Protokoll:
14238

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 238

  • date_rangeDatum: 5. Juni 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:02 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: Interna- tionales Jahr der Freiwilligen . . . . . . . . 23789 A Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23789 B Lothar Binding (Heidelberg) SPD . . . . . . . . . 23790 D Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23790 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23791 A Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23791 A Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23791 B Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23791 C Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23791 D Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23792 A Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23792 B Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23792 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23792 D Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23793 A Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23793 C Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23793 C Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23794 C Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23794 C Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23794 D Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23795 A Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23795 B Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23795 C Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23795 D Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23796 A Lothar Binding (Heidelberg) SPD . . . . . . . . . 23796 B Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23796 B Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 14/9188) . . . . . . . . . . . . . . . 23796 C Aussage von Bundeskanzler Schröder über Politiker wie Berlusconi, Haider und Le Pen MdlAnfr 1 Jürgen Koppelin FDP Antw StMin Hans Martin Bury BK . . . . . . . . 23796 C ZusFr Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . 23796 D Briefwahl für Soldaten im Auslandseinsatz zur Bundestagswahl 2002 oder zu einer Landtags- wahl MdlAnfr 3 Ursula Lietz CDU/CSU Antw PStSekr’in Dr. Cornelie Sonntag- Wolgast BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23797 B ZusFr Ursula Lietz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23797 C Plenarprotokoll 14/238 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 238. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002 I n h a l t : Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 1998 oder bei Landtagswahlen MdlAnfr 4 Ursula Lietz CDU/CSU Antw PStSekr’in Dr. Cornelie Sonntag- Wolgast BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23798 A ZusFr Ursula Lietz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23798 B Abrechnung so genannter KO-Leistungen (Koloskopien, Gastroskopien, Sonographien usw.) ab 1. Januar 2003 nur noch von nicht hausärztlich tätigen Gebietsfachärzten; Ein- führung einer Besitzstandsregelung für Hausärzte MdlAnfr 9, 10 Detlef Parr FDP Antw PStSekr’in Gudrun Schaich-Walch BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23798 D ZusFr Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23799 B Einbringung eines zivilrechtlichen bzw. Verab- schiedung eines umfassenden Antidiskriminie- rungsgesetzes noch in dieser Wahlperiode MdlAnfr 15 Dr. Ilja Seifert PDS Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ 23800 C ZusFr Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23800 D Forderungen von Sozialverbänden und Betrof- fenenorganisationen hinsichtlich eines Antidis- kriminierungsgesetzes MdlAnfr 16 Dr. Ilja Seifert PDS Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ 23801 C ZusFr Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23801 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu aktuellen, als antisemi- tisch bewerteten öffentlichen Äußerun- gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23802 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . 23802 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . 23803 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23804 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 23806 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23807 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 23808 A Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23809 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23811 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23811 B Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23812 C Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 23812 D Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23814 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 23815 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23816 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23817 B Andrea Nahles SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23818 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23819 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 23821 A Anlage 2 Nachträglich abgedruckte Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid auf die Frage des Abgeordneten Dirk Niebel (FDP) (232. Sit- zung, Drucksache 14/8828, Frage 9) . . . . . . . 23821 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Meinrad Belle (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schwei- zerischen Eidgenossenschaft über die Durch- führung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deut- schem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Ver- trag vom 18. Oktober 2001) (237. Sitzung, Ta- gesordnungspunkt 27 e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23822 C Anlage 4 Erzeugung von antisemitischen Vorurteilen durch die Berichterstattung in deutschen Me- dien MdlAnfr 2 Jürgen Koppelin FDP Antw StMin Hans Martin Bury BK . . . . . . . . 23823 B Anlage 5 Schließung der Europäischen Bank für Wie- deraufbau und Entwicklung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002II MdlAnfr 5 PeterWeiß (Emmendingen) CDU/CSU Antw PStSekr’in Dr. Barbara Hendricks BMF 23823 C Anlage 6 Weiterführung der Wettbewerbshilfe für den Handelsschiffbau MdlAnfr 6 Angelika Volquartz CDU/CSU Antw PStSekr’in Margareta Wolf BMWi . . . 23823 D Anlage 7 Einführung eines Lebensmittel-Monitorings für Öko-/Bioprodukte angesichts der festge- stellten Verseuchung von Ökogetreide mit Nitrofen; Quantitiäts- und Qualitätskontrolle des 1998 bis 2001 in Öko-/Biobetrieben ange- bauten und geernteten Ölrapses MdlAnfr 7, 8 Helmut Heiderich CDU/CSU Antw PStSekr Matthias Berninger BMVEL 23824 B Anlage 8 Finanzierung einer Konferenz der deutschen Botschafter aus Mitteln des Einzelplans 60 für „Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ter- rorismusbekämpfung“ MdlAnfr 11 PeterWeiß (Emmendingen) CDU/CSU Antw StMin Dr. Ludger Volmer AA . . . . . . . 23825 A Anlage 9 Aufhebung der Benes-Dekrete durch Tsche- chien; Vereinbarkeit der Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten Zeman zur Vertreibung der Sudetendeutschen mit dem deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag von 1992 MdlAnfr 12, 13 Hartmut Koschyk CDU/CSU Antw StMin Dr. Ludger Volmer AA . . . . . . . 23825 A Anlage 10 Zweck des Einsatzes der Schnellboote und Fregatten am Horn von Afrika; Einsatzrichtli- nien der Bundesmarine MdlAnfr 17, 18 Benno Zierer CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 23825 C Anlage 11 Höhe des von der GEBB für den Einzelplan 14 erwirtschafteten Betrages; Bezahlung der Ge- schäftsführerin, ihres Stellvertreters und der Leiter der Geschäftsfelder bei der GEBB 2001; Höhe der Abfindung für die Geschäftsführerin MdlAnfr 19, 20 Günther Friedrich Nolting FDP Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 23826 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002 Andrea Nahles 23819 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002 23821 (C) (D) (A) (B) Dr. Bartsch, Dietmar PDS 05.06.2002 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 05.06.2002 Marieluise DIE GRÜNEN Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 05.06.2002 Brase, Willi SPD 05.06.2002 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 05.06.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 05.06.2002* Klaus Claus, Roland PDS 05.06.2002 Erler, Gernot SPD 05.06.2002 Frick, Gisela FDP 05.06.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 05.06.2002 Peter Dr. Grygier, Bärbel PDS 05.06.2002 Hampel, Manfred SPD 05.06.2002 Hoffmann (Wismar), SPD 05.06.2002 Iris Irmer, Ulrich FDP 05.06.2002 Jäger, Renate SPD 05.06.2002* Jüttemann, Gerhard PDS 05.06.2002 Labsch, Werner SPD 05.06.2002 Leidinger, Robert SPD 05.06.2002 Dr. Lucyga, Christine SPD 05.06.2002* Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 05.06.2002* Erich Neumann (Bremen), CDU/CSU 05.06.2002 Bernd Onur, Leyla SPD 05.06.2002* Palis, Kurt SPD 05.06.2002* Papenroth, Albrecht SPD 05.06.2002 Raidel, Hans CDU/CSU 05.06.2002** Ronsöhr, CDU/CSU 05.06.2002 Heinrich-Wilhelm Schily, Otto SPD 05.06.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 05.06.2002 Schloten, Dieter SPD 05.06.2002* Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 05.06.2002* Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 05.06.2002* Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 05.06.2002 Andreas Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 05.06.2002 Christian Seehofer, Horst CDU/CSU 05.06.2002 Siebert, Bernd CDU/CSU 05.06.2002* Dr. Freiherr von CDU/CSU 05.06.2002 Stetten, Wolfgang Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 05.06.2002 DIE GRÜNEN Wegener, Hedi SPD 05.06.2002 Welt, Jochen SPD 05.06.2002 Wettig-Danielmeier, SPD 05.06.2002 Inge Wiesehügel, Klaus SPD 05.06.2002 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 05.06.2002* Zierer, Benno CDU/CSU 05.06.2002* * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der OSZE Anlage 2 Nachträglich abgedruckte Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid auf die Frage des Abgeordneten Dirk Niebel (FDP) (232. Sitzung, Druck- sache 14/8828, Frage 9): Wie vereinbart die Bundesregierung die Gewährung finanziel- ler Hilfen an die Palästinensische Autonomiebehörde mit der Ab- schlusserklärung der UN-Konferenz „Financing für Develop- ment“ in Monterrey/Mexiko vom 18. bis 22. März 2002? Die Bundesregierung sieht keinen Widerspruch zwi- schen der Abschlusserklärung der VN-Konferenz, „Finan- cing for Development“ in Monterrey und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensischen Gebieten. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensischen Gebieten dient der strukturellen entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Verbesserung der Rahmenbedingungen und konzentriert sich auf die Schwerpunkte: Wasserver- und Entsorgung und nachhaltiges und effi- zientes Wasserressourcenmanagement. Die enorme Was- serknappheit in der Region, die ungleiche Verteilung der Wasserressourcen sowie grenzüberschreitende Wasser- läufe bergen ein erhebliches zukünftiges regionales Kon- fliktpotenzial. Die deutsche Entwicklungszusammenar- beit will hier einen Beitrag zur Krisenminderung leisten. Sie leistet damit im Übrigen auch einen Beitrag zur nach- haltigen israelischen Wasserversorgung, weil Israel mehr als die Hälfte seines Trinkwassers aus der Westbank be- zieht. Aufbau von Institutionen und Weiterqualifizierung des Humankapitals: Aufbau transparenter und im Sinne von guter Regierungsführung arbeitender Institutionen sowie Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, um ei- nen Beitrag zur weiteren Demokratisierung der Palästi- nensischen Gebieten und dem Aufbau von Verwaltungs- strukturen zu leisten. Gute Erfolge zeigt dabei auch das über die Friedrich-Naumann-Stiftung implementierte Programm zur Förderung von Nichtregierungsorganisa- tionen in den Palästinensischen Gebieten mit den Schwer- punkten Jugend-, Frauen- und Menschenrechts- und De- mokratieförderung sowie Umwelt. Förderung der Privatwirtschaft, um auch ökonomisch eine nachhaltige Entwicklung der Palästinensischen Ge- biete zu unterstützen. Zusätzlich baten Sie in der schriftlichen Antwort um Erläuterung der Aspekte: Beurteilung der Menschen- rechtssituation, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Stand der innerpalästinensischen Demokratie und Korruption: Es sind zahlreiche Menschenrechtsverletzungen an Palästinensern von der Palästinensischen Behörde sowie vonseiten Israels dokumentiert. Die Bundesregierung for- dert in ihren Verhandlungen und Gesprächen nachdrück- lich beide Seiten zur Einhaltung der Menschenrechte auf. Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden auch über die politischen Stiftungen und Kirchen Nichtregierungsorganisationen, zum Beispiel Menschen- rechtszentren, gefördert, um die Einhaltung der Men- schenrechte zu verankern und zu befördern und Men- schenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Frauen sind in den Palästinensischen Gebieten im Fa- milien- und Erbrecht benachteiligt. Mädchen und Frauen haben gleichberechtigten Zugang zu Bildung, auch im ter- tiären Bereich. Auch hier leistet die Entwicklungszusam- menarbeit einen Beitrag über die Förderung von Nicht- regierungsorganisationen. 1996 fanden demokratische Wahlen zum Palästinen- sischen Rat und des Präsidenten der Exekutivbehörde, Yassier Arafat, statt. Die für 1997 geplanten Kommu- nalwahlen wurden bislang mit der Begründung der an- haltenden israelischen Besetzung und der daraus resul- tierenden Nichtteilnahme Ost-Jerusalems verschoben. Die Mittel der deutschen Entwicklungszusammen- arbeit werden grundsätzlich projektbezogen zugesagt. Di- rekte finanzielle (Budget-)Hilfe wird nicht an die Palästi- nensische Autonomiebehörde geleistet. Ihre Frage, wie der politische Dialog mit der Palästi- nensischen Autonomiebehörde aussieht, beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung steht im intensiven politischen Dialog mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, um die Lösung des Nahostkonflikts voranzutreiben und einen gerechten, dauerhaften Frieden zu befördern. Dieser Dialog auf den verschiedenen Ebenen bezieht sich aber auch auf Fragen der Menschenrechte und De- mokratisierung, guten Regierungsführung einschließlich eines transparenten staatlichen Finanzgebarens. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Meinrad Belle (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deut- schem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Ho- heitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Ge- setz zu dem deutsch-schweizerischen Vertrag vom 18. Oktober 2001) (237. Sitzung, Tagesordnungs- punkt 27 e) Ich lehne diesen Entwurf eines Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft ab, weil er weder die Interessen der be- troffenen Bevölkerung im deutschen Südwesten ausrei- chend berücksichtigt noch mit dem Grundgesetz der Bun- desrepublik Deutschland vereinbar ist. Für meine Ablehnung mache ich folgende Gründe gel- tend: Erstens. Nachdem nach dem ablehnenden Entscheid in der Verkehrskommission des schweizerischen Nationalrats eine Zustimmung des Vertragspartners mehr als zweifelhaft ist, bindet sich die Bundesregierung durch die einseitige Ratifizierung vorab in einer unnötigen Weise. Sollte die Schweiz den Vertragsentwurf ablehnen, wird Deutschland gefordert sein, eine einseitige Rechtsverordnung zur Klärung der offenen Fragen zu erlassen. Durch die mit der Verabschiedung des Staatsvertrags auf deutscher Seite er- folgende Festlegung auf die dort genannten Parameter wird eine jetzt noch mögliche restriktivere Fassung der zu erlas- senden Rechtsverordnung politisch unmöglich. Dies ver- letzt die Interessen der hauptsächlich betroffenen Bevölke- rung in den Landkreisen Waldshut, Konstanz und Schwarzwald-Baar in schwerwiegendem Maße. Zweitens. Es widerspricht der Tragweite des Vertrags- inhalts, wenn die Dritte Beratung auf ausdrücklichen Wunsch der Bundesregierung und der Koalitionsfraktio- nen in verbundener Debatte mit weiteren, mit der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 200223822 (C) (D) (A) (B) Materie nur mittelbar in Zusammenhang stehenden Tagesordnungspunkten vorgenommen wird. Offenbar sind sich Bundesregierung und Koalitionsfraktionen des mangelhaften Inhalts des Staatsvertragsentwurfs selbst be- wusst, denn ansonsten hätten sie eine Beratung innerhalb eines eigenständigen Tagesordnungspunkts ermöglicht. Drittens. Art. 24 Abs. 1 und Art. 87 d des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland regeln die Übertragung von Hoheitsrechten und bestimmen eindeutig, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten – und um eine solche handelt es sich bei der Übertragung der Luftverkehrskon- trolle – nur an zwischenstaatliche Organisationen zulässig ist. Die im Staatsvertragsentwurf vorgesehene Übertragung an die Schweizer Firma „Skyguide“ ist von den einschlägi- gen Bestimmungen des Grundgesetzes nicht gedeckt und folglich ist der Vertragsentwurf verfassungswidrig. Viertens. Die im Vertragsentwurf vorgesehenen Rege- lungen betreffen ausschließlich das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Wenn nun in Art. 17 des Vertrags geregelt ist, dass die bilateralen Vereinbarungen zwischen der EU und der Schweizerischen Eidgenossen- schaft von dem Vertrag unberührt bleiben, impliziert dies die Möglichkeit, die für das Hoheitsgebiet der Bundesre- publik Deutschland vorgenommenen Beschränkungen mit Verweis auf EU-Recht auszuhebeln, während das Ter- ritorium der Schweizerischen Eidgenossenschaft hiervon unberührt bleibt. Die Vehemenz, mit der die Schweiz in den Vertragsverhandlungen auf dem erwähnten Art. 17 bestand, bestätigt dies. Fünftens. Die vorgesehenen Beschränkungen hinsicht- lich der An- und Abflüge auf Zürich-Kloten über deut- sches Hoheitsgebiet sind insbesondere mit Blick auf die zahlreichen und recht weit auslegbaren Ausnahmebestim- mungen nicht dazu geeignet, die Tourismusregionen Südschwarzwald und Bodenseeregion in ihrer wirt- schaftspolitisch bedeutsamen Entwicklung vor der Beein- trächtigung durch den Fluglärm zu schützen. Sechstens. Der Vertragsentwurf lässt die Tatsache, dass sich die Warteräume ausschließlich auf deutschem Staats- gebiet befinden, unwidersprochen. Sonderbar ist in die- sem Zusammenhang auch, dass das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bislang keine Veranlassung sah, gegen den Warteraum EKRIT, der sich über einer ganzen Reihe kerntechnischer Anlagen – Kernkraftwerke Leibstadt und Beznau, Zwischenlager Würenlingen – befindet, vorzugehen, was im Rahmen der Vertragsverhandlungen durchaus möglich gewesen wäre. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Hans Martin Bury auf die Frage des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Drucksache 14/9188, Frage 2): Teilt die Bundesregierung die Vorwürfe des American Jewish Comittee (AJC), dass die Berichterstattung in den deutschen Me- dien wie „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Zei- tung“ „die tageszeitung“, „DIE WELT“, „Frankfurter Rundschau“ sowie „DER SPIEGEL“ dazu beiträgt, antisemitische Vorurteile zu produzieren oder auch erst herzustellen (AFP vom 28. Mai 2002)? Es ist nicht Sache der Bundesregierung, die Bericht- erstattung deutscher Medien zu kommentieren. Es liegt bei den deutschen Medien, sich mit dem vom American Jewish Commitee in Auftrag gegebenen Gut- achten und den damit verbundenen Vorwürfen auseinan- der zu setzen. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die Frage des Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) (Drucksache 14/9188, Frage 5): Teilt die Bundesregierung angesichts des andauernden poli- tischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses in Ost- europa und Zentralasien die Auffassung des deutschen Vertreters im Gouverneursrat der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Staatssekretär Caio Koch-Weser, der sich für eine mit- telfristig durchzusetzende Schließung der EBRD ausspricht (ver- gleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 21. Mai 2002)? Staatssekretär Koch-Weser hat sich in dem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht für die mit- telfristige Schließung der Europäischen Bank für Wieder- aufbau und Entwicklung (EBWE) ausgesprochen. Wie aus dem Textteil des Interviews deutlich wird, hat Staatssekre- tär Koch-Weser lediglich angeregt, angesichts der erfolg- reichen Arbeit der Bank im Transformationsprozess der mittel- und osteuropäischen sowie der GUS-Länder, über die Schließung der Bank nachzudenken. Die Überschrift des Artikels ist daher leider missverständlich; eine Debatte zur Auflösung der Bank wird nicht gefordert. In seiner Rede auf der Jahrestagung der Bank hat Staatssekretär Koch-Weser im Übrigen die erfolgreiche Arbeit der EBWE ausdrücklich gewürdigt und auch die Notwendig- keit eines weiteren Engagements der Bank beim Transfor- mationsprozess zum Ausdruck gebracht. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf auf die Frage der Abgeordneten Angelika Volquartz (CDU/CSU) (Drucksache 14/9188, Frage 6): Welche Chancen sieht die Bundesregierung angesichts der dramatischen Entwicklung im Handelsschiffbau, die Weiter- führung der Wettbewerbshilfe durchzusetzen und einzelne Bun- desländer zu veranlassen, entsprechende Komplementärmittel be- reitzustellen? Die Weiterführung von Wettbewerbshilfen für Con- tainerschiffe, Produkten- und Chemiekalientankern hängt insbesondere von der Zustimmung einer qualifi- zierten Mehrheit der europäischen Partner am 6. Juni 2002 im Industrierat ab. Denn dort steht der Kom- missionsvorschlag für eine Verordnung über die Ein- führung befristeter Schutzmaßnahmen für den Schiffbau auf der Tagesordnung. Die darin vorgesehenen tem- porären Beihilfen sollen eine WTO-Klage gegen Süd- korea flankieren. Bisher konnte die notwendige qualifizierte Mehrheit nicht erreicht werden, da Frankreich, das für die notwendige Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002 23823 (C) (D) (A) (B) Mehrheit hätte sorgen können, an einer Einbeziehung von Flüssiggastankern in den Kommissionsvorschlag interes- siert war. Bislang sieht der Vorschlag nur für die Sektoren Containerschiffe, Produkten- und Chemikalientanker Wettbewerbshilfen vor. Das Vereinigte Königreich, die Niederlande, Schweden, Dänemark und Finnland lehnten temporäre Beihilfen strikt ab. Die Kommission kommt in ihrer jüngsten Untersu- chung von Handelshemmnissen im Bereich Schiffbau (TBR-Bericht) zum Ergebnis, dass es weiterer Beobach- tung bedarf, ob Gastanker von den unfairen Wettbewerbs- praktiken Koreas nachhaltig betroffen seien. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission bislang den vorliegen- den Vorschlag für einen zeitweiligen Verteidigungsme- chanismus nicht auf den Schiffstyp der Flüssiggastanker ausgedehnt. Je nach Verlauf der Diskussion und Willens- bildung im Industrierat ist die Bundesregierung vorberei- tet, gegebenenfalls auch Kompromisse anzubieten, um das Zustandekommen der Verordnung zu ermöglichen. Ohne den Konsens der qualifizierten Mehrheit im Rat können weitere Wettbewerbshilfen im Schiffbau nicht durchgesetzt werden. Zur Frage, welche Chancen bestehen, einzelne Bun- desländer zu veranlassen, entsprechende Komplementär- mittel für Wettbewerbshilfen bereitzustellen, gilt Folgen- des: Die jeweiligen Landesregierungen entscheiden, in welcher Höhe die Küstenländer die im Haushaltsgesetz vorgesehene Zwei Drittel-Kofinanzierung erbringen. Die Bundesregierung wird diese in der Zuständigkeit der Län- der liegenden Entscheidungen respektieren. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die Fra- gen des Abgeordneten Helmut Heiderich (CDU/CSU) (Drucksache 14/9188 Fragen 7 und 8): Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des „Natur- land“-Geschäftsführers („Hannoversche Neue Presse“ vom 25. Mai 2002), wonach „Öko-Produkte eben keine rückstandsfreien Pro- dukte sind“ vor dem Hintergrund der Darstellung (dito, Seite 4), dass bereits im Dezember 2001 wegen der festgestellten Verseuchung von Ökogetreide mit Nitrofen beim „Naturland“-Verband „Alarm“ geschlagen worden ist, und wie erklärt die Bundesregierung in die- sem Zusammenhang, dass sie bis heute noch kein Lebensmittel- Monitoring für Öko-/Bioprodukte geschaffen hat? Kann die Bundesregierung mitteilen, in welchem Umfang (Fläche, Erntemenge) anerkannte Öko-/Biobetriebe in Deutsch- land in den Jahren 1998 bis 2001 jeweils Ölraps (eventuell unter- schieden nach 00-Raps, Industrie-Raps usw.) angebaut und ge- erntet haben, und in welcher Form die Bundesregierung diesen Anbau nach Quantität und Qualität überprüft hat? Zu Frage 7: Die Produktion von Lebensmitteln aus ökologischem Anbau unterliegt strengen Vorschriften, die einen Ein- satz von chemisch synthetischen Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich nicht gestatten. Leider ist es in einzelnen Fällen – wie auch bei konventionell erzeugten Lebens- mitteln – nicht möglich, einen absoluten Nullwert bei bestimmten persistenten Wirkstoffen zu erreichen. Hier- bei handelt es sich aber um nicht aktiv angewendete Wirkstoffe, sondern um Altlasten, die eine Erblast der „chemischen“ Lebensmittelproduktion sind. Das Le- bensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz gilt jedoch auch insoweit für Öko-Produkte. Zu dem zweiten Teil der Frage ist festzustellen, dass die Durchführung der Lebensmittelüberwachung in der Zuständigkeit der Bundesländer liegt. Im Rahmen des Le- bensmittelmonitorings wurden in der Vergangenheit auch Lebensmittel aus ökologischem Anbau berücksichtigt, al- lerdings aufgrund mangelnder Repräsentativität nicht ver- öffentlicht. Deshalb hat der unter dem Vorsitz des Bundes zwei Mal jährlich tagende Bund-Länder-Ausschuss Monito- ring bereits in seiner letzten Sitzung im November 2001 auf Vorschlag des BMVEL die Frage der Untersuchung von Lebensmitteln aus ökologischem Anbau im Monito- ring-Programm erörtert. Damals haben die Länder jedoch mehrheitlich die Auf- fassung vertreten, dass die Beprobung dieser Lebens- mittelgruppe nicht im Rahmen des Lebensmittel-Moni- torings, das eine repräsentative Beprobung verlange, sondern im Rahmen der allgemeinen Lebensmittelüber- wachung erfolgen solle. Die Angelegenheit wird jedoch auf Initiative des BMVEL angesichts der neueren Ent- wicklungen im Zusammenhang mit den festgestellten Nitrofen-Belastungen erneut auf der nächsten Sitzung des Monitoring-Ausschusses am 28. Juni 2002 behandelt wer- den. Das BMVEL tritt auch weiterhin verstärkt dafür ein, Lebensmittel aus ökologischem Anbau in den Monitoring- Plan aufzunehmen und entsprechend auszuweisen. Darüber hinaus hat auch die allgemeine Lebensmittel- überwachung in den Bundesländern in den vergangenen Jahren Lebensmittel aus ökologischem Anbau bei ihren Überwachungsmaßnahmen berücksichtigt. Zu Frage 8: Die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle GmbH (ZMP) hat aufgrund von Daten der zugelassenen Öko- Kontrollstellen eine Schätzung der Struktur der Landnut- zung und Tierhaltung ökologisch wirtschaftender Be- triebe in Deutschland erstellt. Nach diesen Schätzungen wurden Raps/Rübsen 1998 auf 3 500 ha, 1999 auf 4 500 ha und 2001 auf 3 000 ha angebaut. In Deutschland sind aufgrund der föderalen Struktur die Bundesländer für die Kontrolle der Betriebe und Überwachung von Lebensmitteln zuständig. An dem Kontrollsystem für Bio-Produkte sind staatliche Überwa- chungsbehörden im jeweiligen Bundesland und private Kontrollstellen beteiligt. Die staatlichen Überwachungs- behörden entscheiden über die Zulassung der privaten Kontrollstellen und beaufsichtigen deren Arbeit. Die bun- desweit zugelassenen 22 Kontrollstellen überprüfen die landwirtschaftliche Erzeugung, Verarbeitung, Verpackung, den Import aus Drittländern und die Kennzeichnung der Ökoprodukte im Hinblick auf die Einhaltung der Vor- schriften der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 des Rates vom 24. Juni 1991 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftli- chen Erzeugnisse und Lebensmittel. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 200223824 (C) (D) (A) (B) Anlage 8 Antwort des Staatsministers Dr. Ludger Volmer auf die Frage des Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) (Drucksache 14/9188, Frage 11): Trifft es zu, dass die Bundesregierung eine Konferenz der deut- schen Botschafter nicht aus den etatmäßigen Ressortmit- teln des Auswärtigen Amts, sondern aus den Mitteln des Einzel- plans 60 (Allgemeine Finanzverwaltung) für „Maßnahmen im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung“ finanzieren will? Dies trifft nicht zu. Alle Kosten der Konferenz werden aus den allgemeinen Betriebsmitteln des Auswärtigen Amts bezahlt. Anlage 9 Antwort des Staatsministers Dr. Ludger Volmer auf die Fragen des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU) (Druck- sache 14/9188, Fragen 12 und 13): Wird die Bundesregierung die vom Bundesminister des In- nern, Otto Schily, im Rahmen seiner Rede auf dem Sudetendeut- schen Tag am 18. Mai 2002 erhobene Forderung: „Im Sinne die- ser deutsch-tschechischen Erklärung sollte sich die tschechische Seite aber auch entschließen, die Benes-Dekrete aufzuheben . . .“ auch offiziell gegenüber der Tschechischen Republik und gegen- über der EU-Kommission im Hinblick auf die laufenden Bei- trittsverhandlungen mit der Tschechischen Republik zum Aus- druck bringen? Stehen nach Einschätzung der Bundesregierung die Äußerun- gen des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman zur Ver- treibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat („Sie wollten ,heim ins Reich’, und dahin gingen sie auch“, veröffentlicht von dpa am 20. Mai 2002) und des tschechischen Vize-Ministerprä- sidenten Vladimir Spidla („Er [der Aufschub] war eine Quelle des künftigen Friedens“ in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 18. Mai 2002) im Einklang mit dem deutsch-tschechischen Nachbar- schaftsvertrag von 1992 und wenn nein, in welcher Form gedenkt die Bundesregierung dies gegenüber der tschechischen Seite zu thematisieren? Zu Frage 12: Die jetzige und alle vorherigen Bundesregierungen haben die entschädigungslose Enteignung und Ausbürge- rung Deutscher aus der damaligen Tschechoslowakei auf der Grundlage der Benes-Dekrete immer für völkerrechtli- ches Unrecht gehalten. Das hat Bundesminister Schily in seiner Rede zum Ausdruck gebracht. Die deutsche Rechtsauffassung ist der Tschechischen Republik bekannt. In der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997 erklären beide Seiten, dass jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflich- tet bleibt und respektiert, dass die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Die Deutsch-Tschechische Erklärung stellt heute, wie von Bundesminister Schily ausgeführt, mit allen ihren Elementen die Grundlage unserer bilateralen Be- ziehungen dar. Im Übrigen hat die Bundesregierung – wie alle ihre Vorgängerinnen – zu keinem Zeitpunkt eine Ver- bindung zwischen dem Thema der Benes-Dekrete und dem von deutscher Seite nachdrücklich gewünschten und geför- derten EU-Beitritt der Tschechischen Republik hergestellt. Auch Bundesminister Schily hat dies in seiner Rede nicht getan. Zu Frage 13: Nach der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997 bleibt jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet und res- pektiert, dass die andere Seite eine andere Rechtsauffas- sung hat. Die tschechische Rechtsauffassung ist der Bun- desregierung bekannt. Die Bundesregierung hält allerdings die Art und Weise, wie einige tschechische Politiker diese Rechtsauffassung formulieren, für nicht geeignet, den bilateralen Dialog „in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens“ (Zitat aus Nachbarschaftsvertrag von 1992) zu erweitern und zu ver- tiefen und weist darauf in bilateralen Gesprächen auch hin. Anlage 10 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Benno Zierer (CDU/CSU) (Drucksa- che 14/9188, Fragen 17 und 18): Welchem Zweck diente der Einsatz der Schnellboote der Bun- desmarine am Horn von Afrika, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Kosten für den An- und Abtransport der Boote rückblickend in keinem Verhältnis zu dem – angesichts der nur sehr kurzen Verweildauer der Boote am Horn – erreichbaren Erfolg der Aktion stehen? Welchem Zweck diente der Einsatz der Fregatten der Bundes- marine am Horn von Afrika, und welche Richtlinien regelten den Einsatz beispielsweise auch mit Blick auf das Verhalten der Be- satzungen im Falle eines Angriffs auf die deutschen Fregatten? Zu Frage 17: Auftrag der eingesetzten Kräfte ist und war es, im Ein- satzgebiet den Schutz der internationalen Schifffahrt vor terroristischen Angriffen sicherzustellen und zu mariti- men Abriegelungsoperationen beizutragen, um die Ver- sorgung terrroristischer Gruppen oder deren Ausweichen über See zu unterbinden. Deutschland stellte dazu einen Verband zur Verfügung, der unter anderem Schnellboote beinhaltete, da diese be- sonders für Einsätze im küstennahen Bereich geeignet sind. Einsatzschwerpunkt war die Überwachung der Meer- enge „Bab el Mandeb“. Daneben waren sie ein geeignetes Seekriegsmittel, um wichtige Geleitschutzaufgaben für Koalitionspartner in dieser Meerenge durchzuführen. Der einsatznotwendige Transport der Schnellboote per Dockschiff an das Horn von Afrika war die ressourcenscho- nendste Verlegemöglichkeit. So konnte auch sichergestellt werden, dass Materialerhaltungsmaßnahmen während des Einsatzes minimiert wurden. Mit der Zuführung weiterer Kräfte aus dem Bereich an- derer Nationen und einer Neubewertung der einsatzbe- dingten Bereitstellungserfordernisse von Seekriegsmit- teln konnten die deutschen Schnellboote nach 3 Monaten Einsatzzeit ihren Einsatz beenden. Zu Frage 18: Die eingesetzten Fregatten führen ihren Auftrag über- wiegend im Bereich der Hohen See des Einsatzgebietes aus. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002 23825 (C) (D) (A) (B) Der Einsatz der deutschen Marine wird im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ nach den von der Bun- desregierung gebilligten Regeln – den Rules of Engage- ment – durchgeführt. Im Falle eines Angriffes auf eine der Deutschen Ein- heiten haben diese das Recht zur Selbstverteidigung. Dazu stehen der Einheit alle an Bord verfügbaren Waf- fensysteme zur Verfügung, die unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel einge- setzt werden können. Anlage 11 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting (FDP) (Drucksache 14/9188, Fragen 19 und 20): Welchen Geldbetrag hat die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb (GEBB) bisher aus welchen ihrer Geschäftsaktivitäten erwirtschaftet, der bisher unmittelbar dem Einzelplan 14 (Bundesministerium der Verteidigung) zugute gekommen ist? Wie hoch ist der Geldbetrag, den die Geschäftsführerin, ihr Stellvertreter und die Leiter der Geschäftsfelder im Jahr 2001 für ihre Funktionen bei der GEBB erhalten haben, und wie hoch war die Abfindung der Geschäftsführerin bei ihrem Ausscheiden aus dem Amt? Zu Frage 19: Die GEBB hat bisher eine Liegenschaft aus dem so ge- nannten GEBB-Portfolio veräußert. Es handelt sich dabei um das ehemalige Verpflegungsamt in Ansbach. Der Kaufpreis beträgt rund 1,1 Millionen Euro. Der Nettover- kaufserlös wird zur Rückzahlung des so genannten Vor- griffes verwendet werden. Darüber hinaus konnten aufgrund der Beratungstätig- keit der Gesellschaft im Bereich des Bekleidungswesens Einsparungen in Höhe von 23 Millionen Euro erzielt werden. Zu Frage 20: Die von Ihnen weiterhin erbetene Information zu den finanziellen Leistungen an die Geschäftsführung der Ge- sellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb und die Leiter der Geschäftsfelder betrifft gesellschaftsinterne Vorgänge. Die GEBB mbH wurde als privatrechtliche Or- ganisation mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen. Allerdings hat der Bundesrechnungshof eine umfas- sende externe Finanzkontrolle, deren Ergebnisse dem Parlament zur Kenntnis gegeben werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 238. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 200223826 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423800000
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Internationales Jahr der Frei-
willigen.

Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Edith Niehuis.

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423800100

Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Internationale Jahr der
Freiwilligen 2001 liegt nun hinter uns. Es hat viele Er-
gebnisse mit positiven Auswirkungen auf die Zukunft
unserer Gesellschaft gebracht. Der Abschlussbericht liegt
vor und wurde heute im Kabinett behandelt.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte
1997 beschlossen, das Jahr 2001 zum Internationalen Jahr
der Freiwilligen zu machen. 123 Länder hatten sich in ei-
ner gemeinsamen Erklärung auf vier Ziele zur Förderung
des freiwilligen Engagements verpflichtet: Erstens. Der
wichtige und unverzichtbare Beitrag des freiwilligen En-
gagements für die gesellschaftliche Wohlfahrt sollte grö-
ßere Anerkennung finden. Zweitens. Die Aktivitäten der
Freiwilligen sollten eine stärkere Unterstützung durch
Staat, Gesellschaft und Wirtschaft erfahren. Drittens. Eine
stärkere Vernetzung von Aktivitäten sowie der Wissens-
austausch sollten die Effektivität des bürgerschaftlichen
Engagements erhöhen. Das Zusammenspiel dieser drei
Hauptziele sollte in den Ländern zu einer Stärkung des
freiwilligen Engagements führen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist Theorie!)


Wir haben in unserem federführenden Ministerium
eine Projektgruppe gebildet, und es wurde ein Nationaler
Beirat eingerichtet. Träger dieses Nationalen Beirats war

der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge.
In diesem Nationalen Beirat saßen Vertreterinnen und
Vertreter der bundesweiten Träger des freiwilligen En-
gagements und ihrer Zusammenschlüsse, wie zum Bei-
spiel Wohlfahrtsverbände, Jugend- und Frauenverbän-
de, Freiwilligenagenturen, Stiftungen, Kirchen, Medien,
Bund, Länder und Kommunen. Der Nationale Beirat hat
sieben Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen ge-
bildet, wie zum Beispiel Arbeit und Wirtschaft, Öffent-
lichkeitsarbeit, Bildung und Ausbildung.

Der Deutsche Bundestag hat dankenswerterweise be-
reits Ende 1999 entschieden, eine Enquete-Kommission
„Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ einzu-
richten. Mit ihr haben wir ständig eine intensive Zusam-
menarbeit gepflegt.

Das freiwillige Engagement ist in Deutschland wäh-
rend des Internationalen Jahres zu einer öffentlichen An-
gelegenheit geworden und war Gegenstand vielfältiger
Diskussionen. Für die Verbreitung der Ziele des IJF wurde
vor allem das Internet genutzt. Ende 2001 hatten sich auf
der Website „freiwillig.de“ 365 bundesweite Organisa-
tionen mit ihren Veranstaltungen eingetragen. 2001 gab es
insgesamt 2 398 980 Zugriffe auf diese Website. Debatten
zur Bürgergesellschaft und zur Zukunft des bürgerschaft-
lichen Engagements wurden weitergeführt. Dabei standen
nachhaltige Infrastrukturförderung und neue Kooperatio-
nen mit der Wirtschaft häufig im Mittelpunkt der Diskus-
sionen.

Im Rahmen des Internationalen Jahres der Freiwilligen
wurde vielfach Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Dazu ge-
hörte auch die Wanderausstellung „Freiwillig für mich,
für uns, für andere“. Es gab davon sieben Exemplare;
im Jahre 2001 wurde sie 120-mal eingesetzt. Für das
Jahr 2002 gibt es bereits 60 Buchungen. Ich möchte mich
bei all den Abgeordneten bedanken, die diese Wanderaus-
stellung in ihre Wahlkreise geholt haben. Ich denke, das
hat mitgeholfen, das Internationale Jahr der Freiwilligen
noch bekannter zu machen.

Der im Jahre 2000 veröffentlichte Freiwilligensurvey,
eine von uns finanzierte repräsentative Studie, zeigt, dass
sich 34 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, also rund
22 Millionen Menschen, bürgerschaftlich engagieren.

23789


(C)



(D)



(A)



(B)


238. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 5. Juni 2002

Beginn: 13.00 Uhr

Nach diesem Survey gibt es neben den 22 Millionen En-
gagierten weitere 20 Millionen Bürgerinnen und Bürger,
die bereit wären, sich in irgendeinem Bereich zu enga-
gieren. Das heißt, wir können auf das Engagement unserer
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland stolz sein. Das be-
tone ich bewusst, weil viele einen Blick über die Grenzen
werfen und meinen, in anderen Ländern gäbe es ein größe-
res Engagement. Nein, auch bei uns gibt es in nahezu al-
len gesellschaftlichen Bereichen ein vorzeigbares bürger-
schaftliches Engagement. Auf den Bereich Sport und
Bewegung entfallen allein 22 Prozent des Engagements,
auf die drei anderen großen Bereiche Freizeit und Gesel-
ligkeit, Kultur und Musik sowie Schulen und Kindergärten
durchschnittlich 10 Prozent. Insgesamt entfallen auf diese
vier Bereiche rund 55 Prozent des Engagements.

Das Engagement von Kindern und Jugendlichen ver-
dient unter dem Aspekt der Zukunft des bürgerschaftlichen
Engagements besondere Aufmerksamkeit. Kinder und Ju-
gendliche sind eine wichtige Gruppe der Engagierten. Sie
betätigen sich in Vereinen, Verbänden, Projekten und in-
formellen Gruppen und übernehmen dabei Verantwortung
für sich selbst und andere. Engagement und Engagement-
bereitschaft von Kindern und Jugendlichen stellen die Ba-
sis für die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements in
unserer Gesellschaft dar. Nach den Ergebnissen des Frei-
willigensurvey ist die Gruppe der 14- bis 24-Jährigen im
Vergleich zur Gesamtbevölkerung mit einer Quote von
37 Prozent sogar in überdurchschnittlichem Maße enga-
giert. Jugendliche sind in einem erheblichen Umfang und
mit beachtlicher Intensität in vielfältigen Feldern am bür-
gerschaftlichen Engagement beteiligt. Ich meine, wir soll-
ten uns größere Mühe geben, dieses differenzierte Bild der
Jugendlichen auch in der Öffentlichkeit und in den Medien
offensiver zu transportieren.

In dieser Wahlperiode war es auch ein besonderes An-
liegen der Bundesregierung, die individuellen und insti-
tutionellen Rahmenbedingungen des freiwilligen und
des bürgerschaftlichen Engagements zu verbessern. Ver-
besserte Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tä-
tigkeiten – zum Beispiel die verbesserte Übungsleiterpau-
schale – wurden beschlossen, über die betriebliche
Mitbestimmung das bürgerschaftliche Engagement im Er-
werbsleben verbessert, der freiwillige Einsatz von Ar-
beitslosen, die Selbsthilfe und das bürgerschaftliche Enga-
gement in der Pflege und Hospizarbeit gefördert und die
Vereine steuerlich entlastet. Insbesondere im Bereich der
Stiftungen sind die steuer- und zivilrechtlichen Rahmen-
bedingungen in entscheidender Weise zukunftsorientiert
gestaltet worden. Auch haben wir die Einsatzfelder für das
freiwillige soziale Jahr von jungen Menschen ausgeweitet.

Bevor die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürger-
schaftlichen Engagements“ dem Bundestag in der nächs-
ten Woche weitere Handlungsempfehlungen übergeben
wird, ist somit schon vorher in den vergangenen vier Jah-
ren eine Vielzahl von Verbesserungen durch die Bundes-
regierung umgesetzt worden.

Das Internationale Jahr der Freiwilligen 2001 wird erst
dann ein voller Erfolg, wenn es gelingt, die Fortschritte
zugunsten des bürgerschaftlichen Engagements nachhal-
tig zu sichern. Dazu und zur Weiterentwicklung des frei-
willigen Engagements sieht das Bundesminsterium für

Familie, Senioren, Frauen und Jugend folgende Aufgaben
und Ziele als vorrangig an:

Erstens. Wir müssen die Kooperationsstrukturen zur
Vernetzung der bürgerschaftlich Engagierten in Wirt-
schaft, Staat und Gesellschaft weiter verbessern, das Leit-
bild der engagementorientierten Organisationen in mög-
lichst allen gesellschaftlichen Einrichtungen umsetzen
bzw. einführen, Schulen, Hochschulen und das gesamte
Bildungswesen stärker als bisher zur Förderung und An-
erkennung des bürgerschaftlichen Engagements bewe-
gen, die Förderung des freiwilligen Engagements durch
und in Unternehmen dauerhaft und breiter verankern so-
wie die öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung für
freiwilliges Engagement in den Medien über das Interna-
tionale Jahr hinaus erhalten und, wenn möglich, verstär-
ken. Bürgerschaftliches Engagement schafft auf diese
Weise nachhaltig wichtige Grundlagen für die soziale
Bürgergesellschaft und für soziales Kapital und bildet
eine umfassende Diskurskultur für eine funktionsfähige
und starke soziale Demokratie.

Immer wieder wird gefragt, was nach einem Internatio-
nalen Jahr passiert und ob dem, was in einem solchen Jahr
gut gelaufen ist, noch etwas nachfolgt. Ich meine, wir kön-
nen stolz darauf sein, dass der Nationale Beirat über das
Jahr 2001 hinaus Überlegungen angestellt und die Mei-
nung vertreten hat, dass ein Netzwerk bundesweiter Orga-
nisationen für das freiwillige Engagement notwendig ist.
Ich kann Ihnen mitteilen, dass heute die Gründungsver-
sammlung des Netzwerks für freiwilliges Engagement in
der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden hat. Sei-
tens unseres Ministeriums werden wir uns bemühen, die-
ses Netzwerk auch weiterhin aktiv zu begleiten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423800200
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin. – Ich bitte Sie, verehrte Abgeordnete, zu-
erst Fragen zu dem angesprochenen Themenkomplex zu
stellen.

Erster Fragesteller ist der Kollege Lothar Binding.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1423800300
Frau Staatsse-
kretärin Niehuis, Sie haben schon sehr viel hinsichtlich
der Arbeitsergebnisse der Enquete-Kommission ausge-
führt. Könnten Sie ein Resümee des Internationalen Jah-
res der Freiwilligen geben,


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Soll sie es noch einmal vorlesen? – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Das wird kurz!)


vielleicht unter Zusammenfassung der für Sie wichtigsten
Ergebnisse dieses Jahres?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423800400

Herr von Klaeden, das wird in der Tat ein kurzes Resümee
werden, weil ich dazu schon vieles ausgeführt habe.

Das wichtigste Ergebnis des Internationalen Jahres der
Freiwilligen war, dass es gelungen ist, die Organisationen,
die Möglichkeiten für freiwilliges Engagement anbieten,
in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stellen und mit
ihnen in netzwerkartigen Strukturen zusammenzuarbei-




Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
23790


(C)



(D)



(A)



(B)


ten. Herr Kollege Binding, wenn Sie sehen, dass das
im Nationalen Beirat entstandene Netzwerk über das
Jahr 2001 hinaus wirkt, dann werden Sie sicherlich mit
mir der Meinung sein, dass wir für die Zukunft des frei-
willigen sozialen Engagements einiges geleistet haben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423800500
Frau Kollegin Maria
Eichhorn, Ihre Frage, bitte.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1423800600
Frau Staatssekretärin,
die Senioren fühlen sich in dem angesprochenen Bereich
etwas vernachlässigt. Das so genannte Internationale Jahr
der Freiwilligen stand ja überwiegend unter dem Motto
„Engagement von jungen Menschen“. Das wurde me-
dienwirksam immer wieder zelebriert, wozu gerade die
jungen Menschen gesagt haben, sie seien benutzt worden.
Die Senioren kamen jedenfalls kaum vor. Welchen Grund
gab es dafür, dass Sie die Senioren außen vor gelassen ha-
ben? Schließlich sollte man bedenken, dass die Senioren
in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewin-
nen und dass gerade auch die aktiven Senioren im Mittel-
punkt unserer Politik stehen sollten.

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423800700

An meine Ohren ist die Klage nicht gedrungen, dass sich
die Senioren außen vor gefühlt haben. Wenn es so gewe-
sen wäre, würde ich das sehr bedauern.

Wenn man sich die im Internationalen Jahr der Frei-
willigen geleistete Arbeit hinsichtlich der Senioren genau
anschaut, dann stellt man fest, dass mein Ministerium die-
ses Jahr dazu genutzt hat, das Erfahrungswissen der Seni-
oren stärker in die Gesellschaft einfließen zu lassen. Sie
wissen, dass es momentan ein Modellprojekt gibt, bei
dem es um das Erfahrungswissen älterer Menschen geht.
Insofern denke ich, dass das, was Sie vorgetragen haben,
nur ein einzelner und kein allgemeiner Eindruck ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423800800
Nächste Fragestellerin
ist die Kollegin Ute Kumpf.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1423800900
Frau Staatssekretärin, im Interna-
tionalen Jahr der Freiwilligen wurde nicht nur gefeiert;
die Bundesregierung und die Enquete-Kommission haben
ja auch gearbeitet. Mich interessiert Folgendes: Können
Sie eine kurze Zusammenfassung der gesetzlichen Rege-
lungen geben, die vor allem in den letzten drei Jahren – im
Unterschied zu der Zeit, als noch die CDU/CSU regiert
hat – zu einer Stärkung des bürgerschaftlichen Engage-
ments geführt haben?


(Dirk Niebel [FDP]: Bei dem klein wenigen, was Sie bewegt haben, müssen Sie das immer wieder vortragen! – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Noch einmal zurückspulen!)


– Das muss man öfter hören. Ich finde, darauf kann gar
nicht genug hingewiesen werden. Die Auflistung der ein-
zelnen Regelungen durch die Frau Staatssekretärin war
noch nicht detailliert genug und beinhaltete nicht alles,
was wir auf den Weg gebracht haben.

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423801000

Frau Kollegin Kumpf, die Opposition hat gut zugehört und
zu Recht bemerkt, dass ich darauf schon stichwortartig
eingegangen bin. Wir haben – diese Forderung gab es
schon lange – die Übungsleiterpauschale von 2 400 DM
auf 1 848Euro aufgestockt. Wir haben außerdem den Kreis
der Anspruchsberechtigten über den klassischen Übungs-
leiter hinaus unter anderem auf Erzieherinnen und Erzie-
her sowie auf Ausbilderinnen und Ausbilder ausgeweitet.
Deswegen profitieren mittlerweile sehr viel mehr Men-
schen, die sich in ehrenamtlich tätigen Organisationen en-
gagieren, von der Übungsleiterpauschale.

Wir haben aber auch darüber hinaus die gesamten Rah-
menbedingungen für freiwilliges Engagement verbessert.
Es ging unter anderem um die Frage, ob diejenigen, die
als Übungsleiter im Sport tätig sind, abhängig beschäftigt
sind. Wir haben dafür gesorgt, dass sie als Selbstständige
anerkannt werden. Damit stellt sich die Frage der Sozial-
versicherungspflicht für diese Gruppe nicht mehr. Wir ha-
ben ferner durch Änderung einer Lohnsteuerrichtlinie im
Jahr 2002 denjenigen ehrenamtlich Tätigen, die Auf-
wandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen beziehen,
eine erweiterte Steuerfreistellung ermöglicht. Das war
insbesondere ein Anliegen der Feuerwehrleute und der
Katastrophenschützer. Insofern haben wir ermöglicht,
dass im Rahmen dieser Neufassung auch geregelt wurde,
dass der Steuerfreibetrag für die aus öffentlichen Kassen
gezahlten Aufwandsentschädigungen auf 154 Euro, also
300 DM, angehoben und damit der neuen Übungsleiter-
pauschale gleichgestellt wird. Weiter haben wir das Stif-
tungsrecht verändert, sodass das Stiften nicht nur für
Reiche interessant ist und überhaupt unbürokratischer ab-
laufen kann. Und schließlich, worauf ich als Vertreterin
unseres Hauses besonders stolz bin: Wir haben die Ein-
satzfelder des freiwilligen sozialen Jahres für junge Leute
erheblich ausgeweitet: vom europäischen nun auch ins
außereuropäische Ausland und vom engeren sozialen Be-
reich auf Kulturpflege und Jugendhilfe.

Ich glaube, dass durch diese Ausweitung der Einsatz-
felder des freiwilligen sozialen Jahres für junge Leute nun
gerade auch Bereiche angesprochen werden, in denen
klassisches bürgerschaftliches Engagement gefordert
wird. Insofern besteht die Hoffnung, jungen Leuten Im-
pulse für die Zukunft zu geben, sich über das freiwillige
soziale Jahr hinaus weiterhin zu engagieren.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423801100
Die nächste Frage
kommt von der Kollegin Ina Lenke.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423801200
Frau Staatssekretärin, was haben
Sie getan, um die rechtlichen Grundlagen für einen allge-
meinen freiwilligen Dienst für Menschen in Deutschland
zu schaffen?

Ich habe sehr wohl gehört, was Sie an Einzelmaßnah-
men eingeleitet haben. Diese Maßnahmen sind wirklich
nur Einzelmaßnahmen. Ein Konzept für einen allgemei-
nen freiwilligen Dienst, das Sie zu Beginn Ihrer Legisla-
turperiode versprochen haben, ist von Ihnen nicht ge-
schaffen worden.

Ich bitte Sie, mir darauf zu antworten.




Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis

23791


(C)



(D)



(A)



(B)


D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423801300

Dazu stehe ich hier, Frau Lenke.

Das, was ich zum freiwilligen sozialen und zum frei-
willigen ökologischen Jahr gerade erwähnt habe, ist ein
kleiner Baustein – das gebe ich Ihnen zu – zu einem um-
fassenden Freiwilligengesetz. Wir haben immer gesagt:
Wir warten ab, was die Enquete-Kommission „Bürger-
schaftliches Engagement“, die der Bundestag 1999 einge-
setzt hat, zu diesem Thema hervorbringt. Ich meine, es
wird eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein,
die Anregungen und Empfehlungen der Enquete-Kom-
mission hinsichtlich von Möglichkeiten eines Freiwilli-
gengesetzes aufzugreifen. Es ist keine einfache Aufgabe,
ein Freiwilligengesetz in dieser Republik zu machen.

Sie haben so locker gesagt, das seien alles kleine Ein-
zelmaßnahmen, die ich angeführt habe. Ich erinnere daran,
dass es nur durch das Job-AQTIV-Gesetz möglich wurde,
dass Arbeitslose wirklich ordentlich ehrenamtliche Arbeit
leisten können. Bevor es dieses Gesetz gab, wurde diese
Tätigkeit auf 15 Wochenstunden beschränkt, weil darüber
hinaus der Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren ging.

Insofern meine ich: Wenn Sie die Addition dieser vielen
Maßnahmen betrachten, stellen Sie fest, dass die Rahmen-
bedingungen für die freiwilligen bürgerschaftlichen Tätig-
keiten in dieser Gesellschaft erheblich verbessert wurden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423801400
Noch eine kurze
Nachfrage von Frau Lenke.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423801500
Dieser Meinung, Frau Staatssekre-
tärin, bin ich nicht.

Ich habe aber noch eine Frage. Sie haben als Pluspunkt
genannt, dass der freiwillige soziale Dienst auf das außer-
europäische Ausland erweitert wurde. Sie kennen genau-
so wie ich die Ergebnisse der entsprechenden Anhörung.
Die Einrichtungen halten dies für zu teuer; es wird kaum
ein neuer Platz für freiwillige Dienste im außereuropä-
ischen Ausland geschaffen. Was haben Sie in dieser An-
gelegenheit bis heute unternommen?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423801600

Sie wollen jetzt schon die Zukunft beurteilen. Dieses Ge-
setz ist am 1. Juni dieses Jahres in Kraft getreten. Nun
warten wir doch einmal ab! Sie können nicht die Be-
fürchtungen einzelner Organisationen, dass eventuell
keine zusätzlichen Plätze geschaffen werden, bereits als
gegeben annehmen. In einem Jahr können wir nachsehen,
was sich daraus ergeben hat.


(Ina Lenke [FDP]: Nach dem 22. September!)

– Auch das meinetwegen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423801700
Jetzt ist der Kollege
Peter Dreßen mit seiner Frage an der Reihe.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1423801800
Frau Staatssekretärin, es wird bei
der Debatte um das bürgerschaftliche Engagement oft auch

gefordert, dass man finanzielle Förderungen einbauen
sollte. Welche Bedeutung messen Sie dieser Forderung zu?
Was hat die Bundesregierung dazu gegebenenfalls getan?
Und wie kann man zusätzliche Partner für die Förderung des
bürgerschaftlichen Engagements finden? Ich denke hierbei
an die Wirtschaft, an Unternehmen, Kommunen usw.

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423801900

Grundsätzlich muss man wohl sagen, dass finanzielle An-
reize nicht unbedingt zu mehr freiwilligem Engagement in
einer Gesellschaft führen. Das hat auch unser Freiwilligen-
survey ergeben. Auf der anderen Seite muss Aufwand, der
entsteht, wenn man sich freiwillig engagiert, natürlich steu-
erlich abgesetzt werden können. Dazu haben wir die richti-
gen Schritte schon eingeleitet. Ich weiß, dass die Enquete-
Kommission noch weiter gehende Vorschläge gemacht hat.
Man wird prüfen müssen, ob das der richtige Weg ist.

Darüber hinaus haben Sie gefragt, wie man Partner
finden kann. Das Bild vom aktivierenden Staat bedeutet ja
gerade, dass nicht der Staat allein für das freiwillige En-
gagement in der Gesellschaft zuständig ist, sondern dass
das immer eine Dreifach- oder Mehrfachbeziehung ist:
Staat, Gesellschaft, Wirtschaft usw. Das war ein großes
Thema im Internationalen Jahr der Freiwilligen.

Was Unternehmen anbetrifft, so lohnt es sich, hin und
wieder über die Grenzen zu schauen, weil es durchaus
hervorragende Beispiele von Unternehmen gibt, die sich
im Gemeinwesen engagieren. „Corporate Citizenship“ ist
das Stichwort. Das bedeutet mehrererlei: Unternehmen
ermöglichen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
sich zu engagieren, und sehen das auch als positiv für das
Image des Unternehmens. Aber auch das Unternehmen
selbst sieht sich als Teil des Gemeinwesens. Wenn man in
die Dörfer guckt, stellt man fest, dass sich der kleine
Handwerksmeister durchaus als Teil des Dorfes, des Ge-
meinwesens fühlt; er wird Sportvereinsvorsitzender oder
was auch immer.


(Peter Dreßen [SPD]: Feuerwehrkommandant!)


Da lässt sich in dem Bereich der Großunternehmen in der
Bundesrepublik Deutschland durchaus noch etwas verbes-
sern. Das wird auch noch die Aufgabe der Zukunft sein.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1423802000
Danke schön.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423802100
Herr Kollege Dehnel,
ihre Frage, bitte.


Wolfgang Dehnel (CDU):
Rede ID: ID1423802200
Frau Staatssekretä-
rin, wie erklären Sie sich die Tatsache, dass gerade Ende
des vergangenen Jahres – das war das Internationale Jahr
der Freiwilligen – und Anfang dieses Jahres besonders
viele Schreiben in unseren Wahlkreisbüros eingegangen
sind, in denen sich Vereine und Verbände über die ver-
schlechterten Rahmenbedingungen beklagen, wenn es um
diese Dienste geht? Das war nicht nur in den Wahlkreis-
büros der Opposition so, sondern – das weiß ich – auch in
denen der Regierungskoalition. Wie erklären Sie sich






(C)



(D)



(A)



(B)


also, dass in diesen Briefen verschlechterte Rahmen-
bedingungen beklagt werden?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423802300

Herr Dehnel, das ist eine sehr allgemeine Frage. Ich habe
mir doch Mühe gegeben, Ihnen darzustellen, dass wir die
Rahmenbedingungen an vielen Stellen verbessert haben,
und zwar auch für die Vereine. Es hat steuerliche Verbes-
serungen gegeben. Ich schlage Ihnen vor, dass Sie mir ein-
mal so ein Schreiben geben. Ich gucke dann, was da zur
Klage geführt hat.


(Ina Lenke [FDP]: 630-DM-Gesetz!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423802400
Nachfrage, bitte, Herr
Kollege.


Wolfgang Dehnel (CDU):
Rede ID: ID1423802500
Ich habe eine solche
Anfrage schon einmal an die Frau Kollegin Mascher ge-
stellt. Sie hat auch gesagt, es gebe eigentlich keinen An-
lass dafür.

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423802600

Das ist ja gut.


Wolfgang Dehnel (CDU):
Rede ID: ID1423802700
Ich möchte deshalb
nachfragen: Meinen Sie nicht auch, dass zum Beispiel die
kommunalen Finanzen eine große Rolle spielen? Die ha-
ben sich in Ihrer Regierungszeit arg verschlechtert. Das
gilt auch für die Finanzen der mittelständischen Betriebe,
wobei gerade diese Betriebe die Freiwilligendienste so-
wie Vereine und Verbände stark unterstützen.


(Zuruf von der SPD: Wo leben Sie denn?)


D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423802800

Jetzt machen Sie aber einen großen Bogen, um wieder
zum Thema des freiwilligen Engagements zu kommen.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Wissen Sie nicht, dass die gerade von diesen Unternehmen und von den Kommunen unterstützt werden? – Peter Dreßen [SPD]: Er verwechselt Äpfel mit Birnen!)


– Aber Sie müssen mir trotzdem noch irgendwelche
Brücken bauen, damit ich eine Verbindung herstellen kann
zu Ihrer Unterstellung, die kommunalen Finanzen hätten
sich gerade während unserer Regierungszeit erheblich ver-
schlechtert. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass
diese Klage bis 1998 sehr stark geführt wurde. Was die Si-
tuation der mittelständischen Unternehmen anbetrifft, so
sind wir völlig unterschiedlicher Meinung. Ich denke da
nur an die Steuerreform. Herr Dehnel, lassen Sie uns an die-
ser Stelle jetzt keine wirtschaftspolitische Debatte führen.


(Beifall bei der SPD)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423802900
Jetzt ist die Kollegin Ilse
Aigner an der Reihe.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1423803000
Frau Staatssekretärin, ich
will etwas konkreter werden. Es geht um die Auswirkun-
gen des 630-DM-Gesetzes bzw. 325-Euro-Gesetzes auf
das Ehrenamt; in der Enquete-Kommission durften wir
darüber ja nicht diskutieren.

Ich beziehe mich jetzt nicht auf diejenigen, die die
Übungsleiterpauschale oder sogar noch etwas darüber hi-
naus bekommen, sondern ich beziehe mich auf den
Schatzmeister eines Vereins, der vielleicht 80 Übungslei-
ter betreut, die solche Zahlungen bekommen, und der
dann Kleinstbeträge an die Rentenversicherung und an
die Krankenversicherung abrechnen muss. Ich beziehe
mich auf ein Mütterzentrum, das Mütter vielleicht auch
nebenberuflich im Rahmen von 630-DM- respektive 325-
Euro-Verträgen beschäftigt, das einen Riesenbürokra-
tieaufwand hat und keine Mark dafür bekommt; man ist ja
ehrenamtlich tätig. Sind Sie also der Ansicht, dass das
325-Euro-Gesetz ein Positivum war zugunsten des bür-
gerschaftlichen Engagements, zugunsten des Ehrenamtes,
oder meinen Sie nicht auch, dass das Gesetz sehr viel zer-
brochen hat? Sind die Maßnahmen, die Sie im Bereich der
Feuerwehren, im Bereich der Erhöhung der Übungsleiter-
pauschalen durchgeführt haben, nicht sogar eine Reaktion
darauf gewesen, dass Sie festgestellt haben, dass das ein
Schritt in die falsche Richtung war?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423803100

Ich glaube, das sind zunächst einmal zwei Paar Schuhe.
Das eine Paar ist der Arbeitsmarkt; das sind die
Arbeitsverhältnisse geringfügig Beschäftigter, die Sie an-
gesprochen haben. Da war es uns immer ganz wichtig,
dass auch diese sozialversicherungspflichtig sein können.
Das ist die gesetzliche Änderung. Ich denke, wir haben
durch diese Änderung auch sehr viele neue Arbeitsplätze
geschaffen, neue Jobs geschaffen. Das heißt, 3 Millionen
geringfügig Beschäftigte, die wir haben, sind jetzt auch
sozialversicherungspflichtig. Das wird sich für die nach-
her positiv auswirken, wenn Sie am Ende des Arbeits-
lebens die Rentenlaufbahn dieser Personengruppe be-
trachten. Das ist das eine, nämlich die geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse.

Bei dem anderen, was Sie gesagt haben, nämlich der An-
hebung der Steuerfreistellung für Aufwandsentschädigun-
gen aus öffentlichen Kassen auf 154 Euro, geht es auch um
eine Reaktion auf die Ehrenamtlichen im Bereich der Feu-
erwehr. Nun muss ich Ihnen allerdings sagen, man kann
diese Entlastung finanziell auch nicht bis in jede Höhe trei-
ben, sondern man muss schon weiterhin die Unterschei-
dung pflegen, ob das eine Aufwandsentschädigung für ein
Ehrenamt ist – und das kann man sich immer nur bis zu ei-
ner bestimmten Höhe vorstellen – oder ob das nicht lang-
sam schon ein Einkommen für eine Nebentätigkeit wird.
Da unterscheiden wir uns vielleicht in der Einschätzung.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423803200
Auch hierzu gibt es
eine kurze Nachfrage.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1423803300
Ich glaube, ich habe meine
Frage deutlich gestellt, aber frage Sie trotzdem noch ein-
mal. Es geht mir nicht um diejenigen, die dies bekommen,




Wolfgang Dehnel

23793


(C)



(D)



(A)



(B)


sondern es geht mir um den ehrenamtlich tätigen Schatz-
meister eines Sportvereins, der vielleicht eine Vielzahl
von Übungsleitern abzurechnen hat, die über der Pau-
schale liegen. Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel –
nicht aus Bayern, damit das nicht falsch verstanden wird,
sondern von einem Verband in Norddeutschland, in
Schleswig-Holstein – –

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423803400

Es ist gut, dass Sie darauf hinweisen.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1423803500
Ich sage das, damit das ein-
mal konkret wird. Denn die haben uns geschildert, dass
sie 80 Übungsleiter haben, die zum Teil auch schon nach
der alten Regelung steuerpflichtig gewesen sind, und dass
sie es damals mit einem Finanzamt und mit einer Kran-
kenversicherung zu tun gehabt haben. Nach der neuen
Regelung waren es vier Finanzämter, 14 Krankenversi-
cherungen und vier Rentenversicherungsträger, und es
waren Kleinstbeträge von 2,30 DM, von 5,30 DM abzu-
rechnen und abzuführen.

Jetzt geht es mir nicht um diejenigen, die dies bekom-
men, sondern es geht mir um den ehrenamtlich tätigen
Schatzmeister, der diesen Verwaltungsbürokratismus zu
bewältigen hat. Nur darum geht es mir.

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423803600

Das waren dann aber geringfügige Beschäftigungsver-
hältnisse; in dieser Kategorie waren die.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1423803700
Ja, ja.
Meinen Sie, dass es für diesen ehrenamtlich Tätigen

sehr erfreulich war, diese Mehraufwendungen zu bewerk-
stelligen?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423803800

Nein, das glaube ich nicht.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1423803900
Meinen Sie, dass er das
künftig auch weiterhin tun wird?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423804000

Nun, wir sind hier schon wieder genau in der Ecke, in der
man fragen muss: Was ist ehrenamtliche Tätigkeit? Was
sind geringfügige Beschäftigungsverhältnisse? Wir dre-
hen uns hier im Moment im Kreis.

Ich sage Ihnen: Am Anfang, als das neue Gesetz für ge-
ringfügige Beschäftigungsverhältnisse kam, gab es in der
Tat einen bürokratischen Aufwand.
Nach meiner Erfahrung glaube ich, dass sich das mittler-
weile so eingespielt hat, dass die Leute nun auch wissen,
wie es geht.


(Ina Lenke [FDP]: Nein, überhaupt nicht! Das ist nicht der Fall!)


Es läuft also besser.

(Zurufe von der CDU/CSU: Die machen bald keinen Schatzmeister mehr! So einfach ist das! – Die hören auf! – Die machen nichts mehr!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423804100
Nächste Fragestellerin
ist die Kollegin Monika Balt.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1423804200
Frau Staatssekretärin, ich habe
zwei Fragen. Zum einen: Gibt es in Ihrem Ministerium
Überlegungen, Pflichtdienste schrittweise abzuschaffen
und Freiwilligendienste noch intensiver als bisher zu för-
dern? Gibt es dazu in Ihrem Ministerium Überlegungen?

Zum anderen: Mir ist bekannt, dass die Ministerin für
Soziales und Generationen in Österreich jedes Jahr einen
Preis für Freiwilligenarbeit und Ehrenamt auslobt. Dieser
Preis heißt „Freiwilligen-Oscar“. Könnten Sie sich so et-
was oder Gleiches für die Bundesrepublik vorstellen?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423804300

Ihre erste Frage habe ich nicht richtig verstanden, weil un-
ser Ministerium keine Pflichtdienste hat. Insofern können
wir Pflichtdienste auch nicht abschaffen. Wenn Sie das
Zivildienstgesetz ansprechen, so ist in dem Gesetz der
Pflichtdienst bei der Wehrpflicht angesiedelt und der Zi-
vildienst eine Folge der Wehrpflicht. Sie wissen, dass die
Frage, ob der Zivildienst weiter bestehen bleibt oder
nicht, von der Wehrpflicht abhängt und insofern keine
Frage ist, die originär unser Haus betrifft.

Darüber hinaus – das haben Sie ja als Mitglied des
Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend sicherlich intensiv verfolgt – ist das Änderungs-
gesetz zum freiwilligen sozialen und zum freiwilligen
ökologischen Jahr schon darauf angelegt, dass diejenigen,
die einen Pflichtdienst ableisten müssen, sich stattdessen
für ein freiwilliges soziales oder ein freiwilliges ökologi-
sches Jahr melden und sich dieses dann statt eines abzu-
leistenden Zivildienstes anerkennen lassen können.

Zur zweiten Frage bezüglich des Oscars: Wir haben an
vielen Stellen kleinere Preise; zum Beispiel der Heinz-
Westphal-Preis beim Bundesjugendring ist ein Preis für
ehrenamtliche Tätigkeit in der Jugendarbeit. Wir haben
keinen allgemeinen Oscar wie in Österreich. Ich halte
aber sehr viel vom Ausloben von Preisen. Das machen wir
ja schon. Insofern halte ich es durchaus für überlegens-
wert, ob das ein Instrument sein könnte, um Engagement
in dieser Gesellschaft zu befördern. Konkrete Überlegun-
gen gibt es dazu aber noch nicht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423804400
Ich nehme jetzt erst
einmal die Kolleginnen und Kollegen dran, die noch keine
Fragemöglichkeit hatten.

Der nächste Fragesteller ist der Kollege Michael
Bürsch.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1423804500
Frau Staatssekretärin,
zum Fragenkomplex von Frau Aigner.




Ilse Aigner
23794


(C)



(D)



(A)



(B)


Erstens. Stimmen Sie mir zu, dass die Enquete-Kom-
mission ausdrücklich eine Definition des bürgerschaftli-
chen Engagements zugrunde gelegt hat, die es folgender-
maßen charakterisiert: freiwillig, gemeinwohlorientiert
und unentgeltlich? Unter unentgeltlich versteht man be-
kanntlich etwas anderes als 630-Mark-Jobs oder ande-
re geringfügige Beschäftigungen. Insofern gab es wahr-
scheinlich gute Gründe dafür, dass von der Kommission
zum Komplex der 630-Mark-Jobs nichts gesagt worden
ist. Selbstverständlich hatte natürlich jedes Mitglied der
Kommission während der zwei Jahre die Möglichkeit,
diese Frage zur Diskussion zu stellen.

Zweitens. Stimmen Sie mir zu, dass eine bürokratische
Entlastung bei den 630-Mark-Jobs überaus wünschens-
wert wäre? Darüber muss man reden. Dabei handelt es
sich aber um eine andere Baustelle.

Drittens. Stimmen Sie mir zu, dass die Mitglieder der
Enquete-Kommission – einschließlich der unionsnahen –
immerhin eine kleine Tür geöffnet haben, indem sie emp-
fohlen haben, Aufwandsentschädigungen in Höhe von
300 Euro pro Jahr vorzusehen, die steuer- und sozialab-
gabenfrei zu stellen sind? Genau dadurch kann man sol-
che Fälle, wie sie Frau Aigner vorhin geschildert hat, in
Zukunft vermeiden.

Können Sie diesen Feststellungen ausdrücklich zu-
stimmen und insofern die Frage von Frau Aigner doppelt
und dreifach beantworten?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423804600

Herr Kollege, ich stimme Ihnen gerne zu. Ich möchte
diese Gelegenheit aber nutzen, hier zu unterscheiden.
Auch Sie haben ja gefordert, dass man unterscheiden
muss, auf welcher „Baustelle“ etwas stattfindet.

Bei der gesamten Diskussion über bürgerschaftliches
Engagement müssen wir immer im Auge behalten, dass es
sich hierbei nicht sozusagen um eine Spardose in Bezug
auf Tätigkeiten handelt, die auch ansonsten von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen werden
könnten. Das wesentliche Element beim bürgerschaftli-
chen Engagement ist, dass soziales Verhalten in der De-
mokratie gefördert wird und ein Diskurs über unsere De-
mokratie stattfindet. Insofern stimme ich Ihnen zu. Wenn
die Enquete-Kommission das genau so gesagt hat, stimme
ich in dem Fall auch deren Empfehlungen zu.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423804700
Jetzt ist die Kollegin
Ute Kumpf dran.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1423804800
Noch einmal abschließend zum
Stichwort Nachhaltigkeit, insbesondere was die Förderung
von Strukturen und Leitbildern anbelangt, die vonseiten
der Ministerien entwickelt werden sollen. Wie sieht es da
aus und was sind Ihre wichtigsten Beiträge, die sich auf die
Zukunft richten? Wir hatten ja das Jahr der Freiwilligen
und die Enquete-Kommission. Wie sehen Ihre Vorschläge
und Vorstellungen aus und was wird jetzt vonseiten des
Ministeriums getan, um die Strukturen dieses Netzwerks,
das ja schon gearbeitet hat, zu erhalten und auch die Vor-

schläge der Enquete-Kommission, etwa eine Kommission
ähnlich der Kinderkommission einzurichten, umzusetzen?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423804900

Frau Kollegin Kumpf, erst einmal ist es, wie ich glaube,
ganz wichtig, noch einmal festzustellen, dass nicht der
Staat im Zusammenhang mit freiwilligem Engagement
der Hauptakteur sein kann. Vor diesem Hintergrund haben
wir die Anregungen des Nationalen Beirats gerne aufge-
nommen. Anders als es bei anderen Internationalen Jah-
ren der Fall war – insbesondere unter der Vorgängerregie-
rung, als wir ein schönes Internationales Jahr hatten und
es einen Bericht gab, dann aber das Thema erledigt war –,
wollten wir in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Bei-
rat diesmal sicherstellen, dass das Positive weiterlebt.
Dafür steht die heutige Gründungsversammlung eines
Netzwerkes bundesweiter Träger von Freiwilligenorgani-
sationen, von Verbänden, von Wohlfahrtsverbänden, die
genau diese Arbeit aufnehmen.

Nun habe ich gesagt, es sei nicht Aufgabe des Staates,
das zu entwickeln. Aber für Rahmenbedingungen zu sor-
gen ist schon Aufgabe des Staates. Insofern wird unser
Haus dieses Netzwerk mit einem Koordinierungsbüro,
das über uns finanziert wird, begleiten, damit es die bun-
desweite Aufgabe, die ein Netzwerk auf Bundesebene hat,
verwirklichen kann.

Die Enquete-Kommission hat einen Strauß von Emp-
fehlungen vorgelegt. Wir haben gerne und intensiv mit der
Enquete-Kommission zusammengearbeitet. Nun wird es
Aufgabe sein, die vielen Empfehlungen, zu denen die
300-Euro-Aufwandsentschädigung gehört, aber auch die
Frage, ob man im freiwilligen Engagement nicht für eine
Haftpflicht- und Unfallversicherung sorgen muss, einzeln
durchzugehen. Wir fühlen uns als Ministerium durchaus
zuständig, weiterhin begleitend tätig zu sein, wenn es da-
rum geht, die eine oder andere Empfehlung der Enquete-
Kommission umzusetzen. Aber wer den Umfang des Bu-
ches kennt, wird sich vorstellen können, dass nicht alles
sofort umgesetzt werden kann.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Zehnjahresprogramm!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423805000
Kollegin Lenke, Ihre
Frage, bitte, wenn es geht, kurz, weil für die Befragung
nicht mehr viel Zeit ist.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423805100
Frau Staatssekretärin, die tragende
Säule von freiwilligen Tätigkeiten sind die deutschen Ver-
eine.


(Ute Kumpf [SPD]: Vereine generell! Auch Italiener dürfen bei uns Vereine gründen!)


Wenn ein deutscher Verein recht groß ist – das kann in ei-
nem kleinen Ort sein –, dann braucht er für seine Verwal-
tung auch Freiwillige, die er nicht normal bezahlt; denn
dann wären das 630-Mark-Arbeitskräfte. Wenn ein Kol-
lege hier in diesem Zusammenhang von 300 Euro im Jahr
spricht,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Aufwandsersatz!)





Dr. Michael Bürsch

23795


(C)



(D)



(A)



(B)


dann kann ich nur lachen. Das geht bei diesen Vereinen
nicht, weil so viel Verwaltungsarbeit zu erledigen ist, dass
der Aufwand erheblich ist.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nicht bewusst missverstehen! Erst den Bericht lesen und dann meckern!)


Der Verwaltungsbedarf konnte nach dem alten 630-Mark-
Gesetz einmal im Jahr mit einer Lohnsteuererklärung er-
ledigt werden. Jetzt muss jeden Monat eine U-1- und eine
U-2-Umlage und eine Meldung an die Krankenkassen er-
folgen. Das kann auch nicht mit 300 Euro im Jahr bzw.
25 Euro monatlich abgegolten werden.

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Was ich mit einer
Haushaltshilfe erlebt habe und was Vereine dann erleben,
ist eine Katastrophe. Darum geht es. Es geht nicht um eine
billige Arbeitskraft, sondern darum, dass die Freiwillig-
keit in den Vereinen unterstützt wird. Aber auf diese Weise
entsteht mehr Bürokratie und mehr Aufwand und dann hat
fast niemand mehr Lust.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423805200

Ich stelle fest, das war keine Frage, sondern ein Beitrag.
Ich bin anderer Meinung.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423805300
Die letzte Frage
kommt vom Kollegen Lothar Binding. – Bitte.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1423805400
Ich soll es kurz
machen; das will ich tun. Zivilgesellschaft bedeutet Ei-
genverantwortung, Eigenverantwortung bedeutet mehr
Teilnahmemöglichkeiten. Welche konkreten Schritte wur-
den zur stärkeren Partizipation und Teilnahme von Orga-
nisationen und Menschen, die sich bürgerschaftlich enga-
gieren, unternommen?

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1423805500

Das ist ein großer Strauß, Herr Kollege Binding. Ich
glaube, dass die Arbeitsgruppen – ich habe die sieben Ar-
beitsgruppen des Nationalen Beirats mit ihren Themen
hier nur kurz erwähnt; sie haben nicht nur Broschüren,
Empfehlungen usw. herausgebracht, sondern auch ihr
Know-how einfließen lassen – dazu beigetragen haben,
dass überall in der Republik gute Veranstaltungen statt-
gefunden haben. Ich zum Beispiel habe in Bonn bei der
Veranstaltung Corporate Citizenship mitgewirkt. Von da-
her weiß ich, dass sich nicht nur die Unternehmen en-
gagieren, die das schon immer getan haben. Dort waren
im Publikum auch Unternehmen, die sich eventuell betei-
ligen würden oder sich dafür interessieren.

Ich glaube, dass mit dem Netzwerk viele Erfahrungen
in die Organisationen hineingetragen werden. Ich wün-
sche es mir, weil unsere Zivilgesellschaft bürgerschaft-
liches Engagement hervorragend gebrauchen kann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423805600
Weitere Fragen an die
Bundesregierung liegen nicht vor. Ich bedanke mich, Frau
Parlamentarische Staatssekretärin.

Die Regierungsbefragung ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde
– Drucksache 14/9188 –

Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
kanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminis-
ter Hans Martin Bury zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Jürgen Koppelin auf:
Trifft es zu, dass der Bundeskanzler Gerhard Schröder am

13. Mai 2002 auf einer Funktionärskonferenz der SPD sagte: „Wir
werden es nicht zulassen, dass dieses Europa Leuten wie
Berlusconi, Haider, Le Pen oder sonst wem in die Hände fällt.“

(vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 29. Mai 2002)?


H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1423805700
Herr Kollege Koppelin, Ihre Frage bezieht sich auf
eine interne Funktionärskonferenz der SPD. Der Vorsit-
zende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
Bundeskanzler Gerhard Schröder, hat dort vor rechtspo-
pulistischen und nationalistischen Strömungen in einigen
europäischen Ländern gewarnt und deutlich gemacht, dass
die Sozialdemokratie in guter Tradition und Verantwor-
tung für unser Land solchen Bestrebungen entgegentritt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423805800
Herr Kollege Koppelin
zu einer ersten Nachfrage, bitte.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1423805900
Ich stelle erst einmal fest,
Herr Staatsminister, dass Sie meine Frage überhaupt nicht
beantwortet haben. Ich habe konkret gefragt, ob der Bun-
deskanzler dieses gesagt hat, und Sie haben sich hier in
Allgemeinplätze hineingesteigert. Lesen Sie bitte noch
einmal meine Frage! Ich habe konkret gefragt, ob der
Bundeskanzler einen bestimmten Satz gesagt hat, der
übrigens – vielleicht können Sie das auch bestätigen – so-
gar im Internet bei der SPD abrufbar war. Ist es auch
richtig, dass der Bundeskanzler für den Satz, den ich in
meiner Frage zitiert habe, auf dieser Funktionärsver-
sammlung sehr viel Beifall bekommen hat?

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1423806000
Herr Kollege Koppelin, um Ihre Frage zu beantwor-
ten: Der Bundeskanzler stellt den italienischen Minister-
präsidenten nicht auf eine Stufe mit Herrn Haider oder
Herrn Le Pen. Bei der in Ihrer Frage nach Presseberichten
zitierten Aussage handelt es sich nicht um ein vom Bun-
deskanzler autorisiertes Zitat.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423806100
Herr Kollege Koppelin,
Ihre zweite Nachfrage, bitte.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1423806200
Da Sie wieder ausweichen,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423806300
Hat der Bun-
deskanzler diesen Satz auf der Funktionärskonferenz gesagt
und war dieser Satz im Internet bei der SPD abrufbar?




Ina Lenke
23796


(C)



(D)



(A)



(B)


H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1423806400
Herr Kollege Koppelin, ich habe bereits in meiner ers-
ten Antwort darauf hingewiesen, dass sich Ihre Frage
auf eine nicht öffentliche Konferenz der SPD bezieht. Ich
darf in diesem Zusammenhang an die Fragestunde vom
24. April 2002 und die Erörterung im Ältestenrat am
25. April 2002 erinnern, wonach parteiinterne Vorgänge
grundsätzlich nicht Gegenstand der Befragung der Bun-
desregierung bzw. der Bewertung durch die Bundesregie-
rung sind.

Da einzelne Veröffentlichungen ohne den erforder-
lichen Kontext ein unzutreffendes Bild ergeben könnten,
fragen Sie jedoch zu Recht nach. Ich betone nochmals,
dass der Bundeskanzler den italienischen Ministerpräsi-
denten nicht auf eine Stufe mit Herrn Haider oder Herrn Le
Pen stellt. Sehr wohl hat der Bundeskanzler jedoch heute
in der Sitzung des Bundeskabinetts darauf hingewiesen,
dass die aus Ihren Reihen ausgelöste Debatte offenkundig
bestimmte europäische Entwicklungen kopieren wolle.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423806500
Frage 2 des Kollegen
Koppelin wird schriftlich beantwortet.

Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Ursula Lietz auf:
Wie funktioniert die Briefwahl für Soldaten, die sich zum Zeit-

punkt der Bundestagswahl am 22. September 2002 oder auch zum
Zeitpunkt einer Landtagswahl im Auslandseinsatz befinden?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423806600
Frau Kollegin Lietz,
die Antwort lautet: Im Rahmen besonderer Auslands-
einsätze in das Ausland kommandierte oder abgeordnete
Angehörige der Bundeswehr sind während ihres Ein-
satzes noch für eine Wohnung in der Bundesrepublik
Deutschland gemeldet und werden deswegen bei Bundes-
tagswahlen und grundsätzlich auch bei Landtagswah-
len nach den in die Zuständigkeit der Länder fallenden
landesrechtlichen Regelungen von Amts wegen in ein
Wählerverzeichnis ihrer Wohngemeinde eingetragen. Bei
Bundestagswahlen erhalten sie von dort spätestens am
21. Tag vor der Wahl eine Wahlbenachrichtigung. Wenn
der Auslandseinsatz vor diesem Zeitpunkt eingetreten ist
oder anzutreten ist, kann der Antrag auf Ausstellung eines
Wahlscheins und Zusendung von Briefwahlunterlagen
entsprechend früher gestellt werden.

Grundsätzlich werden die Wahlunterlagen durch die
zuständigen Gemeinden direkt in das Einsatzland über-
sandt. Durch organisatorische Maßnahmen der Einheiten
und Dienststellen kann jedoch auch sichergestellt werden,
dass sie jeweils zunächst an die Einheit oder Dienststelle
in Deutschland und von dort auf dem Feldpostwege ge-
sammelt in das Einsatzland geschickt werden.

Das Bundesministerium der Verteidigung hat durch
Erlass vom 9. April dieses Jahres zur Durchführung der
Wahl zum 15. Deutschen Bundestag veranlasst, dass alle

Einheitsführer und Dienststellenleiter aufgefordert wer-
den, ihre Soldaten über die Möglichkeit der Briefwahl zu
unterrichten und durch geeignete organisatorische Maß-
nahmen dafür Sorge zu tragen, dass die Soldaten ihr Wahl-
recht ausüben können.

Wahlberechtigte Soldaten, die auf Anordnung des
Dienstherrn außerhalb der Bundesrepublik Deutschland le-
ben und deshalb in der Bundesrepublik Deutschland keinen
Wohnsitz gemeldet haben, sowie Angehörige ihres Haus-
standes können ihr Wahlrecht ebenfalls durch Briefwahl
ausüben. Diese Wahlberechtigten werden auf Antrag in ein
Wählerverzeichnis der Bundesstadt Bonn eingetragen und
erhalten die Briefwahlunterlagen von dort übersandt. Das
Bundesministerium der Verteidigung hat den entsprechen-
den Erlass vom 19. April 2002 zur Wahl des 15. Deutschen
Bundestages mit den notwendigen Erläuterungen zur
Durchführung der Briefwahl an alle Auslandsdienststellen
versandt. Die Teilnahme an Landtagswahlen setzt nach den
in die Zuständigkeit der Länder fallenden landesrechtlichen
Regelungen grundsätzlich einen Wohnsitz im jeweiligen
Bundesland voraus. – So weit die Antwort zu dieser Frage.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423806700
Jetzt gibt es die erste
Nachfrage. Bitte, Frau Kollegin Lietz.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1423806800
Vielen Dank, Frau Staats-
sekretärin. – Meine erste Frage lautet: Ist Ihnen bekannt,
wie lange Post im Rahmen der Feldpost nach Afghanistan
unterwegs ist, bzw. können Sie abschätzen, wie lange die
Versendung von Briefwahlunterlagen vom Eintreffen an
der Wohnortadresse bis zum Einsatzort und zurück dauert?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423806900
Das lässt sich nicht
exakt einschätzen. Aber es besteht natürlich das Risiko,
dass ein Transport nicht pünktlich ankommt. Es ist dafür
Vorsorge getragen, dass der Antrag zur Ausübung der
Briefwahl, der im Rahmen der Wahlbenachrichtigung, die
diesem Personenkreis eventuell zu spät zugestellt wird,
gestellt werden kann, nicht abgewartet wird. Dieser Fall
der Verzögerung wird mit einbezogen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807000
Zweite Nachfrage.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1423807100
Vor meiner zweiten Nach-
frage noch etwas zur Information: Ich habe gehört, dass
die Feldpost nach Afghanistan auf einer Strecke bis zu
drei Wochen benötigt. Insofern sollte man darauf wirklich
Rücksicht nehmen.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807200
Ich finde es gut, dass
wir dieses Thema ansprechen. Wir alle wollen ja, dass
möglichst viele von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen
können.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1423807300
Meine zweite Nachfrage
lautet: Haben Sie sich darüber informiert, wie das Wahlver-
fahren bei den Armeen, die traditionell in anderen Ländern






(C)



(D)



(A)



(B)


stationiert sind, zum Beispiel bei den Armeen der Verei-
nigten Staaten und Großbritanniens, gehandhabt wird?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807400
Ich schlage vor, dass
wir diesen Punkt, der nicht Gegenstand der gestellten
Frage war, in einer nächsten Fragestunde noch einmal
aufgreifen. Ich biete Ihnen auch an, Ihnen diese Frage,
wenn Sie es wünschen, schriftlich zu beantworten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807500
Wir haben aber noch
die Frage 4. Hatten Sie die schon mit beantwortet?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807600
Nein, die hatte ich
noch nicht beantwortet. Das kommt extra.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807700
Wir bleiben aber bei
dem gleichen Thema. Deshalb habe ich nachgefragt.

Dann rufe ich jetzt die Frage 4 der Abgeordneten Lietz
auf:

Wie hoch war die Wahlbeteiligung von Soldaten bei der Bun-
destagswahl am 28. September 1998 oder auch bei diversen Land-
tagswahlen, die sich zum Zeitpunkt der Wahl im Auslandseinsatz
befanden?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807800
Über die Höhe der
Beteiligung von Soldaten, die sich in besonderen Aus-
landseinsätzen befinden, bei der Wahl zum 14. Deutschen
Bundestag, also im September 1998, oder auch bei Land-
tagswahlen liegen dem Bundesministerium der Verteidi-
gung keine Erkenntnisse vor.

Einen Anhaltspunkt will ich Ihnen aber nennen: Von
den circa 5 000 Beamten, Soldaten, Angestellten und Ar-
beitern der Bundeswehr und ihren circa 3 000 volljährigen
Angehörigen mit Wohnsitz im Ausland wurden für die
Wahl zum 14. Deutschen Bundestag 4 001 Anträge zur
Aufnahme in ein Wählerverzeichnis und zur Teilnahme
durch Briefwahl fristgerecht gestellt. Geht man davon
aus, dass diese Personen dann auch tatsächlich von ihrem
Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, dann lag die Wahl-
beteiligung bei circa 50 Prozent.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423807900
Nächste Nachfrage,
bitte.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1423808000
Frau Staatssekretärin, hat
die Bundesregierung Möglichkeiten der Gestaltung des
Wahlverfahrens in Betracht gezogen, um eine möglichst
hohe Wahlbeteiligung zu erzielen. – Frau Präsidentin,
vielleicht darf ich meine zweite Nachfrage gleich an-
schließen? – Haben Sie in Erwägung gezogen, Wahlhel-
fer in die Einsatzgebiete zu schicken, um die Briefwahl-
unterlagen dort einzusammeln? Denn fast täglich gehen ja
Transportflugzeuge zwischen den Einsatzgebieten und
Deutschland hin und her. Insofern gäbe es die Möglich-
keit, derartiges Personal mitzuschicken.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423808100
Solche Überlegun-
gen sollte es erst dann geben, wenn zunehmend Klagen
darüber auftauchen, dass das Ausüben des Wahlrechts
nicht klappt. Bisher liegen unserem Ministerium wenig
bzw. gar keine Klagen darüber vor. Wenn solche kämen,
dann würden sie wohl am ehesten bei unserer zuständigen
Abteilung eingehen, vielleicht auch beim Bundesministe-
rium der Verteidigung. Ich habe mich erkundigt: Klagen
dieser Art sind bei uns nicht eingegangen.

Inwieweit in der jetzigen prekären Situation Wahlhelfer
eingesetzt werden können, ist zu überprüfen. Wir haben
– das möchte ich betonen – ein großes Interesse daran,
dass möglichst viele Menschen ihr Wahlrecht ausüben
können.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423808200
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.

Wir kommen heute ziemlich schnell voran. Es sind re-
lativ wenig Abgeordnete im Saal. Wir werden die Sitzung
auf jeden Fall unterbrechen und die Aktuelle Stunde
pünktlich um 15.35 Uhr aufrufen.

Die Frage 5 zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Finanzen, die Frage 6 zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie so-
wie die Fragen 7 und 8 zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft werden schriftlich beantwortet.

Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesmini-
steriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Detlef Parr auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der

Regelung, dass ab 1. Januar 2003 bestimmte medizinische Leis-
tungen – so genannte KO-Leistungen – wie Koloskopien, Gastro-
skopien, Sonographien usw. nur noch von nicht hausärztlich täti-
gen Gebietsfachärzten abgerechnet werden dürfen, nicht jedoch
von Hausärzten, und zwar selbst in den Fällen, in denen diese
Hausärzte solche Leistungen jahrelang erbracht haben, insbeson-
dere im Hinblick auf die Kontinuität der gesundheitlichen Versor-
gung der Patientinnen und Patienten?

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1423808300
Sehr geehrter Herr
Kollege Parr, die Fragen 9 und 10 möchte ich gerne zu-
sammen beantworten, weil sie in einem sehr engen Zu-
sammenhang stehen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423808400
Dann rufe ich auch die
Frage 10 des Kollegen Parr auf:

Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag einer Be-
sitzstandsregelung, im Interesse der Patienten den Internisten, die
sich für die hausärztliche Tätigkeit entschieden haben, auch über
den 31. Dezember 2002 hinaus bis zum Ende ihrer Tätigkeit die
Möglichkeit zu geben, diese medizinischen Sonderleistungen zu
erbringen und abzurechnen?

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1423808500
Die angesprochene




Ursula Lietz
23798


(C)



(D)



(A)



(B)


Regelung ist eine Übergangsbestimmung zu der vom Ge-
setzgeber im Rahmen des am 21. Dezember 1992, also
während der christlich-demokratischen Regierungsver-
antwortung, verabschiedeten Gesundheitsstrukturgeset-
zes eingeführten Funktionsteilung der vertragsärztlichen
Versorgung in einen hausärztlichen und einen fachärztli-
chen Versorgungsbereich.

Die mit Wirkung zum 1. Januar 1993 in Kraft getretene
Regelung des § 73 Abs. 1 c SGB V schreibt vor, dass die
Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztli-
che Bundesvereinigung Inhalt und Umfang der haus-
ärztlichen Versorgung gemeinsam und einheitlich zu be-
stimmen haben. Die Vertragspartner haben zu diesem
Zweck den so genannten Hausarztvertrag geschlossen und
dort unter anderem vereinbart, dass Vertragsärzte, die im
hausärztlichen Versorgungsbereich tätig sind, bestimmte
spezialärztliche Leistungen, zu denen die „KO-Leistun-
gen“ Gastroskopie und Koloskopie gehören, nicht mehr
abrechnen können.

Die Vertragspartner des Hausarztvertrages haben da-
mals allerdings für die bereits im Jahre 1993, also vor der
gesetzlichen Einführung der Funktionsteilung, tätigen
Vertragsärzte eine Übergangsregelung vereinbart. Sie
sieht vor, dass diese Vertragsärzte die Leistungen aus dem
„KO-Katalog“, die sie vor dem 1. Januar 1994 regelmäßig
abgerechnet haben, weiterhin – allerdings längstens bis
zum 31. Dezember 2002 – erbringen und abrechnen dür-
fen. Den Vertragsärzten wurde also eine achtjährige Über-
gangszeit zur Anpassung ihrer Praxis an den von ihnen
wahrgenommenen Versorgungsbereich eingeräumt.

Wenn diese Übergangsregelung nunmehr ausläuft,
wird lediglich der Zustand hergestellt, den der Gesetzge-
ber mit der Funktionsteilung in die hausärztliche und die
fachärztliche Versorgung im Rahmen des Gesundheits-
strukturgesetzes herbeiführen wollte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423808600
Herr Kollege Parr,
bitte.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423808700
Frau Staatssekretärin, Sie weisen zu
Recht auf den Ursprung dieses Gesetzes hin. Das macht die
Problematik, der sich die Bundesregierung heute stellen
muss, aber nicht geringer. Mir wird berichtet, dass durch die
Regelung, die wir damals getroffen haben, wegen der lan-
gen Übergangsfrist Versorgungslücken drohen. Es drohen
längere Wartezeiten für Patientinnen und Patienten, weil die
Kapazitäten in den Bereichen, in die diese Leistungen jetzt
einfließen, nicht ausreichen. Von Hausärzten werden jetzt
Überweisungen in Krankenhäuser vorgenommen. Es ent-
stehen längere Fahrzeiten. Als Folge dieses Gesetzes wer-
den die Patienten in erheblicher Weise zusätzlich belastet.

Meine Frage lautet: Wie beurteilen Sie diese Problema-
tik angesichts der von der Bundesregierung zu Recht be-
tonten Bedeutung der Präventionsmaßnahmen und des
Vorsorgeverhaltens der Menschen? Das wird jetzt sehr viel
schwieriger. Können Sie Wege aufzeigen, wie die drohen-
den Versorgungslücken geschlossen werden können?

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1423808800
Wir haben uns noch

einmal mit dem Gesetz, das unter Ihrer Regierungsverant-
wortung eingeführt worden ist, und seinen Folgen ausei-
nander gesetzt. Wir haben bei der Überprüfung feststellen
können, dass wir gerade im internistischen und fachärztli-
chen Bereich eine sehr viel größere Arztdichte haben, als
das im hausärztlichen Bereich der Fall ist. Außerdem gibt
es die Möglichkeit, dass, wenn in einem Teilbereich Un-
terversorgungsprobleme auftreten, sich weiterhin Inter-
nisten und Kinderärzte an dieser Form der hausärztlichen
Versorgung beteiligen.

Sie haben mit der Prävention und der Qualität einen
zweiten Punkt angesprochen. Der Bundestag hatte vor ei-
nigen Wochen die Gelegenheit, sich die Möglichkeiten
neuer medizinischer Spezialgeräte anzuschauen. Es ist
unter Umständen lohnend, einen etwas längeren Weg in
Kauf zu nehmen, wenn dafür Sorge getragen wird, dass
komplizierte Untersuchungen mit einer sehr hohen Aus-
sagekraft von erfahrenen Spezialisten, die eine hinrei-
chende Anzahl von Untersuchungen durchführen, vorge-
nommen werden. Unter Qualitätsgesichtspunkten ist das
eigentlich wünschenswert.

Die apparative Ausstattung ist ein wichtiger Punkt. Es
handelt sich dabei um Geräte, die kompliziert zu bedienen
und sehr teuer sind. Wir haben ein Interesse daran, dass
diese Geräte entsprechend gut ausgelastet sind und dieje-
nigen, die damit umgehen, erfahren sind. Das setzt eine
bestimmte Anzahl von Untersuchungen voraus.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423808900
Zweite Nachfrage,
bitte.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423809000
Frau Präsidentin, ich muss Sie bit-
ten, zu prüfen, ob das, was ich jetzt sage, richtig ist. Die
Frau Staatssekretärin hat gesagt, dass beide Fragen zu-
sammen beantwortet werden können. Das ist auch richtig,
aber die zweite Frage – akzeptieren Sie die Alternative,
dass die hausärztlich tätigen Internisten diese Untersu-
chungen durchführen, damit das Vertrauensverhältnis zwi-
schen Arzt und Patient nicht unterbrochen wird und Warte-
und Fahrzeiten vermieden werden? – ist leider noch nicht
beantwortet worden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423809100
Sie dürfen aber auch
vier Nachfragen stellen, das wissen Sie.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423809200
Das ist nett.

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1423809300
Ich hatte gesagt, dass die
Spezialisten durchaus die Möglichkeit haben, über einen
bestimmten Zeitraum an der hausärztlichen Versorgung
teilzunehmen, wenn tatsächlich ein Versorgungsdefizit be-
steht. Dieses Versorgungsdefizit wird nicht von der Bun-
desregierung festgestellt, sondern von der Selbstverwal-
tung. Diese hat im Rahmen des Zulassungsverfahrens die
Möglichkeit, eine Verlängerungsfrist zu gewähren.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423809400
Die dritte Nachfrage
bitte.




Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch

23799


(C)



(D)



(A)



(B)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423809500
Genau diese Möglichkeit der Er-
mächtigungsentscheidung ist das Problem. Es gibt näm-
lich Beispiele, dass Anträge von hausärztlich tätigen
Internisten, die weiter behandeln wollen, von den zu-
ständigen Krankenversicherungen mit dem Hinweis auf
anfechtbare Präzedenzfälle abgelehnt werden. Ich habe
die große Sorge, dass wir patientenunfreundliche Lösun-
gen vorfinden, die ab dem 1. Januar zu einer erheblichen
Beunruhigung innerhalb der Bevölkerung führen werden.
Wie können wir diese Probleme in den Griff bekommen?

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1423809600
Herr Parr, ich habe
eine Bitte: Wenn Sie einen solchen Präzedenzfall kennen,
sollten Sie ihn uns zuleiten. Dann werden wir ihn der Auf-
sichtsbehörde des Landes zuleiten, damit sie prüft, ob sich
die KV gemäß Recht und Gesetz verhalten hat.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423809700
Jetzt gibt es noch eine
letzte Nachfrage.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423809800
Frau Staatssekretärin, haben Sie
von den Krankenkassen Rückmeldungen bekommen,
dass sie sich dieser Probleme bewusst sind? Ihnen ent-
stehen ja durch längere Fahrzeiten und Ähnliches zusätz-
liche Kosten, die man durch die Kompromisslösung
vermeiden könnte, die ich in meiner zweiten Frage vor-
geschlagen habe. Ist Ihnen die Position der Krankenkas-
sen bekannt und wissen Sie, ob ihnen bewusst ist, was ab
1. Januar 2003 auf sie zukommt?

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1423809900
Ich gehe davon aus,
dass sich die Selbstverwaltung dessen bewusst ist, nehme
es aber gern als Anregung für ein Gespräch auf, um die
Krankenkassen und KVen für diese Frage zu sensibilisie-
ren. Gleichwohl bin ich nach wie vor der Überzeugung,
dass wir einen gewissen zusätzlichen Aufwand für den
Patienten in Relation zu dem angestrebten Ziel einer qua-
litativ hochwertigen Untersuchung sehen müssen. Fahrt-
kosten kommen auf die Krankenkassen nur dann zu, wenn
der Patient überhaupt nicht in der Lage ist, die ärztliche
Untersuchung ohne Unterstützung wahrzunehmen. Das
heißt, die Fahrtkosten müssen von dem Arzt, der die Un-
tersuchung angeordnet hat, verordnet werden. In der Re-
gel handelt es sich aber um Vorsorgemaßnahmen, wie Sie
selbst sagten. Hier sollte der Patient in der Lage sein, auch
einen etwas längeren Weg zurückzulegen. Das dient auch
dem Ziel, die technisch möglichen Ressourcen in unserem
Gesundheitssystem auszunutzen. Diese Güterabwägung
müssen wir den Selbstverwaltungspartnern, den Kassen-
ärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen, nach
wie vor überlassen. Dessen ungeachtet sichere ich Ihnen
zu, dass ich Sie noch einmal auf den Termin 31. Dezem-
ber 2002 hinweisen werde.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423810000
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.

Die Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes und zum Geschäftsbereich des Bundesministe-

riums der Verteidigung werden ebenfalls schriftlich be-
antwortet.

Ich rufe daher als letzten Geschäftsbereich den des
Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung der
Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Dr. Eckhart Pick zur Verfügung.

Da auch die Frage 14 schriftlich beantwortet wird1),
rufe ich die Frage 15 des Kollegen Dr. Ilja Seifert auf:

Welche Bedenken haben Verbände, Organisationen und Kör-
perschaften des öffentlichen Rechts gegenüber der Bundesregie-
rung dagegen geltend gemacht, dass die Bundesregierung noch
in dieser Legislaturperiode ein Zivilrechtliches Antidiskriminie-
rungsgesetz (ZAG) auf der Grundlage eines Diskussionsentwurfs
des Bundesministeriums der Justiz vom Dezember 2001 in den
Deutschen Bundestag einbringt, und welche Bemühungen hat
die Bundesregierung unternommen, um diesen Bedenken zu be-
gegnen?

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423810100
Herr Kollege Dr. Seifert, bereits in
der Fragestunde am 17. April hatte ich Ihnen ausführlich
auf Ihre Fragen geantwortet. Der zentrale Punkt der aktu-
ellen Diskussion ist, dass sich die Kirchen für eine He-
rausnahme der Merkmale Religion und Weltanschauung
aus dem Katalog der Diskriminierungsverbote des Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminie-
rungen im Zivilrecht ausgesprochen haben. Demgegen-
über fordert der Zentralrat der Juden eine Beibehaltung
dieserMerkmale. Bislang sind verschiedene Lösungsmög-
lichkeiten entwickelt und den Beteiligten nahe gebracht
worden. Der gesellschaftliche Diskurs muss aber nach un-
serem Eindruck noch intensiv weitergeführt werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423810200
Herr Dr. Seifert, Ihre
erste Nachfrage, bitte.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423810300
Herr Staatssekretär, vielen Dank
für die Antwort. Lassen Sie mich vorausschicken, dass ich
Ihre Antwort auf meine damaligen Fragen anders verstan-
den hatte. Wenn ich mich recht entsinne, hatten Sie gesagt,
die Bundesregierung tue alles, um das Zivilrechtliche Ant-
idiskriminierungsgesetz noch in dieser Wahlperiode zu
verabschieden. Heute höre ich von Ihnen ebenso wie von
den Medien etwas anderes. Wenn ich das richtig verstan-
den habe, läuft es ausschließlich darauf hinaus, dass zwei
große Kirchen die Diskriminierung wegen religiöser Ori-
entierung nicht in das Gesetz aufgenommen haben wollen,
in dessen Entwurf es heute heißt, dass Menschen wegen ih-
rer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft
und ihrer Behinderung nicht diskriminiert werden dürfen.
Ist dies tatsächlich der einzige Grund, an dem dieses wich-
tige Gesetz in dieser Legislaturperiode scheitern soll?

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423810400
Herr Kollege Dr. Seifert, dies ist ei-
ner der zentralen Punkte, die wir in dieser Diskussion zu
beachten haben. Wie Sie wissen, gibt es darüber hinaus






(C)



(D)



(A)



(B)


1) Antwort lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

eine Reihe anderer Vorbehalte. Aber auf diesen Bereich
konzentriert sich im Moment die Problemlage ganz be-
sonders. Richtig ist, dass wir uns eigentlich vorgestellt
hatten, dass das Projekt in dieser Legislaturperiode zu
Ende gebracht werden könne. Wir hoffen, dass wir dem
noch möglichst nahe kommen, indem wir den Diskurs mit
den Betroffenen – vor allen Dingen den Kirchen, aber
auch den Verbänden – weiterführen.

Wir haben sicher nicht resigniert. Eine ganze Reihe
von Punkten, deren Aufnahme in das Antidiskriminie-
rungsgesetz wir vorgesehen hatten, haben wir bereits um-
gesetzt: Wir haben heute im Rechtsausschuss etliche
Punkte, die wir für wichtig halten, in das OLG-Vertre-
tungsänderungsgesetz aufgenommen. Dabei geht es ins-
besondere darum, dass Menschen mit Behinderungen alle
mögliche Unterstützung erhalten müssen, um am Prozess-
geschehen teilnehmen zu können, also Übersetzer, Ar-
tikulationshilfen usw. Wir haben heute außerdem be-
schlossen, eine neue Vorschrift ins BGB einzuführen, die
erwachsene Geschäftsunfähige in die Lage versetzt, Ge-
schäfte des täglichen Lebens mit den ihnen zur Verfügung
stehenden Mitteln bewirken zu können. Auch das ent-
spricht einer von den Behindertenverbänden seit vielen
Jahren erhobenen Forderung.

Wir sind hier auf dem richtigen Wege. Das, was wir noch
ohne größeren Diskussionsbedarf umsetzen können, reali-
sieren wir ohne Rücksicht darauf, wie die große Lösung
– die wir auch lieber erzielten – letztlich aussehen wird.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423810500
Zweite Nachfrage,
Herr Kollege Seifert, bitte.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423810600
Herr Staatssekretär, wenn ich
das richtig verstehe, haben Sie jetzt bereits auf meine
zweite Frage geantwortet. Ich möchte doch aber gern auf
die erste zurückkommen. Sie sagten, das Hauptargument
sei das Argument der beiden großen Kirchen. Ich habe
zunächst einmal danach gefragt, welche Gründe Sie da-
von abhalten, den Gesetzentwurf auch gegen den Wider-
stand bestimmter gesellschaftlicher Gruppen – in diesem
Fall also der beiden Kirchen – einzubringen, und welche
weiteren Argumente es von welchen Interessengruppen
auch immer gibt. Ich habe bis jetzt kein einziges gehört.

Auf die Dinge, die Sie gerade gesagt haben, würde ich
gern im Zusammenhang mit der Beantwortung der zwei-
ten Frage eingehen wollen.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423810700
Herr Dr. Seifert, ich glaube, ich habe
Ihnen schon am 17. April auf Ihre Frage nach den Stel-
lungnahmen einzelner Verbände, unter anderem der Ar-
beitgeber, eine Antwort gegeben. Es ist richtig, dass viele
Verbände – dazu gehören zum Beispiel die Vermieterver-
bände und die wohnungspolitischen Verbände – mit die-
sem Gesetz Probleme haben. Ein Gesetz, das in manchen
Bereichen so tief in die Vertragsfreiheit eingreift, kann
man nicht mit der Brechstange durchsetzen.

Vielleicht können Sie uns vorwerfen, wir hätten nicht
abgesehen, dass der Diskussionsbedarf – Sie können ihn

auch Widerstand nennen – so intensiv sein würde. Wir
wollen überzeugen; das dauert eine gewisse Zeit. Insofern
ist das ganze Verfahren natürlich nicht so schnell abge-
laufen, wie wir es uns eigentlich vorgestellt hatten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423810800
Jetzt rufe ich die
Frage 16 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert auf:

In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, den nach-
drücklichen Forderungen von Sozialverbänden – so zum Beispiel
am 15. Mai 2002 auf dem Bundesverbandstag des Sozialverban-
des VdK gegenüber dem Bundeskanzler Gerhard Schröder – und
von Betroffenenorganisationen, zum Beispiel von Menschen mit
Behinderungen, von Migrantinnen und Migranten, von Lesben
und Schwulen und anderen, deren Diskriminierungen ja geächtet
und geahndet werden sollen, nach Verabschiedung eines umfas-
senden Antidiskriminierungsgesetzes noch in dieser Legislatur-
periode Rechnung zu tragen?

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423810900
Herr Dr. Seifert, die Bundesregie-
rung hält es für sehr wichtig, dass ein breit angelegtes
Diskriminierungsverbot geschaffen wird, das neben den
Merkmalen der ethnischen Herkunft oder der sexuellen
Identität auch das Merkmal einer Behinderung umfasst,
damit den Belangen von Menschen mit Behinderungen
angemessen Rechnung getragen werden kann. Sie würde
dies gern in dieser Legislaturperiode verwirklichen.

Wie ich Ihnen sagte, haben wir schon begonnen, eine
ganze Reihe von Forderungen umzusetzen. Sie erkennen
daraus, dass der Bundesregierung dieses Anliegen wirk-
lich wichtig ist. Die Punkte, die wir jetzt ohne großen Dis-
kussionsbedarf in unsere Gesetzgebungsvorhaben aufge-
nommen haben, sind bereits ein wesentlicher Beitrag, mit
dem die Diskriminierung gerade der Behinderten verhin-
dert werden kann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423811000
Herr Kollege Seifert,
bitte stellen Sie auch hierzu Ihre erste Nachfrage.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423811100
Herr Staatssekretär, selbstver-
ständlich liegen mir die Interessen von Menschen mit Be-
hinderungen besonders am Herzen. Dafür engagiere ich
mich auch am meisten. Daher ist es mir auch so wichtig,
dass die Gruppen, die unter verschiedenen Diskriminie-
rungen leiden, nicht länger auseinander dividiert werden.
Sie haben gerade gesagt, dass zum Beispiel Vermieterver-
bände gegen eine solche Regelung auftreten. Wollen sie
keine Menschen mit Behinderungen in ihren Wohnungen
haben? Und das Antidiskriminierungsgesetz wollen Sie,
die Regierung, nicht gegen die Interessen dieser Gruppen
durchsetzen? Es kann doch nicht sein, dass man, wenn
man ein Diskriminierungsverbot durchsetzen will, dieje-
nigen, die diskriminieren, mit ins Boot hineinholt und
sagt: Wenn ihr einverstanden seid, machen wir mit, wenn
nicht, machen wir nicht mit.

Die Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen,
die Sie jetzt genannt haben, hätten Sie ohne weiteres bereits
im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes vornehmen kön-
nen. Das haben Sie aber bewusst und mit der Begründung
abgelehnt, dass Sie ja das ZAG machen wollen. Erklären Sie
mir bitte diesen Widerspruch! Das Gleichstellungsgesetz ist




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick

23801


(C)



(D)



(A)



(B)


jetzt seit genau einem Monat in Kraft. Dies muss man für
diejenigen, die sich nicht jeden Tag mit dem Thema be-
fassen, vielleicht einmal sagen.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423811200
Herr Dr. Seifert, Sie wissen, dass wir
uns entschieden haben, neben dem Gleichstellungsgesetz
ein Zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz zu erar-
beiten. Sie wissen, dass das Bundesministerium der Justiz
im Dezember letzten Jahres einen entsprechenden Ent-
wurf vorgelegt hat und dieser Grundlage der Diskussion
sein soll und auch ist.

Dass die Diskussion so schwierig werden würde – das
habe ich vorhin schon ausgeführt –, konnten wir nicht
voraussehen. Deswegen haben wir uns für einen anderen
Weg entschieden, den Sie möglicherweise nicht mitgehen
wollen: Wir wollen die Teile aus diesem Antidiskriminie-
rungsgesetz herauslösen, die wir jetzt auf die Schnelle und
sehr bald Gesetz werden lassen können. Ich denke, dies ist
ein zumindest plausibles Vorgehen. Wir wollen, dass ins-
besondere Menschen mit Behinderungen möglichst schnell
besser gestellt werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423811300
Eine letzte Nachfrage
des Kollegen Dr. Seifert. Bitte.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423811400
Wenn ich mich recht entsinne,
hat das BMJ im Dezember vergangenen Jahres keinen Ge-
setzentwurf, sondern nur ein Eckpunktepapier vorgelegt.
Wenn ich mich recht entsinne, besteht dazwischen doch
ein kleiner Unterschied; dies wollen wir aber dahinge-
stellt sein lassen.

Trotzdem: Die Pünktchen, die Sie jetzt genannt haben,
sind für diejenigen, die sie betreffen, wichtig – das ist
keine Frage und ich bin selbstverständlich dafür, dass eine
entsprechende Regelung getroffen wird –, aber es sind
marginale Pünktchen im Verhältnis zu einem wirklichen
Diskriminierungsverbot, das mit Ahndungen für diejeni-
gen verbunden wäre, die dieses Verbot brechen. Warum
haben Sie diese für Menschen mit Behinderungen wichti-
gen Punkte nicht gleich in das Bundesgleichstellungsge-
setz aufgenommen? Jeder von Ihnen wusste genauso gut
wie ich, dass es erheblichen Widerstand geben würde, und
zwar genau von den Gruppen, die Sie genannt haben, und
dass die Punkte, die Sie jetzt ändern wollen, auch damals
schon regelbar waren.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423811500
Herr Dr. Seifert, es ist damals so ent-
schieden worden. Die Bundesregierung hat diesen Weg
eingeschlagen. Die Bundesregierung – und nicht nur das
Bundesjustizministerium – ist nach wie vor der Meinung,
dass das Zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz kom-
men muss, insbesondere mit seinen allgemeinen Vor-
schriften und auch den Sanktionsmöglichkeiten, die wir
vorgesehen haben. Insoweit haben wir einen ausformu-
lierten Entwurf vorgelegt.

Die Bundesregierung wird auf diesem Weg weiterma-
chen. Wir hoffen, dass dieser Diskurs, von dem ich sprach
und der in unserer Gesellschaft offensichtlich notwendig

ist, stattfindet. Wir wollen das, was wir uns vorgenommen
haben, auch durchsetzen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423811600
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. Damit ist die Fragestunde beendet und ich
unterbreche an dieser Stelle die Sitzung. Sie wird mit der
Aktuellen Stunde um 15.30 Uhr wieder eröffnet. Dies war
interfraktionell so abgesprochen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 14.13 bis 15.31 Uhr)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423811700
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die unterbrochene Sitzung ist
wieder eröffnet.

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen, als
antisemitisch bewerteten öffentlichen Äuße-
rungen

Ich eröffne die Aussprache. Für eine der Antrag stel-
lenden Fraktionen gebe ich zunächst dem Kollegen
Michael Müller, SPD, das Wort.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1423811800
Meine Damen und
Herren! Ein Blick auf die Einfärbung der europäischen Par-
teienlandschaft zeigt, worum es bei dieser Debatte heute
geht. Die Kernfrage lautet: Wie reagieren die Demokratie
und die Politik in einer instabilen Situation auf wachsende
autoritäre und rechtspopulistische Strömungen, die sich in
Europa zeigen? Es geht gerade bei dieser Frage darum, ob
wir bereit sind, den Konsens in der Demokratie und den
Konsens in einer wertorientierten Politik zu suchen oder ob
wir mit dem Zeitgeist des Populismus mitschwimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Bläss [PDS])


In den letzten Tagen haben wir von Herrn Westerwelle
gehört, dass die heutige Debatte purer Wahlkampf sei.
Meine Damen und Herren, hier wird Ursache mit Wir-
kung verwechselt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb: Im engeren Sinne geht es uns nicht um
Möllemann gegen Friedman. Das ist zwar wichtig und in
diesem Zusammenhang auch besonders perfide, es geht
aber um sehr viel mehr. Es geht um die Frage, ob die FDP
auf das Kalkül setzt, den Rechtspopulismus hemmungs-
los als Wahlkampfmittel einzusetzen.


(Beifall bei der SPD)

Ist Ihnen von der FDP in einer instabilen Zeit jedes

Mittel recht? Wir wissen, was in einer solchen Zeit aus
diesen Strömungen werden kann; das erkennt man, wenn
man den Blick auf andere europäische Länder richtet. Auf




Dr. Ilja Seifert
23802


(C)



(D)



(A)



(B)


diesen entscheidenden Punkt sind Sie bis heute nicht ein-
gegangen. Auch Ihre wachsweiche „Berliner Erklärung“,
die die „Süddeutsche Zeitung“ als „Armseligkeitser-
klärung“ bezeichnet hat, reicht dafür nicht aus.

Noch einmal: Es geht um die Wirkung und nicht nur
um einen einzelnen Satz. Es geht um die Äußerungen und
die Strategie des stellvertretenden Vorsitzenden der FDP.
Ein Hinweis auf die ungeschickte Wortwahl reicht dabei
nicht aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht darum, ob mit dem Populismus nicht Türen geöff-
net und die Geister der Vergangenheit wieder gerufen
werden. Diese Frage muss gestellt werden, weil alle zen-
tralen Fragen der nächsten Jahre nur mit einem Grund-
konsens der Demokraten zu bewältigen sind. Sie alle, ob
Globalisierung, Europäisierung oder die Neuordnung der
Sozialsysteme, sind nicht mit der Beliebigkeit des Popu-
lismus zu bewältigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Uns ist bekannt, dass die FDP gute liberale Traditionen
besitzt. Dafür stehen Namen wie Ralf Dahrendorf, Karl-
Hermann Flach, Burkhard Hirsch, Hildegard Hamm-
Brücher und andere. Und wir wissen, dass unser Land ei-
nen solchen liberalen Geist braucht. Deshalb stellen wir
die folgenden Fragen: Ist der heutigen FDP im Zweifels-
fall jedes Mittel recht, um die „Strategie 18 %“ umzuset-
zen? Was bedeutet die Aussage von Jürgen Möllemann zu
dem gegenwärtigen Konflikt: „Der Gesamtvorgang war
notwendig, damit wir nach vorne kommen“?

Wir stellen die Frage, ob das, was bisher Konsens und
kollektive Vernunft in unserem Land war, nunmehr dem
taktischen Spiel um die Zahl 18 untergeordnet wird. Nicht
wir, sondern Herr Döring war es, der die Attacken des
stellvertretenden FDP-Vorsitzenden als strategische
Überlegungen im Hinblick auf den Wahlkampf gezeich-
net hat.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Unglaublich!)


Bis heute haben Sie sich von diesem Populismus nicht
distanziert, meine Damen und Herren von der FDP. Was
heißt es, wenn Herr Möllemann erklärt: „Jetzt war es das
Nahost-Thema; nun müssen wir in einem anderen Thema
popularisieren“?

Wird erstmalig eine Partei, die die vergangenen fünf
Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt hat, zu einer inhalts-
leeren Stimmungspartei? Diese Frage stellen wir uns, weil
nämlich diese Veränderung fundamental an den Konstan-
ten der Demokratie rüttelt.


(Beifall bei der SPD)

Herr Spiegel hat Recht damit, dass Herr Möllemann

und Herr Westerwelle es sich zu leicht machen, wenn sie
dies als missverständliche Aussage hinstellen.

Wir können nicht verschweigen, dass Herr Goergen,
der Berater von Herrn Möllemann, auch der Berater von
Herrn Westerwelle ist. Sie müssen Klarheit darüber schaf-

fen, welche Strategie sie vertreten. Ist es die Haiderisie-
rung Deutschlands oder ist sie es nicht?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Möllemann ist viel zu lange im politischen Ge-
schäft, um die Wirkungen seiner Aussagen nicht zu ken-
nen. Er weiß, was er tut. Zurzeit ist er dabei, braune Kli-
schees salonfähig zu machen. Dies ist ungeheuerlich.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb fragen wir die FDP, wie sie Klarheit schaffen
will. Eine liberale FDP ist wichtig, weil sie gut für unser
Land wäre.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wie schön!)

Aber diese Entscheidung liegt bei Ihnen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Machen Sie sich keine Sorgen!)


Bisher haben Sie sich anders entschieden. Das wird da-
raus ersichtlich, dass Sie zu den Vorgängen sehr lange ge-
schwiegen haben. Nicht von sich aus, sondern erst, als
Gott sei Dank der öffentliche Druck der Medien funktio-
niert hat, haben Sie sich bewegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nach Theodor Adorno muss die Politik die Anstren-
gung sein, der Suggestion, der fragwürdigen Beeinflus-
sung zu widerstehen, um zur Freiheit fähig zu sein. –
Meine Damen und Herren, wir fragen die FDP, ob sie zur
Freiheit fähig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich dachte, Sie fragen die Bundesregierung!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423811900
Für die
FDP-Fraktion gebe ich dem Kollegen Dr. Guido Wester-
welle das Wort.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1423812000
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, Ihre Rede eben hat eines gezeigt: Diese
Aktuelle Stunde soll nicht der Demokratie dienen, son-
dern Ihrem Wahlkampf.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Thema ist zu ernst, als dass Sie es zu einem billi-
gen Wahlkampfmanöver verkommen lassen sollten.


(Ilse Janz [SPD]: Ausgerechnet Sie müssen das sagen! Das ist unglaublich! Sie sollten sich schämen!)


Man macht in Deutschland keinen Wahlkampf mit Anti-
semitismus, aber auch nicht mit dem Vorwurf des Antise-
mitismus gegenüber Demokraten, erst recht nicht in die-
sem Hause.


(Beifall bei der FDP)





Michael Müller (Düsseldorf)


23803


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie davon sprechen, es ginge meiner Partei darum,
braune Klischees salonfähig zu machen, dann ist das ehr-
verletzend und charakterlos. Sie legen die Axt an die Wur-
zeln der Gemeinsamkeit der Demokraten in diesem Lande.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sollten sich schämen, den Wahlkampf in dieser Art
und Weise fortzuführen.


(Ilse Janz [SPD]: Sie machen das doch! Sie machen diesen Wahlkampf mit 18 Prozent! – Peter Dreßen [SPD]: Haltet den Dieb!)


Wir stehen als Freie Demokraten seit Jahrzehnten für
Kontinuität in der Außenpolitik und in der Innenpolitik. Wir
Freien Demokraten haben mit Persönlichkeiten wie
Theodor Heuss, Thomas Dehler und Reinhold Maier die de-
mokratische Tradition in der Bundesrepublik mit begründet.


(Jörg Tauss [SPD]: Die drehen sich im Grabe um!)


Unsere Außenminister Walter Scheel, Hans-Dietrich
Genscher und Klaus Kinkel haben unserer Demokratie
eine in der Völkergemeinschaft allseits geachtete Stimme
gegeben. Es wird Ihnen nicht gelingen, die FDP als libe-
rale Partei der Mitte in ein rechtsradikales Feindbild zu
verwandeln. Wir bleiben die Partei der Mitte, so wie wir
es stets waren.


(Beifall bei der FDP)

Was ich mit meinem Stellvertreter Jürgen Möllemann

auszumachen habe, werde ich innerparteilich tun.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es ist aber nicht in Ordnung, dass Sie einen Demokraten,
der Jahrzehnte dem Deutschen Bundestag angehört hat,
zu einem braunen Feindbild erklären. Das ist unanständig.
Wenn Sie das weiter versuchen, werden Ihnen die Freien
Demokraten in diesem Haus und in dieser von Ihnen ini-
tiierten Wahlkampfdebatte stets geschlossen die entspre-
chende Antwort geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind der Meinung, dass Weltoffenheit und Toleranz
die Geisteshaltung des Liberalismus sind. Freiheit ist die
wichtigste liberale Botschaft. Freiheit heißt stets auch
Vielfalt und Vielfalt heißt auch immer Toleranz. Wir Li-
berale sind eine Partei, die nicht irgendwelche Vorurteile
und Stimmungen bedienen will.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Liberale sind vielmehr eine Partei, die Vorurteile stets
mit ganzer Kraft bekämpfen wird, weil wir die liberale
Partei der Aufklärung in diesem Hause sind.


(Beifall bei der FDP)

Den eigentlichen Tabubruch, den Sie an dieser Stelle be-
gehen,


(Sebastian Edathy [SPD]: Wir?)


liegt vor allem darin, dass Sie in einer aufgeheizten Debatte
nicht einmal vor dem schlimmsten Vorwurf zurück-
schrecken, nämlich dass ein Mitglied dieses Hauses, also
jemand aus der demokratischen Gemeinschaft, allen Erns-
tes daran denken würde, mit irgendwelchen antisemitischen
Ressentiments Wahlkampf zu betreiben. Sie wissen, dass
das nicht stimmt. Wir verwahren uns gegen diesen Vorwurf.


(Beifall bei der FDP)

Wir finden es auch nicht in Ordnung, dass Sie auf diese
Art und Weise die jetzige Debatte prägen wollen.


(Beifall bei der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Wer hat denn angefangen?)


Zu der einen Äußerung von Jürgen Möllemann

(Andrea Nahles [SPD]: Eine? Das waren doch mindestens zehn!)

wiederhole ich das, was ich stets gesagt habe: Jürgen
Möllemann hat seinen Fehler öffentlich eingeräumt. Er
hat seine entsprechende Äußerung zurückgenommen.
Das war auch notwendig. Er hat in einem Brief an Paul
Spiegel geschrieben, dass seine entsprechende Äußerung
ein Fehler gewesen sei, dass er diese Äußerung nicht hätte
machen dürfen. Der Bundesvorstand meiner Partei hat er-
klärt, dass wir die entsprechende Äußerung von Jürgen
Möllemann missbilligen und dass wir sie ausdrücklich
bedauern. Ich finde, wenn Möllemann erklärt: „Das war
ein Fehler; ich hätte das nicht sagen sollen“, und wenn die
liberale Partei sagt: „Wir missbilligen diese Äußerung
und wir bedauern sie“, dann wäre es an Ihnen, Ihre
Attacken gegen die FDP nicht weiter zu reiten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Wahrheit ist so, dass sich die Menschen in Deutsch-
land darauf verlassen können: Wir Liberalen sind eine
Partei der Mitte und bleiben eine Partei der Mitte. Die
Menschen werden übrigens nicht auf Ihre Leimruten ge-
hen, weil sie genau wissen, dass die rot-grüne Regierung
– darum geht es eigentlich – keine inhaltlichen Erfolge
vorzuweisen hat und dass Sie jetzt verzweifelt versuchen,
ein Feindbild zur Motivation der eigenen Leute aufzu-
bauen, damit sie vorangehen. Dieses Manöver ist zu
durchsichtig. Wenn Sie schlechte Politik gemacht haben,
dann werden Sie aus der Defensive auch nicht durch Dif-
famierung der liberalen Partei herauskommen.

Wir wehren uns gegen diese Ehrverletzungen mit aller
Entschiedenheit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Westerwelle als Vertreter des Täter-Opfer-Ausgleichs!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423812100
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423812200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten
Tagen gibt es keine Nachrichtensendung in dieser Repu-




Dr. Guido Westerwelle
23804


(C)



(D)



(A)



(B)


blik, die nicht mit der Nummer-eins-Geschichte beginnt,
der Antisemitismusdebatte in der FDP, dem Streit zwischen
Möllemann und Westerwelle usw., damit, wie man mit den
antisemitischen Äußerungen von Herrn Möllemann um-
geht. Und dazu, sagen Sie, soll der Bundestag schweigen,
wenn sich das Land draußen fragt: Was machen die da in
Berlin eigentlich? Wieso lassen die so etwas zu? Dazu sol-
len wir schweigen, wenn sich der Zentralrat der Juden in
Deutschland zunehmend allein fühlt in dieser Republik?
Dazu können wir als Deutscher Bundestag nicht schwei-
gen, sondern wir müssen das zum Thema machen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


aber nicht zum Thema eines Wahlkampfes. Wir müssen
uns vielmehr vergewissern, dass der innere Zusammen-
halt dieser Republik auf einer klaren Absage an Anti-
semitismus und auch an das Spielen mit antisemitischen
Ressentiments begründet ist. Diese Klarheit brauchen wir,
weil Sie daran zu wünschen übrig lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In Berlin werfen Unbekannte im März einen Brandsatz
auf die Kreuzberger Synagoge. Funktionsträger der jüdi-
schen Gemeinden berichten von zunehmenden antisemi-
tischen Schmähanrufen und Schmähbriefen. Auf dem
Ku’damm werden im April zwei orthodoxe Juden und
zwei Frauen, die einen Davidstern tragen, von Jugendli-
chen angegriffen. Das Bundesinnenministerium regis-
triert für das Jahr 2001 über 1 600 Straftaten, die anti-
semitisch motiviert waren. Vor diesem Hintergrund stellte
bereits vor Ihrer Debatte Salomon Korn die Frage, die uns
allen zu denken geben muss, ob es richtig war, dass die
Juden in Deutschland geblieben sind und wieder nach
Deutschland gekommen sind.

Vor diesem Hintergrund führen Sie eine Debatte, in der
Sie den Antisemiten das Wort reden. Das ist ungeheuer-
lich. Wir alle müssen uns doch fragen: Wie kann es kom-
men, dass Antisemitismus in dieser Gesellschaft so brei-
ten Rückhalt hat? Wir müssen ihn zurückweisen und
dürfen ihn nicht, gleich welcher politischen Couleur, für
den Wahlkampf instrumentalisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Denn der Antisemitismus hat keine politische Heimat; ihn
gibt es links, ihn gibt es rechts. Aber demokratische Par-
teien dürfen ihn niemals für ihren Wahlkampf nutzen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Völlig richtig!)


Deshalb appelliere ich an Sie, Herr Westerwelle: Ma-
chen Sie da einen klaren Schnitt, und zwar nicht um des
Wahlkampfs und um der Parteipolitik willen, sondern um
des Klimas in unserem Land willen, damit Juden in
Deutschland wissen, dass sie weiterhin hier gut aufgeho-
ben sind, und sich nicht die Frage stellen müssen, wie
Ralph Giordano unlängst in einem Artikel, ob es wieder
gefährlich ist, als Jude in Deutschland zu leben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deshalb: Stoppen Sie diese Debatte, stoppen Sie Herrn
Möllemann! Setzen Sie an dieser Stelle einen klaren
Schnitt!

Was da geäußert wurde, war nicht nur eine Sache von
Missverständnissen. Am 4. April sagte Herr Möllemann
in einem Interview der „taz“ – damals hat sich noch nie-
mand richtig darüber aufgeregt – zu Israels Politik:

Was würde man denn selber tun, wenn Deutschland
besetzt würde?
Es wäre dann meine Aufgabe, mich zu wehren. Und
ich würde es nicht nur im eigenen Land tun, sondern
auch im Land des Aggressors.

Und das vor dem Hintergrund von fast täglichen Selbst-
mordanschlägen in Israel! Wie kann man diese Äußerun-
gen eigentlich missverstehen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man sie richtig versteht, muss man erschrecken.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist drei Minuten später klargestellt worden!)

– Drei Minuten später klargestellt worden? Das ist ein au-
torisiertes Interview in der „tageszeitung“ gewesen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie lesen die nicht!)


Herr Möllemann hat in öffentlichen Äußerungen Herrn
Scharon und in Deutschland Herrn Friedman wegen sei-
ner angeblichen gehässigen Art für den Antisemitismus in
diesem Land verantwortlich gemacht. Das ist das klassi-
sche Stereotyp: Der Jude soll selber schuld sein an seinem
Unglück.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger aus Ihren eigenen
Reihen hat gesagt, Herr Möllemann versuche eine diffuse
Sammlungsbewegung aus der FDPzu machen und rechts-
populistische Signale auszusenden. Dieses Manöver
scheint wohl unbestritten zu sein.

Meine Damen und Herren, jeder sagt einmal etwas
Dummes, das er hinterher bereut. Aber hier ist ja nichts be-
reut worden. Wochenlang wurde nun an mannigfaltigen
historischen Beispielen gezeigt: Es handelt sich um eine
Denkfigur in der Tradition des Antisemitismus. Herr
Möllemann weigert sich dennoch, sich bei Herrn Friedman
für diese Äußerungen zu entschuldigen. Das ständige
Spielen an dieser Grenze – zurücknehmen, aber sich doch
eher als Opfer darstellen – schürt weiter die antisemiti-
schen Ressentiments.

Die Verteidigungsstrategie, die Sie, Herr Westerwelle,
tagelang gewählt haben – Sie haben behauptet, man müsse
doch auch in Deutschland einmal einen Juden oder Israel
kritisieren dürfen –, setzt voraus, dass Sie meinen, das Pu-
blikum denke, eigentlich sei die Israelkritik von einer zio-
nistischen Weltverschwörung in der Presse verhindert wor-
den und wir könnten hier nicht offen darüber reden. Wir
reden in Deutschland aber doch immer schon offen über
unsere Besorgnis über eine falsche israelische Politik von
Scharon. Diese Politik muss man und darf man kritisieren,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Volker Beck (Köln)


23805


(C)



(D)



(A)



(B)


aber man darf seine Kritik nicht antisemitisch begründen;
das ist das Problem. Damit muss jetzt von Ihrer Seite end-
lich Schluss gemacht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423812300
Ich erteile
für die Fraktion der CDU/CSU dem Kollegen
Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1423812400
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist in
diesen aktuellen Debatten – es gibt in diesen Tagen nicht
nur eine – ein bisschen zu viel Aufgeregtheit. Wir sollten
uns gerade bei diesem Thema vor Übertreibungen hüten.

In diesem Hause braucht man nicht lange zu betonen,
dass die FDP eine demokratische Partei ist, dass sie es
bleibt und dass sie des Antisemitismus unverdächtig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube übrigens nicht, dass der Antisemitismus in
Deutschland eine Chance hat, aber er darf auch niemals
wieder eine Chance bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das sind wir gar nicht in erster Linie unseren jüdischen
Mitbürgern schuldig, sondern das sind wir uns selbst, un-
serer Vergangenheit und unserer Zukunft schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man kann über die Politik der israelischen Regierung

streiten. Die Israelis tun dies selbst. Israel ist übrigens die
einzige Demokratie in dem Raum dort und die Israelis
streiten kräftig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dass Deutschland eine besondere Verantwortung dafür
hat, dass Israel in Sicherheit und in sicheren Grenzen le-
ben kann, muss aber unstreitig sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es muss nicht jeder in Deutschland jeden sympathisch
finden. Dass einer Christ, Jude, Muslim oder Atheist ist,
macht ihn noch nicht zu etwas Besonderem. Aber dass es
in Deutschland wieder jüdisches Leben gibt, ist nach
Hitler und Auschwitz etwas Besonderes.


(Beifall im ganzen Hause)

Es ist etwas Kostbares. Deswegen müssen wir alle sorg-
sam damit umgehen.

Herr Kollege Westerwelle, deswegen begrüße ich, dass
Sie Klarheit schaffen, dass Sie mit Ihrer Ankündigung – –


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schön wär’s!)


– Entschuldigung! Ich bin nicht der Sprecher der FDP,
aber ich habe gelesen, dass der FDP-Vorsitzende an-
gekündigt hat, dass, wenn Herr Karsli bis Montag nicht

als Mitglied der Landtagsfraktion ausgeschieden ist, er
keine Grundlage mehr für die vertrauensvolle Zusam-
menarbeit mit seinem Stellvertreter sieht.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat er das hier nicht gesagt? – Andrea Nahles [SPD]: Warum hat er das hier nicht vorgetragen? – Weiterer Zuruf der SPD: Ist das Arbeitsteilung? – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Lassen Sie ihn vortragen!)


– Verzeihen Sie! Ich darf das trotzdem sagen. Ich habe es
zur Kenntnis bekommen. Ich habe die Meldung gelesen.
Ich begrüße es und ich finde es richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)


Das ist übrigens für einen Parteivorsitzenden keine einfa-
che Entscheidung. Man kann eine Landtagsfraktion nicht
zwingen. Aber Herr Möllemann, von dem auch ich nicht
glaube, dass er antisemitisch ist, hat nun zu viel dazu bei-
getragen, dass Zweifel gewachsen sind. Man kann nicht
rechts blinken und links abbiegen. Das geht in der Politik
genauso schief wie im Straßenverkehr. Wenn man sagt,
Herr Karsli könne nicht in der FDP sein, was richtig ist,
dann ist auch richtig, dass er nicht in der Landtagsfraktion
der FDP sein soll. Ich begrüße es, dass Klarheit geschaf-
fen wird.

Aber – das füge ich gleich hinzu – wir sollten auch
nicht mit zweierlei Maß messen. Solange Herr Karsli Mit-
glied der Fraktion der Grünen war, hat es keine Aufregung
gegeben – und bei Rot-Grün schon gar nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er so etwas auch nicht gesagt!)


Es tut mir Leid.
Im Übrigen, wenn wir schon dabei sind: Sie sollten

nicht so selbstgerecht sein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Herr Karsli hat alle diese Äußerungen als Mitglied der
Grünen gemacht. Es hat keinen Aufschrei gegeben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen Sie es sich genau an, bevor Sie solche Behauptungen aufstellen!)


Damit Sie sich nicht allein ärgern müssen, Herr Kollege
Schlauch: Die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern,
dass bis vor kurzem ausgerechnet der Kollege Möllemann
die Haupthoffnung von Herrn Schröder wie von Herrn
Clement auf eine Koalition mit der FDP gewesen ist. Das
ist doch die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: In Interviews nachzulesen! – Peter Dreßen [SPD]: Winkeladvokat! – Rezzo Volker Beck 23806 Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich ärgere mich nicht über Sie, ich wundere mich über Sie!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Deswegen sage ich Ihnen, Sie sollten wirklich auch den
Verdacht meiden, Sie wollten mit dieser Debatte von
Ihren eigenen Problemen ablenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere Verantwortung aus unserer Vergangenheit ist

für uns alle zu wichtig, als dass wir sie zu leicht und zu
billig in die kleine Münze parteitaktischer Vorteile um-
münzen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bleibe dabei, dass der Antisemitismus in Deutschland

keine Chance hat. Vielleicht nährt sich die Gefahr populisti-
scher Bewegungen in Deutschland und in anderen europä-
ischen Ländern eher daraus, dass viele Menschen den Ein-
druck gewinnen, die politische Klasse, einschließlich der
Medien, beschäftige sich mit vielen Problemen nicht so
ernsthaft, wie sie die Menschen in ihrem Alltag real erle-
ben und erfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen ist es wichtig, dass wir uns nicht in Schein-
debatten aufregen, sondern dass wir uns mit den wirkli-
chen Problemen wie Arbeitslosigkeit, innere Sicherheit,
Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger
beschäftigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Je bessere Lösungen dafür gefunden werden, umso weni-
ger werden die Populisten eine Chance haben. Die Populis-
ten von rechts nicht und die von links übrigens auch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423812500
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Petra Pau.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423812600
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bitte Sie, ein wenig zurückzublicken
und sich mit mir zu erinnern. Im Juli 1999, also vor knapp
drei Jahren, brachte der „Stern“ ein Interview mit Ignatz
Bubis. Damals wussten wir noch nicht, dass es mehr als
ein Interview war. Es war ein Lebensresümee, denn we-
nig später verstarb der damalige Präsident des Zentralra-
tes der Juden in Deutschland. Auf die Frage: „Was haben
Sie bewirkt?“, sagte er resigniert: „Nichts, fast nichts!“

Ich räume gern ein: Damals empfand ich seine Ein-
schätzung als zu resignierend, als zu düster und zu hoff-
nungslos. Dabei kannte ich die Zahlen; denn die PDS-
Fraktion erfragt sie regelmäßig und seit Jahren.

So wurden allein im Zeitraum 1998 bis 2001, also bin-
nen nur vier Jahren, 3 473 antisemitische Straftaten regis-
triert, das heißt, Tag für Tag zweieinhalb. Wir alle wissen:
Antisemitismus misst sich mitnichten an der amtlichen
Statistik; diese schönt in diesem Fall eher, was schlimm

ist, und sie unterschlägt, was unterhalb von Straftaten und
Strafmaßen liegt, was aber den Nährboden für Exzesse
bietet.

Ich las unlängst Günter Gaus; er schrieb – nicht ohne
zu stocken, wie er meinte – von einer „arglosen Grenz-
nähe zum gewöhnlichen Antisemitismus“, der sich weit
verbreite.

Erinnern wir uns weiter: Nachdem Ignatz Bubis ver-
storben war, mangelte es nicht an guten Worten – und an
schlechten. Damit meine ich nicht jene, die aus der ganz
rechten Ecke kamen, sondern Nachrufe, selbst aus Regie-
rungsstuben, die missverständlicher gar nicht sein konn-
ten. So lobte der damalige Regierungssprecher: Bubis
habe mit nie versiegender Kraft dazu beigetragen, dass die
Schatten der Vergangenheit kleiner werden. – Ich denke,
gründlicher kann man ein Lebenswerk nicht ins Gegenteil
verkehren; denn Bubis mahnte gegen das Vergessen, ge-
gen das Verdrängen, gegen das Verkleinern dessen,


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

was verharmlosend heute oft Schatten genannt wird. Er
beklagte sich bitter, dass ein Großteil der Bevölkerung
wie Martin Walser denke: Ende, Schlussmachen, nur
Nach-vorne-Schauen. Was ist denn dieses Da-Vorne,
wenn die Schatten kleiner geworden sind? Da gibt es den
einen, der meint, die Bundeswehr solle in Palästina und
Israel eingreifen. Ist das etwa das normale Da-Vorne?


(V o r s i t z: Präsident Wolfgang Thierse)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich heute

Ignatz Bubis in Erinnerung rufe, dann auch, weil jene Jü-
dinnen und Juden, die in Alltagsangst leben, deren Ge-
betsstätten und Schulen mit Sperrzäunen und Maschinen-
gewehren geschützt werden müssen, kaum noch Gehör
finden. Dass auf dem Berliner Ku’damm jüngst Juden
überfallen wurden, weil sie Juden sind, war kaum mehr
als eine kurze Meldung wert. Deshalb greift es, wie ich
finde, wieder einmal viel zu kurz, wenn der Eindruck er-
weckt und verstärkt wird, es ginge aktuell um eine Ausei-
nandersetzung zwischen dem Zentralrat der Juden in
Deutschland und den Exponenten einer anderen Meinung.
Es geht um ein gesellschaftliches Problem, das nicht de-
legierbar ist.


(Beifall bei der PDS)

Vielleicht hätten wir ohnehin öfter zuhören sollen,

wenn jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Wider-
spruch anmeldeten oder Vorschläge äußerten, Wider-
spruch beispielsweise bei der De-facto-Abschaffung des
Grundrechts auf Asyl. Vorgeschlagen, aber nie beschlos-
sen wurde, den Antifaschismus als Wert ins Grundgesetz
aufzunehmen. Wir haben das aufgegriffen; Sie wissen
das. Im Moment läuft parallel im Rechtsausschuss die An-
hörung zu diesem Thema.

Dennoch will ich uns auch diese Replik nicht ersparen.
Ignatz Bubis sagte in dem erwähnten „Stern“-Interview,
er wolle nicht in Deutschland beerdigt werden. Das ist,
wie ich finde, ein beschämendes Urteil über das Deutsch-
land, in dem Ignatz Bubis lebte und in dem wir leben. Er
sagte auch, warum: Ich will nicht, dass mein Grab in die
Luft gesprengt wird wie das von Heinz Galinski. – Auch




Dr. Wolfgang Schäuble

23807


(C)



(D)



(A)



(B)


das war kurz vor seinem Tod. Ich weiß, dass die Witwe
von Heinz Galinski damals auf ein gesellschaftliches
Signal wartete und dass sie heute auf ein gesellschaft-
liches Signal wartet.

Es geht nicht darum, ob wir dem Zentralrat der Juden
etwas sagen, sondern man schaut um unserer selbst willen
und dieser Menschen willen darauf, was wir heute hier
tun, aber auch, was da draußen tatsächlich passiert. Ich
finde es schon schwierig, dass der Zentralrat heute zu ei-
ner Demonstration gegen diese Entwicklung in der Ge-
sellschaft aufrufen muss und dieser Aufschrei nicht aus
der ganzen Gesellschaft kommt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423812700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1423812800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Da muss man schon tief be-
troffen sein, finde ich, wenn man die Ablenkungsmanöver
von Herrn Westerwelle und Herrn Schäuble hier zu hören
bekommt, die allein dazu dienen, von der Schuld und der
Mitschuld abzulenken, die in diesen Tagen aufgehäuft
worden ist. Wir lassen Ihnen das nicht durchgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hier wird nach dem Motto operiert: Haltet den Dieb –
als ob diejenigen, die sich jetzt schützend vor die jü-
dischen Gemeinden und die jüdischen Menschen in
Deutschland stellen, die Schuldigen der Debatte wären.
Dies darf nicht sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie, Herr Westerwelle, hier Altliberale wie
Theodor Heuss zitieren,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist zynisch!)


dann kann ich Ihnen nur sagen: Die würden sich im Grabe
herumdrehen, wenn sie das verfolgen könnten, was in Ih-
rer Partei passiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nein, die FDPverfolgt mit dem durch Herrn Möllemann
ferngelenkten Vorsitzenden Westerwelle zielstrebig und
unverhohlen eine Hinwendung zum rechten Wählerrand.
Wer mitten in der Zeit dieser Entwicklungen in einem In-
terview das gesamte Protestwählerpotenzial von angeb-
lich 25 Prozent ohne jedes Tabu ins Visier nimmt, ist
wahrhaftig und endgültig – ich habe das heute Morgen
in meiner Pressekonferenz so gesagt – durchgeknallt,
Herr Westerwelle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will, weil Sie dieses Ablenkungsmanöver nicht ha-
ben dürfen, auch das zitieren, was die Agenturen zu Ihrem
„Stern“-Interview schreiben:

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle will die Li-
beralen zur Protestpartei umwandeln und dabei auch
bisherige Wähler rechts- oder linksradikaler Parteien
gewinnen.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder ist uns recht!)

„Uns ist jeder willkommen ...

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie lassen die Hälfte weg, Herr Kollege! Lesen Sie den Satz zu Ende!)

Jetzt geht doch die Hälfte der Bürger nicht mehr zur
Wahl. Das kann nicht so bleiben“ ... Wähler von PDS
oder DVU hätten „früher nicht zwangsläufig mit
rechtsradikaler oder kommunistischer Gesinnung“
so entschieden, sondern „weil ihr Frust ein Ventil ge-
sucht hat“.

Das ist Rechtspopulismus reinsten Wassers.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie müssen hier schon einen Satz vollständig vorlesen!)


Herr Westerwelle, wer im Container startet, die Schuh-
größe 18 hat,


(Zuruf von der FDP: Oh Gott, oh Gott!)

mit der Recht brechenden CDU in Hessen koaliert


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

und in Hamburg ohne Probleme mit Herrn Schill koaliert,
der hat die Wende zum Rechtspopulismus längst hinter
sich. Das ist doch nichts Neues!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: So was im Wahlkampf! Nur wer Genosse ist, ist ein guter Demokrat, oder wie?)


Von daher glaube ich, dass das eine ganz zielgerichtete
Aktion ist, eine Aktion, die ihre Grundlagen immer wie-
der findet, mit der Sie abzulenken versuchen. Dies lassen
wir nicht mit uns machen.

Interessant ist natürlich auch, dass Sie dabei die
freundliche Unterstützung der Fraktion in diesem Hause
haben, mit der Sie angeblich eine Koalition anstreben.
Wenn hier ausgerechnet Herr Schäuble seine Giftpfeile
erneut verschießt,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ach du lieber Gott, ist das flach!)


dann haben Sie gerade den richtigen Partner an Ihrer
Seite. Auch in diesem Punkt werden wir Ihnen immer
wieder klar sagen: Natürlich gehören sie zusammen: die-
jenigen, die den Rechtspopulismus zu kultivieren versu-
chen, nämlich die FDP, und die anderen, die das dulden,
um die Mehrheit in diesem Lande irgendwann und ir-
gendwie für sich einzunehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Wo ist Petra Pau 23808 denn eigentlich der Bundeskanzler bei der Debatte? Was ist denn mit Ihrem Parteitagsantrag?)





(C)


(D)


(A)


(B)


– Herr Schmidt, bleiben Sie mal ganz ruhig!
Die Frage ist doch beispielsweise auch, warum Herr

Schäuble hier zum Pressesprecher der FDP werden
musste und konnte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum haben Sie uns eigentlich nicht selber gesagt, Herr
Westerwelle, dass Sie den Versuch gemacht haben, so et-
was wie ein Ultimatum zu stellen? Aber Sie wissen selbst,
dass Ihre Ultimaten und Ihre Machtworte in diesem Land
und in Ihrer Partei überhaupt nichts wert sind. Nichts ha-
ben sie gegolten! Drei-, viermal haben Sie es versucht; da-
rauf muss man hinweisen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass wir – auch das will ich an dieser Stelle sehr deut-
lich sagen – die Gemeinsamkeit eines ursprünglich frak-
tionsübergreifenden Antrags zum jüdischen Leben in
Deutschland aufgekündigt haben, war deswegen nur kon-
sequent. Ich finde, meine Damen und Herren von der FDP
und der CDU/CSU, die Sie hier im Schulterschluss han-
deln, dass Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, solche
Entwicklungen aufzunehmen und zu sagen: Jawohl, wir
stoppen das in unseren eigenen Reihen, wir sorgen für die
Entschuldigung von Herrn Möllemann beim Zentralrat
der Juden in Deutschland und damit vor den jüdischen
Menschen in Deutschland. – Dann hätte man über Ge-
meinsamkeiten zu diesem Punkt in diesem Hause wieder
sprechen können. Aber dazu sind Sie nicht fähig. Sie sind
auch nicht in der Lage, das Herrn Möllemann beizu-
biegen. Wir bedauern das zutiefst, weil wir das für einen
Verfall der parlamentskulturellen Sitten halten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie sich wirklich ins Stammbuch schreiben: Sie
müssen umkehren. Stoppen Sie das, was Sie da auf den
Weg gebracht haben! Wir haben uns das Ganze ja nicht
aus den Fingern gesogen. Sie haben Interviews gegeben,
die von Ihnen überarbeitet und abgesegnet worden sind.
Sie sind auf dem falschen Weg. Kehren Sie um!

Wir sagen heute: Dass die jüdischen Gemeinden in
Berlin eine Kundgebung durchführen, um gegen diese
Tendenzen öffentlich zu Felde zu ziehen, findet unsere
tiefste Solidarität. Ein großer Teil unserer Fraktion wird
daran teilnehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423812900
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1423813000
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass man aus

diesem wichtigen Thema aufseiten der SPD kleinliche
parteipolitische Münze zu schlagen versucht: Vielen
Dank für Ihre Rede, Herr Kollege Schmidt!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, die FDP ist keine rechtspo-
pulistische Partei.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber sie will es werden!)

– Und sie will es auch nicht werden.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie da so sicher?)


Zu dieser selbstverständlichen Erkenntnis ist ja auch die
SPD-Parteiführung am letzten Wochenende gekommen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja sehr interessant!)


Sonst hätte sie auf ihrem Autosuggestionsparteitag in der
vergangenen Woche nicht alles unternommen,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der Parteipolitiker! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wahlkampf, oder was? – Ilse Janz [SPD]: Wahlkampfrede!)


um eine Koalitionsabsage an die FDP zu verhindern. Sie
wollten doch gerade diesen Beschluss verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Sätze hat es gehalten!)


1991 hat der heutige Kollege Ströbele laut „Spiegel“
im Zusammenhang mit dem Golfkrieg gesagt:

Wenn ich eine Eskalation des Krieges damit verhin-
dern könnte, dass 1 Million Juden sterben müssten,
würde ich das in Kauf nehmen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wo war denn da der Aufschrei? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat damals Prozesse gewonnen, weil er es so nicht gesagt hat!)


Ich kann mich nicht daran erinnern, dass der damalige Mi-
nisterpräsident Gerhard Schröder seinen damaligen Ko-
alitionspartner auf einem Parteitag so getadelt hat, wie er
das mit der FDP getan hat.


(Beifall bei der FDP – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Möllemann ist Ströbele zurückgetreten! Das ist der feine Unterschied!)


Bei der Frage, ob Herr Möllemann sich bei Herrn
Friedman entschuldigen soll oder nicht, handelt es sich
um eine Stil- oder Charakterfrage, aber nicht um einen
Ausweis latenten Antisemitismus. Die Frage der Glaub-
würdigkeit der FDP steht und fällt aber damit, ob Herr
Karsli Mitglied der FDP-Landtagsfraktion in Nordrhein-
Westfalen bleibt oder nicht. Karsli hat behauptet, die isra-
elische Armee wende als rücksichtslose Militärmacht
Nazi-Methoden an;


(Zuruf von der FDP: Als Grüner!)





Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


23809


(C)



(D)



(A)



(B)


der Einfluss der zionistischen Lobby sei sehr groß; sie
habe den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne
und könne jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit
kleinkriegen; vor dieser Macht hätten die Menschen in
Deutschland selbstverständlich Angst.

Damit hat sich Karsli der uralten Verschwörungstheorie
bedient, die hinter der angeblichen Oberfläche der politi-
schen Auseinandersetzung geheime Mächte vermutet, die
auf der Welt die Strippen ziehen. Je nach ideologischer Her-
kunft heißt es entweder von rechts jüdisch-bolschewistische
oder von links jüdisch-kapitalistische Weltverschwörung.

Nicht jeder Deutsche, der noch nie zuvor in seinem Le-
ben bewusst einem Juden begegnet ist und der unsicher
ist, ob und wie er mit ihm über den Holocaust, den Staat
Israel oder jüdisches Leben in Deutschland sprechen soll,
ist automatisch ein Antisemit. Verantwortungslos wird es
dann, wenn diese Unsicherheit von denjenigen, die es bes-
ser wissen, politisch instrumentalisiert wird,


(Andrea Nahles [SPD]: Wer hat das denn behauptet? Das ist Unsinn!)


wenn man versucht, den Menschen zu suggerieren, an
ihrer Unsicherheit seien die Juden schuld. Wer so redet
– und so tut es Herr Karsli –, benutzt die klassischen Mus-
ter des Antisemitismus und hat auch keine zweite Chance
verdient, sei er nun ehemaliges Mitglied der Grünen oder
parteiloses Mitglied der FDP-Fraktion desselben Landtags.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir sollten uns alle vor zu großer Scheinheiligkeit hü-
ten. In Wirklichkeit hat es das Spiel mit antisemitischen
Ressentiments auf beiden Seiten des politischen Spek-
trums gegeben. Ich habe ein Zitat von Herrn Ströbele
schon genannt und auch das andere Zitat ist allen bekannt:

Die irakischen Raketenangriffe sind die logische,
fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.

Herr Ströbele ist zwar als Bundessprecher der Grünen da-
mals zurückgetreten; aber Sie haben ihm mehr als nur eine
neue Chance eingeräumt. Er ist ja auch heute noch so et-
was wie eine moralische Instanz in Ihrer Fraktion.

Auch die PDS muss nach ihrer 50-jährigen Parteige-
schichte – sie hat es ja ausdrücklich abgelehnt, sich auf-
zulösen oder neu zu gründen – auf eine lange antisemi-
tische Tradition hingewiesen werden,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)

die sich mühsam antizionistisch oder antiisraelisch ver-
brämt gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Möllemann muss sich vorwerfen lassen,

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Nur die CDU ist rein!)

an diese Gefühle mit seiner martialischen, hirnverbrann-
ten Äußerung gegenüber der „taz“, die der Kollege Beck
heute schon zitiert hat, appelliert zu haben. Diese Äuße-
rung kann man nicht durch den Appell rechtfertigen, auch
in Deutschland müsse Kritik an Israel erlaubt sein. Dieser

Appell ist mindestens in doppelter Hinsicht missver-
ständlich: Erstens suggeriert er, dass Möllemanns Kritik
an Israel seriös gewesen sei. Das ist sie nicht gewesen. Sie
ist alles andere als seriös gewesen.

Zweitens unterstellt dieser Appell, dass in Deutschland
Kritik an Israel nicht möglich sei. Das ist nun wirklich ein
völliger Unsinn. Insbesondere auf der politischen Linken
gibt es eine lange Tradition der Kritik an Israel. Darauf
möchte ich hier zwar nicht weiter eingehen; aber man
sollte sich nur einmal die entsprechenden „Spiegel“-Titel
der letzten Jahrzehnte ansehen oder sich vor Augen
führen, dass die Kombination von Jeans, Parka und Paläs-
tinensertuch in den 70er-Jahren eine Art Modekleidung
gewesen ist.

Heute besteht das Problem, dass diejenigen, die mit ge-
schwellter Brust behaupten, Kritik an Israel müsse mög-
lich sein, schon dies für ein seriöses Argument halten.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sag mal, bläst der sich auf!)


Dabei hat seriöse Kritik mit dieser Banalität noch nicht
einmal begonnen.

Die Konsequenz dieser selbstbezogenen und neuroti-
schen Erklärungen ist, dass die öffentliche Debatte in
Deutschland über den Nahostkonflikt in Wirklichkeit zu-
lasten Israels und zugunsten der PLO und insbesondere
von Yassir Arafat geführt wird. Kaum jemand redet in
Deutschland öffentlich darüber, dass Arafat ein Mann mit
zwei Gesichtern ist, dass er auf Englisch vom Frieden
spricht und auf Arabisch den Hass predigt, dass er mit
Aussprüchen wie „Eine Million Märtyrer marschieren auf
Jerusalem“ oder: „Ich will ein Märtyrer, ein Märtyrer, ein
Märtyrer sein!“ kaum verhüllt zu Selbstmordattentaten
aufgerufen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sebastian Edathy [SPD]: Haben Sie das Thema der Aktuellen Stunde zur Kenntnis genommen? – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo sind Sie denn jetzt angekommen?)


Es ist an der Zeit, dass wir diese Debatte durch die un-
missverständliche Feststellung und Erfahrung beenden,
dass in Deutschland unabhängig von der Frage, wie lange
der Holocaust her ist, mit antisemitischen Ressentiments
kein erfolgreicher Wahlkampf gemacht werden kann, und
wir uns auf unsere weiteren Aufgaben besinnen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423813100
Herr Kollege von
Klaeden, Sie müssen zum Ende kommen.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1423813200
Ein letzter Satz,
bitte. – Ich glaube, dass Ignatz Bubis mit seinem Satz „Ich
habe in meiner Amtszeit nichts bewirkt“ geirrt hat. Wir
müssen dafür sorgen, dass es ein Irrtum bleibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ihre Rede war ein Erdbeben!)





Eckart von Klaeden
23810


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423813300
Zu einer persönlichen
Erklärung erteile ich dem Kollegen Ströbele das Wort.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: In der Aktuellen Stunde? Das ist ja Lex Ströbele!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

lich von mir stammende Äußerung aus dem „Spiegel“ zi-
tiert. Ich stelle zu diesem Zitat fest:

Erstens. Ich habe gegen den Urheber dieses Zitats beim
Landgericht Berlin geklagt. Das Landgericht Berlin hat
dem Urheber dieses Zitats unter Androhung einer Geld-
strafe in Höhe von 500 000 DM verboten, es weiterhin zu
verbreiten. Das Urteil ist rechtskräftig.


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

Zweitens. Ich habe eine solche Äußerung zu keinem

Zeitpunkt getan und sie auch niemals in meinem Kopf ge-
habt. Ich führe es auf Ihre Jugend zurück, dass Sie damals
den Prozess vielleicht nicht mitverfolgen konnten.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was ist mit Ihrem zweiten Zitat, Herr Ströbele? – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Klaeden, Sie sollten sich entschuldigen!)


Ich bitte Sie, in Zukunft, bevor Sie so etwas in diesem Ho-
hen Hause erklären, Kontakt aufzunehmen und sich zu
vergewissern, ob eine Äußerung, die Sie zitieren wollen,
richtig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was ist denn mit dem zweiten Zitat? )



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423813400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.


(Jörg Tauss [SPD]: Der Herr von Klaeden sollte sich zwischendurch einmal entschuldigen!)



Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423813500
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Bislang haben wir
eine sehr bemerkenswerte Aktuelle Stunde erlebt: Die
FDP hatte vier Redebeiträge und die CDU/CSU hat of-
fensichtlich ihre Redebeiträge zugunsten der FDP abge-
geben. Das kann ich nur damit erklären, dass sie ihren
möglichen Koalitionspartner FDP vor dem Irrweg be-
wahren will, auf den sich die FDP selber begeben hat,
bzw. ihn retten muss. Rational erklären kann ich mir diese
Angelegenheit nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch wundere ich mich über den Kollegen Schäuble, der
in diesem Hause zweifelsohne ein hohes Ansehen genießt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Genossen hat!)


Zu Beginn seiner Rede hat er Aussagen gemacht, denen
sicherlich wir alle zustimmen können. Aber bei den Aus-

führungen über Herrn Karsli und dessen Mitgliedschaft
bei den Grünen hat er es mit der Wahrheit nicht so genau
genommen.


(Dirk Niebel [FDP]: Sieben Jahre!)

Ich möchte es hier ein für alle Mal klarstellen: Herr

Karsli ist dem Ausschluss aus der Partei der Grünen zu-
vorgekommen.


(Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hören wir doch in diesem Zusammenhang auf jemanden,
der ganz unverfänglich ist, auf Herrn Karsli selber. Herr
Karsli schreibt in seiner Austrittserklärung – ich zitiere
wörtlich –:

Der Grund meines Austritts ist die Nahostpolitik von
Bündnis 90/Die Grünen.

Diese Nahostpolitik ist die Politik des Außenministers der
Bundesrepublik Deutschland. Er zitiert ihn ausdrücklich,
kritisiert ihn und wirft ihm vor, dass er eine einseitige Po-
litik betreibe. Wir stehen zur Politik von Joschka Fischer.
Die Mehrheit dieses Hauses tut das ebenso. Ich hoffe, dass
auch Sie das tun. Für diese Politik haben Ihre Vorgänger
in der Bundesrepublik Deutschland den Kopf hingehal-
ten. Sie haben eine richtige Politik gemacht. Davon soll-
ten Sie sich heute nicht abwenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Muss man das?)


Die Politik Joschka Fischers ist die Politik von Walter
Scheel, von Hans-Dietrich Genscher und von Konrad
Adenauer.


(Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist unglaublich!)


Diese Politik war in der Bundesrepublik bisher Konsens.
Ich fordere Sie auf, zu diesem Konsens zurückzukehren.

Ihnen wird es mit Sicherheit nicht gelingen – ein ent-
sprechender Versuch zeichnet sich ab aus dem, was Sie
hier öffentlich sagen –, mit einem Bauernopfer Karsli die
Angelegenheit zu beenden. Wenn sich Herr Westerwelle
irgendwann einmal gegen Herrn Möllemann durchsetzen
kann, wird Herr Karsli vielleicht aus der Fraktion ausge-
schlossen. Vielleicht geht er auch freiwillig. Das Problem
ist aber nicht Herr Karsli, sondern das Problem sind Herr
Möllemann und Herr Westerwelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Problem ist mittlerweile die FDP selbst, weil sie nicht
die Kraft und den Mut hat, einen Strich zu ziehen. Damit
könnte sie ohne jedes Wenn und Aber klar machen, wo die
Grenze ist.

Damit wir wissen, worüber wir reden, möchte ich ein
Zitat der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, dessen Präsi-
dent Herr Möllemann ist, anführen. Auf der Website steht
unter der Überschrift „Beiträge aus dem Spiegel-Diskus-
sionsforum ... statt eines eigenen D-A-G-Kommentars“:

Auf einen praktisch hilflos am Boden Liegenden
einzuschlagen ist völlig sinnlos. Wenn es dem so






(C)



(D)



(A)



(B)


Gedemütigten dann wirklich reicht und er nichts
mehr zu verlieren hat, wird er zurückschlagen.

Jetzt erfährt man, wer damit gemeint ist:
Da der Irak gegen das Arsenal der USA und der Bri-
ten nicht antreten kann, wird er zuschlagen, wo es
wirklich weh tut: Wir werden in Zukunft rauchende
US-Botschaften sehen. Dies ist eine ganz logische
Konsequenz und den Schuldigen müssen wir dann
wohl im Weißen Haus suchen.

Eine solche Position ist nicht tragbar. Es reicht nicht
aus, zu fordern, dass Herr Möllemann diese Dinge klar-
stellt. Das war nicht nur ein Ausrutscher Möllemanns;
seine Äußerungen sind allesamt Ausrutscher – ob es zum
Thema Nahost oder zum Thema Israel ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist doch gar nicht von ihm! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Missverständnisse!)


Es reicht nicht aus, nur so zu tun, als habe man das Pro-
blem gelöst, wenn man die Angelegenheit mit Herrn
Karsli geregelt habe.

Herr Westerwelle, Sie hätten hier die Gelegenheit ge-
habt, Ihre eigenen Äußerungen zu korrigieren. Sie haben
den folgenden Satz aus der ddp-Presseerklärung unwider-
sprochen zur Kenntnis genommen:

FDP-Chef Guido Westerwelle will ungeachtet des
Antisemitismusstreits am Ziel der Öffnung seiner
Partei auch für Wähler von den Rändern des politi-
schen Spektrums festhalten.

Wer diese Position vertritt, der darf in Deutschland nicht re-
gieren. Mit dieser Position darf man in dieser Republik we-
der Innen- noch Außenpolitik machen. Vor solchen Posi-
tionen muss diese Republik in Schutz genommen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich zum Schluss – meine Redezeit ist
gleich abgelaufen – zu der Position, die in dem Gewande
„Man darf Israel doch wohl einmal kritisieren“ wohlfeil
daherkommt, klar sagen: Niemand hat das jemals abge-
stritten – am wenigsten die Juden, die hier leben. Sie üben
selbst häufig Kritik an der Politik Scharons. Eines muss
allerdings klar sein: Der Ton macht die Musik. Die Art,
wie wir über dieses Thema reden, lässt tief blicken und
verrät den Geist, der dahintersteckt. Wer die israelische
Regierung kritisieren will, der muss nicht auf antisemiti-
sche Ressentiments zurückgreifen oder den Terrorismus
gegen Israel in Form von Selbstmordattentaten rechtferti-
gen. Dafür besteht keine Veranlassung. Es reicht völlig
aus, die frei gewählten Abgeordneten der Knesset zu zi-
tieren, die ihre Kritik im frei gewählten israelischen Par-
lament jeden Tag zum Ausdruck bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Als säkularisierter Muslim möchte ich noch bemerken:
Herr Möllemann hat gesagt, dass die Muslime jetzt prak-
tisch die FDP wählen könnten. Dahinter steckt die fol-

gende Gleichung: Muslim gleich antiisraelisch und po-
tenziell antisemitisch; irgendwann wird er FDP wählen.
Nein, meine Damen und Herren, ich möchte hier klar sa-
gen: Die Mehrzahl der Muslime ist nicht antisemitisch.
Ich verwahre mich ausdrücklich als säkularisierter Mus-
lim gegen den Eindruck, der hier erzeugt wird. Auch das
sollten Sie korrigieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423813600
Das Wort zu einer per-
sönlichen Erklärung erteile ich dem Kollegen von
Klaeden.


(Zuruf von der SPD: Da kann doch wohl nur eine Entschuldigung kommen!)



Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1423813700
Herr Ströbele, ich
habe zwei Zitate von Ihnen verwandt. Das eine, auf das
Sie hingewiesen haben, habe ich heute bei der Quelle re-
cherchiert. Ich wurde auf die Entscheidung des Landge-
richts, die Sie zitiert haben, dabei nicht hingewiesen. Es
tut mir Leid. Ich nehme das mit dem Ausdruck des Be-
dauerns zurück.

Ich will aber gleichzeitig auf das andere Zitat, zu dem
Sie nichts gesagt haben, dass nämlich die Angriffe auf Is-
rael die zwingend logische Konsequenz der israelischen
Politik gewesen sind, hinweisen. Wenn Sie eine persönli-
che Erklärung abgeben, hätten Sie auch dazu etwas sagen
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423813800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1423813900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich ausdrück-
lich bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-
Fraktion,


(Beifall bei der FDP – Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dass ich die Gelegenheit erhalte, hier zu sprechen; denn da
Sie die Aktuelle Stunde nicht nutzen, um die Haltung der
Bundesregierung zu erfahren – so haben Sie es angekün-
digt –, sondern um uns anzugreifen, gehört es zu den Re-
geln in einer Demokratie, denjenigen zuzuhören, die an-
gegriffen werden. Deshalb möchte ich jetzt Stellung
nehmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist die eine Seite, Äußerungen von Herrn

Möllemann zu kritisieren; das habe auch ich getan. Ihre
Vorwürfe finden allerdings da eine Grenze – und müssen
sie auch finden – wo Sie leichtfertig den öffentlichen Ein-
druck erwecken, die demokratische, liberale Partei sei auf
Abwegen, gehe ab von dem Stil, den sie in der Bundes-




Cem Özdemir
23812


(C)



(D)



(A)



(B)


republik Deutschland geprägt hat, und nähere sich in ge-
fährlicher Weise antisemitischen Tendenzen.


(Zurufe von der SPD: Wer erweckt den Eindruck? – Den erwecken Sie selber!)


Das kann unter Demokraten nicht akzeptiert und zugelas-
sen werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mitglieder politischer Parteien müssen sich, wenn sie
sich zum Nahostkonflikt äußern, präzise äußern, den Stil
beachten und die Worte in Kenntnis der deutschen Ge-
schichte wählen. – Das ist die eine Sache.

Mitglieder demokratischer Parteien müssen sich in un-
serem Land mit seiner dramatischen Geschichte aber auch
hüten, anderen leichtfertig Antisemitismus vorzuwerfen.


(Sebastian Edathy Auch das gehört zur Auseinandersetzung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind und bleiben eine Partei der politischen Mitte.
Das ist unsere Beschlussgrundlage, unsere Haltung und
unser Charakter. Die Geschichte der FDP durchzieht die
Auseinandersetzung, die Bundesrepublik Deutschland
davor zu bewahren, von den Rändern her regiert zu wer-
den. Guido Westerwelle ist mit der klaren und ehrenhaf-
ten Absicht in den Landesvorstand Nordrhein-Westfalens
gegangen, das Thema Karsli zu verbalisieren,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


das die Grünen jahrelang nicht verbalisiert hatten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Da klatschen sie auch noch selber!)


Er ist unterlegen; aber er hat sich gestellt.
Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder hat groß an-

gekündigt, dass er gegen Koalitionen seiner Partei mit der
PDS in ostdeutschen Bundesländern sei. Er hat allerdings
noch nicht mal die Courage gehabt, die dortigen Führungs-
gremien aufzusuchen und sich den Debatten zu stellen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nein, meine Damen und Herren, wenn man in

Deutschland vor Antisemitismus warnen will, was unser
gemeinsames Anliegen ist, dann gehören die Mindestvo-
raussetzungen, dass sich Demokraten zuhören und andere
nicht leichtfertig diffamieren, sondern ihre Argumente ab-
wägen, dazu.

Ich möchte Ihnen sehr persönlich sagen, dass ich nicht
mit Herrn Möllemann befreundet bin, wie Sie alle wissen
und vielleicht auch nachfühlen können.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das interessiert aber nicht! – Sebastian Edathy [SPD]: Das spielt hier keine Rolle!)


Ich erinnere mich aber an Zeiten, als ich Bundesvorsitzen-
der der FDPwar und Ihr Bundeskanzler Herrn Möllemann

zum großen Liberalen erklärt und über mich ganz abfällige
Worte verloren hat. So ändern sich die Zeiten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb sage ich Ihnen: Sie wissen es doch selbst:
Wenn die Führung einer Partei in einer Klarheit,


(Zurufe von der SPD: Wo ist denn die Klarheit?)


wie es Guido Westerwelle getan hat und ich es als Frakti-
onsvorsitzender tue – –


(Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Herr Präsident!)


– Ich möchte Gelegenheit erhalten, zu sprechen. Ich finde
nämlich Ihr Verhalten in der Debatte unangemessen. Sie
erheben Vorwürfe gegen uns, wir betrieben Antisemitis-
mus. Zu einem toleranten Umgang miteinander gehört
auch die Fähigkeit, den anderen ernst zu nehmen und ihm
zuzuhören.

Im Übrigen: Wenn Sie die Haltung der Bundesregierung
zu diesen Tendenzen erfragen wollen, dann muss der Bun-
deskanzler in einer Debatte, die Sie als so problematisch für
Deutschland bezeichnet haben, hier anwesend sein.


(Beifall bei der FDPsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wichtig ist die FDP nicht!)


Nein, unsere Partei bleibt ganz klar in der Spur. Die
überwiegende Mehrheit in ihren Führungsgremien und
ihrer Mitglieder weiß ganz genau, um was es in Deutsch-
land geht, wenn man über Nahostfragen debattiert. Un-
sere Partei hütet sich davor, auf falsche Wege zu kommen,
und sie läuft in der aktuellen politischen Diskussion wirk-
lich nicht Gefahr, woanders hinzugehen. Wir wollen mit
unserer Position Wähler werben.


(Jörg Tauss [SPD]: Was ist denn Ihre Position?)


Wir hören den Menschen zu, reden ihnen aber nicht nach
dem Munde; denn wir nehmen den Verfassungsauftrag
ernst, dass Parteien an der politischen Willensbildung des
Volkes mitwirken.

In der Nahostpolitik hält die gesamte Freie Demokra-
tische Partei an der Freundschaft mit Israel fest, die ganz
unbestritten einen der Grundpfeiler der Außenpolitik der
Bundesrepublik Deutschland darstellt. Die FDPwill, dass
diese einzige politische Demokratie in jener Region auch
im Interesse der Sicherheit des israelischen Volkes eine
Zukunft hat. Dies ist ohne einen Staat Israel in sicheren
Grenzen nicht möglich; darüber gibt es keinen Streit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Position haben wir nie als eine dem palästinensi-
schen Volk feindliche Position verstanden. Vielmehr müs-
sen wir unseren israelischen Freunden eindringlich sagen,
dass ein palästinensischer Staat zugleich die beste Sicher-
heitsgarantie für Israel selbst sein kann. Daraus legitimiert




Dr. Wolfgang Gerhardt

23813


(C)



(D)



(A)



(B)


sich eine Kritik an der Regierung Scharon, die aber nicht
als Antisemitismus angesehen werden kann. Daraus legi-
timieren sich auch kritische Bemerkungen an die Adresse
anderer Freunde.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat doch der Möllemann längst hinter sich gelassen!)


Das ist und bleibt die Position der FDP. Auch wenn sich
der stellvertretende Bundesvorsitzende Möllemann so
ausdrückte, dass wir alle es bedauern mussten, so gilt
doch das Wort der überwiegenden Mehrheit meiner Kol-
leginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423814000
Herr Kollege
Gerhardt, Sie müssen leider zum Ende kommen. Sie ha-
ben Ihre Redezeit schon sehr deutlich überschritten.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1423814100
Ein letztes Wort:
Überlegen Sie sich genau, ob Sie wirklich klug beraten
sind, wenn Sie eine gemeinsame Resolution zur Bekämp-
fung des Antisemitismus mit uns nicht mehr fassen wollen.
Ich halte das, was Sie beabsichtigen, für einen gravieren-
den politischen Fehler. Gehen Sie noch einmal in sich!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Weisen Sie Herrn Möllemann in die Schranken!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423814200
Ich erteile dem Kolle-
gen Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion das Wort.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1423814300
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Gerhardt, es geht in
dieser Debatte nicht darum, eine Partei zu beschädigen
– das macht die Partei, um die es geht, schon selbst –, son-
dern darum, hier im Bundestag klarzustellen, dass Demo-
kraten in Deutschland nicht schweigen dürfen und kön-
nen, wenn der demokratische Grundkonsens Schaden zu
nehmen droht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In dieser Hinsicht gibt es aber leider Grund zur Sorge.
Schlechte Politik muss man kritisieren können, auch
schlechte Politik in Israel. Ebenso muss man Fernsehmode-
ratoren kritisieren können, auch solche, die jüdischen Glau-
bens sind. Wer aber sagt, israelische Politik sei gewisser-
maßen jüdische Politik und trage dann, wenn sie schlecht
sei, zu Antisemitismus bei, der bedient sich einer infamen
Argumentation, die eines Demokraten unwürdig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wer eine Person des öffentlichen Lebens auf ihre Zu-
gehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft redu-
ziert und dann behauptet, diese Person schüre mit ihrem
Verhalten Antisemitismus, der trifft eine bösartige und
– ich sage das bewusst – böswillige Aussage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Behauptung, es seien letztlich Juden, die für Anti-
semitismus sorgten, ist eine antisemitische Aussage – da-
mit ist nicht gesagt, dass ihr Autor zugleich ein Antisemit
ist –; denn sie entschuldigt und verharmlost Vorurteile
und Vorbehalte gegenüber jüdischen Bürgerinnen und
Bürgern und beleidigt diese, indem sie ihnen attestiert,
sie seien an dem vorhandenen Antisemitismus mit
schuld.

Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass eine sol-
che Aussage von einem führenden demokratischen Politi-
ker getätigt werden könnte. Für die SPD-Fraktion sage ich
an dieser Stelle in aller Deutlichkeit: Antisemitismus kann
man nicht begründen, man kann ihn nur verachten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])


Hinsichtlich dieser Frage darf es – jedenfalls unter De-
mokraten – weder Halbherzigkeiten noch Zweideutigkei-
ten geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es stimmt mehr als nachdenklich, wenn Herr Döring,
immerhin FDP-Landesvorsitzender in Baden-Württem-
berg und wie Herr Möllemann stellvertretender Bundes-
vorsitzender der FDP, in dieser Woche über die Aussagen
von Herrn Möllemann wörtlich erklärt:

Das ist ja nicht etwas, was irgendwo spontan ent-
standen ist, sondern das ist eine strategische Überle-
gung.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Genau das ist der Punkt!)

Es stellen sich in der Tat folgende Fragen: Wieso hält

die FDP in Nordrhein-Westfalen an der Fraktionsmit-
gliedschaft eines Abgeordneten fest, der sich in unerträg-
licher Form antisemitisch geäußert hat? Wie kann es an-
gehen, dass mit Herrn Möllemann ein Spitzenvertreter
der demokratischen Partei FDP in einer Zeitung am letz-
ten Montag erklärte, dass die Erfolge rechtspopulisti-
scher Parteien in Europa Beweis für die „Emanzipation
der Demokraten“ seien? Wie ist es einzuschätzen, dass
nach einer Agenturmeldung von heute Herr Westerwelle
in einem morgen erscheinenden „Stern“-Interview er-
klärt, dass die FDP künftig eine „Heimat“ für den „Pro-
test gegen das etablierte politische Parteiensystem“ sein
will?


(Jörg Tauss [SPD]: Ah ja?)

Künftig heißt es wahrscheinlich nicht mehr FDP gleich li-
beral, sondern FDP gleich völlig egal.

Meine Damen und Herren, es sollte Ihnen zu denken
geben, wenn heute im „Tagesspiegel“ zu lesen ist, der
frühere Berliner Bürgermeister und FDP-Bundestagsab-
geordnete Wolfgang Lüder warne wegen Möllemanns
Aktivitäten und Westerwelles Schwächen davor, FDP zu
wählen. Wer liberal eingestellt sei, müsse seine Stimme
einer anderen Partei geben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Grünen zum Beispiel!)





Dr. Wolfgang Gerhardt
23814


(C)



(D)



(A)



(B)


Dem ist wenig hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn

Sie sich zur politischen Beliebigkeit bekennen, dann ist
das Ihre Sache. Wenn Sie aber vorhaben sollten, durch das
Aussenden von rechtspopulistischen Signalen und durch
das Instrumentalisieren von Vorurteilen gegen Minderhei-
ten Stimmen zu gewinnen,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Die Rede hat die Kampa geschrieben!)


dann ist das nicht mehr Ihre Sache allein, sondern auch
eine Sache aller Demokraten, denn dann kündigen Sie ei-
nen Konsens auf, den dieses Land braucht und der gut für
dieses Land ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Konsens ist, dass Antisemitismus in Deutschland kei-
nen Raum haben darf und die gut 95 000 Bürgerinnen und
Bürger jüdischen Glaubens ein Recht auf ein Leben ohne
Angst und ohne Ausgrenzung haben. Deshalb, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der FDP, sollten Sie überle-
gen, ob Sie künftig nicht lieber mit uns gemeinsam das
Feuer löschen, anstatt mit ihm zu spielen, wie es in den
letzten Tagen und Wochen der Fall gewesen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die SPD-Bundestagsfraktion und die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen haben gestern beschlossen, ei-
nen Antrag mit dem Titel „Antisemitismus ächten, Zu-
sammenhalt in Deutschland stärken“ in das Parlament
einzubringen. Über diesen Antrag werden wir in Kürze
beraten. Ich hoffe, dass wir ihn einvernehmlich und frak-
tionsübergreifend beschließen können.

Zum Schluss: Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die
deutsche Nationalmannschaft heute leider nicht gewonnen
hat. Für uns in Deutschland ist wichtig, dass wir, wenn wir
die Beratungen über das Thema Antisemitismus zu einem
guten Ende gebracht haben werden, sagen können: Die De-
mokratie in Deutschland hat gewonnen. Mit Blick auf die
fünf hier im Haus vertretenen Fraktionen muss die Demo-
kratie in Deutschland 5 : 0 und nicht 4 : 1 gewinnen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Aber zustimmen dürfen wir?)


Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423814400
Ich erteile Kollegen
Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1423814500
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Streit muss manchmal sein und Probleme müssen ausge-
tragen werden. Die Art und Weise, wie sich manche Strei-
tigkeiten weiterentwickeln, zeigt dann allerdings, ob wir
in der Lage sind, diese Probleme einzukapseln.

Solche Auseinandersetzungen, wie wir sie gegenwär-
tig führen, können auch dazu dienen, sich der eigenen
Grundlagen zu vergewissern und nochmals festzuhalten,
was uns eint. Für die Union waren das immer die beson-
deren Beziehungen zum Staat Israel vor dem Hintergrund
des Geschehenen. Dabei eint uns viel mit den Positionen
anderer Parteien, auch denen der FDP, wie sie hier in Ber-
lin formuliert worden sind, etwa in den Stellungnahmen
des Kollegen Gerhardt oder in den mir sehr gut bekannten
Positionen des in deutsch-israelischen Beziehungen sehr
aktiven Kollegen Niebel und anderer. Darin wird deutlich,
dass sich die FDPals Partei auf dem Boden dessen bewegt
und bewegen will, was seit David Ben Gurion und Konrad
Adenauer Teil der Staatsräson der Bundesrepublik
Deutschland geworden ist und bleibt.

Aus unserer Geschichte ist uns die Verpflichtung zuge-
wachsen, das Existenzrecht und die Lebensfähigkeit des
Staates Israel und seiner Bürger zu fördern, wo immer es
geht. Diese Position muss immer wieder erneuert werden.
Mit dieser Position spaßt man nicht.

Wir sollten der Versuchung widerstehen, aus diesem
von Herrn Möllemann angezettelten Streit parteipoliti-
sches Kapital schlagen zu wollen. Weder der Landespoli-
tiker Möllemann mit seinen völlig inakzeptablen Äuße-
rungen


(Sebastian Edathy [SPD]: Er ist stellvertretender Bundesvorsitzender!)


noch der Landespolitiker Karsli mit seinen antiisraeli-
schen, antisemitischen, antizionistischen oder wie auch
immer genannten Äußerungen legen Gott sei Dank die
Grundlinien der deutschen Politik fest – und wohl auch
nicht die der FDP.

Es wäre schon interessant, sich doch noch einmal an-
zusehen, was Herr Karsli – Sie haben dies etwas wegge-
wischt – in den vergangenen Jahren gesagt hat. Ich
möchte dies nicht auf parteipolitische Themen reduzieren,
sondern auf die Frage: Wie gehen wir mit solchen Äuße-
rungen – woher auch immer sie kommen – in der Öffent-
lichkeit um? Es kommt nämlich darauf an, dass wir sol-
che inakzeptablen Grenzüberschreitungen nicht tolerieren
und sie zumindest einkapseln. Der Kollege Ströbele hat
– ungeachtet des Disputs – am eigenen Leibe erfahren,
wie es ist, wenn man solch eine Grenzüberschreitung be-
gangen hat und dafür büßen muss. Ich sage noch einmal:
Wir müssen sie zumindest einkapseln, wenn wir sie schon
nicht verhindern können.

Ich will uns allen und dem Hohen Hause noch einmal
vor Augen führen, jedoch die Zitate ersparen, was gerade
in den 80er-Jahren in linken und alternativen Kreisen
durchaus nicht nur als Einzelstimme erhoben, sondern all-
gemein als salonfähig angesehen worden ist. Äußerun-
gen, die vor 20 Jahren – davon kann ich die grüne Partei
nicht ausnehmen, ganz im Gegenteil – beispielsweise bei
der Hamburger GAL gefallen sind, will ich als Zeichen
des Respekts vor unseren israelischen Freunden hier gar
nicht zitieren. Sie würden einen Aufschrei hervorrufen.
Deswegen empfehle ich Frau Roth als Vorsitzende der
Grünen, diese Äußerungen und Positionen zum Zionis-
mus und zur PLO, die in den 80er-Jahren geboren und ge-
dacht worden sind, noch einmal in aller Ruhe zu lesen, sie




Sebastian Edathy

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(C)



(D)



(A)



(B)


dann in den Papierkorb zu werfen und nicht gleich die Jus-
tiz zu bemühen. Hier geht es um eine Auseinanderset-
zung, die wir politisch führen müssen und auf Konsens
und nicht auf Streit ausrichten müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein entscheidender Punkt, der in dieser Debatte völlig

verloren geht, ist: Wir reden darüber, dass einige in unserem
Lande völlig falsche Vorstellungen haben und meinen, sie
müssten Israel im gegenwärtigen Konflikt auf die Anklage-
bank setzen. Es kommt aber gerade darauf an, dass der Krieg
in den Köpfen aufhört, damit der Krieg auf den Straßen auf-
hört. Wir debattieren heute an einem Tag, an dem wieder
16 unschuldige Menschen, israelische Bürger, durch einen
palästinensischen Selbstmordattentäter zu Tode gekommen
sind. Dazu muss ich sehr deutlich sagen: Solange weite
Kreise bei den Palästinensern der Meinung sind, sie könn-
ten ihre Ziele – es ist eine ganz andere Frage, über deren Le-
gitimität zu reden; das hat der amerikanische Präsident vor-
letzte Woche hier an dieser Stelle deutlich gesagt –


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt bleiben wir einmal bei Herrn Möllemann!)


nur mit Gewalt, Terror und Blutvergießen erreichen, so
lange bleiben alle Diskussionen müßig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Es kann nicht sein, dass hier eine Diskussion auf die-
ser Ebene geführt wird. Es muss reagiert werden. Deswe-
gen müssen wir unsere Diskussionskräfte eigentlich in
Richtung Nahen Osten lenken. Die Frage, wie man den
Anliegen der Palästinenser gerecht werden kann, halte ich
nur dann für lösbar, wenn die Palästinenser selbst wissen,
dass Gewalt kein Weg ist.

Ist das eine Utopie? Ist dies eine Vison? Natürlich wis-
sen wir, wie schwierig es ist, jetzt einen Friedensprozess
in Gang zu bringen. Manche sagen, solche Visionen wür-
den für den Nahen Osten nichts taugen und Schimon
Peres hätte – visionär wie er ist – dies vielfach bitter er-
fahren müssen. Ich bin aber davon überzeugt, dass dieser
Versuch gemacht werden kann und gemacht werden
muss, und zwar nicht nur am Verhandlungstisch.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423814600
Kollege Schmidt, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen, weil Sie Ihre Rede-
zeit bereits deutlich überschritten haben.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1423814700
Herr Präsi-
dent, einen Satz noch: Man darf den Terror nicht ermutigen,
man darf ihn nicht als Mittel der Politik einsetzen, man darf
ihn nicht schönreden und man darf nicht sagen, dass man
ihn akzeptiert. Das muss für uns alle klargestellt sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423814800
Ich erteile der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast
das Wort.


(Peter Dreßen [SPD]: Herr Gerhardt, passen Sie auf, wenn die Bundesregierung etwas sagt!)


Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423814900
Herr Präsident! Kol-
legen und Kolleginnen! Vor etlichen Jahren erlebte ich die
Beisetzung eines Hamburgers jüdischen Glaubens. Es
waren nur sehr wenige gebrechliche alte Männer als Ver-
treter der Gemeinde erschienen. Sie erzählten mir hinter-
her, wie mühselig es sei, in einer so mitgliederschwachen
Organisation wirkliche Aktivitäten zu entfalten. Es war
beklemmend und traurig.

Heute hat sich die Lage geändert: Viele jüdische Ge-
meinden entstehen, man sieht wieder mehr junge Leute
und nicht zuletzt dank des Zuzugs aus Osteuropa leben in-
zwischen immerhin 95 000 Menschen jüdischen Glau-
bens in der Bundesrepublik. Ihre Kultur und ihre Tradition
werden wieder wahrnehmbar und erfahrbar für all dieje-
nigen, die in der Nachkriegszeit überhaupt keine Chance
hatten, sich damit zu befassen. Die Repräsentanten der
Juden in Deutschland – im Zentralrat und in den Gemein-
den – schalten sich gottlob in die öffentliche Debatte ein
und beziehen deutlich Stellung.

Meine Damen und Herren, was kann eine demokrati-
sche Gesellschaft eigentlich anderes tun, als sich darüber
zu freuen und daran mitzuwirken, dass daraus eine Selbst-
verständlichkeit wird?


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Offenbar ist diese Selbstverständlichkeit längst nicht in
allen Köpfen verwurzelt. Manche denken oder reden etwa
so: Klar, sie leben hier und wir tun ihnen auch nichts, sie
mögen sich aber bitte zurückhalten. Gar nicht so wenige
nicken dazu Beifall. Das macht die aktuelle Debatte über
Antisemitismus so bedrückend.

„Der legt es richtig darauf an, dass man zum Antisemi-
ten wird.“ Sprüche wie diese leuchten in den Bodensatz
unterschwelliger Feindseligkeiten und Vorurteile hinein.
Wenn dazu dann per Brief, Telefon oder E-Mail noch Zu-
spruch kommt, ist es umso schlimmer.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Und darauf dann auch noch stolz zu sein!)


Antisemitismus kann man nicht begründen, weil eine Be-
gründung relativieren und sogar rechtfertigen kann. Anti-
semitismus kann man nur mit aller Schärfe ablehnen und
ächten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Jeder einzelne Fall von Antisemitismus bedeutet nicht
nur eine Bedrohung für die jüdischen Bürger und Bürge-
rinnen in Deutschland, sondern gefährdet zugleich uns
selber, unsere Demokratie und unsere Gesellschaft als
Ganzes, weil auch wir betroffen sind. Das Bekenntnis zur
besonderen historischen Verantwortung Deutschlands,
aber auch der erklärte Wille, alles daranzusetzen, dass die
Erinnerung an den Holocaust nicht verblasst, war bisher
unstrittiger Grundkonsens deutscher Politik. Das soll und
muss auch so bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU und des Abg. Walter Hirche [FDP])





Christian Schmidt (Fürth)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wer dagegen meint, ein Tabu brechen zu müssen, oder
davon redet, geht einen gefährlichen Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kollegen und Kolleginnen, gerade aufgrund der
Zuspitzung im Nahostkonflikt und der in der Debatte
geübten Kritik an dem Verhalten sowohl der israelischen
als auch der palästinensischen Seite muss peinlich genau
zwischen dieser Auseinandersetzung und unserem Ver-
hältnis gegenüber den jüdischen Bürgern und Bürgerin-
nen, die in unserem Lande leben, unterschieden werden.
Das muss ganz klar werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


In unserer Gesellschaft gibt es wahrhaftig kein Über-
maß an Beteuerungen gegen Rechtsextremismus, Intole-
ranz und Antisemitismus. Leider gibt es immer noch ein
Übermaß an ziemlich fatalen Äußerungen, aus denen sich
Rassismus speist. Wir leiden auch immer noch darunter,
dass viele wegschauen, wenn Menschen wegen ihrer
Hautfarbe, Religion oder Herkunft beleidigt und ange-
griffen werden. Die Bundesregierung tut viel, um zu er-
reichen, dass die Gesellschaft hinschaut, handelt und hilft.
Im Bündnis für Demokratie und Toleranz bündeln wir alle
Kräfte, die sich gegen fremdenfeindliche, rassistische und
antisemitische Bestrebungen engagieren. Zum Beispiel
zeichnen wir junge Leute aus, die den Alltag der Juden
während der NS-Zeit oder auch den Leidensweg ins KZ
nachzeichnen. Der Victor-Klemperer-Wettbewerb zum
Beispiel dient demselben Ziel. Programme wie Civitas,
Xenos und Entimon leisten Aufklärung und unterstützen
Projektgruppen. Es ist wahrhaftig ein langer und müh-
seliger Weg, Jugendliche gegen braune Einflüsse resistent
zu machen und ihnen Geschichtsbewusstsein zu vermit-
teln. Dabei haben wir noch nicht das erreicht, was wir er-
reichen wollen. Die Bundeszentrale für politische Bil-
dung legt deswegen einen besonderen politischen
Schwerpunkt auf diese Arbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe mit ei-
nem Zitat:

Endlich muss die Pest ja doch einmal erschöpfen.
Vielleicht verschwindet der Wahn, der so viele
Gemüter betört und unsere ganze Kultur um
100 Jahre zurückgeworfen hat.

Diese Sätze stammen nicht aus diesen Tagen, sondern von
dem Historiker Theodor Mommsen gegen Ende des
19. Jahrhunderts. Sie nehmen Stellung zu dem damaligen
Antisemitismusstreit. Ihre beklemmende Aktualität gut
100 Jahre später sollte uns wohl nachdenklich stimmen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423815000
Ich erteile dem Kolle-
gen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion das Wort.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1423815100
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen, in einer Berliner Tageszeitung ist heute von der „li-
beralen Meinungsdiktatur“ die Rede. Gemeint ist damit
wohl, dass es in unserer Gesellschaft Themen gibt, über
die man geflissentlich schweigt – Themen, die tabuisiert
sind. Damit kommen wir zu dem eigentlichen Problem
der heutigen Debatte. Denn Möllemann und die FDP-
Spitze bemühen sich, diesen gesellschaftlich geführten
Antisemitismusstreit als mehr oder minder inszenierten
„Tabubruch“ schönzureden. In diesem Zusammenhang
kann auch ich Herrn Möllemann zitieren:

Wir müssen Dinge aussprechen, die von anderen Po-
litikern, aus welchen Gründen auch immer, tabuisiert
werden.

Über diesen Zusammenhang reden wir hier. Herr
Möllemann verbindet seine Äußerung mit der Nahostpo-
litik. Es ist kein Tabu in unserer Gesellschaft, die israeli-
sche Regierung zu kritisieren, Herr Kollege Schmidt, aber
es ist ein Tabu – darum haben Sie sich herumgemogelt,
wie übrigens die anderen Rednerinnen und Redner Ihrer
Fraktion auch –, mit antisemitischen Ressentiments Wahl-
kampf zu betreiben. Darum geht es in der Debatte, die wir
hier zu führen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei haben Herr Westerwelle und auch Herr Gerhardt zu
meinem großen Bedauern heute ihre Chance vertan.

Ich möchte noch einmal auf Herrn Möllemann zu spre-
chen kommen. Er sagte – das ist die Ursache der Debatte –,
jüdische Mitbürger seien selbst die Verursacher oder trü-
gen sogar selbst Schuld am Anwachsen des Antisemitis-
mus. Das ist kein Tabubruch und wir sollten an dieser
Stelle Tabubruch auch nicht mit Antisemitismus ver-
wechseln. Dieses Zitat ist Antisemitismus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Kollege Beck hat völlig zu Recht das Aggressor-
Zitat gebracht:

Ich würde mich auch wehren ... Und ich würde das
nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land
des Aggressors.

Was heißt das denn? Henryk M. Broder hat es sehr gut auf
den Punkt gebracht mit seiner Feststellung, nach diesem
Verständnis handelten deutsche Antisemiten und palästi-
nensische Terroristen immer in Notwehr, egal, wie viele
Unbeteiligte sie mit in den Tod nähmen.

Nein, Widerstandsrecht anzuerkennen kann nicht
heißen, Selbstmordanschläge mit unschuldigen Opfern zu
legitimieren, und Widerstandsrecht darf nicht mit Terror
und Massenmord verwechselt werden. Auch hierzu hätten
Sie heute klare Aussagen treffen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn es aber einen Tabubruch gegeben hat, dann, wie
gesagt, nicht den, dass die israelische Regierung oder Herr
Friedman nicht kritisiert werden könnten. Zu sagen, dass
man dies nicht könne, ist falsch. Das Problem liegt darin,
dass behauptet wird, man dürfe die israelische




Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast

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(C)



(D)



(A)



(B)


Regierung oder Herrn Friedman nicht kritisieren, obwohl
man es in dieser Gesellschaft durchaus darf. Aus diesem
Grunde irrt Möllemann und aus diesem Grunde ist sein Ver-
halten so problematisch. Es scheint Kalkül dahinter zu ste-
hen. Wer nach einigen Wochen der Diskussion nur noch von
einem Missverständnis redet, irrt sicherlich. Es geht in der
Tat um Populismus. Der Populist, so möchte er gesehen
werden, sagt frei heraus, was viele denken, sich aber nicht
zu sagen trauen. Was gesagt ist, bleibt gesagt. Darauf scheint
die Fußsohlenstrategie 18 zu setzen, nach der potenzielle
Rechtsliberale unterstellen, dass er, Möllemann, noch nicht
sagen darf, was er denkt, und ihn eben dafür wählen.
Möllemann kann man an dieser Stelle eigentlich vergessen;
denn Enzensberger hat es auf den Punkt gebracht: „Mittel-
maß und Wahn verhalten sich komplementär zueinander.“
Damit ist zu Möllemann als Person eigentlich alles gesagt.

Es geht aber über Herrn Möllemann hinaus. Es geht da-
rum, dass Herr Möllemann nicht nur dem Ansehen seiner
Partei, sondern auch dem unseres Landes geschadet hat.
Ich möchte einmal ein Beispiel bringen: Seit einigen Jah-
ren lade ich israelische und deutsche Jugendliche nach
Berlin ein. Es waren jedes Mal spannende und interes-
sante Begegnungen. Das Bedrückendste bei den letzt-
jährigen Gesprächen war übrigens, dass die Jugendlichen
die Allgegenwärtigkeit ihrer Angst beschrieben haben,
dass sie geschildert haben, dass sie in keine Diskothek
mehr gehen können, dass sie kein normales Leben führen
können. Schon aus diesem Grunde gibt es keine Recht-
fertigung für den Terror. Ich frage mich, wie ich diesen
jungen Menschen – in zwei Wochen wird wieder eine
Gruppe in Berlin sein – die Debatte, die wir jetzt führen,
und die Rechtfertigungen, die in dieser Debatte abgege-
ben werden, erklären soll. Wie soll ich erklären, dass sie
selbst schuld daran sein sollen, dass sie kein normales Le-
ben führen können und dass palästinensische Selbstmord-
attentäter Unschuldige mit in den Tod reißen?

Salomon Korn hat Recht, wenn er feststellt, dass der
Tabubruch inszeniert sei. Leider muss man das um Fol-
gendes ergänzen: Der Tabubruch ist inszeniert, um den ei-
gentlichen Tabubruch, den Sie, meine Damen und Herren
von der FDP, begangen haben, zu verdecken. Deswegen
bleibt die Frage an Sie, Herr Westerwelle, bestehen – die
Antwort steht noch aus –: Handelt es sich bei diesem Ta-
bubruch tatsächlich um eine persönliche Auseinanderset-
zung bzw. um Missverständnisse oder handelt es sich um
eine Strategie, die in Ihrer Wahlkampfzentrale – so kann
man es in der „Zeit“ nachlesen – sorgfältig geplant wor-
den ist? Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Gegenteil: In einem Interview, das morgen im „Stern“
erscheint, haben Sie, Herr Westerwelle, gesagt: „Tabu-
wächter können mir gestohlen bleiben.“


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich habe gesagt: Diese Tabuwächter können mir gestohlen bleiben!)


Das heißt, Sie setzen auf die jetzige Debatte noch einen
drauf. Diesmal werden wir Ihnen die entsprechenden Fra-
gen nicht ersparen.

Auch Herr Westerwelle steht übrigens in einer Tradi-
tion interessanter Zitate. Er hat im Zusammenhang mit der

Debatte über unsere Geschichte gesagt, die Jugend müsse
vom Zwang befreit werden, mit gebeugtem Gang durch
das Leben zu laufen. Lieber Herr Westerwelle, ich bin als
Angehöriger der Nachkriegsgeneration mein ganzes Le-
ben noch nicht gebeugt durch das Leben gelaufen. Aber
ich habe immer versucht, mich an das zu halten, was Herr
von Weizsäcker in seiner tollen Rede vom 8.Mai 1985 ge-
sagt hat:

Bei uns ist eine neue Generation in die politische
Verantwortung hereingewachsen. Die Jungen

– das gilt übrigens auch für viele alte Menschen –
sind nicht verantwortlich für das, was damals ge-
schah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in
der Geschichte daraus wird.

Vor diesem Hintergrund kann man im Zusammenhang mit
dem, was wir in den letzten Tagen erleben, nur von zen-
tralem Versagen sprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie versuchen, die deutsche Politik aus der historischen
Verantwortung herauszureißen und darauf Ihren Wahl-
kampf zu begründen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Westerwelle, distanzieren Sie sich von Herrn
Möllemann! Bringen Sie die FDPauf ihre traditionelle Li-
nie zurück! Das, was im Moment geschieht, hat mit einer
liberalen Partei nichts zu tun, in deren Namen Sie noch
heute zu reden glauben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423815200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion.


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1423815300
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen
konnte man immer wieder beobachten, wie sich die FDP
gefreut hat, da sie – angeblich – so viel Zuspruch ins-
besondere von jüngeren Menschen in Deutschland be-
kommen hat, und zwar deshalb, weil endlich jemand frei
über das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte
spricht. Es sei als Belastung empfunden worden, dass das
vorher niemand getan habe. Hier genauso wie in der De-
batte über das deutsch-israelische Verhältnis inszeniert
sich Möllemann als großer Tabubrecher. Ich sage dazu:
Wir brauchen Herrn Möllemann nicht. Wir brauchen auch
keine Enttabuisierung. Wir brauchen vielmehr eine ver-
antwortliche Erinnerungskultur in Deutschland. Wer als
Jugendlicher oder junger Erwachsener in 20 oder 30 Jah-
ren politische Verantwortung in Deutschland übernimmt,
kann dies nicht ohne Erinnerung und Wissen über den Ho-
locaust und seine Folgen tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies gilt übrigens für junge Menschen nicht nur in
Deutschland, sondern auch in jedem anderen Land der




Jörg Tauss
23818


(C)



(D)



(A)



(B)


Welt. Es geht nämlich nicht um eine Schulddebatte. Viele
jüngere Menschen können mit einer solchen Debatte – be-
rechtigterweise – gar nichts mehr anfangen. Es geht viel-
mehr darum, zu verstehen, was passiert ist, den Wert
unserer heutigen demokratischen Grundordnung zu er-
kennen und unsere Demokratie zu verteidigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht außerdem darum, Vorurteile sowie rassistische
und antisemitische Strömungen als gefährliche Irrwege zu
erkennen, ihnen entgegenzutreten und einer Politik, die
diesen Strömungen Vorschub leistet, nie wieder auch nur
die leiseste Chance in Deutschland zu geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau deshalb ist es unverantwortlich und unent-
schuldbar, dass Möllemann mit antisemitischen Denk-
schablonen hantiert. Er manipuliert Erinnerung, er ver-
wischt Unterschiede und er deutet Geschichte um. Das
können wir nicht akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Westerwelle, Sie haben sich heute hier darüber
empört, dass dies eine Wahlkampfveranstaltung sei. Wer
den Wahlkampf als inhaltsleeres Projekt „18 Prozent“ ins-
zeniert, wie Sie das tun, hat nicht die Legitimation, hier
mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das will ich ganz
deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie tun mir im Übrigen auch fast Leid: erst großspurig
Kanzlerkandidat und dann ohne Übergang Zaunkönig,


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das war jetzt eine echte Beleidigung!)


das ist schon ein schwerer Absturz, Herr Westerwelle.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber Leid tun Sie mir wirklich nur fast. Denn wenn man
den „Stern“ liest, stellt man fest, dass Sie sich sogar damit
brüsten – ich zitiere –:

Es ist der FDP zu verdanken, dass die Schill-Partei
nicht im Landtag von Sachsen-Anhalt sitzt.


(Zuruf von der SPD: Aha!)

– Ja, das steht wortwörtlich darin.

Die FDP will Protestpartei sein. Ich sage Ihnen etwas:
Protest ohne eigenen Standpunkt ist Populismus,


(Beifall bei der SPD)

ein Populismus, der die Tür für mehr öffnet. Eine Partei,
die sich unter ihrem Vorsitzenden Westerwelle hem-
mungslos dem Populismus öffnet, darf sich nicht wun-
dern, wenn Möllemann mit Rechtspopulismus auf
Wählerfang geht.


(Beifall bei der SPD – Sebastian Edathy [SPD]: Billigend hingenommen!)


Es geht heute nicht um Wahlkampf

(Lachen bei der FDP)


– lassen Sie mich das zum Schluss sagen –, es geht um die
FDP. Sie sind der Vorsitzende der FDP. Er muss Richtung
vorgeben und er muss auch Mehrheiten für seine Richtung
organisieren können. Bis heute ist offen geblieben, Herr
Westerwelle, ob Sie das einfach nicht können oder ob Sie
es nicht wollen. Auf diese Klarstellung wartet das gesamte
Haus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423815400
Wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, 6. Juni 2002, 9.00 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.