Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröff-
net.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung „Einkommensentwicklung in Deutsch-
land“ mitgeteilt. Das Wort für den einleitenden fünf-
minütigen Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller.
Herr Staatssekretär, bitte.
K
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Bis einschließlich 1998 wa-
ren die 90er-Jahre für die Einkommensentwicklung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bittere Jahre. In
realen Größen gerechnet lagen die Nettoeinkommen der
Arbeitnehmer 1998 um 923 Euro unter dem Niveau des
Jahres 1994. Das entsprach einem Rückgang von 5,8 Pro-
zent, wofür es eine Reihe von Erklärungen gibt.
Die Vorgängerregierung hatte eine falsche wirtschafts-
politische Ausrichtung gewählt, die Binnennachfrage
sträflich vernachlässigt und allein auf die Wettbewerbs-
und Investitionsfähigkeit der Unternehmen gesetzt. Eine
der Folgen waren ungewöhnlich niedrige Wachstums-
raten in dieser Zeit.
Zusätzlich stieg in dieser Zeit die Abgabenbelastung
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stark an. Der
Solidaritätszuschlag seit 1995 erhöhte die Steuerbelastun-
gen, ein Teil der Wiedervereinigungskosten wurde aus
den Sozialkassen bezahlt. Dadurch stiegen die Lohnne-
benkosten der Arbeitnehmer beispielsweise in der Ren-
tenversicherung um 1,3 Prozentpunkte und in der Kran-
kenversicherung um 0,7 Prozentpunkte, also insgesamt
um 2 Prozentpunkte des Bruttolohnes.
Betrachtet man die Volkswirtschaft insgesamt, so
führte die stagnierende Beschäftigung zusätzlich zu einer
Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Konsumnach-
frage, was bei den Produzenten zu Verunsicherungen über
die Absetzbarkeit ihrer Produkte geführt hat.
Seit 1996 haben die Arbeitnehmer sehr moderaten
Lohnabschlüssen zugestimmt. Das hat zu einer deutlichen
Verschiebung in der Einkommensverteilung zugunsten
von Unternehmenseinkünften geführt und gleichzeitig
eine Erhöhung der Kapitalrendite hervorgerufen. Trotz-
dem sind die Investitionen nicht so stark gewachsen, wie
das die damalige Regierung erwartet hatte.
Inzwischen hat sich die Situation für die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer deutlich verbessert. Vor allem
die Steuerpolitik der Bundesregierung hat dazu beigetra-
gen. Wir haben den Großteil der Entlastungswirkung auf
den unteren Tarifbereich bei der Einkommensteuer kon-
zentriert. Davon profitieren vor allem Familien mit Kin-
dern, Arbeitnehmer mit kleinen und mittleren Einkom-
men und der Mittelstand.
Jemand mit einem Jahresbruttolohn von 25 000 Euro,
der ledig und ohne Kinder in der Steuerklasse I ist, zahlt
in diesem Jahr 15 Prozent und ab nächstem Jahr 19 Pro-
zent weniger Lohnsteuer als 1998. Ist er verheiratet ohne
Kinder in der Steuerklasse III, zahlt er in diesem Jahr
41 Prozent und ab dem nächsten Jahr 54 Prozent weniger
Lohnsteuer. Hinzukommt der kräftige Anstieg des Kin-
dergeldes. Ein verheirateter Bäckermeister mit einem Ge-
winn vor Steuern von angenommenen 25 000 Euro zahlt
in diesem Jahr 28 Prozent und im nächsten Jahr 39 Pro-
zent weniger Steuern.
In den neuen Ländern ist die Entlastungwirkung auf die
Nettoeinkommen je Arbeitnehmer relativ stärker als in
den alten. Wir haben in dieser Legislaturperiode die
Trendumkehr bei den Netto- und Realeinkommen der Ar-
beitnehmer geschafft. Von 1994 bis 1998 sanken sie pro
Jahr um 1,5 Prozent, seit 1998 steigen sie pro Jahr um
1,2 Prozent an.
Die Nettolöhne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer lagen 2001 im Durchschnitt um real 534 Euro über
dem Niveau des Jahres 1998. Diese erfreuliche Trendum-
kehr ist insbesondere Folge der Ausweitung des Grund-
freibetrages, der Absenkung des Eingangssteuersatzes so-
wie der enormen Anhebung des Kindergeldes um mehr als
ein Drittel gegenüber 1998. Auch die ökologische Steuer-
reform hat hierzu durch die Senkung der Lohnnebenkos-
ten beigetragen. Der Rentenversicherungsbeitragssatz
sank von 20,3 Prozent auf 19,1 Prozent.
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241. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Beginn: 13.00 Uhr
Die deutliche Verbesserung der Situation der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer ist Ausdruck unserer
Politik, die sich am Prinzip der sozialen Gerechtigkeit ori-
entiert. Wir haben zugleich aber auch die Wachstums-
kräfte gestärkt. Die Unternehmensteuerreform trägt zur
Schaffung neuer Arbeitsplätze bei und fördert so die posi-
tive Entwicklung in breiten Kreisen der Bevölkerung.
Wir verfolgen einen umfassenden Politikansatz, der
sowohl die Angebots- als auch die Nachfragebedingun-
gen verbessert. Trotz der schwachen Entwicklung der
Weltwirtschaft sind in dieser Wahlperiode über 1 Million
neuer Arbeitsplätze entstanden, während die Zahl der
Arbeitsplätze in der vorigen Wahlperiode per Saldo nur
um 120 000 gestiegen war.
Waren die realen Nettolöhne und -gehälter aller Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der vorigen Wahl-
periode im Jahresdurchschnitt noch um 1,4 Prozent ge-
sunken, sind sie seit 1998 ebenfalls pro Jahr um
durchschnittlich 2,3 Prozent gestiegen.
Die steuerlichen Entlastungen zu Beginn des Jahres
2001 haben die verfügbaren Einkommen der privaten
Haushalte um ungefähr 1 Prozentpunkt erhöht. Die Entlas-
tung der Haushalte und Unternehmen zusammengenom-
men belief sich allein im letzten Jahr auf 45 Milliar-
den DM. Im Jahr 2003 wird der private Konsum durch die
nächste Stufe unserer Steuerreform erneut gestärkt wer-
den; ich habe Beispiele dafür angeführt. Die verfügbaren
Einkommen der privaten Haushalte werden um einen
weiteren knappen halben Prozentpunkt steigen. Hinzu
kommt die erwartete Ausweitung der Zahl der Beschäf-
tigten. Im nächsten Jahr können wir deswegen mit einem
Anwachsen des privaten Konsums in einer Größenord-
nung von real 2 Prozent rechnen.
Der Bundesregierung ist es damit gelungen, die soziale
Gerechtigkeit im Land zu stärken. Unsere Steuerpolitik
hat dazu wesentlich beigetragen. Unser moderner wirt-
schaftspolitischer Ansatz wird auch im nächsten Jahr zu
höheren Wachstumsraten und mehr Beschäftigung führen.
Die Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird
sich als Folge unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik wei-
ter verbessern.
Wer hat Fragen an die
Bundesregierung? – Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, Ihre Fi-
nanzpolitik hat sich mit dem Wechsel der Finanzminister
im Laufe der letzten vier Jahre geändert. Die PDS hat am
17. Dezember vergangenen Jahres eine Große Anfrage
zur Verteilung und Verteilungswirkung von Steuern und
Abgaben gestellt. Kann ich, da Sie heute hier Bilanz zie-
hen, davon ausgehen, dass unsere Große Anfrage bereits
beantwortet ist, sodass wir die Möglichkeit haben werden,
dieses Thema auf der Grundlage Ihrer Zahlen hier im Ple-
num ausführlich zu diskutieren?
K
Verehrte Frau Kollegin, es steht jeder Frak-
tion frei, Antworten auf Große Anfragen zum Gegenstand
von Plenardebatten zu machen. Das liegt bei Ihnen.
Die Frage war, wann
die Antwort auf die Große Anfrage dem Haus zugeleitet
werden wird.
K
Die Antwort ist von uns unterschrieben und
müsste Ihnen alsbald zugeleitet werden.
Dazu meldet sich
Herr Staatsminister Schwanitz.
Frau Kollegin, die Antwort auf die Große Anfrage der
PDS zur Verteilung und Verteilungswirkung von Steuern
und Abgaben war unter der TOP-1-Liste im Kabinett. Sie
wird Ihnen also demnächst zugeleitet werden.
Das Wort hat Herr
Kollege Wolfgang Dehnel.
Herr Staatssekretär,
können Sie auch Angaben zu den im gleichen Zeitraum in
den neuen Ländern erzielten Nettoeinkommen machen?
Haben Sie dazu Zahlen in Ihrem Ministerium erarbeitet?
Vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit und der
stark angestiegenen Abwanderung gerade von jungen
Familien aus den neuen Bundesländern in die alten Bun-
desländer ist doch zu erwarten, dass die Realeinkommen
in den neuen Ländern nicht besonders gestiegen sein
können.
K
Herr Kollege, die Zahlen, die ich Ihnen vor-
getragen habe, sind Zahlen des Statistischen Bundesam-
tes. Tendenziell – darauf habe ich vorhin hingewiesen –
ist die relative Entlastung in den neuen Bundesländern
größer, weil dort die tariflichen Löhne noch unter denen
der alten Bundesländer liegen und wir die größten Entlas-
tungen gerade in den unteren und mittleren Einkommens-
gruppen vorgenommen haben. Von daher ist die relative
Entlastung in den neuen Ländern größer.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr.
Wie erklären Sie sich
dann die große Abwanderungsbewegung gerade unter
diesen Menschen, wenn sie eigentlich seit 1998 in den
neuen Ländern bessere Lebensbedingungen vorfinden?
K
Herr Kollege, das hängt nicht unbedingt nurmit den Steuern, die man auf Lohn und Gehalt zahlt, odermit der Erhöhung des Kindergeldes zusammen, sonderndas hängt auch mit der beruflichen Perspektive jungerMenschen zusammen. In den neuen Ländern müssen imMoment beispielsweise die Ausbildungsmöglichkeitennoch mehr oder weniger staatlich unterstützt werden, weil
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Karl Diller24130
es nicht genug private Ausbildungsplätze gibt. Wir habenden Drang, das zu ändern, und sind zuversichtlich, dasssich die Situation weiter verbessert. Sie hat sich schon ver-bessert; sie wird sich noch weiter verbessern.
Nun möchte der Kol-
lege Dr. Ilja Seifert eine Frage stellen. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, Sie wollten
eigentlich zur Einkommenssituation berichten. Wenn ich
es richtig verstanden habe, haben Sie sich nur zur Ein-
kommenssituation von abhängig Beschäftigten geäußert.
Wie sieht es mit denen aus, die keinen Arbeitsplatz haben
bzw. sich von ABM zu ABM oder von SAM zu ABM han-
geln und zwischendurch immer wieder einmal arbeitslos
sind? Ich denke insbesondere an die Situation im Osten
Deutschlands. Wenn man über die Einkommenssituation
in Deutschland spricht, dann muss man die Situation die-
ser Menschen ja wohl mit bedenken. Ich denke an Regio-
nen, in denen seit Jahren eine Arbeitslosigkeit oberhalb
von 20 Prozent besteht und die zudem noch mit Abwan-
derung zu tun haben.
K
Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen,
dass in der Amtszeit dieser Bundesregierung die Mittel für
die Förderung von Familien mit Kindern von 40 Milliar-
den DM auf 53 Milliarden DM gestiegen sind, zum einen
durch die kräftige Ausweitung des Kindergeldes, zum an-
deren aber auch durch Leistungen wie beispielsweise die
deutliche Verbesserung des Erziehungsgeldes oder die
Verbesserungen beim Wohngeld.
Herr Dr. Seifert hat
noch eine Frage.
Es kann ja sein, dass wir anein-
ander vorbei geredet haben. Vielleicht darf ich die Frage
noch einmal anders stellen: Wir wissen, dass in den letz-
ten 13 Jahren im Osten wesentlich weniger Kinder gebo-
ren worden sind, weniger als im Westen und weniger als
früher in der DDR. Für Kinder, die nicht geboren werden,
kann auch kein Kindergeld gezahlt werden, also bekom-
men viele Menschen vermutlich weniger oder gar kein
Kindergeld. Das aber war nicht meine Frage.
Die Frage ist: Wie geht es den Menschen, die keinen
festen Arbeitsplatz haben, die immer mal wieder eine
mehr oder weniger alimentierte Beschäftigung bekom-
men? Wie hat sich deren Einkommenssituation in den
letzten Jahren entwickelt? Sind deren Einkommen
tatsächlich gestiegen oder sind sie gesunken? Nach der
täglichen Erfahrung in einem Wahlkreis in Ostsachsen
kann ich nicht nachvollziehen, dass es den Menschen im
Osten relativ besser geht als im Westen.
Vielleicht können Sie das so erläutern, dass auch ein
schlichtes Gemüt wie ich es versteht.
K
Herr Kollege, ich möchte noch einmal deut-
lich darauf hinweisen, dass ich von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern und von der Entwicklung der realen
Nettolöhne gesprochen habe. Diese ergeben sich nach Ab-
zug der Lohnnebenkosten, also der Beiträge zur Sozial-
versicherung, und nach Abzug der zu zahlenden Steuern
sowie unter Berücksichtigung der Preissteigerungsrate und
sind in dieser Wahlperiode deutlich gestiegen, während sie
in der letzten Wahlperiode leider Gottes kräftig gesunken
waren.
Noch Fragen zur Ein-
kommensentwicklung in Deutschland? – Das ist nicht der
Fall. Dann danke ich Herrn Staatssekretär Diller.
Mir ist gesagt worden, dass nun Kollege Meckelburg
etwas zur Riester-Rente fragen möchte. Auch dieser
Punkt hat heute im Kabinett eine Rolle gespielt. Ich freue
mich, dass Frau Staatssekretärin Ulrike Mascher für
Antworten zur Verfügung steht. Wollen wir zunächst
einige Fragen sammeln? Vielleicht können wir so in
eine möglichst gute Diskussion kommen. Herr Kollege
Meckelburg, Sie beginnen.
Frau Staatsse-
kretärin, es hat in der Wochenendpresse Berichte gege-
ben, wonach von den bislang 2 Millionen Deutschen, die
einen Altersvorsorgevertrag unterzeichnet haben, rund
400 000 ihre Police inzwischen wieder storniert haben.
Das scheint auch der Hintergrund für den Bericht heute
Morgen im Kabinett gewesen zu sein.
Darf ich Sie fragen, ob es Pläne gibt, die private Al-
tersvorsorge in eine private Zwangsrente umzuwandeln,
wofür der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion,
Klaus Brandner, laut „Focus“ vom 29. April plädiert hat?
Stimmt des Weiteren die Aussage in der „Welt am Sonn-
tag“, dass diese Pläne nicht den Gefallen des Bundes-
kanzlers gefunden haben und deshalb kassiert wurden?
Frau Schwaetzer,
bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, nachdem der Bundesarbeitsminister heute im Kabi-
nett berichtet hat, dass nur ein relativ geringer Anteil der
eigentlich Anspruchsberechtigten überhaupt in Erwägung
zieht, einen Vertrag für die so genannte Riester-Rente ab-
zuschließen: Was will die Bundesregierung tun, um die
Akzeptanz dieses Produkts zu erhöhen?
Herr Kollege
Schemken, geht Ihre Frage in die gleiche Richtung oder
wollen wir erst eine Antwort hören?
– Frau Mascher, bitte sehr.
U
Herr Meckelburg,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Karl Diller24131
für die Zahl von 400 000 Stornierungen kenne ich keineQuelle; sie ist auch nicht belegt. Ich halte es nicht für un-plausibel, dass es einige Stornierungen gibt, allerdingsnicht in diesem Umfang. Dass es bei Verträgen, die bereitsim letzten Jahr abgeschlossen worden sind, die nicht zerti-fizierte Produkte betrafen, möglicherweise Stornierungengibt, kann ich nicht ganz ausschließen. Aber die Zahl von400 000 ist nirgendwo belegt. Falls Sie die Quelle dafürnennen können, gehen wir der Sache noch einmal nach.Nach unseren Recherchen ist diese Zahl nicht belegt.Zur zweiten Frage: Aufgrund der Tatsache, dass jetztschon für etwa 15 Millionen Arbeitnehmer in 156 Ta-rifbereichen entsprechende Tarifverträge abgeschlossensind und eine ganze Reihe von Pensionsfonds und Pen-sionskassen neu genehmigt wurden – Pensionskassen hat esauch schon früher gegeben –, gehen wir davon aus, dass eineausreichende Beteiligung von Berechtigten an der zusätzli-chen Altersvorsorge erzielt wird. Wir haben immer gesagt,dass wir die Akzeptanz in einigen Jahren prüfen werden.Aber ich gehe davon aus, dass wir etwa 90 Prozent der Be-rechtigten mit beiden Teilen – betrieblicher Altersvorsorgeund zusätzlicher privater Altersvorsorge – erreichen, sodasssich die Frage einer verbindlichen zusätzlichen Altersvor-sorge, wie sie andere europäische Länder, zum Beispiel dieSchweiz, kennen, für uns nicht stellt. Insofern entbehrenSpekulationen, ob Gerhard Schröder irgendwelche Plänekassiert hat, jeder Grundlage.Frau Dr. Schwaetzer hat gesagt, es gebe nur einen sehrgeringen Anteil derjenigen, die zusätzliche Altersvorsor-geprodukte annähmen, und die Akzeptanz bleibe erheb-lich hinter den Erwartungen zurück. Mir ist eine Umfragedes DIW, eines seriösen wirtschaftswissenschaftlichenInstituts, bekannt, wonach 80 Prozent der Befragten er-klärt haben, dass sie aufgrund der Möglichkeiten der För-derung, die alltagssprachlich Riester-Rente heißt, darandenken, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Ichweiß, dass das Deutsche Institut für Altersvorsorge, dasnachdrücklich von der Deutschen Bank unterstützt wird,hier zu anderen Ergebnissen gekommen ist. Aber dannmuss man sich auch die Fragestellung genau ansehen.Man muss vor allem sehen, welche Gruppen befragt wor-den sind: Es handelte sich nämlich vornehmlich um Äl-tere, für die sich in der Tat die Frage stellt, ob es sinnvollist, mit vielleicht 55 Jahren in dieser Form für das Altervorzusorgen. Ob die Riester-Förderung in einem solchenFall geeignet ist, kann sehr wohl mit einem Fragezeichenversehen werden. Dies muss man sich genau anschauen.Nach den Untersuchungen des Deutschen Instituts fürWirtschaftsforschung hier in Berlin wollen 80 Prozent derBefragten zusätzlich für das Alter vorsorgen.
Herr Meckelburg hat
eine weitere Frage. Danach kommen Herr Schemken und
Frau Dr. Schwaetzer an die Reihe. Zuerst einmal Herr
Meckelburg, bitte.
Frau Staatsse-
kretärin, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, ha-
ben Sie als Zielgröße genannt, dass Sie 90 Prozent der Be-
völkerung in die private Altersvorsorge einbeziehen
möchten. Steht dies nicht im Gegensatz zu dem, was
Bundesarbeitsminister Riester gerade auf einer Pressekon-
ferenz, die man auf Phoenix verfolgen konnte, gesagt hat,
wonach man bis 2008 bzw. 2010, also über den Einfüh-
rungsbereich hinaus, deutlich über 70 Prozent der Men-
schen und kurzfristig in drei bis fünf Jahren, zwei Drittel
der Menschen erreicht haben möchte? Darf ich Sie einmal
fragen, welches Ziel Sie sich denn für das Ende dieses Jah-
res gesetzt haben, also wie viele Menschen bis dahin pri-
vate Altersvorsorge betreiben sollen?
U
Herr Meckelburg,
ich glaube, dass es nicht besonders zielführend ist, wenn
wir hier zwischen zusätzlicher privater Altersvorsorge
und zusätzlicher betrieblicher Altersvorsorge trennen.
Das ist ein gemeinsames Projekt: Wir wollen die zusätz-
liche Altersvorsorge fördern. Nach den Entwicklungen,
die sich jetzt abzeichnen, und auch nach den Einschät-
zungen „der Branche“, wie dies so schön heißt, also der
Finanzdienstleister, wird sich die zusätzliche Altersvor-
sorge zu zwei Dritteln im betrieblichen Bereich und zu
etwa einem Drittel im privaten Bereich abspielen. Ich
fände es spekulativ, jetzt Zahlen zu nennen, wie viele
Menschen in dem einen und in dem anderen Bereich zu
erreichen sind. Ich habe Ihnen die Zahl der nach den Ta-
rifabschlüssen Berechtigten genannt. Wir haben noch
weitere Tarifabschlüsse zu erwarten, die dieses Element
aufgreifen. Zum Ende dieses Jahres bzw. zu Beginn des
nächsten Jahres werden wir sehen, wie die Situation ist.
Aber ich bin vorsichtig, hier und jetzt Zielvorgaben zu
formulieren.
Herr Kollege
Schemken, bitte.
Frau Staatssekretärin,
Sie verwiesen soeben auf die Studie des Deutschen Insti-
tuts für Altersvorsorge, in der ja unter anderem festgestellt
wird, dass die Riester-Rente deshalb nicht so gut anläuft,
weil den Menschen draußen die wahre Lage der Rente
verschleiert werde.
Ist es vor diesem Hintergrund nicht zu beklagen, dass
die Renteninformationen erst im Jahre 2004 an alle Men-
schen herausgegeben sein werden und dass bis Ende
2002, das ja für den Abschluss der Verträge entscheidend
ist, nur 50 Prozent der Menschen diese Informationen er-
halten haben werden? Im Hinblick darauf, dass mögli-
cherweise bei dem einen oder anderen Rentner Lücken
vorhanden sind und diese verschleiert werden könnten,
wäre es ja kontraproduktiv, wenn die übrigen 50 Prozent
erst im Jahre 2004 über ihre wirkliche Lage in der gesetz-
lichen Rente Bescheid wüssten.
U
Herr Schemken,das sehe ich nicht so. Die sozialdemokratisch-grüne Bun-desregierung hat als erste Regierung ganz klar gesagt: Diegesetzliche Rente wird in der Zukunft nicht mehr ausrei-chen, um das, was man sich im Alter als gutes Auskom-men wünscht und vorstellt, tatsächlich auch zu realisie-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher24132
ren. Deswegen wollen wir für all diejenigen, die bishernoch keine oder vielleicht eine unzureichende zusätzlicheAltersvorsorge haben, den Aufbau zusätzlicher Altersvor-sorge ermöglichen, und zwar vor allen Dingen durch Zu-lagen für diejenigen, die ein geringes Einkommen habenoder die aus anderen Gründen, etwa weil sie mehrere Kin-der haben, hinsichtlich ihrer Möglichkeit, zusätzliche Al-tersvorsorge zu betreiben, etwas eingeschränkt sind.Wir haben die Situation nicht verschleiert, sondernganz klar gesagt: Wir raten jedem und jeder, die Möglich-keiten zu nutzen, die wir anbieten. Deswegen hat sich derFinanzminister bereit erklärt, eine beachtliche MengeGeld – 12,6 Milliarden Euro in der Endstufe – zur Verfü-gung zu stellen.Wir haben darüber hinaus gesagt: Um jedem klar zumachen, wie seine persönliche Situation ist, wollen wir– so rasch es möglich ist, was die technischen Vorausset-zungen betrifft; das ist nach den Informationen der Ren-tenversicherungsträger im Jahr 2004 der Fall – jedem Ver-sicherten jedes Jahr eine Renteninformation zukommenlassen. Bisher hatte man nur ab dem 55. Lebensjahr einenAnspruch auf diese Renteninformationen. Wir wollen alldenjenigen, die älter als 27 sind, ab dem Jahr 2004 solcheRenteninformationen zukommen lassen. Es ist ein Rie-senpaket sowohl an technischen als auch an logistischenProblemen zu bewältigen.Nun haben die Rentenversicherungsträger schon indiesem Jahr begonnen, solche Renteninformationsbriefezu verschicken. Es ist von Landesversicherungsanstalt zuLandesversicherungsanstalt unterschiedlich, welche Al-tersgruppen schon jetzt solche Informationen bekommen.Darüber haben wir hier schon diskutiert. Die BfA, diebundesweit Renteninformationen verschickt, informiertdie 27- bis 45-Jährigen als Erste, damit sie die richtigeWeichenstellung treffen.Von daher kann ich nicht sehen, dass wir uns den Vor-wurf der Verschleierung der wahren Situation der Rentebei jedem Einzelnen zu Eigen machen müssten. Wir tuneine Menge dafür, individuell zu informieren und generelldie notwendigen Weichenstellungen zu befördern.
Frau Dr. Schwaetzer.
Frau Staatssekretä-
rin, ich habe von Ihnen Auskunft nicht über irgendwelche
Umfragen erbeten, sondern darüber, wie hoch der Pro-
zentsatz derer ist, die Anspruch auf eine Riester-Rente ha-
ben und bis Ende des Jahres einen entsprechenden Vertrag
abschließen könnten, das aber offensichtlich nicht tun.
Wenn ich das selber einmal hochrechne, komme ich auf
maximal 7 Prozent der Anspruchsberechtigten, die schon
einen Vertrag abgeschlossen haben.
Nun weichen Sie immer darauf aus, im Bereich der Be-
triebsrente laufe es ganz toll. Im nächsten Satz sagen Sie
aber, die Betriebsrente komme für etwa zwei Drittel der
Berechtigten in Frage. Das bedeutet, dass immer noch ein
Drittel – nicht 7 Prozent – eigentlich eine private Alters-
vorsorge abschließen müsste. Das sind diejenigen, die
sonst im Alter besonders große Rentenlücken hätten.
Deswegen kann ich Sie nur noch einmal fragen: Was
will die Bundesregierung eigentlich tun, um die Akzep-
tanz dieses Produktes in der Öffentlichkeit zu fördern?
Oder haben Sie diesen Teil Ihrer eigenen Reform schon
abgeschrieben?
U
Frau Dr. Schwaetzer,
natürlich haben wir diesen Teil unserer eigenen Reform
nicht abgeschrieben. Wir gehen von etwa 30 Millionen
Berechtigten aus. Wenn man die – wie gesagt nicht von
uns erfundene, sondern von den Finanzdienstleistern
stammende – Einschätzung zugrunde legt, dass etwa zwei
Drittel ihre zusätzliche Altersvorsorge über betriebliche
Angebote aufbauen werden, dann kommt man auf etwa
10 Millionen, die das im Bereich privater zusätzlicher
Altersvorsorge tun werden.
Wir stellen jetzt, nach drei Monaten – Zahlen von Ende
März sind die letzten, die mir zur Verfügung stehen –, fest,
dass immerhin schon 2 Millionen Verträge abgeschlossen
wurden. Wir haben jetzt noch drei Viertel des Jahres, neun
Monate, nicht erfasst.
– Ich habe Ihnen gerade gesagt: Die Zahl 2 Millionen ist
von Ende März. Das ist die Zahl, die mir zur Verfügung
steht. Ich hätte gerne eine Zahl vom 10. Juni; aber leider
habe ich sie nicht. Diese Zahl wird wesentlich höher sein;
ich weiß nicht, wie viele Millionen.
Ich bin deswegen ganz zuversichtlich, weil wir von
Monat zu Monat mehr Verträge – auch im Bereich der pri-
vaten zusätzlichen Altersvorsorge – haben werden.
Nun hat der Kollege
Peter Dreßen eine Frage.
Frau Staatssekretärin, trifft eszu, dass nach der Rentenreform der rot-grünen Koalitionein höheres Rentenniveau vorgesehen ist als nach der Re-form der alten Regierung mit dem demographischen Fak-tor? Trifft es zu, dass wir trotzdem – im Gegensatz zur al-ten Regierung und zusätzlich zu den 67 oder 65 Prozent,die wir dann erreichen – eine betriebliche oder so ge-nannte private Altersvorsorge vorsehen?Trifft es weiterhin zu, dass im Moment alles, was vonOppositionsabgeordneten kommt, nur im spekulativenBereich ist?
Wir haben, wie gesagt, noch neun Monate vor uns. Wirwaren es, die gesagt haben: Wartet in Ruhe ab, was aufeuch zukommt; ihr könnt euch das beste Produkt aussu-chen. – Das Modell einer zusätzlichen Altersvorsorge per
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher24133
Tarifvertrag, das die Gewerkschaften entwickelt haben,dürfte voraussichtlich wohl eines der besten Produkte sein,weil dabei die geringsten Verwaltungskosten anfallen.U
Herr Dreßen, es
ist richtig, dass wir, um eine Belastung von Arbeitneh-
mern und Arbeitgebern durch dramatisch steigende Ren-
tenversicherungsbeiträge abzuwenden, entschieden ha-
ben, dass das Rentenniveau in den nächsten 10, 20,
30 Jahren bei einer angenommenen 45-jährigen durch-
schnittlichen Erwerbstätigkeit nicht mehr die bisherige
Höhe von 70 Prozent erreicht; wir müssen hier eine mo-
derate Absenkung vornehmen. Ich will mich auf den
Streit über das Rentenniveau, das eine sehr abstrakte Re-
chengröße ist und eigentlich nichts darüber aussagt, wel-
che Rente die Betroffenen tatsächlich bekommen, jetzt
nicht einlassen. Wir könnten das stundenlang rauf- und
runterdiskutieren.
Richtig ist allerdings, dass wir gesagt haben: Wenn wir
solche Steigerungen der Zahlbeträge in der Zukunft nicht
mehr finanzieren können – es wird Steigerungen geben,
aber die Steigerungen werden nicht mehr so groß sein –,
dann müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, die
notwendig sind, damit die Menschen durch eine zusätzli-
che Altersvorsorge im betrieblichen oder im privaten Be-
reich ein gutes Auskommen im Alter haben. Die Men-
schen müssen vorsorgen können, damit dann beide
zusammen, gesetzliche Rente und zusätzliche Altersvor-
sorge, ein schönes Alter, das wir uns alle wünschen, er-
möglichen. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir
haben nicht gesagt, dass es erhebliche Belastungen in der
Zukunft gibt, die wir mindern wollen, sondern wir haben
gesagt: Wir helfen den Menschen, damit sie durch einen
Aufbau zusätzlicher Altersvorsorge im Alter ein gutes
Auskommen haben. Die Spekulationen über Zahlen halte
ich nicht für besonders hilfreich.
Mir liegen noch drei
Wortmeldungen vor, die auch noch beantwortet werden
können; ich bitte aber, damit einverstanden zu sein, dass
wir sie zusammenfassen, weil sonst die Zeit knapp wird.
Jetzt hat die Kollegin Nolte das Wort.
Frau Staatssekretärin, ein
Blick in die neuen Länder zeigt, dass dort die meisten Un-
ternehmen weniger als 20 Beschäftigte haben, dass die
Löhne – schon seit langer Zeit – durchschnittlich niedri-
ger sind als in den Altbundesländern, dass vor allen Din-
gen die Langzeitarbeitslosigkeit sehr hoch ist und dass die
Zuschüsse für die Arbeitslosenhilfeempfänger in die Ren-
tenkasse durch Ihre Regierung abgesenkt worden sind,
sodass sich die Rentensituation für die Menschen in den
neuen Bundesländern sehr dramatisch darstellen wird. Ist
Ihre Erwartung, dass wir dort erhebliche betriebliche Al-
tersvorsorge aufbauen können, angesichts der Betriebs-
struktur realistisch und welche Maßnahmen sehen Sie vor,
um gezielt in den neuen Bundesländern für private Al-
tersvorsorge zu werben, weil die Situation dort etwas
schwieriger ist?
Die nächste Frage hat
der Kollege Dr. Seifert.
Meine Frage knüpft zum Teil di-
rekt an das an, was Frau Nolte gerade fragte. Wenn ich Sie
richtig verstanden habe, Frau Staatssekretärin, dann ist das,
was Sie ein gutes Einkommen im Alter nennen, das, was
einmal mit dem Stichwort „lebensstandardsichernde
Rente“ bezeichnet wurde. Wie hoch ist die Zahl der Men-
schen mit verhältnismäßig geringen Einkommen, die be-
reits eine private Altersvorsorge abgeschlossen haben? Ich
denke in erster Linie an Menschen aus Ostdeutschland,
aber es gibt ja auch im Westen welche, die ein verhältnis-
mäßig geringes Einkommen haben. Die so genannte
Riester-Rente wurde von uns unter anderem kritisiert, weil
wir befürchten, dass Menschen mit geringen Einkommen
weniger geneigt sein werden, das auch noch für Altersvor-
sorge auszugeben. Können Sie anhand bereits abgeschlos-
sener Verträge sagen, wie hoch der Anteil von Menschen
mit geringen Einkommen ist – entsprechend den Alters-
gruppen –, die solche Verträge abgeschlossen haben, im
Verhältnis zu Menschen mit höheren Einkommen?
Nun folgt die Kolle-
gin Erika Lotz. Danach fragt noch Frau Störr-Ritter.
Frau Staatssekretärin, ich finde es
schon sehr erstaunlich, dass vonseiten der Opposition
jetzt Sorge über den Stand hinsichtlich der Verträge zur
Riester-Rente geäußert wird; der zugrunde liegenden Ge-
setzgebung hat die Opposition ja nicht zugestimmt.
Sie haben dankenswerterweise schon auf die Möglichkei-
ten von Arbeitnehmern im Rahmen einer betrieblichen
Altersvorsorge hingewiesen. Ich möchte hervorheben,
dass mit unserer Gesetzgebung die betriebliche Altersver-
sorgung eine Renaissance erfahren hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Finden
Sie es nicht erstaunlich, wenn die Opposition bezüglich
des Zustandekommens von Verträgen Sorge äußert und
gleichzeitig aus den Reihen der Opposition dazu aufge-
fordert wird, zurzeit noch keine Verträge abzuschließen,
sondern damit bis nach der Bundestagswahl zu warten?
Finden Sie das nicht sehr widersprüchlich? Ich denke dabei
auch daran, dass ein Mitglied eines angeblichen Kompe-
tenzteams jetzt die Erhöhung der Rentenbeiträge angespro-
chen hat. Das alles ist meines Erachtens sehr scheinheilig.
Nun folgt die Kolle-
gin Störr-Ritter.
Frau Staats-sekretärin, nach einer Umfrage des Marktforschungsinsti-tuts Infratest haben nur 7 Prozent der Frauen und 15 Pro-zent der Männer geplant, einen so genannten Riester-Ver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Peter Dreßen24134
trag abzuschließen. Könnte dies nicht doch mit der feh-lenden Information über die Versorgungslücken zusam-menhängen – die Menschen haben nicht so viel Geld zurVerfügung, dass sie es planlos ausgeben können –, undwelche Erkenntnisse hat die Bundesregierung dazu, dassder Anteil bei Frauen, die einen solchen Vertrag abzu-schließen planen, weniger als die Hälfte des entsprechen-den Anteils bei Männern beträgt?
Nun hat die Frau
Staatssekretärin das Schlusswort. Bitte sehr.
U
Vielen Dank. –
Frau Nolte hat die Sorge geäußert, dass sich wegen der
Betriebsstruktur in den neuen Bundesländern die betrieb-
liche Altersvorsorge vielleicht nicht so entwickeln kann
wie in den alten Bundesländern. Man muss hierbei sehen,
dass es bei der betrieblichen Altersvorsorge vier Durch-
führungswege gibt. Ein Durchführungsweg ist die Di-
rektversicherung. Wir haben in unserem Gesetz den
Rechtsanspruch jedes einzelnen Arbeitnehmers auf Ent-
geltumwandlung normiert. Auch diejenigen, die in einem
Betrieb mit weniger als 20 Beschäftigten tätig sind, in ei-
nem Betrieb also, in dem es keine Pensionskasse gibt und
in dem natürlich auch ein Pensionsfonds eher unwahr-
scheinlich ist, haben die Möglichkeit, diesen Rechtsan-
spruch auf Entgeltumwandlung zu realisieren, und haben
damit die Möglichkeit, Beiträge sozialversicherungs- und
steuerfrei – was eine erhebliche Förderung bedeutet – in
der betrieblichen Altersvorsorge einzusetzen.
Es gibt also Formen in der betrieblichen Altersvorsorge,
die auch für Kleinbetriebe geeignet sind, für die es sonst
überhaupt nichts gibt. Es gibt also auch dann Möglichkei-
ten, wenn sie sich nicht der Metallkasse anschließen oder
dem Pensionsfonds der chemischen Industrie, unter dessen
Dach auch kleine Betriebe etwas in dieser Beziehung ma-
chen können. Es gibt also Formen, die auch solchen Ar-
beitnehmern entsprechende Möglichkeiten geben.
Auch für Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeemp-
fänger gibt es die Zulagenförderung. Ich bestreite nicht,
dass es für jemanden, der Arbeitslosengeld oder Arbeits-
losenhilfe bezieht, nicht einfach ist, dann auch die Min-
destbeiträge aufzubringen. Aber die Möglichkeit, die För-
derung für sich zu nutzen, ist vom Gesetz her gegeben.
Herr Seifert hat gefragt, ob ich Zahlen dazu nennen
kann, wie viele Abschlüsse es von Menschen mit geringem
Einkommen und/oder Menschen aus Ostdeutschland gibt.
Ich muss Sie enttäuschen. Wir haben derzeit keine Zahlen.
Ich kann Ihnen dazu noch nichts sagen. Anfang des nächs-
ten Jahres werden wir sicherlich Zahlen dazu haben.
Frau Lotz hat darauf hingewiesen, dass es ein wenig an
das Vergießen von Krokodilstränen erinnert, wenn eine
Fraktion solche Sorgen äußert, deren sozialpolitischer
Sprecher, Herr Laumann, dazu aufgefordert hat, keine
Verträge abzuschließen, weil nach der Bundestagswahl,
von der er annimmt, dass sie von der CDU/CSU gewon-
nen wird,
alles besser wird. Mich erinnert das, wie gesagt, an die
Krokodilstränen: Es wird etwas beklagt, was offensicht-
lich selbst verursacht wurde, indem gesagt wird:
„Schließt noch nicht ab!“, und dann jammert man, dass
die Zahlen zu niedrig sind. Ich halte das für ziemlich un-
verantwortlich, weil ich trotz aller möglichen Schnellig-
keit und allen Drucks, den ich mir in einem Gesetzge-
bungsverfahren inzwischen vorstellen kann, meine, dass
eine grundlegende Änderung des Förderkonzepts in der
zusätzlichen Altersvorsorge nicht so rechtzeitig be-
schlossen werden könnte – ich benutze wohlgemerkt den
Irrealis „könnte“ –, dass sie auch in Anspruch genommen
werden könnte.
Ich halte das, was der Kollege Laumann, den ich wegen
seines sozialpolitischen Engagements sehr schätze, öf-
fentlich erklärt hat, für unverantwortlich.
Frau Störr-Ritter hat die Sorge geäußert, dass aufgrund
der noch nicht flächendeckend vorhandenen Informatio-
nen über den Stand der Rentenanwartschaften die Bereit-
schaft, zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen, unzuläng-
lich ist. Frau Störr-Ritter, ich hätte mir gewünscht, dass
die alte Bundesregierung schon 1996 den Rechtsanspruch
auf jährliche Information beschlossen hätte.
Wir haben das gemacht; es geht aber nicht schneller. Sie
können sich gern bei Herrn Professor Ruland, dem Ge-
schäftsführer des Verbands Deutscher Rentenversiche-
rungsträger, informieren. Es liegt nicht an der zögerlichen
Haltung der Bundesregierung, dass es im Jahr 2002 noch
keine flächendeckenden Informationen gibt, sondern an der
Masse der Renteninformationen. Sie müssen erstellt und
versandt werden. Ich habe mich vergewissert, dass es sich
dabei um ein erhebliches praktisches Problem handelt. Wir
werden das aber Zug um Zug in den Griff bekommen.
Ich bedauere es sehr, dass es im Jahr 2002 noch keine
flächendeckenden Informationen gibt. Aber uns das als
Versäumnis anzurechnen, halte ich auch nicht für sehr
redlich, weil Sie nichts dafür getan haben, solch eine ehr-
liche Renteninformation zu ermöglichen. Ich bin mir si-
cher, dass gerade Frauen, die ihre Rentenanwartschaft
– leider – häufig dramatisch überschätzen, in stärkerem
Maße als bisher von den – auch für nicht erwerbstätige
und verheiratete Frauen – bestehenden Fördermöglich-
keiten Gebrauch machen werden, wenn sie die Zahlen
über ihre Rentenanwartschaften auf dem Papier sehen.
Wir tun alles dafür, sie zu informieren. Wir haben eine
sehr informative Broschüre über die zusätzliche Alters-
vorsorge von Frauen aufgelegt. Ich kann Sie nur auffor-
dern, auch Ihrerseits dafür zu werben, dass Frauen ent-
sprechende Verträge abschließen.
Ich bedanke michbei der Staatssekretärin für die Beantwortung der Fra-gen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Dorothea Störr-Ritter24135
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:Fragestunde– Drucksachen 14/9299, 14/9350 –Ich rufe zunächst gemäß Nr. 10 der Richtlinien fürdie Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache14/9350 auf. Wir kommen damit zum Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung derFragen steht der Parlamentarische Staatssekretär MatthiasBerninger zur Verfügung.Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen UlrichHeinrich von der FDP-Fraktion auf:Auf welchen Beweisen basieren die Vermutungen der Bun-desministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft, Renate Künast, in ihrer Regierungserklärung vom 6. Juni2002, wonach höchstwahrscheinlich der Nitrofen-Skandal imökologischen Landbau auch die konventionelle Landwirtschafterfasst hat?Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, die Frage zu beant-worten.Ma
Herr Abgeordneter Heinrich, ich beant-
worte die Frage für die Bundesregierung wie folgt: In dem
besagten Lager in Malchin ist in den Jahren 1995 unter an-
derem Getreide eingelagert worden, das die Bundesan-
stalt für Landwirtschaft und Ernährung in die Intervention
gegeben hat. Allein im Wirtschaftsjahr 1999/2000 han-
delte es sich dabei um 1500 Tonnen Getreide.
Wir haben uns ferner die Lieferlisten der Firma NSP für
das laufende Wirtschaftsjahr 2001/2002 angesehen. Diese
Lieferliste enthält einen Befund, der uns große Probleme
bereitet. Es ist dort nämlich Weizen in einer Größenord-
nung von 72 Tonnen eingelagert worden, der aus einem
Umstellungsbetrieb stammt, das heißt, der noch nicht öko-
logisch vermarktet werden konnte. Diese 72 Tonnen sind
im Dezember 2001 an ein konventionelles Futtermittel-
werk in Malchin geliefert worden.
Unmittelbar vor Beginn dieser Fragestunde haben wir
das amtliche Untersuchungsergebnis von Rückstellpro-
ben dieser Lieferungen aus Mecklenburg-Vorpommern
bekommen.Zumindest bei der ersten Untersuchung – das
ist wirklich brandaktuell; insofern bitte ich um Verständ-
nis, dass wir Sie vorher nicht informieren konnten – hat
man in einer von zehn Rückstellproben 0,346Milligramm
Nitrofen je Kilogramm Weizen gefunden. Dieser Weizen
ist zu konventionellem Futtermittel verarbeitet worden.
Erste Zusatzfrage.
Sie sagen gerade, dass der
Weizen zu konventionellem Futtermittel verarbeitet
wurde; er stammt dann voraussichtlich aus einem Um-
stellungsbetrieb, der konventionelle Ware und nicht Öko-
ware angeliefert hat.
Mat
Bei diesem Weizen handelt es sich in der
Tat um eine Lieferung aus einem Umstellungsbetrieb. Wo
der Fehler gemacht worden ist und warum der Weizen
zunächst als Ökoware eingelagert wurde, kann ich noch
nicht sagen. In diesem Jahr wurden ja in der Halle etwa
500 Tonnen Getreide, deren Spuren wir im Moment nach-
folgen, zusätzlich eingelagert. Dann wurde festgestellt,
dass das besagte Getreide offensichtlich von einem Um-
stellungsbetrieb stammt. Das wurde dann konventionell
vermarktet, wie es üblich ist, und ging an ein ortsansässi-
ges Futtermittelwerk, das große Mengen Futter produziert.
In meiner Frage konnte ich
nicht die Ergebnisse zugrunde legen, die Sie eben erst,
wie Sie ausgeführt haben, bekommen haben. Die Aussa-
gen der Frau Ministerin, dass hier die Vermutung nahe
liegt, dass eventuell Ware durch Ware aus nicht ökologi-
schen Betrieben verunreinigt sein könnte, wurden ja
schon sehr viel früher geäußert.
Meine Frage war: Auf welche Beweise hat Frau Künast
damals ihre Aussage gestützt? Was Sie jetzt anführen, ist
ja eine neue Entwicklung, die man nicht voraussehen
konnte. Mir geht es darum, dass von Frau Ministerin
Künast immer wieder auf konventionelle Ware hingewie-
sen wurde, aber nirgends Beweise dafür vorlagen. Wir
wissen, dass im konventionellen Bereich über 190 Proben
stattgefunden haben und nirgends auch nur das Geringste
gefunden wurde. Ich möchte konkret wissen, auf welcher
Grundlage solche Aussagen getätigt werden.
Ma
Herr Abgeordneter, die Nachfrage beant-
worte ich Ihnen sehr gerne: Grundlage Nummer eins wa-
ren die konventionellen Getreidelieferungen, die in den
Vorjahren in dieser Halle eingelagert waren. Wir vollzie-
hen zurzeit nach, welche Lieferungen es in den Jahren
1995 bis 1999 gegeben hat. Allerdings ist diese Frage
nicht mehr von aktueller Relevanz für die Verbraucher,
weil das Getreide aus dieser Zeit in aller Regel schon ver-
arbeitet und verbraucht sein dürfte.
Darüber hinaus sind wir natürlich, weil es sich hierbei
auch um ein Problem internationaler Dimension handelt,
dabei, die Wege nachzuvollziehen, die das Interventions-
getreide genommen hat, das im Regelfall in Länder außer-
halb der EU exportiert wurde.
Neben dieser Erkenntnis haben bereits am Donnerstag,
zum Zeitpunkt der Regierungserklärung – auf die bezieht
sich ja Ihre Frage –, Lieferlisten vorgelegen und wir wuss-
ten bereits zu diesem Zeitpunkt, dass eine Getreideliefe-
rung in den konventionellen Bereich gegangen ist. Wir ha-
ben allerdings zunächst das Ergebnis der Untersuchungen
abgewartet, bevor wir diese Getreidelieferung themati-
siert haben. Ich bitte um Verständnis, aber wir wollten
Schaden von der betroffenen Firma abwenden.
Nun kommt dieFrage 2.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs24136
– Sie haben schon zwei gestellt, aber ich gebe Ihnen heutegroßzügigerweise noch eine dazu.
Wenn konventionelles Ge-
treide dort eingelagert war und man in dem keine Rück-
stände gefunden hat, stellt sich natürlich die Frage, wie
dann die Verunreinigung tatsächlich zustande kommen
konnte. Dazu hätte ich auch von Ihnen ganz gern noch
eine Antwort. Die Lagerart – auf dem Boden als Schütt-
gut ausgebracht – hat sich ja nicht verändert. Dass vorher
konventionelles Getreide nicht verunreinigt wurde, nach-
her ökologisch produziertes Getreide aber doch verunrei-
nigt wurde, wirft ja erhebliche Fragen auf.
Ma
Da uns bisher keine Ergebnisse von Un-
tersuchungen des in den Vorjahren gelieferten Getreides
vorliegen, kann ich die Ausgangshypothese Ihrer Frage,
dass nämlich dieses Getreide bei der Lagerung in der Halle
nicht belastet worden ist, nicht bestätigen. Ich werde bei
der Beantwortung der folgenden Fragen darauf näher ein-
gehen. Wir gehen vielmehr davon aus, dass bei der Lage-
rung in der Halle Belastungen möglich gewesen sind.
Wir sind noch bei der
dringlichen Frage 1, in der es darum geht, ob auch die kon-
ventionelle Landwirtschaft betroffen ist. Danach behan-
deln wir Frage 2, in der es darum geht, was wir machen,
wenn die konventionelle Landwirtschaft nicht betroffen
ist, und ob es, falls dies der Fall ist, möglicherweise Scha-
denersatzprozesse gibt.
Jetzt hat der Kollege Straubinger das Wort zu einer
Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
ich möchte Folgendes fragen: Wurden in Malchin ver-
schiedene Partien unterschiedlich gelagert? Kann auf-
grund neuerer Erkenntnisse jetzt tatsächlich nachvollzo-
gen werden, dass in Malchin sowohl Ökoware als auch
offensichtlich nicht für den Ökobereich vorgesehene
Ware eingelagert waren? Der Kollege Heinrich hat ja vor-
hin ausgeführt, dass die Lagerhaltung insgesamt Schütt-
gut betraf. Er hat auf Presseberichte hingewiesen, zum
Beispiel auf den im „Focus“ – er liegt vor mir –, in denen
es heißt: Getreide wurde eingelagert und mit einem Rad-
lader umgekehrt, um eine Nachtrocknung des Getreides
zu bewirken. Wie soll es jetzt möglich sein, eine einzelne
Partie herauszufinden?
Ma
Herr Abgeordneter, das ist dadurch mög-
lich, dass diese Halle – sie ist sehr groß – in verschiedene
Abteilungen unterteilt ist. Der größte Problembereich
– auch darauf werde ich bei der Beantwortung der fol-
genden Fragen eingehen – ist in Abteilung vier zu finden.
In dieser Abteilung ist das verseuchte Getreide gelagert
worden. Es war ursprünglich für den ökologischen Land-
bau vorgesehen. Man hat dann offenbar – so kann ich jetzt
nur spekulieren – den Fehler festgestellt und dieses Ge-
treide ordnungsgemäß nicht mit dem Etikett „ökologisch“
verkauft, sondern einem ortsansässigen Futtermittelher-
steller als konventionelles Getreide angedient. In Rück-
stellproben des Getreides, das, wie ich Ihnen eben gesagt
habe, an der gleichen Stelle lagerte wie die anderen in-
frage stehenden Getreidepartien, hat man ebenfalls eine
Nitrofen-Belastung gefunden.
Ich sage noch einmal: Meine Aussage steht unter dem
Vorbehalt, dass auch die zweite amtliche Probe positiv ist.
Ich wollte Ihnen meine Information allerdings nicht vor-
enthalten.
Der Kollege Schindler
hat das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
wir hören solche Botschaften wirklich nicht gern; denn sie
beunruhigen zusätzlich. Wie weit reichen die Erkennt-
nisse – schon letzten Samstag wurde stolz die frohe Bot-
schaft verkündet, man habe alles im Griff – und können Sie
darüber Auskunft geben, woher die Getreidepartien im
Einzelnen herkommen? Jetzt ist von einem Umstellungs-
betrieb die Rede. Anhand von Lieferbescheinigungen,
von Wiegescheinen muss es möglich sein, die Vorgänge
nachzuvollziehen. Tappen wir alle noch im Dunkeln, ob-
wohl man rasch aufklären wollte?
Ma
Herr Kollege Schindler, wir wissen sehrgenau, wer Getreide angeliefert hat und welche Liefer-wege dieses Getreide genommen hat. Es waren drei: Ein-mal die Lieferung in die Halle NSPMalchin, dann die Lie-ferung von dort an Dritte; Dritte können diese Lieferungweiterverteilt haben. Darüber hinaus ist ein sehr großerTeil der Lieferungen an einen Zwischenhändler, nämlichan das Unternehmen Busse, weitergegeben worden. Die-ses Unternehmen hat wiederum andere beliefert. AmEnde ist der Löwenanteil zu dem besagten Hersteller,GS agri, gelangt, über den in der letzten Zeit viel geredetworden ist; denn bei ihm hat man zunächst – Ausgangs-punkt war Hipp-Putenfleisch – Nitrofen gefunden.Wir vollziehen alle Lieferwege nach. Die Öffentlich-keit muss eindeutig darüber informiert werden, dass alleNitrofen-Funde, über die wir jetzt reden, durch das Nach-vollziehen der Lieferwege aufgedeckt worden sind. Ana-lysen von Bereichen außerhalb dieser Lieferwege habenbisher – in Fragen, die hier gestellt worden sind, ist dasschon angeklungen – zu keinen Ergebnissen geführt. Je-der Nitrofen-Fund in der Lebensmittelkette ist mit Ge-treide in Verbindung zu bringen, das in Malchin gelagertworden ist. Dieses Getreide ist von unterschiedlichenLandwirten angeliefert worden. Um eine Frage zu beant-worten, die später gestellt werden wird: Das erhärtet denErmittlungsstand der Staatsanwaltschaft, die die Auffas-sung vertritt, die Quelle der Kontamination sei dieseHalle, vor allem besagte Abteilung vier dieser Halle, ein-deutig. Auf diesen Punkt werde ich aber später noch zusprechen kommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs24137
Jetzt hat der Kollege
Carstensen das Wort.
Herr
Staatssekretär, gerade Ihre letzte Antwort veranlasst mich
zu der Frage, ob Sie bestätigen können, dass diese
315 Tonnen Weizen aus der ökologischen Produktion
nicht einmal 14 Tage in dieser Halle gelagert wurden, be-
vor sie am 2. November zur Verarbeitung an die Betriebe
ausgeliefert wurden.
Ma
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nicht
über jede einzelne Getreidelieferung Auskunft geben.
Dazu müsste ich mir die Liste im Detail anschauen. Ich
kann aber bestätigen, dass es Lieferungen über NSP zum
Beispiel an GS agri ab dem 31. Juli gegeben hat und dass
das Getreide zum Teil nur sehr kurze Zeit in dieser Halle
gelagert worden ist.
Die Halle ist in der Tat erst ab dem 1. August angemie-
tet worden. Aber die Schlüsselübergabe hat schon einige
Tage vorher stattgefunden. So erklärt sich, dass der
31. Juli in Lieferlisten aufgetaucht ist. Wir haben dieses
Datum erst im Nachhinein dadurch herausfinden können,
dass offensichtlich das Liefer- und Rechnungsdatum ver-
wechselt worden ist. Nach Abgleich der verschiedenen
Listen von GS agri, Zwischenhändler und NSP konnten
wir diesen Umstand aufklären. Wir haben genauso ge-
stutzt wie Sie. Wir haben aber dann herausbekommen,
dass die Schlüsselübergabe vorher stattgefunden hat.
Nun der Kollege Deß.
Herr Staatssekretär, sind die
Erzeugerbetriebe, die dieses Getreide produziert haben,
namentlich bekannt? Wenn ja: Liegen diese Betriebe aus-
schließlich in Deutschland oder sind auch Betriebe aus
dem Ausland dabei?
Ma
Die Erzeugerbetriebe sind namentlich
bekannt. Leider ist ein Betrieb – das ist die Agrargenos-
senschaft in Stegelitz – ursprünglich verdächtigt worden,
Quelle der Vergiftung zu sein. Dieser Betrieb ist aber in
den Medien zu Unrecht dafür verantwortlich gemacht
worden. Das zeigt, dass es die Biobauern und die bäuerli-
chen Betriebe sind – wie bei vielen anderen Lebensmit-
telkrisen auch –, die zunächst einmal für das Problem ver-
antwortlich gemacht werden. Soweit mir bekannt ist, sind
sämtliche Zulieferer Betriebe, die in Deutschland gewirt-
schaftet haben.
Nun die Kollegin
Höfken.
Herr
Staatssekretär, bestätigt sich damit die These, dass es sich
hier um ein Problem handelt, das nicht in der Ökoproduk-
tion und auf den Biobauernhöfen verursacht wurde und
das nur aufgrund der vorhandenen doppelten Kontrollen
im Ökobereich entdeckt wurde? Bestätigen Sie, dass wir
leider davon ausgehen müssen, wie in den vergangenen
Debatten schon des Öfteren zum Ausdruck gebracht, dass
kontaminierte Ware auf den Markt für konventionelle
Ware gelangen konnte, ohne entdeckt zu werden? Sind Sie
ebenfalls der Ansicht, dass man die Probleme in beiden
Bereichen angehen muss, da es unerheblich ist, ob die Ge-
sundheit der Verbraucher durch konventionelle oder durch
ökologische Waren beeinträchtigt wird?
Ma
Frau Abgeordnete, ich teile Ihre Ein-
schätzung. Es ist einer der wichtigsten Punkte in der
agrarpolitischen Diskussion, dass wir im Falle einer Le-
bensmittelkrise dafür sorgen müssen, dass wir erst die Ur-
sache des Problems herausfinden, bevor einzelne land-
wirtschaftliche Betriebe an den Pranger gestellt werden.
Wir haben schon verschiedene Lebensmittelkrisen erlebt,
bei denen die Verbraucher gemeinsam mit den bäuerli-
chen Betrieben die Leidtragenden waren. Ich habe die
Hoffnung, dass man zu einem anderen Umgang mit den
bäuerlichen Betrieben kommt.
Es gibt aufgrund der Ermittlung in den letzten 14 Ta-
gen keine Anhaltspunkte, dass die Kontamination bereits
auf dem Acker erfolgt ist. Dagegen sprechen verschiedene
Aspekte: die hohen Werte von Nitrofen, die Frage, ob man
den Stoff in dieser Form anwenden kann, das Problem,
dass ein mit Nitrofen in hoher Konzentration belastetes
Getreide Geruchsspuren aufweisen kann. All diesen Fra-
gen sind wir nachgegangen. Die Ermittlungen von Bund
und Ländern lassen nur den Schluss zu, dass die Konta-
mination nicht in bäuerlichen Betrieben, sondern in Malchin
stattgefunden hat. Dazu kann ich Ihnen bei der Beantwor-
tung der anderen Fragen mehr sagen.
Wir kommen nun zu
den weiteren dringlichen Fragen.
Ich rufe jetzt die dringliche Frage 2 des Kollegen
Ulrich Heinrich auf:
Welche Auswirkungen für die konventionelle Landwirtschaft
erwartet die Bundesregierung für den Fall, dass sich diese Vermu-
tungen der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft, Renate Künast, als falsch erweisen sollten
und die betroffene Wirtschaft gerichtliche Schritte gegen die Bun-
desministerin einleitet?
Herr Staatssekretär, bitte.
Ma
Die Frage 2 des Kollegen Heinrich gehtdavon aus, dass sich die Behauptung der MinisterinKünast, dieses Problem könne sich auf den konventionel-len Landbau ausdehnen, als falsch erweist. In Anbetrachtdessen, was ich Ihnen eben mitgeteilt habe, ist Ihrer Fragesozusagen die Grundlage entzogen. Es ist so, dass zumin-dest eine Lieferung in den konventionellen Bereich ge-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 200224138
gangen ist, eine gemessen an der Produktionsmenge desFuttermittelwerks zugegebenermaßen sehr kleine Liefe-rung. Besonders bedauerlich ist – da stimme ich dem zu,was der Abgeordnete Schindler vorhin zum Ausdruck ge-bracht hat –, dass dieses Problem nun auch auf den kon-ventionellen Bereich übergegriffen hat.
Es gibt eine Zusatz-
frage. Bitte, Herr Kollege.
Das heißt, dass die Getreide-
lieferung durch Umwidmung von Bio- in konventionelle
Ware in den konventionellen Strang gelangt ist. Stimmt
das so?
Ma
Nein, Herr Abgeordneter. Ich habe es
eben dargestellt. Es ist so, dass Getreide aus einem Um-
stellungsbetrieb, das noch nicht als Bioprodukt ver-
marktet werden kann, als Partie eingelagert worden ist.
Nachdem man festgestellt hat, dass es nicht für den öko-
logischen Landbau zugelassen ist, hat man es, wie in ei-
nem solchen Fall üblich, für den konventionellen Land-
bau zur Verfügung gestellt, indem man es diesem
Futtermittelwerk angedient hat.
Wie konnte man das dann in
der Lagerhalle getrennt erfassen und ganz gezielt aus-
lagern?
Ma
Aufgrund der mir vorliegenden Liefer-
listen gehe ich davon aus, dass die einzelnen Partien ge-
nau dokumentiert wurden. Ich muss ohnehin sagen, dass
die sehr strengen Dokumentationspflichten bezüglich der
Lieferwege, die im ökologischen Landbau Standard sind,
es uns jetzt leichter machen, alle Wege nachzuverfolgen.
Ich rufe die
dringliche Frage 3 der Kollegin Annette Widmann-Mauz
auf:
Welche Mengen konnten bis heute an mit Nitrofen verseuch-
ten Weizen, Futter- und Lebensmitteln sichergestellt werden – im
Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und
den dort erworbenen Erkenntnissen?
Ma
Frau Kollegin Widmann-Mauz, es ist so,
dass wir, wie gesagt, die Lieferwege sehr genau kennen
und in den letzten Tagen aktiv waren. Wir wissen, dass von
NSP 18 Betriebe und von GS agri 73 Betriebe mit 90 Be-
triebsstätten beliefert worden sind. Wir wissen, dass es
auch Lieferungen im zweistelligen Tonnenbereich von
dem Futtermittelhändler Busse an Dritte gegeben hat. Wir
verfolgen jetzt jeden dieser Wege weiter. Die Länder ha-
ben das, wie es auch in dem Bericht für die Europäische
Kommission von dieser Woche angeklungen ist, konse-
quent umgesetzt. Betriebe, bei denen die Möglichkeit be-
steht, dass Nitrofen in die Nahrungsmittel gelangt ist, wer-
den gesperrt. Es finden entsprechende Untersuchungen
statt. Ergebnis dieser Untersuchungen sind die Nitrofen-
Funde überall im Bundesgebiet, die es jetzt langsam gibt.
Aber noch einmal: Diese Funde deuten nicht darauf
hin, dass wir ein Problem mit der Frage haben, wo die
Quelle ist, sondern sind ein Beleg dafür, dass wir mit der
Ausgangsthese, dass Malchin die Quelle der Kontamina-
tion ist, richtig liegen. Sie sind insoweit beunruhigend für
die einzelnen Hersteller, aber beruhigend in Bezug auf die
Frage der Quelle der Kontamination und die Richtigkeit
der Ausgangsüberlegung.
Sie fragen nach den genauen Mengen. Ich bitte um Ver-
ständnis: Wir haben, auch bei den Ländern, versucht,
diese Zahlen mit Blick auf diese Fragestunde zu ermitteln.
Die zuständigen Behörden der Länder konnten uns jedoch
nicht umfassend sagen, um welche Mengen es sich han-
delt. Aber an den eben beschriebenen Distributionswegen
können Sie erkennen, dass es hier um größere Mengen
geht, die allerdings aufgrund der Dokumentation klar
überschaubar sind.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, wenn die Dokumentation aufgrund des hervorra-
genden Kontrollsystems so lückenlos ist, wie Sie es dar-
stellen, können Sie dann abschließend sagen, dass Sie alle
Betriebe und auch alle Endabnahmestellen ausfindig ge-
macht haben, oder mit welchen Prozentwerten hinsichtlich
noch nicht gefundenen Futtermittel- oder Lebensmittel-
vorkommen, die nitrofenbelastet sind, rechnen Sie noch?
Ma
Frau Kollegin, ich könnte hier nur spe-
kulieren. Wir haben die Länder sehr frühzeitig zusam-
mengerufen, mit ihnen mehrere Sitzungen gehabt und
eine gemeinsame Taskforce eingerichtet. Es ist deutlich
geworden, dass es sich hier um ein bundesweites Problem
und nicht um ein regional eingrenzbares Problem handelt.
Vor diesem Hintergrund gehe ich davon aus, dass die zu-
ständigen Behörden in den Ländern mit äußerster Sorgfalt
vorgehen. Das haben wir auch in Brüssel so vorgetragen.
Deswegen möchte ich an dieser Stelle nicht spekulieren,
inwieweit hier durch Fehler Ungenauigkeiten entstehen
können. Wir können nur feststellen, dass zurzeit in allen
Bundesländern mit äußerster Sorgfalt an diesem Thema
gearbeitet wird.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staats-sekretär, wenn Sie hier nicht über prozentuale Zahlen in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger24139
Bezug auf das, was noch nicht aufgeklärt ist, spekulierenwollen, wie kommt es dann, dass in dem entsprechendenAusschuss des Europäischen Parlamentes vonseiten derBundesrepublik genauere Zahlen genannt wurden undüber diese auch spekuliert wird?Ma
Was meinen Sie mit „genaueren Zahlen“?
Ich meine
damit, dass etwa 6 Prozent des gesamten Bereiches noch
nicht aufgeklärt sind.
Ma
Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich
war dort nicht anwesend. Ich kann Ihnen nur sagen, dass
wir davon ausgehen, dass die Länder mit äußerster Sorg-
falt vorgehen. Es ist völlig klar, dass jede Ungereimtheit
ausgesprochen unerquicklich ist. Ich gehe nicht davon
aus, dass wir in der Nachverfolgung ein größeres Problem
haben. Aber es kann, wenn in der Lieferkette an Dritte,
Vierte oder Fünfte weitergeliefert wurde, in der Tat zu
Schwierigkeiten kommen. Das steht völlig außer Frage.
Außerdem sind in den Behörden Menschen tätig. Leider
ist es so, dass im Bereich der Lebensmittelsicherheit die
personelle Ausstattung der Behörden ausgesprochen ein-
geschränkt ist.
Soweit es den Verantwortungsbereich unseres Ministe-
riums betrifft, kann ich sagen, dass diese Angelegenheit
seit dem Tag, an dem die entsprechende Nachricht bei uns
eingetroffen ist, mit größter Sorgfalt und Ernsthaftigkeit
behandelt wird. Auch für die Länderkollegen nehme ich
in Anspruch, dass dort so vorgegangen wird.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Carstensen.
Herr
Staatssekretär, Sie haben in einer Ihrer vorherigen Ant-
worten gesagt, dass es sich bei den jetzt gefundenen Men-
gen um größere Mengen handelt. Wir beide wissen, dass
am 2. November 2001 aus der Halle in Malchin 315 Ton-
nen Bioweizen verkauft worden sind. Wir beide wis-
sen auch, dass die Firma GS agri pro Monat ungefähr
1 700 Tonnen Biofuttermittel mit einem Anteil von
60 Prozent Getreide produziert. Das heißt, dass sie pro
Monat 1 000 Tonnen Getreide verarbeitet. Wir können
also davon ausgehen, dass diese 315 Tonnen bis Mitte
November verarbeitet worden sind.
Wie passt das jetzige Finden von größeren Mengen mit
Ihrer These zusammen, dass das Lager in Malchin die al-
leinige Quelle für die erfolgte Kontamination sein kann?
Getreide von dort dürfte doch heute überhaupt nicht mehr
auf den Markt sein. Es sind sieben Monate vergangen.
Mat
Ich verstehe Ihre Frage insoweit nicht, als
dass wir jede Getreidepartie verfolgen. Interessanterweise
finden wir immer dann, wenn Getreide, das in Malchin
gelagert wurde, entweder über NSP und den Zwi-
schenhändler GS agri oder über einen anderen Weg in den
Verkehr gebracht wurde und wir diesen Weg nachver-
folgen – sei es in Rheinland-Pfalz, sei es in Schleswig-
Holstein, sei es in Bayern –, positive Funde bei den Rück-
stellproben. Das bezieht sich nicht nur auf das Getreide,
das an die GS agri geliefert worden ist, sondern auch auf
das Getreide, das an die 17 – wenn man Busse einbezieht,
sind es noch mehr – Betriebe bzw. Futtermittelhersteller
geliefert worden ist. Daran sehen Sie: Wir können die
Spur immer wieder bis nach Malchin zurückverfolgen.
Insofern verstehe ich nicht, warum das nicht zu meiner
Ausgangsthese passen soll.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Straubinger.
Herr Staatssekretär,
die Bundesregierung geht davon aus, dass der Kontami-
nationspunkt das Lager Malchin ist. Wurden, um diese
These zu untermauern, mittlerweile zusätzliche Proben
von Ökogetreide in anderen Lagerstätten gezogen und zu
welchem Ergebnis kam man, wenn Proben von anderen
Lagerstätten gezogen wurden?
Ma
Wir haben insbesondere in den landwirt-schaftlichen Betrieben, aber auch in den vorgeschaltetenTrockeneinrichtungen diverse Proben gezogen. Dort gabes, bevor das Getreide Malchin erreicht hat, keine positi-ven Funde.Eigentlich ist das, was ich im Folgenden aus einem In-spektionsbericht zitieren möchte, die Antwort auf einespätere Frage. Aber ich möchte Ihnen schon jetzt vorle-sen, was Mitarbeiter der Biologischen Bundesanstalt fürLand- und Forstwirtschaft, die sich die Halle in Malchingenauer angesehen haben, in ihrer Stellungnahme zumHallenzustand unter anderem festgestellt haben:Die Abteilung 4 der Halle befand sich in einem sehrsauberen Zustand. Ritzen waren freigelegt. In derHalle– jetzt kommt es –sind zweifelsfrei Gerüche von Pflanzenschutzmittelnwahrnehmbar. Der Betonfußboden war im Bereichder Trizilinablagerung auskristallisiert. Im Außenbe-reich der Halle zeigten die Gräser typische Nitrofen-Symptome.Für diejenigen, die es nicht wissen: Trizilin ist ein Han-delsname für eine Nitrofen-Emulsion. Das heißt, Nitrofenwird in organischen Lösungsmitteln gelöst.Worauf möchte ich hinaus? – Die Experten der BBAgehen fest davon aus, dass in dieser Halle größere Men-gen Nitrofen vorhanden waren und diese größeren Men-gen punktuell in das Getreide eingebracht wurden. Das er-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Annette Widmann-Mauz24140
klärt die manchmal sehr hohen und manchmal gar nichtvorhandenen, also keineswegs homogenen Belastungendes Getreides.Darüber hinaus hat es am vorletzten Wochenende eineerste Untersuchung gegeben, bei der man im Staub derHalle 2 Gramm Nitrofen pro Kilogramm festgestellt hat.Gestern wurde eine weitere Analyse des Bodens durchge-führt. Das Ergebnis waren 77,9 Gramm Nitrofen pro Ki-logramm. Das ist mehr als das 77-Millionenfache desGrenzwertes. Alles deutet darauf hin – da sind wir mit denermittelnden Behörden in Mecklenburg-Vorpommern,der Staatsanwaltschaft und dem Landeskriminalamt, ei-ner Meinung –, dass diese Halle, die früher das zentraleLager für Pflanzenschutzmittelreserven der drei Nord-bezirke der ehemaligen DDR war, der Ort der Kontami-nation ist.
Zu dieser
Frage der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr.
Herr
Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, es gebe eine Do-
kumentation, die Ihnen die Aufklärung erleichtere. Es ist
ja gut, wenn dem so ist. Müssten Sie dann aber nicht,
wenn Malchin die einzige Quelle ist, zum jetzigen Zeit-
punkt lückenlos darüber Auskunft geben können – zu-
mindest für den Ökolandbau –, wohin das Getreide ge-
langt ist? Das Gleiche gilt für die Mengen. Darauf haben
Sie geantwortet, das könnten Sie nicht sagen.
Wenn es eine Dokumentation gibt: Warum hat die Auf-
arbeitung doch verhältnismäßig lange gedauert? Denn
wenn es Dokumente gibt, in die man schauen kann,
müsste man im Grunde genommen schneller handeln
können, als es geschehen ist. Die Lebensmittelkrisen dau-
ern in Deutschland einfach zu lange.
Ma
Herr Abgeordneter, die Ausgangsthese,
dass die Aufklärung in diesem Fall zu lange gedauert hat,
teile ich nicht. Im Gegenteil: Gerade aus den Reihen der
Opposition gab es Vorwürfe, dass wir mit der kontaminier-
ten Halle in Malchin das Problem zu schnell gelöst hätten.
– Lassen Sie uns gleich darüber reden! Es kommen noch
entsprechende Fragen.
Zu Ihrer Frage: Die zuständigen Mitarbeiter unseres
Hauses und auch der Länder arbeiten mit Hochdruck da-
ran, die Wege nachzuvollziehen. Zum Teil werden die
Verfahren dadurch erschwert, dass einzelne Verursacher
dieses Nitrofen-Skandals aufgrund der staatsanwalt-
schaftlichen Ermittlungen bei der Herausgabe von Infor-
mationen mauern. Aber seit dem Zeitpunkt, als die Lei-
tung des Bundesministeriums für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft in Gestalt meines Kolle-
gen, des Staatssekretärs Müller, die Information erhalten
hat, dass Nitrofen in Putenfleisch enthalten ist, wird mit
Hochdruck an diesem Thema gearbeitet. Ich sage Ihnen:
Ich bin erleichtert, dass wir relativ schnell die Quelle der
Kontamination gefunden haben; denn das lässt eindeutig
den Rückschluss zu, dass die bäuerlichen Betriebe nicht
die Verursacher sind. Das sollte uns alle freuen, ich denke,
auch Sie.
Der Kollege
Ronsöhr kann erst zu der nächsten Frage eine weitere Zu-
satzfrage stellen. Deswegen gebe ich zunächst das Wort
der Kollegin Christine Ostrowski und dann dem Kollegen
Schindler.
Herr Staatssekretär, kön-
nen Sie erklären, warum eine Lagerhalle, die zur DDR-
Zeit mit Nitrofen bestückt war, nach der Vereinigung quasi
nahtlos zur Lagerung von Getreide verwendet wurde?
Ma
Frau Kollegin, Sie wissen, dass die Zu-
ständigkeit dafür nicht beim Bund liegt, sondern bei den
entsprechenden Behörden vor Ort. Ich kann mir das nicht
erklären.
Kollege
Schindler.
Herr Staatssekretär,
wie erklären Sie, nachdem Sie uns im Moment vorwerfen,
wir hätten zu schnell kritisiert, die Aufklärung sei nicht
ordnungsgemäß gewesen, dass auch der Minister Backhaus
in der Öffentlichkeit Selbstzweifel geäußert hat? Das
Gleiche gilt für Graefe zu Baringdorf. Dazu hätte ich gern
Ihre Meinung gehört. Es gibt ja eine enge Abstimmung.
Ma
Herr Abgeordneter, ich denke, es ist ab-solut angebracht und legitim – das ist in Ihr Benehmen ge-stellt –, die Frage zu stellen, ob Malchin tatsächlich dieQuelle der Kontamination ist. Sie können davon ausge-hen, dass wir in den letzten 14 Tagen nichts anderes getanhaben, als uns immer wieder diese Frage zu stellen. Wirhatten am Mittwoch vorvergangener Woche eine Aus-schusssitzung, in der wir ausführlich informiert haben.Auch dort wurde immer wieder die Frage gestellt, wie dasNitrofen in die Lebensmittel gelangt sein kann.Wir haben alle möglichen anderen Wege verfolgt. Aberaufgrund der Tatsache, dass in Malchin die Abteilung 4hochgradig mit diesem Stoff kontaminiert war und jedesnitrofenbelastete Getreidekorn, das wir bisher gefundenhaben, nur eines mit den anderen gemeinsam hatte, näm-lich dass es dort gelegen hat, gehen wir davon aus, dassdie Halle der Ort der Kontamination ist.Wir gehen aber auch allen anderen Spuren selbstver-ständlich mit dem gleichen Nachdruck nach. Man müsste
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aber andere konkrete Hypothesen für eine Belastungnachweisen und auch Anhaltspunkte haben. Es gab nur ei-nen Anhaltspunkt aus einer Lieferung auf Basis einerRückstellprobe im Bereich von Kochwürstchen. Bis zumvergangenen Wochenende ging man dabei davon aus,dass schon, bevor Futter mit dem Getreide aus Malchinhergestellt worden ist, Nitrofen-Funde im Fleisch fest-stellbar waren. Es hat sich aufgrund der amtlichen Probenabschließend herausgestellt, dass diese Wurstprobe nichtbelastet war. Vor diesem Hintergrund können wir nachwie vor sagen: Malchin ist der Ort der Kontamination.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Meinolf Michels.
Die Halle in Malchin
wurde vorher für die Lagerung von Pflanzenschutzmitteln
genutzt. Kann es sein, dass es in Deutschland Hallen mit
ähnlichen Verwendungszwecken gibt, die heute für die
Getreidelagerung genutzt werden? Wenn ja, hat die Bun-
desregierung diesen Faden aufgenommen, um festzustel-
len, ob nicht auch an anderen Stellen, an denen heute Ge-
treide gelagert wird, früher einmal Pflanzenschutzmittel
gelagert wurden?
Ma
Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen für die
Frage sehr dankbar; denn die ersten Fragen, die wir uns
am Samstag, dem 1. Juni, gestellt haben, waren: Wenn es
ein Zentrallager für die Pestizide für die drei Nordbezirke
gegeben hat, was ist dann mit den übrigen Bezirken? Was
ist mit anderen Altlasten? Sind die vielleicht in andere
Nutzung gegangen? Wir haben daher die Länder noch am
Samstag gebeten, dieser Frage nachzugehen. Der bishe-
rige Stand der Ermittlungen sagt glücklicherweise, dass es
keine ähnliche Nutzung, keine ähnlich kontaminierten
Orte wie in Malchin gegeben hat.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Ulrike Höfken.
Auf-
klärung ist wichtig und es wäre schön, wenn der Eifer der
Opposition beispielsweise auch bei BSE so groß gewesen
wäre. Was mich bei dieser Art von Aufklärungswillen be-
fremdet, ist, dass sich neun von 20 Fragen, die wir vorge-
legt bekommen haben, darauf beziehen, ob es nicht noch
andere Quellen als diese Lagerhalle gibt. 90 Prozent der
Zusatzfragen beziehen sich ebenfalls darauf.
Ich stelle die Frage an den Staatssekretär: Denken Sie,
dass das vielleicht eine Art Verdächtigungskampagne gegen
den Ökolandbau ist? Denn die Fragen zielen offensichtlich
ausschließlich darauf, Ökobetriebe zu verdächtigen.
Damit wird die Debatte zu meinem großen Bedauern dazu
instrumentalisiert, einem sich positiv entwickelnden Wirt-
schaftsbereich Schaden zuzufügen.
Ma
Frau Abgeordnete, ich gehe nicht davon
aus, dass dies das Ansinnen der Opposition ist. Im Ge-
genteil: Ich gehe davon aus, dass wir alle ein Interesse ha-
ben, klar und zweifelsfrei festzustellen, wie es zu dieser
Belastung gekommen ist. Es ist eine ernste Sache,
wenn ein verbotener Stoff in Lebensmitteln auftaucht.
Die anderen mit diesem Lebensmittelskandal in Verbin-
dung zu bringenden Punkte, zum Beispiel die Unterlassung
des Futtermittelherstellers GS agri, die Funde sofort zu
melden – das Verschweigen hat auch an anderer Stelle statt-
gefunden –, finde ich schändlich. So wurde dieses Thema
nicht als Gesundheitsrisiko, sondern als Versicherungsfall
betrieben. Diese Aspekte sind das Hauptthema, das die Ver-
braucherinnen und Verbraucher neben der Frage, ob Mal-
chin die Quelle der Kontamination ist, interessiert.
Ich kann Ihnen sagen: Es war auch schon bei der De-
batte um die Regierungserklärung so, dass die Opposition
an dieser Frage weit weniger interessiert war als an der
Frage, ob Malchin der Ort der Kontamination war. Wenn
sie mit dem gleichen Eifer hierzu Fragen stellen würde,
könnten wir sicher noch weitere Aspekte des Nitrofen-
Skandals aufklären.
Der eine ist
für die Frage, der andere ist für die Antwort verantwort-
lich. Jetzt hat das Wort der Kollege Albert Deß.
– Frau Kollegin Höfken, Sie können zur nächsten Frage
eine Zusatzfrage stellen. Zwei Zusatzfragen stehen nur
dem fragestellenden Abgeordneten zu.
Jetzt fragt zunächst der Kollege Deß und dann der Kol-
lege Heinrich.
Ich hatte mich nach der
Frage einer PDS-Kollegin zu Wort gemeldet. Herr Staats-
sekretär, sind Sie mit mir der Meinung, dass es von der
ehemaligen DDR-Regierung unverantwortlich war,
Nitrofen noch weitere zehn Jahre bis zum Ende der DDR
einzusetzen, obwohl seit Anfang der 80er-Jahre bekannt
war, dass dieses Mittel krebserregend ist?
Ma
Herr Abgeordneter Deß, dazu muss man wissen,dass dieses Mittel auch in der alten Bundesrepublik nochbis 1988 in Verkehr gebracht werden konnte. Wenn Sie sichaber die Altlasten in Bitterfeld und anderswo anschauen,dann steht außer Zweifel, dass das Regime in der DDR mit
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Parl. Staatssekretär Matthias Berningersolchen Giftstoffen anders umgegangen ist, als wir es inWesteuropa und in der Bundesrepublik zum Standard ge-macht hatten. Dies nehmen wir zum Anlass, bei der Oster-weiterung der Europäischen Union keinerlei Zugeständ-nisse in Fragen der Lebensmittelsicherheit und desUmgangs mit Schadstoffen zu machen.
Kollege
Heinrich.
Herr Staatssekretär, Sie haben
hier eben die mangelnde Bereitschaft der Industrie, von
GS agri, sowie der R + VVersicherungen beklagt und zu-
gleich uns, der Opposition, vorgeworfen, dass wir einsei-
tig agierten. Waren Sie mit dieser Äußerung aber nicht
selbst absolut einseitig, da Sie verschwiegen haben, dass
die Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach
– das ist eine Behörde in Ihrer Zuständigkeit – seit März
davon wusste und sich bis zum 23. Mai, als es von einem
Ökoverband bekannt gegeben worden ist, nicht gemeldet
hat? Es ist auch ein offenes Geheimnis, dass bei der
„Ökomesse“ in Nürnberg alle über die Nitrofen-Belas-
tung sowohl des Futters als auch der Produkte gesprochen
haben und nur das BMVEL nichts davon gehört hat. Wo
ist hier die Einseitigkeit?
Ma
Herr Abgeordneter, zunächst einmal bin
ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich hier widerlegt ha-
ben und sich auch für die Frage der Verursacher und die
Fehler interessieren, die von ihnen begangen wurden.
Bei dem von Ihnen angesprochenen Aspekt geht es um
die Aufklärung. Insoweit muss man deutlich differenzie-
ren: Diejenigen, die frühzeitig Kenntnis hatten, es aber
entgegen dem Futtermittelrecht nicht meldeten, sondern
dieses Futtermittel weiterhin einsetzten, um Putenfleisch
und Eier zu produzieren, obwohl sie wussten, dass das Pu-
tenfleisch auch in den sensiblen Bereich der Babynah-
rungsherstellung gehen soll, und die Öffentlichkeit nicht
warnten, sondern sich mit ihrer Versicherung an einen
Tisch setzten, um das Problem still und heimlich auf dem
kleinen Dienstweg zu lösen, stehen für mich im Kreise der
Verursacher an erster Stelle.
– Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst sehr gerne die
von Ihnen gestellte Frage beantworten. Sie können dann
noch eine stellen.
Sie haben dann einen zweiten Problemkreis angespro-
chen: die Fehler in der Aufklärung. Sie wissen, dass wir
hier weder etwas verheimlichen noch etwas beschönigen.
Im Anschluss an die Regierungserklärung haben wir die-
ses Thema mehrere Stunden lang Punkt für Punkt debat-
tiert. Die Fehler haben sich in der öffentlichen Verwaltung
insbesondere dadurch ereignet, dass sich die zuständigen
Mitarbeiter kein Bild von der Dimension des Problems
gemacht haben und deswegen Informationen abgeheftet
und nicht weitergegeben haben. Klar ist, dass hier die
Bundesanstalt für Fleischforschung einen Fehler gemacht
hat. Über dieses Versäumnis reden wir sehr offen.
Klar ist aber auch, dass wir sofort gehandelt haben,
nachdem die Spitze unseres Hauses von diesem Problem
erfahren hat. Es gibt Versäumnisse bei den Ökokontroll-
stellen, es gibt stille Rückrufaktionen im Ökohandel. Das
alles sind Fehler im Bereich der Aufklärung, die meiner
Meinung nach nicht entschuldbar sind. Darüber hinaus
gab es unmittelbar nach Bekanntwerden der Krise An-
laufschwierigkeiten bei der Koordinierung der Aktivitä-
ten von Bund und Ländern. Dies klappt inzwischen glück-
licherweise hervorragend.
Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass
es hier eine Gruppe von Verursachern gibt, die im Zen-
trum unserer Empörung stehen sollten. Hier handelt es
sich um Leute, die sogar Kindergärten weiter mit Puten-
fleisch beliefert haben, obwohl sie wussten, dass dieses
Putenfleisch belastet ist.
Ich rufe die
dringliche Frage 4 der Kollegin Annette Widmann-Mauz
auf:
Kann die Bundesregierung weitere Quellen für die Nitrofen-
Verseuchung ausschließen – im Nachgang zu der Staatssekretärs-
konferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnis-
sen?
Ma
Frau Kollegin Widmann-Mauz fragt nach
einem Punkt, der in der Diskussion bereits eine Rolle ge-
spielt hat: Können wir andere Nitrofen-Belastungen aus-
schließen?
Natürlich kann man das nie ausschließen. Man kann
aber aufgrund der bisherigen Ergebnisse, das heißt der
Analysen alter gaschromatographischer Untersuchungen
sowohl im Lebensmittel- als auch im Futtermittelbereich,
wo man keine Nitrofen-Funde hatte, und aufgrund der
Tatsache, dass das Pflanzenschutzmittel Nitrofen in Ost-
europa eben nicht mehr weit verbreitet ist, sondern im Ge-
genteil nur noch an einer Stelle, in der Bundesrepublik
Jugoslawien, zum Einsatz kommt, sowie aufgrund der
Tatsache, dass wir seit vielen Jahren, nämlich seit dem
Nitrofen-Verbot, hier keinerlei Probleme hatten, davon
ausgehen, dass dieser Skandal und die daraus entstande-
nen Probleme auf eine eindeutige Kausalkette zurückzu-
führen sind.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatsse-kretär, wie stellen Sie sich zu der Aussage des Leiters desNeuform-Labors, Peter Dräger, der in der „FAZ“ zitiertwird: „Der mit Nitrofen verunreinigte Wegestaub hätte
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hüfthoch liegen müssen“, um überhaupt zu einer solchenKontamination zu kommen? Wie bewerten Sie diese Aus-sage, auch vor dem Hintergrund, dass dieses Labor zumBeispiel alle Lebensmittel der Reformhäuser prüft undauch in der Vergangenheit schon auf Nitrofen geprüft hat?Ma
Dieser Experte, Herr Dräger, geht
zunächst einmal davon aus, dass es zu einer homogenen
Kontamination des Getreides gekommen ist. Wenn Sie
meinen bisherigen Antworten gelauscht haben, werden
Sie mitbekommen haben, dass alle Ermittlungen von ei-
ner punktuellen Belastung ausgehen. Insofern ist die Aus-
gangshypothese, es sei zu einer homogenen Belastung ge-
kommen, falsch.
Die zweite Ausgangshypothese, die Belastung sei über
den Staub in der Halle gekommen, halte ich ebenfalls für
falsch. Aus der Tatsache, dass wir zunächst eine positive
Staubprobe hatten, hat der Experte offensichtlich ge-
schlossen, der Staub in der Halle sei das Problem. Wie be-
reits gesagt wurde, ist in dieser Halle mit Radladern gear-
beitet worden. Ich zitiere hier noch einmal aus dem
BBA-Bericht über die Besichtigung der Halle in Malchin:
„Der Betonfußboden war im Bereich der Trizilin-Altlage-
rung auskristallisiert.“ Das heißt, sie haben diesen Stoff
einfach auf dem Boden gehabt. Deshalb erklärt es sich
relativ leicht, dass es beim Umgang mit dem Getreide,
beispielsweise beim Verladen, beim Wenden oder wobei
auch immer, zu punktuellen Kontaminationen gekommen
sein kann. Wie wir erleichtert feststellen können, ist nicht
jedes Getreidekorn aus dieser Halle belastet, sondern nur
ganz bestimmte Partien, was das Krisenmanagement jetzt
sicherlich leichter macht.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staats-
sekretär, Sie sprechen gerade vom Krisenmanagement.
Nachdem wir in der letzten Woche über die Regierungs-
erklärung diskutiert haben und vor zwei Wochen die
Sondersitzung des Ausschusses hatten, würde mich inte-
ressieren, wie die konkreten Maßnamen aussehen. Sie ha-
ben vorher gesagt, mit der Leitung der Bundesanstalt für
Fleischforschung sei offen geredet worden. Wie sehen
denn die konkreten Maßnahmen aus, um dieses Missver-
halten, nämlich das Nichtweiterleiten einer wirklich
wichtigen Information, zu sanktionieren bzw. zu ahnden?
Ma
Zunächst einmal möchte ich darauf
hinweisen, dass das Ministerium, als der Chloramphe-
nicol-Skandal bekannt wurde, alle Beamten, auch im
nachgeordneten Bereich – zu dem zählt auch diese
Bundesforschungsanstalt –, am 23. Januar mit einem
entsprechenden Erlass aufgefordert hat, Informationen
mit einer solchen Tragweite an die entsprechenden Ver-
antwortlichen im Bundesministerium für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft weiterzuleiten. Mit
Schreiben vom 30. Januar hat der Chef der Bundesanstalt
für Fleischforschung uns bestätigt, dass der Erlass den
Mitarbeitern zur Kenntnis gegeben worden ist. Ich be-
dauere wie wir alle, dass er dort nicht zur Kenntnis ge-
nommen wurde und die Mitarbeiter nicht entsprechend
vorgegangen sind.
Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Fleischfor-
schung bisher den Standpunkt vertreten, sie habe im Rah-
men des Drittmittelbereichs eine privatwirtschaftliche
Analyse gemacht, das heißt, sie habe wie jedes andere pri-
vate Labor auch ihre Labors genutzt, um Analysen für die
Wirtschaft zu machen, und daher keinen Grund gesehen,
uns zu informieren. Diese Frage wird mit den Mitarbei-
tern erörtert.
Unsere Prioritäten sind ganz klar gesetzt: Wir wollen
zunächst alle Spuren des Getreides nachvollziehen. Wir
wollen den Fall aufklären. Wir wollen so gut es eben geht
dafür sorgen, dass die Verbraucher nicht mit diesem Gift
in Kontakt kommen. Wenn wir das in vernünftiger Form
gemacht haben, werden wir uns danach auch um die Feh-
ler kümmern, die bei uns gemacht worden sind. Bei uns
und auch in den Ländern ist die Strategie eindeutig: Jetzt
konzentrieren wir uns auf die Aufklärung, und wenn der
Fall gelöst ist und wir den Verbleib sämtlichen Getreides
nachvollzogen haben, werden wir uns mit den übrigen
Fragen beschäftigen. Ich denke, auch die Verbraucher ha-
ben ein Anrecht darauf, dass der Schwerpunkt genau so
gelegt wird.
Es liegen
Anmeldungen für Zusatzfragen von dem Kollegen
Ronsöhr, der Kollegin Ostrowski, der Kollegin Höfken,
dem Kollegen Carstensen und dem Kollegen Straubinger
vor. Wir beginnen mit dem Kollegen Ronsöhr.
Herr Staats-
sekretär, weil es immer wieder um die Halle in Malchin
geht: Ich möchte feststellen, dass ich Ihre Aussagen dazu nie
kritisiert habe.
Natürlich kann man fragen, ob es außer der Halle in
Malchin noch andere Ursachen gibt. Diese Halle als ein-
zige Ursache ist auch von anderen in Zweifel gezogen
worden. Können Sie bestätigen, dass der Parlamentari-
sche Staatssekretär Thalheim in einer sächsischen Zeitung
bezweifelt hat, dass die Halle in Malchin die einzige Ur-
sache ist, weil er hier ein Diskreditierungspotenzial für die
ostdeutsche Landwirtschaft vermutet?
Ma
Herr Abgeordneter, ich kann bestätigen,dass der Parlamentarische Staatssekretär Thalheim wieauch der niedersächsische LandwirtschaftsministerBartels, der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Backhaus, und die BundesministerinKünast am vergangenen Donnerstag, nachdem bekanntgeworden war, dass angeblich Würstchen belastet seien,die vor der Lieferung hergestellt worden waren, zunächst
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gesagt haben, es sei nicht auszuschließen, dass es weitereKontaminationsquellen gebe. Dies war von Anfang aneher unwahrscheinlich. Den von Ihnen vermuteten Hin-tergrund der Äußerungen des Kollegen Thalheim würdeich als hoch spekulativ zurückweisen.Worum es uns von Anfang an ging und auch jetzt nochgeht, ist, entsprechende Offenheit zu demonstrieren. Wirgehen jeder Vermutung, auch jeder Expertenmeinungnach, und sei sie noch so abwegig. Niemand konnte damitrechnen, dass in einer solchen Halle Getreide eingelagertwird. Daran kann man schon erkennen, dass solche Pro-bleme in aller Regel mit dem gesunden Menschenver-stand zunächst einmal nicht erklärbar sind, rationale Ur-sachen nicht zu erkennen sind, sondern dass man beiLebensmittelkrisen dieser Art immer wieder das Unmög-liche denken muss.
Frau Kolle-
gin Ostrowski, bitte.
Herr Kollege Deß, Sie
haben mich angeregt, mich jetzt ein zweites Mal zu mel-
den.
Herr Staatssekretär, in der Halle in Malchin wurden zu
DDR-Zeiten Pflanzenschutzmittel gelagert. Nach der Ver-
einigung wurde darin Getreide gelagert. Sehen Sie denn
einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Nutzungs-
möglichkeiten und der Privatisierungspolitik der Treu-
hand?
Ma
Frau Kollegin Ostrowski, das ist sicher
auch eine der wichtigen Fragen, denen man jetzt in Meck-
lenburg-Vorpommern nachgeht, um festzustellen, wo
Fehler gemacht worden sind. Es ist zweifellos so, dass
auch Versäumnisse in diesem Bereich zu suchen sind, wo-
bei ich Ihnen eines klar sagen will: Weder die Frage, was
in der DDR geschah, noch die Frage, was die Treuhand
gemacht hat, steht für mich im Mittelpunkt, sondern für
mich steht im Mittelpunkt, nachdem klar ist, dass man das
Gift im Essen hat, wie sich die Leute danach verhalten ha-
ben. Darauf sollten wir uns in erster Linie konzentrieren.
Die Staatsanwaltschaft wird ja nun ermitteln, ob schuld-
haftes Verhalten vorgelegen hat. Es werden sicherlich ver-
schiedene Akteure Rechenschaft ablegen müssen.
Ich möchte aber auch ergänzen, dass wir nach der Wie-
derherstellung der deutschen Einheit insgesamt doch eine
sehr erfolgreiche Politik der Altlastensanierung in den
neuen Ländern betrieben haben. Die alte Regierung hat si-
cherlich richtig gehandelt, im Einigungsvertrag festzule-
gen, dass hierfür in erster Linie der Bund aufkommen
muss. Das hat sichergestellt, dass die Kommunen mit
großer Sorgfalt Altlasten ausfindig gemacht haben, die
dann auch beseitigt wurden, sodass wir nicht davon aus-
gehen können, permanent in den neuen Ländern mit die-
sen Problemen konfrontiert zu werden.
Frau Kolle-
gin Höfken, bitte.
Herr
Staatssekretär, Sie haben meine Vermutung zurückgewie-
sen, dass es sich hier um einen Angriff auf die Ökoland-
wirtschaft handeln könnte. Auch die Opposition hat be-
stätigt, dass dies nicht der Fall ist. Wären Sie insofern
nicht der Auffassung, dass die Fragen 4, 5, 7, 8, 9,
13, 14, 15, 17 und die Zusatzfragen eigentlich bereits be-
antwortet sind
und wir uns weiteren Fragen dieser interessanten Diskus-
sion zuwenden könnten?
Ma
Frau Abgeordnete, es würde mir eine
Rüge des Parlamentspräsidenten einbringen, wenn ich
diese Frage wahrheitsgemäß beantworten würde.
Kein Kom-
mentar. – Herr Kollege Carstensen, bitte.
HerrStaatssekretär, ich habe das Gefühl, dass Sie sich genausowie ich über einige Äußerungen von Frau KolleginHöfken, die sonst so tough ist und nicht so viel Angst vorFragen hat, wundern.
Deshalb sage ich und versuche, das in Frageform zu klei-den: Können Sie sich vorstellen, sind Sie mit mir der Mei-nung und sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dassauch die Opposition ein Interesse daran hat, diese Ge-schichte aufzuklären? Sind Sie ebenfalls bereit, zurKenntnis zu nehmen, dass auch diejenigen – zu denengehörte auch ich –, die bis gestern bzw. vorgestern nochder Meinung waren
– hören Sie doch einmal einen Augenblick zu! –, dass die-ses Mittel auf dem Ökobetrieb, der den Weizen nach Mal-chin geliefert hat, appliziert worden sein könnte – zumBeispiel als Erntehilfe –, inzwischen die Erkenntnis ha-ben, dass dieses nicht stimmt, weil es dort Rückstands-proben gibt?Können Sie sich auch vorstellen, dass wir Ihre These,dass es sich bei der Halle in Malchin um die alleinigeQuelle handelt, deswegen für sehr unwahrscheinlich an-sehen, weil von dort 550 Tonnen Getreide – davon waren
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315 Tonnen Weizen – geliefert worden sind? Ich habe Ih-nen schon eben meine Bedenken mitgeteilt. Oder stehenim Moment größere Mengen Getreide aus Malchin in demVerdacht, belastet gewesen und ins Futtermittel gelangt zusein?Ma
Wir reden in der Tat noch immer über die
550 Tonnen. Sie haben die Zahl genannt; ich bitte um Ent-
schuldigung, dass ich nicht genau weiß, welche exakte
Menge in den Lieferlisten festgelegt wurde. Ich habe es
mehrfach gesagt: Wann immer man diese Spuren zurück-
verfolgt und Nitrofen im Getreide oder aber auch in an-
deren Lebensmitteln gefunden hat, gab es eine eindeutige
Verbindung zwischen dem positiven Befund und der La-
gerhalle in Malchin. Wenn man dazu noch betrachtet, in
welchem Zustand sich diese Halle befindet, lässt das für
die Staatsanwaltschaft und die ermittelnden Behörden
von Bund und Ländern nur den Schluss zu, dass Malchin
der Ort der Kontamination ist.
Kollege
Straubinger, bitte.
Herr Staatssekretär,
wenn man von der These ausgeht, dass das nur über Mal-
chin gekommen sein kann, dann muss man natürlich auch
davon ausgehen, dass hier mehrere Einlagerungs- und
Auslagerungsvorgänge stattgefunden haben. Ich nehme
an, dass, wenn alles richtig gehandhabt wird, das Lager
im Anschluss an diese Einlagerungs- und Auslagerungs-
vorgänge gereinigt wird. Müsste es bei den einzelnen
Proben dann nicht eine abfallende Konzentration der
Nitrofen-Belastung geben? Um es etwas salopp auszu-
drücken: Durch die ständigen Einlagerungs- und Ausla-
gerungsvorgänge müssten hier gewisse Reinigungspro-
zesse stattgefunden haben, sodass die Verunreinigung
geringer wurde.
Ma
Herr Abgeordneter, zunächst ein-
mal verstehe ich unter einem solchen Reinigungspro-
zess nichts anderes als eine illegale Entsorgung von
Giftmüll, die dadurch vorgenommen wurde, dass Ge-
treide in dieser Halle gelagert und dann woandershin
transportiert wurde. Es gibt höchst unterschiedliche
Konzentrationen. Diese deuten darauf hin, dass größere
mit Nitrofen hoch belastete Partikel beim Wende-,
Lade- oder sonstigem Vorgang in das Getreide hinein-
gekommen sind und im Rahmen der Futtermittelher-
stellung so homogenisiert wurden, dass sie von den Tie-
ren aufgenommen wurden.
Das Problem ist, dass Nitrofen ein fettlöslicher Stoff
ist, der sich in den Tieren anreichert und akkumuliert. Je
mehr kontaminiertes Getreide die Tiere zu sich nehmen,
desto höher ist die Anreicherung. Um es deutlich zu sa-
gen: Wir gehen davon aus, dass die Belastung in den Hal-
len Stück für Stück sank. Das ist sehr erschreckend, weil
wir daher davon ausgehen müssen, dass das bereits in den
Vorjahren dort eingelagerte konventionelle Getreide nit-
rofenbelastet war.
Warum hat man das erst jetzt herausgefunden? Die Ant-
wort auf diese Frage ist sehr wichtig, weil der Biolandbau
häufig kritisiert wird. Dies wurde herausgefunden, weil es
bei einem Hersteller für Babynahrung hervorragende End-
kontrollen bei der ökologischen Lebensmittelerzeugung
gegeben hat. Früher ist das offensichtlich an allen Kon-
trollinstitutionen vorbeigegangen.
Der Kol-
lege von Klaeden hatte sich zur Geschäftsordnung gemel-
det. Bitte schön.
Herr Präsident,
ich glaube, bei diesem Punkt drehen wir uns in der Fra-
gestunde im Kreis. Deshalb beantrage ich im Namen
meiner Fraktion eine Aktuelle Stunde zu dem Thema:
Haltung der Bundesregierung zum aktuellen Nitrofen-
Skandal.
Es ist eineAktuelle Stunde zu dem hier angesprochenen Thema be-antragt worden. Die Aktuelle Stunde werden wir nach Ab-lauf der Fragestunde aufrufen.Wir setzen die Fragestunde fort. Wir kommen zur dring-lichen Frage 5 des Kollegen Hans-Michael Goldmann.
– Also, die dringlichen Fragen 5 bis 20 werden schriftlichbeantwortet.1)Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Die gestellten Fragen, die Fragen 1 und 2, sollen schrift-lich beantwortet werden.Das Gleiche gilt für den Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-cherheit. Auch hier sollen die Fragen 3 und 4 schriftlichbeantwortet werden.Das gilt wiederum für den Geschäftsbereich desBundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.Auch die Fragen 5 und 6 sollen schriftlich beantwortetwerden.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung stehtdie Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zurVerfügung.Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Günther FriedrichNolting auf:
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Peter H. Carstensen
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1) Abdruck als Anlage zum Plenarprotokoll der 242. SitzungZu welchen Ergebnissen kommt der deutsch-britische Berichtzu den Umständen im Zusammenhang mit dem fatalen Seeschiffs-unglück, das sich am 6. März 2002 neben der HMS „Cumberland“ereignete, und warum wurde dieser Bericht dem Verteidigungs-ausschuss des Deutschen Bundestages bisher nicht zugeleitet?Frau Staatssekretärin.B
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Lieber Kollege Nolting, das Kentern ei-
nes Beibootes der britischen Fregatte „Cumberland“ am
6. März 2002 überlebten zwei britische und ein deutscher
Soldat. Zwei Soldaten der deutschen Fregatte „Mecklen-
burg-Vorpommern“ konnten nur noch tot geborgen werden.
Die gemeinsam durchgeführte britisch-deutsche Unter-
suchung über die von der „Cumberland“ geführte Ret-
tungsaktion kommt zu dem Ergebnis, dass die beiden deut-
schen Soldaten nicht, wie anfangs vermutet wurde, an
Unterkühlung gestorben, sondern ertrunken sind. Beide To-
ten hatten ihre Rettungsschwimmwesten nicht korrekt an-
gelegt und die Spritzwasserschutzhauben nicht übergezo-
gen. Im Fall des Oberbootmaaten dürfte dies unmittelbar
zum Tode geführt haben, da sein Kopf unter die Schwimm-
körper seiner Rettungsweste geriet. Der Hauptgefreite er-
trank durch ständiges Einatmen von Spritzwasser.
Auch die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat in beiden
Fällen als Todesursache Ertrinken festgestellt. Ihren Er-
mittlungen lagen unter anderem das Ergebnis der britisch-
deutschen Untersuchung zugrunde. Der Havarieausschuss
der Marine hat den Unfall in Bezug auf das Verhalten der
„Mecklenburg-Vorpommern“ untersucht und dem Be-
fehlshaber der Flotte seinen Bericht zur Entscheidung und
damit zum förmlichen Abschluss des Verfahrens vorge-
legt. Er ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen,
dass die Bergungsaktion zwar durch die „Cumberland“ ge-
leitet und durchgeführt worden sei, es die Fregatte „Meck-
lenburg-Vorpommern“ jedoch unterlassen habe, ihren Mo-
torkutter als zusätzliches Rettungsmittel unverzüglich zu
Wasser zu bringen. Dies wäre nach den Umständen mög-
lich, zumutbar und geboten gewesen.
Die Staatsanwaltschaft hat im Hinblick auf die Todes-
ursache kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Inzwi-
schen hat sie die Havarieakten, die der britisch-deutsche
Untersuchungsbericht umfasst, angefordert, da sich in
dem marineinternen Havarieverfahren Sachverhalte erge-
ben haben, die zu einer Abgabe an die Staatsanwaltschaft
wegen unterlassener Hilfeleistung geführt haben.
In diesem neuen Verfahren geht es nicht mehr um die
Feststellung der Todesursache, sondern um ein mögliches
schuldhaftes Verhalten eines der Beteiligten auf der
„Mecklenburg-Vorpommern“. Daher ist größte Zurück-
haltung geboten, um eine Vorverurteilung und Einfluss-
nahme von außen zu vermeiden. Aus diesen erkennbaren
Gründen, Herr Kollege, hat es noch keinen abschließen-
den Bericht an den Verteidigungsausschuss gegeben.
Zusatz-
frage des Kollegen Nolting, bitte schön.
Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben dieses tragische Unglück angesprochen.
Ich will dieses Thema mit Zurückhaltung behandeln. Aber
es hätte dieser Frage nicht bedurft, wenn es im Verteidi-
gungsausschuss eine umfassende Information gegeben
hätte. Deshalb meine Frage:Warum sind die Informatio-
nen, die Sie uns heute hier geben, und der Bericht der
deutsch-britischen Kommission – diese Frage steht noch
immer im Raum – nicht dem Verteidigungsausschuss zu-
geleitet worden?
B
Herr Kollege Nolting, das habe
ich mit meiner ausführlichen Antwort auf Ihre schriftlich
eingereichte Frage zu erklären versucht. In der Tat ist es
für einen verantwortlichen Truppenführer – in diesem Fall
für den zuständigen Admiral – eine schwere Entschei-
dung, ein solches Verfahren förmlich nicht zu beenden
und die Staatsanwaltschaft ermitteln zu lassen; die Frage
hinsichtlich der Todesursache ist ja erledigt. Das haben
Sie, wie ich dem Protokoll über die Sitzung des Verteidi-
gungsausschusses, an der ich nicht teilnehmen konnte,
entnommen habe, mehrfach erfahren.
Die Frage, ob unterlassene Hilfeleistung und ob ein Fehl-
verhalten eines Beteiligten, der auf der „Mecklenburg-Vor-
pommern“ Dienst hatte, vorliegt, hat zu der von Ihnen an-
gesprochenen Zurückhaltung geführt, Herr Kollege. Wir
hatten in den letzten Wochen Grund, zu sagen: Nein, es ist
notwendig, diesen Fall an die Staatsanwaltschaft abzuge-
ben.
Eine wei-
tere Zusatzfrage, Kollege Nolting.
Frau Staatssekre-
tärin, hätten wir uns nicht vieles auch an öffentlicher
Diskussion ersparen können, wenn der Bericht, der jetzt
mehrfach angesprochen wurde und der eine Tatsachen-
feststellung beinhaltet, den Ausschussmitgliedern zuge-
stellt worden wäre?
B
Herr Kollege Nolting, wie Sieja wissen, habe ich mich – auch das wiederhole ich – mitdieser Frage intensiv in Neustadt beschäftigt. Ich habe mirdort zeigen lassen, wie die Rettungswesten angelegt wer-den, und sagen lassen, dass alle Zeitsoldaten – die ertrun-kenen Männer waren Zeitsoldaten – wissen, wie wichtiges ist, das Anlegen dieser Westen zu beherrschen. Allemöglichen Vermutungen wurden öffentlich geäußert. Un-ter anderem wurde behauptet, wir hätten die falscheSchutzkleidung, die falschen Westen. Dies alles trifftnicht zu. Das wurde sorgfältig überprüft. Bis zum Maidieses Jahres wurde ermittelt, wie ein solcher Unfall pas-sieren konnte. Weil ich mich informieren wollte, wie einsolches Unglück passieren konnte, habe ich sogar in Kaufgenommen, der historischen Rede von Herrn Bush am23. Mai nicht beiwohnen zu können, was ich bedaure. Esist ein tragisches Unglück, dass beide Männer ihre Wes-ten nicht richtig angelegt haben.Wir haben dann eine Auswertung vorgenommen. Da-nach hat sich die Frage gestellt, ob es möglich gewesen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms24147
wäre, diese Männer zu retten, wenn man sie schneller er-reicht hätte. Dies hat dazu geführt – dafür habe ich sehrviel Verständnis –, dass der zuständige Befehlshaber derFlotte mit dem Abschluss des Verfahrens gewartet und dieSache an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Noch ein-mal: Die Staatsanwaltschaft hat noch nicht endgültig ent-schieden. Sie hat eigene Ermittlungen in diesem Fall an-gestellt. Deswegen konnte es weder zu dem Zeitpunkt,den Sie angesprochen haben, noch kann es heute einen ab-schließenden Bericht geben. Es ist völlig klar, dass Siespäter einen solchen Bericht erhalten werden. Das Un-glück ist eine große Tragödie.
Die
Frage 8 des Abgeordneten Gehrcke wird schriftlich be-
antwortet. – Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Stephan Hilsberg zur Verfügung.
Die Frage 9 des Kollegen Peter Weiß wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Paul Breuer
– er ist anwesend – auf:
Sind die Vorarbeiten der Bundesregierung zur Aufstellung des
Bundesverkehrswegeplanes bereits so fortgeschritten, dass nun-
mehr eine definitive Aussage über die Aufnahme des Weiterbaus
der Hüttentalstraße, Bundesstraße B 62, von Siegen-Süd in Nord-
rhein-Westfalen bis Niederscheiderhütte in Rheinland-Pfalz in
den vordringlichen Bedarf getroffen werden kann?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
S
Sehr
geehrter Herr Abgeordneter Breuer, der Weiterbau der
Hüttentalstraße von Siegen-Süd bis Niederscheiderhütte
ist nach Auffassung der Bundesregierung im Rahmen der
laufenden Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans
als indisponibel zu betrachten. Die Bundesregierung wird
vorschlagen, sie in den vordringlichen Bedarf aufzuneh-
men.
Herr
Breuer hat keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Werner
Wittlich auf:
In welchem Zeitraum kann der Weiterbau der Hüttentalstraße,
Bundesstraße B 62, von Siegen-Süd in Nordrhein-Westfalen bis
Niederscheiderhütte in Rheinland-Pfalz nach Einschätzung der
Bundesregierung verwirklicht werden?
Ist Herr Wittlich anwesend? – Das ist der Fall.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
S
Sehr ge-
ehrter Herr Wittlich, man befindet sich zurzeit – es geht ja
um das gleiche Projekt – im Planfeststellungsverfahren.
Erst nach Vorliegen des Baurechts kann die Bundesregie-
rung nach Abstimmung mit den Auftragsverwaltungen
der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz
Aussagen zu einer Finanzierung der Maßnahme treffen.
Zusatz-
frage, Kollege Wittlich, bitte schön.
Herr Staatssekretär,
wann kann das Baurecht erlangt werden? Man hört vor
Ort die unterschiedlichsten Aussagen.
S
Auf-
grund der Tatsache, dass das ein Projekt ist, das vor Ort
– ich will nicht sagen: umstritten ist – beklagt wird, rech-
nen wir nicht damit, dass das Baurecht vor Ende des
Jahres 2003 erlangt wird.
Weitere
Zusatzfrage.
Wie wäre es dann,
wenn das Baurecht im Jahr 2003 erlangt wird, mit der
Finanzierung? Wäre die gesichert? Wird das eingeplant?
S
Das
wird eine Frage der Aufstellung der nächsten Verkehrs-
und Verkehrsfinanzierungsprogramme sein.
Vielen
Dank. – Eine Zusatzfrage vom Kollegen Breuer.
Herr Staatssekretär, halten
Sie es für möglich, dass im Vorfeld der Schritte, die Sie
eben beschrieben haben, Maßnahmen für den Gelände-
erwerb bzw. den Erwerb von Immobilien, die heute noch
auf der Trasse stehen, getroffen werden?
S
Prinzi-
piell ist so etwas möglich. Allerdings ist es ja bis zum
Ende des Jahres 2003 noch ein gewisser Zeitraum. Es ist
allgemein nicht üblich, dass solches Gelände bereits so
frühzeitig erworben wird. Außerdem ist das eine Frage der
Abstimmungsgespräche unseres Hauses mit den Landes-
auftragsverwaltungen. Ich glaube, dass darüber im ge-
genseitigen Interesse Einvernehmen erzielt werden kann,
zumal das Projekt indisponibel gestellt worden ist.
Die Fra-gen 12 und 13 der Kollegin Ostrowski sollen schriftlichbeantwortet werden.Ebenfalls sollen die beiden Fragen der Kollegin Ehlert– das sind die Fragen 14 und 15 – schriftlich beantwortetwerden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte24148
Dann kommen wir zur Frage 16 des AbgeordnetenHans Michelbach:Hält die Bundesregierung die Planungen zur ICE-Neu-baustreckenverbindung Nürnberg–Berlin mit Anbindung derRegion Oberfranken vor dem Hintergrund der Ablehnung durchdie SPD-Landtagsfraktion in Bayern – vergleiche „Coburger Ta-geblatt vom 3. Juni 2002“ – weiterhin aufrecht und, wenn ja, wannwird eine endgültige Finanzierungsvereinbarung mit der Deut-schen Bahn AG, DB AG, abgeschlossen?Herr Michelbach ist anwesend.Bitte schön, Herr Staatssekretär.S
Sehr ge-
ehrter Herr Michelbach, die Bundesregierung hat entschie-
den, die Realisierung der Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ Nr. 8.1 und Nr. 8.2 im Zuge der ICE-Verbindung
Nürnberg–Berlin fortzusetzen. Hierin eingeschlossen ist
die Anbindung der Region Oberfranken in Coburg.
Für den Abschnitt Nürnberg–Ebensfeld, der im Zusam-
menhang mit dem Ausbau der S-Bahn nach Forchheim
realisiert wird, befinden sich entsprechende Finanzie-
rungsvereinbarungen in Vorbereitung. Für den Abschnitt
Ebensfeld–Erfurt besteht bereits eine Finanzierungsver-
einbarung, die einem geänderten Bauablauf, der sich nach
Aussetzung des Weiterbaus im Sommer 1999 ergeben
hatte, angepasst wird. Die bereits bestehende Finanzie-
rungsvereinbarung aus dem Jahr 1999 für die Neu-
baustrecke Ebensfeld–Erfurt wird hinsichtlich der Kosten
und des geänderten Bauablaufs derzeit fortgeschrieben.
Zurzeit befindet sich die Finanzierungsvereinbarung für
den Neubauabschnitt Erfurt–Gröbers bei der DB AG in der
Vorbereitung. Für den Neubauabschnitt Gröbers–Leipzig,
der seit Oktober 1996 im Bau ist, besteht bereits eine Fi-
nanzierungsvereinbarung.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen hat der DB AG mitgeteilt, dass für vor-
dringliche Teilmaßnahmen des VDE 8.2 Anträge auf
Finanzierung von vorzeitigem Grunderwerb und von
unumgänglichen bauvorbereitenden Maßnahmen im Rah-
men der betreffenden Vereinbarung beim Eisenbahn-Bun-
desamt gestellt werden können.
Zusatz-
frage, Kollege Michelbach.
Herr Staatssekretär,
vielen Dank für die klare Antwort.
Meine Zusatzfrage lautet: Warum hat die SPD-Land-
tagsfraktion in Bayern bei dieser Klarheit zusätzliche Stu-
dien und zusätzliche Veränderungswünsche vorgetragen
und würde dies in Bezug auf Ihre Position, dass nämlich
die ICE-Neubaustrecke Nürnberg–Coburg–Berlin in die-
ser Form gebaut wird, Wirkung zeigen?
S
Herr
Michelbach, erstens ist es nicht unsere Aufgabe, hier über
die Motivation von Dritten zu spekulieren, und zweitens
hat die SPD-Landtagsfraktion in Bayern keine zusätz-
lichen Informationswünsche geäußert, sondern Informa-
tionen über den Hintergrund dieser Bauentscheidung er-
beten. Diese Informationen werden wir ihr – wie allen
anderen Fraktionen auch – selbstverständlich zur Verfü-
gung stellen.
Herr Staatssekretär,
sehen Sie durch diese neue Initiative der SPD-Landtags-
fraktion – es heißt darin, es solle alles neu geprüft werden –
neue Hemmnisse für die notwendige Ausbaumaßnahme,
die Sie hier doch bejaht haben?
Ist in Verbindung mit der A 73 in jedem Fall die Durch-
führung der Maßnahmen gewährleistet?
S
Herr
Michelbach, die Haltung der Bundesregierung zur Frage
der Realisierung der VDE Nr. 8.1 und 8.2 hatte ich Ihnen
in der Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage darge-
stellt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wir kom-
men zur Frage 17 des Kollegen Albrecht Feibel:
In welchem Umfang sind seit der Privatisierung der Bahn Zu-
Herr Staatssekretär, bitte.
S
HerrFeibel, die Deutsche Bahn AG hat in den Jahren 1998 bis2001 nachstehende Zuschüsse erhalten. – Ich habe jetztein Problem. Mir liegt eine Tabelle mit etwa 30 Zahlen vor– Sie haben umfangreiche Zahlenangaben gewünscht –,bei denen es sich jeweils um Millionenbeträge handelt.Ich kann sie Ihnen im Einzelnen vortragen, aber dann ha-ben Sie wahrscheinlich wenig davon. Ich kann sie Ihnenkursiv oder summarisch vortragen, aber ich kann sie Ih-nen auch schriftlich übergeben; dann könnten wir dieFrage auf dieser Grundlage weiter erörtern.Darüber hinaus möchte ich Ihnen noch mitteilen, dassder Bund Investitionsmittel für den Aus- und Neubau undfür Ersatzinvestitionen der Schienenwege der Eisenbah-nen des Bundes zur Verfügung stellt. Die Mittel erhält dieDB Netz AG sowohl für den Bereich Fahrweg als auch fürden Bereich Station und Service. Eine Aufgliederung überdie beiden Bereiche liegt der Bundesregierung nicht vor.Die Mittel zum Ausgleich des technisch-betrieblichenRückstands im Bereich der früheren Deutschen Reichs-bahn – dabei handelt es sich um nicht investive Altlas-ten – erhält das Unternehmen DB AG Holding. Auf diekonkrete Verwendung der Mittel nimmt der Bund keinen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms24149
Einfluss. Ich möchte noch die Zahlen für das zurücklie-gende Jahr 2001 nennen. In dem Jahr sind an investivenMitteln für zinslose Darlehen, für das Bundesschienenwe-geausbaugesetz, das Zukunftsinvestitionsprogramm, fürBaukostenzuschüsse, für das Programm für investive Alt-lasten nach dem Deutsche-Bahn-Gründungsgesetz und fürLärmsanierung insgesamt 7,6Milliarden ausgegeben wor-den. Wir haben im GVFG-Bundesprogramm und im Pro-gramm für den Hauptstadtvertrag weitere 251 Millionenzusätzlich ausgegeben. Wir haben für den Bedarf im Be-reich der Altlasten der Deutschen Reichsbahn, das heißtdem Material- und Personalaufwand, knapp 1,7Milliardenausgegeben. Das ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von9,518 Milliarden im vergangenen Jahr.
– Das sind alles D-Mark-Beträge, weil im Jahr 2001 nochin D-Mark gerechnet wurde. – Etwa auf demselben Ni-veau liegen auch die Ausgaben der Vorjahre.
Herr Kol-
lege Feibel, sind Sie damit einverstanden, dass Ihnen die
schriftliche Aufstellung der Zahlen übergeben und dass
sie gleichzeitig zu Protokoll gegeben wird?
Herr Präsident, ich bin
mit der Übergabe dieser Daten einverstanden.1) Darüber hi-
naus möchte ich, ohne die Liste zu kennen, noch zwei Zu-
satzfragen stellen. Sind in dieser Liste auch Rückflüsse
bzw. Beträge aufgeführt, die die Deutsche Bahn nicht in
Anspruch genommen hat, wie es im Jahr 2001 der Fall war?
S
Diese
Liste enthält nur Ist-Zahlen, das heißt nur tatsächlich an
die DB AG geflossene Beträge.
Das heißt, die geneh-
migten Beträge sind nicht aufgeführt?
S
Sie ent-
hält nicht die Soll-Zahlen, sondern die abgerufenen, ge-
flossenen und verbauten Mittel.
Meine zweite Zusatz-
frage lautet: Können Sie davon ausgehen, dass die der
Bahn zur Verfügung gestellten Mittel ausschließlich in In-
vestitionen des Netzbetriebs und nicht des Fahrbetriebs
geflossen sind?
S
Die
Liste enthält auch Beträge zur Finanzierung von nicht in-
vestiven Altlasten. Da dazu auch der Material- und Perso-
nalaufwand der Altlasten bei der Deutschen Reichsbahn
gehört, kann ich nicht davon ausgehen, dass das alles In-
vestitionen sind.
Zu einer
weiteren Frage erteile ich dem Kollegen Schmidt das
Wort.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Staatssekretär, können Sie in diesem
Zusammenhang bestätigen, dass die Bundesregierung
über die von Ihnen genannten Zahlen hinaus durch Son-
derzuwendungen für den Aufbau von Ingenieurkapazitä-
ten im Unternehmen Deutsche Bahn AG in Höhe von rund
460 Millionen DM sichergestellt hat, dass die im laufen-
den und im nächsten Haushaltsjahr vorgesehenen Haus-
haltsmittel, die nochmals Steigerungen gegenüber dem
Vorjahr enthalten, auch tatsächlich fristgemäß und sach-
gerecht verbaut werden können?
S
Herr Ab-
geordneter, davon kann man ausgehen. Das kann ich be-
stätigen.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwor-
tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Wolf-Michael Catenhusen zur Verfügung.
Frage 18 der Kollegin Maritta Böttcher:
Wären nach Auffassung der Bundesregierung Einschreibge-
bühren und Studiengebühren für so genannte Langzeitstudie-
rende, deren Einführung die Landesregierung in Nordrhein-West-
falen plant, im Falle eines In-Kraft-Tretens der vom Deutschen
Bundestag beschlossenen sechsten Novelle des Hochschulrah-
mengesetzes zulässig?
W
FrauKollegin Böttcher, auf Ihre Frage möchte ich Ihnen ant-worten: Mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzeswird die Einführung von Studiengebühren bis zum erstenberufsqualifizierenden Studienabschluss in allen Bundes-ländern grundsätzlich ausgeschlossen. Das Gesetz garan-tiert den Studienwilligen und ihren Familien damit, dassein Studium bis zum Bachelor bzw. bis zum konsekutivenMasterabschluss, bis zum Diplom, Magister oder bis zumStaatsexamen auch künftig studiengebührenfrei bleibt.Der Bund hat für den Hochschulbereich eine Rahmen-gesetzgebungskompetenz und muss den Ländern Spiel-räume für Ausnahmeregelungen einräumen. Grundsätz-lich lässt das vom Bundestag beschlossene Sechste Gesetzzur Änderung des Hochschulrahmengesetzes daher zu,dass das Landesrecht in besonderen Fällen Ausnahmenvon der Studiengebührenfreiheit vorsieht. Die Regelungunterstützt dabei insbesondere die Einführung neuernachfrageorientierter Studienfinanzierungsmodelle wie
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg24150
1) Anlage 2Studienkonten und Bildungsgutscheine. Das Landesrechtregelt, welchen Umfang das Studienkonto bzw. dieBildungsgutscheine für ein gebührenfreies Studium habenund wann die Regelstudienzeit als deutlich überschrittengilt und damit Studiengebühren erhoben werden können.Hierbei sind differenzierte Regelungen möglich und sinn-voll, etwa zur Berücksichtigung von Gremientätigkeiten,Kindererziehungszeiten und Auslandsstudienzeiten sowiezur Ermöglichung eines Teilzeitstudiums.Erst die konkrete Ausgestaltung der Gebührenregelungim Landeshochschulrecht lässt demnach die Überprüfungzu, ob es sich noch um eine rahmenrechtlich zulässigeAusnahmebestimmung handelt, die der im Hochschulrah-mengesetz neu verankerten Studiengebührenfreiheit ent-spricht.
Zusatz-
frage, Kollegin Böttcher?
Ja. – Herr Staatssekretär, ich
möchte zusätzlich nachfragen, wie die Bundesregierung
politisch den Sachverhalt beurteilt, dass das bevölke-
rungsreichste Bundesland, in dem rund ein Drittel aller
Studentinnen und Studenten bundesweit studieren, die
Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums infrage stellt,
und zwar nur wenige Wochen nach der Verabschiedung
eines Studiengebührenverbots für das Erststudium durch
den Deutschen Bundestag.
W
Da-
rauf möchte ich Folgendes antworten: Bei dieser Dis-
kussion muss man berücksichtigen, dass durch noch so
strikte Regelungen im Hochschulrahmengesetz die Er-
hebung von Verwaltungsgebühren durch ein Bundesland
nicht generell ausgeschlossen werden kann. Meine Mi-
nisterin, Frau Bulmahn, hat ja in den letzten Tagen deut-
lich gemacht, dass wir über die Pläne von Nordrhein-
Westfalen nicht glücklich sind. Bei Entscheidungen auf
Landesebene muss auch in die Überlegungen einbezo-
gen werden, ob damit das Signal verbunden sein könnte,
dass neue Hürden für den Studienzugang – vielleicht
nicht so sehr geldmäßige, sondern eher bewusst-
seinsmäßige – aufgebaut werden. Ich denke, die Lan-
desregierungen sind gut beraten, dieses auch dann in ihre
Abwägungen einzubeziehen, wenn sie vor großen finan-
ziellen Problemen, was die Konsolidierung des eigenen
Haushaltes angeht, stehen.
Noch eine
weitere Frage, Frau Böttcher?
Ja. – Kann ich also davon
ausgehen, dass die Bundesregierung die studentische Kri-
tik teilt, dass es mit der sechsten Novelle des Hochschul-
rahmengesetzes bisher weder rechtlich noch politisch ge-
lungen ist, die anhaltende Debatte um die Einführung von
Studiengebühren zu beenden?
W
Die
sechste Novelle schreibt den Konsens, den die Wissen-
schaftsminister aller Bundesländer in Meiningen im letz-
ten Jahr gefunden hatten, rechtlich fest und schränkt da-
mit den Spielraum auch landesgesetzlicher Regelungen
im Kontext des Hochschulrahmengesetzes ein. Ich mache
aber noch einmal deutlich, dass jedes Hochschulrahmen-
gesetz auf diesem Gebiet nur eine Rahmengesetzgebung
darstellt und Handlungsspielräume für die Länder nicht,
wie manche glauben, völlig ausschließen kann.
Damit
kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Böttcher:
Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, das vom Deut-
schen Bundestag in der sechsten Novelle des Hochschulrahmen-
gesetzes beschlossene Studiengebührenverbot dahin gehend
nachzubessern, dass zumindest für das gesamte Erststudium aus-
nahmslos Studiengebühren ausgeschlossen werden?
W
Ich ant-
worte auf diese Frage mit Nein.
Das war
es? – Gut. Dann kommen wir zur Frage 20 des Kollegen
Dr. Heinrich Fink:
Wäre nach Auffassung der Bundesregierung die Realisierung
des im Rahmen einer durch Pressemeldungen bekannt geworde-
nen Kooperationsvereinbarung zwischen der Technischen Uni-
versität München und dem Centrum für Hochschulentwicklung
entwickelten Modells zur Einführung von Studienge-
bühren ab dem ersten Semester im Falle eines In-Kraft-Tretens der
vom Deutschen Bundestag beschlossenen sechsten Novelle des
Hochschulrahmengesetzes zulässig?
W
Herr
Kollege Fink, auf Frage 20 möchte ich zunächst mit der
Feststellung Nein antworten. Das vom CHE und der
Hochschulrektorenkonferenz gemeinsam veröffentliche
Eckpunktepapier „Studiengebühren als Optionen für au-
tonome Hochschulen“ stellt von seinem Ansatz her einen
Gegenentwurf zur Gebührenfreiheit für ein erstes berufs-
qualifizierendes Studium dar, die die Bundesregierung
mit dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen sechs-
ten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes
verbindlich festschreiben will.
Der mit dem Modell verfolgten Absicht, in Koopera-
tion mit einzelnen Hochschulen Möglichkeiten auszulo-
ten, um den Hochschulen die autonome Entscheidung zur
generellen Erhebung von Studiengebühren ab dem ersten
Semester zu überlassen, wird hinsichtlich der staatlichen
Hochschulen mit In-Kraft-Treten des sechsten HRG-Än-
derungsgesetzes der Boden entzogen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Fink.
Wie wird die Bundesregie-rung darauf reagieren, wenn es trotzdem dazu kommt?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen24151
W
Da-
rüber müsste zunächst die zuständige Landesregierung
entscheiden. Dass sie diese Regelung als problematisch
ansieht, kann man auch den öffentlichen Äußerungen des
zuständigen Ressortministers des Freistaates Bayern un-
schwer entnehmen.
Eine wei-
tere Zusatzfrage des Abgeordneten Fink.
Gesetzt den Fall, der Freistaat
Bayern stimmt dem zu: Wird die Bundesregierung dem
Freistaat Bayern zustimmen oder wird sie dem Freistaat
Bayern zumindest ihre Missbilligung zu verstehen geben?
W
Diese
Bundesregierung setzt sich in der Regel nicht mit hypo-
thetischen Fällen auseinander. Herr Kollege Fink, was die
rechtliche Bewertung, dass eine solche Regelung nicht
mit der vom Bundestag beschlossenen sechsten Novelle
des Hochschulrahmengesetzes vereinbar ist, angeht: Die-
ser Bewertung habe ich nichts hinzuzufügen.
Wir kom-
men zur Frage 21 des Kollegen Dr. Fink:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche weiteren Hoch-
schulen das im Oktober 2001 vom CHE unterbreitete Kooperati-
onsangebot „Studiengebühren als Optionen für autonome Hoch-
schulen“ angenommen und Kooperationsvereinbarungen zur
Entwicklung von Modellen zur Einführung von Studiengebühren
abgeschlossen haben?
W
Ich
kann auf die Frage, ob uns bekannt ist, dass weitere Hoch-
schulen dieses Kooperationsangebot angenommen haben,
nur antworten: Uns ist diesbezüglich nichts bekannt.
Herr Kol-
lege Fink, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?
Nein.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Alle übrigen Fragen zu diesem Geschäftsbereich – es
handelt sich um die Fragen 22 bis 25 – werden schriftlich
beantwortet. Das Gleiche gilt für die Fragen des Ge-
schäftsbereichs des Auswärtigen Amtes – es handelt sich
um die Fragen 26 bis 29 – und des Bundesministeriums
des Innern; es handelt sich um die Fragen 30 bis 32.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen, zur Frage 33. – Ich stelle fest, dass
der Kollege Michelbach nicht mehr anwesend ist. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Dr. Kolb sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Die von der CDU/CSU beantragte Aktuelle Stunde soll
um 15.30 Uhr beginnen. Ich unterbreche die Sitzung bis
zu diesem Zeitpunkt.
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Die CDU/CSU-Fraktion hat zu den Antworten der
Bundesregierung auf die dringlichen Fragen 1 bis 4 eine
Aktuelle Stunde verlangt.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zum Nitrofen-
Skandal
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Kollege
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr das Wort.
Herr Prä-sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was mirund auch vielen anderen im Zusammenhang mit demNitrofen-Skandal missfällt, ist die Tatsache, dass man soaußerordentlich viel Zeit zur Aufarbeitung dieses Skan-dals benötigt.
Wenn sich unsere Feuerwehren beim Löschen von Brän-den genauso viel Zeit lassen würden, wie man in Deutsch-land für die Aufarbeitung von Lebensmittelskandalenbraucht, dann wären Teile von Deutschland schon abge-brannt. Es muss einfach schneller gehandelt werden.Der Herr Staatssekretär hat in der Fragestunde betont,es sei alles dokumentiert. Darauf kann ich nur erwidern,dass man dann nur in die Dokumente hineinschauenmüsste, um zu erfahren, wohin das mit Nitrofen ver-seuchte Getreide gelangt ist.
– Der Staatssekretär hat hier davon gesprochen, dass einelückenlose Dokumentation vorliegt. Man müsste also inder Lage sein, schneller zu handeln. Das gilt allerdingsnicht nur für das Bundesverbraucherschutzministerium,sondern auch für einige Landwirtschaftsministerien derLänder.
Es darf nicht so lange dauern, wie das hier der Fall gewe-sen ist.
Herr Staatssekretär, die CDU/CSU-Fraktion stimmtmit Ihnen darin überein, dass es skandalös ist, wenn Fir-men, die Erkenntnisse über Nitrofen-Belastungen haben,diese den Behörden nicht melden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 200224152
Es ist schlimm, dass Firmen weiter Getreide ausgelieferthaben, obwohl sie von Nitrofen-Belastungen in diesemGetreide wussten. Aber es ist genauso schlimm, wenn auchÖkoverbände keine Meldungen über derartige Belas-tungen machen. Dieser Punkt geht nach meiner Ansicht inder Diskussion unter. All das muss als skandalös bezeich-net werden.Wie sieht es mit der Bundesanstalt für Fleischforschungin Kulmbach aus? Sie hat schon im Januar von den Nitro-fen-Belastungen erfahren. Sie musste aber erst einmal Vor-kehrungen treffen, um genaue Messungen zum Nachweisvon Nitrofen durchführen zu können. Experten sagenheute, dass es schneller möglich gewesen wäre und dassdas nicht unbedingt zwei Monate hätte dauern müssen.Im März kam Putenfleisch auf den Markt, das in einemhohen Maße mit Nitrofen belastet war, aber auch daswurde nicht gemeldet.Nun sagt mir die Bundesanstalt für Fleischforschung inKulmbach – ich halte es für blödsinnig, dass man sich soherausredet –, der Grund sei, dass die Erlasslage desMinisteriums das nicht hergegeben habe. Sie haben am6. Juni, also in diesem Monat, den Erlass vom Januar kor-rigieren müssen.
– So hat mir das die Bundesanstalt für Fleischforschungin Kulmbach berichtet. Man hat den Erlass, den man imJanuar herausgegeben hat, korrigieren müssen. Dazukann ich nur fragen, Herr Staatssekretär: Wie viele Le-bensmittelkrisen müssen in Deutschland eigentlich statt-finden, bevor wir zu einer wirklichen Erneuerung des Ver-braucherschutzes kommen?
Wir haben in diesem Hause – da widerspreche ich dem,was Ulrike Höfken immer sagt – viele Beschlüsse zurAufarbeitung der BSE-Krise gemeinsam gefasst. Wir ha-ben gemeinsam Konsequenzen aus der Krise gezogen. Ichglaube auch, dass ich mich als Oppositionspolitiker hiermit der entsprechenden Sorgfalt eingelassen habe.Aber das Schlimme ist: Jetzt, anderthalb Jahre nach derBSE-Krise, sagt Frau Künast, an und für sich sei alles beimAlten geblieben. Im Grunde genommen hat sie also in denanderthalb Jahren nach dem Ausbruch der BSE-Krisenichts zur Erneuerung des Verbraucherschutzes getan.
Das ist das Problem.Wir hatten im vergangenen Winter einen Fischmehl-skandal. Ich dachte, dass zumindest daraus Konsequen-zen gezogen worden sind. Aber es sind wieder keine Kon-sequenzen gezogen worden. Im Grunde genommen ist dasdem Ministerium vorzuhalten.Ich fordere Sie im Namen meiner Fraktion jetzt wirk-lich auf, die entsprechenden Schritte für einen ganz kon-sequenten Verbraucherschutz einzuleiten. Sonst sind Sieals Parlamentarischer Staatssekretär Ihr Geld und ist dieMinisterin ihr Ministergehalt nicht wert.
Als nächs-
ter Redner hat die Kollegin Jella Teuchner von der SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Sowohl die Union als auch die FDP habenheute an die Bundesregierung viele dringliche Fragenzum Thema Nitrofen in Futtermitteln gestellt. Im Mittel-punkt ihrer Fragen steht einmal mehr die Aufklärungsar-beit des Bundesministeriums für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft und nicht die Verantwor-tung der Futtermittelhersteller und der Wirtschaft.Die Antworten auf die meisten Fragen wurden gesternvon der EU-Kommission gegeben: Es wird keine Aus-fuhrbeschränkungen für deutsche Bioprodukte geben undüber die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnah-men hinaus sind keine Sofortmaßnahmen erforderlich.Die Veterinärexperten der EU-Staaten zeigten sichzufrieden mit der Schadensanalyse der deutschenBehörden und den bisher getroffenen Maßnahmen.So schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ heute. Das Pro-blem, so die Kommission, liege in der föderalen Organi-sation, die für Probleme bei Kontrollen immer wieder ver-antwortlich sei.Die Europäische Kommission bestätigt damit, was wirschon letzte Woche hier gesagt haben: Renate Künast hatschnell und richtig gehandelt. Die Kommission bestätigtdamit auch, dass es wichtig ist, die Koordination zwi-schen dem Bund und den Ländern zu verbessern. Sie wis-sen, dass wir hier ebenfalls erste Maßnahmen ergriffenhaben. Sie wissen aber auch, dass wir dabei ohne die Mit-wirkung der Länder keine Fortschritte machen können.
Mit Ihren Fragen haben Sie wieder einmal versucht,dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernäh-rung und Landwirtschaft die Schuld an dem Nitrofen-Skandal in die Schuhe zu schieben.
Ich finde das mittlerweile unerträglich, weil Sie in IhrerRhetorik den großen Verbraucherschützer mimen, inIhrem Handeln aber weiterhin die Täter schützen.
Haben Sie eigentlich gemerkt, dass am letzten Don-nerstag sechs Redner von der Union und der FDP und33 Seiten des Plenarprotokolls erforderlich waren, bis vonIhnen zum ersten Mal darauf hingewiesen wurde, dass
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 241. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Juni 2002
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr24153
Futtermittelhändler und Lebensmittelhersteller eine gra-vierende Verantwortung tragen?
Es bleibt festzuhalten: Es war das Bundesministeriumfür Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft,das die Nitrofen-Funde öffentlich gemacht und die Auf-klärung vorangetrieben hat.
Wenn Sie nun versuchen, Renate Künast daraus einenStrick zu drehen, dann verhindern Sie die Aufklärung. Sieschützen nicht die Verbraucher, sondern die Täter.
Herr Kol-
lege Küster, könnten Sie bitte etwas maßvoller sein.
– Das Wort hat die Kollegin und nicht Sie, Herr Küster!
Ich meine aber auch, dass wir
in diesem Zusammenhang nicht von „Blasenkopf“ spre-
chen sollten.
Wir werden Ihnen Ihre durchsichtigen Wahlkampf-
manöver – denn mehr ist es nicht – nicht durchgehen las-
sen. Mit Ihrem Vorgehen werden Sie auch in der Öffent-
lichkeit nicht punkten können.
Ihr Spiel ist voll und ganz durchschaut. Ich bin der Mei-
nung, Sie sollten darauf aufpassen, dass Ihnen die Öffent-
lichkeit für Ihr Verhalten und Ihre Vorgehensweise nicht
die rote Karte zeigt.
Das Wort
hat der Kollege Ulrich Heinrich von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Letzten Donnerstag habe ichFrau Ministerin Künast vorgeworfen, sie betreibe einechaotische Informationspolitik. Offensichtlich war dieEuropäische Kommission der gleichen Meinung.
Anscheinend war die Angelegenheit so gravierend, dasswir kurz davor standen, dass ein generelles Verbot desExports von Bionahrungsmitteln aus der BundesrepublikDeutschland verhängt wird. Wenn das nicht Zeugnis ge-nug für die Dramatik und Ernsthaftigkeit ist, in der wirhier verhandeln, dann weiß ich nicht, was alles noch pas-sieren muss, damit das klar wird.Herr Staatssekretär Berninger, Sie geben sich vielMühe; das gebe ich zu. Aber trotz allem sind wir in derSondersitzung des Ausschusses vom 30. Mai 2002 belo-gen worden – nicht von Ihnen, Herr Staatssekretär –, alsich gefragt hatte, wie die Informationen an die Behördenweitergegeben worden sind. Uns wurde gesagt, dass alleBehörden am 23. Januar benachrichtigt worden seien undweiterhin alle Unregelmäßigkeiten sofort gemeldet wer-den müssten. Jetzt stellen wir fest, dass diese Informatio-nen nicht weitergegeben worden sind und dass nicht dasgeschehen ist, was wir erwarten, nämlich dass unverzüg-lich informiert wird.Ich bin in meinen schlimmsten Befürchtungen bestätigtworden. Denn wir mussten leider Gottes erleben, dass dieDinge erst durch das Tätigwerden der Kommission unddas Zusammentreffen der Vertreter von Bund und Ländernim Rahmen der Sondersitzung des vergangenen Sonntagseinigermaßen zurechtgerückt werden konnten. Ich stelleganz deutlich fest: Die Koordination zwischen Bund undLändern stimmt nicht und hat mit einem vorsorgendenVerbraucherschutz überhaupt nichts zu tun.
Bei den verseuchten Shrimps bestand das gleiche Pro-blem:
Wenn etwas passiert,
dann wird immer gesagt: Wir sind die Starken und klärenMillimeter für Millimeter auf. – Sie blasen sich auf undwir stellen bei der nächsten Problemstellung fest, dassman dem Thema wieder hinterherläuft und die Dingenicht vorsorgend im Griff hat.Ich sage Ihnen eines: Das nächste Thema wird kom-men; es werden die Nitrofurane sein. Ich warne Sie heuteerneut davor, dieses Thema zu leicht zu nehmen.Sie sind von dem Zentralverband der Deutschen Ge-flügelwirtschaft entsprechend unterrichtet worden. In Ih-rer Antwort darauf haben Sie gesagt, Sie meldeten dieVorfälle an die Kommission und hätten dann zwei Wo-chen Zeit, um selber zu handeln. Vergangene Woche istdie Zweiwochenfrist abgelaufen, Herr StaatssekretärBerninger. Wo sind Ihre Handlungen? Haben Sie unsheute etwas darüber zu sagen, was in Zukunft bei Impor-ten von Geflügelfleisch zum Beispiel aus Brasilien, Thai-land und China geschieht? Es gibt Befürchtungen, dass esim vorsorgenden Verbraucherschutz Mängel gibt. Man
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Jella Teuchner24154
kann es sich nicht so einfach machen, immer wieder zu sa-gen, dass man aufkläre, die eigentlichen Probleme, diesich stellen, aber beiseite schiebt.Ich möchte einmal deutlich auf das hinweisen, wasPrinz Charles heute in Deutschland gesagt hat.
– Ja, bei ihm war Frau Künast. Die FAO war ihr nicht ganzso wichtig. Ich habe am Donnerstag schon nach einemPrinzen für die Frau Ministerin gerufen. Offensichtlich ister heute gekommen; ich freue mich für sie.Was er gesagt hat, ist richtig: Man darf aufgrund einesSkandals nicht eine ganze Branche niedermachen. Hättesie sich doch nur daran gehalten!
Dieses Vorgehen ist doch typisch. Wie war es denn beiBSE? Was hat nicht alles diese Diskussion in den letztenanderthalb Jahren beherrscht! Man hat immer einenSchuldigen gehabt
und ihn als Sündenbock hingestellt. Übrig geblieben istnichts davon.
Auf der Basis dieser Ideologie, in die Sie sich hineinge-steigert haben, werden Sie mit Ihrer Politik scheitern.Ich bedanke mich.
Herr Kol-
lege Carstensen, Sie haben, wie ich es eben bestätigt ge-
funden habe, den Kollegen Küster als Blasenkopf be-
zeichnet. Das ist kein parlamentarischer Sprachgebrauch.
Ich bitte Sie, dies in Zukunft zu unterlassen.
– Sie haben nicht das Recht, dazu Stellung zu nehmen.
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Ulrike
Höfken.
HerrCarstensen hat mit sich selber gesprochen, sagt er gerade.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Heinrich,ich finde, Sie müssen sich entschuldigen; denn Sie ver-wechseln den ersten Erlass der Ministerin vom Januar, indem sie festgelegt hat, dass Vorkommnisse im Hinblickauf die Lebensmittelsicherheit an das Bundesministeriumzu melden sind, mit dem zweiten Erlass, in dem diese Mel-depflicht auf privatrechtliche Verträge ausgedehnt wird.Insofern ist Ihnen absolut nichts Falsches erzählt worden.Sie sind mitnichten belogen worden.
Ich möchte mich bei der Bundesministerin RenateKünast, bei den Staatssekretären, insbesondere denStaatssekretären Müller und Berninger, und allen Mitar-beitern des Ministeriums für die rasche und energischeAufklärungsarbeit bedanken.
Wir sind nicht die Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis derUntersuchung ist, dass es sich in zwei Fällen, bei den Be-trieben NSP und GS agri, um Fahrlässigkeit und Krimi-nalität handelt und alle Spuren in diese Halle nachMalchin führen. Es ist aber doch schwer zu verstehen,dass diese Untersuchungsergebnisse nun ständig ange-zweifelt werden. Sie sollten jedenfalls nicht instrumenta-lisiert werden – das weisen Sie von sich; ich hoffe, dasstimmt – gegen die Betriebe des ökologischen Landbaus,die überhaupt nichts dazu können, übrigens ebenso wiedie Betriebe des konventionellen Landbaus.
Wir wollen den Verbraucherschutz verbessern und dashaben die Ministerin Renate Künast und die Koalition mitgroßen Anstrengungen getan. Besonders nach der Über-nahme des Verbraucherschutzministeriums wurde eineganze Reihe von Verordnungen und Gesetzen erlassen.Ich möchte daran erinnern, dass heute zeitgleich der Ver-mittlungsausschuss zum Verbraucherinformationsgesetztagt. Da zeigt sich doch die ganze Heuchelei der Oppo-sition, gerade die der FDP.
Diese so genannte Freiheitspartei verweigert den Ver-brauchern und der Öffentlichkeit die Informationsan-sprüche. Das muss man sich auf der Zunge zergehen las-sen.
Das ist das schlechte Gewissen derjenigen, die sich auf dieSeite derer stellen, die die Verschwiegenheit tatsächlichbefürworten, und nicht auf der Seite derer sind, die nichtszu befürchten haben.
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Ulrich Heinrich24155
Wir haben bei der Vorbesprechung im Bundesrat in derletzten Woche überhaupt keinen eigenständigen Vor-schlag der Unionsfraktion und der FDP zu hören bekom-men.
Es ist ganz klar: Man will die Informationsansprüche ver-hindern und begründet das damit, dass dadurch Krimina-lität nicht zu verhindern sei. Das wissen auch wir. Aberalle diese Maßnahmen, alle Verordnungen zum Verbrau-cherschutz tragen dazu bei, dass das Netz des Verbrau-cherschutzes immer engmaschiger wird und es zu mehrFortschritt in Sachen Verbraucherschutz kommt. Das trägtauch zum Schutz der seriösen Unternehmen und Betriebebei, die jetzt durch den Nitrofen-Skandal in Mithaftunggenommen werden.Durch das Verbraucherinformationsgesetz könnenRoss und Reiter genannt werden und die Behörden erhal-ten die Möglichkeit aufzuklären. Das gilt auch für dieTäuschungsfälle, so zum Beispiel
bei als „rindfleischfrei“ deklarierten Würstchen, beimberühmten Wasser im Schinken oder bei der unterlasse-nen Information – hier geht es um vorsorgenden Verbrau-cherschutz – im Bereich der Babynahrung. Sie versuchen,eine Situation aufrechtzuerhalten, in der es Informationennur auf der Grundlage des Polizeirechts gibt. Sie wissenganz genau, wie defizitär dieses Recht in diesem Bereichist. Wir wollen die Informationsmöglichkeiten jedoch aufein hohes Niveau bringen.
Ihr Verhalten entlarvt Sie endgültig als Parteien, die mitdem Verbraucherschutz nichts zu tun haben wollen, wennes ernst wird.
Wir haben – ich komme noch einmal auf die Vielzahlder beschlossenen Gesetze und Maßnahmen aus der letz-ten Zeit zurück – verbesserte Kontrollen im Futtermittel-gesetz festgelegt. Daneben ist ein Futtermittelkontroll-plan aufgelegt worden. Ziel sind bundeseinheitlicheRegelungen, ein Sachkundenachweis für die Futtermittel-kontrolle. Es gibt verbesserte Kontrollen im Ökolandbau,die Ökokontrollstellen haben strengere Meldepflichtenauferlegt bekommen. Stille Rückrufaktionen sollen nichtmehr möglich sein. Das ist, Frau Widman-Mauz, wie Sieanmerken werden, ein Gesetz, zu dem auch Sie einen Vor-schlag gemacht haben. Sie haben ihn allerdings zu einemZeitpunkt gemacht, als das schon längst im Gesetz veran-kert war, das heißt zu spät.
Außerdem müssen Bundesbehörden – das habe ich be-reits angesprochen – in Zukunft auch bei Privataufträgenihre Informationen an die zuständigen Behörden weiter-geben.
Frau Kol-
legin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir
haben das Tierarzneimittelneuordnungsgesetz tatsächlich
noch verabschiedet und damit zum verbesserten Verbrau-
cherschutz in diesem Bereich beigetragen.
Frau Kol-
legin, Ihre Redezeit ist längst zu Ende.
Ich
erwarte, dass Sie uns bei diesen Maßnahmen in Zukunft
unterstützen.
Danke schön.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter
von der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Dieser Futtermittelskandalbestätigt wieder einmal: Die Kontroll- und Schutzmecha-nismen, die die Versorgung der Bevölkerung mit gesun-den Nahrungsmitteln und der Tierbestände mit schad-stofffreien Futtermitteln gewährleisten sollen, sindoffensichtlich unzureichend. Das ist auch in Bayern so,liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU. Dortsind nach der „Süddeutschen Zeitung“ von heute 45 Bio-bauern betroffen. Da Sie immer von Selbstverpflichtungund Selbstkontrolle der Wirtschaft reden, kann ich Ihnennur sagen: Diese Mittel sind ungeeignet; sie haben ver-sagt, ausreichende Sicherheiten zu bieten. Wir solltendiese Instrumentarien endlich aus dem Verkehr ziehen.
Inzwischen hat sich bestätigt, dass auf Ökohöfen so-wohl Schweine- als auch Geflügelfleisch nitrofenbelastetist. Entgegen ersten Äußerungen sind doch belasteteFleisch- und Wurstwaren in den Handel gelangt.Schweine hatten auf einem Hof bereits seit dem 10. MaiFutter bekommen, dessen Nitrofen-Belastung inzwischensicher ist. Ursprünglich und spontan waren die Bauernvon einer Fütterung von nur einer Woche ausgegangen.Das war eine Fehleinschätzung. Der Hof hatte sich zu si-cher gefühlt, weil das Futtergetreide, das er bezogen hatte,nicht in dem betroffenen Lager in Malchin gelagert wor-den war.Damit ist klar, dass die sehr verzweigten Handelskanälebei einem Skandal nicht schnell genug rückverfolgt werdenkönnen. Das muss auch Ihnen zu denken geben; hier muss
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Ulrike Höfken24156
etwas getan werden. In diesem Fall ist sogar ein Demeter-Hof betroffen, dessen Wirtschaftsgrundlage eigene be-triebsinterne Kreisläufe sind, die Zukäufe von außen mitAusnahme witterungsbedingt schlechter eigener Ernte nichtzulassen. Damit können sogar Ökohöfe mit den strengstenAuflagen ihrer Verbände in solche Skandale geraten.Für die Ökobranche müssen daraus folgende Konse-quenzen gezogen werden: Regionale Strukturen müssengestärkt werden, um die Anonymität der Handelswege zuüberwinden. Die lasche Ökoverordnung auf EU-Ebenemuss novelliert werden. Ökoanbauverbänden, aber auchkonventionellen Anbietern darf nur noch zertifiziertesFutter zur Verfügung gestellt werden.Die Adressaten sind also nicht nur die Ökobauern. DerFall diskreditiert nicht die Ökobranche, sondern er bestätigtsie in ihrer Ausrichtung auf geschlossene Betriebsorganis-men, in denen Futterzukäufe, aber auch Pflanzenschutz-und Düngemittelzukäufe von außen nur in Ausnahmefällenvorgesehen sind. Wenn sich eine gefährliche Abweichungfür Umwelt und Gesundheit zeigt, kann diese in solchenFällen schneller lokalisiert und minimiert werden.Die Achillesferse ist bei Nitrofen gerade nicht die Phi-losophie der Ökobauern, sondern deren Verbindung zumoffenen konventionellen Handelssystem. Da Ökohöfenicht auf einer Insel leben, wird es solche Verbindungenaber auch weiterhin geben. Einmal mehr bestätigt sichalso, dass die konventionelle Landwirtschaft mit ihrenZulieferern und Händlern sowie die entsprechenden Kon-trollen Schwerpunkt einer ökologischen Agrarwende seinmüssen. Das sind wir den Verbraucherinnen und Verbrau-chern aufgrund dieses Skandals wirklich schuldig.
Konkret ist notwendig, bundeseinheitliche Regelungenzu schaffen, die das mit Futtermittel handelnde Unterneh-men verpflichten, jede gehandelte Futtermittelcharge miteiner Garantieerklärung zu versehen.
Für die Landwirte muss daraus nicht nur die Herkunft desFuttermittels bzw. der Zusatzstoffe und die Korrektheitder Rezeptur hervorgehen, sondern vor allem eine Versi-cherung, dass das betreffende Futtermittel frei von einerKontaminierung mit Schadstoffen ist. Hier sind jetzt dieLandesregierungen gefordert. Unternehmen bzw. Han-delsfirmen, die eine solche Garantieerklärung abgeben,sind den Landwirten und der Öffentlichkeit in einer Listezugänglich zu machen; denn nach Änderung der Gewähr-leistungshaftung in der Bundesrepublik Deutschland ver-langt auch die Landwirtschaft als Verbraucher bzw.Nutzer von Futtermitteln eine Positivliste von den Futter-mittelherstellern und vom Futtermittelhandel.Lieber Kollege Deß, Sie haben sich in der Fragestundezur Chemikalienpolitik der DDR geäußert. In der Bun-desrepublik werden jährlich rund 1 000 Tonnen Nitrofenhergestellt. Die Herstellerfirma behauptet, es sei nur einZwischenprodukt. Mich interessiert – das muss gegebe-nenfalls noch recherchiert werden –, ob dies stimmt undob die Betriebswege überprüft worden sind.Zum Schluss noch eine Anmerkung zu Ihren Äußerun-gen in der Fragestunde, meine Kolleginnen und Kollegenvon der CDU/CSU: Der Landwirtschaftsminister ausBayern, Herr Miller – Sie kennen ihn sicherlich besser alsich –, hat gestern beantragt, dass nitrofenverseuchtes Bio-fleisch, dessen Kontamination unterhalb der Grenzwerteliegt, als konventionelles Produkt verkauft werden darf.Dem wurde Einhalt geboten. Aber wie ernst Sie es mitdieser Problematik nehmen, sieht man bei solchen Äuße-rungen aus Bayern immer wieder.
Als nächste
Rednerin hat die Kollegin Christel Deichmann von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ein Stückweit Verständnis dafür, dass die Opposition versucht, aussolch einer Situation Honig zu saugen. Ich denke aber, dasInteresse an der Sache, die wir gemeinsam verfolgen soll-ten, sollte Vorrang vor dieser Profilierungssucht haben.Das, was Sie von CDU/CSU und FDP zu dem Thema ge-boten haben, ist fernab von Gut und Böse.
Ich will es ganz deutlich sagen: Der Berufsstand ist derLeidtragende in dieser Situation.
Die Versäumnisse, die im Umfeld passiert sind, müssendeutlich herausgestellt werden und dann gilt es, ihnenEinhalt zu gebieten. Ich kann mich nur dem anschließen,was Frau Höfken gesagt hat: Die Bundesregierung hat in-tensiv und zügig aufgeklärt. Ich schließe hier auch dieLandesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ein.
Obwohl wir schon eine ganze Menge zusammengetragenhaben, was uns erheblich weiter bringt, sind wir allerdingsnoch nicht am Ende des Erkenntnisstandes.In diesem Fall ist besonders schwierig, dass die Unter-nehmen und auch die Verbände schon seit Wochen vonder Verunreinigung wussten, sie aber den Behörden nichtgemeldet haben. Sie haben die Futtermittel weiter ver-kauft und in die Nahrungskette einfließen lassen, sogar inNahrungsmittel für Kinder.
Eine stille Rückrufaktion der Produkte wurde veranlasst.
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Eva Bulling-Schröter24157
Das ist im Moment nicht zu verurteilen, aber es hilft in derSache überhaupt nicht weiter. Das Vertrauen der Verbrau-cher wurde schändlich untergraben, und der Schaden istnicht wieder gutzumachen. Da beziehe ich auch denRaiffeisenverband mit ein. Hier wird wieder Raffgier überFairness und die Verbraucherinteressen gestellt. Wir ha-ben das hier deutlich zu machen und in dieser Richtungfür unsere Bürgerinnen und Bürger hier zu arbeiten.Der Nitrofen-Skandal hätte erheblich eingegrenzt wer-den können, wären die Informationen schneller geflossen.
– Ich habe es eben deutlich gesagt: Es geht um die Ver-bände, es geht auch um die entsprechenden Unternehmen,die mit diesem Produkt gehandelt haben.
Hier können wir Lücken schließen – die Bundesregierunghat entsprechende Regelungen auch schon auf den Weggebracht –, aber gegen Schlamperei und Kriminalität, diein diesem Skandal ganz deutlich geworden sind, helfeneben auch keine Gesetze. Da hilft nur, die Dinge öffent-lich zu benennen.Wir brauchen ein Schnellwarnsystem. Warum meldendie Prüfeinrichtungen nicht Befunde, die weit über dengesetzlich zulässigen Grenzen liegen? Das wäre ersteBürgerpflicht; dafür muss man nicht erst ein Gesetz schaf-fen. Wir brauchen einfach eine stärkere Ausrichtung hinzur gläsernen Produktion. In dem Zusammenhang sageich aber gleichzeitig deutlich: Das bringt weitere Kostenmit sich. Wir müssen uns dann auch darüber unterhalten,wer die Kosten für die zusätzlichen Zertifizierungen undPrüfungen trägt. Das gehört einfach mit zur Debatte.Es hilft nicht, wenn wir hier Schuldzuweisungen hinund her schieben. Wir müssen vielmehr gemeinsam dafürsorgen, dass unsere Verbraucher auch wirklich das be-kommen, was auf dem Etikett steht. Da fordere ich Sie zuraktiven Mitarbeit auf.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Albert Deß von der CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident! Werte Kol-leginnen und Kollegen! Eines stelle ich vorneweg fest:Leidtragende des Nitrofen-Skandals sind bis jetzt vor al-lem die betroffenen Ökolandwirte, die im guten GlaubenFutter eingekauft haben und der Meinung waren, das Ge-treide sei in Ordnung. Leidtragende sind aber auch dieVerbraucher, die durch diesen Nitrofen-Skandal wiedereinmal verunsichert wurden. Leidtragende sind auch diegesamte Landwirtschaft und die gesamte Agrarbranche,die – durch wen auch immer verursacht – wieder in der öf-fentlichen Diskussion stehen.
Im „Spiegel“ vom 10. Juni 2002 heißt es:Künasts Kapriolen,Renate Künast hat sich ihre erste große Panne alsVerbraucherschutzministerin geleistet: Die Entwar-nung im Nitrofen-Skandal kam zu früh, inzwischenzweifeln Ermittler sogar, ob die Pflanzenschutzhallein Malchin wirklich die Hauptquelle des Gifts war.Es war und ist ein Trauerspiel, was hier abgelaufen ist.Frau Künast erklärte zunächst zusammen mit den SPD-Landwirtschaftsministern Backhaus und Bartels, dass dieHalle die einzige Quelle der Verunreinigung gewesen sei.Einige Tage später lief die Meldung: Minister Backhauserklärt, die Halle kann nicht die einzige Ursache sein.
Ein Wissenschaftler erklärt mit Zahlen, dass die Halle al-lein nicht die Ursache für die hohe Kontaminierung seinkann. Dann erklärt man Brüssel gegenüber: Es war dochdie Halle. Es war also ein regelrechter Zickzackkurs, derhier eingeschlagen wurde.Ich hatte in meiner jüngsten Rede hier gefragt: Wasnun, Frau Künast? Es gibt eine Reihe von Widersprüch-lichkeiten in der Aufklärung dieses Skandals. Und heutefrage ich wieder: Was nun, Frau Künast? Warum war esmöglich, dass die Ministerin nach dem Chloramphenicol-Skandal wieder fast ein halbes Jahr lang anscheinendnichts von diesen Nitrofen-Rückständen gewusst hat, ob-wohl eine Bundesbehörde darüber informiert war? Stattschnell aufzuklären haben Frau Künast und der Bundes-kanzler den Bauernverband und den Raiffeisenverbandpauschal angeklagt, als ob die Verbände für die Öko-getreidelagerung in Malchin zuständig gewesen wären.Es ist unerträglich, wie Frau Künast von eigenen Ver-säumnissen ablenkt und mit Pauschalvorwürfen andere anden Pranger stellt.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich habe ei-nigen von Ihnen heute das Protokoll der Agrarausschuss-sitzung vom 7. November 2001 gezeigt. Ich habe in derSitzung aus anderen Gründen gefordert, dass Ökopro-dukte stärker kontrolliert werden sollten. Heute stelle ichdie Frage: Wie viel staatliche Kontrollen hat es in diesemBereich seit dem 7. November 2001 gegeben? Auch dieseFrage muss die Bundesregierung beantworten. Wärenämlich das Problem früher erkannt worden, wäre derSchaden vor allem für die betroffenen Ökobauern we-sentlich geringer.Eine Feststellung kann ich Ihnen nicht vorenthalten.Wie hätte Frau Künast reagiert, wenn dieser Skandal imkonventionellen Bereich genauso abgelaufen wäre, wie erjetzt im Ökobereich abgelaufen ist und dazu noch in uni-onsregierten Ländern wie zum Beispiel Baden-Württem-berg? – Frau Künast hätte den rhetorischen Kriegszustandgegen die konventionelle Landwirtschaft ausgerufen.
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Christel Deichmann24158
Heute würde sie hier stehen und ein Verbot der konven-tionellen Landwirtschaft fordern.
Die Ministerin hat die jetzt betroffenen Ökobauern mitRecht in Schutz genommen. Bloß, Gleiches hätte ich fürdie übrige Landwirtschaft auch bei der BSE-Krise undbeim so genannten Antibiotika-Skandal erwartet.
Hier hat die Ministerin flotte Sprüche losgelassen, dieganze Landwirtschaft an den Pranger gestellt
und die Verbraucher verunsichert. Niemand von dieserSeite hat sich bis heute für die Vorwürfe beim so genann-ten Antibiotika-Skandal entschuldigt, bei dem der Staats-anwalt festgestellt hat, dass nicht in einer einzigen Unter-suchungsprobe Antibiotika gefunden wurden. Ich stelledie Forderung, dass die Frau Ministerin die konventio-nelle oder – wie ich es besser ausdrücke – die moderne,nachhaltige Landwirtschaft in der Öffentlichkeit genausobehandelt wie die Ökolandwirtschaft.
Ich mache der Ökolandwirtschaft keine Vorwürfe. Dassage ich hier in aller Öffentlichkeit. Wir müssen dafür sor-gen, dass das Vertrauen in die landwirtschaftlichen Pro-dukte wieder hergestellt wird. Wir haben größtes Interessedaran, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ge-sunde Nahrungsmittel erhalten. Ob es sich um Ökopro-dukte oder um Produkte der konventionellen Landwirt-schaft handelt, ist zweitrangig. In diesem Sinne müssenwir arbeiten. Dann können wir für unsere Landwirtschaftetwas erreichen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die
Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatsse-
kretär Matthias Berninger das Wort.
Ma
Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Zunächst einmal muss man eines ganz deutlich sa-gen: Der Nitrofen-Skandal ist nach wie vor unter Kon-trolle. Jeder Nitrofen-Fund, den wir jetzt machen, ist aufein und dieselbe Quelle, nämlich das Lager in Malchin,zurückzuführen. Auch die Nachricht vom heutigen Tage,dass 72 Tonnen Getreide aus dieser Halle in Malchin aneinen konventionellen Futterbetrieb gelangt sind, darfnicht dazu führen, dass man sich pauschale Überschriftenwie „Nun ist auch die konventionelle Landwirtschaft be-troffen“ oder „Nun hat sich das auch auf die konventio-nelle Landwirtschaft ausgeweitet“ ausdenkt.
Es ist für die Bürgerinnen und Bürger als Verbrauche-rinnen und Verbraucher in diesem Land wichtig, zu er-kennen, dass jeder Nitrofen-Fund, von dem wir jetzt re-den, nichts anderes als das Ergebnis der Rückverfolgungsämtlicher Spuren ist, die das Getreide seit der Einliefe-rung in die Halle in Malchin hinterlassen hat.In der Fragestunde haben wir in größerem Umfang da-rüber diskutiert, ob Malchin der Ort der Kontamination istoder nicht. Wir gehen vonseiten der Bundesregierung festdavon aus und sind damit einer Meinung mit den Er-mittlungsbehörden der Länder und insbesondere auch mitder Staatsanwaltschaft.Lassen Sie mich aus einem Bericht zitieren, der, soglaube ich, einiges deutlich macht. Dort steht:Die o. a. Teilnehmer besichtigten gemeinsam denentsprechenden Teil der Halle, wobei als erster Ein-druck eine markante Geruchsbelästigung festgestelltwurde, die auch jetzt noch einen eindeutigen Hinweisauf die frühere Nutzung gab.Der visuelle Eindruck zeigte trotz der inzwischensorgfältigen feuchten und mechanischen Reinigungs-versuche deutlich Chemikalienspuren im Hallen-boden und dem unteren Bereich der Hallenwände.Dabei gab es deutliche Verkrustungen und farblichePenetrationen.Ein lädierter und zwischenzeitlich niemals reparier-ter Boden bzw. mit organischem Material gefüllterHeizungsschacht sind als Schadstoffsenken anzuse-hen – siehe nachstehende Abbildung.Diese erspare ich Ihnen jetzt. Um Sicherheit in das Ver-fahren zu bringen, ist es wichtig, dass wir den Ermitt-lungsstand eindeutig zur Kenntnis nehmen.Die Informationspolitik der Bundesregierung wurdehier kritisiert. Interessanterweise hat die Kommission inbeiden Sitzungen, nämlich sowohl in der am letzten Mitt-woch als auch in der am gestrigen Dienstag, die Informa-tionspolitik der Bundesregierung ausdrücklich gelobt.
Insofern ist dieser Vorwurf zurückzuweisen.
Die Kommission hat es zu Recht stutzig gemacht, dasseine Würstchenprobe zwischenzeitlich als nitrofenbe-lastet angesehen wurde, was nicht in dieses Bild gepassthätte. Es gibt eine amtliche Untersuchung, nach der ab-schließend erklärt wurde, dass diese Probe nicht belastetwar, sodass die Kommission davon abgesehen hat, ir-gendwelche Sanktionsmaßnahmen gegen die Bundes-republik Deutschland zu ergreifen. Ich gehe davon aus,dass sie, solange wir die Spuren konsequent weiterverfol-gen, davon auch weiterhin absehen wird. Für Bund undLänder kann ich hier erklären, dass genau das jetzt unsereAufgabe ist. Nur so können wir verhindern, dass der Ver-braucher durch weiteres Nitrofen zusätzlich belastet wird.Meine Damen und Herren, hier wurde gesagt, dass dasalles nicht schnell genug geht. Zur gleichen Stunde – in-sofern ist das wirklich eine Aktuelle Stunde – tagt der Ver-mittlungsausschuss. Das Verbraucherinformationsgesetz
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Albert Deß24159
steht im Vermittlungsausschuss auf der Tagesordnung.Dieses Gesetz soll eine neue Rolle des Bundes im Bereichder Lebensmittelsicherheit regeln.Ich habe mit Ihnen von der Opposition eineinhalb Jahreüber dieses Thema diskutiert. Sie haben daran nur herum-genörgelt und herumgemeckert.
Am letzten Donnerstag saß der Minister Sinner des Lan-des Bayern hier, der ebenfalls eine stärkere Kontrollfunk-tion des Bundes abgelehnt hat. Ich kann Ihnen eines sa-gen: Wenn Sie wollen, dass der Bund eine bessere undkoordinierende Rolle einnehmen kann, sollten Sie von-seiten der Länder Ihre Blockadehaltung gegen das Ver-braucherschutzgesetz aufgeben.
Darüber hinaus können Sie mit dem Verbraucherinfor-mationsgesetz den Behörden ein wichtiges Werkzeug andie Hand geben, das dort zu einer neuen Informationskul-tur führt.
Warum ist das ein wichtiges Werkzeug? – In dem Maße,in dem wir den Bürgerinnen und Bürgern signalisieren,dass das Behördenwissen im Bereich der Lebensmit-telsicherheit nicht geheim, sondern öffentlich zugänglichist,
schaffen wir eine neue Informationskultur, die auch dazuführen wird, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterder öffentlichen Verwaltung – –
– Meine Damen und Herren von der Opposition, das allesscheint Ihnen offensichtlich nicht zu gefallen.
Ich denke aber, es ist angemessen, dass Sie mir währendmeiner Rede zuhören. Jedenfalls halte ich von diesem Da-zwischengeblöke überhaupt nichts.
Das Verbraucherinformationsgesetz soll in den Behör-den eine neue Informationskultur schaffen. Wir könnennicht einfach von oben nach unten mit Erlassen dafürsorgen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deröffentlichen Verwaltung für dieses Thema sensibilisiertwerden.
Das schaffen wir nicht, wenn die Opposition in dieserDebatte nur kleinkariert an uns herumkrittelt. Vielmehrmüssen wir alle gemeinsam die Mitarbeiter in den Land-kreisverwaltungen, ob sie nun in Bayern oder in Schles-wig-Holstein sitzen, auffordern und ermahnen,
solche Informationen weiterzugeben. Sie, meine Damenund Herren, haben die Chance, für diese neue Informati-onskultur Ihren Beitrag zu leisten, indem Sie Ihre klein-karierte Wahlkampfblockade im Vermittlungsausschussaufgeben.
Eine ganze Reihe weiterer Themen sind angesprochenworden. Ich will auf zwei Vorredner eingehen. Die Kolle-gin Bulling-Schröter hat angesprochen, dass Nitrofen imRahmen der Herstellung von Chemikalien in Deutschlandnach wie vor vorkommt. Das ist richtig. Im Rahmen einesgeschlossenen Produktionskreislaufes passiert das. Wirsind natürlich auch dieser Spur nachgegangen. Ich kannIhnen aber zur Beruhigung sagen, dass dieses Nitrofennicht freigesetzt wird, sondern ein Zwischenprodukt imRahmen der Herstellung eines Stoffes mit dem Marken-namen Iloxan ist. Von dort geht für die Verbraucher alsokeine Gefahr aus. Das sollte man hier auch sagen, damitnicht jede Nachricht und jede Spur zu erneuter hektischerBetriebsamkeit führt.Der Kollege Heinrich hat etwas gemacht, was ich imhöchsten Maße unverantwortlich finde. Er hat nämlichder Bundesregierung bei einem anderen wichtigen Ver-braucherschutzthema Untätigkeit vorgeworfen. Ich führedas aus, um deutlich zu machen, dass wir bei diesemThema Ihre Nachhilfestunden überhaupt nicht brauchen.
Wir haben in Brüssel durchgesetzt, dass nach dem Anti-biotikum Chloramphenicol gesucht wird.
–Überhaupt nicht. Der Skandal ist dadurch entstanden, dasswir nach dem Stoff haben suchen lassen, sonst hätte mandiese Shrimps damals gar nicht gefunden und sie wären insFuttermittel und damit in die Nahrungsmittelkette gelangt.In dem Punkt sind Sie völlig falsch informiert.
– Ihnen gefällt das, was wir machen, nicht.
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Parl. Staatssekretär Matthias Berninger24160
Dabei sollte Sie die Tatsache beruhigen, dass wir uns desThemas Verbraucherschutz ernsthaft annehmen.Jetzt komme ich zum zweiten Beispiel, dem Nitrofu-ran, das mit Nitrofen nichts zu tun hat. Seit 1995 ist dieMenge des importierten Geflügels von 31 Tonnen sprung-haft auf inzwischen 191 000 Tonnen in Europa gestiegen.Wir alle miteinander haben ein gemeinsames Interessedaran, dass dieses importierte Geflügel bei den Tier-schutzstandards, aber vor allem auch bei den Lebens-mittelstandards nach den gleichen Kriterien produziertwird, wie das in Deutschland der Fall ist.Die Bundesregierung ist deswegen in dieser Frage sehrfrühzeitig aktiv geworden und hat die Kommission, nach-dem sie erste Kenntnisse davon hatte, dass möglicher-weise verbotene Stoffe – in dem Fall ein verbotenes Anti-biotikum – zum Einsatz kommen, aufgefordert, denEinsatz dieser Stoffe zu untersagen. Wir haben dies inBrüssel durchgesetzt. Ich will Ihnen einfach nur die Er-gebnisse der letzten Meldungen vorlesen. 31. Mai 2002:Nachweis von Nitrofuran aus Thailand – Sendung un-schädlich beseitigt. 31. Mai 2002: erneuter Nachweis beider nächsten Lieferung – ebenfalls unschädlich beseitigt.Eine dritte Sendung ebenfalls vom 31. Mai 2002 wurdewiederum unschädlich beseitigt. Auch aus Brasilien wur-den entsprechende Lieferungen gefunden und unschädlichbeseitigt.Ich will damit deutlich machen: Während Sie Forde-rungen an uns stellen, handeln Bund und Länder schonlange verantwortlich und sorgen dafür, dass diese Stoffenicht in die Nahrungsmittelkette kommen. Es ist mirwichtig, dies hier zu nennen, weil Lebensmittelsicherheitein Thema ist, das uns alle gleichermaßen betrifft. DiesesThema ist sehr wichtig und taugt nicht dazu, so billigenWahlkampf zu machen, wie das heute einige versucht ha-ben, obwohl Ihnen jede Frage zufrieden stellend beant-wortet worden ist.Danke.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Norbert Schindler von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Schlimm genug, wasderzeit passiert! Aufgrund der großen politischen Vor-würfe geht das tägliche Geschäft unter. Ich möchte hieranführen: Die siebte Änderungsverordnung steht an. Siekommt aber wegen des europäischen Streits mit Spanienum Obst und Gemüse nicht zustande.Dieses Problem wird durch die aktuelle Auseinander-setzung über den Nitrofen-Skandal überlagert. Hoffent-lich – ich sage das aus tiefer Sorge um die betroffenenLandwirte und im Hinblick auf die Angst aller Verbrau-cherinnen und Verbraucher in dieser Republik – weitetsich dieser Skandal nicht aus, egal in welchem Bereich.Die Biohöfe sind diesmal zuerst betroffen. Es wird ge-nau untersucht und geforscht. Die Bundesregierung un-terstellt uns, wir, die Opposition, verfolgten das mitHäme. Ich möchte mit aller Deutlichkeit klarstellen: Wirmachen uns genauso große Sorgen um die Existenzen dawie dort. Niemand von uns hat die Gewähr, dass wir mor-gen oder übermorgen nicht mit einer entsprechenden Mel-dung konfrontiert werden. Herr Staatssekretär Berninger,Sie haben vorhin gesagt, dass 72 Tonnen irgendwohin un-terwegs seien. Man könnte doch einmal nachfragen, wo-hin diese 72 Tonnen gelangt sind. Was soll eigentlich pas-sieren, wenn diese 72 Tonnen irgendwo untergemischtworden sind?Jetzt kommt natürlich der politische Drive. Wenn manmit dem Thema Bio so umgeht, wie Sie es tun – in einerZeitung ist eine Karikatur erschienen, die Frau RenateKünast als Witwe Bolte darstellt, die neben einem Baumsteht, in dem Hähnchen hängen; darunter steht: Und ihresLebens bester Traum hängt an diesem Apfelbaum –, dannzeigt das, wie gefährlich es ist, wenn man sich in der Po-litik einseitig festlegt
und unterstellt: Nur bestimmte Kinder bekommen dieMasern. Jetzt sind wir in einer Situation, in der Sie, ideo-logisch festgelegt, selbst betroffen sind.Es komm hinzu, dass Kanzler Schröder auf dem SPD-Parteitag, der vor wenigen Tagen in Berlin stattgefundenhat, von überkommenen oder verkommenen – ich habe esnicht genau verstanden – Strukturen gesprochen hat. Es istauch in der hier stattfindenden Debatte gesagt worden,dass die eigentlich Verantwortlichen bei den Versicherun-gen und im Bereich der Agraraufsicht zu suchen seien.Das ist genauso, als ob der Innenminister sofort in Kennt-nis gesetzt werden soll, wenn ein Kripobeamter feststellt,dass irgendwo etwas Schlimmes passiert ist. In Kenntnisder Vorgänge vor Ort machen wir uns wirklich leichtsin-nig Vorhaltungen. In diesem Zusammenhang muss ich lei-der Gottes auch den Kanzler erwähnen. Was sind nicht al-les für Relativierungen auf dem SPD-Agrarkongress, dervor einigen Monaten in Magdeburg stattgefunden hat, imVergleich zu den Aussagen von vor 18 Monaten vorge-nommen worden, als noch von Agrarfabriken geredetwurde! Jetzt haben Sie Ihre Meinung innerhalb kürzesterZeit geändert. Das ist angesichts dieses schwierigen The-mas keine vertrauensbildende Maßnahme.Frau Ministerin Künast, natürlich hat der Staat die po-litische Verantwortung zu tragen. Aber, Herr Berninger,man kann den Präsidenten des Deutschen Bauernverban-des in der ARD nicht vorführen und sagen, der solle bloßruhig sein, weil der gefordert habe, Gift bei der Bekämp-fung von Obst- und Gemüsekrankheiten zuzulassen. Daist ein zu lockerer Umgang mit der Verantwortung, dieman gemeinsam hat. Das dient wirklich nicht der Sache.
Wir stehen jetzt zum Teil vor einem Scherbenhaufen.Rot-Grün ist seit fast vier Jahren und Frau MinisterinKünast seit eineinhalb Jahren in der Verantwortung. DieMenschen – das zeigen ernst gemeinte Umfragen – neh-men Ihnen nicht mehr ab, wenn Sie von durchgreifenden
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Parl. Staatssekretär Matthias Berninger24161
Kontrollen und von überkommenen Strukturen, die ausder Vergangenheit herrühren, reden und behaupten, dasses im eigenen Hause keine Versäumnisse gegeben habe.Sie hatten nicht 18, sondern fast 44 Monate Zeit zu han-deln, schieben aber immer nur anderen die Verantwortungin die Schuhe. Deswegen bitte ich Sie, Ihre ideologischenSchuldzuweisungen in die eine oder andere Richtung zurelativieren; denn solche Schuldzuweisungen dienen derSache wirklich nicht.
Wir, die in der politischen Verantwortung sind, solltenin Zukunft mit dem jetzt zur Diskussion stehenden Themakühl umgehen, auch wenn die Sorge um die schwangerenFrauen – sie sind die Ersten, die betroffen sind; darin istdie Angst begründet – noch so groß ist. Wir sollten genaudarlegen, welche Rückstände gesundheitsgefährdend sindund welche nicht. In diesem Zusammenhang muss ichnoch eines sagen: Sie haben in den 16 Jahren, in denen wirregiert haben und in denen Sie in der Opposition waren– das betrifft vor allem die Partei der Grünen –, Themenmit Emotionen belegt, die Sie jetzt, so Sie in der Regie-rungsverantwortung sind, selber zu spüren bekommen.Jetzt hat Sie die eigene Lehre eingeholt.Ich appelliere im Interesse aller Betroffenen an unsalle: Gehen wir in Zukunft kühl mit diesem Thema umund lassen wir auch die spitzen Vorwürfe! Wir in der Op-position haben das gleiche Recht und die gleiche Sorg-faltspflicht, im Interesse aller Staatsbürger nach den Ur-sachen zu forschen. Hoffentlich bleibt es bei dieser Halle.Hoffentlich kann die Verteilung in der Konsequenz wirk-lich so eingegrenzt und beherrscht werden, wie das heutenoch der Fall zu sein scheint. Im Hinblick auf schlimmereBefürchtungen möchte ich weitere Schuldzuweisungenüberhaupt nicht machen.Abschließend noch eine Bemerkung.
Herr Kol-
lege Schindler, Sie haben Ihre Redezeit um eine Minute
überzogen. Bitte keine Bemerkung mehr.
Danke schön für den
Hinweis. – Jedem ist bewusst geworden: „Bio“ findet
nicht mit auf dem Misthaufen kratzenden Hühnern statt.
In das Bewusstsein aller Verbraucherinnen und Verbrau-
cher sind mittlerweile andere Größenordnungen gekom-
men. Der schnelle Antritt, auf einen Anteil von 20 Prozent
zu kommen, war deshalb nicht nur leichtsinnig,
sondern für manche Bereiche lebensgefährdend. Gut
Ding will Weile haben! Was man erreichen wollte, ist lei-
der Gottes so nicht eingetreten.
Danke schön.
Als
nächster Redner hat der Kollege Gustav Herzog von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Die Opposition hat aus der Frage-stunde diese Aktuelle Stunde entwickelt. Ich will zu Be-ginn zwei Fragen stellen:Erstens. Konnten das Parlament und die Öffentlichkeitdurch die Fragen der Opposition neue Erkenntnisse ge-winnen? – Ich sage: Ja. Die Antworten der Regierung ha-ben uns einige neue, leider auch unerfreuliche Erkennt-nisse gebracht.Zweitens. Wurde durch die dringlichen Fragen der Op-position und durch diese Aktuelle Stunde bis jetzt – es fol-gen ja noch ein paar Redner – das Problem einer Lösung einStückchen näher gebracht? – Da habe ich große Zweifel.Ich will eine erste Vorbemerkung machen. Bei allendiesen Diskussionen wird mir deutlich, dass wir uns zumThema Föderalismus in diesem Bereich ernsthaft Gedan-ken machen müssen – nicht in dieser, aber in der nächstenWahlperiode –, weil es nicht sein kann – der KollegeRonsöhr hat es durch seine Zwischenfragen nach den Do-kumenten provoziert –, dass man in einem solchen Falldurch 16 Bundesländer rennen muss, um irgendwelcheUnterlagen zusammenzuholen.
Das ist nicht nach Europa vermittelbar. Das ist auch nichtden Verbrauchern vermittelbar. Darüber müssen wir unsüber Parteigrenzen hinweg ernsthaft Gedanken machen.
Die zweite Vorbemerkung: Wird diese Debatte irgend-etwas zur Einkommenssicherung der deutschen Landwirt-schaft beitragen? – Mit vollster Überzeugung sage ich:Nein. Diese Debatte wird sicherlich nicht dazu beitragen.Wir haben am Donnerstag dreieinhalb Stunden disku-tiert, haben uns beschäftigt mit den Verursachern, denVertuschern, den Aufklärern und den gesetzlichen Ver-besserungen, die wir in die Wege geleitet haben. Wir ha-ben uns auch mit der Frage beschäftigt, wer seriös mit die-ser Angelegenheit umgeht.
Ich muss feststellen, dass die Opposition ein klein wenigauf dem Weg der Besserung ist. Am Donnerstag haben Sievon der Opposition sich nämlich nur damit beschäftigt,welche Probleme möglicherweise bei der Regierung lie-gen. Heute haben Sie auch versucht, einige Fragen zur Sa-che zu stellen.Hat sich vom letzten Donnerstag bis heute einigesgeändert? – Bei den Verursachern eher nein, denke ich.Mich hat noch einmal sehr, sehr nachdenklich gemacht,dass der Herr Staatssekretär hier aus einem Untersu-chungsbericht zitieren konnte, in dem steht, in einer Halle,in der Getreide gelagert worden sei, seien offensichtlichGerüche nach Pflanzenschutzmitteln feststellbar. Ich wie-derhole meine Frage vom letzten Donnerstag: Was den-ken sich eigentlich die Leute dabei, dort Getreide oder Le-bensmittel einzulagern?
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Norbert Schindler24162
Hierbei müssen wir auch nach der Verantwortung derUnternehmen fragen.
Fragen der Opposition zielen darauf: Kontrolliert derStaat denn nun auch wirklich jeden Import? Ich gehe im-mer noch davon aus, dass die Verantwortung für die Pro-dukte, die in dieses Land eingeführt, verarbeitet und denVerbrauchern angeboten werden, bei den Unternehmenliegt. Sie müssen doch dafür sorgen, dass die Produkte ge-sundheitlich unbedenklich sind und den gesetzlichen An-forderungen entsprechen. Man muss also fragen: Kon-trollieren die Unternehmen genug oder wird hier aufVerdacht eingekauft und eingeführt nach dem Motto„Wenn irgendetwas drin ist, wird der Staat es ja schon fin-den“? Ich sage noch einmal: Auch über die Verantwortungder Unternehmen für die Produktsicherheit müssen wirernsthafter diskutieren.
Hat sich bei denjenigen, die bei GS agri, NSP und – icherwähne das der Vollständigkeit halber, die Oppositionfragte bereits danach – auch bei den Ökokontrollstellen,den Verbänden und der Raiffeisen-Versicherung versu-chen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, etwas geän-dert? – Nein, auch bei ihnen gibt es nichts Neues. Auchdie Aufklärer sind noch immer mit Volldampf damit be-schäftigt, Informationen einzuholen.Es gibt allerdings immer noch – auch daran hat sichnichts geändert – kritische Nachfrager, aber auch Nebel-werfer in dieser Angelegenheit. Dabei handelt es sich umWissenschaftler, die, ohne genau zu wissen, worum esgeht, ihre Positionen in der Öffentlichkeit vertreten, undMedien, die das auch noch transportieren.
Es gibt auch solche Informationen wie heute morgen, alsum 10.42 Uhr eine Meldung vor Fleisch aus einem nitro-fenbelasteten Betrieb in Hamburger Bioläden warnte.Eine Stunde später hieß es in einer weiteren Meldung: Obdas betroffene Fleisch tatsächlich mit Nitrofen belastetsei, könne noch nicht abschließend beurteilt werden.Auch hierbei stellt sich die Frage, wie wir in Zukunft mitsolchen Informationen umgehen. Ich meine, wir solltenuns langsam bemühen, davon wegzukommen, dass im-mer neue Spekulationen in die Welt gesetzt werden.Das Vertrauen unserer Verbraucher in die Lebensmittelist wieder einmal erschüttert worden. Diesmal betrifft esdie Ökoprodukte, was aber offenbar durch konventionelleoder kriminelle Schlampereien verursacht worden ist.Statt aber einen öffentlichen Hickhack zu veranstalten,sollten wir alle daran mitarbeiten, das Vertrauen der Ver-braucher wiederzuerlangen und den betroffenen Bauerngemeinsam zu helfen.
Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Max Straubinger von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, die Debattezeigt deutlich – auch die heutige Aktuelle Stunde wird esoffenbaren –, dass die Bundesregierung bei der Bewälti-gung der Nitrofen-Krise versagt hat.Wir werfen der Bundesregierung vor, dass sie bei derAufklärung viel zu lange Wege gegangen ist und meinemEindruck nach bei der Aufklärung geradezu Scheuklap-pen trägt.
Wer nur einseitig auf die Kontaminationsstelle Malchineingeht, geht mit der Bewältigung der Krise sicherlichnicht sachgerecht um.
Das geht aber nicht an. Es gibt verschiedenste Hinweisedarauf – und es ist in der Fragestunde deutlich geworden,dass die Bundesregierung die entsprechenden Fragennicht beantwortet hat –, dass es möglicherweise auch an-dere Quellen gibt.
– Nein, sie wurden eben nicht beantwortet, sondern derHerr Staatssekretär hat auf meine Frage geantwortet, dasskein anderes Ökogetreide auf Rückstände untersuchtwurde. Meines Erachtens ist es aber notwendig, unabhän-gig von Malchin auch bei anderen Stellen aufs Gerate-wohl Untersuchungen anzusetzen, damit die notwendigeAufklärung betrieben werden kann.Ich meine, dass es insgesamt mit entscheidend ist,sachgerecht mit der Bewältigung umzugehen. Dies wurdeviele Wochen lang verschleppt. Das Versagen der Bun-desbehörden wurde schon vielfach angesprochen, aber esliegt auch ein Versagen der Produzenten, der Futtermittel-mischer und anderer vor.Es ist dies keine Frage eines Verbraucherschutzgeset-zes, Frau Höfken, oder anderer neuer gesetzlicher Rege-lungen. Die Futtermittelhersteller wären aufgrund der Ge-setzeslage verpflichtet gewesen, die Information über dieBelastungen weiterzugeben. Dann wäre dies auch offen-kundig geworden. Hier ist ein Gesetzesverstoß begangenworden, den wir verurteilen. Es geht nicht um die Frageeines Verbraucherschutzgesetzes;
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denn die notwendigen gesetzlichen Regelungen sind vor-handen.Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung machen:Es handelt sich auch um das Versagen einer Bundes-behörde, wenn am 19. März Nitrofen im Putenfleisch fest-gestellt wird und dies nicht an das zuständige Ministeriumweitergegeben wird. Wenn dann gesagt wird, wie am30. Mai bei einer außerordentlichen Sitzung des Aus-schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft vonseiten des zuständigen Staatssekretärs Müller,dass die Bundesanstalt gemäß der vorgeschriebenen Vor-gehensweise richtig gehandelt hat, so war offensichtlichder Erlass der Bundesregierung, so wie er im Januar er-gangen ist, einfach unvollständig; er wurde ja jetzt erstdurch die Bundesregierung nachgebessert. Hier wird ja of-fensichtlich, dass eine Teilschuld für das Versagen auch beider Bundesregierung liegt.
Deshalb kritisieren wir die Bundesregierung.Die Leidtragenden sind aber die Verbraucherinnen undVerbraucher, weil sie wiederum bezüglich der Lebens-mittelversorgung in Deutschland verunsichert werden. Da-rüber hinaus sind natürlich die Leidtragenden auch alleLandwirte, egal ob sie Lebensmittel bzw. Grundlagen dafürkonventionell oder wie die Ökobaubetriebe produzieren;insbesondere betrifft das natürlich die in der Ökolandwirt-schaft Tätigen. Das kommt aber auch daher, dass Rot-Grünöffentlich ein verklärtes und zum Teil sehr falsches Bild derÖkolandwirtschaft vermittelt hat, sehr einseitig für die Pro-duktionsweise der Ökolandwirtschaftsbetriebe eingetretenist und die konventionell produzierenden Betriebe bei jedersich bietenden Möglichkeit an den Pranger gestellt hat.
Das ist natürlich auch dazu angetan, dass die Verbraucherentsprechend verunsichert wurden.
– Doch. Wer ständig jeglichen Einsatz von Dünge- undPflanzenschutzmitteln bekämpft, vergisst, dass Pflanzen-schutzmittel notwendig sind, um qualitativ hochwertigeProdukte herzustellen.Es ist hier eben auch festzuhalten, dass beim Getreide-anbau in der Natur Fusarien und Mykotoxine, also Pilze,entstehen und das Getreide damit behaftet ist. Sachge-rechter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bedeutet auchVerbraucherschutz, werte Damen und Herren. Ich glaube,dass wir das auch einmal zum Ausdruck bringen müssen.
Hier wird eben die ideologische Scheuklappe von Rot-Grün besonders deutlich.Es gibt eine Menge von Versagern in dieser Kette. Dasbeginnt bei der Zertifizierung der Halle, was ja, wie dar-gelegt, durch einen Ökoverband geschah.
Herr
Kollege Straubinger, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme sofort
zum Schluss. – Es sind dann natürlich auch entsprechende
Weichenstellungen notwendig.
Ich glaube, dass die Bundesregierung dazu nicht die Kraft
hat.
Das Worthat jetzt der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/DieGrünen.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Man muss kein Agrarexperte sein, um hier in einerDebatte zum Ausdruck zu bringen, dass wir die konse-quent am Verbraucherschutz ausgerichtete Politik unsererLandwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin aus-drücklich unterstützen.
Die beste und wichtigste Nachricht des heutigen Tages,liebe Kolleginnen und Kollegen, lautet: Die deutschenBiobauern bleiben im europäischen Geschäft. Und das istgut so.
Das ist nicht nur gut so, sondern das ist auch wohl be-gründet. Ich möchte hier noch einmal mit aller Klarheitsagen: An diesem ganzen Skandal trifft die Biobauern ge-rade keine Schuld. Der Nitrofen-Skandal ist kein Skandaldes ökologischen Landbaus,
sondern der Skandal geht, wie wir jetzt zunehmend be-greifen müssen, auf skrupellose Leute in der Futtermittel-wirtschaft zurück.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie bitteganz nüchtern und unaufgeregt zur Kenntnis: Ohne Bio-hersteller in der Lebensmittelwirtschaft wäre der ganzeSkandal überhaupt nicht aufgedeckt worden. Es war dochein Hersteller von ökologischer Babynahrung aus Bayern,der quasi am Eingangstor seines Werkes auf Nitrofen ge-stoßen ist. Es ist doch ein Wunder, dass dort überhaupt
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noch die Produkte daraufhin untersucht wurden, obwohldas Pestizid überhaupt nicht mehr zugelassen ist. Das warein Biohersteller, der diese Kontrolle durchgeführt hat!
Er hat das Futtermittel an den Hersteller zurückgeschicktund gesagt: nicht mit mir.
Daraufhin kam die Kette der Ereignisse ins Rollen. Wirsind zwar der Meinung, dass das viel zu lange gedauerthat und der Weg viel zu umständlich war. Dies ist abernicht den Bio-Herstellern vorzuwerfen,
weil es ein Bio-Hersteller war, der kontrolliert hat, waswoanders überhaupt nicht kontrolliert worden wäre.
Es ist also unbestreitbar, dass in diesem Fall die Bio-Hersteller die Initialzündung für die Aufdeckung desSkandals gegeben haben. Dennoch wollen wir festhalten,dass Ökobetriebe im Bereich der Landwirtschaft letztlichkeine Pestizide brauchen: Im ökologischen Landbau wer-den keine Pestizide eingesetzt, es müssen dafür keine Pes-tizide produziert werden, es müssen keine gelagert wer-den und es müssen keine geliefert werden.
Aus der Sicht der Verbraucher müssen wir heute eineSchlussfolgerung ziehen: Die Agrarwende ist nötigerdenn je, und zwar für die gesamte Produktionskette vonder Futtermittelerzeugung über die Tierhaltung bis hin zurNahrungsmittelherstellung.
Sie haben diese Aktuelle Stunde heute aber nicht bean-tragt, um die Agrarwende zu befördern;
Sie unternehmen hier vielmehr den untauglichen Versuch,den Ruf von Renate Künast zu erschüttern.
Fragen Sie die Menschen auf der Straße nach RenateKünast. Sie werden Ihnen sagen: Verbraucherschutz inDeutschland hat einen Namen, und zwar Renate Künast.Sie ist die Anwältin der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Sie hat öffentlich und umgehend informiert. Sie hat dieQuellen aufgespürt und benannt. Sie hat das gesamte Ge-flecht möglicher Verursacher aufgezeigt. Das ist ihreLeistung. Es wird – ohne Ansehen der Person – Punkt fürPunkt aufgeklärt.Wir müssen aber nicht nur von den Verursachern, son-dern auch von den Vertuschern reden. Es geht auch um ge-wisse verhängnisvolle Strukturen in einem „Verschweiger-kartell“ der Futtermittelwirtschaft, um höchst eigenartigepersonelle Verflechtungen, die in der Tat fragwürdig sind.Ich will Ihnen einmal sagen, wie an den Stammtischen
in Bayern Raiffeisen dekliniert wird: Raiffeisen, Greifei-sen, Bescheißeisen.
Ich will hier nichts darüber aussagen, ob diese Beurtei-lung angemessen ist, zumal ich selbst bei der Raiffeisen-bank in Augsburg ein Konto habe; aber auf eines möchteich hinweisen: Wenn genossenschaftlich gebundeneVersicherungen glauben, man könne stille Aktionen zurRückholung von durch Gifte verseuchten Nahrungs- oderFuttermitteln durch verschwiegene Abwicklungen vertu-schen, dann ist dies eine mit krimineller Energie betrie-bene Gemeinheit zum Schaden der Bauern sowie der Ver-braucherinnen und Verbraucher.
Die Verantwortung dafür liegt in dem Bereich, der derLandwirtschaft eigentlich vorgelagert ist. Wen trifft abernachher die Krise? – Die Bauern, und zwar die Ökoland-wirte genauso wie die konventionellen. Sie haben in die-sem Bereich deckungsgleiche Interessen. Deshalb müs-sen wir Punkt für Punkt aufklären und die Konsequenzenziehen.Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass die EU die Li-nie von Renate Künast „Aufdecken – Informieren – ZurRechenschaft ziehen – Kontrollieren“ voll bestätigt. Icherwarte allerdings auch, dass die Länder an der Umset-zung nun konsequent mitwirken, um eine Debatte über fö-derale Strukturen zu vermeiden.An die Adresse der CDU/CSU sage ich: Solange Sie imBundesrat den Weg für ein Verbraucherinformationsge-setz, das den Menschen erlaubt, alles zu erfahren, was denBehörden über die Inhaltsstoffe der Nahrung bekannt ist,nicht frei machen, haben Sie überhaupt keine Glaubwür-digkeit in Sachen Verbraucherschutz.
Sie können nach außen nicht vermitteln, warum Informa-tionen in den Aktenschränken der Behörden verschlossenbleiben sollen und warum Sie den Menschen auf derStraße dieses Wissen nicht zubilligen. Das versteht keinMensch. Damit werden Sie nicht punkten. Sie werden un-angenehme Rückfragen erhalten. Wir werden Sie an die-ser Stelle nicht aus der Verantwortung entlassen.Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, für mehr Verbrau-cherschutz, auch für mehr Information zu sorgen, indem
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man den Menschen das Wissen, das die Behörden haben,weitergibt.
Wenn Sie das weiterhin verweigern, melden Sie sich ausder ernsthaften Verbraucherschutzdebatte ab.
Das Wort
hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber HerrKollege Schmidt, Ihre Ausführungen zeigen, dass Sie sichin dieser Debatte wirklich nicht auskennen.
Die Vorwürfe, die Sie uns machen, sind schlicht falsch.Erster Punkt. Von uns hat niemand der Firma Hipp ei-nen Vorwurf gemacht, dass sie so stark geprüft und dannauch etwas gefunden hat. Im Gegenteil: Was macht unsstutzig? – Uns macht stutzig, dass nur die Firma Hipp ent-sprechende Funde gemeldet und verfolgt hat, wo doch soviele Verarbeiter von Bioprodukten in dieser Kette vonden verseuchten Futtermittelprodukten betroffen sind.Das muss uns zu denken geben!
Es muss uns auch zu denken geben, dass zum Beispielein Ökoverband wie „Naturland“ schon längst Bescheidweiß, aber nicht handelt. Dem müssen wir nachgehen unddarum müssen wir uns kümmern,
und zwar unabhängig davon, ob es ein Bioverband oderein konventioneller Verband ist. Wir müssen im Interesseder Verbraucherinnen und Verbraucher schauen, wo dieLücken sind.
Die Lücken sind sowohl in diesem Bereich als auch in-nerhalb der Bundesregierung zu finden.
Ich fand es schon sehr mutig von Ihnen, Herr Schmidt,dass Sie davon gesprochen haben, dass die EuropäischeKommission mit dem, was in unserem Land passiert, voll-kommen zufrieden sei. Ich muss diese Woche anschei-nend auf einem anderen Stern gelebt haben.
Denn was sich diese Woche abgespielt hat, belegt dochdas glatte Gegenteil.Byrne spricht von einer vollkommen verfehlten Infor-mationspolitik. Vor zwei Wochen wurde nämlich noch ge-sagt, der Skandal sei beendet. Jetzt heißt es, dass wiederetwas gefunden wurde und dass der Skandal doch nochnicht beendet sei. Der Agrarminister von Mecklenburg-Vorpommern sagt, dass wir erst am Anfang stünden, wasdie Aufklärung betrifft. Selbst Ihr Parteifreund im Euro-paparlament Graefe zu Baringdorf ist der Meinung, dassman den Mund nicht so voll hätte nehmen dürfen, wie esFrau Künast getan hat.Von einer klugen Informationspolitik, durch die dieVerbraucherinnen und Verbraucher seriös informiert wer-den, kann überhaupt keine Rede sein. Da das Vertrauenangeblich so groß sein soll, muss ich Sie fragen: Würdedie Europäische Kommission die irischen Prüfer aus Dub-lin nach Deutschland schicken, wenn man nicht vermutenwürde, dass hier etwas zu finden sei?
Ich sage deshalb ganz klar: Mit dem, was Sie hier auf denWeg gebracht haben, kann doch etwas nicht stimmen.Was ebenfalls erstaunlich war und was auch Herr Byrneausdrücklich kritisiert hat, hat mit der Frage zu tun, wie inDeutschland Informationen von Stellen, die prüfen undkontrollieren, weitergeleitet werden. Ich muss mich schonwundern: Es gab in der Fragestunde heute Nachmittagkeine einzige Antwort auf die Frage, wie man mit der Bun-desanstalt für Fleischforschung in Kulmbach verfahrenwill. Wir hören nichts darüber, ob dieses Fehlverhalten,das dort an den Tag gelegt wurde, sanktioniert werden soll.Die Bundesregierung scheint ein solches Verhalten durch-gehen zu lassen. Mir ist nichts davon bekannt – ich habeden Herrn Staatssekretär ausdrücklich dazu befragt –, obhier in irgendeiner Weise gehandelt wird.Wir sind jetzt seit drei Wochen damit beschäftigt, denSkandal einzugrenzen und zurückzuverfolgen, woher dasGetreide kommt und welche Bereiche insgesamt betrof-fen sind. Sie haben immer wieder den Eindruck erweckt,dass in dem geschlossenen System der Biokreislaufwirt-schaft die Rückverfolgbarkeit hundertprozentig gegebensei. Im Fachausschuss des Europäischen Parlamentesheißt es dagegen, dass man noch nicht so weit sei und dassder Skandal noch nicht hundertprozentig eingegrenztwerden könne. Nur eines kann stimmen: Entweder han-delt es sich um einen geschlossenen Kreislauf und wirkönnen sehr schnell lückenlos dokumentieren
oder wir können es nicht.Es ist kein Wunder, wenn die zweite Möglichkeit zutrifft.
Denn Sie haben ein Biosiegel eingeführt, das den Zusatzvon konventionellen Produkten in Bioprodukten erlaubt.
– Herr Herzog, schauen Sie sich bitte die entsprechendeEU-Verordnung an. Darin ist festgelegt, dass Bio-Baby-
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nahrungsmittel bis zu 30 Prozent aus konventionellen Be-standteilen bestehen dürfen.
Ich möchte zitieren, was beispielsweise der Presse-sprecher des Öko-Landbau-Verbandes Demeter, RenéeHerrnkind, sagt. Ihre Politik, im Biobereich ganz schnellauf Masse zu setzen, ohne dass die Strukturen der Land-wirtschaft, auch die Kontrollstrukturen, nachwachsenkönnen, hat folgende Auswirkungen – ich zitiere aus ei-ner Reuters-Meldung –:„Wir sehen Risiken in dieser Industrialisierung“, sagtRenée Herrnkind, Pressesprecher des Öko-Landbau-Verbands Demeter.Weiter heißt es in der Meldung von Reuters:Die Supermarktketten haben das Potenzial vonÖkoprodukten erkannt und drängen daher die Pro-duzenten, immer mehr zu liefern. „Wenn der Druckerhöht wird, ist es für die Erzeuger schwieriger, dieQualitätserfordernisse einzuhalten“, sagt Uli Zergervon der Stiftung Ökologie und Landbau. Die Nach-frage nach Bioprodukten sei in den vergangenenJahren jedoch so stark und so schnell angestiegen,dass sich die ökologischen Betriebe nicht so schnellauf den erhöhten Bedarf hätten umstellen können.Es heißt weiter, dass vielfach Ware aus dem Ausland im-portiert werde, dort potenzielle Schwachstellen zumin-dest zu vermuten seien und dass die veränderten Logistik-anforderungen durch diese Branche gar nicht in demnotwendigen Umfang zu erfüllen seien.
Frau Kol-
legin Widmann-Mauz, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme
zum Schluss. – Es kommt doch darauf an, dass wir eine
Verbraucherschutzpolitik betreiben, die vier Gesichts-
punkten gerecht wird: mehr Transparenz, Eigenverant-
wortung stärken, Kontrollen so gestalten, dass sie wirken
können, und nachhaltig handeln.
Deshalb ist der Verweis – dieser Satz sei mir noch ge-
stattet, Herr Präsident – auf eine vermeintliche Blockade-
haltung nicht gerechtfertigt. Ich zitiere die bereits in der
letzten Woche vorgelegte Ausschussdrucksache 14/748.
Damit hätten die Koalitionsfraktionen die Möglichkeit
gehabt, die Information der Verbraucherinnen und Ver-
braucher bei solchen Skandalen zu verbessern. Sie haben
dagegen gestimmt und das blockiert.
– Nein, das ist nicht blanker Unsinn.
Frau Kol-
legin, bitte!
Sie hatten die
Möglichkeit dazu, haben sich dieser Verbesserung aber
verweigert.
Ich danke Ihnen.
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kol-
lege Dr. Gerald Thalheim das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, dasssich der Deutsche Bundestag erneut ausführlich mit die-sem Thema beschäftigt. Nicht gut finde ich den Versuch,aus diesem Thema politisch Funken zu schlagen. Hinterdem Nitrofen-Skandal steht kein Versagen der Bundesre-gierung, schon gar nicht von Bundesministerin Künast.Im Gegenteil, die entschlossene Aufklärung, die das Bun-desministerium betrieben hat, findet allgemein Anerken-nung, auch bei der EU-Kommission.
– Zu dir komme ich gleich.Es ist auch kein Versagen der ökologischen Landwirt-schaft.
Wir wissen heute, dass es eher Zufall war, dass das Öko-getreide in diesem am stärksten verseuchten Teil der Hallein Malchin gelagert wurde. Es ist auch kein vordergrün-diges Versagen der Kontrollinstitutionen,
wenn, dann der Biokontrollstelle. Es ist ein Versagen vonMenschen, insbesondere der Menschen in der Futtermit-telbranche, von den Beschäftigten bis in die Chefetage.
– Da können Sie lachen.Das eigentliche Problem ist die Katastrophe für die ge-samte Branche, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruckentstanden ist: Was sich in Malchin abgespielt hat, könntesich auch anderswo abspielen; wie dort mit den Informatio-nen umgegangen worden ist – da sind auch die Ökoland-bauverbände zu kritisieren –, könnte auch woanders pas-sieren. Das ist die Katastrophe. Deshalb ist dieses Themanicht für gegenseitige Schuldzuweisungen geeignet.Damit sind wir bei dem eigentlichen Punkt, dem Un-glaublichen, das sich in Malchin abgespielt hat. Auch ichbin nach einigen Informationen, die dargelegt wordensind, mit der Meinung in die Öffentlichkeit gegangen,dass es sich so nicht abgespielt haben kann. Ich bin einesBesseren belehrt worden. Ich habe erst heute früh mit je-mandem telefoniert, der dort war. Wenn man in einerHalle Pflanzenschutzmittel findet und darauf Getreide la-gert, dann ist das ein Skandal – und doch die Erklärung.Jedem Azubi in der Landwirtschaft wird im ersten Lehr-jahr eingebläut, Futtermittel nicht gemeinsam mit Pflan-zenschutzmitteln zu lagern bzw. sie nicht hintereinander
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an derselben Stelle zu lagern. Wir dürfen als Parlamentnicht die Illusion erwecken, dass wir ein solch eklatantesFehlverhalten durch Beschlüsse verhindern könnten. Hiermuss sich das Bewusstsein der Betroffenen ändern. Hinterdiesem Skandal steht eine unglaubliche Ignoranz, was dasVorgehen, die Informationspolitik, aber nach wie vor auchdas Geschäftsgebaren des Futtermittelhandels und der Fut-termittelindustrie anbelangt.
Da sind wir bei der Antwort auf Ihre Frage, KollegeSchindler, warum wir nicht schneller und besser infor-mieren konnten: weil die Futtermittelindustrie nach wievor nicht in der Lage ist, Herkünfte anzugeben und dar-zulegen, welche Partien in welches Mischfuttermittel ge-raten sind. Das ist der entscheidende Punkt.
– Da können Sie schreien, wie Sie wollen, die entschei-dende Frage lautet: Woher kommt die Ignoranz in dieserBranche? – Ich kann Ihnen die Antwort geben: Der Grundist, dass diese Branche gewohnt war, dass sich die Politikschützend vor sie stellt.
Das ist die Antwort auf die Frage, die hier rhetorisch ge-stellt worden ist.Es ist reine Höflichkeit, wenn ich von diesem Pult ausnicht darüber spreche, welche Parolen die Vorgänger inunserem Haus im Hinblick auf BSE und ähnliche Berei-che ausgegeben haben. Da wurden Denkverbote ausge-sprochen. Die Wirkung ist bis heute zu sehen, auch in derBundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach.
Wann ist denn Herr Honikel eingestellt worden? Ich hattedie große Ehre, gemeinsam mit Herrn Stoiber die Bun-desanstalt in Kulmbach zu besuchen. Ich kann mich nochgut daran erinnern, wie Herrn Honikel auf die Schultergeklopft und er zu privaten Untersuchungen motiviertwurde. Auch aus dieser Hinsicht, aufgrund des Verhaltensvon Herrn Honikel, lassen sich keine Funken schlagen,auch wenn Sie das immer wieder versuchen.
Meine letzte Botschaft. Wie viele andere habe ichgeglaubt, dass alle in der Branche Beteiligten Schluss-folgerungen aus der BSE-Krise gezogen haben. Die großeEnttäuschung ist: Was die Informationspolitik und dieTatsache anbelangt, dass wirtschaftliche Interessen nachwie vor höher gestellt werden als der Verbraucherschutz,sind keine Schlussfolgerungen gezogen worden.
Ich kann uns alle nur ermahnen, daraus die nötigenSchlussfolgerungen zu ziehen. Sie lauten:Erstens. Wer Qualität will – das hat wieder keiner ange-sprochen –, muss auch einen entsprechenden Preis zahlen.
Die Motivation für das Anmieten der Halle in Malchinwar vermutlich, dass es sich dabei um das günstigste An-gebot, was die Kosten anbelangt, handelte.Zweitens. Wir müssen die Kontrollen verstärken. Aberda besteht wiederum eine Illusion: Wir können nicht jedesLebensmittel auf 10 000 chemische Stoffe, die produziertwerden, prüfen. Wir müssen zu Regelungen kommen,dass ein solcher Eintrag von Anfang an vermieden wird.Drittens. Wir müssen dafür sorgen, dass sich das Be-wusstsein ein Stück weit ändert. Das ist ein entscheiden-der Punkt. Falsche Haltungen haben wieder zu diesemSkandal geführt.Hier ist viel zu tun. Wir sollten uns gemeinsam an-strengen. Die Branche hat es nicht verdient, wegen derschwarzen Schafe in der aktuellen Krise an den Prangergestellt zu werden. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten.Vielen Dank.
Die Aktu-
elle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-
ges auf morgen, Donnerstag, den 13. Juni 2002, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.