Protokoll:
14221

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 221

  • date_rangeDatum: 28. Februar 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:53 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Volker Jung und Franz Romer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21859 A Benennung der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Wolfgang Thierse und Dr. Antje Vollmer als ordentliche Mitglieder für den Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes . . . 21859 A Benennung der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Dr. Peter Struck und Rezzo Schlauch als Stellvertreter für den Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes . . . . . . . . . . . . 21859 A Erweiterung und Änderung der Tagesordnung 21859 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 20, 23 c und 28 c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21860 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 21860 B Tagesordnungspunkt 3: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Men- schen und zur Änderung anderer Gesetze (Drucksachen 14/8043, 14/8331) 21860 B – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Gleichstellung behin- derter Menschen und zur Ände- rung anderer Gesetze (Drucksachen 14/7420, 14/8331) 21860 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Informationsan- gebot der Bundesregierung barriere- frei gestalten (Drucksachen 14/5985, 14/8331) . . . . 21860 C c) Antrag der Abgeordneten Heidemarie Ehlert, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der PDS: Realitätsnaher Ausgleich für Be- hinderte durch Anhebung derPausch- beträge gemäß § 33 b des Einkom- mensteuergesetzes und durch Um- wandlung in echte Freibeträge (Drucksache 14/8313) . . . . . . . . . . . . . 21860 D Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 21860 D Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21862 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21864 B Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 21866 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21868 B Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 21869 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 21870 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21872 A Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21873 A Silvia Schmidt (Eisleben) SPD . . . . . . . . . . . 21873 C Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21875 B Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 21877 C Karl-Hermann Haack, Beauftragter der Bun- desregierung für die Belange der Behinderten 21878 D Plenarprotokoll 14/221 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 221. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Peter Rauen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bündnis für Arbeit gescheitert – Reformen endlich umsetzen (Drucksache 14/8041) . . . . . . . . . . . . . . . 21881 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Matthias Wissmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Politik für mehr Beschäfti- gung statt organisationspolitischem Aktionismus (Drucksache 14/8363) . . . . . . . . . . . . . . . 21881 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 21881 C Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMA . . . . . 21883 C Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21886 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21888 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . 21889 D Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21890 D Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21892 B Matthias Wissmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 21894 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21895 D Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 21897 A Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21898 A Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21898 B Franz Thönnes SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21898 B Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 21900 A Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 21901 D Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21903 B Tagesordnungspunkt 5: Wahl des Präsidenten des Bundesrech- nungshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21904 C Wahl von Dr. Dieter Engels zum Präsiden- ten des Bundesrechnungshofes . . . . . . . . . 21909 C Dank an Frau Dr. Hedda von Wedel für ihre Arbeit als Präsidentin des Bundes- rechnungshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21909 C Tagesordnungspunkt 27: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wasserverbandsgesetzes (Drucksache 14/8223) . . . . . . . . . . . . . 21905 B b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (Drucksache 14/8286) . . . . . . . . . . . . . 21905 B c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entsorgung von Alt- fahrzeugen (Altfahrzeug-Gesetz) (Drucksache 14/8343) . . . . . . . . . . . . . 21905 C d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. März 2000 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Repu- blik Korea zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhin- derung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen (Drucksache 14/8213) . . . . . . . . . . . . . 21905 C e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll Nr. 6 vom 21. Oktober 1999 zu der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 (Drucksache 14/8215) . . . . . . . . . . . . . 21905 D f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Juni 2001 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französi- schen Republik über den Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken über den Rhein, die nicht in der Baulast der Vertragsparteien liegen (Drucksache 14/8216) . . . . . . . . . . . . . 21905 D g) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 2. Februar 1998 über die Vor- rechte und Befreiungen der Kommis- sion zum Schutz der Meeresumwelt der Ostsee (Drucksache 14/8217) . . . . . . . . . . . . . 21905 D h) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Februar 1991 über die Umweltver- träglichkeitsprüfung im grenzüber- schreitenden Rahmen sowie zu der auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002II der zweiten Konferenz der Parteien in Sofia am 27. Februar 2001 beschlosse- nen Änderung des Übereinkommens (Espoo-Vertragsgesetz) (Drucksache 14/8218) . . . . . . . . . . . . 21906 A i) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. November 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die Zusammenarbeit bei der Wahrneh- mung schifffahrtspolizeilicherAufga- ben auf dem deutsch-französischen Rheinabschnitt (Drucksache 14/8219) . . . . . . . . . . . . 21906 A j) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluss der deutschen Autobahn A 17 und der tschechi- schen Autobahn D 8 an der gemein- samen Staatsgrenze durch Errich- tung einer Grenzbrücke (Drucksache 14/8220) . . . . . . . . . . . . 21906 B k) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über den Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken im nachgeordneten Straßennetz (Drucksache 14/8224) . . . . . . . . . . . . 21906 B l) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Öffentlich- keit vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten („Trittbrettfahrergesetz“) (Drucksache 14/8201) . . . . . . . . . . . . 21906 B m) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) (Drucksache 14/8360) . . . . . . . . . . . . 21906 C n) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Willi Brase, Klaus Barthel (Starn- berg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeord- neten Christian Simmert, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (Drucksache 14/8359) . . . . . . . . . . . . 21906 C o) Antrag der Abgeordneten Sabine Jünger, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Null- promille für Fahranfänger und Fahranfängerinnen (Drucksache 14/6809) . . . . . . . . . . . . 21906 D p) Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Aufgaben des jüngsten Mit- gliedes des Deutschen Bundestages (Drucksache 14/8166) . . . . . . . . . . . . 21906 D q) Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Bun- deswehreinheiten aus der Golfregion zurückziehen (Drucksache 14/8270) . . . . . . . . . . . . 21906 D in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Margot von Renesse, und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammen- hang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellengesetz) (Drucksache 14/8394) . . . . . . . . . . . . . . . 21907 A Tagesordnungspunkt 28: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines post- und telekommunika- tionsrechtlichen Bereinigungsgesetzes (Drucksachen 14/7921, 14/8342) . . . . 21907 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 27. Juli 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über soziale Sicherheit (Drucksachen 14/8212, 14/8377) . . . . 21907 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 III wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundes- eisenbahnvermögen und in den Unter- nehmen der Deutschen Bundespost (Drucksachen 14/8044, 14/8350, 14/8351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21907 D e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Ge- meinsamen Marktorganisationen (Drucksachen 14/8012 (neu), 14/8341) 21908 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu der Verordnung der Bundes- regierung: Neunundneunzigste Ver- ordnung zur Änderung der Ausfuhr- liste – Anlage AL zur Außenwirt- schaftsverordnung (Drucksachen 14/7388, 14/7514 Nr. 2.1, 14/8149) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21908 B g) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 11 a über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 14/8229) . . . . . . . . . . . . . 21908 B h) – m) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 356, 357, 358, 359, 360, 361 zu Petitionen (Drucksachen 14/8289, 14/8290, 14/8291, 14/8292, 14/8293, 14/8294) 21908 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Vierten Gesetz zur Änderung des Bundeszentral- registergesetzes – 4. BZRGÄndG (Drucksachen 14/6814, 14/7837, 14/8191, 14/8358) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21909 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Einführung des diagnoseorien- tierten Fallpauschalensystems für Kran- kenhäuser (Fallpauschalengesetz) (Drucksachen 14/6893, 14/7421, 14/7461, 14/7824, 14/7862, 14/8239, 14/8362) . . . 21909 B Tagesordnungspunkt 6: Wahl des Vizepräsidenten des Bundes- rechnungshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21909 D Wahl des Abgeordneten Norbert Hauser (Bonn) zum Vizepräsidenten des Bundes- rechnungshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21915 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde betr. Haltung derBundes- regierung zur Klage der Bayerischen Staatsregierung gegen die Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetz- lichen Krankenversicherung . . . . . . . . . 21910 A Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 21910 B Jochen Riebel, Staatsminister (Hessen) . . . . . 21912 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21913 D Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21914 D Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21916 A Rolf Schwanitz, Staatsminister BK . . . . . . . . 21917 B Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21918 C Regina Schmidt-Zadel SPD . . . . . . . . . . . . . 21919 D Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21921 A Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) SPD 21922 B Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21923 B Dr. Hansjörg Schäfer SPD . . . . . . . . . . . . . . . 21924 B Thomas Sauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21925 C Tagesordnungspunkt 9: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen derKinder- und Jugendhilfe in Deutschland – Elfter Kinder- und Jugendbericht – mit der Stel- lungnahme der Bundesregierung (Drucksache 14/8181) . . . . . . . . . . . . . . . 21927 A Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21927 A Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 21930 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21932 B Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21934 C Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21936 A Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21937 B Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . 21938 C Rolf Stöckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21940 C Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . 21941 D Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002IV Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Dr. Heinz Riesenhuber, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Steuerliche Rahmen- bedingungen für die Gewährung von Aktienoptionen an Mitarbeiter (stock options) verbessern (Drucksachen 14/5318, 14/8150) . . . . 21942 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Keine Steuer beim Aktientausch (Drucksachen 14/3009, 14/6398) . . . . 21942 D Nina Hauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21942 D Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . 21944 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21946 B Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . 21947 A Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . 21948 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21949 C Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modernisierung des Stiftungs- rechts (Drucksache 14/8277) . . . . . . . . . . . . . . . 21950 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 21950 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 21951 C Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21953 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21955 C Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21956 D Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21957 D Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21959 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21961 A Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Ulrich Adam, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Abschaf- fung der Kapazitätsbeschränkungen für Werften in Mecklenburg- Vorpommern (Drucksachen 14/6950, 14/8050) . . . . 21962 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Andrea Fischer (Berlin), Werner Schulz (Leipzig), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Faire Wettbewerbsbedin- gungen für die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern (Drucksachen 14/7295, 14/8051) . . . . 21962 B Ilse Janz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21962 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . 21964 D Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 21966 A Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 21967 A Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21968 C Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21969 D Ulrich Adam CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21971 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 21972 A Ilse Janz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21972 B Dr. Christine Lucyga SPD . . . . . . . . . . . . . . 21974 A Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG) (Drucksache 14/8276) . . . . . . . . . . . . . . . 21975 D Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . 21976 A Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21977 B Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . 21978 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . 21979 C Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21979 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21980 A Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21980 C Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21982 A Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21982 D Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21983 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 21983 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 V Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Übergangs- lösung für Umsatzbesteuerung von Sportanlagen (Drucksachen 14/7285, 14/8385) . . . . . . . 21985 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS: Übergangsregelung für die Umsatzbesteuerung von Alt- Sportanlagen (Drucksache 14/8375) . . . . . . . . . . . . . . . 21985 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Brigitte Adler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Hans- Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Deutsche Exportinitiative – Er- neuerbare Energien (Drucksache 14/8278) . . . . . . . . . . . . . . . 21985 B Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21985 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21987 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21988 C Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21989 D Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . 21990 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 21991 A Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre (Drucksache 14/7193) . . . . . . . . . . . . . . . 21991 D Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Ratifizierung des Statuts des Internationalen Straf- gerichtshofes (Drucksache 14/8245) . . . . . . . . . . . . . . . 21992 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktion der PDS: Ratifizie- rung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes (Drucksache 14/8374) . . . . . . . . . . . . . . . 21992 A Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Monika Balt, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Rechtsan- spruch auf Sozialtarif für Sprachtelefon- dienst (Drucksachen 14/5831, 14/6931) . . . . . . . 21992 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 21992 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21993 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 21995 A Anlage 2 Alphabetisches Verzeichnis der Teilnehmer an der Wahl des Präsidenten des Bundes- rechnungshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21995 D Anlage 3 Alphabetisches Verzeichnis der Teilnehmer an der Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrech- nungshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21998 A Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Ulrich Heinrich (FDP) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Einführung des diagnose-orientier- ten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser – Fallpauschalengesetz (FPG) (Zusatztagesord- nungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22000 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Übergangslösung für Um- satzbesteuerung von Sportanlagen – des Antrags: Übergangsregelung für die Umsatzbesteuerung von Alt-Sportanlagen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002VI (Tagesordnungspunkt 12 und Zusatztagesord- nungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22000 C Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22000 C Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 22001 B Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22002 A Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22003 A Dr. Klaus Kinkel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22004 A Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 22004 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre (Tagesordnungs- punkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22005 A Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22005 A Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 22006 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22006 D Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22007 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22008 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Ratifizierung des Statuts des Interna- tionalen Strafgerichtshofes (Tagesordnungs- punkt 16 und Zusatztagesordnungspunkt 7) . . 22008 B Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 22008 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . 22010 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22010 D Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22011 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 22012 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Rechts- anspruch auf Sozialtarif für Sprachtelefon- dienst (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . 22013 A Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . 22013 A Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . 22014 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22014 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22015 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 Gerhard Jüttemann 21993 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 21995 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 28.02.2002 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 28.02.2002 Caesar, Cajus CDU/CSU 28.02.2002 Carstens (Emstek), CDU/CSU 28.02.2002 Manfred Carstensen CDU/CSU 28.02.2002 (Nordstrand), Peter H. Dr. Däubler-Gmelin, SPD 28.02.2002 Herta Dr. Eckardt, Peter SPD 28.02.2002 Fischer (Homburg), SPD 28.02.2002 Lothar Dr. Friedrich CDU/CSU 28.02.2002 (Erlangen), Gerhard Friedrich (Altenburg), SPD 28.02.2002 Peter Graf (Friesoythe), SPD 28.02.2002 Günter Hartnagel, Anke SPD 28.02.2002 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 28.02.2002 Heubaum, Monika SPD 28.02.2002** Holetschek, Klaus CDU/CSU 28.02.2002 Ibrügger, Lothar SPD 28.02.2002** Imhof, Barbara SPD 28.02.2002 Irber, Brunhilde SPD 28.02.2002 Irmer, Ulrich FDP 28.02.2002 Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 28.02.2002 DIE GRÜNEN Leidinger, Robert SPD 28.02.2002 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 28.02.2002 Lietz, Ursula CDU/CSU 28.02.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 28.02.2002* Lippmann, Heidi PDS 28.02.2002 Dr. Meyer (Ulm), SPD 28.02.2002 Jürgen Moosbauer, Christoph SPD 28.02.2002 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Alphabetisches Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an derWahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofes teilgenommen haben Ostrowski, Christine PDS 28.02.2002 Pau, Petra PDS 28.02.2002 Dr. Pfaff, Martin SPD 28.02.2002 Roos, Gudrun SPD 28.02.2002 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 28.02.2002 Rühe, Volker CDU/CSU 28.02.2002 Schily, Otto SPD 28.02.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 28.02.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 28.02.2002 Hans Peter Dr. Schubert, Mathias SPD 28.02.2002 Schuhmann SPD 28.02.2002 (Delitzsch), Richard Seehofer, Horst CDU/CSU 28.02.2002 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 28.02.2002 Strebl, Matthäus CDU/CSU 28.02.2002 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 28.02.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 28.02.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 28.02.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Adam, Ulrich Adler, Brigitte Aigner, Ilse Albowitz, Ina Altmann (Aurich), Gila Andres, Gerd Arndt-Brauer, Ingrid Arnold, Rainer Austermann, Dietrich Bachmaier, Hermann Bahr, Ernst Balt, Monika Barnett, Doris Dr. Bartels, Hans-Peter Barthel (Berlin), Eckhardt Barthel (Starnberg), Klaus Barthle, Norbert Dr. Bartsch, Dietmar Dr. Bauer, Wolf Baumann, Günter Baumeister, Brigitte Beck (Bremen), Marieluise Beck (Köln), Volker Becker-Inglau, Ingrid Beer, Angelika Belle, Meinrad Dr. Berg, Axel Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bernhardt, Otto Berninger, Matthias Bertl, Hans-Werner Bettin, Grietje Beucher, Friedhelm Julius Bierling, Hans-Dirk Bierstedt,Wolfgang Bierwirth, Petra Bindig, Rudolf Binding (Heidelberg), Lothar Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate Bläss, Petra Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Blumenthal, Antje Bodewig, Kurt Dr. Böhmer, Maria Bonitz, Sylvia Borchert, Jochen Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Bosbach, Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang Böttcher, Maritta Brandner, Klaus Brandt-Elsweier, Anni Brase, Willi Dr. Brauksiepe, Ralf Braun (Augsburg), Hildebrecht Breuer, Paul Brinkmann (Hildesheim), Bernhard Brinkmann, Rainer Bruckmann, Hans-Günter Brüderle, Rainer Brudlewsky, Monika Bühler (Bruchsal), Klaus Bulling-Schröter, Eva Buntenbach, Annelie Burchardt, Ursula Dr. Bürsch, Michael Bury, Hans Martin Büttner (Ingolstadt), Hans Büttner (Schönebeck), Hartmut Buwitt, Dankward Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Claus, Roland Dr. Danckert, Peter Dautzenberg, Leo Dehnel, Wolfgang Deichmann, Christel Deittert, Hubert Deligöz, Ekin Deß, Albert Diemers, Renate Dietert-Scheuer, Amke Diller, Karl Dörflinger, Thomas Doss, Hansjürgen Dött, Marie-Luise Dreßen, Peter Dr. Dückert, Thea Dzembritzki, Detlef Dzewas, Dieter Dr. Eckardt, Peter Edathy, Sebastian Ehlert, Heidemarie Eich, Ludwig Eichhorn, Maria Eichstädt-Bohlig, Franziska Dr. Eid, Uschi Elser, Marga Enders, Peter Eppelmann, Rainer Erler, Gernot Ernstberger, Petra van Essen, Jörg Eymer (Lübeck), Anke Falk, Ilse Faße, Annette Dr. Faust, Hans Georg Feibel, Albrecht Fell, Hans-Josef Dr. Fink, Heinrich Fink, Ulf Fischbach, Ingrid Fischer (Berlin), Andrea Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. Fischer (Hamburg), Dirk Fischer (Frankfurt), Joseph Flach, Ulrike Fograscher, Gabriele Follak, Iris Formanski, Norbert Fornahl, Rainer Forster, Hans Francke, Klaus Frankenhauser, Herbert Freitag, Dagmar Friedhoff, Paul K. Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter Friedrich (Bayreuth), Horst Friedrich (Mettmann), Lilo Fritz, Erich G. Fromme, Jochen-Konrad Fuchs (Köln), Anke Dr. Fuchs, Ruth Fuchtel, Hans-Joachim Fuhrmann, Arne Funke, Rainer Ganseforth, Monika Dr. Gehb, Jürgen Gehrcke, Wolfgang Geis, Norbert Dr. Geißler, Heiner Gilges, Konrad Girisch, Georg Gleicke, Iris Glos, Michael Gloser, Günter Dr. Göhner, Reinhard Goldmann, Hans-Michael Göllner, Uwe Göring-Eckardt, Katrin Götz, Peter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200221996 (C) (D) (A) (B) Dr. Götzer, Wolfgang Gradistanac, Renate Graf (Rosenheim), Angelika Grasedieck, Dieter Dr. Grehn, Klaus Griefahn, Monika Griese, Kerstin Grießhaber, Rita Grill, Kurt-Dieter Gröhe, Hermann Großmann, Achim Grotthaus, Wolfgang Grund, Manfred Dr. Grygier, Bärbel Günther (Duisburg), Horst Günther (Plauen), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hacker, Hans-Joachim Häfner, Gerald Hagemann, Klaus Freiherr von Hammerstein, Carl-Detlev Hampel, Manfred Hartenbach, Alfred Haschke (Großhennersdorf), Gottfried Hasenfratz, Klaus Hauer, Nina Haupt, Klaus Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg Hauser (Bonn), Norbert Dr. Haussmann, Helmut Heiderich, Helmut Heil, Hubertus Heinen, Ursula Heinrich, Ulrich Heise, Manfred Helias, Siegfried Hemker, Reinhold Hempelmann, Rolf Dr. Hendricks, Barbara Henke, Hans Jochen Hermann, Winfried Hermenau, Antje Herzog, Gustav Hiksch, Uwe Hiller (Lübeck), Reinhold Hilsberg, Stephan Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hirche, Walter Hofbauer, Klaus Höfer, Gerd Hoffmann (Wismar), Iris Hoffmann (Chemnitz), Jelena Hoffmann (Darmstadt), Walter Höfken, Ulrike Hofmann (Volkach), Frank Hohmann, Martin Dr. Höll, Barbara Hollerith, Josef Holzhüter, Ingrid Homburger, Birgit Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hörster, Joachim Hovermann, Eike Dr. Hoyer, Werner Hübner, Carsten Humme, Christel Hüppe, Hubert Hustedt, Michaele Ibrügger, Lothar Imhof, Barbara Iwersen, Gabriele Jaffke, Susanne Jäger, Renate Janovsky, Georg Janssen, Jann-Peter Janz, Ilse Jelpke, Ulla Dr. Jens, Uwe Dr.-Ing. Jork, Rainer Jung (Düsseldorf), Volker Jünger, Sabine Jüttemann, Gerhard Dr. Kahl, Harald Kahrs, Johannes Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kasparick, Ulrich Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kauder, Volker Kelber, Ulrich Kemper, Hans-Peter Dr. Kinkel, Klaus Kirschner, Klaus von Klaeden, Eckart Klappert, Marianne Klinkert, Ulrich Klose, Hans-Ulrich Dr. Kolb, Heinrich L. Kolbow, Walter Königshofen, Norbert Kopp, Gudrun Koppelin, Jürgen Körper, Fritz Rudolf Kors, Eva-Maria Kortmann, Karin Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Dr. Köster-Loßack, Angelika Kramme, Anette Kraus, Rudolf Kressl, Nicolette Dr. Krogmann, Martina Kröning, Volker Krüger-Leißner, Angelika Kubatschka, Horst Küchler, Ernst Kuhn, Werner Kühn-Mengel, Helga Kumpf, Ute Kunick, Konrad Dr. Küster, Uwe Kutzmutz, Rolf Labsch, Werner Lambrecht, Christine Lamers, Karl Dr. Lamers, (Heidelberg), Karl A. Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut Lange, Brigitte Lange (Backnang), Christian von Larcher, Detlev Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehder, Christine Lehn, Waltraud Lemke, Steffi Lengsfeld, Vera Lenke, Ina Lennartz, Klaus Lensing, Werner Dr. Leonhard, Elke Letzgus, Peter Lewering, Eckhart Link (Diepholz), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W. Dr. Lischewski, Manfred Lohmann (Neubrandenburg), Götz-Peter Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang Lörcher, Christa Lösekrug-Möller, Gabriele Dr. Loske, Reinhard Lotz, Erika Lötzer, Ursula Louven, Julius Dr. Lucyga, Christine Dr. Luft, Christa Lüth, Heidemarie Dr. Luther, Michael Maaß (Herne), Dieter Maaß (Wilhelmshaven), Erich Maier, Pia Mante, Winfried Manzewski, Dirk Marhold, Tobias Mark, Lothar Marquardt, Angela Marschewski (Recklinghausen), Erwin Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Mattischeck, Heide Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin Meckel, Markus Meckelburg, Wolfgang Mehl, Ulrike Dr. Meister, Michael Merten, Ulrike Mertens, Angelika Merz, Friedrich Metzger, Oswald Michelbach, Hans Mogg, Ursula Mosdorf, Siegmar Müller (Zittau), Christian Müller (Kirchheim), Elmar Dr. Müller, Gerd Müller (Völklingen), Jutta Müller (Köln), Kerstin Müller (Berlin), Manfred Müller (Düsseldorf), Michael Nachtwei, Winfried Nahles, Andrea Naumann, Kersten Neuhäuser, Rosel Neumann (Bremen), Bernd Neumann (Bramsche), Volker Nickels, Christa Niebel, Dirk Dr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf Nietan, Dietmar Nolte, Claudia Nolting, Günther Friedrich Nooke, Günter Obermeier, Franz Oesinghaus, Günter Onur, Leyla Opel, Manfred Ortel, Holger Ost, Friedhelm Ostertag, Adolf Oswald, Eduard Otto (Frankfurt), Hans-Joachim Otto (Erfurt), Norbert Özdemir, Cem Palis, Kurt Papenroth, Albrecht Parr, Detlef Dr. Paziorek, Peter Pfannenstein, Georg Pfeifer, Anton Pflug, Johannes Dr. Pflüger, Friedbert Philipp, Beatrix Dr. Pick, Eckhart Pieper, Cornelia Pofalla, Ronald Polenz, Ruprecht Poß, Joachim Pretzlaff, Marlies Probst, Simone Dr. Protzner, Bernd Raidel, Hans Dr. Ramsauer, Peter Rauber, Helmut Rauen, Peter Rehbock-Zureich, Karin Reichard (Dresden), Christa Reiche, Katherina Dr. Reimann, Carola von Renesse, Margot Rennebach, Renate Repnik, Hans-Peter Reuter, Bernd Dr. Rexrodt, Günter Dr. Richter, Edelbert Riegert, Klaus Riemann-Hanewinckel, Christel Dr. Riesenhuber, Heinz Robbe, Reinhold Romer, Franz Rönsch (Wiesbaden), Hannelore Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Dr. Rose, Klaus Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 21997 (C) (D) (A) (B) Röspel, René Rossmanith, Kurt J. Dr. Rossmann, Ernst Dieter Roth (Gießen), Adolf Roth (Speyer), Birgit Roth (Heringen), Michael Dr. Röttgen, Norbert Rübenkönig, Gerhard Rupprecht, Marlene Sauer, Thomas Schäfer, Anita Dr. Schäfer, Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Scharping, Rudolf Dr. Schäuble, Wolfgang Schauerte, Hartmut Scheel, Christine Scheelen, Bernd Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schemken, Heinz Schenk, Christina Scherhag, Karl-Heinz Dr. Scheu, Gerhard Schewe-Gerigk, Irmingard Schild, Horst Schindler, Norbert Schloten, Dieter Schmidbauer, Bernd Schmidbauer (Nürnberg), Horst Schmidt (Hitzhofen), Albert Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Fürth), Christian Schmidt (Meschede), Dagmar Dr. Schmidt (Weilburg), Frank Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Joachim Schmidt (Eisleben), Silvia Schmidt (Aachen), Ulla Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Schmitt (Berg), Heinz von Schmude, Michael Schneider, Carsten Dr. Schnell, Emil Schöler, Walter Dr. Scholz, Rupert Schönfeld, Karsten Freiherr von Schorlemer, Reinhard Schösser, Fritz Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Dr. Schuchardt, Erika Schulte (Hameln), Brigitte Schultz (Köln), Volkmar Schulz, Gerhard Schulz (Leipzig), Werner Schur, Gustav-Adolf Schurer, Ewald Schüßler, Gerhard Schütze (Berlin), Diethard Dr. Schwaetzer, Irmgard Schwalbe, Clemens Dr. Schwall-Düren, Angelica Schwanitz, Rolf Sebastian, Wilhelm Josef Sehn, Marita Seidenthal, Bodo Dr. Seifert, Ilja Seiffert, Heinz Dr. h. c. Seiters, Rudolf Siebert, Bernd Siemann, Werner Simm, Erika Simmert, Christian Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland Sothmann, Bärbel Spanier, Wolfgang Späte, Margarete Dr. Spielmann, Margrit Spiller, Jörg-Otto Dr. Stadler, Max Dr. Staffelt, Ditmar Steen, Antje-Marie Steiger, Wolfgang Steinbach, Erika Sterzing, Christian Dr. Freiherr von Stetten, Wolfgang Stiegler, Ludwig Stöckel, Rolf Storm, Andreas Störr-Ritter, Dorothea Straubinger, Max Streb-Hesse, Rita Ströbele, Hans-Christian Strobl (Amberg), Reinhold Dr. Struck, Peter Stübgen, Michael Stünker, Joachim Tappe, Joachim Tauss, Jörg Teuchner, Jella Dr. Thalheim, Gerald Thiele, Carl-Ludwig Thierse, Wolfgang Dr. Thomae, Dieter Thönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Töpfer, Edeltraut Tröscher, Adelheid Türk, Jürgen Dr. Uhl, Hans-Peter Urbaniak, Hans-Eberhard Vaatz, Arnold Veit, Rüdiger Violka, Simone Vogt (Pforzheim), Ute Dr. Vollmer, Antje Volquartz, Angelika Voß, Sylvia Voßhoff, Andrea Wagner, Hans Georg Wegener, Hedi Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weiß (Groß-Gerau), Gerald Weiß (Emmendingen), Peter Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. von Weizsäcker, Ernst Ulrich Welt, Jochen Dr. Wend, Rainer Wester, Hildegard Dr. Westerwelle, Guido Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Wetzel, Margrit Wieczorek (Böhlen), Jürgen Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter Wiese (Hannover), Heino Wiese (Ehingen), Heinz Wiesehügel, Klaus Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Wilhelm (Amberg), Helmut Willsch, Klaus-Peter Wilz, Bernd Wimmer (Karlsruhe), Brigitte Wimmer (Neuss), Willy Wissmann, Matthias Wistuba, Engelbert Wittig, Barbara Dr. Wodarg, Wolfgang Wohlleben, Verena Wöhrl, Dagmar Wolf, Aribert Wolf (München), Hanna Wolf (Frankfurt), Margareta Wolff (Wolmirstedt), Waltraud Wright, Heidemarie Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt Zapf, Uta Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno Zöller, Wolfgang Zumkley, Peter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200221998 (C) (D) (A) (B) Buntenbach, Annelie Burchardt, Ursula Dr. Bürsch, Michael Bury, Hans Martin Büttner (Ingolstadt), Hans Büttner (Schönebeck), Hartmut Buwitt, Dankward Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Claus, Roland Dr. Danckert, Peter Dautzenberg, Leo Dehnel, Wolfgang Deichmann, Christel Deittert, Hubert Deligöz, Ekin Deß, Albert Diemers, Renate Dietert-Scheuer, Amke Diller, Karl Dörflinger, Thomas Doss, Hansjürgen Dött, Marie-Luise Dreßen, Peter Dr. Dückert, Thea Dzembritzki, Detlef Dzewas, Dieter Dr. Eckardt, Peter Edathy, Sebastian Ehlert, Heidemarie Eich, Ludwig Eichhorn, Maria Eichstädt-Bohlig, Franziska Dr. Eid, Uschi Elser, Marga Enders, Peter Eppelmann, Rainer Ernstberger, Petra van Essen, Jörg Eymer (Lübeck), Anke Falk, Ilse Faße, Annette Dr. Faust, Hans Georg Feibel, Albrecht Fell, Hans-Josef Dr. Fink, Heinrich Fink, Ulf Fischbach, Ingrid Fischer (Berlin), Andrea Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. Fischer (Hamburg), Dirk Fischer (Frankfurt), Joseph Flach, Ulrike Fograscher, Gabriele Follak, Iris Formanski, Norbert Fornahl, Rainer Forster, Hans Francke, Klaus Frankenhauser, Herbert Freitag, Dagmar Friedhoff, Paul K. Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter, Friedrich (Bayreuth), Horst Friedrich (Mettmann), Lilo Friese, Harald Fritz, Erich G. Fromme, Jochen-Konrad Fuchs (Köln), Anke Dr. Fuchs, Ruth Fuchtel, Hans-Joachim Fuhrmann, Arne Funke, Rainer Ganseforth, Monika Dr. Gehb, Jürgen Gehrcke, Wolfgang Geis, Norbert Dr. Geißler, Heiner Gilges, Konrad Girisch, Georg Gleicke, Iris Glos, Michael Gloser, Günter Dr. Göhner, Reinhard Goldmann, Hans-Michael Göllner, Uwe Göring-Eckardt, Katrin Götz, Peter Dr. Götzer, Wolfgang Gradistanac, Renate Graf (Rosenheim), Angelika Grasedieck, Dieter Dr. Grehn, Klaus Griefahn, Monika Griese, Kerstin Grießhaber, Rita Grill, Kurt-Dieter Gröhe, Hermann Großmann, Achim Grotthaus, Wolfgang Grund, Manfred Dr. Grygier, Bärbel Günther (Duisburg), Horst Günther (Plauen), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hacker, Hans-Joachim Häfner, Gerald Hagemann, Klaus Freiherr von Hammerstein, Carl-Detlev Hampel, Manfred Hartenbach, Alfred Haschke (Großhennersdorf), Gottfried Hasenfratz, Klaus Hauer, Nina Haupt, Klaus Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg Hauser (Bonn), Norbert Dr. Haussmann, Helmut Heiderich, Helmut Heil, Hubertus Heinen, Ursula Heinrich, Ulrich Heise, Manfred Helias, Siegfried Hemker, Reinhold Hempelmann, Rolf Dr. Hendricks, Barbara Henke, Hans Jochen Hermann, Winfried Hermenau, Antje Herzog, Gustav Hiksch, Uwe Anlage 3 Alphabetisches Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an derWahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes teilgenommen haben Adam, Ulrich Adler, Brigitte Aigner, Ilse Albowitz, Ina Altmann (Aurich), Gila Andres, Gerd Arndt-Brauer, Ingrid Arnold, Rainer Austermann, Dietrich Bachmaier, Hermann Bahr, Ernst Balt, Monika Barnett, Doris Dr. Bartels, Hans-Peter Barthel (Berlin), Eckhardt Barthel (Starnberg), Klaus Barthle, Norbert Dr. Bartsch, Dietmar Dr. Bauer, Wolf Baumann, Günter Baumeister, Brigitte Beck (Bremen), Marieluise Beck (Köln), Volker Becker-Inglau, Ingrid Beer, Angelika Belle, Meinrad Dr. Berg, Axel Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bernhardt, Otto Berninger, Matthias Bertl, Hans-Werner Bettin, Grietje Beucher, Friedhelm Julius Bierling, Hans-Dirk Bierstedt, Wolfgang Bierwirth, Petra Bindig, Rudolf Binding (Heidelberg), Lothar Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate Bläss, Petra Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Blumenthal, Antje Bodewig, Kurt Dr. Böhmer, Maria Bonitz, Sylvia Borchert, Jochen Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Bosbach, Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang Böttcher, Maritta Brandner, Klaus Brandt-Elsweier, Anni Brase, Willi Dr. Brauksiepe, Ralf Braun (Augsburg), Hildebrecht Breuer, Paul Brinkmann (Hildesheim), Bernhard Brinkmann (Detmold), Rainer Bruckmann, Hans-Günter Brüderle, Rainer Brudlewsky, Monika Bühler (Bruchsal), Klaus Bulling-Schröter, Eva Hiller (Lübeck), Reinhold Hilsberg, Stephan Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hirche, Walter Hofbauer, Klaus Höfer, Gerd Hoffmann (Wismar), Iris Hoffmann (Chemnitz), Jelena Hoffmann (Darmstadt), Walter Höfken, Ulrike Hofmann (Volkach), Frank Hohmann, Martin Dr. Höll, Barbara Hollerith, Josef Holzhüter, Ingrid Homburger, Birgit Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hörster, Joachim Hovermann, Eike Dr. Hoyer, Werner Hübner, Carsten Humme, Christel Hüppe, Hubert Hustedt, Michaele Ibrügger, Lothar Imhof, Barbara Iwersen, Gabriele Jaffke, Susanne Jäger, Renate Janovsky, Georg Janssen, Jann-Peter Janz, Ilse Jelpke, Ulla Dr. Jens, Uwe Dr.-Ing. Jork, Rainer Jung (Düsseldorf), Volker Jünger, Sabine Jüttemann, Gerhard Dr. Kahl, Harald Kahrs, Johannes Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kasparick, Ulrich Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kauder, Volker Kelber, Ulrich Kemper, Hans-Peter Dr. Kinkel, Klaus Kirschner, Klaus von Klaeden, Eckart Klappert, Marianne Klinkert, Ulrich Klose, Hans-Ulrich Dr. Kolb, Heinrich L. Kolbow, Walter Königshofen, Norbert Kopp, Gudrun Koppelin, Jürgen Körper, Fritz Rudolf Kors, Eva-Maria Kortmann, Karin Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Dr. Köster-Loßack, Angelika Kramme, Anette Kraus, Rudolf Kressl, Nicolette Dr. Krogmann, Martina Kröning, Volker Krüger-Leißner, Angelika Kubatschka, Horst Küchler, Ernst Kuhn, Werner Kühn-Mengel, Helga Kumpf, Ute Kunick, Konrad Dr. Küster, Uwe Kutzmutz, Rolf Labsch, Werner Lambrecht, Christine Lamers, Karl Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut Lange, Brigitte Lange (Backnang), Christian von Larcher, Detlev Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehder, Christine Lehn, Waltraud Lemke, Steffi Lengsfeld, Vera Lenke, Ina Lennartz, Klaus Lensing, Werner Dr. Leonhard, Elke Letzgus, Peter Lewering, Eckhart Link (Diepholz), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W. Dr. Lischewski, Manfred Lohmann (Neubrandenburg), Götz-Peter Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang Lösekrug-Möller, Gabriele Dr. Loske, Reinhard Lotz, Erika Lörcher, Christa Lötzer, Ursula Louven, Julius Dr. Lucyga, Christine Dr. Luft, Christa Lüth, Heidemarie Dr. Luther, Michael, Maaß (Herne), Dieter Maaß (Wilhelmshaven), Erich Maier, Pia Mante, Winfried Manzewski, Dirk Marhold, Tobias Mark, Lothar Marquardt, Angela Marschewski (Reckling- hausen), Erwin Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Mattischeck, Heide Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin Meckel, Markus Meckelburg, Wolfgang Mehl, Ulrike Dr. Meister, Michael Merten, Ulrike Mertens, Angelika Merz, Friedrich Metzger, Oswald Michelbach, Hans Mogg, Ursula Mosdorf, Siegmar Müller (Zittau), Christian Müller (Kirchheim), Elmar Dr. Müller, Gerd Müller (Völklingen), Jutta Müller (Köln), Kerstin Müller (Berlin), Manfred Müller (Düsseldorf), Michael Nachtwei, Winfried Nahles, Andrea Naumann, Kersten Neuhäuser, Rosel Neumann (Bremen), Bernd Neumann (Bramsche), Volker Nickels, Christa Niebel, Dirk Dr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf Nietan, Dietmar Nolte, Claudia Nolting, Günther Friedrich Nooke, Günter Obermeier, Franz Oesinghaus, Günter Onur, Leyla Opel, Manfred Ortel, Holger Ost, Friedhelm Ostertag, Adolf Oswald, Eduard Otto (Frankfurt), Hans-Joachim Otto (Erfurt), Norbert Özdemir, Cem Palis, Kurt Papenroth, Albrecht Parr, Detlef Dr. Paziorek, Peter Pfannenstein, Georg Pfeifer, Anton Pflug, Johannes Dr. Pflüger, Friedbert Philipp, Beatrix Dr. Pick, Eckhart Pieper, Cornelia Pofalla, Ronald Polenz, Ruprecht Poß, Joachim Pretzlaff, Marlies Probst, Simone Dr. Protzner, Bernd Raidel, Hans Dr. Ramsauer, Peter, Rauber, Helmut Rauen, Peter Rehbock-Zureich, Karin Reichard (Dresden), Christa Reiche, Katherina Dr. Reimann, Carola von Renesse, Margot Rennebach, Renate Repnik, Hans-Peter Reuter, Bernd Dr. Rexrodt, Günter Dr. Richter, Edelbert Riegert, Klaus Riemann-Hanewinckel, Christel Dr. Riesenhuber, Heinz Robbe, Reinhold Romer, Franz Rönsch (Wiesbaden), Hannelore Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Dr. Rose, Klaus Röspel, René Dr. Rössel, Uwe-Jens Rossmanith, Kurt J. Dr. Rossmann, Ernst Dieter Roth (Gießen), Adolf Roth (Speyer), Birgit Roth (Heringen), Michael Dr. Röttgen, Norbert Rübenkönig, Gerhard Rupprecht, Marlene Sauer, Thomas Schäfer, Anita Dr. Schäfer, Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Scharping, Rudolf Dr. Schäuble, Wolfgang Schauerte, Hartmut Scheel, Christine Scheelen, Bernd Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schemken, Heinz Schenk, Christina Scherhag, Karl-Heinz Dr. Scheu, Gerhard Schewe-Gerigk, Irmingard Schild, Horst Schindler, Norbert Schloten, Dieter Schmidbauer, Bernd Schmidbauer (Nürnberg), Horst Schmidt (Hitzhofen), Albert Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Fürth), Christian Schmidt (Meschede), Dagmar Dr. Schmidt (Weilburg), Frank Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Joachim Schmidt (Eisleben), Silvia Schmidt (Aachen), Ulla Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Schmitt (Berg), Heinz Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 21999 (C) (D) (A) (B) von Schmude, Michael Schneider, Carsten Dr. Schnell, Emil Schöler, Walter Dr. Scholz, Rupert Schönfeld, Karsten Freiherr von Schorlemer Reinhard Schösser, Fritz Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Dr. Schuchardt, Erika Schulte (Hameln), Brigitte Schultz (Köln), Volkmar Schulz, Gerhard Schulz (Leipzig), Werner Schur, Gustav-Adolf Schurer, Ewald Schüßler, Gerhard Schütze (Berlin), Diethard Dr. Schwaetzer, Irmgard Schwalbe, Clemens Dr. Schwall-Düren, Angelica Schwanitz, Rolf Sebastian, Wilhelm Josef Sehn, Marita Seidenthal, Bodo Dr. Seifert, Ilja Seiffert, Heinz Dr. h. c. Seiters, Rudolf Siebert, Bernd Siemann, Werner Simm, Erika Simmert, Christian Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland Sothmann, Bärbel Spanier, Wolfgang Späte, Margarete Dr. Spielmann, Margrit Spiller, Jörg-Otto Dr. Stadler, Max Dr. Staffelt, Ditmar Steen, Antje-Marie Steiger, Wolfgang Steinbach, Erika Sterzing, Christian Dr. Freiherr von Stetten, Wolfgang Stiegler, Ludwig Stöckel, Rolf Storm, Andreas Störr-Ritter, Dorothea Straubinger, Max Streb-Hesse, Rita Ströbele, Hans-Christian Strobl (Amberg), Reinhold Dr. Struck, Peter Stübgen, Michael Stünker, Joachim Tappe, Joachim Tauss, Jörg Teuchner, Jella Dr. Thalheim, Gerald Thiele, Carl-Ludwig Thierse, Wolfgang Dr. Thomae, Dieter Thönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Töpfer, Edeltraut Tröscher, Adelheid Türk, Jürgen Dr. Uhl, Hans-Peter Urbaniak, Hans-Eberhard Vaatz, Arnold Veit, Rüdiger Violka, Simone Vogt (Pforzheim), Ute Dr. Vollmer, Antje Volquartz, Angelika Voßhoff, Andrea Wagner, Hans Georg Wegener, Hedi Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weiß (Groß-Gerau), Gerald Weiß (Emmendingen), Peter Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. von Weizsäcker, Ernst Ulrich Welt, Jochen Dr. Wend, Rainer Wester, Hildegard Dr. Westerwelle, Guido Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Wetzel, Margrit Wieczorek (Böhlen), Jürgen Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter Wiese (Hannover), Heino Wiese (Ehingen), Heinz Wiesehügel, Klaus Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Wilhelm (Amberg), Helmut Willsch, Klaus-Peter Wilz, Bernd Wimmer (Karlsruhe), Brigitte Wimmer (Neuss), Willy Wissmann, Matthias Wistuba, Engelbert Wittig, Barbara Dr. Wodarg, Wolfgang Wohlleben, Verena Wöhrl, Dagmar Wolf, Aribert Wolf (München), Hanna Wolf (Frankfurt), Margareta Wolff (Wolmirstedt), Waltraud Wright, Heidemarie Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt Zapf, Uta Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno Zöller, Wolfgang Zumkley, Peter Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Ulrich Heinrich (FDP) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fall- pauschalensystems für Krankenhäuser – Fall- pauschalengesetz [FPG] (Zusatztagesordnungs- punkt 5) Im Namen der Fraktion der FDP erkläre ich: Das Vo- tum lautet Ja. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Übergangslösung für Umsatzbe- steuerung von Sportanlagen – des Antrags: Übergangsregelung für die Um- satzbesteuerung von Alt-Sportanlagen (Tagesordnungspunkt 12 und Zusatztagesordnungs- punkt 6) Horst Schild (SPD): Die Vermietung von privaten Sportanlagen wurde bisher in eine steuerfreie Grund- stücksvermietung und in eine steuerpflichtige Vermietung von Betriebsvorrichtungen aufgeteilt. Der Bundesfinanz- hof hat mit Urteil vom 31. Mai 2001 entschieden, dass diese Praxis zukünftig nicht mehr anzuwenden sei. Viel- mehr ist bei der Vermietung von Sportanlagen von einer einheitlichen umsatzsteuerpflichtigen Leistung auszuge- hen. Er weicht damit unter explizitem Hinweis auf die neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes von seiner bisherigen Rechtsauffassung ab, die ebenso von der Finanzverwaltung angewandt wurde. Mit der Ver- öffentlichung des Urteils im Bundessteuerblatt ist das Ur- teil allgemein zu beachten. Die neue Rechtsprechung bewirkt eine Vereinfachung und schafft Rechtssicherheit, da bisher häufig Streitfälle über die Abgrenzung der Einnahmen zwischen den Anla- genbetreibern und der Finanzverwaltung auftraten. Aus der nunmehr einheitlichen Umsatzsteuerpflicht der Ver- mietungseinnahmen folgt, dass Anlagenbetreibern der volle Vorsteuerabzug aus Anschaffungs- oder Herstel- lungskosten zusteht. Dies erleichtert Investitionen in neue Anlagen sowie in die Erweiterung und Modernisierung von Altanlagen. Altanlagenbetreiber, die meist mittelständisch ge- prägte Unternehmen sind, können allerdings von der neuen Rechtsprechung negativ betroffen sein. Sie unter- liegen zukünftig der vollen Umsatzsteuerpflicht, obwohl ihnen in der Vergangenheit nicht die volle Vorsteuerab- zugsmöglichkeit zustand. Für Altanlagen, die weniger als zehn Jahre betrieben wurden, besteht nach § 15 a UStG die Möglichkeit, noch eine Berichtigung des Vorsteuerab- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222000 (C) (D) (A) (B) zugs vorzunehmen. Dieses nachträgliche Vorsteuerab- zugsrecht kann sich jedoch bei älteren Anlagen nicht voll- ständig auswirken bzw. besteht bei Anlagen, die älter als zehn Jahre sind, überhaupt nicht. Bei schon lange zurückliegenden Sachverhalten sehen wir deshalb Handlungsbedarf. Auch einzelne Betreiber haben uns die möglichen negativen Auswirkungen der neuen Rechtsprechung dargestellt. Wir streben aus die- sem Grunde eine vertretbare Übergangsregelung für Alt- anlagen an. Das ist zum einen im Interesse der mittelständischen Betreiber und ihrer Angestellten: Für Betreiber ohne aus- reichendes nachträgliches Vorsteuerabzugsrecht sollen Zusatzbelastungen vermieden werden; denn sie haben in der Vergangenheit ihre Investitionen auf Basis der bishe- rigen Rechtsprechung kalkuliert und getätigt und sind vor diesem Hintergrund längerfristige vertragliche Bindun- gen eingegangen. Eine Übergangsregelung ist zum ande- ren im Interesse der gemeinnützigen Sportvereine, die vielfach Nutzer solcher Anlagen sind und die sich plötz- lich höheren, steuerlich motivierten Preisen ausgesetzt se- hen. Die Unionsfraktion sowie die Fraktion der FDP haben mit ihren Anträgen das Anliegen einer Übergangsrege- lung bereits aufgegriffen. Die in den Anträgen vorgenom- menen Festlegungen auf gesetzliche Maßnahmen bzw. eine fest bestimmte Lösung auf dem Verwaltungswege er- scheinen uns jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht ziel- führend, um wirklich rasch zu einer möglichst unbüro- kratischen Beseitigung der Probleme im Einzelfall zu kommen. Die Koalitionsfraktionen bringen deshalb zu- sammen mit der Fraktion der PDS und der FDP einen neuen Antrag ein, der einstimmig im Finanzausschuss verabschiedet worden ist. Mit der einstimmigen Unter- stützung verbindet der Bundestag die Erwartung, dass die Bundesregierung zusammen mit den Ländern eine sach- gerechte Übergangsregelung herbeiführt. Über das Ergebnis ist dem Bundestag bis Ende Mai zu berichten, sodass wir gegebenenfalls noch bis zum Som- mer gesetzgeberisch tätig werden können. Ich hoffe, dass auch die Länder eine solche Über- gangsregelung unterstützen. Wir haben keine exakten Zahlen über den finanziellen Rahmen einer solchen Rege- lung. Ich denke jedoch, dass eine gerechte und vernünf- tige Übergangsregelung die damit verbundenen minima- len Steuerausfälle allemal rechtfertigt. Dr. Peter Danckert (SPD): Kollege Horst Schild ist soeben auf die steuerpolitischen Aspekte des Ur- teils des Bundesfinanzhofes vom Mai 2001 zur Umsatz- besteuerung von Sportanlagen eingegangen. Er hat die Fakten umfassend dargestellt und begründet, warum die SPD-Bundestagsfraktion eine Übergangslösung für die- jenigen Anlagenbetreiber für erforderlich hält, für die sich das nachträgliche Vorsteuerabzugsrecht aufgrund des Al- ters der Anlagen – älter als zehn Jahre – nicht vorteilhaft auswirkt. In dieser Debatte darf ich zunächst positiv vermerken, dass alle Fraktionen des Hauses – wenn auch nach län- geren Diskussionen – im Vorfeld der heutigen Debatte einvernehmlich zu einer gemeinsamen Forderung ge- kommen sind, dass FDP und PDS den Antrag der Re- gierungskoalition mittragen, dass die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion sowohl im Finanzausschuss als auch im Sportausschuss den Inhalten des jetzt vorliegenden Antrages erfreulicherweise zugestimmt haben. Insofern besteht Konsens über alle Fraktionsgrenzen hinweg, dass es für die Betreiber von so genannten Alt-Sportanlagen eine rechtlich vertretbare nachvollziehbare Übergangs- lösung geben muss. Hierzu bedarf es nicht eines Gesetz- entwurfes, wie es CDU/CSU in ihrem ursprünglichen An- trag fordern. Hierzu ist auch ein Nichtanwendungserlass des BMF – so die ursprüngliche FDP-Forderung – nicht der geeignete Weg, weil so diejenigen benachteiligt wür- den, die sich wie der Kläger durch die bisherige Recht- sprechung benachteiligt sehen. Eine Flut weiterer Klagen wäre die Folge. Aus der Sicht des Sports kommt es jedoch vorrangig darauf an, dass die gemeinnützigen Vereine, die entweder eigene Tennis- oder Badmintonhallen betreiben oder die, ebenso wie Schulen, Hallen kommerzieller Anbieter nut- zen, von unzumutbaren Mehrkosten befreit werden. Diese Mehrkosten werden nach dem Beschluss der obersten Fi- nanzbehörden der Länder vom September 2001 – dies ist die aktuell geltende Rechtslage – dadurch entstehen, dass die Sportanlagenbetreiber ihre Einnahmen mit 16 Prozent Mehrwertsteuer zu versteuert haben. Diese Kosten müss- ten die Betreiber entweder an die Nutzer weitergeben oder die Kosten würden ihren Gewinn reduzieren. Dies würde die Existenz vieler Hallenbetreiber – und dazu gehören eben auch gemeinnützige Vereine – erheblich beeinträch- tigen. Finanzielle Belastungen von bis zu 50 000 Euro können nach Berechnungen des Freiburger Kreises nicht ausgeschlossen werden. Deshalb bedarf es einer Über- gangslösung, und zwar für diejenigen Betreiber, die in der Vergangenheit ihre Investitionen auf der Basis der bishe- rigen Rechtsprechung kalkuliert haben und vor diesem Hintergrund längerfristige vertragliche Bindungen einge- gangen sind. Die Regierungskoalition trägt mit dem vorliegenden Antrag nicht allein der Kritik der kommerziellen Betrei- ber Rechnung. Auch die Forderungen des Deutschen Sportbundes, des Deutschen Tennisbundes, des Deut- schen Badminton Verbandes und des Deutschen Squash Verbandes werden dabei berücksichtigt. Insofern ist das in der Diskussion bisweilen angeführte Argument, nur ein Hallenbetreiber habe die Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes kritisiert, falsch. Die Regierungs- koalition sieht sich mit dem vorliegenden Antrag auch an der Seite der Bundesländer, die in der Sitzung der obers- ten Finanzbehörden ebenfalls für eine Übergangslösung eintraten. Einstimmig war das Abstimmungsergebnis ja nicht. Wir gehen davon aus, dass das BMF nun bis spätestens Ende Mai kreativ mit der vorliegenden Problemlage um- geht und trotz der zugegebenermaßen schwierigen Ge- mengelage einen rechtlich vertretbaren und nachvollzieh- baren Vorschlag zu einer Übergangslösung machen wird, im Interesse des Sports, vor allem im Interesse der Kinder und Jugendlichen, die Tennis, Badminton und Squash Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22001 (C) (D) (A) (B) spielen und deren Eltern sich höhere Platzgebühren nicht leisten können. Norbert Barthle (CDU/CSU): Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion sowie mit einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS. Ziel dieser An- träge ist es, eine Übergangsregelung für die Umsatzbe- steuerung von Sportanlagen zu schaffen. Erfreulich ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns in der Ziel- setzung einig sind. Ich würde mich freuen, wenn es uns gemeinsam gelingen würde, auch einen Weg zur Errei- chung dieses Zieles zu finden. Denn der Anlass der De- batte ist ja eigentlich ein erfreulicher: Seit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai 2001 wird die kommerzi- elle Nutzungsüberlassung von Sportanlagen im vollem Umfang der Umsatzsteuer unterworfen und ersetzt damit die bisherige Aufteilung in steuerfreie Grundstücksver- mietung und steuerpflichtige Vermietung von Betriebs- vorrichtungen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion be- grüßt diese Vereinfachung ausdrücklich, dieses Urteil schafft Klarheit und Rechtssicherheit. Außerdem ist mit dieser einheitlichen Unterwerfung aller Einnahmen unter die Umsatzbesteuerung auch verbunden – das ist der ei- gentliche Grund, weshalb dieses Urteil begrüßt wird –, dass den Vereinen zukünftig bei der Anschaffung oder Herstellung neuer Sportanlagen für die gesamten Kosten in vollem Umfang der Vorsteuerabzug zusteht. Die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes so- wie die Schlussfolgerungen, die vom Bundesfinanzminis- terium und der Finanzverwaltung daraus gezogen werden, haben aber einen großen Pferdefuß. Sie gelten uneinge- schränkt auch für die Betreiber von bereits bestehenden Sportanlagen. Und das bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass für diese Anlagen zwar die unbeschränkte Umsatzsteuerpflicht gilt, andererseits aber nur sehr einge- schränkt von der Möglichkeit des Vorsteuerabzugs Ge- brauch gemacht werden kann. Denn § 15 a des Umsatz- steuergesetzes lässt eben nur einen nachträglichen teilweisen Vorsteuerabzug zu, und dies auch noch zeitlich befristet. Daraus ergeben sich teilweise erhebliche steuer- liche Mehrbelastungen für die betreffenden Betreiber. Auf dieses Problem hat der Freiburger Kreis, eine Ar- beitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine mit 156 Mitgliedervereinen und rund 600 000 Mitgliedern, bereits mehrfach deutlich hingewiesen. Uns liegt auch ein Schreiben des Deutschen Sportbundes vor, der immerhin ein Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung vertritt, in dem ausdrücklich eine gesetzliche Übergangsregelung gefordert wird. Ein Betreiber einer Berliner Freizeitsportanlage legt eindringlich dar, dass durch die neue Regelung sein Un- ternehmen in die Verlustzone gerät. Auch die Spitzenver- bände der so genannten Racket-Sportarten, also Tennis, Squash und Badminton, haben entsprechende Stellung- nahmen abgegeben. Allein in diesem Bereich geht es um rund 7 000 Sportanlagen, in denen rund 160 000 Arbeits- plätze vorgehalten werden und die von über 4,2 Millionen Menschen in ganz Deutschland genutzt werden. 88 Pro- zent dieser Anlagen sind bereits länger als sieben Jahre am Markt, also greift § 15 UStG nicht mehr. Für die Eigentü- mer bzw. Betreiber dieser Sportanlagen entstehen per Saldo Mehrbelastungen in Höhe von durchschnittlich 12 Prozent der derzeitigen Umsätze. Bei größeren Anla- gen führt dies zu sechsstelligen Mindereinnahmen. Ich kann Ihnen gerne ein Beispiel aus meiner Heimat vor- rechnen. Ein gemeinnütziger Sportverein, der im Jahr 1993 eine Zweifeldtennishalle errichtet hat, mit einem Baukostenvolumen von knapp über 2 Millionen DM in- klusive Mehrwertsteuer, muss unter dem Strich mit einer Mehrbelastung von 99 459 DM rechnen. Zum überwie- genden Teil wird diese Halle gemeinnützig für die Ver- einszwecke genutzt. Die Mehrbelastungen kann der Ver- ein nur über eine Erhöhung der entsprechenden Beiträge seiner Mitglieder auffangen, und dabei hat sich für den Verein die Sachlage doch überhaupt nicht geändert. Geän- dert hat sich nur die Rechtsprechung. Das, liebe Kolle- ginnen und Kollegen von Rot-Grün, können Sie den Be- troffenen nicht zumuten wollen. Zumal in den vergangenen Jahren über die Ökosteuer, über das 630 DM-Gesetz sowie das Gesetz zur Scheinselbststän- digkeit schon genügend Belastungen auf die Vereine zu- gekommen sind. Es gibt also – und daran sollte, liebe Kol- leginnen und Kollegen von Rot-Grün kein Zweifel bestehen – einen erheblichen Handlungsdruck. An dieser Stelle kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, leider eine gewisse Kritik nicht ersparen. Denn was ist seit dem BFH-Urteil vom vergan- genen Jahr geschehen? Vor knapp einem halben Jahr ha- ben wir das Thema auf der Grundlage unseres Antrags und eines Antrags der FDP-Koalition schon einmal bera- ten. Dann stand das Thema wieder auf der Tagesordnung des Sportausschusses, wurde aber mit der Begründung vertagt, dass noch Beratungsbedarf bestehe. Und jetzt, in dieser Woche, legt die SPD-Fraktion just genau zu dem Zeitpunkt, zu dem unser Antrag im federführenden Fi- nanzausschuss beraten wird, einen eigenen Antrag vor. Wer allerdings einen Lösungsvorschlag, den großen Wurf, erwartet hatte, der sah sich getäuscht. Denn was steht in dem Antrag? Im Grunde genommen nicht mehr als in unserem Antrag von vor einem halben Jahr, der die Bundesregierung auffordert, eine Übergangslösung zu schaffen. Daraus ergab sich die kuriose Situation, dass wir zwar Ihrem Antrag zugestimmt, Sie aber unseren abge- lehnt haben. Also, um in der Sprache des Fußballs zu re- den, benehmen Sie sich so, wie ein Stürmer, der einem Mitspieler, der den Ball aus der eigenen Hälfte bis vors Tor getrieben hat, noch kurz vor dem Torschuss den Ball abnimmt, um ihn selbst ins Tor schießen zu können. Da- durch erscheint zwar der selbstsüchtige und wenig kame- radschaftliche Stürmer in der Statistik, gelobt wird er aber für diesen Treffer nicht. Bei dem hier anstehenden Problem bin ich mir aller- dings gar nicht so ganz sicher, ob die Regierung den Ball überhaupt im Tor sehen will. Denn in dem Schreiben der zuständigen Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks vom 22. Januar diesen Jahres heißt es klipp und klar, dass die Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder die Möglichkeit einer Übergangsregelung geprüft und letzt- lich verneint haben, und genau zu diesem fordern Sie heute die Bundesregierung mit ihrem Antrag erneut auf. Das ist mit Verlaub schon sehr dürftig. Etwas mehr Sub- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222002 (C) (D) (A) (B) stanz hätte man schon erwarten können. Ein Hinausschie- ben der negativen Wirkungen verbietet sich ebenfalls, so heißt es in dem Schreiben weiter, da eine Rosinenpickerei nicht ernsthaft erwogen werden könne. Das berechtigte Anliegen zahlloser Betreiber von Sportanlagen, und das sind in allererster Linie Vereine, aber auch kommerzielle Betreiber, als Rosinenpickerei zu bezeichnen, halte ich schon für einen absoluten Fehltritt. Es geht doch schlicht und einfach darum, eine steuerliche Mehrbelastung, die die Betroffenen weder selbst verursacht noch vorhersehen konnten, abzumildern. Dabei kann ich zwar verstehen, dass das Bundesfinanzministerium, wenn es um Eingriffe in das Umsatzsteuerrecht geht, sehr zurückhaltend ist. Die Furcht, eine für eine Ausnahmeregelung geöffnete Tür nicht mehr schließen zu können, ist nicht unbegründet. Dennoch müsste es – den Willen dazu vorausgesetzt – möglich sein, eine Ausnahmeregelung zu zimmern, zum Beispiel indem man eine Verrechnungsmöglichkeit für nicht gewährte Vorsteuerbeträge aus Baukosten bei der Versteuerung von Einnahmen vornimmt. Das BFH-Urteil wäre sofort angewandt, die Wirkung wäre befristet und das Anliegen des EuGH gewahrt. Ich fordere deshalb das Bundesfinanzministerium im Namen meiner Fraktion auf, baldmöglichst einen konkreten Vorschlag für eine Übergangsregelung vorzulegen. Warten bis zum ersten Konkurs wäre unverantwortlich. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt in diesem Haus nur sehr selten Gelegenheit, über fraktionsübergreifende Anträge zu sprechen. Heute liegt uns ein solcher Antrag vor. Die Opposition von FDP und PDS ist dem Antrag von Rot-Grün beigetreten, die CDU/CSU hat angekündigt, für unseren Antrag zu stim- men. Durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes vom Mai letzten Jahres ist Rechtssicherheit bei der um- satzsteuerrechtlichen Behandlung von Sportstätten ent- standen. Die Vermietung von Sportanlagen und Betriebs- vorrichtungen ist einheitlich umsatzsteuerpflichtig. Vom Vorsteuerabzugsrecht können jetzt viele Anlagenbetreiber Gebrauch machen. Investitionen in neue Anlagen sowie in die Erweiterung und Modernisierung bestehender Anla- gen werden erleichtert. Das ist die gute Nachricht! Gleichwohl sehen wir noch Prüfbedarf. Das Bundes- finanzministerium wird daher beauftragt, eine Über- gangsregelung zu finden, damit diejenigen Betroffenen, die nicht vom nachträglichen Vorsteuerabzugsrecht profi- tieren, aber nunmehr Umsatzsteuer abführen müssen, keine wirtschaftlichen und steuerlichen Benachteiligun- gen haben. Dies betrifft Betreiber von mehr als zehn Jahre alten Sportanlagen. Als Vertreter meiner Fraktion habe ich im Dezember letzten Jahres für unser Vorgehen geworben: erst die Rückmeldungen aus den Verbänden und dem Sport abwarten, dann die Argumente bewerten und eine ab- schließende Prüfung vornehmen. Heute erscheint sichergestellt, dass dieses Vorgehen nach den Beratungen in den Ausschüssen die Zustim- mung aller Fraktionen des Bundestages erhalten wird. Wir werden uns spätestens im Mai damit beschäftigen, ob es im Einvernehmen mit den Ländern gelungen ist, tatsäch- lich eine praktikable Übergangsregelung auf den Weg zu bringen. Ich werte die vorliegende Aufforderung eng an das Bundesfinanzministerium als weiteren Baustein in unserer vereinsfreundlichen Politik. Dabei ist unsere Ziel- richtung klar: Es soll nach dem Urteil des Bundesfinanz- hofes keine nachteiligen Regelungen für die gemeinnüt- zigen Vereine geben. Der Deutsche Sportbund, DSB, hat in seiner Stellung- nahme zu Bedenken gegeben, dass die gemeinnützigen Vereine „erhebliche finanzielle Konsequenzen“ zu tragen hätten, falls es zu keiner Übergangsregelung kommt. Auf der einen Seite sind die Vereine Nutzer von kom- merziellen Sportanlagen und müssen dafür ein Entgelt entrichten. Nach dem uns bisher vorliegenden Meinungs- bild ist zu erwarten, dass die Belastungen durch die Mehr- wertsteuer auf die Preise überwälzt werden und somit die Sporttreibenden belasten. Es kann nicht im Interesse der Sportpolitik sein, dass eine wegbrechende Nachfrage zu einer Verringerung der sportlichen Aktivitäten von vielen Bürgerinnen und Bürgern – ob vereinsgebunden oder im nichtorganisierten Sport – führt. Auf der anderen Seite sind die Vereine auch kommer- zielle Anbieter von Sporthallen. Gerade Altanlagenbetrei- ber, die nicht vom nachträglichen Vorsteuerabzug profi- tieren können, haben ihre Investitionsentscheidung auf Basis der Rechtsprechung bis zum Mai 2001 getroffen. Daher erscheint es aus meiner Sicht durchaus angebracht, eine Übergangsregelung zu finden, die Zusatzbelastungen weitestgehend vermeidet. Das Sportangebot in Deutschland hat für uns alle einen hohen Stellenwert. Die regelmäßige sportliche Betä- tigung erfüllt soziale Funktionen und dient der Gesund- heitsvorsorge. Wir plädieren alle dafür, Kinder und Ju- gendliche mehr an den Sport heranzuführen. Wir plädieren alle dafür, dass auch die Erwachsenen mehr Sport treiben. Wenn uns dies auch mithilfe einer Über- gangsregelung gelingt, haben wir einen weiteren Schritt in die richtige Richtung getan. Da mir nicht entgangen ist, dass auch der Kollege Kinkel in dieser Frage quantitativ sehr stark engagiert war, möchte ich ihm für seine zukünftige sportliche Betätigung noch sehr viele spannende Tennismatches wünschen. Ich verbinde dies mit der Hoffnung, dass auch er weiterhin vom modernen Sportangebot in Deutschland profitieren kann. Er soll außerdem nicht darüber in Ärger geraten, dass die hoffnungsvollen Nachwuchstalente, die nun wieder verstärkt das Angebot in den Tennishallen nut- zen sollen, ihm nicht die besten Platzzeiten wegnehmen. Ich verbinde unseren Antrag aber auch mit der Hoff- nung und der Erwartung, dass nunmehr die kommerziel- len Hallenbetreiber einmal überlegen, ob nicht den gemeinnützigen Vereinen Rabattregelungen eingeräumt werden können. So könnte man ein ortsfestes Kunden- potenzial binden, dass gerade im Sport eine langfristige Aktivität sucht und im Übrigen bereit ist, für die Aus- übung ihres Sports Gelder zu investieren. Ich erinnere daran, dass im Sportbereich in Deutschland circa Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22003 (C) (D) (A) (B) 30 Milliarden Euro umgesetzt werden. Wir sollten daher auch durch den heutigen Beschluss nicht davon ablenken, dass der Sport bei seiner vielfältigen kommerziellen Aus- prägung weiterhin der Mehrwertsteuerpflicht unterliegen wird und damit einen wichtigen Beitrag für den Staats- haushalt erbringt. Halten wir zum Schluss fest: Die bestehende Rechts- lage ist aufgrund einer Klage eines kommerziellen Anbie- ters zustande gekommen. Sie schafft Gleichheit mit ande- ren Investoren und eröffnet grundsätzlich mit dem möglichen Vorsteuerabzug günstige Ansparmöglichkei- ten. Das heißt: Trotz notwendiger Übergangsregelungen gibt es zukünftig insgesamt Verbesserungen und Innova- tionen für alle. Ich bin überzeugt, dass dies vor allem dem Sport zugute kommt. Klaus Kinkel (FDP): Der Bundesfinanzhof hat vor fast einem Jahr entschieden, dass kommerzielle Sporthal- len künftig voll umsatzsteuerpflichtig sein sollen. Das mag steuersystematisch richtig sein – ich bin der Letzte, der das hier infrage stellen wird. Aber das hat in der Le- benswirklichkeit leider zu ganz konkreten Sorgen und Problemen geführt. Ich freue mich – wir haben es nach reichlichem Hin und Her geschafft: Im Sportausschuss des Deutschen Bundestages und auch im eigentlich federführenden Fi- nanzausschuss ziehen jetzt alle an einem Strang – für eine gute, eine wichtige Sache. Denn betroffen von der Entscheidung des Bundesfi- nanzhofes sind eben auch circa 7 000 Betreiber von Alt- anlagen, die nicht von Vorsteuer- Abzugsmöglichkeiten profitieren konnten und können. Den Betreibern werden zusätzliche Kosten aufgebürdet, die sie auf die Tennis-, Badminton- oder Squash-Spieler umlegen werden, die ihre Hallen benutzen, und damit auch auf die gemeinnüt- zigen Vereine, auf den Schulsport, auf Rentner, Behin- derte, die in ihrer Freizeit Sport betreiben wollen und die sich diese Sportarten bald dann eben nicht mehr leisten können werden. Insgesamt circa 4 Millionen Menschen treiben in solchen Anlagen regelmäßig Sport – diese Hal- len sind eine wichtige Säule des Breitensports in unserem Land. Deshalb unterstützt auch der Deutsche Sportbund das Anliegen der Hallenbetreiber ganz ausdrücklich. Sporthallen sind mittelständische Betriebe – und der Mittelstand wird von der rot-grünen Bundesregierung weiß Gott nicht gerade verwöhnt. Die Betreiber von Alt- anlagen müssen bei Anwendung des Urteils vom Mai letz- ten Jahres mit Wettbewerbsnachteilen gegenüber den Betreibern von Neuanlagen rechnen. Bis zu 160 000 Ar- beitsplätze stehen damit auf dem Spiel. Die Altanlagen- betreiber laufen Sturm – sie fühlen sich benachteiligt, in ihrer Existenz bedroht und es ist berechtigt, dass sie un- sere Hilfe erbitten. Es geht hier um den Breitensport und um den Mittel- stand – zwei zentral wichtige Anliegen für unser Wirt- schafts- und Gesellschaftssystem. Deshalb ist es gut, dass sich die Fraktionen im Sportausschuss des Deutschen Bundestages letztlich zu einem gemeinsamen Antrag durchringen konnten. Die FDP hat im Sportausschuss ge- nauso wie die Union den eigenen Antrag zurückgestellt und sich dem rot-grünen Antrag, der in wirklich allerletz- ter Minute noch vorgelegt worden ist, angeschlossen. Wir mussten die Regierungsfraktionen zwar mal wieder zum Jagen tragen – aber immerhin, es hat gewirkt. Mit dem gemeinsamen Antrag fordern wir die Bundes- regierung jetzt als Parlament auf, eine für alle verträgli- che, pragmatische Übergangsregelung zu finden. Das ist der richtige Ansatz – die Einzelheiten kann, ja muss man der Regierung überlassen. Die Gespräche im Sportaus- schuss haben leider eines ganz deutlich gemacht: Im Bun- desfinanzministerium sieht man die Sache bislang völlig anders, man ist nicht problembewusst, versucht, die be- rechtigten Sorgen der Anlagenbetreiber einfach wegzu- drücken. Ich kann ja verstehen, dass es für die Finanz- behörden schwer ins gewohnte System passt, Gesetz und Rechtsprechung zu akzeptieren und natürlich anzuwen- den und trotzdem einmal in einem konkreten Einzelfall nach Wegen zu suchen, für eine Reihe von Fällen Über- gangslösungen zu finden, die der Lebenswirklichkeit ge- rechter werden. Aber das muss eben manchmal sein! Die FDP hat beim gemeinsamen Antrag ganz bewusst darauf bestanden, der Bundesregierung eine klare, eng be- messene Frist zu setzen. Bis Mai 2002 muss geliefert werden. Wenn das nicht geschieht, werden wir unseren ei- genen Antrag wieder aus der Tasche ziehen. Aussitzen gilt nicht – die Sache muss vom Tisch, die Anlagenbetreiber und die unzähligen Breitensportler in unserem Land ver- langen zu Recht eine Lösung. Heidemarie Ehlert (PDS): Es grenzt schon an ein Wunder, wie schnell man sich auf sachliche Positionen verständigen kann. Ich wünschte, es wäre öfter so. Die Umsatzbesteuerung von Sportanlagen beschäftigt uns noch immer. Die Koalitionsparteien, die FDP und die PDS haben sich nun auf einen gemeinsamen Antrag ver- ständigt, der die große Anzahl inzwischen eingegangener Briefe und Stellungnahmen berücksichtigt. Wie auch von der CDU/CSU gefordert, wird nach Übergangsmaßnah- men gesucht. Aber ein Antrag, der sowohl von der PDS als auch von der CDU/CSU mitgetragen wird, käme selbst zu so einem nun nicht unbedingt die Welt bewegenden Thema einem Tabubruch gleich. Außerdem naht ja der Wahlkampf. Es ist notwendig, dass gemeinsam mit den Betroffenen nach entsprechenden Übergangslösungen gesucht wird: Dabei sollte das grundsätzliche Anliegen des Bundesfi- nanzhofes gewahrt bleiben. Deshalb hatten wir auch eine Anhörung der Betroffenen beantragt. Wie bei allen um- satzsteuerlichen Problemen ist zu beachten, dass die Not- wendigkeit, Umsatzsteuer auf Lieferungen und Leistun- gen zu erheben, auch mit einer gewissen positiven Seite verknüpft ist. Denn nun ist Vorsteuerabzug möglich. In- sofern ist die veränderte Rechtsprechung nicht nur nega- tiv zu sehen. Außerdem, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion: Gestern haben wir im Finanzaus- schuss über den Abbau der Bürokratie für kleine und mit- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222004 (C) (D) (A) (B) telständische Betriebe debattiert. Hier sind wir mitten drin: Die neue Rechtsprechung führt zu einer Vereinfa- chung und Vereinheitlichung, da nicht mehr zwischen steuerfreier Grundstücksvermietung und steuerpflichtiger Vermietung von Betriebsvorrichtungen unterschieden wird. Aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer handelte es sich sowieso um eine einheitliche Leistung. Die Er- mittlung der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrenze wird wesentlich einfacher und die komplizierte Aufteilung der Vorsteuerabzüge entfällt. Entgegen den bisherigen Regelungen ist nun sowohl bei den Kosten für die Errichtung diverser Sportanlagen als auch bei den Kosten der Unterhaltung der volle Vor- steuerabzug möglich. Diese positiven Seiten für die Be- treiber möchte ich noch einmal betonen. Für Übergangslösungen haben wir uns bereits im De- zember ausgesprochen, aber nach wie vor fehlen genauere Zahlen. Diese werden uns ja hoffentlich Ende Mai vorlie- gen. Das Parlament sollte vor einer Entscheidung auch die finanziellen Auswirkungen kennen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre (Tagesord- nungspunkt 14) Dirk Manzewski (SPD):Am heutigen Tag debattieren wir hier über den Gesetzesentwurf der FDP zum verbes- serten Schutz der Intimsphäre. Das Grundanliegen des Gesetzesentwurfs wird dabei von uns geteilt, hat sich in der Vergangenheit doch immer häufiger gezeigt, dass hier offensichtlich eine Gesetzeslücke im Strafgesetzbuch vorliegt. Zwar ist im Bereich des Persönlichkeitsrechts im Straf- gesetzbuch bereits viel geregelt. So ist zum Beispiel die Verletzung des Briefgeheimnisses und das unbefugte Ausspähen von Daten ebenso unter Strafe gestellt wie die Verletzung von Privatgeheimnissen und die heimliche Aufnahme des nicht öffentlich gesprochenen Wortes und dessen Veröffentlichung. Es existiert aber nichts Vergleichbares, das die Men- schen wirksam vor dem unbefugten Aufnehmen von Bil- dern und deren Veröffentlichung schützt. Diese Lücke wird auch nicht durch § 33 Kunsturhebergesetz geschlos- sen, der die Verletzung des Rechtes am eigenen Bild un- ter Strafe stellt, dies aber nicht etwa, weil die Vorschrift veraltet wäre, sondern weil sie in diesem Bereich über- haupt nicht greifen soll. Diese Vorschrift schützt nämlich vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Betroffenen und soll bei Vorliegen eines Missbrauchs ihre Ansprüche sichern. Die Vorschrift sollte also nie den Schutz des Per- sönlichkeitsrechts im Zusammenhang mit Eingriffen in die Privatsphäre gewährleisten. Allein das Zivilrecht gibt den Betroffenen bislang die Möglichkeit, sich gegen ein solches Verhalten zu wehren. Aber in diesen Fällen geht es allein um Beseitigung, Un- terlassen, Schadensersatz oder Schmerzensgeld. Dies hat uns ja zum Beispiel der Fall von Caroline von Monaco gezeigt, der ein hohes Schmerzensgeld für die Veröffent- lichung von Fotos zugesprochen wurde, die einen Eingriff in die Privatsphäre darstellten. Hier zeigt sich die Tendenz der Gerichte, den so genannten Paparazzi zu zeigen, dass ein Eingriff in die Privatsphäre durch die Veröffentli- chung von privaten Fotos nicht akzeptabel ist. Aber nicht nur diese medienwirksamen Fälle geben Anlass, in diesem Bereich tätig zu werden. Gerade ange- sichts der technischen Entwicklungen in der Videotechnik und dem Internet, die es möglich macht, Bilder von Men- schen unbemerkt aufzunehmen und weltweit zu verbrei- ten, muss der Schutz für alle Bürger auch durch die Androhung von Strafen noch verstärkt werden. Extrem kleine Kameras, sehr weit reichende Teleobjektive und andere Geräte haben dem Eingriff in die Privatsphäre Tür und Tor geöffnet. Dass hierdurch eine immer größere Be- drohung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs aller Bürger vorliegt, ist nicht von der Hand zu weisen. Sosehr die neuen Technologien einerseits dem Bürger den Alltag erleichtern helfen, so sehr verunsichern sie ihn andererseits, insbesondere weil er in der Regel die wah- ren Potenziale und Probleme, die hierin liegen, allenfalls erahnt. Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist nicht zu- letzt dadurch verstärkt worden, dass in der letzten Zeit in den Medien immer wieder von Fällen berichtet wurde, in denen gegen das Persönlichkeitsrecht in nahezu scham- loser Weise verstoßen wurde. Insbesondere heimliche Duschaufnahmen oder Aufnahmen aus anderen persönli- chen Bereichen, die vor allem im Internet übertragen wur- den und bei denen die Betroffenen weder von der Auf- nahme noch deren Verbreitung etwas ahnten, machen die Problematik hier besonders deutlich. Ein solches Verhalten kann man nur als besonders per- fide bezeichnen. Gerade das Internet eröffnet die Mög- lichkeit der kurzfristig weltweiten Verbreitung. In der Re- gel bekommen die Betroffenen hiervon noch nicht einmal etwas mit. Nur durch Zufall erfahren sie hiervon. Das Ent- setzen der Betroffenen können wir uns hier nur vorstellen. Dies darf nicht hingenommen werden. Unsere Bürger ha- ben einen Anspruch darauf, hiervor geschützt zu werden. Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat in seinem letzten Tätigkeitsbericht festgestellt, dass es in diesem Zusammenhang immer öfter zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte von Bürgern gekommen ist. Ich teile daher die Einschätzung des Bundesbeauftragten, dass dies einer gesetzlichen Regelung bedarf. Die unter- schiedliche Behandlung von heimlichen Tonbandaufnah- men und heimlichen Bildaufnahmen ist nicht nachzuvoll- ziehen. Das sieht im Übrigen auch die Bundesregierung so. Auf eine Anfrage des Kollegen van Essen hat Staats- sekretär Professor Dr. Pick mitgeteilt, das im Bundesmi- nisterium der Justiz derzeit eine Vorschrift vorbereitet wird, wonach unbefugte Bildaufnahmen und die unbe- fugte Beobachtung mit einem technischen Gerät mit Strafe bedroht werden sollen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22005 (C) (D) (A) (B) Das Bundesjustizministerium will dies gemeinsam mit anderen Änderungen in einen Gesetzesentwurf zur weite- ren Bearbeitung des besonderen Teils des Strafgesetzbu- ches aufnehmen. Ich halte dies nur für vernünftig. Bereits in der Vergangenheit hat sich hin und wieder gezeigt, dass Bereiche des besonderen Teils des Strafgesetzbuches re- formbedürftig sind. Deswegen erscheint es mir auch nur sinnvoll, dies in einem Gesamtpaket vorzunehmen, dies vor allem unter Berücksichtigung dessen, dass Straftatbe- stände häufig ineinander übergehen. Das Herauslösen und Vorziehen einzelner Vorschriften könnte insoweit im Nachhinein zu zahlreichen Problemen führen. Das kann niemand ernsthaft wollen. Da die Kolleginnen und Kollegen der FDP diesen Ein- zelpunkt jedoch schon vorab herausgegriffen haben, wer- den wir ihn nun auch diskutieren. Vielleicht lassen sich auf diesem Weg schon einige Dinge klären, die den spä- teren Ablauf erleichtern können. Wir werden uns in diesem Zusammenhang auch da- rüber unterhalten müssen, ob dem Vorschlag der FDP zu folgen ist, hier einen Qualifikationstatbestand für Amts- träger zu schaffen. Dies ist mir offen gestanden noch nicht so ganz einsichtig. Aber vielleicht wird die anstehende Diskussion über das Gesetzesvorhaben meine Zweifel ausräumen. Solche habe ich im Übrigen auch, soweit be- reits der Versuch des Delikts unter Strafe gestellt werden soll, dies insbesondere deshalb, weil ich in der Praxis er- hebliche Beweisschwierigkeiten sehe. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Lösungen hän- gen nicht allein von neuen Gesetzen und Regelungen ab. Zu Recht verweist der Bundesdatenschutzbeauftragte da- rauf, dass vielmehr das Verständnis für die Notwendigkeit des Respekts vor dem Persönlichkeitsrecht aller Men- schen in Verbindung mit entsprechenden technischen und organisatorischen Maßnahmen in den Köpfen aller wach- sen muss, die mit personenbezogenen Daten umgehen wollen und müssen. Ich kann mich den Ausführungen des Bundesbeauf- tragten für Datenschutz nur anschließen. Bezogen auf die Darstellung von Aufnahmen aus dem privaten Bereich, seien es nun Fotos in der so genannten Yellowpress oder auch im Internet, und unabhängig davon, ob bekannte Persönlichkeiten oder der normale Bürger abgebildet wer- den, sollten wir alle nicht nur auf die – unbestritten erfor- derliche Einführung eines neuen Straftatbestandes – ach- ten. Auch die offensichtlich vorliegende Nachfrage nach diesen Bildern ist eben ein nicht unwesentlicher Faktor. Es ist wichtig, dass sich auch jeder Leser oder Internet- nutzer bewusst wird, dass solche Darstellungen ein Ein- griff in die Privatsphäre sind. Gelegentlich verringert sich ja das Angebot auch durch die „fehlende“ Nachfrage. Dies sollten wir bei den anstehenden Beratungen auch nicht unberücksichtigt lassen. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzesentwurf zum verbesserten Schutz der Intimsphäre ist vom Grundsatz her nur eine Er- gänzung der § 201 ff. StGB, die die Verletzung der Ver- traulichkeit des Wortes, die Verletzung des Briefgeheim- nisses, das unbefugte Ausstellen von Daten sowie die Verletzung von Privatgeheimnissen unter Strafe stellen. Obwohl bereits in den 60er-Jahren, beim Alternativent- wurf eines Strafgesetzbuches in § 146 Abs. 2 und Abs. 3 StGB vorgesehen war, unerlaubte Bildaufnahmen etc. un- ter straflichen Schutz zu stellen, hat man diese Lücke – aus welchen Gründen auch immer – nicht geschlossen – vielleicht auch, weil es eine nicht ganz einfache Grenz- ziehung zwischen der zumutbaren, heimlichen Aufnahme und der unzumutbaren Verletzung der Privat- und Intim- sphäre gibt. Eindeutig sind die Fälle, wenn heimlich in der Wohnung, der Sauna oder der Pension „Immer Treu“ ge- filmt oder fotografiert wird. Hier kann man davon ausge- hen, dass der Betroffene nicht fotografiert oder gefilmt werden will, weil er sich in einer Situation befindet, die für ihn höchst privat und intim ist. Es ist richtig ausgeführt, dass die Unersetzlichkeit des persönlichen Lebens- und Geheimbereiches ein selbst- ständiges, hochrangiges Rechtsgut ist, welches eines be- sonderen Schutzes bedarf. Wie ist das aber, um ein Bei- spiel der letzten Wochen zu bringen, wenn eine bekannte Filmschauspielerin das Bild ihres Ehemannes mit einem jungen Mädchen in einer Boulevardzeitung erblickt, das irgendwo im Grünen aufgenommen wurde, und man ver- muten kann, dass es von einem Fotografen, der dazu nicht die Genehmigung des Pärchens hatte, aufgenommen wurde. Der Gesetzesentwurf bringt in seiner Begründung hier keine klare Antwort, wenn er ausführt: „Demnach ist die Intimsphäre, im Sinne dieses Gesetzesentwurfes, der letzte unantastbare Kernbereich privater Lebensgestal- tung. Insoweit findet es auch Berücksichtigung, inwie- weit ein Wille des Betroffenen besteht, den beobachteten Lebenssachverhalt geheim halten zu wollen. Schließlich muss der beobachtete Sachverhalt höchstpersönlichen Charakter haben und es ist zu berücksichtigen, in wel- chem Umfang er die Sphäre anderer Personen oder der Gemeinschaft berührt.“ Ist von der Intimsphäre das „Tête- à-Tête“ im Restaurant gedeckt und wann überwiegt das überragende öffentliche Interesse die Intimsphäre des Einzelnen? Hier sollten wir in der Beratung gegebenen- falls das eine oder andere diskutieren und im Gesetzes- entwurf schärfen oder in der Begründung als Ergebnis mit aufnehmen. Dies gilt auch für die Bagatellklausel Abs. 3 Satz 1, die unter Umständen den Betroffenen die Beweis- last auferlegt, dass berechtigte Interessen verletzt wurden. Wir werden vom Grundsatz her diesen Gesetzesentwurf unterstützen. Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat in seinem Tätigkeits- bericht darauf hingewiesen: Wer sich bewusst der Öffent- lichkeit entzieht, muss und soll sich auch darauf verlassen können, dass von ihm ohne Einwilligung keine Aufnah- men gemacht bzw. diese nicht in der Öffentlichkeit ver- breitet werden. Es geht hier ja nicht nur um Prominente und ihren Schutz vor Paparazzis – ganz und gar nicht. Es war ja rich- tig, was das Bundesverfassungsgericht 1999 in seiner legendären Caroline-von-Monaco-Entscheidung klarge- stellt hat: Karlsruhe hat eine Beschränkung der Veröffent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222006 (C) (D) (A) (B) lichkeitsbefugnis auf solche Bilder abgelehnt, die Perso- nen von zeitgeschichtlicher Bedeutung ausschließlich bei der Ausübung ihrer Funktion zeigen. Es hat damit die Pressefreiheit gestärkt und im Übrigen auch an einer guten Tradition der Rechtsprechung angeknüpft. 1920 hatte ein Gericht die illustre Abbildung der Herren Ebert und Noske – seinerzeit Reichspräsident und Reichswehr- minister – in Badehosen am Ostseestrand für zulässig er- achtet; denn die Öffentlichkeit habe „ein Anrecht zu er- fahren, wann und wie sie sich in der Öffentlichkeit zeigen, auch am Badestrand“. Bei der vom Datenschutzbeauftragten angesprochenen Thematik geht es aber nicht um Prominente in der Öf- fentlichkeit, sondern zum Beispiel um den verlassenen Liebhaber, der aus Rache die Nacktfotos der früheren Ge- liebten für jedermann zugänglich ins Internet stellt. Bei Konstellationen wie dieser müssen wir prüfen: Reicht die gegenwärtige Rechtslage aus, um den Betroffenen zivil- rechtlich angemessenen Schadensersatz zu gewährleis- ten, oder brauchen wir darüber hinaus noch eine aus- drückliche Missbilligung im Strafgesetzbuch mit allen Konsequenzen, die das künftig für jeden, der nur einen Fotoapparat um den Hals hängen hat, eventuell mit sich bringen kann? Und warum reicht die bereits bestehende Strafvorschrift des § 33 in Verbindung mit § 22 des Kunsturhebergesetzes nicht aus? Die FDP schwingt sich heute mit ihrem Antrag zur Par- tei auf, der plötzlich die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ganz besonders am Herzen liegt. Wie rührend! Ich hätte mir gewünscht, dieselben „Liberalen“ hätten sich, als sie noch in der Regierung waren, mit einem ähnlichen Engagement auch für das Grundrecht auf Unverletzlich- keit der Wohnung eingesetzt. Dann wäre uns der große Lauschangriff erspart geblieben. Auch da ging es um „Schutz der Privatsphäre“. In keinem Land wird so viel abgehört wie in Deutschland – dieser Umstand trägt auch ganz maßgeblich die Handschrift der FDP. Deshalb ist das, was Sie uns heute hier präsentieren, zwar in der Sa- che sicher diskutabel, doch aus ihrem Munde, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, äußerst unglaub- würdig. Einen neuen Straftatbestand bricht man nicht real eben übers Knie. Strafrecht ist immer Ultima Ratio, erst recht in einem Bereich, wo es den Betroffenen doch eher um – finanzielle – Wiedergutmachung und Genugtuung in Form von Schmerzensgeld geht. Vor diesem Hintergrund prüft die Koalition sehr genau, ob ein zusätzlicher § 201 a Strafgesetzbuch überhaupt notwendig ist. Im Übrigen nehmen wir hier auch die jüngsten Stimmen aus der Rechtswissenschaft ernst; denn da gibt es erhebliche Zweifel, ob ein derart weiter Straftatbestand, der eine Vielzahl von Alltagssituationen erfasst, deren Strafwür- digkeit durchaus infrage gestellt werden kann, in der Pra- xis überhaupt handhabbar wäre. Was wir sicher nicht brauchen, sind rechtspolitische Diskussionen von vorgestern. Da wurde einmal die Schaf- fung eines allgemeinen „Indiskretionsdeliktes“ gefordert. Man hat dies aber zu Recht unter Hinweis auf das Be- stimmtheitsgebot bei Strafgesetzen abgelehnt. Jörg van Essen (FPD):Die FDP legt heute einen Ge- setzentwurf vor, mit dem wir eine seit langem bestehende Strafbarkeitslücke schließen wollen. Unser Strafrecht sieht eine Strafbarkeit für die Verletzung der Vertraulich- keit des Wortes, für die Verletzung des Briefgeheimnisses, das unbefugte Ausspähen von Daten sowie die Verletzung von Privatgeheimnissen vor. Der höchstpersönliche Le- bensbereich ist dagegen vor unbefugten Bildaufnahmen und optischer Beobachtung bisher nicht geschützt. Wir schlagen daher die Einfügung eines neuen § 201 a in das StGB vor, der die Strafbarkeit bei Verletzung der In- timsphäre durch eine unbefugte Aufnahme auf einem Bildträger vorsieht. Dadurch soll der bislang bestehende Wertungswiderspruch aufgelöst werden: Wer andere Per- sonen heimlich abhört, macht sich strafbar, wer sie dane- ben noch auf Bildträger aufnimmt, bleibt deswegen straf- frei. Die Erstellung von heimlichen Bildaufnahmen stellt mindestens einen ebenso tiefen Eingriff in elementare Persönlichkeitsrechte dar wie die heimliche Tonbandauf- nahme. Diese Ungleichbehandlung ist nicht begründbar und muss aufgehoben werden. Der Bundesdatenschutz- beauftragte hat in der Vergangenheit oft auf diese Straf- barkeitslücke hingewiesen. In einer ersten Stellungnahme hat er daher unsere Initiative begrüßt. Mit unserem Gesetzentwurf erreichen wir einen lückenlosen strafrechtlichen Schutz im Bereich der Ver- letzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs. Durch immer neue technische Entwicklungen besteht heute die Möglichkeit der Verkleinerung von Bildaufnah- megeräten und die Möglichkeit, auf große Entfernungen detaillierte Aufnahmen vorzunehmen. Die Intimsphäre wird daher aufgrund derartiger Entwicklungen heute weitaus häufiger verletzt als noch vor einigen Jahren. Wir haben uns beim Wortlaut für den Schutz der In- timsphäre entschieden. Das Bundesverfassungsgericht benutzt diesen Begriff im Zusammenhang mit der Fort- entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Intimsphäre ist der letzte unantastbare Kernbereich priva- ter Lebensgestaltung. Wir wollen damit deutlich machen, dass ausdrücklich nur dieser enge Bereich des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit höchstpersönli- chem Charakter strafrechtlichen Schutz genießen soll. Die Bagatellklausel des Abs. 3 soll den Anwendungsbe- reich des neuen § 201 a auf strafwürdige Fälle beschrän- ken. Die Bundesregierung teilt unsere Rechtsauffassung. Bereits im Mai letzten Jahres hat mir Staatssekretär Pro- fessor Dr. Pick auf meine schriftliche Frage an die Bun- desregierung mitgeteilt, dass das Bundesjustizministe- rium eine solche Strafvorschrift vorbereitet. Bisher hat die Bundesregierung leider keine entsprechende Initiative vorgelegt. Unserer Kenntnis nach plant die Bundesregie- rung zurzeit eine fast wortgleiche Initiative. Ich fordere die Regierungsfraktionen auf, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Blockieren Sie nicht wieder die Beratun- gen mit dem Argument, die Regierung plane eine identi- sche Initiative. Unsere Initiative liegt bereits vor. Der Sachverhalt ist entscheidungsreif. Folgen Sie der Ver- nunft und Ihren eigenen Argumenten und stimmen Sie un- serer Initiative zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22007 (C) (D) (A) (B) Petra Pau (PDS): Mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf zum verbesserten Schutz der Intimsphäre macht die Fraktion der FDP, das heißt ein Teil der konservativen Op- position, wieder einmal die Hausaufgaben für die Bun- desregierung bzw. die rot-grüne Koalition. Der technische Fortschritt, der Einzug des Internets in den Alltag und die Tatsache, dass immer besser ent- wickelte Bildaufnahmegeräte inzwischen in fast jedem Privathaushalt vorhanden sind, führen dazu, dass Bild- aufnahmen innerhalb kürzester Zeit weit verbreitet wer- den können. Dies können auch Bildaufnahmen von Per- sonen sein, die gar nicht wissen, dass sie aufgenommen wurden, und von denen das Bild dann in unterschiedlichs- ten Medien verbreitet wird. Bisher hat das Strafgesetz- buch darauf verzichtet, das unbefugte Aufnehmen des Bil- des von Menschen und die Veröffentlichung solcher Aufnahmen unter Strafe zu stellen. Sinn von strafrechtli- chen Regelungen im Bereich der Verletzung des persönli- chen Lebens- und Geheimbereiches ist es, die für den Bür- ger in einer freiheitlichen Demokratie bestehende Notwendigkeit eines effektiven Schutzes sicherzustellen. Die Unverletzlichkeit des persönlichen Lebens- und Geheimbereiches ist ein selbstständiges, hochrangiges Rechtsgut, welches eines besonderen Schutzes bedarf. Denn nur dann kann der Einzelne sich verantwortungsvoll in der Gesellschaft bewegen und fühlt sich außerdem ge- schützt. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat in sei- nen Tätigkeitsberichten 1999 und 2000 diese Problematik ebenfalls angesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass hier eine Strafbarkeitslücke entsteht. So werden im- mer wieder Fotos von Personen im Internet ver- öffentlicht, welche überhaupt nicht wissen, dass sie auf- genommen wurden, und die keinen Einfluss darauf haben, in welchen Zusammenhang ihr Bild gebracht wird. Hier ist also schneller Handlungsbedarf noch in dieser Legis- laturperiode gegeben. Deshalb hoffe ich auf eine sachli- che Prüfung der Gesetzesvorlage der FDP im Ausschuss. Vielleicht kann ja die Regierungskoalition über ihren Schatten springen und diese Vorarbeit der FDP für sich in Anspruch nehmen, indem sie einmal zustimmt. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung derAnträge: Ratifizierung des Sta- tuts des Internationalen Strafgerichtshofes (Ta- gesordnungspunkt 16 und Zusatztagesordnungs- punkt 7) Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Die Errich- tung des Internationalen Strafgerichtshofes rückt immer näher. Der Ratifikationsprozess schreitet in erfreulicher Weise rasch voran. Zurzeit fehlen nur noch acht Ratifika- tionsurkunden, um das Römische Statut in Kraft treten zu lassen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die die Poli- tik der Bundesregierung und der überwiegenden Mehrheit des deutschen Parlaments bestätigt. Ihr Ziel ist es, den Strafgerichtshof so schnell wie möglich einzurichten, um schwerste Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen ge- gen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen endlich der Straflosigkeit zu entziehen. Die Terroranschläge vom 11. September können uns in unseren Anstrengungen nur bestärken. Sie stellen – wie der Sicherheitsrat in seiner Resolution festgestellt hat – eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar und können als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden. Die rechtlichen Fragen, die über das Statut hinaus noch zu regeln waren – wie zum Beispiel die Erarbeitung von Verfahrensregeln, die Klärung von Immunitätsfragen und von Finanzfragen –, sind mittlerweile weitgehend geklärt. Die Niederlande haben deshalb konkrete Schritte unter- nommen, ein Gerichtsgebäude für die vorübergehende Unterbringung der neuen Institution herzurichten. Sie ha- ben eine Kommission eingerichtet, die sich um die Be- lange des Aufbaus des Gerichts kümmert. Wenn alles so weiterläuft wie bisher, kann der Gerichtshof im nächsten Jahr bereits arbeitsfähig sein. Die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes ist ein wesentlicher Beitrag zur weiteren Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Dahinter steht nach meiner Auffassung ein durchaus historisches Projekt, nämlich der Versuch, die souveränen Staaten mehr und mehr aus dem – wie es die politischen Philosophen ge- nannt haben – Naturzustand, in dem das Recht des Stär- keren herrscht, in einen Rechtszustand, in dem die Stärke des Rechts regiert, zu überführen. Die beabsichtigte präventive Wirkung des Strafgerichtshofes zielt darauf ab, bei potenziellen Tätern eine Abschreckungswirkung herbeizuführen. Indem wir die Herrschaft des Rechts aus- bauen, schaffen wir gleichzeitig eine Grundbedingung für den weltweiten Frieden; denn eine weltweite Friedens- ordnung, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen zu- grunde gelegt wird, ist ohne globale Rechtsordnung nicht denkbar. Wir wissen alle, dass dies einfacher gesagt als getan ist. Es ist schon schwierig genug, über historische Erfahrun- gen und kulturelle Unterschiede hinaus zu gemeinsamen Rechtsvorstellungen zu kommen. Es ist aber noch schwie- riger, herkömmliche Souveränitätsvorstellungen zu über- winden, um diese gemeinsamen Rechtsvorstellungen auch realisieren zu können. Einige Länder wollten deshalb einen eher schwachen und nur symbolischen Strafgerichtshof. Demgegenüber haben sich die gerichtshoffreundlichen Staaten durchset- zen können. Beim Vorliegen schwerwiegender Straftaten sollten die Landesgrenzen nicht länger mit den Rechts- grenzen zusammenfallen und eine Garantie für Straf- losigkeit geben. Bei Kriegsverbrechen oder Völkermord werden vitale Interessen der Völkergemeinschaft berührt, die höher anzusetzen sind als die Interessen eines einzel- nen Landes. Juristen sprechen hier vom so genannten Weltrechtsprinzip. Demzufolge können Straftaten auch von Ländern verfolgt werden, die von der Straftat unmit- telbar nicht berührt wurden. Der Staat handelt dabei im Interesse aller zivilisierten Staaten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222008 (C) (D) (A) (B) Das von der Bundesjustizministerin eingebrachte Völ- kerstrafgesetzbuch verhilft dem internationalen Recht noch stärker im nationalen zur Geltung. Ausländische Straftäter können nun auch im Inland vor Gericht gestellt werden, während wir mit der Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen haben, dass deutsche Staatsbürger an internationale Straf- gerichtshöfe überstellt werden können, sofern sie schwers- ter Straftaten beschuldigt werden. Mit dem Völkerstrafgesetzbuch wird das Statut für den Internationalen Strafgerichtshof gewissermaßen in deutsches Recht übersetzt. Zwar hat das deutsche Straf- gesetzbuch auch vorher bereits die Strafvorschriften des Römischen Statuts erfasst; sie sind jedoch jetzt im Völ- kerstrafgesetzbuch übersichtlicher und systematischer er- fasst. Das Bundesjustizministerium hat damit die beson- dere Bedeutung des Völkerstrafrechts herausstellen wollen. Aus Gründen der Kapazität, aber auch aus Grün- den des Komplementaritätsprinzips für den Internationa- len Strafgerichtshof wird es künftig nötig und möglich sein, dass deutsche Gerichte bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid einen Beitrag zur Verfolgung leisten und das internationale Gericht entlasten. Zur Euphorie besteht jedoch kein Anlass bei der Im- plementierung des internationalen Rechts. Man muss sich Klarheit darüber verschaffen, dass der Internationale Strafgerichtshof auf systematische Weise auf die Zusam- menarbeit mit anderen Staaten angewiesen ist. Zum einen ist er abhängig von denjenigen Staaten, die das Statut ra- tifiziert haben. Anders als bei den Strafgerichtshöfen für Ex-Jugoslawien und Ruanda wurde hier kein Top-down- Ansatz gewählt und eine Einrichtung vom Sicherheitsrat verfügt, sondern umgekehrt ein Bottom-up-Ansatz auf den Weg gebracht und um die freie Zustimmung jedes ein- zelnen Staates gebeten. Diejenigen Staaten, die dem In- ternationalen Strafgerichtshof nicht beitreten, können auch nicht seiner Jurisdiktion unterliegen. Damit bleibt der Rechtskreis der Strafverfolgung von vornherein ein- geschränkt. Zum anderen verfügt die neue Institution nicht über eine eigene Polizei. Damit ist sie auf die Unterstützung der Vertragsstaaten bei Verhaftungen und Überstellungen verdächtiger Personen angewiesen. Hier ist die Situation nicht viel anders als bei den Tribunalen für Ex-Jugosla- wien und Ruanda. Damit sind nicht nur praktische politi- sche Probleme verbunden, sondern auch Legitimations- schwierigkeiten der neuen Institution, sofern in bestimmten Fällen Tatverdächtige durch die ausbleibende Hilfe bestimmter Staaten nicht ihrer Bestimmung zuge- führt werden. Karadzic und Bladic aus Bosnien-Herzego- wina sind leider immer noch abschreckende Beispiele. Was uns heute besonders beschäftigen muss, ist die Haltung der USA zum Strafgerichtshof. Die Bedenken, die die Amerikaner vorbringen, sind ernst zu nehmen, aber letzten Endes nicht überzeugend. Die Furcht, dass Ankläger aus politischen Gründen amerikanische Solda- ten vor internationale Gerichte zitieren, scheint mir über- trieben zu sein. Zum einen hat die amerikanische Justiz die Möglichkeit und die Pflicht, schwere Vergehen, wie sie im Statut als Straftatbestände beschrieben sind, selber zu verfolgen: Das sichert der Grundsatz der Komplemen- tarität. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass der be- troffene Staat gegen die Entscheidung der Ermittlungs- kammer des Gerichtshofes, ein Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen, Einspruch einlegt. Erst wenn diese Berufungskammer den Einspruch zurückweist, hat der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofes die Mög- lichkeit, seine Ermittlungen weiterzuführen. Die nationale Justiz der USA hat also ausreichende Möglichkeiten, dem internationalen Recht Geltung zu verschaffen: Die ablehnende Haltung der USA irritiert umso mehr, als sie sich ja nicht nur gegen den Strafge- richtshof richtet, sondern sich gegen ihre eigene Völker- rechtstradition wendet. Der Strafgerichtshof dient un- zweifelhaft dem Schutz der Menschenrechte, indem er durch präventive und/oder abschreckende Wirkung schwerste Straftaten zu verhindern sucht bzw. diejenigen zur Verantwortung zieht, die sie begangen haben. Die USA sind in der Gefahr, von anderen die Einhal- tung von Menschenrechten zu verlangen, sich selber aber diesen Maßstäben nicht zu unterwerfen. Es geht hierbei nicht nur um die neue Institution des Strafgerichtshofes. Als eine Expertenkommission im vergangenen Jahr auf der Grundlage des Zivilpaktes US-Gefängnisse inspi- zierte, um festzustellen, ob die vertraglichen Vereinba- rungen eingehalten werden, protestierte Jessie Helmes da- gegen und disqualifizierte diese Besuche als Verstoß gegen die amerikanische Souveränität. Genau dies ist das Denken, dem wir heftig widersprechen müssen. Gemein- same Werte und gemeinsames Recht, vor allem die Men- schenrechte sind unteilbar. Und sie schließen ein, dass in- ternationale Institutionen die Kontrolle ihrer Einhaltung – soweit sie vertraglich vereinbart ist – durchführen kön- nen. Der vorliegende Antrag ist eine klare Antwort des Deutschen Bundestages auf das von Helmes inspirierte Gesetz zum Schutz amerikanischer Streitkräfte. Wir hal- ten es für eine verfehlte Politik, wenn sich die USA nicht am Strafgerichtshof beteiligen. Wir halten es für noch ver- fehlter, wenn sie aktiv versuchen, das Zustandekommen dieser neuen Rechtsinstitution zu hintertreiben. Dem Ver- such, Drittstaaten, die nicht der NATO oder dem engeren Freundeskreis der USA angehören, durch Entzug der Mi- litärhilfen und anderer Mittel unter Druck zu setzen, müs- sen wir klar und deutlich widersprechen. Der Antrag ist bewusst moderat formuliert. Deutsch- land, Europa und die gleichgesinnten Staaten sind jeder- zeit bereit, mit der Regierung der USA über Modalitäten des Strafgerichtshofes zu sprechen, sofern die Substanz, die bisher erarbeitet wurde, nicht infrage gestellt wird. Gerade die Terroranschläge, unter denen die USA beson- ders gelitten haben, machen deutlich, wie dringend der Strafgerichtshof benötigt wird. Die Diskussion über den Status der Gefangenen aus Afghanistan, die auf Guan- tanamo untergebracht sind, zeigt, dass die USAauf einem problematischen Weg sind, wenn sie selber entscheiden, welche Rechte ihre Feinde haben. Es ist gut und richtig, dass die Bundesregierung ver- sucht hat, die US-Regierung von einem Besseren zu über- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22009 (C) (D) (A) (B) zeugen. Das gilt auch für den Strafgerichtshof. Wir halten an der Absicht fest, diesen Strafgerichtshof so bald wie möglich einzurichten und arbeitsfähig zu machen. Wir werden aber auch nicht nachlassen, unsere amerikani- schen Freunde davon zu überzeugen, dass der Internatio- nale Strafgerichtshof ein Gewinn für die Wertegemein- schaft ist, auf die wir uns bisher immer gemeinsam im transatlantischen Schulterschluss haben berufen können. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Die Rede des Generalsekretärs der Vereinten Nationen am heutigen Morgen in diesem Hohen Hause hat den richtigen Takt für diesen Tagesordnungspunkt gesetzt. Wir sind uns in die- sem Hause einig, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag baldmöglichst seine Arbeit aufnehmen soll und deswegen im Sinne einer starken globalen Wirkung dieses Strafgerichtshofes eine hohe Zahl von Staaten zu wünschen, die das Statut des IStGH ratifizieren. Deutsch- land war bei den ersten Staaten, die ratifiziert hatten, da- bei. Der von der Bundesregierung in das Gesetzgebungs- verfahren eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches ist grundsätzlich zu begrüßen und wird in seinem Ansatz von unserer Frak- tion mitgetragen. Es ist zu wünschen, dass die Beratungen über dieses Völkerstrafgesetzbuch zügig fortgeführt wer- den können. Dies wäre dann ja auch ganz im Sinne der Aufforderung, die Kofi Annan an uns am heutigen Vor- mittag gerichtet hat. Klare Rechtsgrundlagen werden einen wichtigen Bei- trag für Sicherheit und Frieden leisten. Es steht uns im Lande gut zu Gesicht, das es seit langem zu den treiben- den Kräften für dieses Vorhaben zählt. Der gemeinsame Antrag der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU und der FDPdrücken unsere Unterstützung für das Projekt des Strafgerichtshofes aus. Es ist umfangreich bereits erörtert und festgestellt worden, wie wichtig dieser Strafgerichts- hof – und zwar ein ständiger Strafgerichtshof – für die faktische Durchsetzung des Völkerstrafrechts ist. Aus der gedanklichen Tradition des Nürnberger Gerichts und des Haager Jugoslawien-Gerichtshofes entsteht nun ein stän- diger Ort permanenter Sanktionierung völkerstrafrechts- widriger Handlungen. Es soll auch ausdrücken, dass bei den gegenwärtigen praktischen Umsetzungsarbeiten keine Verwässerung des Status und der Satzung des IStGH zugelassen wird. Die Aufforderung an die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, den Römischen Vertrag zu ratifizie- ren, und die Bitte an die Vereinigten Staaten, andere Staa- ten nicht von der Ratifizierung abzuhalten, findet ihren Grund in mancher skeptischen Betrachtung in den Verei- nigten Staaten von Amerika über die Wirkung des Inter- nationalen Strafgerichtshofes. Diese Auffassung ist nicht Ausdruck einer Skepsis über die Legitimität amerikani- schen Handelns, wie da und dort vermutet oder auch un- terstellt wird. Für meine Fraktion kann ich festhalten, dass wir die Aufforderung an die USA zuallererst deswegen richten, weil die Universalität des Völkerrechts auch für die Universalität des Völkerstrafrechts gelten sollte und ohne die USAein Internationaler Strafgerichtshof eine ge- ringere Effizienz zur Durchsetzung des Rechtes hätte. Internationale Strukturen haben es an sich, dass jeder, der sich ihnen unterwirft, auch ihren Prüfungsmaßstab ak- zeptieren muss. Ich habe den Eindruck, dass durch geeig- nete Strukturen sichergestellt ist, dass damit aber kein Missbrauch betrieben werden kann. Es ist und bleibt ein Projekt, das unsere Welt in eine gerechtere Ordnung brin- gen kann. Die Durchsetzung des Völkerstrafrechts wird zum einen in den gegenwärtig geübten legitimen Formen der Terrorismusbekämpfung in der Tat vollzogen. Im Rechtsspruch und in der Sanktion sollte dies der Interna- tionale Strafgerichtshof tun. Wir alle, die wir vor der Gefahr einer Bedrohung ste- hen, die jedermann, zu jeder Zeit und jedes Land treffen kann, sollten aus diesem Grunde alle Bedenken hintan- stellen und sich für einen solchen gemeinsamen Gerichts- hof aussprechen. Ich bin überzeugt davon, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur eine gute Rolle spielen, sondern auch eine für ihre eigene Rechtssicherheit und die Durch- setzung des Rechts gegenüber Dritten bessere Position erhalten würden, wenn sie sich innerhalb des Gefüges des Strafgerichtshofes aufstellen. Wir bitten um Zustimmung zu diesem Antrag. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist kaum zu glauben, aber voraussichtlich kann der Inter- nationale Strafgerichtshof schon nächstes Jahr seine Ar- beit aufnehmen. Damit wird nicht nur das Völkerrecht mit Siebenmeilenstiefeln weiterentwickelt – wir haben uns hier erfolgreich für eine Verrechtlichung der internatio- nalen Beziehungen eingesetzt. Dafür bin ich allen Betei- ligten, insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern im Auswärtigen Amt, von Herzen dankbar! Es gab zuhauf Bemühungen für ein Internationales Strafgericht: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es zu ei- nem Opfer des Kalten Krieges. Erst Gorbatschows Pe- restroika machte Verhandlungen wieder möglich. Nach den furchtbaren Massakern und Verstößen gegen das hu- manitäre Völkerrecht in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien wurden die Stimmen, die sich für ein solches Gericht einsetzten, lauter – und fanden Gehör. Letzte Woche hat Lotte Leicht, die Brüsseler Chefin von Humans Rights Watch, bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung die herausragende Rolle Deutsch- lands beim Einsatz für den Internationalen Strafgerichts- hof betont. Sie sprach davon, welche Überzeugungsarbeit geleistet wurde, damit 1998 das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs mit 120 Ja-Stimmen bei 21 Stimm- enthaltungen und 7 Gegenstimmen verabschiedet werden konnte. Seither gilt unser Ringen der Ratifikation des Sta- tuts. Sie alle wissen, dass mindestens 60 Ratifikationen nötig sind, damit der Strafgerichtshof seine Arbeit auf- nehmen kann. Die gute Nachricht heute lautet: Es lie- gen bereits 52 Ratifikationen vor. Damit hatten wir 1998 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222010 (C) (D) (A) (B) selbst bei größtem Optimismus nicht gerechnet. Ich schließe mich jedoch den Forderungen von Frau Leicht an: Deutschland muss auch weiterhin, gemeinsam mit den europäischen Partnern, eine Vorreiterrolle spielen, wenn es um die Implementierung und die Verbesserung von existierenden menschenrechtlichen Standards und Geset- zen geht! Ein Gericht, das für die Bekämpfung der grausamsten Verbrechen – Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Kriegsverbrechen – zuständig ist, findet zwangsläufig nicht nur Unterstützende. Zu den sieben Staaten, die das Statut nicht unterzeichnet haben, gehören China, der Irak und Israel. Der ehemalige US-Präsident Clinton zeichnete das Statut erst zum Jahreswechsel 2001, zur Ratifikation kam es jedoch bis heute nicht. Das ist be- dauerlich. Denn ohne den Segen der einzig verbliebenen Supermacht wird es das Gericht schwer haben, univer- selle Geltung zu erlangen. Deshalb fordern wir die USA dringend auf, sich hinter den Internationalen Strafge- richtshof zu stellen. Im Moment sieht es jedoch noch nicht so aus, als wür- den unsere Appelle Gehör finden: Eine Gruppe von US- Senatoren versucht seit letzten Mai, das Gericht zu ver- hindern, und hat eine Gesetzesvorlage „zum Schutz der amerikanischen Streitkräfte“ eingebracht. Danach wäre es erstens US-Regierungsstellen verboten, mit dem Inter- nationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten, zwei- tens Staatsanwälten des Tribunals untersagt, auf amerika- nischem Boden zu recherchieren, und drittens müssten alle Staaten – ausgenommen NATO-Mitglieder –, die sich an dem Weltgericht beteiligen, damit rechnen, US-Mi- litärhilfe gestrichen zu bekommen, sollten sie den Straf- gerichtshof unterstützen. Positiv ist, dass sich unsere Befürchtungen, wonach viele Staaten aufgrund dieser Drohung von einer Rati- fikation Abstand nähmen, nicht bewahrheitet haben. Der Gesetzentwurf selbst und die Haltung vieler einflussrei- cher amerikanischer Politiker zum Gericht ist ablehnend. Allerdings ist es mindestens schlechter Stil, wenn man versucht, mithilfe von Drohungen dritte Staaten von der Ratifikation abzuhalten. Repräsentantenhaus und US-Senat haben im Herbst den Entwurf gebilligt. Weil der Senat aber den Wortlaut des Textes verändert hatte, wurde eine Art Vermittlungs- ausschuss einberufen. Dort ist letztendlich der Gesetzent- wurf durchgefallen – leider nur vorläufig und nicht in der Sache. Kurz und schlecht: Wir müssen auch weiterhin mit Vorstößen in diese Richtung rechnen und tun gut daran, unsere amerikanischen Freundinnen und Freunde, die sich wie wir für das Gericht einsetzen, auch weiterhin zu unterstützen. Hätte es am 11. September den Internationalen Straf- gerichtshof bereits gegeben, hätte man die al-Qaida-Ge- fangenen vor ihn bringen können. Das Gericht wird aber nur für Verbrechen zuständig sein, die nach seiner Ar- beitsaufnahme begangen werden. Die Abschreckungs- und Präventionswirkung des Gerichts kann also erst in der Zukunft ihre Früchte zeigen. Bis dahin setzen wir uns für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards ein, so für die Anwendung der Genfer Konvention auf die Guan- tanamo-Häftlinge und deren Anerkennung als Kriegs- gefangene. Aber wir wenden uns auch gegen die Ende letzten Jahres von US-Präsident Bush eingesetzten so ge- nannten Sondermilitärtribunale. Sie sollen ausschließlich für die Verurteilung ausländischer Terrorismusstraftäter zuständig sein. Ihnen wird der Rechtsweg vor ein ordent- liches Gericht ausdrücklich verwehrt. Mit dieser Ent- scheidung kommen die Vereinigten Staaten in echte Glaubwürdigkeitsprobleme: Die Nichtberücksichtigung unabdingbarer Rechtsgrundsätze ist für die USA auf der einen Seite Grund für die Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs. Auf der anderen Seite jedoch setzen sie sich mit den Militärtribunalen über viele dieser Rechts- grundsätze selbst hinweg. Der Streit um die Guantanamo-Häftlinge wirft seine Schatten bis nach Den Haag, wo das Jugoslawien-Tribu- nal tagt. Die Anklage gegen Milosevic ist ein erster wich- tiger Schritt, nicht nur für die internationale Gemein- schaft. Es geht vor allem darum, die innenpolitische Entwicklung innerhalb Bosniens zu beruhigen. So lange, wie Hauptkriegsverbrecher wie Karadzic und Mladic frei sind, bleiben die Spannungen bestehen und werden Ver- söhnung, Vergebung und Zusammenarbeit es schwer ha- ben. Für die gesamte Region ist das Jugoslawien-Tribunal vor allem deshalb wichtig, weil den Verbrechen Namen gegeben werden und eine Mythenbildung verhindert wer- den kann. Die Straftatbestände, die vor dem Internationalen Strafgerichtshof verhandelt werden können, sind weg- weisend und ganz besonders als Durchbruch für die Rechte der Frauen zu bewerten. Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen werden im Statut unter anderem Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei oder erzwungene Schwangerschaft aufgeführt. Beim Tat- bestand der erzwungenen Schwangerschaft steht die Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevöl- kerung zu beeinflussen, im Blickpunkt. Ich muss nicht extra erwähnen, dass hier die bitteren Erfahrungen der 90er-Jahre in Ex-Jugoslawien eingeflossen sind, und spreche sicher für das gesamte Haus, wenn ich hoffe, dass zukünftig solche Gräueltaten verhindert werden können. Wir wissen, dass die Wirksamkeit des Internationalen Strafgerichtshofs begrenzt bleiben wird. Nur die Taten können aufgegriffen werden, die im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats vorgefallen sind oder von Staatsangehö- rigen eines Vertragsstaates begangen wurden. Wir werden auch weiterhin bei allen Staaten dafür werben, das Statut zu zeichnen und zu ratifizieren. Auch gibt es noch die Chance, Staaten dazu zu bewegen, die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs ad hoc anzuerkennen. Eines aber ist si- cher: Der Internationale Strafgerichtshof ist ein großer Er- folg und steht für mehr Gerechtigkeit in der Welt. Jörg van Essen (FDP):Die Forderung nach Einrich- tung eines Internationalen Strafgerichtshofes war immer ein zentraler Bestandteil liberaler Rechtspolitik. Unter dem liberalen Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig ist dieses Vorhaben maßgeblich vorangebracht worden. Ende 2000 konnte endlich die deutsche Ratifizierungsurkunde in New York hinterlegt werden. Damit ist Deutschland Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22011 (C) (D) (A) (B) seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nachgekommen. Nun müssen schnell weitere Schritte folgen, damit der In- ternationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnehmen kann. Dies ist notwendiger denn je. Spätestens seit dem 11. September 2001 ist uns allen deutlich geworden, wie wichtig es ist, dass die internatio- nale Völkergemeinschaft geschlossen und vereint gegen Terrorismus und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgehen muss. Alle Länder müssen zusammenstehen und dafür sorgen, dass diese Verbrechen nicht länger straflos begangen werden können. Der Internationale Strafgerichtshof ist hier das geeignete Instrument. Der Staatengemeinschaft wird damit ein echtes Handlungs- instrument an die Hand gegeben. Das Statut des Ständigen Strafgerichtshofs ist ein bedeutender Schritt hin zu einem Völkerstrafrecht, das letztlich die Völkergemeinschaft zur Rechtsgemeinschaft werden lässt. Die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs wird auch dazu führen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die internationale Rechtsordnung wächst und damit auch die Akzeptanz der Urteile größer wird. Dieses Ziel kann aber nur gelingen, wenn sich auch die USA in diese internationale Rechtsgemeinschaft einbin- den lassen. Mit großer Erleichterung haben wir die Tat- sache aufgenommen, dass der Römische Vertrag Ende 2000 vom damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton unterzeichnet wurde. Nun muss die Ratifizierung durch den Kongress erfolgen. In einer eng miteinander verknüpften Welt und einer globalen Gesellschaft ist der eigenen Souveränität durch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit besser gedient als durch den zum Scheitern verurteilten Versuch, sich iso- liert zu behaupten. Die Vertragsstaaten geben nicht ihre nationale Souveränität auf, sondern sie erfüllen schlicht ihre Pflicht gegenüber der internationalen Gemeinschaft, indem sie die Lücken schließen, durch die die schlimms- ten Verbrecher bisher schlüpfen konnten. Der Gerichtshof soll die nationalen Justizsysteme nicht ersetzen, vielmehr soll er sie für bestimmte schwere Verbrechen ergänzen, die die Staatengemeinschaft als Ganzes angehen. Wir erwarten daher von der Bundesregierung, dass sie Einfluss nimmt auf unsere amerikanischen Freunde und mit dazu beiträgt, dass in den USA endlich Mehrheiten geschaffen werden für eine Ratifizierung des Statuts. Deutschland teilt mit den amerikanischen Partnern Ver- antwortung im Kampf gegen den internationalen Terro- rismus. Dazu gehört dann auch, dass man den Partner an seine internationalen Verpflichtungen erinnert. Ein viel- stimmiges Szenario ist hier wenig hilfreich. Europa muss entschlossen und geschlossen auftreten und den Appell an die USA gemeinsam formulieren und vortragen. Das deutsche Engagement war hier bisher eher zögerlich. Dr. Evelyn Kenzler (PDS):Meine Fraktion ist am bal- digen In-Kraft-Treten des Statuts, an der Arbeitsfähigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes und an der Ratifi- kation des Statuts durch die USA nicht weniger interes- siert als die anderen Fraktionen in diesem Haus. Wie die anderen Fraktionen haben wir dem Ratifikationsgesetz im Oktober 2000 zugestimmt. Wenn wir auch keine übertrie- benen Erwartungen hegen, so halten wir dieses Statut mit seiner Definition schwerster internationaler Verbrechen und seiner Konstituierung persönlicher Verantwortlich- keit ungeachtet der Funktion des Täters dennoch für einen wesentlichen völkerrechtlichen Fortschritt. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den an- deren Fraktionen, insbesondere von der Union, Sie haben es wieder einmal vorgezogen, einen interfraktionellen Antrag zu stellen, ohne meine Fraktion auch nur zu fra- gen, ob sie sich beteiligen will. Es steht ihnen natürlich frei, die PDS-Fraktion von der Mitzeichnung interfraktio- neller Anträge auszuschließen. Uns steht es frei, einen sol- chen Umgang mit unserer Fraktion für unsachlich und in- diskutabel, ja geradezu lächerlich zu halten. Nach fast zwölf Jahren Anwesenheit der PDS im Deutschen Bun- destag sollten wir einen normalen Umgang miteinander pflegen. Die Erfinder dieses Ausschlussverfahrens bilden sich offenbar ein, damit der PDS schaden zu können. Aber die Mehrheit der politisch interessierten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land lacht nur über Sie und schüttelt den Kopf. Schneiden Sie endlich die alten Zöpfe ab und legen Sie sich im Umgang mit der PDS eine neue Frisur zu. Sie sind schon jetzt hoffnungslos unmodern. Wir haben einen eigenen, mit dem Antrag der anderen Fraktionen wortgleichen Antrag gestellt. Wir mussten kein Wort ändern, weil wir den Text auch als eine der ein- reichenden Fraktionen voll mittragen können. Mit unse- rem Antrag wollen wir das eigenartige Verständnis parla- mentarischer Umgangsformen ad absurdum führen. Wir wollen unterstreichen, dass wir uns genauso wie die an- deren Fraktionen als Initiatoren bundesdeutscher An- strengungen für ein baldiges Wirksamwerden des Inter- nationalen Strafgerichtshofes betrachten. Die erste Voraussetzung für dieses Wirksamwerden ist, dass möglichst alle Staaten dieser Welt dem Statut beitre- ten und die Jurisdiktion des Gerichtshofes anerkennen. Bisher sind noch nicht die 60 für das In-Kraft-Treten des Statuts erforderlichen Ratifikationen hinterlegt. Wir er- warten, dass vor allem solche einflussreichen Staaten wie die USA, China und Indien ihre abwartende Haltung auf- geben und am Statut teilnehmen. Die Ermahnungen in dem Antrag an die Adresse der USA sind mit diplomatischer Höflichkeit formuliert, aber eindeutig. Der Gerichtshof könnte ein Instrument im Kampf gegen den internationalen Terrorismus sein. Die USA haben aber ihre destruktive Haltung dem Gerichts- hof gegenüber nach den Terroranschlägen vom 11. Sep- tember eher noch verstärkt. Ich musste mich auf der Reise des Rechtsausschusses nach New York im Oktober letz- ten Jahres an Ort und Stelle davon überzeugen. Die USA lehnen nicht nur die Ratifikation ab. Sie bedrohen Nicht- NATO-Staaten mit dem Entzug von Waffenlieferungen, wenn sie mit dem Gerichtshof zusammenarbeiten. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass der Gerichtshof un- abhängig vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tätig und damit nicht dem Veto der USA ausgesetzt wird. Das Ziel ist eindeutig. Es soll ausgeschlossen werden, dass je- mals ein amerikanischer Soldat, geschweige denn ein Ver- antwortungsträger, vor den Schranken des Gerichts steht. Was für andere gilt; soll für die einzige übrig gebliebene Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222012 (C) (D) (A) (B) Weltmacht nicht gelten. Damit kann man sich nicht ab- finden. Man darf gespannt sein, ob die Bundesregierung und ihr Außenminister die Courage aufbringen, ihren ameri- kanischen Partnern unverblümt die übereinstimmende Meinung des Deutschen Bundestages zu übermitteln, dass ihr Verhalten ein Affront gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft ist und dem Kampf gegen den Ter- rorismus mit nichtmilitärischen Mitteln schadet. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Rechtsanspruch auf Sozialtarif für Sprachtelefondienst (Tagesordnungspunkt 17) Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Der uns hier vor- liegende Antrag zum Rechtsanspruch auf Sozialtarif für den Sprachtelefondienst wirkt auf Anhieb sympathisch. Wer wollte nicht materiell unterprivilegierten Menschen oder beispielsweise Behinderten günstigere Preise für Te- lefonanschlüsse gönnen? Bei so viel sozialer Gesinnung gerät aber die Realität im Telekommunikationssektor aus dem Blick: Der Sozialtarif ist ein Überbleibsel aus den Zeiten der Deutschen Bundespost als öffentliches Dienst- leistungsunternehmen im Sondervermögen der Bundesre- publik Deutschland und mit Monopol unter anderem im Sprachtelefondienst. Die Deutsche Telekom gewährt ei- nen Sozialtarif – wenn auch in veränderter Form – derzeit noch freiwillig weiter. Eine gesetzliche Verpflichtung oder auch eine im System liegende Begründung gibt es aber nicht mehr. Die Telekommunikation in Deutschland unterliegt heute im Grundsatz den Regeln der freien Marktwirt- schaft, des vollständigen Wettbewerbs und demzufolge betriebswirtschaftlichen Zwängen in den einzelnen Un- ternehmen. Ergänzt wird dieser Wettbewerb noch durch eine sektorspezifische, asymmetrische Regulierung zulas- ten der Deutschen Telekom mit dem Ziel der Marktöff- nung. Das heißt: Seit der völligen Marktöffnung ab dem 1. Januar 1998 ist der Telekommunikationsmarkt ein Markt wie andere auch, der zudem dem „alten Monopolis- ten“ regulatorische Fesseln anlegt, also fast ein Markt wie der für Lebensmittel, für hauswirtschaftlichen Bedarf, Zeitungen und Zeitschriften, Körperpflegemittel und per- sönliche Dienstleistungen und vieles mehr, was zum täg- lichen Leben gehört und was zum großen Teil bei der Be- messung von Sozialhilfeleistungen einfließt. Ich frage Sie: Wäre es nicht schön, es gäbe für alle diese Märkte So- zialtarife für Arme und Behinderte? Brauchen sie nicht Essen und die Tageszeitung genauso dringend wie das Te- lefon? Nun mögen manche antworten: Dort gibt es keine alten Staatsmonopole mit noch hohen Marktanteilen und staatlicher Beteiligung. Vorsicht! Wie sieht es denn aus mit der Marktmacht gewisser Einzelhandelsketten, dem Marktanteil von Großkonzernen im Bereich von Körper- pflegemitteln, Medikamenten usw.? Soweit es um die aus dem alten Monopol gewonnene Marktmacht geht, ist die Deutsche Telekom strikten Re- gulierungen unterworfen. Das heißt ganz klar: Eine Pflicht zum Anbieten eines Sozialtarifs aufgrund einer marktbeherrschenden Stellung oder des ehemaligen Mo- nopols kann es im Telekommunikationsmarkt ebenso we- nig geben wie bei Autos, Flugzeugen oder Zahnpasta. Eine Frage darf aber durchaus aufgeworfen werden: Ist es sinnvoll und geboten, aus dem im Telekommunika- tionsrecht verankerten Element des Universaldienstes eine Verpflichtung zum Anbieten von Sozialtarifen im ge- samten TK-Markt zu entwickeln? Dies ist zwar im Tele- kommunikationsgesetz derzeit nicht vorgesehen, aber durchaus denkbar. Dagegen spricht, dass nach Auffassung der Regulierungsbehörde die universell notwendigen Dienstleistungen derzeit vom Markt flächendeckend und erschwinglich angeboten werden und dass die Preise im TK-Sektor insgesamt teilweise drastisch gesunken sind. Bei den monatlichen Preissteigerungsraten in den letzten Jahren wirkten sich die Tarife im TK-Bereich stets dämp- fend aus, weil sie bis heute eine fallende Tendenz aufwei- sen: Bei Ferngesprächen sind es seit 1998 bis zu 90 Pro- zent. Allerdings sehen wir auch, dass bei der Grundgebühr und im Ortsnetz ein solcher Preisrückgang nicht stattfin- det und der neue Sozialtarif der Deutschen Telekom viele Betroffene mehr belastet als bisher. Das ergibt sich aus de- ren anderen Bedürfnissen, die weniger auf Ferngespräche in die USA ausgerichtet sind als auf eine jederzeitige Er- reichbarkeit und auf Anrufe im Orts- und Nahbereich. Deshalb nützt diesem Personenkreis das neue Gesprächs- guthaben-Modell relativ wenig, zumal das Guthaben so- fort verfällt, wenn es nicht innerhalb eines Monats im Te- lekomnetz verbraucht wurde. Auch der Hinweis auf noch niedrigere Gesprächsgebühren bei Wettbewerbern hilft hier nicht weiter, weil deren Gebühren nicht von der Deut- schen Telekom übernommen werden. Kritik daran wie- derum halten wir für ziemlich absurd: Wer von einem Un- ternehmen nicht nur niedrigere Sondertarife, sondern auch noch deren Finanzierung in die Kassen der Konkur- renz verlangt, lebt nicht auf dieser Welt. Dennoch spricht einiges dafür, die Situation der be- troffenen Menschen künftig genau im Auge zu behalten. Meiner Auffassung nach geht es aber dabei nicht nur um den Sprachtelefondienst – hier greift der PDS-Antrag viel zu kurz –, sondern um die Teilnahme der gesamten Be- völkerung an der viel beschworenen Informationsgesell- schaft. Wer die vielen Warnungen vor der digitalen Spal- tung der Gesellschaft ernst nimmt und damit sagt, es gehöre zum allgemeinen Lebensbedarf, zu telefonieren und beispielsweise einen Zugang zum Internet zu haben, muss Instrumente dafür entwickeln. Was die Verbindungsgebühren betrifft – und nur um die geht es hier –, bestehen, wenn man Handlungsbedarf sieht, zwei Wege offen: Erstens. Entweder wir beschreiten den, wie erwähnt, möglichen Weg der Universaldienstverpflichtung. Dann ist aber auch klar, dass dies nicht einfach nach dem PDS- Modell einem Unternehmen aufgedrückt werden darf, sondern dass dies per Umlage in einem Fonds von allen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22013 (C) (D) (A) (B) Marktteilnehmern zu finanzieren ist. Bisher gibt es aber solche Fonds in Deutschland nur auf dem Papier. Ich be- zweifle, dass jemand ernsthaft wegen einigen Millionen Euro einen solch gigantischen Mechanismus in Bewe- gung setzen will, der mehr Berechnungs-, Verwaltungs- und Verteilungskosten verursacht, als bei den Betroffenen letztlich ankommt. Zweitens. Die Alternative dazu finden wir im Sozial- hilferecht. Es sieht nach dem „Statistikmodell“ vor, bei der Berechnung der Regelsätze den Stand und die Ent- wicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Dabei sol- len die tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchs- ausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgrup- pen zugrunde gelegt werden. Demnach müsste sich das veränderte Preisgefüge in der Telekommunikation ein- schließlich der Modifizierung des Sozialtarifs dort nie- derschlagen. So sind derzeit für Telefon- und Postge- bühren monatlich rund 23 Euro vorgesehen. Sollte die neue Entwicklung nicht ausreichend berücksichtigt sein, so muss dies spätestens bei der für die nächste Legislatur- periode geplanten Sozialhilfereform bzw. bei der Novel- lierung des BSHG geschehen. Gleichzeitig verweise ich auf die ohnehin für 2003 ge- plante Überarbeitung des Telekommunikationsrechts. Bei diesem Anlass sollten wir prüfen, ob der Markt die unab- dingbaren TK-Dienstleistungen flächendeckend und zum erschwinglichen Preis – auch für benachteiligte Bevölke- rungsgruppen – dauerhaft erbringt. In diese Debatte gehört der gesamte Universaldienst: Telefonzellen, breit- bandiges Internet, öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Bibliotheken, Internetcafes, Sondertarife und gleichwer- tiges Angebot in der Fläche. Es geht aber auch um die Finanzierung solcher Ange- bote, wenn man von der Auffassung abkommt, der Markt gewährleiste das gesellschaftlich Notwendige nicht oder nicht ausreichend. Auch dies wiederum kann nicht isoliert betrachtet werden von der Markt- und Wettbewerbsent- wicklung insgesamt. Die TKG-Novelle dreht sich daher auch um fairen Wettbewerb, effiziente Regulierung, um den Marktbegriff und um die Marktabgrenzung, um Effi- zienz, Abbau und Neujustierung der Regulierung und um die Umsetzung des neuen europäischen Rechtsrahmens. Zusammenfassend: Der Antrag der PDS, Drucksache 14/5831, greift zu kurz. Für sich allein genommen würde er kontraproduktiv wirken. Deshalb lehnen wir ihn ab. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU):Über den An- trag der PDS soll durch eine Änderung des Telekommu- nikationsgesetzes ein Rechtsanspruch auf Sozialtarif im Sprachtelefondienst geschaffen werden. Wir haben den Antrag im Juli 2001 im Wirtschaftsausschuss beraten und mehrheitlich dessen Ablehnung empfohlen. Die von der ehemals Deutschen Bundespost einge- führte telefontarifliche Vergünstigung für Einkommens- schwache wurde nach der Privatisierung von der Deut- schen Telekom AG auf freiwilliger Basis übernommen. Sie bietet einen so genannten Sozialtarif für Kunden an, die entweder von der Rundfunkgebührenpflicht befreit sind, BAföG erhalten oder blind, gehörlos oder sprachbe- hindert mit einem Grad der Behinderung von mindestens 90 Prozent sind. Bis zum 1. Dezember 1999 wurde ein Be- trag von 13,57 DM netto für die beiden erstgenannten Voraussetzungen und 17,05 DM für die letztgenannte Be- dingung pro Monat von der Grundgebühr abgezogen. Zum 1. Dezember desselben Jahres stellte die DTAG ihre freiwillig angebotene Sozialtarifregelung um. Demnach wird der Sozialtarif nicht mehr von der monatlichen Grundgebühr abgezogen, sondern gilt für tatsächlich ver- telefonierte Standardverbindungen im T-Net. Er kann we- der ganz noch teilweise in den nächsten Abrechnungs- zeitraum übertragen werden. Die Höhe der Vergünstigungen bleibt jedoch je nach berechtigtem Per- sonenkreis identisch mit den zuvor gewährten Tarifen. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post hat diese Regelung nicht als genehmigungspflichtig nach § 25 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes einge- ordnet, da die Gewährung dieser Vergünstigung aus so- zialen Gründen als Verzicht auf eine Entgeltforderung der DTAG einzuordnen sei. Die gewährten Vergünstigungen sind freiwillige Leistungen, auf deren Gestaltung im Ein- zelnen im Rahmen der Telekommunikationsgesetzge- bung kein Einfluss genommen werden kann – es sei denn, der Bund oder die Länder übernehmen die Kosten. Die seit dem 1. Dezember 1999 von der DT AG umstruktu- rierten Verrechnungsmodalitäten der Sozialtarife fallen in den Rahmen der Preisgestaltungsfreiheit eines Telekom- munikationsunternehmens und sind sicherlich nicht unter Kostengesichtspunkten zu sehen, sondern auch unter dem Aspekt einer Imagewerbung im Wettbewerbsbereich, vor allem für ein marktbeherrschendes Unternehmen. Der Antrag der PDS wird von der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion abgelehnt. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Glaubt man dem hier zur Debatte stehenden Antrag der PDS, reden wir heute zu später Stunde über eine scheinbar sträfliche Vernachlässigung der sozialen Ge- rechtigkeit im Bereich der Telekommunikation durch die Regierungskoalition. Denn in ihrem Antrag kritisiert die PDS, sozial Schwache würden durch zu hohe Kosten sys- tematisch vom Telefonieren abgehalten. Genauer besehen geht es der PDS allerdings darum, dass die Ermäßigung nicht mehr auf die Grundgebühr, sondern durch Ge- sprächsguthaben erfolgt, die aber nur bei der Telekom und nicht bei anderen Anbietern einzulösen sind. Also geht es gar nicht darum, dass nun Menschen Telefonate von ele- mentarer Bedeutung deswegen unterlassen müssen, weil ihnen eine Vergünstigung gestrichen ist, sondern die PDS fordert, dass die Vergünstigung in anderer, günstigerer Form erfolgt. Vielleicht wäre so tatsächlich der eine oder andere Euro an Gesprächsgebühren mehr für die Menschen mit Anspruch auf Sozialtarif zu erlösen. Aber genau genom- men verweist die Forderung wieder einmal auf die satt- sam bekannte Gier der PDS-Forderungen: die schönen Seiten des Marktes mitnehmen und zugleich den Markt außer Kraft setzen, wenn man sich davon noch Günstige- res erhofft. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 200222014 (C) (D) (A) (B) Schauen Sie sich die Fakten und Zahlen an! Die Ent- wicklung geht doch in eine völlig andere Richtung, als Sie uns hier in ihrem Antrag glauben machen wollen. Natür- lich ist es richtig, dass die Kosten für die Telekommu- nikation in Deutschland immer noch vergleichsweise hoch sind. Aber das Problem lösen Sie doch nicht mit mehr Planwirtschaft. Im Gegenteil liegt die Erklärung darin, dass wir zu spät mit dem Wettbewerb begonnen ha- ben und dass er noch nicht weit genug geht. Aber immer- hin hat der Wettbewerb im Telekommunikationssektor schon dazu geführt, dass die Kosten fürs Telefonieren seit Jahren rückläufig sind. Da kann ich Ihnen nur einen Blick in das Statistische Jahrbuch empfehlen: Allein seit 1995 haben sich die Ausgaben der privaten Haushalte in Deutschland für die Telekommunikation von Jahr zu Jahr kontinuierlich verringert, ihr Anteil an den Haushaltsaus- gaben ist um ein Fünftel gesunken. Wenn die Preise also in summa fallen, wie ließe sich die Behauptung aufrechterhalten, die Hürden würden im- mer größer? Da braucht man schon eine gehörige Portion Fantasie. Nein, statt ein privates Unternehmen zu behan- deln wie eine Sozialbehörde, muss die Politik weiter in Richtung mehr Wettbewerb gehen; denn nur so erreicht man geringere Kosten für die Verbraucher. Erst im Januar hat die Deutsche Telekom angekündigt, ihre Preise für das Ortsnetz zu senken. Das ist natürlich nicht freiwillig ge- schehen, weil Ron uns etwa den Sommer bringen will. Nein, vielmehr hat die Regulierungsbehörde Post und Te- lekommunikation die Gefahr von Quersubventionierun- gen gesehen und deswegen angemahnt, dass die Ge- spräche im Ortsnetz billiger werden müssen. Und siehe da: Es geht. Das ist doch ein gutes Beispiel dafür, wie Wettbewerb im Telekommunikationssektor von der Politik positiv be- einflusst wird. Und in diese Richtung müssen wir weiter gehen. Bei Ferngesprächen haben wir es ja erlebt: Mehr Wettbewerb führt zu geringeren Kosten bei den Verbrau- chern. Und so muss es auch im Ortsnetz werden. Denn nur so erreichen wir, dass auch die Leute mit den kleinen Geldbeuteln stärker von den großen Vorteilen der Infor- mationsgesellschaft profitieren können. Mit Ihrem Antrag aber wollen Sie die Telekom wieder als Staatsunternehmen behandeln – als hätten wir in den letzten Jahren nicht gesehen, dass der Weg in die Kon- kurrenz schon mühsam genug für den alten Tanker ist. Und als hätte es nicht die positiven Folgen des Wettbe- werbs gegeben. Auf soziale Fragen muss man heute neue Antworten geben, nicht nostalgische. Rainer Funke (FDP): Der jetzt zu beratende Antrag der PDS auf Rechtsanspruch auf Sozialtarif für Sprachte- lefondienst kann eigentlich auch nur von der PDS kom- men. Denn offensichtlich hat die PDS unser marktwirt- schaftliches System noch nicht recht durchschaut. Der Rechtsanspruch auf Sozialtarife kann sich nach unserer Wirtschaftsordnung nicht gegen Unternehmen, die am Wettbewerb am Markt teilnehmen, richten, son- dern nur und in erster Linie gegen den Staat. Das schließt nicht aus, dass Sozialtarife freiwillig von Unternehmen gewährt werden, wie dies die Deutsche Telekom in vor- bildlicher Weise auch tut. Direkte Ansprüche des sozial Schwachen auf Sozialtarife gegen einzelne Unternehmen kann der Staat jedoch nicht verordnen. Dies ist richtig so, weil inzwischen auch die Telefondienste erfreulicher- weise dem Wettbewerb unterstellt sind. Wenn einzelnen Unternehmen Auflagen hinsichtlich der Sozialtarife auf- erlegt werden, wären sie weniger wettbewerbsfähig als andere Unternehmen, die diese Auflage nicht zu erfüllen haben. Wir wollen aber die gleichen Wettbewerbsvoraus- setzungen für alle Teilnehmer am Wettbewerb schaffen. Nun könnte man dagegen einwenden, dass dann eben allen Wettbewerbern zur Auflage gemacht wird, bei be- stimmten Voraussetzungen Sozialtarife zu gewähren. Dies widerspricht aber unseren marktwirtschaftlichen Grundsätzen, dass soziale Daseinsvorsorge vom Staat zu erbringen ist und der Staat dann auch seinerseits zu defi- nieren hat, unter welchen Voraussetzungen Sozialleistun- gen gewährt werden. Im Übrigen verkennt der Antrag der PDS, dass Sprach- telefondienste inzwischen nicht im nationalen Wettbe- werb erbracht werden, sondern im internationalen. Da ausländischen Unternehmen solche Rechtsansprüche auf Sozialtarife nicht auferlegt werden können, würde man mit der Einführung eines solchen Sozialtarifs die Wettbe- werbsfähigkeit der hier ansässigen deutschen Unterneh- men einschränken. Nach allem ist der Antrag der PDS gut gemeint, leider aber wenig durchdacht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002 22015 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422100000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich
zunächst dem Kollegen Volker Jung, der am 24. Februar
seinen 60. Geburtstag feierte, und dem Kollegen Franz
Romer, der am 26. Februar ebenfalls seinen 60. Geburts-
tag beging, herzlich.


(Beifall)

Wie Ihnen bekannt ist, hat die Bundesregierung im Ja-

nuar dieses Jahres die Errichtung einer Kulturstiftung
des Bundes beschlossen. In der vom Bundeskabinett ge-
billigten Satzung ist vorgesehen, dass dem Stiftungsrat
drei vom Deutschen Bundestag zu entsendende Vertreter
sowie Stellvertreter angehören. Als ordentliche Mitglie-
der wurden die Abgeordneten Dr. Norbert Lammert,
Wolfgang Thierse und Dr. Antje Vollmer, als Stellvertre-
ter die Abgeordneten Hartmut Koschyk, Dr. Peter Struck
und Rezzo Schlauch benannt. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind
die genannte Kollegin und die genannten Kollegen in den
Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes entsandt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Zusatz-
punktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung
der Bundesregierung zur Klage der Bayerischen Staats-
regierung gegen die Reform des Risikostrukturausgleichs
in der gesetzlichen Krankenversicherung

2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT: zu der Antwort
der Bundesregierung auf die dringliche Frage 1 auf Druck-
sache 14/8353

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef Laumann,
Matthias Wissmann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU: Politik für mehr Be-
schäftigung statt organisationspolitischem Aktionismus
– Drucksache 14/8363 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

4. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Vierten Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregister-
gesetzes – 4. BZRGÄndG – Drucksachen 14/6814, 14/7837,
14/8191, 14/8358 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

5. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Ge-
setz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalen-
systems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz – FPG)

– Drucksachen 14/6893, 14/7421, 14/7461, 14/7824, 14/7862,
14/8239, 14/8362 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester

6. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS: Übergangs-
regelung für die Umsatzbesteuerung von Alt-Sportanlagen
– Drucksache 14/8375 –

7. Beratung des Antrags der Fraktion der PDS: Ratifizierung des
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes – Drucksache
14/8374 –

8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-

(13. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sechster Familienbericht
Familien ausländischer Herkunft in Deutschland
Leistungen – Belastungen – Herausforderungen
und
Stellungnahme der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Christel
Riemann-Hanewinckel, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-
Elsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Sechster Familienbericht
Familien ausländischer Herkunft in Deutschland
Leistungen – Belastungen – Herausforderungen
und
Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksachen 14/4357, 14/6169, 14/8393 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Eichhorn
Christine Lehder
Ina Lenke

21859


(C)



(D)



(A)



(B)


221. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 28. Februar 2002

Beginn: 10.00 Uhr

Irmingard Schewe-Gerigk
Christina Schenk

9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia
Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP: Ein neues Hochschuldienstrecht für eine mo-
derne, leistungsfähige und attraktive Bildung und For-
schung in Deutschland – Drucksache 14/7077 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit
erforderlich – abgewichen werden.

Außerdem sollen die Tagesordnungspunkte 8 und 9, 10
und 11, 12 und 13, 14 und 15, 21 und 22 sowie 23 und 24
jeweils getauscht werden. Der Tagesordnungspunkt 7 soll
ohne Debatte überwiesen und die Tagesordnungs-
punkte 20, 23 c und 28 c sollen abgesetzt werden.

Des Weiteren mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk-
sam:

Der in der 212. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur
Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Max Straubinger,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Ilse Aigner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
Luftfahrtforschung voranbringen – Drucksache
14/7439 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Der in der 218. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Innenausschuss und dem Haushaltsausschuss gemäß
§ 96 GO zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verein-
fachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter
in den Aufsichtsrat – Drucksache 14/8214 –
überwiesen:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Gleichstellung behinderter Menschen
und zur Änderung anderer Gesetze
– Drucksache 14/8043 –


(Erste Beratung 215. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Gleichstellung behinderter Menschen
und zur Änderung anderer Gesetze
– Drucksache 14/7420 –

(Erste Beratung 201. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)

– Drucksache 14/8331 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Claudia Nolte

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Heinrich L.
Kolb, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Informationsangebot der Bundesregierung
barrierefrei gestalten
– Drucksachen 14/5985, 14/8331 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Claudia Nolte

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie
Ehlert, Dr. Ilja Seifert, Monika Balt, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Realitätsnaher Ausgleich für Behinderte durch
Anhebung der Pauschbeträge gemäß § 33 b des
Einkommensteuergesetzes und durch Umwand-
lung in echte Freibeträge
– Drucksache 14/8313 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Zu den Gesetzentwürfen zur Gleichstellung behinder-
ter Menschen liegen zwei Änderungsanträge und ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi-
nister Walter Riester das Wort.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Das Gleichstellungsgesetz für behin-
derte Menschen ist auf gutem Weg. Ich freue mich, dass
sich heute ein breiter parlamentarischer Konsens abzeich-
net. Dies ist gerade bei einem Vorhaben für behinderte
Menschen sehr wichtig. Für die gute und konstruktive Zu-




Präsident Wolfgang Thierse
21860


(C)



(D)



(A)



(B)


sammenarbeit über Parteigrenzen hinweg – diese fand ich
wirklich beeindruckend – möchte ich mich an dieser
Stelle recht herzlich bedanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich tue dies auch im Namen behinderter Menschen, die
eine rasche Realisierung ihres Bürgerrechts auf gleiche
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingefordert haben.

In meinen Dank möchte ich aber auch die Verbände und
Landesregierungen einbeziehen. Der frühzeitige offene
Austausch von Informationen und Stellungnahmen hat
entscheidend dazu beigetragen, den Entwurf noch besser
zu machen. Gerade auch die praktische Ausgestaltung des
neuen Instruments der Zielvereinbarung hat vom Fach-
wissen und den Erfahrungen der Verbände sehr profitiert.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, lassen Sie uns
immer daran denken: Menschen mit Behinderungen
gehören in die Mitte unserer Gesellschaft. Zurzeit leben
etwa 6,6 Millionen Schwerbehinderte in Deutschland.
Davon sind nur 4,5 Prozent oder 300 000 von Geburt an
behindert. Die meisten werden es im Laufe ihres Lebens,
etwa durch Unfälle oder durch Altern. Diese Fakten ma-
chen uns deutlich: Jeden von uns kann es betreffen und je-
der von uns soll mithelfen.

8 Prozent unserer Bevölkerung sind schwerbehindert.
Das zeigt, dass die Behindertenpolitik kein Randbereich
politischen Handelns sein kann; bei Entscheidungen muss
sie im Zentrum stehen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422100100
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von der
PDS-Fraktion?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich möchte gerne geschlossen vortragen und
den Gesetzentwurf insgesamt einführen.

Wenn ich heute über das Gleichstellungsgesetz spreche,
ist es kein Zufall, dass gerade zwei Vertreter vom
Forum behinderter Juristinnen und Juristen anwesend
sind. Sie haben auf der Grundlage eines Entwurfs des Fo-
rums behinderter Juristinnen und Juristen in einer Projekt-
gruppe des Bundesarbeitsministeriums mit uns gemeinsam
den Gesetzentwurf erarbeitet, der heute dem Parlament
vorliegt. Was hier ganz praktisch wirkt: Menschen mit
Behinderungen gestalten ihren Lebensbereich selbst.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Diese aktive Mitgestaltung ist für mich eine neue Qua-

lität in der Gesetzgebung, die vielleicht auch in anderen Be-
reichen aufgegriffen werden sollte. Behinderte Menschen
nicht als Objekt zu verstehen, die betreut werden müssen,
sondern als Menschen zu sehen, die ihr Leben selbst in die
Hand nehmen und aktiv mitgestalten – dies war bereits
beim Sozialgesetzbuch IX unser zentrales Anliegen und es
ist auch beim Gleichstellungsgesetz Programm.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb spielen Zielvereinbarungen künftig eine wich-
tige Rolle. Unternehmen und Verbände behinderter Men-
schen sollen in eigener Verantwortung Vereinbarungen
treffen können, wie und in welchen Zeiträumen Barriere-
freiheit vor Ort konkret verwirklicht werden soll. So sind
flexible Regelungen möglich, die den jeweiligen Verhält-
nissen und Bedürfnissen entsprechen und auch angepasst
werden können. Dies muss allerdings noch in vielen Be-
reichen mit Leben erfüllt werden, damit das Gesetz in der
Praxis ein wirksames Instrument werden kann.

Die Verbände der behinderten Menschen werden
selbstständig und in eigener Verantwortung als Verhand-
lungspartner der Wirtschaft ihre Ziele und Vorstellungen
einbringen können. Der Staat begleitet diesen Prozess.
Dies ist für behinderte Menschen die deutlichste Form des
Paradigmenwechsels vom Objekt zum Subjekt.

Lassen Sie mich einige wenige Schwerpunkte des
neuen Gesetzentwurfs benennen:

Beispiel behinderte Frauen:Über 3Millionen schwer-
behinderte Frauen mit körperlichen, geistigen oder seeli-
schen Behinderungen sollen nicht mehr sagen können, sie
seien doppelt benachteiligt, nämlich als behinderte Men-
schen und Frauen, denn der Frauenfördergrundsatz trägt
im Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen die-
sem Anliegen in besonderem Maße Rechnung. Die Be-
lange behinderter Frauen sind zu berücksichtigen und be-
sondere Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung
behinderter Frauen zulässig und wünschenswert.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Nehmen Sie Gebäude und Gaststätten: Rollstuhlnutze-
rinnen und Rollstuhlnutzern sowie blinden und gehörlo-
sen Menschen soll es möglich sein, selbstständig in die
Gebäude des Bundes zu kommen und sich orientieren zu
können. Auch die Möglichkeit, eine Gaststätte barriere-
frei erreichen zu können, gehört selbstverständlich dazu.
Daher müssen Gaststätten in neu errichteten Gebäuden
künftig barrierefrei sein. Dazu müssen beispielsweise
ebenerdige Eingänge für Rollstuhlfahrerinnen und Roll-
stuhlfahrer mit Aufzügen oder Rampen versehen sowie
Behindertentoiletten eingerichtet werden. Da die Bar-
rierefreiheit schon in die Planung einfließt, sparen wir im
Übrigen auch Kosten.

Nehmen Sie den Verkehr: Nahverkehr, Bahnverkehr
oder Luftverkehr – das sind drei Begriffe für Bewegungs-
freiheit und Mobilität für die meisten Menschen. Künftig
sollen behinderte Menschen hier möglichst wenig Bar-
rieren vorfinden, damit auch sie selbstbestimmt von ihrem
Recht auf Mobilität Gebrauch machen können. Auch hier-
von profitiert die Gesamtgesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Beispiel Informationstechnik: Das Internet ist nicht nur
Informationsbasis, sondern auch Betätigungsfeld und Ar-
beitsmöglichkeit. Insbesondere blinden und sehbehinder-
ten Menschen soll hier ein Zugang, zum Beispiel durch
textunterlegte Benutzeroberflächen, ermöglicht werden.




Bundesminister Walter Riester

21861


(C)



(D)



(A)



(B)


Beispiel Behörden: Durch das Gleichstellungsgesetz
für behinderte Menschen wird das Diskriminierungsver-
bot des Grundgesetzes für Behörden konkretisiert. So
wird es künftig etwa nicht mehr möglich sein, dass eine
Behörde die Ausübung eines Berufs aufgrund einer Be-
hinderung untersagt. Diese nur pauschal vorgetragende
Begründung würde gegen das Benachteiligungsverbot
verstoßen, wonach behinderte Menschen nicht ohne
zwingenden Grund unterschiedlich behandelt werden
dürfen. Hör- und sprachbehinderte Menschen etwa haben
künftig das Recht, im Verwaltungsverfahren mit allen
Bundesbehörden in der Gebärdensprache zu kommuni-
zieren. Die Kosten hierfür tragen die Behörden.

Konkrete Verbesserungen sieht das Gesetz auch für seh-
behinderte Menschen vor. Sie können künftig Bescheide,
beispielsweise vom Arbeitsamt, auf Wunsch zusätzlich in
Brailleschrift oder auf einem Tonträger erhalten. Blinde
Menschen sollen künftig mithilfe von Wahlschablonen bei
den Bundestags- und Europawahlen wählen können. Da-
mit können sie ihr Bürgerrecht auf eine selbstständige
Wahl weitgehend durchsetzen, wozu natürlich ebenfalls
gehört, dass Wahllokale möglichst barrierefrei zugänglich
sein müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dies alles wird komplettiert durch ein Verbandskla-
gerecht für anerkannte Verbände. Sie können künftig, ins-
besondere in Fällen von allgemeiner Bedeutung, die
Gleichstellung behinderter Menschen auch gerichtlich
geltend machen.

Meine Damen und Herren, das Selbstverständnis von
behinderten Menschen hat sich in den letzten Jahrzehnten
tief greifend geändert, Gott sei Dank. Dies ist ein Para-
digmenwechsel, der Teilhabe und Selbstbestimmung vor
die Fürsorge gestellt hat. Behinderte und von Behinde-
rung bedrohte Menschen haben Fähigkeiten, die sie wie
jeder Mensch unter Beweis stellen können und wollen.
Behinderte Menschen wollen nicht länger Objekt sozialer
Leistungen sein; sie fordern zu Recht Selbstbestimmung
ein. Mit diesem Gesetz kommen wir diesem Ziel sehr ent-
gegen.


(Beifall bei der SPD)

Dabei darf man aber auch nicht vergessen: Sie brau-

chen weiterhin Unterstützung und Solidarität. Deshalb
gilt mein Dank Ihnen allen. In beeindruckender Weise und
mit breiter parlamentarischer Mehrheit sagt der Deutsche
Bundestag behinderten Menschen heute diese Solidarität
zu.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422100200
Ich erteile das Wort
Kollegin Claudia Nolte, CDU/CSU-Fraktion.


Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1422100300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick auf die heutige Ver-
abschiedung des Bundesgleichstellungsgesetzes war vor
einigen Tagen in einer Pressemitteilung zu lesen: „Der
Bundestag hat seine Hausaufgaben getan.“ In Anbetracht
der Tatsache, dass man das ja in fast allen politischen Be-
reichen heute nicht mehr sagen kann und nicht hört, ist das
wirklich ein Kompliment für uns.


(Zuruf von der SPD: Vielen Dank!)

Deshalb kann ich auch für die CDU/CSU-Fraktion sagen:
Wir begrüßen das Gesetzesziel ausdrücklich und werden
diesem Gesetz zustimmen.

Ganz grob betrachtet können wir uns freuen, dass es
gelungen ist, ein weiteres Gesetz für Menschen mit Be-
hinderungen in großer Einigkeit in diesem Hohen Haus zu
verabschieden. Für das sachliche und konstruktive Mitei-
nander bei diesem Gesetzgebungsverfahren möchte ich
allen Beteiligten ausdrücklich danken. In diesen Dank
schließe ich im Besonderen die Verbände ein, die uns in
dieser Diskussion sehr konstruktiv und eigentlich vo-
rausmarschierend begleitet haben. Ich nenne insbeson-
dere das Forum behinderter Juristinnen und Juristen,
das einen Vorschlag geliefert hat, der letztendlich die
Grundlage für unsere Arbeit geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage „im Gro-

ben“, weil bei genauer Betrachtung natürlich einiges kri-
tisch angemerkt werden muss. Schon bei der ersten Le-
sung habe ich darauf hingewiesen, dass die materielle
Substanz des Gesetzes sehr überschaubar ist. Auch wenn
ich den Wert und die Tatsache als solche, dass es jetzt ein
Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen
gibt, nicht unterschätzen möchte, so sind die Regelungs-
inhalte doch sehr begrenzt.

Es war zu erwarten, dass durch die Beratungen im Bun-
desrat diesbezüglich keine Erweiterungen vorgenommen
wurden. So wurde in der Tat einiges zurückgenommen
und in der Regelungshoheit der Länder belassen. Ich
denke hier beispielsweise an die Handlungsspielräume
bei der Ausgestaltung der Barrierefreiheit im Gaststätten-
bereich und im Personennahverkehr. Aus Gründen des
Föderalismus ist dies zu akzeptieren und auch zu ver-
stehen. Allerdings wissen wir, dass sich dahinter ein
Grund verbirgt, der uns in Tat skeptisch machen muss.
Dabei handelt es sich nämlich um die zu befürchtenden
Kosten, die auf die Investoren oder auf die Länder und die
Kommunen zukommen würden.

Dieser Umstand wirft die Frage auf, wie es in den Län-
dern weitergehen wird. Denn das Argument der Kosten
wird nicht allein dadurch aufgehoben, dass jetzt die Lan-
desgesetzgeber an der Reihe sind, sondern auch sie wer-
den sich mit den Kosten auseinander setzen müssen, wenn
sie Regelungen treffen. Deswegen können wir lediglich
abwarten, wie die Umsetzung in den einzelnen Bundes-
ländern erfolgt. Ich hoffe nur, dass die Möglichkeiten für
eine größere Barrierefreiheit ergriffen werden. Denn be-
kanntlich liegt der Hauptregelungsinhalt in den Länder-
bauverordnungen.




Bundesminister Walter Riester
21862


(C)



(D)



(A)



(B)


Insofern hätte ich mir – vor allen Dingen auch wegen
der Vorbildwirkung des Bundesgleichstellungsgesetzes –
gewünscht, nach Möglichkeiten zu suchen, einen zeitli-
chen Horizont für die Umsetzung der Barrierefreiheit von
Neu-, Um- und Erweiterungsbauten zu setzen. Wir unter-
stützen deshalb den Entschließungsantrag, in dem hin-
sichtlich der Umsetzung die Prüfung der Notwendigkeit
von Fristsetzungen gefordert wird.

Viel diskutiert wurde in der Gesetzesberatung § 13, das
so genannte Verbandsklagerecht. Ich bin mir darüber im
Klaren, dass manche Verbände gerne eine weiter gehende
Regelung gewollt hätten. Ich meine aber auch, dass der
Kompromiss, den wir inzwischen gefunden haben, in der
Sache zweckdienlich ist. Denn mit einem gut gemeinten
Gesetz, das in seiner Wirkung am Ende das Gesetzesvor-
haben konterkariert, ist niemandem geholfen, weil es die
Akzeptanz zur Umsetzung des Gesetzes schmälert.

Ich meine, mit der Möglichkeit von Feststellungskla-
gen steht die öffentliche Hand sehr wohl stark genug un-
ter Druck, ihrer Aufsichtspflicht gerecht zu werden und
dafür Sorge zu tragen, dass Investitionen und Um-, Er-
weiterungs- und Neubauten barrierefrei vorgenommen
werden, ohne die unmittelbaren Investitionen zu gefähr-
den. Ich unterstütze auch ausdrücklich den Weg, der in der
Frage der Zielvereinbarung gewählt worden ist, um auch
im privatrechtlichen Teil mehr Barrierefreiheit herzustel-
len, weil es sich dabei um einen Weg handelt, bei dem die
Organisationen mitwirken können und selber gefordert
sind, und weil es damit ein Miteinander sehr konkreter
Regelungen geben kann, die auf die Bedingungen vor Ort
abgestellt sind.

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Minister, meine ich, dass
die Frage der barrierefreien Informationstechnik in
§ 11 nicht unbedingt zufrieden stellend, sondern sehr
zurückhaltend geregelt worden ist. Das ist einer der Para-
graphen, der die Bundesregierung selbst etwas gekostet
hätte, und schon ist man in der Umsetzung etwas zurück-
haltender.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Denn wenn Sie sagen, Sie bestimmen die Art von Infor-
mationen und entscheiden, wo und wann Sie Barrierefrei-
heit im Internet und Intranet schaffen, halte ich das für
sehr einschränkend und nicht unbedingt im Sinne der Be-
troffenen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Dabei wollten die doch Vorbild sein!)


Insgesamt fällt auf, Herr Minister, dass Sie immer dann
reden, wenn es um die Verkündung schöner Gesetze geht.
Wenn es aber etwas kritisch wird, halten Sie sich in De-
batten vornehm zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein Weiteres dürfen wir beim genauen Hinsehen zu

diesem Gesetz nicht vergessen. Wir wissen aus den Er-
fahrungen aus anderen Bereichen – ich denke vor allen
Dingen an unsere Versuche, mithilfe von Gleichstellungs-
gesetzen mehr für die Gleichberechtigung von Frauen zu
erreichen –, dass die Reichweite von Gesetzen sehr be-

grenzt ist. In der Frage der Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen in unserer Gesellschaft geht es nämlich
nicht zuletzt um Einstellungsfragen. Die Frage, wie offen
wir wirklich sind, allen die Teilhabe und ein Mitsprache-
recht zu ermöglichen, und alles, was mit Einstellungsfra-
gen, Überzeugungen und Akzeptanz zu tun hat, entzieht
sich gesetzlicher Verordnungen. Hier sind wir selber ge-
fordert, vor Ort konkrete Begegnungen herbeizuführen,
um sehr viel mehr Toleranz, Akzeptanz und Teilhabe in
unseren Einstellungen sicherzustellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie schon beim So-
zialgesetzbuch IX hat die CDU/CSU-Fraktion – das gilt
wohl auch genauso gut für die FDP-Fraktion – bewiesen,
dass wir an der Sache orientiert und sehr wohl zu einem
konstruktiven Miteinander bereit sind. Wenn wir merken,
dass wir uns bei den gefundenen Kompromissen wieder-
finden, werden wir solche Vorhaben gemeinsam mit Ihnen
verabschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich erwähne das deshalb, weil uns allzu gern und allzu
schnell so etwas wie Fundamentalopposition und Blo-
ckadepolitik vorgeworfen wird. Dazu muss ich Ihnen sa-
gen: Sie verabschieden eben zu viele Vorhaben, zu denen
wir Ihnen schlicht und ergreifend nicht unsere Hand rei-
chen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das hat leider Gottes auch mit Bereichen zu tun, die

mittelbar und unmittelbar auch sehr konkret auf dieses
Thema einwirken. Eines habe ich schon angesprochen,
nämlich die Barrierefreiheit bei der Ausgestaltung von
Gebäuden, Einrichtungen und Straßen und im Personen-
nahverkehr, wofür vor allem die Länder und Kommunen
in der Pflicht sind. Rot-Grün hat bei Regierungsantritt
versprochen, den Kommunen mehr Geld zu lassen, damit
sie zu mehr kommunaler Selbstverwaltung in der Lage
sind. Aber genau das Gegenteil ist passiert.


(Widerspruch bei der SPD)

Die finanziellen Spielräume der Kommunen werden im-
mer enger


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und die Diskussionen um die Kommunalfinanzen werden
sehr scharf geführt, weil die Kommunen mit dem Rücken
an der Wand stehen. Angesichts dessen brauchen Sie sich
nicht zu wundern, wenn die Kommunen nicht bereit sind,
mehr für Barrierefreiheit zu tun. Sie haben dazu einfach
nicht die finanziellen Spielräume.


(Christine Lambrecht [SPD]: Lächerlich!)

Wenn Sie für Menschen mit Behinderungen wirklich et-
was erreichen wollen, sind Sie gefordert, auch in diesem
Punkte etwas zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Das ist eine Blubberrede!)


Dies gilt noch mehr für den Arbeitsmarkt. Sie haben
es geschafft, dass kaum noch jemand in Deutschland




Claudia Nolte

21863


(C)



(D)



(A)



(B)


bereit ist, einen zusätzlichen Arbeitsplatz zu schaffen und
Menschen einzustellen.


(Klaus Brandner [SPD]: 1,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze! Wo leben Sie eigentlich? Das ist eine dunkle Welt, aus der Sie kommen!)


Die Unternehmen sind durch mehr Bürokratie so einge-
engt und in ihren finanziellen Spielräumen so beschnitten,
dass man nicht erwarten kann, dass die Bereitschaft
wächst, vielleicht auch jemanden einzustellen, bei dessen
Beschäftigung man einen erhöhten Aufwand hat.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zahlen der Einstellungen von behinderten Menschen sprechen eine andere Sprache!)


Vor diesem Hintergrund müssen wir sehr genau aufpas-
sen, wie Sie Ihr Programm „50 000 Arbeitsplätze für
Schwerbehinderte“ umsetzen, und überprüfen, welche
Arbeitsplätze für Behinderte geschaffen werden. Ihnen ist
nämlich nicht geholfen, wenn sie am Ende nur in kurzfris-
tigen Maßnahmen beschäftigt sind und nach einem oder
zwei Jahren erneut arbeitslos sind und wieder in den Sta-
tistiken stehen.

Allerdings haben Sie, meine Damen und Herren von
Rot-Grün, inzwischen alles dafür getan, dass kaum noch
jemand in Deutschland einer Statistik Vertrauen schenkt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Das Vertrauen in Statistik ist inzwischen so verdorben,
dass man schon gar nicht weiß, worauf man sich über-
haupt verlassen kann. Hier haben Sie das Vertrauen der
Menschen vollständig verspielt.


(Klaus Brandner [SPD]: Nach Ihren Schwarzgeldaktivitäten glaubt niemand mehr an die Ehrlichkeit der Politik! Das ist die Wahrheit! Nach Ihren Spendenskandalen vertraut niemand mehr der Politik und schon gar nicht Ihnen!)


Wir werden also aufpassen, ob Sie das Problem der Ar-
beitslosigkeit von Menschen mit schweren Behinderun-
gen am Ende nicht auf ein rein statistisches Problem re-
duzieren.

Wir wollen, dass das Bundesgleichstellungsgesetz
nach Geist und Inhalt in allen Bereichen Erfolg hat. Hier
gibt es in der Tat noch viel zu tun. Wo Sie konstruktive
Vorschläge machen, werden wir Sie unterstützen. Deshalb
werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422100400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422100500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute
ist ein historischer Tag für Behinderte in Deutschland.

Das mag man bei diesem Gesetz ruhig sagen. Das ist eine
Zäsur im Verhältnis von Staat und Gesellschaft zu den be-
hinderten Menschen, die in unserem Land leben. Das
Gleichstellungsgesetz vollzieht einen tiefgreifenden Per-
spektivwechsel in der Behindertenpolitik: weg vom Ob-
jekt der Fürsorge hin zu gleichberechtigten Bürgern, die
ihre Rechte durchsetzen können. Seit vielen Jahren haben
wir Grüne für einen solchen emanzipatorischen Poli-
tikwechsel gearbeitet.

Das Gleichstellungsgesetz hat zum Ziel, behinderten
Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesell-
schaftlichen Leben und eine selbstbestimmte Lebens-
führung zu ermöglichen. Der Perspektivwechsel, den wir
1994 mit der Grundgesetzänderung vorgenommen haben,
wird nun erfahrbare Lebenswirklichkeit und Rechtsalltag.
Das ist ein ganz entscheidender Durchbruch.

Ich freue mich, dass Frau Nolte gesagt hat, die Union
stimme heute zu, und sich bei den Verbänden dafür be-
dankt hat, dass sie so gut mit uns zusammengearbeitet ha-
ben. Bei Rot-Grün finden die Verbände eben Gehör.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben das durchgesetzt, was die Verbände seit 1994
pausenlos vorgetragen haben, weil damals nach der
Grundgesetzänderung eine Katerstimmung aufkam, da
nichts, aber auch gar nichts passierte, um das, was in der
Verfassung steht, auch Verfassungswirklichkeit werden
zu lassen. Wir haben das angepackt, darauf können wir
wirklich stolz sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit dem Gleichstellungsgesetz für Behinderte wird
Barrierefreiheit im umfassenden Sinne verwirklicht. Der
Bund geht mit gutem Beispiel voran. Alle zivilen Neu-
bauten des Bundes werden in Zukunft barrierefrei gestal-
tet sein und bei allen größeren Umbauten muss die Bar-
rierefreiheit berücksichtigt werden. Ich wünsche mir, dass
sich die deutsche Wirtschaft hier entsprechend verhält.
Hier sind aber auch die Länder gefragt. Sie müssen das im
Landesbaurecht genauso umsetzen, wie das der Bund im
Rahmen seiner eigenen Regelungskompetenz mit dem
vorliegenden Gesetz tut.

Wir haben den ideologischen Streit darüber beendet, ob
sich eine Minderheit, nämlich die Gehörlosen, in diesem
Land in ihrer Sprache verständigen dürfen. Wir haben die
deutsche Gebärdensprache als Sprache anerkannt. Damit
unterliegt sie dem Diskriminierungsschutz, den die Spra-
che nach Art. 3 des Grundgesetzes ausdrücklich genießt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bin froh, dass es uns nach der anfänglich zögerlichen
Haltung des Beauftragten der Bundesregierung für die
Belange der Behinderten in der Arbeitsgruppe gelungen
ist, die notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten. Heute
steht die Koalition wie ein Mann oder wie eine Frau hin-
ter der gesetzlichen Anerkennung der deutschen
Gebärdensprache als Sprache. Das ist ein guter Fort-
schritt und zeigt vor allen Dingen, dass wir in dieser Ge-




Claudia Nolte
21864


(C)



(D)



(A)



(B)


sellschaft Verschiedenheit akzeptieren: Wir akzeptieren,
dass die Menschen unterschiedlich sind. Trotzdem haben
sie die gleichen Rechte. Niemand muss seine Andersar-
tigkeit leugnen, um die gleichen Rechte zu haben.

Es ist gut, dass es nun Aufgabe der Behörden ist, dafür
zu sorgen, dass sich die Gehörlosen in ihrer Sprache ver-
ständlich machen können. Das wird wahrscheinlich neue
Arbeitsplätze für Gebärdendolmetscher schaffen, die oft-
mals gut ausgebildet sind, aber bislang kaum Möglich-
keiten hatten, mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten
Geld zu verdienen, weil keine solide Infrastruktur für die
Gehörlosen geschaffen worden war. Ich glaube, der vor-
liegende Gesetzentwurf wird einen wichtigen Beitrag
dazu leisten, dass sich die Gruppe der Gehörlosen mit die-
sem Staat und mit dieser Gesellschaft besser verständigen
kann; denn die entsprechenden Voraussetzungen werden
nun geschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben im Gaststättengesetz vorgesehen, dass alle
neuen Gaststätten, die nach dem In-Kraft-Treten des vor-
liegenden Gesetzes gebaut werden, barrierefrei gestaltet
werden. Ansonsten gibt es keine Zulassung, es sei denn,
es sprechen unzumutbare Härten dagegen. Die Länder
werden entsprechende Verordnungen erlassen müssen.
Über die Barrierefreiheit gab es im Ausschuss einen
langen Streit insbesondere mit den Gaststättenverbänden,
die dies nicht wollten und meinten, man könne doch we-
nigstens die Kleingaststätten von dieser Regelung aus-
nehmen. Auch im Bundesrat gab es solche Stimmen. Ich
vermag nicht einzusehen, warum ein Behinderter mit sei-
nem Rollstuhl nicht auch an die Pommesbude fahren kön-
nen soll. Ich vermag auch nicht einzusehen, warum es
große Mühe machen soll, wenn man eine neue Gaststätte
baut, von Anfang an daran zu denken, dass Behinderte zu
den Gästen dieser Gaststätte gehören werden. Die Sicher-
stellung der Barrierefreiheit ist ein großer Erfolg dieses
Gesetzes und bedeutet, dass sich Behinderte selbstver-
ständlicher und selbstständiger im Lebensalltag unseres
Landes werden bewegen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben mit Zielvereinbarungen für alle gesell-
schaftlichen Bereiche die Möglichkeit geschaffen, rechts-
verbindlich durchzusetzen, dass sich Vertreter der Behin-
dertenverbände und Vertreter der Wirtschaft gemeinsam
an einen Tisch setzen, um in einem bestimmten gesell-
schaftlichen Bereich Barrierefreiheit herzustellen. Wir
haben damit etwas gemacht, was der Gesetzgeber selten
tut: Die gesellschaftlichen Kenntnisse und das Wissen der
Betroffenen werden bei der Lösung von Problemen vor
Ort genutzt werden; denn aufgrund der Zielverein-
barungen können die kompetenten Akteure miteinander
vernünftige Lösungen vor Ort finden, ohne dass der Ge-
setzgeber mit komplizierten und abstrakten Regeln, die
sich, wie wir wissen, nicht immer für alle Lebensbereiche
als tauglich erweisen, überregulierend eingreift. Wir ha-
ben die entsprechenden Mechanismen geschaffen. Die
Verbände können sie jetzt nutzen.

Im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs, haben
wir die Anbieterseite dort, wo der Bund eine originäre Ge-
setzgebungskompetenz hat, im Eisenbahnrecht und im
Luftverkehrsgesetz, rechtsverbindlich verpflichtet, ihren
Bereich barrierefrei umzugestalten. Wir appellieren an die
deutsche Verkehrswirtschaft, nach dem In-Kraft-Treten
des vorliegenden Gesetzes bei neuen Aufträgen keine
Verkehrsmittel mehr anzuschaffen, die nicht barrierefrei
sind. Jede Mark, die heute noch in ein nicht barrierefreies
Verkehrsmittel fließt, ist, meine ich, eine verlorene Mark,
ist Geldverschwendung. Allen sei zur Mahnung gesagt: In
der nächsten Wahlperiode werden wir uns zum 31. De-
zember 2004 von der Bundesregierung darüber berichten
lassen, wie weit es mit der Umsetzung in allen Bereichen
steht. Wenn wir feststellen müssen, dass es nicht schnell
genug geht, dann könnte es durchaus sein, dass der Deut-
sche Bundestag den Nachzüglern mit einer Fristsetzung
im Gesetz auf die Sprünge hilft. Wir wollen das aber ei-
gentlich im Guten versuchen und deshalb belassen wir es
zunächst einmal bei den Zielvereinbarungen. Ich hoffe,
dass wir damit schnell zu guten Ergebnissen kommen.

Das Gesetz insgesamt ist davon geprägt, dass wir den
Behindertenverbänden mehr Möglichkeiten geben wol-
len, die Rechte der Behinderten durchzusetzen. Wir set-
zen nicht auf den Staat, sondern auf das Engagement der
Betroffenen sowie der Bürgerinnen und Bürger. Mit dem
Verbandsklagerecht geben wir ihnen das Instrument
in die Hand, um ihre Rechte auch tatsächlich gesell-
schaftlich durchzusetzen – gegen Staat und gegen Wirt-
schaft gleichermaßen. Also: Die Arbeit hört nicht auf. Die
Behindertenverbände werden einiges zu tun bekommen.
Rot-Grün können sie dabei an ihrer Seite wissen. Auch
mit dem begleitenden Entschließungsantrag wird dieses
Signal gesetzt.

Ich möchte zum Schluss meiner Rede den Behin-
dertenverbänden danken, die uns so gut begleitet haben,
sowie dem Forum behinderter Juristinnen und Juristen,
die die erste Vorlage für dieses Gesetz geschaffen haben,
das wir in der Koalitionsarbeitsgruppe aufgegriffen ha-
ben. Ich möchte besonders zwei alten Freunden aus der
BAG Behindertenpolitik der Grünen danken, die beim Ar-
beitsstab des Behindertenbeauftragten für dieses Gesetz
wirklich sehr gute Arbeit geleistet haben. Vielen Dank an
Dr. Frehe und Dr. Jürgens, ohne deren kompetenten Rat
wir wahrscheinlich nicht so weit gekommen wären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte auch dem gesamten Arbeitsstab des Behin-
dertenbeauftragten und dem Arbeitsministerium danken,
weil die Zusammenarbeit nach anfänglichem Stottern im-
mer besser geklappt hat und wir zu einem guten Abschluss
gekommen sind.

Ich bin froh darüber, dass die Oppositionsfraktionen,
zumindest CDU/CSU und FDP– von der PDS weiß ich es
noch nicht so genau –, diesem Gesetz zustimmen werden.
Es ist ein gutes Signal, dass es uns gelungen ist, unter rot-
grüner Mehrheit einen gesellschaftlichen Konsens dafür
zu organisieren, dass ein solches Gesetz notwendig ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das einzig brauchbare Gesetz in der Wahlperiode!)





Volker Beck (Köln)


21865


(C)



(D)



(A)



(B)


In der letzten Wahlperiode fehlte dieser Konsens leider.
Ich finde es immer gut, wenn man auch in der Opposition
dazulernt.

Auch wenn die Bänke des Bundesrats hier zurzeit leer
sind, möchte ich an den Bundesrat appellieren, diesem
Reformwerk für behinderte Menschen keine Steine in den
Weg zu legen. Behinderte Menschen, ihre Angehörigen
und Freunde warten seit langem auf das Gesetz. Wenn
sich die Länder hier verweigern würden, wäre eine his-
torische Chance für unsere Gesellschaft vertan. Wir sind
daher optimistisch, dass sich die Bundesländer ihrer Ver-
antwortung für die behinderten Bürgerinnen und Bürger
bewusst sind und dieses Gesetz ohne weitere Sperenzchen
schnell passieren lassen. Das muss jetzt ins Gesetzblatt,
damit es noch in dieser Wahlperiode wirksam werden
kann. Wir hoffen bei diesem Gesetz auf Gemeinsamkeit
mit dem Bundesrat, nachdem wir für die Behinderten hier
im Deutschen Bundestag die große Gemeinsamkeit der
demokratischen Parteien gefunden haben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422100600
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, das Wort.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1422100700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die FDP ist die politische
Kraft in Deutschland, die größtmögliche Freiheit bei ei-
nem Höchstmaß an Eigenverantwortung für jeden einzel-
nen Menschen anstrebt.


(Beifall bei der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Warum habt ihr das nicht gemacht?)


Diese Prinzipien – eine solche grundlegende Bemerkung
muss in einer Debatte einmal erlaubt sein –, verbunden
mit dem Prinzip der Toleranz, sind auch Richtschnur ei-
ner liberalen Politik für Menschen mit Behinderungen.


(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, behin-
derte Menschen sind ganz normale Bürger unseres Lan-
des. Deswegen ist Behindertenpolitik für uns Liberale
keine Spartenpolitik, sondern Bürgerrechtspolitik.


(Beifall bei der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Deswegen haben Sie nichts gemacht!)


Im Mittelpunkt einer liberalen Behindertenpolitik steht
also der Mensch, der Mensch mit seiner Behinderung,
aber nicht die Behinderung als solche. Deswegen wollen
wir Behindertenpolitik nicht für, sondern mit behinderten
Menschen machen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Wir haben das gemacht!)


Behinderte Menschen müssen wesentlich mitgestalten
können.

Menschen mit Behinderungen müssen mit klaren
Rechten und mit fairen Chancen ausgestattet werden.

Gerade behinderte Menschen und – nicht zu vergessen –
deren Angehörige wollen mehr Gestaltungsspielraum für
ihr Leben. Sie wollen weg vom Gängelband des Staates.


(Beifall bei der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Das Sie ihnen angelegt haben!)


In jedem Lebensabschnitt und in jeder Lebenssituation
müssen sie die Chance erhalten, ihr Leben so zu gestalten,
wie sie es möchten und können. Das heißt: Wir brauchen
eine durchgängige Förderung und Integration, beginnend
bei der Frühförderung; wir brauchen integrative Kinder-
gärten und Gruppen, in denen die soziale Kompetenz auch
der nicht behinderten Kinder geschult wird.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich höre mit Sorge, dass es bei der Umsetzung des SGB IX
zu einem Streit über die Finanzierung der Frühförderung
gekommen ist. Das kann und darf dieses Haus nicht hin-
nehmen.


(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen integrative Schulen, in denen behin-

derte Kinder in die Lage versetzt werden, im Rahmen ih-
rer individuellen Möglichkeiten Wissen zu erlangen und
Kulturtechniken zu erlernen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Da könnt ihr etwas machen!)


Das bedeutet fast immer zusätzliche Förderung und auch
pflegerischen Aufwand in der Schule. Mit anderen Wor-
ten: Das kostet Geld. Wenn wir Teilhabe ernst nehmen,
dann müssen wir dies zur Verfügung stellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Behinderte Jugendliche brauchen Berufsbildung. Das
bestehende Netz von Berufsbildungswerken muss ausge-
baut werden. Behinderte brauchen, wann immer möglich
– es wird nicht in jedem Einzelfall möglich sein –, die
Chance auf einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt.

Integration auch im Alltag, das heißt behinderten-
gerechtes Wohnen und Mobilität im unmittelbaren Um-
feld sowie auf Reisen. Für Teilhabe gibt es keine Alters-
grenze. Im Gegenteil: Viele Behinderungen treten im
Alter erstmals auf. Hierzu werden wir vermehrt spezielle
Pflegeangebote brauchen. Es geht keinesfalls, dass die
Finanzierung der Pflege behinderter Menschen aus Kos-
tengründen in die Pflegeversicherung abgeschoben wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe hier versucht, in wenigen Worten zu skizzie-
ren: Der Anspruch auf Förderung und Teilhabe gilt für
alle Formen von Behinderungen. Einzelne Gruppen von
behinderten Menschen, die keine Lobby haben oder sich
nicht so gut artikulieren können – ich denke hierbei etwa
an Schwerst- und Mehrfachbehinderte – dürfen nicht be-
nachteiligt werden. Im Gegenteil: Sie bedürfen unserer
besonderen Aufmerksamkeit und Unterstützung.




Volker Beck (Köln)

21866


(C)



(D)



(A)



(B)


Mit anderen Worten: Echte Teilhabe heißt, dass wir die
behinderten Menschen in die Mitte unserer Gesellschaft
stellen. Es entspricht einer guten und mittlerweile
langjährigen Tradition, behindertenpolitische Vorhaben
über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg im Konsens
zu beschließen. Diese Tradition begann mit der Ergän-
zung von Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes. Sie setzte sich
in dieser Legislaturperiode fort, zunächst beim Schwer-
behindertengesetz, dann – nach anfänglichen Schwierig-
keiten – beim SGB IX. Sie findet heute ihren – vorläu-
figen – Abschluss mit der Verabschiedung des Gesetzes
zur Gleichstellung behinderter Menschen.

Ich weise auch darauf hin: Der Weg wird fortgesetzt
werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Unter Rot-Grün sicher!)


Ich denke dabei nicht nur an ein Leistungsgesetz, dessen
Prüfung wir aus Anlass der Verabschiedung des SGB IX
in einer Entschließung bereits verabredet haben, sondern
vor allem an ein zivilrechtliches Antidiskriminierungs-
gesetz, welches mit gutem Willen selbst in dieser Legis-
laturperiode noch verabschiedet werden könnte.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Richtig! Sehr gut!)


Heute beschließen wir zunächst einmal das Gesetz zur
Gleichstellung behinderter Menschen, und das, wie ab-
sehbar ist, mit einer großen Mehrheit dieses Hauses. Ich
appelliere an die PDS, sich der gemeinsamen Haltung des
Hauses anzuschließen und insoweit nicht auf Maximal-
forderungen zu beharren. Gerade weil Sie, Herr Kollege
Seifert, sich wirklich immer wieder als engagierter Strei-
ter für die Belange der behinderten Menschen gezeigt ha-
ben, wäre es schade, wenn Ihre Seite heute nicht zustim-
men würde.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist zu wenig!)

Ich glaube, diese Haltung hilft den behinderten Men-

schen letztendlich nicht. Verständnis für die Bedürfnisse
und Wünsche sowie für die Situation behinderter Men-
schen lässt sich auf Dauer nur erreichen, wenn wir die
Schritte zur Verbesserung der Teilhabe im Konsens gehen.
Das heißt ganz konkret, dass diejenigen, die Beiträge dazu
leisten sollen, etwa die Unternehmer, die Inhaber von
Gaststätten – über Beispiele dieser Art ist hier diskutiert
worden –, im Dialog überzeugt werden müssen. Dieser
Gesetzentwurf sieht dies stärker als bisher vor, Stichwort
Zielvereinbarungen. Ich denke auch an die Regelungen
im Gaststättenrecht. Wir, die FDP, sind ein bisschen stolz,
dass es im Prozess der Entstehung dieses Gesetzes gelun-
gen ist, diese Punkte zu verbessern.


(Beifall bei der FDP)

Für die Zustimmung der FDP-Fraktion zum Gleich-

stellungsgesetz war entscheidend, dass wichtige Beden-
ken berücksichtigt worden sind und dass sich die rot-
grüne Koalition in einer Reihe von Punkten von
Illusionärem verabschiedet hat. Ich will beispielhaft drei
Punkte nennen.

Die FDPmöchte, wie ich bereits sagte, dass behinderte
Menschen ein selbstbestimmtes und eigenverantwort-
liches Leben führen können. In diese Vorstellung passte
das Verbandsklagerecht in seiner ursprünglich geplan-
ten Form nicht hinein.


(Beifall bei der FDP)

Wir möchten – bei allem Respekt vor dem Engagement
der Menschen in den Behindertenverbänden – nicht, dass
Funktionäre darüber entscheiden, was gut oder schlecht
für behinderte Menschen ist. Vielmehr wollen wir errei-
chen, dass behinderte Menschen in ihren Angelegenheiten
selbst entscheiden können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen war die Reduzierung der in § 13 des Behin-
dertengleichstellungsgesetzes enthaltenen Verbandskla-
ge zu einer subsidiären Feststellungsklage gegenüber der
Prozessstandschaft in § 12 des Behindertengleichstel-
lungsgesetzes ein zentrales Anliegen der FDP. Hier sind
Sie, Herr Beck und meine Damen und Herren von der
Koalition, nach massivem Widerstand auch aus dem Bun-
desrat letztlich eingeschwenkt. Das ist auch gut so; denn
Gewinner sind letztlich die behinderten Menschen, deren
Wille und Partizipation bei der Durchsetzung ihrer Rechte
jetzt gefragt sind. Nicht neue Bevormundung, sondern
letztendlich die Freiheit des Einzelnen, Rechte zu verfol-
gen, sind das Ziel der FDP gewesen.


(Beifall bei der FDP)

Die nunmehr gefundene Regelung, dass anerkannte

Verbände in bestimmten Fällen Klage auf Feststellung ei-
nes Verstoßes erheben können, wenn es sich um Fälle all-
gemeiner Bedeutung handelt, findet unsere Zustimmung.
Das ist auch eine Frage der Prozessökonomie; denn Sinn
dieser Form der Verbandsklage ist es, eine Prozessflut
durch Führung eines Musterprozesses zu verhindern. Ich
denke, damit ist insgesamt ein guter Ausgleich der Inte-
ressen gefunden worden.


(Beifall bei der FDP)

Die Präklusionsregelung bei der Zielvereinbarung in

§ 5 Abs. 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes, die
namentlich kleine und mittlere Unternehmen vor einer
Fülle von Verhandlungsbegehren schützen soll, war in
Ihrem Referentenentwurf nicht enthalten. Aber auch an
dieser Stelle haben Sie bereits frühzeitig erkannt, dass es
angesichts der großen Zahl der Behindertenverbände zur
Entlastung der Unternehmen einer Regelung bedarf, die
den Anspruch der Verbände auf Verhandlungsführung be-
grenzt. Die jetzige Regelung ist ausgewogen und mit Au-
genmaß formuliert.

In Art. 41 des Entwurfs haben Sie, wie es in der An-
hörung des Ausschusses dringend angeraten worden ist,
einen Verordnungsvorbehalt der Länder in das Gaststät-
tengesetz aufgenommen, der die kleinen und mittel-
großen Gaststätten vor allzu großen finanziellen Belas-
tungen bei der Herstellung von Barrierefreiheit schützen
soll. Ich bin sehr dafür, Herr Beck, dass der Zugang für
behinderte Menschen bei Neubauten gleich berücksich-
tigt wird. Aber es wird bei vorhandener Bausubstanz nicht




Dr. Heinrich L. Kolb

21867


(C)



(D)



(A)



(B)


in jedem Einzelfall mit vertretbarem finanziellen Auf-
wand möglich sein, Barrierefreiheit herbeizuführen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

So viel zum Gleichstellungsgesetz.
Darüber hinaus ist bedauerlich, dass sich die Koalition

dem Antrag der FDP, die Informationsangebote der
Bundesregierung vorbildlich barrierefrei zu gestalten,
nicht angeschlossen hat.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist jetzt im Gesetz geklärt!)


An dieser Stelle hat die Bundesregierung eine große
Chance vertan, den privaten Anbietern von Informationen
zu zeigen, dass es technisch machbar und sinnvoll ist, be-
hinderte Menschen in die Nutzung der Angebote einzu-
beziehen. Wir meinen, der Staat sollte immer mit gutem
Beispiel vorangehen. Es gibt auch in diesem Hohen Haus
noch Defizite. Die Bundestagsdrucksachen beispiels-
weise werden im Internet im PDF-Format zum Download
bereitgestellt. Aber das PDF-Format bietet bei den aller-
meisten in Gebrauch befindlichen Lesegeräten nicht die
Möglichkeit, dass sich behinderte Menschen diese Texte
vorlesen lassen. Eine einfache TXT- oder ASCII-Datei
könnte gelesen werden. Ich rege deswegen an, dass diese
zusätzlich zu den PDF-Formaten ins Netz gestellt werden.
Damit ist wirklich kein Aufwand verbunden. Aber es ist
ein kleiner Mosaikstein, der zur gleichberechtigten Teil-
habe im Alltag führt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Nun höre ich gelegentlich, die Bundesregierung habe
weite Teile ihres Angebotes ohnehin bereits barrierefrei
gestaltet. Aber selbst wenn das so sein sollte, spricht dies
nicht gegen die Annahme unseres Antrags. Im Gegenteil:
Der Deutsche Bundestag würde damit sein Engagement
für behinderte Menschen eher noch unterstreichen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag stimmt
dem Gleichstellungsgesetz zu. Ich denke, das ist ein guter
Tag für die behinderten Menschen und ihre Angehörigen
in unserem Land. Es zeigt, wir machen mit der Umset-
zung des Benachteiligungsverbotes in Art. 3 Abs. 3 unse-
rer Verfassung ernst. Ich sage voraus: Dem Gleichstel-
lungsgesetz werden weitere Schritte folgen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422100800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ilja Seifert, PDS-Fraktion.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422100900
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch ganz herz-
lich diejenigen behinderten Menschen, die heute im
Reichstag sind oder im Fernsehen diese Diskussion ver-
folgen.

Als wir vor fast acht Jahren hier in diesem Haus das
Grundgesetz änderten, gehörte ich zu denen, die mit den
vielen Menschen, die hier waren, feierten und sagten:
Wir haben einen großen Sieg errungen. Leider zeigt die
Praxis, dass manche den Satz, dass niemand wegen seiner
Behinderung benachteiligt werden darf, nicht lesen. Man-
che lesen offenbar, dass niemand beim Benachteiligen
behindert werden darf. Ich wünsche mir, dass das mit
diesem Gesetz nicht wieder so eintritt.

Ich habe die Befürchtung, dass das Gesetz, weil es so
schwach ausgestaltet ist, nicht die Wirkung, die es entfal-
ten soll, entfalten kann. Deshalb, meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen und meine lieben behinderten Mit-
bürgerinnen und Mitbürger, empfehle ich meiner
Fraktion, sich der Stimme zu enthalten. Wir sind natürlich
in keiner Weise gegen ein Gleichstellungsgesetz. Herr
Kolb, Sie haben es gesagt: Natürlich kämpfen wir seit Jah-
ren mit großem Nachdruck und Engagement dafür. Es gibt
durchaus auch Kolleginnen und Kollegen in unserer Frak-
tion, die für das Gesetz stimmen möchten. Wenn sie das
tun, ist das in Ordnung, aber es wäre mehr erreichbar. Das
ist mein Problem.

Herr Bundesminister Riester, Sie haben hier besonders
hervorgehoben, dass die Einwände und die Vorschläge
der Behindertenorganisationen in diesem Gesetz
berücksichtigt worden seien. Ich habe etwas anderes er-
lebt: Ich habe erlebt, dass nach der Anhörung die Ein-
wände und Vorschläge der Behinderer – der Wirtschafts-
verbände, der Länder und der Juristenorganisationen –
berücksichtigt und deren Änderungsvorschläge in das Ge-
setz eingebaut wurden. Verschlechterungen haben Sie zu-
gelassen, aber die Änderungen zum Besseren, die die Be-
hindertenorganisationen verlangten, zum Beispiel die
Einführung eines Behinderungsbegriffs, der von einem
defektologischen Verständnis weg und hin zur Einbezie-
hung der sozialen Dimension käme – den gibt es bereits
und der könnte verwendet werden –, haben Sie nicht ein-
gebaut.

Nun haben Sie sich immerhin durchgerungen – aus al-
len Fraktionen des Bundestages gibt es dafür Zustim-
mung; ich sage ausdrücklich, dass wir dem gern zustim-
men –, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die in den
nächsten zwei Jahren überlegen soll, ob denn der Behin-
derungsbegriff gut ist oder verändert werden soll. Jeder,
der sich damit beschäftigt, weiß, dass wir bereits einen
besseren Begriff haben als den, den Sie benutzen. Nun
gut, lassen wir die Arbeitsgruppe arbeiten; wir werden
genügend Druck ausüben, dass sie ordentlich arbeitet.

Es kann aber nicht sein – das ist der Geburtsmangel
dieses Gesetzes –, dass ein Gesetz, das Menschen mit Be-
hinderungen mit Menschen ohne Behinderungen gleich-
stellen soll, nicht vorsieht, erstere dafür zumindest zeit-
weilig ein bisschen besser zu stellen. Das ist der Sinn von
Gleichstellungsgesetzen.


(Beifall bei der PDS)

Es kann nicht sein, dass genau die Forderungen, die die
betroffenen behinderten Menschen und ihre Organisatio-
nen aufstellen, in den Skat gedrückt werden, um das ein-
mal lax zu sagen, und die Forderungen, die von denen auf-




Dr. Heinrich L. Kolb
21868


(C)



(D)



(A)



(B)


gestellt werden, die bis jetzt alles verhindert bzw. behin-
dert haben, berücksichtigt werden. Gleichstellung ver-
langt zumindest eine zeitweilige Besserstellung derjeni-
gen, die benachteiligt sind. Das ist mit diesem Gesetz
nicht in ausreichendem Maße erreicht worden.

Wenn die Länder dieses Gesetz scheitern lassen soll-
ten, dann wäre das unverantwortlich; das will ich aus-
drücklich sagen. Aber hier im Bundestag hätte mehr er-
reicht werden müssen.

Erlauben Sie mir zum Schluss meiner kurzen Anspra-
che, einer Freude Ausdruck zu verleihen. Heute sind zwei
behinderte Menschen, mit denen ich mich in der Behin-
dertenszene sehr oft streite, aber auch sehr gut
zusammenarbeite, Dr. Andreas Jürgens und Horst Frehe,
in den Bundestag gekommen, die erstmalig hier im Saal,
wenn auch in der letzten Reihe der Regierungsbank, aber
immerhin, an der Debatte teilnehmen können. Sie hatten
an der Ausarbeitung des Gesetzes großen Anteil. Ich freue
mich, dass die Regierung begriffen hat, dass die Einbe-
ziehung der Betroffenen zum Kriterium jeglicher Politik,
jeglicher Gesetzesarbeit werden muss.


(Beifall bei der PDS)

Das sehe ich beim Zivilrecht und auch bei anderen

Gesetzen allerdings leider noch nicht. Welches Gesetz be-
trifft denn behinderte Menschen nicht? Ob wir über den
öffentlichen Nah- und Fernverkehr, über Finanzen, über
Bauen oder über Familienpolitik reden, immer müssten
auch die Organisationen der behinderten Menschen
selbstverständlich einbezogen werden. Das ist leider noch
nicht der Fall.

Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie kön-
nen noch viel lernen, vor allen Dingen, solche Vorhaben
umzusetzen. Ich wünsche Ihnen bei diesem Lernprozess
viel Erfolg. Sie können sicher sein: Ich werde Ihnen, wo
immer ich kann, helfen. Meine Fraktion ist dabei an mei-
ner Seite.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422101000
Ich erteile das Wort
Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion.


Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1422101100
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
Ihnen zu Beginn von einem Erlebnis berichten. Im letzten
Sommer kam ich an einem sehr heißen Tag gemeinsam
mit einem Referenten, der Rollstuhlfahrer ist, von einem
Behindertenkongress. Wir fuhren mit der Bahn. Die
Rampe zum Bahnsteig war schwierig zu bewältigen, aber
akzeptabel. Als der Zug kam, war kein Schaffner zur
Stelle, der in der Lage gewesen wäre, die Rampe auszu-
fahren, die den Niveauunterschied zwischen Bahnsteig
und Bahn auszugleichen hilft. So musste mein Begleiter
sozusagen Anlauf nehmen und in recht spektakulärer
Weise den Abstand zwischen Bahnsteig und Bahn über-
winden. Danach standen wir im Fahrradabteil, da dieses
die breiteste Tür hatte. Ich musste erst einmal einige
Fahrräder wegräumen. Der Gang zur Toilette war nicht

möglich. Aber mein Begleiter kannte das schon; er hatte
vorsorglich den ganzen Tag nichts getrunken.

Wir alle kennen solche Erlebnisse. Das ist der Grund
dafür, dass wir verschiedene Gesetze – heute das Gleich-
stellungsgesetz – endlich auf den Weg gebracht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben eben nicht nur davon gesprochen, liebe Frau
Nolte und Herr Kolb, sondern wir haben es getan.

Wir sind 1998 angetreten, um den Reformstau auf-
zulösen. Das haben wir Schritt für Schritt bewältigt. Die
Behindertenpolitik ist ein gutes Beispiel dafür. In 16 Jah-
ren wurde vieles ausgesessen. Wir haben in dreieinhalb
Jahren viel bewegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Bilanz der Behindertenpolitik beschreibt
sehr deutlich den Paradigmenwechsel, von dem man in
diesem Fall wirklich sprechen kann. Der zentrale Punkt
ist, dass wir weg von der Fürsorge und hin zur Teilhabe
kommen. Das haben wir mit dem Gesetz zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit in Gang gesetzt. 24 000 Menschen
haben aufgrund des Gesetzes und der Förderung inzwi-
schen einen Arbeitsplatz gefunden. Frau Nolte, wir be-
gleiten diesen Prozess vor Ort sehr aufmerksam und fra-
gen auch nach, ob Etikettenschwindel oder wirkliche
Vermittlung stattfindet. Wir haben das Mietrecht refor-
miert und mit dem Sozialgesetzbuch IX, Rehabilitation
und Teilhabe, behinderten Menschen endlich zu mehr
Rechten verholfen. Heute verabschieden wir das Gesetz
zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Ände-
rung anderer Gesetze.

Herr Minister Riester hat es betont: 4,5 Prozent der
6,6 Millionen Menschen in Deutschland, die schwerbe-
hindert sind, sind es von Geburt an, die anderen werden es
im Laufe ihres Lebens durch Unfall, Alter oder Krankheit.
Alles, was wir für Menschen mit Behinderungen tun, tun
wir für mobilitätseingeschränkte Menschen, für ältere
Mitbürger und Mitbürgerinnen und im Übrigen auch für
Mütter und Väter mit Kinderwagen. Insofern müssen wir
immer wieder betonen, dass es um die Teilhabe vieler
geht.

Was hier schon erwähnt worden ist, war der gute Stil
der Zusammenarbeit mit den Verbänden und mit den
Ministerien. Mein Dank geht an das Forum behinderter
Juristinnen und Juristen. Auch die Arbeit, die der Bun-
desbeauftragte für Behinderte hier geleistet hat, muss Er-
wähnung und auch Dank finden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hätte mir ebenfalls an der einen oder anderen Stelle
einige präzisere Formulierungen gewünscht. Wichtig ist
aber, dass wir den bürgerrechtlichen Anspruch auf
Chancengleichheit in Gang gesetzt haben, der 1994 im
Grundgesetz festgeschrieben wurde.

Es ist schon gesagt worden, dass das Kernstück – in
einem umfassenden Sinne – die barrierefrei gestaltete




Dr. Ilja Seifert

21869


(C)



(D)



(A)



(B)


Umwelt ist. Davon sind Neubauten, Gaststätten, der Nah-
und Bahnverkehr sowie die Flughäfen betroffen. Das be-
deutet aber auch, dass wir eine kontrastreiche Gestaltung
der Lebensumwelt für Sehbehinderte schaffen müssen.
Zielvereinbarungen bezüglich Gebärdendolmetscher und
Gebärdensprache sind schon erwähnt worden. In diesem
Bereich kann Politik vor Ort lebendig umgesetzt werden.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Wir haben vor allem die doppelte Benachteiligung der
3 Millionen schwerbehinderter Frauen im Gesetz endlich
aufgegriffen. Wir fordern und fördern die Gleichstellung
behinderter Frauen.

In diesem Zusammenhang darf ich noch erwähnen,
dass es das Wort der Ministerin für Justiz gibt, dass im
Zuge einer Strafrechtsreform § 179 des Strafgesetz-
buches, der den sexuellen Missbrauch von widerstands-
unfähigen Personen betrifft, in den Fokus gerückt wird.
Der Staat und die Gesellschaft dürfen auch diesen Miss-
brauch nicht dulden. Hier wird die Politik mit der Verän-
derung von Gesetzen ihre Verantwortung wahrnehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte zum Schluss sagen, dass wir unsere bis-
herige Arbeit als Start begreifen und nicht als Ziel. Die
größten Barrieren sind nach wie vor im Kopf. Unsere Ge-
setze helfen, sie abzubauen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422101200
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1422101300
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! „Niemand darf wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Als der Ver-
fassungsgeber 1994 Art. 3 des Grundgesetzes um diesen
Satz ergänzt hat, hat er der Gesetzgebung wie der Ver-
waltung gleichsam einen Auftrag erteilt, dieses Benach-
teiligungsverbot nunmehr auch tatsächlich durchzuset-
zen. Ein kleiner, wenn auch nicht unwichtiger Baustein ist
die heutige Verabschiedung eines Gleichstellungsgeset-
zes.

Gleichstellungsgesetz ist – bei allem Lob, das sich Rot-
Grün heute Vormittag selber spendet –


(Klaus Brandner [SPD]: Lob baut auf!)

eigentlich ein sehr hochtrabender Titel; denn er verspricht
mehr – das ist bei Rot-Grün so üblich –, als wirklich drin-
steht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das ist wahr! Das ist das Problem bei Rot-Grün!)


Es geht nämlich letztlich nur um einen kleinen Aspekt
von Gleichstellung, nämlich um die Verankerung der
Barrierefreiheit, dass sich Menschen mit Behinderung

im Alltag möglichst vollständig diskriminierungsfrei be-
wegen können und dass sie ungehinderten Zugang zu In-
formationsmöglichkeiten haben.

Nun ist in den vergangen Jahren bereits vieles gesche-
hen, um öffentliche Gebäude und öffentliche Verkehrs-
mittel für Behinderte barrierefrei zugänglich zu machen.
Trotzdem muss man leider immer wieder feststellen, dass
das Gegenteil geschieht. Beispielsweise ist im SGB IX,
das wir verabschiedet haben, vorgeschrieben, dass so ge-
nannte Servicestellen zur Beratung von Behinderten ein-
gerichtet werden sollen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Gibt es doch gar nicht!)


Eine Servicestelle, die für meinen Wahlkreis zuständig ist,
kann man aber nicht mit dem Rollstuhl erreichen.


(Klaus Brandner [SPD]: Dann müssen Sie sich darum kümmern!)


– Das habe ich doch gemacht. – Man fragt sich daher, was
diese Servicestelle überhaupt soll.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn dafür zuständig? Wer hat das in Baden-Württemberg verbockt?)


– Es ist die Landesversicherungsanstalt, die diese Ser-
vicestelle eingerichtet hat.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!)


Von ganz besonderer Bedeutung ist, dass im Gleich-
stellungsgesetz festgeschrieben ist, dass öffentliche Ver-
kehrsmittel ohne besondere Erschwernisse – so ist die
Formulierung – für behinderte Menschen zugänglich sein
müssen.

Beim Aus- und Neubau öffentlicher Verkehrsmittel,
der ja gerade nach der Bahnreform einen zusätzlichen
Schwung bekommen hat, spielt der barrierefreie Zugang
eine große Rolle. Zur Forderung des Gleichstellungsge-
setzes – das wir heute verabschieden –, Barrierefreiheit
möglichst überall zu gewährleisten, passt es allerdings
zum Beispiel nicht, dass die Bundesregierung mit ihrem
Entwurf zu einer Novelle des Regionalisierungsgesetzes
die Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr zu-
sammenstreichen will.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Nolte [CDU/CSU]: Immer das Gleiche!)


Gleichstellung behinderter Menschen erreicht man eben
nicht allein mit den nackten Paragraphen eines Gleich-
stellungsgesetzes, sondern nur mit einer insgesamt ziel-
gerichteten Politik. Wenn der eine Minister einen Para-
graphen in ein Gesetz hineinschreibt und der andere in
seinem praktischen Handeln genau das Gegenteil davon
tut – so wie es bei dieser Regierung üblich ist –,


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Der eine weiß noch nicht einmal, was der andere tut!)


wird die Gleichstellung noch lange auf sich warten lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Wovon reden Sie eigentlich?)





Helga Kühn-Mengel
21870


(C)



(D)



(A)



(B)


Die eigentliche Bewährung des Gleichstellungsgeset-
zes kommt – wie man gerade beim öffentlichen Perso-
nennahverkehr sehen kann – erst in der Praxis. Dass die
Herstellung der Gewährleistung echter Barrierefreiheit,
die Stellung von Gebärdendolmetschern in Verwal-
tungsverfahren, die Verwendung von Wahlschablonen
oder barrierefreie Internetauftritte und -angebote auch
Geld kosten, dürfte jedem klar sein. In diesem Zusam-
menhang liest sich jene Formulierung in der Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung besonders schön, wo es zu den Kosten heißt – ich
zitiere –:

Die dem Bund durch die Annahme des Gesetzent-
wurfs entstehenden Mehrausgaben sollen unter Be-
achtung der finanzpolitischen Leitlinien der Bundes-
regierung innerhalb der betroffenen Einzelpläne
erwirtschaftet werden.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Aha!)

Was das dank Eichel und dem blauen Brief aus Brüssel
bedeutet, kann sich jeder vorstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es steht zu vermuten, dass gerade bei dieser Bundes-
regierung trotz Gesetzes die Gleichstellung noch ziemlich
lange auf sich warten lässt.


(Doris Barnett [SPD]: Bei Ihnen wäre es erst gar nicht dazu gekommen!)


Hauptmangel des Gleichstellungsgesetzes ist, dass es
eben nur ein Teilgesetz ist. Die wesentlich wichtigeren
Aspekte der Gleichstellung behinderter Menschen betref-
fen nämlich die zivilrechtlichen Regelungen, die Frage
der Geschäftsfähigkeit, die Berücksichtigung der Behin-
derung bei den allgemeinen Geschäftsbedingungen und
den Schutz vor Diskriminierung im Miet- und Arbeits-
recht. Dieser gesamte Komplex ist schon im Vorfeld aus
dem Gesetzentwurf ausgegliedert worden und soll nun in
einem so genannten Antidiskriminierungsgesetz geregelt
werden. Wie man hört – wir werden sehen, ob sich das
auch bewahrheitet –, will die Bundesregierung im kom-
menden Monat endlich einen Regierungsentwurf zu ei-
nem Antidiskriminierungsgesetz vorlegen. Ich finde nach
wie vor, es wäre besser gewesen, wenn wir beide Gesetze
zusammen beraten hätten. So hätten wir das Thema der
Gleichstellung behinderter Menschen einheitlich in den
Blick nehmen und regeln können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Blick in den bereits bekannten Diskussionsentwurf

für ein Antidiskriminierungsgesetz zeigt, dass vor allem
die geplanten Neuregelungen zur Geschäftsfähigkeit auch
ihre Fallstricke haben. Das betrifft vor allem die Abgren-
zung zu den dort nicht definierten „Geschäften des tägli-
chen Lebens“. Die geplante Neuregelung könnte sich
auch schnell als Bumerang für Menschen mit geistiger
Behinderung erweisen, der im Ergebnis bewirkt, dass die-
jenigen, die bisher ohne Probleme ohne einen gesetzli-
chen Betreuer ausgekommen sind, plötzlich einen
Betreuer zur Regelung ihrer vermögensrechtlichen Ange-
legenheiten erhalten. Ebenfalls unklar bleibt, wie es sich
denn mit einem geistig Behinderten verhält, der zum Bei-

spiel in der Mitgliederversammlung der Lebenshilfe mit
stimmt oder der in seinem Sportverein, in dem er Mitglied
ist, einen Vorstand mit wählt oder einen Haushalt mit ver-
abschiedet. Dann könnte es sich schnell zeigen, dass der
Feind des Guten nicht das Böse,


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das gut Gemeinte!)


sondern das gut Gemeinte ist.
Gleichstellungsgesetz, Antidiskriminierungsgesetz,

Paragraphen und Vorschriften sind bekanntlich die eine
Sache. Für die Gleichstellung und Gleichberechtigung be-
hinderter Mitmenschen in unserer Gesellschaft ist etwas
anderes viel wichtiger und bedeutender: Haben sich
Gleichstellung, Gleichberechtigung und Nichtdiskrimi-
nierung behinderter Menschen im Bewusstsein der Men-
schen, im täglichen Umgang und im Alltagsleben wirklich
durchgesetzt?

Was dieses Bewusstsein anbelangt, stehen wir in
Deutschland vor entscheidenden Weichenstellungen.
Gestern waren wir Abgeordnete von der Bundesvereini-
gung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinde-
rung zu einem Parlamentarierabend eingeladen. Top-
thema war eine Stellungnahme der Lebenshilfe, die uns an
diesem Abend besonders nahe gebracht werden sollte und
aus der ich nun zitieren möchte:

In einem schleichenden Prozess zeichnet sich – ge-
wissermaßen als Kehrseite des medizinischen Fort-
schritts und neuer gentechnologischer Entwicklun-
gen – eine Abwertung der Stellung behinderter
Menschen ab. Parallel zu neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen und Methoden im Bereich der präna-
talen Diagnose, der Präimplantationsdiagnostik, der
Stammzellenforschung usw. werden ethische Leitli-
nien entwickelt, die im Ergebnis bewirken können,
dass zwischen lebenswerten und lebensunwerten
Formen menschlichen Daseins unterschieden wird.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sehr gefährlich!)

Hier sind Entwicklungen zu befürchten, die dem Bild
einer menschlichen Gesellschaft entgegenstehen.

Verfassungen und Gesetze allein können keine grund-
legenden Veränderungen in der Einstellung zu unseren
behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürgern bewirken.
Das Denken und Handeln jedes einzelnen Bürgers müs-
sen sich ändern. Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit und
fehlende Sensibilität müssen zurückgedrängt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem vorge-

legten Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes zu. Wir
sollten über dieses Gesetz hinaus dafür werben, dass Of-
fenheit und Rücksichtnahme, Verständnis und Zuwen-
dung für die behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürger
Tag für Tag größer werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)





PeterWeiß (Emmendingen)


21871


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422101400
Ich erteile der Kolle-
gin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Mit einer Behinderung zu leben bedeutet für
Frauen in unserer Gesellschaft eine doppelte Benachtei-
ligung. Denn zum einen werden sie aufgrund ihres Frau-
seins behindert und zum anderen aufgrund der Behinde-
rung. Der Buchtitel „Geschlecht: behindert. Besonderes
Merkmal: Frau“ charakterisiert diese Situation besonders
treffend.

Um Chancengleichheit für behinderte Frauen durchzu-
setzen, muss deshalb sowohl die Benachteiligung zwi-
schen den Geschlechtern als auch die zwischen behinder-
ten und nicht behinderten Menschen zum Thema gemacht
werden. In Deutschland leben 4 Millionen behinderte
Mädchen und Frauen. Das heißt, jede zehnte Frau lebt mit
einer körperlichen, seelischen oder psychischen Beein-
trächtigung. Ihre Lebensrealitäten sind jedoch in der ge-
sellschaftlichen Wahrnehmung immer noch unbekannt.

Auch gesetzliche Regelungen legten bislang den
Schwerpunkt zumeist auf die Lebenssituation behinderter
Männer. Statistiken sind auch heute noch überwiegend
nicht geschlechtsspezifisch. Das bedeutet: Frauen kom-
men dort nicht vor.

Damit ist nun – Gender Mainstreaming sei Dank –
Schluss. Dieses Prinzip, auf das sich das Bundeskabinett
im Juni 2000 verpflichtet hat, bedeutet, dass die unter-
schiedliche Wirkung auf Männer und Frauen in jedem Ge-
setz und bei jeder Maßnahme berücksichtigt werden
muss. Genau das ist hier geschehen.

Frau Nolte, Sie sagen, Gesetze bewirkten nichts.

(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)

Darauf muss ich entgegnen, dass Bewusstseinswandel
durch Gesetze gefördert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Gleichstellungsgesetz verpflichtet die Bundes-
regierung zu regelmäßigen Berichten über die Maßnah-
men, die aufgrund des Gesetzes in Angriff genommen
werden, über die Entwicklung der Zielvereinbarungen zur
Barrierefreiheit und über den Stand der Gleichstellung.
Der Gesetzentwurf schreibt ausdrücklich vor, dass die Be-
richte eine nach Alter und Geschlecht differenzierte Dar-
stellung und Bewertung leisten müssen. Damit ist endlich
die Voraussetzung geschaffen, spezifische Benachteili-
gungen behinderter Frauen gezielt angehen zu können.
Aussitzen und Ignoranz haben nun keine Chance mehr.

Das Gleichstellungsgesetz setzt ein klares Signal. An
herausgehobener Stelle, nämlich in Artikel 1 § 2, heißt es
ausdrücklich:

Zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von
Frauen und Männern sind die besonderen Belange
behinderter Frauen zu berücksichtigen und beste-
hende Benachteiligungen zu beseitigen.

Folgerichtig haben wir auch einen Fördergrundsatz ver-
ankert, der es den Trägern öffentlicher Gewalt zur Pflicht
macht, bei allen Maßnahmen nach diesem Gesetzentwurf
die besonderen Belange behinderter Frauen zu berück-
sichtigen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Er wird das
Bewusstsein in der Gesellschaft verändern.

Das Gleichstellungsgesetz markiert – das haben meine
Kollegin Kühn-Mengel und der Kollege Volker Beck
schon gesagt – einen deutlichen Paradigmenwechsel in
der Behindertenpolitik. Mit diesem Gesetz werden
Emanzipation und Selbstbestimmung gefördert. Auch
darum ist es für Frauen besonders wichtig.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Quatsch!)

– Das ist kein Quatsch, Frau Kollegin.

Als nächster Schritt muss danach ein Gesetz zum
Schutz vor Diskriminierung im Arbeitsleben folgen; denn
auch hier liegen gerade für Frauen besondere Benachtei-
ligungen vor. Diesen Bereich werden wir angehen. Die
Bundesregierung hat sich in der EU für eine Richtlinie zur
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf engagiert,
die behinderte Menschen ausdrücklich einschließt.

Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzent-
wurf haben wir zwar einen guten Rahmen gesetzt; aber
Gesetze werden erst dann lebendig, wenn sie von einem
großen Teil der Gesellschaft gelebt werden. Dabei kommt
den Verbänden behinderter Menschen eine wichtige Rolle
zu. Ich freue mich, dass wir einige Vertreter dieser Ver-
bände heute unter uns haben. Ihre Stellung wird durch das
Recht der Verbandsklage deutlich gestärkt. Das bietet
große Chancen für die Vereinigungen behinderter Frauen,
ihren Forderungen wirkungsvoller Gehör zu verschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb kann ich alle behinderten Menschen, die Ver-
bände und alle engagierten Frauen und Männer nur bitten,
ihre Ziele auch künftig mit Vehemenz an uns heranzutra-
gen, damit dieses Gesetz mit Leben erfüllt wird, damit wir
Barrierefreiheit im Alltag schaffen: nicht nur auf den
Bahnsteigen, sondern auch in den Köpfen der Menschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es nach
dem vor kurzem in Kraft getretenen SGB IX und dem
heute vorliegenden Gleichstellungsgesetz noch schaffen,
die Gleichstellung von Personen mit Behinderung im
Strafrecht umzusetzen, dann können wir mit Fug und
Recht behaupten: Diese rot-grüne Bundesregierung hat in
dreieinhalb Jahren mehr für Menschen mit Behinderung
getan als die letzte Bundesregierung in 16 Jahren.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422101500
Ich erteile der Kolle-
gin Heidemarie Ehlert, PDS-Fraktion, das Wort.






(C)



(D)



(A)



(B)



Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1422101600
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Anliegen des vorliegenden Gesetz-
entwurfes ist unter anderem die Beseitigung und Vermei-
dung der Benachteiligung behinderter Menschen. Die
gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am
Leben in der Gesellschaft und eine selbstbestimmte Le-
bensführung setzen aber eben nicht nur Barrierefreiheit
voraus.


(Beifall bei der PDS – Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Aber auch!)


– Aber auch.
Machen wir uns nichts vor: Ohne Geld wird es eben

kaum einem behinderten Menschen möglich sein, am
gesellschaftlichen Leben wirklich gleichberechtigt teilzu-
nehmen. Ein kleiner, aber nicht unwichtiger Schritt wäre
deshalb die längst überfällige Anhebung der Behinder-
tenpauschbeträge nach § 33 b des Einkommensteuer-
gesetzes.


(Beifall bei der PDS)

Es gibt nun einmal einen behinderungsbedingten

Mehraufwand bei der Beschaffung von Kleidung, Haus-
rat, Pflegemitteln und vor allen Dingen bei der
Gewährleistung der Mobilität. Diese Kosten sind in den
vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Aber der Be-
hindertenpauschbetrag wurde letztmalig 1975 – ich wie-
derhole: 1975 –, also vor 27 Jahren, geändert. In der Be-
gründung hieß es damals, dass sich die wirtschaftlichen
Verhältnisse wesentlich geändert hätten. Ich frage Sie, ob
sich in den 27 Jahren nicht doch erneut irgendetwas an
den Verhältnissen geändert hat.


(Beifall bei der PDS – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Und zwar gewaltig!)


Betroffene haben wiederholt auf die wachsende Dis-
krepanz zwischen den Pauschbeträgen und den tatsächli-
chen Veränderungen bei den Aufwendungen hingewie-
sen. Für bestimmte Gruppen der Bevölkerung wurde ein
entsprechender Anpassungsbedarf akzeptiert. Der Ge-
setzgeber handelte. Ich will hier nur auf die Kostenpau-
schale für uns Abgeordnete verweisen.

Meine Damen und Herren, die Anpassung der Pausch-
beträge kann nur ein erster Schritt sein.


(Beifall bei der PDS)

Danach müsste eine Überprüfung der Umwandlung der
Pauschbeträge für behinderte Menschen in echte Freibe-
träge bzw. direkte Zuschüsse


(Beifall bei der PDS)

sowie eine Um- und Neustrukturierung der Nachteilsaus-
gleiche für behinderte Menschen erfolgen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sehr gut! Das ist das eigentliche Ziel!)


Durch die Pauschbeträge werden behinderte Menschen
bzw. Familien mit behinderten Angehörigen, die von den
entsprechenden Steuergrenzen bzw. Freigrenzen nicht er-
fasst werden, ausgeschlossen. Es wäre Ausdruck eines
guten politischen Willens, behinderten Menschen ent-

sprechende Nachteilsausgleiche einzuräumen. So könnte
übrigens auch die Sozialhilfe von bestimmten Leistungen
entlastet werden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie gesagt: Die
Anhebung der Pauschbeträge für behinderte Menschen
löst nicht alle Probleme. Was uns aber recht ist, sollten wir
den behinderten Menschen erst recht zugestehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422101700
Ich erteile der Kolle-
gin Silvia Schmidt, SPD-Fraktion, das Wort.


Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1422101800
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
muss doch etwas anders anfangen, als ich es mir vorge-
nommen hatte.

Frau Nolte, Sie nehmen einfach nicht wahr – dieses Ge-
fühl habe ich –, dass es schon sehr viele Integrationsunter-
nehmen und -abteilungen gibt, dass weitere entstehen und
bereits 21 977 schwerbehinderte Arbeitslose einen Ar-
beitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden unser politisches Ziel, 50 000 schwerbehin-
derte Menschen in Arbeit zu bringen, erreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kolb, ich gebe Ihnen Recht: Früher wurden Men-
schen tatsächlich aus Kostengründen in Pflegeheime ab-
geschoben. Auch für mich war das immer ein schwerwie-
gender Punkt. In § 40 a BSHG – lesen Sie es bitte nach –
haben wir geregelt, dass Personen nur mit ihrer Einwilli-
gung ins Pflegeheim gehen können. Nur dann, wenn der
behinderte Mensch sagt, dass er in ein Pflegeheim gehen
will, ist es auch möglich – anders nicht mehr.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber ein bisschen blauäugig! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das hat Ihnen das Arbeitsministerium noch schnell reingeschrieben!)


Herr Seifert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
PDS, ich muss es heute einfach sagen: 1989 war für mich
das Jahr, in dem die behinderten Menschen in der ehema-
ligen DDR befreit wurden.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Damals lebten sehr viele Menschen in einem Käfig. In den
gut zwölf Jahren haben wir sehr viel erreicht; auch das
muss deutlich gesagt werden. Wir wollen heute den rich-
tigen Weg weitergehen.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Ja, da hat sie Recht!)


Sie enthalten sich wieder. Sie nehmen sich zurück, wollen
keine Verantwortung tragen und schlagen wieder den gol-
denen Käfig vor. Wir wollen Arbeitsplätze für die






(C)



(D)



(A)



(B)


schwerbehinderten Menschen und wir wollen, dass sie
selbstständig entscheiden können, was und wie viel sie
tun. Ein Pauschbetrag kann die Selbstständigkeit mit Si-
cherheit fördern. Er kann aber, wenn man nur noch zu
Hause sitzt, auch behindern.


(Heidemarie Ehlert [PDS]: Darum geht es ja nicht!)


Was jetzt als Gesetzentwurf der Bundesregierung
vorliegt, ist so nahe an dem, was wir uns einmal vor-
gestellt haben, dass wir ausgesprochen zufrieden
sind.

Mit dieser Aussage hat Herr Dr. Jürgens vom Forum be-
hinderter Juristinnen und Juristen unserer Arbeit, der Ar-
beit von SPD und Grünen, ein beachtliches Zeugnis aus-
gestellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Er war nicht der einzige Sachverständige in der öffentli-
chen Anhörung des Deutschen Bundestages, der den vor-
liegenden Gesetzentwurf ausdrücklich gelobt hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
gleichzeitig freut es mich, dass Sie, nachdem wir uns auf
einen Entschließungsantrag geeinigt hatten, signalisiert
haben, unseren Entwurf mittragen zu wollen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Und auf Änderungen im Gesetz! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Gesetzentwurf sieht jetzt ganz anders aus als ursprünglich!)


Damit wird sichergestellt, dass erstens die Diskussion
über den Begriff Behinderungen fortgeführt wird und
zweitens die Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes
zur Schaffung von Barrierefreiheit im Verkehrswesen ei-
ner ständigen Überprüfung unterliegt.

Wir können mit Stolz sagen, dass das Gleichstellungs-
gesetz nicht nur von den Betroffenenverbänden unter-
stützt, sondern auch von einer breiten parlamentarischen
Mehrheit getragen wird. Die Zustimmung der Behinder-
tenverbände zum vorliegenden Gesetzentwurf zeigt vor
allem eines: Der von uns angekündigte Paradigmenwech-
sel in der Behindertenpolitik hat tatsächlich stattgefun-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Behindertenpolitik wird nicht mehr für unsere behinder-
ten Mitbürgerinnen und Mitbürger gemacht. Sie wird jetzt
von ihnen gemacht und gestaltet. Damit haben wir ein
Kernelement sozialdemokratischer Politik umgesetzt.
Das ist der richtige Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Durch diesen Paradigmenwechsel wird der Fürsorge-

staat in der Behindertenpolitik abgelöst. Das Prinzip
„Teilhabe statt Fürsorge“ garantiert die Chancen auf ein
selbstbestimmtes Leben. Schöne, behindertengerechte
Häuser sind natürlich ein Teil von Lebensqualität; nie-
mand streitet das ab. Wer aber glaubt, dass Behinderten-
politik vor allem eine gut ausgestattete Fürsorge meint,
der irrt und dem muss ein Verharren in alten Denkmustern

bescheinigt werden. Menschen mit Behinderungen dürfen
nicht mehr als schutz- und hilfebedürftige Sorgenkinder
angesehen werden.

Zum selbstbestimmten Leben gehört mehr; dazu
gehört, dass ich mein Leben selbst in die Hand nehmen
kann und entscheide, was ich will. Dazu gehört auch, dass
ich die Gesetze, die mich bis in mein Privatleben hinein
berühren, mitgestalten kann. Menschen mit Behinderun-
gen – nicht der wohlmeinende, fürsorgliche Staat – wis-
sen selbst am besten, was gut für sie ist. Das ist gemeint,
wenn wir von einem Paradigmenwechsel in der Behin-
dertenpolitik sprechen.

Auch die öffentliche Anhörung zum Entwurf des
Gleichstellungsgesetzes war von diesem Paradigmen-
wechsel geprägt. Wir haben uns nicht einfach mit einer
breiten Zustimmung zufrieden gegeben. Vielmehr haben
wir die Anregungen und ergänzenden Vorschläge der
Sachverständigen und Verbände aufgegriffen und in un-
seren Gesetzentwurf einfließen lassen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Aber die der falschen!)

Ich nenne beispielhaft eine Änderung, die unmittelbar

das Resultat der öffentlichen Anhörung ist: Der Sach-
verständige Herr Krüger von der Aktion Psychisch
Kranke e.V. hob zu Recht hervor, dass psychisch Kranke
eine relativ große Gruppe unter den behinderten Men-
schen darstellen, die aber allgemein nicht wahrgenommen
wird. Das hat damit zu tun, dass diese Form der Behinde-
rung relativ unbekannt ist. Sie wird gesellschaftlich igno-
riert, auch weil sie nicht so sichtbar ist. Herr Krüger schlug
vor, in § 1 des Entwurfs im Zusammenhang mit der Ziel-
setzung des Gesetzes einen Passus aufzunehmen, der den
besonderen Bedürfnissen verschiedener Gruppen Behin-
derter Rechnung trägt. Diesen Vorschlag haben wir aufge-
griffen und umgesetzt.

Sie wissen, dass ich an dieser Stelle bei jeder Gelegen-
heit die Gleichberechtigung behinderter Frauen einge-
fordert habe. Die Verbände behinderter Frauen haben in
der Anhörung daran erinnert, dass sie etwa seit 25 Jahren
immer wieder auf ihre besondere Benachteiligung als
Frau und als Behinderte hingewiesen haben; sie werden
im doppelten Sinne diskriminiert. Die Belange behinder-
ter Frauen sind vom Gesetzgeber sehr lange ignoriert wor-
den. Das hat jetzt ein Ende. Die Frauenförderung ist end-
lich in § 2 unseres Entwurfes festgeschrieben. Das freut
mich besonders.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der genannte Paragraph unseres Gesetzentwurfes
zeigt, dass der Kampf behinderter Frauen für ein gleich-
berechtigtes Leben endlich auch beim Gesetzgeber regis-
triert worden ist. Damit steht außer Frage: Wir werden
weiterhin alles dafür tun, um Diskriminierungen und Be-
nachteiligungen behinderter Frauen zu beseitigen.

Gerade im Sexualstrafrecht – Frau Kühn-Mengel hat
es vorhin angeführt – ist dringend Aufklärung erforder-
lich. Auch hier werden wir in Zukunft handeln. Die Be-
seitigung der Diskriminierung kann aber nur im Rahmen
eines Gesamtkomplexes einer weiteren Überarbeitung




Silvia Schmidt (Eisleben)

21874


(C)



(D)



(A)



(B)


des Sexualstrafrechts vorgenommen werden. Die Diskus-
sionen zu einer entsprechenden Änderung des Strafrechts
werden zurzeit geführt.

Mir ist natürlich auch bewusst, dass Frauen und Män-
nern ein Wahlrecht einzuräumen ist, ob sie von einem
Mann oder von einer Frau gepflegt werden. Ich persönlich
werde mich weiterhin für eine Klärung im Pflege-Versi-
cherungsgesetz einsetzen.

Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute verab-
schieden, muss natürlich von den Ländern mitgetragen
und umgesetzt werden. Es müssen entsprechende Gleich-
stellungsgesetze auf Länderebene folgen. Meine Landes-
regierung in Sachsen-Anhalt – das sage ich mit Stolz –

Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:
Wird abgewählt)

hat hier, wie in vielen anderen Politikbereichen auch, be-
reits Pionierarbeit geleistet.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Noch wenige Wochen, dann ist es aus mit der Landesregierung in Sachsen-Anhalt!)


Sachsen-Anhalt hat mit seinem neuen Behindertengleich-
stellungsgesetz bewusst Maßstäbe gesetzt. Hier ist auch
die Kostenfrage kein Hindernis, sondern ein Ansporn,
Frau Nolte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Gleichstellungsgesetz des Landes Sachsen-
Anhalt wird, genauso wie in dem heute vorliegenden Ge-
setzentwurf, das Diskriminierungsverbot eindeutig for-
muliert. Wenn alle anderen Bundesländer dem Beispiel
von Berlin und Sachsen-Anhalt folgen, kommen wir un-
serem Ziel, endlich die gleichberechtigte Teilhabe aller
Mitbürgerinnen und Mitbürger am gesellschaftlichen Le-
ben zu ermöglichen, einen großen Schritt näher.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422101900
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1422102000
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit zwei Fragen
beginnen. Die erste Frage: Ist durch den Gesetzentwurf
die gesellschaftliche Verpflichtung zur Beseitigung der
Benachteiligung und Diskriminierung von behinderten
Menschen deutlicher geworden? Ich frage weiter: Ist hin-
sichtlich der sozialrechtlichen Ansprüche alles getan wor-
den, damit dem Anspruch der Menschen auf gleiche Teil-
habe am gesellschaftlichen Leben Rechnung getragen
wird?


(Konrad Gilges [SPD]: Nicht alles, aber vieles!)


Ich erinnere daran: Das SGB IX ist kein Leistungsge-
setz geworden – das erkennen wir jetzt schon an dem Pro-
blem der Frühförderung – und es holt uns ein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen doch miteinander etwas erreichen und es hat
keinen Sinn, sich schon zu Beginn der Auseinanderset-
zung gegenseitig Vorwürfe zu machen. Darum bitte ich
herzlich.


(Konrad Gilges [SPD]: Macht ja auch keiner! – Erika Lotz [SPD]: Das hat die Frau Nolte gesagt!)


Es geht um die Erschwernisse und die fehlenden Chancen
im Alltag. Wir möchten diese gemeinsam beseitigen. Frau
Nolte weiß sehr wohl, was sie sagt, und ich kann das auch
sehr wohl unterstützen.

Die öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen und Vor-
schriften sollen darauf abgestellt werden. Die Träger der
öffentlichen Gewalt dürfen behinderte Menschen danach
nicht mehr benachteiligen. Dabei liegt eine Benachteili-
gung bereits vor, wenn behinderte und nicht behinderte
Menschen ohne zwingenden Grund unterschiedlich be-
handelt werden und die gleichberechtigte Teilhabe am Le-
ben in der Gesellschaft unmittelbar und mittelbar nicht
gewährleistet ist.

Ich freue mich darüber, dass die neuen Bundesländer
angesprochen worden sind. Herr Beck – er ist leider nicht
mehr da –


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist typisch! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Immer nur große Sprüche!)


hat sehr kühn behauptet, in den 90er-Jahren sei nichts ge-
schehen. Dazu muss ich ihm sagen: Sie waren leider nicht
dabei.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Grünen sind öfter nicht dabei!)


Das zeigt auch die Wählerzustimmung in den jungen Bun-
desländern Ihrer Partei gegenüber.

Ich muss auch Frau Kühn-Mengel ins Stammbuch
schreiben: Wir waren 1994 unterwegs, als in weiten Be-
reichen in den neuen Bundesländern die Netzwerke für
Behinderte aufgebaut wurden. Dort war nichts. Das kann
ich Ihnen sagen; denn ich war dabei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ging – auch Herr Haack weiß das – um Berufsförder-
werke, Bildungswerke, Werkstätten, Wohnungen, Pflege-
einrichtungen, Wohngemeinschaften und um die integra-
tiven Modelle,wie sie soeben auch Frau Schmidt genannt
hat. Nur wer das nicht wahrhaben will, kann hier sagen,
es sei 16 Jahre nichts getan worden. Ich bedauere solche
Aussagen zutiefst; sie werden auch dem Anspruch der Be-
hinderten nicht gerecht. Das sage ich Ihnen ganz offen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden mit diesem Gesetz sicherlich nicht nur die

räumlichen Bedürfnisse der Rollstuhlfahrer und die
Gestaltung der Lebensumwelt für behinderte Menschen




Silvia Schmidt (Eisleben)


21875


(C)



(D)



(A)



(B)


verbessern. Es gilt vielmehr auch, die Kommunikation für
blinde und sehbehinderte Menschen in den elektronischen
Medien zu verbessern, was von Ihrer Initiative, Herr
Kolb, mit erfasst ist.

Ausgehend von diesem Verständnis geht es um die
Zielvereinbarungen mit den Verbänden behinderter Men-
schen und mit Unternehmen, durch die den Behinderten
ein Mitwirkungsrecht ermöglicht wird.

Für behinderte Menschen soll Barrierefreiheit im ge-
samten öffentlichen, durch Bundesrecht gestalteten Raum
sichergestellt werden. Das ist – lassen wir uns ehrlich mit-
einander umgehen – zunächst einmal eine Absicht; denn
wir müssen es draußen umsetzen. An dem Beitrag von
Herrn Weiß, dem man vorwarf, dass er nicht sofort die
Räumlichkeiten bei der Landesversicherungsanstalt än-
dert, wurde das schon deutlich. So geht es auch nicht.

Wir sollten miteinander behutsam an die Sache heran-
gehen, damit wir nicht Erwartungshorizonte aufbauen,
die wir nicht erfüllen können. Damit würde die Politik
sich wiederum ein schlechtes Zeugnis ausstellen, wie wir
es bei den Statistiken schon erlebt haben.

Wir müssen auch die Folgen der Gesetze beachten und
die Kostenlawine einbeziehen. Ich bitte insbesondere die
Regierenden um große Zurückhaltung. Wenn für den Pu-
blikumsverkehr die vielen Bereiche – ob im Personen-
nahverkehr oder in den kommunikativen Zonen in den
Städten – noch nicht geregelt sind, dann deshalb – darauf
weise ich ausdrücklich hin –, weil dies auch mit der Fi-
nanznot der Gemeinden zusammenhängt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich muss das noch einmal deutlich machen – auch Frau
Nolte hat es bereits ausgeführt; da beißt die Maus keinen
Faden ab –: Daran sind nun einmal Ihre Bundesregierung
und der Finanzminister Eichel mit beteiligt.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es! Sie nehmen es ja nicht wahr!)


Sie wollen doch wohl im September mit einer Leistung
vor die Bürgerschaft treten


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Manchmal habe ich nicht den Eindruck! Manchmal glaube ich, die wollen das gar nicht!)


und sich nicht auf die 16 Jahre davor berufen. Sie wollen
doch wohl die vier Jahre Ihrer Regierung vertreten. Es war
Ihr Problem, dass Sie die Gemeinden so im Stich gelassen
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht umsonst kommt der DGB zu der Feststellung,

dass der Entwurf in seiner jetzigen Fassung allein auf die
Hoffnung baue.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Prinzip Hoffnung ist aber ein gängiges rot-grünes Prinzip!)


Es geht um diesen Gesetzentwurf. Sie können das im Aus-
schussbericht nachlesen.

Der zeitliche Horizont ist bereits von Frau Nolte ange-
sprochen worden. Darauf bezieht sich der DGB.


(Konrad Gilges [SPD]: Das war aber 16 Jahre hoffnungslos!)


– Ich habe soeben auf die großen Aufwendungen hinge-
wiesen. Sie wissen sehr wohl, was in den 90er-Jahren ge-
schehen ist.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Die wollen das einfach nicht wahrhaben!)


Wir haben die Pflegeversicherung eingeführt und andere
große Maßnahmen auf den Weg gebracht. Dem können
Sie stundenlang hinterherlaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte allerdings nicht so weit gehen wie der An-

waltverein, der festgestellt hat, anstelle der Teilhabe be-
hinderter Menschen würden durch den Gesetzentwurf
bürokratische Strukturen gefördert. Natürlich gibt es in
diesem Bereich Regelungs- und Handlungsbedarf. Dem
stimmen wir zu. Wir wissen sehr wohl – darauf habe ich
schon hingewiesen –, dass die Hauptlast vor Ort zu regeln
ist. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.

Ich möchte nicht auf die Probleme der Kommunen ein-
gehen. Sie spielen gerade in diesen Wochen wieder eine
Rolle. Die Spitzenverbände tagen gerade hier. Herr
Gilges, vielleicht haben Sie heute Nachmittag, wenn die
Nordrhein-Westfalen hier sind, die Gelegenheit, sich zu
informieren. Genau dort, wo die Hauptgeschäftsstelle des
Städtetags zu Hause ist, sind Sie auch zu Hause, nämlich
in Köln. Sie können sich auch dort informieren.

Für hör- und sprachbehinderte Menschen soll die
Wahrnehmung eigener Rechte in den Behörden auch in
der Gebärdensprache ermöglicht und auch in diesem
Sinne Barrierefreiheit geschaffen werden. Ich will aber
deutlich darauf hinweisen, dass wir von dem Verbands-
klagerecht nicht zu viel erwarten sollten. Denn wo das
Geld, die Verhältnisse und Möglichkeiten nicht vorhan-
den sind, lässt sich das auch durch die Klage nicht reali-
sieren. Zum Beispiel ist es bei der Treppe zu einem Res-
taurant im Keller sehr wahrscheinlich nicht möglich, eine
rollstuhlgerechte Einrichtung zu schaffen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Ich wollte auf das Machbare zu sprechen kommen. –
Aber man kann dort durch Kontrastführungen und -ver-
stärkungen sehr wohl etwas für Sehbehinderte tun. Das ist
durchaus möglich.


(Christine Lambrecht [SPD]: Man kann in die Treppen Schienen einbauen!)


Der Gesetzentwurf geht in wesentlichen Teilen in die
richtige Richtung. Deshalb stimmen wir ihm auch zu.

Ich möchte allerdings noch eine weitere sehr wichtige
Barriere ansprechen. Das ist die Barriere in den Köpfen
der Menschen.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es!)





Heinz Schemken
21876


(C)



(D)



(A)



(B)


Nichts ist möglich, ohne dass wir auch darüber reden. Ich
bedaure zutiefst, dass bei der Einstellung von Behinder-
ten gerade die öffentliche Hand sehr nachlässt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gilt nicht nur für die Kommunen, sondern auch für die
Länder. Ich stelle erfreut fest, dass sich die Wirtschaft
bemüht, mehr behinderte Menschen einzustellen. Das ist
sehr positiv.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Na, na! Wer bemüht sich denn?)


– Jawohl, die Wirtschaft stellt mehr behinderte Menschen
ein. Ich weiß, das war die Arbeitsverwaltung. Jetzt loben
Sie doch auch einmal die Arbeitsverwaltung. Sie haben ja
Herrn Jagoda in die Wüste geschickt.


(Christine Lambrecht [SPD]: Das haben Sie doch gefordert!)


Soeben haben Sie erklärt: 16 000 mehr. Das war aber die
Arbeitsverwaltung, das waren nicht Sie. Wir sind hier ja
auch nur Teil der Gesellschaft. Das wollte ich nur noch
einmal feststellen.

Eines bewegt mich, und zwar die Situation an den Bil-
dungseinrichtungen – vom Kindergarten bis zu den Schu-
len in den verschiedensten Stufen –, die sich mit dem Be-
griff der Integration noch schwer tun. Hier ist noch
manches an Bildungsarbeit zu leisten. Ich meine, dass es
auch um Bildungsarbeit für die Nichtbehinderten geht.
Denn Nichtbehinderte, die mit einem behinderten Freund
oder einer behinderten Freundin zur Schule gehen, erfah-
ren von dem Schicksal des anderen. Darum geht es mir in
dieser Gesellschaft auch. Wenn von PISA die Rede ist,
geht es um die entscheidende Wertefrage, wie ein Mensch
den anderen mitnimmt und wahrnimmt.

Ich halte es mit einem Satz, den der ehemalige Bundes-
präsident von Weizsäcker im Jahr der Behinderten gesagt
hat und den wir uns alle einprägen sollten: „Es ist kein
persönliches Verdienst, nicht behindert zu sein.“ Den be-
schwerlichen Weg mit den Behinderten gemeinsam zu
gehen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
ist mindestens so wichtig – das sage ich ganz offen –, wie
alle äußeren Barrieren zu beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir das nicht schaffen, dann ist diese Gesellschaft
nicht imstande, sich im täglichen Leben wirklich auf Wer-
tefragen zu besinnen.

Es ist sicherlich manches geschehen; das ist in vielen
Beiträgen deutlich geworden. Deshalb danke ich den vie-
len Initiativen der Behinderten und den vielen Menschen,
die vor Ort engagiert an dieser Sache arbeiten, auch für
die CDU/CSU-Fraktion sehr herzlich. Ich mache ihnen
Mut und wünsche uns allen, dass wir in dieser wichtigen
Frage, die ein großes gesellschaftliches Anliegen bleibt,
gemeinsam vorankommen. Außer Frage steht: Wer auf-
hört, daran weiterzuarbeiten, hat schon aufgegeben. Wir
geben nicht auf, wir machen weiter.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422102100
Ich erteile das Wort
Kollegin Christine Lambrecht, SPD-Fraktion.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1422102200
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, ich halte es für sehr
dreist, dass ausgerechnet Sie uns bei dieser Debatte unsere
Sparpolitik vorwerfen. Was ist denn der Hintergrund für
unsere Sparpolitik?


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sie sparen an der falschen Stelle!)


Die Sparpolitik von Rot-Grün ist doch darin begründet,
dass Sie uns einen unsäglichen Saustall hinterlassen ha-
ben, den wir jetzt aufräumen müssen.


(Beifall bei der SPD – Claudia Nolte [CDU/CSU]: Ihre schlechte Wirtschaftspolitik, Frau Lambrecht! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Der Saustall, den ihr hinterlasst, ist unvergleichlich!)


Glauben Sie denn, dass wir ohne die Schuldenlast, die wir
1998 von Ihnen übernommen haben, solche Anstrengun-
gen unternehmen müssten? Sie haben Politik auf Kosten
der nächsten Generationen betrieben und wollen es immer
noch nicht wahrhaben.


(Beifall bei der SPD)

Noch viel dreister ist es, wenn Sie uns auch noch die

Situation der Kommunen vorwerfen. Als aktive Kommu-
nalpolitikerin weiß ich selbst, wie es in den Kommunen
aussieht.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Wer hat denn die Gewerbesteuerumlage erhöht?)


Dies aber der Bundesregierung vorzuwerfen ist wirklich
äußerst dreist.


(Beifall bei der SPD – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Ihr habt alles im Bundesrat abgelehnt!)


Sie fordern ein Vorziehen der Steuerreform, obwohl
Sie ganz genau wissen, dass dies den Kollaps der Kom-
munalfinanzen bewirkte. Zugleich singen Sie hier das
Hohelied der Kommunen. Sie müssen sich einmal einig
werden, was Sie wollen: Wollen Sie sie in den Kollaps
treiben oder wollen Sie mit uns dafür sorgen, dass die
Steuerreform nicht vorgezogen wird?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wollen am besten ohne Sie dafür sorgen!)


– Das wird sich zeigen. – Vielleicht werden Sie sich in der
Union einmal einig, was Sie wollen. Das wissen Sie ja in
vielen Bereichen noch nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns alle da-
rüber einig, dass sich der Blick der Politik auf die Men-
schen mit Behinderungen ändern muss. Viele haben von
einem Paradigmenwechsel gesprochen und gesagt,
dass wir von der Sichtweise wegkommen müssten, es
handele sich um Versorgungsfälle als Objekte staatlicher




Heinz Schemken

21877


(C)



(D)



(A)



(B)


Förderung. Vielmehr müssen wir erkennen, dass die Men-
schen im Mittelpunkt stehen, und dafür sorgen, dass alle
Menschen, unabhängig davon, ob sie behindert sind oder
nicht, die Gelegenheit erhalten, ihr Leben nach ihren
Möglichkeiten auszurichten.

Aber dann ist auch schon Schluss mit den Gemein-
samkeiten; denn im Gegensatz zu Ihnen, die darüber im-
mer nur reden und das groß propagieren, handeln wir und
setzen wir diesen Anspruch auch tatsächlich um.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Haben Sie „handeln“ gesagt? – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das werden wir dann reklamieren!)


Allein in dieser Legislaturperiode – es werden noch viele
rot-grüne Legislaturperioden kommen – haben wir mit
der Neufassung des SGB IX die Ansprüche von Menschen
mit Behinderungen neu geordnet und die Anspruchs-
grundlagen erweitert. Mit der Kampagne „50 000 Jobs für
Schwerbehinderte“ haben wir ein gutes Programm einge-
leitet, um Menschen mit Behinderungen in Arbeit zu brin-
gen. Natürlich werden wir genau hinschauen, Frau Nolte,
ob dieses Programm auch greift. Aber allein die Befürch-
tung, dass dies nicht der Fall sein könnte, darf uns doch
nicht davon abhalten, so etwas zu machen. So kann man
doch keine Politik machen.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das habe ich auch nicht gesagt! Sie müssen schon zuhören, was ich sage! Das ist doch unverschämt!)


– Es ist nicht immer unbedingt ein Vergnügen, Ihnen zu-
zuhören. Jedenfalls ist es kein guter Politikstil, ständig
Bedenken vorzutragen und die Hände in den Schoß zu le-
gen. So erreicht man doch nie etwas.


(Beifall bei der SPD)

Mit dem vorliegenden Gesetz zur Gleichbehandlung

behinderter Menschen werden Ziele wie die Herstellung
von Barrierefreiheit, die Gleichstellung von Frauen mit
Behinderung, die Förderung der Kommunikation und die
verbesserte Durchsetzung von Ansprüchen durch aner-
kannte Behindertenverbände verfolgt. Herr Weiß, wenn
Sie alles, was jetzt gemacht wird, nur als kleinen Fort-
schritt in der Behindertenpolitik ansehen, dann muss ich
sagen, dass Sie offensichtlich keine Ahnung vom Alltag
eines behinderten Menschen haben; denn ansonsten wür-
den Sie über das jetzt eingeleitete Reformprojekt nicht
einfach so großzügig hinweggehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung von Behindertenpolitik! Beschäftigen Sie sich damit erst einmal!)


– Ich beschäftige mich wahrscheinlich sehr viel mehr mit
Behindertenpolitik, als Sie denken.

Ich kann aufgrund meines Erfahrungsschatzes sehr gut
ermessen, was barrierefreie Zugänge zu öffentlichen
Einrichtungen für behinderte Menschen bedeuten: Wenn
ich alleine an die Hürden denke, die ich zu bewältigen
habe, wenn ich mit dem Kinderwagen unterwegs bin,

kann ich mir gut vorstellen, dass diese Hürden für jeman-
den, der mit dem Rollstuhl unterwegs ist, unüberwindbar
sind.

Übrigens, Frau Nolte, der „Kürschner“ ist nicht immer
aktuell: Ich bin inzwischen Mutter eines 16 Monate alten
Sohnes. Ich sage das nur zu Ihrer Information, falls Sie
das noch nicht wissen sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Doch, das wissen wir!)


Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist erneut ein Be-
weis dafür, dass Rot-Grün nicht redet und dann die Um-
setzung der entsprechenden Gesetze verzögert, wie Sie
das in der letzten Legislaturperiode gemacht haben, als
Sie an der Regierung waren. Wir handeln und packen an.
Ich würde mich freuen, wenn die Damen und Herren von
der Union dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen
und sich nicht wie in manchen Ausschüssen der Stimme
enthalten würden.

Jetzt sind die Länder am Zug. Das ist richtig. Aber wir
werden nicht einfach abwarten, wie Sie, Frau Nolte, es
vorhin gefordert haben. Wir werden den Prozess in den
Ländern, die durch entsprechende Verordnungen das
vorliegende Gesetz umsetzen müssen, sehr kritisch be-
gleiten. Wir werden uns auf allen Ebenen dafür einsetzen.

Danke schön.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422102300
Kollegin Lambrecht,
gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Kolb?


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1422102400
Eine solche Zwi-
schenfrage ist jetzt nicht mehr angebracht.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Bleibt die Frage: Was haben wir aus dieser Rede gelernt? Nichts!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422102500
Zu spät, Herr Kolb.
Ich erteile das Wort dem Behindertenbeauftragten der

Bundesregierung, Karl-Hermann Haack.

Karl-Hermann Haack,Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mit
meiner eigentlichen Rede beginne, möchte ich ein paar
Bemerkungen machen; denn es werden hier Weihrauch-
gefäße geschwenkt. Aber Weihrauch riecht nicht unbe-
dingt gut. Mir hat einiges, was gesagt worden ist, nicht ge-
passt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Als was reden Sie denn nun?)


Ich möchte zuerst auf das eingehen, was Frau Nolte ge-
sagt hat. Ich stelle fest: Als wir das Schwerbehinderten-




Christine Lambrecht
21878


(C)



(D)



(A)



(B)


gesetz reformiert haben, um eine Grundlage für das Job-
Aqtiv-Gesetz zu schaffen – dadurch sind bislang 24 000
neue Arbeitsplätze für Schwerbehinderte entstanden –,
haben die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gegen
dieses Gesetz gestimmt. Das Mehr an Arbeitsplätzen für
schwerbehinderte Menschen geht also auf Rot-Grün
zurück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Albern!)


Aber Sie kritisieren in der heutigen Debatte diese Art der
Arbeitsmarktpolitik.

Sie haben des Weiteren die Arbeitsmarktstatistiken
kritisiert. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Methoden zur
Erstellung der Arbeitsmarktstatistiken – ich habe mich
beim Bundesarbeitsminister rückversichert – sind die-
selben wie die, die unter der Regierung von Helmut Kohl
16 Jahre angewandt worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die rot-grüne Koalition hat die Methoden zur Erstellung
der Arbeitsmarktstatistik und die Kategorien seit 1998
nicht verändert. Sie haben also die Grundlagen für das
Schummeln gelegt, wenn es welche gibt.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ziemlich niveaulos!)


Ich möchte jetzt auf das eingehen, was Sie, Herr Weiß,
über die gemeinsamen Servicestellen in Ihrem Wahlkreis
gesagt haben. Wenn diese Stellen in Ihrem Wahlkreis
nicht barrierefrei sind, dann stellt sich die Frage: Warum
haben Sie noch keine Dienstaufsichtsbeschwerde beim
Regierungspräsidenten eingereicht? Mein Rat: Kritisieren
Sie nicht uns, machen Sie lieber Ihre Arbeit im Wahlkreis!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Herr Haack, das habe ich schon längst gemacht!)


Herr Kollege Schemken, ich finde das, was Sie zur
Frühförderung gesagt haben, dreist. Sie haben behaup-
tet, dass die im SGB IX verankerten Frühförde-
rungsstrukturen, die sich bewährt hätten, kaputtgeschla-
gen worden seien.


(Heinz Schemken [CDU/CSU]: Habe ich nicht gesagt!)


Wissen Sie, wer das gemacht hat? – Das war Bayern, na-
mentlich Edmund Stoiber und Barbara Stamm. Als am
1. Juli 2001das SGB IX mit einer verbesserten Form der
Frühförderung in Kraft trat, schrieb Frau Stamm sofort ei-
nen Brief an die Träger der Frühförderung und teilte mit:
Wir verabschieden uns aus der Finanzierung. Sehen Sie
zu, woher Sie das Geld bekommen. Setzen Sie sich ein-
mal mit den Krankenkassen in Verbindung.


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie sind gestern Abend zu früh gegangen! Ansonsten hätten Sie die Probleme gehört!)


Es war also Bayern, namentlich Stoiber und Stamm,
die uns die Probleme beschert haben, über die Sie sich
heute beschweren und die bis heute noch nicht gelöst sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bisher ist lediglich ein Moratorium erreicht worden.
Das Dreisteste ist aber das, was gestern Abend gesche-

hen ist! Frau Stamm saß beim parlamentarischen Abend
mit Vertretern der Lebenshilfe zusammen und beklagte
sich bei der Parlamentarischen Staatssekretärin, Frau
Mascher, über die eben dargestellten Probleme und for-
derte sie auf, diese zu lösen, also genau die Probleme, die
Frau Stamm, als sie noch Ministerin war und noch nicht
in die Wüste geschickt worden war, selber verursacht hat.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja doppelzüngig!)


Das ist, finde ich, schon dreist. Auch das gehört zur Wahr-
heitsfindung dazu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/ CSU]: Sie sind ein Nebelkerzenwerfer!)


– Nein.
Nun zu Ihnen, Herr Seifert, und zu dem Behinde-

rungsbegriff. Ich kann es nicht mehr hören. Der Behin-
derungsbegriff der WHO, auf den Sie sich beziehen, fin-
det sich in einem umfangreichen Werk. Sie waren in
meinem Büro und da haben wir darüber geredet. Ich habe
Sie gefragt: Wie soll eigentlich ein Parlament in drei Zei-
len in einem Gesetz formulieren, was bei der WHO in ei-
nem solchen Werk steht? Wir haben uns dann darauf ge-
einigt, dass wir das nicht machen. Dann stellen Sie sich
doch nicht in der Öffentlichkeit hin und sagen, wir hätten
den falschen Behinderungsbegriff! Sogar die WHO ist
nicht in der Lage, einen vernünftigen Behinderungsbe-
griff zu formulieren.


(Beifall bei der SPD)

Die reden und reden und fertigen Gutachten an. Das alles
findet sich dann in solch dicken Büchern wieder. Ich bin
aber ein Mann der Tat.

Damit komme ich zu Ihnen, Herr Beck.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jetzt kriegen alle einen mit! Herr Beck wird auch nicht geschont!)


– Ja, das muss jetzt gesagt werden. – Die Arbeitsgruppe
– Sie haben da geholfen – war fleißig, war nicht zögerlich,
hat wirklich gearbeitet.


(Beifall der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie anfangs etwas zögerlich war, lag das an anderen!)


Ich will hier vor der Öffentlichkeit sagen, was „Neuord-
nung der Lebensperspektive von Menschen mit Behinde-
rungen“ bedeutet. Es bedeutet, sich mit vielen auseinan-




Karl-Hermann Haack

21879


(C)



(D)



(A)



(B)


der zu setzen, um zu erreichen, dass man sich in acht so-
zialen Sicherungssystemen auf einen Behinderungsbe-
griff, auf Verfahren und alles Mögliche verständigt. Hinzu
kommt die Koordinierung von 14 Ministerien. Wir ha-
ben durchgezählt: Es sind tatsächlich 14 Ministerien. Es
gilt also, 14 Ministerien zu koordinieren, an einen Tisch
zu bekommen und sich darüber zu verständigen, wie man
es macht. Hinzu kommt des Weiteren eine heterogene
Verbandslandschaft, in der jeder Verband seine blaue
Blume gießt. Es gilt, auch mit den Verbänden stundenlang
zu reden und am Schluss zu sagen: Wir bedenken das, wir
machen das.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das ist nun mal das Geschäft!)


Wie haben wir all die Schwierigkeiten gelöst? – Wir
haben sie durch Fleiß und durch viel Aktivität gelöst.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und Energie!)


Wir haben uns klar gemacht, dass wir dieses Ziel nur er-
reichen, indem wir – Herr Beck, Frau Kühn-Mengel und
Frau Schmidt haben es schon gesagt – die Beteiligten als
Experten in eigener Sache einbeziehen. Wir hätten es
nicht geschafft, wenn wir dieses produktive Verhältnis zu
der heterogenen Verbandslandschaft nicht hinbekommen
hätten; da sitzen stellvertretend Herr Frehe und Herr
Dr. Jürgens vom „Forum behinderter Juristinnen und Ju-
risten“.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man mag über den Begriff des modernen Regierens
unseres Herrn Bundeskanzlers viel lächeln oder spotten,
aber wir haben bei dieser Reform vorgeführt, wie so etwas
geht. Wir haben das „Forum behinderter Juristinnen und
Juristen“ eingeladen, als Experten in eigener Sache für
uns einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, und den haben wir
zur Grundlage gemacht. Wir haben dann im Jahr 2000
in Düsseldorf einen Gleichstellungskongress veranstaltet
und haben die Wirtschaft sowie die Verbände dazu be-
fragt. Wir haben auf diesem Gleichstellungskongress ge-
lernt, dass Argumente nicht Zumutungen sind, sondern
dass man sich mit ihnen auseinander setzen muss. Wir ha-
ben also einen Lernprozess organisiert, und das Ergebnis
ist der Perspektivwechsel für Menschen mit Behinderun-
gen im Alltag. Das ist ein Stück modernen Regierens, auf
das wir als rot-grüne Koalition stolz sein können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Zukunft kommt noch zweierlei auf uns zu. Erstens
müssen wir die 16 Bundesländer um etwas bitten. Herr
Clement hat in der „Frankfurter Rundschau“ eine Reform
des Föderalismus angemahnt. Da kann ich an die Adresse
meines geliebten Ministerpräsidenten Clement nur sagen:


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wann spricht der Behindertenbeauftragte?)


Damit hat er eine schöne Aufgabe. Die 16 Bundesländer
können jetzt beweisen, ob sie ihre Landesbauordnungen
vereinheitlichen können. In der Bundesrepublik gibt es

Hotelketten, die sagen: Wir würden gern für Behinderte
investieren. Aber wenn wir uns die Landesbauordnungen
ansehen, dann kommen wir zu dem Schluss: Wir klappen
das Buch zu. Wir sehen nicht ein, dass die Bauordnungen
in Bayern, in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen-Anhalt, in
Thüringen und in den anderen Ländern unterschiedlich
sind.

Die Vielfalt muss also durch Einheitlichkeit ersetzt
werden. Es kann nicht sein, dass es mit einem Bundes-
gleichstellungsgesetz und 16 Landesgleichstellungsgeset-
zen, die folgen werden, praktisch 17 unterschiedliche Le-
benswelten für Menschen mit Behinderungen gibt. Das
wäre so, als wenn man das Pferd von hinten aufzäumt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daher appelliere ich an alle: Erstens. Wir müssen dafür
werben, dass man sich im föderativen System auf eine
einheitliche Definition des Begriffs Behinderung verstän-
digt. Man sollte unsere Definition des Begriffs überneh-
men, weil sie gut ist.

Zweitens. Man sollte unsere Definition des Begriffs
Barrierefreiheit übernehmen.

Drittens. Das Instrument der Zielvereinbarung – Stich-
wort „lernende Organisationen“ – sollte übernommen
werden, um vor Ort mit dem Thema Behinderung besser
umgehen zu können.

Viertens. Das Instrument der Verbandsklage sollte, so
wie wir es konzipiert haben, übernommen werden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das habt ihr gar nicht so konzipiert!)


Perspektivisch bedeutet das, auf Bundes-, Landes-
und kommunaler Ebene eine Zielperspektive für die
Jahre 2002 bis 2006 zu erarbeiten. Im Rahmen meiner
Tätigkeit als Beauftragter für die Belange der Behinder-
ten werde ich bis zum Ende dieser Legislaturperiode die
Grundlagen dafür schaffen. Wenn ich danach noch im
Amt bin, werde ich dieses Vorhaben energisch weiterver-
folgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422102600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung und den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen und
zur Änderung anderer Gesetze auf den Drucksa-
chen 14/8043 und 14/7420. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/8331, die genann-
ten Gesetzentwürfe als Gesetz zur Gleichstellung behin-
derter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze in
der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegen zwei Ände-




Karl-Hermann Haack
21880


(C)



(D)



(A)



(B)


rungsanträge der Fraktion der PDS vor, über die wir zu-
erst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/8381? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 14/8382? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthal-
tung der PDS-Fraktion angenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8331 empfiehlt der Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/8380. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf der Druck-
sache 14/8331 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Informationsangebot der Bundesregierung
barrierefrei gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/5985 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der übri-
gen Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 3 c: Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8313 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr
den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 3 auf:

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Peter Rauen, Karl-Josef Laumann, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Bündnis fürArbeit gescheitert – Reformen end-
lich umsetzen
– Drucksache 14/8041 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-
Josef Laumann, Matthias Wissmann, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Politik für mehr Beschäftigung statt organisa-
tionspolitischem Aktionismus
– Drucksache 14/8363 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1422102700
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Im Bundestagswahlkampf 1998
und auch noch im Jahre 1999 haben die Bundesregierung
und die Fraktionen von Rot-Grün das Bündnis für Arbeit
wie eine Monstranz vor sich her getragen und den Ein-
druck erweckt, als könne man mit diesen Sonntagnach-
mittagsrunden einiger alter Herren in Deutschland die
Probleme auf unserem Arbeitsmarkt lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Thönnes [SPD]: Du willst doch auch länger leben!)


Nach mehr als drei Jahren Gehampel im Bündnis für
Arbeit ist die traurige Realität in Deutschland: Die Ar-
beitslosigkeit steigt. Die Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Wirtschaft sinkt. Die Zahl der Konkurse steigt. Die
Jugendarbeitslosigkeit ist höher als vor drei Jahren.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Trauerspiel!)

Angesichts dieser Situation muss man doch einfach

festhalten, dass wir in Deutschland kein Bündnis für Ar-
beit haben, dass dieses Bündnis für den Arbeitsmarkt
nichts, aber auch gar nichts bewegt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Das stimmt nicht! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ein Bündnis für Arbeitslosigkeit!)


Fest steht, dass die Teilnehmer des Bündnisses zurzeit
über die Tarifpolitik tief zerstritten sind und dass von




Präsident Wolfgang Thierse

21881


(C)



(D)



(A)



(B)


diesem Bündnis auch keine Impulse mehr zu erwarten
sind.


(Konrad Gilges [SPD]: Quatsch! – Gegenruf der Abg. Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es, Herr Gilges!)


Wir haben die traurige Situation, dass wir 4,3 Milli-
onen in der Statistik aufgeführte Arbeitslose haben,


(Gerd Andres, Parl. Staatssekretär: 4,29 Millionen!)


dass zu diesen 4,3 Millionen laut Sachverständigenrat, lie-
ber Kollege Andres, noch einmal 1,7 Millionen hinzuzu-
zählen sind, die in Deutschland in geförderter Arbeit sind.


(Zuruf von der SPD: Wie viel hattet ihr denn?)

Diese Zahl von 1,7 Millionen ist keine CDU-Zahl, son-
dern eine Zahl des Sachverständigenrates.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Sachverständigenrat dieser Bundesregierung, muss man dazu sagen!)


Meine Damen und Herren, es wird ja noch schlimmer.
Uns liegen die Statistiken zur wirtschaftlichen Entwick-
lung im vierten Quartal 2001 vor. Zum ersten Mal seit
1997 hat auch die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland
abgenommen. Wir haben auf der ganzen Linie eine fatale
Situation auf dem Arbeitsmarkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Rot-Grün kann es nicht!)


Jetzt sage ich Ihnen, dass Sie in der letzten Woche vor
allem versucht haben, einen Propagandatrick anzuwen-
den. Zwar ist die Art und Weise, wie bei den Arbeitsäm-
tern Statistiken erstellt worden sind, nicht zu akzeptieren.
Aber es ist der Eindruck erweckt worden, als sei die Frage
der Vermittlung für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutsch-
land verantwortlich. Ich glaube, wir könnten die moderns-
te und intensivste Arbeitsvermittlung dieser Erde haben,
dennoch hätten wir eindeutig das Problem, dass in diesem
Land 5 bis 6 Millionen Arbeitsplätze fehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir müssen dafür sorgen, dass vor allem der Mittelstand mehr Arbeitsplätze anbietet! Mit den Vorschlägen von Rot-Grün geht das nicht!)


Ich glaube, Sie müssen mit uns gemeinsam einmal da-
rüber nachdenken, welche Struktur wir mittlerweile bei
der Arbeitslosigkeit haben. Mir bereitet es schon große
Sorgen, wenn mittlerweile 63 Prozent – also knapp zwei
Drittel – aller Arbeitslosen in Deutschland Arbeiterinnen
und Arbeiter sind – auch wenn ihre Bedeutung auf dem
Arbeitsmarkt abnimmt. Das hat objektiv damit zu tun
– das ist kein Problem allein der jetzigen Regierung, son-
dern hängt mit der wirtschaftlichen Entwicklung in den
modernen Industrie- und Wissensgesellschaften zusam-
men –, dass die Arbeit in der Produktion für Menschen,
die in die neue EDV-Welt vielleicht nicht so gut hinein-
passen, ohne Ende wegbricht.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Eines wird für mich jetzt, zwölf Jahre nach der Wie-
dervereinigung, immer deutlicher: All diejenigen, die uns
in Seminaren immer eingeredet haben – manche mögen es
wirklich so gesehen haben –, dass Deutschland sich zu ei-
ner Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft entwickele,
sollen bitte einmal in die neuen Länder gehen. Da sieht
man, was für eine katastrophale Situation auf dem Ar-
beitsmarkt entsteht, wenn es keine industriellen und hand-
werklichen Fertigungsstrukturen mehr gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen ist es, wie ich glaube, ganz wichtig, dass die
Politik in Deutschland alles dafür tut, dass industrielle
Fertigungsstrukturen in unserem Land bestehen blei-
ben. Das hängt wiederum stark von der Gestaltung der
Rahmenbedingungen und der Abgabenhöhe in unserem
Land ab.

Dass es am Standort Deutschland kaum noch Eisen-
gießereien gibt, liegt nicht alleine am Lohnniveau, sondern
auch daran, dass es für solche Industrien in Deutschland
viele Auflagen gibt, die man östlich unserer Grenzen nicht
kennt. Wenn wir solche Schwerindustriebereiche behalten
wollen, weil wir die dort angebotenen Arbeitsplätze für
einen Teil unserer Bevölkerung – das ist jetzt nur ein
Beispiel – unbedingt brauchen, sollten wir uns überlegen,
ob es gut ist, immer weitere Auflagen zu machen, oder ob
wir nicht eher vorsichtiger vorgehen sollten. Industrielle
Arbeitsplätze geben nämlich Menschen, die eine normale
Ausbildung haben, oft – jedenfalls im Gegensatz zu vie-
len Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich – die Mög-
lichkeit, Existenz sichernde Einkommen zu erzielen.

So glaube ich, dass die Politik in Deutschland auch
dafür sorgen muss, dass ein Mensch, der acht Stunden am
Tag arbeitet, ein existenzsicherndes Einkommen erzielt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS – Konrad Gilges [SPD]: Sie fordern doch immer Niedrigund Hungerlöhne!)


Leider müssen wir feststellen, dass in einigen Gebieten in
den neuen Ländern, zum Beispiel im Erzgebirge, diese
Löhne zum Teil nicht mehr gezahlt werden. Dort ist der
Tarifvertrag das eine und die Realität etwas anderes.
Wenn Menschen für 3 bis 4 Euro zum Beispiel als Nähe-
rinnen arbeiten, kann hier nicht mehr von einem existenz-
sichernden Lohn gesprochen werden.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Karl-Josef, du hast Recht!)


Deshalb ist es wichtig, dass wir im Bundestag ganz
schnell entscheiden. Wir müssen durch linear ansteigende
Sozialversicherungsbeiträge die Bezieher niedriger Ein-
kommen bei den Sozialversicherungsbeiträgen entlasten.
Wenn nämlich einer nur 1 Euro über der Grenze von
325 Euro verdient und dann sofort auf alles 20 Prozent
Abzüge hinnehmen muss, trägt dies zu einer überpropor-
tionalen Belastung gerade derjenigen bei, die zurzeit in
Bereichen arbeiten, in denen niedrige Einkommen gezahlt
werden. Deshalb fordere ich die Regierung auf, dass sie
hierbei mitmacht, indem sie unserem Antrag folgt, die




Karl-Josef Laumann
21882


(C)



(D)



(A)



(B)


Sozialversicherungsbeiträge im Niedriglohnbereich de-
gressiv zu gestalten.


(Beifall der Abg. Claudia Nolte [CDU/CSU])

Wir sollten nicht erst die Bundestagswahlen ins Land ge-
hen lassen. Unabhängig davon, wer gewinnt – es müssen
erst einmal Koalitionsverhandlungen geführt werden. Das
heißt, dass sich an der Gesetzgebung vor Januar nächsten
Jahres nichts mehr ändern wird. So viel Zeit haben wir in
der Frage, wie ich finde, nicht.

Immer wieder wird vom DGB – aus dessen Sicht, wie
ich finde, auch zu Recht – die hohe Zahl der Überstunden
angeprangert. Die BDA hat zwar gerade eine Statistik ver-
öffentlicht, wonach die Anzahl der Überstunden in
Deutschland sehr niedrig sei und im letzten Jahr im Schnitt
pro sozialversicherungspflichtigem Arbeitnehmer nur noch
gut 50 Überstunden angefallen seien. Dieser absolute Tief-
stand hat sicherlich etwas mit der schlechten Konjunktur zu
tun, aber auch mit Tarifverträgen, die, wie früher, bezüglich
der Arbeitszeit sehr viel beweglicher gestaltet sind. Den-
noch wäre es schön, wenn die Überstunden noch mehr ab-
nähmen und dafür mehr Leute eingestellt würden. Wer aber
Überstunden reduzieren will, muss die Zeitarbeit als ein In-
strument, damit Betriebe auch Spitzen bewältigen können,
von Reglementierungen, die es hierfür zurzeit noch gibt,
ein Stück weit bzw., wie ich meine, ganz befreien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das wäre ein ganz konkreter Beitrag; mithilfe dieses In-
struments könnten in den Unternehmen zusätzliche
Arbeitsplätze entstehen und die Entwicklung hin zu mehr
Überstunden würde eingedämmt.

Noch ein Wort zur Bundesanstalt fürArbeit.Wahr ist:
Die Bundesregierung ist ihrer Fachaufsicht im Bereich der
Statistik nicht hinreichend nachgekommen, sonst hätte das
Ganze nicht passieren können. Wahr ist ebenso, dass Vor-
stand und Selbstverwaltung nicht funktioniert haben; im an-
deren Fall hätte es ebenfalls nicht passieren können. Des-
wegen haben wir heute einen Antrag eingebracht, in dem
wir eine klare Strukturierung der Bundesanstalt in Nürnberg
fordern, bei der die Verantwortlichen, aber auch die Kon-
trollgremien klar festgelegt werden. Die Idee, einen Ver-
waltungsrat zu bilden, ist richtig. Aber haben Sie den Mut
und machen Sie diesen neuen Verwaltungsrat nicht wieder
von einer Drittelparität abhängig, wie das heute der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, dass die in der Selbstverwaltung Tätigen

selber schuld sind, sie haben nämlich die Selbstverwal-
tung zum Ehrenfriedhof von Sozialfunktionären gemacht.
Deswegen ist sie vor die Wand gefahren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte Sie bitten, Fachleute in den Verwaltungsrat

zu berufen. Natürlich müssen Arbeitgeber und Gewerk-
schaften beteiligt werden, Fachleute, die von der Politik
unabhängig sind und uns raten können. Das heißt, dass
wir auch an der Spitze der Bundesanstalt für Arbeit kei-
nen Spitzengenossen brauchen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422102800
Ich erteile das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die guten Nachrichten verkündet der Minister, die schlechten der Staatssekretär!)


G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1422102900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss sagen, Kol-
lege Laumann, die Rede war ein bisschen diffus. Sie
reichte vom Bündnis für Arbeit über die Eisengießereien
bis zur Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er ist halt breit angelegt!)


Herzlichen Glückwunsch!
Ich habe mir Ihren Antrag angesehen, Kollege

Laumann. Die Unionsfraktion meint, der Bundesregie-
rung mit dem vorliegenden Antrag Ratschläge bei der Or-
ganisation des Bündnisses für Arbeit erteilen zu müssen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So kann es ja nicht weitergehen!)


Durch permanente Wiederholung wird der Inhalt Ihrer
Forderungen aber nicht besser.

Sollten Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen
von der Union, es vergessen haben, noch einmal zur Er-
innerung:


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Aha, jetzt kommt die alte Leier!)


Im April 1996 scheiterte das von Helmut Kohl moderierte
Bündnis fürArbeit und Standortsicherung nach gerade
einmal drei Monaten. Es scheiterte, weil Sie entgegen an-
ders lautenden Absprachen mit den Gewerkschaften mas-
sive Eingriffe in Arbeitnehmerschutzrechte vornehmen
wollten. Die christlich-liberale Regierung hat damit die
ausgestreckte Hand eines Bündnispartners, nämlich der
Gewerkschaften, bewusst ausgeschlagen. Sie haben da-
durch den Ausstieg der Gewerkschaften provoziert. Das
Scheitern geht somit ganz eindeutig auf Ihre Kappe.

Ihre Politik hat sich doppelt gerächt; denn die Arbeits-
losigkeit stieg unbeirrt weiter an und die Bürgerinnen und
Bürger in diesem Lande quittierten Ihre Politik 1998 be-
kanntermaßen mit Ihrer Abwahl.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wird sich im September 2002 wiederholen!)


Ich fasse zusammen: Wir müssen uns von Ihnen wirk-
lich nicht sagen lassen, wie man ein Bündnis für Arbeit zu
organisieren hat.


(Beifall bei der SPD)

Gesellschaftlicher Dialog und sozialer Ausgleich sind

elementare Bestandteile der politischen Gesamtkonzep-
tion der rot-grünen Bundesregierung.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)





Karl-Josef Laumann

21883


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerade strukturelle Reformen, die Bestehendes infrage
stellen, benötigen eine breite Akzeptanz in der Gesell-
schaft. Wir wollen im Interesse der Menschen in unserem
Land den notwendigen Wandel, um den geänderten ge-
sellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen Rech-
nung zu tragen, aber wir machen ihn nicht gegen die Men-
schen, sondern mit ihnen.

Sie haben aus der Lektion der Wähler offensichtlich bis
heute keine Lehren gezogen. Gebetsmühlenartig spulen
Sie auch heute Ihre alten Rezepte der einseitigen Ein-
schränkung der Arbeitnehmerschutzrechte ab. Das hat Ih-
nen bei der letzten Wahl nichts genützt und ich glaube
nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger Ihnen das am
22. September 2002 honorieren werden.

Wir haben nach Übernahme der Regierungsverantwor-
tung ein Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett-
bewerbsfähigkeit initiiert, das auf einen fairen Ausgleich
von Geben und Nehmen aller Beteiligten ausgerichtet ist
und niemanden einseitig übervorteilt. Nur indem wir alle
gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, kann es gelingen,
die Herkulesaufgabe der Bekämpfung der noch immer
viel zu hohen Arbeitslosigkeit erfolgreich zu meistern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Bünd-
nis der Modernisierer hat sich dabei durchaus als Re-
formmotor erwiesen und nachweislich gute Ergebnisse
erzielt, die ich an dieser Stelle nicht alle auflisten will.
Sie wissen hoffentlich, dass sie auf der Internetseite
„www.buendnis.de“ nachzulesen sind.

Ich finde, dass sich das Ergebnis sehr wohl sehen las-
sen kann. Wir werden uns jedenfalls nicht von Ihnen von
unserem eingeschlagenen Weg abbringen lassen und un-
ser Streben nach Verständigung zwischen den Bünd-
nispartnern unbeirrt weiter fortsetzen.

Im Übrigen gilt: 94 Prozent der Bundesbürger teilen
diese positive Einschätzung des Bündnisses für Arbeit
und bewerten es nach einer Forsa-Umfrage mit der Note
gut.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vorsicht bei Forsa!)


Wir sind angetreten, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wann fangt ihr damit an?)

Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung ist des-
halb von Kontinuität und Berechenbarkeit in der Mittel-
ausstattung und durch Innovation bei den Maßnahmen
geprägt. Unsere arbeitsmarktpolitische Bilanz kann
sich trotz aller Schwierigkeiten sehen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie hoch werden die Arbeitslosenzahlen im Februar steigen?)


Da können Sie die Zahlen fälschen und sich die Ihnen ins
Konzept passenden Zahlen heraussuchen, wie Sie wollen:
Die Arbeitslosigkeit lag im Durchschnitt des Jahres 2001

– ich rede jetzt über den Jahresdurchschnitt und nicht über
Monatszahlen – um knapp 430 000 niedriger als im Jahre
1998, im letzten Jahre Ihrer Regierung.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Und dieses Jahr? – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dieses Jahr wird die Arbeitslosenzahl im Schnitt bei 4 Millionen liegen!)


– Über die Zahlen dieses Jahres werden wir uns noch un-
terhalten. Warten Sie es ab, Herr Kolb! Ich habe Ihnen
schon gestern einiges dazu gesagt.

Angesichts des Vergleiches dieser Zahlen möchte ich
Sie daran erinnern, dass unter Norbert Blüm die Arbeits-
losenstatistik 1998 massiv geschönt wurde.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: An europäische Standards angepasst!)


366 000 Personen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen soll-
ten das Bild in der Öffentlichkeit verbessern. Das nenne
ich Aktionismus und Verschwendung öffentlicher Gelder.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigten ist in dieser Legislaturperiode um etwa 650 000 und
die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt um 1 160 000 ge-
stiegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Susanne Kastner [SPD]: Das haben die nie fertig gekriegt!)


Im Jahr 2001, also in einem Jahr mit nur geringem Wachs-
tum – über das Jahr 2002 unterhalten wir uns zu einem
späteren Zeitpunkt –, stieg die Zahl der Erwerbstätigen im
Jahresdurchschnitt immerhin um 70 000 Personen. In den
letzten vier Jahren unter Ihrer Verantwortung stieg die
Zahl der Erwerbstätigen lediglich um knapp 320 000, also
nur um knapp ein Viertel im Vergleich zu dieser Legis-
laturperiode. Auch die Mär, dass dieser Unterschied in
der Bilanz lediglich auf die statistischen Erfassung der
325-Euro-Jobs zurückzuführen ist, wird durch ständiges
Wiederholen nicht richtiger.

Das Statistische Bundesamt hat die Zahlen rückwir-
kend bis zum Jahre 1995 korrigiert. Das entspricht dem
üblichen Verfahren. Hören Sie gut zu, damit Sie nicht
ständig Falsches wiederholen: Die Zahl ist rückwirkend
bis 1995 korrigiert worden. Das heißt, die Zahlen hin-
sichtlich der Erwerbstätigen sind für uns real. Sie ergeben
sich aus Hochrechnungen, auch rückwirkend bis zu Ihrer
Regierungszeit. Das ist das übliche Verfahren des Statis-
tischen Bundesamtes.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das schauen wir uns genau an, bevor wir es glauben!)


Ich fasse zusammen: Wir müssen uns von Ihnen wirklich
nicht sagen lassen, wie man Arbeitslosigkeit bekämpft.

Zynisch empfinde ich – diesen Vorwurf kann ich Ihnen
nicht ersparen – Ihre Verunglimpfung unseres Sofortpro-
gramms zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit,
JUMP. Sie offenbaren damit, dass Ihnen die Zukunft un-
seres Landes – sie liegt nun einmal in den Händen unse-
rer Kinder – schnuppe ist. Das Programm ist ein voller Er-
folg. – Es ist übrigens ein Ergebnis des Bündnisses für




Parl. Staatssekretär Gerd Andres
21884


(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeit. – Mehr als 400 000 Jugendliche und junge Erwach-
sene haben bereits daran teilgenommen. Wir werden es – so
ist es beschlossen – bis 2003 unvermindert fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422103000
Herr Staatssekretär,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rauen?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1422103100
Nein.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie wollen Sie etwas lernen, wenn Sie keine Zwischenfrage zulassen?)


Ich möchte der Vollständigkeit halber erwähnen, dass
die Arbeitslosigkeit auch in diesem Bereich in den letzten
drei Jahren um 27 800 gesenkt worden ist. Die Ausbil-
dungsbilanz ist in den letzten zwei Jahren erstmals seit
1995 positiv. Dies ist ebenfalls ein Ergebnis des Bündnis-
ses für Arbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben demgegenüber keine Rezepte zur Bekämp-
fung der Arbeitslosigkeit. Ihre Vorschläge sind unaus-
gegoren, untereinander nicht abgestimmt und nicht finan-
zierbar.


(Beifall bei der SPD)

Sie sind es, die Aktionismus verbreiten. Es waren die Spit-
zen Ihrer Fraktion und Ihr Kanzlerkandidat, die unbe-
zahlbare Versprechen über weitere Steuersenkungen und
Konjunkturprogramme gemacht haben. Ob das die gene-
relle Bezuschussung von Sozialversicherungsbeiträgen
– das haben wir eben noch einmal von Herrn Laumann
gehört – oder das so genannte Dreisäulenmodell ist: Sie
machen mit all diesen Vorschlägen Luftbuchungen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die angegebenen Beschäftigungseffekte ermitteln Sie
nach dem Motto „Pi mal Daumen mal Fensterkreuz“.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Woher kennen Sie die Methode?)


Tatsächlich dürfte es – sollte jemand tatsächlich Ihren
Vorschlägen folgen – eher zu einem Verdrängungsprozess
zulasten bestehender Jobs und zu Einnahmeausfällen in
der Sozialversicherung kommen. Auf die Auseinanderset-
zung freue ich mich. Ihr Dreisäulenprogramm geht von
einem Zuwachs der Beschäftigung um 800 000 aus. Da-
mit wir uns richtig verstehen: Das werden Sie in den Aus-
schussdiskussionen ordentlich begründen müssen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Seien Sie mal ein bisschen zurückhaltender bei Ihren Ergebnissen!)


Wissen Sie, wie die 800 000 zustande gekommen sind?
Durch die Methode „Pi mal Daumen mal Fensterkreuz“.
Auch Ihre ganzen Berechnungen dazu, was das kostet, sind
getrickst und von hinten bis vorn erstunken und erlogen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unparlamentarisch!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, während Sie
lamentieren und die Vergangenheit ignorieren, handeln
wir – verlässlich und entschlossen. Der Schuldenberg des
Bundes ist unter der alten Regierung von rund 180 Mil-
liarden Euro in 1982 auf 770 Milliarden Euro in 1998 ge-
wachsen. Fast jeder vierte Euro muss für Zinszahlungen
ausgegeben werden; dieses Geld fehlt uns für die Finan-
zierung von Reformen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Haben Sie schon mal was von der Wiedervereinigung und der Aufarbeitung der sozialistischen Altlasten Ihres Koalitionspartners gehört?)


Trotz dieser fast erdrückenden Erblast haben wir viel zur
Stärkung des Standortes Deutschland und zur Verbesse-
rung der Rahmenbedingungen fürmehr Beschäftigung
getan. Es gibt dabei keinen Königsweg zum Abbau der
Arbeitslosigkeit, aber es gibt eine Summe von intelligen-
ten Ansätzen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bei solchen Köpfen können keine intelligenten Vorschläge kommen! Mit Sicherheit nicht!)


Das Bündnis für Arbeit, das SGB-III-Vorschaltgesetz, die
Steuerreform, die Senkung der Lohnnebenkosten, die Er-
höhung der Ausgaben für Bildung, die Verbesserung der
Rahmenbedingungen für Investitionen in Ost und West,
das Job-Aqtiv-Gesetz und die bundesweite Einführung
des Mainzer Modells –


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch ein Placebo!)


all diese Initiativen – ich habe nur die wichtigsten genannt –
sind im Bündnis für Arbeit diskutiert und angeschoben
und vom Bündnis für Arbeit in der parlamentarischen Be-
ratung flankiert worden.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ergebnis: 4,3 Millionen Arbeitslose! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: 1,1 Millionen mehr Beschäftigte!)


Ich nenne Ihnen noch ein Argument – von Ihnen kom-
men ja noch genug Redner an die Reihe –: Die Staatsquote
lag im Jahr 2001 mit 48,4 Prozent so niedrig wie seit 1990
nicht mehr. Noch einmal – ganz langsam für Sie zum Mit-
schreiben –: Die Staatsquote lag im Jahr 2001


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: 4,3 Millionen Arbeitslose!)


mit 48,4 Prozent so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Die
Steuerreformmaßnahmen führen allein in diesem Jahr zu
einem Entlastungsvolumen von rund 28 Milliarden Euro
gegenüber 1998.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Schröder: 4,3 Millionen Arbeitslose! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: 1,1 Millionen mehr Beschäftigte!)





Parl. Staatssekretär Gerd Andres

21885


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich könnte Ihnen weitere beeindruckende Einzelheiten
unserer Leistungsbilanz nennen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das beeindruckt uns auch nicht mehr!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422103200
Machen Sie das lieber
nicht; das kostet zu viel Zeit.

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1422103300
Ich will zum Schluss
noch eine Bemerkung machen. Herr Laumann, was die al-
ten Männer und den Friedhof der Selbstverwaltung an-
geht: Die alten Männer werden sich selber mit Ihnen aus-
einander setzen.

Ich hätte mir gewünscht, dass das Bündnis für Arbeit,
insbesondere im letzten halben Jahr, zu noch kraftvolleren
und besseren Ergebnissen gekommen wäre. Wenn ich
aber die Bilanz von acht Bündnisrunden ziehe – ich weiß,
wovon ich rede, weil ich daran mitgewirkt habe –, dann
sehe ich: Diese Bilanz ist beeindruckend.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Rezession in Deutschland! Das ist das Ergebnis Ihres Bündnisses! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Steigende Zahl der Pleiten!)


Das, was Sie machen, ist mauern und schlechtreden. Sie
haben keine vernünftigen Vorschläge. Deswegen werden
wir unsere Politik mit ruhiger Hand, aber entschieden
fortsetzen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422103400
Herr Staatssekretär,
„erstunken und erlogen“ ist zwar eine Redewendung, aber
keine sehr parlamentarische. Dabei will ich es belassen.

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Rainer Brüderle
für die FDP-Fraktion.

Rainer Brüderle (FDP) (vom Abg. Dr. Heinrich L.
Kolb [FDP] mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das Bündnis für Arbeit ist Symbol
für den wirtschaftspolitischen Ansatz der grün-roten
Regierung, der auf Korporatismus, Syndikalismus, Kun-
gelrunden und nicht auf Wettbewerb setzt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!)

Beides, Ihr Bündnis und Ihre Wirtschaftspolitik, sind ge-
scheitert. Im Wahlkampf wurde das Bündnis noch als
Wunderwaffe durch die Landschaft getragen. Deshalb
wird es natürlich bis zum Ende der Legislaturperiode
durchgeschleppt – nicht aus Überzeugung. Vielmehr soll
es verdecken, dass man keine Lösungskonzepte für die
Beschäftigungskrise in Deutschland hat.


(Beifall bei der FDP)


Grün-Rot spielt dieses Verantwortungspingpong im
Bündnis für Arbeit, um davon abzulenken, dass man in
Wahrheit keinen Weg hat.


(Beifall bei der FDP)

Geben Sie diese erfolglose Umarmungsstrategie auf! Sie
kennen das ja vom Tanzen: Wenn man sich in den Armen
liegt, hat man die Hände nicht frei zum Arbeiten. Des
Kanzlers Wundermittel ist zum Rohrkrepierer geworden.


(Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Metaphern sind Glücksache!)


Es hat die Verantwortlichkeiten für die Beschäftigungs-
krise verwischt, anstatt sie zu benennen.

In den Bündnisrunden werden Beschlüsse zulasten
Dritter gefasst. Ein Beispiel ist die Qualifizierung. Sich
gegenseitig Ausbildungsplätze einzureden ist schön, aber
wertlos. Geschaffen werden sie nicht im Bündnis für Ar-
beit und in Diskussionsrunden, sondern insbesondere in
den kleinen und mittleren Betrieben, im Mittelstand vor
Ort.


(Beifall bei der FDP)

Dem Mittelständler, dem Unternehmer müssen wir für
seine Ausbildungsleistungen Danke sagen, aber nicht den
Funktionären beim Kanzlerstammtisch.

Schauen wir uns einmal kurz die Bündnisgeschichte
an. Da gab es – mancher hier im Saal wird sich noch da-
ran erinnern – die Forderung nach der Rente ab 60 Jah-
ren. Diese wahnwitzige Idee wurde in der Bündnisrunde
geboren. Heute sprechen wir darüber, wie wir Menschen
dazu bewegen können, länger zu arbeiten. Heute sprechen
wir darüber, wie wir es älteren Arbeitslosen ermöglichen,
in das Erwerbsleben zurückzukehren.


(Zuruf von der SPD: Wir sind eben flexibel! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben damals schon gewarnt!)


Da wundert es nicht, dass die Kopfgeburt „Rente mit 60“
in den Bündnisgesprächen wieder begraben wurde. Das
ist der Öffentlichkeit als große Leistung dieser Bündnis-
runde verkauft worden.

Die Methode ist die: Ich habe eine Schnapsidee, ver-
künde diese, erkenne wenig später, dass es eine Schnaps-
idee ist, und lasse mich für die nahe liegende Erkenntnis,
dass es eine Schnapsidee ist, öffentlich feiern.


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na dann prost!)


Ähnlich ist es bei der grün-roten Steuerpolitik: Erst
nehmen Sie – bildhaft – dem Bauern das Schwein ab;
dann bekommt er von seinem Schwein drei Koteletts
zurück und soll sich auch noch huldvoll dafür bedanken.
Das ist Ihre Methode!

So ist ein System entwickelt worden, das zwar die
Politikverdrossenheit in Deutschland fördert, aber nicht
die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die entscheidenden
arbeitsmarktpolitischen Themen wurden aus der Bünd-
nisrunde systematisch herausgehalten. Die Frage „Wie
gestalte ich Lohnfindungsprozesse so, dass sie den Gege-




Parl. Staatssekretär Gerd Andres
21886


(C)



(D)



(A)



(B)


benheiten vor Ort gerecht werden?“ oder die Frage „Wie
flexibilisiere ich den zubetonierten Arbeitsmarkt?“ hat die
Regierung mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaften
leider nicht besprochen. Dabei waren die Teilnehmer der
Runde im Kanzleramt genau diejenigen, die für diesen
Fragekomplex zuständig gewesen wären.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stattdessen sichert der Funktionärsstammtisch im
Kanzleramt überkommene Strukturen sowie das ange-
staubte Tarifkartell und verhindert wirkliche Lösungen.
Die Folge dieses Versagens kann man feststellen: Die
IG Metall – und jetzt auch Verdi – fordert 6,5 Prozent
mehr Lohn. Darüber kann man vielleicht mit einem Un-
ternehmen wie Porsche reden, aber nicht mit den Mittel-
ständlern, den Zulieferbetrieben, die zusehen müssen,
dass sie überhaupt über die Runden kommen. Das zeigt,
dass hier irreale Vorstellungen auf den Weg gebracht wer-
den.


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kostet Arbeitsplätze, wenn es so kommt!)


Auch in diesem Monat werden wir – zugegeben, Herr
Andres, nach Ihrer ungeliebten und aktuellen Statistik;
ich hätte auch Herrn Riester gerne angesprochen, aber er
ist leider nicht da – über 4,3 Millionen Arbeitslose haben.
Wenn Sie 20 bis 25 Prozent herausrechnen – dies ge-
schieht wohl erst nach der Bundestagswahl; der Kanzler
hat die Notbremse gezogen –, dann müssten Sie, wenn Sie
ganz ehrlich sind, aber auch diejenigen hinzurechnen, die
in ABM und Fortbildungsstrukturmaßnahmen geparkt
werden. Dann kommen Sie nämlich auf 6 Millionen Ar-
beitslose. Das ist die Wahrheit in Deutschland!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Traurige Wahrheit ist das! – Konrad Gilges [SPD]: Das hättet ihr doch ändern können!)


Denn diese Menschen haben keine Beschäftigung auf
dem ersten Arbeitsmarkt.

Sie sollten sich überlegen, ob Sie die Statistik ändern,
zumal Sie mit Ihren Statistiktricksereien langsam auf-
fliegen.


(Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD])

– Schon wieder Zurufe! – Über 1Million neue Stellen will
Grün-Rot geschaffen haben. Diese Behauptung ist so
kühn wie falsch. Sie sollten wissen, dass die Zahl der Voll-
zeitbeschäftigten und die Zahl der Selbstständigen prak-
tisch nicht gestiegen sind. Nur bei den Teilzeitbeschäftig-
ten gab es einen Zuwachs. Der beruht zum großen Teil auf
der neuen Meldepflicht im Zusammenhang mit gering-
fügiger Beschäftigung und der neuen Regelung der 630-
Mark-Jobs.


(Beifall bei der FDP)

Existierende Stellen werden nun statistikwirksam ausge-
wiesen. Das als Beschäftigungserfolg zu bewerten ist nun
wirklich dreist.

Es gibt nur einen Faktor, der die Situation klar wieder-
gibt: das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen. Das
zeigt eindeutig: Unterm Strich werden in Deutschland
nicht mehr Arbeitsplätze registriert und wird nicht mehr
gearbeitet als vor dem Regierungswechsel. Entweder
können Sie die Statistik nicht lesen oder Sie wollen die
Menschen bewusst irreführen. Richtig ist vielmehr, dass
die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland im letzten
Quartal im Jahr 2001 erstmals seit vier Jahren wieder
zurückgegangen ist. Das ist die Wahrheit. Zu behaupten,
Sie hätten 1 Million Arbeitsplätze geschaffen, ist wirklich
eine kaum zu überbietende Dreistigkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da Sie die Arbeitsmarktkatastrophe mit Heftpflaster,
Placebos und Herumgerenne nicht verbergen können, set-
zen Sie auf dirigistische Subventionsmodelle, die auch
schon der Modellregion im Grunde nichts gebracht haben,
anstatt mit unbürokratischen 630-DM-Jobs schnell Stel-
len zu schaffen. In ganz Rheinland-Pfalz mit seinen
4 Millionen Einwohnern wurden mit diesem Sub-
ventionsmodell 800 Arbeitsplätze geschaffen, von denen
ein großer Teil Mitnahmeeffekte sind.


(Zurufe von der SPD)

– Sie sollten wegen Ihrer miserablen Politik schreien; Sie
haben Grund dazu. – Wie das Modell in Rheinland-Pfalz
zeigt, ist dies kein Weg, um die Situation zu verändern,
sondern beweist nur Ihre Hilflosigkeit, in der Sie mit Kos-
metika aus dem Schminkkoffer versuchen, zu vertuschen,
dass dies kein richtiger Ansatz ist.


(Beifall bei der FDP)

Das gilt auch für Ihr JUMP-Programm. 1 000 Mil-

lionen Euro, also 2 Milliarden DM, geben Sie pro Jahr
dafür aus. Anschließend findet nur jeder fünfte Jugend-
liche im ersten Arbeitsmarkt eine Stelle. Ein Drittel wird
wieder arbeitslos. JUMP ist damit für die meisten leider
ein Sprung ins Leere. So können die anstehenden Pro-
bleme eben nicht gelöst werden.

Ich bin froh, dass der Bundeskanzler vergangene Wo-
che wichtige Vorschläge von uns zur Reform der Bun-
desanstalt für Arbeit aufgegriffen hat.


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er sollte immer bei uns abschreiben!)


Damit ist man auch gut beraten. Die Forderung nach mehr
Wettbewerb in der Arbeitsvermittlung insbesondere durch
die Einführung von Gutscheinen für Arbeitslose hat be-
wiesen: Die FDP ist und bleibt der Motor der Moderni-
sierung Deutschlands.


(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD – Klaus Brandner [SPD]: Das habt ihr doch alles abgelehnt! – Erika Lotz [SPD]: Schulden machen!)


So froh, wie ich über diese Entwicklung bin, bin ich
wegen der üblichen Methode der grün-roten Regierung,
eine Kommission einzusetzen, skeptisch. Wenn du nicht
mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis. Es drängt
sich der Verdacht auf: Der Kanzler spielt mal wieder auf




Rainer Brüderle

21887


(C)



(D)



(A)



(B)


Zeit, um über die Bundestagswahlvorperiode zu kommen.
Dabei ist jetzt das Lösen und nicht das Verschieben von
Problemen angesagt. Beim Thema Selbstverwaltung oder
beim Thema aktive Arbeitsmarktpolitik müssen schnelle
Entscheidungen her. Zeitschinderei ist in dieser Lage
nicht angemessen.

Sehr enttäuscht bin ich darüber, dass der Kanzler und
sein Arbeitsminister wieder zur Tagesordnung übergehen.
Von der Neuorganisation der Arbeitsverwaltung und -ver-
mittlung dürfen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
keine Wunder erwartet werden. Es gibt noch viel mehr zu
tun. Natürlich brauchen wir möglichst schnell neu jus-
tierte Arbeitsanreize, geringere Lohnnebenkosten und ein
liberaleres Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Zeitarbeit
hat als Brücke zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäfti-
gung, aber auch als Puffer bei Nachfrageschwankungen
eine wichtige Funktion. Deshalb fordern wir, die Überlas-
sung von Arbeitskräften auf 36 Monate zu verlängern und
das Gesetz insgesamt zu entbürokratisieren. Wir brauchen
schnellstens die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe sowie die Begrenzung der Bezugsdauer von
Arbeitslosengeld auf höchstens 12 Monate.

Was wir definitiv nicht brauchen, sind wirkungslose
Alibiveranstaltungen. Sie garantieren zwar eine Medien-
resonanz, bringen aber den Arbeitslosen – das sind die Be-
troffenen, um die es geht – nichts.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau so ist es!)

Wir brauchen deshalb keinen Kanzler, der sich um die
Verbandsfunktionäre und die großen Konzerne kümmert,
sondern einen Kanzler, der sich der Interessen der Ar-
beitslosen und der vielen kleinen und mittleren Betriebe
im Lande annimmt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vor allen Dingen brauchen wir eine andere Regierung!)


Am 22. September ist der Freiheitstag; dann darf ge-
wählt werden. Das Bündnis für Arbeit ist kläglich ge-
scheitert, genauso wie die Konzertierte Aktion in den
70er-Jahren. Sie sollten aus der Geschichte und der Ge-
genwart lernen und sich von dieser Quasselrunde verab-
schieden. All dies ist kein Ersatz dafür, Rahmenbedin-
gungen zu verändern und politisch mutig eine
Kurskorrektur vorzunehmen. Es ist nett, wenn man mit-
einander redet. Aber das trägt nicht zu einer Problemlö-
sung bei.

Deshalb: Schluss mit der Theaterinszenierung! Schluss
mit dem falschen Ansatz! Nicht Syndikalismus und Zu-
sammenglucken sind die Lösung, sondern ein direktes
Herangehen an die Probleme und ein Verändern der
Grundbedingungen, damit die Arbeitslosen endlich eine
Chance bekommen. Es bringt nichts, vor der Wahl mit der
Tünche durch die Landschaft zu marschieren, um die
Leute zu täuschen.

Danke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422103500
Ich erteile der Kolle-
gin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422103600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-
ber Kollege Laumann, Konfuzius hat gesagt: Gehe nicht
durch eine Glastür, wenn sie geschlossen ist.


(Zuruf von der [CDU/CSU]: Das hat er aber nicht dem Laumann gesagt!)


Bezogen auf die Arbeitsmarktpolitik möchte ich Ihnen
das auch raten. Ich glaube, Sie haben in den letzten Jah-
ren – aber auch jetzt, beispielsweise durch Ihr Agieren im
Hinblick auf die Reform der Bundesanstalt für Arbeit –
sehr deutlich gemacht, dass Sie die Glastür zu einer akti-
ven Arbeitsmarktpolitik für sich zugeschlagen haben. Sie
müssen aufpassen, dass Sie sich daran nicht verletzen.

Sie stellen sich hier hin und formulieren wohlfeile For-
derungen. Zum Beispiel fordern Sie das Bündnis für Ar-
beit – dabei waren Sie es, die das Bündnis für Arbeit in der
Vergangenheit nicht zustande gebracht haben – und sagen
gleichzeitig, dass es nicht gelungen, sondern gescheitert
ist. Das, was Sie nicht wahrnehmen wollen, ignorieren
Sie, zum Beispiel die Tatsache, dass mit dem Sofort-
programm für jugendliche Arbeitslose im Rahmen des
Bündnisses für Arbeit sehr vielen jugendlichen Arbeitslo-
sen, nämlich über 300 000, geholfen worden ist.

Sie nehmen auch nicht wahr, dass das Bündnis für Ar-
beit gerade für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer auf dem Arbeitsmarkt – zum Beispiel durch die
veränderten Regelungen bezüglich der Altersteilzeit – ei-
niges in Bewegung gebracht hat. Sie ignorieren das, weil
es Ihnen nicht passt, dass auf diesem Gebiet Erfolge er-
rungen wurden; zum Beispiel konnte durch das Bündnis
für Arbeit auch eine Ausbildungsplatzinitiative erfolg-
reich auf den Weg gebracht werden.

Sie fordern mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit.
Ich erinnere daran, dass wir im letzten Jahr mit dem VW-
Modell „5 000 mal 5 000“ ein solches Bündnis für Arbeit
auf den Weg gebracht haben. Dies geschah vor dem Hin-
tergrund der in der Bundesrepublik Deutschland gültigen
Gesetze, zum Beispiel auch des Günstigkeitsprinzips, das
Sie angreifen. Dieses Bündnis für Arbeit verkörpert eine
moderne Industriepolitik, in der Qualifizierung, Integra-
tion von Arbeitslosen und eine vernünftige Entwicklung
der Löhne miteinander verbunden worden sind. Dies alles
geschah auf der Basis dessen, was heute vorliegt. Es ist
möglich, aber es liegt an den Tarifparteien, ob in den Be-
trieben Bündnisse für Arbeit geschlossen werden können
oder nicht. Das können wir vonseiten der Politik nicht ex
cathedra vorgeben.

Meine Damen und Herren, wer ein Bündnis für Arbeit
will – das gilt für die Opposition ganz genauso –, muss ak-
zeptieren, dass wir in unserer Gesellschaft an dieser Stelle
ein Konsensverfahren brauchen. Es gibt das Beispiel aus
den Niederlanden. Dort hat es sehr lange gedauert, bis die
Tarifparteien überhaupt bereit waren, über heilige Kühe
zu reden. Das ist bei uns in der Bundesrepublik Deutsch-
land sehr ähnlich. Wir befinden uns in einem Wahljahr.
Ich weiß, dass der Fortschritt beim Bündnis für Arbeit




Rainer Brüderle
21888


(C)



(D)



(A)



(B)


– dort stoßen die Tarifparteien in der Diskussion aufei-
nander – deshalb eher eine Schnecke sein wird.

Das Bündnis für Arbeit, das in die Zukunft gerichtet
ist – das haben Sie nicht erreicht –, wird seine vernünftige
Arbeit dennoch fortsetzen können. Allerdings wird dazu
auch gehören, dass die einzelnen Parteien hin und wieder
über ihren eigenen Schatten springen. Ich wünsche mir,
dass die Arbeitgeber in diesem Jahr bereit sind, über einen
ordentlichen Überstundenabbau zu reden, und dass die
Gewerkschaften bereit sind, im Bündnis für Arbeit über
die Rahmenbedingungen für eine beschäftigungsorien-
tierte Tarifpolitik zu reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die CDU/CSU fordert – es wurde ein richtiger Katalog
vorgelegt – das Modell 40/40/40. Das bedeutet, dass der
Spitzensteuersatz 40 Prozent betragen soll und dass die
Sozialabgaben sowie die Staatsquote unter 40 Prozent lie-
gen sollen. Ich zähle hier nicht auf – das hat der Staats-
sekretär schon gemacht –, was Sie uns hinterlassen haben.
Eines wissen Sie aber ganz genau: Wir haben mit der Öko-
steuerreform zum Beispiel die Rentenbeiträge gesenkt
und auch die Staatsquote und die Steuersätze – übrigens
auch der Eingangssteuersatz; der interessiert Sie ja nicht
so sehr – bewegen sich nach unten.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Doch, der interessiert uns so sehr, dass wir ihn schon früher senken wollten! Hören Sie doch mal mit den Märchen auf!)


Sie haben diesen Vorschlag, 40/40/40, gemacht. Ich
bitte Sie wirklich, dass Sie trotz des Wahljahres den Mut
fassen, der Bevölkerung zu sagen, dass dies, verbunden
mit der Abschaffung der Ökosteuer, nur realisiert wer-
den kann, wenn die Mehrwertsteuer um mindestens zehn
Prozentpunkte steigt. Das heißt, dass Sie letzten Endes ei-
ner Erhöhung derMehrwertsteuer das Wort reden, aber
nicht den Mut haben, das hier zu sagen. Ich finde, wir soll-
ten an dieser Stelle ehrlich diskutieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie fordern die Rücknahme der neuen Regelung zur
Befristung der Beschäftigungsverhältnisse. Ich weiß
nicht, wie weit Ihr Gedächtnis reicht. Wenn wir zu dem
Vorschlag zurückkehren würden, den es früher gab, hät-
ten wir im Moment keine Möglichkeit für befristete
Arbeitsverhältnisse. Ihre Regelung wäre nämlich ausge-
laufen.


(Zuruf von der SPD: Ja, schlechtes Gedächtnis!)


Wir haben eine befristete Regelung in eine langfristige,
planbare Regelung überführt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU]: Wir haben den Antrag zur Verlängerung doch früher eingebracht als Sie!)


Sie fordern die ganze Zeit in vielen einzelnen Punkten
das, was wir mit dem Job-Aqtiv-Gesetz auf den Weg ge-

bracht haben. Ich nenne als Beispiel die Jobrotation. Sie
von der CDU/CSU-Fraktion erklären sich ja geradezu zu
Müttern der Jobrotation, haben aber nichts anderes zu tun
gehabt, als dieses Gesetz abzulehnen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)


– Doch, Herr Laumann, Sie haben es abgelehnt. Rufen Sie
nicht dazwischen, machen Sie einfach die geschlossene
Glastüre auf und treten Sie in einen Wettbewerb um Re-
formen der Arbeitsmarktpolitik ein.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie wissen doch gar nicht, was Wettbewerb ist!)


Sie haben gerade gestern ein Beispiel gegeben, dass
Sie blockieren wollen. Wir haben heute nach dem De-
saster in der Bundesanstalt fürArbeit die Chance zu ei-
nem Neuanfang und zu einer neuen Struktur dieser Bun-
desanstalt. Was haben Sie denn gemacht? Sie wollen ge-
radezu verhindern, dass wir die gesetzlichen Regelungen,
die wir für einen neuen Vorstand brauchen, schnell auf
den Weg bringen können. Sie wollen blockieren. Das ha-
ben Sie gestern im Ausschuss deutlich gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422103700
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Laumann?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422103800
Ja.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1422103900
Frau Kollegin
Dückert, Sie haben gerade Ihr Vorhaben bezüglich des
Gesetzgebungsverfahrens zur Reform der Bundesanstalt
für Arbeit angesprochen. Halten Sie es denn wirklich mit
den Rechten des Parlamentes für vereinbar, wenn auf der
einen Seite die Bundesregierung zwei Wochen braucht
– bis Donnerstag nächster Woche –, um den Gesetzent-
wurf zu formulieren, und auf der anderen Seite der Aus-
schuss für Arbeit und Sozialordnung am Freitag Mittag
mit einer kurzen Ladungsfrist übers Wochenende zu ei-
ner Fachanhörung für Montag, 11 Uhr, einlädt und am
Mittwoch ohne Vorlage votieren soll, damit die Sache
am Donnerstag im Plenum beraten werden kann? Das
heißt: Das Parlament hat weniger Beratungszeit, als die
Regierung zur Formulierung braucht. Glauben Sie wirk-
lich als ehemalige Basisdemokratin, dass sich das mit
den Rechtsgrundsätzen einer Demokratie vereinbaren
lässt?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422104000

Herr Kollege Laumann, ich muss Ihnen sagen, ich fürchte
im Moment um Ihre Gesundheit.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Keine Sorge, ich bin top drauf!)





Dr. Thea Dückert

21889


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe das auch schon gestern im Ausschuss getan.
Ich bin Ihnen trotzdem dankbar, dass Sie heute das vor-
führen, was Sie gestern schon vorgeführt haben.

Sie wissen ganz genau, dass wir das Verfahren nach
parlamentarischem Recht durchführen werden. Sie wis-
sen aber auch, dass in dieser Republik jeder verstehen
wird, dass ein Verfahren in Bezug auf die Notwendigkeit,
die Bundesanstalt für Arbeit so schnell wie möglich in den
Stand zu setzen, das zu machen, was sie machen muss
– nämlich zu vermitteln, Leute aus der Arbeitslosigkeit
herauszuholen und in Arbeit zu bringen –, nicht aufgehal-
ten werden darf. Wir müssen die Reform schnell verwirk-
lichen, das heißt, wir müssen sehr schnell die rechtlichen
Grundlagen schaffen, damit der neue Vorstand arbeiten
kann. Wir müssen sehr schnell rechtliche Grundlagen
schaffen, um Dritte als Vermittler auf dem Arbeitsmarkt
zuzulassen und dafür Qualitätsstandards zu formulieren.
All das wird von Ihnen blockiert. Ich sage Ihnen aber ei-
nes: Wir werden das parlamentarisch ordentlich machen.
Wenn Sie blockieren wollen, werden wir es ohne Sie ma-
chen. Das ist überhaupt kein Problem, denn wir haben
zum Glück in diesem Bundestag die Mehrheit


(Zuruf von der CDU/CSU: Noch!)

und können daher die notwendigen Reformen auf den
Weg bringen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422104100
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422104200

Nein, ich würde gerne fortfahren.

Sie haben nicht nur gestern eine Blockade veranstaltet,
Sie haben auch in den Wochen davor gezeigt, wie rück-
wärtsgewandt Sie denken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Problem bei der Bundesanstalt war offenbar, aber Sie
wollten überhaupt nicht einsehen, dass ein Neuanfang bei
der Bundesanstalt mit einer Änderung an der Spitze ver-
bunden sein muss. Es geht nicht nur um das Konzept, son-
dern auch um einen personellen Neuanfang.

Sie müssen sich entscheiden, was Sie eigentlich wol-
len. Sie kritisieren die Personalie Florian Gerster, indem
Sie sagen, die Position müsse mit einem Wirtschaftler be-
setzt werden. Auf der einen Seite wollen Sie die alte
Struktur behalten, auf der anderen Seite kommen Sie hier
mit einzelnen Detailvorschlägen. Im Moment weiß man
nicht ganz genau, was Sie eigentlich wollen. Mit dem Vor-
schlag, Peter Hartz an die Spitze der Kommisson zu stel-
len, ist etwas eingeleitet worden, was den Reformprozess
in der Bundesanstalt für Arbeit sehr beschleunigen und
auch substanziell verankern kann.

Wir brauchen tatsächlich ein Konzept mit Kurz-, Mit-
tel- und Langfriststrategien, das ist ganz klar. Sie haben in
Ihren Anträgen Vorschläge gemacht, denen man sich zu-
wenden kann. Aber zunächst einmal müssen wir bei den
Kurzfriststrategien – das habe ich in der Antwort auf die

Zwischenfrage schon gesagt – den Weg frei machen, da-
mit die neuen Gremien ihre Arbeit aufnehmen können;
sonst können wir hier lange philosophieren. Die Bundes-
anstalt für Arbeit muss in die Lage versetzt werden, die
Reform ordentlich zu entwickeln und auf den Weg zu
bringen.

Sie schlagen vor, die Größe des Verwaltungsrats zu re-
duzieren. Das ist ein vernünftiger Vorschlag. Wir wollen
auch die Verantwortung der Sozialpartner in eben diesem
Verwaltungsrat verankern, aber natürlich muss er arbeits-
fähig sein. Aber Sie schlagen weiter vor, dass allein die-
ser Verwaltungsrat die Kontrolle, also das betriebsinterne
und anstaltsinterne Controlling, unter seine Fittiche neh-
men soll. Ich weiß nicht, ob das ein guter Vorschlag ist.
Ich denke, dass das Exekutivorgan, nämlich der Vorstand,
auch hier die Verantwortung übernehmen muss. Darüber
müssen wir noch reden.

Eines ist aber klar, meine Damen und Herren: Es wird
das kommen, was wir die ganze Zeit wollen. In der Ar-
beitsverwaltung wird es eine Reform an Haupt und Glie-
dern geben. Das ist eine große Chance für die zukünftige
Arbeitsmarktpolitik. Ich glaube aber auch, dass sich diese
Konzepte mit einer verschlankten Struktur, mit einer Ent-
schlackung der Arbeitsverwaltung, mit der Umschichtung
von Personal von der Verwaltung hin zur Arbeitsvermitt-
lung, mit der Dezentralisierung und nicht zuletzt auch mit
dem Aufbau und mit der Unterstützung von dritten Ar-
beitsvermittlern auseinander setzen müssen. Im Rahmen
einer solchen Strategie sollten wir zunächst einmal den
Prozess „Arbeitsamt 2000“ stoppen. Wir sollten erst ge-
nau hinschauen, ob dieser Prozess wirklich auf der Linie
der neuen Struktur der Arbeitsverwaltung liegt, nämlich
auf der Linie einer klaren Aufgabentrennung und Aufga-
benteilung zwischen Leistung und Vermittlung.

Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir auf ei-
nem guten Weg für einen Neuanfang sind. Ich lade Sie
von der Opposition herzlich ein, mit der Meckerei jetzt
einmal Schluss zu machen, die Ärmel mit aufzukrempeln
und in einen Wettbewerb um die besten Ideen für eine
Neustrukturierung der Arbeitsverwaltung einzutreten.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422104300
Ich erteile das Wort
der Kollegin Dr. Christa Luft für die PDS-Fraktion.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1422104400
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Dückert, tatsächlich
sind die Ärmel noch aufzukrempeln, aber das gilt wohl
zuallererst für die Koalition, die jetzt noch die Regierung
stellt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Noch! – Zuruf von der SPD: Wir sind kräftig am Krempeln!)


Eine ehrliche Bilanz über das Bündnis für Arbeit fällt
meiner Meinung nach außerordentlich trist aus.


(Zuruf von der SPD: Sehnen Sie sich nach der CDU zurück, oder was?)





Dr. Thea Dückert
21890


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn die Ergebnisse der Forsa-Umfrage, Herr Kollege
Andres, so aussehen, dass das Bündnis mit „gut“ bewer-
tet wird, muss man sich vielleicht auch einmal anschauen,
wem Forsa welche Fragen gestellt hat.

Das Hauptziel des Bündnisses, die Arbeitslosigkeit
signifikant zu senken, ist jedenfalls verfehlt worden. Da-
rum kann man nicht herumreden. Die Arbeitslosenzahlen
steigen von Monat zu Monat wieder und die Zahl der
Erwerbstätigen ist erstmals seit 1997 rückläufig.

Der Osten Deutschlands ist von dieser Misere beson-
ders stark betroffen. Dort erreicht die Arbeitslosigkeit mit
1,3 Millionen in diesem Jahr den höchsten Wert seit der
Wiedervereinigung. Die Arbeitslosenquote liegt mit
18 Prozent höher als im letzten Jahr der Vorgängerregie-
rung. Daher kann in den neuen Ländern auch niemand
mehr die verbalen Verrenkungen von Regierungsmitglie-
dern ertragen, die ständig sagen, die Lage am Arbeits-
markt sei zwar nicht gut, aber immerhin noch besser als
1998. Das stimmt für den Osten nicht. Deshalb sollten Sie
solche pauschalen Behauptungen künftig unterlassen.


(Beifall bei der PDS)

Überhaupt hat die spezifische Situation der neuen Bun-

desländer im Bündnis für Arbeit so gut wie keine Rolle
gespielt. Das ist eine Hauptkritik, die geäußert werden
muss.

Mit der Steuerreform ist die Regierung im Bündnis
für Arbeit den Unternehmen weit entgegengekommen.
Sie ist mit massiven Entlastungen in Vorleistung getreten.
Die erhoffte Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung
ist jedoch ausgeblieben.


(Zuruf von der SPD: Die größte Entlastung haben die Familien!)


Nichtsdestotrotz fordert die Union in ihrem Antrag, den
Spitzensteuersatz auf unter 40 Prozent zu senken, ver-
bunden mit der Hoffnung, dies würde Wachstums- und
Beschäftigungseffekte bringen. Aber die Inlandsnach-
frage wird mit der Senkung des Spitzensteuersatzes nicht
stimuliert und private Investitionen werden bekanntlich
nur dann getätigt, wenn die dadurch zu erwartenden Ren-
diten höher sind als der Ertrag von Finanzanlagen.

Die öffentlichen Investitionen – das wissen wir leider
auch – sind in den letzten Jahren auf ein historisches Tief
gesunken. Dabei sieht man, wohin es führt, wenn die
Staatsquote abgesenkt wird, Herr Kollege Brüderle. Das
hat nicht nur positive Wirkungen, sondern hat sich auch
auf den investiven Bereich ausgewirkt, jedenfalls soweit
die öffentliche Hand betroffen ist.

Die Gewerkschaften haben im Bündnis für Arbeit
ebenfalls eine Vorleistung erbracht. Sie haben nämlich
mehrjährige Lohnzurückhaltung geübt und Reallohnver-
luste hingenommen. Auch das ist von den Unternehmen
nicht mit zusätzlichen Arbeitsplatzangeboten honoriert
worden. Im Gegenteil: Am Überstundenunwesen hat sich
nichts geändert. Ausbildungsplätze sind in ungenügen-
dem Maße angeboten worden und Arbeitszeitverkürzung
ist überhaupt kein Thema mehr.

Das ist mir ein schönes Bündnis, in dem immer nur die
einen Zugeständnisse machen und die anderen sich aus
der Affäre ziehen. Statt auch von den Arbeitgebern sub-
stanzielle Eigenbeiträge zur Senkung der Arbeitslosigkeit
zu fordern, fällt der Union nichts weiter ein, als auf
flexiblere Arbeitsmärkte und weitere Einschnitte ins
Sozialsystem zu drängen. Übersehen wird, dass an die
40 Prozent der derzeitigen Beschäftigungsverhältnisse
bereits flexibel sind. Ich nenne nur die Stichworte Teilzeit,
Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und 630-Mark-
Jobs. Das sind alles keine existenzsichernden Beschäfti-
gungsverhältnisse. Wohin soll die Flexibilität eigentlich
noch führen?

Humankapital ist die wichtigste Ressource der Ge-
sellschaft. Das versichern wir uns täglich gegenseitig.


(Beifall bei der PDS)

Diese Ressource muss man aber schützen und stimulie-
ren. Dem Humankapital darf man nicht ständig mit Ein-
schnitten und Sanktionen drohen.

Das von der Union und auch von der Koalition gefor-
derte Kombilohnmodell, mit dem Arbeitslose in den
Niedriglohnsektor vermittelt werden sollen, wird auch
keine dauerhafte Abhilfe schaffen. Denn Arbeitsplätze für
Geringqualifizierte werden am schnellsten wieder abge-
baut. Das Einzige, was entstehen wird, sind Mitnahme-
effekte bei den Arbeitgebern und Druck auf die Tarifpoli-
tik. Das kann ja wohl nicht das Ziel sein.


(Beifall bei der PDS)

Die neue Wunderwaffe soll nun die Zusammenlegung

von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sein, mit anderen Wor-
ten: irgendwann die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe.
Man kann Wetten abschließen, dass danach die Neurege-
lung der Sozialhilfe auf dem Plan stehen wird. Das Be-
darfsdeckungsprinzip und damit eine der Grundfesten des
Sozialstaatprinzips wird kippen.

In der Statistik sollen sozusagen die Arbeitslosen nun
auch in zwei Klassen eingeteilt werden. Angeblich gibt es
die Arbeitslosen, die keinen Job suchen und die man in
eine gesonderte Spalte bringen müsste. Jetzt aber sagt der
Arbeitsminister, dass er das nicht mehr vor der Bundes-
tagswahl machen will. Wenn aber die Erkenntnis richtig
und belegbar ist, dass es Arbeitsunwillige gibt, dann ver-
stehe ich nicht, weshalb man dies bis nach der Bundes-
tagswahl verschieben will.


(Susanne Kastner [SPD]: Das verstehen Sie schon, Frau Luft! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Nach der Bundestagswahl braucht man das nicht mehr zu machen!)


Es scheint so zu sein, dass man der Aussage selbst nicht
traut, dass Millionen von Menschen angeblich gar keinen
Job suchten. Ich halte das für ein Wahlkampfmanöver.

Mit all den eben genannten Versuchen wird die Mas-
senarbeitslosigkeit nicht wirklich abgebaut. Wo Unter-
nehmen fehlen, wie es in den neuen Bundesländern, aber
auch in strukturschwachen Regionen Westdeutschlands
der Fall ist, bringt auch die beste Vermittlung nichts. Da




Dr. Christa Luft

21891


(C)



(D)



(A)



(B)


hilft selbst die Streichung der Arbeitslosenhilfe nichts.
Dort braucht man eben mehr Unternehmensansiedlungen.

Wo Niedriglöhne als Ausweg gepriesen werden, sinkt
die Inlandsnachfrage, die gerade für kleine und mittlere
Unternehmen von großer Bedeutung ist.

Vordringlich sind aus unserer Sicht die Förderung von
Unternehmensansiedlungen und Existenzgründungen in
strukturschwachen Ost- und Westregionen sowie Investi-
tionen in die kommunale Infrastruktur, um die Bauwirt-
schaft anzuregen.


(Beifall bei der PDS)

Überfällig ist ein wirksamer Schutz der Handwerksbe-
triebe vor Insolvenz aufgrund schlechter Zahlungsmoral.
Hier besteht für Rot-Grün noch Handlungsbedarf, denn
das, was bisher zur Bekämpfung schlechter Zahlungsmo-
ral beschlossen worden ist, reicht bei weitem nicht aus.


(Beifall bei der PDS)

Dringlich sind auch die gesetzliche Einführung exis-

tenzsichernder Mindestlöhne und die Einschränkung der
Überstunden. Auch müssen endlich Regelungen her, um
arbeitsintensive Handwerksleistungen mit dem niedrigen
Mehrwertsteuersatz zu belasten. Das schafft Nachfrage
nach solchen Leistungen und damit neue Arbeitsplätze.

Für Existenzgründer wäre die Steuerfreistellung in den
ersten drei Jahren hilfreich, und zwar auch dann, wenn sie
bereits stattliche Gewinne einfahren; denn es ist gerade
angesichts der bevorstehenden Neuregelungen zu Basel II
wichtig, dass ihre Eigenkapitalbasis gestärkt wird. Für
kleine Unternehmen mit Jahresumsätzen bis zu 1 Million
Euro sollte die Soll-Steuerabführung erst fällig werden,
wenn die Rechnung bezahlt ist, und nicht schon dann,
wenn sie ausgestellt wird. Das könnte vielen Unterneh-
men das Überleben sichern.


(Beifall bei der PDS)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,

aber auch von der Union und der FDP, es gibt also auch
Alternativen zu dem, was Sie vorschlagen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422104500
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Brandner für die SPD-Frak-
tion.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Jetzt rede, was du denkst, und nicht, was du musst! – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1422104600
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen, liebe Kollegen! Die CDU/CSU hat ihren An-
trag, über den wir heute debattieren, mit den Worten
„Politik für mehr Beschäftigung statt organisationspoliti-
schem Aktionismus“ überschrieben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein starker Beginn der Rede!)


Der Antrag ist schon in der Überschrift gehässig und
falsch.


(Lachen des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU])


Dennoch sahen wir der Debatte gelassen entgegen, denn
der Antrag zeigt die Konzeptionslosigkeit der größten
Oppositionspartei. Lautstärke allein, Kollege Laumann,
macht noch keine Musik. Sie gefallen sich offensichtlich
in der Rolle einer lautstarken Opposition. Dort sollen Sie
auch bleiben. Ich prophezeie Ihnen: Dort werden Sie auch
bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Tata, tata, tata! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Vier Leute haben applaudiert, vier!)


Meine Damen und Herren, das Bündnis für Arbeit war
in der Tat gescheitert, allerdings in der letzten Wahlperi-
ode. Die alte Kohl-Regierung hatte es schon in der ersten
Runde an die Wand gefahren. Das war auch zu erwarten;
denn die damalige Koalition hatte dieses Bündnis für Ar-
beit nur auf öffentlichen Druck einberufen. Sie hatte an ei-
nem gesellschaftlichen Bündnis seinerzeit überhaupt kein
Interesse. Nur wegen der populären Forderung der IG-
Metall hat sie überhaupt zu dieser Gesprächsrunde einge-
laden. So war das Bündnis für Arbeit zustande gekom-
men. Sie haben es dann ganz schnell abgebrochen, weil
Sie eine Kurswende vollzogen haben. Sie haben die aus-
gestreckte Hand der Gewerkschaften ausgeschlagen und
Ihre Hand nicht für sinnvolle Veränderungen in der Ge-
sellschaft gereicht. Das ist Ihnen beim Wahlergebnis teuer
zu stehen gekommen.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Deswegen wird es jetzt auch wieder besser!)


Das gesellschaftliche Bündnis für Arbeit ist nach wie
vor populär. Die Menschen in Deutschland wollen ein
Bündnis fürArbeit, Wettbewerbsfähigkeit und Ausbil-
dungsplätze. Sie wollen allerdings ehrliche Gespräche
und Kompromisse und keine einseitige Politik der
Schuldzuweisungen. Sie hingegen fordern damals wie
heute im Grunde eine Unterwerfung der Gewerkschaften
und den einseitigen Abbau von Arbeitnehmerrechten. Sie
wollen das Bündnis für Arbeit missbrauchen. Das ist mit
uns nicht zu machen.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen den Umbau des Sozialstaates.Wir wollen

Reformen, die die Gesellschaft voranbringen, die den Ar-
beitsmarkt gestalten und die den Sozialstaat zukunfts-
sicher machen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wann fängt das an?)


Wir wollen keine Tricks. Wir wollen nicht einfach von der
linken in die rechte Tasche umverteilen. Wir wollen viel-
mehr mithilfe des Bündnisses für Arbeit vernünftige
Reformen auf den Weg bringen. Wir wollen, dass es ein
faires Geben und Nehmen gibt, dass es eine faire Basis für
die Gestaltung der Gesellschaft gibt. Ein gutes Beispiel




Dr. Christa Luft
21892


(C)



(D)



(A)



(B)


dafür ist übrigens das Gesetz über Teilzeitarbeit und be-
fristete Beschäftigung. Es stellt einen klaren gesell-
schaftlichen Fortschritt dar. Der Trend zur Teilzeitarbeit
wird dadurch unterstützt. Gleichzeitig erhalten die Ar-
beitgeber durch ein unbefristetes Gesetz zur befristeten
Einstellung Rechtssicherheit. Sie, meine Damen und Her-
ren von der Opposition, haben den Rechtsanspruch auf
Teilzeitarbeit bekämpft. Sie wollten verhindern, dass im-
mer mehr Menschen, Frauen und auch fortschrittliche
Männer, teilzeitarbeiten. Sie wollten durch Ihre politi-
schen Aktivitäten den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit
verhindern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist entlarvend und an Einseitigkeit nicht zu überbie-
ten.

Das Bündnis für Arbeit hat eine Menge bewegt. Das
Wichtigste war – darauf ist schon hingewiesen worden –
der Ausbildungskonsens. Im Bereich der Ausbildungs-
plätze gibt es endlich einen Ausgleich zwischen Angebot
und Nachfrage. In den Zukunftsberufen des IT-Bereichs
ist die Zahl der Ausbildungsplätze dramatisch gestiegen.
Wir haben nicht vergessen, dass Altbundeskanzler Kohl
seine Versprechungen im Hinblick auf die Lehrstellen
nicht eingelöst hat. Alle sind gebrochen worden. Sie ha-
ben keine Erfolgsbilanz vorzuweisen! Seien Sie nicht nei-
disch und erkennen Sie endlich an, dass wir für die jungen
Menschen in diesem Land viel getan haben!


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU: Das ist falsch! – Alles falsch!)


Durch das Jugendsoforthilfeprogramm JUMP sind
über 400 000 Jugendliche in Maßnahmen gebracht wor-
den. Ich erinnere mich noch, wie Sie auch dieses Projekt
bekämpft und diffamiert haben. Wir haben jungen Men-
schen eine Chance gegeben. Wir sollten mehr die Ge-
meinsamkeiten zwischen uns pflegen, als ständig das
Trennende zu suchen. Letzteres hilft den Menschen in
diesem Land überhaupt nicht weiter.


(Beifall bei der SPD)

Das Job-Aqtiv-Gesetz beruht im Kern auch auf dem,

was im Bündnis für Arbeit im Konsens vereinbart worden
ist: Jobrotation; vorbeugende Qualifizierung; Instru-
mente, mit denen älteren Arbeitslosen und von Arbeitslo-
sigkeit Bedrohten gezielter geholfen werden kann. Die
Verzahnung von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik ist
– das ist etwas vollkommen Neues – im Job-Aqtiv-Gesetz
verankert worden. Damit werden neue Wege zur Bekämp-
fung der Arbeitslosigkeit aufgezeigt.

Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz haben wir übrigens auch
die Reform der Arbeitsvermittlung eingeleitet. Bereits
heute haben über 2 Millionen Arbeitslose einen Rechts-
anspruch auf Vermittlungshilfen durch private Dienstleis-
ter. Auch das haben Sie abgelehnt, obwohl dies eine echte
Innovation ist. Aber dabei bleiben wir nicht stehen. Die
Bundesregierung hat jetzt einen Zweistufenplan vorge-
schlagen. Es geht um kunden- und wettbewerbsorientierte
Dienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt. Wir wollen die
Bundesanstalt für Arbeit nicht zerschlagen. Wir wollen

vielmehr eine vernünftige Kooperation zwischen Ar-
beitsämtern, privaten Arbeitsvermittlern und Maßnahme-
trägern. Wir wollen einen fairen Wettbewerb. Wir wollen
aber auch die Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit
unterstützen, die einen harten Job machen. Sie verdienen
unsere Solidarität gerade in der jetzigen Situation, weil
der überwiegende Teil der Beschäftigten der Bundesan-
stalt für Arbeit sehr engagiert daran mitarbeitet, dass ar-
beitslose Menschen in Arbeit kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir gehen – darauf ist schon hingewiesen worden – mit
Eile an die gesetzlichen Veränderungen heran. Eile ist
auch geboten; denn die Höhe der Arbeitslosenzahl und die
Vermittlungsdefizite zeigen, dass wir Neuregelungen für
die Bundesanstalt für Arbeit bald verabschieden müssen.
Mit dieser Eile tun sich die Oppositionsparteien, insbe-
sondere die CDU/CSU, leider schwer. Ich möchte deut-
lich sagen: Wir haben keine Zeit; wir können nicht ab-
warten. Wir müssen zupacken, damit die Reform der
Arbeitsmarktpolitik auf der Ebene der Bundesanstalt für
Arbeit offensiv und schnell angegangen werden kann.

Natürlich wissen auch wir, dass die beste Reform der
Arbeitsvermittlung fehlende Arbeitsplätze nicht ersetzen
kann. Das hat die SPD auch nie behauptet. Aber es gibt
eine erhebliche Zahl von nicht besetzten Arbeitsstellen,
die durch eine offensivere Vermittlung besetzt werden
könnten. Dadurch könnte ein signifikanter Beitrag zum
Abbau der Arbeitslosigkeit geleistet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich kann niemand, auch wir nicht, mit der der-
zeitigen Arbeitsmarktlage insgesamt zufrieden sein.
Miesmacherei hilft in diesem Zusammenhang aber über-
haupt nicht weiter. Die Aussage „Schlusslicht in Europa“
ist einseitig und stark verkürzt. Bei der Arbeitslosen-
quote liegt Deutschland genau im Mittelfeld. Die EU-
standardisierte Erwerbslosenquote ist übrigens nicht
höher, wie die Opposition weismachen will, sondern er-
heblich niedriger als die national berechnete Quote. Nach
der EU-standardisierten Statistik beträgt die Arbeitslosen-
quote bei uns im Januar 2002 – das sind die aktuellen Da-
ten – 8,1 Prozent, während die nationale Statistik eine
Quote von 10,4 Prozent ausweist. Über eine Änderung der
Statistik nachzudenken liegt da geradezu auf der Hand.
Allerdings betone ich: Wir wollen einen ehrlichen Ver-
gleich zu früheren Regierungszeiten ermöglichen. Einen
solchen Vergleich brauchen wir wahrlich nicht zu scheu-
en; immerhin liegt das Wachstum in der Ära Schröder mit
durchschnittlich 1,6 Prozent höher als in den letzten sechs
Jahren der Ära Kohl; damals waren es nur 1,3 Prozent.
Das macht Jahr für Jahr eine Zunahme um 70 000 Arbeits-
plätze aus. Das macht deutlich, dass auch unsere wirt-
schaftspolitischen Aktivitäten zu mehr Arbeitsplätzen ge-
führt haben.


(Gudrun Kopp [FDP]: Märchenstunde!)

Nun lassen Sie mich den aus meiner Sicht letzten wich-

tigen Punkt ansprechen. Sie sagen: Die demographische
Entwicklung hat bisher keine Entlastung gebracht; denn




Klaus Brandner

21893


(C)



(D)



(A)



(B)


sie wurde durch eine Zunahme der Frauenerwerbsarbeit
sowie durch Neueintritte aus der stillen Reserve und von
Jugendlichen überkompensiert. – Es ist nicht ein einzel-
ner Faktor, so wie Sie es sagen. Die Zahl derjenigen, die
neu auf den Arbeitsmarkt kommen, ist viel größer als die
Zahl derjenigen, die aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden,
und das wirkt sich negativ auf die Zahl der freien Arbeits-
plätze aus. Vor diesem Hintergrund haben wir eine ganz
gute Gesamtbilanz vorgelegt.

Das gilt auch für den Osten. Frau Luft hat da Unrecht.
Im Januar 1998 – lassen Sie mich das noch sagen – gab
es im Osten 1,59 Millionen Arbeitslose. Derzeit sind es
1,49 Millionen – leider zu viele, aber 100 000 mehr als
zur Zeit der Regierung Kohl.


(Zurufe von der SPD: Weniger!)

– Weniger.


(Zuruf von der CDU/CSU: „Mehr“ war schon richtig!)


Das ist ein positives Beispiel, auf das man bei dieser Ge-
legenheit hinweisen darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Bündnis für Arbeit hat wichtige Grundlagen ge-
legt. Wir sollten es fortsetzen.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422104700
Nun erteile ich dem
Kollegen Matthias Wissmann für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID1422104800
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen uns
immer wieder fragen, vor welchem Hintergrund wir diese
Debatte führen. Vertraut man den Zahlen des Statistischen
Bundesamts von gestern, dann befindet sich die Bundes-
republik Deutschland mitten in einer Rezession – mit
Trend nach unten. Nach einem Wachstum von minus
0,2 Prozent im dritten Quartal 2001 betrug für die letzten
drei Monate des Jahres 2001 das saisonbereinigte Wachs-
tum minus 0,3 Prozent. Es gibt gegenwärtig keine Erho-
lungstendenzen auf breiter Front, so sehr wir es uns ge-
meinsam auch wünschen würden.


(Zurufe von der SPD: Das stimmt überhaupt nicht!)


Wir müssen uns einmal selbstkritisch fragen – viel-
leicht sollte das auch der eine oder andere in den rot-grü-
nen Reihen tun –, ob denn das Bündnis für Arbeit beim
Bundeskanzler in den letzten beiden Jahren ein großer Er-
folg war.


(Zuruf von der SPD: Sie wünschen das doch überhaupt nicht!)


Hinter vorgehaltener Hand sagt nahezu jeder: Es war nicht
der erwartete Erfolg. Das letzte Treffen hat mit einem
Nullergebnis geendet: kein Kommuniqué, keine greif-
baren Ergebnisse, keine Perspektive. Wir müssen uns in

den nächsten Jahren überlegen, glaube ich, ob wir einfach
so weitermachen können mit Hochglanzveranstaltungen
und medienwirksamen Gipfeltreffen.

Ich sage Ihnen deutlich: Bündnisse für Arbeit vor Ort
in Betrieben haben in den letzten Jahren sehr oft Sinn ge-
macht und dabei geholfen, Betriebe vor der Insolvenz zu
bewahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Auf tariflicher Basis hat er Recht!)


Bündnisse für Arbeit in der Form der letzten beiden Jahre
machen dagegen wenig Sinn. Sie führen nicht weiter. Sie
führen nicht zu positiven Ergebnissen.

Nahezu nirgendwo in Europa stagniert die Beschäfti-
gungsentwicklung wie in Deutschland.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist ja nicht wahr!)

Nur in den südeuropäischen Ländern ist die Arbeits-
marktregulierung noch stärker als bei uns. In vergleich-
baren Nachbarstaaten wie Dänemark oder den Niederlan-
den liegt die Bürokratiedichte nach den Berechnungen der
OECD – nicht nach meinen Berechnungen! – deutlich un-
ter den Werten in Deutschland.

Deswegen unternehmen wir mit unserem Antrag be-
wusst den Versuch, uns nicht nur auf die Frage zu konzen-
trieren, was bei der Bundesanstalt für Arbeit jetzt erneu-
ert werden muss – alle Erneuerungen sind notwendig –,
sondern wir stellen uns auch der Frage, wie wir die
Kernthemen, nämlich die Überbürokratisierung unserer
Wirtschaft, die Überregulierung des Arbeitsmarkts, das
Abtöten neuer Entwicklungen und den Mangel an Ermu-
tigungen für Existenzgründer angehen. Diese Punkte ver-
schulden einen erheblichen Teil der Arbeitslosigkeit. Ne-
ben der Reform der Bundesanstalt für Arbeit muss an
diesen Stellen gehandelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir bringen das hier deutlich zum Ausdruck.

Das Thema Statistiken wurde angesprochen. Es ist er-
freulich, dass Sie sagen, dass Sie die Manipulation, die
möglicherweise geplant war, im Moment unterlassen
wollen.


(Peter Dreßen [SPD]: Nicht Manipulation, sondern Transparenz, Herr Wissmann! Sie sind ja unmöglich!)


Bereits nach geltendem Recht, nämlich nach § 428 SGB III,
sind rund 250 000 Menschen, die 58 Jahre und älter sind,
aus der Statistik klammheimlich herausgerechnet worden.


(Klaus Brandner [SPD]: Herr Wissmann, sagen Sie einmal, wie viele neue hereingekommen sind!)


Die Statistik ist schon jetzt nicht wahrhaftig.

(Peter Dreßen [SPD]: Sehen Sie, deswegen brauchen wir mehr Transparenz! – Erika Lotz [SPD]: Was wollen Sie? Für mehr Transparenz sorgen?)





Klaus Brandner
21894


(C)



(D)



(A)



(B)


Gegenwärtig werden bereits 1,5 bis 2 Millionen Men-
schen nicht berücksichtigt, die, statistisch gesehen, nicht
arbeitslos gemeldet sind und trotzdem in erheblichen Nö-
ten sind.

Wenn Sie Änderungen der Statistik vornehmen, dann
sollten es wahrhaftige Änderungen sein. Berücksichtigen
Sie nicht nur diejenigen Menschen, die gar keine Arbeit
mehr suchen, sondern auch diejenigen, die gerne Arbeit
hätten, aber in der Arbeitslosenstatistik nicht erfasst sind!
Sagen Sie die Wahrheit! Manipulieren Sie nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was muss sich ändern? Ich nenne vier Elemente:
Erstens. Wir glauben, dass an einigen wichtigen Stel-

len Regulierungen beseitigt werden müssen. Wer Über-
stunden abbauen will, der muss zum Beispiel mehr Mög-
lichkeiten für Zeitarbeit schaffen. Die Befreiung der
Zeitarbeit von ihren bisherigen bürokratischen Hemmnis-
sen würde mehr Zeitarbeitsverhältnisse schaffen und da-
mit mehr Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit
bringen. Diesen Menschen – das wissen wir aufgrund
Tausender von Fällen – würde eine Brücke in eine dauer-
hafte Beschäftigung ermöglicht werden.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Umgekehrt wird da die Wahrheit draus! – Peter Dreßen [SPD]: Da spricht der Blinde vom Himmel!)


Zweitens. Wir sind der Meinung, dass beschäftigungs-
freundliche Regelungen für befristete Arbeitsverhält-
nisse geschaffen werden müssen, damit wir dafür sorgen
können, dass aus immer mehr befristeten Arbeitsverhält-
nissen dauerhafte Arbeitsverhältnisse werden können.

Drittens. Wir sind der Meinung, dass eine Reform des
Tarifvertragsrechts, vor allem eine Modernisierung des
Günstigkeitsprinzips, notwendig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Erika Lotz [SPD]: Was Sie unter Modernisierung verstehen! – Klaus Brandner [SPD]: Das hat mit Modernisierung nichts zu tun!)


Es ist widersinnig, dass Unternehmen in Krisenzeiten ge-
gen geltendes Recht verstoßen.


(Zurufe von der SPD)

– Nehmen Sie das einmal ganz ruhig zur Kenntnis und
denken Sie darüber nach. Schreien ist meistens ein Aus-
druck von inhaltlicher Schwäche!


(Susanne Kastner [SPD]: Das müssen Sie dem Herrn Laumann sagen! – Klaus Brandner [SPD]: Seien Sie präzise!)


Es ist widersinnig – das sage ich noch einmal –, dass
Unternehmen in Krisenzeiten gegen geltendes Recht ver-
stoßen, wenn sie gemeinsam mit der Belegschaft verein-
baren, längere Arbeitszeiten gegen sichere Arbeitsplätze
zu tauschen. Solche betrieblichen Bündnisse bewahren
Unternehmen häufig vor der Pleite. Sie sorgen dafür, dass
Arbeitsplätze erhalten bleiben. Ich will nicht, dass ein Ar-
beitgeberverband oder eine Gewerkschaftenzentrale
durch Einwirken von außen eine Einigung von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern im Betrieb unmöglich

machen können. Ich will, dass der Betrieb erhalten bleibt
und die Beschäftigung gesichert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen brauchen wir entsprechende Änderungen.
Viertens. Wir müssen die privaten Vermittlungen auf

breitester Front stärken. Die Vorstellung, die in manchen
Köpfen herrscht, die Bundesanstalt für Arbeit müsse der
Marktführer bei der Vermittlung sein, ist falsch. Wir brau-
chen den echten Wettbewerb. Der Arbeitslose fragt nicht
danach, ob ihm das Arbeitsamt oder der private Arbeits-
vermittler den Job vermittelt. Uns muss es darauf ankom-
men, dass die Vermittlung – sei es beim privaten Arbeits-
vermittler oder beim Arbeitsamt – besser wird. Deswegen
müssen wir die noch vorhandenen Beschränkungen bei
der privaten Arbeitsvermittlung beseitigen. Es ist drin-
gend notwendig, diesen Weg einzuschlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Ohne leistungsfähige kleine

und mittlere Betriebe gelingt es uns nicht, Hunderttau-
sende zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. In den letzten
zehn Jahren sind neun von zehn Arbeitsplätzen aus Be-
trieben mit einem bis hundert Beschäftigten gekommen.
Aber in Wahrheit ist die Belastung des Mittelstands, des
Handwerksbetriebs, des kleinen Selbstständigen mit
Bürokratie übermäßig hoch. Wir brauchen ein Entrümpe-
lungsprogramm für die kleinen und mittleren Betriebe.
Wir brauchen die Beseitigung des Gesetzes zur Schein-
selbstständigkeit. Wir brauchen die Beseitigung des
Zwangsteilzeitanspruchs. Wir brauchen eine grundle-
gende Reform des Niedriglohnsektors mit weniger Büro-
kratie, damit kleine und mittlere Betriebe atmen und
Arbeitsplätze schaffen können. Setzen Sie hier an; dann
schaffen Sie neue Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422104900
Jetzt hat die Kollegin
Andrea Fischer für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein bisschen deprimierend, wie ritualisiert wir hier
diskutieren.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Nur Sie nicht!)

Wir alle haben jeweils die Zahlen an der Hand, die unsere
eigene These erhärten. Damit haben wir nur die alte
Volksweisheit bestätigt, dass man aus jeder Statistik das
machen kann, was man braucht.

Ja, es ist richtig, dass das Bündnis für Arbeit nicht ge-
nug geschafft hat. Genauso richtig ist es aber, dass das
Bündnis für Arbeit eine ganze Menge geschafft hat, mehr,
als hier in mancher Hinsicht behauptet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Nichts zuwege gebracht!)





Matthias Wissmann

21895


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn es denn möglich ist, dass ein- und dasselbe Er-
gebnis so unterschiedlich bewertet wird, dann kann man
sagen: Das ist das übliche Ritual zwischen Opposition
und Regierung. Was soll’s?

Da wir hier aber über Arbeitslosigkeit reden und wis-
sen, dass uns das in unserem Land am allermeisten plagt,
lohnt es sich, darüber nachzudenken, warum wir hier ei-
gentlich so ritualisiert debattieren. Ich habe hier eben ge-
sessen und gedacht: Im Prinzip habe ich das in der letzten
Legislaturperiode mit anders verteilten Rollen genauso
erlebt. Das kann es doch nicht sein.

Da ist dann auch die Kritik am Bündnis für Arbeit
wohlfeil, Kollege Laumann. Abgesehen davon hätte ich
gerade von Ihnen nicht erwartet, dass Sie so uncharmant
sind, von einem Bündnis, an dem zum Beispiel ich teilge-
nommen habe, zu behaupten, es sei ein Bündnis alter
Männer.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Werner Siemann [CDU/CSU]: Eine charmante junge Dame hat er übersehen!)


– Genau das hatte ich vom Kollegen Laumann nicht ge-
dacht.


(Franz Thönnes [SPD]: Er übersieht so einiges!)


Natürlich müssen die Verbände daran beteiligt werden,
weil sie legitimiert sind, für größere Gruppen von Be-
schäftigten zu sprechen. Es ist nicht möglich, stattdessen
Individuen in das Bündnis aufzunehmen, sondern es be-
darf einer demokratischen Legitimation.

Andererseits können in einem solchen Bündnis, an
dem Vertreter der Interessenverbände beteiligt sind, nur
gute Dinge gemacht werden, wenn alle Seiten bereit sind,
sich zu bewegen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Bevor ich näher auf das Bündnis eingehe, komme ich
noch einmal auf das Ritual zwischen Opposition und Re-
gierung zu sprechen. Wir alle müssen doch zugeben, dass
wir in unserem Land einen Konflikt zwischen der not-
wendigen Dynamik, die wir brauchen, um die Beschäfti-
gungslosigkeit abzubauen, und unser aller Bedürfnis nach
sozialer Sicherheit haben. Der Kollege Laumann hat diese
Widersprüchlichkeit in seiner heutigen Rede sehr gut
deutlich gemacht, und zwar auch durch die Widersprüche,
die in seinen eigenen Forderungen enthalten waren.


(Franz Thönnes [SPD]: Zerrissenheit der Union!)


– Nein, Herr Kollege Thönnes. Das ist ein Problem, das
wir alle haben. Das ist doch der Punkt, auf den ich auf-
merksam machen will. Wir haben es anhand der rituali-
sierten Debatte gemerkt. Ich kann dazu auch eine eigene
Geschichte erzählen.

In der letzten Legislaturperiode waren die versiche-
rungsfremden Leistungen eines der Hauptthemen, wenn
es um Sozialpolitik und auch um den Abbau von Arbeits-
losigkeit ging. Davon reden wir nicht mehr; denn wir ha-

ben sie inzwischen sachgerecht finanziert. Nur haben wir
dafür die Ökosteuer eingeführt, die Sie immer kritisieren
und im Hinblick auf die Sie uns bis heute noch nicht ge-
sagt haben, was Sie denn machen, wenn Sie sie wieder ab-
schaffen, wie Sie das Ganze dann finanzieren wollen. Der
Konflikt ist doch gerade, dass man das eine nicht bekom-
men kann, ohne an anderer Stelle jemandem wehzutun.

Was habe ich als Ministerin alles erlebt, als ich um sta-
bile Beiträge in der Krankenversicherung gekämpft habe.
Sie haben gefordert, die Abgaben zu senken. Ich habe mit
allen Mitteln dafür gekämpft, dass die Beiträge stabil blei-
ben.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Und Sie sind zurückgetreten!)


Da haben Sie sich nicht einen Millimeter bewegt und ha-
ben alles bekämpft, was mit dazugehörte.

Es ist ein uraltes Problem, dass in diesem Land Bünd-
nisse zulasten Dritter in der Beschäftigungspolitik ge-
macht werden, was sich insbesondere in der Vorruhe-
standspolitik ausdrückt, bei der der Sozialstaat eingreift,
um sozialverträglich den Abbau der Beschäftigung in den
Betrieben zu finanzieren. Das wissen wir alle. Trotzdem
stehen wir in diesem Konflikt und können da nicht einfach
heraus, weil wir über keine Alternativen für die Beschäf-
tigten verfügen.

Es lohnt sich doch, sich über diese Widersprüche Re-
chenschaft zu geben, um endlich aus diesem Ritual aus-
brechen zu können. Dann kommt man nämlich zu der Er-
kenntnis, dass jede Politik nur dann gut sein kann, wenn
alle bereit sind, sich zu bewegen.

An dem Bündnis fürArbeitwurde hier kritisiert, dass
Kartelle aufeinander treffen und das Ergebnis irgendwie
absehbar sei. So war es ja in der letzten Zeit, als es um die
Tarifpolitik ging. Der erste Schritt, da herauszukommen,
wäre zu sagen: Ich möchte von diesem Ritual nichts mehr
hören und will, dass sich endlich etwas bewegt; deshalb
lohnt es sich, zu schauen, ob die legitimen Interessen ver-
treten sind. Der zweite Schritt ist, zu einem neuen Ver-
ständnis von Lobbyismus zu kommen. Unter Lobbyismus
darf dann nicht mehr verstanden werden, die Interessen
der eigenen Klientel ungeschmälert durchzusetzen. Viel-
mehr muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass auch die
eigene Klientel dem Gemeinwohl verpflichtet ist und man
nicht ihr Interesse durchsetzen darf, egal was es ökono-
misch oder auf dem Arbeitsmarkt kostet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An diesem Punkt ist jede Regierung auf Akteure im ei-
genen Land angewiesen, die diese Gemeinwohlperspek-
tive entfalten können und auch einmal über ihren eigenen
Schatten springen können. Das nennt man übrigens Füh-
rung. Das soll es auch bei Arbeitgeberverbänden und bei
Gewerkschaften geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)





Andrea Fischer (Berlin)

21896


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422105000
Jetzt hat das Wort der
Kollege Gerald Weiß für die CDU/CSU-Fraktion.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Fischer, dass das wichtigste Thema überhaupt, die Ar-
beitslosigkeit, immer wieder dieses Haus erreicht, ist so
normal wie notwendig. Gegensätzliche Positionen müs-
sen dann eben immer wieder konfrontativ gegenüber-
gestellt werden, bis wir bei der Bekämpfung der Volks-
seuche Arbeitslosigkeit weiterkommen.

Es befremdet mich schon sehr, wenn sich der Bundes-
arbeitsminister beim wichtigsten Thema überhaupt bis zur
Unsichtbarkeit tarnt und jetzt nicht einmal mehr da ist.
Das ist schon sehr befremdlich, meine sehr verehrten
Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Ist auch eines der Rituale!)


– Nein, ich halte es für notwendig, dass der Arbeitsmi-
nister, wenn es um Arbeit geht, im Saal ist und sich den
Argumenten stellt.

Tricksen, täuschen, tarnen –

(Klaus Brandner [SPD]: Jetzt bin ich auf die Argumente gespannt!)

das macht Rot-Grün zurzeit auf diesem Feld. Das soll


(Zuruf von der SPD: Jetzt kommen Sie einmal zum Kern des Problems!)


– ich komme sehr gerne zum Kern des Themas – vom de-
saströsen Befund ablenken. Zum desaströsen Befund
gehört, dass Sie bei der Lösung einer Kernfrage Ihres
Regierungshandelns fundamental versagt haben: Die
Arbeitslosigkeit steigt saisonal bereinigt seit 15 Monaten


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 16, 17 Monate!)

– 16 Monate, danke – in diesem Land immer weiter an.
Das ist ein Skandal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Anders, als der Kollege Brandner behauptet, haben wir

mittlerweile in den neuen Bundesländern eine Rekord-
arbeitslosigkeit. Anders, als der Kollege Brandner be-
hauptet – er hat tatsächlich gewagt, das Wort „Wachstum“
in den Mund zu nehmen –, haben wir als einziges Land in
der Europäischen Union – insoweit will ich die Aus-
führungen des Kollegen Wissmann noch ergänzen – ein
Minuswachstum, wie man es früher einmal vornehm ge-
nannt hat. Bei uns herrscht Rezession, bei den anderen
nicht. Das muss doch etwas mit hausgemachten Bedin-
gungen zu tun haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Das ist Quatsch, Herr Weiß!)


– Herr Brandner, doch, es ist so.

(Klaus Brandner [SPD]: Reden Sie nicht wider die Fakten!)

Sie müssten eigentlich in der Beschäftigungspolitik ei-

nen demographischen Gewinn einfahren, weil jedes

Jahr 200 000 mehr ältere Menschen den Arbeitsmarkt ver-
lassen, als junge Arbeit und Ausbildung nachsuchen.


(Klaus Brandner [SPD]: Wie viele kommen herein? Sagen Sie das bitte!)


Die Arbeitslosigkeit steigt; ein demographischer Beschäf-
tigungsgewinn ist nicht in Sicht. Das muss doch an den
Fehlern dieser Bundesregierung liegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vernebelt wird mit Seitenthemen und Seitendebatten.

Zwar sind die Vermittlungszahlen ein wichtiges Thema,
aber die Art und Weise, wie mit dem Thema umgegangen
wurde, wann Kanzleramt, BMA und auch Rechnungshof
das Thema angepackt und wie das auf den Veröffent-
lichungstermin der desaströsen Arbeitslosenzahlen hin-
geführt hat, geht nicht an. Das hat schon sehr viel mit ei-
ner Inszenierung zu tun.


(Klaus Brandner [SPD]: Die Sie organisieren!)

Diese Inszenierung wollten Sie fortführen, indem Sie

nach dem Motto „Arbeitslose wegdefinieren statt Be-
schäftigung schaffen“ brutal die Arbeitslosenstatistik ma-
nipulieren wollten. Dass Sie das nicht gemacht haben,
liegt an einem einzigen Umstand, den Sie gestern in der
Debatte eingestanden haben: dass die Opposition und die
mediale Öffentlichkeit ganz grell die Scheinwerfer auf
diesen Skandal gerichtet haben. Wäre das nicht der Fall
gewesen, hätten Sie es getan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das hatte Methode; denn wenn keine Arbeitslosenzahl

stimmt, die herangezogen werden könnte, gibt es auch
keine Arbeitslosenzahl, an der Sie sich messen lassen
könnten. Sie wollten damit durchkommen, dass Sie sozu-
sagen die Bewertungsmaßstäbe abschaffen, nachdem Sie
das Ziel, die Zahl von 3,5 Millionen Arbeitslosen zu un-
terschreiten – so anspruchsvoll war das Ziel ja gar nicht –,
nicht erreicht haben und auch keine Chance mehr haben,
es zu erreichen.

Herr Staatssekretär, ich kann das mit den angeblichen
zusätzlichen Erwerbstätigen nicht mehr hören. Herr
Brüderle – ich genieße es, mit meinem Studienkollegen
einmal übereinzustimmen – hat bereits darauf hingewie-
sen. Es muss eine Gegenprobe gemacht werden. Die Zahl
der zusätzlichen Erwerbstätigen muss mit der Statistik der
Arbeitsstunden abgeglichen werden. Das Arbeitszeit-
volumen, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit, ist das
Fundament für die Sozialversicherung, nicht die Jobs,
die man plötzlich durch neue statistische Methoden wie
Meldepflicht als Arbeitsplätze in die Statistik überführt.

Ich liefere die Zahl der Arbeitsstunden nach: 1998 wur-
den in der Bundesrepublik 56,7 Milliarden Arbeitsstun-
den geleistet, im Jahre 2001 waren es 56,5 Milliarden Ar-
beitsstunden. Das heißt, im letzten Jahr wurde weniger
gearbeitet als im Jahre 1998. Daran zeigt sich, dass Sie
nicht aussagefähige Zahlen heranziehen, um davon ab-
zulenken, dass Sie in der Beschäftigungspolitik versagt
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(C)



(D)



(A)



(B)


Sie wollten – das war Ihr Petitum – abgewählt werden,
wenn Sie die Arbeitslosigkeit nicht würden senken kön-
nen. Die Arbeitslosigkeit steigt. Ihnen wird am 22. Sep-
tember geholfen werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Erika Lotz [SPD]: Abwarten!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422105100
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich der Kollegin Christa Luft das Wort.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1422105200
Ich wollte die Behauptung des
Kollegen Brandner nicht unwidersprochen lassen, der in
seinem Redebeitrag gemeint hat, ich hätte den Osten
Deutschlands betreffend falsche Arbeitslosenzahlen ge-
nannt. Ich habe mir soeben noch einmal die Zahlen aus
dem Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutsch-
land schicken lassen. Es zeigt sich, dass ich nicht Unrecht
hatte. Ich will die Zahlenreihe nicht komplett vorlesen,
nur so viel: 1991 waren es 913 000 Arbeitslose, 1994
schon 1 143 000. 1996 hatten wir 1 169 000 und 1997 be-
reits 1 364 000, 1998 schließlich 1 375 000. Von 1 500 000
ist nirgendwo in der Statistik etwas zu finden. Ich wollte
Ihren Eindruck korrigieren, auch ich würde meine Statis-
tik selbst erfinden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422105300
Nun darf der Herr
Kollege Brandner darauf antworten. Dann können Sie es
im Ausschuss vertiefen.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1422105400
Selbstverständlich wird das
Angebot, das im Ausschuss zu vertiefen, gern angenom-
men. – Frau Luft, ich habe gesagt, dass wir im Ja-
nuar 1998 – das ist der Vergleichsmonat, mit dessen Zah-
len die Zahlen unserer Regierungszeit immer verglichen
werden – in den neuen Ländern 1,59 Millionen Arbeits-
lose hatten, dass die Arbeitslosenzahl in dem gleichen
Monat drei Jahre später auf 1,49 Millionen gesunken ist
und dass dies ein Minus von 100 000 bedeutet.

Wenn Sie berücksichtigen, dass die Zahl der ABM-Be-
schäftigten durch die Wahlkampfmaßnahme der Vorgän-
gerregierung sehr hoch war, dann wissen Sie, dass die
Arbeitslosenzahlen – insgesamt gesehen – deutlich ge-
sunken sind, seitdem wir die Regierungsverantwortung
übernommen haben.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Deshalb sind die Zahlen so hoch!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422105500
Nun hat der Kollege
Franz Thönnes für die SPD-Fraktion das Wort.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1422105600
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Was ich selbst trickse und tu, das
dichte ich auch anderen zu. Herr Kollege Weiß, so klang
vorhin Ihre Rede. Sie treffen uns aber an dieser Stelle
nicht.

Wir erklären Ihnen heute noch einmal deutlich, damit
Sie es endlich kapieren: In dieser Legislaturperiode wird
die Statistik nicht geändert. Sie wird in der nächsten
transparenter und klarer werden, damit deutlicher wird,
welche Vermittlungserfolge erzielt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


„Bündnis für Arbeit gescheitert – Reformen endlich
umsetzen“: Das ist der Titel Ihres Antrages vom 23. Ja-
nuar 2002. Ich habe gedacht, dass dieser Titel eigentlich
aus dem April 1996 stammen müsste. Er hätte nämlich zu
Ihrer Politik gepasst, als Sie damals das Bündnis für
Arbeit gegen den Willen der Gewerkschaften und mit
Unterstützung der Arbeitgeber mutwillig an die Wand ge-
fahren haben. Sie haben damals den Konsens durch die
Einschränkung der gesetzlich geregelten Lohnfortzah-
lung im Krankheitsfall und durch die Reduzierung des
Kündigungsschutzes bewusst zerstört. 80 Prozent der Be-
triebe und 20 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland
waren davon betroffen.

Sie haben die Einschränkung der Sozialauswahl bei
Kündigungen eingeführt und haben im späteren Verlauf
Einschnitte und Kürzungen in der Krankenversicherung
vorgenommen. Außerdem gab es durch die Reform der
Arbeitsförderung erhebliche Verschlechterungen. Das
Resultat ist eine Spitzenarbeitslosigkeit in Deutschland
gewesen. Wenn man alles das hinzurechnen würde, was
Sie heute hinzurechnen wollen, dann würden wir für den
Januar 1998 bei weit über 5,3 Millionen Arbeitslosen lie-
gen. Diese Zahl müssen Sie also für Ihre Regierungszeit
gelten lassen. Wenn man noch die stille Reserve hin-
zurechnen würde – um es einmal klar zu sagen –, läge man
bei 7 Millionen und nicht in der Größenordnung, die Sie
heute andauernd zitieren.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/CSU])


Die Rentenversicherungsbeiträge sind von 17,5 Prozent
im Jahr 1992 auf 20,3 Prozent gestiegen. 200 000 jun-
ge Menschen standen 1997 ohne Lehrstelle da. Es gab
2,9 Millionen Sozialhilfeempfänger in Deutschland. Das
ist das Resultat Ihrer Politik gewesen. Deshalb brauchen
Sie uns heute nicht zu sagen, wie Bündnisse zu funktio-
nieren haben.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben damals aus dem Bündnis für Arbeit ein

Bündnis gegen Arbeit und ein Bündnis gegen die Be-
kämpfung der Arbeitslosigkeit gemacht. Die verantwort-
lichen Versager von gestern präsentieren sich heute als
Schlaumeier und wollen uns zeigen, wie es geht. Ihre Re-
zepte von damals, die Sie heute wieder als Heilmittel prä-
sentieren, sind jetzt genauso Gift für den Arbeitsmarkt wie
damals.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Werner Siemann [CDU/ CSU]: Sie wollten doch alles besser machen!)


Das Bündnis für Arbeit ist durch hohe Erwartungen
geprägt worden. Das ist angesichts der Herausforderun-
gen völlig verständlich. Ich denke, dass diese Erwartun-




Gerald Weiß (Groß-Gerau)

21898


(C)



(D)



(A)



(B)


gen bestehen bleiben müssen. Aber es ist auch deutlich ge-
worden, was möglich ist: Auf dem Gebiet der Altersver-
sorgung haben wir eine Rentenreform durchgeführt. Wir
haben erreicht, dass die Beiträge stabilisiert werden. Da-
mit tragen wir zu einer Begrenzung der Lohnnebenkosten
bei, was Sie selbst wollen.

Wir haben die Beschäftigungschancen für ältere Ar-
beitnehmer verbessert. Das war ausdrücklich ein Votum
aus dem Kreis des Bündnisses für Arbeit. Wir haben die
Altersgrenze für den Eingliederungszuschuss von 55 auf
50 Jahre abgesenkt. Wir haben eine Vermittlungskam-
pagne für ältere Arbeitnehmer durchgeführt. Ich sage hier
ganz deutlich: Die Älteren in der Gesellschaft gehören
nicht zum alten Eisen. Dazu wurden sie aber durch Ihre
Regierungspolitik abgestempelt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben einen Ausbildungskonsens geschaffen, bei
dem die Zielvorstellung, bis zum Jahre 2003 60 000 Aus-
bildungsplätze im Bereich der Informations- und Kom-
munikationstechnologie zu schaffen, bereits 2001 ver-
wirklicht worden ist. Wir haben einen Überschuss von
4 000 Ausbildungsplätzen im letzten Jahr erreicht.
377 000 Jugendliche haben an dem Sofortprogramm für
Jugendliche teilgenommen. Das ist eine Investition in die
Zukunft gewesen. Junge Leute stehen bei dieser Koalition
nicht alleine da.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Bezug auf Selbstständigkeit und Mittelstandsför-
derung sage ich: Wir haben das Meister-BAföG gerade
erst reformiert. 433 Millionen Euro stehen für die För-
derung von Aus- und Weiterbildung zusätzlich zur Ver-
fügung.

Bündnisse brauchen Beteiligung; Bündnisse brauchen
auch Teilhabe. Die Rezepte, die Sie, auch in diesem An-
trag, vorlegen, sehen keine Teilhabe vor, sondern schlicht-
weg Ausgrenzung. Der Kollege Rauen beschreibt ja ganz
deutlich – bereits am 31. Juli des letzten Jahres –, was man
denn alles vorhat. Nach einem Wahlsieg würde die Union,
Rauen zufolge, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
wieder einschränken, die Schwelle für die Befreiung vom
Kündigungsschutz wieder von fünf auf zehn Beschäftigte
hochsetzen. Außerdem sollten der Rechtsanspruch auf
Teilzeitarbeit, die Einschränkung bei der Befristung von
Arbeitsverhältnissen und die Neuregelung der so genann-
ten 630-Mark-Jobs rückgängig gemacht werden.


(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Der Kollege Laumann sagt: Das Leistungsniveau von

Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wird schrittweise ange-
glichen. – Da gucken alle noch ein bisschen erstaunt. Der
Kollege Rauen sagt deutlich, was Sie wollen: Außerdem
solle der Druck auf Arbeitslose, eine Niedriglohnstelle an-
zunehmen, erhöht werden. Dazu sollten Arbeitslosen- und
Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe zusammenge-
legt werden.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie wollen doch auch sparen!)


Da sagen Sie deutlich, wohin die Reise gehen soll. Sie
wollen Sozialleistungen einschränken; sie wollen Arbeit-
nehmerrechte einschränken. Es ist ein Hohn, wenn ich
heute die Pressemitteilung der CDA zu den Betriebsrats-
wahlen lese, in der steht, Betriebsräte seien Interessen-
vertreter, die die Unterstützung der Union hätten und auch
bräuchten;


(Erika Lotz [SPD]: Was? – Susanne Kastner [SPD]: Das ist ja nicht zu fassen!)


in den Betrieben müsse Solidarität und Gerechtigkeit
herrschen. Sie haben die Novelle des Betriebsverfas-
sungsgesetzes abgelehnt; sie wollen die Verbesserung für
die Betriebsräte wieder zurückdrehen. Das ist die Wahr-
heit, die man draußen sagen muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch wenn wir jetzt in einem etwas schwierigen Fahr-
wasser sind, bleibt am Ende richtig: Sie haben nichts
gelernt. Sie setzen in Ihrer Politik weiterhin darauf,
Kürzungen vorzunehmen, sozialen Fortschritt zurück-
zunehmen und Arbeitnehmerrechte abzubauen. Sie sind
rückwärtsgewandt. Das gilt im Übrigen auch für all Ihre
tollen Vorschläge zu den Finanzen. Für die 3 Milliar-
den Euro, die Herr Stoiber aufwenden will, um Beschäf-
tigung im Niedriglohnbereich zu organisieren, ist die Fi-
nanzierung völlig ungeklärt. Wie wollen Sie eigentlich bei
der Aufhebung der 325-Euro-Grenze, der geringfügigen
Beschäftigung, die 1,45 Milliarden Euro für die Renten-
versicherungs- und die 1,15Milliarden Euro für die Kran-
kenversicherungsbeiträge finanzieren?


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das steht alles in dem Papier!)


Das sind alles Luftbuchungen von Ihnen. Mit Ihrer
Politik treten wir den Marsch zurück in den Schuldenstaat
an. Das will diese Koalition nicht. Wir brauchen eine so-
lide Finanzierung der Staatsfinanzen, eine solide Finan-
zierung der sozialen Sicherungssysteme. Deswegen ist
dieser Bereich bei der Koalition in guten Händen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch wenn wir jetzt in schwierigem Fahrwasser sind,

lassen wir uns von Ihrem Jammern nicht die letzten Mit-
teilungen über die Wirtschaftssituation, wie wir sie im
„Handelsblatt“ am 20. und 22. Februar lesen konnten,
schlechtreden: Positive Signale deuten eine Konjunktur-
wende an; an den Indikatoren lässt sich eine deutliche Er-
holung der Weltwirtschaft ablesen. Der Mittelstand plant
mehr Einstellungen. Das alles wird uns in unserer Arbeit
eher ermuntern.

In der Seefahrt gilt: Wenn man in schwieriges Fahr-
wasser kommt, hat man eine klare Orientierung anhand
der roten und der grünen Tonnen. Da kommt man gut
durch. Die schwarz-gelben Tonnen stehen für Wracks und
für Risiken. Schwarz und Gelb stehen also für Wracks und
Risiken, Rot und Grün für klaren Kurs. Das werden die
Menschen am 22. September auch honorieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das war eher eine Heulboje!)





Franz Thönnes

21899


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422105700
Jetzt hat die Kollegin
Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1422105800
Sehr verehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muss
schon bitter für den Kanzler sein: Im Jahr vier seiner Re-
gierungszeit muss er sich eingestehen:


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ein Glück, das es das letzte ist!)


Versprechen nicht eingehalten, zentrale Ziele verfehlt,
fast alle Prestigeprojekte gescheitert.


(Klaus Brandner [SPD]: Sprechen Sie von Kohl?)


Das Bündnis für Arbeit war ja ein Lieblingsprojekt von
ihm. Dazu sage ich: Lassen wir es in Frieden ruhen. Es
krankte von Anfang an an Harmoniesucht und Bedeu-
tungslosigkeit.


(Klaus Brandner [SPD]: Sucht ist eine Krankheit! Das wissen Sie!)


Reden ist nie falsch; es ist der richtige Weg. Aber man darf
hier nicht wider besseres Wissen Erwartungen wecken,
von denen man von Anfang an weiß, dass sie nicht einge-
halten werden. Hier hat Schröder als Moderator vollstän-
dig versagt. Er hat sein angeblich wichtigstes Projekt
einfach an die Wand gefahren. Statt seines Bündnis-
geplauderes hätte er sich auf reformerische Entschlossen-
heit konzentrieren müssen. Dann hätte er viel mehr auf
den Weg gebracht, als bisher geschehen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dabei hätte er es doch so einfach gehabt. Ein Blick
nach Bayern, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-
Grün, hätte genügt.


(Lachen bei der SPD)

Durch das dortige Bündnis für Arbeit konnten 100000 neue
Arbeitsplätze geschaffen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Wo steigen denn die Arbeitslosenzahlen? Seit Monaten der höchste Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Stoiber!)


Was hat denn Rot-Grün auf diesem Gebiet vorzuweisen?
4,3 Millionen registrierte Arbeitslose. Lieber Kollege
Thönnes, allein die demographische Entwicklung redu-
zierte die Nachfrage nach Arbeitsplätzen, dadurch haben
Sie 650 000 weniger Arbeitslose.

Was haben wir noch? Steigende Sozialbeiträge, stei-
gende Steuern – laut ZDH haben die Steuererhöhungen,
die allein in diesem Jahr wirksam wurden, ein Volumen
von 10,5 Milliarden Euro – und steigende Schulden. Sie
behaupten zwar immer, Sie würden Sparmaßnahmen er-
greifen; dabei gibt es am Ende dieser Legislaturperiode
– trotz der Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Li-
zenzen – 50 Milliarden Euro mehr Schulden. Dann haben
wir noch die explodierenden Gesundheitskosten und ein
Wachstum von nur 0,6 Prozent: von der Konjunkturlo-

komotive in Europa zum allerletzten Schlafwagen! Das
ist peinlich; anders kann man das nicht bezeichnen. Ihre
Bilanz ist eine lange und breite Bremsspur.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben kein Alibi für diese katastrophale Entwick-

lung. Sie schieben die Schuld auf das Ausland bzw. auf die
weltwirtschaftliche Entwicklung, anstatt zu hinterfragen,
warum England und Spanien ein Wachstum von 2 Prozent
und wir von nur 0,6 Prozent haben. Nun kommen Sie
nicht mit dem angeblich verbesserten Ifo-Geschäfts-
klimaindex! Das ist kein erster Sonnenstrahl am düsteren
Konjunkturhimmel, wie behauptet worden ist. Impulse
sind nur vom Export zu erwarten.

Wie schaut es im Baubereich aus? Keine Impulse! Das
Klima im Einzelhandel hat sich sogar verschlechtert. Im-
pulse im Inland wären wichtig. Aber davon ist weit und
breit nichts zu sehen. Stattdessen haben wir einen Kanz-
ler, der auf die Selbstheilungskräfte der Konjunktur setzt.
Von allein passiert hier nichts.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Aber durch Ihre Sprüche wird es doch weiß Gott nicht besser!)


Unser Arbeitsmarkt ist durch Ihr Zutun inzwischen so ver-
krustet, dass man ein sehr hohes Wachstum bräuchte, da-
mit sich hier etwas bewegt.

Sie haben das Blaue vom Himmel versprochen, um den
blauen Brief der EU-Kommission abzuwehren. Jetzt
glauben Sie, mit einem blauen Auge davongekommen zu
sein, indem Sie Verträge zulasten Dritter abgeschlossen
haben. Woher wollen Sie denn das Geld nehmen, das
nötig ist, um Ihre in diesem Zusammenhang gemachten
abenteuerlichen Versprechungen, bis zum Jahre 2004 ei-
nen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorzuweisen, ein-
zulösen? Warum sagen Sie den Menschen im Lande nicht
vor der Wahl, wie Sie die dazu notwendigen Mittel be-
schaffen wollen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie müssen doch etwas im Hinterkopf haben; Sie müs-

sen sich doch irgendetwas gedacht haben! Wenn Sie die
Steuern erhöhen wollen, dann sagen Sie es. Sagen Sie
dann auch, welche Steuern Sie erhöhen wollen! Geben Sie
doch zu, dass Sie noch mehr Lasten auf Dritte, auf die So-
zialversicherungen, auf die Länder und die Kommunen,
verlagern wollen, wie Sie es bisher getan haben!


(Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es! – Konrad Gilges [SPD]: Alles nur Spekulation!)


Bisher haben Sie für den Haushalt 2004 neue Schulden
in Höhe von mehr als 10Milliarden Euro eingeplant. Jetzt
machen Sie in Brüssel das Versprechen, keine neuen
Schulden mehr machen zu wollen. Wie wollen Sie das
denn umsetzen? Machen Sie dazu endlich einmal eine
klare Aussage! Sie haben in ihren Köpfen nur Halluzina-
tionen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen durchgreifende Reformen. Dazu sind Sie

nicht in der Lage; das bringen Sie nicht zuwege. Sie ha-






(C)



(D)



(A)



(B)


ben nicht den dazu notwendigen Mut, nicht die Kraft und
auch nicht die Fantasie.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie haben 16 Jahre lang Zeit gehabt für Reformen!)


Sie haben es geschafft, unser bürokratisiertes Hochsteuer-
land endgültig zuzubetonieren. Sie haben es verstanden,
den Arbeitsmarkt noch mehr zu verriegeln; auf die ganzen
Gesetze, die Sie zulasten des Mittelstands gemacht haben,
brauche ich nicht näher einzugehen.

Der jetzige Skandal geschönter Vermittlungsstatistiken
ist nicht nur eine Krise der Bundesanstalt fürArbeit,wie
Sie es jetzt darstellen wollen. Das ist auch eine Krise Ih-
rer Arbeitsmarktpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Rot-Grün.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Jetzt versucht sich der Kanzler der untätigen Hand
ganz plötzlich als Aktionsheld. Sicher ist eine Reform der
Bundesanstalt für Arbeit dringend notwendig. Sicher ist
es wichtig, zukünftig mehr auf private Vermittlung zu set-
zen. Aber das reicht bei weitem nicht aus, die Probleme,
die wir haben, zu lösen. Auch der beste Vermittler kann
keine neuen Stellen schaffen. Dabei nützt auch keine
blinde Hektik vor der Wahl. Nehmen Sie lieber Ihre läh-
menden Fehlentscheidungen zurück. Der Arbeitsmarkt
muss in Bewegung kommen, damit sich endlich eine neue
Beschäftigungsdynamik entfaltet. So, wie Sie es machen,
geht es nicht. Sie können es einfach nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Thönnes hat mit großem Lob über das JUMP-Pro-

gramm gesprochen. Inzwischen sind 3 Milliarden Euro in
dieses Programm investiert worden. Was ist dabei heraus-
gekommen? Eine um 10 Prozent höhere Jugendarbeits-
losigkeit als am Anfang Ihrer Regierungszeit.


(Christoph Matschie [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Nach den neuesten Zahlen im Januar gibt es über
500 000Arbeitslose unter 25 Jahren. Diese Zahl lag zu un-
serer Regierungszeit etwa um 10 Prozent niedriger.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist wieder einmal ein Beispiel, das einfach so in den Raum gestellt wird!)


Das ist typisch für Sie. Sie bringen teure Showveran-
staltungen auf den Weg. Ansonsten steckt nichts dahinter.


(Susanne Kastner [SPD]: Frau Wöhrl, Sie langweilen mit Ihrer Beschimpfungskampagne!)


Sie entfachen mit Steuergeldscheinen ein Strohfeuer,
sonst nichts. Dabei würgen Sie den Mittelstand ab, wo es
nur geht.


(Klaus Brandner [SPD]: Es ist traurig, dass man sich so etwas anhören muss! Ich kann nicht mehr empfehlen, bei Ihnen einkaufen zu gehen! – Peter Dreßen [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)


Bei Ihnen ist der Mittelstand vom Leistungsträger zum
Lastenträger geworden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer wie Sie behauptet: „Die Mitte ist rot“, der muss

farbenblind sein; das muss ich Ihnen mit auf den Weg ge-
ben.


(Susanne Kastner [SPD]: Welcher Schreiber der CSU hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


Für Sie ist der Mittelstand doch nur als Zielgruppe bei
Wahlen interessant. Schröder ist in der Neuen Mitte nie
angekommen. Politik der Mitte heißt, die wirtschaftliche
Leistungskraft unseres Landes zu stärken und zu fördern.
Sie aber haben uns zum Schlusslicht gemacht.


(Susanne Kastner [SPD]: Das ist ja schrecklich! – Klaus Brandner [SPD]: Das ist das Flachste, was ich je in diesem Hause gehört habe!)


Schauen Sie sich an, was die Bundesbank dazu jüngst
geschrieben hat! Sie haben durch die Steuerreform die Rei-
chen und die Starken gestärkt und die Schwachen und die
Kleinen geschwächt. – Dieser Satz kommt nicht von mir.
Das hat die Bundesbank in ihrem Bericht geschrieben.


(Zurufe von der SPD)

Dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass es inzwi-
schen zu einem olympischen Pleitenrekord gekommen
ist, dass es immer mehr Schattenwirtschaft gibt und die
Selbstständigenquote sinkt. Deswegen müssen wir wirk-
lich wieder eine Politik der Mitte machen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422105900
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1422106000
Das bedeutet: Bürokra-
tieabbau, befristete Lohnzuschüsse, Sanktionen für Ar-
beitsunwillige und viele kleine Bündnisse für Arbeit. Mit
einem Wort gesagt: Die Politik der Mitte ist genau das Ge-
genteil von dem, was Rot-Grün macht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422106100
Frau Kollegin Wöhrl,
Sie waren so in Schwung, dass ich es nicht gewagt habe,
Sie zu unterbrechen und um Ruhe zu bitten. Ich hätte es
aber gerne getan.

Es ist das alte Lied, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Sie wollen wählen, aber vor der Wahl stehen noch zwei
Redner an. Es wäre solidarisch, dem Redner die Chance
zu geben durchzukommen.

In diesem Sinne erteile ich das Wort dem Parlamenta-
rischen Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1422106200
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zunächst




DagmarWöhrl

21901


(C)



(D)



(A)



(B)


einmal sagen: Herr Laumann, ich habe Ihre Arbeit immer
mit großem Interesse verfolgt. In Ihrer Rede waren auch
eine Reihe von interessanten Vorschlägen.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Aber Ihr Einstieg – das Bündnis für Arbeit sei eine
Quasselbude; Sonntagnachmittag träfen sich ein paar äl-
tere Herren zum Gespräch – war unter Ihrem Niveau. Das
wissen Sie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Wöhrl hat eben voller Stolz auf die kleine Bünd-
nisrunde in Bayern verwiesen. Ich glaube, wir sind uns ei-
nig, dass wir ein Bündnis für Arbeit brauchen. Wenn wir
uns darüber einig sind und gemeinsam bedauern, dass die-
ses Bündnis 1996 gescheitert ist, dann sollten wir
zunächst einmal sagen: Dass es dieses Bündnis gibt, ist
richtig und vernünftig in einer Zeit, in der es um Struk-
turreformen geht. Strukturreformen – das wissen wir
alle – können wir nicht einfach ex cathedra durchsetzen.
Dazu brauchen wir einen Konsens. Dazu brauchen wir
alle Partner. Deshalb ist das Bündnis auch in Zukunft
wichtig und sollte nicht einfach beschädigt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte jetzt darauf hinweisen – das ist ein bisschen
untergegangen –, dass das ein Bündnis für Arbeit, Ausbil-
dung und Wettbewerbsfähigkeit ist. Herr Brüderle, die
Elemente, die Sie zu Recht angesprochen haben – es geht
darum, wie unser Land wettbewerbsfähig gemacht wer-
den kann –, haben wir in diesem Bündnis zum Thema ge-
macht. Das ist anders als in früheren Jahren, als es nur um
Arbeitsthemen ging. Es geht auch darum, dass wir die
Wettbewerbsfähigkeit stärken. Zum Beispiel im Bereich
der Ausbildung haben wir große Fortschritte erzielt.

Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal reka-
pitulieren: Wir haben in diesen zwei Jahren gerade im
Ausbildungsbereich eine ganze Menge geschafft. Es wur-
den 44 Ausbildungsordnungen modernisiert und zehn
neue Berufe formuliert. Zum 1. August dieses Jahres wird
es mit zwölf modernisierten Ausbildungsverordnungen
und vier neuen Berufen noch einmal einen Schub geben.

Das alles sind klare Signale dafür, dass sich unser Land
modernisiert und dass dieses Land dabei ist, den Wettbe-
werbsbedingungen der Weltwirtschaft, die sich funda-
mental verändert haben, Rechnung zu tragen. Man kann
das nur schaffen, wenn man nicht dem Irrtum unterliegt,
dass es in Deutschland in Zukunft eine Blaupausengesell-
schaft gibt. Auch in Zukunft brauchen wir eine reale Fer-
tigungsbasis mit leistungsfähigen Facharbeitern, Meis-
tern und Technikern. Deshalb ist es wichtig, dass wir den
Konsens über die Modernisierungs- und Qualifizierungs-
offensive gemeinsam voranbringen und das Bündnis für
Arbeit nicht einfach beerdigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch die Ergebnisse, die wir in der IT-Branche erzielt
haben, zum Beispiel mithilfe der Greencard, waren ein
wichtiger Fortschritt für unser Land. Durch die Öffnung
haben wir das Signal gesetzt, dass wir die besten Talente
bei uns haben wollen. Die Kampagne „Kinder statt Inder“
war deshalb daneben, weil nicht realisiert wurde, dass wir
auch in Ausbildung investieren, also in diejenigen, die als
gute Talente in den Betrieben und Forschungseinrichtun-
gen bei uns in Deutschland tätig sind. In früheren Jahren
lagen viele Potenziale brach. Wir haben einen neuen An-
satz gesucht und bewusst gesagt: Deutschland ist ein of-
fenes Land. Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit stär-
ken wollen, brauchen wir die besten Talente der Welt und
müssen gleichzeitig unsere Leute gut ausbilden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gab übrigens auch manche, die gesagt haben, wir
wollten mit der Greencard Billigarbeitskräfte nach
Deutschland holen. Das war nie das Motiv. Das Motiv
lautete: Lasst uns die guten Leute hierher holen, um mit
ihnen zusammen hier Jobs zu realisieren und dadurch
Arbeitsplätze für Deutschland zu schaffen. Ich glaube, wir
müssen diesen Weg weitergehen.


(Unruhe)

– Frau Präsidentin, ich merke, dass im Hause eine richtig
gute Stimmung ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422106300
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, um gut zu verstehen, wäre es besser zu-
zuhören. – Herr Staatssekretär, ich habe keine Diszipli-
nierungsmöglichkeiten; Sie müssen sich durchsetzen.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1422106400
Ich weiß das.
Der Grund dafür ist ja, dass gleich abgestimmt werden
soll.

Ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Ein Bündnis
für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, in dem
man sich darüber Gedanken macht, wie Strukturreformen
erreicht werden können, und in dem man bereit ist, in ei-
nem Konsensrahmen über Tabus zu sprechen, wird auch
in Zukunft wichtig sein. Die erforderlichen Strukturrefor-
men, zum Beispiel am Arbeitsmarkt, bekommt man aber
nicht hin, wenn man das sozusagen nur einer Seite über-
lässt. Es müssen schon gemeinsame Anstrengungen un-
ternommen werden.

Im Übrigen konnten wir ein anderes wichtiges Ergeb-
nis erzielen: Wir haben im Bündnis über die Frage ge-
sprochen – die bisher tabu war –, wie die Grundzüge ei-
ner beschäftigungsfördernden Tarifpolitik realisiert
werden können. Ich bin fest davon überzeugt, dass das
Gespräch, das darüber stattgefunden hat – unter Beach-
tung der Tarifautonomie –, dazu beigetragen hat, dass wir
in den letzten zwei Jahren 600 000 neue Jobs geschaffen
haben.


(Klaus Brandner [SPD]: So ist es!)





Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
21902


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese neuen Arbeitsplätze sind nach der Bündnisrunde
zustande gekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass wir einen
Schritt weitergehen müssen, um das Bündnis noch besser
vorzubereiten. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir in
Deutschland nicht eine Stiftung für Arbeit, wie wir sie
aus den Niederlanden kennen, brauchen. Mit ihr zusam-
men könnte man versuchen, Konzepte und neue Ideen zu
entwickeln, um sie dann dem Bündnis vorzulegen. Eine
solche Stiftung für Arbeit würde nach meiner Auffassung
dem Bündnis helfen, damit es auch in Zukunft erfolgreich
sein kann. Sie wissen: Wir brauchen dieses Bündnis als
Plattform, um Reformen voranzubringen. Unser Land
braucht weiter Reformen. Das ist der Grund, warum wir
das Bündnis weiter brauchen und warum wir eine Regie-
rung brauchen, die die Kraft aufbringt, die Reformen vor-
anzubringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Benjamin Britten hat einmal gesagt: „Lernen ist wie

Rudern gegen den Strom. Wer aufhört, fällt zurück.“ Ich
glaube, wir dürfen nicht aufhören, wir müssen weiter ru-
dern und gemeinsame Anstrengungen unternehmen, und
zwar auch über Parteigrenzen hinweg, um unser Land für
einen Wettbewerb fit zu machen, der sich international
verschärft hat. Dazu sind solche Plattformen, wie zum
Beispiel das Bündnis für Arbeit, in Zukunft noch drin-
gender notwendig als in der Vergangenheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422106500
Mich hat, Herr Staats-
sekretär, die Meldung erreicht, dass das die letzte Rede in
Ihrer gegenwärtigen Funktion war. Ich nehme das zum
Anlass – insofern ist es schön, dass so viele Kolleginnen
und Kollegen anwesend sind –, Ihnen im Namen des
Deutschen Bundestages für Ihre engagierte Arbeit zu dan-
ken.


(Beifall im ganzen Hause)

Als letzter Rednerin dieser Debatte erteile ich der Kol-

legin Erika Lotz das Wort. Erika, du musst dich durchset-
zen. Ich kann im Augenblick an dieser Mikrofonanlage
nichts ändern.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1422106600
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Ich freue mich natürlich auch, dass
so viele Kolleginnen und Kollegen da sind. Mehr noch
würde ich mich freuen, wenn Sie mir zuhören.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Kollegin Andrea Fischer hat vorhin von „rituali-

sierten Reden“ gesprochen. Ich hätte mich gerne darauf
eingelassen, keine ritualisierte Rede zu halten. Aber nach
dem, was vonseiten der Opposition getönt worden ist, ha-
ben die Menschen ein Recht darauf, zu erfahren, wie die
Bundesregierung, die Koalition und die sie tragenden Par-
teien – also Rot-Grün – dazu stehen.

Frau Wöhrl, was Sie hier von sich gegeben haben, hat
bei mir den Eindruck erweckt, CDU/CSU und FDP schei-
nen sich nur in Schwarzmalerei wohlzufühlen. Wir haben
das ja auch schon in der letzten Legislaturperiode erlebt;
die für mich unsägliche Standortdiskussion hatte
schlimme Folgen für unser Land.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie verdrehen damit die Tatsachen. Wir haben die Steuern
gesenkt. Wir haben die Beiträge zur Rentenversicherung
gesenkt. Auch die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Die Fa-
milien sind entlastet worden. Sagen Sie doch die Wahr-
heit! Sie reden von einem Land, das so nicht existiert. Es
stimmt nicht, was Sie hier verbreiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie jetzt verlangen, dass die Menschen, die sich
in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen befinden, stille Re-
serve sind oder sich in Fortbildung oder Umschulung be-
finden, in der Arbeitslosenstatistik als arbeitslos gezählt
werden, müssen Sie doch wissen, dass dies nach dem gel-
tenden Recht gar nicht möglich ist. Als arbeitslos kann nur
derjenige gezählt werden, der dem Arbeitsmarkt zur Ver-
fügung steht. Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, haben Sie es denn nicht im letzten
Jahr der Regierung Kohl so gemacht? Dann hätte die Zahl
der Arbeitslosen im Januar 1998 – Herr Kollege Thönnes
hat schon darauf hingewiesen – nicht bei 4,8 Millionen,
sondern bei fast 7 Millionen gelegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stattdessen haben Sie Wahlkampf-ABM gemacht und
Strukturanpassungsmaßnahmen durchgeführt, um das
wahre Ausmaß Ihrer Arbeitslosigkeit zu verschleiern.
Herr Brüderle, werfen Sie uns angesichts dessen hier nicht
Trickserei vor!

Wir haben nunmehr eine weltweite Konjunktur-
schwäche.Zum ersten Mal seit 30 Jahren sind Europa, die
Vereinigten Staaten und Japan gleichzeitig in der Krise.
Bei einem exportorientierten Land wie Deutschland
macht sich das in der Konjunktur bemerkbar. Ich will
noch einmal darauf hinweisen: Wir haben in der Zeit un-
serer Regierung 1,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze
geschaffen und darauf sind wir stolz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie fordern, den Spitzensteuersatz auf unter 40 Prozent
zu senken. Was sagen denn Länder und Kommunen dazu,
dass Sie ihnen insgesamt 15 Milliarden DM Steuern weg-
nehmen wollen? Wir haben eine große, umfassende Steu-
erreform verabschiedet. Der Spitzensteuersatz wird auf
42 Prozent gesenkt, aber dieser Satz wird dann auch ge-
zahlt. Das ist doch der Unterschied zu Ihrer Zeit.

Sie fordern, die Sozialversicherungsbeiträge mittel-
fristig unter 40 Prozent zu senken. Wir haben 1999 mit
der ökologischen Steuerreform begonnen und dann auch
gleich die Beiträge zur Rentenversicherung gesenkt,




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

21903


(C)



(D)



(A)



(B)


seitdem inzwischen schon dreimal, nämlich von 20,3 Pro-
zent auf 19,1 Prozent im Januar 2002. So etwas haben die
Menschen über viele Jahre nicht mehr erlebt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie beschweren sich über steigende Krankenversiche-
rungsbeiträge und gleichzeitig klagt Ihr Kanzlerkandidat
vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Risiko-
strukturausgleich. Die Beiträge der AOK in Ostdeutsch-
land sind heute schon höher als im Westen. Wenn die
Beiträge dort noch weiter steigen sollen, führt das zu stei-
genden Lohnnebenkosten und bedeutet den Abbau von
Arbeitsplätzen im Osten. So viel, Frau Wöhrl, zum Blick
nach Bayern!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu dem, was ich bisher aufgezählt habe, kommt eine
ganze Reihe anderer Errungenschaften der letzten drei
Jahre hinzu, die die CDU den Menschen jetzt wieder weg-
nehmen will. Wir machen die Vermittlung mit dem Job-
Aqtiv-Gesetz effektiver. Über 400 000 junge Menschen
haben das JUMP-Programm genutzt.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: „Genutzt“ ist gut, aber ohne Wirkung!)


Damit sind weitere betriebliche Ausbildungsplätze ge-
schaffen worden. Wir haben mit dem Teilzeit- und Befris-
tungsgesetz den Anstoß zu mehr Teilzeitarbeit gegeben
und die Menschen, die geringfügig beschäftigt sind, wie-
der in den Schutz der Sozialversicherung zurück geholt.
Das alles wollen Sie wieder rückgängig machen. Das
müssen wir den Menschen sagen; denn das ist für sie
schädlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie versuchen, den Wählerinnen und Wählern einzureden,
dies alles müsse gemacht werden. Aber für die Menschen
ist der Schutz der Sozialversicherung wichtig und die
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt muss weiter bestehen
bleiben.

Wir waren bisher erfolgreich und haben ein weiter-
hin Erfolg versprechendes Konzept. Jetzt sind aller-
dings vor allem die Unternehmen gefordert. Eine freie
Stelle, von der allein der Arbeitgeber weiß, nutzt nie-
mandem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Unternehmen müssen ihre freien Stellen auch dem
Arbeitsamt melden und Überstunden müssen in Arbeits-
plätze umgewandelt werden.

Wir sind keineswegs gescheitert. Das Bündnis für Ar-
beit ist ein Erfolg und wird ein Erfolg bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1422106700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8041 und 14/8363 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Da-
mit sind Sie einverstanden.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 5 auf:
Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über den Bundesrech-

nungshof wählen der Deutsche Bundestag und der
Bundesrat jeweils ohne Aussprache auf Vorschlag der
Bundesregierung den Präsidenten des Bundesrechnungs-
hofes.

Die Bundesregierung schlägt mit Schreiben vom
22. Februar 2002 vor, Herrn Professor Dr. Dieter Engels
zum Präsidenten des Bundesrechnungshofes zu wählen.
Herr Dr. Engels hat auf der Ehrentribüne Platz genom-
men; ich begrüße ihn hiermit sehr herzlich.


(Beifall)

Nun bitte ich um Aufmerksamkeit für einige Hinweise

zum Wahlverfahren: Das Gesetz schreibt geheime Wahl
vor. Zur Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mit-
glieder des Bundestages, das heißt mindestens 334 Stim-
men, erforderlich. – So viele Abgeordnete sind anwesend;
das ist beruhigend. – Sie benötigen den weißen Wahlaus-
weis sowie den blauen Stimmzettel mit Wahlumschlag.
Diese Stimmzettel mit Umschlag wurden verteilt. Sollten
Sie noch keinen Stimmzettel haben, besteht jetzt noch die
Möglichkeit, diesen von den Plenarassistenten zu erhal-
ten.

Den für diese Wahl benötigten weißen Ausweis sowie
den gelben Wahlausweis für die später durchzuführende
Wahl des Vizepräsidenten nehmen Sie bitte, soweit Sie es
noch nicht getan haben, aus Ihrem Stimmkartenfach.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass die Wahl ge-
heim ist. Sie dürfen Ihren Stimmzettel nur in einer der
Wahlkabinen ankreuzen und in den Umschlag legen. Die
Schriftführer sind verpflichtet, jeden zurückzuweisen, der
seinen Stimmzettel außerhalb der Wahlkabine ankreuzt
und in den Umschlag legt. Die Wahl kann in diesem Fall
jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden.

Bevor Sie den Stimmzettel in eine der aufgestellten
Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren weißen
Wahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne.
Ich weise darauf hin, dass der Nachweis der Teilnahme an
der Wahl nur durch die Abgabe des Wahlausweises er-
bracht wird. Gültig sind nur Stimmen mit einem Kreuz bei
„Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“. Ungültig sind Stim-
men auf nicht amtlichen Stimmzetteln sowie Stimmzettel,
die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze ent-
halten.

Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an diese
Wahl über Vorlagen ohne Aussprache abstimmen. An-
schließend werden wir nach der Bekanntgabe des Ergeb-
nisses der Wahl des Präsidenten noch den Vizepräsiden-
ten des Bundesrechnungshofes wählen.




Erika Lotz
21904


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, jetzt
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer sollen sich an die Urnen bege-
ben, die an den Ausgängen zur Lobby hin aufgestellt sind. –
An der Urne 4 fehlt der zweite Schriftführer. Die Schrift-
führerinnen und Schriftführer sollen nicht nach vorn kom-
men, sondern zu den Ausgängen. Dort stehen die Wahlur-
nen bereit.

Haben jetzt alle Schriftführerinnen und Schriftführer
ihre Position eingenommen? – Das ist der Fall. Dann
eröffne ich die Wahl.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422106800
Haben alle Mitglieder
des Hauses, auch die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, ihre Stimmzettel abgegeben? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann warten wir noch.

Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmzet-
tel abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die
Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird
Ihnen später mitgeteilt werden.1)

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze
wieder einzunehmen und die Gespräche einzustellen;
denn vor uns liegt noch ein Abstimmungsmarathon, bevor
wir zur Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungs-
hofes kommen. – Es wäre gut, wenn die Parlamentari-
schen Geschäftsführer ihres Amtes walten würden und die
Kolleginnen und Kollegen animieren könnten, zu ihren
Plätzen zurückzukehren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können jetzt fort-
fahren. Die Umschläge mit grünen Stimmzetteln für die
Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes
werden von den Plenarassistentinnen und -assistenten in
Kürze ausgegeben.

Wir kommen nun zu den Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 q sowie
Tagesordnungspunkt 7 auf:
27 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Wasserverbandsgesetzes
– Drucksache 14/8223 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur

Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungs-
gesetzes
– Drucksache 14/8286 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ent-

(Altfahrzeug-Gesetz – AltfahrzeugG)

– Drucksache 14/8343 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 10. März 2000 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Republik
Korea zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
und zur Verhinderung der Steuerverkürzung
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
und vom Vermögen
– Drucksache 14/8213 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zu-
satzprotokoll Nr. 6 vom 21. Oktober 1999 zu der
Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Ok-
tober 1868
– Drucksache 14/8215 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 12. Juni 2001 zwischen der Re-
gierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Regierung der Französischen Republik
über den Bau und die Erhaltung von Grenz-
brücken über den Rhein, die nicht in der Bau-
last der Vertragsparteien liegen
– Drucksache 14/8216 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 2. Februar 1998 über die
Vorrechte und Befreiungen der Kommission
zum Schutz der Meeresumwelt der Ostsee
– Drucksache 14/8217 –




Vizepräsidentin Anke Fuchs

21905


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 21909 C

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über-
einkommen vom 25. Februar 1991 über die
Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüber-
schreitenden Rahmen sowie zu der auf der zweiten
Konferenz der Parteien in Sofia am 27. Februar
2001 beschlossenen Änderung des Übereinkom-
mens (Espoo-Vertragsgesetz)

– Drucksache 14/8218 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Gesundheit

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 10. November 2000 zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und derRegierung der Französischen Republik
über die Zusammenarbeit bei der Wahrneh-
mung schifffahrtspolizeilicher Aufgaben auf
dem deutsch-französischen Rheinabschnitt
– Drucksache 14/8219 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 12. September 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und derTschechi-
schen Republik über den Zusammenschluss der
deutschen Autobahn A17 und der tschechischen
Autobahn D 8 an der gemeinsamen Staatsgren-
ze durch Errichtung einer Grenzbrücke
– Drucksache 14/8220 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Tourismus

k) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 21. November 2000 zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und derRegierung derRepublik Polen über den
Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken im
nachgeordneten Straßennetz
– Drucksache 14/8224 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss

l) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz

der Öffentlichkeit vor angedrohten und vor-
getäuschten Straftaten („Trittbrettfahrergesetz“)

– Drucksache 14/8201 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit

m) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz)

– Drucksache 14/8360 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

innenausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

n) Erste Beratung des von den Abgeordneten Willi
Brase, Klaus Barthel (Starnberg), Hans-Werner
Bertl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
SPD sowie den Abgeordneten Christian Simmert,
Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard Loske, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbil-
dungsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes
– Drucksache 14/8359 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Jünger, Ulla Jelpke, Dr. Evelyn Kenzler, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Nullpromille für Fahranfänger und Fahranfän-
gerinnen
– Drucksache 14/6809 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heidi
Knake-Werner, Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufgaben des jüngsten Mitgliedes des Deut-
schen Bundestages
– Drucksache 14/8166 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung

q) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, Carsten Hübner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS




Vizepräsidentin Petra Bläss
21906


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundeswehreinheiten aus der Golfregion zu-
rückziehen
– Drucksache 14/8270 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

7. Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Maria Böhmer, Margot von Renesse, Andrea
Fischer (Berlin) und weiteren Abgeordneten einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung
des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit
Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler
Stammzellen (Stammzellengesetz – SZG)

– Drucksache 14/8394 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 28 a
und b sowie 28 d bis 28 m. Es handelt sich um die Be-
schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache
vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 28 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines post- und
telekommunikationsrechtlichen Bereinigungs-
gesetzes
– Drucksache 14/7921 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8342 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel (Starnberg)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 27. Juli 2001 zwi-
schen derBundesrepublik Deutschland und der
Tschechischen Republik über soziale Sicherheit
– Drucksache 14/8212 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/8377 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner

Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt
auf Drucksache 14/8377, den Gesetzentwurf anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen von Ihnen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu er-
heben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen des gesamten Hauses ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 28 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung
der personellen Struktur beim Bundeseisen-
bahnvermögen und in den Unternehmen der
Deutschen Bundespost
– Drucksache 14/8044 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen (15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8350 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Eduard Lintner


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/8351 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/8350, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen von Ihnen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetz-




Vizepräsidentin Petra Bläss

21907


(C)



(D)



(A)



(B)


entwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen von Ihnen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu er-
heben. – Gegenprobe! – Der Gesetzentwurf ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP-Fraktion angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 28 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und
des Gesetzes zur Durchführung der Gemein-
samen Marktorganisationen
– Drucksache 14/8012 (neu)

(Erste Beratung 212. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/8341 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser

Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, bitte ich um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Keine Enthaltungen. Der
Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Neunundneunzigste Verordnung zur Änderung
der Ausfuhrliste – Anlage AL zur Außenwirt-
schaftsverordnung –
– Drucksachen 14/7388, 14/7514 Nr. 2.1, 14/8149 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verord-
nung der Bundesregierung auf Drucksache 14/7388 nicht
zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)


Übersicht 11 a
über die dem Deutschen Bundestag zugelei-
teten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht
– Drucksache 14/8229 –

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen über die
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 28 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 356 zu Petitionen
– Drucksache 14/8229 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 356 ist bei Enthaltung
der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 357 zu Petitionen
– Drucksache 14/8290 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Auch die Sammelübersicht 357 ist bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 358 zu Petitionen
– Drucksache 14/8291 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 358 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 28 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 359 zu Petitionen
– Drucksache 14/8292 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 359 ist mit den Stimmen
des gesamten Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 360 zu Petitionen
– Drucksache 14/8293 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 360 ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.




Vizepräsidentin Petra Bläss
21908


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 28 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 361 zu Petitionen
– Drucksache 14/8294 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 361 ist gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

Änderung des Bundeszentralregistergesetzes –
4. BZRGÄndG
– Drucksachen 14/6814, 14/7837, 14/8191,
14/8358 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall.

Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Das ist
ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/8358? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für
Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz – FPG)

– Drucksachen 14/6893, 14/7421, 14/7461,
14/7824, 14/7862, 14/8239, 14/8362 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall.

Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Auch das
ist nicht der Fall.

Wir kommen ebenfalls sofort zur Abstimmung. Der
Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 sei-
ner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen
Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustim-
men ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/8362? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung

ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.1)

Das Ergebnis der Wahl liegt noch nicht vor; deshalb
unterbreche ich kurz die Sitzung.


(Unterbrechung von 14.24 bis 14.25 Uhr)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422106900
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.

Wir kommen zurück zu Tagesordnungspunkt 5. Ich
gebe Ihnen jetzt das Ergebnis der Wahl des Präsidenten
des Bundesrechnungshofes bekannt. Abgegebene Stim-
men 586. Mit Ja haben gestimmt 543 Abgeordnete.


(Beifall im ganzen Hause)

Mit Nein haben gestimmt 22 Abgeordnete. 21 Kollegin-
nen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten.

Herr Professor Dr. Dieter Engels hat damit die erfor-
derliche absolute Mehrheit von mindestens 334 Stimmen
erreicht.2) Ich spreche Herrn Professor Dr. Engels zu sei-
ner Wahl durch den Deutschen Bundestag die Glückwün-
sche des gesamten Hauses aus.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich werde das Ergebnis der Wahl dem Herrn Bundes-

kanzler und dem Herrn Präsidenten des Bundesrates um-
gehend mitteilen.

Der ehemaligen Präsidentin des Bundesrechnungsho-
fes, Frau Dr. Hedda von Wedel, spreche ich im Namen des
Deutschen Bundestages Dank für ihr jahrelanges ver-
dienstvolles Wirken und alle guten Wünsche für ihre neue
Aufgabe aus.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrech-
nungshofes

Nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über den Bundes-
rechnungshof wählen der Deutsche Bundestag und der
Bundesrat jeweils ohne Aussprache auf Vorschlag der
Bundesregierung den Vizepräsidenten des Bundesrech-
nungshofes. Die Bundesregierung schlägt mit Schreiben
vom 22. Februar 2002 vor, den Kollegen Norbert Hauser
zum Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes zu wäh-
len.

Ich gebe jetzt nochmals einige Hinweise zum Wahl-
verfahren. Sie benötigen nun den grünen Stimmzettel mit
Wahlumschlag. Sollten Sie noch keinen Stimmzettel ha-
ben, besteht jetzt die Möglichkeit, diesen von den Plenar-
assistentinnen und -assistenten zu erhalten. Außerdem
benötigen Sie den gelben Wahlausweis, den Sie bitte, so-
weit Sie das noch nicht getan haben, Ihrem Stimmkarten-
fach entnehmen.




Vizepräsidentin Petra Bläss

21909


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4
2) Liste der Teilnehmer an der Abstimmung siehe Anlage 2

Die Wahl ist wiederum geheim. Das heißt, Sie dürfen
Ihren Stimmzettel nur in einer der Wahlkabinen ankreu-
zen und in den Wahlumschlag legen. Gültig sind nur
Stimmzettel mit dem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „Ent-
halte mich“. Zur Wahl sind die Stimmen der Mehrheit
der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens
334 Stimmen, erforderlich. Übergeben Sie bitte, bevor Sie
den Wahlumschlag in eine der Wahlurnen werfen, Ihren
Wahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne als
Nachweis der Teilnahme an der Wahl.

Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Haben Sie das
getan? – Ich eröffne die Wahl. Haben alle Mitglieder des
Hauses, auch die Schriftführerinnen und Schriftführer,
ihre Zettel abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall.
Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Ich stelle fest, dass
es hier im Saal sehr übersichtlich geworden ist.

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Klage der
Bayerischen Staatsregierung gegen die Reform
des Risikostrukturausgleichs in der gesetzli-
chen Krankenversicherung

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.


(Unruhe)

– Bevor die Frau Ministerin anfängt, lege ich allen Kolle-
ginnen und Kollegen, die der Debatte nicht folgen wollen,
nahe, den Raum zu verlassen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann ist der Saal leer!)


– Noch sitzen reichlich viele Kolleginnen und Kollegen
hier.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1422107000
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
einmal zu den Fakten. Die Bayerische Staatsregierung so-
wie die CDU-geführten Landesregierungen von Baden-
Württemberg und Hessen haben im August 2001 einen
Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht
eingereicht mit dem Ziel, das Solidarprinzip der gesetzli-
chen Krankenversicherung und die Solidarität zwischen
den alten und den neuen Bundesländern auszuhebeln.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist falsch! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Wer so etwas behauptet, sagt die Unwahrheit!)


Genau das wäre das Ergebnis, wenn die gesetzlichen Rege-
lungen über den Risikostrukturausgleich zwischen den
Krankenkassen, insbesondere die Regelungen über die Auf-
hebung der Rechtskreistrennung zwischen Ost und West, für
verfassungswidrig und nichtig erklärt werden würden.

Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Zu klagen ist rechts-
staatlich legitim und auch in unserer Verfassung vorgese-
hen; politisch allerdings halte ich das Vorgehen, mit der die
Solidarität ausgehebelt würde, ehrlich gesagt für verwerf-
lich.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: So etwas zu behaupten ist verwerflich!)


– Herr Kollege Zöller, ein Gesundheitswesen, das auf dem
solidarischen Ausgleich, auf der Solidarität zwischen Jun-
gen und Alten, Gesunden und Kranken basiert, das von
denen getragen wird, die mehr verdienen, das mit Fami-
lien mit Kindern solidarisch ist,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und wer will das ändern? Keiner hier in diesem Haus!)


ein solches Gesundheitssystem, das jeden und jede ohne
Ansehen der Person und eventueller Vorerkrankungen in
den gesetzlichen Kassen versichert und versichern muss,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und wer will das ändern?)


wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden,
kann diese Solidarität nur erhalten, wenn es dafür sorgt,
dass die solidarischen Leistungen zwischen den einzelnen
Kassen einigermaßen gerecht verteilt werden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Genau darum geht es!)


Das bedeutet Solidarität nicht nur in der einzelnen Kasse,
sondern auch zwischen den verschiedenen Kassenarten
und ebenso zwischen den Kassen in den alten und den
neuen Bundesländern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil das so ist,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein, das ist eben nicht so!)

wurde 1992 mit der Einführung der generellen freien
Kassenwahl der Risikostrukturausgleich fraktions- und
länderübergreifend als einer der Eckpfeiler des neu ge-
schaffenen Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung beschlossen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wer war denn damals Minister?)


Dass nun die Parteien CDU, CSU und FDP, die 1992 un-
ter ihrer Regierung ausdrücklich die Einführung des Risi-
kostrukturausgleichs beschlossen haben, versuchen, die-
sen mithilfe des Verfassungsgerichts zu Fall zu bringen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Die heutige Form!)





Vizepräsidentin Petra Bläss
21910


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 21915 D

mutet schon einigermaßen sonderbar an.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es darf nicht vergessen werden, dass sich dieser Nor-

menkontrollantrag letztlich gegen einen auf Wirtschaft-
lichkeit und Qualität ausgerichteten Wettbewerb der ge-
setzlichen Krankenversicherungen richtet. Er befürwortet
nämlich in der Konsequenz Risikoselektion und Unwirt-
schaftlichkeit.

Eines ist ganz klar: Ohne den Risikostrukturausgleich
hätten die Krankenkassen kaum ein Interesse daran, einen
Wettbewerb bei der wirtschaftlichen Erbringung von
Leistungen zu führen. Sie hätten dann vielmehr vor allen
Dingen ein Interesse daran, junge und gesunde Versi-
cherte aufzunehmen, die relativ geringe Kosten verursa-
chen, um dadurch Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Das
kann nicht unsere Politik sein, weil damit vor allem die
Solidarität der Krankenkassen in den alten Ländern mit
denen in den neuen Ländern aufgekündigt würde. Das
wäre das Ergebnis einer solchen Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Verfassungsgericht zu tun?)


Die Folge davon wäre, dass die im Krankenversiche-
rungsbereich endlich gefallene Sozialmauer zwischen Ost
und West wieder errichtet würde. Die Krankenkassen in
den neuen Ländern würden in die desolate Finanzsitua-
tion zurückgestoßen. Letztendlich müssten die Patientin-
nen und Patienten dieses ausbaden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dass man so einen Schwachsinn erzählen kann, hätte ich nicht für möglich gehalten!)


Das wäre das Ergebnis. Oder anders ausgedrückt: Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen wollen sich mit vorge-
schobenen Argumenten der Solidarpflichten innerhalb der
GKV entziehen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dummes Zeug! Totaler Quatsch!)


Sie kündigen im Ergebnis die Solidarität auf, die bisher im
Gesundheitswesen gegolten hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Entweder haben Sie es nicht verstanden oder Sie wollen es nicht verstehen!)


Es geht hier nicht um Peanuts.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: In der Tat nicht!)


1998, als SPD und Grüne die Verantwortung für die Ge-
sundheitspolitik übernommen haben, waren die Kranken-
kassen in den neuen Ländern mit über 800Millionen Euro
verschuldet.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Heute sind sie alle verschuldet, auch die im Westen! 5 Milliarden minus!)


Erst durch die Einführung des gesamtdeutschen Risiko-
strukturausgleichs konnte bis Ende 2000 der Schulden-
stand auf nur noch rund 200 Millionen Euro zurückge-
führt werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie verdrehen auch noch die geschichtlichen Tatsachen!)


Bis zum September 2001 konnte der Schuldenstand auf
unter 100 Millionen Euro reduziert werden. Dies und die
Sicherung der Leistungsfähigkeit sind durch die Zahlun-
gen der Krankenkassen in den alten Ländern ermöglicht
worden, die allein im Jahre 2001 circa 2 Milliarden Euro
aufgebracht haben. Es ist eine gute Gelegenheit, sich an
dieser Stelle für den Solidaritätsbeweis einmal ausdrück-
lich bei den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern zu
bedanken, die diese Last mitgetragen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Und jetzt haben sie alle Schulden!)


Nach dem Willen von Bayern, Baden-Württemberg
und Hessen soll all dies ein Ende haben, obwohl die
AOKs in diesen drei Ländern in erheblicher Weise vom
Risikostrukturausgleich profitieren:


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Außer Ihnen glaubt das keiner!)


Alle drei AOKs haben im Jahr 2000 knapp 2 Milliar-
den Euro aus dem Risikostrukturausgleich erhalten. Na-
hezu die Hälfte davon entfiel auf die AOK Bayern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und dann wollen wir ihn abschaffen?)


Aber nicht nur über den Risikostrukturausgleich fließt
Geld an die AOK in Bayern. Von den Zuschüssen in Höhe
von rund 1 Milliarde Euro, die der Bund den Kranken-
versicherungen der landwirtschaftlichen Altenteiler ge-
währt, floss im Jahre 2000 rund ein Drittel nach Bayern.
Die neuen Länder erhielten davon nur 1,5Millionen Euro.
Es ist schon sehr befremdlich, wenn sich jemand, der in
erheblicher Weise von der Solidarität anderer profitiert,
mit gerichtlicher Hilfe aus der eigenen Solidaritätsver-
pflichtung herausstehlen will.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt widersprechen Sie sich aber selbst!)


Das mag vielleicht dem Sowohl-als-auch-Kanzlerkan-
didaten Stoiber gut anstehen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Darum geht es also! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt kommen wir zum Thema!)


Ein Handeln nach dem Motto, vor dem Verfassungs-
gericht die Solidarität aufzukündigen und im Rahmen des
RSA stillschweigend zu kassieren, ist aber ein doppeltes
Spiel. Das kann von uns nicht akzeptiert werden; denn die
Folgen liegen auf der Hand: Die Beitragssätze in den
neuen Ländern würden entweder astronomisch steigen
und damit weitere Arbeitsplätze gefährden


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn ihr an der Regierung bleibt, ja!)





Bundesministerin Ulla Schmidt

21911


(C)



(D)



(A)



(B)


oder die Krankenkassen dort würden sich tief in eine
Schuldenfalle verstricken, aus der sie aus eigener Kraft
nicht mehr herausfänden. Das darf nicht sein, weil die
Menschen, die auf die Hilfe im Gesundheitswesen ange-
wiesen sind, dabei die Leidtragenden wären. Das wäre der
erste Schritt in Richtung einer Zweiklassenmedizin, die
Sie vielleicht wollen.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Die Bundesregierung will keine neue Sozialmauer
zwischen Ost und West


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt haben Sie die ganzen Phrasen alle durch!)


und deshalb werden wir vor dem Bundesverfassungs-
gericht für den Erhalt der solidarischen Wettbewerbsord-
nung und für die Interessen der neuen Bundesländer
kämpfen. Ich bin sicher, dass das Gericht unseren Argu-
menten folgen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann brauchen Sie keine Angst vor dem Gericht zu haben!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422107100
Das Wort hat jetzt der
hessische Minister für Bundes- und Europaangelegenhei-
ten, Staatsminister Jochen Riebel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422107200
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Kollegin Schmidt, ich bin ein bisschen enttäuscht: Ich
stehe zum ersten Mal vor dem Deutschen Bundestag und
habe erwartet, dass von Ihnen eine Rede gehalten wird,
die dem differenziert zu betrachtenden Thema auch ge-
recht werden wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber die Kollegin Schmidt hat versucht, eine Wahl-
kampfrede zu halten. Es war auch noch eine ganz
schlechte.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Regina SchmidtZadel [SPD]: Wir brauchen keine Belehrungen aus Hessen! – Ilse Janz [SPD]: Oberlehrer!)


– Ich will Sie doch nicht belehren, Frau Kollegin. Ich sel-
ber bin bereit zu lernen und stehe hier als Lernender.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will Ihnen einmal vorführen, dass ein Lernender

mit einem differenziert zu betrachtenden Thema auch dif-
ferenziert umzugehen vermag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen beginne ich mit der Aussage Ihrer Ministerin,
die gesagt hat: Bayern, Hessen, Baden-Württemberg pro-

fitieren vom Risikostrukturausgleich und wollen deswe-
gen gegen ihn gerichtlich vorgehen. Diese Logik


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das versteht nur die SPD!)


ist einem kundigen Thebaner nicht nahe zu bringen.

(Zuruf von der SPD: Sie haben nicht richtig zugehört!)

Ich will zu Beginn ganz unmissverständlich feststellen:

Solidarität unter den Ländern sowie zwischen den Län-
dern und dem Bund ist für uns Hessen ein wichtiges Gut
und darin lassen wir uns von niemandem übertreffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Zielrichtung war doch offenkundig: Wenn hier der
Name eines Ministerpräsidenten fällt, der zugleich der
Kanzlerkandidat der CDU/CSU ist, dann ist die Absicht
erkannt. Man ist zwar nicht verstimmt; aber das Argument
wiegt anschließend umso leichter.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ihr seid ertappt!)

Ich will jetzt endlich zur Sache kommen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das wird auch Zeit!)


Das ursprüngliche Ziel des Risikostrukturausgleiches war
der Ausgleich der finanziellen Auswirkungen unter-
schiedlicher Risikostrukturen der Krankenkassen, um
eine gerechte – man könnte auch sagen: gerechtere – Be-
lastung der Versicherten zu erreichen und Wettbewerbs-
verzerrungen zwischen den Kassen zu vermeiden – ein
unstreitiges und richtiges Ziel.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Genau!)

Allerdings stellt sich die Situation heute, Jahre später,

anders dar. Der Risikostrukturausgleich führt zu dem
abenteuerlichen Ergebnis, dass die Zahlerkassen zum Teil
höhere Beitragssätze haben als die Empfängerkassen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja!)

Das dient dem beschriebenen Ziel, das ich für unstreitig
halte, nicht.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wenn Sie Prozente nehmen, das ist doch ein Witz!)


Der Risikostrukturausgleich hat sich von der ursprüngli-
chen, sachgerechten und von keinem Insider bestrittenen
Zielsetzung zu einem gewaltigen bürokratischen Umver-
teilungssystem entwickelt, in dem mittlerweile Summen
bewegt werden – daran darf ich nur erinnern –, die dieje-
nigen des Länderfinanzausgleiches deutlich überschrei-
ten.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Bei weitem! – Widerspruch bei der SPD)


Im Kontext einer – erlauben Sie es mir doch zu sagen,
ohne dass Sie aufschreien – aus meiner Sicht verfehlten
und auch nicht zielgerichteten Gesundheitspolitik dieser
Bundesregierung stellt sich für viele Versicherte die Ent-
wicklung in der Weise dar, dass sie sich einer stetig stei-
genden Beitragsbelastung bei gleichzeitig zunehmenden




Bundesministerin Ulla Schmidt
21912


(C)



(D)



(A)



(B)


Leistungskürzungen der gesetzlichen Krankenversiche-
rung ausgesetzt sehen. Ziel einer Gesundheitspolitik und
einer Gesundheitsreform müsste es sein, vorhandene Re-
serven auszuschöpfen,


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ja!)

Ausgaben zu senken und damit das anerkannt richtige
System zu stabilisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der gegenwärtige Mechanismus des Risikostruktur-

ausgleichs führt mit seinen Systemfehlern nicht nur zu der
objektiv absurden Konsequenz, dass die ausgaben-
deckenden Beitragssätze der günstigsten Ortskrankenkas-
sen der Empfängerländer zum Teil erheblich unter dem
Beitragssatz von Ortskrankenkassen der Geberländer lie-
gen, sondern auch dazu, dass der Bund seine Pflicht zum
Ausgleich – daran muss man erinnern – vernachlässigt
und auf die Länder abschiebt. Das sind gewaltige Umver-
teilungen von Geldströmen, die aus Sicht der Länder
– und zwar aller Länder; daran darf ich in aller Beschei-
denheit erinnern – nicht hingenommen werden können.

Da die Länder und mit ihnen die dort ansässigen ge-
setzlichen Krankenkassen eine grundsätzliche Finanzau-
tonomie haben, benötigt der Bund für die gesetzliche An-
ordnung von Finanztransfers zwischen diesen eine
besondere verfassungsrechtliche Ermächtigung. Dies
ist übrigens im Grundgesetz nicht vorgesehen. Art. 120
Abs. 1 des Grundgesetzes weist vielmehr als dauerhafte
Regel der Finanzverfassung dem Bund nur eine Zu-
schusspflicht in Bezug auf die gesetzlichen Krankenver-
sicherungen zu. Aus meiner Sicht ist dies verfassungs-
rechtlich unumstritten.

Von dieser Zuschusspflicht befreit sich die Bundes-
regierung dadurch, dass sie den Transfer aus Mitteln der
Länderkassen organisiert. Schon dieser Sachverhalt an
sich ist für die Länder nicht hinnehmbar. Außergewöhn-
lich empörend ist es allerdings aus Sicht der Länder
Hessen, Baden-Württemberg und Bayern, dass die Bun-
desregierung sich erlaubt, den Vorwurf zu formulieren –
in diesem Zusammenhang hätte ich unterstellt, dass es die
Bundesgesundheitsministerin besser weiß; vielleicht ist
insoweit ein wie auch immer gearteter Fehler in ihr Rede-
manuskript geraten –, die Länder wollten sich aus ihrer
bundesstaatlichen Solidarität lösen, während in Wahrheit
die Bundesregierung von den Ländern verlangt, die
bundesgesetzlich verursachten Defizite von Sozialversi-
cherungsleistungen mit eigenen Ländermitteln auszuglei-
chen. Das entspricht nicht der tatsächlichen Ver-
fassungslage; darauf ist hinzuweisen.

Durch den jetzt in Aussicht genommenen Risikostruk-
turausgleich wird die der Bundesregierung obliegende
Pflicht, den Ausgleich mithilfe von Haushaltsmitteln zu
schaffen, nicht nur ausschließlich auf die Gruppe der
Sozialversicherten verlagert, sondern auch der ursprüng-
lich vorhandene, im Prinzip durchweg akzeptierte sachli-
che Differenzierungsgrund der Herstellung von Wettbe-
werbsgleichheit zunehmend aufgegeben.

Risikofaktoren wie die Höhe der beitragspflichtigen
Einnahmen, die Zahl der Familienversicherten, das Alter

und das Geschlecht der Versicherten sind aus unserer
Sicht gerade nicht dazu geeignet, Wettbewerbsgleichheit
herzustellen, weil sie für den Wettbewerb wesentliche
Faktoren, wie beispielsweise die Wirtschaftlichkeit der
Arbeit der Kassen oder das regionale Preis-, Lohn- und
Versorgungsniveau, überhaupt nicht einbeziehen bzw.
außen vorlassen.

Die hierbei bereits in der Vergangenheit entstandenen
Wettbewerbsverzerrungen werden durch das Gesetz zur
Reform des Risikostrukturausgleiches in der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht etwa gemildert, sondern wei-
ter vertieft.


(Klaus Kirschner [SPD]: Dann haben Sie das Gesetz nicht verstanden!)


Dazu sage ich appellatorisch: Das kann eigentlich kein
Mitglied des Deutschen Bundestages so wollen.

Aufgrund der Berechnung des Beitragsbedarfes im
Bundesdurchschnitt werden die tatsächlichen Wettbe-
werbsbedingungen, unter denen die jeweilige Kasse
agiert, nicht erfasst. Der Risikostrukturausgleich ist be-
reits deshalb im Ansatz verfehlt. Er zielt eben nicht auf
eine tatsächliche Gleichheit der ökonomischen Wettbe-
werbsbedingungen, sondern lediglich auf eine rechneri-
sche Gleichheit im Gesetz. Das ist entweder ein Denkfeh-
ler – das wäre aus meiner Sicht eine schlimme Sache –
oder politische Absicht. Das halte ich dann allerdings für
skandalös.

Das Ziel unseres Normenkontrollantrages ist es, die
Wettbewerbsverzerrungen in der gesetzlichen Kranken-
versicherung zu korrigieren. Wir wollen, dass in der ge-
setzlichen Krankenversicherung faire Wettbewerbsbedin-
gungen herrschen. Dies erfordert selbstverständlich und
ohne jede Frage einen Ausgleich der vorhandenen, von
der einzelnen Krankenkasse nicht zu beeinflussenden un-
terschiedlichen Risikostrukturen. Hierzu haben wir im-
mer ausdrücklich unsere Bereitschaft erklärt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist der Wille der Länder.

Ich bitte, diese Argumente noch einmal zu wägen, weil
sie aus unserer Sicht gewichtiger sind als die, welche die
Frau Bundesgesundheitsministerin vorgetragen hat.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422107300
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Die Normenkontrollklage der Länder Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen vor dem BVG gegen den
RSA soll vor allen Dingen die Rechtskreistrennung der
Ost- und Westkassen wieder einführen. Dieser Antrag der
Unionsländer zeigt, was der Kanzlerkandidat der Union
unter Chefsache Ost versteht. Für ihn bedeutet das Entso-




Staatsminister Jochen Riebel (Hessen)


21913


(C)



(D)



(A)



(B)


lidarisierung, der Aufbau neuer Mauern zwischen Ost und
West und in diesem Zusammenhang natürlich auch eine
Verschlechterung der Situation der ostdeutschen Wirt-
schaft, weil sich das auf die Beiträge auswirkt. Dabei wird
zudem die Frage der Lohnnebenkosten zu thematisieren
sein, was wir auch getan haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Fangen wir einmal von vorn an: Der Risikostruktur-
ausgleich wurde 1992 mit den Stimmen derjenigen einge-
führt, die jetzt dagegen klagen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir klagen nicht gegen den Risikostrukturausgleich! – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ich sage Ihnen gleich schon, wogegen Sie klagen, Herr Zöller!)


Der Risikostrukturausgleich ist ein zentraler Bestandteil
der Krankenversicherung geworden und gleicht die un-
terschiedlichen Bedingungen zwischen Ost und West aus.
Ich glaube, das ist die Grundlage für das, was jedenfalls
wir als regierungstragende Fraktion unter fairem Wettbe-
werb verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Durch die von uns eingeführte Aufhebung der Rechts-
kreistrennung wird der Ausgleich zwischen den Kassen
nunmehr bundeseinheitlich geregelt. Das ist fair und rich-
tig. Dieser Schritt betrifft übrigens in elementarer Weise
auch das Zusammenwachsen der Menschen in Ost und
West.

Wenn man sich die zu erwartenden Transfers im Jahr
2002 ansieht, wird deutlich, dass es eben nicht nur einen
Ausgleich von West nach Ost gibt. Nein, von der Neuge-
staltung durch den momentanen Wettbewerb um gesunde,
junge und zahlungskräftige Mitglieder profitieren auch
– das ist hier gesagt worden – Kassen im Süden und Nor-
den, weil die Kassen ansonsten nicht mithalten können.
Dazu gehört zum Beispiel die AOK Bayern, die allein im
Jahr 2000 circa 1 Milliarde Euro aus dem RSAbekommen
hat.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und deshalb will es der Stoiber abschaffen? Da sieht man eure Widersprüchlichkeit!)


Natürlich hilft diese Neuregelung dem Osten. 1998 be-
trug der Schuldenberg der Ostkassen 800 Millionen Euro.
Das ist ein Betrag – das wissen Sie ganz genau –, den
diese Kassen aus eigener Kraft niemals hätten zurückzah-
len können. Die Auswirkungen der Aufhebung des Aus-
gleichs sind im Haus bekannt. Ich möchte exemplarisch
nur die Schuldenfalle aufgrund der als Folge daraus stei-
genden Beiträge nennen. Die Frage der Lohnnebenkosten
– das sage ich noch einmal – ist auch eine Frage der Stand-
ortfaktoren in Ostdeutschland. Eigentlich müssten das die
unionsregierten Länder in Ost wie in West wissen.

Durch die Einführung des gesamtdeutschen RSA
konnte die Verschuldung – ich hatte den Betrag von
800 Millionen Euro genannt – auf 200 Millionen Euro ge-

senkt werden. Es sollte nicht vergessen werden, dass es
auch in den Ostländern so genannte Zahlerkassen gibt. Sie
haben jedoch durch die insgesamt niedrigeren Einkom-
men so geringe Einnahmen, dass sie dies innerhalb der
neuen Bundesländer nicht ausgleichen können. Ich glaube
nicht, dass das wünschenswert ist.

Darüber hinaus vergessen wir bitte auch nicht, dass es
eine Reihe von Menschen gab, die Kassenbeiträge im
Westen gezahlt haben, aber im Osten Leistungen beka-
men. Wir haben deswegen das Wohnortprinzip einge-
führt. Das ist ein weiterer Baustein beim Ausgleich zwi-
schen Ost und West; aber scheinbar ist das dem
Kandidaten der Union und den Ministerpräsidenten von
Hessen und Baden-Württemberg ein Dorn im Auge. Das
verstehe ich nicht.

Sie von der Union sollten, wenn Sie es mit dem Zu-
sammenwachsen von Ost und West wirklich ernst meinen
– dabei geht es nicht allein um Solidarität, sondern um
gleiche Wettbewerbsbedingungen und ökonomische Be-
dingungen für die Kassen –, Ihrem für die Bundestags-
wahl aufgestellten Spitzenkandidaten den Tipp geben,
diese Klage zurückzuziehen. Ihre Politik ist – das ist nur
ein Beispiel für viele andere – eine Politik gegen Ost-
deutschland.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist doch dummes Zeug! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Damit werden Sie nicht durchkommen. Ziehen Sie Ihre
Klage zurück!

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422107400
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Jetzt kommt die Abrissbirne der FDP!)



Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1422107500
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! 1992 haben wir unter
der damaligen Regierung von CDU/CSU und FDP den
Risikostrukturausgleich gemeinsam mit Ihnen eingeführt.


(Detlef Parr [FDP]: Richtig! – Dr. Hansjörg Schäfer [SPD]: Sehr gut!)


Es gab überhaupt keinen Zweifel: Wir wussten, dass wir
etwas machen mussten, um den Kassen, die im Wettbe-
werb Nachteile hatten, helfen zu können. Wir wollten den
Wettbewerb. Das war der entscheidende Punkt, warum
wir damals den Risikostrukturausgleich eingeführt haben.

Wir haben uns auf vier Kriterien festgelegt; Sie alle
wissen, dass intensiv diskutiert wurde. Ich denke, dass die
Kriterien – Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen, mit-
versicherte Familienangehörige, Alter und Geschlecht –,
die man ausgewählt hat, gut waren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Katrin Göring-Eckardt
21914


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Entwicklung ist aber weitergegangen. Ich erinnere
daran, dass wir im Rahmen der Wiedervereinigung gesagt
haben, dass wir auch die Einnahmesituation in den neuen
Bundesländern berücksichtigen und einen Risikostruktur-
ausgleich darauf ausrichten müssen. Auch das ist ein
wichtiger Faktor. Dabei gibt es für mich keine Diskussion.
Ihr Risikostrukturausgleich hat aber mittlerweile ein
Volumen von über 25 Milliarden, wobei die Tendenz stei-
gend ist.


(Detlef Parr [FDP]: Unglaublich! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das kann nicht normal sein!)


Er ist erheblich größer als der Länderfinanzausgleich. Von
daher muss man – das wissen Sie eigentlich auch – sehr
ernsthaft darüber nachdenken, ob man den Risikostruktur-
ausgleich mit dieser wachsenden Tendenz so weiterführen
kann


(Detlef Parr [FDP]: Nein!)

oder wirklich ernsthafte Bemühungen für eine Reform
unternimmt.


(Beifall des Abg. Detlef Parr [FDP])

Was tun Sie, meine Damen und Herren? Sie belasten

den Risikostrukturausgleich durch das letzte Gesetz noch
stärker.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Disease Management hat nichts damit zu tun!)


Sie sprechen – niemand hat etwas dagegen – von Disease-
Management-Programmen. Die Kopplung zwischen dem
Disease Management und dem Risikostrukturausgleich
halte ich persönlich aber für falsch und ich denke, viele
andere auch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen heute voraus: Diese Konzeption geht da-
neben. Sie werden es aufgrund der Organisation, der Ver-
waltung und der Überwachung nicht schaffen. Es stört
mich, dass das Bundesversicherungsamt aufgrund Ihrer
Pläne sehr viele Stellen schaffen muss. Auch jede einzelne
Krankenkasse und die Länder müssen dies.

Der Risikostrukturausgleich wird fast undurchschau-
bar. Wenn Sie ehrlich sind – das wissen Sie alle –,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sind sie aber nicht!)


dann geben Sie zu, dass es in der Bundesrepublik
Deutschland nur wenige Experten gibt, die den Risiko-
strukturausgleich wirklich noch durchschauen, analysie-
ren und klar formulieren können.


(Detlef Parr [FDP]: Steckt vielleicht System dahinter! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Professor Pfaff ist heute nicht gekommen! Er schämt sich!)


Meine Damen und Herren, das hat keine Zukunft.
Ich plädiere für die solidarische Finanzierung, wie wir

sie gewollt haben. Sie dürfen durch den Risikostruktur-

ausgleich nicht nur die Krankenkassen berücksichtigen.
Damit würden Sie einen falschen Weg gehen. Wir haben
vor einigen Wochen einen Antrag eingebracht, damit ein
Teil des Risikostrukturausgleichs auch zur Stabilisierung
der Lage der Ärzte und der Leistungserbringer genutzt
wird.


(Zurufe von der SPD: Aha! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: In den neuen Bundesländern!)


– Ja, in den neuen Ländern. – Damit lagen wir völlig rich-
tig.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Völlig falsch!)

– Frau Schmidt-Zadel, Sie erkennen heute, dass viele Pra-
xen nicht mehr besetzt werden können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das hat nichts damit zu tun!)


– Oh ja, das hat viel damit zu tun, weil die Honorierung in
den neuen Bundesländern zusammengebrochen ist. Die
Bürger werden erkennen, dass Sie mit Ihrer Politik, bezo-
gen auf den Risikostrukturausgleich, nicht zielgerichtet
arbeiten,


(Detlef Parr [FDP]: Sie schaden dem Osten!)

sondern dass Sie freiberufliche Praxen vor die Hunde
gehen lassen und damit die medizinische Versorgung in
einzelnen Regionen wie Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-
Vorpommern und Brandenburg ganz besonders benach-
teiligen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die Gesundheitszentren habt ihr kaputtgemacht!)


Dies werden wir auch im Rahmen des Risikostrukturaus-
gleichs anprangern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422107600
Bevor wir in der De-
batte fortfahren, möchte ich Ihnen das von den Schrift-
führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes
bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 586. Zwei Stimmen
waren ungültig. Mit Ja haben gestimmt 494. Mit Nein ha-
ben gestimmt 51 Abgeordnete. 39 Kolleginnen und Kol-
legen haben sich enthalten.1) Der Abgeordnete Norbert
Hauser hat damit das erforderliche Ergebnis, nämlich die
absolute Mehrheit von mindestens 334 Stimmen, erreicht.

Ich spreche unserem Kollegen Norbert Hauser im Na-
men des ganzen Hauses die Glückwünsche zu seiner Wahl
durch den Deutschen Bundestag aus.


(Beifall im ganzen Hause)

Leider ist Herr Hauser nicht mehr da.

Ich werde das Ergebnis der Wahl dem Bundeskanzler
und dem Präsidenten des Bundesrates umgehend mitteilen.




Dr. Dieter Thomae

21915


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Liste der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3.

Des Weiteren möchte ich bekanntgeben, dass Staats-
minister Jochen Riebel den Plenarsaal verlassen muss,
weil zeitgleich die Konferenz der Europaministerinnen
und Europaminister in Berlin tagt. Sie können ein Stück
der Rede der Kollegin Dr. Ruth Fuchs, der ich hiermit das
Wort erteile, allerdings noch mitbekommen.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1422107700
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Herr Staatsminister Riebel, so unerfahren
können Sie gar nicht sein, dass Sie nicht wissen, dass in die-
sem Hohen Hause schon lange Wahlkampf in den Aktuel-
len Stunden und Debatten gemacht wird. Ich muss Ihnen
ehrlich sagen: Ich finde das auch gar nicht schlimm, weil
Wahlkampf auch ein Stück Aufklärung mit sich bringt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das wäre schön!)


Die Politiker sollen die Menschen über das aufklären, was
sie sagen, und vor allem über das, was sie tun.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Über das, was Sie tun, wäre viel wichtiger!)


So gesehen, Frau Ministerin, war es sehr interessant,
von Ihnen die Haltung der Bundesregierung zu der ange-
sprochenen Frage zu erfahren. Ich hoffe, Sie nehmen es
mir nicht übel, Frau Ministerin:


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Und wenn schon!)


Für mich und für viele gibt es ein wesentlich größeres öf-
fentliches Interesse an der Beantwortung folgender Fra-
gen: Erstens. Was ist das Ziel des Normenkontrollantra-
ges, der – wie schon gesagt worden ist – von Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen – sozusagen in Solida-
rität der Starken untereinander – eingebracht worden ist?

Zweitens. Welche Folgen hätte ein Erfolg dieser Klage
für die medizinische Versorgung der Menschen in den
neuen Bundesländern? Vor allen Dingen: Welche Auswir-
kungen hätte das auf die ohnehin nicht als ideal zu bewer-
tenden Rahmenbedingungen eines sich selbst tragenden
– ich betone: sich selbst tragenden – wirtschaftlichen Auf-
schwungs im Osten?

Eine weitere Frage steht seit letztem Montag mehr
denn je im Interesse der Öffentlichkeit; das haben Sie sich
selbst zuzuschreiben. Es stellt sich die Frage nach der
Glaubwürdigkeit von Aussagen des Kanzlerkandidaten
Edmund Stoiber.


(Beifall bei der PDS)

In einem Bericht der „ARD“ war von ihm zu hören:

Es ist auch eine nationale Verpflichtung, dass es dem
Osten besser geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Recht hat er. Das steht auch seit 12 Jahren im Einigungs-
vertrag. Das ist prima und dazu können wir alle klatschen.
Wer aber dann gleichzeitig in der Funktion eines Minis-
terpräsidenten gegen den RSAklagt, macht genau das Ge-
genteil.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!)


Er hofft auf Rechtsbeistand für den Ausstieg aus der Soli-
darität von West für Ost.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


Wer so redet – mit welcher Begründung auch immer –,
zeigt, dass ihm die Angleichung der Arbeits- und Lebens-
bedingungen zwischen Ost und West nur in Sonntagsre-
den oder im Wahlkampf etwas bedeutet, nicht aber im po-
litischen Alltag.

Nun zum Ziel der Klage: Das Ziel – so steht es in der
Begründung – besteht darin, die gesetzlichen Regelungen
über den RSA in der gesetzlichen Krankenversicherung,
insbesondere die Regelung über die Aufhebung der
Rechtskreistrennung Ost-West, für verfassungswidrig zu
erklären. Wer das fordert, muss auch deutlich sagen, dass
er damit bewusst und gewollt die Solidarität der Kassen
West mit den Kassen Ost aufheben will. Wenn das nicht
so sein soll, hätten Sie das in der Klage anders formulie-
ren müssen. Er muss auch sagen, dass dies in einer Zeit
geschehen soll, in der jeder verantwortungsbewusste Po-
litiker weiß, dass die Krankenkassen in den neuen Bun-
desländern immer noch auf diese Solidarität angewiesen
sind.

Die bisher geleistete Solidarität der Versicherten aus
den alten Bundesländern ist hoch zu würdigen. Das
möchte ich hier als so genannter Ossi besonders hervor-
heben.


(Beifall bei der PDS)

Ich weiß aber auch, dass sie nicht grundlos eingefordert
und vor allem nicht überfordert werden darf. Das ist auch
richtig. Ich weiß aber, dass eine Überforderung nicht ein-
treten kann; denn das garantiert eine Klausel in dem Ge-
setz zum RSA und die kann man nicht einfach wegdisku-
tieren. Wir können auch nicht das Bemühen aller
ostdeutschen Länder – ich betone: aller – wegdiskutieren,
selbst Formen für einen zusätzlichen Finanzausgleich un-
tereinander zu finden. Das müsste auch jedem bekannt
sein. Es darf nicht nach dem Grundsatz gehen: Her mit der
Kohle und wir verbraten sie.

Gegenwärtig – das stimmt so und darüber muss man
sich klar sein – ist die Einnahmenseite der Ostkassen nicht
so, dass die notwendige gesundheitliche Versorgung aus
eigener Kraft zu leisten ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Richtig!)

Die Ursachen dafür – sie sind nicht selbst verschuldet –
kennen wir! Ich nenne nur einige: ein sehr großer Anteil
von Rentnern, eine sehr hohe Arbeitslosenquote, viel
mehr Härtefälle und – machen wir uns doch nichts vor –
die Stagnation der Wirtschaft im Osten sowie vor allem
die immer weiter zunehmende Abwanderung gerade jun-
ger Menschen in die alten Bundesländer, um Arbeit zu fin-
den, die ihr Übriges tut.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das war doch in den bisherigen Kriterien alles enthalten!)


Meine Damen und Herren, bei Wegfall des Finanzaus-
gleichs bleiben den Ostkassen wirklich nur zwei Wege of-




Vizepräsidentin Petra Bläss
21916


(C)



(D)



(A)



(B)


fen – den dritten Weg will ich gar nicht erst andeuten,
denn der wäre furchtbar –: Entweder erhöhen sie rapide
die Beitragssätze auf 16, 17, 18 Prozent oder mehr – das
ist keine Phantasie, sondern das sind Zahlen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die hinten und vorne nicht stimmen!)


die errechnet worden sind – oder sie nehmen, was sie ei-
gentlich laut Gesetz gar nicht dürfen, eine drastische Er-
höhung ihrer Verschuldung in Kauf. Welche Folgen das
für die Menschen und auch für den wirtschaftlichen Auf-
schwung hätte, ist schon von mehreren Kolleginnen und
Kollegen benannt worden. Meine Redezeit ist gleich zu
Ende, ich will das deshalb nicht wiederholen. Aber ob es
dann dem Osten oder – bitte vergessen wir das nicht, denn
da gibt es einen Zusammenhang – –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422107800
Kollegin Fuchs, Sie
haben das Stichwort schon gegeben. Ich muss ein biss-
chen strenger sein, weil es eine Aktuelle Stunde ist.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1422107900
Liebe Frau Präsidentin, es ist
der letzte Satz. Ich fange noch einmal an, weil er unter-
brochen wurde.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422108000
Sie haben das große
Glück, dass die anderen Kolleginnen und Kollegen ihre
Redezeit nicht voll ausgeschöpft haben.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1422108100
Ob es über kurz oder lang dem
Osten und vor allen Dingen – vergessen Sie das nicht –
allen Menschen von Rügen bis zum Bayerischen Wald
wirklich besser gehen wird, werte Kolleginnen und Kol-
legen der CSU/CDU, diese Frage müssen Sie den Wähle-
rinnen und Wählern und Ihrem Kanzlerkandidaten schon
selbst beantworten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das machen wir auch!)


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422108200
Das Wort hat der
Staatsminister Rolf Schwanitz.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1422108300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nach
den Zielen gefragt worden. Ich habe hier ein Zitat von Mi-
nisterpräsident Stoiber aus einer Sendung des Bayeri-
schen Rundfunks aus dem Jahr 1997.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da kann man sehen, wie lange das zurückliegt!)


Damals ging es noch gar nicht um uns, sondern es ging,
Frau Bergmann-Pohl, um den Streit mit Ihrem damaligen
Chef, Herrn Seehofer. Damals hat der Ministerpräsident
zum Thema Risikostrukturausgleich – das war ja damals
ein heißer Streitpunkt bei Ihnen – Folgendes gesagt:

Zunächst muss ich einmal wissen, ob die neuen Län-
der in der Frage der Gesundheitspolitik alles tun ... ,
bevor wir selber zur Kasse gebeten werden.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat eben die Frau Fuchs auch gesagt!)

Ich möchte das zunächst einmal regionalisieren. Das
ist doch ein Stück Wettbewerb zwischen den Län-
dern.

(Dr. Sabine Bergmann-Pohl [CDU/CSU]: Aber er hat eingesehen, dass das nicht geht!)

Als Erstes stelle ich fest: Das Prinzip „Raus aus einem

gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich“, den Sie da-
mals ja gar nicht hingekriegt haben, den wir aber seit 1999
richtigerweise aufgebaut haben, hat eine lange Tradition.
Das ist Politik aus Bayern, aus München, die der Minis-
terpräsident immer schon verfochten hat.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Sie haben wenig Ahnung! Das ist leider so!)


Zweite Bemerkung: Wir sollten uns – ich nehme den
Gedanken von Frau Fuchs gern auf – auch noch einmal
über die Konsequenzen unterhalten. Die Summe, die für
2002 in dem gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich als
Transfer für die neuen Bundesländer zu erwarten sein
wird, entspricht nach allen Zahlen, die in der Kalkulation
enthalten sind, einem Volumen von rund 2,6 Milliar-
den Euro, die die ostdeutschen gesetzlichen Krankenkas-
sen dringend brauchen. Diese Mittel waren auch Voraus-
setzung dafür, dass entschuldet werden konnte und dass
die überhöhten Versicherungsbeiträge in Ostdeutschland
– 1998 waren die Beiträge noch wesentlich höher als in
den alten Bundesländern – endlich an ein gesamtdeut-
sches Niveau angeglichen werden konnten.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Sachsen ist ganz ordentlich!)


Das ist die Situation.
Wir haben bei Wegfallen dieses Transfers heute nicht

mehr die Möglichkeit, die Neuverschuldung zu erhöhen.
Die Konsequenz ist völlig klar: Die 2,6 Milliarden Euro
müssten von den Beitragszahlern hereingeholt werden,
die eine Hälfte von den Arbeitnehmern, die andere Hälfte
von den Arbeitgebern. Das ist ein ganz einfaches Rechen-
beispiel, wenn man die spezifischen wirtschaftlichen Ein-
kommensverhältnisse und die ökonomische Situation in
den neuen Bundesländern berücksichtigt. Diese Situation
hat auch Konsequenzen für die Wettbewerbssituation an
den Standorten des Ostens.

Meine Damen und Herren, da können wir lange
Sprüche klopfen. Wir haben gegenwärtig ein Beitrags-
volumen von 13,5 bis 14,9 Prozent in den neuen Bundes-
ländern. Im Extremfall kann das ein Ansteigen auf einen
Beitragssatz von 20 Prozent in den neuen Bundesländern
bedeuten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie können nicht rechnen!)





Dr. Ruth Fuchs

21917


(C)



(D)



(A)



(B)


– Informieren Sie sich einmal bei Ihren Kollegen in den
Ländern. Dann hören Sie, was die Konsequenzen sind. Es
gibt in der gesetzlichen Krankenversicherung in Ost-
deutschland einen Anstieg von 30 bis 40 Prozent.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Verfehlte Wirtschaftspolitik kann man nicht durch den Risikostrukturausgleich korrigieren! – Zuruf von der CDU/CSU: Machen Sie Ihren Job etwas besser!)


Was das für die Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, ist völ-
lig klar. Das ist ein glatter Schlag gegen die Wettbewerbs-
situation der ostdeutschen Regionen und Unternehmen.


(Beifall bei der SPD)

Das hat eine lange Tradition, nicht nur wegen des Spru-
ches „Das ist die Botschaft, die wir aus Bayern schon
ewig kennen: Im Zweifelsfalle gegen den Osten“.


(Zuruf von der SPD: Eben!)

Das ist die Botschaft und das steckt in der Klage drin.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es ist doch schwachsinnig, so etwas zu sagen! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Hören Sie doch mit dem dummen Zeug auf!)


Seit ich diese Woche Montag von der Pressekonferenz
mit Herrn Stoiber, Herrn Nooke – Herr Nooke hat ja lei-
der den Saal verlassen – und den beiden anderen Büchsen-
spannern


(Heiterkeit bei der SPD)

gehört und gelesen habe, dass es bei dieser Klage bleibt,
weiß ich natürlich auch, was die Ankündigungen bedeu-
ten. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ war zu le-
sen, Stoiber fordere für die ostdeutschen Länder die Mög-
lichkeit zu Alleingängen – das war die programmatische
Ansage –, ein Mittelstandsprogramm und Sonderrechte
Ost. Jetzt weiß ich, wie die Sonderrechte Ost aussehen:
Made in München und in Bayern.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Der blanke Neid spricht aus Ihnen! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Weil Sie noch nichts gemacht haben!)


Ich empfehle Ihnen in aller Deutlichkeit jenseits des
Parteibuchs: Führen Sie Gespräche mit den Kollegen von
der CDU in Sachsen und Thüringen und fragen Sie sie,
wie sie diese Klage finden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die haben mehr Ahnung als Sie! Die erzählen nicht so einen Schwachsinn wie Sie!)


Ich bin gespannt, wie Sie sich verhalten, wenn sich die
ostdeutschen Länder in einer Erwiderung gegen diesen
Schlag gegen Ostdeutschland, der aus München kommt,
gemeinsam positionieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Dr. Hansjörg Schäfer [SPD]: Wo sind denn die Kollegen aus den neuen Ländern?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422108400
Ich erteile dem Kolle-
gen Volker Kauder von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1422108500
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Gesundheitsmi-
nisterin, ich bin einigermaßen erstaunt darüber,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir nicht mehr!)


dass Sie sich ans Rednerpult stellen und versuchen, der
deutschen Öffentlichkeit klar zu machen, dass die Lan-
desregierungen von Baden-Württemberg, Hessen und
Bayern versuchen, sich aus der Solidarität davonzusteh-
len.


(Zurufe von der SPD: Recht hat sie! – Genau!)

Genau das Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade wir in Baden-Württemberg haben im Zuge der

Wende und der Einheit für Deutschland gezeigt, was So-
lidarität bedeutet. Wir haben uns immer dafür eingesetzt,
dass es diese Solidarität auch zwischen West und Ost gibt,
und haben bei unseren Diskussionen um den Länder-
finanzausgleich nie die Solidarität aufgekündigt. Viel
mehr geht es immer um die Frage, was gerecht ist und was
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Und zielgerichtet!)


Das hätten Sie eigentlich so deutlich sagen müssen, statt
so zu tun, als ob sich jemand aus der Solidarität davon-
schleichen will.


(Dr. Hansjörg Schäfer [SPD]: Warum sitzen denn so wenig Kollegen aus dem Osten auf der Bank? – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch so!)


Es ist nicht gerecht, wenn die Beiträge der Krankenkassen
im Westen steigen und der im Osten sinken, weil aus dem
Westen – aus Baden-Württemberg und anderen Län-
dern – große Beiträge in dessen Kassen fließen. Wir – die
Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern und
Hessen – haben dem Risikostrukturausgleich zugestimmt,
als er eingeführt worden ist. Wir haben danach der ersten
Stufe des Ost-West-Ausgleichs ebenfalls zugestimmt.

Herr Schwanitz, wenn Sie schon zitieren, dann müssen
Sie das auch richtig tun. Edmund Stoiber hat nämlich ge-
sagt, dass er den Risikostrukturausgleich im Grundsatz
für richtig halte; es gebe aber eine Überkompensation.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eben!)


Um genau diese Überkompensation geht es. Ich frage die
Vertreterinnen und Vertreter der Regierungskoalition, wie
sie eigentlich den Menschen im Lande klar machen wol-
len, dass es gerecht ist, dass die einen ihre Beiträge auf
Kosten der anderen senken können. Dies kann nicht das
richtige Ergebnis sein. Das können Sie im Grunde ge-
nommen auch gar nicht wollen. Der Risikostrukturaus-




Staatsminister Rolf Schwanitz
21918


(C)



(D)



(A)



(B)


gleich hat inzwischen eine Summe angenommen, die
größer als die des Länderfinanzausgleichs insgesamt ist.

Frau Kollegin Schmidt, gerade als Vertreterin dieser
Bundesregierung wäre ich mit Aussagen, was das Bun-
desverfassungsgericht für richtig oder falsch halten wird,
ausgesprochen vorsichtig. Es könnte Ihnen gehen wie
Ihrem Kollegen Scharping, dass Sie nämlich vor dem
Bundesverfassungsgericht auf einmal zu einer ganz ande-
ren Einsicht kommen müssten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Im Übrigen halte ich es auch für ausgesprochen merk-
würdig, wenn Vertreter der Bundesregierung jemanden,
der vor dem Bundesverfassungsgericht eine Sachfrage
klären lassen will, hier gleich als jemanden hinstellen
will, der in höchstem Maße Unrecht tut.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aber, Frau Kollegin Schmidt, wenn ich daran denke, wie
Sie mit dem Bundesverfassungsgericht umgehen, wun-
dert mich das schon gar nicht mehr. Das ist der bekannte
Weg: Wer vor das Bundesverfassungsgericht geht, ist
schon ein schlechter Mensch. Wie Sie mit dem Bundes-
verfassungsgericht umgehen, hat Herr Schily inzwischen
gezeigt. Es ist unerträglich, was Sie hier vorführen und
was für eine Politik Sie in diesem Land machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ilse Janz [SPD]: Lassen Sie mal Ihre Unterstellungen! Unverschämtheit!)


Herr Kollege Schwanitz, die Situation der Kranken-
kassen in den neuen Ländern wäre viel besser, wenn Sie
Ihren Job richtig machen würden. Daran liegt es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gestern Abend hat Professor Donsbach in einer Diskus-
sion gesagt, was mit Ihrer Regierung los ist. Er sagte, Herr
Schröder möge zwar sympathisch sein, er sei aber ein
sympathischer Verlierer. Das gilt für Sie alle: Sie sind Ver-
lierer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Versager!)


– Herr Donsbach hat gesagt, Herr Schröder sei ein sym-
pathischer Versager. – Sie versagen in der Politik in den
neuen Ländern zu 100 Prozent. Darin liegt das eigentliche
Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir eine bessere Situation bei der Arbeitslosigkeit
und eine bessere Situation in der Wirtschaft hätten, sodass
die Menschen nicht die neuen Länder verlassen würden,
dann hätten wir auch diese Probleme nicht.

Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen, Frau Schmidt
– das haben Sie ganz verschwiegen –: Woher kommt denn
ein Teil der Mindereinnahmen in den Kassen der neuen
Länder? Sie haben doch die Kassen dort in eine schlech-
tere Situation gebracht, indem Sie Beiträge von den Ar-

beitslosenhilfebeziehern gekürzt haben, wodurch weniger
Beiträge in die Kasse fließen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Den Beitragsklau haben Sie doch eingeführt!)


Wir haben leider Gottes aufgrund der miserablen Politik
dieser Bundesregierung mehr Arbeitslose in den neuen
Ländern. Das muss alles geändert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Von Vertretern dieser Bundesregierung lassen wir aus

Baden-Württemberg uns, was die Solidarität anbelangt,
überhaupt nichts sagen.


(Ilse Janz [SPD]: Solidarität ist doch für euch ein Fremdwort!)


Herr Schwanitz, erinnern Sie sich einmal daran, was da-
mals Herr Schröder – zu dem Zeitpunkt noch nicht Bun-
deskanzler, sondern noch Ministerpräsident – über die
neuen Länder gesagt hat: „Wir können sie doch nicht nach
Polen abtreten“, lautete einer seiner Sprüche.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422108600
Herr Kollege Kauder,
ich muss Sie jetzt an die Redezeit erinnern.


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1422108700
Das war seine Solida-
rität.

Da kann ich nur sagen: Sie haben allen Grund, erst ein-
mal Solidarität zu beweisen. Machen Sie Ihren Job rich-
tig. Sie haben noch sechs Monate Zeit. Dann wird es in
den neuen Ländern auch besser aussehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422108800
Jetzt spricht für die
SPD-Fraktion die Kollegin Regina Schmidt-Zadel.


Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1422108900
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt muss ich aber Schmerzensgeld beantragen!)


– Ich muss bei Ihnen schon lange Schmerzensgeld bean-
tragen. Das geht aber von meiner Redezeit ab.

Herr Kauder, was mit Ihrer Regierung los war, das ha-
ben Ihnen die Wählerinnen und Wähler 1998 gezeigt. Sie
werden es Ihnen in diesem Jahr wieder zeigen. Sie wer-
den weiterhin in der Opposition bleiben. Wenn wir Ihre
Rede, Herr Kauder, verschicken – das werden wir tun –,
dann werden auch die Bürgerinnen und Bürger wissen,
wes Geistes Kind Sie sind und was für eine Politik Sie in
diesem Hause vertreten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Es ist schon verwunderlich: Da möchte der Minister-
präsident eines Ihrer Länder am 22. September Kanzler
für ganz Deutschland werden. Sein derzeitiges Handeln
– es sind schon viele darauf eingegangen – zeigt aber sein




Volker Kauder

21919


(C)



(D)



(A)



(B)


wahres Gesicht. Zurzeit kämpft er ganz energisch für die
Spaltung unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Statt die Sozialmauern zwischen den beiden Teilen
Deutschlands schneller niederzureißen, wie Sie es immer
angekündigt haben, sollen neue Sozialmauern aufgebaut
werden. Das ist die Wahrheit.


(Walter Hirche [FDP]: Sie sind noch auf dem alten Wahlkampfdampfer!)


Statt Brücken zwischen wohlhabenden und weniger
wohlhabenden Regionen zu bauen, baut er neue Mauern
auf.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

–Meine Damen und Herren von der Opposition, regen Sie
sich doch nicht so auf! Ich werde noch viel Schlimmeres
sagen, zum Beispiel: Dieser Kandidat liebt den Osten
nicht.


(Beifall bei der SPD)

Worum geht es im Einzelnen? Ich möchte versuchen,

die Diskussion zu versachlichen.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Die Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg
und Hessen haben beim Bundesverfassungsgericht eine
Normenkontrollklage gegen den Risikostrukturausgleich
eingereicht. Die Klage richtet sich – hören Sie gut zu; ich
zitiere aus der Klageschrift – „gegen die gesamte Rege-
lung des RSA mit länderübergreifender Wirkung in der
gesetzlichen Krankenversicherung durch zwingendes
Bundesgesetz“ sowie „gegen seine Ausgestaltung, die ge-
zielt Transfers von den Krankenkassen des alten Bundes-
gebiets zu denen des Beitrittsgebiets hervorruft“. Das ist
der Inhalt der Klage.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Den kennen wir!)

Hier geht es also nicht nur um die Klärung verfassungs-
rechtlicher Belange der Bund-Länder-Beziehungen und
auch nicht nur um die Interessen der einzelnen Kassen
und Regionen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch! Nur darum! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sondern?)


Diese Klage ist vielmehr ein Angriff

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Normalerweise sagen Sie Anschlag!)


auf ein Herzstück unseres Sozialstaates im Allgemeinen
sowie auf die solidarische und soziale Krankenversiche-
rung im Besonderen. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen, was die Rege-

lungen des RSA konkret beinhalten. Beim RSA geht es
um Gerechtigkeit, um die gerechte Verteilung der Mit-
gliedsbeiträge zwischen den einzelnen Krankenkassen

und indirekt auch zwischen den Regionen im Rahmen der
gesetzlichen Krankenversicherung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer will das abschaffen?)


Der RSA verfolgt aber auch andere Ziele, zum Beispiel
die Schaffung vergleichbarer Wettbewerbschancen inner-
halb der gesetzlichen Krankenversicherung und den Aus-
gleich unterschiedlicher, durch die Krankenkassen nicht
zu verantwortender Risikostrukturen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das soll auch so bleiben!)


Es geht also um eine soziale Krankenversicherung, in
der Solidarität und Wettbewerb miteinander kombiniert
werden sollen und müssen. Wer wie die Bundesländer
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen meint – jetzt
kommt die Antwort auf Ihre Frage, die Sie dazwi-
schengerufen haben –, die GKV sei eine Einbahnstraße, in
der man immer die Vorfahrt habe, und der Sozialstaat sei
nur eine Einrichtung zum eigenen Vorteil,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Ministerin hat gesagt, wir in Bayern hätten einen Vorteil!)


der sollte das Wort Solidarität niemals in den Mund neh-
men,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


der sollte auch nicht von sozialer Marktwirtschaft oder
chancengleichem Wettbewerb reden. Eine soziale Spal-
tung – das möchte ich ausdrücklich sagen – darf es nicht ge-
ben. Eine solche Spaltung werden wir zu verhindern wissen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wol-
len keinen Bruch der Gesellschaft. Wir wollen keine
neuen Mauern zwischen Ost und West. Wir wollen aber
auch keine neuen Mauern zwischen Nord und Süd. Wir
wollen keine neuen Mauern zwischen armen und reichen
Menschen innerhalb unserer Gesellschaft. Wir wollen
keine Krankenkassen für gut und für schlecht verdienende
Menschen. Wir wollen keine Spaltung der Generationen
innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Hat das jemand behauptet?)


Wir werden sicherstellen, dass die hochwertige medizini-
sche Behandlung und Versorgung in Deutschland


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Allen vorenthalten wird!)


für alle Bevölkerungsgruppen erhalten bleibt. Nehmen
Sie das bitte zur Kenntnis.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422109000
Der nächste Redner ist
der Kollege Ulf Fink für die Fraktion der CDU/CSU.


(Dr. Hansjörg Schäfer [SPD]: Schon wieder einer aus den neuen Ländern! Es ist nicht zu fassen!)





Regina Schmidt-Zadel
21920


(C)



(D)



(A)



(B)



Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1422109100
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Frau Schmidt-Zadel, Sie
hätten ja die Gelegenheit gehabt, etwas für die Gesund-
heitsversorgung im Osten Deutschlands zu tun und sie zu
verbessern.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das haben wir doch!)


Wir haben Ihnen im Vermittlungsausschuss dargelegt,
dass die ambulante ärztliche Versorgung im Osten
Deutschlands auf das Schwerste gefährdet ist. In Guben
und in vielen anderen Städten Ostdeutschlands können die
Arztstellen nicht mehr besetzt werden, weil die ärztlichen
Leistungen im Osten Deutschlands ausgesprochen
mickrig vergütet werden.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!)

Wir haben Sie aufgefordert, in zwei Stufen die Vergütun-
gen für die ärztlichen Leistungen in Ost und West anzu-
gleichen. Wer hat das abgelehnt? Sie haben das abgelehnt.
Hier hätten Sie etwas tun können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben es versäumt, dort etwas für die Menschen im

Osten Deutschlands zu tun, wo es sie interessiert.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Gehen Sie mal hin und gucken Sie sich um!)

Wie wollen Sie es rechtfertigen, dass die Ärzte, die in der
ambulanten Versorgung im Osten Deutschlands arbeiten,
weniger als 80 Prozent dessen verdienen, was ihre Kolle-
gen im Westen Deutschlands bekommen, obwohl sie viel
mehr arbeiten müssen, weil die Menschen im Osten
Deutschlands kranker sind? Hier wären Sie gefordert ge-
wesen. Aber Sie haben nichts getan. Sie lassen das einfach
zu. Trotzdem behaupten Sie, Sie täten etwas für den
Osten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe schon der Zeitung entnommen, was diese Ak-

tuelle Stunde soll.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Alles klar! Da stand alles drin!)


Sie soll den Kanzlerkandidaten der Union irgendwie in
die Ecke drücken und zeigen, er tue nur etwas für den
Westen und nicht für den Osten. Meine Damen und Her-
ren von der SPD und von den Grünen, dieser Versuch ist
kläglich misslungen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie so viele!)


Die Argumente sind eindeutig. Klar ist doch: Wir ha-
ben den Risikostrukturausgleich in unserer Regierungs-
zeit überhaupt erst eingeführt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Deswegen klagen Sie auch, nicht? – Weitere Zurufe von der SPD – Gegenruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es! Ihr von der SPD durftet mitmachen!)


Dass Kassen miteinander im Wettbewerb stehen, haben
wir durchgesetzt. Dass dann ein Risikostrukturausgleich
vorgenommen werden muss, ist klar. Auch das haben wir
durchgesetzt. Wir waren es, die 1998 die Ausweitung die-
ses Risikostrukturausgleichs zugunsten des Ostens durch-
gesetzt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Freilich!)


Uns vorzuwerfen, dass wir kein Verständnis dafür haben,
ist wirklich absurd.

Dann ist etwas passiert, was schlecht war. Als Sie 1999
die Ausweitung des Risikostrukturausgleichs in die De-
batte gebracht haben, haben Sie zuerst versucht, das mit
dem damaligen Gesundheitsreformgesetz zu koppeln, mit
dem Sie die Budgetierung wieder eingeführt haben. Auf
diese Art und Weise haben Sie versucht, die Stimmen der
Ostländer zu erpressen. Das war der erste Versuch. Er ist
misslungen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es! Genau!)


Anschließend haben Sie im Vermittlungsausschuss
enorm aufs Tempo gedrückt. Wir wollten die weitere Aus-
weitung, aber wir wussten, dass die Sache problematisch
ist, dass dabei zu leicht eine Überkompensierung heraus-
kommen kann.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist das!)


Damals hat Bernhard Vogel, der thüringische Minister-
präsident, gesagt: Wir haben uns im Vermittlungsaus-
schuss lange dafür eingesetzt, noch etwas Zeit zu bekom-
men, um über die Argumente Baden-Württembergs
diskutieren zu können. Aber Sie haben das nicht zugelas-
sen.

Sie haben es also letztlich zu verantworten, dass wir
uns damals nicht haben einigen können, was die Sache
von allen Seiten niet- und nagelfest gemacht hätte und
was auch im Interesse des Ostens gewesen wäre. Sie ha-
ben es so gelassen mit der Konsequenz, dass Sie sich jetzt
vor dem Bundesverfassungsgericht damit auseinander
setzen müssen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ganz genauso ist es!)


Sie haben versucht, eine Politik zu betreiben, die die
Leute in die Ecke drückt, und jetzt besteht diese Situation.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Herr Fink, also!)


Es ist doch völlig klar, dass wir am Risikostrukturaus-
gleich interessiert sind.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Klar!)

Ich bin Brandenburger Abgeordneter. Vor allem aber sind
wir daran interessiert, dass die Regelung auch Bestand
hat, und deshalb darf es nicht zu einer Überkompensie-
rung kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man Solidarität will – wir wollen Solidarität –,

(Wolfgang Weiermann [SPD]: Darin hat die CDU Erfahrung! – Gegenruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ihr habt Erfahrung mit dem Bundesverfassungsgericht!)


dann muss die Sache aber auch wirklich gerecht sein.
Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass auf der einen Seite
bei AOKen im Westen die Beitragssätze massiv gesteigert
werden müssen, auf der anderen Seite beispielsweise
Sachsen in den Genuss von Mitteln kommt, aufgrund de-
rer die Beitragssätze unter das Niveau derjenigen von
Westkassen gesenkt werden können, ist die Sache proble-
matisch; das müssen doch auch Sie erkennen. Das hätten
Sie vermeiden können, wenn Sie damals nicht diesen un-
angemessenen Zeitdruck verursacht hätten.

Es wäre wichtiger, deutlich zu machen, was man kon-
kret für die Verbesserung der gesundheitlichen Versor-
gung im Osten tun kann,


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Macht doch mal Vorschläge!)


und endlich mit der verfehlten Politik aufzuhören, West
und Ost gegeneinander auszuspielen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das tun Sie doch!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422109200
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Götz-Peter Lohmann.


Götz-Peter Lohmann (SPD):
Rede ID: ID1422109300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich hätte gern erst noch die Argumente meines hoch
geschätzten Kollegen Zöller gehört, aber die Reihenfolge
ist nun einmal festgelegt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt stehen Sie das ganz allein durch!)


Ich glaube allerdings nicht, dass ich meine Argumente
dann hätte ändern müssen.

In einem Punkt muss ich Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Opposition, aber zustimmen: Der RSAfunk-
tioniert jetzt noch nicht optimal.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der FDP: Aha!)


Wir müssen die Ausgleichsmechanismen mit Sicherheit
Zug um Zug verbessern,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sehr gut! – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Da sind wir dabei!)


aber nicht so, wie Sie das mithilfe Ihrer Klage – der Text
wurde zum Teil zitiert – zu erreichen beabsichtigen. Ich
möchte auf einen Vorschlag aus Mecklenburg-Vorpom-
mern, dem Land, aus dem ich komme, hinweisen. Wir for-
dern einen kassenartenspezifischen, obligatorischen Fi-

nanzausgleich innerhalb der Regionalkassen Ost; das ist
ein denkbarer Weg.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die Klage der süddeutschen Länder ist nach meinem
Dafürhalten kein Beitrag zur Überwindung der noch im-
mer unterschiedlichen Lebensverhältnisse in den alten
und in den neuen Bundesländern.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mich mit den
Argumenten anerkannter Experten im Hinblick auf den
RSA, wie er jetzt funktioniert, zu beschäftigen. Ich bin
zum Beispiel der Frage nachgegangen, was bei Einfüh-
rung der Morbiditätsorientierung und der von uns einge-
leiteten so genannten Disease-Management-Programme
mit meinem Bundesland passiert wäre, das unbestritte-
nermaßen leider noch immer eine gewisse Struktur-
schwäche aufweist. Ohne RSAlägen die Beitragssätze der
gesetzlichen Krankenkassen – man bedenke, dass diese
Kassen viele Ältere und Kranke versichern – bei über
30 Prozent. Sie hören richtig! Eine dramatische Rationie-
rung der Leistungen für diese Versicherten wäre die
Folge. Ohne RSA würden die Versicherten in den neuen
Bundesländern, also nicht nur die in meinem Bundesland,
aufgrund der dortigen Bevölkerungsstruktur massiv be-
nachteiligt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es will doch niemand den RSA abschaffen!)


Ohne RSAwürden die Lohnnebenkosten deutlich steigen,
und zwar nur deswegen, weil die Alters- und Morbiditäts-
verteilung in diesen Ländern, zum Beispiel bei der
Beitragsbemessung, ungerechtfertigterweise nicht berück-
sichtigt würden. Ohne RSAwürde ein reiner Risikoselek-
tionswettbewerb einsetzen; Alte und Kranke würden die
Kasse nicht mehr wechseln. Das wären die schlimmen
Auswirkungen.

Ich gestatte mir in den nur fünf mir zur Verfügung ste-
henden Minuten, einen Vergleich anzustellen. Nach der
Wiedervereinigung war es zunächst notwendig, den un-
terschiedlichen Lebensverhältnissen in Ost und West da-
durch Rechnung zu tragen, dass in allen Bereichen der
gesetzlichen Sozialversicherungen unterschiedliche Re-
gelungen im Rahmen getrennter Rechtskreise getroffen
wurden. Zum Beispiel im Bereich des Rentenrechts voll-
zog und vollzieht sich die Angleichung ohne weitere
rechtliche Eingriffe allein aufgrund der tatsächlichen
Lohnentwicklung – zwar nur allmählich und langsam,
aber immerhin.

Anders verhält es sich in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung: Die Angleichung der unterschiedlichen Rege-
lungen in den beiden Rechtskreisen kann sich nicht allein
aufgrund der tatsächlichen Entwicklung ergeben; viel-
mehr sind wegen der Besonderheiten dieses Gebietes ge-
setzliche Maßnahmen notwendig.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das wird nicht bestritten!)





Ulf Fink
21922


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist klar, dass das noch immer relativ niedrige Lohnni-
veau im Osten sowohl auf der Einnahmenseite als auch
bei den ermittelten Normkosten zu erheblichen, aber sys-
temkonformen und deshalb gerechtfertigten Transferleis-
tungen führen wird. Dabei will ich allerdings ausdrück-
lich lobend erwähnen, dass die bundesweit organisierten
Ersatzkassen diesen Ausgleich auf freiwilliger Basis
schon heute umfassend durchführen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ja, das ist so!)


Gerade deshalb war es geboten, diesen Ausgleich von
Gesetzes wegen auf die Regionalkassen zu erstrecken, auch
wenn dies im Westen zu Beitragserhöhungen führt. Zu-
gleich wissen wir, dass der 1992 im Gesundheitsstrukturge-
setz erstmals rechtlich beschlossene RSA, den wir in dieser
Legislaturperiode ein Stück weit den sich ändernden Ver-
hältnissen angepasst haben, noch keinen idealen Risikoaus-
gleich darstellt. Deshalb ist das mit dem gesamtdeutschen
RSA angestrebte Ziel noch nicht im gewünschten Umfang
zu erreichen. Durch einen Abbau des gesamtdeutschen
RSA, den die Länder Bayern, Hessen und Baden-Württem-
berg wollen, würde allerdings eine neue Sozialmauer in
Deutschland errichtet. Das wollen wir nicht.

Sie müssen sich nicht wundern, dass die Hauptziel-
richtung der Normenkontrollklage der süddeutschen Län-
der vor dem Bundesverfassungsgericht den Eindruck er-
weckt – wahrscheinlich ist das auch so gemeint –, dass die
zurzeit leider nicht geringer werdenden Probleme in den
ostdeutschen Ländern im Rahmen des Risikostrukturaus-
gleichs nicht mehr länger mitgetragen werden sollen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422109400
Jetzt hat der Kollege
Wolfgang Zöller von der CDU/CSU – endlich – das Wort.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1422109500
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Versuche von
Rot-Grün, unserem Kanzlerkandidaten irgendetwas – sei
es noch so widersinnig – anzuhängen, werden immer
peinlicher.


(Widerspruch bei der SPD)

Das Ziel und nicht der Sinn der von der SPD beantragten
Aktuellen Stunde macht dies offensichtlich. Der Text und
der Zeitpunkt beweisen, welches Ziel Rot-Grün hat.

Ich komme zunächst auf den Text zu sprechen. Die von
Ihnen beantragte Aktuelle Stunde hat das Thema:

Haltung der Bundesregierung zur Klage der Bayeri-
schen Staatsregierung gegen die Reform des Risiko-
strukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung

(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wenn Ihr Kanzlerkandidat das auf dem goldenen Tablett serviert!)


Tatsache ist jedoch, dass der Ministerrat in seiner Sitzung
im Juli 2001 beschlossen hat, zusammen mit dem Bun-
desland Hessen der Normenkontrollklage von
Baden-Württemberg beizutreten. Die Steigerung wäre ge-
wesen, wenn Sie dem Kanzlerkandidaten noch eine Cou-
sine in Baden-Württemberg hätten nachweisen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Zweite ist der Termin. Die Klage wurde vor circa

einem Jahr eingereicht und heute beantragen Sie eine Ak-
tuelle Stunde. Wie lange brauchen Sie eigentlich, bis Sie
aufwachen, wenn das so wichtig für Sie ist?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Reiner Zufall!)


Ein Weiteres: Sie wollen der Bevölkerung einreden,
Sie könnten uns unsolidarisches Verhalten unterstellen.
Wie unredlich Ihr Ansinnen ist, kann ich an Zahlenbei-
spielen belegen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Jetzt geht es los!)

Unter der CDU/CSU-Regierung ist beschlossen worden,
allein 21 Milliarden DM zur Sanierung der ostdeutschen
Krankenhäuser bereitzustellen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Und FDP!)

– Und der FDP. Darauf möchte ich nicht verzichten, lie-
ber Kollege Thomae.

Des Weiteren haben CDU/CSU und FDP mit dem Fi-
nanzstärkungsgesetz zugunsten der Kassen in den neuen
Ländern Finanzhilfen in Höhe von 1,2 Milliarden DM
jährlich beschlossen. Rot-Grün dürften in diesem Zusam-
menhang wirklich die Letzten sein, die uns einen Mangel
an Solidarität mit den neuen Ländern vorwerfen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Solidarität ist und bleibt das Markenzeichen der Union.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Der Umbau und die Modernisierung des Gesundheits-
wesens in den neuen Ländern waren eine der größten
Leistungen der deutschen Sozialgeschichte. Auch das
muss hier einmal angesprochen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Blühende Landschaften!)


Eines muss man noch feststellen: Es wird hier in einer
Art und Weise diskutiert, als ginge es darum, den Solida-
ritätsausgleich abzuschaffen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wer hat das gesagt?)


– Das haben Sie gesagt. – Darum geht es aber gar nicht.
Es geht nicht darum, ob es einen Solidaritätsausgleich
gibt, sondern darum, wie er gerecht gestaltet wird. Das ist
ein wesentlicher Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Kollegin, warum haben Sie eigentlich Angst vor

einer rechtlichen Überprüfung?

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Haben wir doch gar nicht!)





Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg)


21923


(C)



(D)



(A)



(B)


Zurzeit sind mehr als 300 gerichtliche Verfahren im Zu-
sammenhang mit dem Risikostrukturausgleich mit einer
Bilanzsumme von über 50Milliarden Euro anhängig. Das
muss man sich einmal überlegen. Es müsste auch in Ihrem
Interesse sein, dass diese Rechtsunsicherheit beseitigt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie wollen Sie im Übrigen den Menschen erklären,

dass zum Beispiel eine Kasse dafür, dass sie rund 25 Mil-
lionen Euro für Versicherte, die im Ausland sind, ausgibt,
über den Risikostrukturausgleich mehr als 500 Millionen
Euro erhält?


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Welche Kasse ist das?)


Können Sie mir das erklären? Das kann niemand erklären.
Wie wollen Sie den Versicherten erklären, dass zum

Beispiel eine West-AOK ihre Beitragssätze auf 14,9 Pro-
zent erhöhen muss, während zur gleichen Zeit eine Ost-
AOK – jetzt kommt das Entscheidende – durch die Über-
kompensierung ihre Beiräge auf 12,9 Prozent senken
kann? Das hat mit Spaltung nichts zu tun.


(Zurufe von der SPD: Doch!)

Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer behauptet, bei uns ginge es darum, die Solidarität

auszuhöhlen, macht dies entweder in Unkenntnis der
tatsächlichen Zahlen oder böswillig; bei manchen muss
ich Letzteres annehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf für
die CDU/CSU feststellen: Wir wollen eine gerechte Mit-
telverteilung, weil wir wissen, dass Solidarität auf Dauer
nur dann Bestand hat, wenn sie auf Gerechtigkeit basiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422109600
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Hansjörg Schäfer.


Dr. Hansjörg Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1422109700
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wir haben die große nationale
Verpflichtung, alles zu tun, damit es den neuen Ländern
besser geht, als es gegenwärtig der Fall ist. Frau Fuchs,
Sie haben das zitiert. Dies sagt der Kandidat. Recht hat er.
Aber eine Nummer kleiner wäre vielleicht etwas ehrli-
cher, wenn man seine Handlungen als bayerischer Minis-
terpräsident anschaut.


(Beifall bei der SPD)

Da nämlich tut er etwas ganz anderes. Da führt er in
Karlsruhe Klage gegen den Risikostrukturausgleich.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Hört! Hört!)

Das größte Risiko für die Struktur im Osten ist, glaube
ich, Herr Stoiber selbst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU)


Auf 20 Prozent würden die Krankenkassenbeiträge hoch-
schnellen, wenn es nach seinem Willen ginge.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Machen Sie die Rechnung! Jede Wette, dass Sie das nicht können!)


Glücklicherweise geht es nicht nach seinem Willen und es
wird auch nicht danach gehen.

Bei Ihren Vorschlägen fühlt man sich manchmal so et-
was an die Rezepte der Lega Nord erinnert, da dadurch
quasi die Regionalisierung der Krankenkassen eingeläu-
tet wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Liegt das Niveau dieser Rede niedrig!)


Dies ist der Abschied von der im Grundgesetz vorgegebe-
nen Solidarität. Die Folgen eines Erfolgs dieser Klage
bzw. eine entsprechende politische Umsetzung wären
eine drastische Reduzierung der Nettolöhne im Osten und
eine noch drastischere Beeinträchtigung der Infrastruktur
in den neuen Ländern. Ob das dem Kandidaten Stimmen
bringt, wage ich zu bezweifeln.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber Ihre Politik bringt ihm Stimmen! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Die Klage war vom Juli, da war er noch nicht Kandidat!)


Wir haben schon einmal erlebt, dass jemand, der blühende
Landschaften versprochen hat, einen riesigen Schulden-
berg hinterlassen hat. Dies werden die Menschen im
Osten nicht vergessen.

Herr Geisler, Sozialminister von Sachsen und ein Kol-
lege aus der Union, wehrte sich gegen den bayerischen
Ministerpräsidenten mit gutem Grund; denn Herr Stoiber
schreckt nicht einmal vor falschen Tatsachenbehauptun-
gen zurück. Er hat nämlich in den Raum gestellt, dass dort
eine Überkompensation durch den Risikostrukturaus-
gleich stattfinde.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: In Sachsen ist sie ja hoch!)


– Nein.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, selbstver ständlich!)

Schon jetzt liegen die Kassenbeiträge im Osten um 0,7 Pro-
zent höher. Bei einem Erfolg dieser Klage würden sie noch
weiter steigen. Es ist eine spannende Frage, was die Versi-
cherten in den neuen Ländern zu diesem Vorgehen sagen
würden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich gebe Ihnen nachher einmal die Zahlen!)


Völlig zu Recht sehen die Menschen in den neuen Län-
dern im Risikostrukturausgleich ein wesentliches Stück
Gerechtigkeit, da er im Geist der gegenseitigen Solidarität
chronisch Kranken im Osten die gleiche Behandlung zu
vergleichbaren Beiträgen wie im Westen zukommen lässt.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: 14,9 Prozent in Bayern und 12,9 Prozent in Sachsen! Gleiche Zahlen?)





Wolfgang Zöller
21924


(C)



(D)



(A)



(B)


Der RSA ist unentbehrlich für einen wirtschaftlichen
Einsatz der finanziellen Mittel. Er hat sich bisher grund-
sätzlich gut bewährt. Er hat allen Versicherten gute Leis-
tungen möglichst kostengünstig zur Verfügung gestellt,
auch den Bayern, den Baden-Württembergern und den
Hessen. Ein bisheriger Mangel war jedoch, dass er ledig-
lich Alter, Geschlecht, Invalidität und Einkommensunter-
schiede berücksichtigt hat. Das hat sich mit der Reform
geändert. Jetzt orientiert sich der Risikostrukturausgleich
auch an der Morbidität. Das heißt, die Selektion von ge-
sunden Versicherten und damit verbundene Beitrags- und
Wettbewerbsvorteile sind ein Stück von gestern. Ab 1. Ja-
nuar 2007 soll die direkte Morbiditätsorientierung im Ri-
sikostrukturausgleich eingebettet werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben gerade gesagt: Jetzt! – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Nach der neuen Gesetzeslage!)


Schon jetzt wird ein Risikopool die Aufwendungen für
stationäre Versorgung, Arzneimittelversorgung, nicht ärzt-
liche Kosten der ambulanten Dialyse und Kranken- und
Sterbegeld ab einem Schwellenwert von rund 20 000 Euro
ausgleichen. Wir nennen das eine solidarische und ge-
samtdeutsche Lastenverteilung. Erstmals werden Disease-
Management-Programme zu einer besseren Versorgung
der chronisch Kranken führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Koordinierungsausschuss der Spitzenorganisationen
der Selbstverwaltung hat bereits die Empfehlung abgege-
ben, Diabetes mellitus, chronisch obstruktive Atemwegs-
erkrankungen, Brustkrebs und koronare Herzkrankheit in
den Katalog aufzunehmen. Weitere Vorschläge werden
Stück für Stück folgen. Krankenkassen, die sich darum
kümmern, diese chronisch Kranken besser zu versorgen,
sollen keine Nachteile haben – auch nicht in Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Bis zur Einheitskasse!)


Entgegen allen Vorwürfen und Unterstellungen haben
wir das Recht auf einen Kassenwechsel erweitert. Verse-
hen mit einer Bindungsfrist von 18 Monaten kann jeder
seinen Wechsel zu einer anderen Kasse am Ende des
übernächsten Kalendermonats vornehmen. Außerdem
bleibt es beim Sonderkündigungsrecht bei einer Beitrags-
erhöhung.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Haben Sie erst auf Druck hereingenommen! Sie wollten es erst abschaffen!)


Das ist eine Menge Neues und bringt vor allem eine
Menge neuer Vorteile für die Versicherten in ganz
Deutschland. Dagegen zu klagen war unsolidarisch, sach-
lich falsch und, wie ich meine, auch dumm.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422109800
Letzter Redner ist der
Kollege Thomas Sauer für die SPD-Fraktion.


Thomas Sauer (SPD):
Rede ID: ID1422109900
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Nach dem Wortgeklingel, es ginge nur
um Gerechtigkeit, was wir hier von der Länderbank und
auch von der CDU/CSU gehört haben, muss man, wie ich
glaube, die Sache einmal wieder auf den Punkt zurück-
führen und sagen, um was es den Antragstellern aus
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen wirklich geht.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sagen Sie es uns einmal!)


Es geht ihnen darum, weniger Geld für die ostdeutschen
Krankenkassen zu bezahlen. Das ist die Gerechtigkeit,
von der Sie reden. Dass Sie, Herr Fink, sich gleichzeitig
hier hinstellen und eine höhere Vergütung von Ärzten im
Osten fordern, wodurch die Ausgaben stiegen, zeigt, wie
unseriös Ihre Gesundheitspolitik in Wirklichkeit ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Heinrich Fink [PDS]: Sie habe ich bei der Gesundheitspolitik noch nie gesehen!)


– Sie haben mich dort noch nicht gesehen, Herr Fink? Das
liegt daran, dass ich im Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie bin. Deswegen möchte ich gerne schwer-
punktmäßig einige ökonomische Aspekte in das Thema,
das wir heute hier miteinander diskutieren, einführen.

Ich möchte vorwegschicken: Ich glaube genauso we-
nig wie Frau Ministerin Schmidt, dass die Antragsteller
Hessen, Baden-Württemberg und Bayern mit ihrer Klage
beim Bundesverfassungsgericht Erfolg haben werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann brauchen Sie ja keine Angst zu haben! – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wir haben doch gar keine Angst!)


Es wäre auch, gesetzt den Fall, die drei Bundesländer hät-
ten Erfolg, ein wahrer Scheinsieg für die Bürgerinnen und
Bürger in beiden Teilen Deutschlands. Vordergründig
meint man ja, in populistischer Weise die Interessen der
bayerischen Beitragszahler zu vertreten, indem man be-
hauptet, sie von vermeintlich unberechtigten Lasten zu
befreien. In Wirklichkeit aber würde diese Politik mit
dazu beitragen, die ökonomische Schieflage zwischen Ost
und West weiter zu verstärken, anstatt sie zu reduzieren,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


und damit in wesentlich höherem Umfang und in einem
weit größeren Zeithorizont Transferzahlungen von West
nach Ost auslösen.

Ein Erfolg Stoibers in dieser Angelegenheit hätte
zwangsläufig höhere Sozialversicherungsbeiträge in den
neuen Bundesländern zur Folge. Experten schätzen, dass in
Einzelfällen Krankenversicherungsbeiträge bis zu 20 Pro-
zent realistisch wären. Lesen Sie einmal das, was der
Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Herr
Ringstorff, dazu sagt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil der wirklich nicht rechnen kann!)





Dr. Hansjörg Schäfer

21925


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir müssen mit einem sofortigen Anstieg um einen Vier-
tel Prozentpunkt und perspektivisch kurzfristig mit um
1,5 Prozentpunkte höheren Krankenversicherungsbeiträ-
gen rechnen.

Ich frage Sie: Wie sollen die nach wie vor mit Schul-
den belasteten und mit objektiv schlechterer Beitrags-
kraft ausgestatteten ostdeutschen Krankenkassen so in
einen fairen Wettbewerb mit anderen Kassen eintreten
können? Eine Spreizung der Beitragssätze würde im Ge-
genteil das Abwandern von ostdeutschen Beitragszahlern
verstärken und die Krankenkassen erneut unter Beitrags-
druck setzen.

Funktionierender Wettbewerb setzt faire Ausgangsbe-
dingungen auch für die ostdeutschen Krankenkassen vo-
raus. Aber das ist aus meiner Sicht noch nicht einmal das
größte ökonomische Problem.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein, das seid ihr! – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das ist Ihre miserable Wirtschaftspolitik!)


Höhere Krankenkassenbeiträge in den neuen Bundeslän-
dern, wie Sie sie durch den Antrag beim Bundesverfas-
sungsgericht herbeiklagen wollen, wären eine unerträgli-
che zusätzliche Belastung für die ostdeutsche Ökonomie
insgesamt.


(Beifall bei der SPD)

Wer den Risikostrukturausgleich aushebeln will, wie

Bayern,

(Zuruf von der SPD: Unerhört! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Unerhört, so etwas zu behaupten!)


darf den Menschen nicht verschweigen, dass dies mit
steigenden Lohnnebenkosten einhergeht. Niedrigere
Nettolöhne für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und damit eine niedrigere Konsumkraft sind die Folge.
Das bekäme die ostdeutsche Wirtschaft, der ostdeutsche
örtliche Handwerker und der Einzelhandel, zu spüren,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Man merkt, dass Sie nicht im Gesundheitsausschuss sind! Sie wissen gar nicht, worüber Sie reden!)


die keine Verschlechterung ihrer ökonomischen Rahmen-
bedingungen mehr verträgt.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Wenn Sie nicht wissen, wie die ökonomische Situation in
den neuen Bundesländern ist, dann gehen Sie hin und
schauen Sie sie sich an.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wer ist denn für Ihre Wirtschaftspolitik verantwortlich? Ihre Pfeifen!)


Höhere Sozialabgaben bedeuten auch Standortnach-
teile für die Unternehmen und damit sinkende Investitio-
nen in den neuen Bundesländern. Da nützt es nichts, wenn
Sie hier pöbeln und schreien. Sie werden mit Ihrer Politik
dazu beitragen, dass sich die Angleichung der Lebensbe-

dingungen in den neuen Ländern weiter verzögert. Das
wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Gibt es die Unternehmen noch, die Sie beraten?)


Wer die rasche Angleichung der Lebensverhältnisse
möchte, kann das, was Bayern vorschlägt, nicht wollen
– dies gilt im Übrigen auch für die Bayern selbst –; denn
ein strukturell gestörter Einigungsprozess hat doch auch
längere und zudem höhere Transfers von West nach Ost
zur Konsequenz. Es ist volkswirtschaftliches Einmaleins,
dass diese Transfers deutlich höher zu beziffern wären als
die Mittel, die man auf unsolidarische Weise vermeintlich
einzusparen hofft.

Diese Forderung mag bei manchen Wählern in den
westlichen Ländern populär sein, weil damit Vorurteile
bedient werden können. Aber mit diesen Vorurteilen wer-
den Sie nicht durchkommen. Ich glaube, die Menschen in
Ostdeutschland haben erkannt,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Dass sie von euch verraten sind! Da haben Sie Recht!)


nicht nur an diesem Beispiel des Risikostrukturaus-
gleichs, sondern auch am Beispiel des Länderfinanzaus-
gleichs oder des Umsatzsteuerausgleichs, dass Stoiber nur
Partikularinteressen Bayerns vertritt, aber nicht Politik für
ganz Deutschland macht.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin, nicht nur aus sozial- und gesundheitspoliti-

schen, sondern auch aus wirtschaftspolitischen Gründen,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Von dem Ersten haben Sie keine Ahnung!)


froh über die klare Haltung der Bundesregierung in dieser
Frage. Wir brauchen Mechanismen, die unterschiedliche
Risiken und Ausgangslagen bei den Krankenkassen in
den Ländern berücksichtigen. Wer dies infrage stellt,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, wer macht denn das? Außer Ihnen macht das doch niemand!)


fügt den Ländern Schaden zu, die unter höherer Arbeits-
losigkeit, geringerer Wirtschaftskraft und unterdurch-
schnittlichen Löhnen und Gehältern leiden.

Wenn es Herrn Stoiber mit dem Prozess der deutschen
Einigung ernst ist, dann sollte er die Klage gegen den Ri-
sikostrukturausgleich zurückziehen. Das wäre ein Zei-
chen, dass es ihm nicht allein um kurzfristige Regional-
interessen und um die Lufthoheit in weißblauen
Bierzelten, sondern um unser ganzes Land geht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422110000
Die Aktuelle Stunde
ist damit beendet.




Thomas Sauer
21926


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht über die Lebenssituation junger Men-
schen und die Leistungen der Kinder- und Ju-
gendhilfe in Deutschland – Elfter Kinder- und
Jugendbericht – mit der Stellungnahme der
Bundesregierung
– Drucksache 14/8181 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Christine Bergmann.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!
Die K-Frage dieser Regierung war von Anfang an die
Kinderfrage:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie können wir Kinder in der Gesellschaft und das Zu-
sammenleben mit Kindern in den Familien besser för-
dern? Das ist die entscheidende K-Frage, um die es ei-
gentlich in der Gesellschaft gehen muss.

Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode klare Aus-
sagen hierzu gemacht und wir haben alle Versprechungen
eingelöst. Ich will ein paar Punkte nennen: Wir haben die
Familien wirtschaftlich gestärkt. Ich will nicht alle Ein-
zelheiten nennen, aber erwähnen, dass die Familienleis-
tungen in dieser Legislaturperiode um 11 Milliarden Euro
angehoben wurden. Das kann sich wahrlich sehen lassen
und ist ein großer Fortschritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben zweitens die Rahmenbedingungen zur Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf beträchtlich verbes-
sert. Denken Sie an die Regelungen zur Elternzeit und zu
dem Teilzeitanspruch! Wir haben diese, meine Damen
und Herren von der rechten Seite dieses Hauses, gegen
Ihren Willen durchgesetzt. Sie haben damals nicht zuge-
stimmt.

Wir haben drittens die Rechte der Kinder in unserer
Gesellschaft gestärkt. Ich nenne in diesem Zusammen-
hang das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Auch dieses

Gesetz wurde gegen den Widerstand vonseiten der
CDU/CSU verabschiedet. Herr Haupt, Sie waren auf un-
serer Seite. Ich erwähne dies, damit Sie mich nicht wieder
kritisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen sagen – Sie haben das vielleicht ver-
folgt –: Wir haben bereits Ergebnisse einer wissenschaft-
lichen Begleituntersuchung vorliegen. Die Begleitkampa-
gne für dieses Gesetz, an der sich viele beteiligt haben,
wofür ich sehr dankbar bin, war sehr erfolgreich. Wir ha-
ben es geschafft, das Klima in der Gesellschaft zu verbes-
sern. Wir werden auch weiterhin daran arbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Familien in diesem Land wissen – das zeigen alle
Umfragen –, dass ihre Interessen bei dieser Regierung gut
aufgehoben sind; denn unsere Familienpolitik orientiert
sich an der Vielfalt der Familienformen und an den Le-
benswünschen der Menschen. Wir wollen den Menschen
nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Wir wollen sie
in ihrem Vorhaben, nach eigenen Wünschen zu leben, un-
terstützen.

Der vorliegende Elfte Kinder- und Jugendbericht steht
unter dem Leitmotiv „Aufwachsen in öffentlicher Verant-
wortung“. Die Sachverständigenkommission fordert ei-
nen Perspektivwechsel. Sie stellt den Ausbau der sozia-
len Infrastruktur für junge Menschen und ihre Familien in
den Mittelpunkt. Eine familienfreundliche Gestaltung der
Arbeitswelt und eine bedarfsgerechte soziale Infrastruk-
tur sollen Vorrang haben vor dem weiteren Ausbau indi-
vidueller finanzieller Transferleistungen. So sagt es auch
die Sachverständigenkommission. Wir können uns diesen
Prioritäten nur anschließen.

Alle, die offenen Auges durch die Welt laufen, wissen,
was der Bericht fundiert analysiert: Das Aufwachsen von
Kindern und Jugendlichen hat sich grundlegend geändert.
Deswegen ist ein neues Ineinandergreifen von privater
und öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen von
Kindern notwendig. Eines ist aber klar: Die Familie ist
und bleibt für die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen
der zentrale Ort des Aufwachsens. Wir müssen zur Kennt-
nis nehmen, dass neben der Familie auch öffentliche Ein-
richtungen wie Kita, Schule und Jugendeinrichtungen,
aber natürlich auch die Medien, die Peer-Groups, neue In-
formations- und Kommunikationstechnologien das Auf-
wachsen der Kinder immer stärker beeinflussen.

Was heißt nun öffentliche Verantwortung für das Auf-
wachsen von Kindern? An dieser Stelle lohnt ein genaues
Studium des Elften Kinder- und Jugendberichts, auch für
die Damen und Herren von der Union. Ich denke, dass Sie
lesen gelernt haben. Sie gehören ja noch der Vor-PISA-
Generation an.


(Heiterkeit bei der SPD)

Lesen fördert bekanntlich die Erkenntnis. Hier wird kei-
neswegs einer Verstaatlichung der Erziehung das Wort ge-
redet, was Sie uns immer so gerne in die Schuhe schieben
wollen. Das Gegenteil ist zutreffend.




Vizepräsidentin Petra Bläss

21927


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Kommission fordert die Stärkung elterlicher Kompe-
tenz durch ein neues Ineinandergreifen von privater und
öffentlicher Verantwortung, durch Verbesserung der
sozialen Infrastruktur. Hier liegen wir auf der gleichen
Linie. Wir haben in dieser Legislaturperiode politisch be-
reits gehandelt und wir werden auch weiter handeln. Die
nächsten Schritte werden sein: Kinderbetreuungseinrich-
tungen qualitativ und quantitativ auszubauen,


(Ina Lenke [FDP]: Das machen Sie doch gerade nicht! Sie geben doch kein Geld dafür!)


die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu ver-
bessern, die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe auf der
Höhe der Zeit zu halten und die Integration von Kindern
mit schlechten Startbedingungen und mit Migrationshin-
tergrund zu verbessern. Das stärkt Kinder und Jugendli-
che und entlastet auch die Familien. In dieser Frage sind
wir auf einem sehr guten Weg, Frau Lenke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun ist ja PISA in aller Munde. Es ist ja schon fast so,
dass mit „Pisa“ nicht mehr die Stadt mit dem schiefen
Turm verbunden wird, sondern Fragen der Lesekompe-
tenz. Aber eines hat unser Thema mit dem schiefen Turm
gemein: Er ist ja so schief, weil die Fundamente nicht
stimmen. Da musste man nachbessern. Wenn wir uns die
Studie durchlesen, kommen wir auch zu der Erkenntnis,
dass die Fundamente schwach sind, dass es nämlich bei
der frühkindlichen Bildung und im Grundschulbereich
fehlt. Das hat übrigens auch das „Forum Bildung“ in sei-
nen Empfehlungen, die schon vor der PISA-Studie he-
rausgekommen sind, sehr nachdrücklich gefordert. Man
findet diese Empfehlung, sich in Bezug auf die Bildung
auf den vorschulischen und frühkindlichen Bereich zu
konzentrieren, ferner in dem Sachverständigenbericht,
der uns bereits im Sommer des letzten Jahres auf den
Tisch gelegt wurde.

Das bedeutet, dass wir den Bildungsauftrag unserer
Kindertagesstätten sehr viel ernster nehmen müssen.
Wir müssen Kinder dort auch kindgerecht auf das Lernen
vorbereiten; denn hier wird der Grundstein für spätere
Bildungs- und Lebenschancen gelegt. Das hat sehr weit-
reichende Konsequenzen, da das auch heißt, dass wir uns
sehr viel mehr mit der Ausbildung von Erzieherinnen und
Erziehern auseinander setzen müssen. Sie sollen diesen
Auftrag, der hier klar formuliert wird und den wir unter-
stützen, auch wirklich wahrnehmen können.

Wenn wir den Begriff der öffentlichen Verantwor-
tung für die Kinder und die Familien ernst nehmen, lau-
tet die Aufgabe, ein flächendeckendes und bedarfsgerech-
tes Angebot an Kindertageseinrichtungen im Westen zu
schaffen und im Osten zu erhalten.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, Sie sagen das und geben kein Geld!)


Nun wissen wir, Frau Lenke: Das fällt in erster Linie in
den Zuständigkeitsbereich der Länder und Kommunen.
Es ist aber nötig, dass man das immer wieder sagt. Sie
wissen, dass wir mit dem Zweiten Familienfördergesetz
den Ländern zwei Milliarden ihres Anteils bei der Finan-

zierung des Kindergeldes erlassen haben. Diese Mittel
konnten für solche Zwecke verwendet werden.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Ich denke, vor dem Hintergrund der großen Bedeutung
des Themas sind in Zukunft auch gemeinsame Anstren-
gungen aller staatlichen Ebenen – das sage ich ganz be-
wusst – wie auch der Wirtschaft erforderlich. Sie darf sich
gern daran beteiligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was eine gute Kinderbetreuungseinrichtung wert ist,
wissen junge Eltern genau. Kinder müssen gut aufgeho-
ben sein und gefördert werden, wenn die Eltern einer Er-
werbsarbeit nachgehen wollen. Damit verbessert man ja
das Familieneinkommen. Hier sind wir bei dem zweiten
großen Punkt, der auch in dem Bericht angesprochen
wird: Ein eigenes Einkommen – das ist eine Binsenweis-
heit – senkt das Armutsrisiko für Familien. Es sind in dem
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der
Ihnen ja schon vor einiger Zeit auf den Tisch gelegt
wurde, klar die Zusammenhänge festgestellt worden, dass
es dann, wenn Familien ihr Einkommen nicht selber er-
wirtschaften können, finanziell eng wird. Das kann man
durch Transfers gar nicht ausgleichen. Deswegen ist die
Schaffung eines Kinderbetreuungsangebotes auch so
wichtig.

Auch für uns haben der Ausbau der Infrastruktur für
Familien und zielgenaue Hilfen für Familien, mit denen
wir sie aus der Armut herausbekommen, Vorrang vor
Leistungen, die mit der Gießkanne verteilt werden – und
das noch nicht einmal sozial gerecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das haben Sie ja, meine Damen und Herren von der
Union, mit Ihrem Familiengeld im Auge. Ich weiß aller-
dings gar nicht, ob in der Union überhaupt noch über das
Familiengeld geredet wird.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Ja, eben! Das ist im bayerischen Sumpf versackt!)


Um das Familiengeld ist es ziemlich still geworden. Pro-
minente Stimmen sagen ja auch: Die 30 Milliarden sind
vielleicht doch nicht ohne weiteres zu finanzieren. Andere
reden von einem Zukunftsprojekt – wann auch immer
diese Zukunft eintreten soll. Ganz interessant ist, was
Jürgen Borchert – er ist Ihnen ja bekannt;


(Zuruf von der SPD: Der schreibt jetzt für Koch!)


das ist der Sozialrichter, der jetzt für Ministerpräsident
Koch in Hessen arbeitet – sagt. Er bezeichnet in seinem
„Wiesbadener Entwurf“ das Familiengeld als „Irrweg“.
Ich zitiere wörtlich:

Dass sich die Union auf die Forderung nach einem
Familiengeld festlegen will, beweist, dass sie aus ih-
rer ... unrühmlichen familienpolitischen Vergangen-
heit offenbar nicht lernen will.




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
21928


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Im Elften Kinder- und Jugendbericht wird betont, wie

wichtig gleiche Chancen hinsichtlich des Zugangs zu den
sozialen, ökonomischen und kulturellen Ressourcen unse-
rer Gesellschaft sind. Hier hat unsere Jugendpolitik eine
gute Bilanz aufzuweisen. Zur Bekämpfung der Jugend-
arbeitslosigkeit haben wir – Sie wollen das alles ja nicht
wahrnehmen – das JUMP-Programm eingeführt, in den
neuen Ländern Ausbildungsplätze geschaffen, eine
Bildungsoffensive gestartet und eine BAföG-Reform
durchgeführt. Wir tun hier also alles dafür, dass alle Ju-
gendlichen – da nehme ich gern die Empfehlung der Kom-
mission auf – die Chance haben, einen Schulabschluss zu
machen und eine Berufsausbildung zu absolvieren, und
dass Jugendliche – das nehmen wir sehr ernst –, die die
erste Chance nicht gepackt haben, eine zweite Chance
bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von
Kindern heißt aber auch, sich die Frage zu stellen, wie bei
Kindern und Jugendlichen Werte wie Solidarität – wir
haben gerade darüber diskutiert; Sie könnten einiges dazu
beitragen –, Gerechtigkeit und soziale Kompetenz ge-
weckt und nachhaltig verankert werden können. Also, wer
lehrt sie Einfühlungsvermögen und Mitgefühl? Wer ver-
mittelt Zivilcourage und das Gefühl für soziale Verant-
wortung, den Willen zur Mitgestaltung? Das sind ja nicht
automatisch nachwachsende Rohstoffe. Wir müssen dafür
sorgen, dass diese Werte bzw. diese Orientierungen ver-
mittelt werden. Natürlich sind in erster Linie die Familien
dafür zuständig; aber nicht nur die Familien, sondern auch
die gesellschaftlichen Institutionen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar Worte
zur Arbeit in den 75 000 Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe in Deutschland sagen – das ist mir sehr wich-
tig –: Wer über Erziehung und Bildung spricht, darf die-
sen außerschulischen Bereich nicht vergessen. Denn diese
Einrichtungen leisten einen unabdingbaren Beitrag zur
Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen
und unterstützen Eltern dabei, ihrem Erziehungsauftrag
besser gerecht zu werden. Allen, die dort täglich haupt-
oder ehrenamtlich arbeiten, möchte ich an dieser Stelle
einmal herzlich Danke sagen.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Die Leistungen, die im Kinder- und Jugendhilfegesetz

angeboten werden, haben sich bewährt. Offenbar aber
– jetzt komme ich zum Thema Solidarität – sieht das die
bayerische Landesregierung nicht so.


(Zuruf von der SPD: Schon wieder?)

– Ja, schon wieder. – Morgen wird im Bundesrat von Bay-
ern und dem Saarland ein Antrag eingebracht, der vor-
sieht, Leistungen gemäß dem KJHG zu kürzen


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört! – Das ist ja nicht zu fassen!)


– ja, auch ich habe mich erschreckt –, und zwar Leistun-
gen für seelisch behinderte Jugendliche und Leistungen
für junge Volljährige, also für diejenigen, die älter als 18
sind, aber eigentlich Anspruch auf Leistungen gemäß dem
Kinder- und Jugendhilfegesetz hätten. Ich habe diesen
Antrag vorhin auf den Tisch bekommen.

Wie ist das hier eigentlich mit der Solidarität? Hier
geht es um die Solidarität mit den Schwächeren in der Ge-
sellschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das heißt, Bayern will sich hier ein Stück aus der öffent-
lichen Mitverantwortung zurückziehen. Das ist die reale
Politik, die sich hinter den schönen Worten aus Bayern
verbirgt.

Nun möchte ich zum Schluss ein Thema ansprechen,
das mir besonders am Herzen liegt. Das ist die Teilhabe
von Jugendlichen an unserer Demokratie. Kinder und
Jugendliche, die sich einbringen und mitbestimmen kön-
nen, machen die elementare Erfahrung, dass sie wichtig
sind und dass sie ihre Lebenswelt selbst mitgestalten kön-
nen. Ich glaube, dass es hinsichtlich der Demokratie über-
haupt kein besseres Lernprogramm geben kann, als diese
Erfahrung zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Aber das ist, wie wir wissen, noch nicht überall selbst-
verständlich. Um dieser Beteiligung neue Impulse zu
geben, haben wir die „Bundesinitiative Beteiligungs-
bewegung“ gestartet, an der sich die Länder und viele
Jugendverbände beteiligen. Das Motto ist: „Ich mache
Politik.“ Wir werden zum Abschluss dieser Kampagne in
Berlin Mitte März drei Politiktage durchführen, zu denen
wir ungefähr 5 000 Jugendliche erwarten. Ich bedanke
mich bei allen Abgeordneten über die Fraktionen hinweg,
die ihre Bereitschaft erklärt haben, hier mitzumachen. Es
ist ein gutes Signal an die Jugendlichen, dass die Abge-
ordneten in Workshops mitarbeiten und in Foren mitdis-
kutieren.

Ich bin sicher, dass dieser Bericht, durch den wir uns in
unserer Arbeit sehr bestätigt fühlen – wir wissen auch,
dass wir noch einiges zu tun haben; aber das werden wir
in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen –, neue Ent-
wicklungen auf allen Ebenen anstoßen wird. Ich möchte
den Sachverständigen für ihre sehr fundierte Arbeit herz-
lich danken.

Zum Schluss darf ich nur noch sagen: Auf uns können
sich Kinder, Jugendliche und Familien in Deutschland
weiterhin verlassen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422110100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Maria Eichhorn.




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

21929


(C)



(D)



(A)



(B)



Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1422110200
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Zehnte Kin-
der- und Jugendbericht, den unsere frühere Bundes-
jugendministerin Claudia Nolte vorgelegt hatte, enthielt
viele Vorschläge, wie die Situation von Kindern und Ju-
gendlichen verbessert werden kann. Dieser Bericht war
eine gute Grundlage zur Weiterentwicklung der Kinder-,
Jugend- und Familienpolitik. Die jetzige Regierungsko-
alition aus SPD und Grünen hat es jedoch verpasst, diese
Vorschläge aufzugreifen.

Ich erinnere mich sehr gut an die Diskussion zum
Zehnten Bericht Anfang September 1998, als für Sie, die
Sie damals in der Opposition waren, aus wahltaktischen
Gründen nur ein Thema im Vordergrund stand, nämlich
die Kinderarmut. Sie hatten jetzt vier Jahre Zeit, um das,
was Sie damals beklagt haben, zu ändern. Aber die jüngs-
ten statistischen Zahlen zeigen: Kinderarmut ist nicht ge-
ringer geworden. Es gibt nach wie vor 1 Million sozial-
hilfebedürftige Kinder in Deutschland. Das ist die
Wahrheit.


(Zuruf von der SPD: Da haben Sie behauptet, die seien nicht arm!)


Ich sage Ihnen, dass die Kinderarmut leider auch in
diesem Jahr zunehmen wird. Die sozialen und wirtschaft-
lichen Bedingungen für Kinder von Alleinerziehenden
und Familien mit mehr als drei Kindern haben sich er-
heblich verschlechtert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Durch die Steuerbeschlüsse haben Sie die Alleinerzie-
henden benachteiligt.


(Zuruf von der SPD: Das ist nicht wahr!)

Ihre am Dienstag angekündigten so genannten Nachbes-
serungen ändern daran nichts. Sie wollen damit nur die
Alleinerziehenden vor der Wahl besänftigen. Aber nach
der Wahl trifft die Alleinerziehenden trotz Änderung die
volle Härte. Familien mit mehreren Kindern haben Sie bei
der Kindergelderhöhung ganz vergessen. Aber vielleicht
gibt es in der Verwandtschaft des Kanzlers noch eine kin-
derreiche Familie, die vor das Bundesverfassungsgericht
zieht, um eine Änderung zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre mal was!)


Der Elfte Kinder- und Jugendbericht bestätigt deutlich
den Zusammenhang zwischen den Chancen von Kindern
und deren Lebensumfeld.


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Wie viele Bundesverfassungsgerichtsurteile haben wir denn zu erfüllen, die auf Ihrem Mist gewachsen sind?)


Die dort beschriebene Situation der Kinder- und Jugend-
hilfe in Deutschland zeigt, dass die Familien und die Kin-
der, die bereits von der Sozialhilfe leben, von Ihnen mit
Ihrer verfehlten Familien- und Steuerpolitik in erhebli-
chem Maße belastet werden.


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Was?)


Schlimmer noch: Alleinerziehende und kinderreiche Fa-
milien haben Sie von einer weitergehenden Förderung
ausgeschlossen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist das Allerschlimmste!)


In § 1Abs. 2 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes steht
– ich zitiere –:

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche
Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende
Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche
Gemeinschaft.

Kinder- und Jugendhilfe kann nur dann eingreifen, wenn
die Eltern bei der Erreichung dieser Ziele Unterstützung
benötigen. Mit der Erziehung ihrer Kinder leisten Eltern
einen vielfach unterschätzten Beitrag für das Zusammen-
leben in der Gesellschaft. Dies verkennt der von Ihnen
vorgelegte Bericht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ganz genau!)


Es gilt, die Eltern in ihrem Erziehungsauftrag und in
ihrer großen Verantwortung zu unterstützen und zu ermu-
tigen.


(Zuruf von der SPD: Ja, worüber reden wir denn hier?)


Wir wollen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen
verbessern. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört aber
weit mehr als Kinder- und Jugendhilfe. Erziehungsver-
antwortung in unserer Gesellschaft erfordert Menschen,
die Zeit, Liebe, Ausdauer und Geduld für die junge he-
ranwachsende Generation haben


(Zuruf von der SPD: Ja, das haben wir in Ihren 16 Jahren alles gelernt!)


und diesen jungen Menschen zu einem gesunden Selbst-
wertgefühl verhelfen.

Ziele einer solchen kompetenten Erziehung sind
Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Soziale
Werte und kommunikative Fähigkeiten machen aus Kin-
dern und Jugendlichen verantwortungsbewusste und
mündige Bürger. Eigenverantwortung meint, dass der
junge Mensch am Ende seines Heranwachsens in der
Lage sein soll, selbst für seine eigenen Bedürfnisse aufzu-
kommen. Er muss sich selbst und der Gesellschaft gegen-
über für seine Handlungen und Entscheidungen einstehen
können. Dabei müssen wir Kinder und Jugendliche unter-
stützen.

Sie sollen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln
und ihren Platz innerhalb des Rechts- und Wertesystems
finden. Zu diesen – für manche oft schwer erreichbaren –
Erziehungszielen können Kinder und Jugendliche nur hin-
geführt werden, wenn wir ihre Eltern, sie selbst und die sie
umgebende Umwelt stark machen. Die Lösungsansätze
zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern bleiben
bei SPD und Grünen jedoch oberflächlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir fordern eine Verbesserung der Kooperation zwischen
dem Elternhaus und den Einrichtungen, die an der Erzie-






(C)



(D)



(A)



(B)


hung der Kinder beteiligt sind. Die Zusammenarbeit von
Ehe-, Familien- und Erziehungsberatungsstellen ist abso-
lut notwendig und förderungswürdig.

Die Frage, wie man Kinder, Jugendliche und Eltern er-
reichen kann, die die Hilfsangebote des SGBVIII nicht in
Anspruch nehmen, bleibt in dem Bericht völlig unbeant-
wortet. Hier müssen neue Wege der Vermittlung und In-
formation eingeschlagen werden. Präventive Maßnahmen
sind für eine zielgerichtete und sinnvolle Kinder- und Ju-
gendhilfe absolut notwendig. Entscheidend für den Zu-
gang und die Inanspruchnahme von Leistungen der Kin-
der- und Jugendhilfe sind Niederschwelligkeit, gute
Erreichbarkeit, Vertrauen zu den Bildungs- und Bera-
tungseinrichtungen sowie ausreichende Angebote zur Be-
treuung von Kindern und Jugendlichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Da haben die Bayern ja offensichtlich Nachholbedarf!)


Die Eltern haben zu gewährleisten, dass der Anspruch
des Kindes auf Erziehung erfüllt wird. Andere Erzie-
hungsträger und auch der Gesetzgeber leiten ihre Befug-
nisse und Verpflichtungen bei der Erziehung der Kinder
nur vom Erziehungsauftrag der Eltern ab. Deshalb sind
wir den Eltern und den Kindern gegenüber verpflichtet,
Erziehungsauftrag und -anspruch zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das wird oft allzu schnell vergessen und oft auch anders
interpretiert.

Zum Erziehungsauftrag der Eltern kommt der staatliche
Erziehungsauftrag der Schulen hinzu. Deshalb hat vor
der öffentlichen Jugendhilfe die Schule die größte Bedeu-
tung für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.

Die für das deutsche Schulwesen erschreckenden Er-
gebnisse der PISA-Studie haben Lehrer, Eltern, Bildungs-
politiker und die gesamte Öffentlichkeit wachgerüttelt.


(Zuruf von der SPD: Sie haben sich jahrzehntelang gegen Ganztagsschulen gestellt!)


Der Elfte Kinder- und Jugendbericht verkennt die
Chance, die Kinder- und Jugendhilfe als Ergänzung der
elterlichen und der schulischen Erziehung zu nutzen. Dies
wäre jedoch in Auswertung der PISA-Studie und für einen
neuen Aufbruch in der Bildungspolitik von entscheiden-
dem Interesse gewesen. Es muss eine neue Diskussion um
den Bildungs- und Erziehungsbegriff einsetzen, an dem
sich Schulen und Erziehungsträger ausrichten sollen.
Wertorientierte Persönlichkeitsbildung darf nicht mit
spaßbetonter Selbstverwirklichung verwechselt werden.
Zu erlernende Kompetenzen und tatsächliche Leistungen
müssen an die Alltagsbewältigung gebunden sein.

Frau Ministerin, Sie haben vorhin die Bildungspolitik
angeführt. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, dass ich in die
Länder schaue. Dabei stelle ich fest, dass die Ergebnisse
in der Bildungspolitik gerade in den von Ihnen regierten
Ländern am schlechtesten sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rolf Stöckel [SPD]: Da werden wir mal genau hinschauen, wenn die PISA-Länderstudie kommt!)


Ihre jugendpolitische Bilanz ist äußerst kläglich.
Auch Erziehungsratschläge der Kanzlergattin reichen

nicht aus, um den Auftrag der Jugendhilfe und den Bil-
dungsauftrag der Schulen in Deutschland zu erfüllen.


(Rolf Stöckel [SPD]: Frau Stoiber hat ja auch nichts zu sagen!)


Jugendhilfe darf nicht isoliert von anderen Politikberei-
chen gesehen und betrieben werden. Die Verbesserung
der Lebensverhältnisse von Kindern, Jugendlichen und
Familien ist eine Aufgabe, die uns alle angeht. Dieses Ziel
muss übergreifend und kooperativ angegangen und be-
wältigt werden.

Diesem Ziel und diesem gesellschaftlichen Auftrag
entspricht die familienpolitische Offensive der CDU/CSU
„Faire Politik für Familien“. Die heutigen und von Rot-
Grün zu verantwortenden Rahmenbedingungen für Fami-
lien werden der Situation von Kindern und Familien nicht
gerecht. Was wir brauchen, ist ein gesellschaftlicher Auf-
bruch in Richtung auf einen fairen Umgang mit unseren
Familien. Es geht um die Verbesserung der Strukturen so-
wie um eine gerechte und verlässliche finanzielle Förde-
rung von Familien.

Deshalb setzt die CDU/CSU auf ein familienpoliti-
sches Gesamtkonzept, das die Situation der Familien um-
fassend verbessert. Dazu gehört einmal die finanzielle
Gerechtigkeit für Familien; gleichwertig gehören dazu
die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit ei-
nem bedarfsgerechten Angebot an Kinderbetreuung so-
wie die Stärkung der Elternkompetenz. Das Familiengeld
ist ein neues zukunftorientiertes Konzept, das eine nach-
haltige Familienförderung im Auge hat und das über das
bisherige Kinder- und Erziehungsgeld deutlich hinausge-
hen wird, um die Kinder endlich aus der Sozialhilfe zu
holen.


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Was heißt denn endlich? Frau Eichhorn, Sie haben 16 Jahre lang regiert! )


– Es ist ja schön, dass Sie sich so aufregen. Das heißt, Sie
alle fühlen sich getroffen. So soll es auch sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben 1 Million Kinder in der Sozialhilfe.

Das Familiengeld erkennt die Leistungen der Familie
für die Gesellschaft an, baut finanzielle Benachteiligun-
gen von Familien ab, verbessert die Förderung junger Fa-
milien und ist gerecht, weil alle Kinder gleich behandelt
werden.


(Zuruf von der SPD: Das hat das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben!)


– Ja, das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass alle
Kinder gerecht behandelt werden müssen. Was haben Sie
getan? – Sie haben Dritt- und Viertkinder beim Kinder-
geld überhaupt nicht berücksichtigt und die Alleinerzie-
henden benachteiligt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Maria Eichhorn

21931


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Alleinerziehenden finanzieren das Kindergeld. Das
ist Ihre „gerechte“ Politik.

Mit unserer Initiative „Elternkompetenz stärken“ soll
die Erziehungskompetenz der Eltern verbessert und da-
durch die Entwicklung von Kindern unterstützt werden.

Frau Ministerin, ich nenne nur ein Beispiel, wie die Ju-
gendhilfe in Bayern aussieht und wie mit ihr in die Zu-
kunft investiert wird: Im Bereich der berufsbezogenen Ju-
gendhilfe haben wir mit 5 Millionen Euro aus dem
Jugendhilfeetat und 1,1 Millionen Euro aus dem Arbeits-
marktfonds circa 80 Einrichtungen der berufsbezogenen
Jugendhilfe gefördert und können damit auch die Kom-
munen ein Stück weit entlasten. Das ist die Wahrheit, Frau
Ministerin. Diese Maßnahmen zielen auf die soziale und
berufliche Integration junger Menschen sowie auf deren
persönliche Stabilisierung. Solche Schlußfolgerungen
und eine konkrete Politik – das vermissen wir in Ihrem
Bericht.

Johann Wolfgang von Goethe sagte:
Das Schicksal eines jeden Volkes und jeder Zeit
hängt von den Menschen unter 25 Jahren ab.

Fordern Sie, meine Damen und Herren von der Regie-
rungskoalition, das Schicksal nicht heraus. Unsere Jugend
hat eine bessere Politik verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422110300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422110400
Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Eichhorn, es wundert mich sehr, dass ausgerechnet
Sie mit dem Zehnten Kinder- und Jugendbericht anfan-
gen. Soweit ich mich erinnern kann, hat die Debatte über
den Zehnten Kinder- und Jugendbericht hier im Plenum
im Frühjahr 1999 stattgefunden, weil Sie sich 1998 ge-
weigert haben, die Ergebnisse überhaupt öffentlich be-
kanntzugeben und darüber im Plenum zu debattieren so-
wie zu den Ergebnissen zu stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Im September 1998 im Ausschuss! Da waren Sie noch gar nicht dabei! )


Ein Ergebnis war die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts, die die Situation der Alleinerziehenden
nicht gerade verbessert hat. Das war das Ergebnis Ihrer
verfehlten Politik und nicht dessen, was wir daraus haben
machen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Noch ein Wort zu Ihrem großartigen Modell für Fami-
lien: Sie versprechen das Blaue vom Himmel und zaubern
dann noch 30 Milliarden schwuppdiwupp aus irgendwel-
chen Schüttel-dich-Bäumchen her. Für mich gehört zur
Generationengerechtigkeit aber auch, dass wir keine

Haushaltspolitik auf Kosten unserer Kinder machen, in-
dem wir die Staatsverschuldung immer weiter erhöhen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das machen Sie mit Ihrer Politik mit der Ökosteuer und dergleichen! Ihre Politik geht zulasten der Zukunft, zulasten der Kinder und Jugendlichen!)


Einen Haushalt aufstellen heißt für mich: Prioritäten set-
zen im Sinne von Familien und Kindern und nicht zu ihren
Lasten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Ihre Rentenreform geht zulasten der Jugendlichen und der Kinder!)


Wir reden heute über den Elften Kinder- und Jugend-
bericht. Eines, was die Ministerin sehr richtig gesagt hat,


(Walter Hirche [FDP]: Nur eines?)

was bei Ihnen aber nicht angekommen ist, kann man nicht
oft genug wiederholen: Die Lebensformen von Kindern
und Jugendlichen in Deutschland haben sich verändert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Weil Sie nichts tun!)


Wir haben heute eine Vielfalt von Lebensformen, wir
haben Ein-Erzieher-Familien, wir haben klassische Ehe-
partnerschaften, wir haben Eltern, wir haben Alleiner-
ziehende, wir haben Patchwork-Familien, wir haben
nichteheliche Partnerschaften mit Kindern oder auch
gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Dann hätten Sie aber die Alleinerziehenden nicht benachteiligen dürfen, wenn Sie das wissen!)


Das ist bei Ihnen nicht angekommen. Wir halten nach wie
vor an der Definition fest: Für uns ist Familie dort, wo
Kinder sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann haben wir schon mal eine Gemeinsamkeit!)


Aber nicht nur die Familien haben sich verändert, auch
die Gesellschaft hat sich verändert. Die Anforderungen an
unsere Kinder und Jugendlichen sind gestiegen. Sie wach-
sen in einer immer komplizierteren und komplexeren
Welt auf. Sie müssen viel mehr Wissen aufnehmen und
verarbeiten. Sie müssen schon sehr früh folgenreiche Ent-
scheidungen treffen.


(Walter Hirche [FDP]: Das war schon in der Steinzeit so!)


Wir verlangen unseren Kindern in ihrer Sozialisation sehr
viel ab.

Unsere Kinder haben Chancen wie nie zuvor, sie wer-
den aber auch mit Risiken konfrontiert wie nie zuvor. Ge-
rade darauf muss eine Politik reagieren und eingehen. Sie
muss diese Entwicklungen erkennen und darauf reagie-
ren. Wenn wir hier über den Elften Kinder- und Jugend-
bericht sprechen, reden wir auch über eine grundlegende
Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Dieser Bericht




Maria Eichhorn
21932


(C)



(D)



(A)



(B)


erkennt die Maßnahmen der vergangenen drei Jahre an. Er
erkennt sie nicht nur an, sondern sagt: Weiter so in diesem
Bereich, weil all die Maßnahmen bei Kindern und Ju-
gendlichen angekommen sind. Das haben Sie bei Ihren
Studien wahrscheinlich überlesen.

Es steht noch etwas in diesem Bericht: Der Bericht lobt
die Institutionen und die Träger. Der Bericht lobt aus-
drücklich das Engagement, was er mit dem Anwachsen
öffentlicher Verantwortung umschreibt. Das, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Wir als Politiker müssen uns klar machen, welche Arbeit
in den Kommunen vor Ort und in den Ländern im Bereich
der Jugendhilfe geleistet wird. Wir als Politiker können
zum Teil nur zuschauen, aber wir sind als Politiker gefor-
dert, den Ländern und Kommunen die bestmöglichen
Rahmenbedingungen für ihre Arbeit zu bieten.


(Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin: Da müssen wir Bayern aber zurückschrauben!)


Die rot-grüne Koalition hat ihre Kompetenz in der
Zukunftsherausforderung auch an anderen Stellen unter
Beweis gestellt. Wir haben zahlreiche Initiativen und Pro-
gramme auf den Weg gebracht, von denen ich nur ein paar
aufzähle: das Programm „Chancen im Wandel“, das Pro-
gramm „Soziale Stadt“ oder auch „JUMP“, das Pro-
gramm gegen Jugendarbeitslosigkeit, für Ausbildung und
Erwerbstätigkeit von Jugendlichen.

Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen in Kraft
gesetzt, von der Kindergelderhöhung bis zur steuer-
lichen Entlastung von Familien. Sie haben gerade übri-
gens behauptet, das würde bei den Familien nicht ankom-
men. Ich sage Ihnen: Am Ende dieser Wahlperiode wird
eine durchschnittlich verdienende vierköpfige Familie um
1 500 Euro im Jahr entlastet, die Ökosteuer mit einkalku-
liert.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht! – Walter Hirche [FDP]: Die Rechnung möchte ich sehen!)


Auch das ist bei Ihnen noch nicht angekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus Haupt [FDP]: Das können Sie zehnmal behaupten! Die Leute werden das im Portemonnaie nachprüfen! Denen tränen jetzt schon die Augen!)


Wir haben auch eines getan, woran Sie noch nie ge-
dacht haben: Wir haben nicht nur gefragt, was gut für die
Eltern ist, sondern wir haben in den Mittelpunkt unserer
Politik die Frage gestellt: Was ist gut für die Kinder? Wir
haben die Kinder in den Mittelpunkt unserer Politik ge-
stellt und eine ganze Reihe von Kinderrechten verfasst:
das Recht auf gewaltfreie Erziehung, die Reform des Un-
terhaltsrechts, das Kinderrechteverbesserungsgesetz, um
nur ein paar Beispiele zu nennen. Inzwischen sind Kinder
in diesem Land nicht mehr Objekte der Politik und der
Gesetze, sondern sie haben eine deutliche Subjektstellung
in der Politik, in den Gesetzen und in den Rahmenbedin-
gungen.

Sie stehen im Mittelpunkt dieser Debatte und sollten auch
im Mittelpunkt Ihrer Debatte stehen, wenn Sie Kinderpo-
litik wirklich ernst nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Kennen Sie das Grundgesetz von Anfang an? Dann können Sie nicht sagen, dass das neu ist!)


– Ich kenne das Grundgesetz. Das brauchen Sie mir nicht
zu sagen.

Kommen wir zurück zu den Ergebnissen des Kinder-
und Jugendberichts. Was sagt uns der Kinder- und Ju-
gendbericht? Darin werden zwei Punkte festgestellt.

Erstens. In der Tat gibt es in diesem Land Armut, aber
auch Reichtum. Der jungen Generation geht es bessser als
mancher Generation zuvor. Sie stellen eine starke Kon-
sumkraft dar. Aber es gibt auch Armut und sie trifft vor al-
lem Kinder.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Die haben Sie nicht geringer gemacht!)


Genau an dieser Stelle wollen wir zupacken. Genau dafür
haben wir Grüne eine Kindergrundsicherung vorgeschla-
gen, mit der wir nicht nur Familien aus der Armutsfalle
herausholen, sondern auch Anreize zur Erwerbstätigkeit
bieten wollen. Wir wollen nicht, dass Menschen in die So-
zialhilfe hineinkommen, weil sie ein Kind bekommen.

Zweitens. Aus mehreren Gründen wird der Ausbau der
sozialen Infrastruktur für Kinder und Jugendliche gefor-
dert. Dazu gehört auch die Kinderbetreuung. Wir sind da-
bei, in der Koalition darüber zu verhandeln – übrigens
auch im Sinne der Alleinerziehenden –,


(Ina Lenke [FDP]: Ach Gott, am Ende der Legislaturperiode! Das ist ja lustig! Das haben Sie schon zu Anfang gesagt!)


dass die Kosten für Kinderbetreuung in Deutschland vom
ersten Euro und vom ersten Cent als Sonderausgabe ab-
gesetzt werden können, damit Kinderbetreuung – auch
durch Tagesmütter – für Familien finanzierbar bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Jetzt springen Sie noch schnell auf den Zug auf, bevor es zu spät ist! Um fünf vor zwölf!)


Wir möchten aber im Bereich der Kinderbetreuung
weitermachen. Wir sind in der Koalition gerade gemein-
sam dabei und haben unseren Willen dazu bekundet. Wir
brauchen Konzepte, bei denen Bund, Länder und Ge-
meinden zusammenarbeiten, bei denen es um Bedarfsori-
entierung und um maximale Flexibilität, aber auch um
Quantität und Qualität geht. Das dürfen wir nicht ver-
nachlässigen. Die bayerische Sozialministerin hat vor
kurzem erklärt, man müsse damit beginnen, bei der Kin-
derbetreuung marktwirtschaftlich zu denken.


(Ina Lenke [FDP]: Ja genau! Markt und Wettbewerb! – Heiterkeit und Widerspruch bei der SPD)





Ekin Deligöz

21933


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, das dürfen wir nicht. Gerade bei unseren Kindern
dürfen wir es uns nicht erlauben, marktwirtschaftlich zu
denken. Denn jeder Pfennig, den wir in sie investieren, ist
eine Investition in unsere eigene Zukunft und unsere ei-
gene Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deshalb dürfen wir das nicht. Ganz im Gegenteil: Gerade
dort müssen wir im Sinne unserer eigenen Zukunft und
unserer eigenen Kinder auch einmal volkswirtschaftlich
denken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo leben Sie denn? Haben Sie Kinder im Kindergarten? Meine Frau ist Kindergärtnerin! Die muss marktwirtschaftlich denken, sonst geht der Kindergarten Pleite!)


Deshalb möchten wir die Betreuungsaspekte aufgreifen
und uns in diesem Bereich viel stärker engagieren.

Ich möchte noch etwas ansprechen. Wir werden mor-
gen in diesem Rahmen über das Zuwanderungsgesetz re-
den. Wir werden dann auch über Integration reden. Ich
möchte allen Gegnern dieses Gesetzes zu bedenken ge-
ben: Wenn wir die Integration ernst nehmen, müssen wir
bei den Kindern und Jugendlichen anfangen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Genauso ist es! Deshalb müssen sie möglichst früh in dieses Land kommen und nicht erst mit 15 oder 16, sonst ist es zu spät!)


Wo findet die Integration besser statt als in den Schulen
und Kindergärten, wo Kinder und Familien zusammen-
kommen? Von daher verstehe ich nicht, wie es sich gerade
Bayern leisten kann, die Klassenstärke auch dort, wo es
Migranten, Ausländerkinder und sozial Benachteiligte
gibt, auf 34 festzulegen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wissen Sie denn nicht, dass eine spezielle Förderung betrieben wird? Dann erkundigen Sie sich doch! Verzapfen Sie doch nicht so ein Zeug!)


Das heißt, in der ersten Klasse sind 34 Kinder, die Lesen
und Schreiben lernen. Auf diese 34 Kinder kommt ein
Lehrer, der sie unterrichten und auf sie eingehen soll. Wie
das unter der großen Verantwortung der Integration reali-
sierbar sein soll, ist mir schleierhaft. Wir müssten gerade
in der Bildungspolitik anfangen, und zwar mit kleineren
Klassen, mehr Lehrern und einer stärkeren Aufwertung
der Erziehungsarbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Da können Sie sich ein Beispiel an Bayern nehmen!)


– Ich nehme mir ein Beispiel an Bayern, wie Sie es sagen.
Ich nehme mir nämlich ein Negativbeispiel an Bayern.
Genau so sollte man es nämlich nicht machen. Daran
sollte man sich orientieren, um keine Fehler zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur FDP-Frak-
tionmachen. Wie ich eben gesehen habe, haben Sie einen
Entschließungsantrag vorgelegt. Es freut mich, dass die
ganzen Konzepte, die von der SPD und den Grünen er-
stellt worden sind, inzwischen auch bei der FDP ange-
kommen sind und dass Sie unsere Ergebnisse mit aufge-
nommen haben.


(Ina Lenke [FDP]: Abschreiben wäre das Letzte! Das Allerletzte!)


Aber eines machen Sie nicht: Sie kommen über diese De-
batte nicht hinaus. Wenn Sie wirklich schlüssige Kon-
zepte hätten, hätten Sie auch Ihren Teil an der familien-
politischen Debatte, aber nicht, indem Sie unsere
Konzepte gut abschreiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Nein, das würden wir gar nicht machen, weil wir die nicht gut finden!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422110500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Haupt.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1422110600
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich hatte für wenige Minuten den Eindruck,
ich sei in der falschen Debatte – als ob es hier um Bayern
oder nicht Bayern ginge. Ich werde mich dem Wahl-
kampfritual und dem Schema „Gutmensch – Bösmensch“
nicht anschließen. Ich bemühe mich jetzt um einen sach-
lichen Beitrag, weil mir Kinder- und Jugendpolitik ein-
fach viel zu ernst ist, um damit billige Effekte hier zu er-
reichen.

Wir sind uns doch alle einig: Kinder und Jugendliche
sind der Reichtum unserer Gesellschaft. Daher begrüßen
wir als FDP-Fraktion, dass der Elfte Kinder- und Ju-
gendbericht das wissenschaftliche Erkenntnisfundament
für das weitere kinder- und jugendpolitische Handeln ver-
breitert hat. Wir danken an dieser Stelle ganz ausdrücklich
der Kommission für die von ihr geleistete Arbeit.

Grundsätzlich ist den Feststellungen und Schlussfolge-
rungen der Kommission zuzustimmen. Kinder und Ju-
gendliche wachsen heute anders auf als früher. Die Fami-
lie bleibt der zentrale Ort, aber der Einfluss der
Öffentlichkeit sowie von Einrichtungen wie Kitas, Schu-
len, aber auch der Medien und moderner Kommunikati-
onssysteme steigt doch. Deshalb muss es zu einem Para-
digmenwechsel in der Kinder- und Jugendpolitik
kommen. Die Gesellschaft als Ganzes muss ihrer zuneh-
menden Verantwortung für das Heranwachsen der jungen
Generation gerecht werden, ohne die Bedeutung der Fa-
milien dabei zu relativieren oder ihre Entscheidungsfrei-
heit zu sehr einzuschränken.

Es geht darum, die Kinder und Jugendlichen selbst in
den Mittelpunkt dieser Politik zu stellen. Kinder- und Ju-
gendpolitik ist nach diesem Verständnis eben nicht mehr
vorrangig Sozialpolitik, sondern Querschnittspolitik,
die sich an den jungen Menschen selbst orientiert und sich
in viele gesellschaftliche Bereiche eingliedert.




Ekin Deligöz
21934


(C)



(D)



(A)



(B)


Gefordert sind deshalb nicht unzureichende Versuche
von Reformen an den sozialen Sicherungssystemen, son-
dern eine grundlegende Modernisierung des Sozialstaa-
tes. Die FDP begrüßt deshalb ganz ausdrücklich den von
den Experten verlangten Perspektivwechsel hin zu einer
politischen Gestaltung und Sicherung der sozialen Infra-
struktur für Kinder und Jugendliche sowie für ihre Fa-
milien. Gefordert ist ein neues Verständnis von öffentli-
cher Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern, ist
ein Wechselspiel von privater und öffentlicher Verant-
wortung. Die Eltern müssen in der Erfüllung ihrer fami-
liären Aufgaben durch die Gesellschaft als Ganzes ge-
stärkt und unterstützt werden, damit die jungen Menschen
für sich selbst und füreinander Verantwortung tragen kön-
nen.

Pluralisierung, Individualisierung und neue Lebens-
entwürfe haben zu vielfältigen Lebensformen und Le-
bensstilen geführt. Neben der klassischen Eltern-Kind-
Familie gibt es heute zunehmend diverse andere
Lebensgemeinschaften von Erwachsenen und Kindern.
Wir definieren Familie daher als das Zusammenleben mit
Kindern. Kinder dürfen keine Nachteile erfahren wegen
der Familienform, in der sie leben.


(Beifall bei der FDP)

Kinder haben einen Anspruch auf Erziehung, Förde-

rung und Bildung. Ein zentraler Bereich dafür sind Kin-
dertageseinrichtungen. Deutschland schneidet im inter-
nationalen Vergleich der Kindertagesbetreuung schlecht
ab. Besonders beim Betreuungsangebot für Kinder unter
drei Jahren und für Grundschulkinder bestehen gravie-
rende Defizite. Es bestehen aber nicht nur quantitative,
sondern vor allem qualitative Herausforderungen an die
Kinderbetreuung. Der Qualifikation und der Qualifizie-
rung der Betreuungskräfte gebührt deshalb zunehmend
besonderes Augenmerk.

Wir Liberale fordern: Im Rahmen des Rechtsanspruchs
auf einen Kindergartenplatz muss halbtägige Kinderbe-
treuung zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr
kostenlos sein. Die Kosten für die Kommunen sind im
Bund-Länder-Finanzausgleich zu berücksichtigen. Zu-
dem muss, Frau Deligöz, für mehr Markt und Wettbewerb
gesorgt werden. Dies kann durch Einführung eines Gut-
scheinsystems wie der so genannten Kita-Card erreicht
werden. Die Eltern können sich als Nachfrager auf dem
Markt der Anbieter selbst die von ihnen gewünschte Be-
treuungsleistung aussuchen. So kann einfach ein breite-
res, flexibleres Angebot an staatlichen und privaten Kin-
derbetreuungsplätzen geschaffen werden.

Bildungwird für das Aufwachsen von Kindern und Ju-
gendlichen immer wichtiger. Bildung ist unser wichtigster
Rohstoff. Investitionen in die Bildung sind am wichtigs-
ten für unsere Zukunft. Auch hier ist nicht nur die Fami-
lie, sondern auch die Gesellschaft ganz besonders gefor-
dert. Die Bildung unserer Kinder muss so früh wie
möglich beginnen; denn Bildungsdefizite aus der frühen
Kindesentwicklung können von der Schule nur schwer
kompensiert werden. Daher sind Kindertageseinrichtun-
gen zu Stätten einer frühkindlichen Förderung mit einem
klaren Bildungskonzept zu entwickeln. Notwendig ist
eine vorschulische Erziehung, in der spielerisch bereits

mit Lesen, Schreiben und Rechnen begonnen wird und
durch die sowohl musische als auch motorische Anlagen
gefördert werden. Der Schwerpunkt der Bildungspolitik
muss auf den Elementar- und Grundschulbereich verla-
gert werden. Wichtig ist eine frühere Einschulung mit
Eingangstests und Sprachförderung. Dabei müssen Lern-
schwächen und Hochbegabungen erkannt werden.
Deutschland verschwendet seine Talente, weil sie nicht
erkannt, nicht gefördert und nicht gefordert werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ganztagsschulen auf der Grundlage eines pädagogischen
Konzeptes sollten flächendeckend eingerichtet werden.
Dabei muss der Bund Unterstützung leisten, zum Beispiel
im Rahmen eines Staatsvertrages.

Ausbildung und Qualifizierung der Jugend entschei-
den über die Zukunft unserer Gesellschaft. Ausbildung
und Arbeit sind für die Jugendlichen selbst mehr als nur
die Grundlage für ein wirtschaftlich unabhängiges Leben.
Sie haben auch eine zentrale Bedeutung für die Iden-
titätsfindung, die Selbstverwirklichung und -bestimmung
und sind entscheidend für die Verteilung der Lebenschan-
cen von jungen Menschen. Deshalb muss der bisherigen
Fehlsteuerung im Bildungs- und Ausbildungssystem ent-
schieden sowie mit vielfältigen und unkonventionellen
Ideen und Ansätzen entgegengewirkt werden. Reformen
in der Bildungspolitik sowie in der Wirtschafts- und Ar-
beitsmarktpolitik sind gerade im Hinblick auf die Zukunft
der jungen Menschen dringend geboten. Dazu gehören
zum Beispiel flexiblere Regelungen für das Berufsbil-
dungssystem, eine generelle Verkürzung der Ausbil-
dungszeiten und eine bessere Anpassung der Berufsbilder
an die Anforderungen der Wirtschaft. Aber eine verbes-
serte Bildungspolitik mit hohen Qualitätsstandards muss
die Förderung und Forderung von Hochbegabten genauso
sicherstellen wie die von Lern- und Leistungsschwachen
sowie von Behinderten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer kultu-
rell heterogenen Umwelt auf. Die Integration von Kin-
dern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist da-
bei zugleich Herausforderung und Chance. Diese jungen
Menschen können Brücken und Vermittler zwischen den
Kulturen sein. Voraussetzung ist aber, dass sie über um-
fassende Kompetenzen in der deutschen Sprache verfü-
gen und mit der deutschen Kultur vertraut sind. Neben den
staatlichen Bildungseinrichtungen kommt hier der Kin-
der- und Jugendhilfe eine besondere Verantwortung zu.

Die FDP unterstützt gerade im Zusammenhang mit der
Debatte, die in unserer Gesellschaft über die Zuwande-
rung geführt wird, die Forderung der Experten, dass allen
Kindern und Jugendlichen, die auf deutschem Boden le-
ben, das Recht auf Bildung und Erziehung zusteht.


(Beifall bei der FDP und der SPD)

Handlungsgrundlage ist das Kinder- und Jugendhilfege-
setz, in dem gefordert wird: Jeder junge Mensch hat ein
Recht auf Förderung seiner Entwicklung. Das heißt, Ein-
schränkungen aufgrund des Staatsangehörigkeitsprinzips




Klaus Haupt

21935


(C)



(D)



(A)



(B)


sowie des Rechts- bzw. Aufenthaltsstatus der Eltern oder
der Kinder müssen aufgehoben werden. Die deutsche Vor-
behaltserklärung zur UN-Kinderkonvention muss endlich
zurückgenommen werden.


(Beifall bei der PDS)

Politik für junge Menschen als Querschnittsaufgabe ist

eine reizvolle Herausforderung für alle gesellschaftlichen
Bereiche und Institutionen, insbesondere im Hinblick auf
die Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe, aber
auch für jeden Einzelnen. Für eine solche Politik lohnt
sich jede Mühe. Deshalb hat meine Fraktion als erste und
bislang einzige einen entsprechenden Entschließungsan-
trag eingebracht.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422110700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1422110800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorweg feststel-
len, dass zum ersten Mal die Arbeiten an einem Kinder-
und Jugendbericht innerhalb einer Legislaturperiode be-
gonnen und auch abgeschlossen wurden. Dafür zollen wir
nicht nur der Bundesregierung, die an dem Elften Kin-
der- und Jugendbericht zügig mitgearbeitet hat, sondern
auch allen Mitgliedern der Expertenkommission, die die-
sen Bericht erstellt haben, Anerkennung.


(Beifall bei der PDS und der SPD)

Es ist wichtig, dass wir aus dem vorliegenden Bericht die
richtigen Schlussfolgerungen für unsere Arbeit ziehen.

Neu in dem vorliegenden Bericht ist – dazu wurde
schon einiges gesagt –, dass die Kinder- und Jugendhilfe
als Bestandteil der allgemeinen Infrastruktur behandelt
wird. Sie gehört demnach zur sozialpolitischen Grund-
versorgung in unserem Land. Die Kinder- und Jugend-
hilfe richtet sich dann nicht mehr nur an die schwierigen
oder auffälligen, sondern an alle Kinder und Jugendli-
chen. Damit wird die Stellung der Kinder- und Jugendpo-
litik als Querschnittspolitik unterstrichen.

Die Expertenkommission fordert ein neues Verständnis
von öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen
von Kindern und Jugendlichen. Der Staat muss die Rah-
menbedingungen für Familien, Kinder und Jugendliche
schaffen, ohne dabei die Eigenverantwortung der Fami-
lien zu schmälern. Damit wird vor allem die Kinder- und
Jugendarbeit in den Kommunen aufgewertet. Die Kom-
mission fordert eine Aufstockung der Mittel für Kinder-
und Jugendarbeit in den kommunalen Etats. Das unter-
stützen wir als PDS-Fraktion ausdrücklich. Von uns gab
es einen Antrag, in dem zum Beispiel gefordert wurde, ei-
nen eigenständigen Haushaltstitel für Kinder- und Ju-
gendarbeit neu auszubringen. Auch dieser Frage sollten
wir uns in der Diskussion wieder stellen.

Zu einem neuen Verständnis von öffentlicher Verant-
wortung für das Aufwachsen von Kindern gehört auch,
dass die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe allen

Kindern und allen Jugendlichen, die auf deutschem Bo-
den leben, gleichermaßen zustehen. Kinderrechte müs-
sen auch Vorrang vor dem Asylrecht haben. In Deutsch-
land werden Kinder im Asylverfahren bereits mit 16 Jahren
wie Erwachsene behandelt und müssen das komplizierte
Verfahren, zum Teil sogar die Abschiebehaft, durchlau-
fen. Kinder, die mit ihren Eltern nach Deutschland kom-
men und über lange Zeit, oft über Jahre, lediglich den Sta-
tus der Duldung haben, können die Leistungen der
Kinder- und Jugendhilfe nicht in Anspruch nehmen. In ei-
nigen Bundesländern können sie nicht einmal eine Schule
besuchen. Sie bleiben sozial ausgegrenzt. Damit muss
Schluss sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne soll-
ten wir auch noch einmal über die Rücknahme der Vor-
behalte der Bundesregierung gegenüber der UN-Kinder-
rechtskonvention nachdenken. Ich kann mich daran
entsinnen, dass Sie von der Regierungskoalition bei der
Vorlage des Zehnten Kinder- und Jugendberichts gerade
das gefordert haben.

Ein Wort zur Kinderbetreuung. Eine öffentliche Ver-
antwortung für die Entwicklung und Erziehung von Kin-
dern erfordert auch einen Umbau und Ausbau der Formen
der Kinderbetreuung. Weitere Verbesserungen zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch zur Ent-
schärfung materieller Notlagen von Familien müssen vor-
angetrieben werden. Auch zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gibt es einen Antrag der PDS-Fraktion, dessen
wir uns in der Diskussion unbedingt wieder annehmen
sollten. In diesem Zusammenhang kann ich die Forderung
der Kommission nach flexiblen Öffnungszeiten und Aus-
bau von Betreuungsangeboten für unter 3-Jährige und
über 6-Jährige nur unterstützen. Der Aufbau eines
flächendeckenden und bedarfsgerechten Angebots der
Kindertageseinrichtungen in den alten Bundesländern
sowie der Erhalt der entsprechenden Strukturen in den
neuen Bundesländern sind notwendige Schritte dazu.

Die Tatsache, dass die Betreuungsangebote im Osten
noch immer vorbildlich sind, obwohl das Angebot redu-
ziert wurde, hängt ausschließlich mit den gesunkenen Ge-
burtenzahlen zusammen. Viele Eltern und Erzieherinnen
bzw. Erzieher in den neuen Bundesländern kämpfen be-
reits dafür, dass gerade nicht eine Angleichung an west-
deutsche Verhältnisse stattfindet. Sie würden sich über ein
positives Signal seitens der Bundesregierung natürlich
freuen.

Ein neues Verständnis von öffentlicher Erziehung,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Regie-
rungskoalition, schließt aber auch ein, dass noch einmal
über eine finanzielle Beteiligung des Bundes – eine For-
derung, die wir schon lange vertreten – nachgedacht wird.

Neu müssen auch die Aufgaben der Kinderbetreuung
definiert werden. Zu der Betreuungsaufgabe kommen
Erziehungs- und Bildungsaufgaben hinzu. Lernen be-
ginnt – auch das wurde schon vielfach angemerkt – nicht
erst mit sechs Jahren. Mit einer frühen Bildung kann zum
Beispiel auch sozialer Ungleichheit gegengesteuert wer-
den. Mit Blick auf die Ergebnisse der PISA-Studie ist es
bedauerlich, dass diese Möglichkeit bisher so vernachläs-
sigt wurde. Bildung umfasst mehr als nur Wissensver-




Klaus Haupt
21936


(C)



(D)



(A)



(B)


mittlung; dabei geht es auch – darin sind wir uns alle ei-
nig – um das Erlernen sozialer Kompetenzen.

Soziale Ungleichheit bedeutet auch – das ist nachge-
wiesen – ungleiches gesundheitliches Wohlbefinden. Im
Bericht wurde festgestellt, dass die Gesundheitsprä-
vention in der Kinder- und Jugendhilfe bisher kein Thema
war. Die Gesundheitsprävention muss aber zu den Aufga-
ben der Familienhilfe und der Bildungseinrichtungen
gehören. Kinder müssen nicht nur lernen, sich gesund zu
ernähren.

Die Zustände an deutschen Schulen zeigen deutlich
den Bedarf einer Gesundheitserziehung. Kindern fehlt
es an Bewegung. Nicht selten haben sie bereits Nikotin-,
Alkohol- und Drogenprobleme. Immer weniger Eltern
nehmen medizinische Präventionsangebote wahr. Früh-
erkennungsuntersuchungen, Impfungen und Zahnpro-
phylaxe werden kaum noch in Anspruch genommen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422110900
Frau Kollegin,
achten Sie bitte auf die Zeit.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1422111000
Ja.
Wir sind bereit, an diesen Themen mitzuarbeiten. Eine

neue Form der öffentlichen Verantwortung für das Auf-
wachsen von Kindern erfordert auch, Kindern den not-
wendigen Stellenwert einzuräumen. Erst kürzlich habe
ich in einer Debatte wieder gesagt, dass Kinderrechte
– das ist eine alte Forderung – nicht nur, was bestimmte
Aufgaben angeht, eingehalten werden müssen, sondern
dass sie auch im Grundgesetz,wie es zehn Bundesländer
in ihren Verfassungen bereits getan haben, verankert wer-
den müssen. Dazu liegt ein Vorschlag vor.

Lassen Sie uns an die Arbeit gehen, nicht um politische
Mehrheiten zu erringen, sondern um viele Verbesserun-
gen für das Aufwachsen der Kinder in unserer Gesell-
schaft zu erreichen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422111100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christel Humme.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1422111200
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
legen! Liebe Kolleginnen! Lieber Herr Haupt, ich möchte
auf Bayern zu sprechen kommen, und zwar deshalb, weil
Frau Eichhorn Ihre Vorstellung zum Familiengeld gerade
so blumig „zukunftsweisend“ genannt hat. Mir liegt eine
aktuelle Tickermeldung von Herrn Stoiber aus Bayern
vor. Er hat gesagt, dieses Vorhaben sei gegenwärtig nicht
finanzierbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Weil ihr die Staatsfinanzen ruiniert habt!)


Ich bin gespannt, was von der Familienpolitik, die Sie ge-
rade gerühmt haben, übrig bleibt.

Aber nun zum Kinder- und Jugendbericht.Richtig ist:
Niemand kann den Staat und die Gesellschaft für sein
Schicksal verantwortlich machen. Richtig ist aber auch:
Niemand ist für sein Schicksal allein verantwortlich. Das
heißt, eine Verzahnung von privater und öffentlicher Ver-
antwortung wird unsere Zukunftsaufgabe sein. Das ist eine
zentrale Erkenntnis des Elften Kinder- und Jugendberichts.

Die Einleitung des Elften Kinder- und Jugendberichts
trägt die Überschrift „Aufwachsen in öffentlicher Verant-
wortung“. Diese Leitlinie ist meiner Ansicht nach richtig
gewählt. Für uns Politiker und Politikerinnen bedeutet
das, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der Staat
seine Verantwortung für das Aufwachsen tatsächlich
übernehmen kann. Dafür müssen wir die soziale Infra-
struktur für Kinder und Jugendliche verbessern. Auch
das ist eine zentrale Schlussfolgerung des Elften Kinder-
und Jugendberichts.


(Beifall bei der SPD)

Für die Verbesserung der sozialen Infrastruktur liegen

zwei wesentliche Gründe – sie wurden vielfach schon ge-
nannt; ich will sie dennoch wiederholen – auf der Hand:

Erstens. Öffentliche Verantwortung ist da gefragt, wo
sie Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen
verhindern kann. Erst Ende letzten Jahres hat die PISA-
Studie – wir haben es gerade schon gehört – unserem Bil-
dungssystem bescheinigt, dass es die Benachteiligungen
nicht ausgleicht, sondern Ausgrenzungen verstärkt. An-
dere Länder haben schon längst erkannt, dass Kinderta-
gesstätten und Ganztagsschulen die zentralen Vorausset-
zungen für erfolgreiches Lernen sind. Wir in Deutschland
haben mit konservativer Bildungs- und Familienpolitik
– das muss angemerkt werden – jahrzehntelang aufs
falsche Pferd gesetzt.


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Im Westen!)


Der Elfte Kinder- und Jugendbericht bestätigt, dass
Ganztagsbetreuungsangebote mehr Bildungschancen


(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU])


– Frau Fischbach, auch wenn Sie noch so viel schreien,
dadurch wird es nicht richtiger – für Kinder und Jugend-
liche bedeuten.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Öffentliche Verantwortung ist da gefragt, wo

Familien für die Erfüllung ihrer Erziehungsleistung Un-
terstützung brauchen. Der Bericht stellt klar, dass die Fa-
milie nach wie vor der zentrale Ort des Aufwachsens ist.
Er zeigt aber auch auf, dass sich die Familien gewandelt
haben. Mit unserer Politik haben wir diesem Wandel be-
reits Rechnung getragen. Wir haben bereits in der kurzen
Regierungszeit öffentliche Verantwortung übernommen.

Mit unserer Familienförderung, der Steuerreform und
der Wohngeldreform haben wir die finanziellen Rahmen-
bedingungen für junge Menschen und ihre Familien spür-
bar verbessert.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Na ja!)





Rosel Neuhäuser

21937


(C)



(D)



(A)



(B)


– Doch, ich sage es Ihnen gleich. – Mit der BAföG-Re-
form haben wir die Bildungschancen von benachteiligten
Jugendlichen, die unter der alten Regierung sträflich ver-
nachlässigt wurden, verbessert. Die Flexibilisierung der
Elternzeit und die Einführung des Rechtsanspruchs auf
Teilzeitarbeit sind Meilensteine auf dem Weg zu einer fa-
milienfreundlichen Arbeitswelt und zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf.


(Beifall bei der SPD)

Sicherlich müssen hier weitere Maßnahmen ansetzen.

Unsere bisherige Politik war und ist aber richtig. Daher
werden wir auf diesem Weg weiter voranschreiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unbestritten ist: Es
gibt Familien in sehr bedrückenden finanziellen Verhält-
nissen. Familien sind einem erhöhten Armutsrisiko aus-
gesetzt, so lautet eine der traurigen Lehren des Armuts-
und Reichtumsberichts und eine der traurigsten Erblasten
der alten Regierung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Eichhorn, Ihre Sorgen um die Alleinerziehenden

teile ich. Ich teile vor allem die Sorge um die 60 Prozent
der Alleinerziehenden, die keine Steuern zahlen und auch
nicht von dem Haushaltsfreibetrag, dessen Wegfall Sie oft
kritisieren, profitieren. Hier ist öffentliche Verantwortung
gefragt; denn Armut und Sozialhilfebezug bedeuten oft
den Einstieg in einen Teufelskreis aus schlechten Bil-
dungschancen, Arbeitslosigkeit und damit der Verfesti-
gung von Armut. Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen
und Politiker, den Familien den Ausbruch aus diesem Teu-
felskreis zu ermöglichen.

Hierzu fordert der Elfte Kinder- und Jugendbericht
einen Perspektivenwechsel ein, nämlich das zu Beginn
beschriebene Verzahnen von privater und öffentlicher
Verantwortung. Eltern sollen in erster Linie Verantwor-
tung für sich selbst und ihre Kinder tragen. Das heißt, sie
müssen in die Lage versetzt werden, Arbeit aufzunehmen,
also Familie und Beruf zu vereinbaren.


(Beifall bei der SPD)

Das heißt gleichzeitig, dass wir ein bedarfsdeckendes

und flexibles Angebot an Ganztagsbetreuung und Ganz-
tagsschulen bereitstellen müssen. Dieser Perspektiven-
wechsel hin zur Gestaltung und Schaffung einer besseren
sozialen Infrastruktur ist eine der zentralen Aufgaben, die
uns der Kinder- und Jugendbericht aufgibt. Wir begrüßen
diesen Perspektivenwechsel; denn damit können wir ers-
tens die Armut von jungen Menschen und ihren Familien
vermeiden und zweitens ihre Selbsthilfekräfte stärken.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist ein Leistungs-
gesetz, das sich bewährt hat. Es ist die gesetzliche Rege-
lung, mit der die Kinder- und Jugendhilfe vor Ort um-
gesetzt werden soll. Es sieht schon heute in § 24 die
Möglichkeit für ein bedarfsgerechtes Angebot an Ta-
geseinrichtungen vor, überlässt aber den Ländern und
Kommunen die Entscheidung darüber, mit dem Ergebnis,
dass die Ganztagsbetreuung gerade in den alten Bundes-
ländern völlig unzureichend ist. Darum ist ein echter Per-
spektivenwechsel – Herr Haupt, da gebe ich Ihnen Recht –
hin zum Ausbau der sozialen Infrastruktur nur zu meis-

tern, wenn sich neben den Ländern und Gemeinden auch
der Bund beteiligt. Ich denke, dafür werden wir öffentli-
che Verantwortung übernehmen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422111300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Thomas Dörflinger.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1422111400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Elfte Kinder- und Jugendbe-
richt enthält eine Bestandsaufnahme im Bereich der Kin-
der- und Jugendhilfe. In diesem Zusammenhang ist eines
ganz wichtig – das ist in dieser Debatte noch nicht gesagt
worden –, nämlich die Tatsache, dass das Kinder- und Ju-
gendhilfegesetz vor über zehn Jahren zuzeiten der von der
Union und der FDPgeführten Bundesregierung unter dem
seinerzeitigen Parlamentarischen Staatssekretär Anton
Pfeifer entstanden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dies sei ein mo-

dernes Gesetz.

(Rolf Stöckel [SPD]: Da haben wir aber kräf tig geholfen!)

– Sie haben seinerzeit nicht zugestimmt, sondern sich der
Stimme enthalten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Keine Hilfe! – Rolf Stöckel [SPD]: Natürlich wollten wir weitergehen, das ist doch klar!)


Ich stelle in diesem Zusammenhang einmal die Frage,
welches Gesetz aus dem vierjährigen grün-roten Inter-
mezzo in der Zeit von 1998 bis 2002 im Jahre 2012 als ein
zukunftsfähiges Gesetz betrachtet werden kann. Ich sage
Ihnen: Es wird keines sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was die CDU/

CSU-Bundestagsfraktion mit den Regierungsfraktionen
eint, was den Bericht der Bundesregierung angeht. Das ist
die Feststellung, dass wir gemeinsam an § 69 Abs. 3
KJHG festhalten, nämlich der bisherigen – wahrschein-
lich auch zukünftigen, weil sinnvollen – Gestaltung der
Jugendhilfe auf der kommunalen Ebene mit einem ei-
genständigen Jugendamt und der bisherigen zweigliedri-
gen Struktur der Jugendhilfeausschüsse. 82 Prozent aller
Träger der öffentlichen Jugendhilfe organisieren diese so.
Das zeigt, dass sich das nicht nur bewährt hat, sondern
auch sinnvoll ist.

Allerdings weisen der Bericht der Kommission und die
Stellungnahme der Bundesregierung in einigen Punkten
deutliche Unterschiede auf. So habe ich den Eindruck ge-
wonnen, dass hier ein Prozess der selektiven Wahr-
nehmung um sich greift; denn bestimmte Sachverhalte




Christel Humme
21938


(C)



(D)



(A)



(B)


werden durchaus unterschiedlich dargestellt. Lassen Sie
mich ein paar Beispiele nennen.

Erstens. Es war schon von Ihrem Geniestreich, dem
tollen Programm namens „Chancen im Wandel“, die
Rede. Ich habe es mir heute Nachmittag extra noch ein-
mal angesehen.


(Christel Humme [SPD]: Heute Nachmittag? Ist schon ein Jahr alt!)


In den vielen Seiten dieses Programmes kommt der Name
KJHG bzw. Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht einmal
vor. Das ist für ein jugendpolitisches Programm in der Tat
ein starkes Stück. Folglich kommt der Begriff im Bericht
der Sachverständigenkommission auch nicht vor.

Zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang: Der
Bericht ist bezüglich der Situation in den neuen Bundes-
ländern relativ ausführlich, die Stellungnahme der Bun-
desregierung relativ einsilbig. Da finde ich nur den
bemerkenswerten Satz:

Die Bundesregierung nimmt die von der Sachver-
ständigenkommission dargestellten Folgen des Per-
sonalabbaus aufgrund der demographischen Ent-
wicklung in den neuen Bundesländern zur Kenntnis,
die insbesondere zu einer Entlassung jüngerer Fach-
kräfte geführt hätten …

Das ist ein bisschen wenig, wenn die zuständige Bundes-
regierung derartige Entwicklungen lediglich zur Kenntnis
nimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Was wollen Sie denn machen?)


Ich hätte erwartet, dass Sie sich beispielsweise mit dem
Prozess der Abwanderung von Ost nach West, der direkte
Auswirkungen auf die Kommunalfinanzen und die Perso-
nalentwicklung in ostdeutschen Kommunen hat, befassen
und dagegen etwas tun,


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel RiemannHanewinckel [SPD]: Das hat mit Abwanderung nichts zu tun!)


anstatt dies nur zur Kenntnis zu nehmen. Aber das ist die
Realität des Aufbaus Ost im dritten Jahr der Regierung
Schröder.

Drittes Beispiel: Integrationspolitik. Die Bundesregie-
rung stellt in ihrer Stellungnahme fest – das entspricht
auch den Tatsachen –, dass sie im Bereich des Bundesmi-
nisteriums des Innern die Mittel für die Sprachförderung
erhöht habe. Das ist richtig; sie hätte allerdings dazu sa-
gen müssen, dass im Bereich des BMAund des für uns zu-
ständigen Ministeriums in genau diesem Punkt die Mittel
zurückgefahren wurden. Ich lese dann mit großem Er-
staunen im Bericht der Bundesregierung, dass im Jahr
2002

mit der Umsetzung einzelner Elemente des neuen
Sprachförderkonzepts wie die weitgehende Verzah-
nung der Sprachkursangebote für jugendliche Zu-
wanderinnen und Zuwanderer begonnen

werden solle. Die Legislaturperiode ist fast um und ich
stelle fest: Sie haben keinen diesbezüglichen Gesetzent-
wurf vorgelegt. Sie haben noch nicht einmal eine vage
Idee, wie das Ganze funktionieren soll, denn der Sprach-
verband in Mainz, der mit der Neuorganisation dieser
Dinge beauftragt werden soll, sah sich nach eigenen An-
gaben außerstande, all das innerhalb eines einzigen Jahres
umzusetzen.


(Widerspruch bei der SPD)

Jetzt frage ich mich: Wie ist dieser Satz zu interpretieren?
Ziehen Sie einige Dinge vor, machen also ein Vorschalt-
gesetz, oder kommt es zu einer Teilumsetzung oder han-
delt es sich nur um einen der vielen Sprüche, die wir seit
1998 von Ihnen gehört haben?


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Vorher haben wir die blöden Sprüche von Ihnen gehört und es ist überhaupt nichts passiert!)


Vierter Punkt: Der Satz, Jugendpolitik sei auch eine
Politik der Nachhaltigkeit, ist richtig und findet unsere
Unterstützung. Richtig ist allerdings auch die Auffassung
der Kommission, beispielsweise bezüglich der Sonder-
programme. Die Kommission befasst sich mit diesem
Thema sehr kritisch; sie führt aus, dass der Effekt der Son-
derprogramme, die auf zwölf, 14 oder 16 Monate ange-
legt sind, im Grunde verpufft, da diese Sonderprogramme
nur den Effekt haben, dass in den neuen Bundesländern
Träger entstehen, die nach Auslaufen dieser Sonderpro-
gramme anschließend genauso schnell, wie sie gekom-
men sind, wieder von der Bildfläche verschwinden. Da-
mit ist der eigentliche Effekt gleich null, ein kleiner
Nebeneffekt ist aber, dass wir damit Haushaltsmittel ver-
braucht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu einem
Punkt etwas sagen, der in diesem Hohen Hause gerne dis-
kutiert wird, nämlich die Entwicklung beim JUMP-Pro-
gramm. Auch in der Auffassung darüber unterscheiden
sich der Bericht der Sachverständigenkommission und
die Stellungnahme der Bundesregierung ganz erheblich.
Ich zitiere jetzt nicht aus dem Bericht der Bundesregie-
rung, weil das wenig spannend ist – die Regierung findet
ihre eigene Politik natürlich toll –, sondern aus dem Be-
richt der Sachverständigenkommission:

Bei allen positiven Effekten ist jedoch anzumerken,
dass das Programm die Ursachen der Probleme am
Ausbildungsmarkt nicht beseitigt,

(Zuruf von der SPD: Hat niemand behauptet!)

sondern einer weiteren Verstaatlichung der
Berufsausbildung Vorschub leistet und somit Gefahr
läuft, einen Rückzug der Wirtschaft aus der
Ausbildungsverantwortung zu fördern …

Weiter unten wird dann auf eine Untersuchung des
IAAB im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit Bezug ge-
nommen:




Thomas Dörflinger

21939


(C)



(D)



(A)



(B)


Jeder dritte JUMP-geförderte Jugendliche mündet
nach Abschluss der JUMP-Maßnahme in eine
Arbeitslosigkeitsphase ein ...

(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Widerspruch bei der SPD)

Ich kann nicht erkennen, welcher Effekt, außer einem sta-
tistischen, durch dieses milliardenschwere Programm er-
zielt werden soll.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: 1 000 Millionen Euro jährlich!)


Ich stelle fest: Sie sind in wichtigen Fragen nicht zu-
kunftsfähig.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Stimmt!)

Die Tatsache, dass Sie während der sechs Minuten, die ich
jetzt rede, so aufgeregt reagiert haben, zeigt, dass ich den
Finger offensichtlich auf die Wunde gelegt habe.

Ich frage mich, wenn ich die Stellungnahme der Bun-
desregierung lese: Wo sind Ihre Perspektiven, wo sind
Ihre Visionen, was Kinder- und Jugendhilfepolitik in
Deutschland angeht?


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Die gibt es nicht! Hat es noch nie gegeben bei SPD und Grünen!)


Die Stellungnahme erschöpft sich weitgehend in einem
Referieren dessen, was seit 1998 mehr oder weniger er-
folgreich gelaufen ist.

In meinem Wahlkreis zum Beispiel war in diesen
Tagen im Zusammenhang mit der Verlängerung der
Genehmigungsfristen bei Amadeus ein Thema: Wie stel-
len Sie sich zu einer Angleichung der Bestimmungen
– das ist im Übrigen der Kern des Antrages der Bundes-
länder Bayern und Saarland im Bundesrat – in bestimm-
ten Teilbereichen zwischen dem KJHG und dem Bun-
dessozialhilfegesetz? Sie tragen die Kindergelderhöhung,
die Sie – zweifelsohne mit unserer Unterstützung – vor-
genommen haben, im Bereich der Kinder- und Jugendpo-
litik wie eine Monstranz vor sich her. Da Ihr früherer
Fraktionsvorsitzender schon mit dem Unterschied von
brutto und netto seine Probleme hatte,


(Zuruf von der SPD: Stoiber hat dafür mit Mark und Euro so seine Probleme!)


sage ich Ihnen: Sie müssen bei der Familienförderung
natürlich eine Nettorechnung machen, beispielsweise bei
Alleinerziehenden; Sie müssen den Wegfall des Haus-
haltsfreibetrages in diese Gesamtrechnung einbeziehen.
Wenn man so weit ist, dass die eigene Schwester vor dem
Bundesverfassungsgericht klagen muss, um den Bruder
von der Falschheit seiner Politik zu überzeugen, dann
sollte man aufgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie referieren mehr oder weniger Erfolgloses. Wir ha-

ben ein anderes Konzept; Kollegin Eichhorn hat darauf
hingewiesen. Das Konzept besteht aus drei Säulen. Wir
werden es nach der Wahl am 22. September Zug um Zug

umsetzen, weil wir nicht Mängel verwalten wollen, son-
dern im Interesse der Familien in Deutschland Zukunft
gestalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422111500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Stöckel.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1422111600
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Klaus Haupt [FDP]: Aber nicht über Bayern!)

– Nein, nicht über Bayern; das lässt sich aber vielleicht an
einer Stelle nicht verhindern.

Ich habe den Anfang meiner Rede jetzt doch verändert;
denn ich fand es bemerkenswert, dass Sie hier ein
Bekenntnis zur Struktur des Kinder- und Jugendhilfe-
gesetzes abgelegt haben. Auch dass Sie das Kinder- und
Jugendhilfegesetz loben und das auf Ihre Fahne schrei-
ben, ist in Ordnung. Aber eines war mit Sicherheit grund-
falsch: dass wir uns enthalten hätten, weil wir es etwas
weniger weitgehend hätten haben wollen. Wir hatten si-
cherlich Vorstellungen, die wir gerne verwirklicht hätten.
Der gesamte Elfte Kinder- und Jugendbericht, Herr
Dörflinger, handelt eigentlich von den Dingen, die zu ver-
bessern sind. Dazu treten wir auch an.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Sie haben seit 1969 nichts auf die Reihe bekommen!)


Einmal abgesehen von dem hier monierten Wahl-
kampfstreit, in den dieser Bericht wirklich nicht einbezo-
gen werden sollte, glaube ich, dass wir uns wahrschein-
lich darüber einig sind, dass es zu keiner Zeit so hohe
Ansprüche an eine nachwachsende Generation gab wie
heute. Kinder und Jugendliche sollen die immer größere
Wissensflut, die immer dynamischere technische Revolu-
tion beherrschen, lebenslang lernen, mehrsprachig, mobil
und börsenfest sein, gleichzeitig sozial engagiert und
durchsetzungsfähig, Konflikte aber auf jeden Fall gewalt-
frei lösen – mit anderen Worten: moderne Tausendsassa,
eine Projektion all dessen, was die Erwachsenen gern
selbst wären und woran sie doch meistens mehr oder we-
niger scheitern.

Gleichzeitig werden heute wie seit 3 000 Jahren Kli-
schees bedient, vor allem von Medien und Erwachsenen,
die kaum noch Kontakt zu Kindern und Jugendlichen ha-
ben, als handele es sich insgesamt um eine Problem-
gruppe. Bereits auf babylonischen Schrifttafeln war zu le-
sen, die Jugend sei dumm, gewalttätig, faul und gottlos.
Heute heißt das: Monsterkids, unkonzentriert, ge-
walttätig, hedonistische Konsumenten, bildungsfaul und
ohne Wertorientierung.

In der Tat wäre es besser, wenn wir Kinder und Ju-
gendliche nicht ständig als Problemgruppe der Gegen-
wart, sondern schlicht als wichtigste Träger der Zukunft
dieser Gesellschaft ernst nehmen und annehmen würden


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Thomas Dörflinger
21940


(C)



(D)



(A)



(B)


und endlich aufhörten, so zu tun, als könne man den ver-
änderten Realitäten des 21. Jahrhunderts, die uns zum
Beispiel die angesprochene PISA-Studie deutlich vor
Augen geführt hat, mit preußischen Erziehungsmethoden,
mit dem Nürnberger Trichter und der Schule des 19. Jahr-
hunderts gerecht werden.

Wir wollen allen, die in diesem Land aufwachsen, in
das sie durch Zufall hineingeboren worden sind, und auch
denjenigen, die hier zuwandern – meistens ohne gefragt
zu werden –, das Beste mit auf den Weg geben. Darum
geht es bei der Kinder- und Jugendhilfe,


(Beifall bei der SPD)

damit die Kinder und Jugendlichen die Zukunft für sich
gemeinsam, aber gerade auch im Interesse des Wohlstan-
des der älteren Generationen meistern können und damit
sie unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und vom
Geldbeutel ihrer Eltern lernen können, ihre Flügel auszu-
breiten und zu fliegen. „Wüchsen die Kinder fort, wie sie
sich andeuten, hätten wir lauter Genies“, behauptete
Goethe in „Dichtung und Wahrheit“. Das mag übertrieben
oder sogar erschreckend klingen. Aber es ist etwas Wah-
res daran.

Was hindert Mädchen und Jungen daran, so fort- bzw.
aufzuwachsen, dass sie ihre Begabungen so gut wie mög-
lich entwickeln können und dass ihre Neugier und Wiss-
begier befriedigt wird? Was können und sollen Eltern leis-
ten? Welche Unterstützung liegt in der öffentlichen
Verantwortung? Was muss die Politik tun, und zwar jen-
seits von Überforderungen, vor allen Dingen jenseits von
Verstaatlichungs- genauso wie von Privatisierungsideolo-
gien, die weder den Problemstellungen noch den jungen
Menschen in ihrer ganzen Vielfalt als soziale Wesen ge-
recht werden?

Genau das ist das Thema des Elften Kinder- und Ju-
gendberichts. Er ist der erste dementsprechende Bericht,
der seit 1990 Anspruch und Wirklichkeit des neuen Kin-
der- und Jugendhilfegesetzes im vereinten Deutschland
umfassend beschreibt. Er ist im Übrigen auch der erste
Bericht, der so rechtzeitig mit der Stellungnahme der
Bundesregierung vorliegt, dass sich Parlament und Fach-
welt ausführlich noch vor Ende der Wahlperiode damit
beschäftigen und auch die richtigen Schlüsse daraus zie-
hen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dafür gebührt unser Dank der Berichtskommission,
den Praktikern und den Wissenschaftlern, die in nur zwei
Jahren und – im Vergleich zu anderen Expertenberich-
ten – mit dem für Jugendpolitik üblichen niedrigen Bud-
get arbeiten mussten und eine fachlich und empirisch um-
fassende Grundlage für eine Neuorientierung der Kinder-
und Jugendhilfe vorgelegt haben.

Gerhard Schröder hat gesagt, dass kein Kind in
Deutschland am Rande stehen bleiben soll.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat schon viel erzählt!)


Das hat für uns Sozialdemokraten auch Priorität. Das be-
deutet Chancengleichheit, auch das Recht auf eine
zweite Chance, eine bedarfsgerechte Infrastruktur für
Kinder und Familien, die Eltern – außer im Notfall – nicht
ersetzt, sondern unterstützen und ergänzen soll. Das be-
deutet verstärkte Anstrengungen bei der Integration der
Zugewanderten und auch bei der Zusammenarbeit von El-
tern, Schule und von außerschulischer Bildungsarbeit der
Jugendhilfe und der Jugendarbeit.

Ministerin Bergmann hat hier eindrucksvoll dargelegt,
dass wir in den ersten dreieinhalb Jahren unserer Regie-
rungszeit bereits wichtige Schritte einer kinderfreundli-
cheren und familienfördernden Politik umgesetzt haben.
Es ist richtig, dass weitere Schritte folgen müssen und
auch folgen werden. Das bedeutet auf keinen Fall Abbau
oder Zuständigkeitslockerung im SGB III, sondern Siche-
rung und Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe,
die sich grundsätzlich bewährt hat: mit den pluralen
freien Trägern, den wichtigsten Stützen der Zivilgesell-
schaft, den örtlichen Jugendämtern – deren Zweigliedrig-
keit von Verwaltung und Kinder- und Jugendhilfeaus-
schüssen sich grundsätzlich bewährt hat – und auch den
Beratungs-, Fortbildungs- und Qualitätssicherungsaufga-
ben der Landesjugendämter.

Wir werden alle Versuche abwehren, aus populisti-
schen oder finanzpolitischen Gründen – wie jetzt wieder
von Bayern und dem Saarland eingebracht – das Kinder-
und Jugendhilfegesetz, seine Zuständigkeiten und Struk-
turen zu durchlöchern.

Darüber hinaus lässt sich sicherlich über die bessere
Umsetzung und Nutzung der Potenziale vor Ort sowie
über die Zielgenauigkeit gut streiten. Dazu gibt der Be-
richt wichtige Hinweise.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422111700
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1422111800
Ja.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422111900
Ich muss Sie
auch noch darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit schon ab-
gelaufen ist. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Rede
elegant mit der Beantwortung der Frage abschließen
könnten.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1422112000
Ich werde mich bemühen.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1422112100
Herr Kollege, Sie
haben den Gesetzentwurf angesprochen, den Bayern und
das Saarland einbringen wollen.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Wahlkampf!)


Wären Sie vielleicht so nett, den hier versammelten Kol-
legen und Kolleginnen, die diesen Gesetzentwurf offen-
sichtlich nicht kennen, seine Sinnhaftigkeit und seine fa-
milienpolitischen Auswirkungen darzustellen?


(Beifall bei der SPD)





Rolf Stöckel

21941


(C)



(D)



(A)



(B)



Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1422112200
Frau Kollegin, ich verstehe, dass
Sie diese Frage spontan stellen müssen,


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

weil dieser Antrag der Länder Bayern und Saarland am
22. Februar dieses Jahres, also ziemlich passend zur De-
batte über den Elften Kinder- und Jugendbericht, hier ein-
gegangen ist.


(Klaus Haupt [FDP]: So spontan habe ich die SPD selten erlebt!)


und völlig im Widerspruch zu dem steht, was gerade von
Herrn Dörflinger gesagt worden ist.

Denn es geht ja nicht um eine Anpassung der Einglie-
derungshilfe für seelisch behinderte Kinder an die Sozial-
hilfe. Was würde dies den Kommunen bringen, wenn es
nicht Standardabbau bedeuten würde? Schließlich werden
die Kosten in beiden Fällen zum größten Teil von den
Kommunen getragen. Es geht um etwas ganz anderes, ge-
nauso wie bei der Frage des Abbaus von Leistungen der
Kinder- und Jugendhilfe


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Die Kommunen pfeifen dank Ihrer Politik aus dem letzten Loch!)


bei volljährigen Jugendlichen, deren Hilfen aber vor ihrer
Volljährigkeit begonnen haben. Es geht um Standard-
abbau. Es geht hier meiner Meinung nach darum, für
weitere Versuche, mit dem Rasenmäher über das Kinder-
und Jugendhilfegesetz zu gehen, ein Einfallstor zu schaf-
fen.

Das haben wir in den letzten Jahren ständig ge-
hört – wenn auch vielleicht nicht von den Kinder- und
Jugendpolitikern, Frau Kollegin Eichhorn, sondern von
vielen anderen, die immer den Abbau von sozialpäda-
gogischen Hilfen und Strafrechtsverschärfungen für Kin-
der und Jugendliche gefordert haben. Das ist das Credo.
Es gibt andere Beispiele, bei denen es ebenfalls um Stan-
dardabbau geht. Zugrunde liegt dem: Man denkt, dass bei
der Kinder- und Jugendhilfe ein überzogenes Anspruchs-
denken besteht und man ausufernde Tatbestände schafft.
Frau Kollegin, das ist meines Erachtens bemerkenswert.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Haben Sie Ihre Antwort auch spontan aufgeschrieben, dass Sie sie ablesen können? Oder was ist hier los?)


– Herr Kollege, ich habe mich mit dem Gesetzentwurf,
der mir hier vorliegt, beschäftigt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben Ihre Antwort auf eine spontane Frage aufgeschrieben?)


– Es wurde nach dem Gesetzentwurf gefragt, den die Län-
der Bayern und Saarland eingebracht haben, und diesen
habe ich hier vorliegen.

Ich bin der Meinung, zu einem neuen Generationen-
vertrag – damit habe ich meine Antwort abgeschlossen –


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vorgelesen!)

gehören neben dem Abbau öffentlicher Schulden natür-
lich eine aufgabengerechte Finanzstruktur von Bund,

Ländern und Kommunen und eine neue finanzpolitische
Schwerpunktsetzung bei der wichtigsten Zukunftsinves-
tition in unserem Land, den Kindern und Jugendlichen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Das war auch schon mal imposanter!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422112300
Damit schließe ich
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8181 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 14/8383, soll an
dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 a und 8 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl,
Dr. Heinz Riesenhuber, Gerda Hasselfeldt, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Steuerliche Rahmenbedingungen für die Ge-
währung von Aktienoptionen an Mitarbeiter

(stock options) verbessern

– Drucksachen 14/5318, 14/8150 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto
Solms, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Steuer beim Aktientausch
– Drucksachen 14/3009, 14/6398 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Otto Bernhardt

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Nina Hauer.


Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1422112400
Verehrte Damen und Herren! Ver-
ehrte Frau Präsidentin! An die Adresse der CDU und der
CSU möchte ich sagen: Wenn ich mich daran erinnere,
wie Sie sich angestellt haben, als wir das Betriebsver-
fassungsgesetz erneuert haben,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Zu Recht! – Zuruf von der CDU/CSU: Das war ja etwas ganz anderes!)







(C)



(D)



(A)



(B)


um mehr Mitbestimmung in Deutschland zu sichern und
sie vor allen Dingen zu modernisieren,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, die Gewerkschaften zu stärken!)


dann freue ich mich, dass mittlerweile auch Sie Anhänger
einer größeren materiellen Mitarbeiterbeteiligung gewor-
den sind.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das waren wir schon immer!)


Ich freue mich, dass Sie uns auf diesem Weg begleiten
wollen. Ob allerdings der von Ihnen gewählte Weg der
richtige ist, bezweifele ich.

Es ist richtig, dass viele kleine Unternehmen, gerade
junge Startups, aber auch bestehende Unternehmen, ihre
Innenfinanzierung dadurch gewährleisten können, dass
sie an ihre Mitarbeiter Aktienoptionen ausgeben. Denen
möchten Sie helfen. Ihr Antrag zeigt, dass Sie nicht deut-
lich machen können, wie Sie ihnen eigentlich helfen
wollen. Denn jede von Ihnen vorgeschlagene Möglichkeit
– eigentlich eine sehr breite Angebotspalette – hat ihre
Tücken.

Ich greife einmal auf, uns als Gesetzgeber beispiels-
weise an der Schweiz zu orientieren. In der Schweiz wer-
den Aktienoptionen dann besteuert, wenn sie gewährt
werden. Wenn die Option nicht ausgeübt wird, entsteht
ein persönlicher Nachteil, da Steuern gezahlt wurden.
Dies ist eine Regelung, die für uns in Deutschland nicht
infrage kommt.

Ein anderes Beispiel sind die USA. Dort gibt es zwei
verschiedene Möglichkeiten, mit Aktienoptionen umzu-
gehen. Die eine ist: Bei Optionen, deren Marktpreis sofort
festzustellen ist, findet schon bei der Gewährung eine
Versteuerung statt. Hier besteht also das gleiche Problem
wie in der Schweiz, das ich soeben dargestellt habe: Wenn
man Aktienoptionen erhält, ist man steuerpflichtig. Wenn
man sie nicht ausübt, ist zwar die Steuer gezahlt worden,
aber ein Gewinn konnte nicht verbucht werden.

Die andere Möglichkeit ist, dass man steuerpflichtig
wird, wenn man die Aktienoption veräußert. Sie sagen, an
dieser Regelung sollten wir uns orientieren. Da kann ich
Ihnen nicht folgen. In den USAgibt es die gleiche Speku-
lationsfrist wie in Deutschland, nämlich zwölf Monate.
Wenn Sie Ihre Aktien innerhalb dieser zwölf Monate
verkaufen, sind Sie dort – so wie auch in der Bundes-
republik – zum Einkommensteuersatz steuerpflichtig.
Wenn Sie Ihre Aktien nach Ablauf der Spekulationsfrist
veräußern, müssen Sie in den USA 20 Prozent Ihres Ge-
winns versteuern. In Deutschland ist dieser steuerfrei.
Worin in der Übernahme der in den USA bestehenden
Regelung, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, eine Ver-
besserung bestehen soll, das ist mir nicht klar geworden.

Die Beispiele, die Sie nennen, machen deutlich, dass es
auch im Ausland keine steuerfreien Lösungen gibt und
dass wir gut daran tun, die jetzige Regelung beizubehal-
ten. Stellen Sie sich vor, Sie hätten 1998 zur Motivation
Ihrer sich im Wahlkampf befindenden Partei Optionen auf
einen Wahlsieg der CDU/CSU bei der Bundestagswahl
erhalten: Diese Optionen wären heute nichts wert. Auch

1998 wären sie nichts wert gewesen. Aber Sie hätten
schon bei der Gewährung dieser Optionen Steuern zahlen
müssen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ist das dieselbe Rede wie im März letzten Jahres?)


– In dem vorliegenden Antrag wird immer noch dasselbe
Problem beschrieben.

Ich habe den Eindruck, dass Sie auf die Idee gekommen
sind, mit höheren Steuereinnahmen das Haushaltsloch, das
Sie uns hinterlassen haben, stopfen zu wollen. Diejenigen,
denen geholfen werden soll, werden von dieser Regelung
nicht profitieren. Denn eine Option auf die Zukunft ist
natürlich immer mit einem Risiko verbunden; an dem so-
eben geschilderten Beispiel kann man das deutlich sehen.
Wir wollen nicht, dass Mitarbeiter dieses Risiko tragen
müssen und gleichzeitig auf Gehalt verzichten.

Es gibt in alten und neuen Unternehmen gleicher-
maßen eine Reihe von Mitarbeitern, die sich darauf ver-
lassen haben, dass ihre Optionen, die sie von ihrem
Arbeitgeber erhalten haben, später etwas wert sind. Das
ist nicht immer der Fall. Die Kurse sind ziemlich gesun-
ken; die Optionen haben oftmals ihren Wert verloren. Die
Gewährung von Aktienoptionen ist also für Mitarbeiter
nicht immer automatisch ein gutes Geschäft. Sie birgt zu-
dem das Risiko, dass diejenigen, die über kein hohes Ein-
kommen verfügen, einen Teil ihres Einkommens verlie-
ren, weil sie dafür Aktienoptionen erhalten, die ihnen
keinen Gewinn bringen.

Wir meinen, dass diese ungleiche Verteilung von Un-
ternehmensrisiken nicht dadurch unterstützt werden
sollte, dass wir dafür Steuergeschenke verteilen. Wer für
sein Unternehmen eine solche Regelung treffen möchte,
der kann das tun. An vielen Stellen hat sich die Ausgabe
von Aktienoptionen, die materielle Beteiligung von Mit-
arbeitern am Erfolg ihres Unternehmens, bewährt. Wir
unterstützen das. Aber wir meinen nicht, dass wir des-
wegen auf weitere Steuereinnahmen verzichten sollten
und der Gesetzgeber verpflichtet ist, zu handeln, um seine
Lenkungsfunktion wahrzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sagen, ein anderer Vorteil im Zusammenhang mit
Aktienoptionen sei die Mitarbeitermotivation.Es gibt in
unserem Land viele mittelständische Unternehmen, in de-
nen Aktienoptionen nicht gewährt werden können, weil es
sich bei diesen Unternehmen nicht um Aktiengesellschaf-
ten handelt oder keine Aktien ausgegeben werden können.
Ich möchte nicht unterstellen – ich hoffe, das tun auch Sie
nicht –, dass es dort keine motivierten Mitarbeiter gibt.
Ich hoffe, dass Sie damit auch nicht meinen, dass dann,
wenn die Kurse fallen, auch die Motivation sinkt. Das
wäre für die deutsche Wirtschaft eine schwierige Situ-
ation und entspricht einfach nicht der Realität.

Wir wollen mehr Chancen für eine materielle Teilhabe.
Sie wissen, dass dieses Thema im Bündnis für Arbeit im-
mer wieder aufgegriffen wird.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was wird dort aufgegriffen?)





Nina Hauer

21943


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen sicherstellen, dass eine der Grundlagen für das
Modell der deutschen Marktwirtschaft, nämlich die Mit-
bestimmung, materiell ausgeweitet wird. Ob wir dafür al-
lerdings Steuererleichterungen benötigen, das bezweifeln
wir. Wir wollen andere Regelungen treffen, um Mit-
arbeiter zu beteiligen. Ich denke, dass die Modernisierung
des deutschen Mitbestimmungsrechts ein erster Schritt
war.


(Beifall der Abg. Renate Gradistanac [SPD])

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden uns
diese Erneuerung danken.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, nur die Gewerkschaften!)


Es ist schade, dass Sie sich daran nicht beteiligt haben.
Dann wären solche Anträge, wie Sie sie heute stellen, mit
Sicherheit glaubhafter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422112500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Riesenhuber.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) (von der
CDU/CSU und der FDP mit Beifall begrüßt): Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe
Kollegen! Die Debatte kommt zu einem außerordentlich
erfreulichen Zeitpunkt. Wir haben gestern dem „Tages-
spiegel“ entnommen, dass die Bundesregierung beschlos-
sen hat, dass dies die Wochen der Entscheidung sind. Der
Kanzler will entscheiden. Wir haben gelernt, dass er sich
jetzt als Macher präsentiert. Das finden wir gut. Wir bie-
ten die Aktienoptionen als ein Thema zum gefälligen Ge-
brauch an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Frau Hauer, vieles von dem, was Sie gesagt ha-

ben, war genauso anregend, wie es in Ihrer letzten Rede
gewesen ist, die ich von Ihnen hören durfte. Ich darf ver-
suchen, einige Punkte aufzuarbeiten. Wir sind uns nach
wie vor einig – und es gibt, soweit ich es sehe, unter kun-
digen Leuten keinen Streit darüber –, dass dies ein ernstes
Problem ist. Wir haben hier die Chance, mit Ak-
tienoptionen sowohl den Unternehmern als auch den Mit-
arbeitern zusätzliche Möglichkeiten zu geben. Dies gilt
speziell für Startups und technikorientierten Unterneh-
men.

Nun bringen Sie den Einwand: Nicht alle sind Aktien-
gesellschaften, manche sind Mittelständler. – Sie wissen
genau wie ich, dass dies auch bei nicht börsennotierten
Aktiengesellschaften geht. Sie wissen, dass es Betei-
ligungsmodelle außerhalb der Aktien gibt, die man durch-
aus einbringen kann. Aber der spezielle Punkt, über den
wir jetzt diskutieren, betrifft die Firmen, die sich bei-
spielsweise im Neuen Markt engagiert haben, Firmen, die
an technischen Ideen und der Tüchtigkeit ihrer Mitarbei-
ter, die sie entwickeln, verdienen. Diese Firmen sind ein-
deutig in der Situation, dass sie wegen unserer Besteu-

erung gegenüber anderen Ländern nicht konkurrenzfähig
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun sagen Sie, in den USA liege die Sache mit der Capi-
tal Gains Tax anders. Ich will das etwas verkürzen: Die
Capital Gains Tax beträgt in den USA bis zu 20 Prozent.
Bei uns liegt die Besteuerung, je nachdem, welchen Zeit-
punkt Sie wählen, selbst nach dieser abominablen Steu-
erreform immer noch zwischen 45 und 50 Prozent.
Zusätzlich zur Einkommensteuer gibt es noch den So-
lidaritätszuschlag. Manche von uns zahlen sogar Kir-
chensteuer. Was hieraus entsteht, ist ein erheblicher Un-
terschied in der Besteuerung.

Die Frage, die hier ansteht, lautet: Wie kommen wir zu
einer Situation, die uns sowohl in Bezug auf gute Mit-
arbeiter als auch in Bezug auf unseren Standort konkur-
renzfähig macht? Unser Antrag – das hatten Sie in der
letzten Debatte im Einzelnen kritisiert, heute haben Sie
das nicht getan – hat sich wohlweislich nicht auf ein Mo-
dell festgelegt. Wir haben vielmehr die Ziele und die Kri-
terien des Problems so aufgearbeitet, dass man sich sein
Modell auswählen und schneidern kann.

Wir wollten vermeiden, dass man sich bei der Frage
zerstreitet: Besteuern wir jetzt den Moment der Ge-
währung der Option oder der Ausübung der Option? Wir
wollten vermeiden, dass man in eine theoretische Rabu-
listik über die faszinierende Frage eintritt, wo denn die
Aktienoptionen zwischen Kapitalvermögenseinkünften
einerseits und Lohneinkünften andererseits stehen. Über
all diese faszinierenden Fragen kann man intellektuell
über eine lange Zeit diskutieren. Uns aber geht es um Lö-
sungen.

Die Oberfinanzdirektion München hat ein wunder-
bares Konzept vorgeschlagen, das in Bayern gilt. Von
Bayern lernen, heißt siegen lernen. Das weiß jeder.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie hat ein Modell vorgeschlagen, das offensichtlich in-
nerhalb der seitherigen Gesetze funktional ist.

Seit der letzten Debatte haben wir offenbar einen
Fortschritt erreicht. Es ist einiges geschehen. Als wir
unseren Antrag eingebracht haben, stand der Beschluss
der Wirtschaftsministerkonferenz noch aus. Inzwischen
hat sie beschlossen. Sie hat einstimmig beschlossen,
dass die Situation bei der Besteuerung der Aktienoptio-
nen verbessert werden soll, und zwar genau im Sinne
des Antrags, den wir vorgelegt haben. Zusätzlich hat sie
beschlossen, wie das geschehen soll. Einerseits sagt sie,
wir sollten das über das Halbeinkünfteverfahren re-
geln – dies ist in anderen steuerlichen Zusammenhän-
gen wohl etabliert –, andererseits sagt sie, wir sollten
eine Wahlfreiheit über den Besteuerungszeitpunkt ein-
führen.

Inzwischen haben wir noch eine weitere Erkenntnis ge-
wonnen. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Souveränität
schon vor dem angekündigten Zeitpunkt gesagt, dass er
davon ausgeht, dass nur im Moment der Ausübung der
Option besteuert werden kann. Damit ist die andere Hälfte




Nina Hauer
21944


(C)



(D)



(A)



(B)


der Möglichkeiten weg, es sei denn, wir würden uns, was
wir dürfen, mit allen möglichen Leuten anlegen. Dies
würde die Sache nicht beschleunigen. Wir brauchen aber
schnelle Entscheidungen.

Erfolgt die Besteuerung im Moment der Ausübung der
Option, würde Folgendes passieren: Würde mit 50 Pro-
zent besteuert – der Spitzensteuersatz kann hier schnell
relevant werden –, müsste derjenige, der seine Option
ausgeübt hat, einen Teil seiner Aktien – Sperrfristpro-
bleme will ich gar nicht diskutieren – möglichst schnell
verkaufen, um die Steuern überhaupt bezahlen zu können.
Es wäre ein Witz, wenn man dann noch sagen würde, dass
die Interessen des Unternehmens und die des Mitarbeiters
identisch sind und dass der Mitarbeiter Teilhaber am Un-
ternehmen ist. Dies könnte nicht mehr erreicht werden.
Dieses Konzept ist also in sich widersinnig.

Freunde, entschuldigen Sie, meine sehr verehrten
Damen und Herren


(Heiterkeit)

– ich schätze die freundliche Verbundenheit in diesem in-
timen Kreis; ich sage aber nicht „Brüder und Schwes-
tern“, sondern bleibe bei den „Freunden“ –,


(Zuruf von der SPD: Wir wissen die Liebenswürdigkeit zu schätzen!)


was kann man in dieser Situation tun? Hierbei sollte man
von erfahrenen Kollegen lernen. Es gab hier – jeder von
uns weiß es – einen vorzüglichen wirtschaftspolitischen
Sprecher der SPD, nämlich unseren Freund Ernst
Schwanhold. Derzeit ist er Landeswirtschaftsminister in
Nordrhein-Westfalen. Er führt dort ein segensreiches Re-
giment.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Ein geschundenes Land! – Gegenruf der Abg. Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit können Sie es jetzt auch nicht mehr retten! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Hoppla!)


Ernst Schwanhold hat in dieser Situation einen Vorschlag
gemacht. Er sagt – dies hat er wenige Tage nach dem Ur-
teil auf dessen Grundlage getan –, man solle so besteuern,
als ob dies Kapitaleinkünfte seien, und zwar nach dem
Halbeinkünfteverfahren. Dies ist wiederum eine Position,
die mit der der Wirtschaftsministerkonferenz, die darüber
am 1. und 2. März des vergangenen Jahres beraten hat,
übereinstimmt. Sie steht übrigens auch in Übereinstim-
mung mit dem, was von den verschiedenen Verbänden im
Laufe der Diskussion vertreten wurde.

Wir stellen beglückt fest, dass sich die übergeordnete
Weisheit der Union, in diesem Antrag Ziele und Kriterien
festzustellen, sich aber nicht modellverliebt auf ein ein-
zelnes Konzept zu kaprizieren, souverän bewährt hat. Es
stellt sich jetzt in der Diskussion heraus, dass dieses Kon-
zept rational, wohl begründet und sachlich handhabbar
ist; auf diesem Konzept können wir aufbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lieber Herr Thiele, ich stelle mit Freuden fest, dass

sich die Weitsichtigkeit der Liberalen hier wieder erwie-

sen hat. Der Kollege Solms hat dies in der ihm eigenen be-
hutsamen Art in der letzten Debatte schon als eine mög-
liche Alternative zu bedenken gegeben.


(Beifall bei der FDP)

Damit haben wir hier nicht nur eine gewisse sachliche

Klärung – manchmal sind sachliche Klärungen bei poli-
tischen Entscheidungen ungemein hilfreich; nicht immer
führt man sie durch –,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Bei dieser Regierung nicht!)


sondern auch einen Konsens bezüglich des Problems und
dessen möglicher Lösung.

Jetzt muss man es nur noch tun. Der jetzt vorliegende
Vorschlag, das Halbeinkünfteverfahren anzuwenden und
keine Wahlfreiheit mehr zuzulassen – dies entspricht der
Empfehlung der Wirtschaftsministerkonferenz –, stimmt
mit den Grundsätzen des Bundesfinanzhofes überein,
passt steuersystematisch in die eingeführten Verfahren
und entspricht dem Konsens zwischen dem Bundes- und
den Landeswirtschaftsministern sowie den Vertretern
– insbesondere den kundigen – aus den unterschiedlichen
großen politischen Parteien. Offensichtlich können selbst
die Verbände damit leben, was zwar nicht entscheidend,
aber doch erfreulich ist zu wissen. Das heißt Folgendes:
Die Sache ist reif zur Entscheidung.

Nun gibt es hier besonders kluge Leute, die sagen, das
sei heute überhaupt kein Problem mehr. Sie sagen: Schaut
euch doch die Märkte an, die Kurse fallen und deswegen
interessiert das keinen Menschen. – Schauen Sie in die
Unternehmen und in die Betriebe. Die Unternehmen sind
verdammt knapp an Geld und sie können nur überleben,
wenn sie im Wettbewerb die besten Leute bekommen.
Diese fragen nach wie vor nach den Aktienoptionen.
Warum? Bei einer Firma, die einmal einen Kurs von 200
gesehen hat und jetzt bei 25 ist, denkt jeder, es müsse doch
mit dem Teufel zugehen, wenn der Kurs bei einem Anzie-
hen des Marktes nicht wieder steigt. Genau das ist der
Geist, den man hier braucht. Manchmal schwirrt hier ein
sehr pessimistischer Geist herum. Man wartet ab, bis sich
die Konjunktur ändert, man wartet ab, was kommt, und
will sehen, wie es sich entwickelt. Man braucht den Wil-
len und die Freude am Erfolg. Die stolze SPD sprach ein-
mal von „verliebt im Erfolg“. Heute denke ich eher an den
heiligen Origines, der von der Akedia, der schwarzen
Schwermut, dem Verzweifeln an der Güte Gottes, dem
Glauben, dass man selbst nichts dafür tun kann, sprach,
nicht aber von dem mutigen Unternehmungsgeist, das
Seinige zu tun und dann auf Gottes Hilfe zu vertrauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Was jetzt hier ansteht, ist einerseits aus der Sicht der
Unternehmen und ihrer Mitarbeiter eine faszinierende
Chance, die sie nutzen wollen. Wir brauchen aber auch für
den Markt eine Chance. Der Neue Markt ist in keinem er-
freulichen Zustand. Jedes Signal, das hilfreich ist, ist ein
gutes Signal. Deshalb, verehrte Frau Wolf, bin ich Ihnen
so dankbar gewesen, dass Sie in der letzten Debatte gesagt
haben, Überlegungen zu einer neuen Besteuerung von




Dr. Heinz Riesenhuber

21945


(C)



(D)



(A)



(B)


Fonds seien erledigt und vom Tisch. Das andere Signal
mit der Wesentlichkeitsgrenze für Beteiligungen war ein
schlechtes Signal, weil es die Business Angels völlig ver-
grämt hat, ohne das technisch auszuführen.

Der Neue Markt und die jungen Unternehmen erwar-
ten nicht, dass der Staat sie mit seiner Güte subventioniert
und mit Subventionen glücklich macht. Sie erwarten, dass
man sie konkurrenzfähig macht und ihnen Chancen gibt,
in einer offenen Welt genauso gut zu arbeiten wie jede
Konkurrenz an einem anderen Ort.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie erwarten, dass man sie nicht behindert.

Was ist deshalb anzugehen? Wir haben eine reife Ent-
scheidung. Wir brauchen die jungen Unternehmen, ihre
Dynamik und ihren Technologietransfer jenseits jeder
Bürokratie. Wir brauchen den Neuen Markt als Quelle
von Eigenkapital, denn eine Eigenkapitalwirtschaft ist
das, was in den kleinen und mittleren Unternehmen unter
unseren Händen entstehen muss. Jetzt sind wir in der Si-
tuation: Wir sehen mit Freude, dass wir in einer Woche der
Entscheidung sind. Der „Tagesspiegel“ hat es uns gesagt
und die Bundesregierung hat es sich vorgenommen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422112600
Herr Kollege,
achten Sie bitte ein bisschen auf die Redezeit.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1422112700
Ich bedanke
mich, Frau Präsidentin, für diese Mahnung. Ich habe mich
so sehr darauf konzentrieren müssen, nicht das Podium zu
verlassen, dass ich die Zeit vergessen habe.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422112800
Das ist ein sehr
reger Vortrag.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1422112900
Wir haben jetzt
also die Woche der Entscheidung, wie wir gehört haben.
Der Kanzler wird sich als Macher erweisen. Herbert
Wehner sagte einmal über einen früheren SPD-Kanzler, er
bade gerne lau.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da gibt es noch mehr!)


Darüber habe ich kein Urteil und werde mich auch dessen
enthalten. Ich würde mich aber freuen, wenn der Kanzler
die Situation wahrnimmt, machtvoll dort zu entscheiden,
wo sich alle einig sind und die Sache offensichtlich in
Ordnung ist, weil jeder, der etwas davon versteht, mit
Herzlichkeit und Begeisterung zustimmen kann, und zwar
für eine strahlende Zukunft unseres Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422113000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ver-
ehrter Kollege Riesenhuber, auch wenn ich nicht zu Ihren

Freunden zähle, schätze ich doch den Unterhaltungswert
Ihrer Beiträge. Nur – mit Verlaub –, der tatkräftige Kanz-
ler wäre sehr schlecht beraten, wenn er in das Badewasser
stiege, dass Sie ihm mit Ihrem Antrag bereitet haben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


weil dieses Badewasser nicht nur lau, sondern ganz kalt
ist. Ich finde es faszinierend: Sie haben hier ein Plädoyer
für die Unternehmen, die Aktienoptionen für Ihre Mit-
arbeiter brauchen, sowie für die jungen Unternehmen, die
besonders darauf angewiesen sind, gehalten. Das können
wir alles unterschreiben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Warum tun Sie es denn nicht?)


Das Problem ist, dass Sie hier den Eindruck erweckt ha-
ben, die Unternehmen seien im Moment daran gehindert.
Das sind sie nicht, um das hier einmal ganz deutlich fest-
zustellen. Sie können diese Aktienoptionen ausgeben. Es
geht nur um die Frage, unter welchen Bedingungen die
Mitarbeiter sie versteuern müssen.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Genau das ist es! – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das ist aber doch ein entscheidender Punkt!)


Die Aktienoptionen selbst werden aber nicht verhindert.
Sie haben hier mit Emphase gesagt: Wir brauchen Lö-

sungen. Daraufhin habe ich noch einmal geprüft, ob ich
bei der Vorbereitung auf diese Debatte Ihren Antrag ir-
gendwie missverstanden habe, und mir ist aufgefallen: All
das, was Sie hier skizziert haben, steht nicht im Antrag,
sondern in dem Antrag stehen Kriterien und es steht darin,
wir sollten einmal prüfen und wir sollten einmal sehen,
wie es sonst in Europa ausschaut. Das ist alles schön und
gut und lässt sich auch machen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Dann macht es doch!)


Nur, lieber Kollege Riesenhuber: Eine Lösung ist doch et-
was anderes.

Dann haben Sie noch gesagt: Wir wollen uns hier nicht
in selbstverliebter Modellbastelei verlieren.


(Heiterkeit)

Nun ja, so sind aber Lösungen. Das sind dann doch die
Mühen der Ebenen und es muss ein bisschen konkreter
sein. Das ist genau das, was Ihr Antrag nicht bietet, wes-
wegen wir auch gut beraten sind, ihn abzulehnen und
schon gar nicht zu denken, das sei irgendetwas, was dem
Kanzler bei seiner Tatkraft helfen könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Bei seiner Tatkraft! Bei der ruhigen Hand kann man sowieso nicht helfen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422113100
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Riesenhuber?




Dr. Heinz Riesenhuber
21946


(C)



(D)



(A)



(B)


Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1422113200
Hochverehrte
Frau Kollegin Fischer, würden Sie mir darin beistimmen,
dass ich in einer konstruktiven Weiterentwicklung aus
dem Dialog mit Ernst Schwanhold und anderen hervor-
ragenden Leuten


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Jetzt lobt er noch einmal! zu einem Konzept gekommen bin, das diesen Antrag noch weiter konkretisiert, sodass das, was ich Ihnen jetzt hier zu Füßen gelegt habe, eine vorzügliche Grundlage dafür sein kann, dass der Bundeskanzler hier entscheidet und sich den Wirtschaftsministern und vielen anderen kundigen Leuten anschließt? Andrea Fischer NEN)

noch einmal genau sehe, was da auf dem Boden liegt:


(Heiterkeit)

Wir stimmen einfach nicht über Ihre Rede ab, sondern
über den Antrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es tut mir Leid. Selbst wenn Sie dem Antrag mit Ihrer
Rede jetzt mehr Gehalt verleihen wollten, ändert das
nichts am Inhalt des Antrags, und den habe ich gerade re-
feriert. Der Antrag ist hier Gegenstand der Abstimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422113300
Gestatten Sie
noch eine zweite Zwischenfrage? Damit ist es dann aber
auch gut.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, die sind gut! Wieso denn?)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1422113400
Nachdem Sie
mir hier liebenswürdigerweise angedeutet haben, dass Sie
bei einer Abstimmung über meine Rede zustimmen könn-
ten,


(Heiterkeit)

darf ich damit die Frage stellen, ob Sie selbst bei einer for-
malen Ablehnung meines Antrags, die ich hier in Demut
hinzunehmen bereit bin, sich in der Lage sehen, das in-
haltliche Konzept, auf das sich jetzt alle billig und gerecht
Denkenden geeinigt haben, mit all Ihrer Kraft und dem
Einfluss Ihrer starken Fraktion zu unterstützen?

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich würde es wirklich für ein Missverständnis Ih-
rerseits halten, wenn Sie meinen, ich hätte schon gesagt,
ich würde Ihrem Konzept zustimmen. Ich habe zunächst
einmal natürlich auf den formalen Vorgang hingewiesen

und bemerkt, dass der CDU-Antrag – im Grunde haben
Sie das in Ihrer Rede auch durchaus zugegeben – schon
sagt, dass alles, was man bei der Besteuerung und der
Veränderung macht, seine Tücken haben wird.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das habt ihr bei eurer Steuerreform auch schon gemerkt!)


Das trifft auch auf das von Ihnen vorgeschlagene Halb-
einkünfteverfahren aus einem anderen Jahr – daran soll-
ten Sie sich gut erinnern – zu, das ist bekanntermaßen
ebenfalls nicht ohne Tücken.

Was ich von Ihnen gar nicht gehört habe, ist eine auch
nur halbwegs irgendwie faktengesättigte Annahme da-
rüber, wie viel Geld das die Länder, die das so vollmun-
dig gefordert haben, kosten könnte, vom Bund ganz zu
schweigen. Deswegen müssen Sie mir nachsehen, dass
ich für den heutigen Tag auch Ihre Rede nicht für abstim-
mungsreif halte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Als Zwischenruf: Die Länder sagen, es sei kostenneutral! Das ist ein Zwischenruf, keine weitere Wortmeldung!)


Ich will noch einmal sagen, warum: Ich glaube auch
nicht, dass das Thema mit dem heutigen Tag, wenn wir
diesen beklagenswert mageren Antrag der CDU abge-
lehnt haben, erledigt ist.


(Heiterkeit)

Wenn man über eine steuerliche Veränderung in diesem
Bereich nachdenken will, muss man sich darüber im Kla-
ren sein, dass eine Einigung über die Frage, wie man das
behandelt, am Ende trotzdem nicht über das Risiko, das
die Arbeitnehmer tragen, entscheidet. Das Risiko bleibt
bei Aktienoptionen hoch. Alle diejenigen, die am Neuen
Markt in den letzten Jahren darauf gesetzt haben, dass das
eine sehr lohnenswerte Form der Entlohnung sein könnte,
können inzwischen ein trauriges Lied davon singen. Das
Risiko können wir übrigens über die Besteuerung auch
nicht wirklich abbauen, gerade weil eben offen ist, was
diese Aktienoptionen zum Zeitpunkt der Besteuerung
wert sind.

Das Zweite ist, dass wir gerade angesichts dieser Un-
sicherheit natürlich nicht sagen können, ob es kostenneu-
tral ist. Das hat sehr viel damit zu tun, wann die Besteue-
rung erfolgt. Ich kann mir auch sehr starke zyklische
Schwankungen vorstellen, je nachdem, wo der DAX und
die anderen einschlägigen Indikatoren gerade stehen.

Ich meine nicht, dass wir ein für alle Mal sagen kön-
nen, dass wir die Frage der Besteuerung von Aktienoptio-
nen nicht mehr aufgreifen müssen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ja, dann macht es doch!)


Ich meine aber trotzdem, dass der Handlungsdruck auch
nach der Klarstellung durch den Bundesfinanzhof zurzeit
nicht in der geforderten Form besteht


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ihr macht es nur, weil der Antrag von uns ist!)







(C)



(D)



(A)



(B)


– na gut, dazu, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen
können, habe ich wirklich genug gesagt –, zumal ich der
Meinung bin, dass auch das von Herrn Riesenhuber skiz-
zenhaft aufgezeichnete Konzept nicht nur darauf geprüft
werden müsste, welche finanziellen Folgen es hätte, son-
dern auch darauf, ob es sich in der Tat als so günstig er-
weisen würde, wie es von allen gewollt ist.

Wir wollen ja – darin stimme ich Ihnen wiederum zu –,
dass die Unternehmen über Aktienoptionen als Mittel ver-
fügen, um bestimmte Mitarbeiter anzuziehen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Dann machen Sie doch einmal einen konkreten Vorschlag, wenn Sie das inhaltlich für gut halten!)


Außerdem wollen wir das auch, weil wir es für richtig
halten, dass Arbeitnehmer am Produktivkapital beteiligt
werden und weil diese Beteiligung der Mitarbeiter auch
etwas für die Unternehmenskultur bedeutet. In diesen
Punkten stimme ich Ihnen zu. Aber nicht alles, was wir für
gut halten, müssen wir auch gleich steuerlich begünsti-
gen. Es geht – das halte ich für eines der größten Probleme
dabei – um die Frage der Ungleichbehandlung von ver-
schiedenen Einkunftsarten und um die Frage von ande-
ren Verwerfungen, die sich daraus ergeben würden, wenn
wir diese von uns gewünschte Einkunftsart besonders gut
behandeln würden, und um das uralte Problem, dass wir
immer dann, wenn wir eine Sache für schön, gut und ge-
recht halten, sofort auf die Idee kommen, man müsse sie
steuerlich begünstigen. Ich meine, dass wir uns das nicht
mehr so leisten können, wie wir alle uns über viele Jahr-
zehnte hinweg daran gewöhnt hatten.


(Zuruf von der SPD: Das könnten wir uns nicht mehr leisten!)


Dementsprechend muss man mehr Vorsicht an den Tag le-
gen, als Sie es getan haben.

Abschließend möchte ich in Kenntnis Ihres Antrags
noch eines anmerken. Sie selbst verweisen in Ihrem An-
trag darauf, dass es gute Gründe gibt, bei dieser Besteue-
rung darüber nachzudenken, dass eine europäische Har-
monisierung erforderlich ist. Deswegen stellt sich die
Frage, ob wir gut beraten sind, mit einer nationalen Rege-
lung vorzupreschen, oder ob es nicht besser direkt auf
europäischer Ebene geregelt werden sollte.

Danke sehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sankt-Nimmerleins-Tag! – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: In anderen Bereichen habt ihr das aber gemacht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422113500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1422113600
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Riesenhuber, bei Ihren Ausführungen ist mir als einziges
Positives hier deutlich geworden, warum eine Raummi-

krofonanlage überhaupt einen Sinn haben kann. Denn wie
man so um das Pult herumgehen kann


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Und zudem was Sinnvolles sagen kann!)


und trotzdem verstanden wird, ist eine Kunst eigener Art.
Ich habe das Raummikrofon immer für falsch gehalten.
Aber Kompliment dafür, wie Sie es gemacht haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Frau Kollegin Fischer, es geht um den Antrag der

CDU/CSU-Fraktion. – Auf unseren Antrag komme ich
gleich zu sprechen. – Die CDU/CSU-Fraktion fordert die
Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag
einzubringen, der die steuerlichen Rahmenbedingun-
gen für die Gewährung von Aktienoptionen an Mit-
arbeiter so verbessert, dass sowohl für die Unterneh-
men als auch die Mitarbeiter die Anreize zur Nutzung
dieses Entlohnungsinstruments erhöht werden.

Ich weiß nicht, warum diesem Antrag nicht zugestimmt
werden kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Denn genau das ist es, was wir benötigen, Frau Kollegin
Fischer. – Frau Präsidentin, sie hört nicht zu.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die wollen ja gar nicht schlauer werden!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422113700
Dafür habe ich
leider keine Zwangsmittel, Herr Thiele.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Freiheit des Abgeordneten gehört auch die Unaufmerksamkeit!)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1422113800
Aber allein wenn Sie das
Wort ergreifen, Frau Präsidentin, ist die Aufmerksamkeit
schon um einiges erhöht, sogar bei der Kollegin Fischer,
die ich auch noch persönlich angesprochen habe. Deshalb
wiederhole ich es noch einmal: Schauen Sie sich den An-
trag noch einmal an! Der ist so unverfänglich formuliert,
dass meiner Ansicht nach sogar die Grünen zustimmen
könnten, wenn sie guten Willens wären. Denn mit diesem
Antrag sollen sowohl für diejenigen, die investieren und
die Betriebe gründen, Möglichkeiten eröffnet werden,
ohne viel Eigenkapital die Firma zu gründen, als auch für
diejenigen, die in den Unternehmen beschäftigt sind, Mit-
eigentümer der Betriebe zu werden.

Ich habe ein Schreiben der Deutschen Industrieverei-
nigung Biotechnologie zu dieser Debatte über den An-
trag – auch den der FDP-Fraktion – bekommen, in dem es
heißt:

Gerade für junge Wachstumsunternehmen aus der
Biotechnologie und anderen Hochtechnologiefel-
dern erweisen sich die derzeit in Deutschland gelten-
den steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für Mit-
arbeiteraktienoptionen im weltweiten Technologie-




Andrea Fischer (Berlin)

21948


(C)



(D)



(A)



(B)


wettbewerb als äußerst nachteilig. Denn die Gewin-
nung, Motivation und Bindung der Mitarbeiter ist für
diese Unternehmen von großer Bedeutung.
Besonders wichtig ist dabei die Partizipierung der
Mitarbeiter am Unternehmenserfolg. ...
Bei Biotechnologieunternehmen werden üblicher-
weise alle Mitarbeiter in die Aktienoptionspro-
gramme einbezogen – also nicht nur das „Top-Ma-
nagement“.

Frau Hauer, ich habe Ihre Rede gehört und auch Ihre
Rede vom März letzten Jahres nachgelesen. Seinerzeit
hatten Sie darauf hingewiesen, dass Sie dieses Thema in
das Bündnis für Arbeit einbringen wollten, das die Pro-
bleme dann lösen werde. Das funktioniert überhaupt
nicht. Erstens ist im Bündnis für Arbeit hierzu keine
Lösung gefunden worden. Möglicherweise wurde die Lö-
sungssuche auch nicht ernsthaft genug betrieben. Zwei-
tens. Wer als Parlamentarier seine eigenen parlamentari-
schen Rechte an ein außerhalb des Parlaments stehendes
Gremium in der Hoffnung abgibt, dort würden die Lö-
sungen gefunden werden, die wir hier zu finden haben, hat
ein Großteil seiner Abgeordnetentätigkeit leider über-
haupt nicht verstanden. Hier tätig zu werden ist Aufgabe
der gewählten Volksvertreter.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Antrag, den die FDP gestellt hat, ist sehr konkret.

Über ihn kann direkt abgestimmt werden. In ihm geht es
um den Aktientausch. Das heißt, die Aktien einer Akti-
engesellschaft werden im Wege eines Aktientausches er-
worben, wie es bei Vodafone und Mannesmann geschehen
ist. Nach heutiger Rechtslage hat dies zur Folge, dass ein
fiktiver Veräußerungsgewinn auf den Bestand der Aktien
besteuert wird, den der Einzelne hält, und bei den neuen
Aktien, die er dafür erhält, die Spekulationsfrist erneut
einsetzt. Insoweit haben wir hier eine Form der Doppel-
besteuerung, die auch nicht im Sinne des Fiskus sein
kann. Deshalb fordern wir als FDP, ganz konkret auf diese
Doppelbesteuerung zu verzichten, um hier die Möglich-
keit zu eröffnen, die der Kapitalmarkt nicht nur bei der
Veräußerung von Unternehmen gegen Bares und mit ent-
sprechendem Anteil bei den Aktieninhabern, sondern
eben auch auf dem Wege des Tausches bietet.

Diese Möglichkeiten brauchen junge Unternehmen,
Start-up-Unternehmen, bei denen jeweils die Steuer zu-
schlägt, wenn es zum Aktientausch kommt. Wer so etwas
sieht, denkt darüber nach, ob er sein Unternehmen in
Deutschland gründet oder in ein anderes Land geht, nach
Belgien, in die Vereinigten Staaten oder in andere Länder,
die erheblich günstigere Bedingungen haben. Warum man
aus kleinkariertem, rein fiskalischem Denken daran fest-
hält, diese Unternehmen zu besteuern, damit Geld in die
Staatskasse kommt, ist vollkommen unverständlich. So
denkt sich Klein Hänschen die Welt, aber so funktioniert
sie nicht.

Wir brauchen Menschen, die hier investieren. Dazu
benötigen wir für die Unternehmen und deren Mitarbeiter
die entsprechenden Rahmenbedingungen. Insofern be-
deutet leider auch in der Frage der Stock Options und des

Aktientausches diese rot-grüne Wahlperiode vier Jahre
verlorene Zeit für den Standort Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422113900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422114000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Am bemerkenswertesten fand ich
an Ihrer Rede, Herr Riesenhuber, dass Sie so getan haben,
als hätte die CDU/CSU ein in sich geschlossenes Steuer-
konzept, mit dem sie sofort loslegen würde. In den letzten
Tagen waren verschiedene Äußerungen zu lesen. Unter
anderem wurde die Verschärfung der Besteuerung großer
Konzerne gefordert. Die Botschaft höre ich wohl, allein
mir fehlt der Glaube. Sie versprechen viel, was in sich
sehr widersprüchlich ist; dies zeigt auch der heute vorlie-
gende Antrag.

Mit Ihrem Antrag versuchen Sie, der Öffentlichkeit ei-
nen Bären aufzubinden, denn Sie tun so, als würden Akti-
enoptionen heute so wie alle anderen Einkünfte besteuert
werden. Dem ist aber nicht so. Das ist also eine Auskunft
wider besseres Wissen. Der Bundestag hat, wenn auch ge-
gen die Stimmen der PDS, im vergangenen Jahr eine
Unternehmensteuerreform verabschiedet, in deren
Folge Unternehmensgewinne deutlich niedriger als
Löhne und Gehälter besteuert werden.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Sie wollen mit Ihrem Antrag in die Wege leiten, dass Ak-
tienoptionen noch niedriger besteuert werden. Hier ist von
einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung nichts zu bemer-
ken. Vielmehr soll ein bestehendes Steuerprivileg noch
stärker ausgebaut werden.


(Beifall bei der PDS)

Es wurde argumentiert, dass dies wegen der Entwick-

lung der Unternehmen des Neuen Marktes notwendig sei.
Wenn man sich aber die reale Entwicklung genau ansieht,
dann stellt man fest, dass nur ein Bruchteil der Unter-
nehmen des Neuen Marktes große Gewinne erzielt hat.
Aber dem rasanten Aufstieg folgte ein rasanter Fall. Das
liegt daran, dass Aktien oft nicht den wahren Wert eines
Unternehmens widerspiegeln. Sie werden von vielen Fak-
toren beeinflusst.

Eines hat die jüngste Vergangenheit auch gelehrt:
Die Manager der entsprechenden Unternehmen konnten
in der Vergangenheit – oftmals durch betrügerische Akti-
vitäten – rechtzeitig vor dem Sinken der Börsenkurse
große Aktienpakete verkaufen, wodurch sich der Druck
auf die Aktien des eigenen Unternehmens noch ver-
schärfte. Diese Manager sind aus der Sache gut he-
rausgekommen. Aber die Mitarbeiter, die sich für die
Aktienoption entschieden hatten, blieben mit Verlust auf
ihren Aktienoptionen sitzen. Hieran zeigt sich, dass
es dumm wäre, Löhne und Gehälter der Gefahr von
Spekulation und Betrug auszusetzen. Wenn Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter sich freiwillig für Aktienoptio-
nen entscheiden, dann haben sie auch das Risiko zu tra-
gen. Sie genießen schon heute entsprechende steuerliche




Carl-Ludwig Thiele

21949


(C)



(D)



(A)



(B)


Vergünstigungen. Aber einen weiteren Ausbau der steuer-
lichen Vergünstigungen werden wir von der PDS nicht
unterstützen.


(Beifall bei der PDS)

Wir meinen, Löhne und Gehälter sollen nicht der Gefahr
von Spekulation und Betrug ausgesetzt werden; denn das
würde letztlich auf einen Lohn- und Gehaltsraub hinaus-
laufen.

Da meine Redezeit sehr begrenzt ist, möchte ich zum
Schluss nur noch ganz kurz auf den FDP-Antrag einge-
hen. Herr Thiele, auch auf den Antrag Ihrer Fraktion trifft
das zu, was ich gerade gesagt habe. Es ist doch schon
beschlossen worden, dass Spekulationsgewinne nur noch
zur Hälfte besteuert werden. Herr Mundorf hat in der ges-
trigen Ausgabe des „Handelsblatts“ – das ist wahrlich
keine sozialistische Zeitung – festgestellt, dass Deutsch-
land eine heimliche Steueroase sei, weil Zuwächse bei
den Privatvermögen steuerlich fast gar nicht mehr erfasst
würden. Mit Ihrem Antrag wollen Sie dafür sorgen, dass
Deutschland auch in Zukunft eine Steueroase bleibt. Wir
sollten nicht vergessen, dass auch die öffentliche Hand
Geld benötigt. Gerade die PISA-Studie hat deutlich ge-
macht, dass es notwendig ist, in öffentliche Bereiche, ins-
besondere in die Bildung, zu investieren. Wenn aber der
Staat keine Einnahmen mehr hat, wie soll er dann diese
notwendigen Investitionen tätigen?

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422114100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache
14/8150 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Steuerliche Rahmenbedingungen für die Ge-

(stock options)

auf Drucksache 14/5318 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 14/6398 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem
Titel „Keine Steuer beim Aktientausch“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3009 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Auch diese Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU- und
der FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moderni-
sierung des Stiftungsrechts
– Drucksache 14/8277 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1422114200
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll,
ebenso wie mit dem gleich lautenden Regierungsentwurf
vom 6. Februar dieses Jahres, das Stiftungsprivatrecht
modernisiert werden. Das Stiftungswesen in Deutsch-
land ist – das wissen wir – vielfältig. Stiftungen entfalten
wertvolle Aktivitäten in allen Bereichen des öffentlichen
Lebens. Damit werden ungemein wichtige Aufgaben er-
füllt, die die öffentliche Hand oft gar nicht so leisten
könnte. Das gilt gerade für den Sozialbereich sowie für
Bildung und Forschung, aber auch für den kulturellen Be-
reich. Mit einer Reform des Stiftungsrechts wollen wir
dieses bürgerschaftliche Engagement nachdrücklich un-
terstützen und Bürokratie abbauen. Zu einer Förderung
der Stiftungskultur in Deutschland gehört auch ein mo-
dernes Stiftungsrecht.

Die steuerlichen Rahmenbedingungen für Stiftun-
gen haben wir bereits mit dem Gesetz vom 14. Juli 2000
verbessert. Diese Reform hat mit dazu beigetragen, dass
sich das Stiftungswesen in einer regelrechten Aufbruch-
stimmung befindet.

Ich darf das an einigen Zahlen erläutern. Die Zahl der
Neugründungen ist in den letzten Jahren ständig gestie-
gen. Wurden im Jahr 1998 noch 505 privatrechtliche Stif-
tungen errichtet, so waren es im Jahr 2000 schon 681.
Nach aller Voraussicht wird in diesem Jahr die Zahl der
Stiftungen die 10 000er-Grenze überschreiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach der Reform im steuerlichen Bereich richtet sich

die Aufmerksamkeit nun auf die Modernisierung des Stif-
tungsprivatrechts. Es geht im Kern darum, das Verfah-
ren zur Errichtung von Stiftungen bürgerlichen Rechts
einfacher zu gestalten, damit auch zu beschleunigen und
einen gesetzlich ausdrücklich bestimmten Rechtsan-
spruch auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer Stif-
tung einzuführen.

Den Schwerpunkt des Entwurfs bilden die folgenden
vier Punkte, die im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt
werden sollen:

Erstens. Der Entwurf enthält erstmals ein ausdrückli-
ches Recht auf Stiftung. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wird
festgeschrieben, dass der Stifter einen Rechtsanspruch




Dr. Barbara Höll
21950


(C)



(D)



(A)



(B)


darauf hat, dass die Stiftung als rechtsfähig anerkannt
wird, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Zweitens. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Anerkennung der Stiftung werden im Entwurf ab-
schließend und – das füge ich mit Bedacht hinzu – erst-
mals bundeseinheitlich geregelt.


(Beifall bei der SPD)

Dabei geht der Gesetzentwurf von dem Ansatz aus, die
Stifterfreiheit wesentlich zu stärken. Deshalb werden die
obligatorischen Anforderungen an das Stiftungsgeschäft
und die Stiftungssatzung auf ein unverzichtbares Mini-
mum reduziert.

Drittens. Der Gesetzentwurf schreibt erstmals aus-
drücklich fest, dass Stiftungen zu jedem gemeinwohl-
konformen Zweck errichtet werden können. Das ent-
spricht auch der allgemein anerkannten Rechtslage. Ich
finde es richtig, dass man hierbei nicht von vornherein
Einschränkungen macht. Wenn dem Gesetzgeber eine
Stiftung besonders wertvoll ist, dann kann er das im steu-
erlichen Bereich honorieren. Das materielle Stiftungs-
recht dagegen sollte aus unserer Sicht neutral sein.

Viertens. Um den Grundsatz der Stiftungsfreiheit
auch sprachlich deutlich zu machen, wurde der Begriff
„Genehmigung der Stiftung“ durch den Begriff „Aner-
kennung der Stiftung“ ersetzt. Das ist nicht nur eine Än-
derung des Wortlauts – das wäre relativ einfach –, sondern
das zeigt auch, dass der Gesetzgeber einen neuen Aus-
gangspunkt festlegt. Man wendet sich von der obrigkeits-
rechtlichen Sicht der Dinge ab und einer fördernden und
bürgernahen Sicht zu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wesentliche Voraussetzungen für eine Modernisierung
des Stiftungsprivatrechts hat die Arbeitsgruppe der
Länder und des Bundes zum Thema Stiftungsrecht er-
arbeitet. Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich
anerkennen. Diese Arbeitsgruppe war von der Bundes-
ministerin der Justiz, Frau Professor Däubler-Gmelin,
einberufen worden. Sie sollte den Reformbedarf untersu-
chen. Sie wissen aufgrund des Berichts dieser Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe, dass die Bestandsaufnahme ausge-
sprochen gut und gründlich war. Auch das Stiftungsrecht
anderer Staaten ist ausgewertet worden. Erstmals hatten
wir nun eine sichere Grundlage, um die einschlägigen
Fragen beantworten zu können. Hier sind insbesondere
die Sachkunde und die Hilfe der Verbände, die sich mit
Stiftungen beschäftigen – ich will sie an dieser Stelle aus-
drücklich als kooperativ und hilfreich bezeichnen –, zu er-
wähnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Auch andere, etwa Wissenschaftler, Rechtsanwälte, No-
tare und Richter, haben ihren Beitrag geleistet. Die Er-
gebnisse des Abschlussberichtes vom Oktober letzten
Jahres sind in die Vorschläge für die Bundesgesetzgebung
und für die Verwaltungspraxis der Länder – auch sie muss
noch angesprochen werden – eingeflossen.

Die Vorschläge der Kommission für die Gesetzgebung
des Bundes werden nun durch den Regierungsentwurf
und den heute zur Debatte stehenden Koalitionsentwurf
zügig umgesetzt. Weitere Möglichkeiten zur Umsetzung
liegen auch bei den Ländern. Ich hoffe, dass es bei den
Ländern entsprechende Folgeschritte geben wird.

Ich bin zuversichtlich, dass wir es mithilfe aller Frak-
tionen schaffen können, noch in dieser Legislaturperiode
auch das materielle Stiftungsrecht neu zu ordnen. Das ist
zwar kein revolutionärer Schritt;


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


aber nach 100 Jahren war es in der Tat an der Zeit, das Stif-
tungsrecht zu modernisieren. Ich wünsche mir, dass alle
Fraktionen dieses Hohen Hauses dabei aktiv mitarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422114300
Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wolfgang, staatstragend! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kann die jahrelange fruchtbare Diskussion über die Erleichterung der Errichtung von Stiftungen und die Ermunterung, solche Stiftungen für gemeinnützige Zwecke zu gründen, noch in dieser Legislaturperiode ihren Abschluss finden. Es hat zwar etwas länger gedauert, bis aus den einzelnen Vorlagen etwas Gemeinsames wurde. Ich erinnere an den Gesetzentwurf der Grünen vom 1. Dezember 1997, an den Gesetzentwurf der FDP vom 28. Januar 1999, an den Gesetzesantrag des Landes Hessen vom 20. Dezember 1999 im Bundesrat, an den Antrag der CDU/CSU-Fraktion vom 9. November 1999, an den Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Saarland und Thüringen vom 19. April 2000, an die Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission, an den neuen Entwurf der FDP vom 4. April 2001 und schließlich – spät, Herr Kollege, aber nicht zu spät – an den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen von diesem Monat. Bei aller Unterschiedlichkeit der Intentionen und auch der Überlegungen beinhalten alle Gesetzentwürfe das Ziel, dafür zu sorgen, dass ein Stifter einen Anspruch auf Genehmigung oder Anerkennung einer Stiftung hat und dass bei Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen ein Anspruch darauf besteht, und zwar ohne Ermessensspielraum. Damit sollte und wird die privatrechtliche Stiftung die Rechtsfähigkeit nicht durch eine behördliche Genehmigung erlangen, sondern schlichtweg durch eine Anerkennung, auf die ein Anspruch besteht. Das ist in der Tat etwas anderes. Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick 21951 Die teilweise erhobenen Forderungen nach einem einheitlichen Bundesstiftungsrecht, das den Ländern die Kompetenzen entzogen hätte, sind zu Recht fallen gelassen worden. Die Länderkompetenzen haben sich dort bewährt, wo von den Landesregierungen vernünftige Behörden dafür eingesetzt wurden. Daher wurde die Forderung, für die Anerkennung und Aufsicht zuständige Landesstiftungskammern oder eine Bundesstiftungskammer einzurichten, meiner Ansicht nach zu Recht fallen gelassen, weil sie nur neue, unnötige behördenähnliche Apparate, die von Stiftungen wiederum durch eine Zwangsmitgliedschaft zu finanzieren gewesen wären, erforderlich gemacht hätten. Lassen Sie mich am Rande sagen – ich habe das schon einmal in einer Diskussion zum Ausdruck gebracht –: Ich hätte der Errichtung einer Bundesstiftungskammer nur dann zugestimmt, wenn ich gleichzeitig zu ihrem Präsidenten designiert gewesen wäre. (Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Darüber hätten wir aber reden können! – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schnell sind Sie zu bestechen? Das hätte ich nicht gedacht! – Monika Griefahn [SPD]: Das hätten wir vorher wissen müssen!)

Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1422114400




(C)


(D)


(A)


(B)


– Sie sehen: Wir haben es nicht gemacht. Das war viel-
leicht ganz gut.

So hat sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Rah-
menbedingungen für Stiftungen geeinigt, deren Ziel es ist,
neue Impulse für das gemeinwohlorientierte Stiftungswe-
sen zu setzen, ohne diese Stiftungen, wie viele gern gese-
hen hätten, mit Präferenzen für das Kulturwesen auszu-
statten. Angesichts der Fülle der Gesetze, die auf den
Bürger herniederkommen, ist es auch richtig gewesen
– dazu stehe ich –, kein eigenes Stiftungsgesetz vorzule-
gen, sondern aus den Vorlagen der verschiedenen Parteien
und Gruppierungen in Bund und Ländern die klarsten und
deutlichsten Formulierungen zu übernehmen und in we-
nigen, geänderten Paragraphen in das BGB einzubringen.

Kurz und knapp wurden die bestehenden neun Para-
graphen geändert. Sie wurden dorthin gebracht, wo sie
hingehören, unter anderem auch in die Nähe des Vereins-
rechts, das auch weiterhin durch Verweisungen herange-
zogen werden wird.

Dabei halte ich es für wichtig und richtig – die für Kul-
tur zuständigen Kollegen mögen mir dies verzeihen; ich
will die Kompetenz der anderen Kollegen nicht infrage
stellen –, dass die Diskussionen insbesondere im Rechts-
ausschuss, also dort, wo sie hingehören, geführt werden.

Auch können kaum Meinungsverschiedenheiten darü-
ber bestehen, dass die Stiftungsregelungen zur konkurrie-
renden Gesetzgebungskompetenz des Bundes gehören
und eine bundeseinheitliche Regelung gemäß Art. 72
Abs. 2 Grundgesetz zu bejahen ist, weil ein einheitlicher
Rahmen für die Stiftung der Zukunft geboten ist. Dazu
gehört insbesondere – um es zu wiederholen – der Rechts-
anspruch des Stifters, dass die Stiftung als rechtsfähig an-
erkannt werden muss, wenn die übrigen Voraussetzungen
vorliegen. Dies ist richtigerweise bundeseinheitlich in
§ 80 Abs. 2 BGB verankert worden.

Damit ist dann auch der Streit zu Ende, ob – Herr Pick
hat bereits darauf hingewiesen – die herrschende Mei-
nung richtig ist, dass bereits nach dem geltenden Recht ein
Anspruch auf Genehmigung zuerkannt wurde. Somit
dient die jetzige Regelung der Rechtsklarheit und Rechts-
sicherheit.

In den Beratungen sollte die Bedeutung des § 80
Abs. 2 im Übrigen noch konkretisiert werden. Der Halb-
satz: „die dauernde nachhaltige Erfüllung des Stiftungs-
zwecks gesichert ist und die Stiftung das Gemeinwohl
nicht gefährdet“ sollte klarer gefasst werden. Was ist un-
ter dauernder nachhaltiger Erfüllung des Stiftungs-
zwecks zu verstehen? Ein Ewigkeitscharakter kann auch
einer auf unbegrenzte Dauer angelegten Stiftung nicht zu-
kommen und es kann beim besten Willen nicht geprüft
werden, ob eine heute ins Leben gerufene Stiftung in
zehn, 50 oder 100 Jahren noch nachhaltig die Erfüllung
des Stiftungszweckes absichert. Wenn sie darin steht, dass
eine Stiftung auch auf Zweckerfüllung gerichtet sein kann
und mit der Zweckerfüllung endet, sollte dies auch im Ge-
setz seinen Niederschlag finden.

Der Rechtsanspruch auf Anerkennung wird bedenklich
wieder in den Ermessensspielraum von Genehmigungen
„herabgezont“, wenn die zuständige Behörde zu prüfen
berechtigt ist, ob die Vermögensausstattung für die dau-
ernde und nachhaltige Erfüllung ausreicht, und daneben
auch noch in die Prüfung einbezieht, ob weiter ausrei-
chende Zustiftungen bzw. Zuwendungen die Nachhaltig-
keit für die Zukunft sozusagen garantieren. Hierdurch
würde unter Umständen der Willkür bei der Anerkennung
Tür und Tor geöffnet.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Stifter hinterlässt
eine Verfügung von Todes wegen, mit der eine Stiftung er-
richtet wird, um ein Denkmal zu initiieren, und stattet
diese Stiftung mit 20 000 Euro aus. Es kann nun nicht
Aufgabe der zuständigen Behörde sein, die Anerkennung
der Stiftung davon abhängig zu machen, dass die Testa-
mentsvollstrecker oder Stiftungsvorstände Pläne mit Kos-
tenvoranschlägen etc. zur Anerkennung vorlegen. Für den
Fall, dass das Geld für dieses Denkmal nicht ausreicht und
Zustiftungen nicht möglich sind, haben wir die Bestim-
mung des § 87 BGB, nach der die zuständige Behörde der
Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben oder sie
sogar aufheben kann. Diese Berechtigung hat sich nicht
geändert, sodass auch eine Stiftung, die satzungsgemäß
ihr Stiftungsvermögen verbrauchen kann, anzuerkennen
ist, und zwar unabhängig davon, ob ein Beamter oder zu-
ständiger Sachbearbeiter nachzuprüfen oder nachzurech-
nen hat, wie lange eine Stiftung etwa mit 100 000 Euro
existieren kann. Wird die Stiftung vermögenslos, ist wie-
derum nach § 87 Abs. 1 BGB zu verfahren.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Pick, ich wäre dank-
bar, wenn wir uns in den Berichterstattergesprächen um
eine wohl letztlich auch von Ihnen gewünschte klare For-
mulierung bemühten; denn wir alle sind wohl der Auffas-
sung, dass die Stiftungen erleichtert und nicht erschwert
werden sollen und insbesondere deren Errichtung be-
schleunigt werden soll.

Lassen Sie mich auch sagen: Wir in Baden-Württemberg
hätten keiner Regelung bedurft, weil die dort zuständigen




Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
21952


(C)



(D)



(A)



(B)


Behörden, die Regierungspräsidien, kurze und schnelle
Entscheidungen treffen. Wir wollen natürlich nicht, dass
sich diese gute Praxis durch ein neues Gesetz ändert.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wenn die lesen können, geht es genauso schnell!)


Ich habe gehört, dass die Praxis in anderen Ländern
nicht so einfach gewesen ist. Dort ist bei den Entschei-
dungen ein Stau von bis zu einem Jahr möglich gewesen.

Mit diesen meiner Ansicht nach notwendigen Verbes-
serungen wird auch die Stiftung von mehreren Personen,
auch von juristischen Personen, die im Übrigen bisher
längst möglich war und heute mit dem Schlagwort „Bür-
gerstiftungen“ in Verbindung gebracht wird, erleichtert;
denn bei einer Bürgerstiftung sind die Anfangseinlagen
häufig relativ gering und es sollen erst durch Publicity ei-
ner solchen Bürgerstiftung neue Stifter gewonnen werden.
Auch hier darf nicht ein Sachbearbeiter die Erfolgsaus-
sicht einer solchen Stiftung gegebenenfalls gar unter welt-
anschaulichen oder parteipolitischen Aspekten prüfen.
Auch hier gilt, dass eine Bürgerstiftung, die ihren Zweck
mangels Masse oder mangels Objekt nicht erfüllen kann,
entsprechend umzuwandeln oder zu löschen ist.

Zu Recht hat man sich auch nicht auf das Glatteis
begeben, für die unterschiedlichen Stiftungen gemeinnüt-
ziger oder nicht gemeinnütziger Art verschiedene Voraus-
setzungen im Gesetzentwurf zu verlangen. Vielmehr ist
letztlich der Anspruch auf Anerkennung gegeben, wenn
das Gemeinwohl nicht gefährdet ist. Dadurch sind nach
wie vor Unternehmensstiftungen, Familienstiftungen und
andere Formen möglich. Sie werden richtigerweise über
das Steuerrecht in gemeinnützige, teilgemeinnützige und
nicht gemeinnützige Stiftungen unterteilt. Insoweit hat
das im März 2000 verabschiedete Gesetz zur weiteren
steuerlichen Förderung von Stiftungen bereits Erfolge
gezeitigt. Die Zahlen, die Herr Pick vorgelegt hat, sind ja
beeindruckend.

Einen Anschub für Stiftungsgründungen hat auch die
Tatsache bewirkt, dass Zuwendungen bis zu einem Betrag
von 20 450 Euro vom steuerpflichtigen Einkommen ab-
gezogen werden können. Darüber, ob diese Höhe richtig
ist und endgültig so bleiben sollte, kann man sicher dis-
kutieren. Vielleicht sollte man auch darüber diskutieren,
ob dieser Betrag bei Zuwendungen an zwei Stiftungen er-
höht werden kann, damit nicht nur eine oder wenige po-
puläre Stiftungen alles Geld bekommen, sondern auch
viele andere Stiftungen in den Genuss von Zuwendungen
kommen.

Eins wollte ich auch noch einmal wiederholen, weil
immer wieder gesagt wird, man stifte nur Steuern.Das ist
natürlich nicht der Fall. Wer 20 000 Euro stiftet, muss
diese 20 000 Euro erst einmal netto verdient haben. Dafür
sind, wenn ich richtig gerechnet habe und vereinfacht ei-
nen Steuersatz von 50 Prozent zugrunde lege, 40 000 Euro
zu verdienen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: So viel sind es nicht mehr!)


– Sie sind noch dicke da. Lieber Alfred Hartenbach, du
verwechselst Firmen und Privatpersonen. Ich rede von
Privatpersonen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: 45 Prozent!)

– Streiten wir uns nicht. Ich habe jetzt aus Vereinfa-
chungsgründen 50 Prozent zugrunde gelegt; ich würde
mich freuen, wenn es weniger wären.

Wenn ich also die 40 000 Euro zugrunde lege, dann
wurden davon schon einmal 20 000 Euro an Steuern ge-
zahlt. Stifte ich nun die anderen 20 000 Euro, dann kann
ich von dem zu versteuernden Einkommen 20 000 Euro
abziehen, zahle also 10 000 Euro weniger Steuern. Um
also 20 000 Euro zu stiften, muss ich 30 000 Euro brutto
verdient haben und habe davon hinterher nichts mehr.
Man muss also dazu sagen, dass es sich hierbei nicht um
eine Steuerersparnis im eigentlichen Sinne handelt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422114500
Herr Kollege von
Stetten, Sie müssten jetzt bitte zum Schluss kommen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Er hat sich eben bei den Steuersätzen vergaloppiert!)



Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1422114600

Ich bin gleich am Ende, Frau Präsidentin.

Wenn wir – davon bin ich überzeugt – zu einem guten
Ergebnis kommen, haben wir eine bereits vom 44. Deut-
schen Juristentag 1968 geforderte Reform durchgeführt,
indem wir die Vorschläge der dafür eingesetzten Steuer-
kommission teilweise in Normen gegossen haben. Ich
hoffe, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen, damit
das Gesetz noch in dieser Periode beschlossen werden
kann.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422114700
Jetzt spricht die Kol-
legin Dr. Antje Vollmer für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422114800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stif-
tungsdebatten sind wirklich sehr schöne Debatten. Ers-
tens kann man feststellen, dass sie auf Konsens abzielen,
zweitens kann man in der Regel feststellen, dass die
Laune bei ihnen gut ist, und drittens gibt es gerade bei den
Stiftungsdebatten manchmal ganz ungewöhnliche Lö-
sungsvorschläge. Selten ist ein Gesetzesvorschlag im
Bundesrat sogar noch materiell verbessert worden. Das
war bei der letzten Beratung dieses Gesetzes im steuer-
rechtlichen Teil der Fall. So haben dann alle das Gefühl,
an einer guten Sache beteiligt zu sein. So habe ich auch
die Rede des Kollegen von Stetten als sehr konstruktiv
empfunden und freue mich über seine Unterstützung. Es
ist also ein gutes Ergebnis parlamentarischer Arbeit.




Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

21953


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerade die Reform des Stiftungsrechtes – darauf sind
wir stolz – ist ein Kernbestandteil rot-grüner Regierungs-
tätigkeit.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das war natürlich nicht meine Intention!)


Hier kommt aber nicht nur rot-grüne Regierungstätigkeit
und rot-grünes Parlamentsverständnis zum Ausdruck,
sondern vor allen Dingen das rot-grüne Verständnis von
der Potenz der Bürgergesellschaft. Wenn man ihr näm-
lich Chancen zur Entfaltung gibt, dann wird sie diese
Chancen auch ergreifen. Langsam erholt sich das Stif-
tungswesen hierzulande. Es wurde schon gesagt: Ende
2000 gab es immerhin schon wieder 9 700 Stiftungen in
der Bundesrepublik. Ich war gerade auf einem Fundrai-
sing-Kongress; auch da wurde davon gesprochen, dass
es schon über 10 000 seien und allein im letzten Jahr
1 000 neue Stiftungen entstanden seien. Wenn ich daran
denke, was man damals hier darüber gesagt hat, dann
muss ich festhalten: Wir haben erfolgreich agiert und aus
der Mitte der Gesellschaft heraus ist erfolgreich geant-
wortet worden.


(Beifall bei der SPD)

Für mich persönlich ist das ein wunderbarer Abschluss

eines Prozesses, an dem ich fünf Jahre sehr intensiv gear-
beitet habe. Es ging vor allen Dingen darum, das Stif-
tungswesen aus dem Elfenbeinturm der Gesellschaft zu
entlassen und das Verständnis in der Gesellschaft für Stif-
tungen und Stifter und dafür, dass sie das tun dürfen, was
sie tun wollen, zu entwickeln.

Die Förderung der Stiftungen hat auch – das ist uns be-
sonders wichtig – zu einer überraschenden Zahl von Bür-
gerstiftungen geführt. Im Sommer 2001 vermerkte der
Bundesverband Deutscher Stiftungen in diesem Bereich
die Überschreitung der Hundertermarke. Das zeigt, dass
die Stiftungen nicht nur für die Gemeinschaft angelegt
sind, sondern nun auch verstärkt von ihr, von neuen Ge-
meinschaften, errichtet werden. Das ist keineswegs ganz
einfach; denn diese Bürgerstiftungen verzichten auf et-
was, was die Einzelstifter haben: auf ihren eigenen Na-
men, auf die individuelle Handschrift. Sie finden sich
häufig in Kommunen zusammen, um für die Kommune
etwas Dauerhaftes im sozialen Bereich, im Jugendbereich
oder im Kulturbereich zu schaffen.

Deswegen ist es wichtig, dass nicht nur die Rechtspo-
litiker, sondern auch die Kulturpolitiker darüber mit ent-
scheiden und mit bestimmen. Angesichts der Schwierig-
keiten in der Theaterlandschaft in der Bundesrepublik
muss man feststellen, dass gerade Bürgerstiftungen eine
ideale Grundlage zur Sicherung der Theater wären, die
immer wieder gefährdet sind. Es gibt eine Reihe weiterer
Möglichkeiten, dieses Instrument in der Gesellschaft
zum Nutzen der Kommunen weiterzuentwickeln, zum
Beispiel auch zur Unterstützung von Museen, das heißt
genau in den Bereichen, von denen wir alle wissen, dass
sie teuer sind, dass sie aber auch frei sein und die Freiheit
haben müssen, Durststrecken zu überwinden. Gerade

dafür sind die Bürgerstiftungen ein wunderbares Instru-
ment.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])


Alles blüht und gedeiht aufs Schönste. Aber nun haben
wir uns auch noch, was man uns gar nicht zugetraut hatte,
des zweiten Teils, nämlich der zivilrechtlichen Seite des
Stiftungsrechtes, angenommen, und sei es nur, damit wir
die Ehre haben, den ganzen Prozess und nicht nur den
steuerrechtlichen Teil abgeschlossen zu haben. Ich finde
diesen Abschluss wichtig, weil wir damit auf eine lange
Praxiserfahrung reagieren. Dieser zweite Teil des Prozes-
ses war durchaus schwierig, weil er nur zusammen mit
den Ländern gestaltet werden konnte. Sie wissen – jeden-
falls die, die an den internen Debatten teilgenommen ha-
ben –, dass es in den Ländern zunächst keine große Be-
reitschaft dazu gab, da das Stiftungsrecht eines der
liebsten Kinder der Länder war. Bis die Länder bereit wa-
ren, sich auf eine bundeseinheitliche Regelung einzulas-
sen, bedurfte es einer langen Diskussion. Das Bundes-
justizministerium hat dafür gesorgt, dass diese Debatte
stattfinden konnte. Schließlich sind wir zu einer guten Re-
gelung gekommen, und zwar zu einer – das muss ich nun
doch sagen –, die weit über das hinausgeht, was die FDP
mit ihren sehr waghalsigen drei Vorschlägen, die in eini-
gen Zeitungsartikeln sofort kritisch unter die Lupe ge-
nommen worden sind, angekündigt hatte.

Wer also die Länder mit im Boot haben will, muss mit
ihnen sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man spürt auch in der Debatte in diesem Hause, dass mit
den Ländern gesprochen worden ist.

Der Gesetzentwurf enthält vier Neuregelungen:
Erstens. Wir haben jetzt das, was es zunächst gar nicht

geben sollte, nämlich das Recht auf Stiftung. Das heißt,
wir nehmen in der Sache Abschied vom Konzessionsge-
danken, von dem obrigkeitlichen Gedanken, dass der
Staat für den Prozess des Stiftungserlasses sein Gütesie-
gel geben muss. Was eine gemeinnützige Stiftung ist – Sie
haben das richtig gesagt –, kann man über das Steuerrecht
klären; man muss es aber nicht im Akt der Einrichtung der
Stiftung machen. Es gehört zu den grundlegenden Rech-
ten des Einzelnen, dass er Stifter sein kann. Damit ist das
Institut des Stiftens bürgerrechtlich ganz anders aner-
kannt.

Zweitens. Wir haben eine abgeschlossene Liste der ma-
teriellen Voraussetzungen zur Errichtung einer Stiftung in
das Gesetz aufgenommen. So ist ein Mindeststandard ge-
währleistet. Das bringt Übersichtlichkeit, Einfachheit und
Transparenz im Stiftungswesen und ist damit stifter-
freundlich. Deswegen und natürlich auch aufgrund der
Debatte der letzten Jahre kann man feststellen, dass sich
die Praxis erheblich vereinfacht hat. Auch ich habe am
Anfang erfahren, dass Stiftungsprozeduren bis zu zwei
Jahre gedauert haben. Die schnellste Gründung war die




Dr. Antje Vollmer
21954


(C)



(D)



(A)



(B)


der Bundeskulturstiftung innerhalb von sechs oder sieben
Tagen. So geht es also auch.

Drittens. Stiftungszweck kann jedes Anliegen eines
Stifters sein, das nicht gegen das Gemeinwohl verstößt.
Nur so ist die Vielfalt der Stiftungen zu gewährleisten.

Viertens. Stiftungen werden von den Behörden – auch
das ist schon gesagt worden – nicht länger genehmigt,
sondern sie werden anerkannt. So schließt sich der Kreis.

Eine wahrhafte Modernisierung des Stiftungsrechts ist
beabsichtigt. Ich begrüße diese Initiative ausdrücklich.
Dennoch will ich betonen, dass es für mich persönlich ei-
nen Wermutstropfen gibt.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Immer!)

Wie bei allen schönen Dingen wünscht man sich immer
noch ein bisschen mehr. Wir Grünen hätten uns ein Stif-
tungsregister gewünscht, aber nicht, weil es sich dabei
um eine Behördenkammer gehandelt hätte oder weil der
Posten eines Präsidenten oder einer Präsidentin zu verge-
ben gewesen wäre.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Mit Sicherheit!)


Dieses Register würde vielmehr dem legitimen Bedürfnis
der Öffentlichkeit Rechnung tragen, über die privilegierte
Rechtsform Stiftung mehr und Einheitlicheres zu erfah-
ren, als die Stiftungen selbst oft bereit sind, bekannt zu ge-
ben. Wenn die Öffentlichkeit schon einen solchen Ver-
trauensvorschuss gibt, dann wäre es gut, wenn die
Stiftungen selbst in der Öffentlichkeit für sich werben
würden. Es handelt sich ja um sinnvolle Stiftungszwecke,
die sich jeder Stifter sehr genau überlegt. Denn mit seinem
Kapital finanziert er eine Stiftung, deren Zweck ein Leben
lang erhalten bleibt. Es besteht also ein gewisser Druck
für den Stifter oder für die Bürgerstiftung, sich den Zweck
genau zu überlegen.

Es wäre natürlich gut gewesen, wenn man zusätzlich
zur Bekanntgabe des einmal festgelegten Stiftungszwecks
auch eine jährliche öffentliche Rechenschaftslegung der
Stiftungen wie in den USA vorgesehen hätte.


(Beifall bei der PDS)

In den USAhat dies zu einer größeren Akzeptanz der Stif-
tungen geführt. Es hat ferner zu mehr Wettbewerb geführt,
weil die Stiftungen untereinander darum wetteifern, wer
die Gelder besser anlegt und wer erfolgreicher ist. Man
kann dadurch die ganze Palette der Stiftungen, angefan-
gen von den operativ tätigen bis hin zu den gemeinnützig
tätigen Stiftungen, kennenlernen. Dadurch erfahren die
Menschen, die an eine Stiftung herantreten wollen, Ge-
naueres darüber, mit wem sie es zu tun haben.

Die Vertreter der Länder haben dafür leider keine Not-
wendigkeit gesehen. Aber ich setze, optimistisch nach
vorne blickend, darauf, dass es die Praxis zeigen wird.
Was wir in der Zukunft noch brauchen werden, wird uns
die Praxis lehren. Trotzdem ist festzuhalten: Was wir bis-
her in zwei großen Schritten erreicht haben, ist etwas, für
das sich niemand in diesem Parlament schämen muss,
sondern über das er sich freuen sollte.

In diesem Sinne wollen wir die Anhörung durchführen.
Ich glaube, dass wir dann sehr schnell zu einem Abschluss
kommen können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422114900
Es spricht jetzt der
Kollege Rainer Funke für die FDP-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1422115000
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Kurz vor Ende dieser Legislaturperiode
liegt nun endlich in erster Lesung der Gesetzentwurf zur
Änderung des materiellen Stiftungsrechts vor.


(Widerspruch des Abg. Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD])


– Ja, endlich.

(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Endlich? Nach 19 Jahren!)

Sie haben sich das vor vier Jahren in Ihrem Koalitions-
vertrag vorgenommen.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es nichts zu klagen!)


Am Ende dieser Legislaturperiode wird es nunmehr wahr,
dass Sie einen eigenen Gesetzentwurf zum Stiftungszivil-
recht vorlegen, nachdem die FDPbereits am 4.April 2001
einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat.


(Monika Griefahn [SPD]: Aber nicht mit den Ländern abgestimmt! Das ist der entscheidende Unterschied!)


– Das ist völlig richtig. Ich glaube aber, dass der Bundes-
gesetzgeber gerade auf diesem Gebiet nicht alles mit den
Ländern abstimmen muss. Er kann vielmehr eigenständig
überlegen – es handelt sich nämlich um eine Regelung im
BGB und nicht um irgendwelche Ländergesetze –, wie die-
ser Flickenteppich im Stiftungsrecht beseitigt werden kann.
Den Bock zum Gärtner zu machen ist noch nie gut gewe-
sen.

Man wundert sich, dass die Koalitionsfraktionen diese
Kurzfassung des Stiftungszivilrechts – so will ich es ein-
mal nennen – erst jetzt vorlegen. Denn es handelt sich hier
ja nur um eine Klarstellung der §§ 80 und 81 des BGB.
Mehr ist es nicht.


(Dr. Heinrich Fink [PDS]: Das stimmt!)

Auch wundert man sich darüber, dass die Grünen

diesen Entwurf mittragen, nachdem sie ja bereits am
1. Dezember 1997 einen recht gut ausformulierten und
ausführlichen Gesetzentwurf zur Förderung des Stif-
tungswesens vorgelegt haben, der von dem Hamburger
Professor Dr. Rawert ausgearbeitet worden war.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war noch ein bisschen besser! Das ist klar! – Monika Griefahn [SPD]: Aber dem hätten Sie damals auch nicht zugestimmt, Herr Funke!)





Dr. Antje Vollmer

21955


(C)



(D)



(A)



(B)


Wieder einmal haben sich die Grünen bei ihrem Koaliti-
onspartner und dem Bundesjustizministerium nicht
durchsetzen können.


(Beifall bei der FDP – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch, es waren die Länder! – Monika Griefahn [SPD]: Sie hätten es schon 1997 verabschieden können!)


Daher verwundert es nicht, wenn Professor Dr. Rawert
den jetzt vorgelegten Gesetzentwurf in der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ völlig niedermacht. Sie werden
den entsprechenden Artikel gelesen haben. Allerdings
habe ich zu meinem eigenen Bedauern auch gelesen – das
gebe ich zu, Frau Vollmer –, dass Professor Rawert auch
unseren Entwurf kräftig angegriffen hat.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ja, genau! Da sollten wir mal zusammenhalten, Herr Funke!)


– Das ist in diesem Fall nicht notwendig.

(Ulrich Heinrich [FDP]: Gemeinsam sind wir stark!)

Bei dem vorgelegten Gesetzentwurf handelt es sich um

eine so genannte Paralleleinbringung, weil der Entwurf
der Bundesregierung noch im Bundesrat liegt und noch
nicht einmal in den Ausschüssen abschließend beraten
worden ist.


(Alfred Hartenbach [SPD]: So ist das nun mal!)


Das mag auch an den unterschiedlichen Interessenlagen
von Bund und Ländern liegen. Darüber haben wir ja eben
auch schon kurz mittels unserer Zurufe diskutiert.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Der Entwurf der Bundesregierung bzw. der Koaliti-
onsfraktionen ist nun einmal ein Minimalkonsens, auf
den man sich geeinigt hat. Das ergibt sich auch aus den
Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die ihren
Abschlussbericht am 19. Oktober 2001 vorgelegt hat.
Dass es sich um einen Minimalkonsens handelt, sieht
man dem Gesetzentwurf der Bundesregierung bzw. der
Koalitionsfraktionen auch an. Ich glaube, da ist der Ent-
wurf der FDP-Bundestagsfraktion schon dezidierter
und entspricht auch mehr den praktischen Notwendig-
keiten.


(Beifall bei der FDP)

Immerhin ist dem Entwurf der Koalitionsfraktionen

trotz all seiner Dürftigkeit zu konzedieren, dass eine Bun-
deskompetenz, entgegen der Auffassung der Bayerischen
Staatsregierung, bejaht wird und dass nunmehr auch
durch §§ 80 und 81 BGB klargestellt wird, welche Unter-
lagen für das Stiftungsgeschäft vom Stifter angefordert
werden dürfen und müssen. Dadurch sind die Landes-
behörden in ihrem Ermessen hinsichtlich weiterer Anfor-
derungen eingeschränkt.

Damit ist das unwürdige Spiel mancher Stiftungsauf-
sichtsbehörden beendet – natürlich nicht das der Stif-

tungsaufsichtbehörden von Baden-Württemberg, bei de-
nen alles sehr viel besser sein wird –,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Nein, da hat es sehr gut geklappt! – Alfred Hartenbach [SPD]: Von Hamburg auch nicht!)


– doch, von Hamburg ja –, die immer wieder neue, zu-
sätzliche Unterlagen vom Stifter anfordern und den Stif-
tungsvorstand in seiner Arbeit einschränken wollen. Häu-
fig ist ja auch der Stiftungsvorstand ehrenamtlich tätig.
Die Auflagen, die man von den Stiftungsaufsichtsbehör-
den bekommt, sind nicht immer hilfreich.

Auch ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung da-
von Abstand genommen hat, die Stiftungen auf aus-
schließlich gemeinnützige Zwecke zu begrenzen. Wenn in
der Begründung auf das Gemeinwohl abgestellt wird, ist
damit offensichtlich gemeint, dass Stiftungen, die verfas-
sungswidrige Zwecke verfolgen, verboten sind. Das ist
auch unsere Auffassung, sollte dann aber im Gesetzestext
klargestellt werden. Aber dazu haben wir sicherlich in den
Berichterstattergesprächen ausreichend Zeit.

Auch teilen wir die Auffassung der Koalitionsfraktio-
nen, dass die Stifterfreiheit gestärkt werden soll. Gerade
deswegen halten wir unseren Entwurf für dezidierter und
pragmatischer und werden auch unsere Vorschläge bei
den gemeinsamen Beratungen einbringen.

Insgesamt ist der Entwurf der Koalitionsfraktionen
noch sehr nachbesserungsbedürftig. Wir werden über die
notwendigen Verbesserungen, die sich im Rahmen der
Anhörungen und der Berichterstattergespräche ergeben
haben, sicherlich noch miteinander diskutieren müssen.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir freuen uns,
dass die Koalitionsfraktionen ihre ersten Schrittchen in
die richtige Richtung, also auf dem Weg zu einer Moder-
nisierung des bürgerlichen Stiftungsrechts, gemacht ha-
ben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422115100
Ich erteile
dem Kollegen Professor Dr. Heinrich Fink für die PDS-
Fraktion das Wort.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1422115200
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Frage liegt
nahe: Haben die Koalitionsfraktionen mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf das Versprechen eingelöst, das sie bei
Verabschiedung des neuen Stiftungssteuerrechts abgege-
ben haben?


(Rainer Funke [FDP]: Nein!)

Formal ja, inhaltlich nicht. Denn dafür ist das Ergebnis
nicht ausreichend. Im Grunde gibt es nur einen handfesten
praktischen Fortschritt, nämlich den, dass die Vorausset-
zungen für die Errichtung einer Stiftung nun bundesein-
heitlich geregelt werden sollen. Bei den beiden anderen
Änderungen im Rahmen des § 80 BGB handelt es sich le-




Rainer Funke
21956


(C)



(D)



(A)



(B)


diglich um eine Angleichung des Gesetzestextes an eine
bereits weitgehend bestehende Praxis.


(Rainer Funke [FDP]: So ist es!)

Wenn ich dieses Ergebnis als nicht ausreichend be-
zeichne, so brauche ich es dafür nicht einmal an unserer
Entschließung zu messen, die wir im Rahmen einer zu
diesem Thema bereits erfolgten Debatte eingebracht ha-
ben. Die außerordentliche Begrenztheit des Vorgelegten
wird bereits deutlich, wenn man es mit den Gesetz-
entwürfen des Bündnisses 90/Die Grünen von 1997 und
mit dem ersten Gesetzentwurf der Koalition in dieser Le-
gislaturperiode, der dann leider nicht eingebracht wurde,
vergleicht. Dank der Interparlamentarischen Arbeits-
gemeinschaft gibt es eine sehr aufschlussreiche Synopse
dieser und weiterer Gesetzentwürfe. Würde der vorlie-
gende Gesetzentwurf in diese Synopse aufgenommen, so
würde er sich dort sehr kläglich ausnehmen.

Mit unserem Entschließungsantrag vom 24. März 2000
hatten wir keineswegs eine exotische Stellung zur Reform
des Stiftungswesens bezogen, sondern uns an Vorschlä-
gen aus der damaligen breiten Expertendiskussion, wie
sie insbesondere vom Maecenata Institut organisiert wor-
den war, orientiert, selbstverständlich an solchen Vor-
schlägen, die mit unseren Vorstellungen von sozialer Ge-
rechtigkeit zu vereinbaren sind. Lassen Sie mich aus
unserem Entschließungsantrag die Passage zitieren, auf
deren Basis wir nun auch den vorliegenden Gesetzent-
wurf bewerten. Es heißt dort:

Diese zivilrechtlichen Rahmenbedingungen müssen
dem Stiftungswesen größtmögliche Rechtssicher-
heit, Transparenz und Öffentlichkeit verleihen und es
von bürokratischen Hemmnissen befreien.

Gemessen an dieser grundsätzlichen Orientierung ist
der vorgelegte Gesetzentwurf natürlich ein Torso. Am
ehesten leistet er etwas für die Vereinfachung des Verfah-
rens zur Errichtung einer Stiftung und zur Klarstellung
des Rechts auf Stiftung. Insofern begrüße ich natürlich die
bundesweit einheitlichen und auf das Nötigste beschränk-
ten Anforderungen für die Satzung und das Stiftungsge-
schäft. Allerdings kann ich hinsichtlich des Rechts auf
Stiftung durchaus der Argumentation der Bundesnotar-
kammer folgen, wonach den Stiftungsbehörden immer
noch zu viele Ermessenserwägungen zugeschrieben wer-
den.

Meine Enttäuschung über den Gesetzentwurf besteht
darin, dass für Transparenz, Publizität und Missbrauchs-
schutz keinerlei Regeln vorgesehen sind und alles beim
Alten bleibt. Besonders den Verzicht auf die Einrichtung
eines bundesweit einheitlich geführten staatlichen Stif-
tungsregisters „mit öffentlichem Glauben“, wie es in der
Fachsprache heißt, halte ich in dieser Hinsicht für einen
folgenschweren Fehler. Die Forderung nach Eintrag der
Stiftungen in ein solches öffentlich zugängliches Register
war vor zwei Jahren in der breiten Debatte zur Stiftungs-
reform eine durchgängige zentrale Forderung.

Ebenso fehlt im Gesetzentwurf jegliche Andeutung in
Richtung einer ebenfalls öffentlich zugänglichen, regel-
mäßigen Berichterstattung der Stiftungen über ihre

Tätigkeit, insbesondere über Herkunft und Verwendung
ihrer finanziellen Mittel.


(Beifall bei der PDS)

Wenn über das Stiftungssteuerrecht der demokratisch ver-
fassten Gesellschaft weniger Steuergelder zur Verfügung
stehen, dann muss diese Gesellschaft das Recht haben, zu
erfahren, wer was mit diesen entzogenen Steuergeldern
gemacht hat.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das sind keine entzogenen Steuergelder! Vorsichtig!)


Was ich gar nicht in den Vordergrund stellen möchte,
was aber realistischerweise nicht völlig außer Acht gelas-
sen werden kann: Es gibt keinerlei Regelung, um den
Missbrauch von Stiftungen für privatnützige oder wirt-
schaftliche Zwecke zu verhindern. Auch das wäre für die
gesellschaftliche Akzeptanz der Stiftungen sehr wichtig.


(Beifall bei der PDS)

So gab es zwischenzeitlich aus der Expertengruppe des
Maecenata Instituts heraus die mir sympathische Idee,
den Begriff der Stiftung für die gemeinnützige Stiftung zu
reservieren.

Es mag bei Annahme dieses Entwurfes sein, dass der
eine Stifter oder die andere Stifterin eher den Weg zu den
Stiftungsbehörden findet. Ein neues gesellschaftliches
Bewusstsein über bzw. Vertrauen in das Stiftungswesen
wird mit diesem Entwurf für mich jedoch nicht erreicht.
Das wiederum kann für Stifterinnen und Stifter, die sich
als Mitglieder einer nicht elitären, sondern breiten Bür-
gergesellschaft verstehen, kein Anreiz sein.

Ich resümiere, auch wenn ich von Ihnen Protest be-
komme: Der Termin wurde gehalten, aber der Entwurf hat
wenig Substanz und bringt damit wenig Veränderungen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422115300
Für die
SPD-Fraktion spricht die Kollegin Monika Griefahn.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1422115400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich kann nur sagen: Wir kommen mit der
erneuerten Initiative vom Stiftungsfrühling zum Stif-
tungssommer.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Ihr seid schon im Herbst!)


Was soll ein modernes Stiftungsrecht leisten? Es soll
die Mäzene unserer Zeit in Deutschland ermutigen, einen
Teil ihres Privatvermögens – wir sprechen von einer
Summe von 7,2 Billionen DM oder 3,6 Billionen Euro –
für Zwecke zur Verfügung zu stellen, die dem Gemein-
wohl dienen. Das sind die Vermögen, die in Deutschland
irgendwo vorhanden sind. Wenn wenigstens ein Teil da-
von für Stiftungen bereitgestellt und damit zum Wohle
aller eingesetzt wird, ist das ein riesiger Erfolg.

Als Kulturpolitikerin freue ich mich besonders, wenn
Stifter ihr Stiftungsvermögen für kulturelle Zwecke zur




Dr. Heinrich Fink

21957


(C)



(D)



(A)



(B)


Verfügung stellen. Kulturförderung war von Anbeginn ein
zentrales Anliegen der Mäzene. Der Begriff des Mäzens
leitet sich von Gaius Maecenas ab – er lebte etwa von
70 bis 8 vor Christus –, einem vermögenden römischen
Privatmann, der die Dichter Horaz und Vergil unter-
stützte.

Mäzene handeln – gestern wie heute – eben nicht pro-
fitorientiert. Anders als ein Sponsor, der seine Produkte
vermarkten will, wählen sie sich aus eigenem Interesse
ein Fördergebiet. Es ist wichtig, dass dies nicht nur im
Zusammenhang mit dem Produkt, sondern auch mit an-
deren Teilen des gesellschaftlichen Handelns steht. Es
gehört im Übrigen auch zum Konzept der Nachhaltigkeit,
dass Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur auf Wirtschaft
ausgerichtet sind.

Mit dem Stiftungssteuerrecht haben wir den Stiftungs-
frühling eingeläutet. Der Stiftungssommer soll mit dem
Stiftungszivilrecht folgen. Von Herrn Pick und Frau
Vollmer wurden schon die Neugründungen der Stiftungen
erwähnt. Ich möchte noch eine Zahl hinzufügen, die mich
besonders beeindruckt hat: 1990 existierten nur 181 Stif-
tungen in Deutschland. Die Tatsache, dass allein im letz-
ten Jahr 1 000 neue Stiftungen gegründet worden sind, ist,
wie ich finde, ein enormer Erfolg. Dieses Gesetz bringt
eine andere Stimmung im Lande. Auch das Stiftungssteu-
errecht hat bereits eine andere Stimmung bewirkt.


(Beifall bei der SPD)

Auch vom Bundesverband Deutscher Stiftungen wird

dieses neue Stiftungssteuerrecht begrüßt. Es wird aner-
kannt, dass wir die Weichen richtig gestellt haben. Im
Übrigen, Herr Fink, wird bei der Feststellung der
Gemeinnützigkeit sowohl der Inhalt als auch die zweck-
gebundene Ausgabe staatlich überprüft. Das ist Inhalt des
Gemeinnützigkeitsrechtes.


(Alfred Hartenbach [SPD]: So ist es!)

Ansonsten wird die Gemeinnützigkeit aberkannt. Es gibt
bereits solche Fälle. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der
schon durch das Steuerrecht geregelt ist.

Damit dieser Trend zum Stiften anhält und sich noch
verstärkt, muss das Stiftungsrecht transparent sein, das
Recht auf Stiftung einräumen und – das ist sehr wichtig –
die Betonung weniger auf die Genehmigung und mehr auf
die Anerkennung legen. Es ist doch anzuerkennen, dass
jemand etwas für die Gemeinschaft tut und einen Teil sei-
nes Vermögens für die Gemeinschaft spendet. Deswegen
braucht derjenige auch die Anerkennung der öffentlichen
Stellen. Es ist doch auch gut, wenn wir das so machen.
Das ist ein wichtiger Teil dieses Gesetzestextes.

Für die weitere Stiftungsfreudigkeit wird entscheidend
sein, wie zügig und reibungslos potenzielle Stifter ihr Vor-
haben verwirklichen können. Früher mussten sie – das
wurde bereits gesagt – von Pontius nach Pilatus laufen. Es
hing ein wenig davon ab, wie viele Stiftungen der jewei-
lige Stiftungsreferent eines Landes noch haben wollte.
Die Steuerabteilung gehörte nicht zu dieser Stelle.

Mit dem erneuten Anlauf soll die Zusammenarbeit
zwischen den Steuerbehörden und den zivilrechtlichen

Behörden verstärkt und verknüpft werden. Das ist ein
wichtiger Teil; denn sehr häufig sind Menschen zum
Rechtsanwalt oder zum Notar gegangen und haben ge-
sagt, dass sie Geld haben und es gerne stiften möchten.
Dieser hat ihnen eher abgeraten und entweder gesagt, dass
sie es sein lassen sollen, da es sehr kompliziert ist,


(Rainer Funke [FDP]: Ich rate nicht ab!)

oder aber, dass man sich aufgrund des komplizierten Pro-
zesses auf zwei Jahre einzustellen habe. Die potenziellen
Stifter haben sich bedankt und sich etwas anderes über-
legt.

Man muss es so sehen: Wahrscheinlich spenden sehr
viele Menschen den amerikanischen Universitäten Geld,
weil dort eine sehr offensive Stiftungspolitik betrieben
wird. Hier in Deutschland wurde das Geld gesammelt. Es
hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass es steu-
erlich absetzbar ist, weil ein Förderverein oder Ähnliches
gegründet wurde. Ich denke, es wäre gut für uns und für
die Verwirklichung von Vorhaben in Deutschland, wenn
wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen
würden, sodass sie das Geld hier anlegen können.

Frau Vollmer erwähnte schon, dass das nicht überall so
ist. Einige Länder sind ganz schnell. Die Kulturstiftung
des Bundes in Halle ist vom Land Sachsen-Anhalt inner-
halb von einer Woche anerkannt worden. Ich finde, es ist
auch ganz wichtig, das zu erwähnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Stiftungen bieten engagierten Bürgern im kleinen und

großen Rahmen die Möglichkeit, einen dauerhaften Bei-
trag zu leisten. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Bür-
gergesellschaft, die die gesellschaftliche Entwicklung
über die staatliche Verantwortung hinaus mitgestalten
will. Auf die Wortwahl kommt es dabei an. Stiftungen er-
gänzen und bereichern das bestehende staatliche För-
dersystem. Ihr Vorteil liegt unter anderem darin, dass sie
schneller und flexibler in ihren Entscheidungen sind und
auch mit kleineren Beträgen schnell eingreifen können.

Unser Hauptaugenmerk gilt daher den rechtsfähigen
Stiftungen des bürgerlichen Rechts; denn sie haben ein
Stiftungskapital, aus dessen Erträgen der Stiftungszweck
verfolgt werden kann. Sie sind unabhängig, benötigen
keine staatliche Zuwendung und sind der selbstbewusste
Ausdruck der gesellschaftlichen Verantwortung ihrer Stif-
ter.

So untypisch sind Stiftungen für Deutschland gar
nicht; denn es gab schon einmal bessere Zeiten für
Stiftungen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es hier
100 000 Stiftungen. Doch die einst blühende Stiftungs-
kultur wurde durch die Inflation und die Weltkriege zer-
stört. Erst in den letzten Jahren fing sie an, sich wieder zu
entwickeln.

Deshalb haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, eine
Vielzahl von Zwecken und Formen zu fördern. Hinsicht-
lich der Zwecke haben wir schon eine Diversifikation
feststellen können. Das Spektrum reicht von Stiftungen,
die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Aufbau von
Rechtssystemen in Osteuropa zu begleiten und auf viel-
fältige Art zu unterstützen, bis hin zu kleinen Privatstif-




Monika Griefahn
21958


(C)



(D)



(A)



(B)


tungen in Ostdeutschland oder auf dem flachen Land in
Westdeutschland, die aus einer Altimmobilie lebendige
kulturelle Begegnungszentren abseits der Großstädte zau-
bern. Ich finde, man kann auf die weitere Entwicklung
wirklich gespannt sein.

Wichtig sind dabei auch die Bürgerstiftungen. Sie
sind auf einen geographischen Wirkungsraum beschränkt
und verfolgen zahlreiche unterschiedliche Zwecke. Bür-
gerstiftungen sind in der Lage, eine große Vielfalt ge-
meinnütziger Aktivitäten in einem Gemeinwesen zu för-
dern, drängende soziale Probleme zu bekämpfen oder
auch ganz einfach die Lebensqualität vor Ort zu erhöhen.
Ich habe mir verschiedene Projekte angeschaut und war
begeistert von dem, was irgendwo entstanden ist; das
hätte sonst nicht entstehen können.

Neben der angestrebten Breitenwirkung steht dabei die
ehrenamtliche Mitarbeit von Bürgerinnen und Bürgern an
der Planung und der Verwirklichung der Projekte im Vor-
dergrund. Die Bürgerstiftung Hannover war die erste ih-
rer Art in Deutschland. Sie hat sich das Ziel gesetzt, in den
Bereichen Jugend, Kultur und Soziales Projekte zu ini-
tiieren und solche zu fördern, die dringend auf Hilfe an-
gewiesen sind. Eines der ersten Projekte war die Einrich-
tung von Jugendgewaltlotsen. Wenn man bedenkt, dass
die Stiftung 1998 eingerichtet wurde, erkennt man, dass
das aktueller ist denn je. Es ist ein wirklich sehr konkretes
Projekt vor Ort, im Stadtteil. Solche praktischen Möglich-
keiten wären sonst vielleicht nicht vorhanden gewesen.

Wenn ich sehe, dass Ende Juli 2001 die 100er-Marke
überschritten wurde, denke ich, dass es auch ein Bedürf-
nis der Menschen ist, sich zu engagieren und dauerhaft zu
verwirklichen. Sie wollen nicht nur einen Monatsbeitrag
für Vereine oder einen Beitrag für irgendwelche Aktivitä-
ten vor Ort, die sie selber durchführen, leisten, sondern sie
wollen einen größeren Betrag stiften. Dazu hat die Re-
form des Stiftungssteuerrechts einen erheblichen Beitrag
geleistet.

Da kann ich als Beispiel die Bürgerstiftung Nürnberg
nennen, die im Juli 2001 gegründet wurde und im De-
zember 2001 bereits ihre erste Projektförderung bekannt
gegeben hat. Im Internet hat sie dazu begründet, dass das
„veränderte und ermutigende Stiftungsrecht“ – Zitat der
Bürgerstiftung Nürnberg – als wesentlicher Impuls für die
Gründung der Stiftung gewertet wurde und dass ins-
besondere der neue steuerfreie Stiftungshöchstbetrag
von 40 000 DM und der Gründungshöchstbetrag von
600 000 DM unterstützend gewirkt haben. Das heißt, dass
auch Leute an Stiftungen beteiligt werden konnten, die
das sonst nicht konnten, weil sie keine großen Mäzene
sind.

Wir wollen neue Anreize zum Stiften geben und als
Kulturpolitiker neue Geldquellen für Kultur erschließen.
Dafür ist die Reform des Stiftungsrechts von eminenter
Bedeutung. Sie steht deshalb auch im kulturpolitischen
Teil der Koalitionsvereinbarung. Jede vierte Stiftung in
Deutschland fördert kulturelle Projekte, wobei der Anteil
der Kultur an den Stiftungszwecken kontinuierlich zu-
nimmt. Über die Tatsache, dass in Deutschland jeden Tag
statistisch gesehen zwei neue gemeinnützige Stiftungen
gegründet werden, bin ich sehr erfreut und ermutigt.

Keineswegs soll aber mit dieser positiven Bilanz der
Rückzug des Staates aus der Kulturförderung eingeläutet
werden. Privates finanzielles Engagement soll vielmehr
noch stärker als bisher zum zweiten Standbein der Kultur
werden. Das reformierte Stiftungsrecht hat damit eine
Doppelwirkung, und zwar eine kulturpolitische und eine
gesellschaftspolitische Funktion. Beide – Staat und Ge-
sellschaft, das heißt die Menschen, die den Staat bilden –
sollen zusammenarbeiten. Der Staat bildet den geeigneten
Rahmen, damit sich Menschen engagieren können. Ge-
nau das ist eines der wesentlichen Ziele, die wir verfolgen;
denn Bedienung kann nicht sein, selbst mitzutun ist ein
wesentlicher Anteil an Demokratie.

Die Kulturstiftung des Bundes, die am 23. Januar im
Kabinett beschlossen wurde und die in Halle angesiedelt
werden soll, wird sich am 21. März 2002 konstituieren.
Wenn ich sehe, dass der Schwerpunkt des Stiftungs-
zwecks die Förderung innovativer Programme zeitgenös-
sischer Kunst im internationalen Bereich ist, wird deut-
lich, dass das in den gesteckten Rahmen passt. Hier bilden
auswärtige Kulturpolitik, Dialog der Kulturen und der
Dialog im Inland wichtige Akzente. Damit wird deutlich,
dass das neue Stiftungsrecht auch außenkulturpolitische
Wirkung haben kann, indem Stifter eingeladen werden,
sich an dieser privatrechtlichen Stiftung zu beteiligen.

Das zivilgesellschaftliche Engagement wird somit auf
allen Ebenen – innen und außen – gefördert. Die Koali-
tion ist damit in ihrer kulturpolitischen Verantwortung ei-
nen wichtigen Schritt gegangen. Ich freue mich, dass an-
dere mitmachen wollen. Das kann doch wirklich nur der
Kultur und dem Bürgerengagement und somit uns allen
gut tun.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422115500
Ich gebe
nunmehr der Kollegin Professor Dr. Rita Süssmuth,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1422115600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste ist ge-
sagt. Es ist nicht zu bestreiten, dass wir in dieser Legisla-
turperiode sowohl auf der steuerrechtlichen als auch auf
der zivilrechtlichen Ebene einen wichtigen Schritt getan
haben. Warum sage ich das zu Beginn meiner Rede? Weil
wir nicht Stiftungsfreudigkeit oder Bürgergesellschaft an-
gestoßen haben, sondern auf sie reagieren.

Anfang der 90er-Jahre ist es in Gang gekommen und es
war allerhöchste Zeit, dass wir das, was die Bürgerinnen
und Bürger selbst erkennen und an Motivation haben
– selbst etwas zu tun, ortsnah und manchmal weit weg von
Stiftungszwecken –, steuerrechtlich und zivilrechtlich
fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es hat ein Umdenken von dem, was sie von der öffentli-
chen Hand erwarten – bis hinunter zu den Kommunen –,




Monika Griefahn

21959


(C)



(D)



(A)



(B)


zu dem, was sie inzwischen wieder selbst tun wollen,
stattgefunden; allerdings – das schlägt sich ja im zivil-
rechtlichen Teil nieder – selbstbestimmt und mitbestimmt.
Insofern ist bei aller Bescheidenheit dessen, was dem
Bund in der Bund-Länder-Kommission zugestanden
wurde, dennoch ein Paradigmenwechsel eingetreten. Das
alte Gesetz entspricht nicht dem veränderten Demokrati-
sierungsprozess unserer Gesellschaft. Insofern ist es ein
wichtiger Schritt. Worte sind oft ein ganz wichtiger Indi-
kator – das ist heute Abend schon gesagt worden – für
obrigkeitsstaatliches Denken oder für demokratisches
Denken.

Ich persönlich habe weniger Schwierigkeiten damit,
dass eine Stiftungsbehörde natürlich auch bestimmte
Dinge prüfen muss; denn es sind Finanzen, die zwar pri-
vates Einkommen betreffen, die aber in einem steuerli-
chen Zusammenhang stehen und von daher auch der Auf-
sicht und Kontrolle bedürfen. Das denke ich auch in
Bezug auf die Gemeinnützigkeit. Ich nehme die Kritik
von Herrn Rawert auf, der der Auffassung ist, die Kon-
trollen in Bezug auf die Gemeinwohlorientierung seien
bei weitem überzogen. Dennoch kommt auch er zu dem
Ergebnis, dass es eine Aufsichtsbehörde geben muss.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die gibt es ja!)


Ich möchte die Art, wie der zivilrechtliche Teil jetzt ge-
fasst ist, noch einmal ansprechen. Als ich das las, habe ich
gedacht: Wenn wir doch alle Gesetze so formulieren wür-
den, dass die Menschen weniger Beratung brauchen, um
ein Gesetz zu verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Das ist in diesem Gesetz wirklich gut gelungen. Wenn es
auch im Steuerrecht irgendwann einmal so ist, wären wir
ein großes Stück weiter.

Damit komme ich zu zwei Punkten, die ich mir von
diesem Gesetzentwurf gewünscht hätte. Das eine ist die
Stiftungsbehörde, die ja auch der Stifterverband und der
Kulturrat noch einmal angesprochen haben; das Zweite
sind Kompetenzzentren, um die Beratung zu verstärken.
Die Beratung liegt insbesondere dort, wo Fragen wie
„Sind wir nun gemeinnützig oder nicht?“ oder „Welche
Zwecke fallen unter die Gemeinnützigkeit?“ von den Bür-
gern und Bürgerinnen nicht automatisch beantwortet wer-
den können.

In diesem Zusammenhang ist auch die Auffassung der
Bund-Länder-Kommission zu sehen, dass es nicht der
Genehmigung aus einer Hand bedürfe, wozu auch die
Ausstellung einer Finanzamtsbescheinigung gehören
würde. Das haben Sie abgelehnt, aber diese Wünsche blei-
ben bestehen. Andernfalls ist mehr Beratung in diesem
Bereich erforderlich. Diese beiden Dinge bleiben Deside-
rata. Trotzdem möchte ich sagen: Es ist nicht zu unter-
schätzen, dass sich die Bund-Länder-Kommission über-
haupt bereit gefunden hat, Verbesserungsvorschläge zu
machen; denn sie war noch zum Zeitpunkt der steuer-
rechtlichen Reform der Auffassung, dass es überhaupt
keinen Reformbedarf gibt. Auch in ihrem Bericht sagt sie
immer wieder: Eigentlich brauchen wir gar nichts. Alles

ist – so heißt es dort – überwiegend einvernehmlich gere-
gelt worden.

Das mag so sein, aber ich sage ausdrücklich: Die Ver-
fahren würden sehr viel schneller sein, sie würden be-
schleunigt. Und dass es nun einheitlich im BGB geregelt
und nicht mehr auf 16 Länder verteilt ist, das ist ein
Durchbruch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir werden auch die nächsten Schritte noch schaffen.

Nie bekommt man in einem Gesetz alles. Daran zu glau-
ben, habe ich mir abgewöhnt. Der Entwurf sollte umfas-
send sein, aber man kommt in aller Regel, von wenigen
Ausnahmen abgesehen, nur schrittweise zum Ziel. Des-
halb darf man das, was wir noch nicht erreicht haben,
nicht aus dem Auge verlieren.

Ich möchte abschließend dennoch deutlich machen: Ja,
wir können bei entsprechender Stärkung der Bürgerge-
sellschaft auch in diesem Bereich der Stiftungen ein
großes Stück weiterkommen. Ich erinnere aber an das,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422115700
Bei
15 bis 18 Milliarden, die aus den öffentlichen Haushalten
für Kultur ausgegeben werden – ich sage bewusst: für
Kultur –, entfallen nur 600 Millionen bis 1 Milliarde auf
private Mittel. Sie sind bei der Sportförderung doppelt so
hoch; das ist noch einmal ein anderer Punkt. Aber wir soll-
ten nicht vergessen, dass das bürgerschaftliche Engage-
ment oder auch einzelne Stifter die öffentliche Verant-
wortung für zentrale Bereiche – hier nenne ich als
Mitglied des Kulturausschusses die Kultur – nicht erset-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich beklage nicht wie Herr Rawert, dass die Festle-

gung, was eine Stiftung ist und welche Stiftung wir wol-
len – dass wir die gemeinnützige Stiftung wollen, ist
klar –, in dem Gesetzentwurf nicht zu leisten war. Inso-
fern ist noch weitere Arbeit notwendig. Gleichwohl bin
ich unsicher, ob wir das je erreichen werden. Aber ich bin
durchaus für eine Vielfalt von Stiftungen und nicht für
eine Eingrenzung, die nur noch sehr wenig ermöglicht. In-
sofern ist dies zwar ein Zwischenschritt, aber ein wichti-
ger.

Ich wünsche mir, dass wir die Bürgergesellschaft in ei-
nem Maße fördern, dass gerade das, was uns oft nicht am
Schreibtisch einfällt, und auch neue Ideen in unseren
Städten und Gemeinden verwirklicht werden können.
Denn vieles ist eine Antwort auf Defizite, die bei uns be-
stehen. Das besagt auch ein partnerschaftliches Verhältnis
zwischen den Institutionen der Gesellschaft, zwischen
Staat, Gesellschaft und den Einzelnen. Insofern haben Sie
zwar mit der Kritik an dem, was fehlt, Recht, Herr Fink.
Aber für mich ist entscheidend, dass wir in Gang gekom-
men sind. Dafür sage ich herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordnten der FDP und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422115800
Nun spricht
für die SPD-Fraktion der Kollege Alfred Hartenbach.




Dr. Rita Süssmuth
21960


(C)



(D)



(A)



(B)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1422115900
Verehrter Herr Präsident!
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Liebe Stifterfreundinnen! Liebe Stifterfreunde! Für
die weitere Beratung, liebe Herren Kollegen Funke und
Fink, möchte ich einmal Karl Moor aus Schillers „Die
Räuber“ zitieren, der gesagt hat: „Wo alles liebt, kann
Karl allein nicht hassen.“


(Rainer Funke [FDP]: Ich hasse doch gar nicht!)


Vielleicht sollten Sie beide sich das angesichts Ihrer etwas
konträren Haltung für die weitere Beratung vornehmen.
Ich glaube nämlich, dass wir dann – wie Sie es auch ge-
sagt haben, Frau Süssmuth – zu einem guten und ver-
nünftigen Ergebnis kommen werden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Alfred, es gibt in der deutschen Klassik auch passendere Zitate!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der
Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode und auch in den
vergangenen Legislaturperioden immer wieder einzelne
Segmente herausgegriffen, sie modernisiert und dem ge-
sellschaftlichen Wandel und auch europäischen Richtli-
nien angepasst, zuletzt das Schuldrecht, zurzeit das Scha-
denersatzrecht. Nun müssen wir feststellen – wir wissen
es allerdings schon seit längerem –, dass auch das Stif-
tungsrecht allein schon hinsichtlich der Sprache nicht
mehr den modernen gesellschaftlichen Anforderungen
entspricht. In dem alten § 85 ist noch enthalten, dass die
Verfassung einer Stiftung auf Reichsrecht beruhen kann.
Das steht noch heute im Bürgerlichen Gesetzbuch.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wir sitzen auch noch im Reichstag!)


Ich meine, es ist eine vornehme Pflicht, dies zu ändern,.
Bisher war es so, dass diejenigen, die eine Stiftung

wollten, dafür eine Genehmigung brauchten. Daran ist be-
reits mehrfach erinnert worden. Bei der Genehmigung
handelt es sich um einen hoheitlichen Akt, der in unserer
modernen Zeit sicherlich nicht willkürlich erfolgt ist, der
aber immer, wie Sie es bereits ausgeführt haben, den Ge-
ruch des Obrigkeitsstaats hatte. Man kam immer mit
gebückter und devoter Haltung, damit man auch ja eine
Genehmigung erhielt.


(Rainer Funke [FDP]: Das habe ich nie gemacht!)


– Sie haben doch eben am Beispiel Hamburg erklärt, wie
das läuft: mit gebückter und devoter Haltung.


(Rainer Funke [FDP]: Ich bin doch deswegen nicht devot!)


– Wir können ja später noch darüber reden.
Wir ändern dies nun und gehen den zweiten Schritt.

Frau Griefahn hat das etwas poetischer als Stiftungsfrüh-
ling und Stiftungssommer bezeichnet. Ich bin Jurist und
behandele das ein bisschen nüchterner.

Der erste Schritt war das Stiftungsförderungsgesetz
vom 14. Juli 2000, das eine Erleichterung der steuerlichen
Förderung vorgesehen und in der Tat, wie Sie alle ja auch

festgestellt haben, seine Wirkung erzielt hat. Es hat zu
dem erhofften Aufschwung beim Stifterinteresse und bei
Stiftungen geführt. Diesen Aufschwung haben wir alle er-
hofft, weil wir wissen, dass Stiftungen auf Gebieten tätig
werden können, auf denen der Staat nicht tätig sein sollte,
nicht tätig sein kann oder vielleicht auch nicht tätig sein
will, was aber nicht ausschließt, dass der Staat auf vielen
dieser Gebiete die Pflicht hat, zu fördern, sofern seine
Förderung gefragt ist. Es tut unserer Bürgergesellschaft
sehr gut, wenn es auf dem privatrechtlichen Sektor zu
mehr Stiftungen kommt und staatliches Handeln durch
private Initiativen ersetzt wird.

Ich sehe das, was wir jetzt in ganz wenigen Paragra-
phen vornehmen, als eine kleine Revolution an. Wir ma-
chen etwas ganz Neues – es ist vom Paradigmenwechsel
die Rede gewesen –: Wir kommen zu einer bundesrecht-
lichen Verankerung des Anspruchs auf Anerkennung ei-
ner Stiftung. Dies ist ein großer Schritt aus dem bisheri-
gen Genehmigungsverfahren heraus und in die Freiheit
hinein. Auch ist die Zahl der Voraussetzungen gegenüber
früher reduziert worden. Ich habe gelesen, dass man
früher 14, 15 Punkte abgeprüft hat. Heute sind es nur noch
wenige einfache Voraussetzungen, die jeder erfüllen
kann, auch wenn er hin und wieder sicherlich des juristi-
schen Rates durch den Notar oder Anwalt bedarf, was ja
auch nicht verkehrt ist.

Das Stiftungsgesetz bedarf der schriftlichen Form. Es
muss die verbindliche Erklärung enthalten, ein Vermögen
für einen bestimmten Zweck zu stiften. Mit dieser offenen
Formulierung kommen wir insbesondere den Bürgerstif-
tungen entgegen, die möglicherweise nicht von vornhe-
rein die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung
haben, sondern auf den späteren Beitritt weiterer Stif-
tungsmitglieder angewiesen sind, um den Stiftungszweck
erfüllen zu können. Auch ist eine Satzung erforderlich.
Davon können wir Deutschen uns nicht trennen. Ich hätte
beinahe gesagt: Auch das ist gut so. Der Satz ist abgedro-
schen; deswegen sage ich: Das ist richtig so.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Gehört aber noch nicht zur Pflicht!)


Wenn diese wenigen Voraussetzungen erfüllt sind und
wenn der Stiftungszweck nicht das Gemeinwohl gefähr-
det, dann ist die Stiftung anzuerkennen.

Lassen Sie mich nun noch einen Satz zum Gemein-
wohl sagen, auch wenn meine Redezeit schon fast abge-
laufen ist. Ich verspreche, dass ich in zwei Minuten fertig
sein werde.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422116000
Da Sie nicht
nur den Präsidenten, sondern auch die Schriftführer be-
grüßt haben, bekommen Sie zwei Minuten dazu.


(Heiterkeit – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber nicht, dass das einreißt!)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1422116100
Danke schön. Ich wusste,
dass ich bei Ihnen immer ein offenes Ohr finde.

Es ist richtig, dass man Stiftungen nicht anerkennen
darf, die rechtswidrige, verfassungsfeindliche Zwecke






(C)



(D)



(A)



(B)


verfolgen. Dabei genügt es schon – Herr Funke, Sie hat-
ten die Verfassungswidrigkeit angesprochen –, wenn man
glaubt, dass sich hier eine Stiftung entwickelt, die rechts-
widrige Zwecke verfolgen kann.

Nun möchte ich die Großzügigkeit des Präsidenten
nicht länger ausnutzen. Wir haben heute alle in großer
Einmütigkeit das Richtige gesagt.


(Heiterkeit)

Ich hoffe, dass die Zahl der Stifterinnen und Stifter auf-
grund der vorgesehenen Erleichterungen deutlich an-
steigt. Das gilt nicht nur für Stiftungen unter Lebenden,
sondern auch für Stiftungen, die von Todes wegen, also
auf der Grundlage von Testamenten und letztwilligen Ver-
fügungen, errichtet werden. Es kann uns allen doch nur
Recht sein, wenn ein großes Vermögen oder ein Teil da-
von und Sammlungen wertvoller Dinge der Allgemein-
heit zugute kommen und nicht auf irgendwelchen Konten
verschimmeln oder in irgendwelchen Kammern einge-
sperrt sind oder von den Kindern reicher Leute – als ich
jung war, sprach man von der Jeunesse dorée; heute nennt
man es den Jetset – verprasst werden. Dies wollen wir mit
diesem Gesetz fördern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 20. März wird zu
diesem Thema eine Expertenanhörung stattfinden. Ich
lade alle, die noch mehr über das Stiftungsrecht erfahren
wollen, herzlich dazu ein. Ich freue mich auf die Beratun-
gen. Man sieht, hin und wieder passen Kultur und Justiz
ganz gut zusammen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Rainer Funke [FDP])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422116200
Ich schließe
nunmehr die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/8277 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine
anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Ulrich Adam, Wolfgang Börnsen (Böstrup),
Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Abschaffung der Kapazitätsbeschränkungen
fürWerften in Mecklenburg-Vorpommern
– Drucksachen 14/6950, 14/8050 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Walter Hirche

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-

logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Gerd
Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Andrea Fischer

(Berlin), Werner Schulz (Leipzig), Kerstin Müller


(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Faire Wettbewerbsbedingungen für die Werft-
industrie in Mecklenburg-Vorpommern
– Drucksachen 14/7295, 14/8051 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz (Leipzig)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ist das
Haus damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort als ers-
ter Rednerin der Kollegin Ilse Janz für die SPD-Fraktion.


Ilse Janz (SPD):
Rede ID: ID1422116300
Herr Präsident! Meine Herren
Schriftführer! Liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Heiterkeit)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422116400
Das habe ich
kommen sehen.


Ilse Janz (SPD):
Rede ID: ID1422116500
Herr Präsident, ich habe gedacht, ich
versuche es auch einmal. Schließlich haben Sie meinem
Vorredner eine Verlängerung der Redezeit angeboten.

Die ostdeutschen Werftenstandorte Wismar, Rostock,
Stralsund und Wolgast gehören zu den modernsten in
Europa. Durch konsequente Modernisierungs- und Um-
strukturierungsmaßnahmen ist es den Standorten in
Mecklenburg-Vorpommern gelungen, den technologi-
schen Anschluss an die Weltspitze zu finden. Möglich war
dies auch durch öffentliche Investitionsbeihilfen. Mit der
Gewährung von Zuschüssen ist jedoch eine bis zum Jahr
2005 andauernde Kapazitätsbeschränkung auf insge-
samt 327 000 CGT jährlich verbunden. Hiermit sollte ver-
hindert werden, dass sich die ostdeutschen Werften durch
die Beihilfen weit reichende Wettbewerbsvorteile gegen-
über ihren europäischen Mitbewerbern verschaffen. Aber
nicht die europäische Konkurrenz, sondern der globale
Wettlauf um Marktanteile im Weltschiffbau war das Pro-
blem. Wir haben deshalb stets auf eine Änderung der Ka-
pazitätsbeschränkung gedrängt, die den Schiffbauern viel
mehr geschadet als genutzt hat.

Die strengen Quoten, die den Schiffbauern in Meck-
lenburg-Vorpommern von der EU auferlegt worden sind,
haben zu der kuriosen Situation geführt, dass trotz her-
vorragender Auftragslage auf einigen Werften Kurzarbeit
angeordnet werden musste und dass die wirtschaftlich
und innovativ arbeitenden Unternehmen für ihre Fort-
schritte in der Fertigung auch noch bestraft wurden. Die
SPD hat sich mehrfach dafür ausgesprochen, diese Rege-
lungen zu ändern und den ostdeutschen Werften ein trag-
fähiges Fundament für die Fortsetzung ihrer Arbeit zu ge-
ben. Die Bundesregierung hat deshalb im April 2000 die




Alfred Hartenbach
21962


(C)



(D)



(A)



(B)


Lockerung der Kapazitätsgrenzen bei der EU beantragt.
Leider wurde dieser Vorstoß abgelehnt. Vor gut einem
Jahr wurde deshalb ein weiterer Anlauf mit dem Ziel ei-
ner flexibleren Handhabe der Beschränkungen unternom-
men. Die zähen und langwierigen Verhandlungen mit der
EU-Kommission konnten letztendlich erfolgreich abge-
schlossen werden. Dafür der Bundesregierung, insbeson-
dere Minister Müller und dem maritimen Koordinator
Gerlach, herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte nicht verhehlen, dass nach meiner Meinung

die Abschaffung der Beschränkung richtig gewesen wäre.
Dennoch ist für die Werften und für die Beschäftigten der
nun gefundene Kompromiss nach dem endlos langen Vor-
lauf ein Erfolg. Die Entscheidung der EU-Kommission
sieht ein Bündel von Maßnahmen vor, die eine flexiblere
Handhabung der Produktionsbeschränkungen ermögli-
chen und den Werften damit größere Spielräume eröffnen.

Probleme hat es in der Vergangenheit unter anderem
gegeben, wenn die jährlichen Quoten nicht exakt einge-
halten werden konnten, weil sich beispielsweise die Ab-
arbeitung eines Auftrages verzögerte. Die Folge war, dass
die zur Verfügung stehende Produktionskapazität nicht
vollständig ausgeschöpft werden konnte und der Rest er-
satzlos wegfallen musste. Diese starre Regelung ist nun
entscheidend modifiziert worden. Die EU-Kommission
hat auf Antrag Deutschlands beschlossen, dass Kapazitä-
ten innerhalb der Jahre übertragen und variabel ausge-
schöpft werden dürfen. Damit wird den Werften die Mög-
lichkeit eröffnet, wesentlich sinnvoller als bisher auf
veränderte Produktionsabläufe zu reagieren.

Ein weiterer Punkt der Kritik am bestehenden System
war, dass Leistungen, die an andere Firmen vergeben
wurden, auf die Kapazität der den Auftrag vergebenden
Werft angerechnet wurden. Damit wurde die eigentlich
von allen Seiten immer wieder geforderte Stärkung der
Kooperation im Schiffbau unterlaufen. Auch diesbezüg-
lich konnte durch die neue Regelung Abhilfe erreicht und
konnte den Werften größerer betriebswirtschaftlicher
Spielraum verschafft werden. Es ist jetzt möglich, genau
definierte Leistungen wie Vorrichtungs- und Modellbau,
Schlosserarbeiten, Tischlerarbeiten, Sanitärleistungen
oder auch Gerüstbau, die an Dritte vergeben werden, aus
der eigenen Produktion herauszurechnen.

Eine weitere entscheidende Verbesserung liegt darin,
dass nicht genutzte Kapazitäten übertragen werden dür-
fen. Hiermit wird die Vernetzung und Kooperation unter-
einander erleichtert und damit ein positiver Beitrag zur
Wettbewerbsfähigkeit der Schiffbauindustrie in Mecklen-
burg-Vorpommern insgesamt geleistet.

Wir können mit dem Erreichten zufrieden sein. Es
bringt uns auch nicht weiter, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der CDU/CSU, wenn Sie in Ihrem Antrag die
gänzliche Aufhebung der Kapazitätsbeschränkungen for-
dern. Dies durchsetzen zu können erscheint angesichts der
harten Auseinandersetzungen, die der jetzigen Regelung
vorausgingen, schlicht unwahrscheinlich.

Wer sich mit der Wettbewerbssituation im Schiffbau
befasst, darf seinen Blick nicht nur auf die Situation in

Deutschland und Europa richten. Die Lage auf dem Welt-
schiffbaumarkt ist nach wie vor durch die durch Süd-
korea ausgelösten Wettbewerbsverzerrungen geprägt.


(Beifall bei der SPD, der FDP und der PDS)

Die Schiffbauberichte der EU belegen, dass die Südkore-
aner ihre Schiffe im Schnitt 20 Prozent unter den Herstel-
lungskosten am Markt anbieten. Bereits 60 Prozent der
Containerschiffe kommen aus koreanischen Betrieben.
Von den immer bedeutender werdenden Großcontainer-
schiffen sind es bereits 80 Prozent. Die aktuellen Zahlen
verdeutlichen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt und
die koreanische Schiffbauproduktion auch weiterhin
steigt. Ende des Jahres 1999 hatten die koreanischen
Werften einen Auftragsbestand von 377 Schiffen mit
11 Millionen CGT. Ende des Jahres 2001 waren es bereits
497 Schiffe mit 16 Millionen CGT. Der Weltschiffbau-
markt leidet also nach wie vor unter Dumpingpreisen und
von einem fairen Wettbewerb kann immer noch nicht die
Rede sein.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was tun Sie dagegen? Sie müssen etwas dagegen tun!)


In der Vergangenheit hat es zahlreiche Verhandlungen
gegeben, um zu einem Abkommen zwischen Korea und
der EU zu gelangen, das gleiche Wettbewerbsbedingun-
gen garantiert – leider ohne Erfolg.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Wer ist dafür verantwortlich?)


Trotzdem hat sich die EU-Kommission Ende des Jahres
2000 dazu entschlossen, die Beihilferegelungen für die
Werftindustrie auslaufen zu lassen, da diese aus Sicht der
Kommission nicht zu einer Lösung des Problems geführt
haben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Es war trotzdem ein Fehler!)


Die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung
haben diese Entscheidung seinerzeit heftig kritisiert,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!)


da den europäischen Werften hiermit die einzige Möglich-
keit genommen wurde, zumindest einen Teil der Wettbe-
werbsverzerrungen auf dem Weltmarkt zu kompensieren.

Unter dem Eindruck der sich immer weiter verschär-
fenden Situation auf dem Schiffbaumarkt hat die Kom-
mission im vergangenen Jahr Eckpunkte für ein neues
Beihilferegime vorgelegt. Staatliche Zuschüsse sollen
demnach nur noch bei Produkten- und Chemikalientan-
kern sowie Containerschiffen zugelassen werden. Hierbei
treten nach Ansicht der Kommission die Wettbewerbsver-
zerrungen am deutlichsten zutage.

Meiner Meinung nach ist diese Einschränkung nicht in
Ordnung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Da können Sie ruhig einmal klatschen!


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP )





Ilse Janz

21963


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir alle wissen, dass die Südkoreaner ständig dabei sind,
in neue Bereiche vorzustoßen, so auch in den Bau von
Kreuzfahrtschiffen. Zwar sind sie in dem Bereich heute
noch keine Konkurrenten – da können sie vieles noch
nicht so gut wie wir Europäer –, aber wenn es die Strate-
gen dort wollen, dann können sie es ganz schnell werden.

Die Beihilfen, die die EU-Kommission vorgeschlagen
hat, sollen zeitlich befristet sein und als flankierende
Maßnahme für ein WTO-Verfahren dienen, das die Kom-
mission gegen Südkorea anstrengen will. Trotz aller
Bemühungen vonseiten der Bundesregierung ist es bisher
nicht gelungen, eine Mehrheit im Ministerrat zu errei-
chen. Solange Frankreich, Großbritannien, die Nieder-
lande und die skandinavischen Länder ihre ablehnende
Haltung gegenüber dem Vorschlag nicht aufgeben


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– richtig, Herr Goldmann, vor allem Frankreich –, wird
die Kommission vor der WTO kein Verfahren gegen
Korea anstrengen. Noch ist nicht klar, wann der Minister-
rat die abschließende Entscheidung trifft.

Die Zeit drängt wirklich. Die Werften können nicht
länger warten. Sie brauchen Planungssicherheit für die
nächsten Jahre – für die Arbeitsplätze und für die Ferti-
gung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Deshalb unterstützen wir nachdrücklich alle Bemühungen
der Bundesregierung, die zur Verbesserung der Wettbe-
werbsbedingungen für die europäischen Werften beitra-
gen. Meines Erachtens muss die EU schon aus
Glaubwürdigkeitsgründen das WTO-Verfahren umge-
hend – nicht erst später – einleiten.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [FDP])


Sie darf nicht auf die Entscheidung über eine Neurege-
lung warten.

Der Bundestag hat seine finanziellen Hausaufgaben
bereits erledigt. Sie alle wissen: In den Haushalt haben wir
vorsorglich 4,8 Millionen Euro für das Jahr 2003 und je
9,6 Millionen Euro für die Jahre 2004 und 2005 einge-
stellt. Wir haben damit unter Beweis gestellt, dass uns die
Förderung der maritimen Industrie sehr am Herzen liegt,
und in Richtung Brüssel deutlich gemacht, dass wir ge-
willt sind, die Wettbewerbshilfe weiterhin zu zahlen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [FDP])


Schiffbau ist eine nationale Aufgabe und hat seinen
Schwerpunkt – entgegen der Meinung vieler – nicht nur
an der Küste. Ein großer Anteil der Produktion kommt aus
dem Binnenland und sichert dort viele Arbeitsplätze. Ich
nenne nur Baden-Württemberg, das an den Zulieferungen
von elektronischen Bauteilen, Getrieben oder Motoren ei-
nen Anteil von 22 Prozent hat. Auch Bayern hat einen An-
teil von immerhin 15 Prozent an der Zulieferindustrie.

Die aktuelle Lage zeigt, dass wir den eingeschlagenen
Weg weitergehen müssen. Die Anzahl der Beschäftigten
auf den Werften ist laut einer regelmäßig durchgeführten
Umfrage der Universität Bremen und der IG Metall seit
Jahren erstmals wieder angestiegen: Im vergangenen Jahr
gab es ein Gesamtplus von 1,9 Prozent.

Hier, im Bundestag, sollten wir gemeinsam ein Zei-
chen setzen und deutlich machen, dass der Schiffbau in
Deutschland Zukunft hat. Auch wenn wir in diesem Hause
oft über maritime Fragen verschiedener Auffassung wa-
ren, haben wir in Sachen Schiffbau meistens an einem
Strang gezogen. Das gilt übrigens auch für Gewerkschaf-
ten und Schiffbauverbände, wie sich auf einer großen
Schiffbaukonferenz, die die SPD-Bundestagsfraktion im
April letzten Jahres durchgeführt hat, oder auch auf den
maritimen Konferenzen des Bundeskanzlers in Emden
und Rostock gezeigt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Werner Kühn [CDU/CSU]: Aber leider ohne Ergebnis!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
im Interesse der Beschäftigten auf den Werften möchte
ich Sie deshalb bitten, unserem Antrag zuzustimmen und
damit der Bundesregierung in den kommenden harten
Auseinandersetzungen mit den EU-Partnern den Rücken
zu stärken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422116600
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Wolfgang
Börnsen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1422116700
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich an-
erkenne den Einsatz von Ilse Janz für die Küste. Ich teile
ihre Einschätzung der augenblicklichen Lage aber nur in
Ansätzen. Was die Kapazitätsbegrenzung für die Werf-
ten in den neuen Bundesländern angeht, so ist der Erfolg
für die Peene-Werft ein Viertel neues Schiff pro Jahr. Der
Betriebsrat beklagt ganz eindeutig, dass die Kapazitäts-
beschränkung damit nicht aufgehoben worden ist. Einen
Ausgleich zwischen den Werften hat es zwar gegeben,
aber keine Verbesserung der Situation. Deswegen kämpft
der Betriebsrat dort, ebenso wie die Betriebsräte anderer
Werften, für mehr Offenheit und für mehr Wettbewerbs-
gerechtigkeit.

Ilse Janz, in diesen Tagen ist es traurige Wirklichkeit,
dass inzwischen auch Werftarbeiter zu den 4,3 Mil-
lionenArbeitslosen in Deutschland gehören. Arbeiter von
kleineren und mittleren Werften gehören dazu. Es ist
ebenfalls traurige Wirklichkeit, dass wir in Deutschland
im Jahr 2001 Aufträge für Schiffsneubauten im Umfang
von nur 600 Millionen DM, also 300 Millionen Euro, be-
kommen haben. Korea erhielt für insgesamt 50 Milliar-
den Euro Aufträge für Schiffsneubauten. Diese Unter-
schiede können wir feststellen. Die Koreaner haben ihren
Aufstieg zur Weltschiffbaunation vollzogen. Japan hat




Ilse Janz
21964


(C)



(D)



(A)



(B)


seine Situation stabilisiert. China ist auf dem Vormarsch
und hat Deutschland überholt. Europa verliert Marktan-
teile. Insider der Branche sehen voraus, dass von den
100Werften in Deutschland etwa 70 Prozent bald in Exis-
tenznot geraten. Kleinere Werften melden Arbeit für nur
noch zwölf bis 18 Monate.

Der Bundeskanzler hat die maritime Wirtschaft zur
Chefsache erklärt. Doch die Politik der ruhigen Hand
führte im Werftenbereich zu Stagnation, also zu Still-
stand.


(Ilse Janz [SPD]: Das weißt du doch besser! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht wahr!)


Es kam zu einer Krise der Vorzeigeindustrie, auch zum
Schaden von Tausenden von Arbeitnehmern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Strategie, die Angelegenheit des Wirtschaftsminis-

teriums zur Chefsache zu erklären, hat auch die ureigene
Kompetenz des Wirtschaftsministeriums eingeschränkt.
Der dort vorhandene Fachverstand wurde nicht optimiert,
sondern verprellt und demotiviert.


(Dr. Christine Lucyga [SPD]: Meinen Sie den maritimen Koordinator? – Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn der Herr Staatsminister Schwanitz? Das ist doch ein ostdeutsches Thema!)


Wer anderen Aufgaben wegnimmt und sagt: „Ich kann das
besser“ – dazu gehört auch, dass man unter der Verant-
wortung der sehr einsatzbereiten Parlamentarischen
Staatssekretärin eine der Seeschiffahrt übergeordnete
Behörde geschaffen hat –, der tut etwas, was nicht sein
muss.

Die Bilanz der ruhigen Hand ist für die Werften er-
schütternd: Zu Beginn der rot-grünen Regierungszeit nah-
men die deutschen Werften noch einen Marktanteil von
7 Prozent ein; wir hatten den dritten Rang in der Welt. Da-
mals war Schiffbau noch Sache des Wirtschaftsministers.


(Zuruf von der SPD: Das ist es heute noch!)

Im Jahre 2000 wurde es Chefsache. Das Engagement mit
der maritimen Konferenz führte dazu, dass ein neues
Schlagwort geprägt wurde, aber nicht zu neuem Handeln.
Was passierte im Jahre 2001? – Deutschlands Anteil
schrumpfte auf 5 Prozent und die Bundesrepublik fiel auf
dem Weltmarkt für Schiffsneubau auf den fünften Platz
zurück.


(Ilse Janz [SPD]: Aber woran liegt das denn?)

Es hat bereits einen weiteren Rückgang gegeben. Die

Branche befindet sich in einem Besorgnis erregenden
Niedergang. Hatten wir vor zehn Jahren noch 60 000
Werftarbeiter, so sind es heute nur noch 20 000. Statt dass
die Hochtechnologie von der Küste durch Berlin und
Brüssel gestützt wird, beraubt man sie der letzten Stütz-
pfeiler. Ilse Janz hat selbstkritisch darauf aufmerksam ge-
macht.

Am 5. Dezember 2000 wurde die Wettbewerbshilfe
durch die EU endgültig gestrichen. Damit sind die deut-

schen und europäischen Werften dem Weltschiffbaumarkt
völlig schutzlos ausgeliefert worden. Ein Jahr später, am
5. Dezember 2001, als man zum zweiten Mal darüber dis-
kutiert hat, hat sich daran nichts geändert. Es ist ein
schwarzer Tag für die Werften geblieben.

Was mich besonders umtreibt, ist Folgendes: Am Tage
der Verhandlung in Brüssel hat unserer Bundeswirt-
schaftsminister die Veranstaltung vor Beginn der Sitzung
verlassen.


(Werner Kühn [CDU/CSU]: Unglaublich!)

So schrieb die „Märkische Oderzeitung“: Man setzt keine
nationalen Interessen durch, wenn man die Sitzung ver-
lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Allein gelassen wurden Deutschlands und Europas

Werften auch im Kampf gegen Südkoreas Dumping-
preispolitik. Der Aufstieg dieses Landes zur Weltschiff-
baunation Nummer eins, das seinen Marktanteil von
24 Prozent im Jahre 1998 auf heute über 40 Prozent aus-
baute, hat seine Ursache in der staatlichen Preisstützung
durch die Koreaner. Koreas Werften verkaufen ihre
Schiffe 20 Prozent unter den Herstellungskosten. Da kann
keine europäische oder deutsche Werft mithalten.

Aber anstatt diese unvertretbare Wettbewerbsverzer-
rung zu geißeln, hat man nicht den Mut gehabt, die WTO-
Klage gegen Südkorea aufrechtzuerhalten, sondern man
hat sie fallen gelassen. Das ist die Praxis. Es hat an Mut
und an Maßnahmen gefehlt. Der Anteil Europas am Welt-
schiffbau ist seit 1998 von 26 Prozent auf 13 Prozent ge-
sunken. Er hat sich also in drei Jahren halbiert. Das ist die
Situation, vor der wir stehen. Als deutsche Interessenver-
treter hätten wir auf einer Pro-Wettbewerbs-Politik beste-
hen müssen.

Ungehört sind die Streiks der europäischen Werft-
arbeiter im letzten Jahr geblieben. Ungehört sind auch die
Vorschläge des europäischen Werftenverbandes geblie-
ben. Deswegen brauchen wir innerhalb der Bundesrepu-
blik eine Wettbewerbsfairness unter den Bundesländern.
Noch immer hat Schleswig-Holstein seinen Anteil von
60 Millionen DM nicht bezahlt; es gibt also eine Wettbe-
werbsverzerrung innerhalb Deutschlands. Es gibt aber
auch eine Wettbewerbsverzerrung innerhalb Europas. In
Spanien können Schiffe viel länger und günstiger abge-
schrieben werden als in Deutschland. Spanien hat einen
20-prozentigen Preisvorteil. Dadurch hat Spanien
Deutschland als Schiffbaunation in Europa vom ersten
Platz abgelöst. Das heißt, wir brauchen für eine Schiff-
baupolitik mehr Power, mehr Druck. Wenn sie wirklich
Chefsache sein soll, dann muss sie auch Chefsache blei-
ben. Das ist sie im Augenblick aber nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422116800
Ich gebe das
Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie, Kollegin
Margareta Wolf.




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


21965


(C)



(D)



(A)



(B)


M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422116900
Sehr geehrter
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren Schriftführer! Sehr
geehrter Herr Börnsen, ich hatte bisher immer den Ein-
druck, dass wir gemeinsam, also die Bundesregierung zu-
sammen mit dem Parlament, eine Schiffbaupolitik im In-
teresse und zum Wohle der deutschen Industrie betreiben.
Ich finde es schade, dass das heute nicht so herüberge-
kommen ist.

Ich selbst hatte Gelegenheit, mit verschiedenen Schiff-
bauern zu reden. Sie sind voll des Lobes – das hat Frau
Janz angesprochen – für die Arbeit des maritimen Koor-
dinators, insbesondere im Hinblick auf das, was er zu-
gunsten von mehr Wettbewerb in Brüssel zu erreichen
versucht hat und auch erreicht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der
heutige Tag ist nicht nur ein schwarzer Tag. Das EU-Ge-
richt hat nämlich heute in erster Instanz in Luxemburg
über eine Klage des Kvaerner-Konzerns gegen zwei
Kommissionsentscheidungen in Sachen Kapazitätsüber-
schreitung der Warnow-Werft in 1997 und 1998 entschie-
den. Das Gericht ist der Auffassung der klagenden Werft
gefolgt, dass es sich bei den von der Kommission festge-
legten und bis 2005 geltenden Kapazitätsbeschränkungen
– Sie haben das angesprochen – um Begrenzungen der
technischen Ausstattung der Werft handelt, die im Rah-
men ihrer Modernisierungsinvestitionen einzuhalten wa-
ren, so genannte bottle necks, und um keine Produktions-
begrenzungen.

Diese erst seit drei Stunden vorliegende Entscheidung
bedarf natürlich zuerst einmal einer ausführlichen Prü-
fung. Es muss auch abgewartet werden, ob die Kommis-
sion gegen dieses ja sehr weit reichende Urteil, das ihrer
bisherigen Position extrem widerspricht, beim EuGH in
Berufung geht. Wenn das tatsächlich so sein sollte, wäre
die Sachlage noch einmal anders zu beurteilen. Ich denke
aber, dass es zunächst einmal ein sehr positives Zeichen
für die deutsche Schifffahrt und gerade für die ostdeut-
schen Werften ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Herr Börnsen, Frau Janz hat darauf hingewiesen, dass
die Bundesregierung in Person von Herrn Gerlach vor
dem Hintergrund der sehr starren Haltung der Kommis-
sion in Sachen Kapazitätsgrenzen zu Beginn des Jahres
2001 der Kommission einen neuen Vorschlag einer sys-
temkonformen Neubewertung der bis 2005 weiter gelten-
den Kapazitätsgrenzen vorgelegt hat. Mit diesem Antrag
sollte für die ostdeutschen Werften die Flexibilität ge-
schaffen werden, die sie betriebswirtschaftlich – das se-
hen wir hier im Hause doch einheitlich so – dringend
benötigen. Denn auch die ostdeutschen Werften mussten
trotz der erfolgreichen Umstrukturierung ihre Ferti-
gungstiefen weiter verringern, wie dies dem weltweiten
Trend im Schiffbau entsprach. Aufgrund der dadurch er-
zielten hohen Produktivitätszuwächse hätten die Werften

ihren schiffbaulichen Durchsatz erhöhen müssen, um die
Beschäftigungssituation stabil zu halten.

Angesichts der Kapazitätsbegrenzungen wurden aber
– das haben Sie beide auch gesagt – die betriebswirt-
schaftlichen Spielräume für die ostdeutschen Werften im-
mer enger. Diese Situation, die auch von der EU-Kom-
mission nachvollzogen wurde, hat nach intensiven
Verhandlungen von Herrn Gerlach dazu geführt, dass
Ende Oktober 2001 die Entscheidung zugunsten einer be-
triebswirtschaftlich flexiblen Lösung getroffen wurde. Es
wurde vorhin schon angedeutet: Ab 2001 dürfen die ost-
deutschen Werften in einem Jahr nicht genutzte Kapazitä-
ten auf das nächste Jahr oder eine andere ostdeutsche
Werft übertragen bzw. an Dritte vergeben, also outsour-
cen; das hat Frau Janz hier schon dargestellt. Wir gehen
davon aus, dass mit der jetzt erzielten Regelung eine be-
lastbare Grundlage für den verbleibenden Zeitraum bis
2005 gefunden worden ist.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz die Gele-
genheit nutzen, Sie über den derzeitigen Stand der Ver-
handlungen der Bundesregierung in Brüssel zu informie-
ren: Mitte letzten Jahres hat die EU-Kommission dem
Ministerrat den Entwurf einer Verordnung vorgelegt, in
der eine Doppelstrategie verfolgt wird: Einerseits soll
gegen die Praxis Koreas im Rahmen der Welthandels-
organisation ein WTO-Verfahren durchgeführt werden,
andererseits soll für den Zeitraum dieses Verfahrens eine
Unterstützung der europäischen Schiffbauindustrie in ge-
wissen Marktsegmenten ermöglicht werden. Dieser
Verordnungsentwurf, der die uneingeschränkte Unterstüt-
zung der Bundesregierung erfährt – ich hoffe, auch dieses
Hauses –, konnte leider bisher nicht verabschiedet
werden, weil Frankreich ein Veto eingelegt hat. Die Fran-
zosen haben ihre Zustimmung zu der Verordnung von der
Einbeziehung von Gastankern in die Liste der unterstüt-
zungsfähigen Schiffstypen abhängig gemacht. Eine spezi-
ell zu diesem Zweck durchgeführte unabhängige Markt-
untersuchung soll die Forderung der Franzosen
bestätigen. Wir gehen mit dem maritimen Koordinator da-
von aus, dass spätestens bis Mitte des Jahres ein positives
Votum im Ministerrat erreicht werden kann.

Spätestens 2005 werden die mecklenburg-vorpommer-
schen Werften alle ihre betrieblichen Vorteile zur Geltung
bringen können. Die Bundesregierung wird alles ihr Mög-
liche tun, um dies im Rahmen fairer Wettbewerbsbedin-
gungen zu erreichen. Dies haben wir auch in der Vergan-
genheit versucht und dabei, wie ich finde, wichtige
Schritte in die richtige Richtung getan.

Ich hoffe selbstverständlich, dass sich die Position des
EU-Gerichts, das heute in Luxemburg in erster Instanz
entschieden hat, tatsächlich durchsetzt. Dann wären wir in
Bezug auf die ostdeutschen Werften einen ganz wichtigen
Schritt weiter, die dann nämlich den Frühling sähen und
nicht bis zum 22. September nur schwarze Tage erleben
müssten.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422117000
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Hans-Michael
Goldmann.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1422117100
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ei-
gentlich schade, dass wir hier nur im kleinen Kreis ver-
sammelt sind. Die maritime Wirtschaft hätte wirklich an-
deres verdient.


(Ulrich Adam [CDU/CSU]: Vor allen Dingen die von Mecklenburg-Vorpommern!)


Wir, die wir in diesen Bereichen besonders engagiert sind,
wissen, dass es um eine absolute Hightech-Technologie
geht, die weit über die Küste hinaus Bedeutung hat. Nicht
umsonst hat sich eine der letzten Weltausstellungen mit
den Ozeanen und dem Wasser beschäftigt. Wasser, Oze-
ane und maritime Wirtschaft werden eine ganz wesentli-
che Säule unseres volkswirtschaftlichen Wohlergehens
sein, wenn wir sie hegen und pflegen, und zwar auf allen
Ebenen.

Maritime Wirtschaft ist ein ganzheitlicher Prozess und
man kann sich vielleicht in einem kleinen Schlenker fra-
gen, ob die Reform des Seeunfalluntersuchungsgesetzes
wirklich eine kluge Entscheidung ist oder ob es klug ist,
zu entscheiden, dass die Donau nicht ausgebaut werden
soll; denn im Prinzip bedeutet die Entscheidung für die
A-Variante keinen Ausbau und bringt überhaupt keine
Perspektive.

Die Werften in Mecklenburg-Vorpommern sind nach
der Wende enorm gefördert worden. Das hat durchaus
Kritik bei denen hervorgerufen, die sich im Westen um
den Markt gekümmert haben. Aber es war richtig, weil ge-
rade die Werften in Mecklenburg-Vorpommern eine ganz
zentrale Säule der wirtschaftlichen Entwicklung dieser
Region sind.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)


Sie mussten sich dafür auf Kapazitätsbegrenzungen
einlassen, auf 327 000 CGT. Diese Kapazitätsgrenzen
sollten bis 2005 gelten. Es ist gut, dass sie jetzt auf-
geweicht worden sind.

Ganz so voll des Lobes, wie es der eine oder andere
ausgedrückt hat und wie es im Antrag steht, dass SPD und
Bündnis 90/Die Grünen das Problem auf ganz „hervorra-
gende Weise“ gelöst hätten, waren die Vertreter der Werf-
ten bei der maritimen Konferenz in Rostock, an der ich
teilgenommen habe, nicht. Sie waren schon ein bisschen
enttäuscht, dass man Kapazitäten im Grunde genommen
nur zwischen den Werften austauschen kann; denn das ist
gar nicht das Problem. Die Werften in Mecklenburg-Vor-
pommern nutzen ja ihre Kapazität.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Eine Übertragung zwischen den Werften ist auch ange-
sichts der Marktsituation – das sind ja nicht alles Brüder
und Schwestern, sondern Wettbewerber – nicht sehr hilf-
reich.

Aber gut, es ist entschieden, und wir können uns rela-
tiv schnell darauf einigen, Frau Janz: Die neuen Regelun-
gen sind besser als die vorherigen. Sie sind jedoch über-
haupt nicht die Lösung des Problems. Es hat zwei
maritime Konferenzen gegeben, was ich sehr begrüßt
habe, die erste in Emden – genau an der richtigen Stelle –,
die zweite in Rostock, vielleicht an einer noch besseren
Stelle, denn dort sind die Probleme sicherlich noch größer
und verschärfter.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Sie sehen: Wir gehen die Probleme an!)


– Nein, Sie gehen die Probleme nicht an. Fragen Sie sich
einmal ernsthaft, welches Signal folgender Sachverhalt ist
– der Kollege Börnsen hat es schon angesprochen –: Im
Jahr 2001 haben deutsche Werften Aufträge im Wert von
rund 300 Millionen Euro akquiriert; da sind wir uns einig.
Im gleichen Jahr haben sie aber für 3,9 Milliarden Euro
ausgeliefert; das heißt, sie haben nur knapp ein Zehntel
dessen, was sie ausgeliefert haben, akquirieren können.

Das zeigt, sie haben riesige Probleme, an neue Auf-
träge zu kommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie kommen an diese neuen Aufträge auch deshalb nicht
heran, weil die Rahmenbedingungen für Arbeit in
Deutschland nicht sonderlich gut sind, weil es hohe Lohn-
und Lohnnebenkosten gibt, aber sie kommen vor allen
Dingen nicht an neue Aufträge, weil die Koreaner falsch
spielen. Das ist auch hinlänglich bekannt. Nun müsste
man eigentlich die Werften in ihrem fairen Wettbewerbs-
gedanken unterstützen und als Bundesrepublik Deutsch-
land über die europäische Ebene die Koreaner verklagen;
eine solche Stellung sollten wir in Europa haben. Vor die-
sem Hintergrund ist es höchst erstaunlich, dass wir nicht
bei der WTO Klage zugunsten unserer Werften gegen die
Koreaner geführt haben.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das geht doch gar nicht! Das wissen Sie doch selber!)


Wir haben das im Grunde genommen denen übertragen,
die in der Wettbewerbssituation standen, nämlich den
Werften und den Reedereien.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Ja, die müssen den Antrag stellen!)


– Frau Wetzel, ich will gar nicht bestreiten, dass sie den
Antrag stellen müssen.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Und jetzt sagen Sie, wir als Land sollen es machen!)


– Seien Sie einmal ganz friedlich. – Fragen Sie einmal die
Werften, ob sie sich von der Bundesrepublik Deutschland
und vom maritimen Koordinator in dieser Frage begleitet
und unterstützt fühlen


(Ilse Janz [SPD]: Ja!)

oder ob sie der Meinung sind, dass man mehr hätte tun
können.






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Die Werften, mit denen
ich spreche – das sind eine ganze Reihe –, sagen, dass sie
von der Aktion der Bundesrepublik Deutschland, von dem
maritimen Koordinator und vom Bundeskanzler in dieser
Frage enttäuscht seien.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist absolut nicht wahr!)


– Sie reden möglicherweise mit anderen Werften. Es kann
sein, dass diese das anders sehen. Aber die Werften, mit
denen ich rede – das sind so ziemlich alle Werften in der
Bundesrepublik Deutschland –, sagen, dass sie sich in die-
ser Frage enttäuscht fühlen.

Sie fühlen sich noch in Bezug auf eine weitere Frage ent-
täuscht – das wissen Sie auch –, nämlich in der Frage der
CIRR-Zinsregelung. Die CIRR-Zinsregelung führt dazu,
dass deutsche Werften erheblich benachteiligt werden.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ja!)


Sie wissen ganz genau, dass es letztlich überhaupt nicht
hilft, wenn die Bundesrepublik Deutschland Mittel zur Ver-
fügung stellt, weil die Länder die Kofinanzierung auf die
Beine stellen müssen. Einige Länder tun sich damit schwer
– dazu gehört beispielsweise Schleswig-Holstein –, weil sie
diese Ergänzungsmittel nicht zur Verfügung stellen können.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Sie wissen überhaupt nicht, ob es greift!)


– Es hat keinen Zweck, wenn Sie dazwischenrufen, Frau
Wetzel. Entweder melden Sie sich zu einer Zwischenfrage
oder Sie nehmen Rücksicht auf mich und rufen nicht dau-
ernd dazwischen; denn das irritiert ein wenig.


(Ilse Janz [SPD]: Das haben Sie bei mir auch gemacht!)


Frau Altmann, in diesem Punkt haben Sie Recht.
Betrachten wir beispielsweise einmal die Sache mit

Frankreich. Was haben Sie für einen Eindruck von der
europäischen Allianz, die von Deutschland und Frank-
reich gebildet wird?


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Die funktioniert nicht!)


– Warum funktioniert sie denn nicht? Was haben die Fran-
zosen gemacht? Haben wir denn nicht die Möglichkeit –
auf anderen Gebieten können wir mit den Franzosen Ko-
operationen durchaus eingehen;


(Beifall des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

ich denke beispielsweise an verschiedene Bereiche der
Verkehrstechnik –, den Franzosen zu sagen, dass sie an
dieser Stelle einmal still sein sollen und dafür sorgen sol-
len, dass wir im Bereich der Wettbewerbshilfe zu einer
Lösung kommen, die dem Interesse der deutschen Werf-
ten Rechnung trägt?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Margrit Wetzel [SPD])


– Frau Wetzel, es hat keinen Zweck zu glauben, in diesem
Bereich sei alles in Ordnung. In diesem Bereich gibt es

nämlich riesige Probleme. Wir müssen einfach erkennen,
dass wir noch eine Menge Aufgaben zu bewältigen haben.
Es macht daher keinen Sinn zu sagen, es sei alles eitel
Sonnenschein, der maritime Koordinator werde es schon
richten und die maritime Konferenz werde schon die rich-
tigen Weichen stellen.

Wir müssen auf diesem Gebiet weiter konsequent ar-
beiten. Sie haben einen kleinen Schritt getan. Aber wei-
tere Schritte sind dringend notwendig. Hier bedarf es ei-
nes größeren Engagements Ihrerseits, damit die Weichen
so gestellt werden, dass die maritime Wirtschaft die
Chancen hat, die sie verdient.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie begreifen drei Jahre zu spät, dass Sie das längst hätten tun können, als Sie an der Regierung waren!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422117200
Für die
PDS-Fraktion spricht der Kollege Rolf Kutzmutz.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1422117300
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die PDS-Fraktion unterstützt den Antrag der
Koalition. Wir anerkennen das Engagement der Bundes-
regierung und sind der Meinung, dass hinsichtlich der
Kapazitätsbeschränkungen ein besseres Ergebnis bei
der Kommission nicht möglich war. Wir sollten auch so
ehrlich sein, das einzugestehen.


(Beifall bei der PDS und der SPD – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)


Alle, die anders darüber urteilen und jetzt dazwischenru-
fen, müssten sich fragen, was sie in der Vergangenheit ge-
tan haben. Wir sollten bei aller Kritik das Ergebnis nicht
kleinreden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Vor allem Ihre Parteifreunde machen das!)


Angesichts der harten Konkurrenz auch zwischen den
westeuropäischen Standorten war mehr als die zugestan-
dene Flexibilisierung offensichtlich nicht drin, zumal
man auch hierzulande mittlerweile auch mit Kreuzfahrt-
schiffen erfolgreich ist, also in der einstigen Domäne an-
derer europäischer Werften punktet.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das hat überhaupt nichts mit Wettbewerbshilfe zu tun! Kreuzfahrtschiffe sind kein Bestandteil!)


– Sie sind sehr wohl Bestandteil im Sinne von Wettbe-
werbsauseinandersetzungen. Wenn wir das eine wollen,
dürfen wir das andere nicht aus dem Auge verlieren. Man
muss solche Zusammenhänge schon sehen, Herr
Goldmann.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind doch gar nicht mehr drin!)


– Aber diese Schiffe werden doch auf den deutschen
Werften gebaut. Diese Tatsache muss man einfach sehen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nicht alles, was schwimmt, ist ein Schiff!)





Hans-Michael Goldmann
21968


(C)



(D)



(A)



(B)


– Sie sollten sich erst mit der Materie beschäftigen, bevor
Sie solch dummes Zeug reden.


(Beifall bei der PDS)

Wir sollten uns gerade in diesem Bereich, was Kritik

und Begehrlichkeiten gegenüber Brüssel anbelangt,
zurückhalten. Ich hoffe, dass durch die Übernahme von
Kvaerner durch Aker und die damit mögliche Koopera-
tion zwischen Werften in Wismar und Warnemünde der
Kompromiss zum Austausch von Kapazitäten auch
Arbeitsplätze sichern hilft. Ich will deutlich sagen – da
gebe ich Ihnen Recht, Herr Goldmann –: Die Möglichkeit
des Kapazitätsaustausches ist ja nur die eine Seite. Diese
Möglichkeit im Sinne des Überwindens von Egoismen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Dazu muss man erst mal welche haben!)


auch im Sinne von Mehrproduktion zu nutzen, das ist die
andere Seite. Ich denke, das muss man schon ansprechen.

Zum Antrag der Koalitionsfraktionen: Ich meine, es
wird höchste Zeit, dass er beschlossen und umgesetzt
wird. Denn wir brauchen die darin geforderten konkreten
Informationen und erwarten auch im Gefolge Initiativen
der Bundesregierung zur „unverantwortlichen koreani-
schen Dumpingpreispolitik“. Hier liegt bekanntlich das
Hauptproblem aller europäischen und damit auch der ost-
deutschen Werften. Auf diesem Gebiet sind wir in den
letzten Monaten nicht deutlich vorangekommen.

Durch die fehlende Einigung des Industrieminister-
rates vom Dezember letzten Jahres wurden die befristeten
Werftenhilfen weiter verschleppt. Diese sind aber als
Flankierung der allseits erwünschten handelspolitischen
Auseinandersetzungen unabdingbar. Ich weiß natürlich,
dass Appelle an die Bundesregierung keine Ratsbe-
schlüsse verändern können. Aber manchmal wünschte ich
mir, wie es auch Herr Goldmann gesagt hat, dass sie sich
ein Beispiel am Verhalten Frankreichs nimmt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Tja!)

Dort blockiert man, ohne mit der Wimper zu zucken, ein
für andere Mitglieder existenzielles Projekt, um noch wei-
tergehende Wünsche, hier: Beihilfen für Gastanker, auf-
satteln zu können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, genau! Man redet von Geiselnahme!)


Es gibt doch durchaus auch französische Interessen, bei
denen wir einmal sagen können, was wir wollen. Hier
denke ich zum Beispiel an die Luft- und Raumfahrt.


(Zuruf von der FDP: Ja!)

Dies offen anzusprechen führt dann vielleicht auch zu ei-
nem Umdenken und dazu, dass elementare Bedürfnisse
der führenden Schiffbaunation Westeuropas ernst genom-
men werden.

Eine zweite Kritik richte ich insbesondere an den Bun-
deswirtschaftsminister.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha! Verwegen, verwegen!)


Während sich sein Staatssekretär an der Schiffbaubeihil-
fefront bemüht, den zuständigen EU-Kommissar gewo-
gen zu halten, räumt der Minister laufend neue Fels-
brocken auf den ohnehin schon steinigen Weg. Damit
meine ich zum Beispiel die angedachte Ministererlaub-
nis für die Fusion von Eon und Ruhrgas. Der uns allen
bekannte EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti sagt
dazu in der „Berliner Zeitung“ vom Montag dieser Wo-
che: „Auf EU-Ebene haben wir keine Ministererlaubnis,
und das finde ich richtig.“

Es ist keineswegs zu weit hergeholt, zwischen Ener-
giepolitik und Schiffbau einen Zusammenhang herzustel-
len. Wer sich auf dem einen Feld wie ein Elefant im poli-
tischen Porzellanladen benimmt, braucht sich nicht zu
wundern, wenn ihm auf einem anderen Feld der Wind ins
Gesicht bläst.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von FDP: Ha, ha!)


Wer Wettbewerbspolitik zur Farce machen will, indem
er beispielsweise ein Minister- kurzerhand zum Staatsse-
kretärs-Erlaubnisverfahren erklärt und darin weder die In-
teressen der Verbraucher noch der Beschäftigten, sondern
höchstens die der Anteilseigner eines bestimmten Kon-
zerns verfolgt, der disqualifiziert sich für Forderungen in
anderen Feldern der Wettbewerbspolitik.

Es bleibt die Frage: Ist Eon wirklich so viel wert? Kol-
lege Börnsen – Sie wissen, ich schätze Sie sehr –, auch für
mich bleibt die Frage: Ist der Vorwahlkampf es wirklich
wert, nun den langjährigen schiffbaupolitischen Konsens
zwischen den Fraktionen aufzukündigen und einfach von
Bord zu gehen?


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das stimmt wirklich! Das ist wirklich wahr!)


Ich meine, damit erweisen wir den Menschen in Meck-
lenburg-Vorpommern und anderswo einen schlechten
Dienst. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Was macht denn eigentlich Ihr Minister in MecklenburgVorpommern?)


– Das sollten sie einmal nachlesen und sich nicht nur die
„Bild“-Zeitung angucken!


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422117400
Ich erteile
der Kollegin Margrit Wetzel für die SPD-Fraktion das
Wort.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Wetzel erklärt uns das jetzt alles!)



Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1422117500
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Transportvolumen
auf den Meeren wächst jährlich um 7 Prozent. Trotzdem
sind die Frachtraten wieder gefallen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist das wahr?)





Rolf Kutzmutz

21969


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Reeder nehmen freiwillig Tonnage vom Markt, um so
den Preisverfall durch Überkapazitäten aufzuhalten.

Die Nachfrage ist, nicht nur durch den 11. September
letzten Jahres, drastisch eingebrochen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat doch etwas mit Flugzeugen zu tun, nicht mit Schiffen!)


Denn wer nicht gut verdient, ordert auch keine neuen
Schiffe. Selbst die Banken halten sich bei der Schiffsfi-
nanzierung zurück.

Die deutschen Werften haben in den letzten Jahren so
viele Schiffsneubauten abgeliefert wie selten zuvor. Die
Auftragsbücher sind noch bis Ende 2003 gefüllt, bei etli-
chen Werften deutlich länger.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oh, oh!)

Dieser noch gute Auftragsbestand ist auch das Ergebnis
unserer verantwortungsvollen Beihilfepolitik.


(Beifall bei der SPD)

Es war keine Überraschung, dass die auslaufenden Bei-
hilferegelungen zu einem Nachfrageboom führten und
umgekehrt eine Flaute im Anschluss daran erfolgen
würde.

Bund und Länder haben dem Schiffbau mit einer ge-
waltigen Kraftanstrengung bei der Krisenbewältigung ge-
gen die koreanischen Dumpingpreise geholfen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Alle Parteien haben das!)


Ich spreche bewusst von einer Krise, denn Subventionen
sind kein Dauerzustand. Die deutschen Werften wollen
auch keine Subventionen, sondern faire Wettbewerbsbe-
dingungen auf dem Weltmarkt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!)


Anfang Januar 2002 hat die OECD-Arbeitsgruppe
Schiffbau endlich erkannt, dass sie ihre Anstrengungen
deutlich verstärken muss, um zu einem neuen internatio-
nalen Weltschiffbauabkommen zu kommen. Wir fordern,
dass alle Schiffbaunationen sich darauf verständigen,
faire Produktions-, Bilanzierungs- und Arbeitsbedingun-
gen einzuhalten und bei Verstößen auch schmerzhafte
Sanktionen zu verhängen. Die USA müssen mitmachen
und Korea muss weltweit geltende Bilanzierungsregeln
akzeptieren und einhalten.

Dazu gehört, dass auch der Kapitaldienst für Kredite
einkalkuliert werden muss. Koreanische Werften beherr-
schen nach wie vor das Geschehen auf dem Weltmarkt.
Sie sind hochpoduktiv und supermodern und lassen einen
Serienschiffbau zu, von dem europäische Werften nur
träumen.

Die EU kann sich seit unerträglich langer Zeit nicht zu
einer gemeinsamen solidarischen Haltung zur Stärkung
der Schiffbauindustrie durchringen. Die Entscheidung
über die befristete Fortsetzung der Schiffbauhilfen wurde
wieder einmal vertagt, diesmal auf den Juni 2002. Sie
muss aber endlich fallen, weil der Schiffbau Vorlauf und
Zeit für die Akquisition auf dem internationalen Markt

braucht. Die Hartnäckigkeit und die Geduld der Bundes-
regierung bei den mühsamen Verhandlungen in Brüssel
verdienen deshalb unseren Dank, unsere Anerkennung
und unser aller Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Das gilt auch für den Teilerfolg, der im Herbst letzten

Jahres für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern nach
unglaublich mühsamen Verhandlungen erzielt wurde.
Natürlich wollen wir, dass die Kapazitätsbeschränkun-
gen der ostdeutschen Werften ganz aufgehoben werden.
Die Frage ist nur, was man de facto durchsetzen kann und
ob man mit einem Teilerfolg weiterkommt.

Die Übertragung nicht genutzter Kapazitäten und die
Vergabe werfttypischer arbeitsintensiver Leistungen hat-
ten inzwischen erkennbare positive Wirkungen: Die
Kurzarbeit in Wismar konnte aufgehoben werden. Der
Auftrag für den Bau einer Großsektion der „Aida-Aura“
wurde nach Warnemünde vergeben und sicherte dort Be-
schäftigung in Ausrüstungsberufen. „Durch Fremdver-
gabe konnte die Terminkette gehalten werden“, so darf ich
Herrn Tabel aus Wismar zitieren. Der Auftrag für den Bau
kleinerer Sektionen ging nach Stettin; Kooperation mit
polnischen Werften heißt auch, Kostenvorteile ausnutzen
zu können.

Durch die Zusammenlegung von Aker und Kvaerner
gehören die MTW und die Warnow-Werft inzwischen
zum größten europäischen Schiffbaukonzern. Austausch,
Synergieeffekte im Ausbildungs- und Personalbereich,


(Werner Kuhn [CDU/CSU]: Sie schweifen vom Thema ab!)


in Konstruktion, Fertigung, Materialplanung, Ausschrei-
bung und Einkauf sind möglich. Die gemeinsame Pro-
duktpalette wird interessanter und die finanzielle Basis
gesünder. Das sind beste Voraussetzungen für eine dauer-
hafte Standortsicherung. Darüber sollten wir uns freuen.


(Beifall bei der SPD)

Die Einbindung des Konzerns in die Kooperationen

von Euroyards nenne ich eine zukunftsweisende europä-
ische Zusammenarbeit. Wir sollten an dieser Stelle er-
kennen, dass die europäischen Werften – das gilt für die
deutschen ganz besonders – deutlich weiter sind als die
europäische Schiffbaupolitik. Das muss einfach aner-
kannt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb drücken wir der Peene-Werft, die bereits ge-

nannt worden ist, die Daumen für die Akquise von SAR-
Schiffen für die Türkei und der Volkswerft in Stralsund für
eine erfolgreiche Entwicklung intelligenter Produktions-
abläufe, nachdem die Fertigungsorganisation und die
Konstruktion schon neu ausgerichtet wurden.

Weiterentwickeln müssen sich unsere Werften schon,
wenn sie sich auf dem internationalen Markt behaupten
wollen. Computergestützte Fertigung ist heute ein Muss.
Aber wer sich einmal ein Bild von den Möglichkeiten der
virtuellen Produktion gemacht hat, weiß von den techno-
logischen Vorsprüngen und der internationalen Wettbe-
werbsfähigkeit deutscher Werften. Sie brauchen faire Be-




Dr. Margrit Wetzel
21970


(C)



(D)



(A)



(B)


dingungen. Sie haben die Nase vorn, sind modern, hoch-
produktiv, innovativ und kreativ.


(Werner Kuhn [CDU/CSU]: Aber nicht ausbaufähig! Das ist das Problem! Sie können nicht investieren!)


Wir haben einen starken, leistungsfähigen Standort
Küste. Die Kooperation mit den deutschen und den euro-
päischen Partnern in Verbindung mit der Spezialisierung
auf Kernkompetenzen und der Marktführerschaft in der
Fertigungslogistik, das ist die Zukunft. Schiffe werden
ständig weiterentwickelt. Serienvorteile – auch wenn es
nur Bauteile wie Rohrleitungen oder Systemkomponen-
ten sind – müssen mit der Erfüllung individueller Wün-
sche, mit technologischer Qualität, mit Liefertermintreue
und mit der individuellen Betreuung im Vertrauensver-
hältnis zwischen Werft und Kunde verbunden werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tun wir doch!)


Da sind unsere Werften superstark. Sie bilden große Netz-
werke für den nachhaltigsten Verkehrsträger, den wir
überhaupt haben. Auf diese Werften können wir stolz sein.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir sind das ja!)


Sie haben die volle Unterstützung der Regierung und die
Regierung hat für ihren unermüdlichen Dauereinsatz die
volle Unterstützung des Parlaments.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Goldmann, einen letzten Satz kann ich mir nicht

verkneifen: Es waren allesamt Wirtschaftsminister der
FDP, die es Haushaltsjahr für Haushaltsjahr versäumt ha-
ben, in den Haushalt Mittel für die Schiffbauhilfen einzu-
stellen.


(Zustimmung bei der SPD)

Jedes Mal gab es langwierige Verhandlungen mit den Op-
positionsfraktionen; damals waren wir eine. Nun haben
wir uns durchgesetzt.


(Beifall bei der SPD und der PDS – HansMichael Goldmann [FDP]: Zu unserer Zeit hatten die jede Menge Aufträge gehabt! Da haben sie jede Menge Arbeit gehabt und jede Menge Tonnage in den Markt gebracht! – Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422117600
Ich schlage
vor, dass wir in der Debatte fortfahren. Das Wort hat der
Kollege Ulrich Adam. Er spricht für die CDU/CSU-Frak-
tion.


Ulrich Adam (CDU):
Rede ID: ID1422117700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! „Dunkle Wolken am Konjunkturhimmel
von Mecklenburg-Vorpommern“ – so lautet eine Über-
schrift in der „Ostsee-Zeitung“ vom 19. Februar dieses
Jahres. Dies ist auch die Aussage von Professor Thomas
Lange von der Deutschen Bank. Genau in diesem Zusam-
menhang sprechen wir heute über den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion: Abschaffung der Kapazitätsbe-

schränkungen für die Werften in Mecklenburg-Vorpom-
mern.

Jedem hier im Saal ist sicherlich bekannt, dass der
Schiffbau für unser Land Mecklenburg-Vorpommern vor
dem Hintergrund der momentan wirtschaftlich ange-
spannten Situation besonders wichtig ist. Daher hat es
nichts mit Miesmachen zu tun, was uns die Bundes- und
auch die Landesregierung immer wieder vorwerfen, wenn
wir die gegenwärtige Situation realistisch beschreiben.

Die wirtschaftliche Lage ist schlecht. Die Arbeitslo-
senzahlen sind immens hoch und steigen weiter.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Leider!)


Die Zahlen belegen dies: Bundesweit legt das Bruttoin-
landsprodukt 2001 nur um 0,6 Prozent zu. Bei den Län-
dern bildet das von SPD und PDS regierte Mecklenburg-
Vorpommern mit minus 1,2 Prozent das Schlusslicht. Die
Baubranche – ein besonders wichtiger Wirtschaftszweig –
liegt am Boden. 487 Firmen gingen 2001 Pleite. Das wa-
ren so viele wie nie zuvor in einem Jahr.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ein trauriger Rekord!)


Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Mecklen-
burg-Vorpommern ist bedrückend. Es gibt keinen Anlass,
die Situation schönzureden. Seit drei Jahren verharrt der
Arbeitsmarkt im Land in tiefer Stagnation.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ist das!)

Allein in meinem Wahlkreis, dem Kreis Ostvorpommern,
liegt die Arbeitslosenquote derzeit bei 23,7 Prozent und
im Kreis Demmin sogar bei 29,5 Prozent.


(Zuruf von der PDS: Ist das über Nacht gekommen?)


Die Prognosen für diesen Monat sehen deutlich schlech-
ter aus.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wer regiert denn da?)


Wegen dieser negativen Entwicklung müsste eigent-
lich alles getan werden, um einen weiteren Arbeitsplatz-
abbau zu stoppen. Aber die Bundes- und die Landesre-
gierung unternehmen nichts. Mit seinem Prima-Klima-
Klub erteilt Ringstorff seinem Arbeitsminister Holter
vielmehr einen regelrechten Persilschein.


(Zuruf von der PDS: Das ist doch unter Ihrem Niveau!)


Auch die PDS im Land ist nur noch daran interessiert, den
Parteifreund zu stützen. Die Arbeitslosenzahlen kümmern
sie schon lange nicht mehr.


(Zuruf von der SPD)

– Entschuldigung, das hat sehr viel mit dem Thema zu tun.

Von der konstant hohen Arbeitslosigkeit im Land sind
vor allen Dingen sehr junge Menschen betroffen. Auf die
fehlenden beruflichen Perspektiven reagieren die Jugend-
lichen mit Abwanderung in die alten Länder.




Dr. Margrit Wetzel

21971


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422117800
Herr Kol-
lege Adam, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Kutzmutz?


Ulrich Adam (CDU):
Rede ID: ID1422117900
Bitte schön.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jetzt kommt eine Frage von der Regierung MecklenburgVorpommern! Rot-Rot ist der Arbeitsplätze Tod!)



Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1422118000
Nein, Herr Goldmann, es ist
eine ganz einfache Frage. – Herr Adam, ich habe Ihnen
sehr aufmerksam zugehört. Sie haben gesagt, Landesre-
gierung und Bundesregierung müssten alles tun, damit
diese negative Entwicklung gestoppt wird. Meine Frage
ist: Könnten Sie mir ganz kurz erklären, was Sie unter „al-
les“ verstehen?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herr Kollege, wir wollen heute zeitig ins Bett!)



Ulrich Adam (CDU):
Rede ID: ID1422118100
Unter „alles“ ist zu verste-
hen, dass die Landes- und die Bundesregierung mehr tun
sollen. Im Augenblick tun sie nichts.


(Widerspruch bei der SPD)

In meinen folgenden Ausführungen werde ich Ihnen das
beweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Steuern runter!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422118200
Herr Kol-
lege Adam, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der
Kollegin Janz?


Ulrich Adam (CDU):
Rede ID: ID1422118300
Bitte schön.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Lesen Sie es doch vor! Dann wird es nicht auf die Redezeit angerechnet!)



Ilse Janz (SPD):
Rede ID: ID1422118400
Das kann man nicht einfach vorle-
sen, weil er die ganze Zeit vom Häuserbau, aber weniger
vom Schiffbau redet. Deswegen möchte ich gerne fragen,
ob Ihnen bekannt ist, dass zurzeit – ich habe die aktuellen
Zahlen vorhin vorgetragen – im Schiffbau 1,9 Prozent
mehr Leute eingestellt worden sind. Das ist das Gegenteil
von dem, was Sie hier vortragen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sagen Sie doch bitte, in welcher Werft das gewesen ist!)



Ulrich Adam (CDU):
Rede ID: ID1422118500
Sie müssen dann bitte
dazu sagen, in welchen Ländern das passiert, Frau Kolle-
gin. Das ist mit Sicherheit nicht in Mecklenburg-Vor-
pommern so.


(Susanne Kastner [SPD]: Wieder falsch! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Nein, das ist nicht der Fall. Das kann ja wohl nicht wahr
sein.

Aufgrund der beschriebenen Situation können wir es
den Menschen gar nicht verdenken, wenn sie ihre Chan-
cen andernorts suchen. Das ist doch unser Problem. Der
zunehmende Fortzug kennzeichnet in jedem Fall die
strukturell katastrophale Situation in Mecklenburg-
Vorpommern. Ich frage mich, was noch passieren muss,
damit die Bundesregierung begreift:


(Werner Kuhn [CDU/CSU]: Das frage ich mich auch!)


Der Arbeitsmarkt im Osten braucht nicht in erster Linie
organisierte Abwanderungshilfen in Form von Kopfprä-
mien und Einwanderungshilfen im Westen,


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Kommen Sie doch einmal zur Sache! Das ist ja furchtbar!)


sondern eine organisierte Stärkung des Wirtschaftsstand-
orts neue Länder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer angesichts der beginnenden Spirale aus Arbeitslo-

sigkeit, Perspektivlosigkeit und Abwanderung tatenlos
bleibt,


(Susanne Kastner [SPD]: Er weiß nicht, was er redet! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: RotRot ist Mecklenburg-Vorpommerns Tod!)


gefährdet die Zukunft des Landes Mecklenburg-Vorpom-
mern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Beschreibung der aktuellen wirtschaftlichen Situation
zeigt ganz deutlich: Bei dieser Arbeitslosenquote und bei
diesem schlechten Wirtschaftswachstum sind die Men-
schen in Mecklenburg-Vorpommern umso mehr auf eine
starke Werftindustrie angewiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In dieser Situation nutzen den Menschen, deren Exis-

tenz in weiten Teilen vom Schiffsbau abhängt, keine
langwierigen Verhandlungen der Bundesregierung mit
Brüssel, an deren Ende eine regelrechte Farce als Erfolg
verkauft wird; denn die zwischenzeitlich erzielte Flexibi-
lisierung für die Werften ist schlichtweg eine Farce.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Die Werfen sind voll ausgelastet. Deshalb bringt das Wei-
terreichen von nicht verbrauchten Kapazitäten ins nächste
Jahr oder zwischen den Werften nichts.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Die Überschüsse können nur ins nächste Jahr übertra-
gen und nicht kumuliert werden. In der Praxis sind die Re-
gelungen nur sehr bürokratisch umzusetzen und damit
weit gehend wirkungslos.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Das ist wahr. Das wurde mir erst gestern von den Ge-
schäftsleitungen verschiedener Werften in Mecklenburg-
Vorpommern bestätigt.


(Zurufe von der SPD)

– Hören Sie doch zu! – Bei der Möglichkeit der Flexibi-
lisierung durch – ich zitiere – „Berücksichtigung von an
Dritte vergebenen Leistungen“ kommt es zudem zu Ver-
wirrungen. Von dieser Möglichkeit ist lediglich eine
Reihe aufgelisteter Leistungen betroffen. Diese sind der-
art eingeschränkt, dass die Leute auf den Werften gar
nicht genau wissen, was im Nachhinein anerkannt wird
und was nicht.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist doch überhaupt nicht wahr! Sie haben keine Ahnung!)


Die Gefahr von Sanktionen im Nachgang eines mög-
licherweise unerlaubten Überschreitens der Quote verun-
sichert die Menschen. So überlegen sie sich erst einmal
genau, ob sie von dieser Möglichkeit überhaupt Gebrauch
machen können und ob es überhaupt umzusetzen ist. Die
neuen Maßnahmen sind somit reiner Bürokratismus.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422118600
Herr Kollege,
denken Sie bitte ein wenig an die Zeit.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Er hat noch fünf Minuten!)



Ulrich Adam (CDU):
Rede ID: ID1422118700
So stellte der Betriebsrats-
chef der Wolgaster Peene-Werft, Manfred Hoppach, zu
Recht fest:


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Jetzt versauen Sie ihm nicht noch die Betriebsratswahl!)


Die erweiterten Regelungen sind so kompliziert, dass
die Geschäftsführung wahrscheinlich extra noch je-
manden dafür einstellen muss.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Janz, daher kommen Ihre Arbeitsplätze!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schiffbau ist nun

einmal das wichtigste Standbein im industriellen Bereich
an der nordöstlichen Küste. Gerade weil es in den ande-
ren Bereichen – ich habe zum Beispiel die Baubranche be-
reits genannt – Schwierigkeiten gibt, dürfen den Men-
schen hier keine Steine in den Weg gelegt werden. Sie
haben die Möglichkeit, auf den Werften im Land erfolg-
reich zu arbeiten und Aufträge anzunehmen. Sie haben
– das wurde schon gesagt – die modernsten Standorte mit
höchstem technologischen Stand. Durch die CGT-Be-
schränkungen werden sie dieser Möglichkeiten aber be-
raubt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein florierender Wirtschaftszweig wird durch die wirt-

schaftsfeindlichen Beschränkungen in die Mangel ge-
nommen und somit in weiten Teilen arbeitsunfähig ge-
macht. Wir erwarten daher, dass sich die Bundes- und die
Landesregierung endlich mit Erfolg engagieren,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


damit die Werften in Mecklenburg-Vorpommern zukünf-
tig entsprechend ihrer Fähigkeiten am Markt konkurrie-
ren können. Wie soll man den Menschen denn begreiflich
machen, dass einerseits Milliarden in die Standorte inves-
tiert wurden, ihnen aber andererseits für diese lange Zeit
Beschränkungen auferlegt werden? Das versteht doch
kein Mensch.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Genau!)


Ich stimme dem Vorstandssprecher des Verbandes für
Schiffbau und Meerestechnik e. V., Werner Schöttelndreyer,
zu, der diesen Vorgang als „Bonsaieffekt“ bezeichnet. Wir
bauen zwar wunderschöne Werften, halten sie aber mög-
lichst klein. Das kann es ja wohl nicht sein.

Im Jahre 2000 – also fünf Jahre nach der Festsetzung
der Beschränkung – bestand die Möglichkeit, diese zu
modifizieren. Die Mindestforderung war eine Anhebung
der Obergrenze um 20 Prozent mit einer zeitlichen Staf-
felung bis zum endgültigen Auslaufen. Dies hätte mindes-
tens erreicht werden müssen. Die Bundesregierung hat
hier jedoch versagt. Sie hat in Brüssel nur halbherzig für
die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern ge-
kämpft. Auch die Landesregierung hat nicht genügend
Druck ausgeübt. Herr Schröder hat mal wieder bewiesen,
dass er die Probleme im Nordosten nicht erkennt und die
Realität nicht wahrnimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist die traurige Bilanz der Verhandlungen mit Brüssel.

Obwohl Bundeskanzler Schröder die maritime Wirt-
schaft ebenso wie den Aufbau Ost zur Chefsache erklärt
hat, hat er drei Jahre lang nichts zur Besserung der Situa-
tion unternommen. Symptomatisch war zum Beispiel die
zweite Maritime Konferenz am 6. November 2001. Dort
war Herr Schröder bereits groß angekündigt, hat dann
aber nicht den Weg nach Rostock gefunden. Für alle An-
wesenden hat er damit deutlich gezeigt, wie ernst es ihm
mit der Chefsache Ost wirklich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das hatte aber auch einen Grund gehabt!)


Der Kanzler kann jedoch noch beweisen, dass ihm die
Sache ernst ist, indem er sich für die Auftragsvergabe an
die Werften in Mecklenburg-Vorpommern durch das
Bundesverteidigungsministerium einsetzt und sich bei
der Übernahme von Aufträgen von NATO-Ländern nicht
weiterhin restriktiv verhält. So könnten wir einem weite-
ren wichtigen Ziel näher kommen: Die Höhe der Auf-
tragsvergabe an Unternehmen in den neuen Ländern muss
der Stationierungsdichte der Bundeswehr in den neuen
Ländern entsprechen. Auch hier sind wir bei weitem noch
nicht am Ziel angelangt.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Wie wäre es mit ein bisschen Globalisierung?)


Ich will Ihnen zum Abschluss sagen: Schon heute ist ei-
nes klar: Nach dem Gespräch der ostdeutschen Abgeord-
neten unserer Fraktion mit dem Kanzlerkandidaten der
Union, Edmund Stoiber, steht fest: Die Interessen des Lan-




Ulrich Adam

21973


(C)



(D)



(A)



(B)


des Mecklenburg-Vorpommern sind nach dem 22. Sep-
tember 2002 bei einem Bundeskanzler Stoiber besser auf-
gehoben, als dies gegenwärtig der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


– Hören Sie zu! – Schließlich hat er bewiesen, wie ein
agrarisch geprägtes Land – wie dies auch bei Mecklen-
burg-Vorpommern der Fall ist – mit einer guten Politik zu
einem der reichsten Länder Deutschlands werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Genau aus diesem Grund haben wir uns in Mecklenburg-
Vorpommern auch schon in den 90er-Jahren das Ziel ge-
setzt, Bayern des Nordens zu werden. Genau dies wird
uns mit einem Bundeskanzler Stoiber und einem Minis-
terpräsidenten Rehberg gelingen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422118800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christine Lucyga.


Dr. Christine Lucyga (SPD):
Rede ID: ID1422118900
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine ge-
schätzten Vorredner von der Oppositionsbank, ich glaube,
wenn man Ihre Morgen- und Abendreden miteinander
vergleicht – wobei ich mit „Morgenreden“ das meine, was
Sie von sich gegeben haben, als Sie noch auf der Regie-
rungsbank saßen –, dann muss man feststellen, dass das so
recht nicht zusammenpasst. Genau das, was Sie heute be-
klagen, haben Sie uns als Erblast hinterlassen.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)


– Warten Sie ab. Ich werde Ihrem Gedächtnis ein wenig
nachhelfen.

Ich hatte eigentlich vor, mehr zur Sache zu sprechen,
aber ich glaube, die Sachinformationen sind ausreichend
ausgetauscht. Ich werde mir also eine Retrospektive er-
lauben, selbst wenn Ihnen das nicht so ganz passt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir sind mehr an der Zukunft interessiert!)


Es ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass sich der Bun-
destag mit der Situation des Schiffbaus in Mecklenburg-
Vorpommern befasst. In einem stimmen wir wohl überein:
In Mecklenburg-Vorpommern stehen heute europaweit die
modernsten und produktivsten Werften, die nicht nur allein
für die nördliche Region wichtig sind; denn Schiffbau ist
eine nationale Aufgabe.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist auch eine Erblast! – Ulrich Adam [CDU/ CSU]: Das haben wir Ihnen hinterlassen!)


Diese Werften sind Ergebnis eines schmerzhaften Prozes-
ses der Umstrukturierung, in den auch erhebliche finanzi-
elle Mittel geflossen sind. Auch in diesem Punkt besteht
Konsens. Ich möchte Sie aber daran erinnern: Die Haupt-

last dieses Prozesses haben vor allem die Beschäftigen ge-
tragen.


(Beifall bei der PDS)

Sie und diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren ha-
ben, haben den eigentlichen Preis für den Erhalt der Werf-
tenstandorte gezahlt. Wie groß die Einschnitte seit den
vergangenen zwölf Jahren gewesen sind, mögen einige
simple Zahlen belegen:


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das war doch nicht unsere Schuld!)


– Hören Sie mir ein Weilchen zu, dann können wir weiter
reden. – Waren im Kombinat Schiffbau zum Ende – –


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warum sind denn die Arbeitsplätze verloren gegangen?)


– Das Gros in Ihrer Amtszeit, das werde ich Ihnen nach-
weisen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wodurch denn?)


Waren im Kombinat Schiffbau zum Ende der DDR noch
55 000 Beschäftigte,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Für wen haben die denn Schiffe gebaut?)


sind es jetzt noch 4 500.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Erblast des Sozialismus!)

Das Gros der Arbeitsplätze wurde in Ihrer Ära abgebaut.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Dr. Lucyga, das ist doch nun wirklich ein Witz!)


Waren am 30. Juni 1990 in der Warnemünder Warnow-
Werft, heute Kvaerner, noch 5 770 Schiffbauer in Arbeit
und Lohn, so sind es jetzt, und zwar nicht erst seit heute
und gestern, nur noch 1 150. Es lohnt sich doch, über die
vielen Einzelschicksale, die sich hinter diesen Zahlen ver-
bergen, nachzudenken.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das können Sie doch nicht uns vorwerfen!)


Dass dieser Abbau vor allem sozial flankiert wurde, war
das Verdienst von Gewerkschaften und SPD. Diese Leis-
tungen verdienen hier auch einmal Anerkennung.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das finden wir doch hundertprozentig richtig!)


Den Hauptpreis haben die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer aber für politische Fehlentscheidungen und
Schlampereien während der Zeit der Regierung Kohl, vor
allen Dingen in den Jahren 1992 bis 1995, zu zahlen ge-
habt,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warum?)

als, erstens, durch eine überhastete Privatisierung durch
die Treuhand ein tragfähiges Sanierungskonzept der DMS
zerschlagen wurde, obwohl eine Sanierung vor Privatisie-




Ulrich Adam
21974


(C)



(D)



(A)



(B)


rung – das war immer unsere Forderung – noch Sinn ge-
habt hätte,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das sind ja Klugscheißer!)


und, zweitens, durch schlampiges und verantwortungslo-
ses Handeln der Treuhand, später BvS, unter der Sach-
und Fachaufsicht des damaligen Finanzministers Waigel
ein Fördermittelmissbrauch zulasten der ostdeutschen
Werften möglich wurde, an dem Mecklenburg-Vorpom-
mern noch heute zu tragen hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Rede werden wir morgen in der „Ostseezeitung“ veröffentlichen! Dann wissen die Leute, wie futuristisch die SPD in Rostock ist!)


Das war der Auslöser dafür, dass die EU-Kommission jetzt
mit Argusaugen auf die ostdeutschen Werftenstandorte
und die Einhaltung der Kapazitätsobergrenzen achtet.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Dr. Lucyga, das stimmt doch nicht!)


Da ist in der Zeit Kohl gar nichts gelaufen, da hat sich in
Brüssel nichts bewegt.

Wenn sich die jetzige Bundesregierung von Anfang an
die Aufgabe gestellt hat, für die ostdeutschen Werften eine
Lockerung der Kapazitätsobergrenzen durchzusetzen
und dieses Ziel im Vorjahr auch erreicht hat, dann kann das
nur ein Schritt sein, da gebe ich Ihnen Recht. Aber Sie ver-
gessen immer das Entscheidende. Es geht ja nicht nur um
das Übertragen von Kapazitäten, sondern es geht vor allen
Dingen auch um das Herausrechnen von nicht schiffbau-
typischen Leistungen, was schon Entlastung schafft.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: 100 Prozent!)


In diesem Sinne ist natürlich der heutige Spruch des Euro-
päischen Gerichtshofes ein gutes Zeichen. Diese Ent-
scheidung wird von uns nachdrücklich begrüßt. Dem ma-
ritimen Koordinator der Bundesregierung möchte ich an
dieser Stelle nachdrücklich für sein engagiertes und erfolg-
reiches Handeln danken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Zwei maritime Konferenzen,

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Reine Schaugeschäfte!)

denen in Kürze eine dritte folgen wird,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo ist denn die dritte?)


zeigen im Übrigen, dass die Bundesregierung den mariti-
men Sektor und den Schiffbau aufwertet und ernst nimmt.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ CSU]: Die Bauaufträge gehen immer weiter zurück!)


Wenn Sie jetzt an diesen Ergebnissen herummäkeln, müs-
sen Sie sich doch einfach einmal fragen lassen, welche
Erblasten an ungelösten Problemen uns Ihre Partei, die

Partei von Waigel, Breuel, Stoiber-Berater Rehberg und
anderen, hinterlassen hat.


(Ulrich Adam [CDU/CSU]: Hochmoderne Werften, Sie sagten es!)


In Ihrer Zeit ist da nichts gelaufen. Es wäre gut, wenn Sie
sich an Ihren Taten messen lassen würden. An Ihren Taten
soll man Sie messen und nicht an Ihren Morgen- und
Abendreden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der PDS – HansMichael Goldmann [FDP]: Das war nun wirklich sehr daneben, liebe Kollegin! Das war unfair und falsch! Das ist nicht in Ordnung! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Stimmen Sie jetzt nur richtig ab! Dann reicht es ja hin!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422119000
Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
14/8050 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur
Abschaffung der Kapazitätsbeschränkungen für Werften
in Mecklenburg-Vorpommern. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie auf Drucksache 14/8051 zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Faire Wettbewerbsbedingungen für die
Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Margot von Renesse, Hermann
Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller


(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialisti-
scher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege

(NS-AufhGÄndG)

– Drucksache 14/8276 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe




Dr. Christine Lucyga

21975


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Margot von Renesse.


(Unruhe bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Hört mal zu da drüben! Also so was! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/ CSU]: Wir machen, was wir für richtig halten, Herr Hartenbach! Wir lassen uns da nicht zügeln!)



Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1422119100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Als ich im Bundestag angefangen
habe, begleitete die Diskussion über den Abbau des Ge-
birges von Unrecht – um es einmal so zu nennen –, das uns
aus der nationalsozialistischen Zeit hinterlassen worden ist
und das uns, wie ich befürchte, noch lange beschäftigen
wird, schon relativ schnell nach dem Eintritt in den Rechts-
ausschuss meine Arbeit. Dann habe ich erlebt, wie nach ei-
ner gewaltigen Schinderei 1998 ein Gesetz in Kraft treten
konnte, nach dem die Betroffenen, über die wir auch heute
reden – die „Deserteure“, „Wehrkraftzersetzer“ und „Feig-
linge“ –, die Möglichkeit hatten, in einer Einzelentschei-
dung ihre ungerechten Urteile aufheben zu lassen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das konnten sie schon immer!)


Das war ein gewaltiger Fortschritt. Es gibt niemanden
– Herr Beck, wir wissen das, weil wir das gemeinsam er-
fahren haben –, der einen solchen Antrag gestellt hat und
dem es nicht widerfahren ist, dass dieser aufgehoben wor-
den ist.

Deswegen habe ich – das muss ich zugeben – das An-
liegen der Betroffenen zunächst nicht verstanden. Ich
muss dafür um Entschuldigung bitten. Aber ich meine,
dass wir in der Tat noch einmal darüber nachdenken müs-
sen, was eigentlich der Hintergrund einer solchen Ent-
scheidung, wie wir sie heute treffen werden, ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Reiner Wahlkampf!)


– Nein, es ist nicht reiner Wahlkampf. –

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Reiner Wahlkampf ist das!)

Es geht möglicherweise gar nicht mehr um individuelle
Schicksale, nicht nur um die Anerkennung des einzelnen
Unrechts; so verstehe ich das heutige Anliegen. Damit ist
zugleich gesagt, dass das, was den Betroffenen widerfah-
ren ist, nicht ein einzelnes ungerechtes Urteil ist, sondern
dass sie Opfer einer Mordmaschinerie wurden, einer Ver-
folgung, die groß angelegt war und in der sie nur kleine
Rädchen waren. Wir kennen die Zahl der Verurteilungen
und die entsprechenden Strafzumessungen, wenn man da-
von überhaupt reden kann.

Als das Gesetz, das wir jetzt ergänzen und vervollstän-
digen, beraten wurde, haben wir im Rechtsausschuss
lange darüber nachgedacht, welche Vorbehalte es eigent-
lich dagegen gibt. Ich weiß doch, Herr Geis und Herr

Gehb, dass Sie mit dem Nationalsozialismus nichts im
Sinn haben


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das freut mich!)

und dass es Ihre Sache nicht ist, diejenigen zu rechtferti-
gen, die damals Täter waren, auch wenn sie sich Richter
nannten. Aber was sind die Ängste, die hinter den Vorbe-
halten lagen? Ich meine, es geht in jedem Fall um die Ge-
genwart. Es gibt die juristische Scheu davor, von Gerich-
ten gefällte Urteile aufzuheben und den Gerichten
nachträglich zu sagen, es sei Unrecht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Diese Möglichkeit haben wir doch 1998 geschaffen! Das ist doch kein Argument!)


Es gibt einen großen Vorbehalt dagegen, weil man sich
nicht vorstellen kann, dass es möglich ist, alle paar Gene-
rationen erneut eine gewandelte Rechtsauffassung zu
überprüfen und daraufhin Urteile aufzuheben. Aber ich
meine in der Tat, dass das, was wir 1998 gemacht haben,
die Weichen in die Richtung gestellt hat, dass man es in
diesem Ausnahmefall mit Recht tun konnte. Denn dies
waren keine Urteile, weil sie im Gewand des Gerichts und
der Justiz ganz andere Akte waren, nämlich Demonstra-
tionen von Menschenverachtung und Vernichtung.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Leider aber nicht in jedem Fall!)


Darüber sind wir uns einig.
Dann gibt es aber noch andere Probleme. Ich habe

gehört, was Sie mehrfach im Rechtsausschuss und auch
hier im Plenum dazu gesagt haben, Herr Geis, und meine,
dass darin die heutigen Vorbehalte liegen. Ich habe gerade
eben einen Brief bekommen, in dem jemand ein Denkmal
für Deserteure fordert. Darum geht es bei dem vorlie-
genden Gesetzentwurf gerade nicht. Aber die Sorge, dass
das Desertieren heilig gesprochen wird, scheint ganz
deutlich hinter den Vorbehalten zu stecken.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die ist allerdings berechtigt!)


– Sehen Sie, ich habe das doch richtig wiedergegeben.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das ist nicht die einzige Sorge!)

Wir, die wir dieses Gesetz verabschieden, verbinden

keine solche Absicht damit. Das Desertieren – vor allem
das Verurteiltwerden – war unter den damaligen Bedin-
gungen etwas völlig anderes als das, was es heute wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


In der Begründung dieses Gesetzes haben wir dies sehr
deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir haben eine andere
Armee, wir haben einen anderen Staat, wir haben eine an-
dere Möglichkeit, sich dem Wehrdienst zu entziehen,
wenn man glaubt, dass er mit dem eigenen Gewissen nicht
vereinbar ist. Dieser Respekt vor dem Einzelnen bestand
damals nicht; darin besteht der Unterschied.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nicht in allen Fällen!)





Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
21976


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Unterschied besteht auch darin, dass man dem heuti-
gen Staat mit Recht dienen kann. Ich will nicht sagen, dass
man für ihn sein Leben verlieren soll; als „stolze Trauer“
würde ich so etwas nie bezeichnen. Aber es ist jedenfalls
sinnvoll, diesem Staat mit seinem Leben zu dienen.

Der zweite Vorbehalt ist, soweit ich es beurteilen kann,
folgender: Die dahinter stehenden Ängste betreffen auch
die Frage, was mit unseren Vätern oder Großvätern ist, die
in der Wehrmacht waren. Sind sie durch den Freispruch
der „Wehrkraftzersetzer, Deserteure und Feiglinge“ ver-
urteilt? Wir kennen die Diskussion um die Wehr-
machtausstellung und wissen, dass es in der Wehrmacht
massenhaft Unrecht gab. Aber niemand käme auf die
Idee, zu behaupten, jeder Deserteur sei ein Held und Wi-
derstandskämpfer gewesen. Ebenso wenig käme jemand
auf die Idee, zu behaupten, jeder Wehrmachtsangehörige
sei ein Verbrecher oder Menschenschinder gewesen. Das
sind Einzelurteile, die sich jeder vorbehalten kann.

Ich halte diese Ängste für unberechtigt. Sie sind ver-
ständlich; aber mit diesem Gesetz ist weder eine Verurtei-
lung auf der anderen Seite noch das Heldentum auf dieser
Seite gemeint. Es gibt für „Wehrkraftzersetzer“ kein
Denkmal, aber einen pauschalen Freispruch.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422119200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Gehb.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1422119300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ein wenig bin ich schon darü-
ber verwundert, dass wir heute diesen Gesetzentwurf dis-
kutieren. Von verschiedenen Seiten des Hauses – auch
von mir – wurde in den vergangenen Monaten immer wie-
der nach einem Gesetzentwurf gefragt; doch die Bundes-
regierung hatte es offensichtlich überhaupt nicht eilig, ei-
nen Gesetzentwurf vorzulegen. Ihr Desinteresse, wenn
nicht gar ihre Ablehnung, war mit Händen zu greifen.

Nun liegt ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktio-
nen vor. Bevor ich auf die in ihm angesprochenen The-
menfelder im Einzelnen eingehen werde, erlauben Sie mir
bitte eine ernst gemeinte Vorbemerkung. Ich will, um es
höflich auszudrücken, meiner Irritation darüber Ausdruck
verleihen, dass die Koalitionsfraktionen meinen, mit
ihrem Entwurf den Beschluss des Bundestages vom
7. Dezember 2000 erfüllt zu haben. Frau von Renesse, wir
haben im Berichterstattergespräch zusammengesessen; es
ging dabei um eine Aufforderung an die Bundesregierung.
Ich erinnere mich nicht, Herr Beck, dass wir SPD und
Grüne einstimmig aufgefordert hätten, einen Gesetzent-
wurf vorzulegen.


(Christina Schenk [PDS]: Sehr richtig! – Alfred Hartenbach [SPD]: Aber nun liegt er vor!)


Es mag ja nur eine Stilfrage sein und über Stilfragen
wundere ich mich in diesem Hause schon lange nicht
mehr. Aber die Indizien sprechen sehr dafür, dass es mehr
als eine Frage des Stils oder der Zeitknappheit ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe eher den Eindruck, die Bundesregierung fasst die
pauschale Aufhebung der NS-Urteile mit spitzen Fingern
an und delegiert diese in ihren Augen unliebsame und im
Falle der Deserteure auch in der Sache nicht berechtigte
Pauschalaufhebung an die Regierungsfraktionen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Anders kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass der
Adressat unserer einstimmigen Bitte, die Bundesregie-
rung, durch die „Abgeordneten Alfred Hartenbach,
... Volker Beck ...“ ersetzt worden ist.

Ich erinnere daran, dass sich der Vertreter des Justiz-
ministeriums schon zu Zeiten der jetzigen Ministerin im
Rechtsausschuss des Bundesrates bei der Behandlung des
Hamburger Gesetzentwurfs zur Aufhebung der Urteile,
die nach §§ 175 und 175 a Reichsstrafgesetzbuch gefällt
worden sind, lang und breit darüber ausgelassen hat,
warum diese Aufhebung überflüssig und unsinnig sei.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Ich erinnere ferner daran, dass nicht ein einziger Vertreter
der Bundesregierung bei den beiden Plenardebatten, die
zu dem schon zitierten Beschluss vom 7. Dezember 2000
geführt haben, das Wort ergriffen hat. War das wirklich
reiner Zufall?

Ich darf auch daran erinnern, wie lückenhaft der Ent-
schädigungsbericht der Regierung – das lässt ein gewisses
Desinteresse vermuten – ausgefallen ist. Man meinte, uns
Abgeordneten beispielsweise keine Zahlenangaben zu
dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz mitteilen zu müs-
sen. Dabei war schon während unserer Regierungszeit ei-
nem liberalen Kollegen mitgeteilt worden, dass nur 14 von
23 gestellten Anträgen derjenigen, die wegen Homosexua-
lität verurteilt worden waren, fristgerecht bis Ende 1959
eingegangen waren. Das Haus von Finanzminister Eichel
hätte uns – das hätte nur eines geringen Aufwands bedurft –
auch mitteilen können, dass die Hälfte der 22 Anträge auf
AKG-Härteleistungen abgelehnt wurde. Ich möchte meine
Aufzählung nicht weiter fortsetzen.

Alles in allem habe ich nicht den Eindruck, dass die
Bundesregierung aus tiefster Überzeugung hinter dem
vorliegenden Gesetzentwurf steht und mit großem Enga-
gement an die damit zusammenhängenden sachlichen und
materiellen Fragen herangeht.

Ich selbst habe schon in der Vergangenheit gesagt – das
gilt auch für meine gesamte Fraktion –, dass ich gut mit der
bisherigen Regelung und der bisherigen Praxis hätte leben
können. Neben der Generalklausel im NS-Aufhe-
bungsgesetz aus dem Jahre 1998 gibt es eine Regelung, die
der Einzelfallgerechtigkeit dient. Ich habe damals des Wei-
teren den Widerspruch angesprochen, der sich ergibt, wenn
die Urteile, die zwischen 1935 und 1945 gefällt worden
sind, aufgehoben werden, während diejenigen, die zwischen
1945 und 1969 verurteilt worden sind, weiter unter dem
Stigma der strafbewehrten Homosexualität leiden müssen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Da haben Sie nichts verstanden!)


Dieser Widerspruch wird auch von vielen Rechtswissen-
schaftlern kritisiert, wohlgemerkt, Herr Hartenbach, von
Rechtswissenschaftlern, nicht von Amtsrichtern.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Margot von Renesse

21977


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422119400
Herr Kollege
Gehb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hartenbach?


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1422119500
Ja, das ist mir lieber,
als wenn er mich von der Seite anspricht. Dann kann ich
ihm eine entsprechende – weniger polemische – Replik
geben.

Lieber Herr Hartenbach, bitte sehr.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1422119600
Ich bedanke mich ausge-
sprochen höflich bei Ihnen. – Herr Dr. Gehb, ich möchte
Sie fragen, ob Ihnen der Unterschied zwischen national-
sozialistisch gefärbten und von nationalsozialistischem
Ungeist durchdrungenen Urteilen, die im Zeitraum von
1935 bis 1945 gefällt wurden und die von dem Willen ge-
prägt waren, die Homosexuellen zu vernichten, und den
Urteilen, die von rechtsstaatlichen Gerichten gefällt wor-
den sind, bekannt ist. Wissen Sie diesen Unterschied rich-
tig zu würdigen? Würden Sie, wenn Sie das tatsächlich zu
würdigen wüssten, noch immer eine solche Behauptung
aufstellen, wie Sie es eben getan haben?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das war keine Frage! Das war eine üble Unterstellung!)



Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1422119700
Ich möchte das, was
man bei großzügiger Auslegung als Frage auffassen kann,
gerne beantworten. Selbstverständlich ist mir dieser Un-
terschied bekannt. Diesem Unterschied wird auch durch
das Gesetz Rechnung getragen. Diese Urteile sollen ja
nicht bis in alle Ewigkeit perpetuiert werden. Sie können
auf Antrag aufgehoben werden. Das ist der Unterschied.

Im Übrigen muss ich dem Kollegen von Klaeden Recht
geben: Ihre Frage hatte durchaus einen unterstellenden
Charakter. Ich möchte Ihnen das angesichts der späten Ta-
geszeit, aufgrund derer Sie vielleicht etwas erschlafft
sind, nachsehen, Herr Hartenbach.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ich bedanke mich für die Gnade!)


Um die Schärfe herauszunehmen, möchte ich sagen,
dass meine Fraktion zu dem Beschluss steht, den wir nach
hartem Ringen im Beisein von Frau von Renesse, Herrn
Beck und Herrn van Essen einstimmig gefasst haben. Ich
habe damals zur NS-Zeit sowie zur Zeit nach 1945 aus-
führlich und, wie ich meine, differenziert Stellung ge-
nommen. Das muss ich heute im Detail nicht wiederho-
len. Wer Nachholbedarf an historischer Bildung zum
Thema „Homosexuelle und NS-Zeit“ hat, der kann
beispielsweise zum Sammelband von Jellonek und
Lautmann greifen, der gestern in der Landesvertretung
des Saarlandes vorgestellt wurde.

Die CDU/CSU-Fraktion zollt – das lasse ich mir auch
nicht absprechen; Sie haben uns das Gott sei Dank kon-
zediert – den homosexuellen Opfern der NS-Zeit durch-
aus Respekt und Anerkennung. Wir tragen den Beschluss
vom 7. Dezember 2000 mit und wollen damit ganz be-

wusst unseren geschundenen und verfemten Mitbürgern
ihre Würde wiedergeben.

Bevor ich auf den zweiten Themenkomplex zu spre-
chen komme, möchte ich auch hier eine ernst gemeinte
Vorbemerkung machen. Nach dem vorliegenden Entwurf
sollen Urteile pauschal aufgehoben werden, die auf mehr
als 40 Paragraphen des Militärstrafgesetzbuchs – auf
mehr als 40 Vorschriften! – beruhen. Exemplarisch wer-
den im Text sieben Tatbestände benannt. Ich bitte Sie, mir
nachzusehen, dass ich bisher nicht in der Bibliothek war,
um in dem alten Militärstrafgesetzbuch zu stöbern. Dies-
bezüglich existiert eine Bringschuld derjenigen, die den
Gesetzentwurf eingebracht haben; sie müssen eine sach-
gerechte Beratung in diesem Hause ermöglichen. Das ist,
wie ich eben schon gesagt habe, zumindest auch eine
Frage des Stils.

Der rechtspolitische Sprecher unserer Fraktion, mein
Kollege Norbert Geis, der auch heute Abend anwesend
ist, hat diesem Haus zuletzt vor vier Wochen mit großem
Engagement und guten Gründen dargelegt, warum – das
ist ganz entscheidend – eine Pauschalaufhebung der Ur-
teile gegen Deserteure unserer Ansicht nach nicht mög-
lich ist: Sie würde zu neuem Unrecht führen.

Bei der Vorbereitung meines Beitrags – ich bin eigent-
lich nur als Redner eingesprungen – bin ich auch über
Worte von Ihnen gestolpert, Frau von Renesse, und zwar
aus dem vergangenen Mai. Ich darf Sie einmal wörtlich
zitieren:

Nach einem in der Tat quälend langen Beratungspro-
zess hat der Bundestag in der letzten Legislaturperi-
ode alles nachgeliefert, was den Wehrdienstverwei-
gerern, Fahnenflüchtigen und „Wehrkraftzersetzern“
des Zweiten Weltkrieges schon lange zugestanden
hätte: volle Rehabilitierung und Anspruch auf Ent-
schädigungsleistung. Der Antrag der PDS

– um den ging es nämlich damals –
ist daher, wie man bei Gericht sagt, in der Hauptsa-
che erledigt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe das zwei mal gelesen!)

Frau von Renesse, ich neige bei Ihnen häufig zu sponta-
nem Beifall, gelange bei längerem Nachdenken allerdings
auch häufig zu einer Frage. Hier frage ich mich: Was hat
sich in den letzten Monaten in der Hauptsache eigentlich
verändert? Hier besteht doch ein Erklärungsbedarf.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gab es für die
Opfer der NS-Militärjustiz die volle Rehabilitierung und
auch Anspruch auf eine Entschädigungsleistung, die
anders als bei den homosexuellen NS-Opfern erfreuli-
cherweise auch einkommensunabhängig war. Fußend auf
diesem berühmten Beschluss des Jahres 1997 kam es
zum NS-Aufhebungsgesetz und aus für mich nach-
vollziehbaren, fast zwingenden Gründen auch zur Einzel-
fallprüfung, jedenfalls für Deserteure.

Ich darf alle Seiten des Hauses daran erinnern, dass der
ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses, der allseits
noch bekannte Horst Eylmann, als es um die Gemein-






(C)



(D)



(A)



(B)


samkeit zwischen den Fraktionen ging, unwidersprochen
feststellte – auch das darf ich wörtlich zitieren –:

Niemand hat bisher ausdrücklich bestritten, dass in
seltenen Ausnahmefällen eine Desertion im Zweiten
Weltkrieg auch unter Anlegung heutiger Wertmaß-
stäbe als Unrecht bewertet werden kann, so wenn
eine Desertion mit der Tötung eines Kameraden ein-
herging oder dadurch erst ermöglicht wurde.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Tötung bleibt doch ein strafbares Delikt!)


Daraus kann ich doch nur schließen, dass man der Auf-
fassung war – das gilt wohl nicht nur für uns Christdemo-
kraten –, dass es Deserteure gab, die aus durchaus ehren-
haften Motiven handelten und Opfer wurden, und andere,
die aus verwerflichen Motiven handelten. Folgerichtig
kam die Einzelfallprüfung zum Zuge.

Ebenso gilt für uns die Einzelfallprüfung für Richter
der Militärjustiz. Damals gab es bestimmt „Blutrichter“,
aber auch andere, die nach bestem Wissen und Gewissen
handelten. Eine pauschale Verdammung ist nicht ange-
bracht. Weder eine pauschale Verurteilung noch eine pau-
schale Aufhebung ist angebracht.

Deshalb halten wir die Einzelfallprüfung weiter für
sachlich geboten. Offen gesagt: Ich fühle mich auch be-
stätigt, wenn ich mir die Begründung des Gesetzentwurfs
ansehe. Darin lese ich – das hat mich allerdings auch nicht
erstaunt –, dass sich die bisherige Regelung für den Be-
reich Desertion bewährt hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So heißt es dort!)

Es ist bisher kein Fall bekannt geworden, in dem eine be-
antragte Urteilsaufhebung verweigert worden wäre.

Im Übrigen schwingt bei der Pauschalaufhebung ge-
rade im Bereich Desertion/Fahnenflucht eine Gefahr mit
– Sie haben zu Recht gesagt, Frau von Renesse, dass Sie
das nicht intendiert haben –, und zwar mit Blick auf den
Empfängerhorizont. Die Pauschalaufhebung könnte fälsch-
licherweise dahin verstanden werden, dass sich die-
jenigen, die weiter gekämpft haben, die also nicht deser-
tiert sind, auch heute noch sozusagen als die Blödmänner
vorkommen müssen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Das Entscheidende ist der Empfängerhorizont. Das ist ty-
pisch bei Willenserklärungen: Es kommt nicht auf den
Horizont des Erklärenden, sondern – das kann niemand in
Abrede stellen – auf den des Empfängers der Erklärung
an.

Zum Schluss möchte ich zwei Punkte klar und eindeu-
tig unterstreichen:

Erstens. Eine Rehabilitierung der Deserteure der deut-
schen Wehrmacht kann nicht im Geringsten – das will
auch niemand – auf Fahnenflüchtige der Bundeswehr
übertragen werden. Die Bundeswehr ist die Armee eines
Rechtsstaats. Ihren Soldaten ist es gesetzlich verboten,
verbrecherische Befehle zu befolgen. Darauf zielte Ihr
Einwand, Herr Beck.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Mit der Rehabilitierung der Deserteure des
Zweiten Weltkriegs ist überhaupt keine Herabwürdigung
derjenigen deutschen Soldaten verbunden, die tapfer wei-
tergekämpft haben, weil sie glaubten, dazu ihrem Staat
und ihrem Heimatland gegenüber verpflichtet zu sein.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wohl aber mit der Pauschale!)


Ich denke, dass alles Übrige dem Gespräch zwischen
den Generationen und der Geschichtsschreibung überlas-
sen werden sollte.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Und nicht dem Gesetzgeber! Das ist richtig!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422119800
Zu einer Kurz-
intervention erhält die Kollegin von Renesse das Wort.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1422119900
Herr Kollege Gehb, es
ist immer problematisch, eine Rede abzulesen. Dann hat
man offensichtlich wenig Möglichkeiten, auf das reagie-
ren zu können, was man hätte hören können, wenn man
zugehört hätte.

Ich habe mich für diese Rede nämlich entschuldigt.
Das ist Ihnen offensichtlich entgangen. Mein Verständnis
– ich hatte es damals aus den von mir genannten Gründen
nicht – entstand überhaupt erst aufgrund der Gespräche
mit den Betroffenen. Den Betroffenen geht es nicht – das
habe ich gesagt – um die Gerechtigkeitsprüfung im Ein-
zelfall, weil es ihnen als nicht genügend erscheint, als Op-
fer eines Unrechtsurteils zu gelten, was etwa die Aufhe-
bung oder die Wiederaufnahme des Verfahrens mit sich
brächte. Sie wollen, dass festgestellt wird, dass sie Opfer
einer Maschinerie der Verfolgung geworden sind. Übri-
gens, auch Sie haben – mit unserer Zustimmung – die
Waldheim-Urteile aufgehoben, ohne damit zu sagen, dass
die Betroffenen einen Orden verdienen. Mir ging es da-
rum, das klarzustellen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120000
Zur Erwiderung
hat der Kollege Gehb das Wort.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1422120100
Frau Kollegin von
Renesse, Sie wissen, dass auch ich eher zu denjenigen
gehöre, die komplett frei reden, sich jedenfalls keine Re-
den aufschreiben lassen. Ich hänge nicht am Manuskript,
sondern habe Ihnen sehr wohl zugehört.

Die Tatsache, dass Sie sich entschuldigt haben, kann
die Tatsache, dass dies noch vor kurzem Ihre Auffassung
war, nicht vergessen machen. Nur darauf habe ich rekur-
riert.


(Margot von Renesse [SPD]: Das habe ich erklärt! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Eine Entschuldigung entschuldigt nichts!)





Dr. Jürgen Gehb

21979


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube,
das Entscheidende gerade in solchen Debatten, in denen
es um die Aufarbeitung von historischem Unrecht geht,
ist, dass das, was man in der Vergangenheit glaubte über
dieses Unrecht sagen zu müssen, im Lichte der Perspekti-
ven der Betroffenen und im Lichte der historischen Wahr-
heit überprüft wird.

Es gehört gerade zur Größe dieses Hauses, dass es uns
gelungen ist, nachdem man lange Zeit die Augen vor dem
ganzen Ausmaß des NS-Unrechts bei der Entschädigung
wie bei der Rehabilitierung verschlossen hat, falsche Ent-
scheidungen der Vergangenheit zu korrigieren. Deshalb
kann man bei der Debatte um die Rehabilitierung der De-
serteure und der Homosexuellen sagen: Was lange währt,
wird endlich gut. Wie lang und wie quälend waren die
Debatten in diesem Hause in der letzten Legislaturperiode
über die Rehabilitierung der Deserteure, über das NS-Un-
rechtsaufhebungsgesetz?

Ich möchte den Grundgedanken NS-Unrechtsaufhe-
bungsgesetz in Erinnerung rufen: Das alles ging auf die
Initiative einer Schule zurück – die nach Dietrich
Bonhoeffer benannt war –, die sich danach erkundigt hat,
ob dessen Verurteilung noch gültig sei. Nach monatelan-
gen Recherchen fand man in der Tat heraus, dass es ein
bayerisches Kontrollratsgesetz gab, nach dem dieses Ur-
teil aufgehoben war.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Innerhalb von zwei Stunden war das bekannt! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sie kennen den Sachverhalt heute noch nicht!)


Wir, die Abgeordneten des Bundestages, haben daraufhin
gesagt: Es ist unwürdig, dass man dem Einzelfall nachge-
hen muss und dass es kein Bundesgesetz gibt, das diese
Urteile pauschal aufhebt. Genau dieser Gedanke ist auf
die Gruppe der Homosexuellen und der Deserteure anzu-
wenden. Auch diese Menschen wollen nicht nochmals
zum Staatsanwalt gehen und um Freispruch bitten müs-
sen, nachdem sie vor 50 oder 60 Jahren zu Unrecht verur-
teilt wurden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es täte dieser Debatte wirklich gut, wenn wir nach der

Ausschussberatung – wir werden gemeinsam das Militär-
strafgesetzbuch durcharbeiten und gründlich beraten –
wieder, wie im Dezember 2000, eine gemeinsame Ent-
scheidung für die Homosexuellen und für die Wehr-
machtsdeserteure treffen könnten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120400
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120500

Selbstverständlich.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1422120600
Herr Beck, würden Sie
mir zubilligen, dass das Urteil wegen Desertion gegen den
Deserteur, dessen Name bekannt ist und der desertiert ist,
obwohl ihm der Auftrag erteilt worden ist, Flüchtlinge,
die aus dem Osten vor den anrückenden Feinden geflüch-
tet sind, auf sein Schiff zu nehmen, um sie zusammen mit
anderen Schiffen nach Deutschland zu bringen, und der
dies nicht getan hat, sondern mit seinem Schiff, ohne
Flüchtlinge aufzunehmen, mit 18 weiteren Kameraden
nach Norwegen geflüchtet ist, auch nach heutigen Maß-
stäben rechtens ist?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120700

Die Entscheidung dieses Deserteurs war sicher nicht gut.
Es geht aber nicht darum – Frau von Renesse hat es be-
tont –, hier zu klären, ob ein einzelner Deserteur ein Held
oder vielleicht auch nur ein Feigling war. Vielmehr geht
es um die Frage, ob das Dritte Reich als Staat grundsätz-
lich legitimerweise mit strafrechtlichen Mitteln den Ge-
horsam seiner Soldaten durchsetzen durfte. Meiner Auf-
fassung nach, Herr Geis, hatte das Dritte Reich diese
Legitimität nicht. Es hatte keinen Anspruch darauf, dass
seine Soldaten ihm gehorchten, weil es einen verbreche-
rischen Angriffs- und Vernichtungskrieg führte, weil es
eine illegitime Staatsführung hatte, die an Verbrechertum
nicht zu überbieten war. Deshalb war der Strafanspruch
dieses Staates in diesen Fragen grundsätzlich verwirkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Darum geht es. Es geht nicht darum, die Militärrichter,
die im Einzelfall nur Recht und Gesetz ausgelegt haben
und nicht über das übliche Maß hinausgegangen sind, zu
verurteilen. Es geht auch nicht darum, über Soldaten oder
Offiziere der Wehrmacht, wie meinen Vater, den Stab zu
brechen, die meinten, bis zum Ende für ihr Vaterland
kämpfen zu müssen. Wer sind wir von der jüngeren Ge-
neration, dass wir wüssten, wie wir in dieser Zeit gehan-
delt hätten?

Eines aber will ich Ihnen auch sagen: Es gab nicht nur
Feiglinge bei den Deserteuren, sondern es gab auch viele
Leute, die aus Feigheit weiter in den Krieg gegangen sind,
weiter das Morden in Auschwitz und anderen Konzentra-
tionslagern verteidigt haben und mit jedem Tag, den sie
die deutsche Front im Osten länger gehalten haben, dafür
gesorgt haben, dass weitere Juden in die Gaskammern ka-
men, weitere Menschen gemordet und verschleppt wur-
den und dass durch die Todesmärsche weitere Menschen
zu Tode kamen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Als Rechtsexperte müssten Sie auf die Rechtsfrage antworten und nicht von Auschwitz und allem anderen Möglichen reden!)


– Darum geht es bei dieser Problematik. Wir reden hier
über das Dritte Reich. Wer über das Dritte Reich redet,
kann ja wohl zu Auschwitz nicht schweigen, Herr Gehb.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)







(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120800
Gestatten Sie
eine zweite Nachfrage?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422120900

Bitte schön. Vielleicht lernen wir ja noch etwas.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1422121000
Herr Beck, würden Sie
mir zustimmen, dass die völkerrechtliche Unterscheidung
in „ius ad bellum“, nämlich das Recht zum Krieg, und „ius
in bello“, das Recht im Krieg, für alle Kriege gilt, auch,
für den letzten Krieg? Meinen nicht auch Sie, dass auch in
einem nicht berechtigten Angriffskrieg Recht Geltung ha-
ben kann, dass selbst – in der DDR war es ja genauso –
unter einem Unrechtsregime Recht gelten kann und dass
die Vorschrift der Desertion einen Doppelcharakter hat,
nämlich zum einen den völlig unberechtigten Anspruch
des Staates auf Gefolgschaft – da stimme ich Ihnen zu –,
zum anderen aber auch eine Schutzwirkung, wie in dem
Fall, den ich vorhin genannt, und zwar sowohl gegenüber
Flüchtlingen als auch natürlich gegenüber den eigenen
Kameraden, gegenüber der eigenen Truppe, die dann,
wenn Deserteure davongelaufen sind, in höchste Gefahr
kommen? Diese Doppelbedeutung der Vorschrift Deser-
tion – § 64Wehrstrafgesetzbuch – existiert nämlich unab-
hängig davon, ob Hitler ein Diktator war oder nicht! Er
war ein Diktator; darüber brauchen wir nicht zu streiten.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422121100

Wenn wir das so betrachten, Herr Geis, dann wäre jede
Sabotagehandlung gegen die Kriegsführung des Dritten
Reiches zu Recht zu bestrafen,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann haben Sie es nicht verstanden, Herr Beck!)


weil sie im Zweifelsfall, wenn sie erfolgreich ist, dazu
führt, dass das Leben von anderen kämpfenden Einheiten
bedroht wird. Das ist die Struktur von Widerstandshand-
lungen in einer solchen politischen und militärischen Aus-
einandersetzung. Aus diesem moralischen Dilemma
kommt kein Mensch dieser Zeit heraus. Wir sollten die
Frage in der Tat so lösen, dass wir fragen, ob Entschei-
dungen bezüglich dieses Punktes angesichts dieses Staa-
tes legitim waren.

Etwas anderes ist es – das bleibt so; Herr Gehb hatte ja
diese Frage angesprochen –, wenn ein Deserteur bei sei-
ner Desertion einen Kameraden erschossen hat, um flie-
hen zu können. Dann bleibt die Verurteilung wegen Mor-
des oder Totschlags an seinem Kameraden auch nach der
Aufhebung der Desertionsurteile bestehen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Über den Fall habe ich nicht geredet!)


Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb ist es unge-
rechtfertigt, unsere Initiative auf diese Art und Weise zu
denunzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ich bin froh, dass sich zumindest Rot-Grün, die PDS
und vielleicht sogar die FDP hier im Hause einig darüber

sind, diesen Schritt gemeinsam zu gehen. Ich bin deshalb
froh, weil ich Menschen wie Ludwig Baumann kenne, die
noch leben und in der Bundesrepublik Deutschland ein
schlechtes Leben hatten, weil ihnen die Strafverfolgung
aus der Zeit des Dritten Reiches in Form von gesell-
schaftlicher Ächtung in unserem Land wieder begegnet
ist. Ich bin froh für Menschen wie den deutschstämmigen
Elsässer Pierre Seel, der, nachdem er seinen Freund im
Konzentrationslager verloren hatte und selbst ins KZ ge-
kommen war, weil er homosexuell war – ich rate allen ein-
mal, seinen erschütternden Lebensbericht nachzulesen –,
noch zu seinen Lebzeiten erfährt, dass wir sagen: Deine
Verurteilung war Unrecht. Wir wollen nicht, dass die Op-
fer dieses Unrechtsregimes zu Bittstellern werden und
50 oder 60 Jahre, nachdem ihnen dieses Unrecht wider-
fahren ist, vor Gericht darum betteln müssen, dass ihnen
endlich Recht widerfährt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Gehb, Sie haben vorhin angesprochen, dass es

wenige Homosexuelle gab, die bis 1959 einen Antrag auf
Entschädigung nach dem Allgemeinen Kriegsfolgenge-
setz gestellt haben.


(Dr. Heinrich Fink [PDS]: Warum nicht, das ist die Frage!)


Ich weiß nicht genau, was Sie uns damit sagen wollten.
Der Grund, warum sich Homosexuelle bis 1969 nicht mit
Entschädigungsansprüchen an den deutschen Staat ge-
wandt haben, lag in der skandalösen Tatsache, dass der
1935 von den Nationalsozialisten verschärfte § 175 bis
1969 in der Bundesrepublik Deutschland unverändert
fortgegolten hat. Wer damals sein Recht auf Entschädi-
gung eingefordert hätte, hätte sich gleichzeitig indirekt
der Staatsanwaltschaft ans Messer geliefert. Diese Konti-
nuität der Verfolgung der Homosexualität bis 1969 ist in
der Tat ein Unrecht und war menschenrechtswidrig.

Der Deutsche Bundestag hat im Dezember 2000 ge-
sagt: Wir wollen, dass die Urteile aus dem Dritten Reich
aufgehoben werden, und für die Kontinuität der Verfol-
gung der Homosexualität entschuldigen wir uns bei der
homosexuellen Minderheit, weil wir sehen, dass dieses
Hohe Haus lange Jahre in dieser Frage geirrt hat. Ich
finde, es ehrt die Demokratie, dass sie zu solchen selbst-
kritischen Äußerungen in der Lage ist.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422121200
Achten Sie jetzt
bitte auf die Zeit!


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422121300

Ich glaube, damit haben wir das Thema moralisch und ju-
ristisch angemessen behandelt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422121400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete van Essen.






(C)



(D)



(A)



(B)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1422121500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau von Renesse ist im Augen-
blick nicht mehr da. Ich wollte sie eigentlich auf ihre Ent-
schuldigung ansprechen. Ich muss sagen, dass die
Auffassung, die sie damals bei der Debatte über einen
PDS-Entwurf bezüglich des die Homosexualität betref-
fenden Teils vertreten hat, auch meine persönliche Auf-
fassung war, und zwar deswegen, weil ich der Meinung
bin, dass die Generalklausel in § 1 des NS-Aufhebungs-
gesetzes alle Verurteilungen wegen Homosexualität im
Dritten Reich erfasst hat.

Ich darf daran erinnern, was ich damals gesagt habe
– das ist auch weiter meine Überzeugung –: Wir werden
kein einziges Urteil finden, bei dem der nationalsozialis-
tische Wille, Homosexuelle zu vernichten, nicht
durchgeschlagen hat. Hier ist zwar angesprochen worden,
dass möglicherweise Blutrichter und andere für Urteile
Verantwortung trugen. Ich bin aber ganz sicher, dass die-
ser Gedanke immer durchgeschlagen hat. Deshalb habe
ich immer die Auffassung vertreten und vertrete sie auch
weiter, dass schon seit dem damaligen Beschluss klar ist,
dass keine Urteile gegen Homosexuelle mehr bestehen,
sondern alle durch die Generalklausel aufgehoben sind.

Deshalb frage ich hier kritisch: Ist das, was wir jetzt
machen, kontraproduktiv? Ist nicht damals schon etwas
erreicht worden, was durch diesen Gesetzentwurf jetzt in-
frage gestellt wird? Diese Frage muss man ehrlich beant-
worten.

Die zweite Frage, die man sicherlich stellen muss, be-
zieht sich auf die Desertion. Ich habe meine persönliche
Sympathie für eine generelle Aufhebung der Urteile hier
mehrfach deutlich gemacht. Trotzdem will ich auch in
diesem Zusammenhang Fragen stellen. Diese Fragen
muss man stellen; denn ich glaube, dass sich Frau von
Renesse auch deshalb für ihre Ausführungen von damals
nicht entschuldigen muss, weil – wie auch in dem heuti-
gen Gesetzentwurf steht – sich die Regelung im Wesent-
lichen bewährt hat und keine Fälle bekannt geworden
sind, in denen ein Antrag von der Staatsanwaltschaft ab-
gelehnt worden wäre.

Es gibt einen zweiten Aspekt, den ich in diese Diskus-
sion einführen will, weil er, glaube ich, nachdenkenswert
ist. Ich war ja früher beruflich bei der Generalstaatsan-
waltschaft tätig. In diesem Zusammenhang darf ich
zwischendurch sagen, Herr Beck: Sie haben behauptet,
dass erst aufgrund einer Nachfrage geklärt worden sei,
was mit Bonhoeffer gewesen sei. Diese Frage ist lange
geklärt. Ich war selbst damit befasst. Wir haben sehr sorg-
fältig geprüft, ob es im Hinblick darauf irgendwelche of-
fenen Fragen gibt. Damals war ich noch nicht Abgeord-
neter, sondern Oberstaatsanwalt. Wir hatten also früh
Klarheit und ich bin froh darüber.

Ich kann mich daran erinnern, dass wir Unrechts-
urteile der DDR aufheben mussten. Ich weiß, wie vielen
Betroffenen es ganz außerordentlich wichtig war, dass sie
amtlich bescheinigt bekamen, dass ihnen Unrecht zuge-
fügt worden war, weil eine Überprüfung ergab, dass alles,
was ihnen angetan worden war, nicht rechtsstaatlich war.
Es könnte durchaus sein, dass das in diesem Bereich ge-

nauso ist. Ludwig Baumann sagt uns das Gegenteil. Aber
ich meine, dass wir darüber nachdenken müssen.

Dritte Bemerkung. Wir haben uns für die Zeit von 1945
bis 1969 entschuldigt. Wir wissen, welche rechtlichen
Schwierigkeiten es gibt, für die Urteile dieser Zeit eine ge-
nerelle Aufhebung herbeizuführen. Aber statt das zu tun,
was wir jetzt machen, nämlich beispielsweise im Bereich
der Homosexualität das wieder infrage zu stellen, was wir
durch die Generalklausel als wirklich wichtigen Schritt
erreicht haben, sollte man eher überlegen, was wir für die
Opfer tun können, die noch zwischen 1945 und 1969 ganz
entsetzlich gelitten haben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!)

Da läge mein persönlicher Schwerpunkt, um das ganz
deutlich zu sagen.

Wie dem auch sei: Wir werden beraten und das hof-
fentlich in sachlicher Weise tun; die heutige Debatte war
Gott sei Dank in weiten Teilen sachlich. Wir als FDPwer-
den uns jedenfalls dabei einbringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422121600
Jetzt gebe ich
Herrn Gehb für eine Richtigstellung das Wort zu einer
Kurzintervention. Ich bitte aber im Übrigen darum, jetzt
keine langen Reden und Gegenreden mehr zu führen, weil
die Debatte schon lang genug ist.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1422121700
Vielen Dank, Frau
Präsidentin, ich werde das nicht ausnutzen.

Herr Beck, Sie haben sich wahrscheinlich verhört und
deshalb will ich das richtig stellen. Ich habe nicht das Bei-
spiel gebracht, dass ein Deserteur einen anderen getötet hat;
das wäre ja ein Tötungsdelikt. Ich habe Herrn Eylmann zi-
tiert; es ist also manchmal doch ganz gut, wenn man sich
das eine oder andere aufschreibt und das dann zitieren
kann:

... auch unter Anlegung heutiger Wertmaßstäbe als
Unrecht bewertet werden kann,

– jetzt kommt die Passage –
so wenn eine Desertion mit der Tötung eines Kame-
raden einherging oder dadurch erst ermöglicht
wurde.

Das betraf also nicht den Fall, dass der andere ihn er-
schossen hat.

Eine zweite Richtigstellung, Herr Beck. Sie haben mir
eine Frage gestellt, deswegen kann ich Ihnen die Antwort
nicht schuldig bleiben. Mit dem Beispiel der Anträge bis
1959 wollte ich mitnichten erneut das Schamgefühl ver-
letzen; ich habe vielmehr – in der Antwort auf die Frage
eines liberalen Abgeordneten – die lückenhaften Entschä-
digungsberichte der jetzigen Regierung im Verhältnis zu
unserer Regierung moniert. Das und nichts anderes wollte
ich damit zum Ausdruck bringen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich gehe davon aus, dass Sie sich verhört haben – auch
wenn nicht, habe ich das an dieser Stelle richtig gestellt.

Vielen Dank.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Entschädigungsberichte werden seit Jahren in der gleichen Weise gemacht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422121800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1422121900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Vor mehr als einem Jahr hat der Bun-
destag einstimmig anerkannt, dass es sich bei der Verur-
teilung schwuler Männer nach §§ 175 und 175 a Nr. 4
Reichsstrafgesetzbuch um typisch nationalsozialistisches
Unrecht handelt. Die Bundesregierung wurde aufgefor-
dert, ihre Rehabilitierung und die der Opfer der NS-
Militärjustiz durch entsprechende gesetzliche Regelun-
gen sicherzustellen. Es ist gut – das sei eindeutig gesagt –,
dass jetzt endlich ein Gesetzentwurf vorliegt. Aber es ist
überhaupt nicht nachvollziehbar, dass dafür so viel Zeit
ins Land gehen musste.


(Beifall bei der PDS)

Über 55 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft wird

nun endlich die jahrzehntelange Diskriminierung dieser
Opfergruppen der NS-Unrechtsjustiz beendet. Die betref-
fenden Personen werden rehabilitiert; ihnen und ihren An-
gehörigen wird ihre Würde zurückgegeben. Wir begrüßen
das ausdrücklich.

Die Beratungen in den Ausschüssen sollten jetzt zügig
vonstatten gehen. Ich denke, dass wir uns weiteren Zeit-
verlust nicht erlauben können. Es leben ohnehin nur noch
wenige der Betroffenen. Allein schon deswegen ist Eile
geboten. Ich bin sehr enttäuscht darüber, dass sich Rot-
Grün mit dem Gesetzentwurf so viel Zeit gelassen hat.

Bei der Beratung in den Ausschüssen sollten wir prü-
fen – das als Anregung für die Beratung –, ob nicht auch
die Urteile wegen Kriegsverrats nach § 57 des Militär-
strafgesetzbuches aufgehoben werden sollten. Der mit To-
desstrafe bedrohte – wie es hieß – Landesverrat im Felde
war im faschistischen Aggressionskrieg eine ehrenwerte
und mutige Tat.

Auch bei den schwulen Opfern der NS-Justiz bleibt
eine schmerzliche Lücke. Es ist nicht zu vermitteln, dass
die Urteile nach den §§ 175 und 175 a, die zwischen 1935
und 1945 gefällt wurden, klar als Unrecht eingestuft und
aufgehoben werden sollen, andererseits die Urteile, die
nach exakt den gleichen, von den Nazis verschärften Pa-
ragraphen noch bis 1969 in der alten Bundesrepublik ge-
fällt wurden, Bestand haben sollen.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Ich möchte daran erinnern, dass das eindeutige Votum

des Bundestages vom Dezember 2000 eine individuelle
und eine kollektive Entschädigung der Opfer der NS-
Justiz vorsah. Es ist weder zu erklären noch zu entschul-
digen, dass der Gesetzentwurf das ignoriert. Es ist nicht
hinnehmbar, dass die staatliche Politik des bewussten und

systematischen Ausschlusses Homosexueller aus den
Leistungen des Bundesentschädigungsgesetzes sowie des
Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes bis heute nicht korri-
giert worden ist. Die Bundesregierung und die Behörden
haben bisher der biologischen Lösung der Entschädi-
gungsfrage Vorschub geleistet. Diese Politik soll jetzt
offenbar ungerührt fortgesetzt werden. Das empfinde ich
als einen Skandal.


(Beifall bei der PDS)

In der Verweigerung von Entschädigungsleistungen

offenbart sich die Halbherzigkeit, mit der die rot-grüne
Bundesregierung die Rehabilitierung der verfolgten Ho-
mosexuellen sowie der Opfer der NS-Militärjustiz be-
treibt. Wir fordern die Bundesregierung erneut auf, dem
Willen des Bundestages entsprechend, unverzüglich kon-
krete Vorschläge zur Entschädigung vorzulegen. Es muss
eine Form des kollektiven Ausgleichs geschaffen werden
für das erlittene Unrecht, für die notwendige Arbeit des
Erinnerns und Gedenkens sowie für die Propagierung der
Menschenrechte homosexueller Frauen und Männer. Da-
ran führt kein Weg vorbei, wenn Rot-Grün in der Frage
der Rehabilitierung der homosexuellen Opfer des NS-
Regimes ernst genommen werden will.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422122000
Für die Bundes-
regierung hat jetzt der Herr Staatssekretär Pick das Wort.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1422122100
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich weiß nicht, ob man das Thema angemessen
behandelt, wenn man mäkelig ist. Die Bundesregierung
ist im Dezember 2000 in der Tat ersucht worden – so heißt
es in dem Beschluss –, eine Ergänzung zu den bestehen-
den gesetzlichen Grundlagen der Rehabilitierung vorzu-
legen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Dabei sind verschiedene Komplexe genannt worden. Das
betrifft die nach den §§ 175 und 175 a Reichsstrafgesetz-
buch und zusätzlich die nach dem Militärstrafgesetzbuch
Verurteilten.

Weil hier also eine Lücke besteht, ist es angemessen,
darauf zu reagieren. Darüber müssen wir uns unterhalten.
Ich finde, das ist der richtige Ansatz. Dass die Bundes-
regierung hinter diesem Antrag der Koalition steht, ist
selbstverständlich. Ich stehe nicht an zu sagen: Der Antrag
ist in unserem Haus erarbeitet worden. Er ist zudem mit
denen abgestimmt worden, die im Rahmen eines Geset-
zesvorhabens gehört werden. Um den Prozess zu be-
schleunigen – deswegen ist so verfahren worden. Wenn
ich die Regierungspraxis von früher betrachte, dann muss
ich sagen, dass das nicht etwas ganz Neues ist.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Betroffenen das

durchaus anders sehen. Ich habe einen Brief vom 22. Fe-




Dr. Jürgen Gehb

21983


(C)



(D)



(A)



(B)


bruar, in dem ein Betroffener an die Bundesministerin der
Justiz schreibt:

Wir Wehrmachtdeserteure danken Ihnen ganz herz-
lich, dass wir noch in dieser Legislaturperiode ge-
setzlich rehabilitiert werden sollen. Als ich dies heute
einem 87-jährigen Betroffenen sagte, hat er geweint.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
den Betroffenen kommt es in der Tat in erster Linie darauf
an – das ist auch meine Antwort auf Frau Schenk –, reha-
bilitiert zu werden, und nicht in erster Linie auf finanzielle
Ausgleichsmaßnahmen. Ich finde, hier muss man Ver-
ständnis für die Betroffenen haben. Ansonsten, denke ich,
tut man ihnen Unrecht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber er konnte doch schon die ganze Zeit rehabilitiert werden!)


– Herr Geis, es besteht insofern eine andere Lage, die wir
ändern wollen, als wir dies bisher nur für Einzelfälle vor-
gesehen haben. Es gibt weder im Bereich des § 175 noch
des § 175 a des Reichsstrafgesetzbuches eine pauschale
Rehabilitierung,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Mit Pauschalität muss man in der Juristerei immer sehr vorsichtig sein! Das wissen Sie doch!)


Es ist von den Betroffenen – daher mag die relativ ge-
ringe Zahl kommen – wohl immer als Zumutung emp-
funden worden, sich einer Einzelfallprüfung zu unterzie-
hen. Das mag man verstehen oder auch nicht.


(Dr. Klaus Grehn [PDS]: Das muss man verstehen!)


Ich denke, das muss man zumindest nachvollziehen können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die 87-jährigen Kriegsveteranen weinen auch, wenn sie das jetzt sehen!)


Das wollen wir mit diesem Entwurf ändern.
Sie wissen, dass homosexuelle Bürger während der

NS-Diktatur schlimme Dinge zu erleiden hatten.

(Zuruf von der CDU/CSU: So wie die Familie Schleyer bei der Begnadigung des Terroristen! Die weinen auch!)


Ich möchte in Erinnerung rufen, wie die Rechtsprechung
der Nationalsozialisten in ihrer erheblich verschärften
Spruchpraxis der menschenverachtenden nationalsozia-
listischen Ideologie bereitwillig nachkam.

Zwischen 1935 und 1945 wurden circa 50 000 Ver-
urteilungen nach den §§ 175 und 175 a des Reichsstraf-
gesetzbuches ausgesprochen. Darüber hinaus wurden
Tausende wegen ihrer Homosexualität in Konzentra-
tionslager verschleppt. Die Mehrzahl von ihnen wurde
ermordet. Im Übrigen waren Homosexuelle weiteren Ver-
folgungsmaßnahmen ausgesetzt. Diese Verfolgungsmaß-
nahmen sind offenbares nationalsozialistisches Unrecht
gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen wollen wir die bisherigen Einzelfallprüfungen
abschaffen und diese Urteile generell aufheben.

Auch die Urteile gegen die von den Militärgerichten
der Nationalsozialisten verurteilten Soldaten wollen wir
generell aufheben. Mir liegt die Liste vor, die in der Tat in
sehr dürren Paragraphen und Zitaten auch in dem Gesetz-
entwurf enthalten ist. Es gab Tatbestände wie „Übergabe
an den Feind“, „unerlaubte Entfernung“, „Abkommen
von der Truppe“, „Dienstpflichtverletzung aus Furcht“
oder „Feigheit“. Es bestand ein ganzer Haufen von sol-
chen Tatbeständen, von denen einer zum Beispiel „Heira-
ten ohne Erlaubnis“ lautete. Meine Damen und Herren,
soll man die aus solchen Tatbeständen resultierenden Ur-
teile nicht generell aufheben können? Ich finde, dies ist
eine Aufgabe, die uns noch bevorsteht. Über diese Frage
sollten wir uns sachlich und auch ohne Emotionen unter-
halten.

Wir wollen diese Urteile, die von den Militärgerichten
der Nationalsozialisten gesprochen worden sind, aufhe-
ben. Sie wissen, dass in dieser Zeit Zehntausende nicht
nur von Soldaten, sondern auch von Zivilpersonen getö-
tet worden sind oder wegen der Tatbestände Kriegs-
dienstverweigerung, Desertion/Fahnenflucht und Wehr-
kraftzersetzung Opfer von Verurteilungen geworden sind.

Aus meinem Bereich weiß ich, dass es in der Nähe von
Mainz mehrere Fälle gibt, in denen einige Stunden vor
dem Ankommen der Amerikaner Wehrmachtsangehörige
die weiße Fahne gehisst haben und noch in letzter Stunde
von den entsprechenden Gerichten aufgehängt worden
sind.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das haben wir doch schon pauschal aufgehoben!)


Auch das war aus der Sicht der nationalsozialistischen
Ideologie Feigheit vor dem Feind.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch schon geregelt!)


Auch das, denke ich, gehört in diesen Zusammenhang.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, das ist schon längst aufgehoben! Das ist schon längst vorbei!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist das dunkelste
Kapitel unserer Geschichte. Mit diesem Gesetz unterneh-
men wir den Versuch eines weiteren wichtigen Schrittes
zur Rehabilitierung der Opfer des NS-Regimes.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Die, die ihre Knochen hingehalten haben, weinen jetzt auch!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422122200
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
21984


(C)



(D)



(A)



(B)


vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatzpunkt 6
auf:
12. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Klaus Riegert, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Übergangslösung für Umsatzbesteuerungvon Sportanlagen

– Drucksachen 14/7285, 14/8385 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Norbert Barthle
Carl-Ludwig Thiele

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP und der PDS
Übergangsregelung für die Umsatzbesteuerung
von Alt-Sportanlagen
– Drucksache 14/8375 –

Die Kollegen Danckert, Schild, Barthle, Hermann, Kinkel
und Ehlert haben darum gebeten, ihre Reden zu Protokoll
geben zu können.1) Sind Sie damit einverstanden? – Dann
verfahren wir so.

Die Fraktion der FDP hat übrigens ihren Antrag auf
Drucksache 14/7813 zurückgezogen.

Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf Drucksache 14/8385. Der Ausschuss
empfiehlt die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/7285 mit dem Titel
„Übergangslösung für Umsatzbesteuerung von Sportan-
lagen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen.

Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der Frak-
tionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP
und der PDS zur Übergangsregelung für die Umsatzbe-
steuerung von Alt-Sportanlagen, Drucksache 14/8375.
Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Antrag ist damit einstimmig angenommen
worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten RolfHempelmann, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Michaele

Hustedt, Hans-Josef Fell, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen
Deutsche Exportinitiative – Erneuerbare Ener-gien
– Drucksache 14/8278 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

Wir haben für die Aussprache eine halbe Stunde vor-
gesehen. Kein Widerspruch? – Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Rolf Hempelmann.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1422122300
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Klimaproblematik
beschäftigt uns seit einer Reihe von Jahren. Spätestens
seit der Klimakonferenz in Rio de Janeiro vor zehn Jah-
ren ist deutlich geworden – das ist auf weiteren Konfe-
renzen durch zahlreiche Studien und Prognosen immer
wieder bestätigt worden –, dass wir enorme Anstrengun-
gen unternehmen müssen, um den Herausforderungen der
globalen Klimaveränderungen gerecht zu werden. Die
vom Intergovernmental Panel on Climate Change, vom
IPCC, vorgelegten Prognosen zur Entwicklung des Welt-
klimas legen eine große Verantwortung auf die führenden
Industrienationen. Sie müssen zukünftig alle ihnen zur
Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um das Weltklima
zu schützen, damit eine weitere Verschärfung der Klima-
problematik verhindert wird. Einer der wichtigsten Bau-
steine eines notwendigen globalen Klimaschutzes ist die
möglichst rasche Verbreitung modernster Technologien
vor allem im Energiebereich. Im Kioto-Protokoll wurden
hierzu in Form des Clean Development Mechanism und
des Joint Implementation geeignete Instrumente geschaf-
fen.

Ein enormes Potenzial für die zukünftige Energiever-
sorgung, das jedoch bislang unzureichend genutzt wird,
bergen erneuerbare Energien, Energien aus Wind, Wasser,
Sonne, Biomasse, Erdwärme und Meeresströmungen.
Dies ist eine Aufzählung, die man sich auf der Zunge zer-
gehen lassen kann. Dieses Potenzial ist schon nach dem
jetzigen Stand der Technik enorm.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf nationaler Ebene ist es uns gelungen, sehr erfolg-
reiche Ansätze zur Verbreitung der erneuerbaren Energien
zu schaffen, zum Beispiel durch das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz. In der Tat ist dieses Gesetz eines der erfolg-
reichsten Projekte der Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist auf seinem Gebiet auch im internationalen
Vergleich das erfolgreichste Gesetz. Man muss sich ein-
mal klar machen: 40 Prozent der weltweiten Windenergie




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

21985


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

werden in Deutschland generiert und 25 Prozent der Pho-
tovoltaik finden in Deutschland statt. Ich denke, das ist et-
was, auf das wir durchaus stolz sein können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen möchte ich denjenigen, die vielleicht in an-
deren Wirtschaftszweigen ihre Prioritäten setzen, sagen:
Die Windkraft ist zum Beispiel der größte Stahlauftrag-
geber und Stahlnachfrager in der Bundesrepublik Deutsch-
land. Im Bereich der erneuerbaren Energien – das sage
ich denjenigen, die uns mehr an der Frage messen, wie
viele Arbeitsplätze wir geschaffen haben – sind in
Deutschland in den letzten Jahren allein durch das EEG
120 000 Arbeitsplätze entstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Schön, nicht wahr? Es freut uns, dass Sie das genauso se-
hen.

Alle Prognosen zeigen allerdings, dass auf internatio-
naler Ebene ein enormer Handlungsbedarf besteht. Es ist
deutlich geworden, dass der Energiebedarf in Entwick-
lungs- und Schwellenländern in den nächsten Jahrzehn-
ten enorm ansteigen wird. Die Verfügbarkeit von ausrei-
chender und kostengünstiger Energie ist für das
wirtschaftliche Wachstum dieser Länder von entschei-
dender Bedeutung. In vielen dieser Entwicklungs- und
Schwellenländer bestehen hervorragende Standortbedin-
gungen für die erneuerbaren Energien. Das gilt es zu nut-
zen. Leider sind die politischen Akteure und Investoren in
diesen Ländern über die Einsatzmöglichkeiten und die
Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien oft unzurei-
chend informiert. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür,
dass bislang nur wenige Anlagen in diesen Ländern in-
stalliert wurden.

Deutsche Anbieter verfügen über weltweit führende
Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien. Viele
dieser Technologien bieten sich besonders für den Einsatz
in Schwellen- und Entwicklungsländern an. Leider aber
ist der Export der Technologie erneuerbarer Energien bis-
her nur ungenügend in Gang gekommen, obwohl – das
habe ich eben schon angedeutet – Deutschland zu den
weltweit führenden Ausfuhrnationen gehört.

Die Entwicklungen auf dem deutschen Markt haben
dafür gesorgt, dass die Branche in den letzten Jahren stark
expandieren konnte. Besonders kleine und mittelständi-
sche Unternehmen sind in diesem Bereich entstanden. Im
Vergleich zu ihren ausländischen Konkurrenten haben sie
eine Reihe von finanziellen und organisatorischen Nach-
teilen zu bewältigen, um auch auf internationalen Märk-
ten tätig sein zu können. So ist es beispielsweise vielen
dieser Unternehmen gegenwärtig aus Kapitalmangel
nicht möglich, Vorfeldakquisitionen durchzuführen, die
notwendigen Kontakte herzustellen und auf den
internationalen Märkten präsent zu sein. Zusätzliche
Schwierigkeiten bereiten unzureichende Informationen
über die heterogene und unübersichtliche Nachfrage-
struktur vieler Entwicklungs- und Schwellenländer.

Darüber hinaus besteht Handlungsbedarf bei der Ver-
mittlung von Informationen über Exportfinanzierungs-
möglichkeiten.Dabei verfügt Deutschland durchaus über
leistungsfähige Instrumente zur finanziellen Unterstüt-
zung dieser Unternehmen. Ein effizientes System zur
Ausfuhrgewährleistung ist zum Beispiel die Hermes Kre-
ditversicherungs-AG. Ein gutes Instrument zur Investi-
tionsgarantie haben wir über Price Waterhouse Coopers
umgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in dieser Legislaturperiode einen wichtigen
Schritt zu einer stärkeren ökologischen Ausrichtung un-
seres Ausfuhrgewährleistungssystems getan, indem neue
Leitlinien für das Hermes-Verfahren in Kraft getreten
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diesen Weg müssen wir konsequent weiter beschreiten,
damit auch die Branche der Technologien für erneuerbare
Energien davon profitieren kann.

Kommerzielle Finanzierungen von Projekten für er-
neuerbare Energien kommen bisher oftmals nicht zu-
stande, weil die Kosten der Kreditwürdigkeitsprüfung im
Verhältnis zu dem meist relativ geringen Auftragsvolu-
men sehr hoch sind. Deshalb müssen die bestehenden
staatlichen Unterstützungsmaßnahmen insbesondere für
kleine und mittlere Unternehmen besser nutzbar gemacht
werden. Es gibt zwar zahlreiche gute Programme zur fi-
nanziellen Förderung von Projekten zum Export erneuer-
barer Energien auf Länder-, auf Bundesebene und auf
europäischer Ebene, aber die Unternehmen stehen vor
dem Problem, das richtige Programm für ihr spezielles
Vorhaben auszuwählen; denn ein zentrales Informations-
system besteht nicht.

Wir benötigen also eine effizientere Struktur zur koor-
dinierten Verbreitung deutscher Spitzenprodukte im Be-
reich erneuerbarer Energien, damit die Branche interna-
tionale markt- und wettbewerbsfähig werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann kann die Bundesrepublik auch hier ihrer internatio-
nalen Verantwortung im Klimaschutzprozess besser ge-
recht werden. Ziel muss es deshalb sein, ein konzertiertes
Vorgehen in den Politikbereichen Klimaschutz, Außen-
wirtschaftsförderung und Entwicklungspolitik zu ge-
währleisten.

Wir sind der Auffassung, dass Entwicklungszusam-
menarbeit und Exportförderung zwar grundsätzlich unter-
schiedlichen Leitlinien folgen. Jedoch können bei effizi-
enter Verzahnung erhebliche, aber bislang leider noch
ungenutzte Synergieeffekte erzielt werden. Sowohl in
der Entwicklungszusammenarbeit als auch in der Privat-
wirtschaft besteht bereits eine in den meisten Bereichen
gut funktionierende institutionelle Infrastruktur. Als Bei-
spiele will ich hier vor allem die Gesellschaft für Techni-
sche Zusammenarbeit, GTZ, die Kreditanstalt für Wie-
deraufbau, KfW, sowie den Ausstellungs- und




Rolf Hempelmann
21986


(C)



(D)



(A)



(B)


Messeausschuss der Deutschen Wirtschaft, AUMA, nen-
nen.

Die gemeinsame Nutzung dieser bereits bestehenden
Infrastruktur durch die Akteure in der Entwicklungszu-
sammenarbeit und in der Privatwirtschaft birgt beträchtli-
che Potenziale zur Effizienzsteigerung, zum Beispiel die
koordinierte Betreuung des Anlagebetriebes oder die Aus-
bildung von Fachkräften. Allein die Koordination und die
effiziente Nutzung dieser Infrastruktur kann im Bereich
der erneuerbaren Energien zu einer Steigerung des Ex-
ports führen. Damit können wir einen Beitrag dazu leis-
ten, dass der Anteil erneuerbarer Energien an der globalen
Energieversorgung gesteigert wird.

Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, über die
vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
initiierte Deutsche Energie-Agentur, dena, eine „Deut-
sche Exportinitiative Erneuerbare Energien“ zu schaffen.
Diese Initiative soll vor allem die Aufgabe erfüllen, als
Kompetenzzentrum mit Know-how und als Kooperati-
onspartner zwischen den bestehenden nationalen und
multilateralen Institutionen und der Wirtschaft zu fungie-
ren.

„Die Deutsche Exportinitiative Erneuerbare Energien“
soll zu diesem Zweck bestehende Aktivitäten program-
matisch bündeln sowie Daten im Hinblick auf Markt-
chancen zielgerichtet aufbereiten und der Branche zur
Verfügung stellen. Dazu soll sie die Informationen sam-
meln und auswerten, die zum Beispiel von den deutschen
Botschaften, den Außenhandelskammern in den Ziellän-
dern und der Bundesagentur für Außenwirtschaft zur Ver-
fügung gestellt werden. Diese Informationen sollen auf-
bereitet und auf die Branche zugeschnitten an die Akteure
weitervermittelt werden. Auf diese Weise kann der Bran-
che die notwendige Hilfestellung bei der Suche nach
möglichen Zielmärkten sowie nach Finanzierungs- und
Fördermöglichkeiten gegeben werden. Es können neue
Finanzierungsinstrumente und am lokalen Bedarf ange-
passte Programme entwickelt werden.

Meine Damen und Herren, auch die bestehenden Akti-
vitäten und Initiativen deutscher Ministerien und Institu-
tionen können über die dena zukünftig besser vernetzt
werden. Ich denke, dass wir mit dieser Initiative eine
Chance haben, sowohl den Export zu fördern als auch
dem Klimaschutz zu dienen. Wir bitten deshalb um eine
breite Zustimmung und um die Unterstützung unseres An-
trages.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422122400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill. – Ich sehe ihn im
Moment nicht.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1422122500
Sie haben an der
falschen Stelle gesucht.


(Walter Hirche [FDP]: Wir hatten ihn zwischengelagert!)


– Ich bin aber noch kein abgebrannter Brennstab.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Das, was der Kollege Hempelmann am Schluss vorgetra-
gen hat, wirft die Frage auf, ob es eigentlich des Deut-
schen Bundestages bedarf, um die Bundesregierung zur
Koordinierung ihrer bestehenden Institutionen zu zwin-
gen.


(Jörg van Essen [FDP]: Eine sehr berechtigte Frage! – Walter Hirche [FDP]: Offenkundig!)


Wenn das so gut ist, wie es hier vorgetragen wurde, dann
stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung das ei-
gentlich nicht tut.


(Jörg van Essen [FDP]: Weil sie erst von den Koalitionsfraktionen dazu aufgefordert werden muss!)


Die zweite Frage betrifft die Koordinierung und die
neuen Finanzierungsinstrumente. Ich würde in dem An-
trag gern die Stelle lesen, an der das Geld zur Verfügung
gestellt wird, das notwendig ist, um finanzieren zu kön-
nen, was hier formuliert wurde.


(Walter Hirche [FDP]: Viele Worte!)

– Es sind viele Seiten vollgeschrieben. Nur hilft es nicht.

Ich will eine Reihe von kleinen Bemerkungen, die ei-
nem bei der Analyse dieses Textes ohne Schwierigkeiten
einfallen, vortragen: Bei der Verabschiedung des Energie-
wirtschaftsgesetzes im Jahre 1998 habe ich vor dem Hin-
tergrund einer Analyse des Deutsche Windenergie-Insti-
tuts in Wilhelmshaven bereits darauf hingewiesen, dass
wir in der Frage des Exports im Grunde genommen un-
sere Fähigkeiten erhöhen müssen. Das, was in dem Antrag
zum Export von erneuerbaren Energien und deren Per-
spektiven steht, hat mit einer sauberen Analyse der Pro-
bleme, die für den Export bestehen, nicht einmal im An-
satz etwas zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist nicht erkennbar, welche Schwierigkeiten außer-

halb Deutschlands bestehen und wovon sie bei der Be-
schreibung dieses Antrags hätten ausgehen müssen. Die
fehlende Analyse der Exportschwierigkeiten in Bezug auf
die aufnehmenden Länder zeigt eine deutliche Schwäche
dieses Antrags.

Es gibt ein Zweites: Dänemark und Deutschland gelten
nach wie vor als Länder, die die meiste Windenergie er-
zeugen. So nebenbei: Die interessante Frage ist, warum
die dänische Regierung die Windenergieförderung jetzt
total einstellt.


(Jörg van Essen [FDP]: Ja Gott sei Dank! Das Land ist durch diese Anlagen völlig ruiniert!)


Der Hintergrund, lieber Rolf Hempelmann, ist doch, dass
Dänemark 500 Megawatt exportiert hat und 85 Megawatt
selbst aufgebaut hat, während wir 500 Megawatt selbst
aufgebaut und 85 Megawatt exportiert haben. Wenn man
damals nachgefragt hat, woran das denn liegt, hat das
DEWI im Grunde genommen nicht die Kapitalfrage, son-
dern allenfalls eine Abdeckung in der Frage der Akquisi-
tion als Problem gesehen. Ich denke, dass das fehlende
Kapital nicht das Problem ist, sondern insgesamt – das gilt




Rolf Hempelmann

21987


(C)



(D)



(A)



(B)


übrigens auch für andere Bereiche – das Dienstleistungs-
angebot, das aus Planung, Investment, Betrieb und Finan-
zierung besteht. Wenn man sich mit RWE, Starzacher bei
der RAG oder Siemens – den weltweit tätigen Unterneh-
men, die dies im Übrigen in Abstimmung mit der Bun-
desregierung tun – über diese Fragen unterhält, kommt
man zu anderen Problemanalysen, als sie Gegenstand die-
ses Antrages sind.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen sich mit den Problemen der Länder beschäftigen!)


– Also Herr Fell, wissen Sie, Sie sollten eines zur Kennt-
nis nehmen: Sie sind nicht die Einzigen in diesem Hause,
die von diesen Dingen etwas verstehen, Sie tun nur so, als
ob Sie die Einzigen wären, die die Wahrheit in ihrem Be-
sitz haben. Aber das treiben wir Ihnen noch aus.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Mehr als Sie versteht er al lemal!)

Die Probleme der Empfängerländer liegen ganz woan-

ders. Sie liegen in der Frage des Kapitalbedarfs, des Hu-
man Capital, und unter anderem in der Frage der ökono-
mischen Realitäten. Sie liegen in der Wirtschaftlichkeit.
Auf der Weltenergiekonferenz haben wir gehört, dass eine
der entscheidenden Fragen ist, ob wir die 180 Milliarden
Dollar an Subventionen, die auf dieser Welt für fossile
Energien gezahlt werden, wegbekommen. Erinnern Sie
sich an die Darstellung der Beispiele der GTZ für Ägyp-
ten, wo die normale Öl- und Gasversorgung subventio-
niert wird. Solange dies der Fall ist, wird es ausgespro-
chen schwierig sein, in diesen Ländern, die durchaus
interessant sind, erneuerbare Energie zu installieren.

Schauen Sie sich einmal das an, was Ihre eigene Re-
gierung gemacht hat. Ich nenne nur einige Stichpunkte:
G 8, Task-Force für erneuerbare Energien, 1 Milliarde
Menschen auf dieser Erde mit erneuerbaren Energien
versorgen, Milliarden Dollar jedes Jahr, um überhaupt
sinnvolle Investitionen zu erreichen. Wenn Sie sich die
Unterlagen von Monterrey, wie sie Ihre eigene
Bundesregierung vorgetragen hat, anschauen, dann wer-
den Sie feststellen, dass weder die staatliche Entwick-
lungshilfe noch das, was an Privatkapital aus Deutschland
zur Verfügung gestellt werden kann, auch nur ansatzweise
in die Nähe dessen kommt, was die G 8 und Ihre Bundes-
regierung für die erneuerbaren Energien im Sinne einer
globalen Energieversorgung haben aufschreiben lassen.
Das heißt, diese Bundesregierung und die G 8 setzen die
eigene Task-Force-Analyse auch nicht ansatzweise um.
Es ist unglaubwürdig, weil der Kapitalbedarf in diesem
Antrag eigentlich überhaupt keine Rolle spielt.

Das Zweite, was in Ihrem Antrag interessanterweise
fehlt, ist die Forschungskooperation. Wenn Sie sich mit
dem Solarverbund und anderen Leuten über diese Frage
unterhalten, dann spielen nicht Investitionen eine ent-
scheidende Rolle, sondern die Entwicklung der Solar-
großkraftwerke und der thermischen Kraftwerke sowie
die Frage, ob es zu einer Forschungs- und Entwicklungs-
kooperation etwa mit den südlichen Mittelmeeranrainern
kommt. Auf die Forschungskooperation gehen Sie in

Ihrem Antrag überhaupt nicht ein. Ich empfinde das als ei-
nen eklatanten Mangel einer globalen und umfassenden
Strategie.

Im Übrigen will ich in diesem Zusammenhang nur auf
die Absenkung der Entwicklungshilfe in den Industrie-
ländern hinweisen, die Kofi Annan heute Morgen beklagt
hat. Unser Land hat dazu einen Beitrag geleistet, weil Sie
weniger an Entwicklungshilfe zahlen als das, was wir
noch 1998 im Haushalt bereitgestellt hatten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Ich habe das Gesicht des Bundeskanzlers bei dieser Bemerkung gesehen!)


Sie müssen doch einmal vorlegen, was Ihre Bundesregie-
rung in Monterrey durch Entwicklungshilfe finanzieren
wird. Das wird dem, was Sie hier aufgeschrieben haben,
in keiner Weise gerecht. Das wissen wir doch alle.

Deswegen sage ich am Schluss: Wer in der zweiten und
dritten Lesung gegen diesen Antrag stimmen wird, stimmt
mitnichten gegen eine aktive Klimapolitik; er verhindert
nur, dass noch mehr Bürokratie entsteht und noch mehr
Geld an der falschen Stelle ausgegeben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422122600
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422122700

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
geht es um eine Exportoffensive für erneuerbare Ener-
gien. Herr Grill, nachdem ich Ihre Rede gehört habe, muss
ich sagen: Ich glaube, Sie haben in keinster Weise ver-
standen, worum es in diesem Antrag geht,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie immer!)


weil Sie völlig am Thema vorbeigeredet haben. Ich werde
versuchen, das deutlich zu machen.


(Jörg van Essen [FDP]: Frau Oberlehrerin! – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Die Besserwisser!)


Warum wollen wir eine Exportoffensive für erneuer-
bare Energien? Es kommt wieder das Argument: Wir ha-
ben doch ausreichende Instrumente zur Exportförderung,
zur Förderung der Außenwirtschaft. Warum jetzt eine
spezifische Förderung für eine Branche? Natürlich kann
man sagen: Das ist eine kleine, mittelständische Industrie,
die besondere Unterstützung braucht – anders als zum
Beispiel Siemens. Das ist aber noch keine ausreichende
Begründung für eine besondere branchenspezifische
Außenförderung.

Man kann auch sagen: Diese Branche besteht, anders
als andere Branchen, aus sehr vielen jungen Unternehmen
und jungen Unternehmern mit geringer Kapitaldecke. Die
Unternehmen fangen erst an und sind nicht über lange
Zeit gewachsen. Es gibt für sie auch keine Greencard,
wenn sie Leute zum Beispiel für die Exportförderung su-
chen. Das könnte schon eher ein Argument sein.




Kurt-Dieter Grill
21988


(C)



(D)



(A)



(B)


Das wichtigste Argument ist jedoch: Durch das EEG
sind wir weltweit Vorreiter geworden. Deutschland hat die
meisten Windkraftanlagen und die größten Photovoltaik-
fabriken in der Welt. Unsere These ist: Wir wollen unter
anderem den USA, aber auch allen anderen, die Klima-
schutz immer nur als Bürde sehen, zeigen, dass ein Vor-
reiten im Klimaschutz Innovationspolitik und damit auch
gut für den Standort Deutschland ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dazu gehört eben auch, dass man aus der Vorreiterrolle
Kapital schöpft und auf den Exportmärkten der Welt
tatsächlich zusätzlich verdient. Deutschland ist übrigens
immer besonders schlecht, wenn es darum geht,
Forschungsergebnisse am Markt umzusetzen und welt-
weit zu vermarkten.

Herr Grill, Sie haben gesagt, man könne es nicht durch
die Bedingungen in anderen Ländern erklären.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Man kann es erklären! Weil wir gute Subventionen in Deutschland haben! Deshalb brauchen wir nicht zu exportieren!)


Von der dänischen Produktion werden 70 Prozent expor-
tiert und 30 Prozent im Inland nachgefragt, während es bei
uns genau umgekehrt ist. Die Bedingungen für die däni-
schen Erbauer von Windkraftanlagen sind im Ausland ge-
nauso schwierig wie im Inland. Auch deswegen ist zum
Beispiel Ihre Argumentation falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Branche ist die innovativste Branche überhaupt,
Wir haben die besten Windkraft-, Biomasse- und Photo-
voltaikanlagen der Welt. Ich möchte, dass diese junge
Branche ein zweites Standbein bekommt, um unabhängig
zu werden, auch wenn es in Deutschland einmal ein biss-
chen langsamer gehen sollte, was natürlich nicht passiert,
solange die Grünen regieren. Wir wollen das für diese
junge Branche entwickeln, sodass die Unternehmen ein
bisschen sicherer auf zwei Beinen stehen können.

Es geht nicht darum – auch dabei haben Sie wieder
nichts verstanden, Herr Grill – neue Instrumente zu kreie-
ren,


(Walter Hirche [FDP]: Doch natürlich! Das hat doch Hempelmann begründet! – Gegenruf des Abg. Kurt-Dieter Grill [SPD]: Sie hat bei Hempelmann nicht zugehört!)


Ich möchte Ihnen vielmehr ein Bild mitgeben.

(Lachen bei der FDP)


– Ich möchte eine ernsthafte Diskussion darüber führen.
Ich glaube auch, dass ich Sie gewinnen und überzeugen
kann. – Das Bild, das man für unseren Ansatz vielleicht
heranziehen könnte, ist, die bestehenden Außenwirt-
schaftsförderungsinstrumente wie eine Spinne im Netz zu
vernetzen. Dabei denke ich auch an die von Ihnen aufge-

worfene Debatte über die Kapitalmobilisierung, sodass
Investitionen mit privatem Kapital erfolgen können.


(Walter Hirche [FDP]: Ein bisschen vernünftig seid ihr ja schon!)


Die dena soll eben nicht eine neue Außenwirtschafts-
förderungsinstitution werden – deswegen brauchen wir
auch nicht viel Geld –, sondern sie soll ganz gezielt darauf
achten, dass die bestehenden Instrumente den Erforder-
nissen der erneuerbaren Energien angepasst werden. Sie
soll die Botschaften und die Außenhandelskammern sen-
sibilisieren, die Hermesbürgschaften unter dem Aspekt
der erneuerbaren Energien überdenken und Informatio-
nen über einzelne Länder unter dem spezifischen Aspekt
der erneuerbaren Energien sammeln – und zwar in Zu-
sammenarbeit mit den bestehenden Institutionen, die nor-
malerweise diese Recherche betreiben –, damit Unterneh-
men anfragen können, wo es sich lohnt.

Bei der Forschungsförderung haben wir die Kooperation
wesentlich verbessert. Aber sie zum Beispiel im Hinblick
auf die besonderen Erfordernisse der erneuerbaren Energien
noch einmal zu betrachten und zu verbessern ist Aufgabe
dieser besonderen Exportförderung, bei der es sich eher um
eine Vernetzung als um ein neues Instrument handelt.

Ich meine, dass es für den Export große Chancen gibt,
zum einen in Länder, die jetzt von Deutschland lernen und
ähnliche Instrumente aufbauen, wie etwa Frankreich – wir
müssen uns natürlich vornehmen, dass die deutsche Indus-
trie dabei ordentlich mitmischt –, aber auch in Schwellen-
und Entwicklungsländer, wo sich erneuerbare Energien
tatsächlich schon heute rechnen, weil es keine entwickel-
ten Stromnetze gibt. Die müsste man erst bauen. Dann sind
unter ökonomischen Gesichtspunkten eine Biomassean-
lage oder eine Windkraftanlage häufig billiger als ein
Großkraftwerk und eine neue Netzinfrastruktur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


An dieser Stelle anzusetzen und, wie gesagt, wie eine
Spinne im Netz bestehende Außenwirtschaftsförderungs-
instrumente zu vernetzen, um für eine innovative Indus-
trie, in der Deutschland Vorreiter in der Welt ist, Export-
chancen zu schaffen, ist Inhalt der Exportinitiative. Ich
hoffe und wünsche, dass wir im Ausschuss in Ruhe da-
rüber diskutieren können und dass ich Sie von der Oppo-
sition von diesem Instrument überzeugen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422122800
Jetzt hat der Ab-
geordnete Walter Hirche das Wort.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1422122900
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Wenn man den Antrag sieht, könnte man
sagen: Je dringlicher das Thema, desto später am Abend
wird es behandelt. Lieber Kollege Hempelmann, wenn
die Regierung richtig arbeiten würde, dann hätten Sie die-
sen Antrag mit Sicherheit nicht stellen müssen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Michaele Hustedt

21989


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben offenbar den Eindruck, dass die Regierung
an verschiedenen Punkten nicht richtig arbeitet. Der Be-
weis dafür ist vielleicht, dass das adressierte Ministerium
– das Wirtschaftsministerium – in dieser Debatte gar nicht
vertreten ist.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das arbeitet schon an der Umsetzung!)


– Das kann sein, wenn Sie so umfangreiche Papiere vor-
legen.

Es stehen Sätze in dem Antrag, die die Welt umkrem-
peln. Wenn darin zum Beispiel steht, dass in vielen Ent-
wicklungs- und Schwellenländern „hervorragende Stand-
ortbedingungen für erneuerbare Energiegewinnung“
vorhanden sind, muss ich sagen: Das ist eine umwerfende
Erkenntnis. Seit vielen Jahren wird – etwa in der GTZ –
darüber diskutiert, wie man im Sonnengürtel der Erde Mit-
tel einsetzen und wie man die Passatwinde in Marokko für
die Energieerzeugung nutzen kann. Alle diese Diskussio-
nen finden statt. Dafür ist Ihr Antrag nicht notwendig.

Aber es ist natürlich eine Selbstverständlichkeit – das
kann man nur unterstreichen –, dass es sinnvoll wäre,
Windkraftanlagen mit Gewinn ins Ausland zu verkaufen.
Das wäre besser, als hoch subventionierte Anlagen im
Binnenland dort zu errichten, wo sie nicht hingehören,
und die Landschaft vollzupflastern.


(Beifall bei der FDP)

Von daher sehe ich durchaus eine Alternative.


(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Die Institutionen gibt es doch, die Sie hier neu schaf-
fen wollen. Vor zehn Jahren haben wir in Wilhelmshaven
das Deutsche Windenergie-Institut gegründet. Es be-
treibt seit vielen Jahren Ausbildung, Weiterbildung und
Beratung im Ausland. Ich freue mich heute noch, dass ich
es vor zwölf Jahren an diesem Standort gegründet habe.
Daran können Sie sehen, wie sehr Ihr Antrag veraltet ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber Sie loben das Aussteigen von Dänemark aus der Windenergie! Wie verträgt sich das denn?)


Zweitens gibt es längst ein Institut für die Exportför-
derung, das Internationale Transferzentrum für Um-
welttechnik GmbH – ITUT – in Leipzig. Es hat wohl aus
Ihrer Sicht die Fehler, dass es im Osten Ostdeutschlands
liegt und von der vorigen Bundesregierung eingerichtet
wurde. Dieses Institut soll zusammen mit den Außenhan-
delskammern genau das machen, was Sie mit Ihrem An-
trag neu erfinden wollen. Gucken Sie mal in die Projekt-
listen mit Stand vom 30. Januar dieses Jahres. Als Ziel des
ersten Programms ist aufgeführt: „Erarbeitung firmenspe-
zifischer Marktstudien und Verbesserung der Absatzmög-
lichkeiten für erneuerbare Energien“. Das Institut macht
schon all das, was Sie als neue Aufgabe der Energieagen-
tur zuweisen wollen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt aber bei den Unternehmen nicht an!)


In Wirklichkeit wollen Sie neue Stellen ausweisen,

(Rolf Hempelmann [SPD]: Nein!)


wozu Sie Gelder anbieten, die überhaupt nicht vorhanden
sind. Wenn Ihnen das alles ein Anliegen wäre, hätten Sie
seit Jahren dieses Institut nutzen können.

Herr Kollege Hempelmann, ich empfinde es als beson-
ders pikant, dass Sie diesen Antrag eingebracht haben;
denn dieser Antrag distanziert sich von der Exportförde-
rung für fossile und nukleare Energietechniken.Wollen
Sie, der Sie aus einem Bergbaugebiet kommen, jetzt da-
von Abstand nehmen, verbesserte fossile Techniken etwa
nach China zu verkaufen, die den Wirkungsgrad chinesi-
scher Kohlekraftwerke von heute auf morgen von 15 Pro-
zent auf das Dreifache steigern könnten, ohne dass dafür
Subventionen erforderlich wären?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo steht das denn im Antrag?)


– Im Antrag steht, dass man sich von den fossilen und nu-
klearen Techniken distanziert. Lieber Kollege Schmidt,
als Geschäftsführer können Sie natürlich nicht alles Wort
für Wort lesen. Diesen Antrag jedenfalls haben Sie nicht
richtig gelesen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422123000
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage, die Ihnen eine Schlussantwort er-
möglicht? Ihre Redezeit ist nämlich schon vorbei.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1422123100
Gerne. – Ich bedanke mich
beim Kollegen Hempelmann, dass er mir diese Gelegen-
heit gibt.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1422123200
Herr Kollege Hirche, ge-
rade ist schon ein entsprechender Zwischenruf gemacht
worden. Ich möchte von Ihnen einmal hören, welcher
Stelle des Antrags Sie entnehmen, dass eine Distanzie-
rung vom Export von Energietechnologien beabsichtigt
sei, die zum Beispiel in Kraftwerken eingesetzt werden,
in denen fossile Energien zur Verstromung eingesetzt
werden. Ich nehme an, dass Sie das mit „fossile Energie-
techniken“ gemeint haben. Ich füge an dieser Stelle hinzu
– Sie wissen das auch und haben sich deswegen darüber
gewundert, dass das Gegenteil der Fall ist –: Wir wollen
alle Instrumente und alle Technologien zur Effizienzstei-
gerung einsetzen, jedenfalls auch die, die in Kraftwerken
für fossile Energieträger eingesetzt werden. Aber in die-
sem Antrag liegt der Schwerpunkt auf erneuerbare Ener-
gien, weil wir gesehen haben, dass das in anderen Berei-
chen funktioniert, wir hier aber ein Defizit haben.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1422123300
Herr Kollege Hempelmann, ich
werde Ihnen das gerne im Ausschuss zeigen. Dort können
wir darüber im Einzelnen sprechen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Sollen wir jetzt etwa Textexegese betreiben?


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Sie haben doch behauptet, das stünde da drin!)





Walter Hirche
21990


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich werde Ihnen das im Ausschuss beweisen. Ich habe das
Beispiel deswegen angeführt, weil Sie in Ihrem Antrag
das Schwergewicht nicht darauf legen, den Export dort zu
steigern, wo es sinnvoll ist und wo die Kosten vertretbar
sind. Vielmehr wollen Sie unbedingt hoch subventionierte
Techniken aus Deutschland an die Entwicklungsländer
verkaufen. Dabei ignorieren Sie, dass sie wahrscheinlich
diese Anlagen nicht kaufen werden, weil sie einfach nicht
in der Lage sind, 17 Pfennig pro Kilowattstunde für die
Stromerzeugung zu zahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Die Kosten werden hier unterschätzt. Insofern ist es be-
sonders traurig, dass in diesem Antrag ein falscher
Schwerpunkt enthalten ist und der Schwerpunkt nicht auf
dem Bereich fossiler und nuklearer Energietechniken
liegt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422123400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422123500
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit haben die
CO2-Emissionen zwischen 1990 und 1998 um rund8 Prozent zugenommen. Das geht nicht nur auf das Konto
der USA und der EU-Staaten, sondern auch auf das vieler
Entwicklungsländer. Ihr Anteil am Ausstoß von Klimaga-
sen ist pro Kopf zwar weit geringer. Aber hier macht es
die Masse: Die CO2-Emissionen in den Nicht-Annex-I-Staaten sind nämlich in diesem Zeitraum um fast 30 Pro-
zent angestiegen. Sie machen inzwischen 43 Prozent der
globalen Emissionen aus und sie steigen weiter. Deshalb
– hier stimmen wir mit dem Koalitionsantrag völlig über-
ein – ist ein Technologietransfer ein wichtiger, ja ein un-
verzichtbarer Bestandteil internationaler Klimapolitik.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass allein
die USA mehr als 50 Prozent dessen an CO2 in die Luftblasen, was alle Entwicklungsländer zusammen emittie-
ren. Daher wären die Vereinigten Staaten – das ist eine
Anregung von unserer Seite – eigentlich das Zielland
Nummer eins für den Transfer moderner Energietechno-
logien.


(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rudolf Bindig [SPD]: Wo sie Recht hat, hat sie Recht – Rolf Kutzmutz [PDS]: Die können das aber auch bezahlen! Die haben die Knete!)


Klar ist, dass die Entwicklungs- und Schwellenlän-
der sicherlich ein Anrecht auf wachsenden Wohlstand ha-
ben. Klar ist aber auch, dass unser Wohlstandsmodell
– wenn ich diesen schwammigen Begriff einmal verwen-
den darf – nicht Vorbild für diese Länder sein kann, weil
es sich kaum für eine nachhaltige Entwicklung eignet. Mit
Pro-Kopf-Ausstößen, die zehn- bis zwanzigmal höher

sind als die in Afrika, sollten wir die Welt nicht beglücken.
Deshalb ist es richtig, wenn wir die energieeffizientesten,
die regional flexibelsten und preiswertesten Energietech-
niken in diese Regionen exportieren. Hier liegt allerdings
der Hase im Pfeffer: Im Antrag ist nämlich nur von Ex-
portförderung in allen ihren Facetten die Rede. Von der
Finanzierung der Exporte – einige Kollegen haben das be-
reits angesprochen; leider muss ich ihnen Recht geben –
ist keine Rede. Das heißt nicht, dass Wind- und Solar-
kraftwerke, Biomassetechnologien oder KWKs komplett
verschenkt werden sollen. Wenn aber der globale Klima-
wandel ein so wichtiges Problem ist – ich denke, darüber
sind wir uns einig –, dann wäre doch wenigstens ein Be-
kenntnis zur finanziellen Unterstützung dieser Technolo-
gien nicht nur für die Hersteller, sondern auch für die Ab-
nehmer angebracht.

Ich weise auch darauf hin, dass die Bundesrepublik
nach wie vor nur 0,23 Prozent ihres Sozialproduktes in die
Entwicklungszusammenarbeit steckt. Das 0,7-Prozent-
Ziel liegt leider in weiter Ferne. Das wird wahrscheinlich
auch weiterhin so bleiben; denn im Regierungsentwurf
zur Nachhaltigkeitsstrategie gibt es keinerlei Aussagen
darüber, wann dieser Wert erreicht werden soll. Das, was
im Antrag steht, ist deshalb nicht falsch. Wir unterstützen
die vorgeschlagenen Maßnahmen, auch weil es in der Na-
tur der regenerativen Energien liegt, dass vor allem klei-
nere Unternehmen gefördert werden müssen, die mit dem
gigantischen fossil-atomaren Komplex konkurrieren
müssen. Wir werden aber keinen Prozess mittragen, der
sich langfristig nur auf eine neue Runde zur Wirt-
schaftsförderung beschränkt, der also die finanzielle Un-
terstützung für die Entwicklungsländer außen vor lässt;
denn uns geht es um nachhaltige Entwicklung in der
ganzen Welt.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422123600
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8278 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van
Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum ver-
besserten Schutz der Intimsphäre
– Drucksache 14/7193 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kollegen Manzewski, Dr. Freiherr von Stetten,
Beck, van Essen und die Kollegin Pau möchten ihre




Walter Hirche

21991


(C)



(D)



(A)



(B)


Reden zu Protokoll geben1). Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/7193 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zu-
satzpunkt 7 auf:
16. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,

der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN und der FDP
Ratifizierung des Statuts des Internationalen
Strafgerichtshofes
– Drucksache 14/8245 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Ratifizierung des Statuts des Internationalen
Strafgerichtshofes
– Drucksache 14/8374 –

Die Kollegen Weisskirchen, Schmidt, van Essen sowie
die Kolleginnen Grießhaber und Dr. Kenzler wollen ihre
Reden zu Protokoll geben2). Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 16: Wir kommen zur Abstim-
mung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP
zur Ratifizierung des Statuts des Internationalen Strafge-
richtshofes. Wer stimmt für den Antrag? – Gibt es Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig
angenommen worden.

Zusatzpunkt 7: Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/8374 zur Ratifizierung
des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes. Wer
stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt wor-
den.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Gerhard Jüttemann, Monika Balt, Eva
Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Rechtsanspruch auf Sozialtarif für Sprachtele-
fondienst
– Drucksachen 14/5831, 14/6931 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Elmar Müller (Kirchheim)


Die Kollegen Barthel, Müller, Fischer und Funke ha-
ben darum gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dür-
fen3). – Das geschieht so. Aber der Kollege Jüttemann
möchte sprechen und erhält deswegen das Wort.


(Zuruf von der PDS: Was heißt jetzt „aber“? – Rolf Kutzmutz [PDS]: Der nimmt jetzt die gesamte Redezeit! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Darum bitten wir!)



Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1422123700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Leider geht gerade die letzte Kolle-
gin aus dem zuständigen Ausschuss hinaus. Die Kollegen
des Ausschusses scheinen sich für das Thema nicht zu in-
teressieren.

Die Telekom hat in dieser Woche die Erhöhung ihrer
Grundgebühren bekannt gegeben. Das passt zwar irgend-
wie nicht zu der in diesem Hohen Hause viel beschwore-
nen These, dass Liberalisierung und Privatisierung zu fal-
lenden Preisen führen, aber das ist die Realität. Es trifft
natürlich die sozial Schwachen. Wen sonst? Denen hat der
Konzern bereits 1999 eine Ohrfeige verpasst, die bis heute
nachwirkt. Die Telekom hat den bis dahin gültigen
Sozialtarif – wie sie es selbst genannt hat – vereinfacht;
in Wirklichkeit hat sie ihn teilweise und für viele Betrof-
fene sogar vollständig abgeschafft.

Zur Erklärung so viel: Seit den frühen 70er-Jahren
wurde denjenigen, die einen Anspruch auf den Sozialtarif
hatten, ein bestimmter Betrag der Grundgebühr erlassen.
Nach der so genannten Vereinfachung muss die Grundge-
bühr von jedem voll bezahlt werden; der Sozialtarif hat
sich in ein Gesprächsguthaben für Standardverbindungen
im Netz der Deutschen Telekom verwandelt. Verbraucher
und Interessenverbände haben das ebenso wie viele Be-
troffene scharf kritisiert; denn natürlich haben gerade
viele sozial bedürftige Menschen ihr Telefon nur, um an-
gerufen werden zu können. Für diese Leute hat sich der
Sozialtarif erledigt. Wenn sie selbst anrufen, wollen sie
das vielleicht nicht unbedingt über den nicht immer güns-
tigen Anbieter Telekom erledigen. Mit dem Sozialtarif
werden sie aber dazu gezwungen. Der Vorgang ist wie die
Erhöhung der Grundgebühren eine der negativen Folgen
der Privatisierung.

Regierung und Regulierungsbehörde argumentieren,
man könne der Telekom nicht die Art und Weise eines So-
zialtarifs diktieren; schließlich sei das eine freiwillige
Leistung des Konzerns und der Tarif unterliege nicht der
Genehmigungspflicht. Das ist ja gerade der wunde Punkt.
Vor der Privatisierung handelte es sich bei dem Sozialta-
rif um eine Pflichtleistung und es gab einen Kreis von
Personen, die einen rechtlichen Anspruch auf diese Leis-
tung hatten.

Irgendetwas wird sich die damalige Bundesregierung
ja wohl dabei gedacht haben, als sie Anfang der 70er-
Jahre diesen Sozialtarif eingeführt hat. „Irgendetwas“
sage ich deshalb, weil die genauen Motive für die Ein-
führung des Sozialtarifs – hierbei handelt es sich offenbar




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
21992


(C)



(D)



(A)



(B)


3) Anlage 8
1) Anlage 6
2) Anlage 7

um einen Treppenwitz der Privatisierung – nicht mehr er-
gründet werden können. Laut Antwort der Bundesregie-
rung auf meine diesbezügliche Frage existieren nir-
gendwo mehr Aufzeichnungen darüber. Wörtliches Zitat

Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1422123800


Die seinerzeitige Motivation der Deutschen Bundes-
post lässt sich demnach nicht mehr erforschen.

So einfach ist das, jedenfalls für die Regierung, die übri-
gens auch über die Höhe des gewährten Sozialtarifs in der
Zeit vor 1993 angeblich nichts mehr weiß.

Ich gebe zu: Ich hätte gedacht, dass in so einem Staats-
wesen ein bisschen mehr Ordnung herrscht. Vor allem
kommt es darauf an, dass wir den Betroffenen heute wie-
der einen Rechtsanspruch auf den Sozialtarif zurück-
geben, auch um dem Sozialen in der Marktwirtschaft in
diesem Punkt den ihm gebührenden Rang zu verschaffen.
Diesem Ziel dient unser vorliegender Antrag.

Dennoch sind sich laut Beschlussempfehlung alle
darin einig, ihn abzulehnen. Im Wirtschaftsausschuss ist
für diese Ablehnung von niemandem auch nur ein einzi-
ges Argument vorgebracht worden. Im Unterausschuss
für Telekommunikation und Post hat einzig Frau Hustedt
Stellung bezogen und erklärt, der von der PDS geforderte
Rechtsanspruch dürfe nicht auf die Telekom begrenzt
sein, sondern müsse sich auf alle Anbieter erstrecken. Wo
sie Recht hat, hat sie Recht. Hätten Sie unseren kurzen
Antrag gelesen, hätten Sie festgestellt, dass wir genau das
fordern.

Außerdem hat sich noch Herr Mannherz vom Bundes-
ministerium für Wirtschaft geäußert. Er trug das alberne
Argument vor, der Wettbewerb selbst könne die sozialen
Abfederungen viel besser gewährleisten als gesetzliche
Regelungen. Dazu muss man nichts sagen, weil diese Be-
hauptung von der Praxis einfach widerlegt wird – siehe
Grundgebührerhöhung.

In vornehmes Schweigen hat sich bisher die SPD
gehüllt. Das Einzige, was von ihr zu diesem Thema
zu hören war, steht in ihrem Antrag „Wettbewerb
und Regulierung im Telekommunikationssektor“ auf
Bundestagsdrucksache 14/5693. Da heißt es – ich zitiere –:

Abgesehen von punktuellen Problemen mit Telefon-
zellen und dem Sozialtarif der DTAG war bisher die

flächendeckende Versorgung mit TK-Dienstleistun-
gen zu erschwinglichem Preis nicht gefährdet.

Welche Lösungen haben Sie für diese punktuellen Pro-
bleme? Stimmen Sie unserem Antrag zu oder schaffen Sie
eine andere Lösung! Denn von nichts kommt bekanntlich
nichts.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422123900
Herr Kollege
Jüttemann, zwischen allen Fraktionen – also auch mit der
PDS – ist eine Absprache getroffen worden. Dies ist im
Konsens geschehen. Derjenige, der aus dem Konsens aus-
steigt und noch redet, sollte nicht die anderen dafür be-
schimpfen, dass sie nicht sprechen. Das ist nicht gut. Wir
haben hier mittlerweile fast 13 Stunden ununterbrochen,
also ohne Pause, diskutiert. Das ist der Grund, warum alle
anderen auf ihre Chance, zu reden, verzichtet haben. Ich
sage das nur für das nächste Mal.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig! Vielen Dank, Frau Präsidentin!)


Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-

ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksa-
che 14/6931 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Rechtsanspruch auf Sozialtarif für Sprachtelefon-
dienst“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/5831 abzulehnen. Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen worden.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 1. März 2002, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.