Protokoll:
14231

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 231

  • date_rangeDatum: 19. April 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:58 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Begrüßung der Delegation des Parlaments der Republik Malta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22995 C Tagesordnungspunkt 21: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (Drucksache 14/8778) . . . . . . . . . . . . . 22971 A – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (Drucksache 14/7778 ) . . . . . . . . . . . . 22971 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Manfred Grund, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (Drucksache 14/7441) . . . . . . . . . . . . . 22971 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien (Drucksache 14/2719) . . . . . . . . . . . . . 22971 B Harald Friese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22971 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . 22974 A Wilhelm Schmidt (Salzgitter ) SPD . . . . . 22976 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22977 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22977 D Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22979 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . . . . . . 22980 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22981 B Harald Friese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22982 A Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 22982 D Inge Wettig-Danielmeier SPD . . . . . . . . . . . . 22983 D Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22985 C Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 22987 C Tagesordnungspunkt 23: Beratung der Großen Anfrage der Abge- ordneten Bernd Neumann (Bremen), Dr. Norbert Lammert, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Zu- kunft des deutschen Auslandsrundfunks (Drucksachen 14/6954, 14/8208) . . . . . . . 22989 B Bernd Neumann (Bremen) CDU/CSU . . . . . 22989 C Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 22991 B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . 22991 C Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 22993 A Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . 22993 C Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22994 C Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22995 D Dr. Joseph-Theodor Blank CDU/CSU . . . . . 22996 C Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22998 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . 22998 D Plenarprotokoll 14/231 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 231. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. April 2002 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 24: Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2001 (43. Bericht) (Drucksache 14/8330) . . . . . . . . . . . . . . . 23000 B Dr. Willfried Penner, Wehrbeauftragter . . . . . 23000 B Bernd Siebert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23002 A Ulrike Merten SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23003 C Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . 23005 B Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23006 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23008 B Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär BMVg . . . 23009 C Ursula Lietz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23010 B Benno Zierer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23011 C Gerhard Neumann (Gotha) SPD . . . . . . . . . . 23013 B Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaf- fung der Budgets in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Budget- aufhebungsgesetz) (Drucksache 14/5225) . . . . . . . . . . . . . 23014 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Abschaf- fung der sektoralen Budgets in der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksachen 14/4604, 14/8793) . . . . . 23014 C Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23014 D Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23017 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23021 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23022 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) (Drucksache 14/8769) . . . . . . . . . . . . . . . 23023 B Tagesordnungspunkt 27: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tarifzwang im öffentlichen Ver- gaberecht verhindern (Drucksache 14/8510) . . . . . . . . . . . . . . . 23023 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 23023 D Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23024 D Werner Kuhn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23026 B Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23027 D Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23028 C Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23029 A Wolfgang Weiermann SPD . . . . . . . . . . . . . . 23029 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . 23030 A Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung der steuerlichen Dis- kriminierung Alleinerziehender (Drucksache 14/8274) . . . . . . . . . . . . . 23031 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Gerechtigkeit im Familienlasten- ausgleich herstellen (Drucksachen 14/8273, 14/8808) . . . . . 23031 D Simone Violka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23032 A Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23033 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23035 D Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23035 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23037 B Zusatztagesordnungspunkt 11: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zum Wald- aktionsplan im Übereinkommen über die biologische Vielfalt anlässlich der 6. Ver- tragsstaatenkonferenz in Den Haag . . . . . 23038 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23038 D Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23039 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002II Jutta Müller (Völklingen) SPD . . . . . . . . . . . 23040 D Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . 23042 A Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 23042 D Heidemarie Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23043 C Helmut Lamp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23044 B Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin BMU 23045 A Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . 23046 C Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23047 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23048 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23048 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 23049 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede: – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Budgets in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV-Budgetaufhebungsgesetz) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesund- heit zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Abschaffung der sektoralen Budgets in der gesetzlichen Krankenversicherung (Tagesordnungspunkt 25 a und b) . . . . . . . . . . 23049 D Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23050 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede: – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung der steuer- lichen Diskriminierung Alleinerziehender – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Gerechtigkeit im Familienlastenausgleich herstellen (Tagesordnungspunkt 28 a und b) . . . . . . . . . . 23050 D Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23051 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . 23051 B Gabriele Lösekrug-Möller SPD . . . . . . . . . . 23051 B Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . 23052 C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23054 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23055 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23055 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 23056 B Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23057 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002 Monika Ganseforth 23048 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 213. Sitzung, Seite 211 92 (C), sind unter „Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung“ in der Auflistung zu strei- chen: „Drucksache 14/1276 Nr. 2.2“ und „Drucksache 14/5281 Nr. 2.20“. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002 23049 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 19.04.2002 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 19.04.2002 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 19.04.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 19.04.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 19.04.2002** Klaus Caesar, Cajus CDU/CSU 19.04.2002 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 19.04.2002 Herta Erler, Gernot SPD 19.04.2002 Flach, Ulrike FDP 19.04.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 19.04.2002 Peter Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 19.04.2002 Göllner, Uwe SPD 19.04.2002 Dr. Grygier, Bärbel PDS 19.04.2002 Hauser (Rednitzhem- CDU/CSU 19.04.2002 bach), Hansgeorg Dr. Haussmann, Helmut FDP 19.04.2002 Heiderich, Helmut CDU/CSU 19.04.2002 Hiksch, Uwe PDS 19.04.2002 Hofbauer, Klaus CDU/CSU 19.04.2002 Homburger, Birgit FDP 19.04.2002 Irmer, Ulrich FDP 19.04.2002 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 19.04.2002 Leidinger, Robert SPD 19.04.2002 Ostrowski, Christine PDS 19.04.2002 Philipp, Beatrix CDU/CSU 19.04.2002 Reiche, Katherina CDU/CSU 19.04.2002 Reuter, Bernd SPD 19.04.2002 Röspel, René SPD 19.04.2002 Roos, Gudrun SPD 19.04.2002 Dr. Schäuble, CDU/CSU 19.04.2002 Wolfgang Dr. Scheer, Hermann SPD 19.04.2002* Schemken, Heinz CDU/CSU 19.04.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 19.04.2002 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 19.04.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 19.04.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 19.04.2002 Schösser, Fritz SPD 19.04.2002 Schultz (Everswinkel), SPD 19.04.2002 Reinhard Schur, Gustav-Adolf PDS 19.04.2002 Seehofer, Horst CDU/CSU 19.04.2002 Siemann, Werner CDU/CSU 19.04.2002 Dr. Freiherr von CDU/CSU 19.04.2002 Stetten, Wolfgang Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 19.04.2002*** Weisskirchen SPD 19.04.2002*** (Wiesloch), Gert Dr. Westerwelle, Guido FDP 19.04.2002 Wieczorek-Zeul, SPD 19.04.2002 Heidemarie Wissmann, Matthias CDU/CSU 19.04.2002 Zöller, Wolfgang CDU/CSU 19.04.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Budgets in der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV-Budgetaufhebungsgesetz) – Antrag: Abschaffung der sektoralen Budgets in der gesetzlichen Krankenversicherung (Tagesordnungspunkt 25 a und b) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Ruth Fuchs (PDS): Den Grundansatz der Ge- sundheitsreform 2000, bestehende Unwirtschaftlichkei- ten durch Strukturreformen abzubauen, hielten wir für richtig. Zu begrüßen war auch, dass bei dieser Reform an den Grundlagen einer solidarischen Krankenversicherung festgehalten wurde. Allerdings war es unserer Meinung nach falsch, das ohnehin sehr begrenzte Streben nach Strukturveränderungen mit einer rigorosen Budgetierungs- politik zu verbinden und darauf zu setzen, dass unter dem Druck des knappen Geldes Rationalisierungsreserven er- schlossen würden. Damit ging die Koalition in einer ent- scheidenden Frage nicht von realistischen Voraussetzun- gen aus. Wirtschaftlichkeitsreserven sind nur schrittweise zu erschließen, da es sich dabei um tief in bestehende Denk- und Handlungsmuster eingreifende Veränderungs- prozesse handelt. Sie benötigen Zeit und ihre Notwendig- keit muss vor allem auch von den Akteuren verstanden und mitgetragen werden. Inzwischen hat es die Erfahrung bestätigt: Bloßer Ein- spardruck senkt nicht nur fragwürdige bzw. unnötige Leistungen, sondern auch medizinisch notwendigen Mit- teleinsatz. Die Patienten erlebten, dass erforderliche Me- dikamente nicht mehr verschrieben wurden oder medizi- nische Maßnahmen selbst bezahlt werden mussten. Ärzte wurden in Gewissenskonflikte und Existenzängste ge- bracht und das Arzt-Patient-Verhältnis teilweise unerträg- lich belastet. Auch bei solchen Reformen sind stets die so- zial Schwächeren und jene, die sich am wenigsten wehren können, die Hauptverlierer. Hinzu kommt, dass das Ge- sundheitswesen keineswegs nur Überkapazitäten besitzt, sondern auch erhebliche Bereiche mit Unterversorgung und Nachholbedarf. Stellvertretend sei hier nur an die Qualitätsmängel bei der Erkennung und Behandlung von Diabetes oder Bluthochdruck, an die Defizite bei der Prävention oder auch an die Unterbesetzungen im sta- tionären Sektor erinnert. Deshalb war es ein Trugschluss, Beitragsstabilität mit strikten Ausgabenbegrenzungen er- reichen zu wollen, die lediglich an den Steigerungsraten der Grundlohnsumme orientiert sind. Im Übrigen wurde damit auch übersehen, dass das Gesundheitswesen ein Wachstumsbereich ist, und zwar nicht primär als Ergebnis von Fehlsteuerungen, sondern vor allem wegen zuneh- mender Handlungsmöglichkeiten und Leistungsbedarfs. Die Kohl-Regierung hatte sich zuletzt dafür entschie- den, nur noch das Einnahmenproblem der gesetzlichen Krankenversicherung zu sehen, und wollte zusätzliche Mittel vor allem aus den Taschen der Versicherten und Pa- tienten holen. Die jetzige Koalition zog es dann vor, le- diglich das Ausgabenproblem wahrzunehmen und mit verschärften Budgetierungen zu antworten. Mit anderen Worten: Die eine begrenzte Sichtweise wurde lediglich durch eine andere ersetzt. Auf diese Weise wurde aber das notwendige Ziel, die Effektivität im Gesundheitswesen zu erhöhen, nicht primär in den Dienst einer verbesserten medizinischen Versorgung gestellt, sondern diente vor al- lem als Begründung für eine rigorose Sparpolitik. Damit wurde erstmals nach Löhnen, Renten usw. auch dieser große Sozialbereich von der Entwicklung der wirtschaft- lichen Leistungskraft abgekoppelt. Auch das Gesund- heitswesen wurde dem neoliberalen Gesamtkonzept der Regierung Schröder unterworfen, das an die Stelle eines erhofften Politikwechsels trat. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus haben wir die Budgetierungen von vornherein als einen ent- scheidenden Schwachpunkt der rot-grünen Gesundheits- politik betrachtet und dies bereits bei der Verabschiedung der Gesundheitsreform 2000 im Deutschen Bundestag klar zum Ausdruck gebracht. Ein zusätzlicher Fehler be- stand darin, dass die neue Koalition den schwarzen Peter für die Einhaltung der Sparvorgaben vornehmlich den Ärzten und anderen Gesundheitsberufen zuwies, während sie an Dominanz und Profitstreben der medizinischen Großindustrie kaum rüttelte. Das Bemühen um Reduzie- rung von Sachkosten beispielsweise durch Druck auf überhöhte Arzneimittelpreise oder durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel suchte man zunächst vergebens. Natürlich muss die Ärzteschaft in der Verant- wortung für eine wirtschaftliche Arzneimitteltherapie bleiben. Allerdings kann es den Ärzten auch niemand ab- nehmen, für eine bedarfsgerechte und qualitativ hoch ste- hende Therapie Sorge zu tragen. Dazu gehört aber nicht nur, Unnötiges oder Fragwürdiges zurückzudrängen, son- dern auch bestehende medikamentöse Unterversorgungen zu überwinden. Das heißt – und dass sage ich vor allem in Richtung der Union –, nicht allein die Aufhebung des Budgets und sein Ersatz durch Richtgrößen bzw. Zielvereinbarungen sind notwendig, sondern ein ganzes Bündel von Maßnahmen im Sinne einer überzeugenden Arzneimittelpolitik. Die Regierung hat in der Zwischenzeit mit Festbetragsrege- lung, dem Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz und dem Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungsgesetz auf diesem Gebiet nicht wenige Anstrengungen unternommen. Dafür sorgte schon der Druck der aus dem Ruder gelaufenen Medikamentenkosten. Allerdings muss nach wie vor be- zweifelt werden, dass es gelungen ist, schon tragfähige Grundlagen für eine sinnvolle und wirksame Ausgaben- steuerung im Arzneimittelsektor zu schaffen. Das Thema wird uns weiter beschäftigen. Was das Honorarbudget betrifft, so habe ich bereits zum Ausdruck gebracht, dass der Vorschlag der Unions- fraktion, es durch Regelleistungsvolumina mit festen Punktwerten zu ersetzen, unserer Meinung nach zu kurz greift. Wir halten weiter gehende Veränderungen der Ver- gütungsformen für erforderlich. Sie sollten hinführen zu überwiegend pauschalen Honorierungen, die von kom- merziellen Zwängen und bürokratischem Aufwand ent- lasten und mehr Zeit für den Patienten ermöglichen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung Alleinerziehender – des Antrages: Gerechtigkeit im Familienlasten- ausgleich herstellen (Tagesordnungspunkt 28 a und b) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 200223050 (C) (D) (A) (B) Ina Lenke (FDP): Die PDS hat die öffentliche Kritik an der Streichung des Haushaltsfreibetrages für Allein- erziehende aufgegriffen und eine gesetzliche Änderung vorgeschlagen. Das ist grundsätzlich richtig, besonders da Rot-Grün in der Zeit der Abschmelzung des Haushalts- freibetrages bis zum Jahr 2005 alle Alleinerziehenden, die ab den 1. Januar 2002 hinzukommen, ausschließt. Die Begründung der Bundesregierung und gestern auch noch des Bundeskanzlers, die völlige Streichung des Haus- haltsfreibetrages sei gerechtfertigt wegen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes von 1998, ist nicht richtig. Die SPD will der Öffentlichkeit immer wieder glauben ma- chen, dass sie nur der Vorgabe des Bundesverfassungsge- richtes Folge geleistet hat. Das ist mitnichten so. Das Ver- fassungsgericht hat lediglich vorgegeben, dass Ehepaare gegenüber Alleinerziehenden nicht benachteiligt werden dürften. Jetzt will die Bundesregierung die Neufälle in den abschmelzenden Freibetrag einbeziehen. Ein Eingeständ- nis von Rot-Grün, falsch entschieden zu haben. Trotzdem muss die Bundesregierung sich jetzt mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht zum Haushaltsfreibetrag für Al- leinerziehende auseinandersetzen. Wie gesagt, die FDP hält die Kritik für grundsätzlich richtig. Wir haben als Fraktion ein in sich geschlossenes Steuerpapier vorgelegt. Deshalb sind wir der Meinung, dass die Neubestimmung des Familienlastenausgleichs jetzt nicht mehr in Einzelpunkten verändert werden sollte. Wir werden uns enthalten. Ihr Antrag auf der Drucksache 14/8273 beinhaltet unter anderem eine Kritik an der Freibetragsregelung in Bezug auf Kinder. Die FDP sieht derzeit keinen Änderungsbedarf und hält an der derzeitigen Lösung der Freibetragsrege- lung in Verbindung mit dem Kindergeld fest. Auch hier verweise ich auf unser Steuerkonzept. Die FDP wird dem Antrag nicht zustimmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur wei- teren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Pu- blizitätsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 10) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Am Dienstag ti- telte die „Financial Times Deutschland“: „Transparenz ist Trumpf“. Dem ist wohl kaum zu widersprechen. Immer neue Bilanzskandale erschüttern das Vertrauen vieler In- vestoren. Wirtschaftsprüfer geraten derzeit in ein Feuer der Kritik, das heißer kaum sein kann. Schon bevor diese spektakulären Ereignisse die Auf- merksamkeit der Anleger neben Wachstumsraten auch auf Verschuldungsgrad, wahre Kosten und Risiken ausweite- ten, hatte im Mai 2000 die Bundesregierung mit der Ein- setzung der Baums-Kommission den ersten Schritt in Richtung Neugestaltung der Unternehmungsführung und -überwachung getan. Mit der Corporate-Governance-Kommission wurde dann weiter daran gearbeitet, im Frühjahr legte sie ihren ersten Bericht vor. Allen Empfehlungen zur Modernisie- rung des Aktienrechtes stellte sie den Vorschlag voran, in einem Deutschen Corporate Governance Kodex zum einen die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zusammenzu- fassen und darüber hinaus Verhaltensempfehlungen und -anregungen für Unternehmensleitung und -überwachung niederzulegen. Nach britischem Vorbild haben Staaten wie Frankreich, Belgien, Spanien und die Niederlande, um nur einen Blick auf unsere europäischen Nachbarn zu werfen, vergleichbare „Codes“, in denen die Standards guter Un- ternehmensleitung und -überwachung zusammengefasst sind. Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex ha- ben nun auch unsere Aktiengesellschaften die Chance, dass in- und ausländische Investoren sich aus einer Quelle über die Besonderheiten und Vorzüge unserer dualisti- schen Unternehmensverfassung und zugleich über die von der deutschen Wirtschaft selbst festgelegten Stan- dards zu informieren. Zu genau diesen Standards haben sich zukünftig, so im Transparenz- und Publizitätsgesetz festgelegt, deutsche börsennotierte Kapitalgesellschaften jährlich zu erklären. Dieser Kodex und das in diesem Zusammenhang entste- hende Transparenz- und Publizitätsgesetz haben zu Recht großes öffentliches Interesse hervorgerufen. Woran liegt das? Sicher hat die nicht abreißende Serie von Bilanz-Skan- dalen die Aufmerksamkeit für dieses Vorhaben gesteigert. Doch eigentlich ist es schon unkonventionell genug, dass die Bundesregierung hier der freiwilligen Selbstverpflich- tung Vorrang einräumt. Sie setzt darauf, dass börsennotierte Kapitalgesellschaften ein sehr hohes Eigeninteresse haben müssen, durch mehr Transparenz verlorengegangenes Ver- trauen von Anlegern wieder zu gewinnen. Sie setzt auch da- rauf, dass deutsche Unternehmen auch im internationalen Vergleich von potenziellen Anlegern müheloser und zuver- lässiger als bisher beurteilt werden wollen. Mit dieser für unsere Republik in der Tat unkonventio- nellen Vorgehensweise gelingt es uns, unmittelbar die Er- fahrungen der Finanzwirtschaft einfließen zu lassen und zugleich die Rechte und den Schutz der Anleger wirksam zu verbessern. Die Erarbeitung und Veröffentlichung des Kodex allein bewirkt jedoch weder Vertrauenszuwächse bei Ak- tionären noch Vorteile deutscher Gesellschaften auf dem internationalen Kapitalmarkt. Es muss klar werden, wel- che Unternehmen sich an diesen Kodex halten. Das heißt, die jährlich zu erneuernde Abgabe der Erklärung „comply or explain“, was nichts anders heißt als „ich akzeptiere oder aber ich weiche ab und begründe dies“, ist das, was zum Gütesiegel werden wird, und deshalb werden die Un- ternehmen mitziehen. Rechtssystematisch gesehen ist der Kodex gesetzes- unterstützend; er hat nicht ersetzenden Charakter. Neben dieser Entsprechendserklärung werden im TransPuG weitere Elemente des Aktien- und Bilanzrech- tes modernisiert. Ich greife zwei heraus: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002 23051 (C) (D) (A) (B) Erstens. Die Rechte des Aufsichtsrates werden gestärkt. Ich möchte dies an vier Punkten verdeutlichen: Follow-up- Berichterstattung: Zukünftig hat der Vorstand den Auf- sichtsrat auch darüber zu unterrichten, inwieweit die tatsächliche Geschäftsentwicklung von zugrunde gelegten Planungen abweicht. Konzerndimensionaler Bezug: Mit der Erweiterung der Regelberichterstattung ist der Auf- sichtsrat auch über die Lage von Tochterunternehmen zu unterrichten. Damit kann er die grundsätzlichen Fragen der Unternehmensplanung, der Rentabilität und die Lage des Gesamtunternehmens sinnvoller und zuverlässiger als bisher beurteilen. Berichtsverlangen einzelner Aufsichts- ratsmitglieder: Zukünftig bedarf es nicht mehr der Unter- stützung eines zweiten Aufsichtsratsmitgliedes, wenn ein Aufsichtsratsmitglied Berichterstattung vom Vorstand ver- langt. Zustimmungspflichtige Geschäfte: Neu geregelt im Sinn einer Stärkung des Aufsichtsrates wird ebenfalls die Frage der zustimmungspflichtigen Geschäfte. Hier eröffnet der Gesetzgeber konsequenterweise jedem Aufsichtsrat die Chance, einen eigenen maßgeschneiderten Zustimmungs- katalog zu beschließen. Wohlgemerkt, es muss sich dabei um Maßnahmen oder Entscheidungen handeln, die die Er- tragsaussichten oder die Risikoexposition der Gesellschaft grundlegend verändern. Zweites Beispiel: Frischen Wind bringt das TransPuG besonders auch durch jene Neuregelungen, die den Ein- satz moderner Kommunikationstechnologien betreffen. Bis dato war das Internet für das deutsche Aktienrecht ein „unbekanntes Wesen“. Das wird nun anders. Die Einbe- rufung einer Hauptversammlung kann zukünftig auch „in einer elektronischen Version des Bundesanzeigers“ erfol- gen. Zur Klarstellung: Es reicht nicht aus, die Einberu- fung auf der Homepage der Gesellschaft „ins Netz zu stel- len“. Aktionäre müssen weiterhin die Möglichkeit haben, sich über ein einziges Portal, eben den Bundesanzeiger, zu informieren. Hauptversammlungen können im Firmen- TV und im Internet übertragen werden. AR-Mitglieder können per Video-Schaltung teilnehmen. Gegenanträge müssen nicht mehr in gedruckter Form an alle Aktionäre versandt werden, sondern, so die neue sprachliche Formel „sie sind zugänglich zu machen“, was bedeutet, sie werden auf der Webseite der Gesellschaft veröffentlicht. Entspre- chend konnten Fristen verkürzt werden – eine aktionärs- freundliche Veränderung. Nach Vorlage des Kodex gab es breite Zustimmung für dieses Vorhaben, auch wenn zukünftig einige Damen und Herren aus der großen Gruppe der Aufsichtsräte ein we- nig mehr Zeit haben werden, da die immerhin selbst ent- wickelten Regeln eine Mäßigung und Beschränkung in der Zahl der Aufsichtsratsposten vorsehen und auch deut- licher werden könnte, in welcher Höhe AR-Mitglieder Vergütungen erhalten. Aber diese Sorgen bestätigen eher die Qualität der Maßnahme. Europa- und weltweit auf der Höhe der Zeit, mehr Sicherheit für Anleger und eine von Wirtschaft und Politik gemeinsam getragene Modernisierung, das sind die guten Noten, die dieses Gesetzesvorhaben begleiten. Dem Trans- PuG sollen in der nächsten Legislaturperiode weitere ge- setzgeberische Maßnahmen folgen, die die Empfehlungen der Kommission umsetzen. Mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz liegt ein guter und ausgewogener Gesetzesentwurf vor uns. Er hat unsere Zustimmung verdient. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Die Verbesse- rung der deutschen Corporate Governance, also Unter- nehmensführung und die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland durch weitere Harmonisierung der kapital- marktorientierten Rechnungslegungsvorschriften – das sind die Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfs. Der Ent- wurf eines Transparenz- und Publizitätsgesetzes folgt da- mit der Linie, die wir in der 13. Legislaturperiode begon- nen haben, und ist im Grundsatz zu begrüßen. Das so genannte KonTraG, das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, hat es 1998 unter- nommen, weit reichende Maßnahmen zur Verbesserung der deutschen Unternehmensführung und -überwachung ein- zuführen. Es trägt der Entwicklung und insbesondere Ver- flechtung der internationalen Kapitelmärkte Rechnung. Auf ihnen stehen die deutschen Emittenten im unmittelba- ren und weltweiten Wettbewerb mit Risikokapitalnachfra- gern. Die Unternehmensstrategie auch deutscher Unter- nehmen richtet sich demgemäß zunehmend auf die Anleger aus. Dies bedingt eine stärkere Orientierung an einer lang- fristigen Wertsteigerung für die Anteilseigner. Ob wir es wollen oder nicht: Shareholder Value als weltweiter Grund- satz macht vor deutschen Unternehmen eben nicht halt und tritt zumindest gleichgewichtig neben den Gläubiger- schutz. Dies erfordert aber eine intensivere Kommunika- tion mit den Marktteilnehmern über Unternehmenspolitik und -entwicklung auf dem Wege einer vermehrten Trans- parenz und Publizität. Öffnung und Neuausrichtung auf die Kapitalmärkte ist unausweichlich, nicht nur als Chance für die Unternehmen selbst, zur Stärkung ihrer Ertragskraft und der Beschleunigung notwendiger Anpassungspro- zesse, sondern auch zur Steigerung der Wettbewerbsfähig- keit unserer Unternehmen und damit im Ergebnis letztlich zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Neben dem KonTraG bedeutete das Kapitalaufnah- meerleichterungsgesetz eine erste Öffnung hin auf inter- nationale Grundsätze der Rechnungslegung. Wir waren sehr aktuell damit in der 13. Legislaturperiode. Denn die internationale Arbeitsgruppe der OECD, die 1996 zur Ent- wicklung „guter“ Corporate-Governance-Grundsätze ein- gerichtet worden war, hatte gerade erst im April 1998 ihren Arbeitsbericht vorgelegt. Wir kamen sogar dem Katalog von Grundsätzen zuvor, die die OECD 1999 vorlegte. Wissen muss man, dass diese Entwicklung sehr schnell weiterging. Im Jahr 2000 legte die Grundsatzkommission Corporate Governance, der so genannte „Frankfurter Ini-tiativkreis“, seinen „Code of Best Practices“ vor; im gleichen Jahr veröffentlichte der Berliner Initiativkreis seinen Verhaltenskodex, den „German Code of Corporate Governance“. Des Weiteren zeigte die renommierte Schmalenbach-Gesellschaft/Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft im September 2000 in einem Thesen- papier weiteren Verbesserungsbedarf auf. Gleichzeitig er- schien das Positionspapier der Wirtschaftsprüfer, das als „KonTraG II“ bezeichnet wurde und weitere Vorschläge Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 200223052 (C) (D) (A) (B) für die verbesserte Unternehmensüberwachung und Pu- blizität unterbreitete. Das Thema gärte also und das ist angesichts des drän- genden Anpassungsbedarfs auf den internationalen Kapi- talmärkten auch gar nicht weiter verwunderlich. Erst jetzt aber liegt der Entwurf des TransPubGesetzes vor. Man kann schon sagen: Die Bundesregierung hat sich Zeit gelassen. Schon im Sommer legte das DRSC, das Deutsche Rechnungslegungs-Committee, einen Entwurf für ein Gesetz zur Internationalisierung der Rechnungsle- gung vor. Der Referentenentwurf des TransPubG kam erst im November. Dabei soll keineswegs der Nutzen der eingesetzten Re- gierungskommission verkannt werden. Im Gegenteil: Sie hat gute Arbeit geleistet und viel Sachverstand ist in ihre Vorschläge eingeflossen. Es ist aber typisch für diese Bun- desregierung, dass sie eher Kommissionen einrichtet und vorschiebt, bevor sie sich selbst zum Handeln entschließt. Dabei lagen die Weichen, in die Unternehmensführung und -überwachung gesteuert werden müssen, schon seit dem KonTraG klar auf der Hand. Das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz forderte bis 2004 sogar eine Überarbeitung des gesamten Konzernbi- lanzrechts. Dies war auch folgerichtig, denn unser Bilanz- recht drohte und droht bis heute zu einem Flickenteppich ohne erkennbare durchgängige Prinzipien und Konzeptio- nen zu werden. Von diesem Ziel – einer stimmigen Regelung – sind wir allerdings, so scheint mir, weit entfernt, und dies aus zwei Gründen: Zum einen greift der Entwurf die Vorschläge der Regierungskommission zwar auf, aber in unvollständiger Form. Nichts verdeutlicht die hilflose Haltung der Bundes- regierung deutlicher als die Ausführungen im Vorspann des Gesetzentwurfes selbst: „Wegen des herannahenden Endes der Wahlperiode war allerdings eine komplette Umsetzung der Empfehlungen der Regierungskommission nicht mehr möglich. Der vorliegende Entwurf enthält deshalb ledig- lich eine Auswahl der Empfehlungen der Regierungskom- mission sowie des Deutschen Rechnungslegungs-Stan- dards Committee.“ Soweit das Zitat. Das Ende der Legislaturperiode war bereits vor vier Jahren einigermaßen absehbar. Dennoch wurde die Re- gierungskommission erst 2000 eingesetzt und hat erst ein- mal bis Mitte 2001 gearbeitet. Dass ein derartiger Zeitplan, wenn man ihn so nennen will, nur ein Rudiment zur Folge haben kann, liegt auf der Hand. Allgemein wird das TransPubG ja auch nur als ein erster Schritt in eine notwendige Richtung gesehen, mit der Hoffnung auf weitere und weiterführende Schritte. Ein solches Vorgehen ist aber der Bedeutung der Thema- tik nicht angemessen. Immerhin geht es um die Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Unternehmen auf den inter- nationalen Kapitalmärkten. Man hätte sich also durchaus bereits früher Gedanken machen können und müssen. Auf der anderen Seite hat es die Bundesregierung mit ihrem Rumpfgesetz nun sehr eilig. Der Entwurf unter- nimmt es, auf dem Sektor der Rechnungslegung einzelne Änderungen vorzunehmen, die auf den Vorschlägen des Deutschen Standardisierungsrates und den Empfehlungen der Regierungskommission beruhen. Ich möchte diese ein- zelnen Ansätze keineswegs von vornherein negativ bewer- ten. Sie wollen eine Umorientierung bei einer Vielzahl von Wahlechten einleiten, wie sie in der 7. EU-Richtlinie ge- währt werden und vom deutschen Gesetzgeber eingeführt worden sind. Das Ziel ist also die Pflicht für den Einzelab- schluss und auch für nicht börsennotierte Unternehmen zur Rechnungslegung nach internationalen Standards. Dabei ist auf der europäischen Ebene aber vieles noch in Bewegung. Hier nämlich sollen sämtliche Bilanzricht- linien in einer gemeinsamen Verordnung zusammenge- fasst werden. Ein entsprechender Vorschlag war schon für Anfang dieses Jahres erwartet worden. Inhaltlich sollen die europäischen Bilanzrichtlinien an den IAS, den Inter- nationalen Rechnungslegungsstandard, angepasst wer- den, dem sie bisher nur teilweise entsprechen. Es ist aber zu vermuten, dass sich darunter mit Sicherheit auch sol- che Bestimmungen befinden werden, die bisher nationale Wahlrechte betreffen. Unter Umständen werden auch bis- her bestehende Wahlrechte vereinheitlicht, um auf diese Weise eine Angleichung zu erreichen. Der Gesetzentwurf des TransPubG nun setzt es sich zum Ziel, jetzt schon solche Wahlrechte abzuschaffen, weil man die europäische Entwicklung nicht abwarten möchte. Die Abschaffung der Wahlrechte ist unter dem Blick- winkel einer Vereinheitlichung des Bilanzrechts in Europa an sich durchaus folgerichtig. Die angestrebte Rechtsver- einheitlichung aufgrund der 7. EU-Richtlinie war damals nur unter Einräumung von Wahlrechten möglich, 76 an der Zahl, sowohl Wahlrechte der Mitgliedstaaten als auch un- ternehmerische Wahlrechte. Das deutsche Bilanzrichtlini- engesetz hat diesen Wahlmöglichkeiten ganz weit gehend Rechnung getragen. Der Druck auf die internationale An- gleichung der Rechnungslegungsstandards hat sich jedoch zwischenzeitlich erheblich erhöht. Für die europäischen Fi- nanzmärkte, die international wettbewerbsfähig sein wol- len und müssen, ist es von elementarer Bedeutung, dass die Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse von Unternehmen im Interesse der Anleger und Emittenten gewährleistet ist. Die eingeräumten Wahlrechte beeinträchtigen diese Ver- gleichbarkeit, weil bei unterschiedlicher Vorgehensweise jeweils die Prüfung des konkreten Aussagegehalts des auf- gestellten Unternehmensjahresabschlusses erforderlich ist. Deswegen haben wir seinerzeit im KonTraG §2 92 a HGB, der die Wahlrechte einräumt, in weiser Voraussicht zeitlich befristet und gleichzeitig den Auftrag an den Gesetzgeber für eine Reform des deutschen Bilanzrechts bis zum Jahre 2004 gegeben. Dennoch erscheint die Abschaffung der Wahlrechte zum derzeitigen Zeitpunkt wohl riskant. Denn gerade im Unter- nehmensbereich ist Kontinuität vonnöten. Mit einem deut- schen Vorpreschen riskiert die Bundesregierung aber, dass die Abschaffung von Wahlrechten unter Umständen von der europäischen Entwicklung überholt wird und nachträg- lich wieder rückgängig gemacht werden muss. Diese Per- spektive hat sie in ihrem Referentenentwurf übrigens selbst zum Ausdruck gebracht. Das aber wäre verhängnisvoll. So sieht es auch die Wirtschaft in ihrer Stellungnahme zum Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002 23053 (C) (D) (A) (B) Gesetzentwurf, die – so sehr sie den Ansatz des Gesetzes an sich begrüßt – Rechtssicherheit und Kontinuität auf dem Gebiet der Rechnungslegung vorzieht. Insofern wäre es wahrscheinlich klüger, das Schicksal der beabsichtigten EG-Verordnung abzuwarten, zumal erwartet wird, dass die Verordnung wohl noch in diesem Jahr verabschiedet wird. Außerdem laufen zurzeit die Vorbereitungen für die inner- staatliche Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der 4. und 7. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, die die Zuläs- sigkeit des Fair-value-Accounting betrifft. Eine Gesamtkonzeption wäre also dringend erforder- lich. Eine umfassende HGB-Reform ist es, die als Nächs- tes ansteht. Aber die wird erst in der nächsten Legislatur- periode möglich sein und da wird sie bei uns ja auch gut aufgehoben sein. Denn hier muss grundsätzlich über die Weichenstellung der Rechnungslegungsprinzipien nach- gedacht und diskutiert werden. Überkommene deutsche Rechnungslegungsprinzipien wie das Vorsichtsprinzip, das Maßgeblichkeitsprinzip und das umgekehrte Maß- geblichkeitsprinzip sind im internationalen Wettbewerb bereits heute fast bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt. Es bedarf grundsätzlicher Überlegungen, ob und wie sie noch Platz im System der internationalen Rechnungsle- gungsprinzipien haben können. Auch nach dem Bilanz- richtliniengesetz behielt außerdem der Gläubigerschutz seine dominante Stellung. Die Informationsfunktion der Rechnungslegung wurde lediglich formell im HGB ver- ankert. Es bedarf also dringend einer gegenseitigen Ge- wichtung dieser wichtigen Prinzipien. Alles andere führt letztlich nicht weiter und zieht nur immer weiteren Ände- rungsbedarf nach sich. Im Detail sind viele der vorgesehenen Regelungen für die bessere Information des Aufsichtsrats als richtige An- sätze vom Grundsatz her zu begrüßen. Aber auch hier ist es bedauerlich, dass nur ein Anfang gemacht wird, statt dass wirklich die Weichen für eine umfassende Reform gestellt werden. Auch hier müsste der Gesetzgeber vor al- lem selbst die Grundsatzentscheidung über das zukünf- tige System der Unternehmensführung treffen. Nicht wenige der zahlreichen Bestimmungen über die In- formationsversorgung des Aufsichtsrats müssten noch ge- nauer formuliert werden, insbesondere was die Berichts- pflicht bei der Abweichung von vorgesehenen Zielen anbelangt, aber auch die Verschwiegenheitspflicht von Auf- sichtsratsmitgliedern betreffend. Hier sollten die der Ver- schwiegenheitspflicht unterliegenden Informationen präzi- ser genannt werden. Auch die Forderung der grundsätzlich schriftlichen Berichte vom Vorstand an den Aufsichtsrat müsste noch einmal überdacht werden, damit sich ein sol- ches Verfahren nicht als Informationshindernis auswirkt. Auch die Nutzung der neuen Medien, die sich der Ge- setzentwurf zum Ziel setzt, hätte konsequenter vorgese- hen werden können. Im Gesetz zur Namensaktie ist ein erster – zaghafter – Ansatz gemacht worden, der jetzt ru- hig mutiger hätte aufgegriffen werden können, zum Bei- spiel in geeigneter Form auch zur Durchführung einer Aufsichtsratssitzung. Nicht ganz zu Ende gedacht er- scheinen auch die vorgesehenen Bestimmungen über die Hauptversammlung, ob das nun das Widerspruchsrecht des Aktionärs gegen Videoaufzeichnungen betrifft oder die Behandlung von Gegenanträgen. Die Ermöglichung einer Sachdividende ist sicher zur Modernisierung des Aktienrechts sinnvoll. Viele Fragen, die sich in der Folge ergeben, bleiben jedoch ungeklärt, sei es die Frage der erneuten Spekulationsfrist bei der Weitergabe von Anteilen einer Tochtergesellschaft an die Aktionäre der Mutter oder die Regelung zu nicht fun- giblen Werten. Diese – § 58 Abs. 5 Satz 2 AktG-E – ist wie so manche andere Entwurfsbestimmung viel zu wenig klar und wird nur neue Rechtsstreitigkeiten vorprogram- mieren. Vermisst wird hier auch eine Regelung zur steu- erlichen Behandlung der Sachdividende, zu Bewertungs- maßstab und Bewertungszeitpunkt. Schließlich: Soll es wirklich eine Kommunikation zwi- schen Unternehmen und Kapitalmärkten geben, muss auch an die Information der Aktionäre gedacht werden. Nur dann werden sich Wettbewerbsimpulse aus Transpa- renzregelungen entfalten können. Insgesamt werden wir uns noch sehr intensiv über den vorliegenden Gesetzentwurf unterhalten müssen. Wir sind zwar der Auffassung, dass eine weitere Reform und Anpassung an internationale Grundsätze im Bereich der Unternehmensführung unbedingt erforderlich und sogar überfällig ist. Eine solche muss aber sinnvoll gestaltet sein und ihre Einzelheiten müssen auf ihre Tragfähigkeit ab- geklopft werden. Wir können uns vielleicht noch eine Re- form der kleinen Schritte leisten, keinesfalls aber eine Echternacher Springprozession, bei der die vermeintli- chen Schritte nach vorn kurzfristig wieder rückgängig ge- macht werden, weil sie von der internationalen Entwick- lung wieder überholt worden sind oder weil sie sich in der Praxis als ungeeignet, weil zu unbestimmt und zu wenig durchdacht, erweisen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit wäre gerade im Unternehmensbereich von allergrößter Bedeutung. Denn ein Wirtschaftsstandort Deutschland er- fordert ebenso wie ein Kapitalmarkt Kontinuität und Ver- lässlichkeit. Und hier ist der Gesetzentwurf noch sehr ver- besserungsfähig. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In der mittlerweile recht ansehnlichen Reihe von neuen Regeln für den Finanzmarkt und die börsennotierten Gesellschaften ist das Transparenz- und Publizitätsgesetz ein weiterer Schritt zu einem fairen Wettbewerb. Denn Wettbewerb braucht Transparenz und Information für die Marktteilnehmer. Der Katalog der Regierungskommission Corporate Governance sowie der darauf aufbauend entwickelte Deutsche Kodex Corporate Governance umfasst mehr Po- sitionen, als sie im hier zu diskutierenden Gesetzentwurf enthalten sind. Die Bundesregierung hat entschieden, lie- ber in der kurzen noch zur Verfügung stehenden Zeit einen Teil der Vorschläge umzusetzen, als gar nichts mehr in die- ser Legislaturperiode zu tun. Ich unterstütze dieses Vorge- hen ausdrücklich. Mit dem vorliegenden Gesetz werden einige wichtige Regeln aufgestellt, die deutlich machen, wohin der Weg im deutschen Unternehmensrecht gehen soll. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 200223054 (C) (D) (A) (B) Manche der vorgeschlagenen Regelungen bedeuten zunächst nicht mehr und nicht weniger als eine Moderni- sierung der Kommunikation, indem die Übermittlung von Informationen auf elektronischem Wege zulässig wird; zum Beispiel zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Zudem erhält der Vorstand erweiterte Pflichten, den Aufsichtsrat zu informieren. Auch für Hauptversammlungen können in Zu- kunft elektronische Kommunikationsformen angewandt werden. In Ausnahmefällen können sie sogar die physische Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder ersetzen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Enron-Falls in den USA sind insbesondere auch die Vorschriften von In- teresse, wonach die Unternehmen verpflichtet werden, ein Risikoüberwachungssystem einzurichten, das frühzeitig auf mögliche Risiken für die Gesellschaft Hinweise geben kann. An die Prüfer ergeht ein erweiterter Prüfauftrag, auch Erkenntnisse weiterzugeben, die für Verstöße gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag und Satzung sprechen, also nicht erst zu warten, bis sie manifest werden. Eine besonders wichtige und einschneidende Neuerung ist der § 161 AktG, wonach die Unternehmen verpflichtet werden mitzuteilen, ob es den Corporate-Governance- Grundsätzen folgt. Der im angelsächsischen Bereich ent- wickelte Grundsatz comply or explain verlangt, sich ent- weder an die Regeln zu halten oder eine Abweichung da- von zu erklären. Hier wird eine neue Ebene eingezogen. wonach nicht alle Pflichten der Gesellschaft gesetzlich fest- gelegt werden müssen, sondern ein Katalog von Grundsät- zen mittelbar für allgemein gültig erklärt wird. Dass die Gründe für die Abweichung von diesen Regeln erklärt werden müssen, ist ein starker Anreiz, sie zu befolgen; denn die Erklärung könnte mit und angenehmen Informa- tionen verbunden sein. Dies ist mit Sicherheit eine beson- ders große Veränderung in der deutschen Unternehmens- kultur. Auch wenn das Transparenz- und Publizitätsgesetz noch nicht das letzte Wort im Modernisierungsprozess des deutschen Unternehmensrechts ist, bedeutet es einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer neuen, modernen und transparenten Unternehmenskultur. Damit ist es auch eine wichtige Antwort auf die Erschütterung des Vertrau- ens der Anleger durch die Unternehmenspleiten der letz- ten Zeit. Rainer Funke (FDP):Die FDP-Bundestagsfraktion be- grüßt den Entwurf des Transparenz- und Publizitätsgeset- zes. Dieser Gesetzentwurf ist weitgehend eine folgerichtige Fortentwicklung des KonTraG, das in der letzten Legis- laturperiode die Modernisierung unseres Aktienrechts ein- geleitet hat. Es ist auch eine Fortentwicklung der Bi- lanzierungsvorschriften des HGB, die auch in der letzten Legislaturperiode in Verfolg des KonTraG neu eingeführt wurde. Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt einen Teil der Empfehlungen der Regierungskommission „Corporate Governance“ auf und ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung sich nur auf den Teil der Empfehlung der Regierungskommission „Corporate Governance“ bezieht, der noch in dieser Legislaturperiode umsetzbar erscheint. Der andere Teil der Empfehlungen wird dann nach dem 22. September 2002 unverzüglich von der neuen Bun- desregierung dem Bundestag zugeleitet, Dies ist auch eine kluge Beschränkung, weil auf diese Weise sichergestellt ist, dass der vorliegende Gesetzentwurf noch in dieser Legis- laturperiode in das Bundesgesetzblatt kommen kann. Die FDP wird wenigstens auch in Berichterstattergesprächen auf dieses Ziel hinarbeiten. Natürlich werden wir in den Berichterstattergesprächen, bei aller grundsätzlicher Begrüßung dieses Gesetzes, ein- zelne Fragen intensiv zu beraten haben. Die stärkere Ver- antwortung, die auf den Aufsichtsrat zukommen wird, auch die Funktion der Aufsicht zu betonen, halten wir für richtig. Ob damit einhergehen muss, dass auch ein einzel- nes Aufsichtsratsmitglied die Einberufung des gesamten Aufsichtsrates verlangen kann, muss zumindest diskutiert werden. Dasselbe gilt für die Frage, ob ein Katalog zu- stimmungspflichtiger Geschäfte, gemäß § 111 Abs. 4 des Entwurfes, aufgestellt werden muss. Dies müsste zumin- dest im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung überprüft werden. Ausdrücklich begrüße ich die klare Regelung des Vertraulichkeitsgrund- satzes für die Aufsichtsratsmitglieder. Denn nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft hat sich die Schwatzhaftigkeit weit ausgebreitet. Wir möchten auch im Ausschuss diskutiert sehen, ob es wirklich richtig ist, die Wahlrechte im Bilanzrecht bereits jetzt abzuschaffen, so- lange die EU-Mitgliedstaaten die 4. und 7. Gesellschafts- rechtliche Richtlinie noch nicht umgesetzt haben. Auf jeden Fall muss vermieden werden, dass durch all zu häufigen Wechsel der Bilanzierungsregeln Bilanzen deutscher Unternehmen intransparent werden und nicht mehr miteinander oder auch mit internationalen Gesell- schaften vergleichbar werden. Ziel all unser gesellschaftsrechtlichen und bilanzrecht- lichen Überlegungen muss es sein, unser deutsches Ge- sellschaftsrecht kapitalmarktorientiert zu gestalten, und unter Kapitalmarkt verstehe ich nicht den deutschen Markt, sondern den weltweiten Kapitalmarkt. Hierfür müssen wir unsere deutschen Unternehmen fit machen, denn am Kapi- talmarkt entscheidet sich auch die Zukunft der deutschen Unternehmen. Dr. Uwe Jens Rössel (PDS): Die Reform des Aktien- und Bilanzrechts in der Bundesrepublik Deutschland ist dringend geboten. International übliche Standards der Un- ternehmensführung und -kontrolle müssen endlich auch hierzulande verbindlich durchgesetzt werden. Der einst so hochgelobte Neue Markt ist mittlerweile zu einem Schrottplatz am Kapitalmarkt geworden. Nicht we- nige der an diesem Börsensegment notierten Gesellschaf- ten sind in kriminelle Machenschaften verwickelt und da- mit längst ein Fall für den Staatsanwalt. Die zum Himmel stinkenden Betrügereien des Vorstands der Comroad AG dürften das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Wo war da eigentlich, aber auch in ähnlich gelagerten Fällen, der Aufsichtsrat mit seiner Kontrollverantwortung? Hat die Deutsche Börse AG bei der Börsenzulassung von Comroad nicht bemerkt, dass das Unternehmen von Schar- latanen geführt wird? Und warum hat das Bundesauf- sichtsamt für den Wertpapierhandel nicht rechtzeitig diese Machenschaften unterbunden? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002 23055 (C) (D) (A) (B) Die großen institutionellen Anleger haben sich längst aus dem Neuen Markt zurückgezogen. Das hat auch die massiven Kursverluste – teilweise bis hin zum Totalver- lust – verursacht. Es sind wie so oft die Kleinanleger mit ihren Ersparnissen, die den verlockenden Empfehlungen von Banken und Fondsgesellschaften auf den Leim ge- gangen sind. Sie sitzen jetzt mit ihren oft fast wertlosen Aktiendepots am Neuen Markt vor einem Scherbenhau- fen. Gemessen an der Notwendigkeit, diese und ähnliche Fehlentwicklungen gerade auch durch spürbar mehr Transparenz und Publizität im Aktienrecht zu verhindern, greift der vorliegende Gesetzentwurf zu kurz. Dessen un- geachtet würdigt die PDS-Fraktion die Gesetzesinitiative der Bundesregierung als einen Schritt in die richtige Rich- tung. Wir begrüßen ausdrücklich die vorgesehenen neuen Möglichkeiten für die Nutzung elektronischer Medien in der Kommunikation zwischen Aktiengesellschaften und ihren Aktionären. Allerdings bleibt die Wahrung der In- teressen derjenigen Aktionäre unbefriedigend gelöst, die keine elektronischen Medien nutzen können oder möch- ten. Es muss in Rechnung gestellt werden, dass derzeit die Mehrheit der Bundesbürger noch nicht über einen Zugang zu E-Mail bzw. Internet verfügt. Ausdrücklich zustimmen werden wir auch der elektro- nischen Übertragung der Hauptversammlung in Bild und Ton. Hier sind nach Auffassung des Dachverbandes der Kritischen Aktionäre auch keine Nachteile für Aktionäre ohne Internetzugang zu befürchten, da ihr Recht auf Teil- nahme an der Hauptversammlung uneingeschränkt fort- besteht. Es gibt in der Reform des Aktien- und Bilanz- rechts sowie für den Anlegerschutz in Deutschland noch viel zu tun. Packen wir es jetzt gemeinsam an! Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Die Regierungskommission „Corporate Governance“ hat im Sommer des letzten Jah- res ein ganzes Paket von Vorschlägen zur Verbesserung und Modernisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für unsere börsennotierten Gesellschaften vorgelegt. Diese Vorschläge haben allgemein große Beachtung und Anerkennung gefunden. Die Wirtschaft wartet auf die Umsetzung dieser Vorschläge. Wir haben uns deshalb sehr beeilt, umgehend an die Umsetzung der von uns mitbera- tenen und mitgetragenen Empfehlungen zu gehen. Die erste Umsetzungsstufe war die Einsetzung der Re- gierungskommission „Deutscher Corporate-Governance- Kodex“ unter Leitung von Herrn Dr. Cromme. Diese hoch- rangige und ausgewogen besetzte Kommission hat in er- staunlich kurzer Zeit einen Verhaltenskodex – einen Code of Best Practice – für die Organe deutscher börsennotier- ter Aktiengesellschaften vorgelegt. Der Kodex bietet die große Chance, Leitung und Kontrolle unserer Gesellschaf- ten deutlich zu verbessern und zugleich nach außen zu wir- ken und unser Corporate-Governance-System im Ausland besser darzustellen. Unser System ist nämlich gut. Aber auch ein gutes System kann man immer noch weiter ver- bessern. Gute Corporate Governance in einer sich ändern- den Welt bedarf unserer ständigen Anstrengung und Auf- merksamkeit. Wir haben deshalb mit dem heute vorliegenden Trans- parenz- und Publizitätsgesetz sehr rasch einen zweiten Umsetzungsschritt zu den Vorschlägen der Regierungs- kommission „Corporate Governance“ getan und eine ganze Reihe wichtiger Verbesserungen unseres Corporate- Governance-Systems vorgeschlagen. Dazu gehört zum ei- nen natürlich die Flankierung des Corporate-Governance- Kodex der Cromme-Kommission durch eine so genannte Entsprechenserklärung. Das bedeutet, dass die Vorstände und Aufsichtsräte jährlich erklären müssen, ob sie den Ko- dex befolgen oder in welchen Punkten sie abweichen. Es ist sehr wichtig, dass diese gesetzliche Ergänzung des Cor- porate-Governance-Kodex noch in dieser Wahlperiode Gesetz wird. Daneben enthält der Entwurf Vorschriften zur Deregulierung und Verbesserung im Bereich Hauptver- sammlung, Aufsichtsrat und Information der Aktionäre. Der Gesetzentwurf befasst sich auch mit dem Bi- lanzrecht. Das Recht der Rechnungslegung und der Ab- schlussprüfung ist nach spektakulären Fällen von Bilanz- manipulation jüngst wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Das Transparenz- und Publizitäts- gesetz versteht sich allerdings nicht als Lex Enron oder Lex Comroad. Die Bekämpfung unsauberer Machen- schaften in diesem Bereich erfordert zunächst eine Ab- stimmung auf europäischer und internationaler Ebene. In der EU sowie im Rahmen der G 7 planen wir auf der Grundlage einer gründlichen Situationsanalyse weitere koordinierte Schritte, um die Sicherheitsnetze unseres Fi- nanzsystems noch reißfester zu machen und die Vertrau- ensbasis für die Anleger zu stärken. Mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz nutzt die Bundesregierung verbleibende nationale Gestaltungs- spielräume und greift Empfehlungen sowohl der Regie- rungskommission „Corporate Governance“ als auch Vorschläge des Deutschen Rechnungslegungsstandards Committee e.V. auf, in dem namhafte Experten auf dem Gebiet der Rechnungslegung vertreten sind. Inhaltlich zielt der Entwurf vornehmlich darauf ab, das deutsche Bilanzrecht näher an einige Charakteristika in- ternationaler Rechnungslegungsstandards heranzuführen. Denn nach den Vorschlägen der Europäischen Kommis- sion, die vom Europäischen Parlament und von den Mit- gliedstaaten schon weitgehend gebilligt sind, werden europäische Unternehmen, die auf den öffentlichen Ka- pitalmärkten Mittel einwerben, vom Jahre 2005 an ihre Konzernabschlüsse nach internationalen Standards aufzu- stellen haben. Für die Anleger, die den Unternehmen ihre Gelder anvertrauen, wird dadurch eine breitere Informa- tions- und Entscheidungsbasis geschaffen. Dementsprechend betont der Entwurf die Bedeutung des Konzernabschlusses als Information für potenzielle Investoren: Beispielsweise werden ergebnisverzerrende Einflüsse des Steuerrechts auf den Konzernabschluss aus- geschaltet und bei der Aktiengesellschaft haben in Zu- kunft Aufsichtsrat oder Hauptversammlung über die Bil- ligung des Konzernabschlusses zu entscheiden. Zugleich werden einige Publizitätsanforderungen an kapitalmarkt- orientierte Unternehmen maßvoll erweitert. Im Bereich der Abschlussprüfung wird die Kontroll- und Berichts- praxis präziser auf neuralgische Punkte fokussiert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 200223056 (C) (D) (A) (B) Die jüngste Unternehmenskrise in den Vereinigten Staaten zeigt, wie wichtig es ist, unsere Bemühungen zur Verbesserung unserer Corporate Governance zu verstär- ken. Krisen und Skandale wird es wohl immer geben, aber wir wollen alles in unserer Macht Stehende tun, um sie zu verringern. Der vorliegende Entwurf macht die deutsche Corpo- rate Governance fit für den internationalen Vergleich und stärkt die deutschen Kapitalmärkte. Er hat hohe Zustim- mung bei allen beteiligten Kreisen gefunden und wird dringlichst erwartet. Die Unternehmen wollen das Trans- parenz- und Publizitätsgesetz bereits in der kommenden Hauptversammlungssaison einsetzen können. Ich darf sie daher herzlich bitten, dazu beizutragen, dass das Gesetz noch dieses Jahr in Kraft tritt. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 774. Sitzung am 22. März 2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zurÄnderung des Agrarstatistikgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen – Gesetz zur Vereinfachung derWahl der Arbeitneh- mervertreter in den Aufsichtsrat – Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze – Siebentes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank – Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungs- aufsicht – Zehntes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (10. SGB V – Änderungsgesetz) – Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwande- rung und zur Regelung des Aufenthalts und der Inte- gration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwan- derungsgesetz) – Gesetz zur Änderung des Schuldrechtsanpassungs- gesetzes – Zweites Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften – Gesetz zurÄnderung des Gesetzes zurVerbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahn- vermögen und in den Unternehmen der Deutschen Bundespost – Zweites Gesetz zur Anpassung bestimmter Bedingun- gen in der Seeschifffahrt an den internationalen Stan- dard (Zweites Seeschifffahrtsanpassungsgesetz – SchAnpG 2 –) – Gesetz über die Errichtung des Deutschen Binnen- schifffahrtsfonds (Binnenschifffahrtsfondsgesetz – BinSchFondsG) – Post- und telekommunikationsrechtliches Bereini- gungsgesetz – Gesetz zu dem Abkommen vom 27. Juli 2001 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über Soziale Sicherheit – Gesetz zu dem Abkommen vom 18. April 2001 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Soziale Sicherheit – Gesetz zu dem Stockholmer Übereinkommen vom 23. Mai 2001 über persistente organische Schad- stoffe (POPs-Übereinkommen) und dem Protokoll vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luft- verunreinigung betreffend persistente organische Schadstoffe (POPs-Protokoll) – Gesetz zur Einführung von streckenbezogenen Ge- bühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen – Gesetz zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Änderung des GAK-Gesetzes Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Die Länder sind der Auffassung, dass im Lichte der Er- gebnisse der Zwischenbewertung der Agenda 2000 und der von der Ministerpräsidentenkonferenz angestrebten Neugestaltung der föderalen Aufgabenzuordnung und der Finanzbeziehungen nach 2004 die Aufteilung der natio- nalen Kofinanzierung zwischen Bund und Ländern zu überprüfen und weiter zu entwickeln ist. Die Länder sind außerdem der Auffassung, dass in eine künftige obligatorische Modulation auf Gemeinschafts- ebene grundsätzlich alle Direktzahlungen gemäß der Ver- ordnung (EG) Nr. 1259/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 zur Festlegung von Gemeinschaftsregeln für Direktzahlun- gen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. EG Nr. L 160 vom 26. Juni 1999, S. 113 ff. (sog. Horizontale Verordnung) einbezogen und das Spektrum der Wiederver- wendungsmöglichkeiten ausgedehnt werden sollen. Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 22. März 2002 mitgeteilt, dass sie die Kleine Anfrage Pro- gramm der Bundesregierung „Bauen jetzt – Investitio- nen beschleunigen“ auf Drucksache 14/8401 zurückge- zogen hat. Die Kleine Anfrage ist mit Drucksache 14/8491 neu eingebracht worden. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 23. bis 27. April 2001 in Straßburg Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 2002 23057 (C) (D) (A) (B) – Drucksachen 14/7629, 14/8086 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der OSZE über die Zehnte Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 6. bis 10. Juli 2001 in Paris – Drucksachen 14/7871, 14/8086 Nr. 1.5 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über Ergebnisse ihrer Bemühungen um ein Rahmenkonzept für die Stabilisie- rung Mazedoniens und um eine politische und ökonomi- sche Gesamtstrategie für die Balkanstaaten und Südost- europa – Drucksachen 14/7891, 14/8174 Nr. 1 – Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Ab- wicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte – Stand 30. Juni 2001 – – Drucksachen 14/7433, 14/7874 Nr. 1.1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Rechts- sicherheit für deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu- kunft“ – Drucksachen 14/7434, 14/7874 Nr. 1.2 – Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft – Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldzustandsbericht 2001 – Ergebnisse des forstlichen Umweltmonitorings – – Drucksache 14/7946 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Übereinkommen über nukleare Sicherheit Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die Zweite Überprüfungstagung im April 2002 – Drucksache 14/7732 – Ausschuss für die Angelegenheiten derEuropäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Anwendung des Subsidiaritäsprinzips im Jahr 2000 (Subsidiariätsbericht 2000) – Drucksachen 14/7130, 14/7413 Nr. 4 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/8081 Nr. 1.3 Drucksache 14/8179 Nr. 1.7 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/8339 Nr. 2.30 Drucksache 14/8339 Nr. 2.43 Drucksache 14/8339 Nr. 2.53 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/8428 Nr. 1.2 Drucksache 14/8428 Nr. 2.5 Drucksache 14/8428 Nr. 2.9 Drucksache 14/8428 Nr. 2.19 Drucksache 14/8428 Nr. 2.21 Drucksache 14/8428 Nr. 2.22 Drucksache 14/8428 Nr. 2.26 Drucksache 14/8428 Nr. 2.32 Drucksache 14/8428 Nr. 2.42 Drucksache 14/8428 Nr. 2.45 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/7197 Nr. 2.16 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/5363 Nr. 2.7 Drucksache 14/7000 Nr. 2.24 Drucksache 14/7409 Nr. 2.1 Drucksache 14/7522 Nr. 1.18 Drucksache 14/7708 Nr. 1.5 Drucksache 14/8179 Nr. 1.9 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/7708 Nr. 2.26 Drucksache 14/7833 Nr. 2.22 Drucksache 14/7833 Nr. 2.25 Drucksache 14/8081 Nr. 2.1 Drucksache 14/8179 Nr. 2.6 Drucksache 14/8179 Nr. 2.10 Drucksache 14/8179 Nr. 2.58 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 14/8179 Nr. 1.8 Drucksache 14/8179 Nr. 1.10 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/8339 Nr. 2.4 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/8179 Nr. 2.8 Drucksache 14/8179 Nr. 2.45 Drucksache 14/8339 Nr. 2.18 Drucksache 14/8339 Nr. 2.31 Drucksache 14/8339 Nr. 2.32 Drucksache 14/8339 Nr. 2.33 Drucksache 14/8339 Nr. 2.34 Drucksache 14/8339 Nr. 2.35 Drucksache 14/8339 Nr. 2.36 Drucksache 14/8339 Nr. 2.37 Drucksache 14/8339 Nr. 2.38 Drucksache 14/8339 Nr. 2.39 Drucksache 14/8339 Nr. 2.40 Drucksache 14/8339 Nr. 2.41 Drucksache 14/8339 Nr. 2.42 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 14/7708 Nr. 1.8 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. April 200223058 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423100000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
21. – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des
Parteiengesetzes
– Drucksache 14/7778 –

(Erste Beratung 229. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Achten Ge-
setzes zur Änderung des Parteiengesetzes
– Drucksache 14/7778 –

(Erste Beratung 209. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Norbert Röttgen, Manfred Grund,
Norbert Hauser (Bonn), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Par-
teiengesetzes
– Drucksache 14/7441 –

(Erste Beratung 209. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss, Roland
Claus, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Gesetzes über die politischen Parteien
– Drucksache 14/2719 –

(Erste Beratung 100. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/8824 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Harald Friese
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Norbert Röttgen
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Dr. Evelyn Kenzler

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/8825 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Werner Hoyer
Gunter Weißgeber
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Dr. Christa Luft

Der Innenausschuss hat in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 14/8824 den Gesetzentwurf der
Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/
Die Grünen und der FDP auf Drucksache 14/8778 einbe-
zogen, über den jetzt ebenfalls abschließend beraten wer-
den soll. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann
ist so beschlossen.

Zu dem soeben genannten Gesetzentwurf liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Harald Friese, SPD-Fraktion.


Harald Friese (SPD):
Rede ID: ID1423100100
Herr Präsident! Meine sehr ge-
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Art. 21 Abs. 1 Satz 4
unseres Grundgesetzes bestimmt: Parteien „müssen über
die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr
Vermögen öffentlich Rechenschaft geben“. Dies ist eine
bestechend einfache Vorschrift, deren Umsetzung in die
Praxis aber in der Vergangenheit offensichtlich große
Schwierigkeiten bereitet hat. Ich erinnere nur an die
Flick-Affäre, den CDU-Parteispendenskandal und die

22971


(C)



(D)



(A)



(B)


231. Sitzung

Berlin, Freitag, den 19. April 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Vorgänge in Köln, die meine eigene Partei betreffen. Wir
sind aber zusammen mit der vom Bundespräsidenten ein-
gesetzten Kommission unabhängiger Sachverständiger zu
Fragen der Parteienfinanzierung der Auffassung: Das
deutsche System der Parteienfinanzierung und das Partei-
engesetz haben sich bewährt. Wenn dagegen verstoßen
wurde, geschah das vorsätzlich, mit krimineller Energie
und Fantasie. Auch wenn wir heute das Parteiengesetz än-
dern, wir sind nicht so naiv, zu glauben, dass ein noch so
gutes Gesetz unerlaubtes Handeln und Rechtsverstöße
verhindern kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns aber folgende Fragen stellen: Ist es
richtig, dass ein ehemaliger Bundeskanzler, der mit seiner
Weigerung, die Namen von Spendern zu nennen, perma-
nent gegen die Verfassung und gegen das Parteiengesetz
verstößt, straffrei bleibt?


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Lass es bleiben! Diese uralte Leier! Das ist Zeug von vorgestern!)


Ist es richtig, dass auch ein ehemaliger Innenminister, der
außerhalb der Kasse seiner Partei 20 Millionen DM in der
Schweiz parkte, aller Wahrscheinlichkeit nach straffrei
bleiben wird?


(Zurufe von der SPD: Nein!)

Es mag gute Gründe geben, Verstöße gegen das Parteien-
gesetz nicht zu bestrafen.


(Dirk Niebel [FDP]: Wo ist eigentlich Müntefering?)


Es gibt aber bessere Gründe, Verstöße gegen das Partei-
engesetz unter Strafe zu stellen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Den Ball würde ich an Ihrer Stelle ziemlich flach halten!)


Denn es darf in unserem Land keinen strafrechtsfreien
Raum für vorsätzliche Verstöße gegen Vorschriften ge-
ben, die für die Funktionsfähigkeit einer parlamentari-
schen Demokratie von zentraler Bedeutung sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb werden wir heute Verstöße gegen das Parteien-
gesetz unter Strafe stellen. Ich möchte an dieser Stelle
ausdrücklich feststellen: Wer als Kassierer eines Ortsver-
eins einen Fehler macht, der hat nichts zu befürchten. Wer
aber, egal auf welcher Ebene der Partei, vorsätzlich han-
delt, verdient keinen Schutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Niebel [FDP])


Verstöße gegen das Parteiengesetz sind keine Kavaliers-
delikte, weshalb wir einvernehmlich den Strafrahmen
auf bis zu drei Jahre festgesetzt haben.

Um einer Legendenbildung schon im Vorfeld vorzu-
beugen: In einigen Tageszeitungen konnte man lesen, die
SPD sei erst nach den Vorgängen in Köln bereit gewesen,

einer entsprechenden Strafvorschrift zuzustimmen. Dies
ist falsch.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Schon im Koalitionsentwurf vom Dezember 2001 wurde
eine Strafvorschrift vorgeschlagen. Von Köln war damals
noch gar keine Rede.

Wir verbessern mit diesem Gesetz weiterhin die
Transparenz der Parteifinanzen; denn Transparenz und
Öffentlichkeit der Parteikasse sind zentrale Inhalte von
Art. 21 GG. Wir verdammen keine Spenden, auch nicht
von Firmen. Spenden sind auch ein Zeichen für die Ver-
wurzelung der Parteien in der Gesellschaft. Aber: Spen-
den können Parteien abhängig machen, nämlich vom
Spender. Deshalb muss die Öffentlichkeit erfahren, von
wem die Parteien Gelder erhalten. Wenn das geschieht,
dann kann der mündige Wähler feststellen, ob sich das
Programm der Partei, ob die konkrete politische Arbeit
der Partei eine Interessenpolitik ist, die sich sozusagen
am Interesse der Spender orientiert.

In Zukunft sind Spenden über 50000 Euro dem Bundes-
tagspräsidenten unverzüglich mitzuteilen und zeitnah zu
veröffentlichen; sonstige Einnahmen sind offen zu legen,
wenn sie mehr als 2 Prozent der Einnahmen der jeweili-
gen Parteiebene ausmachen oder höher als 10 000 Euro
sind;Erbschaften und Vermächtnisse – damit haben wir
im Parteispendenausschuss unsere bitteren Erfahrungen
gemacht – sind zu veröffentlichen, wenn sie im Einzelfall
mehr als 10 000 Euro betragen; auch Gewinne und Verlus-
te von Unternehmen der Parteien sind getrennt zu veröf-
fentlichen und nicht, wie es das bisherige Gesetz vorsah,
zu saldieren.

Der Gesetzentwurf geht – das will ich ausdrücklich fest-
stellen – von der Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung
der Parteien auch bei Medienunternehmen aus. Er befindet
sich damit in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der
Parteienkommission. Aber auch hierbei gilt: Wirtschaftli-
che Betätigung – ja, aber umfassende Transparenz.

Auch an dieser Stelle möchte ich einer Legendenbil-
dung gleich vorbeugen: Die SPD hat sich zu keinem Zeit-
punkt gegen eine Veröffentlichung ihrer Unternehmens-
beteiligungen gewehrt. Die Pflicht zur Veröffentlichung
war Teil des Koalitionsentwurfs vom Dezember letzten
Jahres. Im Übrigen veröffentlicht die SPD schon seit dem
Rechenschaftsbericht 1999 ihre wirtschaftlichen Beteili-
gungen freiwillig, und zwar über das jetzige Parteien-
gesetz hinaus.

Es ist bekannt: Geld macht leider sinnlich und es stinkt
nicht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der Präsident schließt sich dem nicht an!)


Bekannt ist auch: Parteifunktionäre sind manchmal lei-
der nicht anders als ganz normale Bürger. Deshalb un-
terbindet der Gesetzentwurf Begehrlichkeiten im Vor-
feld – das halte ich für einen sehr interessanten Ansatz
des Gesetzentwurfs –, sodass Spenden öffentlich-recht-
licher Körperschaften, Spenden von Fraktionen, auch
auf der kommunalen Ebene, Spenden von Unternehmen,




Harald Friese
22972


(C)



(D)



(A)



(B)


von denen die öffentliche Hand mehr als 25 Prozent be-
sitzt, Barspenden über 1 000 Euro oder 500 Euro, wenn
der Spender nicht bekannt ist, und Spenden, die eine Par-
tei erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung für
einen bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vor-
teil erhält, in Zukunft nicht mehr erlaubt sind.

Neunmalkluge werden sagen: Das ist in der Praxis al-
les gar nicht nachweisbar. Das mag so sein. Aber die Wer-
tung des veränderten Parteiengesetzes, dass solche Spen-
den moralisch verwerflich sind, ist wichtig. Wenn eine
Partei eine Spende bekommen soll und die Befürchtung
hat, sie sei als Gegen- oder Vorleistung anzusehen, dann
ist sie übrigens nicht verpflichtet, sie anzunehmen. Eine
Verpflichtung dafür gibt es im Parteiengesetz nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben Verstöße gegen das Parteiengesetz mit sehr

harten Sanktionen belegt: Eine rechtswidrige Spendenan-
nahme wird mit einer Strafe in Höhe des dreifachen Spen-
denbetrags bestraft. Eine Spende, die rechtmäßig ist, aber
nicht im Rechenwerk der Partei auftaucht, muss zurück-
gezahlt werden. Außerdem muss man eine Strafe in Höhe
des zweifachen Spendenbetrags zahlen. Wenn der Vermö-
gensausweis in der Vermögensbilanz nicht richtig ist,
dann müssen 10 Prozent des Verkehrswertes des nicht
richtig ausgewiesenen Vermögens als Strafe gezahlt wer-
den. – Das sind harte Sanktionen. Dieses konsequente und
harte Sanktionensystem, verbunden mit der Strafandro-
hung, gibt zu der Hoffnung Anlass, dass Parteispenden-
skandale der Vergangenheit angehören.

Ich sage hier ganz offen: Es ist bedauerlich, dass wir zu
solchen Mitteln greifen müssen, um die Einhaltung des
Gesetzes zu sichern. Eigentlich müsste man davon ausge-
hen, dass sich diejenigen, die die Gesetze machen, auch
daran halten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Eigentlich müsste man auch davon ausgehen können, dass
diejenigen, die ein öffentliches Amt haben, Rechtstreue
als eine selbstverständliche Maxime ihres Handelns an-
sehen.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Politik in den Verdacht gerät, käuflich zu wer-

den, hat das verheerende Auswirkungen auf die politische
Kultur.


(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD] sowie des Abg. Dirk Niebel [FDP])


Politische Kultur ist für mich öffentliche Diskussion, kon-
troverse Diskussion und Transparenz der Entscheidungs-
prozesse. Politische Kultur heißt aber auch: Vertrauen in
das Handeln von Politikern haben können. Wilhelm
Hennis, der Nestor der deutschen Politikwissenschaft, hat
einmal gesagt: Vertrauen ist die seelische Grundlage der
repräsentativen Demokratie. – Wir müssen dieses Ver-
trauen zurückgewinnen. Ich bin der Überzeugung, dass
das Parteiengesetz in seiner neuen Form dafür eine wich-
tige Voraussetzung ist.

Parteienrecht ist kein Verfassungsrecht; aber es hat ver-
fassungsrechtlichen Rang. Solche grundlegenden Gesetze
kann man nicht in jeder Legislaturperiode ändern. Ände-
rungen sollten zudem mit einer breiten Mehrheit, auf einer
breiten Basis geschehen. Deshalb sind wir froh darüber,
dass es gelungen ist, zu einem interfraktionellen Gesetz-
entwurf zur Änderung des Parteiengesetzes zu kommen.

Im Namen des ganzen Hauses möchte ich meinen Dank
an die Kommission unter Vorsitz der damaligen Präsiden-
tin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel, sagen.
Dort sind wichtige Vorarbeiten geleistet worden. Der jetzt
vorliegende Gesetzentwurf könnte, so glaube ich, auch
von der Kommission stammen.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte auch an meine Kolleginnen und Kollegen

Berichterstatter Dank sagen. Wir haben uns in fünf harten
nächtlichen Verhandlungsrunden zu diesem gemeinsa-
men Gesetzentwurf durchgerungen. Festzustellen war,
dass der Wille zur Einigung vorherrschte.

Dieser Gesetzentwurf zeigt, dass die Parteien in
Deutschland in der Lage sind, aus dem Parteispenden-
skandal Konsequenzen zu ziehen. Dieser Gesetzentwurf
zeigt auch, dass die Parteien willens sind, für eine umfas-
sende Transparenz der Parteienfinanzen zu sorgen. Dieser
Gesetzentwurf zeigt des Weiteren, dass es trotz aller par-
teipolitischen Auseinandersetzungen vor einer unmittel-
bar bevorstehenden Bundestagswahl im Interesse eines
politischen Kompromisses möglich ist, eine solche ge-
meinsam getragene Regelung zu finden. Dies sollte ein
gutes Zeichen für den zukünftigen Umgang mit dem Par-
teiengesetz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich muss zum Schluss lei-
der noch eine Korrektur ins Verfahren einbringen. Ich
habe sie gestern an die Berichterstatter gefaxt; aber ich
muss sie auch öffentlich im Plenum einbringen. Es geht
um einen Fehler in Art. 1 – Änderung des Parteiengeset-
zes – § 24 Abs. 9 Nr. 5. Durch einen Übertragungsfehler
ist diese Vorschrift in der Drucksache 14/8778 unrichtig
abgedruckt. In der Drucksache heißt es wie folgt:

5. Schuldposten der Gesamtpartei gemäß Absatz 6
Nr. 2 A I und II und B II und III und deren Summe,

Stattdessen muss es richtig heißen:
5. Schuldposten der Gesamtpartei gemäß Absatz 6
Nr. 2 A I und II und B II bis IV und deren Summe,


(Beifall bei der SPD)

Diese Korrektur ist, da ich keine gegenteiligen Äußerun-
gen gehört habe, zwischen den Parteien unstrittig.

Die SPD-Fraktion wird der Novellierung des Parteien-
gesetzes mit Überzeugung zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Harald Friese

22973


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423100200
Ich erteile dem Kolle-
gen Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1423100300
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Parteispen-
denaffären der Vergangenheit und der Gegenwart haben
Vertrauen gekostet. Wenn wir dieses Vertrauen zurückge-
winnen wollen, dann genügen nicht Worte, Rhetorik und
Gesten, sondern dann müssen Konsequenzen gezogen wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]. Sehr richtig!)


Ehrliche Konsequenzen zu ziehen ist das Gebot und
der Maßstab. Ehrliche Konsequenzen beziehen sich auf
zwei Bereiche, erstens auf die Aufklärung von Verstößen
und Parteispendenaffären. Das erste Gebot ist also, dass
hier Konsequenzen gezogen werden müssen. Weil das so
ist, bedauern wir die mangelnde Aufklärungsbereitschaft
der SPD im Hinblick auf ihre Parteispendenaffäre in
Nordrhein-Westfalen. Das geht so nicht, meine Damen
und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Fragen Sie mal den Kirch! Das ist ja lächerlich, was Sie da sagen!)


– Ich weiß nicht, warum Sie sich so empören. Nach aller
Lebenserfahrung gibt es nämlich nur eine Alternative,
was das Verhalten Ihres Generalsekretärs Müntefering an-
belangt:


(Lothar Mark [SPD]: Denken Sie mal an Kanther, an Koch, an Kohl! – Zuruf von der SPD: Räumen Sie mal in Ihrem Saustall auf!)


Entweder hat Generalsekretär Müntefering bewusst gelo-
gen oder er hat sein Nichtwissen bewusst organisiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu lügen oder zu vereiteln, dass die Wahrheit ans Licht
kommt, steht politisch, moralisch und rechtlich auf der
gleichen Stufe und ist in gleicher Weise verwerflich. Das
müssen Sie sich vor Augen halten.


(Lothar Mark [SPD]: Ihre 20 bis 100 Millionen sind immer noch im Dunkeln!)


– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen;

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Doch!)


denn Herr Müntefering sieht das ja ganz gelassen. Er hat
ja schon einmal eine Falschaussage gemacht: vor der
Bundespressekonferenz im Jahre 1998. Diese Falschaus-
sage erfolgte nach Auffassung der Mitglieder der Bundes-
pressekonferenz entweder wider besseres Wissen oder aus
Unkenntnis – eine auffällige Parallele im Verhalten von
Herrn Generalsekretär Müntefering.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ist es!)

Er hat sich, nachdem dies herausgekommen war, wie

folgt geäußert. Er hat der „Hannoverschen Allgemeinen“
gesagt:

Ich bin eben eine Art Indianer, der manchmal Spuren
verwischt.

Das ist das Amtsverständnis von Generalsekretär
Müntefering!


(Harald Friese [SPD]: Sagen Sie einmal etwas zum Parteiengesetz!)


Auch Ihr heutiger Fraktionsvorsitzender hat in der
„Hessischen Allgemeinen“ Verständnis für die Zwick-
mühle, in die sein Genosse unversehens geraten war, ge-
zeigt. Zitat Struck:

Ein Bundesgeschäftsführer muss auch einmal entge-
gen seinen eigenen Erkenntnissen etwas verkünden,
was nicht ganz der Wahrheit entspricht, wenn es der
Partei dient.

Das ist das Amtsverständnis der Herren Struck und
Müntefering!


(Zuruf von der CDU/CSU: So sind sie! – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist das Amtsverständnis von Zimmermann und Kohl gewesen! – Lothar Mark [SPD]: Dass Sie sich trauen, so was zu sagen!)


Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Wir weisen den Ver-
such der Legitimierung der Lüge als politische Methode
zurück. Diese Einstellung steht nämlich dahinter.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das einmal dem Herrn Schäuble!)


Man schafft es durch kein Parteiengesetz, diese Einstel-
lung zu sanktionieren; das muss vielmehr der Bürger
übernehmen. Er hat bald Gelegenheit dazu, nämlich am
22. September.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das dem Herrn Schäuble! – Zurufe von der SPD)


Es müssen Konsequenzen aus den Unzulänglichkeiten
der gesetzlichen Regelung der Parteienfinanzierung gezo-
gen werden. Das Parteiengesetz, das wir heute be-
schließen, wird dieser Anforderung gerecht. Am Ende ei-
nes langen Diskussionsprozesses steht ein gemeinsamer
Gesetzentwurf. Das heißt nicht, dass wir alle in allen
Punkten einer Meinung sind. Es ist aber ein tragfähiger
Kompromiss. Eben wurde die Parteispendenaffäre in
Köln angesprochen. Diese hat die Kompromissfindung
erheblich beschleunigt; so sind wir schneller zu diesem
Ergebnis gekommen.

Die erste Konsequenz, die bei diesem Parteiengesetz
gezogen wurde, betrifft das Verfahren, in dem dieses Ge-
setz auch dem Inhalt nach entstanden ist.


(Lothar Mark [SPD]: Der kann ja morgen beichten!)


Es war die CDU/CSU-Fraktion, die durch ihre Initiative
im vergangenen Sommer ein parlamentarisches Verfahren
erzwungen hat. Es hat nicht mehr die Schatzmeisterrunde
hinter verschlossenen Türen gegeben,


(Lothar Mark [SPD]: Brutalstmögliche Aufklärung haben Sie versprochen!)







(C)



(D)



(A)



(B)


sondern wir haben ein ordentliches parlamentarisches
Wettbewerbsverfahren durchgeführt. Diesen Zwang hat
die CDU/CSU-Fraktion in diesem Gesetzgebungsverfah-
ren erzeugt. Das war gut so und ist diesem Gesetz gut be-
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Friese [SPD]: In welcher Welt leben Sie eigentlich?)


Parteiengesetzgebung ist Gesetzgebung in eigener Sache.
Da muss die Transparenz im Verfahren beginnen. Das ist
besser geworden.


(Lothar Mark [SPD]: Nicht nur im Verfahren!)

In der Sache ziehen wir Konsequenzen in drei Berei-

chen: bei den Spenden, bei den Sanktionen und bei der
wirtschaftlichen Betätigung. Ich betone, dass Spenden
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
erwünschte politische Betätigung der Bürger sind. Das
Verfassungsgericht wünscht, dass Parteien in der Bevöl-
kerung verankert sind, und auch, dass es finanzielle Rück-
koppelungen zwischen Parteien und Bevölkerung gibt.
Darum ist es ein erwünschtes und legitimes Verhalten,
wenn Bürger spenden. Gerade weil das so ist, muss auch
Missbrauch verhindert und Transparenz geschaffen wer-
den.


(Lothar Mark [SPD]: Sagen Sie das mal Herrn Kohl, Herrn noch und Konsorten!)


Zum Stichwort Transparenz bei den Parteifinanzen
gibt es übrigens die verfassungsrechtliche Problematik
des Reichtums der SPD. Das Verfassungsgericht sagt, die
Parteien müssen darauf angewiesen sein, sich rückzukop-
peln. Eine Partei, die über ein milliardenschweres Unter-
nehmen gebietet, wie es die SPD tut, hat Parteispenden
und Mitgliedsbeiträge gar nicht nötig.


(Zurufe von der SPD)

Das ist die verfassungsrechtliche Problematik des Reich-
tums der SPD.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Das ist ja eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wir haben aber auch bei den Spenden für Transparenz
gesorgt:


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wo ist denn die Transparenz?)


Barspenden über 1 000 Euro sind verboten, Groß-
spenden müssen unverzüglich veröffentlicht werden und
Parteien ist es in Zukunft verwehrt, über den Umweg öf-
fentlicher Unternehmen an Parteien zu spenden.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wo ist das Geld aus der Schweiz? Wo kommt das her?)


Hier ist noch mehr Transparenz im Bereich der Spenden
erzielt worden.

Zweitens. Wir brauchen – auch das ist unsere Forde-
rung im Gegensatz zum Koalitionsentwurf – ein lücken-
loses Sanktionssystem bei Verstößen gegen das Parteien-
gesetz.


(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der SPD)


– Nein, es ist gut, dass es am Anfang den Gesetzentwurf
gegeben hat. In Ihrem Koalitionsentwurf gab es dieses
lückenlose Sanktionssystem eben nicht.


(Lothar Mark [SPD]: Sie haben doch beim ersten Parteiengesetz Sanktionen verhindert!)


Das kann man anhand Ihres Gesetzentwurfes nachweisen.
Die Sanktionen reichen von finanziellen Maßnahmen

bis zur Strafbarkeit. Die Strafbarkeit unterstreicht die Be-
deutung des Rechtsgutes der Transparenz. Sie erfasst prä-
zise die schweren Verstöße; das ist auch richtig so. Aber
sie stellt andererseits sicher, dass nicht ehrenamtliche po-
litische Tätigkeit unter Generalverdacht gestellt wird. Es
ist ein Gebot des Gesetzgebers, das sicherzustellen.

Darüber hinaus wird die bisherige rechtmäßige Praxis
der Bundestagsverwaltung, dass die Partei, die sich von
sich aus offenbart, sanktionsfrei bleibt, kodifiziert und
konkretisiert. Das ist ein Anreiz für Selbstreinigung; das
ist eine vernünftige Regelung.

Ich komme zum dritten Punkt, bei dem unbedingt Kon-
sequenzen gezogen werden mussten. Es geht um den Be-
reich der wirtschaftlichen Betätigung. Die wirtschaftliche
Betätigung der Parteien war bislang völlig ungeregelt.
Nichts, kein Absatz, kein Paragraph, kein Halbsatz, kein
Wort galt der wirtschaftlichen, der unternehmerischen
Betätigung von Parteien. Das hat sich grundlegend geän-
dert.

Allerdings möchte ich betonen: Obwohl wir nun einen
gemeinsamen Gesetzentwurf haben, haben wir in der
Grundsatzfrage keine Einigkeit. Wir sind der Auffassung,
dass sich Parteien nicht als Medienunternehmer betätigen
sollten. Die Presse hat die Funktion öffentlicher Kritik
und Kontrolle.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist doch Quatsch! Wo hat die Presse Kontrollfunktion?)


Daher kann es nicht richtig sein, dass die zurzeit größte
Regierungspartei einer der größten Medienunternehmer
des Landes ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Sie kontrollieren die Presse!)


Frau Wettig-Danielmeier hat den Wert allein der Me-
dienbeteiligungen der SPD im Untersuchungsausschuss
mit 750 Millionen DM angegeben. Die Auflage der Ta-
geszeitungen, an denen Sie beteiligt sind, beträgt 2,5 Mil-
lionen. Es kann doch nicht richtig sein, dass sich die Par-
teien, die durch die Presse kontrolliert werden sollen, ihre
Kontrolleure kaufen! Das ist doch keine Gewaltenteilung
und keine öffentliche Kontrolle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist eine unerträgliche Verleumdung! – Lothar Mark [SPD]: Sie haben doch Kirch gekauft! – Harald Friese [SPD]: Bayerische Landesbank! Milliarden Euro!)





Dr. Norbert Röttgen

22975


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben zurzeit in diesem Haus noch nicht die Mehr-
heit.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423100400
Herr Kollege Röttgen,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1423100500
Ja, bitte.

(Lothar Mark [SPD]: Es ist ja unglaublich, was der hier vorträgt! Ich würde mich schämen, so etwas zu sagen!)



Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1423100600
Herr Kollege
Röttgen, ich habe zwar nachher noch Gelegenheit, darauf
zu antworten; aber das geht mir jetzt über die Hutschnur.
Deswegen frage ich Sie: Warum haben Sie und warum hat
die CDU/CSU-Fraktion diesen Gesetzentwurf mitgetra-
gen? Wenn Sie dagegen sind, seilen Sie sich doch endlich
ab, damit klare Fronten entstehen!


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1423100700
Herr Kollege
Schmidt, diese Frage kann ich Ihnen eindeutig beantwor-
ten; ich hatte ohnehin vor, gleich darauf zu kommen. Ich
habe gerade den Dissens in der Grundsatzfrage des Ver-
hältnisses von Parteien und Presse betont.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie kaufen sich die Presse und die Medien!)


Wir sind der Auffassung, dass hier eine grundsätzliche
Trennung erfolgen muss: Auf der einen Seite sind die Par-
teien und auf der anderen Seite kontrolliert die Presse die
Parteien. Da darf es keine Verquickung geben.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie haben sich Kirch gekauft! Reden Sie doch nicht so einen Unsinn! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie haben Bertelsmann gekauft!)


Ich sage Ihnen – ich erläutere Ihnen das gleich ausführ-
licher –, weswegen wir diesen Gesetzentwurf mittragen:
weil wir substanziell etwas erreicht haben. Aber die
CDU/CSU und die FDP, die das genauso sieht, haben nicht
die Mehrheit im Parlament. Solange das so ist, appellieren
wir an Sie um der eben von Ihrer Fraktion beschworenen
politischen Kultur in unserem Land willen: Trennen Sie
sich freiwillig von diesen Medienunternehmen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind eine unglaubliche Dreckschleuder, Herr Röttgen, eine unglaubliche Dreckschleuder!)


legen Sie das Geld bei Daimler-Benz oder sonstwo an,
aber nicht in Medienunternehmen!

Nun erkläre ich Ihnen, warum wir, obwohl wir in der
Grundsatzfrage einen Dissens haben, dem Gesetzentwurf
zustimmen können: weil wir, was das Verhältnis von Par-
teien, Presse und Öffentlichkeit anbelangt, das Minimum
erreicht haben. Das Minimum ist Transparenz; es bedeu-
tet, dass Sie wenigstens nicht mehr mit verdecktem Visier
arbeiten, dass die Bürger über diesen Sachverhalt infor-
miert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wer hat denn die Medien gekauft?)


Transparenz wird überall beschworen; es ist das wichtigs-
te Stichwort der Parteiengesetzgebung und der Parteienfi-
nanzierung.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Transparenz war denn bei Kirch?)


Aber dort, wo die SPD wirtschaftlich massiv engagiert ist,
sollen die Bürger nichts erfahren.

Was haben wir an Transparenz erreicht?

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herr Kollege Röttgen, nach dem neuen Gesetz muss sich auch Kohl offenbaren! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Herr Präsident!)


Erstmalig müssen Einnahmen aus Unternehmensbeteili-
gungen angegeben werden. Erstmalig ist im neuen Partei-
engesetz eine Vermögensbilanzmit Erläuterungsteil vor-
gesehen, den es bislang nicht gegeben hat.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt mit den Mitteln der Landesbank?)


In diesem Erläuterungsteil muss die SPD wie eine Kapi-
talgesellschaft Angaben über ihre mittelbaren und unmit-
telbaren Beteiligungen machen: Höhe des Anteils und des
Eigenkapitals und das Ergebnis aus dem letzten Ge-
schäftsjahr.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Da war niemals etwas Geheimnisvolles dran, Herr Röttgen! Sie reden nur Unsinn! Sie sind doch das Sprachrohr von Springer! – Harald Friese [SPD]: Das steht in unserem Gesetzentwurf alles drin!)


Sie müssen darüber hinaus die Unternehmensbeteili-
gungen im Bereich von Medienunternehmen angeben
und Sie müssen nach dem neuen Gesetz darlegen, welche
Zeitungen die Unternehmen, an denen Sie beteiligt sind,
herausgeben. Wir schaffen mit diesem Gesetz also Trans-
parenz.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie sind doch finanziert worden! Sie waren Sprachrohr von Kirch und anderen!)


Darüber hinaus muss alle fünf Jahre der wirtschaftliche
Wert der Unternehmensbeteiligungen bewertet werden.
Das heißt, die Bevölkerung wird nicht mehr mit Angaben
über Buchwerte, die nicht realistisch sind, abgespeist,
sondern sie erhält einen Einblick in den wirtschaftlichen
Wert der Unternehmensbeteiligungen.

Letzter großer Fortschritt: Alle diese Angabepflichten
sind sanktionsbewehrt. Aber Sie wollten genau diese
Sanktionen aus Ihrem Gesetzentwurf herausnehmen.
Diese Angaben sind nun durchgehend sanktionsbewehrt.
Herr Friese hat eben die entsprechenden Sanktionen ge-
nannt.




Dr. Norbert Röttgen
22976


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Schmidt, ich komme zur Antwort auf Ihre Frage,
warum wir zustimmen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nachdem Sie erst Dreck verschleudert haben! – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Dreckschleuder!)


Weil wir so viel erreicht haben, können wir diesem Gesetz
zustimmen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423100800
Herr Kollege Röttgen,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichstädt-
Bohlig?


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1423100900
Ich bin gerne be-
reit, Ihre Zwischenfrage zu beantworten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

stellen. Ist das, was wir heute gemeinsam verabschieden
werden, nicht Anlass, Selbstkritik zu üben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und zwar sowohl im Hinblick auf den Umgang zwischen
Parteien und Medien als auch im Hinblick auf den Um-
gang zwischen Parteien und Spendern? Ich glaube, das
sind wir alle am heutigen Tag der Bevölkerung schuldig.
Ich frage Sie daher, ob Sie bereit sind, das ernst zu nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Harald Friese [SPD]: Das kann er nicht! Er hat schon einmal solch eine Rede gehalten! – Lothar Mark [SPD]: Eine Katastrophe ist das!)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1423101000
Mein erster Satz
lautete, dass die Parteispendenaffären und die Verstöße
gegen das Parteiengesetz in der Vergangenheit und in der
Gegenwart Vertrauen gekostet haben.


(Lothar Mark [SPD]: Heuchler! Schauen Sie mal in Ihre Parteispendenaffären aus den letzten 50 Jahren!)


Der Maßstab unseres Gesetzes ist die Ehrlichkeit der
Konsequenzen.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie ehrlich? Dass ich nicht lache!)


Aus den erkannten Missständen müssen die Konsequen-
zen gezogen werden. Mit diesem Gesetzentwurf wurde in
puncto Konsequenzen viel erreicht. – Ich darf Sie bitten,
stehen zu bleiben, während ich Ihre Frage beantworte.

Aber es besteht auch Uneinigkeit. Es gibt keine völlige
Übereinstimmung der Meinungen. Wir haben hinsichtlich
des Verhältnisses von Presse und Parteien eine Grund-
satzposition, die nicht die rot-grüne Position ist. Es ist
nicht angebracht, in diesem Fall der Bevölkerung Harmo-
nie vorzuspielen.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Vor einem solchen Politiker wie Ihnen muss Deutschland Angst haben!)


Interessanterweise fällt der Wettbewerb unter den Par-
teien beim Parteiengesetz, das uns selber betrifft, aus.
Meiner Meinung nach müssen aber auch die Unterschiede
in den einzelnen Positionen dargelegt werden.


(Zuruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Dass Sie das nicht gerne hören, glaube ich Ihnen gern.
Aber wir sprechen die Unterschiede dennoch aus.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit dem Abgeordneten Kohl? Der sitzt immer noch im Bundestag!)


Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen, die
wichtig ist.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde aber auch Zeit!)


Das Parteiengesetz ist ein Ordnungsrahmen für die po-
litische Auseinandersetzung. Dieser Rahmen ist besser
geworden und Konsequenzen sind gezogen worden. Da-
rum stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. Er entspricht
nicht hundertprozentig unseren Vorstellungen. Aber viele
dieser Vorstellungen sind realisiert worden. Wir wün-
schen, dass die Parteien in dem Geist, in dem dieses Ge-
setz entstanden ist, die Vorschriften befolgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Aber nicht in Ihrem Geist! Das wäre eine Katastrophe! Sie sollten sich schämen, eine solche Rede zu halten!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423101100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ausgerechnet der! Der schlimmste Täter!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Röttgen hat den wahren Grund nicht genannt,
warum die CDU/CSU dem Gesetzentwurf doch zu-
stimmt. Herr Kollege Röttgen, ich erinnere mich sehr gut
an die Verhandlungen und auch an die Entwicklung der
Verhandlungen. Am Anfang waren Sie es, der ganz strikt
gegen jede strafrechtliche Sanktion in diesem Parteienge-
setz gewesen ist.


(Zustimmung bei der SPD)

Sie mussten von allen anderen zum Jagen getragen wer-
den. Wissen Sie, warum Sie jetzt zustimmen? Weil auch
Sie festgestellt haben, dass die Bevölkerung wie bei kei-
nem Gesetz vorher von uns allen verlangt, dass wir etwas
tun und alle gesetzgeberischen Möglichkeiten nutzen, um
in Zukunft solche Spendenskandale, solche Korruption
und solche Ereignisse der gekauften Politik einer Bun-
desregierung zu verhindern.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)





Dr. Norbert Röttgen

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(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist die Forderung an uns, den Gesetzgeber. Dieser
Forderung konnten Sie sich nicht entziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Welche Bundesregierung war denn gekauft?)


Herr Kollege Röttgen, wir haben ja gestern im Aus-
schuss dazu noch einmal eine Auseinandersetzung ge-
habt. Um es gleich zu Beginn zu sagen: Auch ich bin dafür,
dass die Kollegin Wettig-Danielmeier und der Kollege
Müntefering noch einmal im Ausschuss gehört werden.
Aber verschweigen wir doch nicht, dass bei ihnen niemals
der Verdacht bestanden hat, dass sie von einem Waffen-
händler eine Einflussspende in Höhe von 100 000 DM be-
kommen haben und dass sie diese 100 000 DM zunächst
ein Jahr verborgen gehalten haben, bis sie sie aus dem Tre-
sor herausgeholt und versucht haben, sie in das Rechen-
werk der Partei zu schmuggeln. Da besteht ein entschei-
dender Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt Leute, die hier Parallelen ziehen wollen, weil es
sich auf der einen, aber auch auf der anderen Seite um eine
Schatzmeisterin handelt. Bei der SPD besteht jedoch ein
entscheidender Unterschied zu dem, was wir von der
CDU gewohnt gewesen sind.

Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ver-
sucht, ganz konkret anhand der einzelnen Fälle die
Konsequenzen aus den Parteispendenskandalen der
letzten Jahre und auch der letzten Wochen zu ziehen. Ich
sage Ihnen: Wenn es das Gesetz in dieser Form bereits
1994 gegeben hätte, wenn also bei der letzten Novellie-
rung des Parteiengesetzes so etwas beschlossen worden
wäre, dann müssten wir heute nicht darüber rätseln, ob
Frau Baumeister, Ihre ehemalige Schatzmeisterin, oder
Herr Dr. Schäuble Recht hat bzw. welche Variante in Be-
zug auf die 100 000-DM-Spende des Waffenhändlers
Schreiber stimmt. Wenn das Gesetz schon damals in der
heute vorgesehenen Form gegolten hätte, hätten sie eine
Barspende, von mehr als 1 000 Euro gar nicht annehmen
dürfen. Eine Einflussspende hätten sie überhaupt nicht an-
nehmen dürfen. Übrigens durften sie das auch schon nach
dem alten Gesetz nicht.

Wenn ein Betrag von mehr als 50 000 Euro gespendet
worden wäre, hätten sie dies sofort und unverzüglich an
den Bundestagspräsidenten melden müssen und der hätte
dies veröffentlichen müssen. Wir hätten dann schon bei
der Wahl von 1994 von der Schreiber-Spende an Schäuble
gewusst. Frau Baumeister und Herr Dr. Schäuble hätten
sich schon 1994, hätte es die neuen gesetzlichen Bestim-
mungen bereits gegeben, strafbar gemacht. Wir bringen
einen solchen Gesetzentwurf ein, damit so etwas, wie wir
es von Ihrer Seite 1994 erlebt haben und jetzt mühsam
aufarbeiten, nicht wieder vorkommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn dieses Gesetz 1994 gegolten hätte, dann hätte der
damals amtierende Bundeskanzler in seinem Amtszim-

mer nicht mit der einen Hand wichtige Gesetze zur deut-
schen Einheit unterschreiben können und mit der anderen
Millionenbeträge in bar annehmen können. Er wäre dann
nämlich nicht straflos geblieben. Wenn dieses Gesetz
1994 gegolten hätte, dann hätte Herr Dr. Kohl eine
Straferwartung gehabt, die in etwa an die Höchstgrenze
von drei Jahren, die in unserem neuen Gesetz vorgesehen
ist, gereicht hätte, weil er das Gesetz, wenn es schon da-
mals gegolten hätte, mehrfach und beharrlich über Jahre
hinweg gebrochen hatte


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: Er hat es vorsätzlich gebrochen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Er bricht es immer noch!)


und die Absicht hatte, die Herkunft dieser Spenden zu ver-
schleiern und die Rechenschaftslegung zu umgehen.


(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Wo ist denn Kohl heute? – Gegenruf des Abg. Albert Deß [CDU/CSU]: Wo ist der Müntefering?)


Wir haben eine ganze Reihe von Erfahrungen auch aus
den letzten Wochen berücksichtigt. Auch die Herren
Rüther und Biciste wären nach diesem Gesetz strafbar.
Die Staatsanwaltschaft in Köln hätte keine Probleme.
Denn die Herren Rüther und Biciste haben vorsätzlich,
um die Herkunft der Spenden zu verschleiern, Beträge ge-
stückelt und falsch verbuchen lassen. Auch die, die in
Kenntnis dieses Vorganges mitgewirkt haben, zum Bei-
spiel weil sie Spendenquittungen angenommen haben,
obwohl sie überhaupt keine Spende gemacht haben,
wären im Rahmen der dortigen Vorgänge wegen Beihilfe
strafbar. Das heißt, wir haben die Strafvorschriften noch
in den letzten Wochen aus den Erkenntnissen heraus, die
wir jede Woche neu gewonnen haben, verschärft und eine
Strafbarkeit auch auf der untersten Ebene eingerichtet. Da
war die Einsicht da, dass wir uns dem Willen der Bevöl-
kerung nicht entziehen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben auch der CSU eine eigene Vorschrift ge-
widmet. Wir haben in den Gesetze ntwurf nämlich eine
Vorschrift aufgenommen, nach der dann, wenn die Werber
mehr als 25 Prozent der eingeworbenen Spende erhalten,
die Spende nicht angenommen werden darf. Das ist rich-
tig und schon deshalb zwingend erforderlich, weil wir wis-
sen, dass jede Partei für die eingeworbenen Spenden ei-
nen staatlichen Zuschuss in nicht unbeträchtlicher Höhe
erhält. Das heißt, Sie bei der CSU haben eine Praxis aus-
geübt, nach der Spenden eingeworben worden sind, 40 bis
60 Prozent davon an Werber abgegeben worden sind, Sie
aber dafür die vollen Subventionen aus der Staatskasse, also
aus Steuermitteln, einkassiert haben. Das war – unabhängig
davon, ob es strafbar ist – nicht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben in dem neuen Gesetz, das ab 1. Juli dieses
Jahres gelten soll, eine Vorschrift, nach der es in Zukunft
nicht mehr möglich ist, das zu tun, was Herr Kanther und
Prinz zu Sayn-Wittgenstein in Hessen praktiziert haben,




Hans-Christian Ströbele
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(C)



(D)



(A)



(B)


nämlich Gelder in Höhe von mehrstelligen Millionenbe-
trägen in der Schweiz zu waschen, sie zurückzuführen
und immer vor Wahlkämpfen, immer wenn sie Geld
brauchten, in Deutschland in die Kassen der CDU mit der
unverschämten Behauptung hineinzuschmuggeln, es han-
dele sich hier um Erbschaften oder Vermächtnisse jüdi-
scher Herkunft.


(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Das wird es in Zukunft nicht mehr geben. Dieser Praxis
haben wir einen Riegel vorgeschoben, weil jetzt im Ge-
setzentwurf steht, dass Vermächtnisse und Erbschaften
mit dem Namen und der Adresse des Erblassers genannt
werden müssen. Diese Praxis werden Sie nicht mehr fort-
setzen können, weder in Hessen noch sonstwo.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Wo ist der Rücktritt?)


Wir haben das Selbstverständliche in den Gesetzent-
wurf hineingeschrieben. Wir mussten es hineinschreiben,
weil das Verwaltungsgericht in Berlin die Auffassung ver-
treten hat, auch ein unrichtiger Rechenschaftsbericht
würde die Voraussetzungen für eine wirksame Einrei-
chung eines Rechenschaftsberichtes erfüllen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine schwachsinnige Auffassung! Eine interessengeleitete Auffassung!)


Jetzt steht das Selbstverständliche im Gesetzentwurf.
Natürlich muss ein Rechenschaftsbericht wahrheitsgemäß
sein, nach bestem Wissen und Gewissen der Personen, die
diesen Rechenschaftsbericht unterschrieben haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass das keine Selbstverständlichkeit war!)


Es stimmt zwar, dass das, was die Sozialdemokraten
zum Teil praktiziert haben – ich sage das ausdrücklich und
habe es immer wieder gesagt –, nicht gegen das geltende
Parteiengesetz verstoßen hat. Aber mit dem Grundgedan-
ken des Art. 21 des Grundgesetzes war nicht zu vereinba-
ren, dass sie ihre Vermögensverhältnisse und ihre Ein-
kommen aus Vermögen nicht schonungslos dargelegt
haben, dass sie saldiert haben, sodass die Bürgerinnen und
Bürger, die diese Rechenschaftsberichte gelesen haben,
nicht wissen konnten, wieviel Geld nun tatsächlich der
Sozialdemokratischen Partei zugewachsen ist. Es ist rich-
tig und wichtig, dass in Zukunft jeder Bürger und jede
Bürgerin weiß, woher sich eine Partei finanziert, und dass
sie diese Kenntnis bzw. dieses Wissen bei ihrer Wahlent-
scheidung berücksichtigen können.

Die Sozialdemokraten – das muss ich aus meiner Er-
fahrung aus allen Verhandlungen sagen – haben sich von
der ersten Minute an, seit wir über dieses Gesetz diskutiert
und es beraten haben – lange bevor Sie von der CDU/CSU
dabei gewesen sind –, mit dieser Regelung einverstanden
erklärt. Ich erinnere mich an eine der Verhandlungen der
letzten Tage: Sie haben sich auch damit einverstanden er-
klärt, dass nicht nur ihre Beteiligungen an Unternehmen,

die Presseerzeugnisse herausgeben, offen gelegt werden,
sondern sie haben auch angeboten – von Ihnen kam die
Aussage, dass das ein sehr gutes Angebot sei, das Sie er-
freut annehmen –, dass die Hauptprodukte dieser jewei-
ligen Unternehmen im Rechenschaftsbericht genannt
werden müssen.

Damit wird die Forderung, die im Grundgesetz steht,
dass die Hintergründe und die Herkunft des Vermögens
der Parteien transparent gestaltet werden müssen, sodass
alle wissen können, was hinter einer Partei steht, was hin-
ter einer Zeitung steht und ob es da Zusammenhänge gibt,
tatsächlich erfüllt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend stelle ich fest: Die Bündnisgrünen, früher
die Grünen, haben in den 80er-Jahren durch zwei Klagen
beim Bundesverfassungsgericht mit dafür Sorge getragen,
dass die Finanzen der Parteien immer mehr so gestaltet
worden sind, dass sie der Verfassung, dem Grundgesetz,
entsprechen. Zwei Klagen beim Bundesverfassungsgericht
waren dafür erforderlich.

Die Bündnisgrünen haben in der letzten Legislaturperi-
ode Vorschläge gemacht, wie man die Transparenz der Fi-
nanzen der Parteien verbessern kann. In dieser Legislatur-
periode haben die Bündnisgrünen mit dafür gesorgt, dass
die Parteifinanzen transparent sind und die Herkunft der
Mittel und das Vermögen einer Partei, wie es das Grundge-
setz vorschreibt, offen gelegt werden. Wir wollen dort wei-
termachen, weil wir natürlich wissen, dass auch die Vor-
schriften, die wir heute beschließen, nicht alles verhindern
können. Sie können keinen Gesetzesbruch verhindern und
können auch nicht verhindern, dass immer wieder neue
Schlupflöcher gesucht werden.

Wir werden aber wachsam sein und, wenn es erforder-
lich ist, erneut einen Untersuchungsausschuss fordern,
auch im nächsten Deutschen Bundestag. Dann werden wir
Nachbesserungen fordern. Wir sehen uns gegenüber der
Bevölkerung verpflichtet, das Grundgesetz ernst zu neh-
men und allen Wählerinnen und Wählern rechtzeitig mit-
zuteilen, wer finanziell hinter welcher Partei steckt. Das
ist für eine Wahlentscheidung nicht nur wichtig, sondern
kann sogar ausschlaggebend sein.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423101200
Herr Kollege
Ströbele, Sie müssen zum Schluss kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423101300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1423101400
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Die Fraktionen des Deut-
schen Bundestags waren nach dem Parteispendenskandal




Hans-Christian Ströbele

22979


(C)



(D)



(A)



(B)


der CDU und dem jetzigen der SPD entgegen dem Bild,
das die heutige Debatte bisher vermittelt hat, durchaus in
der Lage, hinter verschlossenen Türen, im Kreise von Ex-
perten vernünftig miteinander zu besprechen, wo die Feh-
ler der bisherigen Parteiengesetzgebung gelegen sind und
wie man dieses Gesetz verbessern kann, damit die verfas-
sungsrechtlichen Anforderungen erfüllt werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Es war vermutlich ein wenig zu naiv, zu denken, dass

alle Diskussionsredner das gemeinsam gefundene Ergeb-
nis dieser Beratungen so sachlich darstellen würden wie
der Herr Kollege Friese, der die Arbeitsgruppe geleitet
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sehe auch ein, dass unmittelbar vor einer Bundes-

tagswahl in einer solchen Plenardebatte Platz für eine ge-
wisse Polemik sein muss. Aber, Herr Kollege Ströbele,
Sie haben vorhin den Begriff von der gekauften
Bundesregierung gebraucht.


(Zuruf von der FDP: Pfui!)

Sie versuchten damit wieder einmal zu insinuieren, die
Regierung Kohl sei korrupt gewesen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, so war es gemeint! Der überzeugte Rechtsstaatler!)


Das machen Sie hier im Plenum des Deutschen Bundes-
tages, nachdem sich ein Untersuchungsausschuss dieses
Hauses zwei Jahre lang mit diesen Vorwürfen befasst hat
und das Ergebnis der Untersuchungen eindeutig ist: Der
Vorwurf der Korruption ist haltlos.


(Zuruf von der SPD: Aber der Verdacht besteht!)


Wenn Sie das in dieser Form einführen, geht das über eine
zulässige Polemik zum neuen Parteiengesetz hinaus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Was hat das eigentlich mit Ihrem rechtsstaatlichen Gewissen zu tun, Herr Ströbele? Legen Sie einmal Ihre Maßstäbe auch an sich an!)


Eine verblüffende These hat zuvor der Kollege Röttgen
aufgestellt. Er hat gesagt, dass Reichtum zu Volksferne
führt. Darüber kann man in der Tat nachdenken. Das
würde bedeuten, dass Minoritenorden bessere Vertreter in
einer Demokratie wären als die Parteien, wie sie sich bei
uns herausgebildet haben. Herr Kollege Röttgen, ich darf
Ihnen aber eines versichern: An dem von Ihnen angeleg-
ten Maßstab kann sich mein bayerischer Landesverband
der FDP sehr wohl messen lassen. Wir sind hinreichend
arm, um auch noch volksnah sein zu können.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der PDS)


Was Herr Röttgen sagte, hatte aber natürlich einen
ernsthaften Hintergrund. Er bezog sich auf die Vermö-
gensbeteiligungen der SPD. Meine Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, ich finde, Sie machen es sich in
diesem Punkt zu leicht. Sie haben mir hier auch eine Spur

zu aufgeregt auf die Ausführungen des Kollegen Röttgen
reagiert.


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das war noch viel zu gelinde!)


Ich sage Ihnen auch, warum.

(Lothar Mark [SPD]: Was er vorgetragen hat, war unverschämt!)

– Nein. Das ist ein Punkt, über den Sie in aller Ruhe nach-
denken müssten. Sie haben schließlich verhindert, dass
der Gesetzgeber hier entscheidende Konsequenzen zieht.
Sie waren nicht bereit, hier mitzumachen.

Sie müssen sich schon die Frage stellen lassen, ob
es nicht ein ernsthaftes Problem der Gewaltenteilung
ist, wenn diejenigen, die die Politik kontrollieren sollen,
also die so genannte vierte Gewalt, die Presse und die
Medien,


(Zuruf von der SPD: Also zum Beispiel Kirch!)


ihrerseits unter der Kontrolle der Politik stehen, und sei es
nur über eine Vermögensbeteiligung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Springer und Kirch!)


Ich sage Ihnen eines: Dies ist in Wahrheit das moderne
Problem der Gewaltenteilung und Gewaltentrennung. Die
Diskussion darüber mutet auch oft recht lächerlich an. Wir
hatten zum Beispiel im Innenausschuss durch eine Geset-
zeskorrektur das Problem zu lösen, dass Feuerwehrleute
nicht Mitglieder von Gemeinderäten werden durften, weil
dies ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei. Da fragt
man sich in der Tat, ob hier die Relationen noch stimmen.

Die Verquickung von Politik und Medienbeteili-
gungen ist das Problem, über das in diesem Zusammen-
hang zu reden gewesen wäre. Dass Sie hier nicht zu einer
echten Lösung bereit waren, führte zu einem wirklichen
Schönheitsfehler dieses Gesetzes. Immerhin gibt es in Zu-
kunft wenigstens mehr Transparenz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423101500
Kollege Stadler, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1423101600
Bitte.


Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1423101700
Zum Ersten: Kol-
lege Stadler, würden Sie mir zustimmen, dass angesichts
der Tatsache, dass Medien heute in erster Linie Wirt-
schaftsunternehmen sind, die Diskussion darüber, welche
Rolle Medien in einer Demokratie spielen, und über die
Kontrollmöglichkeiten der Medien angesichts der Dis-
kussion über innere Pressefreiheit, über die Freiheit der
Journalisten und ihrer Unabhängigkeit von ihren Bröt-
chengebern, für die Demokratie mindestens ebenso wich-
tig, wenn nicht wichtiger ist als das, was Sie sagen?

Zum Zweiten: Im Grundgesetz ist die Pressefreiheit als
eine Ableitung der Meinungsäußerungsfreiheit formuliert.




Dr. Max Stadler
22980


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese wiederum ist abhängig von der wirtschaftlichen
Macht über die Medien. Wenn wir schon darüber reden,
würden Sie mir dann darin zustimmen, dass man generell
darüber reden müsste, welche Rolle Medien als immer
größer werdende Wirtschaftsunternehmen in der Demo-
kratie und der Gesellschaft spielen, und nicht nur schein-
heilig darüber sprechen darf, wer an was beteiligt ist?


(Beifall bei der SPD)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1423101800
Herr Kollege Büttner, Sie ver-
suchen, hier von einem Problem, das bei der Neufassung
des Parteiengesetzes zu lösen gewesen wäre, abzulenken,
indem Sie andere, auch gewichtige Probleme hier in die
Diskussion einführen. Das ist dieser Fragestellung nicht an-
gemessen. Wir als Liberale gehen doch nicht mit Schaum
vor dem Mund an diese Problematik heran. Wir respektie-
ren es, dass die Sozialdemokratie eine bestimmte Historie
hat und früher, in der Kaiserzeit, auf Medienbeteiligungen
angewiesen war, weil sie sonst keine Chance gehabt hätte,
sich darzustellen. Dies liegt aber 100 Jahre zurück.

Jetzt entsteht jedoch ein modernes Problem der Ge-
waltenteilung, das wesentlich gewichtiger ist als viele
Formalismen, die wir unter dem Aspekt der Gewaltentei-
lung diskutieren. Dies müssen Sie erkennen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423101900
Kollege Stadler, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1423102000
Sehr gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht
von vier, sondern von drei Gewalten spricht?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Geben Sie mir auch Recht, dass das hohe Gut der Pres-

sefreiheit keine vierte Gewalt ist, auch wenn es manchmal
von den Medien so bezeichnet wird, und dass die Abhän-
gigkeit der Politik von diesen Medien unabhängig davon,
ob es eine Besitzbeteiligung einer Partei gibt, mindestens
genauso problematisch ist, wenn etwa ein Großverleger
oder Großunternehmer wie Kirch ganze Medienland-
schaften in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt
und mit denen Politik betreibt?

Geben Sie mir auch darin Recht, dass, wenn es überhaupt
einer Einschränkung bedarf, insgesamt eine Neuregelung
bzw. überhaupt eine Regelung auf den Gebieten der Me-
dienbeteiligung und der Ausübung von Medienmacht in der
Bundesrepublik geschaffen werden müsste und dass das mit
dem Parteiengesetz überhaupt nichts zu tun hat?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1423102100
Herr Kollege Ströbele,
zunächst einmal bin ich äußerst erstaunt darüber, dass ge-

rade Sie als Linker und 68er hier eine Diskussion über die
Begriffe erste, zweite, dritte und vierte Gewalt führen,


(Dr. Klaus Kinkel [FDP]: Sehr gut! – Zurufe der SPD)


wonach es eine vierte Gewalt angeblich nicht gäbe, weil
sie in dem klassischen Schema von Montesquieu nicht
vorkommt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch im Grundgesetz nicht!)


Ich bin wirklich verblüfft darüber, dass Sie an einer solch
konservativen Betrachtungsweise des Demokratieproblems
festhalten und nicht einen soziologischen Ansatz wählen,
nämlich die Gesellschaftswirklichkeit mit einbeziehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Antwort verweigern Sie! Antworten Sie doch einmal! – Lothar Mark [SPD]: Zur Frage haben Sie anscheinend nichts zu sagen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie haben das doch eingeführt!)


Die Grünen haben sich ja in vielerlei Hinsicht geän-
dert. Es heißt – auch aus unseren Kreisen – immer wieder,
dass Ströbele immer derselbe geblieben ist. Ihre Zwi-
schenfrage war jedoch ein Beweis dafür, dass auch Sie
sich ändern. Verblüffenderweise legen Sie jetzt allerdings
eine wissenschaftliche Denkweise an den Tag, die ich nur
als sehr konservativ bezeichnen kann.

In der Sache selbst stimme ich Ihnen nicht zu. Im Rah-
men der Diskussion über das Parteiengesetz muss darüber
gesprochen werden, wie die Parteien, die nach dem Grund-
gesetz eine hervorgehobene Rolle bei der politischen Wil-
lensbildung innehaben, diese ausfüllen sollen und was ih-
nen dabei erlaubt ist und was nicht. Man kann etwa darüber
diskutieren, ob es zur Rolle der Parteien gehört, dass sie
ein Reisebüro betreiben, durch das nicht etwa nur ver-
diente Parteifunktionäre nach Kuba verschickt werden,
sondern durch das schlicht und einfach Geld verdient wird.
Darüber kann man nachdenken.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Herr Kollege Ströbele, ich bin mit meiner Antwort aber
noch nicht fertig.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch keine Antwort auf die Frage mehr!)


Noch einmal: Wichtiger ist in der Tat, dass Sie nicht zu ei-
ner ehrlichen Diskussion darüber, ob die historisch ge-
rechtfertigte und sich entwickelt habende Vielfalt der
Medienbeteiligungen der SPD heute noch in das Verfas-
sungsgefüge passt, bereit gewesen sind. Dass Sie zuge-
stimmt haben, in dem Bereich mehr Transparenz zu schaf-
fen, zeigt immerhin, dass Ihnen bei dieser Angelegenheit
nicht ganz wohl ist.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist auch in Ordnung! Kritisieren Sie es doch nicht!)


Dieser erste Schritt ist nach unserer Meinung aber nicht
ausreichend.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Hans Büttner (Ingolstadt)


22981


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423102200
Herr Kollege Stadler,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Friese?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1423102300
Bitte sehr.


Harald Friese (SPD):
Rede ID: ID1423102400
Herr Kollege Stadler, ich habe
Ihre Auffassung zur Kenntnis genommen. Kennen Sie die
Auffassung der Kommission der unabhängigen Sachver-
ständigen? Diese macht gerade zu diesem Thema fol-
gende Ausführungen:

Einschränkungen eines unternehmerischen Engage-
ments der Parteien im Pressewesen könnten nur mit
Rücksicht auf Art. 21 GG gerechtfertigt sein. Die
Aufgabe der Parteien ist es aber gerade, „auf die Ge-
staltung der öffentlichen Meinung Einfluss (zu) neh-
men“ (§ 1 Abs. 2 PartG). Es wäre also widersinnig,
Parteien ausgerechnet im Bereich des Pressewesens
eine Betätigung verwehren zu wollen.

Das ist die Position der Kommission. Können Sie dazu
Stellung nehmen?


(Dirk Niebel [FDP]: Gerne und ausführlich!)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1423102500
Lieber Herr Kollege Friese,
Ihre Zwischenfrage gibt mir erstens Gelegenheit, jetzt
eine Mahnung zu beherzigen, die mir von meinen Partei-
freunden für diese Rede mit auf den Weg gegeben worden
war. Mir wurde nämlich gesagt, dass ich auf keinen Fall
vergessen dürfe, der unabhängigen Kommission des Bun-
despräsidenten für ihre verdienstvolle Vorarbeit zu dan-
ken, was ich hiermit tun möchte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens hat der einleitende Satz, den Sie zitiert haben,
immerhin das Problembewusstsein der Kommission of-
fenbart. Es wurde in derselben Weise, wie ich es hier for-
muliert habe, als ein verfassungsrechtliches Problem an-
gesehen. Die Parteien sollen selbstverständlich an der
politischen Willensbildung mitwirken. Dazu haben sie
vielfach Gelegenheit, zum Beispiel bei den Debatten in
diesem Haus. Durch Ihre Zwischenfragen erhält man ja
erfreulicherweise Gelegenheit, hier manche Punkte aus-
führlicher zu erörtern, als man das sonst hätte tun können.
Das ist der eine Punkt.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

Parteien sollen aber auf die politische Willensbildung

nicht mit Tarnkappen, sozusagen vermummt, Einfluss
nehmen. Zumindest in dem Punkt, dass das künftig nicht
mehr möglich sein soll, sind wir uns einig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS – Lothar Mark [SPD]: Das ist Ihre Interpretation, die aber im Text nicht begründet ist! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Stadler, genau das haben wir gemacht! Wir haben die Tarnkappe abgesetzt!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie haben
mich nun daran gehindert, meine Kernthese zu diesem

Gesetzentwurf vortragen zu können. Man überlegt sich ja
immer einen Satz, der vielleicht zitierfähig ist, sei es in der
wirklich unabhängigen Presse,


(Zuruf von der SPD: Gibt’s die noch?)

sei es in der Presse, an der Sie beteiligt sind.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Weil meine Redezeit allmählich zu Ende geht, komme
ich jetzt zu folgender Bewertung. Wir alle wissen – das
war nicht verwunderlich –, dass nach den Spendenskan-
dalen der CDU und jetzt auch der SPD in der Öffentlich-
keit, auch in der Fachöffentlichkeit, der Ruf nach einer
wirklich umwälzenden Neuordnung des Parteiengesetzes
laut geworden war. Gleich wird Frau Kollegin Kenzler
sprechen. Sie wird einige Reformvorschläge vortragen,
die, wie wir aus den Ausschussberatungen wissen, viel
weiter als das gehen, was wir für richtig gehalten haben.

Ich komme zu dem Ergebnis: Das, was wir gemeinsam
gemacht haben – dabei sind Streitpunkte offen geblieben –,
ist keine Revolution des Parteienrechts, aber eine beacht-
liche Reform. Das, was uns aufgegeben ist, nämlich für
mehr Transparenz zu sorgen, den Missbrauch von Spen-
den als Einflussmöglichkeit auf politisches Handeln so
gut es geht zu verhindern, ist durch die vielfältigen Maß-
nahmen, die ich aus Zeitgründen nicht mehr darstellen
kann, in diesem Gesetzentwurf verwirklicht worden.

Wir hatten unter Leitung von Klaus Kinkel eine interne
Arbeitsgruppe, die zu diesem Gesetzgebungsverfahren
27Vorschläge formuliert hat. 23 davon finden sich jetzt in
diesem Gesetzentwurf wieder. Man sieht also: Es ist nicht
etwa alles beim Alten geblieben, sondern es gibt ganz be-
achtliche Änderungen, aber wir sind bei dem Grundprin-
zip geblieben. Ich halte es auch für gut, dass man sich
ganz offen dazu bekennt: Es ist richtig, dass sich Parteien
natürlich durch Mitgliedsbeiträge finanzieren. Sie brau-
chen für ihre vielfältigen Aufgaben aber nach wie vor
staatliche Zuwendungen. Spenden sind ebenfalls legitim,
wenn die Regeln eingehalten werden. Die Regeln haben
wir verbessert. Das machen wir, damit auch das Ansehen
der Politik verbessert wird. Es liegt jetzt an uns, durch
eine sinnvolle und strikte Praktizierung des neuen Rechts
dafür zu sorgen, dass dieses Ziel erreicht wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423102600
Ich erteile der Kolle-
gin Evelyn Kenzler, PDS-Fraktion, das Wort.


(Zuruf von der SPD: Jetzt kommen die Saubermänner!)



Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1423102700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Stadler, vielen
Dank für die freundliche Ansage, auch wenn ich nicht in
allen Punkten mit Ihnen übereinstimme. Aber ich muss
Sie enttäuschen: Ich werde heute nicht die sozialistische
Revolution ausrufen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Der interfraktionelle Gesetzentwurf zur Änderung des
Parteiengesetzes liegt nun nach zähem Ringen auf dem
Tisch. Allenthalben herrscht trotz der heute aufgeregten
Debatte große parteipolitische Erleichterung, aber nicht
bei der PDS. Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen. Wir werden ihn ablehnen, und zwar aus
guten Gründen.

Die Ablehnung bedeutet aber nicht, dass die PDS ge-
gen eine längst überfällige Reform des Parteiengesetzes
ist. Es wäre Nonsens, das zu behaupten. Die PDS hat
bereits im Frühjahr 2000, das heißt vor über zwei Jahren,
einen eigenen Gesetzentwurf zur Reform des Parteien-
gesetzes vorgelegt, in dem wir zum Teil viel konsequen-
tere und auch weitgehendere Änderungen als im jetzigen
Entwurf gefordert haben. Unsere zentralen Forderungen
wurden nicht aufgenommen. Das ist zum einen ein gene-
relles Verbot von Unternehmensspenden, zum anderen
die Einführung einer Obergrenze für Spenden.

Das Änderungsgesetz – es gehört zur politischen Ehr-
lichkeit, das deutlich zu sagen – enthält durchaus gangbare
und praktikable Vorschläge, zum Beispiel mehr Transpa-
renz der Rechenschaftslegung, mehr Kontrollen bei den
Spendeneinnahmen und auch die Einführung straf-
rechtlicher Sanktionen, was wir besonders begrüßen;
denn auch dazu haben wir Vorschläge unterbreitet. Der
Entwurf enthält also eine Menge kleiner Schritte in die
richtige Richtung. Aber nötig wäre ein richtiger Sprung
gewesen. Ein großer struktureller Schnitt, der an den Ur-
sachen der beiden großen Spendenaffären von SPD und
CDU und nicht erst bei den Spendenmanipulationen an-
setzt, fehlt in diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der PDS)

Jetzt sind deutliche Einschnitte in das Parteienrecht un-

umgänglich, die über „Knopfloch-Chirurgie“ hinausgehen.
Der Gesetzentwurf wird jedenfalls die allenthalben herr-
schende Politikverdrossenheit nicht mindern. Die Bekämp-
fung von Korruption, Filz- und Vetternwirtschaft ist nicht
nur Sache des Strafrechts, sie ist auch Sache des Parteien-
rechts.

Die Möglichkeiten zur Korruptionsbekämpfung sind
im vorliegenden Entwurf bei weitem noch nicht ausge-
schöpft, sondern lediglich vorsichtig gestreift worden. Ich
erläutere das kurz an einem Beispiel: Der Entwurf sieht
das Verbot von Spenden nur für die Unternehmen vor, die
sich mit mehr als 25 Prozent in öffentlicher Hand befin-
den. Damit wurde auf halbem Wege stehen geblieben.
Notwendig wäre ein generelles Verbot von Spenden durch
Unternehmen. Die Ursachen der beiden Spendenaffären
sind eben nicht schwarze Kassen und Geheimkonten,
auch nicht die Stückelung von Spenden oder die Schein-
spender. Die Ursache sind vielmehr Unternehmensspen-
den mit dem Geruch konkreter politischer Einflussnahme
oder des Danksagens für öffentliche Aufträge, weshalb
die Spenden dann auch verschleiert werden mussten. Sol-
che Einflussspenden sind bereits jetzt verboten. Es hat sie
aber trotzdem gegeben. Deshalb müssen Unternehmens-
spenden grundsätzlich verboten werden; hier hilft leider
alles nichts.


(Beifall bei der PDS)


Der SPD-Spendenskandal hat beispielsweise gezeigt,
dass in der Kölner Müllbranche ein ganzes Netzwerk auf-
gebaut wurde, mit dem in der Schweiz gemeinsame
Schmiergeldkassen mit Millionenbeträgen aufgebaut wur-
den. Damit wurde bewusst und ganz gezielt versucht, Po-
litiker und öffentliche Entscheidungsträger zu „beatmen“,
wie es heißt. Natürlich sind wir keine Illusionisten und
wissen, dass man illegale Geldflüsse mit unseren Vor-
schlägen nicht völlig ausschließen kann. Aber man kann
sie erheblich erschweren und deutliche öffentliche Signale
in diese Richtung aussenden.

Aufgrund der Zeit kann ich nicht auf alle unsere Vor-
schläge eingehen. Einen muss ich hier aber nennen: Wir
fordern, dass bei schweren strafrechtlich sanktionierten
Verstößen gegen das Parteiengesetz die Fähigkeit, öffent-
liche Ämter zu bekleiden, sowie das passive Wahlrecht
zeitlich befristet aberkannt werden. Die jetzt vorgesehene
weitere Anhebung der absoluten Obergrenze für die staat-
liche Parteienfinanzierung – das hat heute noch keine
Rolle gespielt – ist dagegen zum jetzigen Zeitpunkt ein
falsches Signal.

Es geht uns nicht um sozialistische Illusionen oder um
billigen Populismus. Nein, wir sind schlicht und einfach
für eine konsequentere und radikalere Reform des Partei-
engesetzes, die sich im Konfliktfall auch hart gegen uns
selbst richtete.


(Beifall bei der PDS)

Mit unseren Forderungen stehen wir nicht allein. In der

Anhörung fanden wir Zuspruch von prominenter Seite;
ich erinnere an die Professoren Mahrenholz, Schneider
und Naßmacher. Auch in der Politik gibt es eine Reihe von
Fürsprechern für unsere Vorschläge. Ich denke hier nur an
Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der bereits vor zwei
Jahren das Verbot von Unternehmensspenden gefordert
hat, oder an Heiner Geißler, der sogar verlangte, „das ganze
Unwesen der Parteienfinanzierung durch Spenden zu ver-
bieten“. Die hessischen Grünen haben noch eins darauf
gesetzt und im Falle schwerer Verstöße gegen das Partei-
engesetz die Streichung von Diäten gefordert. Die FDP
hat im Juli 2001 gefordert, dass zusätzlich zur strafrecht-
lichen Sanktionierung keine führenden Parteiämter mehr
ausgeübt werden dürften.

Ich kann mich hier nur „Transparency“ anschließen.
Diese Organisation äußerte gestern:

Das Gesetz zieht nicht die notwendigen Konsequen-
zen, die nach den Spendenskandalen der letzten Zeit
zu erwarten gewesen sind.

Genau so sieht es meine Fraktion. Daher müssen wir den
Gesetzentwurf ablehnen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423102800
Ich erteile der Kolle-
gin Inge Wettig-Danielmeier, SPD-Fraktion, das Wort.


Inge Wettig-Danielmeier (SPD):
Rede ID: ID1423102900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Eingangs eine Bemerkung,
die nicht zum Parteiengesetz gehört, mit der ich aber auf




Dr. Evelyn Kenzler

22983


(C)



(D)



(A)



(B)


Herrn Röttgen eingehe: Sie haben gesagt, Herr Müntefe-
ring habe bewusst gelogen oder sein Nichtwissen bewusst
organisiert.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ja!)

Ich kann das in jedem Punkt widerlegen. Aber das werden
wir dem Untersuchungsausschuss vorbehalten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Es wäre gut, wenn Sie es hier widerlegen könnten!)


– Das dauerte zu lange; dann könnte ich zum Parteienge-
setz nicht mehr viel sagen. Außerdem kenne ich all Ihre
Fragen nicht im Einzelnen. Ich bitte Sie daher, noch eine
knappe Woche zu warten. Dann werden wir das aufklären.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei Herrn Kohl warten wir jetzt schon zweieinhalb Jahre!)


Unter den heutigen Rednern bin ich wohl die Einzige,
die dieses Thema hier schon einmal behandelt hat und
schon 1993 die Zusammenarbeit der im Bundestag ver-
tretenen Parteien mit organisiert hat. Diesmal war auch
die PDS von Anfang an an den Diskussionen beteiligt.
Diese Art der Zusammenarbeit an einem für die Demo-
kratie grundlegenden Gesetz ist in öffentlichen Kommen-
taren bis hin zu Stellungnahmen der Wissenschaft immer
wieder als Kungelei, als politischer Filz denunziert wor-
den, manchmal sogar aus diesem Hause, nach dem Motto:
Gleiche Brüder, gleiche Kappen.

Ich glaube, dass diese Kritik am politischen Konsens,
am politischen Kompromiss ein deutscher Grundirrtum
ist. Die deutsche Geschichte zeigt, wie schwierig es ist,
Demokratie durchzusetzen und zu erhalten. Sie zeigt
auch, wie wichtig es ist, dass die demokratischen Kräfte
sich über die zentralen Fragen des demokratischen Sys-
tems verständigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Rede von Herrn Röttgen hat gezeigt, dass zumin-

dest er sich mit dieser Konsensfindung und diesem Kom-
promiss sehr schwer tut.


(Zustimmung bei der SPD)

Wer ein Gesetz nur als vorläufigen Kompromiss, als ab-
geleiteten Schwur mittragen zu können meint, der gefähr-
det diesen Kompromiss von Beginn an. Ich muss geste-
hen: Wenn ich nicht wüsste, dass eine große Zahl von
Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion das nicht ganz so se-
hen, wie es hier vorgetragen worden ist, dann würde ich
sagen: Das Gesetz muss zurück in die Ausschüsse. Das ist
nicht der Kompromiss, über den wir wirklich reden kön-
nen.

Sie wissen, dass zu den für die Demokratie konstituti-
ven Gesetzen das Parteiengesetz und die Wahlgesetze
gehören. In diesem Zusammenhang sollten wir immer
versuchen, große Parteien nicht in die Minderheit zu
drängen. Die Großen sollten nicht versuchen, die Kleinen
zu umgehen oder gar zu erledigen, wie wir das früher
schon erlebt haben,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wie es aber glücklicherweise nie gelungen ist. Ich denke
an das Grabenwahlrecht und das Mehrheitswahlrecht. Sie
sehen, die Demokratie setzt sich auch gegenüber den
Kleinen sehr positiv durch.

Deshalb plädierte ich 1992 sehr nachdrücklich dafür,
die Grünen an der Vorbereitung der Novelle zu beteiligen
und ihre Vorstellungen und Anregungen aufzunehmen. Es
hat diesmal mehr Schwierigkeiten gegeben, alle Fraktio-
nen dieses Hauses in die Arbeit einzubeziehen. Ich be-
grüße, dass sich schließlich alle an den Tisch gesetzt ha-
ben. Der Streit um die richtige Lösung ist in diesen Fragen
so notwendig wie das Zusammenfinden in gemeinsamen
Positionen.

Nach den Eruptionen des Spendenskandals hatten wir
dieses Mal allerdings auch Vorschläge der Parteienkom-
mission des Bundespräsidenten auf dem Tisch, die jeden-
falls praxisnäher waren als die 1993 unterbreiteten. Auch
wenn wir sie nicht eins zu eins umzusetzen hatten und um-
setzen konnten, sind wir doch dem Geist ihrer Empfehlun-
gen und in sehr großem Umfang den Einzelempfehlungen
gefolgt. Noch nie hat eine Kommission einen so großen
Einfluss auf die Gesetzgebung genommen wie dieses Mal.
Ich glaube, das kann man ohne Abstriche sagen.

Verlangte schon das alte Gesetz mehr Transparenz als
alle anderen Parteigesetze der Welt, so ist infolge der Dis-
kussion seit 1999 und als Folge der Empfehlungen der
Kommission und fast aller Parteien die Transparenz, die
Forderung nach Offenlegung der Finanzströme und der
Finanzquellen, so umfassend verwirklicht wie nie zuvor.

Wir begrüßen, dass Union und FDP trotz der hier vor-
getragenen Bedenken auf Forderungen verzichtet haben,
die eine kalte Enteignung insbesondere der SPD bedeutet
hätten, und wir uns stattdessen in § 24Abs. 7 auf eine weit-
gehende Offenlegung der Vermögen verständigt haben.
Mit dieser Gesetzgebung wird einvernehmlich erreicht
werden, dass auch die mittelbaren Beteiligungen der Un-
ternehmen, an denen die Parteien unmittelbar beteiligt sind,
aufzuführen sind, und dies zur Klarheit so, dass die Anga-
ben aus dem Jahresabschluss des entsprechenden Unter-
nehmens übernommen werden, an dem die Partei unmit-
telbar beteiligt ist. Damit wird das, was die SPD seit zwei
Jahren freiwillig tut, zur rechtlichen Pflicht; Herr Friese
hat schon darauf hingewiesen.

Hinzugekommen ist die Regelung, dass auch die
Hauptprodukte von Medienunternehmen benannt werden
sollen. Das betrifft die SPD als Partei, die im Übrigen das
vergleichsweise geringste Spendenaufkommen hat. Nur
die SPD liegt hinsichtlich des Spendenaufkommens bei
10 Prozent; alle anderen Parteien liegen deutlich höher.
Ich werde Herrn Röttgen eine Aufstellung zukommen las-
sen. Vielleicht ist das besser, als sich hier mit ihm aus-
einander zu setzen. Wenn er die Zahlen hat, wird er sehen,
dass das Spendenaufkommen der CDU/CSU unendlich
höher ist


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – Harald Friese [SPD]: Das nützt bei ihm nichts! Er sagt trotzdem das Gegenteil!)


als unsere Zusatzeinnahmen aus den Vermögensbeteili-
gungen mit den Spendeneinnahmen zusammengenom-




Inge Wettig-Danielmeier
22984


(C)



(D)



(A)



(B)


men, dass also die Balance und die Chancengleichheit er-
halten worden sind.

Ich möchte zu den Medienbeteiligungen festhalten
– das habe ich auch schon mehrfach ausgeführt –: Ich habe
nichts gegen allgemeine Regelungen für alle Medien-
unternehmen. Wir werden uns dem nicht nur unterwerfen,
sondern sehr konstruktiv daran mitarbeiten. Aber eine Ent-
eignung ist auch nach dem Grundgesetz nicht möglich,
auch nicht bei Parteien. Sie sind ein Grundrechtssubjekt
wie alle anderen auch.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben auch in den Fragen der Grundorganisation

der Parteien zusammengefunden. Es ist uns gelungen, den
sehr unterschiedlichen Organisationsstrukturen gerecht
zu werden. Dabei haben bei allen Regelungen der Schutz
und die Ermöglichung des politischen Ehrenamts eine
wichtige Rolle gespielt. Wir wollten weder durch zu kom-
plizierte Rechnungslegungsvorschriften noch durch ex-
zessive Bestrafung von Fehlern Mitglieder von der Über-
nahme eines Ehrenamtes abhalten. Das galt über alle
Parteien hinweg.

Dennoch erschienen uns allen nach den Skandalen, die
wir 1993 noch für unmöglich gehalten hätten, Strafandro-
hungen bei Verstößen gegen das Transparenzgebot bzw.
gegen die Regeln der Rechenschaftslegung zumindest bei
absichtlicher Regelverletzung als unerlässlich. Kern des
neuen Parteiengesetzes ist das Strafrecht allerdings nicht,
auch wenn das hier einige – ebenso eine Tageszeitung in ih-
rer gestrigen Ausgabe – meinen. Kernpunkte bleiben die
Arbeitsfähigkeit der Parteien nach innen und der Schutz
der ungestörten Arbeit sowie die Transparenz nach außen.
Diese beiden Ziele können durchaus in Widerspruch gera-
ten. Wer Parteien ausforscht, macht ihre Arbeit unmög-
lich. Wer ihre Arbeitsweise, ihre innerparteilichen Struktu-
ren, die Einflüsse, unter denen sie stehen, und ihre Finanzen
nicht offen legt, macht Demokratie unmöglich und er-
schwert das Urteil des Bürgers und der Bürgerin. Diese Ba-
lance haben wir seit Jahrzehnten nicht erreicht. Ich hoffe,
dass wir ihr mit diesem Gesetz deutlich näher kommen.

Als wir 1993 die Parteigesetznovelle verabschiedeten,
behaupteten Kritiker, sie sei verfassungswidrig und würde
kein Jahr überdauern. Selbst der Bundespräsident hatte
Probleme und hat lange gebraucht, um sie zu unterzeich-
nen. Allen Vorhersagen zum Trotz hat sich dieses Gesetz
in den zentralen Punkten erstaunlich gut bewährt und gilt
im internationalen Vergleich als beispielgebend. Darauf
haben wir jetzt aufgebaut.

Ich meine, die Anregungen der PDS, die wir diskutiert
haben, sind an einigen Stellen nicht der Praxis förderlich.
Ich wünsche dem neuen Gesetz, dass es nicht nur beispiel-
gebend ist, sondern auch in der Praxis die Verbesserungen
bringt, die wir alle für notwendig halten und ohne die die
Aktionsfähigkeit der Parteien nicht gegeben sein kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423103000
Ich erteile dem Kolle-
gen Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1423103100
Herr Präsident!
Meine verehrten Damen und Herren! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Ich meine, wir sollten heute mit Ihnen,
Frau Wettig-Danielmeier, schonend umgehen und nicht
auch noch aus unseren Reihen Angriffe auf Sie starten,
nachdem Sie schon in den eigenen Reihen massiv unter
Beschuss sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde es nicht gerecht, wenn ausgerechnet Sie in dem
Konflikt mit Herrn Müntefering – darauf komme ich
nachher noch zu sprechen – das Ersatzopfer sein sollen
und wenn schon jetzt aus Ihren Reihen genüsslich die Na-
men der Nachfolger im Amt des SPD-Schatzmeisters
– die Rede ist von Herrn Diller und von Herrn Poß – kol-
portiert werden. Das ist nicht fair.

Wir haben gut zusammengearbeitet und einen Kom-
promiss gefunden, mit dem sich der Reformstau auflösen
lässt und sich die Probleme mit dem derzeit geltenden
Parteiengesetz lösen lassen, obwohl der erste rot-grüne
Gesetzentwurf bewusst auf die Verschleierung der Unter-
nehmensbeteiligungen der SPD abzielte und die CDU/
CSU daran hindern sollte, mehr Spenden einzusammeln.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Herr Uhl, machen Sie nicht wieder das Fass auf! Das war doch schon vorhin falsch!)


Herr Schmidt, erst nach dem Bestechungs- und Spen-
denskandal der SPD in Köln und in anderen nordrhein-
westfälischen Städten hat sich Ihre Lage über Nacht dra-
matisch verändert. Sonnte sich die SPD anfangs noch in
der Rolle des Richters über fremdes Fehlverhalten, wurde
ihr die Robe des Richters entrissen und sie musste ertra-
gen, dass ihr das hehrende Büßergewand des Angeklagten
übergestülpt wurde.


(Widerspruch bei der SPD)

Erst in dieser Verfassung war die SPD zu einem Kompro-
miss mit uns bereit. Die SPD hat erstmals den Verfas-
sungsauftrag ernst genommen, der wie folgt lautet – ich
zitiere Art. 21 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes, Herr
Ströbele –: Die Parteien „müssen über die Herkunft und
Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffent-
lich Rechenschaft geben“. Das war bisher nicht der Fall.

Ich möchte nur eine Kostprobe der bisherigen Ver-
schleierungsversuche geben: Während der Wert der Unter-
nehmensbeteiligungen im Rechenschaftsbericht der SPD
des Jahres 2000 noch auf knapp 100 Millionen DM he-
runtergerechnet wurde, schätzte der „Spiegel“ diesen Wert
auf über 500 Millionen DM. Der „Focus“ ging sogar von
1 Milliarde DM aus. Im Untersuchungsausschuss sagte
Frau Wettig-Danielmeier vage, dass der Wert der Unterneh-
mensbeteiligungen der SPD bei ungefähr 750 Millio-
nen DM liege. So kann man mit Millionen auch umgehen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ausgerechnet Sie!)


Deswegen bin ich froh darüber, dass ab heute Schluss ist
mit der Heuchelei vom jahrzehntelang gepflegten Image
einer bettelarmen SPD.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Inge Wettig-Danielmeier

22985


(C)



(D)



(A)



(B)


Ständig wurde uns das Bild vorgegaukelt, dass die SPD
nur sparsamste Wahlkämpfe finanzieren könne, weil sie ja
nur über die wenigen Groschen verfüge,


(Harald Friese [SPD]: Viele Groschen!)

die sich ihre Mitglieder, die armen Arbeiter und Rentner,
vom Munde absparten. Dieses Image ist nun zerstört.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423103200
Herr Kollege Dr. Uhl,

gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wettig-
Danielmeier?


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1423103300
Eigentlich gerne.
Da mir aber meine Redezeit gekürzt worden ist, möchte
ich im Kontext fortfahren.

Wir haben den ersten Schritt in Richtung Transparenz
getan, obwohl die SPD Unternehmensbeteiligungen von
unter 20 Prozent nach wie vor nicht angeben muss.
Warum gibt es eigentlich einen so krassen Unterschied
zwischen der Vermögenssituation der SPD und der der an-
deren Parteien? Das ist ganz einfach: Die SPD ist deswe-
gen so reich, weil sie sowohl nach dem Zweiten Weltkrieg
als auch nach der Wiedervereinigung ihr altes Vermögen
zurückbekommen hat, während die Union und andere
Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg vermögenslos neu
gegründet wurden.


(Lachen bei der SPD)

– So ist es. Das müssen Sie doch zugeben. – Zu dieser er-
erbten wirtschaftlichen Macht der SPD kommt noch die
politische Medienmacht hinzu, die – das wurde bereits
vom Kollegen Stadler sehr treffend dargestellt – verfas-
sungsrechtlich sehr problematisch ist. Medien berichten
unter anderem über das Verhalten der Parteien. Deswegen
dürfen Parteien nicht Eigentümer von Medien sein.

Die Kontrollierten dürfen keinen Einfluss auf die Kon-
trolleure haben.


(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Das gilt auch für die FDP! Das gilt auch für Kirch!)


Ich dachte, dass wir diesen schlichten Rechtsgedanken
seit der Französischen Revolution verinnerlicht hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit der Französischen Revolution wirklich nichts zu tun! Sie haben im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst!)


Eigentlich ist das Ganze ein Verbraucherschutzthema.
Ich vermisse es, dass sich Frau Künast in die Diskussion
einschaltet. Sie müsste dafür sorgen, dass ebenfalls im Be-
reich der Medienberichterstattung der Satz gilt: Was drin
ist, muss auch außen drauf stehen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat man bei der Bayerischen Landesbank gesehen!)


Wenn innen SPD-Parteipolitik gemacht wird, muss außen
„SPD“ stehen. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])


Wir werden nicht müde, zusammen mit der FDP, mit
Herrn Stadler und, so hoffe ich, auch mit Teilen der Grü-
nen für das Presserecht ein Vermummungsverbot einzu-
fordern.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das Vermummungsverbot gegen Herrn Gottlieb im Bayerischen Fernsehen!)


Herr Stadler hat darauf hingewiesen: Es darf keine Tarn-
kappenpolitik und keine Vermummung von Parteien im
Pressewesen geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Während die Haupteinnahmen der Sozialdemokratie

traditionell aus Grundvermögen und Firmenbesitz
stammen, haben die bürgerlichen Parteien diese Ein-
nahmen typischerweise nicht. Sie leben mehr von den
Spenden.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Oh ja! Verlängerter Arm der Großindustrie!)


Das heißt, dass jemand, der so reich wie die SPD ist, nicht
sammeln gehen muss. Wenn Herr Stadler jetzt das Bild
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Ärmste im
ganzen Land?“ zeichnet, dann muss ich sagen, dass zwi-
schen der sozialdemokratischen Partei und den anderen
Parteien in Deutschland ein essenzieller Unterschied be-
steht. Von der PDS will ich hier aus verständlichen Grün-
den nicht weiter reden.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Und von der CSU in Bayern!)


Ihre Probleme und Ihr Vermögen werden im „Spiegel“
und anderen Medien sehr dezidiert abgehandelt.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie sind ein Volksschauspieler, Herr Uhl! Nur schlechter als der Komödienstadl!)


Als Folge verschiedener Spendenskandale ist das Spen-
denaufkommen bei allen Parteien dramatisch zurückge-
gangen. Das ist kein Wunder; denn welcher Spender
möchte schon das Risiko eingehen, auf dem Medienmarkt-
platz an den Pranger gestellt zu werden. Deswegen muss
– diese Worte richte ich an Sie von der SPD – mit der ge-
nerellen Diskriminierung von Spendern Schluss gemacht
werden.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Schluss mit dem Spendensammeln, wie Sie es gemacht haben! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schluss mit dem Verfassungsbruch bei Ihnen!)


– Herr Ströbele, zu Ihnen komme ich gleich.
Dieses Gesetz, dem Sie zustimmen werden, bekennt

sich zum Spenden. Das ist richtig so, obwohl wir alle wis-
sen, dass es vonseiten der Wirtschaft immer wieder Ver-
suche gab und auch in Zukunft geben wird, auf die politi-
sche Macht über Geld Einfluss auszuüben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bei Dr. Kohl!)





Dr. Hans-Peter Uhl
22986


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist so banal, dass man es kaum auszusprechen wagt.
Deswegen müssen Spenden begrenzt werden und trans-
parent sein.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das dem Helmut!)


Herr Ströbele, Politik darf niemals käuflich sein. Poli-
tik war unter der Regierung von FDP und Union niemals
käuflich!


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was zu beweisen wäre! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür haben Sie die Millionen bekommen?)


Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass Sie nicht müde wer-
den, diese Behauptung immer wieder als notorischer Ver-
leumder aufzustellen. Wenn der Landesverband der Ber-
liner Grünen Sie nicht mehr auf einen aussichtsreichen
Listenplatz gesetzt hat, dann kann ich nur auf den Berliner
Leitsatz hinweisen: Und das ist gut so!


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist billig! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dass Sie in München nicht Oberbürgermeister geworden sind, ist auch gut so! Damit das klar ist!)


Als der Generalsekretär Müntefering – jetzt komme ich
auf Sie, Herr Schmidt, zu sprechen – von dem Beste-
chungs- und Spendenskandal der Kölner SPD erfuhr, rief
er mit gespielter Naivität aus: Ich dachte, Sozialdemokra-
ten machen so etwas nicht.


(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Sie sind ein Schauspieler!)


Der Sozialdemokrat – der höherwertige Mensch! Das
hätte Herrn Müntefering so gepasst.


(Joachim Stünker [SPD]: Das grenzt wirklich an Diskriminierung! Es ist unglaublich, was die Bayern machen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Warum sorgen Sie nicht dafür, dass Kohl endlich die Namen sagt?)


Wo es Menschen gibt, da menschelt es. Fehlverhalten gibt
es auch dort, wo Menschen sich in sozialdemokratischen
Parteien organisiert haben. Wie alt musste Herr Müntefe-
ring werden, um diese Binsenweisheit zu erkennen? Nein,
auch dort, wo Sozialdemokraten regieren, gibt es kriminel-
les Verhalten. Es ist nicht richtig, dass der Scheinaufklärer
Müntefering im Untersuchungsausschuss behauptete, er
kenne die Liste der Rechtsbrecher nicht, obwohl sie eine
Woche lang auf seinem Tisch lag, und der kenne zudem
auch niemanden, der diese Liste kenne.


(Inge Wettig-Danielmeier [SPD]: Hatte er nicht!)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Trotz all dieser
Scheinaufklärungsbemühungen von Herrn Müntefering
werden wir und wird die Öffentlichkeit nicht darauf he-
reinfallen. Das wird ihm noch schwer zu schaffen machen.

Ich halte es für ungerecht, dass, weil Herr Müntefering
als Knappe von Schröder für den Wahlkampf noch ge-

braucht wird, jetzt Sie, Frau Wettig-Danielmeier, als Er-
satzopfer über die Klinge springen sollen. Das ist nicht
fair.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!)

Trotz alldem können wir diesem Gesetzentwurf zu-

stimmen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann machen Sie es doch lieber nicht!– Weiterer Zuruf von der SPD: Stimmen Sie lieber nicht zu! Das wäre ehrlicher!)


Bei allem Kompromiss bringt die Novellierung mehr
Transparenz in die Parteienfinanzierung. Erstmals muss
auch das wahre Vermögen einer Partei, also auch das
wahre Vermögen der SPD, offen gelegt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423103400
Ich erteile dem Kolle-
gen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion, das Wort.


(Joachim Stünker [SPD]: Wilhelm, sag ihm doch mal die Wahrheit, dem Verleumder da!)



Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1423103500
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es fällt außerordentlich
schwer – das will ich sehr deutlich sagen –, hier noch ei-
nen auf Gemeinsamkeit zu machen, die wir über fünf of-
fizielle und mindestens ein halbes Dutzend weiterer in-
offizieller Verhandlungsrunden miteinander zustande
gebracht haben. Ich bin nicht nur tief enttäuscht, sondern
geradezu sauer darüber, wie sich Herr Röttgen und Herr
Uhl dem Vermummungsverbot entziehen. Sie kommen
als Biedermänner und entpuppen sich als Brandstifter.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wedernoch!)


Unglaublich, was sie hier abgeliefert haben!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)

Nach den beiden Reden, die offensichtlich der inner-

parteilichen Karriere dienen sollen – anders machen sie
eigentlich überhaupt keinen Sinn; nur so wird man in
Ihren Reihen in den nächsten Monaten und Jahren offen-
sichtlich etwas –


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die beiden sind schon was!)


und von Ihrem Fraktionsvorsitzenden so geduldig an-
gehört worden sind, ist nach meiner Einschätzung von Ih-
rer Seite eigentlich nur noch eine Konsequenz zu ziehen:
Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie diesem Gesetz-
entwurf zustimmen. Ich fordere Sie auf, das zu überprüfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, dass hier vonseiten der CDU/CSU ein untaug-
licher, aber in den letzten Wochen und Monaten leider im-
mer wieder festzustellender Versuch unternommen wird,
in Angelegenheiten, die alle Parteien treffen, einseitige




Dr. Hans-Peter Uhl

22987


(C)



(D)



(A)



(B)


Schuldzuweisungen vorzunehmen. Sie haben Ihren Skan-
dal. Wir haben unseren Skandal. Daraus ist in dem neu ge-
stalteten Parteienrecht die Lehre gezogen worden. Neh-
men Sie das doch bitte wenigstens als Grundlage zur
Kenntnis und versuchen Sie nicht, daraus einseitig Kapi-
tal zu schlagen


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Wir sind völlig anders als ihr!)


und damit wiederum einen Beitrag dazu zu leisten, dass
die Parteien insgesamt in diesem Land Schaden nehmen!
Durch die Art, wie Sie den Gesetzentwurf behandeln, ist
das der Fall.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich wende mich jetzt gerade an die Vertreter der FDP,
Herr Stadler, und der CDU/CSU. Wir haben uns bei der
Frage, wie wir mit der Strafbarkeit bei Verstößen gegen
das Parteiengesetz umgehen, die wir neu in das Gesetz
hineinnehmen, unglaublich schwer getan, und zwar des-
wegen, weil wir nicht das Kind mit dem Bade ausschüt-
ten wollten.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Richtig!)

Es gibt doch ein unglaublich hohes bürgerschaftliches
Engagement in der Kommunalpolitik.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Richtig! So ist es!)

Da sitzen Tausende und Abertausende von Menschen, die
sich mit persönlichem Engagement, zum Teil unter Auf-
wendung eigener Finanzmittel, dafür einsetzen, dass die
Kommunalpolitik und unser Gemeinwesen funktionieren.
Und Sie tun hier so, als wenn über den Kölner Skandal hi-
naus alle in der politischen Klasse auf dieser Ebene in
Deutschland mit getroffen werden müssten! Nein, das war
eine Ausnahme, ebenso wie übrigens auch – das gestehe
ich Ihnen zu – in Bonn und in Ratingen. Werfen Sie das
bitte nicht als einseitige Verfehlung der SPD in das Feld,
um so alle kommunalpolitischen Aktivitäten, gerade bei
der SPD, zu diskreditieren! Im Interesse der Kommunal-
politik lasse ich das nicht zu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde es außerordentlich selbstgerecht – ich will
mich durchaus ein bisschen zurücknehmen, weil ich
nicht in die gleiche Kerbe hauen möchte –, dass Sie, Herr
Uhl und Herr Röttgen, in den Mittelpunkt Ihrer beiden
Reden wiederum die Unternehmens- und Medienbetei-
ligungen der SPD gestellt haben. Erstens wissen Sie ganz
genau, dass das verfassungsgemäß ist. Zweitens wissen
Sie, dass wir freiwillig schon seit Jahren mehr offen le-
gen und transparent machen, als es das Gesetz bisher ge-
fordert hat.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Na, na, na!)

Drittens wissen Sie ganz genau – Herr Merz, Sie auch –,
dass wir in unserem Gesetzentwurf von Anfang an eine
starke Erweiterung der Transparenz und Offenlegung vor-
gesehen haben. Tun Sie nicht so, als wenn Sie uns erst
treiben mussten, um zu diesen Regelungen zu kommen!

Das haben wir freiwillig gemacht und das nehmen wir
auch ganz bewusst für uns selbst in Anspruch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Warum nicht schon früher?)


Meine Damen und Herren, damit auch das klar ist: Wir
wollen – obwohl es uns jetzt nach diesen Reden sehr
schwer fällt – die Gemeinsamkeit; denn natürlich kann
man das eine oder andere, was sich in den vergangenen
Jahrzehnten seit Bestehen des Parteiengesetzes ereignet
hat, ganz unterschiedlich sehen. Müsste nicht tatsächlich,
wie von vielen Seiten in der Öffentlichkeit immer wieder
ins Gespräch gebracht, intensiver – Herr Ströbele hat es,
wie ich finde, zu Recht angedeutet – über die Frage dis-
kutiert werden, Privatspenden, Unternehmensspenden
und das Spendenwesen insgesamt ein wenig mehr mit-
hilfe von Obergrenzen oder ähnlichen Regelungen zu ord-
nen? Wenn es aber so gekommen wäre, wären die
CDU/CSU und die FDP – auch das will ich hinzufügen –
auf einen Schlag pleite gewesen.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So, wie wenn man Ihnen das Vermögen wegnimmt!)


Auch an dieser Stelle haben wir also Gemeinsamkeiten im
Auge gehabt.

Tun Sie also bitte nicht so, als ob irgendwelche Teil-
skandale oder Skandale, die nur Sie sehen, im Mittelpunkt
der Entwicklung dieses Gesetzeswerkes gestanden hätten.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Weil Sie reich sind und keine Spenden brauchen!)


Es gab ein Geben und Nehmen auf allen Seiten. Ich warne
Sie davor, in den nächsten Wochen und Monaten und kurz
vor der nächsten Bundestagswahl die Vorkommnisse zu
einem parteipolitischen Getöse auswachsen zu lassen.
Das können wir uns in diesem Lande um der Demokratie
und des bürgerschaftlichen Engagements in den Parteien
willen nicht leisten. Ich fordere Sie auf, dieses zu lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Schluss, meine Damen und Herren, Herr Präsi-
dent, will ich noch einmal ein Dankeschön an die Mit-
glieder der unabhängigen Kommission, aber auch an Sie,
Herr Bundestagspräsident, sagen. Ich will ausdrücklich
darauf hinweisen, dass Sie als Mittel verwaltende und
kontrollierende Instanz Ihre Aufgabe in den vergangenen
Jahren exzellent wahrgenommen haben. Diese Aufgabe
werden Sie auch auf der Basis des neuen Gesetzes wahr-
nehmen können; wir setzen auch darauf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423103600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der FDP eingebrachten Entwurf eines Achten




Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

22988


(C)



(D)



(A)



(B)


Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes auf Druck-
sache 14/8778.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/8824, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Kor-
rektur zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hau-
ses gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.

Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8826 ab. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt.

Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Druck-
sache 14/8824 zu dem von den Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung des Parteiengesetzes. Der Innenaus-
schuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/7778 für erle-
digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Druck-
sache 14/8824 zu dem von der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Parteien-
gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Druck-
sache 14/7441 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Enthaltungen? – Wer
stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim-
mig angenommen.

Abstimmung über den von der Fraktion der PDS ein-
gebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 14/2719 zur
Änderung des Gesetzes über die politischen Parteien. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/8824, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Bernd Neumann (Bremen), Dr. Norbert Lammert,
Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU

Zukunft des deutschen Auslandsrundfunks
– Drucksachen 14/6954, 14/8208 –

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Bernd Neumann, CDU/CSU-Fraktion.


Bernd Neumann (CDU):
Rede ID: ID1423103700
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Debatte
über die Deutsche Welle ein paar Fakten, die diese Legis-
laturperiode betreffen:

Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün von 1998 heißt es:
„Das Ziel bleibt ... eine Reform der medialen Außenre-
präsentanz.“

1998 kündigt Staatsminister Naumann unmittelbar
nach seinem Amtsantritt eine Reform der Deutschen
Welle für die nächsten Wochen an; eine Verbesserung sei
dringend nötig.

In den Jahren 1999 und 2000 herrscht dazu seitens der
Bundesregierung Funkstille.

Im September 2000 bringt das BKM ein so genanntes
Hanten-Papier zur Neugestaltung des deutschen Aus-
landsrundfunks in die Diskussion.

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-
Fraktion in Verbindung mit diesem Papier heißt es im No-
vember 2000:

Die Bundesregierung beabsichtigt entsprechend der
Koalitionsvereinbarung, in dieser Legislaturperiode
die Außendarstellung Deutschlands in den Medien
zu reformieren.

Dieses Hanten-Papier des BKM stieß allerdings all-
seits auf massiven Protest, weil es mit seinen Zielsetzun-
gen eindeutig das Gebot der Staatsferne verletzte und
zum Teil falsche und widersprüchliche Aussagen enthielt.
Deshalb verschwand dieses Papier noch schneller, als es
vorher verbreitet worden war, wahrscheinlich im Papier-
korb.

Wir sind damit im Jahr 2001. Da herrschte zunächst
wiederum Funkstille.

Im November 2001 schließlich kommt Herr Nida-
Rümelin als neuer Staatsminister ins Amt und erklärt, dass
die Reform der medialen Außenrepräsentanz erst in der
nächsten Legislaturperiode erfolgen werde.

Die groß angekündigte Reform der medialen Außen-
darstellung Deutschlands wird also auf die Zeit nach der
Wahl vertragt. Nun kann man sagen: Gott sei Dank, denn
dann werden Sie von Rot-Grün dafür wahrscheinlich
nicht mehr mehrheitlich die Verantwortung haben.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Na, na, na! Warten wir erst einmal ab!)





Präsident Wolfgang Thierse

22989


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber es ist festzustellen, dass es innerhalb der Bundesres-
sorts kaum einen Bereich gibt, in dem Versprechen und
Wirklichkeit so auseinander klaffen wie in Ihrer Medienpo-
litik. Obwohl im Hinblick auf gravierende Veränderungen in
Deutschland und in der Welt eine Reform und Verbesserung
der medialen Außenrepräsentanz dringlich geboten wäre,
hat die rot-grüne Bundesregierung trotz fester Verspre-
chungen konzeptionell nichts zustande gebracht. Wenn
man bedenkt, dass die Deutsche Welle etwa ein Drittel des
gesamten Etats des BKM ausmacht, wird die Dimension
des Versagens noch deutlicher.

Falsch wäre allerdings, zu behaupten, in diesem Be-
reich sei gar nichts passiert. Im Gegenteil, beim wich-
tigsten Instrument medialer Außendarstellung, bei der
Deutschen Welle also, hat die rot-grüne Koalition ohne
jedwedes Konzept einen finanziellen Kahlschlag vorge-
nommen: Kürzung der Mittel von für 1999 geplanten
635 Millionen DM auf jetzt 564 Millionen DM; weitere
Kürzungen um 20 Millionen DM bis zum Jahr 2004 sol-
len folgen. 400 Mitarbeiter der Deutschen Welle verlieren
dadurch ihre Arbeitsplätze, und dies in einer Zeit, in der
der Erklärungs- und Aufklärungsbedarf in Bezug auf
Deutschland mit seiner zunehmenden Verantwortung in
der Welt dringlicher und größer ist als jemals zuvor. Das
ist medienpolitisch wie außenpolitisch unverantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-

Fraktion, die wir heute debattieren, versucht die Bundesre-
gierung vom eigenen Versagen bei der Reform des
Auslandsrundfunks abzulenken, indem sie auf den inzwi-
schen im Rahmen von Pay-TV installierten gemeinsamen
Auslandskanal von ARD, ZDF und Deutscher Welle, das so
genannte German TV, als wichtigen Reformschritt hin-
weist.

Wer die Hintergründe dieses Vorgangs kennt, muss
sich schon wundern. Die Idee, ein zusätzliches Pay-TV-
Programm durch die Deutsche Welle anzubieten – aller-
dings überall nur als Pay-TV–, hatte der frühere Intendant
der Deutschen Welle, Dieter Weirich. Er verfolgte sie ziel-
strebig. Staatsminister Naumann dagegen hatte während
seiner Amtszeit dieses mehrfach öffentlich kategorisch
mit der Begründung abgelehnt, man dürfe dem öffentlich-
rechtlichen Rundfunk nicht auf diese Weise den Weg ins
Pay-TV ermöglichen.

In Wahrheit hatten Sie, meine Damen und Herren von
den Regierungsfraktionen, bei der Forderung nach einer
Reform des Auslandsrundfunks natürlich primär nie an
ein Pay-TV-Informations- und Unterhaltungsprogramm
gedacht, sondern natürlich an die originäre Deutsche
Welle mit ihren Hörfunkprogrammen in 30 Sprachen so-
wie an das 24-stündige Fernsehprogramm. Ich füge hinzu:
Wir im Übrigen auch. Das ist richtig; denn der originäre
Auftrag der Deutschen Welle im Hinblick auf alle anzu-
sprechenden Zielgruppen – weltweit – wird nach wie vor
durch diese Programme erfüllt. Deswegen dürfen diese
Programme finanziell durch das neue Experiment mit
Pay-TV in den USA nicht gefährdet werden.

Leider müssen wir nach der Antwort auf unsere Große
Anfrage davon ausgehen. Warum? Zum einen ist die
finanzielle Kalkulation bei dem Projekt gewagt, ja,

zu gewagt. Es sollen in den nächsten sechs Jahren
70 000 Abonnenten in den USA gewonnen werden. Diese
müssen zum Empfangen des Programms circa 400 Dollar
für eine Antenne und dann monatlich 15 Dollar bezahlen.
Das ist eine hohe Hürde. Vergleichbare Auslandssender,
die seit vielen Jahren entsprechende Pay-TV-Angebote
haben, liegen deutlich darunter.

Dann soll German TV nach dem Willen der Bundes-
regierung über die USA hinaus weltweit im Wesentlichen
im Free-TV-Programm angeboten werden. Dafür fordert
die Deutsche Welle mit Recht zusätzlich 15,4 Milli-
onen DM aus dem Bundeshaushalt, um die Anlaufkosten
zu finanzieren. Die Bundesregierung lehnt dieses mit dem
Hinweise ab, das sei gegebenenfalls aus eigenen Mitteln
der Deutschen Welle zu bezahlen. Woher denn? Im Übri-
gen halten Fachleute bei weltweiter Ausstrahlung des Pro-
gramms im Free-TV die anfallenden Kosten für deutlich
höher; denn man braucht zusätzliche, teurere Satelliten.
Die weltweiten Rechte sind im Free-TV um ein Vielfa-
ches höher als im Pay-TV.

Zu diesen Fragen erwarten wir eine klare Antwort, Herr
Staatsminister. Wie wollen Sie das finanzieren? Oder ha-
ben Sie vielleicht vor, das bisherige Fernsehprogramm der
Deutschen Welle durch das deutschsprachige Gemein-
schaftsprogramm von German TV zu ersetzen? Wenn das
so wäre: Mit welchem Fernsehprogramm sollen dann die
nicht deutsch sprechenden Multiplikatoren in der Welt,
die als Zielgruppe für Deutschland am wichtigsten sind,
erreicht werden? Angesichts Ihrer Antwort unter 4.8.
könnte man meinen, Sie wollten diese Gruppe nur mit ei-
nem Onlineangebot bedienen. Das wäre inakzeptabel. Ein
Onlineangebot ist zwar wichtig. Aber es kann zu einem
Fernsehprogramm immer nur ergänzend sein, zumal auf
absehbare Zeit nur ein Bruchteil der Menschen in der Welt
erreicht werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Alle diese Fragen werden in der Antwort der Bundes-

regierung offen gelassen. Ich sage Ihnen: Sie haben bis
heute kein finanziell und inhaltlich seriöses Konzept. So
kann man keine Medienpolitik machen.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Im Übrigen darf bei allen notwendigen Diskussionen
über das Fernsehen der Hörfunk nicht vergessen werden.
Er ist das eigentliche Flaggschiff der Deutschen Welle.
Mit einem Programmangebot in 29 Sprachen erreicht der
Hörfunk wirklich flächendeckend fast alle Regionen in
der Welt. Die immens wichtigen Sprachkurse sind nur
über Hörfunk möglich. Hier steht die Digitalisierung vor
der Tür. Sie wird viel Geld kosten, aber die Qualität des
Hörfunkprogramms entscheidend verbessern. Sie ist des-
halb unvermeidbar.

Durch den finanziellen Kahlschlag, den Sie bei der
Deutschen Welle vorgenommen haben, ist auch für den
Hörfunk der Deutschen Welle das Ende der Fahnenstange
praktisch erreicht. Finanzielle Spielräume für zusätzliche,
möglicherweise aus politischen Gründen notwendige Pro-
grammangebote in Krisenregionen der Welt sind nicht
mehr vorhanden.




Bernd Neumann (Bremen)

22990


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, zu der sowohl von der
CDU/CSU als auch vom neuen Intendanten gestellten
Forderung, für die Deutsche Welle eine verlässliche,
mehrjährige finanzielle Planungssicherheit zu schaffen
und damit Staatsferne zu sichern, äußern Sie sich nebulös.
Sie wollen dies prüfen, obwohl dieses Thema schon seit
zwei oder drei Jahren auf der Agenda steht.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Mindestens!)


Herr Staatsminister Nida-Rümelin, welche Meinung
haben Sie selbst als Medienminister dazu? Können Sie
sich wie wir vorstellen, eine Art KEF, also eine politisch
unabhängige Kommission, zu installieren, die dem Parla-
ment bei der Ermittlung des Finanzbedarfs einen Vor-
schlag unterbreitet? Auch hierzu erwarten wir eine klare
Aussage.

Abschließend beziehe ich mich auf die Aussage der
Bundesregierung, nach der ein im Rahmen des Pro-
gramms der Deutschen Welle vorgesehener interkulturel-
ler Dialog durch eine neue Definition des Programmauf-
trages auch im Inland möglich sein sollte. Dies hat zu
Irritationen geführt. Für die CDU/CSU-Fraktion ist klar:
Der Bund hat ausschließlich die Kompetenz für den Aus-
landsrundfunk.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit kann sich der Programmauftrag der Deutschen
Welle nur auf das Ausland beziehen. Rundfunk im Inland
ist Ländersache. Die Bundesregierung erweist sich mit
solchen Forderungen einen Bärendienst und belastet das
notwendigerweise gute kooperative Verhältnis zwischen
Bund und Ländern sowie zu ARD und ZDF.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich wäre dankbar, wenn Sie zu den

von mir gestellten Fragen konkrete Antworten geben.
Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423103800
Ich erteile Staatsmi-
nister Julian Nida-Rümelin das Wort.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Jetzt sind wir mal gespannt!)


D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423103900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Heute früh zwischen 9 und 10.30 Uhr haben
wir das – jedenfalls für mich – merkwürdige Schauspiel
erlebt, dass eine Änderung des Parteiengesetzes – diese
Änderung wurde einstimmig vorgenommen;


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die PDS war dagegen!)


sie beruhte, wenn man den Rednerinnen und Rednern
glauben kann, auf sehr konstruktiven Beratungen – zu ei-
ner heftigen und zum Teil sachlich schwer nachvollzieh-
baren Polemik in diesem Hohen Hause geführt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mein persönlicher Eindruck ist: Wir tun den Bürgerinnen
und Bürgern mit diesem Stil der Schauspielerei, die durch
den Wahlkampf veranlasst ist, keinen Gefallen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Was geht Sie das denn an? – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Herr Präsident, der Bundestag ist kein Schauspieltheater! Ich bitte, das zu rügen! Er gehört dem Bundestag nicht einmal an!)


Meine Empfehlung ist, dass wir – jedenfalls im Kulturbe-
reich – das fortsetzen, was wir zum Beispiel im Kultur-
ausschuss vorbildlich praktizieren, nämlich sehr sachlich
zu beraten und keine Nebelkerzen zu werfen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423104000
Herr Julian Nida-
Rümelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Lammert?

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423104100
Ja.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1423104200
Herr Staatsmi-
nister Nida-Rümelin, könnten Sie mir und dem Hohen
Hause vielleicht einmal erläutern, was Sie als jemand, der
nicht Mitglied des Deutschen Bundestages ist, veranlasst,
als Zensor einer gerade zu einem anderen Tagesord-
nungspunkt geführten Debatte aufzutreten?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423104300
Ich beteilige mich hier an einer Debatte um
die Reform der Deutschen Welle. Ich plädiere dafür, dass
wir diese Debatte so führen, wie wir es gegenüber den
Bürgerinnen und Bürgern verantworten können. Das,
denke ich, kann ich hier tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. KarlHeinz Hornhues [CDU/CSU]: Dann fangen Sie einmal damit an!)


Die Reform der Deutschen Welle, des deutschen Aus-
landsrundfunks – dazu gehört vor allem das Radio, aber
auch das Fernsehen; das haben Sie, Herr Neumann, zu
Recht betont – ist ein großes Projekt. Es kann keine Rede
davon sein, dass wir in der Zeit, in der ich dafür Mitver-
antwortung trage, von der Zeitplanung abgegangen sind.
Ich habe noch einmal nachgesehen: Im November 2000
wurde in der Antwort auf eine damalige Kleine Anfrage
der Union nicht angekündigt, dass ein Entwurf zur Re-
form des Deutsche-Welle-Gesetzes noch in dieser Legis-
laturperiode eingebracht wird, sondern dass die Reform-
schritte beraten werden und man dann sehen wird, was in
dieser Legislaturperiode verwirklichbar ist.

Seit Oktober des vergangenen Jahres haben wir einen
neuen Intendanten. Ich persönlich hätte es als keinen
guten Stil empfunden, wenn wir eine grundlegende Reform
der Deutschen Welle, des deutschen Auslandsfernsehens




Bernd Neumann (Bremen)


22991


(C)



(D)



(A)



(B)


und -hörfunks, durchgeführt hätten, bevor der neue Inten-
dant sein Amt angetreten und sich ein Bild von der Deut-
schen Welle gemacht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen war meine Empfehlung, dass in klarer Verant-
wortungsteilung der Intendant für sein Haus, auch für das
Programm zuständig ist. Herr Neumann, Sie fragen mich:
Wie stellen Sie sich das vor? – Das ist eine Verwechslung
der Zuständigkeiten.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Sie haben sich doch so geäußert!)


Das Programm der Deutschen Welle wird vom Intendan-
ten verantwortet, von niemandem sonst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Monika Griefahn [SPD]: Staatsferne!)


Was wir zu verantworten haben – ich bitte sehr darum,
dass das in den weiteren Beratungen genau auseinander
gehalten wird –, ist der Rahmen, innerhalb dessen der In-
tendant auf der Basis der von der Verfassung garantierten
Pressefreiheit agieren und seine eigenen Akzente setzen
kann. Deswegen habe ich mich unmittelbar nach dem
Amtsantritt von Herrn Bettermann – er sitzt ja hier auf der
Zuschauertribüne – mit ihm zusammengesetzt und mich
mit ihm sehr intensiv über die Zukunftsperspektiven der
Deutschen Welle beraten.

Die Reform des deutschen Auslandsfunks ist ein
großes Projekt. Es hat überhaupt keinen Sinn – ich ver-
wende jetzt einmal einen bayerischen Ausdruck –, zu hu-
deln und in dieser Legislaturperiode womöglich noch
schnell unseriöse Vorschläge zu unterbreiten.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wir haben doch nichts angekündigt! Das ist der Unterschied!)


Ich habe in der Antwort auf die Frage 4 Ihrer Großen
Anfrage detailliert dargelegt, wie ich mir in etwa den in-
haltlichen Rahmen, den Auftrag der Deutschen Welle vor-
stelle. Dazu gehört zweierlei: nämlich einerseits klare
Zielgruppen und regionale Schwerpunkte sowie anderer-
seits ein finanzieller Rahmen. Sie haben Recht: Die Deut-
sche Welle ist aufgrund des verengten finanziellen Rah-
mens in keiner einfachen Situation. Er entspricht übrigens
dem generellen Konsolidierungsziel.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh! Das ist schon noch ein bisschen mehr, lieber Herr Nida-Rümelin! Das ist deutlich mehr!)


– Nein, nein. Das sind 12,5 Prozent in vier Jahren, die ge-
nau dem entsprechen, was damals als generelles Konsoli-
dierungsziel formuliert worden ist. Es stimmt: Es ist eine
große Belastung für die Deutsche Welle. Das ist uns allen
bewusst. Gleichzeitig gibt es einen großen Reformbedarf.

Es werden aber auch die Leistungen anerkannt, die die
Deutsche Welle in Bereichen erbringt, die vom bisherigen
Programmauftrag, der ja übrigens erst 1997 formuliert
wurde, gar nicht abgedeckt sind: Beispielsweise ist die

Deutsche Welle besonders erfolgreich bei Suchprogram-
men für Kosovo-Albaner. Diese Programme haben eine
große Akzeptanz bei den Albanerinnen und Albanern im
Kosovo.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Da sind wir uns einig!)


Das ist eine bedeutende Leistung. Auch wurde jetzt in Af-
ghanistan rasch reagiert. Die Wahrnehmung von Angebo-
ten des Radioprogramms der Deutschen Welle in Afrika
ist, wenn man den sehr spärlichen Daten glauben darf, re-
lativ gut.

Ich schlage vor – da gehe ich etwas über die Formulie-
rung hinaus, die ich in der Antwort auf Ihre Frage 4 ge-
wählt habe –: Wir sollten die Zielgruppen in zwei große
Gruppen unterteilen. Die eine Zielgruppe bilden Deutsch-
sprachige, die keine Touristen sind, sondern auf längere
Zeit im Ausland leben und die auf deutschsprachige An-
gebote der Deutschen Welle angewiesen sind. Ihnen soll-
ten wir ein möglichst attraktives Programm bieten. Das
war ja die Idee, die hinter dem Pilotprojekt Pay-TV für die
USA stand. Mit diesem Pilotprojekt sollte auch eine Re-
form des Fernsehens der Deutschen Welle getestet wer-
den. Ich hoffe, es hat Erfolg. Wenn die Berechnungen, die
die Deutsche Welle angestellt hat, zutreffen, müsste es ein
Erfolg werden.

Die zweite Zielgruppe bilden diejenigen Adressaten,
die zwar Interesse an deutscher Politik, Kultur und Gesell-
schaft haben, die aber nicht deutschsprachig sind, die also
mit deutschsprachigen Angeboten gar nicht erreicht wer-
den können. Da hat sich in den letzten Jahren viel durch
das Internet verändert. Wir müssen uns sehr genau überle-
gen, was die Deutsche Welle auch in Form von Online-
diensten anbieten muss, um diese spezifische Zielgruppe
anzusprechen. – Diesen ersten Bereich kann man als
„deutsche mediale Außenrepräsentanz“ zusammenfassen.

Es gibt einen zweiten Bereich, der nach meiner festen
Überzeugung damit zu tun hat, dass wir in der auswärti-
gen Kulturpolitik generell und in der auswärtigen Me-
dienpolitik speziell das Ziel verfolgen müssen, einen Bei-
trag zu einer zivil verfassten globalen Gesellschaft zu
leisten,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


also einer Gesellschaft, die ihre Konflikte unterhalb der
Schwelle der Gewalt austrägt. Dazu dienen zum Beispiel
die Angebote der Deutschen Welle in Krisengebieten. Sie
können dort zu einem zivilen Austragen von Konflikten
beitragen und dafür sorgen, dass sich auch in Krisenre-
gionen ein Bild von der tatsächlichen Lage gemacht wer-
den kann.

Zur Zielsetzung „globale Zivilgesellschaft“ gehört
auch, dass wir dort, wo es Informationsmängel gibt, den
Auftrag haben, Angebote zu unterbreiten, die diesem De-
fizit etwas entgegensetzen. Hier ist das Ziel nicht in erster
Linie die mediale Außenrepräsentanz Deutschlands, son-
dern der Beitrag zu einer globalen Zivilgesellschaft. Ich
persönlich wünsche mir in diesem zweiten Bereich „Bei-
trag zur globalen Zivilgesellschaft“ mehr innereuropäi-




Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin
22992


(C)



(D)



(A)



(B)


sche Zusammenarbeit, mehr Koordination, auch im Sinne
des Maastrichter Vertrags.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423104400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1423104500
Herr Staats-
minister Professor Nida-Rümelin, Ihre wohlgesetzten
Worte können nicht verleugnen, dass die Deutsche Welle
so etwas wie der verlorene Sohn der rot-grünen Bundes-
regierung ist.


(Lachen bei der SPD)

In der Koalitionsvereinbarung hieß es zwar noch so
schön, Sie wollten eine Verbesserung der medialen
Außenrepräsentanz Deutschlands, doch dann begann der
private Rachefeldzug des Michael Naumann gegen die
Deutsche Welle und ihren damaligen Intendanten.

Im Zuge dieses – jetzt wollen wir uns an die Zahlen
halten – parteipolitischen Kreuzzuges


(Lachen bei der SPD)

wurde der Bundeszuschuss – –


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt sind wir wieder im Wahlkampf gelandet! Sehr schön!)


– Hören Sie mal den Zahlen zu.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich wollte nur auf den Wahlkampf aufmerksam machen!)


– Sie wollen es offensichtlich nicht hören, deshalb wie-
derhole ich es:


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Doch!)

Im Zuge dieses parteipolitischen Kreuzzuges wurde der
Bundeszuschuss von geplanten 635 Millionen auf ge-
plante 551 Millionen heruntergefahren. Das ist nach mei-
ner Rechnung deutlich mehr als der sonstige Kürzungs-
aufwand der Bundesregierung. Die Zahl der Stellen wurde
von geplanten 1 726 auf 1 329 im Jahr 2004 gekürzt.

Lieber Herr Nida-Rümelin, wenn Sie, was sich ja schön
anhört, der Deutschen Welle die Aufgabe zumessen wollen,
die Sie gerade beschrieben haben – nämlich einen Beitrag
zu einer zivilen Weltgesellschaft zu leisten –, dann müssen
Sie für diesen Sender schon ein bisschen mehr tun, damit er
in die Lage versetzt wird, diese hehren Ziele zu verfolgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Zeit, in der diese Kürzungen erfolgt sind, sind

die Zuwendungen, also die Gebührengelder, für ARD und
ZDF um rund 30 Prozent angestiegen, und zwar mit dem
Hinweis auf die medialen Preissteigerungen. Man muss
sehen, dass es hier überdurchschnittliche Preissteigerun-
gen gegeben hat.

Meine Damen und Herren, wie sehr der Bundesregie-
rung die Deutsche Welle am Herzen liegt, wird auch in ei-
nem Papier des Bundespresseamtes von vor einigen Jah-
ren deutlich, in dem der Deutschen Welle sogar die
verfassungsrechtlich gesicherte Rundfunkfreiheit abge-
sprochen wurde. Auch das lässt sich nicht verleugnen.
Deshalb möchte ich es in Ihre Erinnerung zurückrufen.

Man zitiert sich ja selbst ungern, aber ich habe einmal
eine Dokumentation zusammengestellt, in der alle Staats-
eingriffe bei der Deutschen Welle zusammengestellt wor-
den sind.


(Abg. Monika Griefahn [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Wenn meine Vorsitzende fragt!


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423104600
Dann unterbrechen
Sie schon wie von allein?


(Heiterkeit)

Kollegin Griefahn, bitte schön.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1423104700
Herr Otto, der Staatsminis-
ter hat gerade darauf hingewiesen, dass das Programm
vom Intendanten und nicht von der Politik – es ist also
nicht unsere Aufgabe – gestaltet wird. Meinen Sie nicht,
dass das wirklicher Ausdruck von Staatsferne ist, über die
wir gerade diskutieren und die wir alle wollen?


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1423104800
Ich bedanke
mich ausdrücklich für diese Frage, liebe Frau Griefahn.
Schauen Sie sich das „Hanten-Papier“, das aus den Rei-
hen der Regierung kam, an. Damit sollten die Journalisten
der Deutschen Welle an die Leine gelegt werden, indem
ihnen Vorgaben – man muss sich das vorstellen: Unab-
hängigen Journalisten sollten Vorgaben gemacht werden,
wohlgemerkt von der Bundesregierung – hinsichtlich der
Schwerpunktsetzung und der Zielgebiete gemacht wur-
den.

Meine liebe Kollegin Griefahn, Sie sind nach Ihrem
Vorschlag zu einer staatlichen Sperrminorität für die
Kirch-Gruppe Spezialistin für Staatsferne. Ich möchte Sie
doch etwas fragen: Halten Sie das, was hier im Namen des
Bundeskanzleramtes veröffentlicht wurde und womit die
Journalisten an die Leine gelegt werden sollten, für staats-
fern? Ich habe mit dieser Auffassung von Staatsferne, die
die Koalitionsfraktionen hier immer vertreten, Probleme.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Mit Recht!)


Noch immer hat die Bundesregierung trotz ihrer viel-
fältigen Ankündigungen kein schlüssiges Konzept oder
einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Antwort der Bundes-
regierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU, über die
wir heute reden, erinnert in ihrer belletristischen Präzision
streckenweise an Hedwig Courths-Mahler. Nur an einer
Stelle wird die Bundesregierung konkret, wenn es näm-
lich um die Haushaltsrisiken für das neue Projekt German
TV geht. In der Antwort auf die Frage 17 der CDU-Frak-
tion schreibt die Bundesregierung:




Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Aus-
weitung des Programms über die USA hinaus ... aus
Erträgen des Programms und ggf. aus eigenen Mit-
teln der Deutschen Welle finanziert werden soll.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Völlig illusorisch!)


– Damit ist die Katze aus dem Sack.
Als uns das neue Auslandsprogramm mit solchen Qua-

litätsbeiträgen wie „Forsthaus Falkenau“ und „Unser
Charly“ vorgestellt wurde, hat die Bundesregierung aus-
drücklich mehrfach versichert, dass dieses Experiment
nicht zulasten des ohnehin geschrumpften Haushalts der
Deutschen Welle gehen dürfe.


(Beifall bei der FDP)

Diese haushaltstechnische Brandmauer war für alle

Fraktionen – ich gehe davon aus, dass dies auch für die
Koalitionsfraktionen gilt – die Geschäftsgrundlage dafür,
dass wir uns auf dieses Experiment eingelassen haben.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Sehr wahr!)

Ich empfinde es als Täuschung des Parlaments, wenn
diese finanzielle Brandmauer jetzt eingerissen werden
soll.

Über diese Täuschung könnte ich leichter hinwegse-
hen, wenn das Konzept des German TV Erfolg verspre-
chend wäre. Jedoch ist das Gegenteil der Fall. Bisher hat
German TV trotz großen Werbeaufwandes – immerhin
ist der Intendant mit großer Korona nach Washington ge-
reist und hat dort Veranstaltungen gemacht – nur rund
900 Abonnenten werben können. Dies sind deutlich we-
niger Abonnenten, als die private Konkurrenz Channel D
mit ihrem Minietat in Höhe von nur einem Bruchteil des
Etats, über den wir jetzt reden, hat und die von der
Bundesregierung immer als „Garagensender“ verhöhnt
wurde. Der Flop des German TV war leider vorherzuse-
hen. Der Bundesrechnungshof hat die Bundesregierung
eindrücklich davor gewarnt, aber man hat sich darüber
hinweggesetzt und hat jetzt den Schlamassel.

Die 15 Dollar – der Kollege Neumann hat darauf hin-
gewiesen – Miete pro Monat mögen vielleicht für Freunde
von „Forsthaus Falkenau“ und „Unser Charly“ noch ein
bezahlbarer Betrag sein. In den USA sind die Menschen
ganz ausgehungert nach solchen Qualitätsbeiträgen. Das
Problem liegt aber darin, dass man nicht einen Transpon-
der auf einem der in den USA üblichen Satelliten gemie-
tet hat, wie zum Beispiel Direct-TV oder Eco Star, worauf
alle ihre Schüsseln ausgerichtet haben. Man hat sich statt-
dessen einen neuen Satelliten ausgesucht, über den bei-
spielsweise auch das irakische Fernsehen – das ist auch
sehr interessant – verbreitet wird. Deswegen muss jeder
Abonnent, der GermanTVbeziehen will, zunächst einmal
400 US-Dollar bezahlen. Dies erinnert mich fatal an die
d-box, für die man zuerst einmal 800 DM bezahlen
musste, um Premiere beziehen zu können, und die später
dem Herrn Kirch das Genick gebrochen hat.

Ich will hier noch ein weiteres Problem ansprechen,
das uns noch großes Kopfzerbrechen bereiten wird: Welt-
weit wird Free-TV über analoge Satelliten verbreitet, weil

viele Länder noch nicht so weit sind und dies über digi-
tale Satelliten verbreiten. In den USA wird jetzt aber das
Pay-TV über digitale Satelliten verbreitet. Es müssen also
neue Satelliten angemietet werden. Es muss technisch
umgerüstet werden. Das alles kostet Geld und soll alles
zulasten des ohnehin gebeutelten Etats der Deutschen
Welle gehen.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Ich spreche hier für die FDP-Fraktion, hoffe aber, dass
sich alle Fraktionen dieses Hauses dem Appell anschlie-
ßen können. Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Die Deutsche
Welle, dieser wichtige Beitrag für die Außendarstellung
Deutschlands, braucht jetzt die Fürsorge des gesamten
Hauses, des deutschen Parlaments. Sie braucht vor allen
Dingen eines: Planungssicherheit. Weil die Deutsche Welle
Planungssicherheit braucht, fordere ich Sie auf und bitte
Sie, dem Entschließungsantrag der FDP Ihre Zustimmung
zu erteilen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423104900
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Grietje Bettin.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423105000
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus meiner
Sicht eignet sich die Deutsche Welle für den Wahlkampf
nur denkbar schlecht. Unsere Welt wird immer globaler.
Dies hat selbstverständlich auch erhebliche Konsequen-
zen für die Medienlandschaft. Daran sollten wir alle ge-
meinsam arbeiten. Ein nationaler Rundfunk kann viel-
leicht noch bestimmte Zielgruppen im Ausland erreichen,
als eigenständige Stimme geht er aber unter, wenn sein
Programm nicht mit den entsprechenden europäischen
Angeboten abgestimmt bzw. koordiniert wird.

Auslandsrundfunk ist immer noch ein Privileg. Die
Deutsche Welle, BBC World und Radio France sind quali-
tativ hochwertige Programme, die eine wichtige Rolle in
der Außendarstellung Europas spielen und zukünftig noch
stärker spielen werden. Deshalb sagen wir ganz klar: Die
Zukunft des deutschen Auslandsrundfunks ist eng mit dem
Zusammenwachsen Europas verbunden. Sicherlich macht
es Sinn, der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik ei-
nen entsprechenden Raum im Programmangebot der Deut-
schen Welle zu geben. Wir Bündnisgrüne lehnen jedoch
alle Pläne, aus der Deutschen Welle eine Art Deutschland-
kanal oder – auf das Internet bezogen – Deutschlandportal
zu machen, ab. Versuche, einen Staatsrundfunk in Deutsch-
land einzuführen, sind bisher zu Recht – spätestens beim
Verfassungsgericht – immer gescheitert.

Wir sind uns mit der Bundesregierung vollkommen
darin einig, dass eine grundlegende Reform des deutschen
Auslandsrundfunks wichtig und notwendig ist. Ein ent-
scheidender Grund für den Vorschlag der Bundesregie-
rung, zukünftig verstärkt auf den Online-Auftritt der
Deutschen Welle zu setzen, ist sicherlich die – nieman-




Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

22994


(C)



(D)



(A)



(B)


den wird es überraschen – Finanzknappheit des Bundes.
Die bereits erfolgten und noch folgenden Kürzungen
beim Bundeszuschuss für die Deutsche Welle sind sicher-
lich schmerzhaft und werden zukünftig noch ein-
schneidender sein. Gerade durch die weltweit gestiegene
Bedeutung des Internets liegt aber auch eine Chance in
diesen Einschnitten. Im Übrigen – das betone ich immer
wieder gerne – kosten nicht alle sinnvollen Reformen
Geld. Das Online-Angebot der Deutschen Welle ist be-
reits heute hervorragend und kann zukünftig aufgrund der
Dialogfähigkeit des Internets noch erheblich an Bedeu-
tung gewinnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich das
interkulturelle Potenzial der Deutschen Welle noch stär-
ker nutzbar machen würde – immerhin kommt die Beleg-
schaft der Deutschen Welle aus 69 Nationen –, könnte
man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Dann
würden nämlich nicht mehr nur Ausländer etwas über
Deutschland erfahren, sondern auch mehr Deutsche etwas
über das Ausland. Dies ist schon mit einfachen Mitteln
möglich. So hat zum Beispiel Hans Kleinsteuber, Mit-
glied im Rundfunkrat der Deutschen Welle, vorgeschla-
gen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Wissen
in Form von kommentierten Links in das Internetangebot
der Deutschen Welle einbringen sollten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aber natürlich
ganz klar, dass nicht das gesamte Angebot des deutschen
Auslandsrundfunks in das Internet verlagert werden darf.
Nach Angaben der Deutschen Welle nutzen heute nur
etwa 4 Prozent der Adressaten das Internet, über 70 Pro-
zent empfangen die Sendungen aber über die Kurzwelle.
Auch wenn sich diese Zahlen langfristig sicherlich ändern
werden: Das Internet wird die Kurzwellenempfänger
kaum vollständig verdrängen können,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig! Das stimmt!)


schon gar nicht in jenen Ländern der Welt, in denen das
Radio allein aus Kostengründen das wichtigste Medium
bleiben wird und der Zugang zum Internet schwierig oder
gar nicht möglich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)


Die Ausgewogenheit der verschiedenen Programm-
säulen ist auch zukünftig einer der wichtigsten Punkte im
Programmauftrag für den deutschen Auslandsrundfunk.
Neue Schwerpunkte müssen aber offen diskutiert und be-
rücksichtigt werden. Eine der wichtigsten Funktionen ei-
nes fremdsprachigen Programms ist nach wie vor, objek-
tiven Journalismus in Ländern ohne Pressefreiheit zu
verbreiten. Herr Nida-Rümelin hat es angesprochen.

In zwei Dritteln der Welt existieren nach wie vor keine
freien Medien und auf dem Markt der globalen Auslands-
sender etablieren sich zunehmend besonders autoritäre
und demokratiefeindliche Staaten wie Saudi-Arabien,
China oder der Iran mit propagandistischen Angeboten.
Deshalb begrüße ich den Vorschlag meiner Kollegin aus
dem Berliner Abgeordnetenhaus, Alice Ströver, die Deut-
sche Welle nicht nur in schon bestehenden Krisensituatio-
nen vermehrt als eine Art Kompensationsmedium einzu-

setzen, sondern sie auch als Frühwarnsystem für Krisen
zu nutzen.


(Monika Griefahn [SPD]: Das sagen wir schon lange!)


Ich denke aber nicht nur an fundamentalistischen
Druck von außen, sondern auch an berechtigte Bedenken
und Ängste über eine zunehmend auch von Europa aus-
gehende Globalisierung. Für diese Fragen steht mit der
Deutschen Welle sicherlich ein großes aufklärerisches
und präventives Potenzial zur Verfügung, wobei ich aller-
dings keine zu hohen Erwartungen bezüglich der Chancen
wecken will.

Grundsätzlich gilt: Wir wollen der Welt ein weltoffenes
tolerantes Deutschland als Teil eines ebenso weltoffenen
und toleranten Europas präsentieren. Dafür brauchen wir
den deutschen Auslandsrundfunk. Daran sollten wir ge-
meinsam weiterarbeiten.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423105100
Liebe Kol-
leginnen! Liebe Kollegen! Auf der Besuchertribüne des
Deutschen Bundestages hat eine Delegation des Parla-
ments der Republik Malta Platz genommen. Ich heiße die
Kolleginnen und Kollegen herzlich willkommen.


(Beifall)

Ich wünsche Ihnen erfolgreiche und fruchtbare Gespräche
in unserem Lande und eine gute Heimkehr in Ihr schönes
Land.

Wir fahren in der Aussprache fort. Ich gebe nunmehr
der Kollegin Angela Marquardt das Wort. Sie spricht für
die Fraktion der PDS.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1423105200
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Im Rahmen der Aktuellen Stunde
zur Kirch-Pleite haben alle Fraktionen im Hause festge-
stellt, wie wichtig die Staatsferne von Medien und wie
schändlich der politische Einfluss ist.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja!)

Trotzdem reden wir heute über einen Staatssender, der aus
dem Bundeskanzlerhaushalt finanziert und dessen Pro-
grammauftrag hier im Parlament festgelegt wird.

Die Geschichte der Deutschen Welle geht auf den Kal-
ten Krieg zurück. Sie war damals ein Instrument der Bun-
desregierung. Die ursprüngliche Aufgabe hat sich logi-
scherweise verändert. Sie ist in den letzten Jahren diskutiert
worden und muss auch weiterhin diskutiert werden. Aber
in der Antwort auf die Anfrage der Union fehlt mir die
heutige Aufgabe des Auslandsrundfunks. Wo soll es hin-
gehen? Ich möchte nicht bezweifeln, dass es für einen Aus-
landsrundfunk sinnvolle Aufgaben gibt. Es geht also nicht
darum, ihn abzuschaffen. Aber wir brauchen eine Neufas-
sung des Programmauftrages. Ich denke, dass die Novel-
lierung des Deutsche-Welle-Gesetzes längst überfällig ist.


(Beifall bei der PDS und der FDP)





Grietje Bettin

22995


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich glaube, dass es unverantwortlich gewesen ist, German
TV einzuführen, bevor diese Grundsatzdebatte geführt
worden ist.


(Beifall bei der PDS und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die jüngsten Entwicklungen bei der Deutschen Welle
finde ich dennoch nicht alle verkehrt. Wenn German TV,
das eine produktive Konkurrenz zum jetzigen Deutsche
Welle TV sein kann, mittelfristig als Free-TV empfangbar
ist, kann das eine irgendwann das andere ersetzen; denn
beide Sender parallel laufen zu lassen, kann ich mir als
Dauerlösung nicht vorstellen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist aber ein heißes Eisen! Dann haben wir nur noch „Forsthaus Falkenau“! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Das verstehen Sie wenigstens!)


Was die Bundesregierung und der Intendant zum neuen
Profil und zum interkulturellen Dialog gesagt haben,
klingt in meinen Ohren vernünftig. Dialog statt Monolog,
Multikultur statt Monokultur halte ich für richtig. Der
Dialog ist natürlich eine Voraussetzung für das vom
Staatsminister angesprochene Ziel, über die globale Zi-
vilgesellschaft und über Werte zu diskutieren. Aber ich
möchte Sie fragen: Wer hört denn hierzulande Radiosen-
der aus Kenia oder Japan?


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Täglich!)


Wer diesen Dialog ernst meint, muss sich Gedanken
darüber machen, wie man das Interesse an ausländischen
Sendern und ausländischen Kulturen fördert. Wenn die
Bundesregierung die Idee ins Spiel bringt, dass die Deut-
sche Welle diesen Auftrag eventuell im Inland überneh-
men könnte, oder, wie Kollegin Griefahn gesagt hat, aus
der Einbahnstraße eine Zweibahnstraße gemacht wird,
dann ist die Kritik der Union an einer Expansion des
Rundfunks im Inland durchaus berechtigt, weil wir damit
einen staatsfinanzierten Sender hätten, der im Inland tätig
wäre, was wir – das ist heute angeklungen – so nicht als
Zielstellung haben.

Das ist das Dilemma dieser ganzen Diskussion und der
Deutschen Welle. Ich halte den Programmauftrag dann für
fortschrittlich und sinnvoll, wenn er darauf hinausläuft,
dass das Leitmotiv der Deutschen Welle der Dialog der
Kulturen ist. Aber dies würde gleichzeitig bedeuten, dass
sie im Inland tätig würden. Dies ist aber eine Aufgabe, die
keinesfalls von einem staatsfinanzierten und damit not-
wendigerweise abhängigen Sender übernommen werden
sollte. Dafür haben wir das große Angebot der privaten
Sender bzw. das des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Ohne die Deutsche Welle an sich infrage zu stellen,
will ich deutlich machen, dass die grundsätzliche Frage
nach den Aufgaben und der Notwendigkeit des Auslands-
rundfunks nicht beantwortet ist.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Absolut! Das stimmt!)


Wir führen diese Diskussion nicht zum ersten Mal, son-
dern haben uns auch schon im Ausschuss darüber unter-

halten. Diese Grundsatzdebatte über den Programmauf-
trag muss geführt werden. Bevor über weitere Verände-
rungen und über die Finanzen diskutiert wird, müssen wir
über die Inhalte diskutieren. An den Inhalten müssen sich
die Finanzen entlanghangeln.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Und über den Auftrag!)


– Und entlang des Auftrags.
In diesem Punkt – in anderen nicht so sehr – stimme ich

dem Entschließungsantrag der FDP ausdrücklich zu: Wir
benötigen so schnell wie möglich einen Entwurf für ein
neues Deutsche-Welle-Gesetz. Am liebsten wäre es auch
mir – ich habe leider nicht so viel Einfluss darauf –, wenn
wir noch in dieser Legislaturperiode über einen solchen
Entwurf debattieren könnten. Wir werden diese Diskus-
sion weiterführen. Es wäre aber schade, wenn weiterhin
Tatsachen geschaffen würden, ohne dass die Debatte um
die Inhalte geführt worden ist. Lassen Sie es uns umge-
kehrt machen; dann kommen wir vielleicht auch zu einem
guten Ergebnis.


(Beifall bei der PDS und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423105300
Ich erteile
dem Kollegen Dr. Joseph-Theodor Blank für die Fraktion
der CDU/CSU das Wort.


Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID1423105400
Herr Prä-
sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dieses
Haus hat mich vor vielen Jahren in den Rundfunkrat der
Deutschen Welle entsandt, dessen stellvertretender Vor-
sitzender ich seit dieser Zeit bin. Im Rundfunkrat wie auch
im Verwaltungsrat der Deutschen Welle sitzen Mitglieder
der Bundesregierung – nicht Beamte, sondern Bundes-
minister und Staatsminister. Auch ist der Bundesrat im
Rundfunkrat und im Verwaltungsrat vertreten.

Rundfunkrat und Verwaltungsrat der Deutschen Welle
haben vor wenigen Wochen, nämlich am 15. März, in ei-
ner gemeinsamen Beratung – hier kann ich nahtlos an das
anschließen, was die ganze Zeit über angesprochen wor-
den ist – ein Unternehmensprofil der Deutschen Welle
formuliert. Ausgehend von der Überlegung, dass die
Deutsche Welle ein elektronisches Informationsportal für
Menschen in aller Welt sein soll, die einen Zugang zu un-
serem Land suchen, lege ich die sieben Zielsetzungen
stichpunktartig dar, die von den beiden Gremien vor we-
nigen Wochen verabschiedet worden sind:

als „Stimme Deutschlands in der Welt“ durch unab-
hängigen Journalismus mit pluralistischer Pro-
grammgestaltung das Ansehen Deutschlands zu för-
dern;
in Ländern mit eingeschränkter oder fehlender Infor-
mations- und Medienfreiheit unabhängige und un-
zensierte Informationen zur Verfügung zu stellen;
die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen In-
teressen Deutschlands zu flankieren – auch indem
deutsche Interessen in und Beziehungen zu den Ziel-
gebieten eingehend dargestellt und erläutert werden;




Angela Marquardt
22996


(C)



(D)



(A)



(B)


die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik jour-
nalistisch zu begleiten; als Kulturträger weltweit
Deutschland im Ausland als Kulturnation zu vermit-
teln; ...
einen Bildungsauftrag wahrzunehmen durch die Ver-
mittlung von Werten wie Toleranz, von demokra-
tischen Grundsätzen, von gesellschaftlichen Freihei-
ten;
den Prozess der europäischen Einigung zwischen
den westeuropäischen Staaten und jenen Mittel-,
Ost- und Südosteuropas intensiv zu begleiten.

Herr Staatsminister, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, das sind sieben Zielsetzungen, die in die Über-
legungen einfließen könnten, wenn man über den Pro-
grammauftrag der Deutschen Welle bei einer künftigen
Novellierung des Deutsche-Welle-Gesetzes nachdenkt.

Die Crux ist, dass die Deutsche Welle zwar mit den
Vertretern von Bundesregierung und Bundesrat hehre
Zielvorstellungen formulieren kann, dass sie aber nicht
wie die anderen Rundfunkanstalten agieren kann, sondern
als bundesfinanzierter Sender von den Haushaltsbe-
schlüssen des Deutschen Bundestages abhängig ist. Herr
Staatsminister, es wäre ein erheblicher Fortschritt, wenn
man sich vor weiteren Finanzentscheidungen


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So ist es!)


auf Erfordernisse und Rolle, Funktion und Selbstver-
ständnis des deutschen Auslandsrundfunks einigen
könnte


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und nicht, wie unter Ihrem Vorgänger erwiesenermaßen
geschehen, einfach Budgetkürzungen vornimmt, ohne je-
mals auch nur ansatzweise den Versuch gemacht zu ha-
ben, eine solche Debatte zu führen oder gar zu gemeinsa-
men Ergebnissen zu kommen. Eine erfolgreiche
Unternehmenspolitik setzt verlässliche Planung und an-
gemessene, funktionsgerechte Finanzierung voraus.
Hierzu gehört unabdingbar die Verstetigung der Finanzie-
rung des deutschen Auslandsrundfunks.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

In § 44 des Deutsche-Welle-Gesetzes wird der Deut-

schen Welle eine Finanzierungsgarantie eingeräumt, die
nach übereinstimmender Auffassung von Verwaltungs-
und Rundfunkrat verfahrensrechtlich durch eine eindeu-
tige Regelung ergänzt und damit abgesichert werden
muss. Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer Antwort auf
die Anfrage meiner Fraktion gesagt, die Bundesregierung
wolle „zu verlässlichen mehrjährigen finanziellen Pla-
nungsgrundlagen“ für die Deutsche Welle kommen. Ge-
statten Sie mir, erhebliche Zweifel daran zu äußern, ob
diesen schönen Worten auch Taten folgen werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Herr Staatsminister, in der jüngsten Rundfunkrats-

sitzung, von der ich gerade mehrfach berichtet habe, frag-
ten wir nach dem Stand der bisherigen vorbereitenden
Verhandlungen mit der Bundesregierung im Hinblick auf

die finanzielle Seite; das ist die Aufgabe des Rundfunk-
rats. Ich unterstelle einmal, dass Ihnen die Ergebnisse der
Besprechung auf Arbeitsebene jedenfalls im Groben be-
kannt sind.

Ich habe deswegen Zweifel an der Absicht der Bun-
desregierung, zu „verlässlichen mehrjährigen finanziellen
Planungsgrundlagen“ für die Deutsche Welle zu kommen,
wie Sie als Antwort auf diese Anfrage geschrieben haben.
Auf Arbeitsebene ist mitgeteilt worden, dass die bei der
Deutschen Welle in der mittelfristigen Finanzplanung für
das nächste Jahr prognostizierte Unterdeckung von 4Mil-
lionen Euro nicht ausgeglichen werden soll.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

Es gibt keine Bereitschaft, die Finanzierung für den deut-
schen Auslandskanal um ein Jahr zu verlängern.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Auslandsskandal!)


Es gibt keine Bereitschaft, durch Verpflichtungsermäch-
tigungen zu einer Absicherung der Finanzierung über
mehrere Jahre zu kommen. Es gibt keinerlei finanzielle
Mittel für die Ausweitung von German TV nach Südame-
rika über die USA hinaus. Der Leertitel „Krisenradio“
bleibt ein Leertitel, denn es gibt keine Bereitschaft einer
finanziellen Honorierung zum Beispiel für die Tätigkeit
der Deutschen Welle für Afghanistan, um ein aktuelles
Beispiel zu nennen, oder zum Beispiel für die Aktivitäten
im Zusammenhang mit der Berichterstattung nach dem
11. September 2001.

Ich komme zum letzten Punkt. In der mittelfristigen
Finanzplanungwird ein Anstieg der Investitionen für die
Jahre 2005 und 2006 zwar vorgesehen und heute noch
nicht bestritten, aber nicht durch Verpflichtungsermächti-
gungen abgesichert.

Herr Staatsminister, ich denke, Sie haben eine schöne
Aufgabe, dazu beizutragen, dass die Schizophrenie in der
Politik begrenzt bleibt.


(Susanne Kastner [SPD]: Das ist gar nicht so einfach!)


– Das ist nicht so einfach; das habe ich nach 20 Jahren Zu-
gehörigkeit zu diesem Haus an der einen oder anderen
Stelle, um es ganz vorsichtig auszudrücken, immer wie-
der erlebt.

Aber jetzt ernsthaft: Wenn in den Gremien der Deut-
schen Welle wie Rundfunkrat und Verwaltungsrat, die
hierzu berufen sind, gemeinsame Beschlüsse und Ent-
schlüsse zustande kommen, die nach Vorbereitung durch
den neuen Intendanten diesen Gremien vorgelegt werden,
und wenn sich an diesen Beratungen und Beschlüssen
Mitglieder der Bundesregierung beteiligen, dann erwarte
ich eigentlich, dass die Konsequenz daraus auch eine ein-
heitliche Antwort der Bundesregierung ist und nicht die
einen, die in diesen Gremien sitzen, so reden und die an-
deren anders handeln. Deswegen haben Sie die schöne
Aufgabe, Äußerungen und Taten zusammenzuführen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)





Dr. Joseph-Theodor Blank

22997


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423105500
Nun spricht
die Kollegin Monika Griefahn für die Fraktion der SPD.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1423105600
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen De-
batte sprechen wir über die Inhalte, und das ist auch gut
so.

Herr Neumann und Herr Otto, wenn Sie von Staatsfunk
und davon reden, dass die bestehenden Besitzverhältnisse
gleich Staatsfunk bedeuten, gebe ich Ihnen zu bedenken:
Die Deutsche Welle ist ein Sender, der zu 100 Prozent
vom Bund finanziert wird, aber mitnichten ein Staatsfunk
ist. Das haben wir immer wieder deutlich gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielmehr ist die Deutsche Welle ein Sender, der mit seinem
im Gesetz festgelegten Programmauftrag, mit einem Inten-
danten und einer Redaktion eigenständige redaktionelle Ar-
beit leistet. Das geht sogar so weit – das haben wir manch-
mal leidend feststellen müssen –, dass in unterschiedlichen
Sprachregionen gegensätzliche Auffassungen transportiert
werden. Wir haben gerade in der Debatte über Kosovo er-
lebt, dass der serbische und der kosovarische Teil unter-
schiedlich berichtet haben. Insofern kann man hier mit-
nichten von Staatsfunk reden. Herr Neumann, deshalb ist
auch mit der kurzfristigen Übernahme des Besitzes nicht
automatisch die Tatsache verbunden, dass es sich um ei-
nen Staatsfunk handelt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN])

Bei der Deutschen Welle geht es nicht nur um die Frage,

wie wir uns darstellen, sondern sie ist auch ein Element der
internationalen Kulturbeziehungen Deutschlands. Bekannt-
lich werden in 30 Sprachen Online-Dienste und Radiopro-
gramme und in drei Sprachen Fernsehprogramme gesendet.
Außerdem gibt es ab 1. Juli eine, wie ich meine, tolle Neue-
rung: Über Nilesat werden deutschsprachige Fernsehsen-
dungen mit arabischen Untertiteln ausgestrahlt, sodass dann
auch Länder von Marokko bis Oman über andere Informa-
tionsmöglichkeiten verfügen als bisher. Das entspricht dem,
was die Frau Kollegin eben gesagt hat, nämlich dass es sehr
wichtig ist, einen Zugang zu anderen Informationsmöglich-
keiten zu schaffen.

Nach dem 11. September 2001 stehen wir vor neuen
Herausforderungen. Das heißt, der Programmauftrag im
geltenden Deutsche-Welle-Gesetz, das Bild von Deutsch-
land in die Welt zu transportieren, reicht nicht mehr aus.
Deswegen sind bereits in den vergangenen Jahren das Kri-
senradio und das Kompensationsradio hinzugekommen.
Ich meine, wir haben die Deutsche Welle auch immer als
Mittel der deutschen auswärtigen Kulturpolitik diskutiert
und sie in dieses Konzept mit eingebunden. Durch die
„Konzeption 2000“, das neue Konzept der auswärtigen
Kulturpolitik, wird die Zweibahnstraße besonders forciert.

Daraus folgt auch – das finde ich sehr positiv; das sollte
man auch zur Kenntnis nehmen –, dass in den Sendungen
vor Ort eben nicht mehr ausschließlich das Bild von

Deutschland in der Welt transportiert wird, sondern dass
Informationen aus den Regionen in die Regionen ge-
sendet werden. Das ist das Positive, wodurch die Men-
schen überhaupt erst die Möglichkeit bekommen, sich zu
informieren, und ihnen deutlich gemacht wird, dass es
auch andere Meinungen gibt als die, die zum Beispiel über
den Staatsrundfunk, den es tatsächlich in vielen Ländern
gibt – auch Frau Marquardt hat das angesprochen –, ver-
breitet werden. An dieser Stelle setzen wir an. Dabei haben
wir natürlich ein Credo, das auch in dem Auftrag enthalten
ist, nämlich das Weltbild der Aufklärung, Menschenrechte
und Demokratie zu vermitteln, und zwar in allen Teilen
der Welt. In diesem Zusammenhang ist es besonders
wichtig – das muss zusätzlich aufgenommen werden –,
Jugendliche anzusprechen und Informationen nicht nur an
Multiplikatoren in schon gesetzteren Positionen zu ver-
mitteln. Es muss ein Programmtyp entwickelt werden, der
Jugendliche anspricht und ihnen ermöglicht, gar nicht erst
in Gewalt und Terror zu verfallen, sondern durch einen
anderen Zugang zu Informationen zu Demokratie und
Menschenrechtsentwicklung in ihren Ländern beizutra-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Deutsche Welle hat finanzielle Einschränkungen
durchführen müssen. Sie hat aber mitnichten so umfang-
reiche Entlassungen vornehmen müssen, wie es vorher
angekündigt bzw. angedroht worden war, sondern sie ist
kreativ mit der Situation umgegangen, was ich für sehr
positiv halte.

Wir haben es heute mit Konflikten in der Welt zu tun,
auf die flexibel reagiert werden muss. Deswegen schlage
ich vor, bei der zukünftigen Finanzierung tatsächlich ein
zweigeteiltes Konzept aufzulegen, nämlich zum einen ei-
nen Sockelbetrag im Haushalt festzulegen, damit die
Deutsche Welle planen und auch ihre Strukturen halten
kann, aber ihr zum anderen auch einen bestimmten Anteil
an der Finanzierung zu gewähren, damit sie flexibel rea-
gieren kann, um zum Beispiel in Krisensituationen nicht
erst dann aktiv zu werden, wenn der Konfliktfall schon
eingetreten ist.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423105700
Frau Kolle-
gin Griefahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Otto?


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1423105800
Ja.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1423105900
Frau Kolle-
gin Griefahn, ich habe durchaus mit Freude und Zustim-
mung gehört, dass Sie den Programmauftrag der Deut-
schen Welle über Multiplikatoren hinaus auf die Jugend
erweitern wollen. Damit sind Sie schon weiter als die
Bundesregierung, in deren Papier die Jugend noch nicht
aufgeführt war.

Teilen Sie meine Auffassung, dass jede Erweiterung
des Programmauftrags konsequenterweise auch mit einer
finanziellen und materiellen Besserstellung dieses Sen-
ders verbunden sein muss?






(C)



(D)



(A)



(B)



Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1423106000
Herr Otto, ich bin gerade da-
bei, mein Konzept für den zukünftigen Haushalt vorzu-
stellen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig! Das weiß ich!)


Ich führe nämlich gerade aus, dass ich eine Grundfinan-
zierung auf der Basis des am Ende der Konsolidierungs-
phase abgeschmolzenen Betrages möchte und dass dann
Mittel gewährt werden, die flexibel zu gestalten sind und
insofern für Kriseninterventionen eingesetzt werden kön-
nen.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Das wäre ja dann deutlich mehr!)


Das ist im Übrigen in Einzelfällen auch so geschehen. Das
Auswärtige Amt hat zum Beispiel für den Kosovo zusätz-
liche Mittel zur Verfügung gestellt. Ich würde mir wün-
schen, dass wir sozusagen zu einem flexiblen Betrag kom-
men, damit nicht in jedem Einzelfall einzelne Dinge
hinzugefügt werden müssen. Das sollte in das Deutsche-
Welle-Gesetz eingestellt werden. Für welche Projekte die
Mittel verwendet werden, muss man dann sehen. Wir müs-
sen – darüber sind wir uns alle sicherlich einig – durch das
Einstellen entsprechender Mittel in den Haushalt der Deut-
schen Welle Planungssicherheit garantieren. Nur dann
können entsprechende Perspektiven erarbeitet werden.

Wir müssen im Rahmen der Novellierung des Deut-
sche-Welle-Gesetzes über die Ausweitung des Programm-
auftrags, die Dialogfunktion, die Krisenfunktion und die
Kompensationsfunktion diskutieren. Vor diesem Hinter-
grund finde ich es richtig – um noch einmal auf Ihren Bei-
trag einzugehen, Herr Otto –, zusammen mit dem Aus-
wärtigen Amt und der Ministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit schon jetzt zu überlegen, wo die Schwer-
punkte gesetzt werden sollen; denn man kann sicherlich
nicht in allen Krisenherden der Welt präventiv tätig sein.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Lassen Sie das doch die Redakteure entscheiden!)


Wir haben – das haben Sie selber mitgetragen – zum
Beispiel zusätzliche Mittel aus dem Etat des Auswärtigen
Amts für die Berichterstattung im Kosovo zur Verfügung
gestellt, damit die Menschen vor Ort eine zusätzliche In-
formationsquelle haben. Ich bin sehr froh, dass der Inten-
dant und die Redaktion selber veranlasst haben, dass ab
Mitte Mai zusätzlich Fernsehsendungen in Paschtu und
Dari übersetzt werden und dem afghanischen Fernsehen
zur Verfügung gestellt werden, damit die Bevölkerung vor
Ort breit informiert werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie gesagt, dieser Vorschlag kam aus der Intendanz selber.
Es ist unsere Aufgabe, solche Vorschläge aufzugreifen.

Man kann aber natürlich auch im Parlament wie im
Ausschuss eine politische Diskussion darüber führen, wo
wir uns engagieren sollen. Es ist ja schließlich auch unser
Job, über den Programmauftrag zu diskutieren. Nur, lie-
ber Herr Otto, eine seriöse Diskussion über haushalts-
rechtliche Fragen, über den Programmauftrag und über

die Frage, welche Medien welche Zielgruppen am besten
ansprechen – diese Frage hat auch schon der Herr Staats-
minister angesprochen –, ob man zum Beispiel nur deutsch-
sprachige Multiplikatoren oder nur Jugendliche erreichen
will – sicherlich erreicht man Jugendliche eher mit Inter-
netangeboten; diese sind aber nicht in allen Ländern vor-
handen; die Deutsche Welle, die auch auf Kurzwelle sen-
det, wird also ein wichtiges Medium bleiben –, erfordert ein
tieferes Verständnis. Deswegen müssen wir den Ent-
schließungsantrag Ihrer Fraktion – so gut ich auch seinen
Inhalt finde – leider ablehnen; denn wenn man ehrlich ist,
muss man zugeben, dass das, was dort gefordert wird, in
dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden
kann. Herr Otto, in den verbleibenden fünf Sitzungswo-
chen können wir Ihrem eigenen Anspruch, seriös über das
Deutsche-Welle-Gesetz und den Programmauftrag zu dis-
kutieren, nicht gerecht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch einmal kurz auf das German TV
zurückkommen. Sie sprachen immer nur von „Forsthaus
Falkenau“. Ich habe mir die Programme genau ange-
schaut und festgestellt: Es ist mitnichten so, dass es nur
Serien gibt. Diese gibt es natürlich auch. Es werden aber
auch Dokumentationen, politische Magazine und


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das ist seine Auswahl!)


– das schaut wahrscheinlich Herr Otto auf dem Kanal der
Deutschen Welle, weil er es zu Hause nicht sehen darf –


(Heiterkeit bei der SPD)

Kindersendungen wie zum Beispiel „Der Tigerentenclub“
und „Die Sendung mit der Maus“ angeboten. Das finde
ich sehr wichtig; denn das zeigt die Vielfalt und die Qua-
lität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutsch-
land, den wir erhalten wollen. Herr Otto ist ja hier ande-
rer Meinung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ich will ihn ausweiten!)


Wir halten das breite Angebot des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks für sehr wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf ein
paar Kernkompetenzen reduzieren. Wir dagegen wollen
ein breites Spektrum. Ein solches Spektrum wird auch in
German TV angeboten.

German TV ist ein Pilotprojekt in den USA. Wir wer-
den in den nächsten vier Jahren eine Anschubfinanzierung
in Höhe von 5,113 Millionen Euro pro Jahr leisten. Wir
werden dann sehen, ob ein solcher Sender in einem Land,
in dem Pay-TV etwas Normales ist, ankommt. Wir woll-
ten keinen Pay-TV-Sender in einem Land einrichten, in
dem es sonst nur Free-TV-Kanäle gibt. Wir müssen ab-
warten, wie German TV in einem Land ankommt, in dem
die Menschen sagen: Weil wir im Free-TV durch Werbe-
angebote zugemüllt werden, kaufen wir Pay-TV. Es gibt
ja in Deutschland die Angst, dass es auch bei uns einmal






(C)



(D)



(A)



(B)


so sein könnte. Darüber müssen wir als Medienpolitiker
noch einmal diskutieren.

Wir werden der Entwicklung des German TVden Raum
geben, den es braucht. Eine gewisse Anlaufzeit muss ein-
geräumt werden. Man kann nicht erwarten, dass man nach
zwei Monaten 70000 Abonnenten hat. Wenn man in zwei
Monaten 900 Abonnenten gewinnt, ist das schon ganz
ordentlich. Andere Firmen würden sich darüber freuen.

Meiner Ansicht nach befinden wir uns auf dem richti-
gen Weg, um in Zukunft innerhalb der internationalen
Kulturbeziehungen zu leisten, was nötig ist. Deutsch-
land und deutsche Außenpolitik stehen für Weltoffenheit
und Toleranz. Wir machen eine internationale Kultur- und
Medienpolitik, die für den Austausch auf der Basis be-
stimmter Werte steht. Die Deutsche Welle ist ein unver-
zichtbarer Teil der Beziehungen. Sie wird auch in Zukunft,
gerade wenn sich die neuen Medien so weiterentwickeln,
unverzichtbar sein.

Das Internetangebot der Deutschen Welle ist schon
heute ein hochqualitatives Einfallstor zur deutschen Kultur,
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir entwickeln das
Programm der Deutschen Welle weiter, um auch zukünftig
eine angemessene Außenrepräsentanz zu haben und einen
Beitrag zur Konfliktprävention zu leisten. Wir verfahren
nach dem Motto: Informieren statt missionieren. Das ist
die wesentliche Grundlage.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423106100
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/8819. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP abgelehnt.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauf-
tragten
Jahresbericht 2001 (43. Bericht)

– Drucksache 14/8330 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Das
Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Ich begrüße den Wehrbe-
auftragten des Deutschen Bundestages, Dr. Willfried
Penner, und gebe ihm das Wort.

Dr. Willfried Penner, Wehrbeauftragter des Deut-
schen Bundestages: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
ist nicht gehindert, neben kritischen Bemerkungen zum

Thema Bundeswehr auch solche anderer Art zu machen.
Das soll geschehen. Also denn: Die Bundeswehr funktio-
niert, jedenfalls alles in allem – wie denn auch nicht? Das
macht die Bundeswehr im Einsatz besonders sinnfällig.
Soldaten der Bundeswehr leisten guten, auch erstklassi-
gen Dienst. Im Einsatz wird das besonders deutlich. Sie
brauchen den internationalen Vergleich mit anderen nicht
zu scheuen. Ganz im Gegenteil: Zu Hause müssen Solda-
ten mit den Schwierigkeiten des Umbaus der Bundeswehr
ebenso zurechtkommen wie mit den Lücken, die der mi-
litärische Einsatz zur Folge hat. Sie tun dies mit viel En-
gagement und gutem Erfolg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Das ist aber nur die eine Seite.
Es gibt knapp 5 000 Eingaben von Soldaten an den

Wehrbeauftragten, weitere Befunde aus vielen Gesprä-
chen mit Soldaten und Informationen anderer Art, nach
denen die Armee auch in erheblichen Schwierigkeiten
ist. Das schlägt sich auf die Einstellung von Soldaten
nieder.


(Beifall des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU])

Das bringt mehr als nur schlechte Laune mit sich; das geht
eher in Richtung Groll und Hader und mündet auch in Re-
signation und Gleichgültigkeit. Das Ergebnis ist: Der sol-
datische Dienst kann zum ungeliebten Job werden.

Das hat handfeste Gründe:
Schmälerungen bei der Besoldung und Versorgung in

der letzten Zeit, aber auch weit in die 90er-Jahre hinein-
reichend, werden bei einer zunehmenden Anzahl von
Einsätzen und damit verbundenen zusätzlichen Belastun-
gen auch im Inland überhaupt nicht verstanden. Sie wer-
den ganz scharf kritisiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Der Beförderungs- und Verwendungsstau ist für die
davon betroffenen Soldaten ein bitteres Thema – hoffent-
lich gewesen. Es geht den Soldaten übrigens nicht nur um
mehr Geld, sondern auch um das berufliche Selbstver-
ständnis und die Anerkennung beruflichen Könnens. Es
ist zu hoffen, dass sich die durchgesetzten Verbesserungen
lindernd auswirken und auch zur Kenntnis genommen
werden.

Die Soldaten beklagen sich über Handfestes im tägli-
chen Umgang mit Ärzten, über Mangel an eingehenden
Untersuchungen, über Mangel an verantwortungsvoller
Beratung und über Mangel an sachgerechten Diagnosen.

Überlastung im Dienst wird von Soldaten immer wie-
der angesprochen. Eine Ursache dafür sind die häufigen
Auslandseinsätze und die damit verbundene Wahrneh-
mung von Zusatzaufgaben bis hin zu Dritt- und Viert-
funktionen durch einsatzbedingte Lücken. Weitere Belas-
tungen sind die häufige Abwesenheit vom Heimatstandort
durch Teilnahme an Lehrgängen und Übungen sowie Per-
sonalabstellungen zu unterschiedlichen Zwecken.




Monika Griefahn
23000


(C)



(D)



(A)



(B)


Den Befunden des Löchel-Berichtes, insbesondere zu
Schwächen im Führungsverhalten, muss nachgegangen
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Es kann kein Zufall sein, dass das Sozialwissenschaftliche
Institut der Bundeswehr im Herbst vergangenen Jahres
Ähnliches vermerkte. Ich füge hinzu: Äußerungen von
Soldaten an die Adresse des Wehrbeauftragten gingen in
dieselbe Richtung. Es wäre grundverkehrt, dies als Bös-
willigkeiten abzutun. Das Problem ist da und muss gelöst
werden. Weginterpretieren oder leugnen hilft nicht.


(Beifall im ganzen Hause)

Die weiterhin unterschiedliche Besoldung in Ost und

West wirkt sich zunehmend gegen die Idee von der Armee
der Einheit aus. Ich habe an anderer Stelle schon einmal
gesagt – ich wiederhole es hier vor dem Plenum des Deut-
schen Bundestages –: Ich werde das Thema immer wieder
ansprechen, bis es gelöst ist.


(Beifall im ganzen Hause)

Der Zustand von Truppenunterkünften und Küchen im

Westen verschlechtert sich weiter. Die Material- und Er-
satzteillage bleibt ein Dauerbrenner, auch wenn sie nach
unseren Feststellungen nicht so kritisch ist, wie manchmal
behauptet wird. Manche Geräte sind aber tatsächlich älter
als manche Soldaten. Die diesbezügliche Ersatzteillage ist
entsprechend.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Nach wie vor bestehen Ungewissheiten über die
zukünftigen Verwendungen aus Anlass der Bundeswehr-
strukturreform.

„Bundeswehr im Einsatz“ bedeutet die Einhaltung
hoher Qualitätsstandards für die eingesetzten Truppen-
teile und Soldaten. An dieser Stelle muss einmal gesagt
werden dürfen, und zwar auch durch den Wehrbeauftrag-
ten: Ein lückenlos positives Bild gibt die Bundeswehr
auch insoweit nicht ab. Wie denn auch? Es gibt gravie-
rende infrastrukturelle Mängel im Feldlager Rajlovac im
SFOR-Einsatz, die hoffentlich demnächst mit Begleitung
des Parlaments beseitigt werden.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Hoffentlich!)

Es gibt einzelne Unzulänglichkeiten bei Sicherheitsvor-
kehrungen zugunsten von Soldaten in Kabul. Damit
sind nicht nur Umstände bei der Entschärfung von
Sprengkörpern gemeint. Es gibt Mängel bei der klima-
gerechten Ausstattung von Schnellbooten am Horn von
Afrika.

Aus der Sicht von Soldaten sind folgende Sachverhalte
im Auslandseinsatz besonders belastend:

Erstens. Die Kontingentdauer von sechs Monaten ist
für die Soldaten ein wichtiges Thema geblieben. Das gilt
insbesondere für Soldaten mit jungen Familien und noch
jungen Partnerschaften. Die diesbezüglichen Belastungen
werden dadurch verstärkt, dass die zugesagte einsatzfreie

Zeit von zwei Jahren nicht durchweg eingehalten werden
kann.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist das Problem!)


Außerdem kritisieren Soldaten, dass sie im Anschluss an
ihren Einsatz nicht die angekündigte Übungspause von
sechs Monaten gehabt hätten.

Zweitens. Wiederholt gab es Unsicherheiten über den
Einsatzbeginn – mit besonders negativen Auswirkungen
zum Jahreswechsel. Auch ließen diesbezügliche Informa-
tionen zu wünschen übrig.

Drittens spreche ich den Auslandsverwendungszu-
schlag an. Die Höhe dieses Zuschlages für den Einsatz am
Horn von Afrika wird scharf kritisiert. Der Einsatz findet
in einer der heißesten Zonen der Welt mit extrem hoher
Luftfeuchtigkeit statt.

Viertens. Die administrative Überprüfung der Höhe des
Auslandsverwendungszuschlages mit der Möglichkeit der
Herabsetzung in einer besonders kritischen Zeit beim Ein-
satz in Mazedonien stieß auf völliges Unverständnis.

Letztens. Das Fehlen einer politischen Perspektive bei
längeren Einsätzen nährt Zweifel an deren weiteren Sinn.
Die Soldaten sind zu Recht, so meine ich, der Überzeu-
gung, dass militärisches und humanitäres Engagement
eine fehlende politische Perspektive nicht ersetzen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, der FDPund der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Zahl der
besonderen Vorkommnisse mit Verdacht auf rechtsex-
tremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund ent-
spricht in etwa der des Vorjahres. Im Berichtsjahr waren
es 186 gegenüber 196 im Vorjahr. Es handelt sich durchweg
um Äußerungsdelikte ohne – das betone ich – begleitende
Gewaltanwendung wie entsprechende Schmierereien, das
Hören und Verbreiten von Musik mit rechtsextremisti-
schen und fremdenfeindlichen Texten und das Grölen na-
zistischer Grußformeln. Verstöße gegen das Betäubungs-
mittelgesetz sind mit 1 444 gegenüber 1 544 im Vorjahr
leicht rückläufig.

Abschließend ein Wort, gewissermaßen in eigener
Sache: Der Zugang zum Intranet – ein Thema, das uns
auch letztes Jahr beschäftigt hat – ist jetzt auch dem Wehr-
beauftragten möglich,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


verbrieft durch ein Schreiben des Bundesministers der
Verteidigung vom 22. März 2002. Der Wehrbeauftragte
ist damit wieder auf gleicher Augenhöhe mit der Militär-
seelsorge; diese hat einen entsprechenden Zugang. Wenn
das kein Fortschritt ist!

Vielen Dank für die Geduld.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423106200
Nun eröffne
ich die Aussprache über den Bericht und gebe das Wort




Wehrbeauftragter Dr. Willfried Penner

23001


(C)



(D)



(A)



(B)


dem Kollegen Bernd Siebert für die Fraktion der CDU/
CSU.


Bernd Siebert (CDU):
Rede ID: ID1423106300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter
Dr. Penner, Sie haben soeben in Ihrer Rede, aber insbe-
sondere auch in Ihrem Bericht für das Jahr 2001 genauso
wie im vergangenen Jahr auf eine ganze Menge von De-
fiziten in der Bundeswehr hingewiesen, ja hinweisen
müssen. Ich will Ihnen an dieser Stelle ganz persönlich für
die Offenheit Ihrer Worte danken und bitte Sie, diesen
Dank meiner Fraktion für die Erarbeitung des Berichtes
auch an Ihre Mitarbeiter weiterzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Tappe [SPD]: Und Mitarbeiterinnen!)


– Mitarbeiterinnen selbstverständlich auch, Herr Kollege
Tappe.

Trotz meines Lobes für Ihre offenen Worte und Ihrer
deutlichen Kritik zu einigen Punkten, die wir eben klar
gehört haben, wäre ich zufriedener gewesen, wenn Sie
Ihre realitätsbezogenen und kritischen Darlegungen auch
auf den Gesamtzustand der Bundeswehr ausgeweitet hät-
ten.


(Peter Zumkley [SPD]: Hat er doch getan!)

Sie sind als Wehrbeauftragter dem gesamten Deutschen
Bundestag verantwortlich; Ihre bisherige Arbeit hat dies
auch bewiesen. Ihre kritischen Formulierungen eben ma-
chen deutlich, dass Sie als Sozialdemokrat hier so wie wir
auch Defizite sehen. Aber die Realität stellt sich in eini-
gen Punkten vielleicht noch schlimmer dar, als sie eben
beschrieben worden ist.

Bei meinen kurzen Bewertungen werde ich nicht nur
auf den hier vorliegenden Jahresbericht 2001, sondern
auch auf den Jahresbericht 2001 des Beauftragten für Er-
ziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur, näm-
lich den Bericht des Brigadegenerals Löchel, eingehen.


(Verena Wohlleben [SPD]: Steht der auf der Tagesordnung?)


Ich werde zusätzliche Informationen aus der Komman-
deurstagung der vergangenen Woche einbeziehen und
meine persönlichen Informationen aus zahlreichen Besu-
chen bei der Truppe in die Bewertung einfließen lassen.


(Verena Wohlleben [SPD]: Was? – Peter Zumkley [SPD]: Also Fremdbestimmung!)


Drei wesentliche Punkte sind nach Ihrem Bericht fest-
zuhalten: Erstens. Die Lage der Bundeswehr ist schlim-
mer, als es die politische Führung wahrhaben will und als
sie der Öffentlichkeit vorzugaukeln versucht.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Zweitens. Die Soldaten sind verunsicherter als je zuvor.
Drittens. Trotz dieser beiden Sachverhalte schaffen es die
einzelnen Soldaten und die einzelnen militärischen Füh-
rer immer wieder, durch ihre beispielhafte Leistungs-

bereitschaft und durch Improvisation ihre konkreten Auf-
gaben zu meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Zumkley [SPD]: Steht aber nicht im Jahresbericht!)


– Dies hat der Wehrbeauftragte eben sogar so formuliert.
Trotz Ihrer deutlichen Worte beschreibt der schon er-

wähnte Bericht des Beauftragten für Erziehung und
Ausbildung, der in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert
worden ist, noch wesentlich deutlicher die Stimmung in
der Truppe. Ich zitiere deshalb:

Die Truppe steht nicht mehr vorbehaltlos hinter der
militärischen Führung.


(Peter Zumkley [SPD]: Aha!)

Geglaubt wird dem Führer, der durch seine persönliche
Präsenz vor Ort greifbar für die Männer ist. Der politi-
schen Leitung wird mit starken Vorbehalten begegnet.

Treffender kann man die Stimmung in der Truppe, die
meinen Kollegen und mir auch bei zahlreichen Besuchen
von und Gesprächen mit Soldaten deutlich beschrieben
wurde, nicht darstellen. Das wissen Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Sozialdemokraten, genauso, denn
Sie haben die gleiche Informationsbasis.

Dies alles ist ein Armutszeugnis für die politische
Führung, aber auch für die Führung der Bundeswehr ins-
gesamt.

DieUrsachen für die Lage der Bundeswehr lassen sich
neben anderen Faktoren sehr leicht ausmachen: erstens der
Wandel von einer reinen Verteidigungsarmee zu Streit-
kräften, die im Rahmen friedensbewahrender oder frie-
densschaffender Maßnahmen zunehmend auch im Ausland
eingesetzt werden, und zweitens eine dramatische Unter-
finanzierung unserer Streitkräfte, die allein Sie zu verant-
worten haben. Ich hätte Herrn Minister Scharping an die-
ser Stelle gern persönlich angesprochen, wenn er bei
diesem wichtigen Bericht heute anwesend gewesen wäre.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich fürchte, das hilft nichts! – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Er will das alles nicht hören!)


Was unsere Soldaten und Zivilbediensteten unter den
derzeitigen Bedingungen im Ausland, aber auch in der
Heimat zu leisten in der Lage sind, kann gar nicht hoch
genug eingeschätzt werden. Dafür gebührt jedem einzel-
nen Soldaten und Zivilbediensteten unser aller Dank und
Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ist es aber wirklich Dank und Anerkennung, wenn den
in Bosnien, Mazedonien und im Kosovo eingesetzten
Soldaten zum 1. Juli 2002 der Auslandsverwendungs-
zuschlag gekürzt wird, nachdem man in dieser Legisla-
turperiode bereits die Stehzeit für den Einsatz der Solda-
ten von vier Monaten auf sechs Monate verlängert hat?


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
23002


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies empfinden die Soldaten im Einsatz als Unver-
schämtheit. Es beeinträchtigt natürlich die Motivation
unserer Soldaten in den Auslandseinsätzen. Konsequen-
terweise wird das Problem in aller Deutlichkeit – wir ha-
ben es eben vom Wehrbeauftragten gehört – dargestellt.

Die Zeit verbietet es mir, hier weitere Einzelpunkte
darzustellen. Ich will sie nur stichwortartig nennen;


(Verena Wohlleben [SPD]: Haben wir Glück!)

wir werden im Verteidigungsausschuss sicherlich weiter
darüber diskutieren. Die Punkte sind: Nichteinhaltung der
angekündigten Übungspause nach einem Auslandsein-
satz, gerechtfertigte Bemängelung der Unterbringung der
Soldaten im Einsatz – der Wehrbeauftragte hat darauf hin-
gewiesen –, Finanzierung der Betreuungseinrichtungen
im Einsatz; sie werden teilweise von den Soldaten selbst
finanziert anstatt von der Bundeswehr. Die Einsatz-
medaille, die wir alle für richtig gehalten haben, wird nur
verzögert den eingesetzten Soldaten verliehen.

Ich will an dieser Stelle meine Aufzählung beenden.
Wir werden, wie gesagt, sicherlich noch das eine oder an-
dere im Verteidigungsausschuss und in der zweiten und
dritten Lesung vertiefen.

Die dargestellten Fälle sind Auswüchse, die allein auf
der Unterfinanzierung der Bundeswehr gründen. Auch
dieser Bericht des Wehrbeauftragten beweist: Die Mate-
rial- und Ersatzteillage, die Unterbringung unserer Solda-
ten und die Infrastruktur in den Kasernen sind in vielen
Fällen katastrophal; die Tendenz ist steigend. Aufgrund
fehlender Finanzmittel kann allenthalben nur noch impro-
visiert werden. Geplante Verbesserungen der Infrastruktur
in den Kasernen werden zeitlich immer weiter nach hinten
verschoben. Dies ist nicht nur ein Schreckensgebilde der
Opposition, sondern dies ist in der vorigen Woche bei der
Kommandeurstagung in Hannover sehr deutlich gewor-
den, als die militärischen Führer ihre kritischen Positio-
nen auch Bundesverteidigungsminister Scharping darge-
stellt haben.

Darüber hinaus gibt es erhebliche Zweifel an Scharpings
Ansicht, dass die geplanten Privatisierungen und Erlöse
aus dem Verkauf von Liegenschaften und Material die
notwendigen Mittel zur Modernisierung freisetzen. Wenn
wir uns die Haushaltsabfolge 2001 und 2002 anschauen,
stellen wir fest, dass die kritische Haltung, die wir hatten,
bestätigt worden ist.

Scharpings Reform der Streitkräfte ist wegen der dra-
matischen Unterfinanzierung der Bundeswehr geschei-
tert. Diese Bundesregierung sieht in der Bundeswehr seit
1998 leider nur eine finanzielle Verfügungsmasse.

Für unser Land und die Bundeswehr entsteht ein großer
Schaden, wenn die so genannte Reform der Bundeswehr
nicht korrigiert wird und die Finanzausstattung nicht
deutlich verbessert wird.


(Peter Zumkley [SPD]: Sagen Sie mal, woher!)


Hierzu ist ein neues Gesamtkonzept erforderlich, das die
Organisation der inneren und äußeren Sicherheit unter
Beibehaltung der Wehrpflicht miteinander verbindet.

Dazu sind Sie nicht mehr in der Lage. Dies werden wir
nach dem 22. September verwirklichen müssen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Märchenstunde! – Peter Zumkley [SPD]: Wollt ihr wirklich eine neue Reform?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423106400
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ulrike Merten von der SPD-Frak-
tion.


(Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt sprich mal die Wahrheit aus!)



Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1423106500
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Wehrbeauf-
tragter! Herr Kollege Siebert, ich hatte bei Ihren Aus-
führungen das Gefühl, dass ich in den 16 Jahren vor 1998
in einem anderen Land gelebt habe.


(Beifall bei der SPD)

Denn der Zustand, den sie geschildert haben, ist mitnichten
durch Sozialdemokraten, sondern durch Ihre Regierung
herbeigeführt worden. Es ist unglaublich, dass Sie hier den
Bericht des Wehrbeauftragten zum Anlass nehmen, um Ihre
polemische Kritik vorzutragen und um sich nicht auf das
beziehen zu müssen, worum es heute wirklich geht.


(Beifall bei der SPD – Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Das ist unser Auftrag, Frau Kollegin!)


Ich will aber auch ganz deutlich sagen: Es liegt natür-
lich in der Natur der Sache, dass der Bericht des Wehr-
beauftragten – wer wollte das bestreiten? – kein bloßer
Zustandsbericht ist. Hier werden ganz bewusst Mängel
dargestellt.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Ja eben!)


Dieser Bericht ist eben nicht schöngefärbt, sondern er
nimmt die Soldatinnen und Soldaten ernst. Ich möchte
mich daher an dieser Stelle ganz ausdrücklich bei dem
Herrn Wehrbeauftragten für diesen offenen und detaillier-
ten Bericht bedanken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)


Wir kennen natürlich aus unserer Arbeit – auch das ist
uns nicht neu – die Sorgen und Klagen der Soldatinnen
und Soldaten gut.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Dann müssen Sie auch handeln! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Scharping kennt sie nicht!)


Aber erst durch den Bericht des Wehrbeauftragten, der
wesentlich auf Eingaben der Betroffenen sowie auf Besu-
chen des Wehrbeauftragten in der Truppe beruht, werden
diese Mängel öffentlich. Man kann es gar nicht oft genug
sagen: Im internationalen Vergleich ist die Institution des
Wehrbeauftragten einzigartig. Sie gewährt unseren Solda-
ten eine ganz wichtige Rechtsschutzgarantie.




Bernd Siebert

23003


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Das wissen wir! Das ist seit Beginn bekannt!)


Bei allen Mängeln bleibt als erstes festzuhalten, dass es
im Jahre 2001 weniger Beschwerden gab als im Vorjahr.
Das heißt, die rückläufige Tendenz bei den Eingaben setzt
sich fort. Ich sage ganz deutlich: Wir reden hier über den
Bericht aus dem Jahr 2001. Seit dem – das wissen auch
Sie – hat sich die Situation der Bundeswehr noch einmal
entscheidend verändert.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Negativ! Das ist wahr!)


Durch zusätzliche Auslandseinsätze sind alle Kapazitä-
ten gebunden. Es ist keine Frage, dass die Bundeswehr in
ihren derzeitigen Strukturen an der Grenze ihrer Belast-
barkeit angelangt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Paul Breuer [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Trotzdem erfüllt die Bundeswehr ihre schwierigen Auf-
gaben – auch das sagt der Bericht sehr deutlich – mit ei-
nem bemerkenswert hohen Qualitätsstandard. Das ist hof-
fentlich unumstritten.

Der größte Konzern in Deutschland steht vor großen
Herausforderungen, die er nicht im Schnelldurchgang von
heute auf morgen bewältigen kann. Aber das Entschei-
dende ist doch – Herr Siebert, jetzt hören Sie einmal zu –,
dass Sozialdemokraten diese Reform angepackt haben
und die Bundeswehr auf ihre neuen Aufgaben hinsichtlich
der Struktur und der Ausrüstung ausgerichtet haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist ein Chaos! – Heidi Lippmann [PDS]: Und sie haben auch die neuen Auslandseinsätze zu verantworten!)


Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität und Initia-
tiven zur Qualifizierung werden gerade umgesetzt. Die
Grundlagen bilden das 6. Besoldungsänderungsgesetz
und das Gesetz zur Neuausrichtung der Bundeswehr.
Diese Gesetze sind seit dem 1. Januar 2002 in Kraft. Das
ist wichtig im Hinblick auf die Nachwuchsgewinnung.
In diesem Bereich haben wir ein Problem; da müssen wir
etwas tun. Wir handeln dementsprechend. Dazu will ich
einige Beispiele nennen:

Erstens. Wir haben die Eingangsbesoldung nach A 3
angehoben. Bisher lag sie zwischen A 1 und A 2.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Eine großartige Leistung! – Gegenruf des Abg. Peter Zumkley [SPD]: Das habt ihr nie hinbekommen!)


– Ich wollte das ebenfalls sagen: Das haben Sie nicht hin-
bekommen.


(Beifall bei der SPD)


Die Bundeswehr schafft damit neue Perspektiven für die
Laufbahnen und neue Aufstiegschancen.

Zweitens. Zur Umsetzung der Besoldungs- und Struk-
turverbesserungen werden zusätzliche Planstellen im
Haushalt bewilligt.

Drittens. Es wurde mit mehr als 100 Handwerks- bzw.
Industrie- und Handelskammern eine umfangreiche Ini-
tiative zur Qualifizierung gestartet.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den Finanzen! Ohne die geht das alles nicht!)


Das ist im Hinblick darauf, dass junge Menschen nach
ihrem Dienst in der Bundeswehr in beruflicher Hinsicht
eine Perspektive haben, ganz wichtig.


(Beifall bei der SPD)

Auch wir können nicht zaubern. Wer wollte das leug-

nen? Das verlangt auch niemand. Die Umsetzung von Ge-
setzen, die gerade in Kraft getreten sind, benötigt Zeit;
Reformen – das wissen auch die Kolleginnen und Kolle-
gen von der Opposition – können erst in einigen Jahren
greifen. Wenn wir uns im Verteidigungsausschuss ernst-
haft darüber unterhalten, dann bestreiten auch Sie das
nicht. Deswegen ist Ihre heutige Kritik überzogen und
maßlos.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Zumkley [SPD]: Maßlos übertrieben! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir wissen, dass Sie die Bundeswehr ins Chaos fahren wollen!)


Die Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf ist
durch zahlreiche Wegmarken gekennzeichnet; auf einige
bin ich bereits eingegangen. Zwei, drei Punkte möchte ich
noch nennen: Bereits im Dezember 1999 ist mit der Wirt-
schaft der Rahmenvertrag „Innovation, Investition und
Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“ mit mehr als
600 Partnerunternehmen abgeschlossen worden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ergebnis?)

Im August 2000 ist die Gesellschaft für Entwicklung, Be-
schaffung und Betrieb gegründet worden. Das alles ist
doch kein Selbstzweck. Wir tun das doch nicht deshalb,
weil wir so gerne experimentieren. Wir tun das vielmehr
im Sinne der Soldatinnen und Soldaten. So erhalten wir
Mittel, die wir auf andere Weise nicht erwirtschaften kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Endlich einmal eine Perspektive!)


Die Reform ist auf einem guten Weg. Wir können in
den kommenden Jahren erhebliche Mittel einsparen, um
daraus die Mittel zu gewinnen, die wir für die dringend
benötigten Investitionen einsetzen können.

Ich habe Ihnen einige Punkte genannt, die im Bericht
des Wehrbeauftragten Gegenstand der Unzufriedenheit
waren. Zusammenfassend will ich aber sagen: Die Bun-
deswehr wird von Grund auf erneuert. Sie investiert ziel-




Ulrike Merten
23004


(C)



(D)



(A)



(B)


gerichtet in Menschen, Ausrüstung sowie in Maßnahmen
zur Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Die GEBB ist ein Flop!)


Das bedeutet für die Menschen: Etwa 42 000 Soldaten
können im Jahre 2002 mit Beförderung oder Besoldungs-
verbesserungen rechnen. Für die Ausrüstung heißt das
konkret: Seit Ende 1998 sind Verträge über Rüstungsin-
vestitionen in Höhe von fast 23 Milliarden DM abge-
schlossen worden. Das ist eine ganze Menge.

Was ich in meinen Ausführungen habe sagen wollen,
ist Folgendes: Es gibt Probleme, Schwierigkeiten und
auch Unzufriedenheiten; wer wollte das leugnen. Nicht
alle werden wir kurzfristig beheben können. Aber ebenso
richtig ist, dass wesentliche Themenfelder, die jetzt Grund
für Unzufriedenheit sind und in dem Bericht angespro-
chen worden sind, in die laufenden Maßnahmen ein-
fließen. Dann wird hoffentlich in naher Zukunft der
Grund für solche Unzufriedenheiten behoben sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, das sollte man berücksichtigen. Zudem sollten
Sie zu einer sachlichen Diskussion zurückkehren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das hätten wir von Ihnen erwartet!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423106600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hildebrecht Braun von der FDP-
Fraktion.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1423106700
Wertes Präsi-
dium! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir spre-
chen heute nicht über irgendein Thema, sondern über die
innere Befindlichkeit der Bundeswehr. Wer ist wieder
nicht anwesend? Der Herr Bundesverteidigungsminister.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Unglaublich!)


Wir sollten ihm einmal eine Ansichtskarte aus dem deut-
schen Parlament schicken und ihm mitteilen: Hier wird
über die Situation unserer Soldaten gesprochen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Der will nichts sehen und nichts hören!)


Wir erwarten, dass er anwesend ist und mit uns über die
Situation der Soldaten in der Bundeswehr diskutiert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Kommen Sie zur Sache!)


Fünf Anmerkungen will ich zum Bericht des Wehrbe-
auftragten machen.
Erstens. Ich freue mich sehr, dass Besuchergruppen aus
dem In- und Ausland in großer Zahl das Büro des Wehr-
beauftragten aufsuchen und sich dort über seine Arbeit

und über die Situation der Bundeswehr informieren. Be-
sonders freue ich mich über die Besucher aus den Staaten,
die früher zum Warschauer Pakt gehörten. Sie haben
großes Interesse an der Institution des Wehrbeauftragten,
weil sie die Notwendigkeit sehen, dass ihre Wehrpflicht-
armeen das, was Gorbatschow ehemals Glasnost nannte,
nämlich die Auseinandersetzung und den offenen Um-
gang mit den Missständen im eigenen Bereich, dringend
nötig haben. Denn niemand sorgt effizienter für die Ein-
haltung der Menschenrechte und der Grundsätze der in-
neren Führung als der Wehrbeauftragte.

Zweitens. Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten wird
schonungslos auf Unzulänglichkeiten und Missstände in
den Streitkräften hingewiesen. Angeführt wird auch das
Beispiel der Fernmeldeschule Feldafing, ohne dass Sie es
beim Namen genannt hätten. Dort wurde bei der Veröffent-
lichung der Planung der Bundeswehr am 31. Januar 2001
mitgeteilt, dass die Fernmeldeschule am Ort bleibe, ja so-
gar aufwachse – oder auf Hochdeutsch: vergrößert werde.
Dann hat wohl jemand dem Minister einige Dummheiten
ins Ohr geflüstert. Denn 14 Tage später wurde entschie-
den: Die Schule wird verlegt – wie es wörtlich heißt: ir-
gendwohin in Bayern.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wir machen doch keine Wahlkreisarbeit hier! Unglaublich! – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Unglaublich!)


Noch immer ist nicht entschieden, ob sie wegkommt
und, wenn ja, wohin. Ich danke Ihnen, Herr Penner, dass
Sie diesen Beschluss und seine Auswirkungen aufgegrif-
fen haben. Eineinviertel Jahre nach dem damaligen unse-
ligen Beschluss gibt es noch keine Klarheit. Ich hoffe, dass
der Bundesverteidigungsminister einmal Souveränität zei-
gen und den damaligen Beschluss rückgängig machen
wird. Jeder weiß, dass der Verbleib am Ort mindestens
100 Millionen DM – oder 50 Millionen Euro – Steuergel-
der billiger ist, als die Verlegung an einen anderen Ort.
Geld sparen und Mitarbeitern der Bundeswehr und ihren
Familien einen Zwangsumzug mit Verlust der Jobs der
Ehefrauen, mit Schulwechsel für die Kinder und mit Ver-
lust des Familienheims zu ersparen, das wäre wahrhaft
eine gute Sache. Herr Scharping, zeigen Sie einmal
Größe, indem Sie einen Fehler korrigieren!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Im Bericht kritisiert der Wehrbeauftragte die
eine oder andere disziplinare Entscheidung. Völlig un-
kommentiert berichtet er von einem Vorgang, der aber
nicht unkommentiert bleiben darf. Im Kapitel über die
Frauen in den Streitkräften heißt es wörtlich:

Ein Zugführer forderte einen weiblichen Sanitätssol-
daten

– Sie hätten schreiben können: eine Soldatin –
auf, einen Soldaten oral zu befriedigen. Dieser könne
hinterher berichten, wie es gewesen sei. Im Rahmen
des disziplinaren Ermittlungsverfahrens ergab sich,
dass der Zugführer auch eine andere Soldatin unmiss-
verständlich zum Geschlechtsverkehr aufgefordert




Ulrike Merten

23005


(C)



(D)



(A)



(B)


hatte. Gegen den Zugführer wurde eine Disziplinar-
buße von

– sage und schreibe –
1 000 DM auf Bewährung verhängt.

Herr Penner, das kann es ja wohl nicht gewesen sein.
Die Macht eines Vorgesetzten bei der Bundeswehr ist un-
gleich größer als die eines Vorgesetzten in einem zivilen
Beschäftigungsverhältnis. Das Prinzip Befehl und Gehor-
sam zeichnet die Beziehung zwischen Vorgesetzten und
Untergebenen in den Streitkräften aus. Wer einer Auffor-
derung – wie es in dem Bericht heißt – nicht Folge leistet,
muss mit Problemen rechnen. Ich halte die disziplinare Re-
aktion auf diesen Vorfall für völlig unzureichend. 1 000DM
und dann auch noch zur Bewährung ausgesetzt – da wird
ein gravierender Eingriff in die sexuelle Selbstbestim-
mung als Lappalie abgetan. Ich will wissen, ob der Zug-
führer noch Angehöriger der Bundeswehr ist. Ich will wei-
ter wissen, ob Strafanzeige erstattet wurde und, wenn ja
– wovon ich ausgehe –, welchen Verlauf das Strafverfah-
ren genommen hat. Es ist völlig unakzeptabel, wenn junge
Frauen, die zur Bundeswehr gehen wollen, durch diesen
Bericht den Eindruck bekommen müssen, sie würden dort
sexuelles Freiwild werden. Das kann nicht sein. Bitte
kümmern Sie sich darum, Herr Penner.


(Beifall bei der PDS – Peter Zumkley [SPD]: Das ist doch aber nicht durchgehend so!)


Sie sprechen viertens das Thema Gesundheitsbeschä-
digungen von sehr vielen Soldaten durch Radarstrahlen
an. Nach meinem Dafürhalten zeigen Sie viel zu viel Ver-
ständnis für eine Bundeswehrverwaltung, die statt der vom
Minister versprochenen großzügigen Behandlung und Be-
wertung der Vorgänge in unerträglicher Weise mauert.
Wenn von über 2 000 gemeldeten Fällen bisher, seit Be-
kanntwerden dieser Problematik, nur vier anerkannt wur-
den, dann riecht das sehr nach einem Skandal.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie bei der PDS)


Ich habe vor eineinhalb Jahren gefordert, dass in die-
sen Fällen eine Umkehr der Beweislast eintreten müsse.
Nicht der an Krebs erkrankte Radarsoldat – er kann inzwi-
schen verstorben sein – oder seine Witwe sollen beweisen
müssen, dass die Radarstrahlen zur Krebserkrankung ge-
führt haben, sondern die Bundeswehr soll beweisen, dass
dies nicht der Fall war.


(Beifall bei der FDP und der PDS – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch skandalös!)


Die Soldaten mit ihren zum Teil gravierenden Schäden al-
lein zu lassen und ihnen mit auf den Weg zu geben, sie
müssten eben einwandfrei nachweisen, dass die Erkran-
kung durch ihre Tätigkeit als Radarsoldaten verursacht
worden sei, dass die Bundeswehr hier Fehler gemacht
habe und dass die Soldaten selbst alle Schutzvorschriften
eingehalten hätten, wird dem schlimmen Sachverhalt
nicht gerecht.


(Ulrike Merten [SPD]: Fordern Sie das für die freie Wirtschaft auch? – Peter Zumkley [SPD]: Das ist doch in Ihrer Regierungszeit entstanden!)


Fünftens. Lassen Sie mich abschließend von einem
Fall berichten, der im Bericht des Wehrbeauftragten nicht
enthalten ist, der aber leider nicht als untypisch bezeich-
net werden kann. Ein Bataillonskommandeur, der in
Bosnien eingesetzt war, sah die Unterversorgung der ein-
heimischen Kinder mit Spielplätzen. Er wollte Abhilfe
schaffen und schaffte es tatsächlich, in Deutschland eine
nagelneue Ausstattung für einen Kinderspielplatz im Wert
von 18 000 DM zu organisieren. Er fand auch eine Spedi-
tion, die diese Spielplatzeinrichtung kostenlos nach Bos-
nien transportierte.

Daraufhin wurde er vom Kommandanten des amerika-
nischen Headquarters in Sarajevo eingeladen, bei der
Übergabe des Spielplatzes persönlich anwesend zu sein.
Er fand die Gelegenheit, mit einem NATO-Shuttle nach
Bosnien zu fliegen; wohlgemerkt: 40 Plätze blieben im
Flieger frei. Er machte aber den Fehler, sich in seinem
Dienstfahrzeug zum Flugplatz fahren und auch wieder ab-
holen zu lassen. Er trat in Sarajevo in Uniform auf, um zu
zeigen, dass die Bundeswehr hinter diesem Geschenk an
die Kinder steht. All das führte zu Ärger ohne Ende.

Dieser Soldat trug durch sein persönliches Engage-
ment dazu bei, dass die Beziehung der Bevölkerung zur
deutschen Bundeswehr in geradezu vorbildlicher Weise
gefördert wurde. Hätte er sich eine Dienstreisegenehmi-
gung beschafft – die ihm wohl jederzeit gegeben worden
wäre – wäre alles in bester Ordnung. Dass eine solche nicht
vorlag, mag auch mit einer Rüge geahndet werden, aber
eine Versetzung von seinem Dienstposten und die Einlei-
tung eines Verfahrens im August 2001 ohne Entscheidung
bis heute sind nicht in Ordnung.

Wir sollten solche Vorbilder der Bundeswehr ermuti-
gen und sie nicht durch Verfahren entmutigen, wie es in
diesem Fall geschehen ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS – Susanne Kastner [SPD]: Wer tut das denn?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423106800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: General Nachtwei!)



Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423106900

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lie-
ber Herr Penner! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
als Deutscher Bundestag sind, glaube ich, zu Recht stolz
auf die Institution des Wehrbeauftragten. Jedes Jahr dan-
ken wir dem Amtsinhaber und seinen Mitarbeitern – so
auch dieses Jahr – voller Überzeugung für ihre Arbeit.

Die Institution des Wehrbeauftragten ist beispielhaft
für eine Haltung kritischer Loyalität und konstruktiver
Kritik. Von daher haben wir ein besonderes Interesse an
guten Arbeitsbedingungen des Wehrbeauftragten. Ich
denke, wir alle müssen mit Missfallen wiederum zur
Kenntnis nehmen, dass Überprüfungsersuchen des Wehr-




Hildebrecht Braun (Augsburg)

23006


(C)



(D)



(A)



(B)


beauftragten weiterhin gelegentlich fehlerhaft und verzö-
gert bearbeitet werden.

An dieser Stelle wollte ich auf den bisherigen Aus-
schluss des Wehrbeauftragten vom Intranet der Bundes-
wehr eingehen. Zum Glück hat sich dieses Problem endlich
gelöst. Der erstgenannte Mangel muss jedoch unbedingt
abgestellt werden.

Der Bericht des Wehrbeauftragten – das wissen wir
oder sollten wir zumindest wissen – ist ein Mängelbericht,
der nicht beansprucht, ein Gesamtbild der inneren Lage
der Bundeswehr zu zeichnen. Umso wichtiger ist deshalb
die eindeutige Feststellung in diesem Bericht:

Die Bundeswehr duldet rechtsextremistisches und
fremdenfeindliches Verhalten nicht und geht dage-
gen konsequent vor.

Das können längst nicht alle Institutionen unserer Gesell-
schaft so von sich behaupten.

Seit Anfang des letzten Jahres sind alle Verwendungen
und Laufbahnen grundsätzlich für Frauen zugänglich. Der
Bericht des Wehrbeauftragten bringt in diesem Zusam-
menhang zwei Anregungen, die von uns intensiver – über
diese Stunde hinaus – verfolgt werden sollten.


(Peter Zumkley [SPD]: Im Ausschuss, jawohl!)


Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur
in der zivilen Gesellschaft eine ganz zentrale Herausfor-
derung, auch in den Streitkräften gewinnt diese Frage ein
immer stärkeres Gewicht. Der Wehrbeauftragte regt an,
die Möglichkeit von Teilzeitregelungen unter Berück-
sichtigung der Einsatzbereitschaft und der Gleichbehand-
lung der Soldaten genauer zu prüfen.

Etliche Frauen fühlten sich durch die Wehrdienstbera-
ter nur unzureichend über die Anforderungen des Solda-
tenberufs und den Truppenalltag informiert. Diese Erfah-
rung liegt in einer Linie mit den Erkenntnissen, die im
Bericht des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung
beim Generalinspekteur, dem vorhin schon angesproche-
nen Löchel-Bericht, zum Ausdruck kommen, wonach man-
che Bewerber „völlig falsche Vorstellungen“ hätten und die
Arbeit der Kreiswehrersatzämter und Zentren für Nach-
wuchsgewinnung unter Bundeswehrangehörigen hart kriti-
siert wird.

Der Wehrbeauftragtenbericht gibt den Wunsch von
Frauen wieder, die Bundeswehr zunächst einmal unver-
bindlich über eine Art Praktikum kennen lernen zu können.
Diese Anregung trifft sich mit den immer stärker werden-
den Forderungen von Bundeswehrangehörigen, vor allem
auch die Innenwerbung der Bundeswehr zu verbessern, für
die zufriedene Mitarbeiter die besten Werbeträger sind.

Es gibt – wenn wir ehrlich sind – in der Bundesrepu-
blik bekanntermaßen des Öfteren ein Jammern auf hohem
Niveau. Auch ist Stimmungsmache aus parteipolitischem
Interesse und Medienverkaufsinteresse gang und gäbe.
Der Bericht des Wehrbeauftragten und vor allem auch der
Löchel-Bericht belegen aber, dass es auch dann, wenn
man das Obige abzieht, in der Bundeswehr nichtsdesto-
weniger verbreitete und vielfältige Unzufriedenheiten
gibt. Ich nenne dafür Beispiele.

Vorhin hat schon der Wehrbeauftragte auf den Bericht
des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr
hingewiesen, wonach Soldaten im Einsatz ihre unmittel-
baren Vorgesetzten überwiegend positiv beurteilen,
während gegenüber höheren Vorgesetzten „vielfach ein
gravierender Vertrauensverlust zu verzeichnen“ sei.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Weil sie die Folgen Ihrer Politik mitzutragen haben!)


Der Löchel-Bericht fasst die Stimmungslage von
Grundwehrdienstleistenden so zusammen – daran sehen
Sie, dass das Problem viel weiter geht –: Weiterhin sei der
Anteil der Wehrpflichtigen, die ihren Dienst positiv
sehen, relativ hoch. Allerdings mache sich das fast nur an
der Grundausbildung fest. Von den drei Schlüsselfragen
zur subjektiven Sinnhaftigkeit des Wehrdienstes – wurde
ich gebraucht, wurde ich gut behandelt, konnte ich meine
Kenntnisse und Lebenserfahrungen einbringen? – konnte
zu häufig nur die zweite Frage positiv beantwortet wer-
den. Hieran sehen Sie – diejenigen, die länger mit der
Bundeswehr zu tun haben, wissen das genau –, dass dies
offensichtlich ein schon lange bestehendes Problem ist
und nicht erst in den letzten zwei Jahren entstanden ist.
Dies zu behaupten wäre unsinnig.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist richtig! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ihre Politik beschleunigt und verstärkt dies doch!)


In demselben Bericht heißt es zu Einheitsführern, dass
diese sich zunehmend aus einer Führungsverantwortung
„stehlen“ würden, die ihnen „ad personam“ aufgetragen
sei. Schließlich heißt es, das Vertrauen zur militärischen
Führung sei nicht mehr vorbehaltlos, der politischen Lei-
tung werde mit starken Vorbehalten begegnet.

Ich muss dazu anmerken, dass in diesen Berichten
keine Aussage zur Vertrauensstellung von uns, also des
Parlaments und der Fraktionen, in der Bundeswehr ge-
troffen wird. Wir sind aber schlichtweg die Auftraggeber
von Auslandseinsätzen.

Diese Aspekte zusammen sind nach meiner Auffas-
sung äußerst beunruhigende Signale, die wir sehr ernst zu
nehmen haben. Beschönigungen und Verdrängungen sind
genauso fehl am Platz wie parteipolitische Instrumentali-
sierungen und einseitige Schuldzuweisungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich betone das, auch wenn es angesichts des beginnenden
Wahlkampfes wahrscheinlich ein frommer Wunsch ist.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Dann handeln Sie halt!)


Eine letzte Anmerkung zur Wehrpflicht: Das Bundes-
verfassungsgericht hat die Pflicht der gesetzgebenden und
exekutiven Gewalt betont, die Wehrform zu bestimmen
und überzeugend wie plausibel zu begründen. An dieser
Stelle möchte ich nur auf einen Vorschlag zur allgemeinen
Dienstpflicht eingehen, der unter anderem von dem Herrn,
der sonst hier vorne sitzt, nämlich dem Vorsitzenden der
CDU/CSU-Fraktion, gemacht wurde. Dieser immerwieder




Winfried Nachtwei

23007


(C)



(D)



(A)



(B)


auftauchende Vorschlag ist wirklich rundum undurch-
dacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Er steht erstens im Widerspruch zum Internationalen
Recht. Zweitens würde die Umsetzung dieses Vorschlags
mehrere Hunderttausend Einsatzplätze im Jahr erfordern,
was selbstverständlich nicht arbeitsmarktneutral durchzu-
führen wäre. Die Folge davon wäre eine breite Entprofes-
sionalisierung vor allem im sozialen Bereich. Es würde
den Bund einige Milliarden mehr kosten. Und schließlich:
Wer einen allgemeinen Pflichtdienst erwägt, sollte sich
zunächst einmal die Situation von freiwilligen Diensten
ansehen.

Tatsache ist, dass sich bisher pro Jahr erheblich mehr
junge Leute für den freiwilligen sozialen Dienst melden,
als aufgenommen werden können. Eine selbstverständli-
che Aufgabe in unserer demokratischen Gesellschaft ist,
zunächst einmal die freiwilligen Potenziale in der Gesell-
schaft zu fördern, wozu wir jetzt einen wichtigen gesetz-
lichen Schritt gemacht haben. Darauf kommt es an und
nicht darauf, als erstes auf Pflichtdienste zu setzen.

Ich fasse zusammen: Die politische Debatte um die
Wehrpflicht wird selbstverständlich weitergehen. Lassen
wir aber bitte die Idee der allgemeinen Dienstpflicht bei-
seite. Ansonsten würden wir nur in eine Sackgasse geraten.
Alle Wohlfahrtsverbände, die davon ein bisschen mehr
verstehen, sagen seit vielen Jahren, dass das Unsinn wäre.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Sie lassen alles beiseite, was Ihnen nicht gefällt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423107000
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Heidi Lippmann von der PDS-Frak-
tion.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1423107100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Lieber Herr Penner, ich möchte Ihnen
ganz herzlich für den vorliegenden Bericht und für Ihre
heute gehaltene Rede danken. Das Gleiche gilt auch für
Ihre Mitarbeiter, die Sie bei der Erstellung des Berichts
unterstützt haben.

Ich denke, dieser Bericht zeigt mehr denn je, wie sich
die Bundeswehr verändert hat und dass es sich längst
nicht mehr um eine Manöverarmee mit dem Auftrag der
Landes- und Bündnisverteidigung handelt, sondern um
eine Armee mit vielfältigen Einsätzen. Das geht hin bis zu
den Kampfeinsätzen, die die KSK seit Ende letzten Jah-
res in Afghanistan durchführt.

Sie haben richtig bemerkt, dass die Soldaten den man-
gelnden Primat der Politik immer mehr kritisieren. Dieser
wird als sehr fragwürdig angesehen. Viele Soldaten be-
trachten ihren Einsatz sogar als sinnlos. Zum einen wird
moniert, dass bei den Einsätzen keine politischen Lösun-

gen erkennbar sind, und zum anderen, dass es insbeson-
dere an einer Exit-Strategie fehlt.

In der „Frankfurter Rundschau“ von heute wird der In-
spekteur des Heeres, Herr Generalleutnant Gudera, mit
den Worten zitiert, dass die hohe Belastung der Truppe
zwingend dauerhaft gemildert werden müsse. Das Heer
sei mit den zugestandenen Kräften, Mitteln und Umfän-
gen auf Rand genäht und zum Teil überdehnt. Weiterhin
führt Herr Gudera aus – mit seinen Tönen gegenüber dem
Minister war er ja bisher eher leise –, dass sich die als
größer werdend empfundene Schere zwischen Auftrag
und Mitteln als negativ für die Stimmung auswirke.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und das in einer SPD-Zeitung!)


Genau darüber muss hier und heute geredet werden.
Das habe ich in den Reden der Kolleginnen und Kollegen
vermisst. Der Auftrag lautet, immer mehr Auslands- und
Kampfeinsätze zu leisten. Dieser kann natürlich nicht mit
den desolaten Strukturen, die in der Bundeswehr vorhan-
den sind, einhergehen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das sagen Sie als Mutter Courage!)


Wer außen- und sicherheitspolitisch um die Weltmeister-
schaft spielen will – das will diese Bundesregierung ganz
eindeutig –, die Bundeswehr letztendlich aber gerade ein-
mal auf dem Niveau der dritten Kreisklasse ausstattet,
sollte sich ernsthaft überlegen, wo er etwas falsch macht.

Die PDS fordert nicht die Anhebung der Ausstattung
auf das Niveau, das es ermöglichen würde, die sicher-
heitspolitische Weltmeisterschaft zu gewinnen,


(Susanne Kastner [SPD]: Warum nicht? Das wäre eine logische Konsequenz! – Weitere Zurufe von der SPD)


sondern wir fordern ganz eindeutig, den Auftrag der Bun-
deswehr so zu interpretieren, wie er im Grundgesetz ver-
ankert ist, das heißt, ihn auf die Landes- und Bündnisver-
teidigung zu reduzieren.


(Beifall bei der PDS – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Raus aus dem Kosovo?)


Ich denke, die fehlende Anwesenheit des Herrn Minis-
ters spricht für sich. Die Soldaten haben sich von der heu-
tigen Debatte eine ganze Menge erhofft. Die Defizite, die
der Herr Wehrbeauftragte im Einzelnen angeführt hat, soll-
ten offen ausgesprochen werden. An Herrn Scharpings
Stelle wäre ich allerdings auch nicht erschienen. Ich denke,
dass er sich die schallende Ohrfeige, die Herr Penner ihm
versetzt hat, mehr als verdient hat.


(Peter Zumkley [SPD]: Na, na! – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Gewalt!)


Kritik gibt es nicht nur im Bericht des Wehrbeauftrag-
ten. Des Weiteren gibt es Kritik vom BEA, von Herrn
Löchel, und – wie eben zitiert – von Herr Gudera. Außer-
dem haben sich die Kommandeure auf der Komman-
deurstagung kritisch geäußert. Ich hoffe nur, dass die Ge-
neralität, die bisher schon oft gejammert hat, dass das




Winfried Nachtwei
23008


(C)



(D)



(A)



(B)


Ende der Fahnenstange erreicht sei, nicht wieder ein-
knicken wird, wenn der nächste Auslandseinsatz vor der
Tür steht. Der Vertrauensverlust innerhalb der Truppe
kann nur aufgefangen werden, indem der Auftrag der
Bundeswehr endlich wieder auf die gesetzliche Grund-
lage zurückgeführt wird und nicht länger über einen Aus-
landseinsatz nach dem anderen nachgedacht wird.

Wir fordern ganz klar das, was der Herr Wehrbeauf-
tragte angesprochen hat, zwölf Jahre nach der deutschen
Einheit endlich die Anpassung der Besoldung in Ost
und West vorzunehmen.


(Beifall bei der PDS – Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Überfällig!)


Frau Kollegin Merten, Sie haben angeführt, dass seit 1998
23 Milliarden Euro Neuinvestitionen im Rüstungsbereich
getätigt wurden. Was alles auf der Wunschliste von Herrn
Scharping steht, wissen wir. 50 Millionen Euro im Jahr
würde die Angleichung, also gleicher Wehrsold in Ost und
West, kosten. Dass Sie dazu zwölf Jahre nach der Einheit
nicht bereit sind, bewerten die Soldaten in der Truppe
dementsprechend.


(Beifall bei der PDS)

Das führt natürlich dazu, dass die Nachwuchsgewinnung
immer schwieriger wird.


(Peter Zumkley [SPD]: Wo bleibt denn der Antrag von Mecklenburg-Vorpommern dazu?)


– Es gibt viele andere Punkte, Herr Kollege Zumkley, die
ich noch gerne ansprechen würde.


(Johannes Kahrs [SPD]: Die PDS will es doch gar nicht! Ihre eigene Partei könnte im Bundesrat einen Antrag stellen! Sie haben keine Ahnung, gnädige Frau!)


Zum Schluss möchte ich einen ganz wichtigen Punkt
ansprechen. Statt öffentlich über die Unverfrorenheit
nachzudenken, ob und wie Soldaten mit deutschem Ho-
heitsabzeichen künftig eventuell bei einem Einsatz im
Nahen Osten israelischen Soldaten und der israelischen
Zivilbevölkerung gegenüberstehen oder bei einem An-
griff auf den Irak mitwirken sollen, fordern wir Sie ganz
klar auf: Ziehen Sie alle Truppen aus der Golfregion
zurück! Schaffen Sie mit Beginn der nächsten Legislatur-
periode die Wehrpflicht ab! Denken Sie nicht länger über
die Einführung weiterer Zwangsdienste nach!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423107200
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.


(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)



Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1423107300
Mein letzter Satz, Herr Prä-
sident.

Setzen Sie sich dafür ein, dass die Soldaten gemäß dem
Auftrag, der im Grundgesetz verankert ist, ausgerüstet sind!


(Susanne Kastner [SPD]: Kleinkariert!)

Reduzieren Sie die Bundeswehr auf das Ausmaß, das für
diesen Auftrag erforderlich ist! Dann können Sie die Bun-
deswehr finanziell adäquat ausstatten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS – Susanne Kastner [SPD]: Die Kinder, die in Afghanistan verhungert sind, sind Ihnen egal, nicht?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423107400
Für die
Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische
Staatssekretär Walter Kolbow.

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1423107500
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich möchte zunächst dem Herrn Wehr-
beauftragten für seinen Bericht, die klare Zielansprache
und seine bewährten Bemühungen im Jahre 2001 sehr
herzlich danken. Diesen Dank möchte ich ebenfalls sei-
nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch im Namen
von Bundesminister Scharping aussprechen. Herr Bundes-
minister Scharping ist im Zusammenhang mit internatio-
nalen Verpflichtungen leider verhindert. Sie können je-
doch versichert sein – diejenigen, die mich kennen, wissen
das –, dass der Inhalt dieser Debatte den Bundesminister
der Verteidigung unmittelbar erreicht.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Warum ist er nicht selber da?)


Der Wehrbeauftragte hat auch im Jahr 2001 eine Reihe
von berechtigten Unzulänglichkeiten, individuelles Fehl-
verhalten und andere Defizite in seinen Bericht aufneh-
men müssen. Aber ich möchte schon darum bitten, dass
man diesen Bericht – der, wie Herr Nachtwei zu Recht ge-
sagt hat, keine Zustandsbeschreibung der Bundeswehr
ist – nicht zum politischen Schwarz-Weiß-Malen nutzt
und auch nicht politisch instrumentalisiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hat die Opposition im Übrigen heute Morgen bei
der Debatte zum Parteiengesetz gemacht. Wenn sich das
auch bei objektiven Berichten über Einrichtungen unseres
Staates wie ein roter Faden durch Ihr politisches Handeln
zieht, ist die Glaubwürdigkeit der Beteiligten ein weiteres
Mal auf den Prüfstand gestellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage dies auch im Zusammenhang mit den Berich-
ten, die wir heute debattieren. Der Kollege Siebert hat hier
einseitige Beurteilungen vorgenommen und sich dabei
unter anderem auch auf den Löchel-Bericht bezogen, der
hier eingeführt wurde und ein bewährtes Instrument der
militärischen Führung ist. Wenn dies medial in der Weise
genutzt wird, dass sich diejenigen, die darauf vertrauen,
dass sie sich beschweren können, ohne als Quelle identi-
fiziert zu werden, hintergangen fühlen, dann erweisen Sie
der inneren Führung in unserem Lande und unseren Sol-
datinnen und Soldaten keinen guten Dienst.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Mund halten! Stillgestanden!)





Heidi Lippmann

23009


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu Recht
setzt der Wehrbeauftagte einen Schwerpunkt beim Einsatz.
Dies entspricht den aktuellen Herausforderungen. Zurzeit
befinden sich über 10 000 deutsche Soldatinnen und Sol-
daten zusammen mit den Streitkräften unserer Partner im
Einsatz. Zu Recht hat der Herr Wehrbeauftragte die Leis-
tungen und das Engagement der Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr im Einsatz, aber auch hier in Deutsch-
land als sehr bemerkenswert herausgestellt und gelobt.

Im Zusammenhang mit diesen schwierigen Einsätzen ist
natürlich jeder Soldat und jede Soldatin nicht nur berech-
tigt, sondern auch von uns aufgefordert, das, was ihm bzw.
ihr auffällt und ihn oder sie beschwert, aufzuschreiben und
dem Wehrbeauftragten, also dem bewährten Mann für diese
Fälle, zu übermitteln, auch wenn es gegenüber dem direkten
oder auch indirekten militärischen Führer im Moment nicht
opportun erscheint. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir
uns immer – nicht nur dann, wenn wir uns über einen Be-
richt des Wehrbeauftragten unterhalten, sondern auch dann,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir darüber reden,
wie es der Truppe im Einsatz geht – mit solchen Anmer-
kungen und wichtigen Beschwerden auseinander setzen
werden. Das gilt natürlich auch für das Jahr 2002.

Die Einsätze werden politisch und militärisch ständig
überprüft. Die Belastungen werden nicht nur im Hinblick
auf ihre Verhältnismäßigkeit untersucht, sondern es wird
in der Wirklichkeit darauf abgestellt. Es wird von den Sol-
datinnen und Soldaten nur das verlangt, was wir aufgrund
der politischen Entscheidungen von ihnen auch verlangen
müssen. Bestmögliche Schutzmaßnahmen sind garan-
tiert. Im Übrigen habe ich von Herrn Merz und von Herrn
Glos nach ihrem Besuch in Afghanistan nicht gehört, dass
es dort an Schutzmaßnahmen oder an anderen Dingen für
unsere Soldaten fehle. Das ist gut so.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423107600
Herr
Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1423107700
Immer.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423107800
Bitte
schön.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1423107900
Herr Staatssekretär Kolbow,
sind Sie der Meinung, dass es dem Soldaten, der sich an den
Wehrbeauftragten oder an andere wenden soll, in besonde-
rer Weise Mut macht, sich überhaupt zu äußern, wenn der
Verteidigungsminister nach einer Kommandeurstagung,
auf der Kritik geäußert wurde, Bandmitschnitte abholen
lässt, um sich dann diejenigen vorzunehmen, die kritisiert
haben?


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das ist gelebte innere Führung!)


W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1423108000
Frau Kollegin, ich bin der Mei-

nung, dass die Abläufe einer Kommandeurstagung, die
natürlich auch einen internen Wert haben, so genutzt wer-
den sollen, dass man die Informationen bekommt, die
man braucht. In diesem Falle sind die Dinge auch öffent-
lich überpointiert und überbewertet worden. Schaut man
genau hin, stellt man fest, dass dort nichts Kritisches und
Auffälliges passiert ist.


(Beifall bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423108100
Herr
Staatssekretär Kolbow, erlauben Sie eine weitere Zwi-
schenfrage der Kollegin Lietz?

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1423108200
Ja, bitte schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423108300
Frau
Lietz, bitte schön.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1423108400
Herr Staatssekretär, wenn
Sie es so sehen, dass man eine Kommandeurstagung nur
auf diese Weise im Verteidigungsministerium dokumen-
tieren kann, dann frage ich Sie, ob vom Verteidigungsmi-
nister in der Vergangenheit regelmäßig Bandmitschnitte
solcher Kommandeurstagungen angefordert wurden.


(Susanne Kastner [SPD]: Oh mein Gott!)


W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1423108500
Liebe Frau Kollegin, Sie gehen
von der irrigen Annahme aus, dass nur eine Komman-
deurstagung die Informationsdichte für den Bundesminis-
ter der Verteidigung, die politische Leitung und die mi-
litärische Führung herstellt. Wir sind im intensiven Dialog
mit allen, die uns Informationen geben können. Deswe-
gen wird natürlich auch der Inhalt der Kommandeursta-
gung benutzt. Aber dies ist nur eine Möglichkeit unter vie-
len, um das richtige Bild über die Lage zu gewinnen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Misstrauen!)

Das richtige Bild haben wir.


(Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nacht-und-Nebelaktion!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Auslandsverwen-
dungszuschlag, AVZ, wurde ebenso wie die Dauer der
Auslandseinsätze angesprochen. Im Hinblick auf den AVZ
weise ich darauf hin, dass wir durch unsere Besuche natür-
lich immer im Dialog mit den Soldaten stehen und mit der
militärischen Führung zusammenarbeiten. Insoweit müs-
sen wir auch auf Anraten der militärischen Führung die po-
litische Verantwortung für die Einsatzdauer von sechs
Monaten übernehmen. Deshalb musste der Deutsche
Bundestag den FDP-Antrag hierzu ablehnen.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Es war nicht nur einer! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Mehrheitlich!)


Wir wissen, dass wir zwar durch Flexibilität und die
Anwendung von Splitting-Verfahren insbesondere in Här-
tefällen individuelle Erleichterungen erzielen, dass die




Parl. StaatssekretärWalter Kolbow
23010


(C)



(D)



(A)



(B)


Überprüfung der Dauer dieser Auslandseinsätze jedoch
eine ständige Aufgabe ist. Das ist für uns selbstverständ-
lich. Lassen Sie uns auch über Ihre Erkenntnisse hierzu im
Dialog bleiben. Sie wissen, dass dies im Zusammenhang
mit unseren internationalen Partnern notwendig ist.

Hinsichtlich des Auslandsverwendungszuschlages
sind wir darauf angewiesen, Recht und Gesetz sowie die
Verwaltungsregelungen einzuhalten. Auch sollten wir uns
darüber im Klaren sein, dass wegen der Unterschiedlich-
keit des individuellen Einsatzortes das Gute der Feind des
Besseren ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423108600
Herr Kol-
lege Kolbow, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Braun?

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1423108700
Herr Kollege Braun hat vorhin
zwei Aussagen gemacht, die ich individuell mit ihm erör-
tern möchte.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Ich möchte etwas ganz anderes fragen!)


– Nein, dazu habe ich jetzt keine Lust.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423108800
Sie erlau-
ben also keine Zwischenfrage?

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1423108900
Nein, weil ich mich mit Ihnen
über zwei Äußerungen in Ihrer Rede auseinander setzen
möchte, auf die ich hier nicht eingehen will. Dies würde
meine Redezeit in empfindlicher Weise tangieren, weil
ich dazu länger bräuchte. Ob Sie mir dann aufgrund der
öffentlichen Situation zu diesem Gespräch zur Verfügung
stehen, weiß ich nicht.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Ich wollte etwas ganz anderes fragen!)


Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Mertens hat
auf die Tatsache hingewiesen, dass wir seit diesem Jahr ein
Attraktivitätsprogramm haben – ich will es auch als Fair-
nessprogramm gegenüber Soldaten bezeichnen –, bei des-
sen Umsetzung wir auf einem guten Weg sind. Wir haben
eine Reihe von Maßnahmen ergriffen; sie sind erwähnt
worden. Ich darf mich inhaltlich voll darauf beziehen.

Die 42 000 Beförderungen, die wir in diesem Jahr vor-
nehmen können, geben eben auch Ihnen von der Opposi-
tion Gelegenheit, dies aufzunehmen, es mit zu vertreten
und sich hierzu zu äußern. Damit können Sie eine Wie-
dergutmachung im Hinblick auf Ihre jahrelangen Ver-
säumnisse betreiben,


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


als Sie nicht für Attraktivität gesorgt und damit der jetzi-
gen Regierung das hinterlassen haben, was wir mit dieser
Reform von Grund auf zu bewältigen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Ende will
ich mich noch einmal sehr herzlich bei dem Herrn Wehr-
beauftragten bedanken, insbesondere für seine Bewertung
der Öffnung aller Laufbahngruppen für Frauen. Dies
ist ein Meilenstein, mit dem wir sorgfältig umgehen soll-
ten und der uns bei der Erfüllung unserer Aufgaben einen
guten und zusätzlichen Dienst erweist. Auf diesem Weg
wollen wir insgesamt weitergehen, wobei wir die Kritik
an bestimmten Punkten anerkennen, an denen wir arbei-
ten, um sie zu bewältigen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423109000
Das Wort
hat der Kollege Benno Zierer von der CDU/CSU-Frak-
tion.


Benno Zierer (CSU):
Rede ID: ID1423109100
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Ich weiß nicht, warum der Hin-
weis des Kollegen Siebert auf den Löchel-Bericht den
Herrn Parlamentarischen Staatssekretär so in Rage ge-
bracht hat.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Das wissen wir aber sehr genau!)


Ich meine, es war ein gewisser Hilfeschrei, der hier zu
vernehmen war. Hierfür ist ein offenes Ohr notwendig. Es
geht nicht darum, diese Dinge unter Verschluss zu brin-
gen. Es betrifft schließlich die Befindlichkeit unserer Sol-
daten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zunächst stelle ich fest, dass der Bericht dem Bundes-

tag innerhalb von vier Wochen nach Erscheinen zugelei-
tet wurde. Das ist im Vergleich zu den Vorjahren also sehr
rechtzeitig erfolgt. Dafür darf ich dem Büro von Herrn
Dr. Penner und Herrn Ministerialdirigenten Dr. Seidel und
seinen Mitarbeitern sehr herzlich danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Bundeswehr befindet sich, wie eingangs des Berich-

tes konstatiert wird, in einer Phase des Umbruchs, und das
seit Jahrzehnten. Mit der deutschen Einheit und dem Ende
des Warschauer Paktes kam der ganz große Knall, nämlich
die Abwicklung der Nationalen Volksarmee und die Ver-
schmelzung ihrer Reste mit der Bundeswehr, die Truppen-
reduzierungen auf 370000, auf 340000, auf 310000 Mann
und der Paradigmenwechsel von der Abschreckungs- und
Territorialverteidigungsarmee zur Interventionstruppe mit
weltweitem Einsatzhorizont.

Genau genommen ist die Bundeswehr seit 20 Jahren
nicht mehr zur Ruhe gekommen. Was das für eine Armee
bedeutet, muss wohl nicht eigens betont werden: ständige
Verunsicherung, keinerlei Planungssicherheit, Demotiva-
tion und Skepsis in der Truppe. Die Soldaten fühlen sich
von der politischen Führung im Stich gelassen. Sie sollen
immer mehr leisten und finden immer weniger Gehör für
die großen strukturellen Probleme, aber auch für ihre all-
täglichen großen und kleinen Sorgen.




Parl. StaatssekretärWalter Kolbow

23011


(C)



(D)



(A)



(B)


In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Stand-
orte geschlossen, Verbände und Einheiten aufgelöst, zusam-
mengelegt oder umgegliedert und Dienststellen abgeschafft.
Viele Angehörige der Streitkräfte mussten im Gefolge der
ständigen Umstrukturierungen ihren Wohnort wechseln,
manche sogar mehrmals hintereinander. Oft wurden Trup-
penteile oder militärische Einrichtungen zunächst für den
Erhalt oder sogar für einen Aufwuchs vorgesehen und
dann doch plötzlich verringert oder ganz abgebaut. Das
alles hat der Truppe geschadet.

Vor diesem Hintergrund muss der Bericht des Wehrbe-
auftragten gesehen werden und darum wiegen jede Klage
und jede Beschwerde doppelt schwer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dazu kommen die chronische Unterfinanzierung und das
Fehlen eines verbindlichen, gesellschaftlich geklärten
militärischen Leitbildes, das zukunftsorientiert und als
Grundlage für eine mittel- und langfristige Streitkräftepla-
nung tauglich ist.

Zusammenfassend muss ich feststellen, dass die Bun-
desregierung die Bundeswehr sträflich vernachlässigt hat.


(Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt sprechen Sie von Rühe! Jetzt sprechen Sie eindeutig von Rühe!)


– Wir reden von der Zukunft von heute an. Ein Blick
zurück bringt uns nicht mehr viel. – Sie hat sich weder um
die Befindlichkeit der Soldaten gekümmert noch darum,
wie diese ihren Auftrag erfüllen sollen, wenn es an allen
Ecken und Enden brennt.


(Susanne Kastner [SPD]: Die Verlässlichkeit, die die CDU an den Tag legt, ist schon verwunderlich!)


Der Bundesminister der Verteidigung weigert sich, den
Tatsachen ins Auge zu sehen und faselt,


(Susanne Kastner [SPD]: Erzählt! Der Verteidigungsminister faselt nicht!)


wie jüngst auf der Kommandeurstagung, von einem guten
Zustand der Truppe.

Das Versagen der politischen Führung dokumentiert
sich auch in der nach wie vor ungelösten Frage, welche
Bundeswehr wir wollen. Wie soll eine deutsche Armee der
Zukunft aussehen?


(Johannes Kahrs [SPD]: Die SPD gewinnt die Wahl! So sieht die Zukunft aus!)


Welche Aufgaben hat sie zu bewältigen? Welchen Beitrag
wollen wir im Bündnis leisten? – Meine Damen, meine
Herren, wir können diese Fragen nicht länger vor uns her-
schieben.

Die Frage nach der Wehrform der Zukunft kann auch
nicht aus dem Blickwinkel des zivilen Ersatzdienstes be-
antwortet werden. Auch die derzeit laufende so genannte
Strukturreform, die ohnehin als gescheitert betrachtet
werden darf, formuliert keine Antworten, sondern ver-
sucht, sich mit einem kräftigen Sowohl-als-auch daran
vorbeizumogeln.

Das Reservistenwesen, das anerkanntermaßen ein be-
währtes Bindeglied zwischen Armee und Bevölkerung
darstellt und auch gesellschaftspolitisch ein relevanter
Faktor ist, bedarf einer Neuausrichtung. Aber die an-
gekündigte neue Reservistenkonzeption lässt noch immer
auf sich warten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Gut Ding will Weile haben! – Susanne Kastner [SPD]: Was haben Sie denn in Ihrer Regierungszeit alles liegen lassen?)


Auch sie muss sich an der Frage orientieren, welche Bun-
deswehr wir für die Zukunft wollen.


(Johannes Kahrs [SPD]: 16 Jahre nichts geschafft und jetzt meckern!)


– Zurückzuschauen bringt uns nicht viel. Ich habe das vor-
hin schon gesagt.

Ein weiterer wunder Punkt ist die Material- und
Ersatzteillage. Der permanente Investitionsstau hat – auch
in manchen Kasernen insbesondere im Westteil unseres
Landes – zu höchst unerfreulichen Zuständen geführt. Die
baulichen Anlagen sind vielerorts bereits in den Verfall
übergegangen.


(Susanne Kastner [SPD]: Nun übertreiben Sie aber! Kommen Sie mal in meinen Wahlkreis! – Johannes Kahrs [SPD]: Da sehen Sie die Ergebnisse Ihrer 16-jährigen Regierungspolitik!)


Die sanitären Verhältnisse spotten in vielen Fällen jeder
Beschreibung. Ich meine, das ist nicht nur einer modernen
Armee, sondern auch unseres ganzen Landes unwürdig.
Es ist unerträglich, dass die drittmächtigste Wirtschafts-
nation der Erde in ihren Streitkräften teilweise Zustände
wie in einem Drittweltland duldet.

Nur kurz geht der Bericht auf das Problem der Wehrge-
rechtigkeit ein. Dennoch darf ich an dieser Stelle anmer-
ken – dies ist eine Tatsache –: Wir alle wissen, dass nur noch
ein Viertel aller wehrtauglichen jungen Männer tatsächlich
eingezogen wird. Tatsache ist auch, dass die Verkürzung
des Wehrdienstes auf neun Monate die Verwendungfähig-
keit der Wehrpflichtigen weiter einschränkt und ernst-
hafte ökonomische Fragen aufwirft.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie wissen doch gar nicht, worüber Sie reden! Schauen Sie doch mal in die Gesetze und diskutieren Sie mal mit Soldaten!)


Wollen wir uns künftig mit einem „soldier light“ zufrie-
den geben? Welchen Dienst soll dieser „soldier light“ ver-
sehen? Will man allen Ernstes den seit Gründungszeiten
verrufenen Gammeldienst weiterpflegen?

Der Bericht stellt viele Mängel fest, die einer Kom-
mentierung wert wären, etwa den Beförderungs- und
Verwendungsstau oder die Mängel bei der Auszahlung
der Auslandsverwendungszulage. Darüber ist schon ge-
sprochen worden. Der Bericht vermerkt zwar, dass die
Personalsituation unbefriedigend ist, meidet aber die lo-
gische Schlussfolgerung, dass dies auch eine Konsequenz
des lädierten Ansehens unserer Armee und ihrer Einrich-
tungen ist. Der Imageverlust der Bundeswehr, den ihr die
politische Führung durch ihr Versagen zugefügt hat, führt




Benno Zierer
23012


(C)



(D)



(A)



(B)


dazu, dass sich viele junge Menschen trotz ihrer positiven
Grundeinstellung und ihres beruflichen Wunschbildes ge-
gen eine Verpflichtung entscheiden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Da hört nicht mal Ihr Obmann zu! Nicht mal Paul Breuer findet das interessant! Kommen Sie zum Schluss!)


Denn wer bei einem ersten Informationsbesuch in
einer Kaserne nahezu russische Zustände sowie miserable
hygienische und sanitäre Verhältnisse antrifft, der hat
– ich darf das einmal ganz salopp sagen – vom Bund die
Schnauze voll.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423109200
Herr Kol-
lege Zierer, kommen Sie bitte zum Schluss.


(Susanne Kastner [SPD]: Auch wir haben die Schnauze voll von Ihrer Rede!)



Benno Zierer (CSU):
Rede ID: ID1423109300
Die Frage der Besoldung
ist das eine. Sie ist aber nicht das einzig Wichtige. Ebenso
stimmig müssen Ansehen, Selbstverständnis und inneres
Gefüge der Streitkräfte sein. Ich appelliere daher an alle
Verantwortungsträger: Kümmern Sie sich um Ihre Solda-
ten, ehe Sie sie in alle Winkel der Welt schicken! Geben
Sie der Bundeswehr das, was sie jetzt dringend braucht:
Konsolidierung und ein zukunftsfestes Leitbild! Verzö-
gern Sie nicht länger eine überfällige Wehrreform, die die-
sen Namen auch verdient!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Deshalb muss die SPD vier weitere Jahre regieren!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423109400
Als letzter
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort
der Kollege Gerhard Neumann von der SPD-Fraktion.


Gerhard Neumann (SPD):
Rede ID: ID1423109500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aussprache über
den Jahresbericht 2001 des Wehrbeauftragten nehme ich
zum Anlass, einige meiner persönlichen Gedanken in die
Diskussion einzubringen. Als Thüringer Abgeordneter
habe ich drei Legislaturperioden im Verteidigungsaus-
schuss sowohl in der Opposition als auch in der Regie-
rungsverantwortung mitgewirkt.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Bald sind Sie wieder in der Opposition!)


– Danke. – Meine Position zur Bundeswehr ist eindeutig:
Die Bundeswehr ist so, wie sie sich entwickelt hat, eine
wertvolle, unverzichtbare und tragende Stütze unseres
Landes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an alle Abgeordneten, diese Tradition zu
pflegen und die Bundeswehr mit kleinkariertem Tagesge-
zänk zu verschonen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt wie der aus
dem letzten Jahr die inneren Probleme der Bundeswehr in
großer Sachlichkeit auf. Dafür bedanke ich mich ganz
herzlich bei Herrn Penner und seinen Mitarbeitern. Sein
Bericht unterscheidet sich wohltuend von den Aufgeregt-
heiten und den in das Persönliche gehenden Entgleisun-
gen Einzelner, die dann genüsslich durch die Medien ver-
breitet werden.

Der Bericht lässt in seiner Gesamtheit folgende Aussa-
gen zu. Erstens. Die Bundeswehr hat im Jahr 2001 ihre
Aufgaben erfüllt. Die Auslandseinsätze haben das inter-
nationale Ansehen der Bundeswehr und der Bundes-
republik spürbar erhöht.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Bundeswehrreform ist in der Zielrich-

tung richtig. Die Reform nimmt immer mehr Gestalt an.
Drittens. Die Bundeswehr steht trotz aller Unkenrufe

aus dem Wald nicht vor dem materiellen Aus. Die Moral
der Truppe ist gut.


(Beifall bei der SPD)

Viertens. Es gibt zwar Negativvorkommnisse. Aber sie

sind nicht das Bestimmende, das Charakteristische.
Millionen von jungen Männern, zunehmend auch

Frauen, wurden in einem wichtigen Lebensabschnitt von
den Verhältnissen in der Bundeswehr mitgeprägt. Viele
verfolgen mit Kopfschütteln und mit Unverständnis die
Art der öffentlichen Auseinandersetzung, die sich öfter
nahe an der persönlichen Beleidigung befindet. Hinsicht-
lich der Interessenvertretung ist es notwendig, persön-
liche Profilierungsversuche zulasten des Ansehens der
Bundeswehr gemeinsam zu verurteilen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die ständige Neuausrüstung der Bundeswehr in Ab-
leitung der äußeren und inneren Entwicklungen war, ist
und bleibt zu allen Zeiten eine unverzichtbare Aufgabe.
Das zehnjährige Aussetzen dieses Prozesses in einer sich
rasant verändernden Welt schafft heute einen erhöhten Fi-
nanzbedarf und zusätzlichen Zeitdruck im Hinblick auf
den Abbau der aufgestauten notwendigen Reformen.
Spannungen sind dadurch vorprogrammiert. Spannungen
sind nichts Außergewöhnliches. Spannungen sind Aus-
druck für das Ringen, Versäumtes aufzuholen.

Uns Abgeordneten sollte in der täglichen Arbeit stärker
bewusst sein, dass Strukturveränderungen dieser Dimen-
sion Zeit bedürfen, weil viele Familien einzubeziehen
sind und weil Ausrüstung sowie komplizierte Technik in
Höhe vielfacher Milliarden betroffen sind, bei denen
meist ein zeitlicher Abstand von vielen Jahren zwischen
Bedarfsspezifikation, Auftragsauslösung und tatsächli-
cher Bereitstellung in der Truppe besteht. Die Zeitspanne
für die vorgeschalteten politischen Entscheidungspro-
zesse sollte hierbei bitte nicht vergessen werden. Das
Denken in Legislaturperioden ist wenig hilfreich; ange-
messene Kontinuität ist gefragt.

Was bedeutet das für unsere Arbeit?




Benno Zierer

23013


(C)



(D)



(A)



(B)


Erstens. Der Ansatz der Bundeswehrreform ist lang-
fristig ausgerichtet und richtig. Sie muss zügig fortgeführt
und darf nicht kurzatmig zerredet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Die Bereitschaft der Bundesrepublik, die Bun-
deswehr international einzusetzen, muss zwingend an die
tatsächlichen Fähigkeiten der Bundeswehr gekoppelt sein.
Die Fähigkeiten der Bundeswehr werden als Ergebnis der
Reform wachsen. Eine Überforderung der Bundeswehr
– auch wenn sie nur zeitweilig stattfindet –, sei sie politisch,
personell oder durch die Ausrüstung bedingt, hat katastro-
phale Folgen und ist unter allen Umständen zu vermeiden.
Ich denke in diesem Zusammenhang an das Beispiel aus
Holland. Wir kennen den Bericht aus Srebrenica.

Drittens. Die Welt richtet sich nicht ausschließlich
nach unseren Terminen. Wenn sich die Welt schneller oder
anders entwickelt, als wir heute denken, dann ist die jet-
zige Reform trotzdem nicht falsch. Nein, dann müssen
Tempo und Inhalte der Bundeswehrreform vielmehr er-
neut auf den politischen Prüfstand und den veränderten
Weltbedingungen angepasst werden. Das ist die vor-
nehmste Pflicht des Bundestages, also unser aller Pflicht.

Zum Schluss komme ich zu einem Punkt, der mich im-
mer wieder bedrückt: Der Wehrbeauftragte, Herr Penner,
hat in seinem Bericht die Angleichung der Einkommen
in der Bundeswehr zwischen West und Ost erneut, also
zum wiederholten Male, dringend angemahnt. Wir müs-
sen uns einmal vorstellen, dass junge Männer und Frauen,
die 1990, im Jahr der Einheit, eingeschult wurden und
jetzt Dienst in der Bundeswehr leisten können, schon wie-
der bestraft werden. Sie haben die DDR gar nicht kennen
gelernt und sie spielt in ihren Köpfen keine Rolle. Den-
noch werden sie immer noch bestraft.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Bestrafung?)

– Doch, es ist eine Bestrafung.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist keine Gleichbehandlung! Aber keine Strafe!)


– Gut, sie werden nicht gleich behandelt. Darauf gehe ich
gerne ein.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Die werden bis in die Rente bestraft! Das merken Sie 40 Jahre!)


Wenn ich aus diesem Parlament ausscheide, werde ich
feststellen müssen, dass das ein Punkt ist, den wir zwölf
Jahre lang angegangen sind. Wir haben zwar einiges er-
reicht; aber es muss ein Umdenken in den Köpfen der
Bundes-, aber auch der Landespolitiker geben. Es muss
ein Umdenken stattfinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Ich spreche alle Abgeordneten dieses Parlamentes quer
durch die Parteien an: Vielleicht sollten wir dieses Pro-
blem für die Bundeswehr lösen, weil ihr Einsatz ein be-
sonderer Einsatz ist.

Ich bedanke mich für das Zuhören.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423109600
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Jahresbe-
richtes des Wehrbeauftragten auf Drucksache 14/8330 an
den Verteidigungsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 25 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion

der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Abschaffung der Budgets in der gesetz-

(GKV-Budgetaufhebungsgesetz)

– Drucksache 14/5225 –

(Erste Beratung 152. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/8793 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus-schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten WolfgangLohmann (Lüdenscheid), Horst Seehofer, Dr. WolfBauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU
Abschaffung der sektoralen Budgets in der ge-setzlichen Krankenversicherung
– Drucksachen 14/4604, 14/8793 –
Berichterstattung:Abgeordneter Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


Der Ausschuss für Gesundheit hat in seine Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/8793 den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4604 einbe-
zogen, über den jetzt ebenfalls abschließend beraten wer-
den soll. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann
ist es so beschlossen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Auch hier-
gegen höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Klaus Kirschner von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Kirschner.


(Detlef Parr [FDP]: Mit Glanz in den Augen für die Budgetierung!)



Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1423109700
So ist das bei uns.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten

jetzt einen Gesetzentwurf und einen Antrag der CDU/
CSU-Fraktion, die beide von der Realität längst überholt
sind.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was? Von der Realität überholt?)





Gerhard Neumann (Gotha)

23014


(C)



(D)



(A)



(B)


– Hören Sie doch mal zu! – Sowohl der Gesetzentwurf als
auch der Antrag sind nichts anderes als Rosstäuscherei.
Sie wollen den Ärzten suggerieren, Sie würden die Bud-
gets mit den Regelleistungsvolumina abschaffen, damit
die Ärzte in Erwartung höherer Honorarzuwächse Sie
dann im Wahlkampf unterstützen. Der Präsident der Bun-
desärztekammer, Professor Hoppe, die Bundeszahnärzte-
kammer und die Apothekerkammer haben am Dienstag
bereits indirekt den politischen Schulterschluss mit Ihnen
geübt. Ausgerechnet diese Lobbyisten warnen vor einem
ausschließlich an ökonomischen Interessen ausgerichte-
ten Gesundheitswesen.


(Zuruf von der SPD: In der Tat!)

Ihr eigener Gesetzentwurf allerdings – das will ich

schon verdeutlichen – führt Ihre propagierte Absicht ad
absurdum. Sie halten an den Gesamtvergütungen fest.
Sie wollen, dass es im Vorhinein Budgets auf der Grund-
lage fester Punktwerte für Leistungen gibt. Gleichzeitig
sollen für die einzelnen Ärzte Regelleistungsvolumina
vereinbart werden. Das bedeutet: Übersteigt die vom
einzelnen Arzt abgerechnete Leistungsmenge dieses
Regelleistungsvolumen, werden die darüber hinausge-
henden Leistungen mit abgestuft fallenden Sätzen ver-
gütet.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber sie werden vergütet! Das ist der Unterschied!)


Das ist der Versuch der Quadratur des Kreises mit festem
Punktwert und Budget. Das ist der Inhalt Ihres Gesetz-
entwurfes.

Auch der Berufsverband derAllgemeinärzte hat dies
durchschaut. Ich darf an die Stellungnahme erinnern, die
er zu Ihrem Gesetzentwurf abgegeben hat. Darin heißt es:
Der Grundsatz der Budgetierung wird damit nicht aufge-
geben, sondern nur transformiert auf die Ebene starrer in-
dividueller Praxisbudgets.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Auf einmal sind Sie Ärztekronzeuge!)


Budgets sind Budgets, Herr Kollege Lohmann, auch
wenn Sie es anders nennen und das nicht zugeben wollen.
Auch Sie wissen aus Erfahrung – Sie sind in diesem poli-
tischen Bereich lange genug dabei –: Ohne Budgets ist die
Krankenversicherung nicht zu steuern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wir sind aber lernfähig! – Detlef Parr [FDP]: Ich sage doch: Glanz in den Augen!)


– Aber kein Euro-Glanz wie vielleicht bei einigen Leis-
tungserbringern, wenn sie Ihren Gesetzentwurf lesen.

Im Übrigen: Ein Blick in das Gesetz – –

(Zuruf von der SPD: Erleichtert die Rechtsfin dung ungeheuer!)

– Genau. – Ich erinnere an §85 im SozialgesetzbuchV. Darin
ist den Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen der Ho-
norarverteilung die Möglichkeit der Regelleistungsvolumina

gegeben. Was soll eigentlich Ihr Gesetzentwurf? Die
Regelung wird nicht angewandt, da Praxisbudgets im
Rahmen des EBM, des Einheitlichen Bewertungsmaßsta-
bes, medizinisch nicht begründeten Mengenausweitungen
wesentlich besser entgegenwirken. Spätestens bei Ihrem
Bekenntnis – das ist auch Teil Ihres Gesetzentwurfes – zur
stringenten Beitragssatzstabilität nach § 71 Sozialge-
setzbuch V werden die Ärzte aus ihren Honorarträumen
gerissen und wieder hellwach sein. Das prophezeie ich Ih-
nen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es gibt aber, wie Sie genau wissen, auch Ausnahmen!)


Mit Ihrem eindeutigen Bekenntnis zu § 71 bekennen Sie
sich endlich schwarz auf weiß dazu,


(Zuruf von der SPD: Hauptsächlich schwarz!)

dass ausreichend Geld für die Vergütung der ärztlichen
Behandlung vorhanden ist.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wohl wahr! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist doch dummes Zeug!)


Wenn das so ist, erklären Sie aber auch den Patienten,
warum Sie in Ihrem Wahlprogramm die Einführung so ge-
nannter Grund- und Wahlleistungen einfordern. Das ist
doch nichts anderes, als über Leistungskürzungen und
Verlagerung von der Solidargemeinschaft auf den Geld-
beutel des Einzelnen mehr Geld von den Kranken zu ver-
langen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wo steht das im Gesetzentwurf? Sie zitieren doch dauernd!)


– Lieber Kollege Lohmann, man muss diese Dinge ja ein-
mal zusammensehen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Anstatt die Qualität der Leistungen und damit die
Effizienz zu steigern – darum muss es doch eigentlich ge-
hen –, wollen Sie Geld zugunsten der Leistungserbringer
umschichten. Das ist Ihre Botschaft. Bei Ihnen steht nicht
der Patient im Mittelpunkt, sondern sein Geldbeutel und
letzten Endes die Einkommensinteressen der Leistungs-
erbringer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, damit komme ich zum
zweiten Teil Ihres merkwürdigen Gesetzentwurfs, zur
Forderung nach Abschaffung der Arznei- und Heilmit-
telbudgets. Ist Ihnen eigentlich noch nicht aufgefallen,
dass das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz in Kraft
ist? Welches Budget wollen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
eigentlich abschaffen? Es ist doch lächerlich und eine Zu-
mutung für den Bundestag, dass wir heute über einen Ge-
setzentwurf zur Abschaffung von etwas nicht mehr Vor-
handenem abstimmen sollen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)





Klaus Kirschner

23015


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, das ist kein Quatsch. Das ist nun einmal Fakt.

(Rüdiger Veit [SPD]: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist typisch CDU!)


– So ist es.
Hätte man die Arzneimittelbudgets gemäß Ihrem Vor-

schlag aufgehoben, wären die Kassenärztlichen Vereini-
gungen aus der Verantwortung für die Arzneimittelaus-
gaben entlassen. Liest man dazu die Begründung in Ihrem
Gesetzentwurf, dann kann ich nur sagen: Widersprüch-
licher geht es nun wirklich nicht mehr. Sie weisen auf die
hohen Ausgabenzuwächse von 1999 bis 2000 im Arznei-
mittelbereich hin, beklagen aber gleichzeitig eine angeb-
liche Rationierung in der Arzneimitteltherapie. Was gilt
nun eigentlich? Der Kollege Dr. Bauer, den ich ja sonst
sehr schätze, hat sich in der Aktuellen Stunde in einer der
letzten Sitzungswochen am 13. März – ich habe das extra
noch einmal im Protokoll nachgelesen – zu der Behaup-
tung verstiegen: Die rot-grünen Gesundheitspolitiker

haben den sozial Schwachen die Möglichkeit ge-
nommen, die Medikamente zu bekommen, die sie
brauchen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


Das wird vor dem Hintergrund einer Aktuellen Stunde zu
den Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich
von 11,2 Prozent im Jahre 2001 gesagt!

Einerseits prangern Sie also Ausgabensteigerungen an,
andererseits stellen Sie Rationierung fest. Ich frage Sie:
Was gilt denn nun eigentlich? Sind im vergangenen Jahr,
wo Arzneimittel in Höhe von 43,8 Milliarden DM bzw.
22,3 Milliarden Euro zulasten der gesetzlichen Kranken-
versicherung verordnet wurden, nun zu viel oder zu we-
nig Arzneimittel verordnet worden? Irgendwo müssen Sie
schon einmal sagen, was nun eigentlich gilt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sagt er uns gleich!)


Sonst werden Sie letzten Endes nicht mehr ernst genom-
men.

Sie spielen sich in Ihrem Gesetzentwurf als Hüter von
Patienteninteressen auf. In der Begründung schreiben Sie
nämlich:

Patienten, die eine hochpreisige Arzneimitteltherapie
benötigen, haben es zunehmend schwerer, einen Arzt
zu finden, ...

Sie verweisen auf eine Umfrage des Verbandes der For-
schenden Arzneimittelhersteller, wonach angeblich chro-
nisch Kranken in 15 Prozent der Fälle die notwendigen
Arzneimittel verweigert wurden.

Nur noch 10 Prozent der Tumorpatienten erhalten
eine adäquate Schmerztherapie.

So steht es in Ihrer Begründung.
Sollten Sie nicht vor allem fragen, ob wir nicht eher ein

Fehlversorgungs- statt ein Unterversorgungsproblem ha-
ben? Wir haben zwar auch Unterversorgung, aber vor al-

len Dingen Fehlversorgung. Meine Damen und Herren,
ich will dies am Beispiel Diabetesversorgung verdeutli-
chen. Der Verband der Forschenden Arzneimittelherstel-
ler – Sie müssen auch einmal andere Aussagen von dem
lesen – kommt zu dem Ergebnis, dass die gesamtwirt-
schaftlichen Kosten in Höhe von 31 Milliarden DM für
die Behandlung des Typ-2-Diabetes vor allem durch
Komplikationen verursacht werden, die nicht rechtzeitig
erkannt oder nicht adäquat behandelt werden.

Eine frühzeitige und konsequente Behandlung des
Typ-2-Diabetes würde der Volkswirtschaft Kosten in
Milliardenhöhe ersparen.

So die Aussage des Verbandes der Forschenden Arznei-
mittelhersteller.

Ich füge ein Zitat von Professor Berger von der Uni
Düsseldorf – ich denke, von einem von uns allen sehr ge-
schätzten Experten – hinzu:

Wie vorrangig im Bereich der Diabetologie in
Deutschland immer noch die als „Erfahrungsmedi-
zin“ beschönigte „non evidence based medicine“ ist,
zeigt sich unter anderem in dem Verordnungsvolu-
men an Medikamenten ohne gesicherten klinischen
Wirksamkeitsnachweis. Für das Jahr 1994 haben wir
auf dieser Grundlage eine Mittelverschwendung in
Höhe von 1 Milliarde DM

– das sind 1 000 Millionen DM –
aufgrund von Verschreibungen unwirksamer Medi-
kamente bei Patienten mit Diabetes mellitus in
Deutschland errechnet.

1 Milliarde DM allein im Bereich Diabetesversorgung!

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Unglaublich!)


Solche Beispiele, die sich beliebig erweitern lassen,
belegen: Wir haben erhebliche Versorgungs- und Qua-
litätsdefizite mit gravierenden Folgen für die Lebensqua-
lität und mit einer hohen Zahl an verlorenen Lebensjahren
für die betroffenen Bürger. Gleichzeitig haben wir Men-
gen- und Ausgabenentwicklungen, die medizinisch nicht
zu begründen sind. Mit Ihrem Gesetzentwurf würde dies
alles noch wesentlich erhöht.

Augenfälligstes Beispiel sind – auch dies will ich Ihnen
nicht ersparen – die großen Differenzen bei den Arz-
neimittelausgaben pro Versicherten bei den einzelnen
Kassenärztlichen Vereinigungen. Bei den Arzneimitteln
reicht die Spanne der Verordnungen und Umsätze von
Januar bis November des vergangenen Jahres nach den
Vergleichszahlen in einer Untersuchung des Wissenschaft-
lichen Instituts der Ortskrankenkassen von 309 000 de-
finierten Tagesdosen im Bereich der Kassenärztlichen Ver-
einigung Nord-Württemberg bis zu 423 000 bei der
KV Saarland. Das heißt, dort finden 36 Prozent mehr Ver-
ordnungen statt. Glauben Sie allen Ernstes, dass die Pa-
tienten in Nord-Württemberg untertherapiert sind?


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist die spannende Frage! Darauf wird Herr Lohmann eine Antwort geben! – Gegenruf des Abg. Detlef Parr [FDP]: Der Wähler wird die Antwort geben! Das ist viel wichtiger!)





Klaus Kirschner
23016


(C)



(D)



(A)



(B)


Bevor Sie wieder einen solchen Gesetzentwurf in den
Bundestag einbringen, lesen Sie den Arzneiverordnungs-
report des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskranken-
kassen. Dort ist nachzulesen, dass insgesamt ein Trend zu
teureren Verordnungen zu beobachten ist. Dies widerlegt
die Behauptung der pharmazeutischen Industrie von einer
drastischen Unterversorgung mit innovativen Arzneimit-
teln, die Sie kritiklos übernehmen. Gerade in den Berei-
chen, für die ein therapeutischer Zusatznutzen belegt ist,
ist es zu deutlichen Verordnungszuwächsen gekommen.
Die 1 191 Millionen verordneten Tagesdosen an Antidia-
betika reichen aus, um täglich 3,3Millionen Diabetiker zu
behandeln. Anhand von Bevölkerungsstudien wird die
Zahl der Diabetiker in Deutschland auf 3,1 Millionen ge-
schätzt. Das heißt, die Versorgung ist deutlich höher; von
einer Unterversorgung kann überhaupt nicht die Rede
sein.

Das gilt auch für die Behandlung von Tumorpatienten
mit stark wirksamen Schmerzmitteln. Die verordnete
Menge an Tagesdosen reicht zur Behandlung von 96 Pro-
zent der geschätzten Zahl der Tumorpatienten aus. Dabei
handelt es sich nicht, wie Sie behaupten, um eine Unter-
versorgung.


(Detlef Parr [FDP]: Sie reden von Menschen! Das ist abenteuerlich!)


– Das mag Ihnen alles nicht gefallen, Herr Kollege Parr.
Das Schreckgespenst einer medikamentösen Unterversor-
gung in Deutschland, das Sie, genauso wie die CDU/CSU,
ständig anführen, entspricht nicht der Realität in diesem
Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Detlef Parr [FDP])


– Wie gesagt, das mag Ihnen alles nicht gefallen. Aber
schauen Sie in den Arzneiverordnungsreport hinein; die-
ser belegt, dass nicht von einer Unterversorgung, sondern
von einer Fehlversorgung und damit einer Verschwen-
dung von Beitragsgeldern gesprochen werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verehrter Herr Kollege Lohmann, in der vorgestrigen
Ausschusssitzung haben Sie angemerkt, dass der Arznei-
verordnungsreport für manche nicht nur wie die Bibel sei,
sondern sie würden sich ihn vor den Kopf halten, um nicht
weiter nachdenken zu müssen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wie ein Brett vor dem Kopf!)


– Sie haben gemeint: wie die Bibel. Erst einmal, lieber
Herr Kollege Lohmann: Als Mitglied einer christlichen
Partei tragen Sie die Bibel ja sicherlich nicht nur vor dem
Kopf, sondern schauen auch regelmäßig hinein; davon
gehe ich aus.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sollte man meinen!)

Als Gesundheitspolitiker sollten Sie genauso mit dem
Arzneiverordnungsreport umgehen, denn dort werden Sie
und die CDU/CSU Wort für Wort widerlegt. Das gilt auch

für die FDP; aber Sie wollten ja sogar schon die Kirchen-
steuer abschaffen.


(Heiterkeit bei der SPD – Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD] – Detlef Parr [FDP]: Was hat das denn mit Gesundheit zu tun?)


– Ich wollte nur im Zusammenhang mit dem Kollegen
Lohmann darauf hinweisen, weil Sie ständig das Gleiche
wie die CDU/CSU betonen.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, es wird
Sie deshalb sehr betrüben


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber nicht überraschen!)


– es wird Sie auch überraschen –, wenn ich im Auftrag
meiner Fraktion ankündige: Wir werden sowohl Ihren An-
trag als auch Ihren Gesetzentwurf ablehnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich bitte
Sie im Übrigen, uns solche überflüssigen und fundamen-
tal unsinnigen Gesetzentwürfe in Zukunft zu ersparen.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin mir sicher, die Wählerinnen und Wähler geben Ih-
nen weitere vier Jahre Zeit, Gesetzgebung in der Opposi-
tion fleißig zu üben.


(Zuruf von der SPD: Bravo!)

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423109800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Lohmann.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1423109900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege
Kirschner hat, was die Stimmlage anbelangt, eine für
seine Verhältnisse moderate Rede gehalten. Wenn Sie ge-
nau aufgepasst haben, dann haben Sie gemerkt, dass er
aber ganz laut geworden ist, als er versuchen wollte, den
Menschen weiszumachen, dass es keine Unterversor-
gung in Deutschland gebe.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt hören wir Zahlen!)


Genau das ist aber der Fall, was ich Ihnen auch nachwei-
sen kann.


(Johannes Kahrs [SPD]: Dann tun Sie das auch! Fakten! Fakten! Fakten!)


Ich werde nachher nicht Statistiken, sondern Aussagen
von Personen zitieren, die befragt worden sind. Was man
mit Statistiken machen kann, das weiß Ihre Fraktion ja am
besten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das haben Sie 16 Jahre gemacht, als Sie regiert haben!)





Klaus Kirschner

23017


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir befassen uns heute mit zwei Vorlagen der
CDU/CSU-Fraktion, die auf die Beendigung der Budge-
tierung in allen Leistungsbereichen zielen. Denn – ich
sage es ganz ruhig – Budgetierung führt zur Rationie-
rung medizinischer Leistungen. Das heißt Vorenthaltung
von Leistungen, auf die die Patienten einen Anspruch ha-
ben, weil sie medizinisch notwendig sind und weil wir
alle – und Sie im besonderen Maße – sie ihnen verspro-
chen haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Güte! – Zuruf von der CDU/CSU: Versprochen und nicht gehalten!)


Fortdauernde Budgetierung ist der Weg in eine Zwei-
klassenmedizin; denn nur Gutverdienende können sich
durch private Zahlungen eine medizinisch notwendige
Versorgung leisten.


(Peter Dreßen [SPD]: Die Budgetierung hat doch Seehofer erfunden! – Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD])


– Sie haben doch vorhin in der verteidigungspolitischen
Debatte genug geschrien.


(Peter Dreßen [SPD]: Ich?)

– Ich meine Ihren Kollegen. Sie sollten uns Gesundheits-
politiker einmal in Ruhe lassen. Wir sind froh, wenn wir
uns in angemessener Form auseinander setzen können.
Wir wollen nichts mit Schreihälsen zu tun haben.

Die Union greift mit ihren Initiativen ein Kernelement
rot-grüner Gesundheitspolitik an. Die Budgetierung ist
nämlich wie die Reglementierung, die Bürokratisierung
und die Bevormundung ein typisches Markenzeichen von
Rot-Grün.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Union dagegen setzt auf Deregulierung, Ent-

bürokratisierung und auf mehr Freiheitlichkeit.

(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Wir wollen in der gesundheitlichen Versorgung mehr
menschliche Zuwendung, als heute teilweise möglich ist,
und keinen Bürokratismus. Wir wollen die freie Arztwahl
unbedingt aufrechterhalten, statt Staatsmedizin einzu-
führen. Wir wollen Therapiefreiheit statt Listenmedizin.
Frau Schmidt-Zadel, Sie können nicht bestreiten, dass Sie
das Letztgenannte wollen. Wir wollen außerdem mehr
Wettbewerb und Vielfalt, statt den Weg in die Einheits-
versicherung fortzusetzen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Demokratische Märchenstunde!)


Wir wollen eine Gesundheitsreform, in deren Mittel-
punkt die Interessen von Patienten und Versicherten
stehen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nein! Das machen Sie gerade nicht!)


Das steht im Gegensatz zu der Behauptung, die Sie eben
aufgestellt haben, Herr Kirschner. Diese Interessen der
Versicherten sind in den letzten Jahren auf der Strecke ge-
blieben, was Sie gar nicht gemerkt haben. Als Abgeord-

neter merkt man das natürlich nicht; denn man ist in aller
Regel umsorgter Privatpatient.


(Klaus Kirschner [SPD]: Sie sind doch privat versichert! Ich bin in der gesetzlichen Krankenversicherung!)


Sie sollten sich um die Menschen kümmern, die nicht die
Privilegien haben wie wir. Dann würden Sie wissen, was
heute los ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unter Ihrer Regierung sind die Interessen der Versicher-
ten auf der Strecke geblieben.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Vor allem die SPD ist im Verbund mit dem DGB geis-

tiger Urheber der Budgetierung. Es war doch Rudolf
Dressler – –


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Mit Seehofer!)

– Jetzt wollen Sie mich zwingen, genauso laut zu reden
wie Herr Kirschner, damit Sie behaupten können, ich
würde immer dann laut werden, wenn es sich um Dinge
handelt, die nicht wahr sind.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das tun Sie ja auch!)


Ich werde also in der gleichen Lautstärke weitersprechen.
Es war doch Rudolf Dressler, der 1992 in Lahnstein auf

der Einführung dieses Instruments beharrt und gemein-
sam mit Oskar Lafontaine und dem DGB dafür Sorge ge-
tragen hat, dass es 1998 als ein Kernelement der Gesund-
heitspolitik im Koalitionsvertrag seinen Niederschlag
fand.


(Detlev von Larcher [SPD] Ein fieses Trio!)

Dressler und Lafontaine sind überholt. Da Sie sich,

Herr Kirschner – wir kennen uns ja schon lange –, nach
wie vor nicht in der Lage sehen, aus diesen einbetonier-
ten Denkschablonen herauszukommen, werden auch Sie
– das würde ich bedauern – über kurz oder lang überholt
sein.

Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich Sie auf eine
Umfrage des Allensbach-Institutes vom 17. April dieses
Jahres – sie ist also ganz aktuell – hinweisen: 24 Prozent
der Gesamtbevölkerung haben bereits persönlich die Fol-
gen der Budgetierung zu spüren bekommen und erlebt,
dass ihnen der Arzt ein bestimmtes Medikament oder eine
bestimmte Behandlung verweigern musste, weil das ihm
zugebilligte Budget erschöpft war. 32 Prozent berichten
von allgemeinen Leistungseinschränkungen.Besonders
betroffen sind davon die ohnehin gesundheitlich Ange-
schlagenen. Jetzt kommt es – Frau Schmidt ist nicht an-
wesend; aber Frau Staatssekretärin Schaich-Walch –: Von
diesen kranken Menschen haben in den letzten ein bzw.
zwei Jahren 43 Prozent quasi am eigenen Leibe erfahren,
was Ihre Politik, was Rationierung bedeutet.

Herr Kirschner, jetzt kommen Sie doch nicht mit dem
Einwand, Sie hätten bei den Arzneimitteln die Budgets
abgeschafft. Sie haben das Budget lediglich durch Arznei-
mittelzielvereinbarungen ersetzt. Um es mit den Worten




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

23018


(C)



(D)



(A)



(B)


des Sachverständigenrates für die Beurteilung der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung, der ja von der Minis-
terin berufen worden ist, zu sagen


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Der ist gut!)

– Frau Schmidt-Zadel, hören Sie sich das erst einmal an –:

Sie haben ein untaugliches Steuerungsinstrument
durch ein anderes ersetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Genauso ist es. Die Zuwachsraten bei den Arzneimittel-
ausgaben, die Sie soeben angesprochen haben, bestätigen,
dass entsprechende Steuerungselemente nicht mit einge-
baut worden sind.


(Klaus Kirschner [SPD]: Sie sollten einmal sagen, was Sie eigentlich wollen!)


Frau Ministerin Schmidt hat ihren politischen Fehler
erkannt. Denn sie hat in ihrer Neujahrspost, wie das in
letzter Zeit häufiger vorkommt, die Selbstverwaltung un-
ter Druck gesetzt, getreu dem Motto: Die Gesetze sind
zwar schlecht; aber die Verantwortung schieben wir auf
die Selbstverwaltung.

In ihrem Brandbrief an die Spitzenverbände der Kran-
kenkassen und an die Kassenärztliche Bundesvereinigung
stellt sie fest, dass die Zielvereinbarungen „offenbar vor
Ort beim einzelnen Vertragsarzt nicht hinreichend grei-
fen“. Wieder einmal ist also der Arzt schuld. Wieder ein-
mal werden die Ärzte bei den Arzneimittelausgaben zu ei-
nem eisernen Sparkurs angehalten.

So müssen die Ärzte in Nordwürttemberg, Herr baden-
württembergischer Abgeordneter Kirschner, beim Arznei-
mittelbudget im Vergleich zum Vorjahr mehr als 5 Pro-
zent einsparen. Für sie und ihre Patienten hat sich durch
das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz der Bundesre-
gierung nichts, aber auch gar nichts geändert. Nach wie
vor erleben die Menschen Rationierung und erfahren tag-
täglich, dass ihnen medizinisch notwendige Leistungen
nicht mehr verordnet werden.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das widerspricht sich doch, was Sie hier sagen, Herr Lohmann!)


Die Schwäche Ihres Gesetzes liegt darin, dass das Ge-
samtbudget – das ist doch der entscheidende Punkt – die
Richtgrößen präjudiziert und damit eine an medizinischen
Erfordernissen ausgerichtete Verschreibung von Arznei-
mitteln unterbindet.

Diese Schwäche – wenn wir vertieft diskutieren wür-
den, würden Sie das einsehen – hat unser Entwurf nicht.
Er stellt die Entwicklung von Richtgrößen nicht unter
das Diktat eines Gesamtbudgets.


(Johannes Kahrs [SPD]: Finden Sie es nicht beunruhigend, dass die CDU/CSU gar nicht klatscht?)


– Das war ein Zuruf eines hoch qualifizierten Fach-
manns. – In unserem Gesetzentwurf wird vermieden,
dass durch die Hintertür wieder eine Kollektivhaftung
der Ärzte eingeführt wird. Im Gesetzentwurf der Union

ist die Ersetzung des Budgets durch Richtgrößen vorge-
sehen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist nichts anderes!)


Diese ermöglichen eine flexible, am tatsächlichen Bedarf
ausgerichtete Ausgabensteuerung.


(Johannes Kahrs [SPD]: Erklären Sie einem Verteidigungspolitiker einmal den Unterschied!)


Sie setzen am Verordnungsverhalten des einzelnen Arztes
an und geben ihm damit die Möglichkeit, persönlich Ver-
antwortung zu übernehmen und aus der früheren Kol-
lektivhaftung herauszukommen. Welcher Anreiz, sich
persönlich wirtschaftlicher oder kostenbewusster zu ver-
halten, gibt es denn für einen Arzt, wenn die anderen Kol-
legen über die Stränge schlagen dürfen, weil es eine Kol-
lektivhaftung gibt? Die Antwort sollte doch völlig klar
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach unserer Überzeugung wird Ministerin Schmidt

mit ihrem bürokratischen Instrumentarium die Probleme
auf dem Feld der Arzneimittelausgaben nicht lösen. Jüngs-
tes Beispiel ist das Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungs-
gesetz.

Meine Damen und Herren, lieber Herr Kirschner, ich
zitiere jetzt einmal aus einem Brief eines Bürgers:

Mit dem Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungsgesetz
setzen Sie

– dieser Brief ist an Sie, aber auch an Frau Schmidt ge-
sendet worden –

den Höhepunkt unter eine chaotische Gesundheits-
politik, zu deren Beendigung wir

– es waren mehrere –
Sie hiermit auffordern! Anstatt endlich die Verschie-
bebahnhöfe zu beenden,

– da haben auch wir früher Sünden begangen,

(Klaus Kirschner [SPD]: Das wollte ich gerade sagen!)

die Sie sehr gegeißelt haben –

sparen Sie mit Ihrem letzten Gesetz die Patienten im
wahrsten Sinne des Wortes zu Tode.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das ist ein Arzt! Das ist kein Bürger!)


– Das sind mehrere Patienten.
Sie wollen, dass Kassenpatienten nur noch Medika-
mente des unteren Preisdrittels bekommen.

Das ist das Entlarvende.
Aber anstatt dies offen und ehrlich öffentlich zu be-
kennen,

(Johannes Kahrs [SPD]: Kommen Sie doch mal auf die Sachebene zurück!)





Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


23019


(C)



(D)



(A)



(B)


verlangen Sie, dass entweder die Ärzte primär solche
Medikamente verordnen

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch reine Polemik!)

oder, wenn die Ärzte dies nicht tun, die Apotheker
solche Medikamente ausgeben sollen.

Diese Bürger, von denen Sie vorhin nicht gesprochen
haben,


(Johannes Kahrs [SPD]: Für die tun wir was!)

bringen zum Ausdruck, was inzwischen drei Viertel der
deutschen Bevölkerung denken: Rot-Grün will eine Bil-
ligmedizin für die Kassenpatienten.


(Zustimmung bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Das ist aber Schwachsinn, Herr Kollege! Sie wissen auch, dass das Schwachsinn ist!)


Das mag man wollen; es ist nicht unsere Meinung. Aber
anstatt nun hierfür wenigstens die Verantwortung zu über-
nehmen und zu sagen: „Jawohl, wir wollen das“, versu-
chen Sie immer wieder, die Verantwortung auf Ärzte und
Apotheker zu schieben – mit diesem Gesetz auf jeden
Fall.

Frau Staatssekretärin, die Bevölkerung hat Ihnen ja in-
zwischen die Gefolgschaft längst versagt, weil Ihre Ge-
sundheitspolitik nicht an den Bedürfnissen der Menschen
ausgerichtet ist. Ihre Gesetze sind das Produkt von Büro-
kraten und von im Elfenbeinturm sitzenden Wissen-
schaftlern. Da wir ja inzwischen wissen, dass es für so gut
wie jede erdenkliche Idee wissenschaftliche, gutachterli-
che Unterstützung gibt, müssen Sie sich nach meiner Auf-
fassung wohl die falschen Wissenschaftler ausgesucht ha-
ben. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist ja unglaublich!)


Nun wollen Sie die Bürokratie noch weiter ausbauen.

(Johannes Kahrs [SPD]: Wir schaffen Bürokratie ab!)

So sollen ein neues Zentrum für Qualität in der Medizin
und ein neues Institut zur Bewertung des Nutzens von
Medikamenten gegründet werden und es soll ein Arznei-
mittelinspekteur eingestellt werden. Ich war mit Blick
auf den Generalinspekteur der Bundeswehr, der vorhin
hier gesessen hat, geneigt, zu sagen: Das wird hoffentlich
nicht einen solchen Aufwand mit sich bringen, wie es in
der Bundeswehr teilweise der Fall ist. Wie dem auch sei:
Jedenfalls soll eine neue Institution geschaffen werden.
Schließlich – das haben wir ja in dieser Woche festge-
stellt – ist der Apparat im Bundesministerium für Ge-
sundheit im Vergleich zur Zeit von Horst Seehofer um
sage und schreibe ein Drittel angewachsen.

Über 70 Prozent der Bevölkerung sind laut Allensbach
– das ist übrigens das Institut, das in den vergangenen Jah-
ren, auch zu unserem Leidwesen, immer am nächsten an
der Meinung der Bevölkerung dran war –


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie müssen das Minis terium erst einmal von Bonn nach Berlin bringen!)


der Meinung, dass Sie auf dem Weg der Zweiklassenme-
dizin sind


(Klaus Kirschner [SPD]: Wie bitte? – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie meinen das doch! Sie wollen das! Sie wollen das einführen!)


und dass sie so hohe Beiträge wie noch nie zahlen müss-
ten.


(Johannes Kahrs [SPD]: 16 Jahre lang!)

– Nun hören Sie doch auf!


(Johannes Kahrs [SPD]: Nein, wir fangen erst an!)


– Hören Sie doch auf, auf die alten Kamellen zu verwei-
sen. Ich frage Sie: Wie lange sind Sie denn schon in der
Regierung?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423110000
„Aufhören“ ist
das Stichwort.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1423110100
Ich
sehe zwar, wie die Sekunden weiter gezählt werden. Aber
hier steht: 41 Sekunden sind noch da.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt noch 35!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423110200
Nein, nein, Sie
sind im Minus.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1423110300

Wenn Sie uns und vielen anderen Wissenschaftlern schon
nicht glauben, dann sollten Sie vielleicht jemandem zu-
stimmen, der für die Abschaffung der Budgets ist – das hat
er auch in der öffentlichen Anhörung gesagt –, der nun
wirklich – nach seiner eigenen Aussage – in der Wolle ge-
färbter Sozialist ist: Professor Azzola. Er hält das, was Sie
in Bezug auf die Budgetierung gemacht haben, für un-
denkbar und hält die damit verbundenen Probleme für
nicht lösbar.


(Klaus Kirschner [SPD]: Auch Azzola kann sich irren!)


Er bittet Sie herzlich, das abzuschaffen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen wird die SPD wiedergewählt! – Klaus Kirschner [SPD]: Auch Azzola ist von Irrungen nicht frei! – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Jeder kann sich mal irren!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423110400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt kommt die Sachebene!)





Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

23020


(C)



(D)



(A)



(B)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Auch mir ist aufgefallen, dass ausgerechnet Herr
Lohmann Herrn Azzola erwähnt. Wenn man weiß, wie er
sonst zu dessen Auffassungen steht,


(Klaus Kirschner [SPD]: Genau!)

dann kann man nur sagen: Sie suchen sich heraus, was Ih-
nen gerade in den Kram passt, und erwähnen den Rest
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: So ist er!)


Wenn für Sie, Herr Lohmann, die Wissenschaftler, die
vorgeschlagen haben, ein Institut einzurichten, das sich
mit der Frage der Qualität in der Medizin befassen soll,
die falschen Wissenschaftler sind, dann zeigt das aus mei-
ner Sicht, dass Sie es nicht ernst meinen, wenn Sie sagen,
dass bei Ihnen die Interessen der Patienten und der Versi-
cherten im Mittelpunkt stehen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die Leistungserbringer stehen da im Vordergrund!)


Das wirkliche Manko, mit dem wir es im Gesundheitssys-
tem zu tun haben, betrifft die Frage der Qualität. Ich finde
es richtig, wenn hier angesetzt wird.

Jetzt fordern Sie wieder einmal die Abschaffung der
Heilmittelbudgets und ihre Ersetzung durch Richtgrößen.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das haben wir doch schon im Gesetz!)


– Vielen Dank, Herr Kirschner. Das könnte man ja heute
schon machen. Es macht aber deswegen keiner, weil es
nicht umsetzbar und praktikabel ist.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Abwarten!)


Wenn das anders wäre, Herr Lohmann, dann würde das
heute schon geschehen und man könnte Ihrem Anliegen
nachkommen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das geschieht nach der Wahl!)


Da es sich aber nicht bewährt hat und nicht angewendet
wird, sollten Sie einfach zur Kenntnis nehmen, dass es
nicht der richtige Weg ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie sehr die Interessen der Versicherten und Patienten

bei Ihnen im Mittelpunkt stehen, sieht man an Ihren Vor-
schlägen. Die Vorschläge, die Sie gemacht haben, bezie-
hen sich in erster Linie auf den Geldbeutel der Versicher-
ten und Patienten, so beispielsweise bei den Zuzahlungen
und vielem anderen mehr.

Sie haben uns hier vorgeworfen, die freie Arztwahl
solle eingeschränkt werden. Dazu sage ich Ihnen, Herr
Lohmann: Damit betreiben Sie Angstmacherei, die nichts,
aber auch gar nichts mit der Realität zu tun hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu Ihrem Vorwurf, es gehe um die Einschränkung der
Therapiefreiheit, kann ich auch nur sagen: Auch das ist
Angstmacherei, die die Patientinnen und Patienten in die-
sem Land einfach nicht verdient haben.

Sie sagen, mit Ihren Vorschlägen wird es kein Budget
mehr geben. Dazu möchte ich Sie einfach fragen, was das
in der Realität bedeutet. Heißt das: Die Ausgaben im Ge-
sundheitssystem sind freigegeben und jeder kann so viel
ausgeben wie er will?

Bei jeder Regelung, auch bei Ihrer, wird es am Ende
dabei bleiben, dass wir nicht mehr ausgeben können, als
wir einnehmen. Da ich jetzt bei der Einnahmeseite bin,
will ich auch gleich sagen, dass wir uns zusätzliche Ein-
nahmen im Gesundheitswesen nicht dadurch verschaffen
können, dass wir die Beiträge heraufsetzen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht! Wir brauchen mehr Wachstum, mehr Beschäftigung! Dann haben wir mehr Einnahmen!)


Möglicherweise müssen wir über die Finanzierungs-
grundlagen reden, wir können aber nicht darüber reden,
bevor nicht klar ist, wie die Strukturen und die Qualität
des Systems verbessert werden können. Dazu machen Sie
bedauerlicherweise keinen Vorschlag.

Ich will gern etwas zu Ihrem Vorwurf sagen, notwen-
dige Arzneimittel würden nicht mehr ausgegeben. Ich
kann mir vorstellen, dass falsche Arzneimittel ausgegeben
werden. Herr Kirschner hat hier bereits auf die Fehlver-
sorgung hingewiesen. Dass aber nicht genug ausgegeben
wird, kann ich mir nicht vorstellen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Saugen sich die Betroffenen das alles aus den Fingern?)


– Ich will es Ihnen einfach ganz logisch erklären. Ich
streite nicht ab, dass Einzelne sagen, sie bekommen ein
Arzneimittel nicht. Das hat etwas mit Fehlversorgung,
aber nicht mit dem Umfang zu tun.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist für die Betroffenen nur ein schwacher Trost!)


Die Menschen sind heute nicht kränker als in den letzten
Jahren, und trotzdem haben wir eine Steigerung der Aus-
gaben für Arzneimittel um 11,2 Prozent im letzten
Jahr, die nicht unwesentlich zum Defizit der Kassen von
2,8 Milliarden Euro beigetragen haben. Wir haben im
Januar dieses Jahres noch einmal eine Steigerung von
6,6 Prozent zu verzeichnen. Es kann also nicht am Ge-
samtvolumen liegen, es kann höchstens an der Fehlver-
sorgung liegen. Ich glaube, Sie sind mit Ihrem Gesetzent-
wurf auf dem falschen Dampfer.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das sind sie häufiger! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Zum Glück entscheiden das die Bürger! Dann werden Sie es sehen!)


Herr Kirschner, lassen Sie mich das am Schluss zum
Thema Arzneimittelreport und Bibel anmerken: Meine
Partei hat das C nicht im Namen, aber ich erlaube mir






(C)



(D)



(A)



(B)


trotzdem, häufiger in die Bibel als in den Arzneimittelre-
port zu schauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423110500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423110600
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Mich stört eines an der Art der heutigen De-
batte: Das Thema ist zu ernst, um sich gegenseitig auszu-
lachen. Das tut diesem Hause nicht gut.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


– Sie krakeelen trotzdem weiter; dabei habe ich versucht,
eine Brücke zu bauen.

Ich erinnere mich, lieber Kollege Kirschner, an die
letzte Sitzung des Gesundheitsausschusses. Da haben Sie
mit Glanz in den Augen eine minutenlange vehemente
Rechtfertigungsrede zur Budgetierung gehalten; einen
Zuruf habe ich dazu schon gemacht. Ein Blick in das Pro-
tokoll der Anhörung vom 27. Juni hätte Sie ein wenig
nachdenklicher machen sollen. Da ist zu lesen – ich gebe
unterschiedliche Sachverständige wieder –: Die Wirksam-
keit von Budgets hat sich in letzter Zeit abgeschwächt. Es
hat sich herumgesprochen, dass diese Budgets keine
Steuerungswirkung mehr haben.


(Zurufe von der SPD)

– Jetzt hören Sie zu, jetzt kommt der entscheidende Satz:
Budgets sind eine ökonomische Größe, die nichts über
den Versorgungsbedarf aussagt. Budgets, die in der
Wirtschaft funktionieren, sind hier gescheitert.

Meine Damen und Herren, die Patienten – das weisen
neueste Umfragen, die nicht aus der Pharmaindustrie kom-
men, nach – spüren in den Arztpraxen, dass sie nicht mehr
mit allem versorgt werden, was medizinisch notwendig ist.
Ärzte überlegen sich mittlerweile sehr genau, ob und in
welchem Umfang sie Arzneimittel, Massagen, Kranken-
gymnastik oder Logopädie verordnen. Das hat teilweise
gravierende Konsequenzen für die Betroffenen. MS-Kranke
erhalten keine neuen Präparate mehr. Krebskranke Patien-
ten bekommen nach einer Brustamputation nur noch zwei
Stunden Krankengymnastik verordnet. Nur ein geringer
Prozentsatz der Demenzkranken wird medikamentös op-
timal betreut. Die höheren volkswirtschaftlichen Kosten,
die zum Beispiel durch eine frühzeitige Einweisung in Pfle-
geheime entstehen, scheren die Bundesregierung nicht.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Dies passt doch überhaupt nicht hierhin!)


Es geht offensichtlich nach der Devise: Was nicht sein
darf, das nicht sein kann!

Mit zunehmender Budgetierung ist zu beobachten,
Frau Schmidt-Zadel, dass ärztliche Leistungen nicht mehr
erbracht werden, weil sie den Rahmen des Budgets spren-
gen, oder die Patienten werden ins Krankenhaus überwie-
sen. Dies dürfen und können Sie doch nicht übersehen!

Als letzte Zuflucht – schauen wir in Ratingen in die Pra-
xen – wird Budgeturlaub gemacht, das heißt, die Praxis
bleibt geschlossen – das sind Tatsachen –,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

weil niemandem zugemutet werden kann, ab einem ge-
wissen Zeitpunkt im Quartal zum Nulltarif zu arbeiten,
was Sie den Ärztinnen und Ärzten aber zumuten.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie waren doch bei der Diskussion dabei!)


Das ist in vielen Städten und Gemeinden Alltag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, neh-

men Sie deshalb die neueste im Auftrag der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ durchgeführte Allensbach-Um-
frage ernst. Danach sorgen sich 53 Prozent der GKV-Ver-
sicherten, nicht mehr ausreichend geschützt zu sein. Bei
privat Versicherten sind dies nur 28 Prozent. – Nun will
die Ministerin durch Anhebung der Versicherungspflicht-
grenze auch noch den Zugang zur Privatversicherung er-
schweren. Welch ein ordnungspolitischer Unsinn!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Von den von uns vorgeschlagenen Lösungsansätzen

möchte ich aus Zeitgründen nur zwei nennen:
Erstens. Um vernünftig planen zu können, brauchen die

Ärzte feste Preise für die Leistungen, die ihnen bekannt
sein müssen, bevor sie mit einer Behandlung beginnen.

Zweitens. Optimal wäre der Übergang zu einem Sys-
tem der Kostenerstattung.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das glaube ich Ihnen!)


Der Arzt stellt diese Preise in Rechnung und der Patient
rechnet sie dann mit seiner Krankenkasse ab.

Solange man sich jedoch im Sachleistungssystem be-
wegt, muss zumindest sichergestellt werden, dass hiervon
keine Anreize zu einer Rationierung von Leistungen aus-
gehen, denn das ginge zulasten der besonders betroffenen
Patienten, die nicht in der Lage sind, sich zu wehren. Man
muss eine vernünftige Balance finden, wie sie der Gesetz-
entwurf der Union mit Regelleistungsvolumina vorsieht.


(Klaus Kirschner [SPD]: Das steht doch im Gesetz drin!)


Grundsätzlich erhält der Arzt für seine Leistungen feste
Preise, die aber ab einer bestimmten Menge niedriger aus-
fallen. Damit wird der Anreiz zur Leistungsausweitung
gemindert. Genauso braucht man im Arzneimittelbereich
ein gewisses Regulativ über auf valider Datenbasis fest-
gesetzte Richtgrößen. Es ist nicht so – wie Sie das heute
glauben machen wollen –, dass das ABAG darauf eine
Antwort gibt.

Die FDPbegrüßt den Gesetzentwurf der Union. Er geht
in die richtige Richtung. Eine Alternative zur Abschaf-
fung der Budgets gibt es nicht, wenn man weiterhin ga-
rantieren will, dass jeder Bürger im Krankheitsfall mit
dem medizinisch Notwendigen versorgt wird.

Ich stelle zum Schluss fest: Die Ärzte, Zahnärzte und
Apotheker in unserem Land sind es Leid, vor ihren Patien-




Katrin Göring-Eckardt
23022


(C)



(D)



(A)



(B)


ten die Folgen Ihrer kurzatmigen und selbstgefälligen Poli-
tik – so Bundesärztekammerpräsident Professor Hoppe –
auszubaden.


(Klaus Kirschner [SPD]: Noch nie ist so viel Geld ausgegeben worden!)


Die Attacken auf Ihre staatliche Zuteilungsmedizin wer-
den heftiger, Herr Kirschner. Lösen Sie sich endlich von
Regelungswut, Listenmedizin, Überbürokratisierung und
Standardisierung. Jeder Patient ist ein Individuum und
will auch so behandelt werden. Dies geht nur in einem
freiheitlichen System. Nur wenn wir die Freiberuflichkeit
einerseits und die Patientensouveränität andererseits stär-
ken, können wir das Ziel einer durchgreifenden langfris-
tigen Gesundheitsreform erreichen.


(Klaus Kirschner [SPD]: Herr Parr, Sie wissen es doch besser!)


Ich hoffe, dass wir dies gemeinsam tun werden, ähnlich
wie es in der Vergangenheit schon einmal versucht wor-
den ist, aber hoffentlich mit besseren Ergebnissen. Wir la-
den Sie zu diesen Gesprächen ein und führen die Diskus-
sion ernsthaft. Niemand, der hier darüber diskutiert, hat es
verdient, ausgelacht zu werden.

Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423110700
Die Abgeord-
nete Ruth Fuchs hat gebeten, ihre Rede zu Protokoll ge-
ben zu können.1) Sind Sie damit einverstanden? – Dann
verfahren wir so.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Abschaffung der
Budgets in der gesetzlichen Krankenversicherung auf
Drucksache 14/5225. Der Ausschuss für Gesundheit emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/8793, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abge-
lehnt worden. Damit entfällt die weitere Beratung.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Gesundheit die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4604 mit dem
Titel „Abschaffung der sektoralen Budgets in der gesetz-
lichen Krankenversicherung“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu weiteren

Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transpa-
renz und Publizität

(Transparenz- und Publizitätsgesetz)

– Drucksache 14/8769 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Auch hier bitten alle Rednerinnen und Redner, näm-
lich die Kolleginnen und Kollegen Lösekrug-Möller,
Tiemann, Fischer (Berlin), Funke, Rössel und der Parla-
mentarische Staatssekretär Pick, ihre Reden zu Protokoll
geben zu dürfen.2) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann verfahren wir so und kommen gleich zur
Überweisung.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs zur federführenden Beratung an den Rechtsaus-
schuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie vorgeschlagen. Gibt es andere
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Tarifzwang im öffentlichen Vergaberecht ver-
hindern
– Drucksache 14/8510 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP
fünf Minuten erhalten soll. – Ich sehe keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Abge-
ordnete Dr. Heinrich Kolb von der antragstellenden FDP-
Fraktion das Wort.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423110800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In einer Woche, am nächsten
Freitag, will die rot-grüne Koalition in diesem Hause ein
so genanntes Tariftreuegesetz verabschieden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bis dahin soll verschleiert bleiben und möglichst nicht an
die Öffentlichkeit gelangen, was sich Rot-Grün zu diesem
Thema ausgedacht hat. Wir haben die Aufsetzung unseres
Antrages auf die heutige Tagesordnung beantragt, weil
wir wollen, dass die Menschen und insbesondere der Mit-
telstand in Sachsen-Anhalt wissen, was auf sie zukommt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)





Detlef Parr

23023


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2 2) Anlage 4

Es geht nicht an, dieses Thema totzuschweigen; denn ge-
rade die ostdeutschen Bauunternehmen werden von dem,
was Sie mit dem Tariftreuegesetz vorhaben, betroffen
sein. Deswegen haben wir unseren Antrag „Tarifzwang
im öffentlichen Vergaberecht verhindern“ eingebracht.

Wir müssen darüber reden, wie dreist und unverblümt
sich die Bundesregierung zum Erfüllungsgehilfen einer
IG Bauen-Agrar-Umwelt macht, deren Vorsitzender Mit-
glied der größten Fraktion ist.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Abgeordneter des Deutschen Bundestages!)


Herr Wiesehügel, ein Tariftreuegesetz, das die öffentli-
chen Arbeitgeber verpflichtet, Aufträge nur noch an sol-
che Unternehmen zu vergeben, die die am Ort der Leis-
tungsausführung gültigen Tarifverträge einhalten, ist
nichts anderes als ein von Ihnen ja schon lange geforder-
tes staatliches Verbot echten Wettbewerbs zwischen tarif-
gebundenen und nicht tarifgebundenen Unternehmen und
Betrieben. Im Kern geht es Ihnen darum, der Macht des
Tarifkartells wieder zum Durchbruch zu verhelfen und da-
mit vielleicht auch die Existenzberechtigung Ihrer Ge-
werkschaft ein Stück weit zu sichern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade von dem Hin-
tergrund der aktuell laufenden Tarifverhandlungen und
der absehbaren Ergebnisse wird deutlich, dass es einen
Spielraum für Unternehmen geben muss, sich gegebenen-
falls auch die Entscheidung zur Nichttarifbindung offen
zu halten.


(Beifall bei der FDP)

Sie wollen heute nicht ins Detail gehen. Die ver-

schämte Presseerklärung, die Sie zu diesem Thema he-
rausgegeben haben, macht sehr deutlich, dass Sie keine
Fakten nennen wollen. Sie sagen den Menschen also
nicht, was auf sie zukommt. Es wird ein weiterer Baustein
in einer Kette kontraproduktiver Gesetze und Entschei-
dungen sein. Der Bausektor ist geradezu ein Parade-
beispiel für die dirigistische und mittelstandsfeindliche
Politik von Rot-Grün. Die Bauabzugsteuer, die General-
unternehmerhaftung, die Mindestlöhne, die Allgemein-
verbindlicherklärung und das Gesetz gegen die Schein-
selbstständigkeit sind Maßnahmen, die für eine in der
Strukturanpassung befindliche Bauwirtschaft Gift sind.
Damit werden die notwendigen marktwirtschaftlichen
Strukturveränderungen in der Baubranche aufgeschoben.
Herr Wiesehügel, Sie sollten aber wissen: Auf Dauer kann
man keine Politik gegen den Markt machen. Spätestens
Holzmann müsste Sie das doch eigentlich gelehrt haben.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])


Aufgabe der Politik ist es nach unserer Auffassung,
günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Dafür muss
man auch das Steuersystem verändern. Man muss dafür
sorgen, dass die Lohnnebenkosten wirklich sinken. Man
muss bessere Arbeitsmarktbedingungen schaffen.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung jedenfalls gibt ein sehr
deutliches Urteil ab. Er erklärt:

Für völlig verfehlt halten wir die Absicherung des Ta-
rifvertrages durch sanktionierende Regulierungen ...,
indem die Tariftreue zur Bedingung für die Vergabe
von öffentlichen Aufträgen gemacht wird ... Wir raten

– so der Sachverständigenrat –
von diesem Gesetz ab, hoffentlich nicht wieder um-
sonst.

Mir stellt sich wirklich die Frage, warum Sie sich einen
Sachverständigenrat leisten. Erst gestern Abend musste
ich in einem anderen Zusammenhang deutlich machen,
dass Sie immer und immer wieder gegen die Empfehlun-
gen dieses Sachverständigengremiums verstoßen. So
auch hier. Die Wirkungen für die Bauwirtschaft werden
fatal sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie verkennen – das haben Sie in früheren Debatten
und auch im Ausschuss schon deutlich gemacht –, dass
dann, wenn ein solches Gesetz kommt, Bauaufträge und
natürlich auch der Nahverkehr für die Kommunen spür-
bar teurer werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie – leider gibt es nur inoffizielle Zahlen –
geht von bis zu 2,5 Milliarden Euro an zusätzlicher Be-
lastung für die Kommunen aus. Weil die finanziellen
Möglichkeiten nichts anderes zulassen, werden sie insbe-
sondere an ihren öffentlichen Aufträgen sparen müssen.
Es wird insgesamt ein geringeres Bauvolumen geben. Es
wird zu einer Vernichtung von Arbeitsplätzen im Bausek-
tor kommen. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, derzeit ist vor dem

Bundesverfassungsgericht ein Verfahren anhängig, in
dem ein Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs zu Ta-
riftreueklauseln vorliegt. Das zeigt: Ihr Vorhaben, ein Ta-
riftreuegesetz zu verabschieden, erfolgt zur Unzeit. Es
darf nicht kommen. Wir wollen, dass alle Menschen
schon heute über das Bescheid wissen, was Sie in der
nächsten Woche an Maßnahmen auf den Tisch legen wol-
len. Wir von der FDP werden uns auf jeden Fall deutlich
gegen dieses Gesetz stellen.

Danke.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423110900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Wiesehügel.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1423111000
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich habe viel Verständnis dafür, dass die Opposition
versucht, Themen auszuschlachten, die keine richtigen
Themen sind. Aber das, was Sie hier treiben, verstehe ich
nun wirklich nicht, Herr Kolb. Wir haben einen Gesetz-
entwurf in erster Lesung in den Deutschen Bundestag ein-
gebracht. Wenn es für Sie Verschleierung ist, einen Ent-
wurf in erster Lesung in dieses Haus einzubringen, dann
begreife ich das nicht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann sehen Sie sich doch Ihre Presseerklärung von heute an!)





Dr. Heinrich L. Kolb
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(D)



(A)



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Sie wissen, was wir wollen. Rot-Grün hat einen Ge-
setzentwurf in erster Lesung eingebracht. Er wird in
nächster Zeit in zweiter und dritter Lesung beraten wer-
den. Das ist ein normaler Vorgang, wie er jeden Tag pas-
siert. Dies kann man nicht als Verschleierung bezeichnen.
Es ist klar, dass es Ihnen politisch nicht passt, Herr Kolb,
dass ein solcher Gesetzentwurf von Rot-Grün auf den
Weg gebracht wird. Das liegt nicht in der Logik Ihres
Denkens; deswegen sind Sie ja auch in der Opposition
und haben keine Mehrheit in der Bevölkerung. Sie sehen
die Dinge nun einmal falsch, Rot-Grün sieht die Dinge
mit der Unterstützung dieses Volkes richtig. So ist die
Lage zurzeit nun einmal.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der FDP)


Lassen Sie mich inhaltlich nur kurz auf einige Punkte
eingehen, da wir diese Debatte spätestens bei der zweiten
und dritten Lesung des Tariftreuegesetzes noch intensiver
führen werden. Ich muss Ihnen heute erneut vorwerfen,
dass die Krise der deutschen Bauwirtschaft von Ihnen völ-
lig falsch eingeschätzt wird, auch die Ursache dafür. In
Ihrem Antrag schreiben Sie, dass diese Regierung für die
Krise der deutschen Bauwirtschaft verantwortlich sei. Ich
habe an dieser Stelle schon einmal deutlich gemacht, dass
diese Probleme seit 1995 vorhanden und konjunktureller
und struktureller Natur sind, was nachweislich vor allen
Dingen auf eine falsche Steuerpolitik der ehemaligen Re-
gierung und nicht auf die Politik, die wir in den letzten
vier Jahren gemacht haben, zurückzuführen ist. Dafür,
dass Sie versuchen, das in der Öffentlichkeit so darzustel-
len, habe ich Verständnis. Die meisten kapieren schon,
dass Sie völlig falsch liegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wegen meiner Redezeit, die bei einer Debattendauer
von 30 Minuten nicht allzu lang ist, gehe ich in diesem
Zusammenhang nur noch auf einen Punkt ein, der Sie et-
was mehr beeindrucken sollte als das, was Sie sich da-
rüber bisher haben sagen lassen oder selbst ausgedacht
haben, Herr Kolb. Das, was wir planen, nämlich ein Ge-
setz, in dem bei der öffentlichen Vergabe auf die Spielre-
geln geachtet wird – es geht nicht um das Eingreifen in
den Markt, sondern um das Vergeben von öffentlichen
Aufträgen, die ausschließlich aus Steuergeldern finanziert
werden –, ist nicht unbedingt etwas Ungewöhnliches in
der Welt. Viele Bundesstaaten der USA haben positive Er-
fahrungen mit vergleichbaren Gesetzen gemacht. Wir ha-
ben festgestellt, dass sich die Preise für die Bauwirtschaft
in den Ländern, in denen es ein solches Vergabegesetz
gibt, erheblich besser stabilisiert haben und dass die Un-
ternehmen dort froh sind, dass der Staat die Vergabebe-
dingungen schützt.

Sie schreiben in Ihrem Antrag etwas von einer Verfas-
sungsproblematik.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Europarechtliche Problematik!)


– Es ist doch in der Anhörung klargestellt worden, dass
unser Gesetz europakonform sein wird.

Die grundsätzliche Überlegung ist: In unserem Land
will der Staat den Arbeitnehmern nicht vorschreiben, wie
hoch ihr Lohn ist, und auch nicht den Arbeitgebern vor-
schreiben, wie hoch der Lohn ist, den sie zu zahlen haben.
Vielmehr sagt das Grundgesetz, dass Arbeitgeber und
Gewerkschaften die Löhne aushandeln. Das heißt, eine
Aufgabe, die anderenorts vom Staat selbst wahrgenom-
men wird, ist bei uns den Tarifvertragsparteien übertragen
worden. Angesichts dieser Vorschrift im Grundgesetz ist
der Gesetzgeber meiner Meinung nach dann aber ver-
pflichtet, zu überprüfen, ob sein Auftrag auch eingehalten
wird. Das ist doch keine privatrechtliche Veranstaltung,
bei der sich ein paar Leute zusammensetzen und einen
Vertag zulasten von wem auch immer abschließen. In un-
serem Land haben wir uns darauf geeinigt, dass die Tarif-
vertragsparteien, also Gewerkschaften und Arbeitgeber-
verbände, die Arbeitsbedingungen regeln. Dann haben
wir doch auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit,
darauf zu achten, dass das gilt, was sie miteinander gere-
gelt haben, zumindest dann, wenn Aufträge aus Steuer-
geldern vergeben werden.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Mittelstand kommt dabei unter die Räder!)


Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen, auch wenn
Ihnen das wegen Ihrer Denke schwer zu vermitteln ist. Ich
bedaure das außerordentlich, hoffe aber, dass sich dieser
Ansatz bei Ihnen festsetzt.

Dann sprechen Sie immer vom Diktat des IG-BAU-
Vorsitzenden. Dass man hier differenzieren muss, wird Ih-
nen in dieser Legislaturperiode nicht mehr beizubringen
sein, vielleicht – ich weiß nicht, ob Sie in den Bundestag
zurückkommen – auch in der nächsten nicht. Es ist nicht
mein Herzensanliegen, sondern es ist das Herzensanlie-
gen von 70 000 Bauunternehmern und von 700 000 Bau-
arbeitnehmern.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber nicht der Bauwirtschaft in den neuen Ländern!)


– Hören Sie einmal zu: Es geht nicht um die Arbeitneh-
mer allein. Fragen Sie einmal Tausende von Arbeitgebern
in diesem Bereich, die keine Rendite mehr haben und
nicht mehr wissen, wie der Wettbewerb funktionieren
soll und wie sie bei der gegebenen Dumpingsituation
überhaupt noch rentierliche Geschäfte machen können.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: In den neuen Ländern sehen sie das vollkommen anders!)


Wenn der Markt absolut ungeregelt ist, wie es Ihrer Ideo-
logie und Philosophie entspricht, ist dies nicht zum Vor-
teil, sondern zum Nachteil des Arbeitgebers. Das ist in der
Statistik der deutschen Bauwirtschaft nachzulesen und hat
nichts mit den Interessen eines Gewerkschafters, sondern
mit dem realen Funktionieren des Marktes zu tun. Ich bitte
Sie einfach, das zur Kenntnis zu nehmen.

Darüber hinaus muss ich noch einmal deutlich machen,
dass es nicht der Wunsch des Vorsitzenden der Gewerk-
schaft, sondern der des Abgeordneten Wiesehügel ist. Er
steht vehement dahinter, weil er von Arbeitgebern und
von Arbeitnehmern aus der Baubranche angesprochen




Klaus Wiesehügel

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(B)


wird. Er wird auch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
aus dem öffentlichen Personennahverkehr angesprochen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Mittelstand aus den neuen Ländern läuft Sturm! Sie kriegen die Zuschriften doch auch!)


Es ist also keine nur auf den Bau bezogene Angelegen-
heit, wie Sie denken, sondern es handelt sich um ein
breites Problem, das viel mehr Menschen als nur dieje-
nigen betrifft, die im Baugewerbe tätig sind. Deswegen
hat es mit mir persönlich nichts zu tun. Hier geht es um
ein dringendes Bedürfnis, das diese Regierung erfüllen
muss.

Herr Kolb, lassen Sie es sich von mir gesagt sein:
Nichts ist so dringend wie dieses Gesetz. Mit der heutigen
Showveranstaltung werden Sie es auch nicht verhindern.
Wir werden den Gesetzentwurf, sobald er endgültig for-
muliert ist, rechtzeitig in den Deutschen Bundestag ein-
bringen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was sagen Sie denn zu Ihrem Sachverständigenrat? Ihr Sachverständigenrat sagt, Sie sollen das lassen!)


Dann können wir uns im Rahmen der zweiten und dritten
Lesung dieses Gesetzes noch einmal darüber unterhalten.
Sie werden sich wundern, welch hervorragendes Gesetz
Rot-Grün hier einbringen wird. Mit diesem Gesetz wer-
den die meisten Menschen in diesem Land nicht nur ein-
verstanden sein, sondern sie werden froh sein, dass es
endlich kommt, denn es wird heiß ersehnt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie sind beratungsresistent, Herr Wiesehügel! Ihr Sachverständigenrat sagt, Sie sollen es bleiben lassen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423111100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Kuhn.


Werner Kuhn (CDU):
Rede ID: ID1423111200
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Wiesehügel, Sie
haben die Thematik des Tarifzwangs aus der Sicht eines
Gewerkschafters beurteilt, der natürlich auch die Flächen-
tarifverträge im Auge hat. Sie müssen einfach zur Kennt-
nis nehmen, dass die Unternehmen der Baubranche in
Ostdeutschland nur zu 10 Prozent in diese Flächentarif-
verträge eingebunden sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau so ist es!)

90 Prozent der Unternehmen arbeiten vernünftig mit ihren
Betriebsräten zusammen; dort besteht ein ordentliches
Verhältnis in der Übereinkunft, im Hinblick auf die Be-
triebsphilosophie die Karten klar auf den Tisch zu legen.
Sie wissen, wie bescheiden die Auftragslage im Bereich
der Bauwirtschaft in Ostdeutschland ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb kann ich Ihnen, Herr Kolb, nur zustimmen:

Das Tariftreuegesetz ist das falsche Signal zum falschen

Zeitpunkt. Es geht zulasten derjenigen, die schon jetzt in
wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie kennen sich in den neuen Ländern aus!)


– Das können Sie aber annehmen. Ich war Bürgermeister
und Landrat. Ich kenne die Vergabekriterien nach VOB
und VOL und all das, was notwendig ist.

Wenn ich meine Leute schützen will, dann muss ich
überlegen, ob ich nicht einen öffentlichen Teilnehmer-
wettbewerb durchführe, damit ich nicht immer die GUs,
also die großen Unternehmen, bevorteile, sondern die klei-
nen und mittelständischen Unternehmen ganz speziell för-
dern kann. Achten Sie deshalb doch lieber darauf, dass der
Mindestlohn von 16,47 DM, den die Leute auf dem Bau
unbedingt brauchen, eingehalten wird! Kämpfen Sie ge-
gen Schwarzarbeit.

Wenn Sie den Tarifzwang durchsetzen wollen, dann
müssen Sie in den Verordnungen zu den Ausschreibungs-
unterlagen weitere zehn Blätter vorsehen. Das muss alles
kontrolliert werden. Wir müssen hinter jeden einzelnen
Arbeitnehmer noch jemanden stellen, der aufpasst, dass
alle Bedingungen eingehalten werden.

Ursache für die Lage in der Bauwirtschaft ist nicht nur
die von Ihnen immer wieder gegeißelte, angeblich verfehlte
Steuerpolitik der Bundesregierung von 1990 bis 1998. Wir
haben damals mit den Mitteln der steuerlichen Bevortei-
lung erst einmal das Kapital in Richtung Ostdeutschland
gebracht. In diesem Zusammenhang waren das Bauen und
die Immobilien sehr wichtig. 80 Prozent dessen sind uns
geglückt.

Herr Schulz, Sie äußern auch immer wieder, es gebe so
viele leer stehende Wohn- und Büroräume. Wir haben ganze
Industriezweige wie die Landwirtschaft und den Metallbau,
in denen sich die Auftragslage 1990 stark verschlechterte,
umstrukturiert und deren frühere Beschäftigte in die Bau-
wirtschaft gelenkt. Die jetzige Bundesregierung aber hat
es versäumt, eine solche Rückführung und Umstruktu-
rierung und eine Überprüfung in neue Berufsgruppen
überhaupt in Angriff zu nehmen. Deshalb haben wir jetzt
dieses Desaster.

Mit der Verabschiedung Ihres Tariftreuegesetzes wer-
den Sie erreichen, dass ostdeutsche Bauunternehmen
überhaupt keine Chance mehr haben, sich am öffentlichen
Wettbewerb in den alten Bundesländern zu beteiligen;
das bedeutet für sie eine echte Wettbewerbsbenachteili-
gung. Insofern kann ich dem Antrag der Kollegen der
FDP nur zustimmen: Dem muss endlich ein Riegel vor-
geschoben werden, damit wieder vernünftige Verhältnisse
der Marktwirtschaft eintreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Auftragslage in den neuen Bundesländern ist nicht

nur deshalb so schlecht, weil das Gros der Bauaufträge ab-
gearbeitet wurde, sondern auch, weil die Bundesregierung
bei den Förderungen gemäß ihrem Investitionsprogramm
die Schraube weiter heruntergedreht und Einsparungen in
Ostdeutschland verordnet hat. Das können Sie nachlesen.
In den 90er-Jahren gab es im Bereich der öffentlichen Auf-
träge viel mehr Möglichkeiten, Infrastruktur zu schaffen,




Klaus Wiesehügel
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angefangen vom Feuerwehrhäuschen über Straßen und
Fußwege bis hin zu den Möglichkeiten, das Wohnumfeld
in den Plattenbausiedlungen zu verbessern, weil diese Maß-
nahmen mit finanziellen Programmen unterfüttert wurden.
Das hat sich mittlerweile in eine ganz andere Richtung ent-
wickelt. Die entsprechende Auftragsdecke ist sehr gering
geworden.

Die Steuerreform von Herrn Eichel hat insbesondere
ostdeutsche Städte und Gemeinden getroffen; sie haben
nun keinen Finanzspielraum mehr und können dadurch
auch keine öffentlichen Aufträge mehr vergeben. Die Un-
ternehmer stehen in den dortigen Bürgermeisterämtern
Schlange und fragen nach Aufträgen. Der Bürgermeister
oder der Landrat muss sagen: Es tut mir Leid; mir sind
durch die jetzt beschlossene widerliche Steuerreform


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Na, na, na!)

praktisch alle Einnahmen aus der Gewerbesteuer wegge-
nommen worden. Ich habe keinen Finanzspielraum und
kann deshalb nicht mehr agieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich unsere

Bauunternehmen am freien Markt in die Richtung bewe-
gen müssen, wo sich Arbeit findet, aus Mecklenburg-Vor-
pommern und der Lausitz nach Nordrhein-Westfalen oder
Hamburg gehen und dort Aufträge von der freien Wirt-
schaft gewinnen, soll in Ordnung sein. Dafür erfüllen sie
alle Bedingungen, die notwendig sind, und liefern die rich-
tige Leistung zum richtigen Zeitpunkt und der Auftragge-
ber ist zufrieden. Aber bei der öffentlichen Auftragsver-
gabe soll das nicht der richtige Weg sein? Das ist eine
Wettbewerbsbehinderung, mit der wir uns ebenso wie die
Unternehmen in Ostdeutschland nicht einverstanden erklä-
ren können. Wir werden zusammen mit der FDP für diesen
Antrag streiten, damit endlich Chancen- und Wettbewerbs-
gleichheit entsteht.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Fragen Sie mal den Stoiber! Der hat davon mehr Ahnung! Der macht das in Bayern nämlich auch!)


– Ja, in Bayern war das auch so. Jetzt fängt diese Litanei
wieder an, verehrter Herr Wiesehügel.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Was macht denn der Müller im Saarland?)


Das war ein zentraler Punkt, als der Großflughafen
„Franz-Josef-Strauß“ in München gebaut worden ist und
die europäische Harmonisierung im Bereich der Bauwirt-
schaft noch nicht so weit fortgeschritten war, dass Chan-
cengleichheit erreicht war. Das ist mittlerweile längst auf
ein vernünftiges Niveau gebracht worden, sodass solche
direkten Regulierungen nicht mehr unbedingt benötigt
werden. Sie gehören insgesamt abgeschafft, damit der
freie Wettbewerb wieder eine vernünftige Chance hat.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Warum hat dann Stoiber den Antrag über den Bundesrat eingebracht?)


Diesbezüglich gibt es, weil die Menschen hinter der
Arbeit herziehen, in den neuen Bundesländern ein massi-
ves Abwanderungsproblem. In der Bauwirtschaft zeigt

sich das eindeutig. 50 Prozent der Firmen im Bauge-
werbe in Ostdeutschland – sowohl im Bauhaupt- als auch
im Baunebengewerbe – sind längst in Insolvenz gegangen
und vom Markt verschwunden.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Das ist falsch! Sie behaupten hier etwas Falsches! Das stimmt nicht! Sie können nicht beweisen, was Sie da sagen!)


Jetzt müssen wir darauf achten, wenigstens die restlichen
Firmen in ein vernünftiges wirtschaftliches Fahrwasser zu
bringen. – Vielleicht sind es sogar noch mehr als 50 Pro-
zent, Herr Wiesehügel.

Ich danke all denen, die als Betriebsräte mit den Un-
ternehmern zusammen die Firmenphilosophie ihrer Bau-
unternehmen vernünftig begleiten und sagen: Jawohl, so
weit können wir die Lohnforderungen gemeinsam einhal-
ten. Denn der Unternehmer ist meist mit seiner Familie,
seinem Haus und seiner Lebensversicherung im Unter-
nehmen verschuldet. Wenn das den Bach heruntergeht,
hat er auch persönlich ein Riesenproblem. Die Unterneh-
mer sind aber die Pioniere des Aufbaus in Ostdeutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So sieht die Realität in den neuen Ländern aus!)


Wir können sie nicht so behandeln, wie Sie das derzeit
tun. Wir müssen zu ihnen stehen. Deshalb stimmen wir
dem Antrag zu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423111300
Jetzt hat der Ab-
geordnete Werner Schulz das Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kol-
lege Kuhn, vielleicht denken Sie noch einmal darüber
nach, ob Sie damit etwas Gutes tun, wenn Sie diesem An-
trag zustimmen. Vielleicht sollten Sie es davon abhängig
machen, wie der Gesetzentwurf, den wir als Koalition ein-
gebracht haben, in der nächsten Woche bei der zweiten
und dritten Lesung aussieht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sagen Sie das doch mal!)


Ich gebe Ihnen Recht, Kollege Kolb, dass man keine
Politik gegen den Markt betreiben kann, aber ich meine,
man kann auch keine Politik gegen die Beschäftigten ma-
chen. Das ist ein anderer Grundbestandteil der sozialen
Marktwirtschaft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist in den neuen Ländern nicht das Problem!)


Wenn Ihre Kollegin Pieper verbreitet – so wie sie das
gestern getan hat –, dass den ostdeutschen Bauunterneh-
men durch das Tariftreuegesetz eine große Pleitewelle
drohe, dann handelt die resignierte Ministerpräsidentin in
spe falsch.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die sind ganz froh, wenn sie von Thüringen nach Frankfurt/ Main fahren können!)





Werner Kuhn

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(B)


Sie verbreitet zwar Stimmungen, aber nicht die Wahrheit.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber Herr Schulz, für den Thüringer Handwerker lohnt sich das Fahren nach Frankfurt bald nicht mehr!)


Die Wahrheit ist, dass Sie mit dieser Resignation, mit
Missmut, Verzweiflung und dergleichen mehr eben nicht
die Stimmung in Sachsen-Anhalt kippen können. Ich
hoffe, dass nach Ihrem möglichen Wahlerfolg nicht ein fa-
der Nachgeschmack bleiben wird, ein liberaler Abgang
à la Rexrodt, nämlich dass zwar im Wahlkampf große
Sprüche geklopft werden, dem aber dann klammheimlich
und leise weinend der Abgang folgt.

Entscheidend ist die Eigenverantwortung – das kommt
in Ihrem Antrag auch nicht zur Sprache – hinsichtlich der
Frage, warum die Krise in der Bauwirtschaft eigentlich
besteht. Es sind nicht nur die Überkapazitäten, Kollege
Kuhn, die durch großzügige Steuerabschreibungen geschaf-
fen worden sind. Natürlich ist nicht jedes Bauvorhaben ver-
fehlt gewesen, aber es gibt im Osten eine ganze Menge von
Investitionsruinen und Bürogebäuden, die niemand so
richtig braucht und die durch Steuermittel finanziert worden
sind. Wir haben eine überdimensionierte Bauindustrie, die
in dem Maße heute niemand mehr braucht. Der Gesund-
schrumpfungsprozess lässt sich aber nicht einfach gestalten.

Genauso schwierig ist das Problem der Schwarzarbeit
am Bau zu lösen. Dieses Problem ist einer der Haupt-
gründe dafür, warum es der Baubranche schlecht geht.
Das hängt mit den hohen Lohnnebenkosten zusammen.
Der Anteil der Lohnnebenkosten ist im Übrigen in Ihrer
Regierungszeit von 34 Prozent auf 43 Prozent gestiegen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Bei Ihnen steigen sie weiter!)


– Während unserer Regierungszeit sind sie – das wissen
Sie doch – durch die Ökosteuer im Grunde genommen
eingefroren worden. Sie haben die Kosten der deutschen
Einheit über die Lohnnebenkosten finanziert. Das hat in
der Baubranche mächtig zu Buche geschlagen.

Ich möchte Ihnen ganz klar sagen – daraus habe ich nie
ein Geheimnis gemacht –, dass meine Fraktion mit dem
Tariftreuegesetz, so wie es in erster Lesung eingebracht
worden ist, nicht zufrieden war. Wir haben deshalb in Ge-
sprächen mit der SPD-Fraktion – Sie werden das im Detail
nächste Woche erfahren – eine Lösung gefunden: Durch
ein Stufenmodell wird das Gefälle zwischen den Ost- und
den Westtariflöhnen schrittweise ausgeglichen. Dieses
Modell sieht auch einen etwas höheren Auftragswert vor,
als wir das ursprünglich geplant hatten.

Wir werden darüber hinaus die Bundesanstalt für Ar-
beit von den Kontrollpflichten entbinden, weil solche
Kontrollen zweckfremde Aufgaben für die Bundesanstalt
für Arbeit wären. Wir werden auch ein so genanntes Sün-
denregister auflegen, in dem künftig Betriebe, die mit
Lohndumping, Billigangeboten und anderen unfairen Me-
thoden operieren, registriert werden. Ich glaube, wir haben
eine Lösung gefunden, die der ostdeutschen Bauwirtschaft
den Übergang sehr einfach machen wird. Das ist ein gutes
Angebot an die ostdeutsche Bauwirtschaft; denn im Grunde
genommen werden die tariflich nicht gebundenen Betriebe

auch davon profitieren. Diese werden künftig bei der Ver-
gabe öffentlicher Aufträge besser zum Zuge kommen. Wir
leisten damit einen echten Beitrag zur Liberalisierung des
Wettbewerbes, der nicht nur aus Lohndumping und dem
billigsten Angebot besteht. Im Wettbewerb muss sich in
erster Linie besserer Service und besserere Qualität be-
haupten können. Das Ganze muss allerdings entsprechend
sozial eingebunden werden.

Sie wissen, Fakt ist, das Tariftreuegesetz ist nicht nur
eine Angelegenheit des Bundes. Solche Gesetze gibt es
auch in Bayern, im Saarland und in Sachsen-Anhalt. Das
Tariftreuegesetz ist also keine rot-grüne Erfindung. Wir
wollen lediglich dafür sorgen, dass in der ganzen Bundes-
republik in etwa vergleichbare Kriterien bei der Vergabe
öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden.

Ich hoffe, dass das, was wir erarbeitet haben, nächste
Woche Ihre Zustimmung finden wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423111400
Zu einer Kurz-
intervention gebe ich das Wort dem Kollegen Wiesehügel.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1423111500
Herr Kuhn, Sie haben vor-
hin gesagt, dass die Hälfte der Baufirmen in Ostdeutsch-
land bereits in Konkurs gegangen sei. Ich habe Ihnen an
dieser Stelle lautstark zugerufen – das war sicherlich un-
gebührlich; deswegen möchte ich es jetzt in der richtigen
parlamentarischen Form tun –, dass das nicht der Wahrheit
entspreche. Ich bitte Sie, das, was Sie gesagt haben, noch
einmal zu überprüfen. Dann werden Sie nämlich feststel-
len, dass sich die Zahl der Bauunternehmen in den neuen
Bundesländern seit 1995 erhöht hat, wenn auch nur ge-
ring. Halbiert hat sich die Zahl der Arbeitnehmer, nicht die
der Betriebe. Die Zahl der Betriebe hat sich im gleichen
Zeitraum um 46 erhöht. Ich bitte, das zur Kenntnis zu neh-
men und sich demnächst sachkundig zu machen, bevor
man hier etwas behauptet.

Danke.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423111600
Das Wort zur Er-
widerung hat der Kollege Kuhn.


Werner Kuhn (CDU):
Rede ID: ID1423111700
Herr Kollege
Wiesehügel, in statistischen Dingen sind Sie sicherlich
sehr bewandert und wissen auch, sie entsprechend darzu-
stellen. Ich sage nur: Die Unternehmen, die Sie gerade an-
gesprochen haben und deren Zahl nach Ihren Worten ge-
stiegen ist, bestehen aus Auffanggesellschaften. Es handelt
sich also um Unternehmen, die nach der Liquidation bzw.
der Insolvenz neu aufgebaut worden sind. Aber die Hälfte
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – da haben Sie
völlig Recht – stehen mit leeren Händen da. Damit nicht
genug: Sie wollen nun diejenigen, die noch Arbeit haben,
benachteiligen. Das wollte ich Ihnen bloß sagen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423111800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Lötzer.




Werner Schulz (Leipzig)

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(A)



(B)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423111900
Frau Präsidentin! Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kolb, auch wenn Sie gerade nicht
zuhören: In vielen Ihrer Programme, in vielen Ihrer Reden
treten Sie von der FDP für die direkte Demokratie ein und
Sie fordern möglichst viele Chancen für die Bürgerinnen
und Bürger zur Gestaltung ihres Lebens. Dass die Demo-
kratie für Sie allerdings spätestens vor dem Betrieb Halt
macht, das verschleiern Sie sowohl in Ihrer Rede als auch
in Ihrem Antrag.

Für uns gilt das nicht: Demokratie darf gerade nicht vor
den Werkstoren Halt machen; deshalb ist die Tarifauto-
nomie ein Grundbestandteil sozialer Demokratie und
nicht das von Ihnen eben wieder beschimpfte Tarifkartell.


(Walter Hirche [FDP]: Wenn das im Betrieb gemacht wird, ist das auch in Ordnung! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Tarifautonomie heißt nicht zwingend Verbändeautonomie!)


Deshalb ist ein Tariftreuegesetz längst überfällig. Ein sol-
ches Gesetz wäre nicht die Instrumentalisierung des Ver-
gaberechts für vergabefremde Zwecke.

Statt demokratische Gestaltungszwecke auch da einzu-
fordern, wo sie gefährdet sind, setzen Sie mit Ihrem An-
trag auf nichts anderes als auf Verdrängungswettbewerb,
Tarifflucht und die Ausweitung illegaler Beschäftigung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Erzählen Sie das auch den Mittelständlern in den neuen Ländern?)


– Das tue ich.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann werden die ja begeistert sein!)

Das führt zu Arbeit auf oder unter dem Sozialhilfeniveau
und es ist nicht gerade familienfreundlich, zuzusehen, wie
Familien durch diese Entwicklung zunehmend in die Ar-
mut getrieben werden. Auch das muss man deutlich sa-
gen.

Dass Dumpingkonkurrenz weder die zukünftige Wirt-
schaftsentwicklung fördert noch Arbeitsplätze sichert, ge-
rade das zeigt das Beispiel Ostdeutschland.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber hier geht es um das Überleben in einer schwierigen Situation für kleine und mittlere Unternehmen!)


– Auch dazu komme ich gleich. – Im Gegenteil: Die Bin-
nennachfrage und die Entwicklungschancen überlebens-
fähiger Baubetriebe, gerade im Osten, werden zerstört.

Unternehmen durch wirksame Kontrollen vor Schmutz-
konkurrenz zu schützen, die sie in den Ruin treibt, ist für Sie
wuchernde Kontrollbürokratie und ein Versuch der Krimi-
nalisierung von Wettbewerbern. Erpresserische Ausbeu-
tung illegal in die Bundesrepublik gekommener Menschen,
dadurch erlangte unlautere Wettbewerbsvorteile und Ver-
stöße gegen Arbeits- und Sozialgesetze sind nach Ihrem
Antrag dagegen Kavaliersdelikte, in die sich die Politik
nicht einmischen soll. Das heißt nichts anderes als Berei-
cherung der Skrupellosen und Ruinierung der Betriebe,
die sich an Tarife halten. Ein demokratischer und sozialer
Rechtsstaat ist das nicht.

Herr Schulz, noch ein Wort zu Ihnen: Dass die FDP ei-
nen solchen Antrag heute einbringt, hat natürlich auch mit
Ihrer Blockadehaltung gegen das Tariftreuegesetz zu tun;


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber am Schluss sind die Grünen doch umgefallen!)


denn die Verpflichtung – das sage ich Ihnen schon einmal
im Hinblick auf die Auseinandersetzung in der kommenden
Woche – müsste den Punkt einschließen, Lohndumping so-
fort und zu 100 Prozent zu verhindern. Tariftreue auf Ra-
ten, wie Sie sie in das Gesetz einbringen, darf es nicht ge-
ben; denn das heißt Tarifdumping und Elend auf Raten.
Deshalb hoffen wir, dass Sie Ihre Haltung bis zur Ausei-
nandersetzung in der nächsten Woche noch ändern.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423112000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Weiermann.


Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1423112100
Frau Präsidentin!
Meine Damen! Meine Herren! Eines muss man der FDP
an dieser Stelle einmal deutlich sagen:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sind konsequent!)


– Ja, konsequent sind Sie. –

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Anders als die Grünen! – Klaus Wiesehügel [SPD]: Konsequent lernunfähig! Das stimmt!)


Bei Ihnen geht es in der Tat um Deregulierung um jeden
Preis. Das zeigt sich nicht nur in diesem Antrag, sondern
auch bei Ihrer Haltung zur Reform der Betriebsverfas-
sung, die erst vor wenigen Monaten beschlossen worden
ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Bei der Scheinselbstständigkeit, bei der geringfügigen Beschäftigung, überall!)


Wir kennen Ihre Anträge gegen den Flächentarifvertrag
und wir kennen Ihre Anträge zu betrieblichen Bündnissen
für Arbeit. Das ist nichts anderes als der Abbau von Rech-
ten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das heißt Verlagerung von Rechten in die Betriebe, Herr Weiermann!)


Das ist Ihre Linie. Vor diesem Hintergrund kann man Ih-
nen an dieser Stelle auch sagen: Sie greifen die Wirt-
schafts- und Sozialpolitik der Koalition pauschal an und
Sie haben es eigentlich darauf abgesehen, die eben ge-
nannten Rechte zu tangieren und am besten abzuschaffen.


(Walter Hirche [FDP]: Wir wollen, dass neue Arbeitsplätze entstehen!)


Im Grunde genommen verfolgen Sie dieses Ziel mit der
heutigen Debatte und mit diesem Antrag.

In diesem Antrag ist die Rede von einem weiteren
Rückgang des öffentlichen Auftragsvolumens.






(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423112200
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?


Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1423112300
Ja, bitte.

(Zurufe von der SPD: Ach, nein!)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1423112400
Ich mache es auch ganz
kurz.– Herr Kollege Weiermann, ich habe Ihnen doch vor-
gelesen: Ihr Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung empfiehlt Ihnen drin-
gend, das Tariftreuegesetz nicht zu realisieren. Wollen Sie
dann, wenn Sie schon uns beschimpfen und nicht auf
mich hören, bitte wenigstens auf Ihren Sachverständi-
genrat hören?


Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1423112500
Ich sage Ihnen an die-
ser Stelle, dass das Tariftreuegesetz im Rahmen des Verga-
berechts den Sinn hat, genau die Unternehmen in der Bun-
desrepublik Deutschland zu schützen, die sich an Gesetze
und Tarifverträge halten und damit ihren Beitrag zu einem
Wettbewerb leisten, der in normalen Bahnen verläuft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist Ihr Sachverständigenrat!)


Dazu stehen wir und das werden wir in der nächsten Wo-
che auch durchbringen.


(Beifall bei der SPD)

Sie sprechen in Ihrem Antrag von „wuchernder Kon-

trollbürokratie“ und „Kriminalisierung von Wettbewer-
bern“. Herr Kolb, das klingt alles so fürchterlich, dass sich
die Haare sträuben, nur ist das schlicht und einfach nicht
wahr. Es ist falsch. Was Sie hier betreiben, ist unseriös.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie das denn?)

Sie führen sich als selbst ernannte Hüter des Wettbewerbs
auf,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Einer muss es ja tun!)


wollen aber nicht zur Kenntnis nehmen, dass das Prinzip
der Tariftreue im öffentlichen Vergaberecht eine unver-
zichtbare Bedingung für fairen Wettbewerb ist, wie ich
vorhin schon einmal gesagt habe.

Ihr Antrag ist kein Beitrag zur Sicherung der Wettbe-
werbschancen. Er ist ein Beitrag zur Festschreibung von
Wettbewerbsverzerrungen. Genau das Gegenteil von dem,
was Sie uns hier sagen, tritt bei einer solchen Entwicklung
ein. Grauzonen im Tarifrecht, geduldete Verstöße gegen
geltende und akzeptierte Normen höhlen den Wettbewerb
aus. Genau das wollen wir als Grüne und Sozialdemokraten
mit unserem Gesetzentwurf, der in der nächsten Woche
behandelt wird, verhindern. Das ist der elementare Unter-
schied zu Ihnen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie wollen nur die Wahl in Sachsen-Anhalt retten!)


Öffentliche Auftraggeber haben letztlich eine Vorbild-
funktion bei der Auftragsvergabe. Die Deregulierung, wel-

che die FDP in diesem Bereich fordert, zerstört jedoch
über kurz oder lang das Tarifrecht. Das wollen Sie auch.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, wir wollen nur die Autonomie für die Betriebe!)


Das ist das Ziel, welches die FDP wohl langfristig im
Auge hat und für dessen Erreichung sie anscheinend auch
bereit ist, den lauteren, den vernünftigen, den fairen Wett-
bewerb zu opfern. Sehr geehrter Herr Kolb, was Sie hier
vortragen und was Sie geschrieben haben, ist geradezu
abenteuerlich. Wir werden diesen abenteuerlichen Weg
nicht mitgehen.


(Beifall bei der SPD)

Der Wettbewerb darf nicht zulasten der Lohn- und Ar-

beitsbedingungen, der Beschäftigten und der Qualität der
Leistung gehen. Nach dem FDP-Antrag wäre dies aber so.

Im Baubereich ist es in den letzten Jahren mit dem
massiven Einsatz von Billiglohnkräften zu starken Wett-
bewerbsverzerrungen gekommen. Für den Bereich des
öffentlichen Personennahverkehrs ist angesichts der be-
vorstehenden Liberalisierung auf europäischer Ebene eine
ähnliche Entwicklung zu erwarten. Gerade in mittelständi-
schen Unternehmen sind aufgrund der Wettbewerbsver-
zerrungen Arbeitsplätze in hohem Maße gefährdet. Mit-
telständische Unternehmen leiden besonders unter den
starken Wettbewerbsverzerrungen.

Durch die Tariftreueverpflichtung im Vergaberecht
werden Wettbewerbsnachteile gesetzes- und tariftreuer
Unternehmen gegenüber den Billiglohnkonkurrenten ver-
mindert.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Das ist die Linie, die wir verfolgen sollten. Es kann doch
letztlich nicht schlecht sein, wenn es einem vernünftigen
Wettbewerb in der Bundesrepublik Deutschland dient.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann verstehe ich Ihren Sachverständigenrat nicht! – Gegenruf des Abg. Klaus Wiesehügel [SPD]: Haben Sie das mit „Ihrem Sachverständigenrat“ gestern auswendig gelernt?)


Ich habe schon darauf hingewiesen, dass das Gesetz
auch die sozialen Auswirkungen der Wettbewerbsver-
zerrungen bekämpfen soll. Dies scheint ein Aspekt zu
sein, der die FDP in besonderem Maße irritiert. Mit dem
Vergabegesetz werden die Belastungen für die Arbeitslo-
senversicherung und die Beitragszahler verringert und die
Sozialkassen stabilisiert. Für die Arbeitnehmer werden
ein angemessenes Einkommensniveau und der notwen-
dige Schutz, den der Flächentarifvertrag bietet, gewähr-
leistet. Das ist auch gut so, Herr Kolb; wir werden davon
nicht ablassen.


(Walter Hirche [FDP]: Über Abgaben nehmen Sie denen das alles wieder weg!)


Dies ist für uns ein enorm wichtiger Punkt: Arbeitneh-
mer wären eine beliebige Manövriermasse in einem dere-
gulierten Wettbewerb, wie ihn sich die FDP vorstellt. Das
machen wir nicht mit.






(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist falsch, Herr Weiermann!)


Das Ziel des Vergaberechts, wie es die FDP formuliert,
nämlich „wirtschaftliche Beschaffung zu organisieren“,
kann und darf nicht über der Sicherung der sozialen Maß-
stäbe stehen, die eine gerechte und soziale Politik aus-
machen. Der soziale Friede in unserem Land ist ein zu ho-
hes Gut, als dass man ihn auf dem Altar der Deregulierung
opfern dürfte. Fairer Wettbewerb ist nicht identisch mit
dem Recht des Stärkeren und bedeutet schon gar nicht,
dass Arbeitnehmer vogelfrei sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Davon redet doch keiner!)


Was sind denn konkret die Kritikpunkte im Antrag der
FDP? Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass die
endgültige Fassung des Gesetzentwurfs der Koalitions-
fraktionen noch nicht erstellt ist. Hier werden mit Sicher-
heit noch die Erkenntnisse der Anhörung vom 25. Februar
2002 eingehen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wäre das erste Mal, dass Sie aus Anhörungen Konsequenzen ziehen!)


Dazu gehören die Bedenken hinsichtlich der Vereinbar-
keit mit den Vorschriften der EU sowie verfassungsrecht-
liche Bedenken. Frau Professor Rust und Herr Professor
Däubler haben diese Bedenken jedoch in der Anhörung
sozusagen ausgeräumt und deutlich gemacht, dass das
sehr wohl mit europäischem Recht vereinbar ist.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423112600
Herr Kollege,
achten Sie bitte auf die Zeit.


Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1423112700
Darüber hinaus bein-
haltet der Antrag nur pauschale Vorwürfe und die schon
hundertmal gehörten Vorstellungen – man möchte fast sa-
gen: Zwangsvorstellungen – der FDP. Dass Sie auf dem
von Ihnen reklamierten Gebiet des Wettbewerbsrechts so
eklatant versagen, ist schon sehr bemerkenswert. Überra-
schen tut es uns allerdings nicht.

Sie werden erleben, dass die Koalition in der nächsten
Woche ein Gesetz auf den Weg bringt, das uns allen dient,
den Wettbewerb stabilisiert und die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer vor solchen Wünschen schützt, wie Sie
und Ihre Partei sie in den vergangenen Jahren mehrfach
geäußert haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es wird hoffentlich einige Vernünftige in Ihren Reihen geben, die dagegen stimmen!)


Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Walter Hirche [FDP]: Opfer Ihrer Politik sind die Betriebe und Arbeitnehmer!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423112800
Ich schließe die
Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8510 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert,
Dr. Christa Luft, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beseitigung der steuerlichen Dis-
kriminierung Alleinerziehender
– Drucksache 14/8274 –

(Erste Beratung 225. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-

ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8807 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Elke Wülfing
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/8809 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Ab eordneten Dr. Barbara Höll,
Heidemarie Ehlert, Dr. Christa Luft, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Gerechtigkeit im Familienlastenausgleich her-
stellen
– Drucksachen 14/8273, 14/8808 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Elke Wülfing
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist eine halbe
Stunde für die Aussprache vorgesehen, die Fraktion der
PDS wird fünf Minuten erhalten. Kein Widerspruch? –
Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Dabei möchte ich erwäh-
nen, dass die Abgeordnete Ina Lenke bittet, ihre Rede zu
Protokoll geben zu dürfen1). Das machen wir dann so.

Die Aussprache wird nun von Simone Violka eröffnet.




Wolfgang Weiermann

23031


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3


Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1423112900
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Familien sind ein wich-
tiger Teil unserer Gesellschaft. Deshalb stehen sie und
ihre Belange auch im Mittelpunkt unserer Politik. Die Fa-
milienpolitik, die wir 1998 vorgefunden haben, war die-
ses Namens nicht würdig. Das hat ja nicht zuletzt auch das
Bundesverfassungsgericht der ehemaligen CDU/CSU-
und FDP-Regierung ins Stammbuch geschrieben.

Wir haben die Wichtigkeit der Familien nicht erst im
Wahlkampf entdeckt,


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Da waren Sie noch gar nicht im Bundestag!)


sondern seit unserem Regierungsantritt gezeigt, was sie
uns wert sind. So haben wir allein im Rahmen des Fami-
lienlastenausgleichs die Aufwendungen für Familien um
8Milliarden Euro erhöht. Damit nicht genug: Im Vergleich
zu 1998 hat heute eine durchschnittliche Arbeitnehmerfa-
milie jährlich bereits 1 800 Euro mehr zur Verfügung. Das
ergibt sich aus der Kindergelderhöhung von insgesamt
80 DM pro Monat und der Steuerreform, die vor allen
Dingen die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen
entlastet.

Geld allein reicht nicht, wenn man Familien fördern
will. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
müssen stimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben, wo es im Rahmen unserer politischen Mög-
lichkeiten lag, zukunftsweisende Neuerungen eingeführt.
Ich nenne nur die Elternzeit für Väter und Mütter, den Ge-
waltschutz, den Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende,
mehr Chancengleichheit für Frauen im Beruf, Verbesse-
rungen beim BAföG und Programme gegen Jugend-
arbeitslosigkeit, um nur einige Punkte zu nennen.

Nicht alles kann man aber politisch regeln. Vieles muss
sich auch im Verständnis der Gesellschaft ändern. An die-
ser Stelle möchte ich deshalb an die Bürgerinnen und Bür-
ger appellieren, sich dieser Verantwortung bewusst zu
werden. Dazu gehört auch der Umgang miteinander, der
Umgang mit Familien und vor allem mit Kindern, die viel
zu häufig als störend empfunden werden, wenn sie durch
die Wohnung oder den Garten toben.

Ansprechen will ich noch ein anderes Problem, das sich
ebenfalls nicht politisch klären lässt, sondern ein Umden-
ken erfordert. Wenn ein Mann beim Vorstellungsgespräch
nach Frau und Kindern gefragt wird und diese Frage bejaht,
dann ist das häufig für ihn ein Pluspunkt, weil er damit
zeigt, dass er bereit ist, Verantwortung für eine Familie zu
übernehmen. Wenn aber eine Frau auf die gleiche Frage
mit Ja antwortet, dann ist das häufig ein Grund, sie nicht
einzustellen, denn sie könnte ja wegen der Kinder häufi-
ger ausfallen.

Diese Einstellung ist falsch, sie ist frauen- und fami-
lienfeindlich. Es muss unser aller Anliegen sein, diese An-
sicht zu ändern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der PDS-Antrag birgt den Vorwurf, dass unsere Fami-
lienpolitik Alleinerziehende benachteiligt. Auch in den
Medien wurde das immer mal wieder suggeriert. Das muss
ich an dieser Stelle schlicht und einfach zurückweisen. Das
Kindergeld in Höhe von 300 DM ist eine Vorauszahlung
für viele kindbezogene Steuerfreibeträge und bei einkom-
mensschwachen Familien gleichzeitig eine Förderung.
Kindergeld erhält aber nur, wer auch Kinder hat. Nicht die
Politikerinnen und Politiker, sondern das Bundesverfas-
sungsgericht hat im Haushaltsfreibetrag und damit in der
Steuerklasse II einen ungerechtfertigten Vorteil der Al-
leinerziehenden im Vergleich zu verheirateten Eltern ge-
sehen und die Gleichstellung gefordert.


(Beifall bei der SPD)

Der Gesetzgeber hat deshalb mit Wirkung zum 1. Ja-

nuar dieses Jahres eine stufenweise Abschmelzung des
Freibetrages bis zum Jahr 2005 vorgesehen, parallel zur
Einführung des neuen Freibetrages für Betreuung, Erzie-
hung und Ausbildung. Wir schmelzen den umstrittenen
Freibetrag also langsam ab, um den Betroffenen einen sanf-
ten Übergang in ein neues, verfassungskonformes System
zu ermöglichen.

Diese Regelung galt bislang allerdings nicht für Steu-
erpflichtige, die erst ab dem Jahr 2002 Alleinerziehende
werden, so genannte Neufälle, weil man glaubte, die ver-
fassungsrechtlich problematische Gewährung der Steuer-
klasse II nicht auf Neufälle ausdehnen zu können. Die
Regierungskoalition hat jetzt beschlossen, diese Neufälle
rückwirkend in die Abschmelzungsregelung einzubezie-
hen. Damit wird in den Jahren bis zum vollständigen
Wegfall des Haushaltsfreibetrages nicht mehr zwischen
alten und neuen Alleinerziehenden unterschieden.

Allerdings will ich an dieser Stelle auch noch einmal
darauf hinweisen, dass der Haushaltsfreibetrag eben nicht,
wie oftmals fälschlich behauptet, ersatzlos gestrichen
wird. Mit dem zum 1. Januar in Kraft gesetzten Freibetrag
für Betreuung, Erziehung und Ausbildung in Höhe von
2 160 Euro pro Kind haben wir eine Regelung geschaffen,
die das Kind im Vordergrund sieht und nicht den Haushalt.
Während der abgeschaffte Haushaltsfreibetrag nur einmal
pro Haushalt galt, wird der neue Freibetrag pro Kind be-
rechnet.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113000
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?


Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1423113100
Wir haben im Ausschuss ge-
nug darüber diskutiert.

Außerdem besteht die Möglichkeit, erwerbsbedingte
Betreuungskosten geltend zu machen. Das zeigt, dass wir
Sozialdemokraten den Anforderungen der Gesellschaft ge-
recht werden und es uns wichtig ist, die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf politisch zu unterstützen.

Weil die PDS in ihrem Antrag die Chancengleichheit
anspricht, möchte ich noch auf ein weiteres Thema zu
sprechen kommen, das auch etwas mit Chancengleichheit
zu tun hat, nämlich die Konsolidierung des Haushaltes.
Dieses Thema wird von der Opposition immer wieder






(C)



(D)



(A)



(B)


gern infrage gestellt, indem sie unbezahlbare Forderun-
gen aufmacht oder den Bürgerinnen und Bürgern unbe-
zahlbare Dinge verspricht.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Das Kindergeld ist nicht unbezahlbar, sondern sofort finanzierbar!)


Aber auch die Konsolidierung des Haushalts, von der die
Regierungskoalition nicht abgeht, hat etwas mit Chancen-
gleichheit zu tun. Würden wir sie nicht vornehmen, wie
sähen dann die Chancen der zukünftigen Generationen
aus? Immer mehr Geld müsste für Zinsen aufgebracht
werden und immer weniger Geld würde dann der Gesell-
schaft, also auch den Familien, zur Verfügung stehen. Ich
halte es für unverantwortlich, das Geld heute auf Pump
mit vollen Händen auszuteilen und es der zukünftigen Ge-
neration zu überlassen, mit den Schulden und allen damit
verbundenen Problemen fertig zu werden. Wir wollen,
dass auch die nachfolgenden Generationen die Möglich-
keit haben, eine fortschrittliche und vernünftige Fami-
lienpolitik zu gestalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb scheidet für uns eine Familienpolitik aus, die die
nachfolgenden Generationen finanzieren müssen. Schnell-
schüsse vor der Wahl, wie sie CDU/CSU und auch FDP
schon des Öfteren praktiziert haben – ich erinnere nur an die
berühmten Wahlkampf-ABM –, lehnen wir ab. Damals wa-
ren es die ABM-Mittel, heute ist es das von Ihnen so ge-
nannte Familiengeld; mit beiden wollen Sie den Bürge-
rinnen und Bürgern vorgaukeln, Sie hätten etwas für sie
übrig. Aber das hat Ihnen schon damals nichts geholfen
und wird es auch heute nicht.

Sie sind sich ja noch nicht einmal in den eigenen Rei-
hen darüber einig, wie das Konzept dazu aussehen soll
und wie Sie es überhaupt finanzieren wollen. Umvertei-
lung scheint da das Zauberwort zu sein. Herr Merz hat ja
gestern ein wenig die Katze aus dem Sack gelassen, wie
diese Umverteilung aussehen soll.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Da haben Sie ja gut zugehört!)


Bei der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe soll gespart
werden. Weil das nicht reicht, wie Sie eigentlich selber
wissen sollten, werden Sie wahrscheinlich auch wieder
alte Kamellen aus der Tüte holen. Ich bin sicher, dass Sie
heimlich schon an Konzepten arbeiten, in denen steht, dass
Überstunden und Nachtzuschläge besteuert werden müs-
sen. Wahrscheinlich haben Sie Frau Nolte eingeschärft,
vor der Wahl diesmal nicht zu sagen, dass Sie die Mehr-
wertsteuer erhöhen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Geben Sie mal zu, dass Sie die Erbschaftsteuer erhöhen wollen!)


Das würde nämlich bedeuten, dass die Krankenschwester,
die Kinder hat, einen Teil ihres so genannten Familien-
geldes selber bezahlen muss, weil sie für ihre Zuschläge
Steuern zahlen soll.

Aber damit nicht genug. Sie schweigen sich auch da-
rüber aus, was bei der Umsetzung Ihres Vorschlags mit
dem Kindergeld passieren soll. Wollen Sie es abschaffen?


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Was ist mit dem Freibetrag für Betreuung, Erziehung und
Ausbildung? Wollen Sie den abschaffen? Was ist mit dem
BAföG? Wollen Sie es abschaffen? Was ist mit dem kos-
tenlosen Zahnersatz für Jugendliche? Wollen Sie ihn, wie
Sie es schon einmal getan haben, erneut abschaffen? Ich
kann die Liste meiner Fragen noch verlängern. Aber das
würde meine Redezeit nur sprengen.

Ich garantiere Ihnen, die Bürgerinnen und Bürger wer-
den die entsprechenden Antworten bekommen wollen
und nicht blind Ihren vollmundigen Versprechen auf den
Leim gehen.

Für die SPD-Fraktion jedenfalls gilt: Wir machen Fa-
milienpolitik mit Herz und Verstand


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Alles Gedöns, hat der Kanzler gesagt!)


und nicht – wie die CDU/CSU – mit Merz ohne Konzept
und leerer Hand.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Elke Wülfing.

Elke Wülfing (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Frau Violka, dieser Strauß von
Merkwürdigkeiten, den Sie gerade präsentiert haben, hat
mich wirklich nachdenklich gemacht. Um Ihre Verfeh-
lungen in der Familienpolitik zu beschönigen, haben Sie
versucht, alles Mögliche anzuführen.

Sie haben von Haushaltskonsolidierung gesprochen.
Eines ist richtig: Herr Eichel hat den Haushalt nicht kon-
solidiert, sondern er hat weiter Schulden aufgehäuft.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Trotzdem hat er die Familien nicht entlastet.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)

Jetzt plötzlich, kurz vor dem 22. September, entdecken

Sie – wie die Grünen, die PDS und die FDP – das Thema
Familie.


(Simone Violka [SPD]: Sie wissen noch nicht einmal, wie man Familie schreibt!)


Da Sie an diesem Thema offensichtlich interessiert sind,
werden Sie sicherlich wahrgenommen haben, dass die
CDU im Dezember 1999 auf der Tagung ihres Bundes-
ausschusses ein familienpolitisches Konzept auf den Tisch
gelegt hat.


(Nicolette Kressl [SPD]: Sie haben die Erhöhung des Kindergeldes auf 250 DM als Weihnachtsgeld diffamiert!)





Simone Violka

23033


(C)



(D)



(A)



(B)


– Frau Kressl, ich darf hier zumindest darauf hinweisen,
dass wir das Thema Familienpolitik nicht erst am Vor-
abend der Wahl entdeckt haben. Die Union, also CDU
und CSU, nimmt dieses Thema länger ernst, als Sie es
tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Wir haben 1999 ein Familienförderkonzept auf den
Tisch gelegt. Es beinhaltete ein Familiengeld und Rege-
lungen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
um die Erziehungsfähigkeit der Familien zu stärken. Jetzt
hat Herr Schröder entdeckt, dass dieses Thema mög-
licherweise für ihn wichtig ist.

Was ich Ihnen, Frau Höll – jetzt sind Sie an der Reihe –,
heute besonders übel nehme, ist, dass die PDS zwei Tage
vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt meint, sie müsse
ihr Fähnchen noch für die Alleinerziehenden heraushän-
gen. Sie werden wissen, dass die SPD im vorigen Jahr von
der Opposition vorgetragene Kritikpunkte zur Ungleich-
behandlung von Alleinerziehenden aufgegriffen und ihre
Haltung revidiert hat, ausgerechnet – das muss man sich
einmal vorstellen – im Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz!
Ich weiß nicht, was die Familie damit zu tun hat.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Umgekehrt: Wir waren zuerst! – Walter Hirche [FDP]: Bei RotGrün braucht jede Familie einen Steuerberater!)


Ich denke, die Alleinerziehenden in Sachsen-Anhalt
sind so intelligent, dass sie diesen Vorschlag als Wahl-
kampfparole erkennen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie hätten genauso gut auf die Anhörung und auf die
nächste Sitzungswoche warten können. Ich denke, jeder
kann Ihre Taktik durchschauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

SPD und Grüne haben – ich habe es eben schon gesagt –

ausgerechnet mithilfe des Steuerbeamten-Ausbildungsge-
setzes versucht, die Situation von Alleinerziehenden ein
klein wenig zu verbessern. In einer Sonderregelung des so
genannten 2. Familienfördergesetzes war vorgesehen, dass
nur Alleinerziehende den abgeschmolzenen Haushalts-
freibetrag bekommen sollen, die bereits im Veranlagungs-
zeitraum 2001 die Voraussetzungen dafür mitbringen. Diese
Regelung bedeutete zum Beispiel, dass eine Alleinerzie-
hende, deren Kind Ende 2001 geboren ist, steuerlich anders
behandelt wird – ihr wird ein abgeschmolzener Freibetrag
zugesprochen – als diejenige Alleinerziehende, deren Kind
nach 2001 geboren wurde. Letztere stand nämlich plötz-
lich im Regen.

Nun ist es natürlich durchaus richtig, dass man inner-
halb der Gruppe der Alleinerziehenden eine Gleichstel-
lung vornimmt. Darüber lässt sich allerdings nicht disku-
tieren, ohne gleichzeitig zu sagen, dass die Kritik der
Alleinerziehenden daran, dass der Haushaltsfreibetrag bis
2005 abgeschmolzen wird, massiv ist. Über dieses Thema
kann auch nicht diskutiert werden, ohne Kritik daran zu
üben, was im ersten und zweiten Familienfördergesetz er-

folgt ist: eine Minimallösung der Umsetzung des Bundes-
verfassungsgerichtsurteils.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Richtig!)

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Be-

schluss vom 10. November 1998 zu Recht die steuerliche
Benachteiligung von Ehepaarfamilien im Vergleich zu Al-
leinerziehenden festgestellt. Es gab dem Gesetzgeber vor,
ab dem Jahr 2000 für alle Eltern zusätzlich zum sächli-
chen Existenzminimum den Betreuungsbedarf steuerfrei
zu stellen und ab dem Jahr 2002 den Ausschluss der Ehe-
paarfamilien vom Abzug eines Haushaltsfreibetrages zu
korrigieren. Dies sollte durch die steuerliche Berücksich-
tigung des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs erfolgen,
der sich in der Höhe – nicht in der Form – am Haushalts-
freibetrag der Alleinerziehenden orientieren sollte. Frau
Kressl, Sie haben dies am letzten Mittwoch in der An-
hörung zur Steuerreform noch einmal von Herrn Profes-
sor Kirchhoff, der an diesem Urteil beteiligt war, gehört.
Er hat dies ausdrücklich bestätigt. Diese Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu rügen. Zu rügen
sind allenfalls Sie und die rot-grüne Bundesregierung, die
auf diese Verfassungsvorgaben mit einer in sich schiefen
und völlig ungenügenden Billiglösung auf niedrigstem
Niveau reagiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus welcher Zeit stammen die eigentlich? – Nicolette Kressl [SPD]: Sie haben dem Gesetz doch zugestimmt!)


Insbesondere sind natürlich der zu geringe Betreuungs-
freibetrag und das zu geringe Existenzminimum, aber auch
das zu geringe Kindergeld zu nennen.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wissen ganz genau, dass in der Bundesrepublik
Deutschland die Drei-, Vier- und Mehrkinderfamilien ein
besonderes Armutsrisiko haben. Die lassen Sie vollkom-
men im Regen stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Konsequenz aus Ihren Gesetzen ist, dass heute zum

Beispiel Alleinerziehende mit einem bestimmten Einkom-
men schlechter gestellt sind, als das vorher der Fall war.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Genau!)

Das haben in der Anhörung der DGB, der Bund der Steu-
erzahler und der Familienbund sehr deutlich gemacht. Ich
denke, die haben nicht ganz Unrecht. Das, was die PDS
vorschlägt, ist wirklich nur eine Minimallösung und, weil
nicht ausreichend, für uns leider nicht akzeptabel.

Es gibt wirklich genug weitere Kritikpunkte in den bei-
den so genannten Familienfördergesetzen. Zum Beispiel
die Höchstbeträge für aufgewendete Kinderbetreu-
ungskosten ab 2002


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Richtig! Steht in unserem Antrag! Muss geändert werden!)


sind mit 1 500 Euro allzu kläglich bemessen. Sie sind rea-
litätsfern und verfassungsrechtlich zu beanstanden. Eine




Elke Wülfing
23034


(C)



(D)



(A)



(B)


individuelle Fremdbetreuung kann ohne weiteres zu Auf-
wendungen führen, die den Höchstbetrag von 1 500 Euro
bei weitem übersteigen.

Zusätzlich muss man sehen: Die willkürliche Begren-
zung des Alters auf 14 Jahre – ich weiß nicht, wie man
auf diese Idee kommen konnte – ist allenfalls vom Diktat
des Bundesfinanzministers bestimmt. Aber Herr Eichel ist
und bleibt – das wissen auch Sie – der Feind der Familie.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist das! – Lachen bei der SPD)


– Ich habe nicht Sie, Frau Dr. Hendricks, sondern Ihren
Chef angesprochen, denn er gibt Ihnen die Zahlen vor. –
Die Altersgrenze lag vorher bei 16 Jahren. Ich denke, zu-
mindest diese sollte man wieder aufnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte einmal den ernst zu nehmenden Professor

Dr. Hans-Joachim Kanzler zitieren, der in der Wochen-
schrift „Deutsches Steuerrecht“ vom 15. März 2002 sehr
deutlich zum Thema „Die einkommensteuerliche Berück-
sichtigung von Kinderbetreuungskosten als Betreuungs-
fall“ Stellung genommen hat:

Die Rechtsentwicklung der Steuerermäßigung für
Kinderbetreuungskosten zeigt, dass das Problem des
Abzugs erwerbsbedingter Aufwendungen in der Ver-
gangenheit durchaus schon ernster genommen wurde
als derzeit.

Frau Kressl, hören Sie bitte zu!
Dies sage nicht ich, das sagt nicht die Opposition,

(Nicolette Kressl [SPD]: Sie haben doch gar nichts gemacht in diesem Punkt! Sie hatten 16 Jahre Zeit!)


sondern das sagt jemand, den man, wenn es um das Steu-
errecht geht, sehr ernst nehmen muss. Ich darf weiter
zitieren:

In diesem Zusammenhang kann die Aufhebung des
§ 33 c Einkommensteuergesetz alter Fassung durch
das 1. Familienfördergesetz nur als empfindlicher
Rückschlag angesehen werden, der mit der Neurege-
lung der Kinderbetreuungskosten durch das 2. Fami-
lienfördergesetz mit seinen realitätsfernen Mindest-
und Höchstbeträgen keineswegs ausgeglichen wurde.

(Nicolette Kressl [SPD]: Wann haben Sie etwas mit den Betreuungskosten gemacht?)


Es geht im Zitat weiter – hier wird beurteilt, was Sie ge-
macht haben –:

Sowohl die Streichung der Kinderbetreuungskosten
für die Jahre 2000 und 2001 als auch die Neurege-
lung bergen reichlich verfassungsrechtlichen Kon-
fliktstoff, sodass die Kinderbetreuungskosten wohl
auch weiterhin ein Betreuungsfall bleiben werden.

Dieses Zitat stammt, wie gesagt, aus der Wochenschrift
„Deutsches Steuerrecht“ vom 15. März. Ich kann es Ihnen
gleich geben; lesen Sie es bitte nach. Dort wird ganz ein-
deutig festgestellt: Die rot-grüne Familienpolitik ist und
bleibt ein „Betreuungsfall“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Manchmal irren auch Experten!)


Ich denke, dass das von CDU und CSU im September
1999 vorgelegte Familienförderkonzept mit einem ver-
nünftigen Familiengeld,


(Lachen bei der SPD)

mit der Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten
bis zu einer Höhe von 5 000 Euro im Jahr beweist, wer
wirklich der Anwalt der Familien in der Bundesrepublik
Deutschland ist.

Deswegen lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Ihren Gesetzentwurf ab. Den zweiten Gesetzentwurf leh-
nen wir unter anderem auch deswegen ab – ich habe es Ih-
nen bei der Einbringung auch schon gesagt –, weil wir das
Institut der Ehe auf gar keinen Fall aus der Verfassung
streichen wollen und weil wir auf gar keinen Fall damit
einverstanden sind, dass das Ehegattensplitting gestrichen
wird, Frau Höll.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [PDS]: Da steht nun wirklich drin, dass wir die Ehe streichen wollen!)


Das unterscheidet CDU/CSU von der PDS, der SPD, der
FDP und von den Grünen. Ich denke, das muss man hier
noch einmal deutlich sagen. – Das steht sehr wohl da drin.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Das ist Ideologie, was Sie machen wollen! Ideologie von gestern! – Walter Hirche [FDP]: Aber für die FDP stimmt das auch nicht, dass wir das streichen wollen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113300
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Wülfing, es ist wirklich immer wieder verwunderlich, wie
kurz das Gedächtnis der Union ist. Ich kann mich gut er-
innern, dass die vom Bundesverfassungsgericht zugelas-
senen Klagen aus Ihrer Regierungszeit stammen


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und dass wir als rot-grüne Regierung es gewesen sind, die
die Mittel für die Familienförderung im Gesamtetat auf
über 50 Milliarden Euro erhöht haben. Das ist ein Drittel
mehr für die Familien, als wir 1998 in Ihrem Haushalt
vorgefunden haben.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113500
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113600

Gerne.


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1423113700
Frau Scheel, Sie wissen
doch ganz genau, dass sich das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts auf den Zeitraum bis 1996 bezog, dass 1996




Elke Wülfing

23035


(C)



(D)



(A)



(B)


die vorige Bundesregierung von CDU/CSU und FDP die
Familienförderung vollkommen umgestellt hat, dass sie
das Existenzminimum erheblich erhöht hat, dass sie das
Kindergeld erheblich erhöht hat. Das sagen Sie nur nie in
der Öffentlichkeit.


(Zuruf von der SPD: Frage!)

– Die Frage ist, ob sie das weiß.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113800

Frau Wülfing, das Bundesverfassungsgericht hat da-
mals Vorgaben gemacht, die Sie von der Union gemein-
sam mit der FDP in Ihrer Regierungszeit umsetzen
mussten, weil Sie sich ansonsten gesetzeswidrig verhal-
ten hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das ist aber eine Bestätigung, dass das gemacht worden ist!)


Diese Klagen sind, wie gesagt, während Ihrer Regie-
rungszeit eingereicht worden. Die Urteile hat das Verfas-
sungsgericht erst gesprochen, als Rot-Grün die Regierung
übernommen hatte. Das war am Anfang unserer Regie-
rungszeit; wir hatten uns gerade einigermaßen „sortiert“,
hatten die Ressortverteilung geregelt und hatten die ersten
Gesetzentwürfe diskutiert, als diese Urteile kamen. Wir
mussten daraufhin Ihr Versagen in der Familienpolitik ei-
nigermaßen abfedern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die Halbschwester von Herrn Schröder!)


Das haben wir in zwei Stufen umgesetzt. Das Volumen
derKindergelderhöhung allein hat über 8MilliardenEuro
ausgemacht. Wir haben – das muss man den Menschen
auch sagen – einen Schuldenberg übernommen, der noch
unseren Kindern die Hände bei der Gestaltung bindet. Ob-
wohl wir diesen Schuldenberg abbauen,


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Tut ihr ja nicht! Ist doch nicht wahr!)


haben wir es geschafft, die Mittel für die familienpoliti-
schen Maßnahmen um ein Drittel zu erhöhen. Das ist vor
dem Hintergrund der Situation in diesem Staat eine wun-
derbare familienpolitische Leistung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Die Schulden wachsen!)


– Sie wissen genau, dass wir die Neuverschuldung abge-
baut haben, meine Güte!


(Walter Hirche [FDP]: Aber die Schulden wachsen doch! Denken Sie an Adam Riese!)


Anscheinend müssen Sie noch einmal einen Grundkurs
über Haushaltskonsolidierung und über die Entwicklung
der Neuverschuldung machen.


(Walter Hirche [FDP]: Die Schulden wachsen!)


– Dass die FDP keine Ahnung von Geld hat, wissen wir.
Sonst hätten wir eine andere Situation 1998 vorgefunden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Wülfing, ich bin wirklich überrascht, dass es der
Union immer wieder gelingt, zum Thema Familienpolitik
täglich neue Überlegungen einzubringen, die in keiner
Weise innerhalb der Unionsfraktion und anscheinend auch
nicht mit Ihrem Kanzlerkandidaten, mit Herrn Stoiber, ab-
gesprochen sind.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Da machen Sie sich aber Sorgen!)


Denn er hat etwas ganz anderes gesagt.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wenn ihr sonst keine Probleme habt!)

Wir konnten mit großer Überraschung lesen, dass die
Union jetzt davon abgeht, ab dem nächsten Jahr, wie es ur-
sprünglich angekündigt war, für Kinder unter drei Jahren
600 Euro pro Monat ausgeben zu wollen. Auch ist sie
davon abgerückt, den Betrag danach gestaffelt bis zum
27. Lebensjahr des Kindes – hier hört die Kindergeld-
berechtigung auf – abschmelzen zu lassen.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wir machen eben vernünftige Gesetze und nicht hopplahopp wie ihr!)


Man hat jetzt festgestellt, dass das überhaupt nicht fi-
nanzierbar ist, und musste zugeben, dass diese Forderung
nicht haltbar ist. Ich finde das sehr peinlich, deswegen hat
es mich als Mitglied einer Regierungspartei gefreut, als es
hieß: Stoiber stolpert über Familiengeld. Jetzt kommt
nämlich langsam die Ehrlichkeit zutage, und es wird klar,
dass man mit Forderungen, die nicht zu finanzieren sind,
versucht hat, den Familien die Augen zuzukleistern.

Die Union fordert Familiengeld für das erste Lebens-
jahr des Kindes in einer Größenordnung von 600 Euro.
Wenn wir uns anschauen, wie heute die Leistungen beim
Kinder- und Erziehungsgeld im ersten Lebensjahr der
Kinder aussehen, muss ich sagen: Das ist keine Verbesse-
rung für Familien mit niedrigem Einkommen, sondern das
ist das, was sie schon jetzt erhalten. Dabei suggerieren Sie,
Sie würden eine mordsmäßige familienpolitische Leistung
erbringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das, was Sie von der Union für die nächsten Jahre vor-
schlagen – wann immer das kommen soll, wissen wir bis
heute nicht, es wird von 2004, 2005 und 2006 geredet –,
soll aus der Arbeitslosen- und Sozialhilfe finanziert
werden. Wenn wir wissen, dass dieses Projekt, wie es Herr
Stoiber und Herr Merz zugegeben haben, zwischen
20 und 25 Milliarden Euro kostet und die Sozialhilfe nur
Ausgaben in Höhe von 19 Milliarden Euro beinhaltet,
dann bedeutet das faktisch die vollständige Abschaffung
der Sozialhilfe.

Im Umkehrschluss heißt das, dass Sie genau den Kin-
dern, die zu den ärmsten der Gesellschaft gehören, auf der




Elke Wülfing
23036


(C)



(D)



(A)



(B)


einen Seite alles wegnehmen, um es ihnen dann zurück-
zugeben. Das ist doch keine Familienpolitik, sondern eine
Verschleierungstaktik auf Kosten der Kinder in dieser Ge-
sellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Dr. Höll, wir diskutieren in der nächsten Woche

über einen Gesetzentwurf, mit dem wir die echten und un-
echten Neufälle von Alleinerziehenden lösen, sodass alle
in den „Genuss“ einer Entlastung kommen können. Der
Haushaltsfreibetrag wird im nächsten Jahr nicht abge-
schafft, er wird aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils
langsam abgeschmolzen und gilt bis zum Jahr 2005.

Ich gehe davon aus, dass wir über weitere Maßnahmen
in der Familienpolitik wie Kindergelderhöhung, Kinder-
grundsicherung, mit der wir ganz zielgenau fördern wol-
len, und einen weiteren Ausbau der Betreuungseinrich-
tungen die Situation in den nächsten Jahren verändern.
Deswegen gehe ich auch davon aus, dass wir den Weg,
den wir angefangen haben zu beschreiten, nämlich Fami-
lien in ihrem Umfeld, in ihrer Lebenssituation zu stärken,
weitergehen und dies auch finanzierbar sein wird.

Wir sollten nicht auf Forderungen aus Fraktionen he-
reinfallen, von denen jeder weiß, dass sie nicht finanzier-
bar sind. Es trägt zum Politikverdruss bei, wenn man den
Menschen suggeriert, man könne etwas tun, was man in
Wirklichkeit nicht kann. Man muss ehrlich sagen, was
machbar ist. Genau das tut Rot-Grün in dieser Situation.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423113900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423114000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Zurück zum Thema: Wir beraten
heute den Gesetzentwurf der PDS, der sicherstellen soll,
dass noch bis zum Jahre 2005 alle Alleinerziehenden den
abgeschmolzenen Haushaltsfreibetrag in Anspruch neh-
men können und damit eine Gleichbehandlung aller El-
tern wieder hergestellt wird.

Dass dies nur eine Beseitigung der gröbsten Unge-
rechtigkeit ist, Frau Wülfing, ist uns natürlich bewusst.
Deshalb haben wir gleichzeitig einen Antrag eingebracht,
der einen gerechten Familienlastenausgleich fordert. Ge-
rade das Beispiel der Alleinerziehenden verdeutlicht die
Schieflage bei der rot-grünen Familienbesteuerung.

Die Änderung, die wir vorschlagen, betrifft die Strei-
chung einer Formulierung in § 32 Abs. 7 des Einkommen-
steuergesetzes, die dazu geführt hat, dass bereits ab Januar
dieses Jahres die Alleinerziehenden den Haushaltsfrei-
betrag nicht mehr geltend machen können, die diesen
nicht auch schon im vergangenen Jahr geltend machen
konnten. Dies betrifft aber nicht nur Menschen, die erst ab
Januar ihr Kind bekommen haben, sondern auch Verwit-
wete und Geschiedene, also so genannte unechte Neu-
fälle.

Die Koalition wird in der nächsten Woche im Nach-
gang dasselbe beantragen. Ich bin froh, dass dies ge-
schieht, auch wenn Sie zur Streichung dieses einen Satzes
vier Monate benötigt haben. Dies ist das Ergebnis des
Drucks durch die Verbände, aber auch des Drucks, den die
PDS hier im Bundestag gemacht hat. Sie können nicht be-
gründen, warum Sie unseren Antrag heute ablehnen und
nächste Woche einem inhaltsgleichen Antrag zustimmen
werden. Dies ist eigentlich etwas traurig. Ich habe Ihnen
auch angeboten, dass wir einen gemeinsamen Antrag ein-
bringen. Dazu konnten Sie sich aber nicht einmal im In-
teresse der Alleinerziehenden aufraffen.

Allerdings wird die Situation der Alleinerziehenden
tatsächlich nur zeitweilig verbessert. Ab dem Jahre 2005
werden Alleinerziehende – auch wenn die SPD das weiter
bestreitet – wie Alleinstehende ohne Kinder veranlagt.
Der Haushaltsfreibetrag – ich bitte auch Frau Kressl, ge-
nau zuzuhören – wird allein erziehenden Steuerpflichti-
gen deshalb gewährt, weil sie allein mit mindestens einem
Kind in ihrem Haushalt zusammenleben und in ihrem
Haushalt aufgrund dessen Mehrausgaben entstehen.


(Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin: Das hat das Bundesverfassungsgericht abgelehnt!)


Der Haushaltsfreibetrag soll also die besondere Haus-
haltssituation gegenüber Alleinstehenden ohne Kinder
bzw. Paaren oder Ehepaaren berücksichtigen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht gelesen?)


WirdderHaushaltsfreibetraggestrichen,werdenAllein-
erziehende natürlich in Bezug auf ihre besondere Haus-
haltssituation wie Alleinstehende veranlagt. Dies ist völ-
lig unabhängig von Kinderfreibetrag und Kindergeld, die
allen Eltern zugute kommen. Dies sollten Sie endlich ein-
mal zur Kenntnis nehmen.

Das Hauptproblem an der Streichung des Haushalts-
freibetrages liegt jedoch woanders: Durch seine Abschaf-
fung und die gleichzeitige Beibehaltung des Ehegatten-
splittings wird sich die Diskriminierung Alleinerziehender
zukünftig verstärken, der Einkommensabstand wird
größer. Alleinerziehende erhalten künftig nur noch den
Kinderfreibetrag bzw. das Kindergeld. Verheiratete Eltern
und kinderlose Ehepaare werden dagegen auch weiterhin
vom Finanzminister für ihre Art des Zusammenlebens zu-
sätzlich belohnt. In der Konsequenz zahlen Alleinerzie-
hende höhere Steuern als alle anderen Eltern und sogar
Kinderlose, insbesondere kinderlose Ehepaare.

Nun äußerte Bundeskanzler Schröder in seiner gestri-
gen Regierungserklärung, dass ihm diese Ungerechtigkeit
auch nicht gefalle, die Regierung aber nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts leider keine andere Wahl gehabt
hätte: entweder gänzliche Abschaffung des Haushaltsfrei-
betrages mit den bekannten Problemen oder Gewährung des
Haushaltsfreibetrages an alle Eltern. Letzteres, so der Kanz-
ler, hätte die Haushaltslage nicht zugelassen. Darin stimme
ich ihm zu.

Ichmöchte jedoch ergänzen:DieGewährung desHaus-
haltsfreibetrages an alle hätte zwar die Situation der




Christine Scheel

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(D)



(A)



(B)


Alleinerziehenden nicht weiter verschlechtert, wie dies
nun geschieht, ihre materielle Benachteiligung gegenüber
verheirateten Eltern und kinderlosen Ehepaaren hätte dies
jedoch auch nicht aufgehoben.

Die derzeit bestehende Gerechtigkeitslücke bei der Be-
steuerung von Familien kann nur durch die Abschaffung
des Ehegattensplittings und die massive Anhebung des
Kindergeldes für alle geschlossen werden. Diese Mög-
lichkeit hat der Bundeskanzler in seiner Regierungser-
klärung jedoch gänzlich verschwiegen, obwohl man ins-
besondere seit Anfang des Jahres wieder Stimmen aus der
Koalition gehört hat, wonach über eine Reform des Ehe-
gattensplittings und die Verlagerung der Förderung von
der Ehe auf die Familie nachgedacht werden müsse. Herr
Poß und Frau Scheel haben sich entsprechend geäußert.

Heute haben Sie die Chance, zu zeigen, dass dies keine
Lippenbekenntnisse sind. Stimmen Sie unserem Antrag
„Gerechtigkeit im Familienlastenausgleich herstellen“ zu.
Hier haben wir unsere langjährigen Forderungen – Frau
Wülfing, wenn Sie die noch nicht gehört haben, müssen
Sie oft nicht aufgepasst haben – nach einer grundlegenden
Reform der Familienbesteuerung bekräftigt.

Im Sinne einer sozial gerechten Weiterentwicklung
des Familienlastenausgleichs fordern wir von Ihnen ers-
tens die Reform des Ehegattensplittings und eine von der
Lebensweise bzw. Lebensform unabhängige Einkom-
mensbesteuerung, zweitens die sofortige und nachhaltige
Erhöhung des Kindergeldes und seine schrittweise Um-
wandlung in eine soziale Grundsicherung


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Kommen Sie einmal zur Sache!)


und drittens die Entlastung der Eltern von den Kosten der
Kinderbetreuung. Langfristig muss ein bedarfsdeckendes
und kostenfreies Betreuungsangebot realisiert werden.
Kurzfristig fordern wir, dass alle Eltern die Kosten der
Kinderbetreuung zu einem einheitlichen Steuersatz von
45 Prozent absetzen können.

Frau Präsidentin, ich möchte keine Kurzintervention
mehr machen. Wenn Sie gestatten, möchte ich zu Frau
Wülfing – sie hat mich vorhin direkt angesprochen – noch
etwas sagen.


(Heiterkeit)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423114100
Das geht nun
wirklich nicht. Sie hatten eine fünfminütige Redezeit. Es
ist nicht möglich, eine Kurzintervention an eine Rede an-
zuschließen. Sie sind Parlamentarische Geschäftsführerin
und wissen, dass das nicht geht.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423114200
Ich wollte Frau Wülfing nur
gesagt haben, dass wir nicht die Abschaffung der Ehe,
sondern nur die Abschaffung des Ehegattensplittings for-
dern.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423114300
Nur um die Re-
geln klarzustellen: Wer noch Redezeit hat und auf etwas
eingehen will, hat nicht das Recht auf eine Kurzinterven-

tion im Anschluss an die Rede. Wenn man auf Äußerun-
gen einer Kollegin bzw. eines Kollegen eingehen will,
nimmt man die Redezeit in Anspruch. Im Übrigen wurde
die Redezeit in diesem Falle schon überschritten.

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-

tion der PDS eingebrachten Gesetzentwurf zur Beseiti-
gung der steuerlichen Diskriminierung Alleinerziehender
auf Drucksache 14/8274. Der Finanzausschuss empfiehlt
auf Drucksache 14/8807, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen, der SPD
und der CDU/CSU gegen die Stimmen der PDS bei Ent-
haltung der FDP abgelehnt worden. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf Drucksache 14/8808 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Gerechtigkeit im Fami-
lienlastenausgleich herstellen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/8273 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung wurde
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 11 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zum Waldakti-
onsplan im Übereinkommen über die biologi-
sche Vielfalt anlässlich der 6. Vertragsstaaten-
konferenz in Den Haag

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Steffi Lemke.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423114400
Frau
Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In dieser
Woche tagt in Den Haag die 6. Vertragsstaatenkonferenz
zur biologischen Vielfalt, auf der ein Aktionsprogramm zur
Rettung der letzten Urwälder verabschiedet werden soll.

Die Ziele dieser Konferenz sind erstens die Verabschie-
dung eines konkreten aktionsorientierten Arbeitspro-
gramms zum Schutz der Wälder, zweitens die Annahme
konkreter Leitlinien über den Zugang zu genetischen Res-
sourcen und über einen gerechten Vorteilsausgleich bei der
Nutzung dieser genetischen Ressourcen, drittens die Ver-
abschiedung eines strategischen Plans zur Festlegung von
Arbeitsschwerpunkten im Rahmen der Biodiversitätskon-
vention bis 2010 und viertens die Verabschiedung von
Maßnahmen gegen das ökologisch problematische Ein-
schleppen von gebietsfremden Arten.

Wir haben heute die Aktuelle Stunde beantragt, um
über den Schwerpunkt der Konferenz, den Aktionsplan
zur Rettung der letzten Urwälder, zu diskutieren. Alle
zwei Sekunden verschwindet auf dieser Erde eine Fläche




Dr. Barbara Höll
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(C)



(D)



(A)



(B)


von der Größe eines Fußballfeldes an Urwald. Weltweit
gibt es zurzeit noch 3,8 Milliarden Hektar Urwälder. Wenn
man das zusammenrechnet, werden davon 15 Millionen
Hektar jährlich abgeholzt. Das heißt, dass die letzten Ur-
wälder bedroht sind. Dies ist eine Debatte, die in Mitte-
leuropa schon seit langer Zeit geführt wird, aber seit eini-
gen Jahren aus dem öffentlichen Bewusstsein weitgehend
verschwunden ist.

Ein Kollege von der CSU hat mir in einer Debatte zum
Thema Wald vorgeworfen, die Grünen hätten in den 80er-
Jahren mit ihrer „Baum ab? – Nein danke“-Kampagne ei-
nen vollkommen falschen Schwerpunkt gesetzt und der
Tropenholzboykott hätte damals kontraproduktiv gewirkt.
Wir müssen heute aber konstatieren, dass trotz der Tatsa-
che, dass nicht mehr über die Kampagne „Baum ab? –
Nein danke“ von den Grünen aus den 80er-Jahren disku-
tiert wird, das Abholzen der Tropenwälder und damit die
Vernichtung bisher nicht gestoppt werden konnte.

Deshalb ist die 6. Vertragsstaatenkonferenz, die zurzeit
tagt, ein wirklicher Erfolg, weil sie erstens mit dieser
Schwerpunktsetzung stattfindet und zweitens Fortschritte
bei der Rettung der letzten Urwälder erreicht. Zum einen
werden heute auf der Konferenz die konkreten Leitlinien
über den Zugang zu den genetischen Ressourcen ange-
nommen. Dies ist ein wichtiger Schlüsselpunkt, weil in den
Urwäldern die größte biologische Vielfalt weltweit vorhan-
den ist. Wenn wir sie schützen wollen, dann muss den Län-
dern, in denen sich diese biologische Vielfalt befindet, ein
ökonomischer Nutzen in ihrem Lande und nicht nur die
Nutzung durch europäische, US-amerikanische und kana-
dische Konzerne, die aus dieser biologischen Vielfalt he-
raus Gewinn erwirtschaften, ermöglicht werden. Deshalb
ist es ein so wichtiger Schlüsselpunkt, dort einen Interes-
sensausgleich herbeizuführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens wird heute ein konkretes Waldarbeitspro-
gramm verabschiedet. Es wird eine Arbeitsgruppe, kleine
Expertengruppe, eingesetzt, die die Umsetzung dieses
Waldarbeitsprogramms beobachten wird. Sie wird eine
Weiterentwicklung vorbereiten, um konkret zu kontrollie-
ren, wie dieses Arbeitsprogramm in den einzelnen Staaten
umgesetzt wird. Es bleibt nicht nur bei Worten – diese Ex-
pertengruppe werden wir unterstützen müssen –, sondern
die nächsten Jahre werden zeigen, wie weit wir mit dem
Schutz in der Praxis vorankommen. Die Notwendigkeit
hierfür ist in diesem Hause wohl unumstritten.

Es wird eine Erklärung geben, dass bis 2010 der Ver-
lust der biologischen Vielfalt gestoppt werden soll. Auch
wenn dieser Zeitraum schon extrem lang ist, so ist außer-
dem zu kritisieren, dass dies auf der Vertragsstaatenkon-
ferenz in das Waldarbeitsprogramm nicht konkret einge-
arbeitet, sondern in einer Ministererklärung als eine Art
Protokollerklärung verabschiedet werden wird. Das heißt,
die Rangstufe wird niedriger sein. Obwohl sich Umwelt-
minister Trittin mit seinem französischen Amtskollegen
von den Grünen sehr darum bemüht hat, konnten wir hier
nur einen Teilerfolg erreichen. Die Ministererklärung wird
mit dieser Formulierung abgeschlossen. Es wird weiterer

Druck notwendig sein, um dies in der Praxis tatsächlich
wirksam werden zu lassen.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Das Instrument, das ich von deutscher Seite aus für das
bedeutendste halte, um neben solchen Regierungsver-
handlungen beim Tropenschutz Erfolge zu erzielen, ist die
Zertifizierung von Holz nach den FSC-Kriterien. FSC-
Holz ist zurzeit als einziges Holz weltweit auf dem Markt,
das auf internationaler Ebene und im weltweiten Maßstab
vergleichbar Tropenholz aus nachhaltiger Waldnutzung
glaubwürdig zertifiziert. Ich halte dies für so wichtig, weil
es das einzige Instrument ist, das es den Verbrauchern er-
möglicht, beim Kauf von Holz auf ökologische Verträg-
lichkeit zu achten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland einen
rasanten Wiederanstieg der Nutzung von Holz aus Tro-
penwäldern erlebt. Zum Teil handelt es sich um Holz aus
illegalem Einschlag, zum Teil trägt es das Etikett „Planta-
gennutzung“, das gelegentlich illegal verwendet wird;
auch dann ist das Holz ökologisch bedenklich.

Ich möchte, dass wir in Deutschland eine Debatte da-
rüber führen, in die wir die Verbraucher einbeziehen, in-
dem wir ihnen sagen: Nehmt FSC-Holz, dann können wir
auch Tropenholz in Deutschland verwenden. Diese De-
batte sollten wir gemeinsam mit den Verbrauchern aus
dem Deutschen Bundestag heraus neu aufgreifen, damit
wir keine neue Kampagne „Baum ab? – Nein danke“ brau-
chen, sondern im Interesse der Tropenwälder und der nach
uns folgenden Generationen einen Schritt vorankommen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423114500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Christian Ruck von der CDU/
CSU.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1423114600
Herr Präsident! Ich
war als einziger Abgeordneter, wenn ich es richtig sehe,
bei der Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag anwesend.
Vieles hat mich dort beeindruckt, zum Beispiel der Auf-
tritt der Kinder, die den Politikern und Beamten im Ple-
narsaal zugerufen haben: Ihr habt nichts getan, die Biodi-
versitätskonvention ist zehn Jahre alt und die Artenvielfalt
seither um 10 Prozent geschrumpft. Dieser Vorwurf ist
zwar übertrieben, da sich im letzten Jahrzehnt viel Positi-
ves getan hat. Gerade die Bundesrepublik Deutschland hat
sich etwa in der Entwicklungszusammenarbeit sehr enga-
giert. Dennoch ist die Lage dramatisch: Die Vielfalt der
Schöpfung nimmt rapide ab und die Zerstörung der Ur-
wälder geht mit einer Rate von über 10 Millionen Hektar
pro Jahr unvermindert weiter.

Die Konferenz in Den Haag sollte die Weichen für
eine Trendumkehr stellen. Zwar fallen die endgültigen




Steffi Lemke

23039


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(D)



(A)



(B)


Beschlüsse des Plenums erst nach dieser Aktuellen Stunde.
Aber nach dem Konferenzverlauf bin ich optimistisch, dass
die Verhandlungen zu einem guten Ergebnis kommen wer-
den. Der Kompromiss über den Zugang zu genetischen
Ressourcen und die gerechte Verteilung der Benefits ist
ein großer Erfolg; Gleiches gilt für die Einigung über die
Verantwortlichkeit für eingeschleppte und schädliche
fremde Arten.

Ich bin froh, dass trotz mancher Verwässerungen, die
schon angesprochen wurden, wohl auch der Waldaktions-
plan verabschiedet wird. Ich bedanke mich ausdrücklich
bei unseren Beamten von BMU, BMZ, Bundesamt für Na-
turschutz und anderen Einrichtungen dafür, dass sie pau-
senlos Tag und Nacht verhandelt haben. Sie haben wirk-
lich wie die Löwen gekämpft und es ist vor allem ihr
Erfolg, der zu vermelden ist.


(Beifall der Abg. Monika Ganseforth [SPD])

Für uns alle stellt sich nun die entscheidende Frage, ob wir
diesen Waldaktionsplan mit Leben erfüllen und umsetzen
können.

Die fortschreitende Vernichtung der Primärwälder und
ihrer Artenvielfalt trägt hohe ökologische Risiken und ver-
ursacht riesige, kaum quantifizierbare ökonomische Schä-
den. Gewaltige Mengen CO2werden freigesetzt und ganzeLänder wie Haiti werden zur Wüste. Die Zerstörung der
Wälder vernichtet Zukunftschancen für die Wissenschaft
und macht unseren Planeten auch für unsere Nachkommen
ärmer. Wollen wir eine Trendumkehr erreichen, müssen
wir viel stärker als bisher die Solidarität der gesamten
Völkergemeinschaft einfordern; denn die bisher unternom-
menen Anstrengungen sind zu lasch.

Für mich gibt es sechs entscheidende Hebel, um den
Verlust an Artenvielfalt in den Griff zu bekommen:

Erstens. Erforderlich ist die Durchsetzung einer an
Nachhaltigkeit und ökologischer Tragfähigkeit orientier-
ten Landnutzung nicht allein, aber vor allem in Entwick-
lungsländern. Dies setzt jedoch nicht nur den guten Wil-
len der jeweiligen Regierungen voraus, sondern auch eine
gut ausgebildete, gut ausgerüstete und motivierte Admi-
nistration, die in der nötigen Geschwindigkeit ohne mas-
sive Hilfe von außen in vielen Ländern nicht zustande
kommt.

Zweitens. Es muss gelingen, die riesigen Flächen, die
bereits verwüstet und zerstört sind, wieder einer vernünf-
tigen Nutzung zuzuführen. Dies kann zum Beispiel mit ei-
ner vernünftigen Aufforstungspolitik gelingen, die durch
das Kioto-Protokoll Rückenwind bekommen sollte.

Drittens. Wir brauchen die weltweite Durchsetzung ei-
ner nachhaltigen Forstwirtschaft; dies allein ist eine Jahr-
hundertaufgabe. Aus der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit haben wir aber Modelle für eine nachhaltige
Nutzung auch tropischer Primärwälder entwickelt. Die
globale Umsetzung solcher Modelle steckt bisher zwar
noch in den Kinderschuhen. Aber es muss gelingen, eine
solche nachhaltige Nutzung in den Tropenländern durch-
zusetzen. Dabei haben auch wir in den entwickelten Län-
dern eine große Verantwortung: Wir in Deutschland, in
Kanada, in Frankreich und in Japan haben es selbst in der
Hand, nur zertifiziertes Tropenholz einzuführen und zu

verwenden. Wenn ich sehe, mit welcher Zielstrebigkeit
gerade ostasiatische Länder und vor allem Japan ihren un-
bändigen Holzhunger in einem weltumspannenden Netz
von Aktivitäten stillen, dann wird klar, dass ein ganz ent-
scheidender Schlüssel zur Erhaltung der Schöpfung bei
wichtigen Importländern wie Japan zu finden ist.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist es!)


Viertens: Erhaltung des Weltnaturerbes. Um die Vielfalt
der Schöpfung über die Zeiten zu retten, brauchen wir ein
repräsentatives Netz von Schutzgebieten. Diese Schutzge-
biete existieren bereits in großem Umfang, aber sie sind
teilweise in miserablem Zustand. Gerade in vielen Ent-
wicklungs- und Transformationsländern sind nämlich
Schutzgebiete ohne Schutz gegenüber Korruption, Wilde-
rei und Holzeinschlag. Entscheidend ist auch hier, die Ad-
ministration zu stärken. Noch wichtiger ist es, zum Bei-
spiel Nationalparks so zu organisieren, dass auch die
Bevölkerung der umliegenden Gebiete davon profitiert.
Die Armutsbekämpfung durch Schutz der natürlichen Res-
sourcen ist möglich; das zeigen wiederum unsere deut-
schen Entwicklungsprojekte.

Fünftens. Wir brauchen eine neue Kampagne für Um-
welterziehung und Umweltbildung in allen Ländern.

Sechstens. Wir als Industrieländer müssen die Zusam-
menarbeit mit den Entwicklungs-, Schwellen- und Trans-
formationsländern verstärken und vertiefen, denn auch bei
gutem Willen werden viele ärmere Länder ihre reichen Na-
turschätze ohne ein stärkeres Engagement der reicheren
Länder nicht bewahren können. Das wäre zum Schaden
aller. Das ist auch ein Auftrag an uns; mit Blick auf den
Weltgipfel in Johannesburg sind noch viele Hausaufgaben
zu erledigen, vor allem auch seitens der Bundesregierung.
Dazu zählt zum Beispiel die Aufgabe, die Schwerpunkt-
setzung im Entwicklungsbereich wieder zugunsten von
Forstwirtschaft und Schutz der natürlichen Ressourcen zu
korrigieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423114700
Kommen
Sie bitte zum Schluss.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Es ist gerade so schön! Weiter so! – Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Jetzt kommt er zum Thema!)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1423114800
Diese Hausaufga-
ben sind noch zu machen; dazu fordern wir Sie auf. Wir
sind bereit, Sie dabei konstruktiv zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423114900
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Jutta Müller von der
SPD-Fraktion das Wort.


Jutta Müller (SPD):
Rede ID: ID1423115000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was sagt uns eine
Flächenangabe wie 2,5 Millionen Hektar? Groß wird es
sein, aber wohl jenseits unserer Vorstellungskraft. Das je-
doch ist die Fläche Wald, die wir in der Geschichte der




Dr. Christian Ruck
23040


(C)



(D)



(A)



(B)


Menschheit bereits verloren haben. Schätzungen zufolge
ist seit den 60er-Jahren fast die Hälfte aller Tropenwälder
vernichtet worden; jeden Tag verlieren wir mehr, mehrere
Fußballfelder täglich – die Kollegin Lemke hat schon da-
rauf hingewiesen –, die Hälfte der Fläche der Bundesrepu-
blik pro Jahr.

Sollten wir uns nicht mit den Ländern, die von der Ver-
nichtung der Urwälder profitieren, auf die von uns und von
Frankreich vorgeschlagenen Maßnahmen zum Schutz der
Wälder einigen können, wird in zehn bis 15 Jahren der ge-
samte Bestand der Urwälder unwiederbringlich vernich-
tet sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zwar gab es in Europa einen jährlichen Zuwachs, aber wir
haben natürlich bis auf ein paar wenige Flecken keine rei-
nen Urwälder mehr.

Bereits seit Jahren fördert Deutschland die Zielsetzung
zur Erhaltung der biologischen Vielfalt der Wälder. Ver-
schiedene Projekte werden teils in technischer und teils in
finanzieller Zusammenarbeit mit einem Gesamtvolumen
von 125 Millionen Euro jährlich unterstützt. Dabei hat
sich die Bundesregierung auch sehr für die Umsetzung
des Arbeitsprogrammes in Den Haag eingesetzt.

Bisher scheiterten internationale Vereinbarungen, wie
wir sie uns wünschten, aber auch an dem Veto der Staaten,
die durch die Vernichtung der Urwälder große ökonomi-
sche Vorteile haben. Es muss erlaubt sein, hier einmal Län-
der wie Kanada und Brasilien zu nennen. Trotzdem wer-
den wir uns weiterhin auf internationaler und bilateraler
Ebene für den nachhaltigen Schutz der Urwälder stark
machen.

Vor allem im Bereich der Zertifizierung müssen schnell
Fortschritte erzielt werden. Öffentliche Beschaffungsstel-
len sind bereits angewiesen, künftig nur noch solche Holz-
produkte zu verwenden, die nach den international aner-
kannten Normen des Weltforstrates zertifiziert sind. Die
Wirtschaftlichkeit des illegalen Holzeinschlages könnte
dadurch empfindlich geschwächt werden, vorausgesetzt,
dass diese Praxis weltweit um sich greift. Das Bundesum-
weltministerium hat vor wenigen Wochen im Hamburger
Hafen bereits eine illegale Ladung Mahagoniholz be-
schlagnahmen lassen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sehr gut!)

Für einige arme Länder dieser Welt ist das Holz jedoch

das einzige Kapital. Andere benötigen die Flächen, auf
denen jetzt noch Wald steht, um agrarische Ausgleichs-
flächen zu schaffen. Illegaler Holzeinschlag und Handel
mit illegalen Ressourcen unterminiert das Interesse vieler
Länder an der Zertifizierung ihres Holzes und an der nach-
haltigen Forstwirtschaft. Dieser Raubbau bedroht nicht
nur den Wald und seine Bewohner. Die illegale Holzwirt-
schaft ruiniert auch Betriebe, die sich bemühen, nachhal-
tig zu wirtschaften, die Steuern bezahlen und Umwelt- und
Sozialauflagen einhalten. Der größte Feind der Urwälder
ist die Rodung, um großflächige Anbaumöglichkeiten für
die Futtermittelerzeugung zu Weltmarktpreisen zu schaf-
fen. Die kurzfristigen finanziellen Gewinne stehen vor al-

lem in den Entwicklungsländern den Schutzzielen für den
Tropenwald im Wege.

Man sollte aber das Problem nicht ausschließlich auf
die Entwicklungsländer reduzieren. Ich möchte Ihre Auf-
merksamkeit an dieser Stelle auf einen Report von
Greenpeace lenken, der die Überschrift „Etikettenschwin-
del in Finnlands Wäldern“ trägt. Ich meine, wir müssen in
diesem Zusammenhang auch über die Qualität von Zerti-
fikaten sprechen. Es gibt mittlerweile Ökolabel für Holz.
Sie sollen den Verbraucher darüber aufklären, dass Holz
aus nachhaltigem Waldbau zur Produktion eines Stuhls
oder eines Blattes Papier verwendet wurde. Doch der Wett-
bewerb der unterschiedlichen Ökolabel ist für den Ver-
braucher eher verwirrend. Es gibt das international ver-
wendete FSC-Siegel des Weltforstrates, das europäische
PEFC, darüber hinaus länderbezogene Siegel wie SCA in
Schweden und FFC in Finnland. Dass es hierbei auch er-
hebliche Qualitätsunterschiede gibt, ist für den Verbrau-
cher im Einzelfall nur schwer abschätzbar. Einheitliche
Zertifizierungen, zum Beispiel nach den FSC-Normen,
könnten hier zu mehr Klarheit für den Verbraucher führen.

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser. Ich möchte zum
Schluss nur noch auf eines hinweisen, weil die Zeit sehr
schnell verrinnt. Wichtig ist auch, dass die Einhaltung der
getroffenen Vereinbarungen kontrolliert werden kann.
Seit dem 1. März dieses Jahres befindet sich der Umwelt-
satellit Envisat im Orbit. Ungefähr zehn Jahre Entwick-
lung und Ausgaben von insgesamt 2,3Milliarden Euro ha-
ben ein Mess- und Kontrollinstrument hervorgebracht,
das die Umsetzung von Umweltprogrammen ebenso vo-
ranbringen kann wie die Umweltforschung.

Durch die Kombination verschiedener Daten kann ein
genaues Bild der Waldbeschaffenheit der Erde erhoben wer-
den. Das elektrische Auge Envisats sieht die Unterschiede
zwischen dichtem Wald, Kahlschlag und Agrarflächen
ebenso wie Veränderungen in der Qualität der Wälder.
Selbst für schwer zugängliche Stellen können alle drei Tage
aktuelle Daten erhoben werden. Die Unabhängigkeit von
Tageslicht und die optische Durchdringung der Wolken-
decke erlauben es, jederzeit Veränderungen in den Wäl-
dern festzustellen.

Mit einem derartigen Kontrollinstrument und dem
Waldaktionsplan, der die Gegebenheiten der betroffenen
Länder berücksichtigt und der ausreichend finanziell un-
terfüttert ist, sollte es möglich sein, die letzten Urwälder
und zwei Drittel der gesamten Flora und Fauna unserer
Welt zu retten. Denn wir tragen die Verantwortung für die
Lebensgrundlagen auf unserem Planeten und für die nach-
folgenden Generationen. Wir stellen uns dieser Heraus-
forderung.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423115100
Als
nächster Redner hat der Kollege Hildebrecht Braun von
der FDP-Fraktion das Wort.




Jutta Müller (Völklingen)


23041


(C)



(D)



(A)



(B)



Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1423115200
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Er-
haltung des Waldes in unserem Land, aber noch viel mehr
in der Welt ist nicht nur ein Thema für Umweltpolitiker.
Der Wald bildet den Lebensraum für eine ungeheure Viel-
falt von Arten, für Millionen von Ureinwohnern und er ist
für unser Klima von überragender Bedeutung. Kurz: Der
Wald ist unsere Zukunft.

Die Abholzung riesiger Flächen – nach der Welternäh-
rungsorganisation FAO handelt es sich jährlich um eine
Fläche in der Größe von Bayern, Baden-Württemberg und
Niedersachsen zusammengerechnet – aus vordergründi-
gen, oft aber nachvollziehbaren Gründen stellt eine riesige
Gefahr für die Zukunft der Welt und natürlich auch der
Menschheit insgesamt dar.


(Beifall bei der FDP)

Es ist schlimm, zu erfahren, dass im Jahr des Umwelt-

gipfels von Rio, 1992, ebenso viel Wald zerstört wurde
wie im Jahr 2001. Durch Rio haben sich also keinerlei
Verbesserungen ergeben. Aber die Ressourcen, innerhalb
derer diese ungeheure Zerstörung stattfindet, sind deut-
lich geringer geworden.

Wir können nur darauf dringen, dass auf dem VN-
Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg
im August/September dieses Jahres das dringende Inte-
resse all derer, denen die Zukunft der Erde am Herzen
liegt, zu Ergebnissen zum Schutze des Waldes führt.


(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung muss in der Lage sein, dieses

Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Es wäre absurd,
das Thema „nachhaltige Entwicklung“ zum zentralen
Thema eines Weltgipfels zu machen und dabei das Thema
„Gefahr für den Bestand der Wälder“ außen vor zu las-
sen.

Man muss wirklich nicht mit allen Aktionen, nicht ein-
mal mit allen Zielsetzungen, von Greenpeace einverstan-
den sein. Aber der Einsatz dieser Organisation für die
Wälder ist in hohem Maße lobenswert. Natürlich hilft die
Blockade eines Schiffes nicht beim Erreichen des Ziels,
die Wälder zu erhalten. Aber eine solche Aktion gibt ein Si-
gnal, das für jedermann verständlich ist, und weist darauf
hin, wie notwendig es ist, dass wir unsere Aufmerksamkeit
diesem Thema widmen. Wir Politiker sollten hinter dem
Engagement der Umweltverbände nicht zurückbleiben. Je-
der, der nachts über Urwaldgebiete speziell in Südamerika
fliegt, kennt das grauenvolle Bild der vielen von Brand-
rodungen herrührenden Feuer, die meist illegal stattfin-
den, die aber offensichtlich von den Regierungen der be-
troffenen Länder hingenommen werden.

Natürlich sind wir nicht blind und naiv. Wir kennen die
Probleme der örtlichen Bevölkerung, die aus bitterer Ar-
mut heraus Land zu gewinnen versucht, indem sie Urwald
durch Brände rodet. Dass dies oft mit ungelösten
Verteilungskämpfen in den betreffenden Ländern zu tun
hat, wissen wir. Wir wissen aber auch, dass Ländern wie
Brasilien, Indonesien, Malaysia, der Demokratischen Re-
publik Kongo und auch Russland geholfen werden muss.
Wir dürfen nicht den Zeigefinger erheben und Forderun-

gen stellen. Wir müssen diesen Ländern vielmehr bei der
Lösung ihrer Probleme helfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Es gibt aber auch Länder wie Kanada, in denen das Be-
wusstsein für die Wertigkeit der vorhandenen Wald-
flächen unterentwickelt ist, während der Erwerbssinn
durchaus Weltspitze ist.

Waldschutz – das ist die Forderung an die Bundes-
regierung – muss zur Chefsache werden. Die Grünen ha-
ben die heutige Aktuelle Stunde beantragt. Sie besetzen
mit dem Außenministerium und dem Umweltministerium
zwei entscheidende Ressorts, in denen aktive Wald- und
Urwaldpolitik gemacht werden könnte. Auch das Ent-
wicklungshilfeministerium hat große Möglichkeiten, eine
gemeinsame, aktive und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete
Politik zu machen und in der Welt durchzusetzen. Es fragt
sich nur, ob die Bundesregierung wirklich alles tut, was in
diesem Zusammenhang notwendig und möglich ist. Ist
Minister Trittin auf der Konferenz in Den Haag, um ein
Zeichen zu setzen?


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich war er dort! Das wissen Sie! Was soll der Unsinn? Reden Sie zur Sache und machen Sie Ihren Wahlkampf draußen!)


– Lassen Sie mich doch einmal ausreden! Sie kommen
doch gleich noch dran.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich war schon!)


Hat Minister Fischer angekündigt, dass er durch seine An-
wesenheit die Bedeutung der Konferenz in Johannesburg
und insbesondere des deutschen Wunsches nach Schutz
der Wälder unterstreichen will? Sind die Botschafter in
den betreffenden Ländern angewiesen, durch stetes „ce-
terum censeo“ vorzubringen: „Wenn ihr mit Deutschland
zusammenarbeiten wollt, dann sorgt euch um den Wald“?

Das sind die Fragen, die ich heute stellen will. Ich bin
gespannt, ob die Vertreterin der Grünen darauf eine ver-
nünftige Antwort geben kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423115300
Das Wort
hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der PDS-Frak-
tion.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423115400
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Thema „Schutz des Urwaldes“ ist ziemlich
in den Hintergrund getreten. Wir reden zwar ständig über
die Klimapolitik. Aber heute ist es das erste Mal seit lan-
ger Zeit, dass wir wieder über die Wälder diskutieren. Die
Klimaschutzdebatte betrifft Deutschland zwar unmittel-
bar. Aber langfristig hat auch die Abholzung der letzten
Primärwälder dramatische Klimaauswirkungen, und
nicht nur das: Wir brauchen hier sicherlich nicht über die
Bedeutung der hohen Biodiversität in den Primärwäldern
zu reden.






(C)



(D)



(A)



(B)


Die dritte Säule beim globalen Waldschutz ist sozialer
Art. Holz ist ein wichtiges Exportgut. Es ist zudem
Einkommens- und Ressourcenquelle für die ansässige
Bevölkerung sowie leider auch Quelle für Profite meist
internationaler Holzfirmen. Gerade dieses Beziehungsge-
flecht macht den Kampf gegen die Abholzung so schwer.

Mit Zertifizierungsinitiativen, mit der Unterstützung
von scheinbar nachhaltigen Forstmanagementplänen und
mit Selbstverpflichtungen kommunaler Unternehmen,
kein Tropenholz zu verwenden, wurden hierzulande die
großen Proteste durch die Kleinarbeit auf Beamten- und
NGO-Ebene abgelöst. Greenpeace und andere Organisa-
tionen versuchen nun, eine Zäsur zu machen. Das ist si-
cherlich sehr gut; denn die Erwartungen in die Klein-
arbeit, die ich auf keinen Fall kleinreden möchte, haben
sich leider nicht erfüllt. Die Abholzraten steigen in den
meisten Gebieten der Erde, und zwar sowohl beim lega-
len als auch beim illegalen Einschlag. Von nachhaltiger
Forstwirtschaft kann bei den Primärwäldern allenfalls
punktuell geredet werden. Dafür schafft die Entwick-
lungszusammenarbeit oft mehr Probleme, als sie löst.

Wenn ich mir eine Presseerklärung der Initiative „Pro
Regenwald“ anschaue, dann muss ich leider feststellen,
dass das BMZ seit dem Jahr 2000 ein Projekt finanziert,
in dem eine Tochterfirma der Bremer Feldmeyer-Gruppe
im Urwald der Republik Kongo-Brazzaville jährlich über
100 000 Kubikmeter wertvoller Tropenhölzer wie Sipo-
und Sapelli-Mahagoni abholzt. In der Erklärung steht
weiterhin geschrieben, dass der deutsche Steuerzahler
40 Prozent der Kosten für eine Aufgabe trägt, zu deren
Durchführung nach kongolesischem Forstrecht eigentlich
die Holzfirma verpflichtet ist. Aufgrund dessen halte ich
Ihr Engagement auf dieser Konferenz für fragwürdig.

Nehmen wir das Beispiel Kamerun. Der mit EU-Gel-
dern unterstützte Ausbau des Straßennetzes in den Ur-
waldregionen im Südosten des Landes hat schwerwie-
gende Folgen für die Region. Der Buschfleischhandel
blüht wie nie zuvor: Für Sägewerke wurden Pygmäen-
dörfer platt gemacht und die Ureinwohner entlang der
Straße angesiedelt. Es hat sich eine unheilvolle Allianz
gebildet, die auf den ersten Blick sogar fortschrittlich zu
sein scheint. An den Einnahmen der französischen Kon-
zerne im Zusammenhang mit der Holzentnahme sind nun-
mehr auch die Gemeinden beteiligt. Der kamerunische
Staat ist an diesen Unternehmen mittlerweile direkt betei-
ligt. Allesamt haben nun ein nachhaltiges Interesse daran,
so viel Tropenholz wie möglich einzuschlagen. Das liegt
natürlich nicht im Interesse des Ganzen.

Wir wissen noch nicht genau, was die Biodiversitäts-
konferenz in Den Haag beschließt. Wir warten auf
diese Ergebnisse. Auf alle Fälle wissen wir, dass die deut-
sche WestLB ihr Engagement in Höhe von 900 Milli-
onen US-Dollar als federführende Bank für die Finanzie-
rung einer Erdölleitung durch den Dschungel im Oriente
Ecuadors nicht aufgeben will. Die Trasse und der durch
sie ausgelöste Ölboom in den letzten Amazonaswäldern
Ecuadors werden zu irreparablen Umweltschäden in den
einzigartigen Ökosystemen führen.

Betroffen sind vor allem die Lebensräume vieler indi-
gener Völker, die zum Teil noch sehr isoliert leben. Ich

denke, wenn Deutschland beim Schutz der Wälder ernst
genommen werden will, dann muss wenigstens das ver-
hindert werden. Wir haben die dringende Aufgabe, eine
Lösung für dieses Problem zu finden. Ich hoffe, dass es
eine Antwort auf die Frage der Finanzierung durch das
BMZ gibt, das mit Verantwortung dafür trägt, dass Wäl-
der abgeholzt werden.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423115500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Heidi Wright von der SPD-Fraktion.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1423115600
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Unsere Aktuelle Stunde,
heute am letzten Tag der Den Haager Konferenz, hatte ich
mir in gutem Optimismus schon als Stunde des Jubels
über einen erfolgreichen Urwaldgipfel vorgestellt. Man
kann den langen Titel dieser Konferenz ganz einfach um-
benennen: Urwaldgipfel.

Ich wollte die teilnehmenden Vertragsstaaten, die sich
aufgrund der jedem bekannten dramatischen Situation
der Urwälder in politischer Vernunft zusammengefunden
haben, loben. Leider ist das wohl nicht so: Der nationale
Egoismus scheint wieder einmal die politische Vernunft
besiegt zu haben. Die Tatsache, dass 2 000 Delegierte aus
182 Regionen zusammenkamen, die 270Anträge, ergänzt
um weitere 130 Anträge, stellten, zeigt sicherlich die
Komplexität des Themas. Ohne eine klare Richtschnur
muss man sich im Unverbindlichen verlieren. Das zeich-
nete sich in Den Haag ab. Es wurden keine Prioritäten ge-
setzt.

Ich kann mich zwar darüber freuen, dass Deutschland,
wie in Kioto, auch in Den Haag die Vorreiterrolle über-
nommen hat und dass Frankreich – sicherlich haben das
auch andere Mitgliedstaaten getan – mächtig mitgekämpft
hat. Von NGO-Teilnehmern der Konferenz in Den Haag
weiß ich das positive Engagement Deutschlands aus-
drücklich bestätigt. Wirklich viel konnten wir aber nicht
durchsetzen.

Ich habe mich in den letzten Jahren für die Etablierung
eines Handelszertifikats für Holz sehr stark gemacht. Be-
reits Anfang der 90er-Jahre haben internationale Umwelt-
verbände und NGOs erkannt, dass die Etablierung eines
Handelszertifikates für Holz ein Mittel für einen besseren
Schutz vor Raubbau und für bessere Forstwirtschaft sein
kann.

Deutschland ist nicht nur ein großer Holzlieferant, son-
dern auch ein großer Importeur von Holz- und Zellstoff-
produkten aus Urwaldholz. Eigenes deutsches Holz,
europäisches oder russisches Holz, Übersee- und Tropen-
holz, das ist ein gutes und ein wichtiges Handelsgut. Holz-
konsum ist gut, wenn das Holz aus nachhaltiger Forstwirt-
schaft stammt. Zertifizierung schlägt eine direkte Brücke
vom Hersteller zum Verbraucher und kann deshalb auch in
Regionen ohne ausgeprägte Kontrollmechanismen Wir-
kung entfalten. So lautet eine Antwort aus dem BMVEL.
Ich kann dies hier nochmals ausdrücklich unterstreichen.




Eva Bulling-Schröter

23043


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich freue mich daher auch darüber, dass die Bundesre-
gierung in ihrem eigenen Geschäftsbereich die Beschaf-
fung von Tropenholz mit der Vorlage eines glaubwürdi-
gen Zertifikats verknüpft.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Deshalb kann
ich von hier aus nur nochmals gegen den Fatalismus an-
reden, der darin zum Ausdruck kommt, dass man sagt,
man könne ja doch nichts tun. Doch, man/frau kann zu-
mindest die Kennzeichnung von Tropenholz- und Holz-
produkten überhaupt mit in die Kaufentscheidung einbe-
ziehen. Ich will auch ausdrücklich das unterstützen, was
die Kollegin Steffi Lemke zu dem glaubwürdigen Zertifi-
kat von FSC gesagt hat.

Gerade junge Leute, Schulklassen befassen sich oft mit
der Thematik der Waldzerstörung und der Situation der
Urwälder. Herr Dr. Ruck, sie rufen uns zu: Was habt ihr
getan? Wir müssen dieses Zurufen ernst nehmen. Es ist
auch unsere Aufgabe, dieses Engagement nicht in der Pro-
jektbearbeitung stecken zu lassen, sondern glaubhaft zu
vermitteln: Deutsche und internationale Politik überneh-
men für den Schutz des Ökosystems Wald Verantwortung.

Die Erkenntnis, dass die biologische Vielfalt der Erde
von Tag zu Tag abnimmt, und die Tatsache, dass die Kon-
vention über die biologische Vielfalt diesen negativen Trend
bislang nicht umkehren konnte, müssen uns aufschrecken
und uns zu noch stärkeren Anstrengungen bringen.

Zehn Jahre im Leben eines Menschen – eine lange Zeit,
eine kurze Zeit? Es kommt darauf an, wie wir diese zehn
Jahre in unserem Leben nutzen. Wir werden heute älter als
früher. Zehn Jahre im Leben eines Baumes – eine lange
Zeit, eine kurze Zeit? Bäume werden heute nicht mehr so
alt wie früher. Sie sind durch Umweltbelastungen, Raub-
bau, Rodung für Siedlungs-, Agrar- und Wirtschafts-
zwecke bedroht. Zehn Jahre internationale Umweltpoli-
tik – eine gute Zeit, eine genutzte Zeit? Ich fasse mir da
einfach einmal an die eigene Nase. Den Haag war nicht
ganz der Erfolg, den ich mir versprochen habe. Es geht
nun zum nächsten Gipfel nach Johannesburg. Lassen Sie
uns die Zeit bis dahin gemeinsam nutzen! In den zehn Jah-
ren von Rio bis Johannesburg ist mehr Biodiversität verlo-
ren gegangen, als in Hunderten von Jahren vorher entstan-
den war. Unseren Kindern schulden wir es, in nationaler
und internationaler politischer Verantwortung die Biodi-
versität zu sichern. In Den Haag war es ein kleiner Schritt.
In Johannesburg muss es ein Meilenstein werden.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423115700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Helmut Lamp von der CDU/CSU-
Fraktion.


Helmut Lamp (CDU):
Rede ID: ID1423115800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seltene Harmonie im Par-
lament, viele Gemeinsamkeiten. Gemeinsam ist uns allen,
dass wir das Problem erkannt haben, dass wir begrüßen,
dass die biologische Vielfalt der Wälder Schwerpunkt-
thema der 6. Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag ist,
und dass wir nicht ganz genau wissen, wie sie heute aus-
geht. Weil wir das nicht wissen, halte ich den Zeitpunkt der

heutigen Diskussion für ungeeignet. Weder können wir
jetzt noch Einfluss auf die deutsche Verhandlungsführung
in Den Haag nehmen, noch können wir das Ergebnis kom-
mentieren, hieraus unsere Schlüsse ziehen und Strategien
entwickeln. Es wäre also sinnvoller gewesen, dieses Thema
in der nächsten Woche zu diskutieren. Wir haben kaum Un-
terlagen zu der Problematik und zum Verhandlungsstand in
Den Haag bekommen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es Ihren Leuten doch gestern gefaxt!)


Es ist so gut wie nichts gekommen, was wir nicht schon
kannten. Nichts Aktuelles! Ich hätte mir schon gewünscht,
dass wir in der nächsten Woche darüber konstruktiver mit-
einander diskutiert hätten.

Ich muss allerdings die Harmonie noch weiter trüben.
Der Kollege Ruck hat ja davon gesprochen, dass auch wir
unsere Hausarbeiten machen sollten. Es geht ja nicht nur
um die Primär- bzw. Urwälder, deren Wert hier so ein-
drucksvoll geschildert wurde, sondern auch um die Wäl-
der bei uns zu Hause mit dem ihnen eigenen Wert. Da ist
in den letzten Jahren doch erheblich gesündigt worden.
Manchmal kommen mir Zweifel, ob wir überhaupt die
richtigen Anwälte zur Lösung diesbezüglicher Probleme
in Den Haag sitzen haben.

Die rot-grüne Landesregierung von Schleswig-
Holstein hat sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, einen
sich selbst verjüngenden Mischwald anzustreben. Ein
sich selbst verjüngender Mischwald wäre in Schleswig-
Holstein in kurzer Zeit kein Mischwald mehr, sondern
eine Buchenwaldmonokultur, neben der nichts anderes
mehr bestehen würde.

Die Kollegin Lemke sprach völlig zu Recht davon,
dass in den Staaten, die Primär- bzw. Urwälder haben,
auch das ökonomische Moment eine Rolle spielen muss.
Die dort Ansässigen sollen natürlich auch am Wald ver-
dienen können. Das Gleiche gilt, wie ich denke, aber auch
bei uns. Wenn niemand mehr am Wald verdienen kann,
wird der Wald vernachlässigt werden. Die Politik von Rot-
Grün in Schleswig-Holstein zeigt wiederum, dass mit ei-
ner überzogenen, sich nachhaltig nennenden Forstwirt-
schaft in staatlichen Wäldern kein Geld zu verdienen ist.
Mit den Wäldern in Schleswig-Holstein wird kein Gewinn
erzielt, sondern die Verwaltung der Staatswälder setzt Jahr
für Jahr 300 bis 350 DM pro Hektar zu.

Wir sollten uns also schon auch Gedanken über den öko-
nomischen Nutzen machen, den wir durch einige – sicher-
lich gut gemeinte – Maßnahmen erheblich eingeschränkt
haben, auch durch die Vorgaben des Bundesnaturschutzge-
setzes: Die 10 Prozent Totholz, die dort gefordert werden,
bilden den Nährboden für den Borkenkäfer, der unsere auch
durch Umwelteinflüsse geschwächten Bäume vernichtet.
Auch eine in manchen Regionen übermäßige Kormoran-
population vernichtet Waldteile oder gar ganze Flächen,
auch geschützte, durch Verkotung. Sämtliche Vegetation
ist dort tot. Die Untersagung von Kahlschlag, der nie einen
ganzen Wald, sondern immer nur eine Fläche innerhalb ei-
nes Waldes betrifft, auf der Platz für Erstbesiedler ge-
schaffen wird, führt zu einer geringeren Artenvielfalt bzw.
Biodiversität in unseren Wäldern.




Heidemarie Wright
23044


(C)



(D)



(A)



(B)


Zurück zum Gipfel von Den Haag. Wir dürfen wirklich
nicht länger mit ansehen, dass Jahr für Jahr 9 Millionen
Hektar Urwald vernichtet werden. Sie haben die südlichen
Bundesländer genannt. Ich könnte genauso gut Schleswig-
Holstein, Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern
nennen, wo Jahr für Jahr Flächen vernichtet werden.

Wir haben heute unterschiedliche Prognosen zum Aus-
gang des Gipfels gehört: von Dr. Ruck eine eher optimis-
tischere und von Frau Wright eine eher pessimistischere.
Wir dürfen uns in der heutigen Debatte nicht einfach mit
einer pessimistischen Sicht zufrieden geben und dann da-
rauf hoffen, dass in Johannesburg alles anders und besser
wird. Ich glaube, dass wir – ich komme jetzt wieder auf
die zu Anfang meiner Rede beschworene Gemeinsamkeit
zurück – in dem Fall, dass das Ergebnis unbefriedigend
ist, gemeinsam eine europäische Initiative ergreifen und
uns mit einem eigenen Konzept bereits vor Johannesburg
mit den betroffenen Staaten in Verbindung setzen sollten.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423115900
Das Wort
hat jetzt für die Bundesregierung die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann.

G
Gisela Altmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423116000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Lamp, es drängt mich doch, Ihnen zu Anfang meiner Rede
zu sagen, dass wir nicht ausgerechnet die Kormorane für
eine jahrzehntelang fehlgeleitete Umwelt- und Natur-
schutzpolitik verantwortlich machen sollten,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Am Chiemsee haben wir sie abgeschossen!)


sondern wir sollten genau nach den Gründen schauen und
die richtigen Konsequenzen daraus ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Herrn Braun möchte ich sagen: Sie bekommen nicht
nur eine Antwort von einer Grünen, sondern sogar eine
Antwort von einer Grünen in der Bundesregierung.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Das ist ja nun ein ganz besonderes Glück!)


Urwälder sind die Schatzkammern der Erde: Sie be-
herbergen zwei Drittel der auf dem Land lebenden
Tiere und Pflanzen, sie sind Lebensraum für rund
150 Millionen Menschen indigener Völker. Urwäl-
der sind einmalig und lebensnotwendig zur Stabili-
sierung der Lebensgrundlagen dieses Planeten.

So steht es auf der Website der Kids for Forests, die auf
dem Weg zur Haager Umweltkonferenz zahlreiche Minis-
terien, Abgeordnetenbüros und Botschaften besucht ha-
ben, um damit ihr Recht auf eine Zukunft mit Urwäldern
zu beanspruchen. Sie tun das zum Beispiel an über
400 Schulen „für den Urwald“ – so nennen sie sich –, an
denen zukünftig Holz- und Papierprodukte aus Urwald-
zerstörung nicht mehr benutzt werden sollen.

Seit der Klimawette 1998, die auf Initiative der
BUND-Jugend zwischen 200 Schulen und der Bundesre-
gierung geschlossen wurde – da ging es um CO2-Reduk-tion; die Bundesregierung hat die Wette verloren und ist
stolz darauf –, wissen wir, dass Jugendliche es ernst mei-
nen und handeln und dies auch von Politik und Wirtschaft
erwarten. Für die Jugendlichen wird noch immer zu viel
geredet und viel zu wenig getan.

Sie sind mit ihrem Handeln erfolgreich: Erstmals gibt
es in Den Haag ein eigenes Jugendforum, dessen Ergeb-
nisse im Ministersegment eingebracht wurden.

Urwälder gehören zu den bedeutendsten Naturressour-
cen der Erde. Sie sind komplexe Ökosysteme von lokaler
und globaler Bedeutung und der Schlüssel zur Bewahrung
der biologischen Vielfalt. Wälder liefern alles, was der
Mensch zum Leben braucht. Noch immer gibt es Völker,
die ausschließlich im oder vom Wald leben. Sie können
dies, ohne ihn zu zerstören. Wälder beeinflussen das
Klima und den Wasserhaushalt und sind wesentliche Koh-
lenstoffspeicher.

Aber – das ist die Krux – sie sind auch ein Wirtschafts-
faktor, mit dem bisher rücksichtslos umgegangen wurde
und auch weiterhin wird. Besonders dramatisch ist der
Rückgang bei den Primärwäldern mit ihrer einzigartigen
genetischen Vielfalt und zum Teil noch unentdecktem Ar-
tenreichtum. Die Zeit drängt: 80 Prozent des Primärwald-
bestandes sind bereits zerstört. Das wurde hier schon ge-
sagt, aber das kann man gar nicht oft genug wiederholen.

Deutschland ist zwar zu 30 Prozent von Wald bedeckt,
vollkommen naturbelassene Waldökosysteme gibt es je-
doch nur als versprengte Reste – wenn überhaupt.

Weltweit beträgt die Waldfläche gerade noch 3,8 Milli-
arden Hektar. Die Zerstörung vor allem des Tropenwaldes
beträgt jährlich 15 Millionen Hektar. Das ist das Andert-
halbfache dessen, was wir in Deutschland an Sekundär-
wäldern haben. Besonders in Afrika ist der jährliche Ver-
lust mit 5,3 Millionen Hektar dramatisch; das ist nämlich
fast so viel wie der Verlust in Lateinamerika und Asien zu-
sammen.

Und warum das Ganze? Für viele Entwicklungsländer
ist der Export von Tropenholz eine wichtige, oft die wich-
tigste Einnahmequelle. Hinzu kommt, dass zum Beispiel
im Kongobecken große Waldgebiete von Flüchtlingen
für ihr Überleben übernutzt und damit zerstört werden.
Hauptverursacher sind jedoch die internationalen Firmen
mit ihren Profitinteressen. Dafür werden jahrhundertealte
Baumriesen zu Sperrholzplatten und Zellstoffbrei verhäck-
selt.

Auch Deutschland gehört zu den Importländern von
Tropenhölzern. Aus dieser Tatsache ergibt sich unsere
besondere und vor allen Dingen unsere gemeinsame Ver-
antwortung. Wenn wir die letzten Primärwälder – sie wer-
den von Greenpeace die „fantastischen Sieben“ genannt –
für die kommenden Generationen erhalten wollen, dann
müssen wir es als Dienstleistung verstehen und müssen es
uns auch etwas kosten lassen.

Ich komme nun zu den Ergebnissen von Den Haag. Ich
kann die gedrückte Stimmung in diesem Zusammenhang




Helmut Lamp

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(C)



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überhaupt nicht verstehen. Was wir nämlich aus Den Haag
hören, klingt recht optimistisch. Es gibt berechtigte Hoff-
nungen, dass die Konferenz nach schwierigen Verhand-
lungen das von Deutschland und Frankreich geforderte Ar-
beitsprogramm zur Waldbiodiversität heute Nachmittag
annehmen wird. Die Konferenz beginnt in einer halben
Stunde. Herr Ruck hat schon eine positive Bewertung ab-
gegeben. Seine Auffassung wird vom Bundesumweltmi-
nisterium geteilt.


(Beifall der Abg. Monika Ganseforth [SPD] – Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Es ist besonders wichtig, dass ein effektiver und aktions-
orientierter Umsetzungsmechanismus mit einer Ad-hoc-
Expertengruppe beschlossen werden wird, die ihre Arbeit
vor der übernächsten Vertragsstaatenkonferenz in 2006 be-
endet haben soll. Bis zur 7. Vertragsstaatenkonferenz soll
ein Themenbericht zur Waldbiodiversität vorgelegt wer-
den.

Das Waldarbeitsprogramm umfasst insgesamt 130 Ein-
zelaktivitäten. Ich will nicht alle referieren, sondern nur
zentrale Punkte nennen. Es geht um die Schaffung eines
globalen Netzes von geschützten Primärwäldern, ein-
schließlich der Wiederherstellung degradierter Wälder.
Die nachhaltige Nutzung, einschließlich der Zertifizie-
rung von Waldprodukten – Herr Lamp, dies ist möglich;
im BNatG machen wir den Anfang, nach dem Prinzip „vor
der eigenen Haustür kehren“ vorzugehen –, ist der einzige
Weg, um Schutz und Nutzung in Einklang zu bringen. Ich
nenne weiterhin den Abbau von nicht nachhaltigen Sub-
ventionen und schließlich die Integration von Waldpolitik
in alle anderen Politikbereiche.

Ich komme nun zum Engagement von Herrn Trittin.
Herr Braun, für diese Punkte hat Deutschland mit Herrn
Trittin an der Spitze zusammen mit Frankreich erfolgreich
gekämpft, unterstützt durch Belgien und die Niederlande
und gegen die Widerstände aus Brasilien, Malaysia,
Kanada und anfangs auch einigen europäischen Ländern.
Herr Trittin war bis Mittwochabend in Den Haag. Er hat
zuvor mit den USA verabredet, dass die Waldpolitik auch
in Johannesburg einen zentralen Punkt der Verhandlungen
bildet. Er hat für sein Engagement in Den Haag eine wich-
tige Sitzung mit den NUS ausfallen lassen.

Bei den Verhandlungen über die Ministererklärung ist
es gelungen, festzuschreiben, dass der Verlust an Biodi-
versität bis 2010 gestoppt wird. Dieser Punkt ist deswe-
gen in der Ministererklärung enthalten, Frau Lemke, weil
die Befürchtung bestand, dass es zu einer Verwässerung
kommt, wenn er im Arbeitsprogramm steht. Sicher ist
auch, dass die in den Bonn Guidelines vom August 2001
festgelegten Bestimmungen über den Zugang genetischer
Ressourcen und über einen gerechten Vorteilsausgleich
angenommen werden.

Über Den Haag hinaus gibt es noch weitere Initiativen
der Bundesregierung. Gemeinsam mit Frankreich werden
wir auf Grundlage des verabschiedeten Wahlprogramms
ein gesondertes Programm zum Kongobecken starten.

Der Initiative der Kids in den Schulen will die Bun-
desregierung nicht nachstehen. Das Umweltministerium
setzt sich dafür ein, dass die Beschaffungsstellen des Bun-

des Produkte aus Primärwäldern nur noch verwenden,
wenn sie den Anforderungen des FSC entsprechen. Wir
werden auch weiterhin mit allen Möglichkeiten, die uns
zur Verfügung stehen, gegen die Einfuhr von illegalen
Holzimporten vorgehen, wie kurz vor Ostern im Hambur-
ger Hafen mit einer Ladung Mahagoni geschehen.

Wie schrieben uns die Kids?

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Welche Kids?)

– Die „Kids for Forests“. Das ist ein feststehender Name.

Wie schreiben also die Kids?
Wir, die Generationen auf der ganzen Welt, wollen
uns mit Ihnen gemeinsam anstrengen und in Zukunft
auf Produkte aus Urwaldzerstörung verzichten. Bitte
geben Sie ein gutes Beispiel und stoppen Sie mit Ih-
rer ganzen Kraft den Import von Holz und Produkten
aus Urwaldzerstörung.

Ich finde, wir sollten die jungen Leute nicht enttäuschen.
Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423116100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr von der
CDU/CSU-Fraktion.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1423116200
Herr Prä-
sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass
Helmut Lamp Recht gehabt hat. Diese Feststellung gilt
auch nach Ihrer Rede, Frau Altmann, der ich sehr wohl zu-
gehört habe. Sie haben jetzt etwas intensiver über die Er-
gebnisse der Konferenz von Den Haag berichtet. Zu An-
fang dieser Debatte hat dies Christian Ruck getan. Diese
Ergebnisse stehen aber noch nicht fest. Wir konnten sie
nicht mit Experten und Nichtregierungsorganisationen
abgleichen. Dass diese Debatte wichtig ist, ist, so glaube
ich, jedem klar. Aber hätten wir mit dieser Debatte nicht
eine Woche warten können?


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch auf! Herr Obermeier wollte nach Hause!)


– Frau Lemke, ich meine das ernst, was ich hier sage.
Auch Sie sollten das tun.

Auch in den Koalitionsfraktionen kam es zu unter-
schiedlichen Beurteilungen. Heidi Wright hat hier eine
pessimistischere Beurteilung abgegeben, möglicherweise
deshalb, weil sie nicht alles wusste. Wir haben gestern erst
einmal durch Herrn Wettengel nachfragen lassen, welche
Ergebnisse diese Konferenz eigentlich zeitigt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Was soll das denn? Das wird dem Thema überhaupt nicht gerecht, was Sie da sagen! Traurig!)


Ich gehe einmal davon aus, dass es wirklich positive Er-
gebnisse sind. Wenn dies so ist, dann wäre es doch wichtig
gewesen, in der nächsten Woche weiter gehende Konse-




Parl. Staatssekretärin Gila Altmann
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quenzen zu beraten, die aus diesen positiven Ergebnissen
abzuleiten sind.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das können Sie doch beantragen!)


Ich glaube, dass wir damit den Urwäldern auf dieser Welt
und möglicherweise auch der Konferenz von Den Haag
gerechter geworden wären.

Denn es gibt doch folgendes Problem – das wird auch
bei einem positiven Konferenzergebnis so sein –: Wir müs-
sen – wenn die von Ihnen zitierten Kinder auf Produkte aus
Urwaldzerstörung verzichten wollen, dann ist das etwas
sehr Wertvolles; Frau Altmann, darin stimme ich mit Ihnen
überein – vielen Vertragsstaaten weiterhin klar machen,
dass das, was wir ihnen bezüglich der Erhaltung der Ur-
wälder abverlangen, auch ihnen längerfristig nutzen wird.
Es geht dabei um das Problem der Nachhaltigkeit. Im
Grunde genommen müssen diejenigen, die eine falsche
Nutzung tätigen, damit rechnen, dass sie ihre Wälder nicht
nachhaltig nutzen können. Wir sollten ihnen das in ihrem
Interesse sagen und das noch stärker, als das bisher der
Fall gewesen ist, verdeutlichen. Es gilt natürlich, bei allen
Prozessen, die auf dieser Welt stattfinden, über dieses Pro-
blem zu diskutieren. Denn auch die Mentalitäten müssen
sich ein Stück weit verändern.

Ich halte es allerdings für verkehrt, dass jetzt alles auf
dieser Welt miteinander abgeglichen wird. In unseren
Breiten ist eine andere nachhaltige Waldbewirtschaftung
notwendig. Denn wir kämpfen nicht mit den Problemen,
mit denen man in Urwäldern am Äquator kämpfen muss.
Hier bestehen Unterschiede. Von daher glaube ich nicht,
dass es sehr sinnvoll ist, wenn wir für alle Bereiche der
Welt ein Zertifizierungssystem empfehlen. Wenn uns die
hier den Wald Bewirtschaftenden sagen, dass sie auf ein
anderes Zertifizierungssystem setzen, dann sollten wir das
ernst nehmen. Wir sollten es aber genauso ernst nehmen,
wenn Zertifizierungssysteme in Bezug auf die Urwälder
an anderer Stelle entwickelt werden, weil wir sonst der
Vielfalt der Wälder und der Waldbewirtschaftung auf un-
serem Globus nicht gerecht werden würden. Ich wollte
auch darauf aufmerksam gemacht haben.

Ich sehe ein weiteres Problem, das wir lösen müssen;
es ist hier mehrfach angesprochen worden. Es geht darum,
dass wir den Ärmeren auf dieser Welt nicht abverlangen
können, was die reicheren Staaten bei der Waldbewirt-
schaftung nicht bereit sind zu tun. Der eigentliche Skan-
dal ist, dass es in reicheren Ländern immer noch keine
nachhaltige Forstwirtschaft gibt. Dies müssen wir deut-
lich machen und wir müssen auch die ärmeren Länder in
die nachhaltige Waldbewirtschaftung einbeziehen.

Es ist ganz wichtig, dass wir diesen Skandal deutlich
machen. Deswegen müssen wir uns auch mit Finnland,
Kanada und solchen Ländern auseinander setzen, die den
Urwald nicht nachhaltig nutzen und die eine Kahlschlag-
politik alleine dadurch betreiben, dass sie häufig die
Bäume, die sie eingeschlagen haben, mit einer ungeheu-
ren Brutalität gegen jegliche Natur und den Wald bergen.

Es gilt, auch in dieser Hinsicht weitere Diskussionen zu
führen. Das Ziel, glaube ich, teilen wir ja alle. Wenn Den
Haag auf dem Weg dorthin ein Erfolg sein könnte, dann

würde ich das sehr begrüßen. Aber ich kann zurzeit nicht al-
les, was in Den Haag beschlossen worden ist – manches
muss ja erst noch beschlossen werden –, so richtig nach-
vollziehen.

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423116300
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Monika Ganseforth von der SPD-
Fraktion.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1423116400
Herr Präsident! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Der Bundestag drückt nicht
zum ersten Mal seine Besorgnis über die dramatische Zer-
störung der Urwälder aus und das wird auch nicht das
letzte Mal sein. Insofern ist diese Debatte – ob sie nun in
dieser Woche oder in der nächsten Woche stattfindet – et-
was daneben. Heute ist nun eine Aktuelle Stunde zu die-
sem Thema beantragt worden. Wenn es entsprechend be-
antragt wird, kann über das Thema in der nächsten Woche
oder zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal diskutiert
werden. Über dieses Thema muss auch diskutiert werden.

Ich will daran erinnern, dass bereits in der 11. Wahlpe-
riode die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmo-
sphäre“ im Jahre 1987 den Auftrag bekam, sich mit dem
Einfluss der Tropenwälder auf das Weltklima zu befassen.
Ich habe dieser Enquete-Kommission angehört und hatte
die Gelegenheit, auf Delegationsreisen einen Eindruck
von dem Zustand und der dramatischen Gefährdung von
Urwäldern zu bekommen. Ich war im waldreichen Ka-
nada – Sie haben das eben angesprochen –, in Atlanta, wo
die Wälder in der gemäßigten Zone sind, aber auch in Bri-
tish Columbia, wo es Regenwald gibt. Ich habe an einer De-
legationsreise nach Malaysia teilgenommen und habe im
Sarawak die großen Tropenwälder gesehen. – Ich weiß jetzt
nicht, was Sie murmeln. Ich kann nur sagen: Wenn man so
etwas mit eigenen Augen gesehen hat, bekommt man einen
ganz anderen Eindruck. Wir sollten so etwas häufiger nut-
zen, um uns einen eigenen Eindruck zu verschaffen.

Ich habe gesehen, welche Verwüstungen und Zerstö-
rungen Rodungen mit schwerem Gerät an Wald und Bo-
den verursachen. Ich muss sagen: Wir waren alle entsetzt,
welche Rolle da die Kettensägen der Firma Stihl aus
Deutschland spielten. Dieses große und gefährliche Gerät
wurde dort eingesetzt.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Soll der Export von Kettensägen eingestellt werden?)


Wir haben in der darauf folgenden Legislaturperiode
einen weiteren Bericht verfasst, der sich nicht nur mit den
Tropenwäldern, sondern auch mit den borealen Wäldern
befasst hat. Sie müssen sich das einmal vorstellen. Man ist
in diesen Wäldern unter einem dichten Blätterdach, durch
das kaum Licht eindringt. Es gibt nur Dämmerlicht; man
nimmt Geräusche und Gerüche wahr. Man merkt, dass
dort ein geheimnisvolles Leben, Atmen und Wachsen von
unendlich vielen Pflanzen und Tieren stattfinden. Wenn




Heinrich-Wilhelm Ronsöhr

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man einen Tropenbaum, einen jahrhundertealten Baum,
sieht, dann weiß man: Tropenwälder und Regenwälder
sind nicht nur CO2-Senken oder Pumpen für das Welt-klima. Sie sind nicht nur ein Reservoir für die biologische
Vielfalt. Urwald ist ein einmaliger Schatz der Menschheit
und die Länder, die solche Urwälder, solche Tropenwäl-
der haben, könnten und sollten stolz sein und sollten alles
tun, sie zu erhalten. Wir müssen ihnen dabei helfen.

Leider ist es so, dass viele der alten großen Bäume in
den Industrieländern landen: in Japan als Stäbchen zum
Essen, bei uns als Zellstoff, als Spanplatten oder Sperr-
holz, bestenfalls als Möbel. Wir sind ein Teil des Systems
der Zerstörung der Wälder.

Die Enquete-Kommission hat im Mai 1990 ihren Be-
richt „Schutz der Tropenwälder“ dem Bundestag über-
reicht. Über ihn wurde hier diskutiert und ich möchte die
Namen einer Kollegin und eines Kollegen erwähnen, die
intensiv an diesem Thema gearbeitet haben. Das waren
Dr. Liesel Hartenstein von der SPD und Wilhelm Knabe
von den Grünen. Sie haben intensiv an dem Bericht gear-
beitet und danach immer wieder dafür gesorgt, dass im
Bundestag über Anträge und Anfragen zu dem Thema
diskutiert wurde. Das blieb leider ohne Erfolg, denn un-
sere Anträge wurden zu dieser Zeit immer niederge-
stimmt.

Deswegen bin ich sehr froh, dass wir jetzt eine Ge-
meinsamkeit haben und feststellen, dass das, was 1992
auf dem Erdgipfel von Rio mit der Konvention über die
biologische Vielfalt angefangen hat und jetzt umgesetzt
werden soll, vom Parlament unterstützt wird.

Ich bin auf unseren Minister stolz, der, soweit ich
gehört habe, in Den Haag eine hervorragende Rolle ge-
spielt hat. Deutschland hat wichtige Impulse gegeben und
konstruktiv dazu beigetragen, dass die Konferenz ein Er-
folg geworden ist. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist
nicht das letzte Mal, dass wir hier darüber diskutieren.
Auch mit der erfolgreichen Konferenz in Den Haag ist das

Problem noch lange nicht gelöst. Sie ist ein weiterer
Schritt auf dem Weg, der notwendig ist, um diesen Schatz,
diesen Reichtum der Menschheit auch für die nachfol-
genden Generationen zu erhalten.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423116500
Die Wort-
meldung des Kollegen Obermeier ist von der Frau Kolle-
gin Vollmer zu Protokoll genommen worden. Ich frage:
Gibt es dagegen Bedenken?


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Ja, das hätte angemeldet werden müssen!)


– Dann darf ich diejenigen, die Bedenken haben, bitten,
die Hand zu heben. – Gegenstimmen?


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ich verstehe nicht, warum es Bedenken gibt! Ich habe das vorher angemeldet! – Dr. Angelica SchwallDüren [SPD]: Das muss vorher angemeldet werden!)


Wenn die Mehrheit Bedenken hat, kann die Rede nicht zu
Protokoll genommen werden. Ich sage nur: In der Ge-
schäftsordnung ist das nicht ausdrücklich geregelt. Das
kann dann nur das Parlament beschließen.

Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-

nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-

tages auf Mittwoch, den 24. April 2002, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.