Sie sich beiIhren Landesregierungen ebenso massiv einsetzten. DerWiderstand kommt von Ministerpräsident Koch und von
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Bundesminister Otto Schilydem baden-württembergischen Finanzminister Stratt-haus.
Dort muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden.
– Nein. Als Zeichen dafür, dass wir hier ehrlich mitei-nander umgehen, sage ich Ihnen: Es gibt auch in SPD-regierten Ländern Finanzminister, die Vorbehalte geäu-ßert haben.
– Wir wollen ehrlich miteinander umgehen. Deshalb istes mein Anliegen und meine Bitte, dass sich alle Seitendieses Hauses dafür einsetzen, dass dieses Vorhabenmöglichst schnell in die Tat umgesetzt wird.Was Frau Philipp hier eingangs gesagt hat, ist völligrichtig, nämlich dass es ohne Einführung des Digital-funks viel teurer wird, weil der Analogfunk überholt ist.Die Kosten für den Analogfunk werden in Zukunft auchnoch erheblich steigen. Wir wären also nicht nur untertechnischen Gesichtspunkten schlecht beraten, wenn wirdiese Dinge nicht voranbringen würden. Ich jedenfallsbin da sehr engagiert.Frau Kollegin Mantel, bei der Gelegenheit will ichauf einige Bemerkungen von Ihnen zu Bund online2005 eingehen. Ich glaube, Sie waren nicht auf derCeBIT. Das ist schade. Wenn Sie beim nächsten Mal Zeithaben, lade ich Sie gern dorthin ein.
Dann werde ich Ihnen gerne die Fortschritte des Projek-tes darstellen. Wir haben für E-Government diesmal sehrviel mehr Ausstellungsfläche zur Verfügung gehabt. Wirkonnten eine große Erfolgsbilanz vorweisen. Zu denDienstleistungen, von denen Sie sagen, sie seien weitge-hend unbekannt, kann ich nur sagen, dass sie in der Wirt-schaft sehr gut bekannt sind.Ich will ein Beispiel nennen: Die Möglichkeit, dieÜbermittlung statistischer Angaben gegenüber dem Sta-tistischen Bundesamt online abzuwickeln, wird bereitszu einem hohen Prozentsatz in Anspruch genommen.Andere Kommunikationsverbindungen werden von derWirtschaft heute schon zu 90 Prozent in Anspruch ge-nommen. Das ist mit Kosteneinsparungen und Ähnli-chem verbunden.In diesem Bereich haben wir auf der einen Seite einebeachtliche Investitionssumme zu verzeichnen, nämlichetwa 1,45 Milliarden Euro. Diese Summe wird dort zu-gunsten unserer Informations- und Kommunikationsin-dustrie investiert. Auf der anderen Seite ist mit Einspa-rungen in Höhe von 400 Millionen Euro jährlich zurechnen, wenn wir Bund online vollständig abgeschlos-sen haben. Ich sage Ihnen: Das wird ein Return ofInvestment, an dem sich mancher Businessplan in derWirtschaft ein Beispiel nehmen könnte. Ich bin sehrstolz drauf, wie weit wir vorangekommen sind. Hier ha-ben wir überhaupt keine Kritik verdient.
An der Stelle liegen wir in der internationalen Bewer-tung leider nicht an erster Stelle – wo wir eigentlich seinsollten –, weil es auf Länderebene und auf kommunalerEbene einen gewissen Nachholbedarf gibt. Die dort teil-weise bestehende Vielfalt ist in diesem Fall kein Vorteil.Wenn es beispielsweise bei Kraftfahrzeugzulassungsver-fahren über 100 Softwaremodelle gibt, ist ein vernünfti-ges E-Government nicht machbar. Um das voranzubrin-gen, müssen wir mit den Ländern und Kommunenzusammenarbeiten.Insofern kann es vielleicht sogar ein Vorteil sein, dassder hessische Ministerpräsident mir – was nicht unbe-dingt auf mein Wohlgefallen gestoßen ist – einen wichti-gen Mann aus dem Bundeskriminalamt abgeworben hat,der das Projekt INPOL betreut.
– Sie wissen, dass es in der Bundesverwaltung immergute Leute gibt. Deshalb habe ich sogar ein gewissesVerständnis dafür. Ich habe dem hessischen Ministerprä-sidenten gesagt: Wenn das zur Folge hat, dass die betref-fende Person Sie dazu veranlassen kann, Ihren Wider-stand gegen den Digitalfunk aufzugeben, wäre selbstdiese Maßnahme zu befürworten.Wir werden sicherlich auch dem Regelungsbedarfnachkommen müssen, der im Bereich polizeilicherMaßnahmen im Luftbereich besteht. Für Maßnahmenauf dem Boden und zu Wasser gibt es klare Regelun-gen, aber im Luftbereich sind die Zuständigkeiten nachmeiner Überzeugung zu verstreut. Deswegen gehen wirentschlossen an ein Luftpolizeigesetz. Wir werden das– das ist die Überlegung von Herrn Kollegen Wiefel-spütz und anderen aus der Koalition; Frau Stokar vonNeuforn hat sich auch in der Weise dazu geäußert – miteinem Bundeswehraufgabengesetz verbinden, welchesdie Aufgaben der Bundeswehr im Rahmen der verfas-sungsrechtlichen Bestimmungen regeln soll.Dies sollten wir vorurteilsfrei und ohne uns in irgend-welche Schützengräben zu begeben miteinander bespre-chen. Ich lade Sie ausdrücklich ein, mit uns über dieseFragen zu reden, und sage Ihnen vorweg: Ich gehe nichtdogmatisch an diese Fragen heran, sondern ausdrücklichpraxisorientiert. Man muss sich erst die Situationen ver-gegenwärtigen, die entstehen könnten, um zu den richti-gen normativen Regelungen zu kommen.Bereits Herr Fricke hat das NPD-Verbotsverfahrenangesprochen. Ich danke ihm für seine sehr sachlicheKommentierung. Allerdings muss auch ich bei dieserGelegenheit einige Sätze zum NPD-Verbotsverfahren sa-gen, weil Herr Strobl der Meinung war, sich dazu äußernzu müssen.
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Bundesminister Otto SchilyIch bedauere ausdrücklich, dass dieses Verfahren ein-gestellt worden ist.
Ich habe nicht sehr viel Glück mit dem Senat: Das eineMal verliere ich einen Prozess mit der Minderheit desSenats und das andere Mal mit der Mehrheit des Senats.Das ist keine besonders gute Erfahrung.Wenn von Ihnen, Herr Strobl, aber behauptet wird, eshabe angebliche handwerkliche Fehler gegeben, dannmuss ich Ihnen Folgendes sagen: Sie müssen sich klar äu-ßern, wie Sie das meinen. Das ist für eine argumentativeAuseinandersetzung wichtig. Wenn Sie sich die Meinungder Minderheit des Senats zu Eigen machen – ich wie auchdie Mehrheit des Senats widersprechen dieser Meinungmit Entschiedenheit –, dann müssten Sie die Verfassungs-schutzbehörden ernsthaft vor die Alternative stellen, ent-weder auf ein Verbotsverfahren zu verzichten, obwohl esnach der sachlichen Betrachtung gerechtfertigt wäre,
oder alle Quellen offen zu legen und sogar auf die Be-obachtung der verfassungsfeindlichen Partei vor Beginndes Verfahrens und während des Verfahrens verzichten.Diese Alternative ist nach meiner Überzeugung verfehlt.Denken Sie nur an das KPD-Verbotsverfahren. DasKPD-Verbotsverfahren hat fünf Jahre gedauert. Ihre po-litischen Kreise, Herr Strobl, haben die KPD als einesehr gefährliche, verfassungsfeindliche Partei angese-hen. Meinen Sie wirklich allen Ernstes, bei Beginn desKPD-Verbotsverfahrens hätte die Beobachtung der KPDeingestellt werden sollen? Es wäre interessant, das vonIhnen zu hören.Wenn die Verfassungsbehörden wirklich alle Quellenoffen legen müssten, wenn es opportun erscheint – wennSie dieser Meinung sind, dann müssten Sie Ihre Kritik indiesem Punkt konkretisieren –, dann kann ich Ihnen sa-gen, was passiert: Die Arbeit der Verfassungsschutzbe-hörden würde ernsthaft Schaden nehmen; denn der Ver-fassungsschutz ist dringend darauf angewiesen, Quellenzu gewinnen. Wenn die Verfassungsschutzbehördendiese Möglichkeit nicht hätten, dann würde deren Arbeiterheblich geschwächt.Also lassen Sie uns über diese Fragen ernsthaft undobjektiv nachdenken. Dann kommen wir auch zu denrichtigen Schlussfolgerungen. So, wie sich die Lage jetztdarstellt, ist die Sperre beim Bundesverfassungsgerichtnicht zu überwinden. Das führt mich, Herr Fricke, zu derÜberzeugung, dass es im Moment keinen Sinn hat, die-ses Verbotsverfahren neu aufzulegen.
Herr Minister, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich weiß, meine Redezeit ist überschritten. Deswegen
werde ich jetzt Schluss machen. – Ich bedanke mich
noch einmal für die sehr faire Behandlung des Haushal-
tes meines Ministeriums und hoffe, dass er Ihre Zustim-
mung findet.
Ich erteile dem Kollegen Strobl das Wort zu einer
Kurzintervention.
Herr Bundesinnenminister, da Sie mich in Bezug aufdas bedauerlicherweise gescheiterte NPD-Verbotsver-fahren vor dem Bundesverfassungsgericht am heutigenTage angesprochen haben, möchte ich zwei Dinge sagen.Erstens. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hatvon Anbeginn des Verfahrens ausdrücklich auf die Risi-ken, die ein solches Verfahren in sich birgt, hingewiesen.
Dies war auch der Grund, Herr Kollege Burgbacher, wa-rum wir, wie Sie sich sicherlich erinnern können, imDeutschen Bundestag nicht zugestimmt haben.
Wir haben nämlich gesagt, dass dieses Verfahren eine An-gelegenheit der Exekutive ist, weil nur sie einschätzenkann, welches Material – und auf welche Art und Weise –bei einem solchen Verfahren eingeführt werden kann.
Dass hierbei Fehler gemacht worden sind, ist nach demheutigen Ausgang des Verfahrens ganz offensichtlich.Hätten Sie von vornherein abgesehen, dass das Verfah-ren so ausgehen würde, wie es heute geschehen ist, wennaufseiten der Antragsteller entsprechend vorgegangenwird, dann hätten Sie das Verfahren nie einleiten dürfen.Herr Innenminister, ich komme zum zweiten Punkt – daskann ich Ihnen nicht ersparen –: Spätestens zu dem Zeit-punkt, als das Bundesverfassungsgericht den bereits fest-gesetzten Termin für eine mündliche Verhandlung abge-sagt hat, hätten insbesondere bei Ihnen die Alarmglockenschrillen müssen.
Bedauerlicherweise haben Sie es zu diesem Zeitpunktbesser gewusst als die Richter des Bundesverfassungsge-richts. Eigentlich war spätestens zu diesem Zeitpunkt ab-zusehen, auf welch gefährlichem Weg man sich bei die-sem Verfahren aufseiten der Antragsteller unter IhrerLeitung befand.Deswegen bleibe ich dabei: Wir haben von Anfang anauf die Risiken hingewiesen. Leider hat sich das bewahr-heitet. Während des Verfahrens vor dem Bundesverfas-sungsgericht ist ganz sicher auch von Ihnen nicht allesrichtig gemacht worden.
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Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Kollege Strobl, Sie tun etwas, das Sie in diesen Tagen
wiederholt getan haben: Sie behaupten angebliche hand-
werkliche Fehler, aber Sie benennen sie nicht.
Ich würde von Ihnen gerne erfahren – sagen Sie es mir
bitte konkret –, welcher handwerkliche Fehler dem Bun-
desministerium des Innern in diesem Zusammenhang
vorzuwerfen ist.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich nur die Be-
gründungen in meinem Antrag zu verantworten habe.
In ihm befindet sich der Name nur einer Person, die frü-
her einmal als Informant eines Landesamtes für Verfas-
sungsschutz gedient hat; es ist Herr Frenz. Auf dessen
Äußerungen wird Bezug genommen. Ich sage Ihnen
aber: Die Tatsache, dass sich jemand, der früher einmal
Informationen an ein Verfassungsschutzamt geliefert hat,
später als NPD-Mitglied verfassungsfeindlich äußert
– lassen Sie mich doch ausreden, ich habe Ihnen vorhin
auch zugehört; seien Sie ein wenig geduldig, ich erkläre
es Ihnen doch mit aller Geduld –, macht doch dessen
Aussagen nicht bedeutungslos. Ich wüsste nicht, warum
das so sein sollte. Das ist jedenfalls meine Auffassung.
Ansonsten finden Sie in meinem Antrag nichts derglei-
chen. Ich habe mich im Wesentlichen auf öffentlich zu-
gängliche Quellen gestützt.
Zweiter Punkt.
– Wo soll der Fehler sein? Sie sind so ungeduldig. Daran
merke ich, dass Ihnen allmählich aufgeht, dass Ihre Be-
gründung ziemlich schwach ist.
Solange Sie mir nicht genau sagen, wo der Fehler began-
gen wurde – –
– Sie wollen es ja offenbar nicht sagen. So können Sie
mit mir aber nicht umgehen. – Die Minderheit des Se-
nats hat den Antragstellern insgesamt vorgeworfen, sie
hätten die Quellen nicht aufgedeckt oder die Beobach-
tungen vor Beginn bzw. während des Verfahrens nicht
eingestellt. Dazu habe ich hier am Pult schon das Not-
wendige gesagt.
Nun will ich Ihnen etwas zu Ihrer Haltung sagen: Sie
geben das falsch wieder. Sie haben das Verfahren unter-
stützt und gesagt: Die Bundesregierung und die Landes-
regierungen sollen das in Gang bringen. Ich stimme
Ihnen in diesem Punkt ja zu. Hier war ich mit der Ent-
scheidung meiner Fraktion nicht einverstanden. Das
kann ja auch einmal passieren.
– Entschuldigung, das ist so. – Ich war nicht dafür, dass
der Bundestag einen eigenständigen Antrag stellt. Ich
habe gesagt, dass mir ein Entschließungsantrag ausrei-
chen würde. Den hätte ich allerdings begrüßt.
Sie wissen, dass ich ursprünglich skeptisch war. Ich
habe mich von Herrn Kollegen Beckstein überzeugen
lassen. Ihm muss ich das Urheberrecht zuerkennen. Herr
Strobl, jetzt frage ich Sie: Wenn Sie schon kritisieren
wollen, warum richten Sie Ihre Kritik dann ausschließ-
lich an mich? Wo ist die Kritik an Herrn Beckstein?
Wenn Sie in dieser Frage ehrlich wären, dann müssten
Sie Herrn Beckstein kritisieren. Aber dazu habe ich von
Ihnen keine Silbe gehört.
Deshalb halte ich das, was Sie hier veranstalten, für
die typische Form von „Haltet den Dieb!“. Lassen Sie
das! Damit kommen wir in einer solch schwierigen und
heiklen Frage nicht weiter.
Ich erteile Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Schily, dass Sie zu dem Sportetat, einemebenfalls wichtigen Bereich in Ihrem Ministerium, kei-nen Satz gesagt haben, kann ich angesichts der nicht ge-rade erfreulichen Entwicklung verstehen, aber nicht ganznachvollziehen.Herr Kollege Binding hat zu diesem Bereich gespro-chen. Ich gebe den Dank für die gute Zusammenarbeitausdrücklich zurück, möchte aber doch sagen: Wenn rot-grüne Kollegen von „Verstetigung“ sprechen – so vielhabe ich schon gelernt –, meinen sie eine ständige Ab-wärtsentwicklung. Das muss man an dieser Stelle deut-lich sagen. Ich habe noch knapp fünf Minuten Zeit, umIhnen anhand von fünf Punkten darzulegen, dass Rot-Grün den Sport nicht gefördert hat. Im Gegenteil: Dierot-grüne Bundesregierung hat die Förderung des Spit-zensports – das ist eigentlich ihre originäre Aufgabe – inden vergangenen Jahren deutlich zurückgefahren.
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Norbert BarthleDas betrifft vor allen Dingen die Investitionen für dieEinrichtungen des Spitzensports. Herr Schily, Sie habendie Mittel für diesen Bereich ganz konkret um 40 Pro-zent gekürzt. Ich meine, dass dies angesichts der interna-tionalen Herausforderungen kaum verantwortbar ist. Siezehren – das müssen Sie einfach sehen – von der Sub-stanz. Goethe hat einmal gesagt:Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es,um es zu besitzen.Diesen Satz sollten Sie sich immer wieder vor Augenführen.
Der zweite Punkt betrifft die zentralen Maßnahmen.Im Etat ist das die Größe, die für die Sportförderung voneigentlicher Bedeutung ist. Ein Blick in den Haushaltzeigt, dass der Ansatz in den vergangenen Jahren, soauch für 2003, einigermaßen konstant geblieben ist– wenn er auch unter dem aus den Jahren 1996 und 1998liegt –, allerdings bei gleichzeitig ständig steigendenAufwendungen für Trainer und Trainingsmaßnahmen.Was das in der Realität für den Sport bedeutet, kann je-der selbst ermessen.Ich will nun zum dritten Punkt kommen. Er betrifftden auch vom Kollegen Binding angesprochenen Golde-nen Plan Ost. Im Wahlkampf 1998 war noch von zu-sätzlichen jährlichen Investitionen in Höhe von 50 Mil-lionen Euro die Rede. 15 Millionen Euro sind es in denletzten beiden Jahren geworden. 2003 sollten nach demWillen der Bundesregierung nur noch 8 Millionen Euroeingestellt werden. Wir haben uns im Ausschuss aufknapp 10 Millionen Euro geeinigt. Das ist angesichts dervergangenen Jahre nur ein Trostpflaster; denn sowohldie Investitionen für die Sportstätten als auch für denGoldenen Plan Ost wirken sich in den einzelnen Kom-munen aus.Dass diese Notwendigkeit besteht, zeigt ein Blick indie Sportstättenstatistik: 40 Prozent unserer Sportstättensind hierzulande sanierungs- und renovierungsbedürftig.In den neuen Ländern sind es sogar 70 Prozent. Deshalbkann ich nur raten, in diese Bereiche zu investieren. Dasbelebt die Konjunktur und sichert unsere Zukunft.
Lassen Sie mich einen vierten Punkt anführen. In ei-nem Bereich zeigt sich Rot-Grün verblüffend großzügig,nämlich bei den repräsentativen Ausgaben im Zusam-menhang mit der Austragung der Fußballweltmeister-schaft 2006 in unserem Lande. Unsere Fraktion stehtklipp und klar zu dieser Fußball-WM; das ist gar keineFrage. Daran zweifelt niemand. Aber die Zusage, HerrSchily, die Erlöse aus dem Münzverkauf – 30 Millio-nen Euro ab diesem Jahr – für ein Rahmenprogramm fürdie WM zur Verfügung zu stellen, kommt einem Frei-brief für das Organisationskomitee gleich.Wir Parlamentarier haben nicht nur das Recht, son-dern auch die Pflicht, genau hinzuschauen, in welcherHöhe und wofür diese Mittel verwendet werden sollen.Deshalb haben wir dort gekürzt. Diese Kürzung richtetsich nicht gegen den DFB. Dennoch wundert mich diedas Parlament gewissermaßen diskreditierende Reak-tion eines WM-Mitorganisators angesichts dieser Kür-zung um 1 Million Euro für das Organisationskomitee.Ich meine, das ist auch für den größten deutschen Sport-fachverband nicht akzeptabel. Herr Schily muss viel-leicht noch lernen, dass der Haushalt hier im Parlamentund nirgendwo sonst entschieden wird.
Lassen Sie mich noch einen fünften Punkt anführen,die sportwissenschaftlichen Einrichtungen. Im Haus-halt heißt dieser Posten „Projektförderung für Sportein-richtungen im Beitrittsgebiet“. Dahinter verbergen sichdas Institut für Angewandte Trainingswissenschaft inLeipzig und die Forschungs- und Entwicklungsstelle fürSportgeräte hier in Berlin. Beide sind Topadressen, diefür große Erfolge im Sport stehen. Auch für diesen Be-reich sind die Mittelansätze nur geringfügig höher als imJahr 2002.
Über die Jahre hinweg muss man von einem Abbausprechen, nämlich deshalb, weil die Personalkosten –die Kosten des FES sind zu 85 Prozent Personalkosten –Jahr für Jahr steigen. Diese steigenden Personalkostenkönnen nur durch Personalabbau aufgefangen werden.Hier appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag,die Mittel auf 7,5 Millionen Euro zu erhöhen, zu, umden Bestand dieser für den Sport wichtigen Einrichtun-gen – dazu zählt auch das Bundesinstitut für Sportwis-senschaft in Bonn – für die Zukunft zu sichern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Siemich zunächst auf das Thema zu sprechen kommen, überdas gerade eine streitige Auseinandersetzung geführtwurde. Ich glaube, die heutige Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts, das NPD-Verbotsverfahren ein-zustellen, war eine Niederlage im Kampf gegen denRechtsextremismus.
Sie war aber gleichzeitig auch ein positives Signal, dassselbst die schlimmsten Feinde des Rechtsstaates und derDemokratie in Deutschland mit einem korrekten Verfah-ren rechnen können.
Wir haben anzuerkennen, dass eine Minderheit – die dasRecht hierzu hat – sich dafür entschieden hat, von ihrem
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Volker Beck
Recht, dieses Verfahren einzustellen, Gebrauch gemachthat.
– Herr Kollege Wiefelspütz, das wollte ich gerade aus-führen.
Gleichwohl muss ich sagen, dass ich die Argumenta-tion der Minderheit nicht in allen Punkten zwingendfinde. Vor allen Dingen finde ich das Argument derMehrheit beachtlich, dass in einem Parteiverbotsverfah-ren das Gericht selber die Wahrheitsfindung zu betreibenhat.
Denn Antragsteller in einem Verfahren sui generis isteben nicht die Staatsanwaltschaft. Deshalb hat mich dasErgebnis gewundert.Trotzdem muss ich sagen: Wir sollten jetzt keine De-batte der billigen Schuldzuweisungen führen.
Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Burgbacher?
Aber gerne doch. Wir haben uns ja heute Morgen in
Karlsruhe gesehen.
Herr Kollege Beck, Sie selbst waren ja ganz wesent-
lich daran beteiligt, dass dieser Antrag zustande kam.
Würden Sie denn mit mir übereinstimmen, dass es keinen
Sinn macht, am Bundesverfassungsgericht herumzukrit-
teln, sondern dass man wenigstens jetzt die Erkenntnis
haben sollte – die übrigens damals nur die FDP hatte –,
dass es der falsche Weg war, einen Verbotsantrag zu stel-
len, da dieser Weg viel zu riskant war,
und dass es viel besser gewesen wäre, die Grundlagen
des Rechtsextremismus zu bekämpfen, anstatt sich in ein
solches Verfahren zu flüchten?
Herr Burgbacher, in unserer Fraktion gehörte ich im-
mer zu denjenigen, die in dieser Einschätzung sehr vor-
sichtig waren und auch Bedenken hatten, diesen Weg zu
gehen.
Ich meine aber: Wenn sich im Parlament und in anderen
Verfassungsorganen eine Mehrheit für diesen Weg ent-
scheidet, dann sollte man diesen Weg auch gemeinsam
und geschlossen gehen.
Wenn Sie sich einmal die offiziellen Dokumente die-
ser Partei anschauen, dann stellen Sie fest, dass Sie kei-
nen einzigen V-Mann und keine weitere Erkenntnis be-
nötigen, um zu der Auffassung zu gelangen,
dass diese Partei antisemitisch, rassistisch und widerlich
ist.
Auch im Bundestagsantrag wurde ausführlich dargelegt,
dass das Programm der Partei in vielen Punkten – von
den Formulierungen bis zur Ideologie – eine Wiederauf-
lage des Parteiprogramms der NSDAP ist. Deshalb wäre
es richtig gewesen, im Ergebnis zu einem Verbot zu
kommen. Das ist leider nicht gelungen.
Jetzt müssen wir uns auf folgende Frage konzentrie-
ren: Was sind die Konsequenzen dieser Entscheidung?
Ich glaube, Herr Kollege, dass es zwei Konsequenzen
gibt. Zum einen müssen wir sagen: Jetzt, da uns das
NPD-Verbotsverfahren als Instrument, zumindest vorü-
bergehend, aus der Hand geschlagen ist, müssen wir uns
darauf konzentrieren, sowohl die NPD als auch die ge-
samte rechtsradikale Szene gesellschaftlich zu bekämp-
fen. Wir müssen sehen, wie wir denen die Jugendlichen
abgraben können, wie wir die Jugendlichen aus der Ju-
gendmusikszene, die die Leute viel stärker als die dump-
fen Postillen der NPD beeinflusst, herausholen können.
Deshalb geht die Diskussion, die im Rahmen des zuvor
debattierten Einzelplans in Bezug auf die Streichung der
entsprechenden Programme geführt wurde, in eine völlig
falsche Richtung. Wir müssen diese Programme viel-
mehr verbessern, sie ausbauen, stärken und so ausrich-
ten, dass sie effizient funktionieren.
Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Nachfrage desKollegen Burgbacher?
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Die gestatte ich, auch wenn ich noch zu der zweiten
Konsequenz ausführen wollte; aber dafür bleibt sicher
hinterher Zeit.
Herr Kollege Beck, bei der Einschätzung der NPD
sind wir uns alle in diesem Hause einig. Darum geht es
überhaupt nicht. Ich stelle daher die Frage: Sind Sie be-
reit, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
akzeptieren und das zu tun, was die FDP schon seiner-
zeit wollte, nämlich Rechtsextremismus zu bekämpfen,
anstatt sich über den Verbotsantrag zu streiten?
Herr Kollege, wenn Sie mir vorhin zugehört hätten,dann wüssten Sie die Antwort auf die Frage schon, dennich habe gerade appelliert, das zu akzeptieren, obwohl eseine Entscheidung einer Minderheit ist. Die Minderheithat aber nach unserem Bundesverfassungsgerichtsge-setz das Recht zu einer solchen Entscheidung. Wir müs-sen das akzeptieren und darüber nachdenken, was unsdieser Vorgang lehrt.Dieser Vorgang lehrt nicht nur – erstens –, dass es nö-tig ist, den Rechtsextremismus gesellschaftlich zu be-kämpfen, sondern er lehrt uns zweitens auch, dass wirüber die Rolle der Verfassungsschutzämter und überderen Reform nachdenken müssen.
Zu Ihnen, Herr Kollege Strobl. Bei Ihnen – wie beiHerrn Röttgen und Herrn Bosbach – ist mir die selbstge-fällige Auseinandersetzung mit diesem Thema aufgefal-len, nach dem Motto: Schily hat einen Fehler gemachtund wir machen uns einen schlanken Fuß. Wenn dasNPD-Verbotsverfahren scheitert, dann finde ich es klein-lich, dass sich die demokratischen Parteien auf diesemNiveau zerstreiten. Wir müssen uns im Kampf gegen dieNPD einig sein.
Herr Kollege Strobl, wenn Sie den Gerichtsentscheidgelesen hätten, dann würden Sie sich hier nicht so auf-plustern. Bundesrat, Bundesregierung und Bundestaghaben gemeinsam Anträge gestellt. Das Gericht rügt aus-drücklich an einigen Stellen die Verfassungsschutzämtervon Thüringen, Berlin, Hessen und – ganz vorneweg –Bayern.
Bayern ist in diesem Schriftsatz bei den problematischenPunkten ganz prominent. Ich zitiere mit Erlaubnis des Prä-sidenten aus der Entscheidung einen Punkt, den ich – dasräume ich ein – in der Tat für etwas problematisch halte:Schließlich hat noch nach Eingang der Verbotsan-träge in Richtung eines weiteren Mitglieds des Bun-desvorstandes der Antragsgegnerin, Jürgen Distler,ein Anwerbeversuch stattgefunden. Das ergibt sichaus dem Schreiben des Präsidenten des BayerischenLandesamts für Verfassungsschutz vom 19. Februar2002 an das Bundesverfassungsgericht.Man hat nach Einreichung der Anträge versucht, imBundesvorstand weitere V-Leute zu finden.
Wenn es darum geht, wer hier Fehler gemacht hat, dannsollten die Freunde von Herrn Beckstein in dieser Dis-kussion besser schweigen. Sie sollten sich lieber mit unsdaran machen, zu überlegen, was jetzt im Kampf gegenden Rechtsextremismus zu tun ist.
Einer weiteren Debatte dürfen wir nicht ausweichen:Wir haben uns als Parlamentarier genauso geärgert wiemanche bei Gericht, dass wir nicht wussten, dass sich inden Materialien, die uns für den Sachvortrag vor Gerichtgegeben wurden, Zitate von V-Leuten fanden, die nichtoffengelegt waren. Ich glaube, es gibt so viel erdrücken-des Beweismaterial, dass das nicht notwendig war. Wiekam es zu diesen Materialien? Die Landesämter habensich gegenseitig trotz der Hinweise der Bundesebene ge-scheut, offenzulegen, dass das andere Landesamt den ei-genen V-Mann zitiert. Sie haben sich nicht in die Kartenschauen lassen wollen.Das heißt für mich ganz klar: Entweder wir kommenzu einer anderen Organisation im Bereich des Verfas-sungsschutzes oder wir sorgen in Bezug auf die V-Leutefür eine zentrale Kartei, sodass so etwas nachvollzogenwerden kann. Diese zentrale Kartei muss dann aber auchder parlamentarischen Kontrolle des Deutschen Bundes-tages unterliegen.Man muss sicherlich auch darüber reden, ob wir mitunserem parlamentarischen Kontrollgremium wirklichüber die notwendige Eingriffstiefe in der Kontrolle ver-fügen oder ob wir dieses Gremium nicht dadurch stärkenmüssen, dass wir ihm einen Geheimdienstbeauftragtenzur Seite stellen.
– Das ist übrigens eine sozialdemokratische Idee, HerrWiefelspütz. Wir können gerne darüber diskutieren, wiewir die parlamentarische Kontrolle stärken können.
Aber ich denke, in diesem Fall ist uns einiges durchgegan-gen. Das sollte uns zumindest dazu bringen, eine kon-struktive Debatte über die Intensivierung der Kontrolle,aber auch über die Verbesserung der Zusammenarbeit zuführen. Ich freue mich, dass Sie sich so engagieren, Herr
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Volker Beck
Wiefelspütz. Das wird sicherlich eine spannende Diskus-sion innerhalb der Koalition. Darin haben wir einigeÜbung; das werden wir schon gut hinbekommen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 06
– Bundesministerium des Inneren – in der Ausschussfas-
sung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über die
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-
trag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/621? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 15/622? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit derselben
Mehrheit wie eben abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 15/623? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit derselben
Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 06
– Bundesministerium des Inneren – in der Ausschussfas-
sung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Einzelplan 06 ist mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen CDU/CSU und
FDP angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:
11. Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
– Drucksachen 15/557, 15/572 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Heinz Köhler
Norbert Barthle
Alexander Bonde
Otto Fricke
12. Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
– Drucksachen 15/556, 15/752 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Dr. Heinz Köhler
Bernhard Kaster
Alexander Bonde
Zu Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat schon wie-
der der Kollege Norbert Barthle. Herzlich willkommen
am Mikrofon. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
bitte darum, dem Redner die Chance zu geben, ungestört
zu reden. Ich bitte Sie, Ihre Gespräche außerhalb des
Plenarsaals zu führen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Leider muss ich gleich zu Beginn meiner Rede etwaszum Justizhaushalt anmerken, das auch für den gesamtenHaushaltsplan gilt, nämlich dass das gesamte Werk ei-gentlich schon zum Zeitpunkt der Einbringung Makula-tur ist, weil Sie wie schon vor der Bundestagswahl imvergangenen Jahr konkrete Zahlen und Daten zur wirt-schaftlichen Entwicklung nicht zur Kenntnis nehmen.Dass die Beratungen zum Justizetat trotzdem so gutund harmonisch verlaufen sind, liegt sicherlich daran,dass es sich um einen kleinen, aber feinen Etat handelt,der sich mit seinem Anteil von gerade einmal 0,14 Pro-zent am Gesamtetat und einem hohen Personalkostenan-teil nicht als Steinbruch für Millionen oder MilliardenEuro eignet. Es liegt aber auch daran, dass uns mit FrauMinisterin Zypries, dem Parlamentarischen Staatssekre-tär Hartenbach und Staatssekretär Dr. Geiger eine Minis-teriumsleitung gegenübersteht, mit der die Zusammen-arbeit Freude macht.
Der Umgang miteinander war von Achtung und Fair-ness geprägt. Das möchte ich ausdrücklich feststellenund Sie bitten, den Dank an Ihr Haus weiterzugeben.Ich danke auch den BerichterstatterkollegenDr. Köhler, Bonde und Fricke für die angenehme Ar-beitsatmosphäre. Ich hoffe, dass das so bleibt, solangeRot-Grün regiert.Der Haushalt des Bundesjustizministeriums für 2003umfasst 345 345 000 Euro. Das sind 188 000 Euro weni-ger als 2002. Damit wird anscheinend ein maßvollerBeitrag zu den Sparanstrengungen geleistet. Doch die-ses Bild trügt. Zusammen mit den titelscharf herunterge-brochenen Einsparungen im Personalbereich in Höhevon 1,246 Millionen Euro und der verbleibenden globa-len Minderausgabe in Höhe von 5,416 Millionen Euroleistet Ihr Etat, Frau Zypries, 6,662 Millionen Euro unddamit einen weit überdurchschnittlichen Sparbeitrag.Dass dieser zum großen Teil bei den Beamtinnen undBeamten des Generalbundesanwalts realisiert wird, istangesichts unserer aktuellen Sicherheitslage aus meinerSicht eine doch zweifelhafte Entscheidung.
Glücklicherweise sagt die Größe eines Haushaltsnichts über seine Bedeutung aus. Ihr Haus hat als obers-tes und kostbarstes Gut die Pflege unseres Rechts unddamit des Fundaments unserer freiheitlichen Demokratiezur Aufgabe. Ich hoffe, dass Sie diese auch entsprechendwahrnehmen. Wenn man nicht viel Geld hat, dann mussman sich besonders sorgfältig überlegen, wofür man esausgibt. Es bedarf also intelligenter Schwerpunktsetzun-gen. Wenn ich mir die Titel Ihres Einzelplans 07 an-schaue, die einen Aufwuchs verzeichnen, dann muss ich
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Norbert BarthleIhnen bestätigen, dass Sie dieser Verantwortung größten-teils gerecht worden sind.Die Ausgaben für die Bezüge der Richter und Beam-ten am Bundesgerichtshof steigen um 1,574 Millionenauf 16,271 Millionen. Das hängt damit zusammen, dassdiese Behörde nicht am linearen Personalabbau teilneh-men kann und dass dort gute Arbeit – 13,9 Prozent mehrRechtssachen wurden erledigt – geleistet wird. Deshalbist dieser Aufwuchs zu rechtfertigen, genauso wie dieErhöhung der Mittel für die Informationstechnik auf1,363 Millionen Euro. Das hängt mit der Einführungdes elektronischen Rechtsverkehrs zusammen. Hier istder Bundesgerichtshof Vorreiter. Er zeigt – zunächstnoch exemplarisch –, wie in Zeiten knapper öffentlicherMittel die Justiz durch effiziente Arbeitstechniken ent-lastet und die Qualität der Arbeit dennoch gewährleistetwerden kann. Bisher ist die Judikative in Sachen IT-Technologie der Entwicklung immer hinterhergehinkt.Es wäre zu begrüßen, wenn sie auch einmal Vorreitersein könnte.Einer der wenigen Dissenspunkte in unseren Bericht-erstattergesprächen betraf den Titel 68 101, nämlich dieHärteleistungen für Opfer rechtsextremistischer Über-griffe. Niemand in diesem Hohen Hause zweifelt daran,dass Rechtsextremismus nicht geduldet werden darf.Niemand von uns darf wegschauen, wenn MenschenOpfer rechtsextremistischer Gewalt zu werden drohen.Ich begrüße es deshalb, dass die Fallzahlen rückläufigsind. Während 2001 noch 210 Entschädigungsanträgegestellt wurden, waren es 2002 nur noch 116. Die Wach-samkeit der Demokraten zeigt also Wirkung. Aber dieseWirkung muss sich gegenüber jeder Form von Extremis-mus entfalten.
Unser Mitgefühl und unsere Hilfsbereitschaft muss allenOpfern extremistischer Gewalt gelten; denn den Op-fern ist es schließlich egal, ob sie von rechter, linker, reli-giös oder rassistisch motivierter Gewalt betroffen sind.Mit Ihrer Entscheidung, Frau Zypries, den entsprechen-den Titel bei 1 Million Euro zu verstetigen, setzen Sieden ideologisch verbohrten Irrweg fort, anstatt endlichzuzugeben, dass es darum geht, generell Opfern zu hel-fen.
Meine letzten Bemerkungen betreffen eines der Kron-juwelen in Ihrem Etat: das Deutsche Patent- und Mar-kenamt. Wir sind uns einig, dass dieses Amt – vor allemim Wandel hin zu einer modernen Dienstleistungsunter-nehmung – von großer Bedeutung für den Wirtschafts-standort Deutschland ist. Seine Funktionsfähigkeit gilt esdaher zu erhalten. Was den Justizetat angeht, ist man inder – nur selten vorkommenden – glücklichen Situation,fast 80 Prozent der Ausgaben durch eigene Einnahmenzu erwirtschaften. Das Gros dieser Einnahmen kommtvom Deutschen Patent- und Markenamt; deshalb dürfenwir diese Sau nicht schlachten, sondern wir müssen siemästen.
Herr Kollege Ströbele, die Regierungskoalition hatden Etat für das DPMA um 246 000 Euro gekürzt,
und das bei einem Überhang an Patentanträgen. Ichmeine, es gibt intelligentere Lösungen. Wir hätten einesolche Kürzung nicht vorgenommen.
Auch ich kann nicht abschätzen, ob es angesichts die-ser Kürzungen überhaupt möglich sein wird, die ge-plante Einstellung von 60 neuen Patentprüfern in diesemAmt vorzunehmen. Ich meine, das wäre notwendig, daswäre der richtige Weg, den man folglich beschreitenmuss, um den Standort Deutschland zu stärken und dievon Rot-Grün mit verursachte tiefe Wirtschaftskrise inunserem Land zu mildern.Allein diese beiden Punkte reichen aus, um zu demSchluss zu kommen, dass wir Ihrem Etatentwurf, FrauMinisterin, leider, nicht zustimmen können.
Danke.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Köhler,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Leitlinie für die Haushaltsberatungen 2003waren für uns Konsolidieren und Gestalten. Ich denke,dass wir das Ziel „Konsolidieren und Gestalten“ mit demHaushalt 2003 insgesamt erreichen. Das gilt natürlichauch für die Einzelhaushalte, in diesem Zusammenhangfür den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz undfür den Haushalt des Bundesverfassungsgerichts.Hinter uns liegt in jedem Fall eine schwierige Opera-tion; schließlich mussten wir neben der etatisierten glo-balen Minderausgabe eine zweite globale Minderaus-gabe teilweise auflösen, was für kleine Haushalte wie diedes Bundesministeriums der Justiz und des Bundesver-fassungsgerichts natürlich Schwierigkeiten bereitet.Der Kollege Barthle hat darauf hingewiesen, dassbeide Haushalte klein sind. Sie beinhalten im Wesentli-chen Mittel für Personal- und Sachausgaben. Gerade wasEinsparungen betrifft, ist der Gestaltungsspielraum dortrelativ klein. Aber unter dem Strich ist festzuhalten: Wirhaben es bei beiden Haushalten geschafft, sowohl zukonsolidieren als auch mitzugestalten. Das ist, wie ge-sagt, insgesamt ein gutes Ergebnis. Der Umfang desHaushalts des Jahres 2003 ist geringer als der des Jahres
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Dr. Heinz Köhler2002 und wesentlich geringer als der des Jahres 1998.Das zeigt, dass diese Regierungskoalition seit 1998 ei-nen klaren Konsolidierungskurs erfolgreich fährt.
Konsolidierung ist die eine und Gestaltung ist die an-dere Seite beim Aufstellen eines Haushalts. Was den Ge-samthaushalt betrifft, haben wir nicht nur konsolidiert,sondern auch gestaltet. Dass wir auch in den kleinenHaushalten des Bundesministeriums der Justiz und desBundesverfassungsgerichts gestaltend gewirkt haben,möchte ich hier an wenigen Eckpunkten verdeutlichen:Erstens. Im Hinblick auf den Haushalt 2003 war esuns wichtig, die erfolgreiche Reformpolitik auf dem Ge-biet des Rechts, die seit 1998 betrieben wird, haushalts-mäßig abzusichern. Ich denke, wir werden dieses Zielmit den finanziellen Rahmenbedingungen dieses Haus-halts erreichen; denn Rechtspolitik ist Gesellschaftspoli-tik und sie hat daher eine hohe Bedeutung für unsereDemokratie.
Zweitens. Es ist uns gelungen, im Haushalt 2003 dieErhöhung der Verwaltungskostenerstattungen des Bun-des an die Länder in Höhe von 1,5 Millionen Euro fürdie Unterbringung der Strafgefangenen, für die der Bundzuständig ist, in Haftanstalten der Länder finanziell ab-zusichern. Damit wird eine langjährige „Hängepartie“haushaltsmäßig erfolgreich abgeschlossen.Drittens. Mit einem neuen Etatansatz von 9 MillionenEuro für einen Entschädigungsfonds für Opfer terro-ristischer Gewalt haben wir die Grundlage gelegt, umdie Entschädigung von Menschen, die unverschuldetOpfer des Terrorismus in New York, Bali oder Djerbawurden, zu ermöglichen. Dieser Etatansatz geht auf eineZusage des Bundeskanzlers zurück. Es war sehr wichtig,nicht nur ein Zeichen zu setzen, sondern auch, die ent-sprechenden Mittel zu etatisieren, damit auf diese Artund Weise diejenigen Menschen, die unverschuldet Op-fer terroristischer Gewalt werden, durch die Gemein-schaft angemessen entschädigt werden können. Auf die-sem Weg setzt man auch ein finanzielles Zeichen derSolidarität mit diesen Menschen, die, wie gesagt, unver-schuldet Opfer dieser Gewalt geworden sind.
Wir haben auch in diesem Haushalt wieder 1 Mil-lion Euro für Entschädigungen für Opfer rechtsextre-mistischer Übergriffe eingesetzt; der Kollege Barthlehat sich damit kritisch beschäftigt. Ich will dieses Thema,das offensichtlich in jeder Haushaltsberatung eine großeRolle spielt, heute nicht vertiefen. Ich will nur darauf hin-weisen, dass wir in unserem Land nach wie vor erhebli-che Gewalt mit rechtsextremem Hintergrund haben. DieZahlen für Januar zeigen das sehr deutlich: immerhin33 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund. Deswe-gen müssen wir dieses weiterhin veranschlagen
und damit gleichzeitig ein Zeichen gegen rechtsextremeGewalt setzen.
Der sicherlich wichtigste Bereich, der Schwerpunkt infinanzieller Hinsicht in diesem Haushalt – der KollegeBarthle hat darauf hingewiesen – ist das DeutschePatent- und Markenamt. Das Deutsche Patent- undMarkenamt spielt natürlich eine wichtige Rolle für denWirtschaftsstandort Deutschland. Es sind Krokodilsträ-nen, die Sie vergossen haben, Kollege Barthle, als Siegesagt haben, welch große Bedeutung das DeutschePatent- und Markenamt habe. Beim Deutschen Patent-und Markenamt ist Mitte der 90er-Jahre heruntergefah-ren worden – zum Nachteil des WirtschaftsstandortsDeutschland.
Um das nur an einer Zahl festzumachen: Die Zahl derPatentprüfer ist von 660 auf 550 gesunken.Zum Abbau des Bearbeitungsstaus haben wir in denletzten Jahren durch einen Maßnahmenkatalog die Zahlder Stellen wieder erhöht. In diesem Jahr werden es77 neue Stellen sein, davon 60 für Patentprüfer. Auf dieseArt und Weise soll der Rückstand abgebaut werden. Aberdas dauert Zeit. Wir werden den Zenit, was die nicht be-arbeiteten Anträge angeht, erst Ende des Jahres über-schreiten. Erst jüngst hat der Präsident des Patentamts,Dr. Jürgen Schade, auf seiner Pressekonferenz daraufhingewiesen, dass im letzten Jahr der Stau um 12 Prozentüberdurchschnittlich abgebaut werden konnte. Die Maß-nahmen, die durch das Ministerium eingeleitet wordensind, zeigen also Wirkung.Gerade die Entwicklung beim Deutschen Patent- undMarkenamt zeigt, dass der Wirtschaftsstandort Deutsch-land nicht so schlecht ist, wie das die Opposition gele-gentlich darzustellen versucht.
Um die Zahlen in Erinnerung zu rufen: Es gab 199341 000 Patentanmeldungen. 1998 waren es bereits57 000. Im Jahr 2002 waren es über 63 000 Patentanmel-dungen. Gerade auch bei den Anmeldungen im internati-onalen Bereich mit Bestimmungsland Deutschland gibtes eine überdurchschnittliche Zunahme, nämlich einevon über 10 Prozent. Der bayerische Ministerpräsidenthat hier am letzten Freitag von einem „SanierungsfallDeutschland“ gesprochen. Dazu kann ich nur sagen: Erweiß nicht, wovon er spricht. Es geht nur darum, diesesLand schlecht zu reden.
– Es ist so.Wir sehen im Deutschen Patent- und Markenamt einAushängeschild des Wirtschaftsstandorts Deutschland.Wir werden es weiterhin auch finanziell unterstützen,
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Dr. Heinz Köhlerum auf diese Art und Weise dazu beizutragen, dass es inunserem Land aufwärts geht. Wir versichern dem Deut-schen Patent- und Markenamt unsere Unterstützungauch in finanzieller Hinsicht.Ich will damit zum Schluss kommen und Ihnen, FrauMinisterin, und den Kollegen Mitberichterstattern für diegute Zusammenarbeit danken. Eine gute Zusammenar-beit werden wir, wie ich hoffe, auch in den nächsten Jah-ren praktizieren.In diesem Sinne herzlichen Dank.
Es war die erste Rede des Kollegen Köhler. Herz-
lichen Glückwunsch!
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bun-desjustizministerium wird zu Recht als klassisches Mi-nisterium bezeichnet, nicht nur deshalb, weil es der gu-ten Tradition entspricht, sondern auch deshalb, weil esfür die Aufrechterhaltung und Entwicklung unseresRechtstaats eine zentrale Funktion innerhalb der Regie-rung wahrnimmt.
Neben der inneren und der äußeren Sicherheit ist dieWahrung des Rechtsstaats Kernaufgabe des Staats. ImInteresse unserer Demokratie darf der Haushalt des Jus-tizministeriums nicht den allgemeinen Sparzwängen ge-opfert werden. Das Justizministerium muss mit den Mit-teln ausgestattet werden, die es zur Erfüllung seinerAufgaben unbedingt benötigt.
Diese Aufgaben sind auch in dieser Legislaturperiodevielfältig.Großer Bedarf besteht zum Beispiel beim Betreu-ungsrecht. Seit 1999 denken wir im Bundestag übereine Novellierung nach, weil wir inzwischen wissen,dass das 1988 gefundene Gesetz gegenüber dem frühe-ren Entmündigungsrecht viele bedeutende und guteRechtsänderungen gebracht hat, dass es aber in einigenTeilen nicht mehr praktikabel ist und dass Verfahrensab-läufe verschlankt werden müssen.
In einer überfraktionellen Arbeitsgruppe unter derLeitung von Frau von Renesse haben wir uns in der letz-ten Legislaturperiode mit diesen Fragen beschäftigt. Ichdenke, wir müssen in dieser Legislaturperiode zu Pottekommen, wie wir in Norddeutschland sagen. Dazu be-darf es auch der personellen Ressourcen des Bundesjus-tizministeriums.Die eben angesprochenen Verschlankungsnotwendig-keiten bestehen natürlich auch im Familienrecht, insbe-sondere im Unterhaltsrecht und im Scheidungsfolgen-recht. Die Vorschläge des Deutschen Juristentages zumErbrecht sollten in dieser Legislaturperiode zumindestaufgegriffen werden. Ich weiß, dass sie in dieser Legisla-turperiode nicht Eingang ins Bundesgesetzblatt findenwerden, aber sie müssen zumindest politisch diskutiertwerden.Im Bereich des Wirtschaftsrechts muss dringend dasBilanzrecht fortentwickelt werden; denn wir haben unsin § 292 a HGB als Gesetzgeber selbst gebunden, indemwir festgelegt haben, dass das bisherige Konzernbilanz-recht nur bis zum 31. Dezember 2004 gilt. Danach müs-sen wir die europarechtlichen Vorgaben mit umgesetzthaben. Ich nenne hier die Stichworte IAS und US-GAPP.Wir sind uns auch einig, dass im Wirtschaftsrecht dieGrundsätze der Baums-Kommission und die Corporate-Governance-Regelungen umgesetzt werden sollen, undzwar möglichst schnell, damit der Finanzmarkt Deutsch-land innerhalb Europas wieder gestärkt werden kann.Das Urheberrecht wird uns in der gesamten Legis-laturperiode begleiten. Vielleicht kommt die Koalition inden nächsten Tagen zu einer Einigung.
Dann können wir wenigstens den ersten Teil des Urhe-berrechts abhaken. Den schwierigeren Teil hat man nochaufgespart; wir legen ihn, vornehm gesagt, in den zwei-ten Korb.
– Herr Tauss, ich glaube, Sie sollten sich in dieser Bezie-hung etwas zurückhalten.
Denn die Verhandlungen über den ersten Korb waren nurwegen der Koalition schwierig. Wir hätten mitgearbeitet,wenn man uns gelassen hätte. Aber Sie konnten sichnicht einigen.
Hinzu kommt, dass der Reformeifer der früheren Mi-nisterin
zu zahlreichen Mängeln bei den angeblichen Jahrhun-dertgesetzen geführt hat, die jetzt insbesondere im pro-zessualen Bereich repariert werden müssen.Last, but not least sind zahlreiche schwierige europa-rechtliche Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.Auch das bindet natürlich Kapazitäten.Ich erwähne dies, weil ich nicht möchte, dass der Jus-tizhaushalt die qualifizierten Kapazitäten des Hausesweiter ausdünnt. Im Gegenteil, das Justizministeriumbraucht eher eine personelle Verstärkung; denn es ist nochviel zu tun, vielleicht nicht so sehr im strafrechtlichen
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Rainer FunkeBereich, obwohl es häufig, aus welchen Richtungenauch immer, den Ruf nach mehr und schärferen straf-rechtlichen Bestimmungen gibt, die aber die Sicherheiteher nicht verstärken. Jedoch bedarf es zum Beispiel inden Bereichen Prävention und Strafrechtssanktiongrundlegender Überlegungen, die in dieser Legislaturpe-riode auch in Angriff genommen werden müssen.Meine Damen und Herren, das deutsche Rechtssys-tem ist sicherlich eines der besten in der Welt, wenn esauch sehr kompliziert ist. Aber insgesamt können wirDeutschen auf unser Rechtssystem stolz sein. Es könntedurchaus wie zum Beispiel die DIN ein Exportschlagersein, wenn alle Wünsche von Entwicklungsländern undSchwellenländern, aber auch von einigen Industrielän-dern berücksichtigt werden könnten. Die Deutsche Stif-tung für internationale rechtliche Zusammenarbeit leistetauf diesem Gebiet hervorragende Hilfe. Allerdings istdie Zusammenarbeit mit der GTZ und dem Entwick-lungshilfeministerium verbesserungswürdig. Deswegenwäre eine bessere Koordinierung angebracht. Man sollteauf die Egoismen im Entwicklungsministerium keineRücksicht nehmen.
Meine Damen und Herren, wir Liberalen werden dieArbeit des Bundesjustizministeriums im Interesse unse-rer deutschen Rechtsordnung und der Rechtsstaatlichkeitkonstruktiv begleiten. Wir danken den Mitarbeitern desMinisteriums für ihre engagierte Arbeit.
Nun hat Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grü-
nen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! KolleginMantel hat in der Debatte über den Haushalt des Innen-ministeriums ein sehr schönes Farbspiel angesprochen:Die Hoffnung sei grün, die Zahlen seien rot. Sie hat sichgeirrt. Die Hoffnung ist grün und die Zahlen des Haus-halts sind schwarz. Leiten Sie aber aus dieser Farben-lehre keine übertriebenen Hoffnungen für sich ab. DerGesamthaushalt ist rot-grün, weil er Ausdruck einer gu-ten rot-grünen Politik ist.
Besonders beim Justizhaushalt, meine Damen undHerren von der Opposition, haben Sie mit der Lupe nachirgendetwas suchen müssen, um mit schwächsten Argu-menten zu begründen, warum Sie gerade diesen Haus-halt ablehnen wollen.Im Vergleich zu vielen anderen Posten des Bundes-haushalts haben wir es beim Justizhaushalt mit einemsehr geringen Volumen zu tun. Wir sprechen über347 Millionen Euro von insgesamt 248 Milliarden Euro,also weniger als 1,5 Promille. Zur Verdeutlichung: Beigleichmäßiger Aufteilung des Haushalts auf Ministerienhätten wir es mit einem Kabinett von über 750 Ministe-rinnen und Ministern zu tun. Dennoch bestehen keineZweifel an der großen Reichweite und dem Einfluss derRechtspolitik auf praktisch alle Gebiete der Gesellschaftbis tief hinein in das Privatleben jedes einzelnen Bür-gers.Das Bundesjustizministerium und die Bundesgerichteder Bundesrepublik Deutschland, herausragend hierbeidas Bundesverfassungsgericht – das sage ich ganz be-wusst auch am heutigen Tage –, achten auf die Verfas-sungsmäßigkeit neuer und wachen über die Einhaltungbestehender Gesetze und den rechtmäßigen Gesetzes-vollzug. Deswegen handelt es sich hierbei um bestensangelegtes Geld.Angesichts der Bedeutung des rechtspolitischen Dis-kurses und meiner überaus kurzen Redezeit will ich wederaufzählen, was die Koalition bisher schon in der Rechts-und Justizpolitik geleistet hat, noch, was sie im nächstenJahr rechts- und justizpolitisch vorhat. Sie kennen unserProgramm, ich nenne beispielhaft das Antidiskriminie-rungsgesetz im Privatrecht, die Reform des Sexualstraf-rechts und dann folgend die Sanktionenrechtsreform, un-seren Willen zur stärkeren Haftvermeidung und zurBegrenzung der wuchernden Telefonüberwachung undwir kennen Ihre Kritik daran. Bei der notwendigen Neu-ordnung und Heraufsetzung der Rechtsanwaltsvergütungwerden wir uns vielleicht sogar zu einer gemeinsamenStellungnahme zusammenfinden.Ich will auf eine aktuelle und grundsätzliche Rechts-frage eingehen, auf das Verbot der Folter. Der stellver-tretende Polizeipräsident von Frankfurt am Main hat beider aktenkundigen Dokumentation der beabsichtigtenFolterung eines Gefangenen eine Debatte entfesselt, diean die Substanz des Rechtsstaates geht und am Grund-konsens unseres demokratischen Verfassungs- undGrundrechtsstaates rüttelt. Manche scheuen eine Debattedarüber und wollen befürchteten Tabubrüchen in dieserDiskussion durch einen möglichst schnellen Übergangzur Tagesordnung begegnen. Das wird aber nicht gelin-gen und wäre ein großer Fehler.
Die in Frankfurt dokumentierte Folterandrohung war einkalkulierter und ein beabsichtigter Tabubruch. Darübermüssen wir in aller Offenheit reden, auch im Bundestag.Neu und unerhört an diesem Vorgang ist, dass erst-mals die Behauptung aufgestellt wurde, Folter sei eindenkbares Verhalten der Staatsgewalt gegenüber Men-schen im staatlichen Gewahrsam. Ich meine demgegen-über, dass wir alle in diesem Hause festhalten sollten:Folter ist durch internationale Pakte, die zur grundrecht-lichen Grundausstattung auch in Deutschland gehören,und durch die Verfassung selbst unter allen Umständen,absolut und abwägungsfest verboten.
Das gilt für die Androhung von Folter gleichermaßen.
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Jerzy MontagIch will an dieser Stelle Herrn ParlamentarischenStaatssekretär Hartenbach ausdrücklich danken, der diesfür die Bundesregierung glasklar formuliert hat. Eineentsprechende Stellungnahme des Bundestages stehtnoch aus.Folter ist mehr als Körperverletzung im Amt undmehr als Aussageerpressung. Folter macht ihren Opfernstreitig, ein Mensch mit unveräußerlichen Rechten zusein. Sie macht Menschen zu Körpern und Subjekte zuObjekten staatlichen Handelns. Deshalb ist Folter einzentraler Angriff auf die Würde des Menschen, die nachArt. 1 der Verfassung unantastbar ist. „Unantastbar“ istkeine Verfassungslyrik aus alter Zeit. Gerade in der Fol-terdebatte erweist dieses Wort seinen vollen Sinn. Es istnicht erlaubt, einen Menschen in seiner Würde anzutas-ten. Wer dies infrage stellt – einige Unionspolitiker ha-ben das getan –, der öffnet die Büchse der Pandora.
Das dürfen wir nicht zulassen, wenn wir nicht wollen,dass Folter bei uns in Deutschland zu einem denkbarenMittel staatlichen und polizeilichen Handelns wird.
Meine Damen und Herren, wir werden uns rechts-und justizpolitischen Aufgaben auch in diesem Jahr be-herzt zuwenden. Wir rechnen mit Ihrer Kritik. Wir hof-fen aber auch auf Zustimmung im Einzelfall. Ich bitteund fordere Sie alle darüber hinaus auf, zu einer uns alleeinenden Ächtung der Folter durch das Parlament unse-res Landes, durch den Deutschen Bundestag, zu kom-men.Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Röttgen, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesjus-tizministerin, Sie sind jetzt fast 150 Tage, so lange wiedie neue Regierung, im Amt. Darum bietet diese DebatteGelegenheit, den Start der Regierung zu bilanzieren. Siewissen, dass wir immer das Gute bei Ihnen suchen.
Aber leider können wir es auch in der Rechtspolitik beiIhnen nicht finden.
Wir haben eine vernünftige Basis für ein Gesprächgefunden; das erkennen wir an. Aber in der Sache war eskein guter Start der neuen Regierung auf dem Gebiet derRechtspolitik. Nach dem gescheiterten Aktionismus derVergangenheit hat sich nun eine gewisse rechtspolitischeLustlosigkeit breit gemacht.
Von Elan und Konzepten ist nirgendwo etwas zu spüren.Es gibt nicht sehr viele Ergebnisse. Die wenigen Ergeb-nisse, die wir feststellen können, sind negativ. Ich werdeund muss sie gleich benennen.Kollege Barthle hat schon auf den Bundeshaushalthingewiesen, der natürlich nur eine geringe rechtspoliti-sche Relevanz aufweist. Aber an einer Stelle geht esnicht um viel Geld, sondern um eine politische Grund-satzfrage. Das betrifft die Ungleichbehandlung vonOpfern extremistischer Gewalt, die in diesem Haushaltversteckt ist.
Wir haben auch im Ausschuss darüber debattiert. DieOpfer rechtsextremistischer Gewalt erhalten eine Härte-fallleistung. Den Opfern anderer extremistischer Gewaltwird diese Leistung verweigert. Derjenige Bürger, dervon einem Rechtsradikalen zusammengeschlagen wird,bekommt eine Leistung des Staates. Demjenigen, dervon einem Linksradikalen zusammengeschlagen wird,wird diese Leistung verweigert. Das ist zutiefst unge-recht. Es geht nicht um viel Geld; diese Ungerechtigkeitist empörend.
Ich kann nicht nachvollziehen, dass Sie den Bürgerneine solche Ungerechtigkeit zumuten, indem Sie auf-grund der politischen Motivation von Gewalt unterschei-den, ob ein Opfer eine Leistung bekommen darf odernicht. Das müssen Sie korrigieren. Ich sage Ihnen: Wirsind enttäuscht, dass Sie nicht die Kraft aufbringen,diese Sache zu korrigieren.Ein weiteres negatives Ergebnis betrifft die Preisgabeder jahrelang fraktionsübergreifend vertretenen Positionzum EU-Gemeinschaftspatent. Sie mögen vielleicht sa-gen: Das merkt in der Öffentlichkeit keiner. Aber das Pa-tentrecht ist nicht irgendeine abseitige Rechtsmaterie,die man so oder so regeln kann. Das Patent honoriert Er-findungsgeist und schützt Innovationen. Damit hat dasPatentrecht eine eminent wirtschaftspolitische Bedeu-tung. Von allen Fraktionen ist die Position eines effekti-ven, kostengünstigen und zügigen Patentwesens inDeutschland vertreten worden. Wir sind in Europa undweltweit – das ist keine deutsche Arroganz – führend aufdem Gebiet des Patentwesens. Unser Land hat die Roh-stoffe nicht in der Erde, sondern in unseren Köpfen. Da-rum müssen wir Innovationen, geistige Fortschritte för-dern.Das, was Sie Anfang März gemacht haben – Sie ha-ben einem faulen Kompromiss zugestimmt und die altedeutsche Position auf dem Gebiet des Gemeinschafts-patents geräumt –, ist ein fataler Weg. Denn es wird inEuropa kein zügiges, kostengünstiges Patentwesen mehrgeben. Allein die bürokratischen Sprachenregelungen, de-nen Sie politisch-informell zugestimmt haben, nämlich
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Dr. Norbert Röttgendass Patentansprüche in jede Sprache übersetzt werdenmüssen und der Gerichtsprozess zentral in Luxemburg inder Sprache des Beklagten geführt werden muss – einDeutscher, der gegen einen Griechen klagt, muss ein Pa-tentrechtsverfahren in Luxemburg auf Griechisch führen– sind ein Irrsinn. Das wird das Patentverfahren verzö-gern und verteuern. Für den Mittelstand können Sie esgeradezu abschreiben.Ich frage Sie: Warum haben Sie, nachdem Sie 150 Tageim Amt sind, diese Position, die über Jahre gehalten wor-den ist – es ist eine deutsche Position; zwei Drittel aller eu-roparechtlichen Patentrechtsstreitigkeiten werden inDeutschland geführt –, innerhalb von fünf Monaten ge-räumt? Erklären Sie es! Ist Deutschland, weil Sie sich au-ßen- und europapolitisch isoliert haben, selbst in Fachfra-gen nicht mehr widerstandsfähig? Sind wir nicht mehr inder Lage, eine deutsche Position zu vertreten?Auch andere Länder tun das. Erklären Sie es!
Die Bundesregierung hat das im Rechtsausschussnicht erklären können. Wir gehen in der Gerichtsbarkeiteinen Sonderweg. Wir haben eine europäische Rechts-materie, für die auf einmal ein europäisches Gericht ein-gerichtet wird. Das hat mit Subsidiarität nichts zu tun.Auch auf anderen Gebieten gibt es europäische Rechts-materien, die aber von deutschen Gerichten angewendetwerden. Das Prinzip der Subsidiarität ist hier verletztworden. Dies ist ein negatives Ergebnis, ein fataler Weg.Ich habe mich darüber gefreut, dass im Rechtsaus-schuss im Grunde genommen übereinstimmend Unver-ständnis geherrscht hat und Kritik artikuliert worden ist.Wir fordern Sie auf: Ziehen Sie dieses Thema, das auf demEuropäischen Gipfel am 21. März 2003 behandelt werdensoll, zurück! Noch geht es. Sie schaden dem Land unddem Wirtschaftsstandort, wenn Sie dies nicht tun.
Ich komme zu anderen Gebieten der europäischenRechtspolitik, auf denen die Bundesregierung und auchSie zu Ergebnissen hätten kommen müssen. Ich sprechevon einer ganzen Reihe von europäischen Richtlinien,die nicht umgesetzt worden sind, obwohl die Frist be-reits abgelaufen ist. Die Biopatentrichtlinie hätte imSommer des Jahres 2000 umgesetzt werden müssen. Esist noch nichts geschehen.
– Sie haben die Mehrheit. Die Wahrheit ist: Sie von derKoalition sind nicht in der Lage, einen Gesetzentwurfvorzulegen. Darum gibt es keinen.
Das Urheberrecht hätte bis zum Dezember 2002 umge-setzt werden müssen, der EU-Rahmenbeschluss zur Terro-rismusbekämpfung ebenfalls. Die Antidiskriminierungs-richtlinie muss bis Juli 2003 umgesetzt werden. Auch daswerden Sie nicht schaffen, meine Damen und Herren.
– Bei aller sehr kompetenten Schreierei des KollegenTauss, die wir ja ressortübergreifend feststellen können,
muss ich sagen: Herr Kollege Tauss, Sie sind einer derwenigen verbliebenen Universalgebildeten, der sich mitLautstärke zu jedem Gebiet äußert. Aber wenn man sicheinmal von Sachkunde befreit hat, kann man auch unge-niert schreien, Herr Kollege Tauss.Das ist die Maxime, die Sie praktizieren.
Meine Damen und Herren, wir stellen auf dem Gebietder Rechtspolitik eine Handlungsschwäche fest. Siekommen deshalb nicht zu Ergebnissen, weil Sie in derKoalition nicht zu Ergebnissen kommen. Das ist bei derTerrorismusbekämpfung so, das ist bei der Antidiskrimi-nierungsrichtlinie so, das ist bei der Biopatentrichtlinieso. Wir leiden, Sie belasten unser Land mit einer rot-grü-nen Handlungsschwäche und darum kommt es nicht zuErgebnissen. Was bedeutet das eigentlich? Wir verletzenunsere Pflichten zur Gesetzgebung. Sie begründen dieGesetze in Brüssel und sind dann nicht in der Lage, siehier zu realisieren. So kann man nicht Rechtspolitik ma-chen.Das betrifft aber nicht allein die europäische Rechts-politik, in der deutschen Rechtspolitik ist es genauso.Seit eineinhalb Jahren steht fest, dass der Versorgungs-ausgleich bei Ehescheidungen neu geregelt werdenmuss.
Dabei geht es um die so genannte Barwertverordnung,das ist auch wieder ein technischer Begriff.
Beim Lebenssachverhalt geht es darum, dass wir demwirtschaftlich schwächeren Ehepartner – das sind in derRegel die Frauen – die soziale Sicherung erhalten müs-sen. Das ist ein eminent sozialpolitisches Anliegen. DieVerordnung ist ausgelaufen und Sie haben es nicht ge-schafft, eine neue an ihre Stelle zu setzen. Nun kannnicht Recht gesprochen werden, Prozesse werden ausge-setzt. Sie lassen die wirtschaftlich schwächeren Frauenim Stich.
Das ist die Wirklichkeit, die Sie zu verantworten haben.
– Ja, genau. Es geht um Rentenansprüche, Herr Kollege.
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2678 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Dr. Norbert Röttgen– Nein, aber es geht um die, die davon betroffen sind.Wollen Sie bestreiten – dann sagen Sie es hier ganz aus-drücklich –, dass es hier ein sozialpolitisches Problemgibt? Dann haben Sie noch nicht einmal Problembe-wusstsein. Ich hätte Ihnen unterstellt, dass Sie zumindestdas Problem verstanden haben. Jetzt stelle ich fest: Siekennen das Problem gar nicht. Das ist ein Zeichen vonIgnoranz, ich hoffe, nicht von Arroganz.
Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz wurde vor Jah-ren beschlossen; Sie haben nichts getan. Ich liste hier diePunkte auf, bei denen die Politik hätte handeln müssen.Sie tun nichts.
– Nein, es geht um ein Bundesgesetz. Herr im Himmel!Sie müssen handeln, aber Sie schaffen es nicht.
Ich nenne ein ganz kleines Thema: Graffitibekämp-fung.
– Sie stöhnen darüber. Von den Bürgern wird ein Gesetzgefordert, weil sie die Betroffenen sind. Seit Jahren le-gen wir Gesetzentwürfe vor.
Nur weil Sie stöhnen: Der Parlamentarische Staatssekre-tär Hartenbach kündigt hierzu die Bereitschaft der Bun-desregierung zum Nachdenken an. Ich finde es bemer-kenswert, wenn ein Parlamentarischer Staatssekretär soetwas besonders ankündigt.
Er hat jetzt schon in zwei Debatten die Bereitschaft zumNachdenken erklärt.
Wir bitten Sie nur um ein Produkt des Nachdenkens. Sa-gen Sie: Wir wollen das, weil es hier eine Strafrechts-lücke gibt.
Wir freuen uns über die Bereitschaft zum Nachdenken,aber die Fähigkeit zum Nachdenken mit einem Ergebniswäre noch schöner.
– Auch wenn es Ihnen nicht gefällt, liste ich die Mängelauf.Ich will einen letzten Punkt benennen, das Sexual-strafrecht.
Die Union hat einen konsequenten Entwurf vorgelegt,Sie haben eine schlechte Kopie nachgelegt. Aber was ichhier noch mehr als den Inhalt kritisieren möchte, ist dieArt und Weise, wie das Thema vorgetragen worden ist.Wir sind in Sorge, ob dieses Thema eine angemesseneBehandlung erfährt. Sie haben die Veröffentlichung inder „Bild am Sonntag“ in der Erwartung gewählt, für dieDarstellung dieses Themas dort ein an differenziertenpolitischen Aussagen besonders interessiertes Publikumzu finden.
Es ist die Frage, ob das richtig war. Sie haben das Themadort unter der Überschrift „Wer bei Kindesmissbrauchwegschaut, muss ins Gefängnis“ dargestellt, aber Sie ha-ben nur die halbe Wahrheit dargestellt. Sie haben gesagt,dass die, die wegschauen, bestraft werden, Sie habenaber nicht gesagt, wer alles nicht bestraft wird, wenn erwegschaut, nämlich all diejenigen, die keine Kenntnishaben. Sie haben dann am Tag darauf eine Pressekonfe-renz durchgeführt.
Ich will Ihnen eines sagen: Heribert Prantl, der nicht im-mer nur christdemokratisches Gedankengut verbreitet,hat auf diese Aktion der Bundesjustizministerin in der„Süddeutschen Zeitung“ einen harten Vorwurf erhoben– ich mache mir diesen Vorwurf nicht zu Eigen, aber ichnehme ihn ernst –, nämlich den des politischen Miss-brauchs des Kindesmissbrauchs. Das sollte uns vielleichtzu denken geben, wenn es darum geht, wie wir mit die-sem Thema umgehen.
Sie haben eine Pressekonferenz zu diesem Themaveranstaltet. Sie haben eine Kampagne der Bundesregie-rung angekündigt. Sagen Sie etwas zu dieser Kampagne,damit die Befürchtung zerstreut wird, es sei nur heißeLuft gewesen!
Wir haben eine Sachverständigenanhörung zu die-sem Thema durchgeführt. Sie hat mit einem Fiasko fürSie geendet. In diesem ganz zentralen Punkt, den Sie alsden prominentesten vorangestellt haben, haben schonvorher alle Opferschutzverbände gesagt: Wir lehnendiese Anzeigepflicht als unpraktikabel und kontrapro-duktiv ab. Der Kinderschutzbund und Frauenverbändehaben das abgelehnt. In dieser Sachverständigenanhö-rung haben dann insbesondere die von Ihnen benanntenSachverständigen, Rechtspraktiker und Rechtswissen-schaftler diesen Vorstoß zurückgewiesen. Das muss einBundesjustizministerium erst einmal schaffen: einenVorschlag zu machen, den alle ablehnen und von demsich am Ende sogar Herr Montag und Herr Stünker
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Dr. Norbert Röttgendistanzieren. Sie haben vor der Sachverständigenanhö-rung erklärt: Es bleibt dabei. – Es war unglücklich, dasvor der Anhörung zu erklären. Nun haben wir die Sorge,dass dieses heikle Thema belastet und geprägt wird – –
Herr Kollege Röttgen, die Schriftführer haben mich
gerade darauf aufmerksam gemacht, dass der Präsident
sich nicht getraut habe, Sie zu unterbrechen. Auch ich
traue mich natürlich nicht, möchte Sie aber dennoch
ganz vorsichtig darauf aufmerksam machen, dass auch
bei großzügiger Betrachtung der Uhr die angemeldete
Redezeit leicht überschritten ist.
Ich bedanke mich für die Konzession der Großzügig-
keit.
Zum Schluss mahne ich uns alle, dieses heikle Thema
nicht mit faulen parteipolitischen Kompromissen zu be-
lasten. Betreiben Sie nicht in der Notlage, in die Sie sich
nun gebracht haben, die Gesichtswahrung der Ministe-
rin! Damit werden Sie diesem Thema nicht gerecht.
Zu dem Thema, das Herr Kollege Montag ganz zum
Schluss angesprochen hat, sollten wir im Rechtsaus-
schuss eine qualifizierte Debatte führen. Ich wäre gern
auch hier kurz darauf eingegangen. Die Zeit dafür ist
aber nicht da.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Kollege Joachim Stünker, SPD-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich habe am 4. Dezemberletzten Jahres bei der ersten Lesung an dieser Stelle dierechtspolitischen Maßnahmen der Regierungskoalitionfür diese Legislaturperiode umfassend dargestellt. Ichdenke, ich kann an dem heutigen späten Abend daraufBezug nehmen.Auf die Rede von Herrn Röttgen ist zu sagen: SeienSie sicher, die EU-Richtlinien, die Sie angesprochen ha-ben, werden zügig umgesetzt. Ich darf darauf hinweisen,dass 1998 insgesamt 30 EU-Richtlinien, die die Kohl-Regierung uns hinterlassen hatte, nicht umgesetzt waren.Wir haben da also noch ein bisschen Spielraum.
Ich darf Ihnen des Weiteren sagen, dass es in diesemLand nicht um einen notleidenden Versorgungsausgleichbei Ehescheidung geht, sondern um die Barwertverord-nung, einen kleinen Teil im Versorgungsausgleich. DieNovellierung der Barwertverordnung wird noch im Märzim Kabinett behandelt und dann umgesetzt werden.Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Götzer hatin der ersten Lesung, die ich angesprochen habe, zuRecht darauf hingewiesen, dass Haushaltsdebatten im-mer auch Generaldebatten seien. Er hat im Folgendendie Aufgabe von Rechtspolitik aus der Sicht derUnionsparteien skizziert. Da war dann die Rede von der„Stärkung und ... Verbesserung des Rechtsstaats“, vonder „Sicherung der Freiheit der Bürger gegenüber demStaat und auch gegenüber Dritten“ sowie von einem„starken Staat“, der ausschließlich den „optimalenSchutz der Bürger gegen Verbrechen gewährleisten“könne.Es ist mir daher ein Bedürfnis, mich in der heutigenGeneraldebatte kurz mit dem immer deutlicher in Er-scheinung tretenden Verständnis der Unionsparteien vonRechtspolitik in diesem Hause zu beschäftigen, wie es inder Rede von Herrn Götzer und ansatzweise auch heutein der Rede des Kollegen Röttgen deutlich geworden ist.Dieses Verständnis erscheint mir rechtsstaatlich zuneh-mend problematisch.
Die entscheidende Frage ist nämlich: Was verstehenSie eigentlich unter dem von Ihnen so bezeichneten„starken Staat“? Die soeben zitierten Floskeln vermagvielleicht jeder von uns noch zu unterschreiben. WennSie aber konkrete rechtspolitische Maßnahmen benen-nen, dann fällt im Eifer des Gefechtes sehr schnell dieTarnkappe. Herr Kollege Röttgen hatte in der ersten Le-sung acht Beispiele aufgezählt, die sozusagen die Essen-tials der Rechtspolitik der Unionsparteien seien. In die-sen Beispielen hat sich dann auch der Kanon derRechtspolitik bereits erschöpft.Ich will die Beispiele noch einmal kurz nennen: Ver-schärfung des Sexualstrafrechts, schärfere Strafen zurBekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern,Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung,Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Ersttä-tern und ebenso bei Heranwachsenden – verfassungs-rechtlich bedenkliche Regelungen möge man erst einmalins Gesetz schreiben; der Bürger könne zum Verfas-sungsgericht gehen, um sie dann überprüfen zu lassen –,Verschärfung des Jugendstrafrechts, obligatorische An-wendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwach-sende, das Höchstmaß der Jugendstrafe auf 15 Jahre he-raufsetzen. Ein weiterer Vorschlag in diese Richtungkommt zudem aus dem Bundesrat, nämlich das Höchst-maß der allgemeinen Freiheitsstrafe von 15 Jahren auf20 Jahre heraufzusetzen. Ein Beispiel außerhalb desStrafrechts – immer noch aus der gleichen Rede –: In derAntidiskriminierungsdebatte sehen Sie Ihre Aufgabe da-rin, dafür Sorge zu tragen, dass nicht wild gewordeneIdeologen Deutsche gegenüber Ausländern in unsererRechtsordnung massiv benachteiligen.
Das heißt, Rechtspolitik ist für Sie reine Kriminalpolitikund Kriminalpolitik wird von Ihnen lediglich unter demGesichtspunkt der inneren Sicherheit thematisiert. Alsorufen Sie nach immer mehr Strafen, immer schärferen
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2680 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Joachim StünkerStrafen und immer höheren Strafen. Das ist für Sie derstarke Staat. Ich meine, das ist wahrlich zu wenig.
Sie bedienen damit kurzfristig Gefühle in der Gesell-schaft. Rein kriminalpolitisch, aber auch rechtsstaatlich– lassen Sie sich das heute Abend einmal sagen – ist dasein gefährlicher Weg; denn höhere Strafen schützennicht vor Kriminalität, sie erwecken nur den Schein, siewürden schützen. Gesetzgebung wird dadurch im End-effekt zu Symbolik. Dies kann man nur so bezeichnen,wie es der Deutsche Anwaltverein in einer Stellung-nahme vor einigen Wochen getan hat: als archaischeVorstellungen von Strafe und Sühne oder vom Erzie-hungsideal des 19. Jahrhunderts, soweit es das Jugend-strafrecht betrifft.
Ich wiederhole daher: Das ist ein gefährlicher Weg,denn Sie wecken damit Erwartungen in der gesellschaft-lichen Öffentlichkeit. Diese Erwartungen können sich,so sie unerfüllt bleiben, ganz schnell gegen den Rechts-staat selber wenden; denn wer sich vom Recht verlassenfühlt, wendet sich bedenkenloser gegen das Recht. Werdie kriminalpolitische öffentliche Diskussion derart, wievon mir skizziert, aufheizt, darf sich nicht wundern,wenn zu Beginn des 21. Jahrhunderts über die kriminal-politische Zulässigkeit der Folter und neuestens auch derZwangskastration von Sexualstraftätern wieder ernst-haft diskutiert wird. Zu Anfang des 21. Jahrhundertsmöchte man fast meinen, das sei eine Gespensterdebatte.
Ich möchte daher heute Abend mit Nachdruck daraufhinweisen und hier zu Protokoll geben: Hier unterschei-den wir uns in aller Deutlichkeit. Diesen Weg werdenwir mit Ihnen nicht mitgehen. Wir haben uns einer hu-manen, rationalen und effizienten Kriminalpolitik ver-schrieben.
Ich will dies – sozusagen als Kontrastprogramm – ganzkurz mit der Benennung einiger notwendiger kriminal-politischer Reformvorhaben unterfüttern.
Herr Kollege, ich fürchte, dass für eine ausführliche
Darstellung Ihrer beabsichtigten Erläuterungen nicht
mehr die notwendige Zeit besteht – wenn ich Sie darauf
rechtzeitig aufmerksam machen darf.
Herr Präsident, nachdem Herr Kollege Röttgen so ex-
zessiv überzogen hat, darf ich vielleicht diese drei Sätze
noch sagen?
Einverstanden.
Danke schön.
Die Reform des Sanktionenrechts ist umzusetzen.
Die Modernisierung des eigenständigen Jugendkrimi-
nalrechts ist konsequent weiterzuführen. Der Vollzug
der Untersuchungshaft und der Jugendstrafe ist auf eine
gesetzliche Grundlage zu stellen. Der Vollzug der Ju-
gendstrafe und des Jugendarrestes ist gesetzlich diffe-
renziert zu regeln. Die Diversion ist auszuweiten und
Strafverfahren sind zu beschleunigen. Mediation und
Täter-Opfer-Ausgleich sind flächendeckend einzufüh-
ren. Die ambulante Straffälligenhilfe ist zu stärken und
zu vernetzen. Die justiziellen Instrumente der europäi-
schen Strafverfolgung sind zu stärken. Grenzüberschrei-
tende Kriminalität in Europa erfordert verstärkte Ko-
operation bei der Kriminalitätsbekämpfung.
Dies ist moderne Kriminalpolitik. Diese Maßnahmen
bewirken eine verbesserte Prävention und einen verbes-
serten Schutz der Opfer. Dafür steht diese rot-grüne Re-
gierungskoalition. Dafür steht ein starker Staat.
Schönen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Hans-ChristianStröbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich will die drei Minuten, die mir zur Verfügung stehen,einer einziger Verfassungsinstitution widmen, nämlichdem Bundesverfassungsgericht und seinem Haushalt.Dies tue ich nicht, weil ich nach der heute verkündetenEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts dessenHaushalt kürzen oder etwas drauflegen will, sondernweil ich – das ist der eine Grund – die Minderheit desBundesverfassungsgerichts in Schutz nehmen will, vorallem nach dem, was hier heute gesagt worden ist. Ichstehe ja häufig aufseiten von Minderheiten;
in diesem Fall aufseiten der Minderheit des Bundesver-fassungsgerichts. Diese Minderheit hat nicht gesagt, dassmit Beginn eines Verbotsverfahrens oder kurz vorheralle Beobachtungsaktivitäten gegenüber einer radikalenPartei eingestellt werden müssten; sie hat vielmehr ge-sagt – ich zitiere wörtlich aus der Presseverlautbarungdes Gerichts –:
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertDie Beobachtung einer politischen Partei durchV-Leute staatlicher Behörden, die als Mitgliederdes Bundesvorstands oder eines Landesvorstandsfungieren, unmittelbar vor und während der Durch-führung eines Parteiverbotsverfahrens ist in derRegel unvereinbar mit den Anforderungen an einrechtsstaatliches Verfahren.Das kann ich nur unterstützen.
Diese Ansicht ist richtig. Sie garantiert ein faires Ver-fahren, weil niemand ausschließen kann, dass wennwährend eines Verbotsverfahrens im Bundesvorstandoder in einem Landesvorstand einer Partei ein V-Mannsitzt und aus diesen Gremien berichtet, das den Antrag-stellern, das heißt den Bundesorganen, in irgendeinerWeise zur Kenntnis kommt. Deshalb besteht die Gefahr,dass in einem Prozess eine Verfahrensstrategie mitge-teilt wird und sich die andere Seite darauf einstellt. Dasist ein Essential, das für Strafverfahren wie auch für an-dere rechtsstaatliche Verfahren gilt. Ich bin der Minder-heit des Bundesverfassungsgerichts dankbar, dass siedas festgestellt und ihre Entscheidung darauf gestützthat. Das hohe Gut eines rechtsstaatlichen, eines fairenVerfahrens sollte nicht nur das Bundesverfassungsge-richt, das sollten auch wir achten und immer in Ehrenhalten.Ich komme nun zum zweiten Grund. Das Bundesver-fassungsgericht ist das staatliche Organ in der Bundesre-publik, das in den letzten 50 Jahren ständig und verdien-termaßen immer mehr an Ansehen gewonnen hat. Wirsollten uns fragen, warum nicht auch der Deutsche Bun-destag und der Bundesrat eine ähnliche Entwicklungmitgemacht haben.Ich glaube, es gibt vieles zu ändern und vieles zuüberdenken, auch in und an unserer Verfassung.
Wie kommt es, dass das Bundesverfassungsgericht im-mer mehr Aufgaben des Gesetzgebers übernehmenmuss? Wie kommt es, dass das Bundesverfassungsge-richt immer häufiger den Gesetzgeber korrigieren muss,und zwar unabhängig davon, welche Koalition und wel-che Regierung gerade an der Macht ist? Wie kommt es,dass neu gewählte Regierungen und neu gebildete Koali-tionen so wenig Ideen zur Erneuerung in unserem Staatdurchsetzen können?
Ist es nicht verwunderlich, dass es sich heute in der Bun-desrepublik Deutschland fast nicht mehr lohnt, für eineneue Mehrheit im Bundestag zu kämpfen, weil eine neueMehrheit große Schwierigkeiten hat, eine neue Politik inder Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen, in Ge-setze zu gießen und in Regierungshandeln umzusetzen?Wir müssen in einigen Punkten auch über das Verhält-nis zwischen Bundestag und Bundesrat nachdenken.Dort gilt es, einiges zu korrigieren. Dadurch würde dasBundesverfassungsgericht noch höher anzusetzen sein.Außerdem würde das Bundesverfassungsgericht entlas-tet, wenn wir uns als Gesetzgeber bei Gesetzgebungsver-fahren häufiger überlegen würden, wie der Sachverhaltverfassungsrechtlich zu beurteilen ist, und wenn wir unsvornehmen würden, die Klärung dieser Fragen nicht al-leine dem Verfassungsgericht zu überlassen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Lassen Sie uns in diese Richtung weiterdenken, viel-
leicht auch gemeinsam.
Bevor ich nun dem Kollegen Götzer das Wort erteile,
kann ich Ihnen die frohe Botschaft mitteilen, dass es
heute Abend nicht mehr ganz so lange dauern wird, wie
es vor wenigen Minuten noch anzunehmen war. Das er-
laubt uns sicherlich, uns die letzten beiden Reden der
heutigen Aussprache mit besonderer Konzentration an-
zuhören.
Zunächst spricht der Kollege Götzer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Stünker hat mich vorhin freundlicherweisezitiert und danach die Frage aufgeworfen, was denn derstarke Staat sei.Herr Kollege Stünker, ich will mich jetzt nicht in epi-sche Breiten verlieren, sondern Ihnen in knappsten Wor-ten sagen, was wir unter einem starken Staat im Bereichder inneren Sicherheit verstehen: Das ist ein Staat, derfür seine Bürger die größtmögliche Sicherheit gewähr-leistet und unter anderem eine Nulltoleranz gegenüberRechtsbrechern an den Tag legt. Er muss mit den erfor-derlichen Mitteln dafür ausgestattet sein, diese Rolle zuspielen.
Dass wir hier auseinander liegen, verwundert nie-manden im Raum. Ich denke, bei einigen in Ihrem Lager– Herr Kollege Stünker, Sie meine ich damit nicht; daich Ihre politische Vergangenheit nicht kenne, steht esmir nicht zu, mich darüber zu äußern – zeigt sich dochnoch das Rechtsstaatsverständnis der alten 68er-Genera-tion, die, Herr Kollege Ströbele, inzwischen – in Ehrenoder auch nicht – etwas angegraut ist.
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Dr. Wolfgang GötzerIch glaube, das schimmert durchaus noch durch. Wir re-den heute zwar über den Haushalt, aber Sie, Herr Kol-lege Stünker, hatten mir die Vorlage dazu gegeben,
weswegen ich diese Vorbemerkung gemacht habe.Herr Präsident, ich sehe gerade, dass meine restlicheRedezeit nicht stimmen kann. Hier steht, dass mir nocheine Minute und zwanzig Sekunden zur Verfügung ste-hen.
Ursprünglich hatte ich aber sechs Minuten.
Herr Kollege, Sie verkennen die Lage und Sie hätten
es mir einfacher gemacht, großzügiger in der Bewirt-
schaftung der Zeit zu verfahren, wenn Sie nicht aus-
drücklich auf die tatsächliche Redezeit aufmerksam ge-
macht hätten.
Frau Ministerin, ich hätte mir vorher gerne Ihre Rede
angehört, die Regie hat es aber so bestimmt, dass Sie am
Schluss reden. Ich kann jetzt natürlich nicht wissen, was
Sie uns heute sagen werden.
Herr Kollege, wenn Sie das jetzt vorsichtshalber pau-
schal zurückweisen, kämen Sie mit Ihrer Redezeit gut
zurande.
Ich bin sprachlos, das ist wahr.Frau Ministerin, Sie haben Ihre Rede nicht als großenWurf und als Jahrhundertrede angekündigt, wie dies derBundeskanzler getan hat. Deswegen stehen Sie auchnicht unter einem solchen Erwartungsdruck. Wir würdenuns aber natürlich schon wünschen, dass Sie heute eini-ges zu dem sagen, was Sie wirklich vorhaben. Nach fünfMonaten ist das durchaus nicht verfrüht.Das alles, was der Kollege Stünker vorhin vorgelesenhat, steht in der Koalitionsvereinbarung; die kennen wiralle. Nun geht es aber darum, dass wir hören, was vondieser Koalitionsvereinbarung endlich auf den Weg ge-bracht wird. Ich habe mir beispielsweise die Tagesord-nungen des Rechtsausschusses in den letzten Monatenangesehen und festgestellt, dass er im Durchschnitt nurbei ein oder zwei Tagesordnungspunkten federführendist. Mehr ist es nicht; das muss anders werden. Auf demGebiet der Rechtspolitik gibt es eine Menge zu tun.
Auf das, was der Kollege Röttgen gesagt hat, braucheich nicht mehr einzugehen. Ich nenne noch den Anleger-schutz. Sie haben zwar Eckpunkte vorgestellt, es fehltaber ein Gesetzentwurf. Ihre Vorgängerin hat angekün-digt, dass die mit dem Schuldrechtsmodernisierungsge-setz zusammenhängenden Verjährungen neu geregeltwerden. Auch dazu ist in den anderen Gesetzen bishernichts erfolgt. Bezüglich des Antidiskriminierungsgeset-zes werden Sie die Frist bis zum Juli dieses Jahres nichteinhalten können. Das freut die Grünen am allermeisten.
Diese sehen hier natürlich ihre Spielwiese und hoffen,dass sie doch noch den einen oder anderen ideologischenQuatsch unterbringen und Müll abladen können.
Das, was im Rahmen der Zuwanderung über dieSchmerzgrenze hinausging oder an unerfüllten Träumenzurückbleibt, können Sie vielleicht auf diese Weise reali-sieren.Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen.
Ich möchte ein paar Worte zum Sexualstrafrecht sagen.
– Nein, Sie täuschen sich. – Herr Kollege Stünker, beider Debatte habe ich darauf hingewiesen, dass in IhremGesetzentwurf zum Sexualstrafrecht in einem Punkt so-gar eine Abschwächung erfolgt. Sie hingegen haben esals eine Verschärfung dargestellt. Diese Abschwächungist in § 176 a Abs. 1 Nr. 4 des Strafgesetzbuches zu fin-den, wonach in Zukunft der Wiederholungstäter bei Kin-derschändung nicht mehr wegen eines Verbrechens, son-dern nur noch wegen eines Vergehens verurteilt wird.In der Anhörung habe ich dazu eine Sachverständigegefragt, ob sie meine Meinung teilt, dass dies in Zukunftzum Vergehen herabgestuft wird. Sie hat mir Recht ge-geben. Daraufhin haben Sie mir gesagt, dies sei unstrit-tig. Ich habe diesen Punkt im Protokoll nachgelesen. Da-rin ist Ihr Zwischenruf vermerkt, dass dies nicht stimmt.Auch der Kollege Montag wird mit dem unglaublichenVorwurf zitiert, den ich allerdings aushalte, ich hätte denGesetzentwurf nicht gelesen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2683
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Dr. Wolfgang GötzerMeine Herren Kollegen, diesen Vorwurf müssen Siesich selber gefallen lassen. Sie haben den Gesetzentwurfin der Tat nicht gelesen. Es handelt sich um eine Ab-schwächung im Sexualstrafrecht, das Sie laut der Koali-tionsvereinbarung reformieren wollten.
Ich glaube, Sie haben selbst die Koalitionsvereinbarungnicht gelesen.
Herr Kollege Götzer, Sie haben jetzt ziemlich genau
so lange geredet, wie Sie ursprünglich ohnehin reden
wollten, ohne dass die Redezeit dafür ausgereicht hätte.
Es muss Ihnen einleuchten, dass dies selbst bei großzü-
gigster Interpretation der Geschäftsordnung ein Ende ha-
ben muss.
Ich komme zu meinem Schlusssatz. Ich hoffe, dass
wir uns im Interesse eines besseren Rechtsschutzes und
einer höheren Gerechtigkeit in einigen Punkten aufei-
nander zu bewegen, zum Beispiel bei der Verschärfung
des Jugendstrafrechts –
– das ist noch immer derselbe Satz –, bei dem es das Ge-
richt bei dem furchtbaren Mordfall Vanessa mit dem
maskierten Mörder, Frau Ministerin, bedauert hat – das
ist eine todernste Angelegenheit –, dass es die jetzige
Rechtslage nicht zulässt, diesen Täter so streng zu be-
strafen, wie es eigentlich erforderlich gewesen wäre. Ich
denke, über diese Punkte müssen wir miteinander reden.
Das machen wir beim nächsten Mal.
Ich hoffe, dass wir auch bei den Kollegen von Rot-
Grün auf Zustimmung stoßen werden. An uns wird es je-
denfalls nicht scheitern.
Vielen Dank.
Zum Schluss der Aussprache über die Einzelpläne 07
und 19 hat nun die Bundesjustizministerin, Frau Zypries,
das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich muss ein wenigschneller reden, weil ich nur vier Minuten Redezeithabe.Ich möchte mich bei den Berichterstattern für ihreAufgeschlossenheit gegenüber den Belangen der Justizund für ihre Unterstützung bedanken. Sie haben die Be-deutung des Bundesgerichtshofs hervorgehoben. Diedortigen Belastungen sind gewachsen. Gleichzeitig hataber auch die Zahl der erledigten Fälle zugenommen. Ichglaube, dass die zusätzlichen 2 Millionen Euro für Per-sonalmittel gut angelegt sind.
Da wir gerade vom Gericht reden, möchte ich gernedie Gelegenheit nutzen – danach komme ich zur Justiz-politik –, um mich auch von dieser Stelle – das scheintmir ein guter Usus zu sein – bei den über20 000 Richterinnen und Richtern sowie den Staatsan-wältinnen und Staatsanwälten und sonstigen Mitarbei-tern in der Justiz zu bedanken.
Ihre Aufgaben sind weiß Gott nicht immer einfach. Vieleder Verfahren möchte man nicht gerne entscheiden. Dasgilt besonders für konfliktträchtige Fälle, die ebenfallsbearbeitet werden müssen. Ich glaube, sie haben es ver-dient, dass wir uns bei ihnen bedanken.Dass wir im Justizhaushalt bei der Konsolidierungmithelfen müssen, wissen Sie. Durch die Umlage derglobalen Minderausgabe haben wir sogar einen überpro-portionalen Anteil tragen müssen. Wir bemühen uns, dasGanze zu kompensieren und gleichwohl gute Arbeit zuleisten.In meiner ersten Haushaltsrede habe ich hier be-stimmte Punkte angesprochen, zum Beispiel die Reformdes Wirtschaftsrechts. Der entsprechende Gesetzent-wurf wird noch in den Bundestag eingebracht. Vielleichterinnern Sie sich, dass ich gesagt hatte, dass wir dieCromme-Kommission eingesetzt haben. Das, was dieWirtschaft freiwillig regeln kann, soll sie regeln. MitteMai dieses Jahres wird die Cromme-Kommission wiedertagen. Dann wird sie darüber befinden, wie viel Konsensin der Wirtschaft noch möglich ist, ehe wir für diejeni-gen Punkte, über die sie sich nicht verständigen konnte,von denen wir aber meinen, dass sie geregelt werdenmüssen, einen Gesetzentwurf vorlegen. Ich glaube, dassauch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,damit einverstanden sind, wenn wir sagen, dass wirmöglichst wenige Gesetze wollen. Da, wo freiwilligeRegelungen möglich sind, wollen wir einen Spielraumlassen. Das, denke ich, sollten wir dann auch tun. SeienSie so nett, noch ein halbes Jahr zu warten. Dann wirdder Gesetzentwurf eingebracht und Sie können über ihnberaten.
Was das DPMA anbelangt, möchte ich zwei Bemer-kungen machen. Herr Barthle, Sie hatten gesagt, der
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2684 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Bundesministerin Brigitte ZypriesAnsatz sei gekürzt worden. Ich muss Ihnen gestehen:Das kann ich nicht nachvollziehen. Nach meiner Kennt-nis haben wir über 4 Millionen Euro mehr eingestellt alsim Jahre 2002. Wir werden wieder 60 Patentprüfer und17 Verwaltungsmitarbeiter, die die Patentprüfer unter-stützen sollen, einstellen. Von daher kann ich das, wasSie gesagt haben, nicht nachvollziehen.Auch kann ich Ihre Kritik am EU-Gemeinschafts-patent nicht nachvollziehen, lieber Herr Röttgen. Dashat ja etwas miteinander zu tun.
– Könnt ihr da mal ein bisschen die Klappe halten?
Soll ich Ihnen helfen, Frau Ministerin? Die eigent-
lichen Störpotenziale sind ja erstaunlicherweise in Ihrer
eigenen Koalition angesiedelt. Das ist ja unglaublich. Ich
bitte Sie zuzuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Deswegen habe ich das ja so freundlich geflüstert undnicht um Ihre Hilfe gebeten. – Was also das EU-Gemein-schaftspatent angeht, würde ich doch gerne darauf hin-weisen wollen, dass die Fundamentalkritik, die Sie, HerrRöttgen, hier geäußert haben, leider völlig verfehlt ist.
Sie wissen, dass die Bundesregierung viele Jahremassiven Widerstand geleistet hat gegen jede andereForm des europäischen Patents als die, die in Deutsch-land war und auch hier sein sollte. Dass es innerhalb von14 anderen Ländern nicht auf Wohlgefallen stößt, wennimmer ein Land Ansprüche anmeldet, ist auch klar. VieleJahre haben wir es versucht. Aber jetzt war ein Zeitpunkterreicht, zu dem wir nur noch sagen konnten, dass wirmit fliegenden Fahnen untergehen.
Dies war vor allen Dingen deshalb der Fall, weil diegriechische Präsidentschaft einen Druck aufgebaut hat,dem man manchmal – vielleicht haben Sie solche Ver-handlungen noch nicht geführt –
nicht mehr standhalten kann.Ich gestehe gerne zu – wenn das ein Zugestehen ist –,dass auch ich der Auffassung war, dass sich Deutsch-land, um Schlimmeres zu verhindern, bewegen sollte.Denn das, was die griechische Präsidentschaft erreichenwollte, wissen auch Sie. Sie wollte ein Reisegerichteinführen, also ein Gericht, das innerhalb aller Staatender Europäischen Union herumreist und die Verhandlun-gen jeweils vor Ort abhält. Das wäre kein festes Gerichtgewesen. Es hätte sich – wenigstens nach unserer An-sicht – keine Gerichtspraxis und anderes mehr ent-wickeln können.Daher war ich der Auffassung, dass es für die deut-sche Patentgerichtsbarkeit viel besser ist, wenn ein festesGericht in Luxemburg zuständig ist und man innerhalbkürzester Zeit dort sein kann, als wenn wir es mit irgend-welchen Reisegerichten zu tun bekommen. Das ist dereine Punkt.
In Bezug auf einen anderen Punkt, der das Sprachen-regime anbelangt, hat Deutschland einen großen Erfolgerzielt. Auch das möchte ich gerne einmal sagen. Es warvorgesehen, dass in alle Sprachen übersetzt wird. Wirwaren zuerst dafür, dass nur in drei oder zwei Sprachenübersetzt wird. Auch eine Übersetzung nur auf Englischwäre möglich gewesen. Aber wir wollten keine Überset-zung in alle Sprachen.In mühsamsten Verhandlungen hat es Herr Staatssekre-tär Geiger – er hat sich hier wirklich unglaublich enga-giert; das muss man einmal sagen –
erreicht, dass es bei der Patenterteilung dabei bleibt, dassin nur drei Sprachen übersetzt werden muss. Wenn dasPatent dann erteilt ist, kann man die anderen Übersetzun-gen über einen Zeitraum von mehreren Jahren strecken.Das heißt, der Patentinhaber kann selber entscheiden, inwelchen Ländern er das Patent in der Sprache des jewei-ligen Landes braucht und in welchen Ländern er das Pa-tent vielleicht gar nicht wahrnehmen will.Der nächste Punkt: Das jetzige Patent, das so ge-nannte Bündelpatent, bleibt erhalten. Es wird also nichtabgeschafft, sondern das europäische Patent tritt dane-ben. Bis das erste europäische Patent erteilt wird, wird esvoraussichtlich noch Jahre dauern. Das wird also nichtheute oder morgen virulent. Wir haben zwischendurchmit der Industrie geredet. Die Industrie unterstützt denVorschlag und ist mit diesem Patent einverstanden. Siehat die Möglichkeit, bei dem jetzt vorhandenen Bündel-patent zu bleiben. Es kann also überhaupt keine Rede da-von sein, dass die Kosten schlagartig explodieren wür-den und unser ganzes Patentwesen im Eimer sei. Daswird nicht der Fall sein. Da kann ich Sie beruhigen.
Ein anderes Gesetz, das wir Ihnen noch in der erstenHälfte dieses Jahres hoffentlich – wenn die Länder mit-spielen – vorlegen werden, ist das Justizmodernisie-rungsgesetz. Darüber habe ich schon etwas gesagt. Wirwollen versuchen, die Abläufe innerhalb der Justiz zuvereinfachen, zu verschlanken und leichter zu machen,indem wir Aufgaben übertragen und schwierige Struk-turvorschriften bereinigen.Wir werden das Gesetz über die Angelegenheiten derFreiwilligen Gerichtsbarkeit noch in dieser Legislaturpe-riode vorlegen, allerdings nicht in diesem Jahr – um das
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003 2685
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Bundesministerin Brigitte Zypriesgleich zu sagen – sondern erst später. Die ZPO-Reform– darüber hatten wir gesprochen – wird, soweit nötig,evaluiert.Über das Betreuungsrecht, Herr Funke, haben wirschon einmal geredet. Es gibt eine Bund-Länder-Ar-beitsgruppe. An erster Stelle sind die Länder gefordert,etwas zu tun. Sie kommen leider nicht mit Vorschlägenrüber, mit denen wirklich Geld eingespart werden kann.Ich werbe im Moment für die Vorsorgevollmacht, aberdie Länder haben das Verfahren in der Hand und müssenselbst einmal sagen, wo sie meinen, dass es besser wer-den kann.Zu der Modernisierung der Justiz gehört nicht nur,dass man das Verfahren modernisiert, sondern auch derelektronische Rechtsverkehr. Wir haben beim Bundes-gerichtshof einen funktionierenden Modellversuch. Wirmüssen es vor allen Dingen schaffen, dass wir zwischendem Eingang des Schriftsatzes und dem Urteil, das he-rausgehen kann, den Workflow innerhalb der Gerichteelektronisch verbessern. Das machen wir.Parallel dazu gestalten wir innerhalb der Europäi-schen Union gemeinsam mit den anderen Ländern mitder Umsetzung zahlreicher EU-Richtlinien den Raumder Freiheit, der Sicherheit und des Rechts weiter aus.Ich will Sie nicht über Gebühr strapazieren, aber las-sen Sie mich zum Schluss noch auf einen anderen Punkteingehen, der mir in der Tat am Herzen liegt, nämlichdas Sexualstrafrecht. Mir zu unterstellen, dass ich mitKindern Politik machen würde, finde ich schon ziemlichunerhört.
Ich habe die Anhörung mit den Opferverbänden in unse-rem Hause durchgeführt und kann Ihnen sagen, dass ichmit den Damen und Herren der Opferverbände einigwar. Sie sind auch dafür, dass es so etwas wie eine An-zeigepflicht gibt. Sie wollen nur eines nicht. Sie sagen:Wir müssen verhindern, dass quasi spontan angezeigtwird und ein Kind unvorbereitet in einen Prozess gezo-gen wird. Das heißt also, dass sie eine Anzeige wollen.Sie wollen nur, dass mit dem Kind Gespräche geführtwerden. Wir müssen versuchen, diesen Zeitraum noch inirgendeiner Form in den Griff zu bekommen. Ich glaubenicht, dass die Herren Montag und Stünker das anderssehen. Sie sind auch dieser Auffassung.Natürlich wollen wir, dass diese Verbrechen aufhören.Das ist doch völlig klar, das ist unstreitig.
Wenn so etwas passiert, dann wollen wir, dass es zur An-zeige kommt und aufgedeckt wird. Aber selbstverständ-lich haben wir in diesen Fällen einen ganz besonderenOpferschutz zu berücksichtigen, weil diese Opfer eineandere Rolle haben als viele andere. Das ist der Punkt.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir unseinigen können, was die Formulierung anbelangt. In derSache stehe ich in der Tat nach wie vor dazu und halte esfür richtig. Das werden Sie, wenn Sie mit den Opferver-bänden reden, von diesen auch hören. Die sehen das auchso. Sie halten es auch für wichtig, dass wir so viele dieserTaten wie möglich verfolgen und damit deutlich machen,dass das in dieser Gesellschaft nicht toleriert wird.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst zumEinzelplan 07 – Bundesministerium der Justiz – in derAusschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag derFraktion der CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstim-men. Wer stimmt für den Änderungsantrag aufDrucksache 15/624? – Wer stimmt dagegen? – Wermöchte sich enthalten? – Der Antrag ist offenkundig ab-gelehnt.Wir stimmen nun über den Einzelplan 07 – Bundes-ministerium der Justiz – in der Ausschussfassung ab.Wer stimmt für diesen Einzelplan? – Wer stimmt dage-gen? – Wer möchte sich enthalten?– Damit ist derEinzelplan 07 mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen.Wir kommen zum Einzelplan 19 – Bundesverfas-sungsgericht –, ebenfalls in der Ausschussfassung. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? –
Der Einzelplan 19 ist mit den Stimmen der Koalitionund der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenom-men.Ich rufe nun den ursprünglich für Donnerstag vorge-sehenen Punkt I. 20 auf:20. Einzelplan 12Bundesministerium für Verkehr, Bau- undWohnungswesen– Drucksachen 15/561, 15/572 –Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus KalbNorbert BarthleGunter WeißgerberUwe GöllnerFranziska Eichstädt-BohligDr. Günter RexrodtHierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktionder CDU/CSU und vier Änderungsanträge der FDP vor.
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2686 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 18. März 2003
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Vizepräsident Dr. Norbert Lammertnicht hätten reden können, aber bis zum bitteren Endeder Abstimmungen hätten warten müssen.Wir kommen nun zur Abstimmung über denEinzelplan 12 – Bundesministerium für Verkehr, Bau-und Wohnungswesen – in der Ausschussfassung. Hierzuliegen die angekündigten sechs Änderungsanträge vor,über die wir jetzt abzustimmen haben, und zwar zu-nächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/644. Wer stimmt für diesen Än-derungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Das reicht nicht. Der Antrag ist abgelehnt.
Auch dieser Antrag ist abgelehnt.Wir kommen damit zur Abstimmung über denEinzelplan 12 in der Ausschussfassung. Ich bitte diejeni-gen, die dem Einzelplan 12 in der Ausschussfassung zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Das ist die Mehrheit.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf morgen, Mittwoch, den 19. März, 9 Uhr, ein.Ich schließe die Sitzung.