Gesamtes Protokol
Guten Morgen, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff-
net.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleich-
terung der Bekämpfung von illegaler Beschäf-
tigung und Schwarzarbeit
– Drucksachen 14/8221, 14/8288 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.
G
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Illegale Beschäftigungund Schwarzarbeit können datenmäßig nicht genau er-fasst werden.
Das liegt in der Natur der Sache. Aber fest steht: Es gibtsie. Parteiübergreifend besteht Konsens, dass sie einensehr großen Umfang in unserer Volkswirtschaft einneh-men.Der Schaden für unser Solidarsystem ist beträchtlich.Er kann mit einer Faustformel abgeschätzt werden:10 000 Arbeitsplätze, die aufgrund von illegaler Beschäf-tigung und Schwarzarbeit im vergangenen Jahr nichtzustande kamen, bedeuten für die Sozialversicherungjeweils einen Beitragsausfall in Höhe von 221 Milli-onen DM und einen Steuerausfall für den Fiskus in Höhevon 93 Millionen DM. Ich sage für die Bundesregierungganz deutlich: So kann und darf es nicht weitergehen; dieskann nicht länger hingenommen werden. Wir müssen dieBekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarz-arbeit spürbar verbessern. Genau das ist der Sinn undZweck der Ihnen vorliegenden Gesetzesinitiative.Worauf kommt es uns dabei als Erstes an? Wir wollenkeine neuen bürokratischen Strukturen aufbauen; dochdie Erfahrung hat gezeigt, dass in der Praxis häufigSchwierigkeiten bei der Verfolgung von illegaler Be-schäftigung auftreten. Genau darauf zielt der Gesetzent-wurf ab. Diese Schwierigkeiten sollen durch eine bessereZusammenarbeit der bereits zuständigen Behörden unddadurch, dass der Bundesanstalt fürArbeit neue Befug-nisse eingeräumt werden, überwunden werden. Außer-dem – ohne dieses geht es offenbar nicht – sollen dieSanktionen erheblich verschärft werden. Das erhöht na-türlich den Grad der Abschreckung.
Verschärfte Sanktionen erleichtern es aber auch, unge-rechtfertigte Gewinne abzuschöpfen. Neben einem höhe-ren Grad der Abschreckung soll die Gewinnabschöpfungerleichtert werden. So sollen wegen der besonderen Be-deutung der illegalen Beschäftigung im Baugewerbe dieHauptunternehmer im Baugewerbe verstärkt in die Ver-antwortung genommen werden. Sie sollen künftig bei ei-genem Verschulden für die Sozialversicherungsbeiträgeder Arbeitnehmer ihrer Subunternehmer haften.Zu Ihrer Information: Der Gesetzentwurf berücksich-tigt die Entschließung des Deutschen Bundestages vom6. April 2001 über Eckpunkte zur Verbesserung derBekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeitebenso wie zwei mit großer Mehrheit zustande gekom-mene Entschließungen des Bundesrates zur Wieder-herstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt vom19. März 1999 und zur Verbesserung der Bekämpfungder Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung vom29. September 2000.21707
219. SitzungBerlin, Freitag, den 22. Februar 2002Beginn: 9.00 UhrIch will die wichtigsten neuen Regelungen, die wirvorgesehen haben, kurz skizzieren: Zum einen werden diebestehenden Hindernisse bei der Zusammenarbeit zwi-schen den Behörden abgebaut. So werden die Sozialhilfe-träger und die für Asylbewerberleistungen zuständigenBehörden ausdrücklich zur Zusammenarbeit aufgefor-dert. Sie erhalten das Recht der verdachtslosen Prüfungin Betrieben und auf Grundstücken. Gleichzeitig wird derInformationsaustausch zwischen den an der Bekämpfungillegaler Beschäftigung beteiligten Behörden verbessert.So werden, wie gesagt, die Behörden, die für Sozialhilfeund für Asylbewerberleistungen zuständig sind, einbe-zogen und über das Steuerrecht die Finanzbehörden stär-ker eingebunden. Bisher hatten diese nur das Recht undnicht die Pflicht zur Information. Künftig werden sie ver-pflichtet, diejenigen Behörden, die mit der Bekämpfungder illegalen Beschäftigung befasst sind, von den Verhält-nissen des Steuerpflichtigen zu unterrichten, soweit dieKenntnis dieser Verhältnisse für die Bekämpfung illegalerBeschäftigung erforderlich ist.Wie bereits angedeutet, sollen die Sanktionen ver-schärft werden: Höhere Bußgelder und eine Erweiterungder Straftatbestände bei illegaler Beschäftigung sind vor-gesehen. Bei Schwarzarbeit wird ein Bußgeld von bis zu300 000 Euro angedroht. Das gilt auch für die Erteilungvon Aufträgen für Schwarzarbeit. Illegale Ausländer-beschäftigung ist bereits dann eine Straftat, wenn mehrals drei Ausländer länger als 14 Tage illegal beschäftigtwerden.Des Weiteren ist vorgesehen, die Zuständigkeit derWirtschaftsstrafkammern auf Arbeitsmarkttatbestände zuerweitern. Die Abwicklung aufgedeckter Fälle illegalerBeschäftigung wird künftig dadurch erleichtert, dass kraftGesetzes ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart gilt, wennbei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversiche-rungsbeiträge nicht gezahlt wurden. Der Hauptunterneh-mer im Baubereich – das wurde ebenfalls schon ange-deutet –, der so genannte Generalunternehmer, haftetkünftig für die Sozialversicherungsbeiträge, die ein Nach-unternehmer, ein so genannter Subunternehmer, für des-sen Arbeitnehmer nicht abgeführt hat.Diese Haftung ist verschuldensabhängig: Wenn derHauptunternehmer nachweist, dass er aufgrund sorgfäl-tiger Prüfung ohne eigenes Verschulden davon ausgehenkonnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflichterfüllt, haftet er nicht. Damit wird zugleich eine Geset-zeslücke geschlossen: Seit dem 1. Januar 1999 haftet imBaubereich der Hauptunternehmer unmittelbar, wenn dervon ihm beauftragte Nachunternehmer das Mindestent-gelt der Arbeitnehmer und die Beiträge an die Sozialkas-sen der Bauwirtschaft nicht gezahlt hat. Seit dem 1. Ja-nuar 2002 muss im Baubereich der Hauptunternehmer zurSicherung der Steueransprüche gegen den Nachunterneh-mer 15 Prozent der Rechnungssumme des Nachunterneh-mers abziehen und an das Finanzamt abführen.Um klarzustellen, was wir hier machen: Es gibt die Ge-neralunternehmerhaftung schon beim so genannten Min-destlohn, bei den Sozialbeiträgen an die so genanntenBaukassen und im Steuerrecht hinsichtlich der zu zahlen-den Lohnsteuer. Unser Gesetzentwurf sieht vor, dieseHaftung auf die Sozialversicherungs- und die Steuerleis-tungen insgesamt auszudehnen.Last, but not least: Von öffentlichen Bauaufträgensollen Bewerber für eine Dauer von vier Jahren ausge-schlossen werden, wenn gegen sie wegen illegaler Be-schäftigung eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Mo-naten, eine Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen odereine Geldbuße von wenigstens 2 500 Euro verhängt wur-de. Damit wird deutlich: Wir werden es nicht mehr hin-nehmen, dass illegale Beschäftigung oder Schwarzarbeitals Kavaliersdelikt abgetan werden. Ich hoffe, dass dasnun völlig klar ist.
Wie Ihnen bekannt ist, hat der Bundesrat den Gesetz-entwurf in seiner Stellungnahme grundsätzlich begrüßt.Ich empfehle insbesondere den Kolleginnen und Kolle-gen von der Union, sich die einzelnen Anmerkungen desBundesrates anzuschauen und dabei zu berücksichtigen,wie sich manche Bundesländer verhalten haben. Ich ver-weise auf Bayern, das die Strafbarkeit vom ersten Tag derBeschäftigung illegaler Ausländer gefordert hat.Die vom Bundesrat geäußerten Vorschläge und Prüf-bitten zielen auf die weitere Verbesserung bei derBekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarz-arbeit. Kernpunkte sind Forderungen, die Ahndungsvor-schriften zu verschärfen sowie das Vergaberecht zu mil-dern. Die Bundesregierung hat die Anregungen desBundesrates eingehend geprüft und wird eine Reihe vonihnen im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgreifen.Soweit der Bundesrat fordert, die Nutzung des Vergabe-rechts zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung einzu-schränken, prüft die Bundesregierung den Vorschlag, dieAusschlussfrist für die Teilnahme am Wettbewerb vonvier, wie im Entwurf des Tariftreuegesetzes, auf drei Jahrezu verkürzen.Der Einführung eines Schwellenwerts von 50 000 Eurobei öffentlichen Aufträgen kann aus ordnungspolitischenGründen hingegen nicht zugestimmt werden. Viele kleineUnternehmen, insbesondere des Handwerks, leben na-hezu ausschließlich von Aufträgen, die unterhalb diesesSchwellenwerts liegen. Würde die Bundesregierung demVorschlag des Bundesrates folgen, wäre diese nicht geringzu schätzende Zahl von Unternehmen schutzlos der„Schmutzkonkurrenz“ ausgesetzt.
Ebenso können wir dem Änderungsvorschlag des Bun-desrates nicht zustimmen, die zwingende Verpflichtungder Vergabestellen aufzuheben, Auskünfte über Bußgeld-entscheidungen einzuholen.Einer Reihe von Vorschlägen stimmt die Bundesregie-rung zu. So akzeptiert sie im Zusammenhang mit der ge-forderten Verschärfung des Ahndungsrechts den Vor-schlag, die Arbeitsämter und Hauptzollämter bei derVerfolgung von illegaler Beschäftigung durch die Län-derpolizeien unterstützen zu lassen. Die Bundesregierung
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Parl. Staatssekretär Gerd Andres21708
wird auch prüfen, ob ein neuer Straftatbestand bei wieder-holter Schwarzarbeit geschaffen werden soll. Dagegenlehnt sie es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ab, denStraftatbestand bei illegaler Ausländerbeschäftigungauf die Beschäftigung von mehr als einem Ausländer abder ersten Minute auszudehnen, ebenso lehnt sie ein ver-dachtsloses Prüfungsrecht auf Schwarzarbeit ab.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich zum Schluss noch Folgendes sagen: WinstonChurchill, oft zitiert, weil bekannt als Liebhaber vonAphorismen – letztere bezeichnete er als verdaute Wahr-heiten –, soll einmal gesagt haben: „Wer die bessere Ein-sicht hat, darf sich nicht scheuen, unpopulär zu werden.“Dieses Risiko geht die Bundesregierung bei einer be-stimmten Klientel ein, wenn sie diesem Hause heute ihrenGesetzentwurf zur Erleichterung der Bekämpfung vonillegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vorlegt. Ichsage es frei heraus: Bei Leuten, die skrupellos Gesetzebrechen, die bei Steuern betrügen und unser Sozialsystemjährlich um Milliarden bringen, ist diese Bundesregierunggern unpopulär.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl Josef-Laumann, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrterHerr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Ein Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung illegalerBeschäftigung und Schwarzarbeit in Deutschland ist si-cherlich notwendig; denn wir haben es hier mit einemwachsenden und tief greifenden Problem in Deutschlandzu tun. Es gibt Berechnungen, nach denen das Volumender Schwarzarbeit in Deutschland mittlerweile rund350 Milliarden Euro beträgt. Wissenschaftler sagen uns,dass der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlands-produkt bei über 16 Prozent liegen könnte. Das Schlimms-te, was uns die Wissenschaft zu diesem Thema sagt, ist,dass die Tendenz steigend ist.Dass diese Tendenz in Deutschland steigt, während siein anderen europäischen Ländern abnimmt, beweisenauch umfangreiche europäische Studien. So ist in Finn-land, Belgien, Dänemark und Griechenland die Schwarz-arbeit deutlich gesunken,
wohingegen sie bei uns deutlich angestiegen ist. Man gehtdavon aus, dass die Einnahmeausfälle für die Sozialver-sicherungen durch illegale Beschäftigung und Schwarz-arbeit in Deutschland bei weit über 100 Milliarden DMliegen und dass große Beitragssenkungen möglich wären,wenn wir diese Problematik nicht hätten.Deswegen ist es wichtig, über den Bereich derBekämpfung der illegalen Beschäftigung vor allen Din-gen am Bau – den dieser Gesetzentwurf stark im Augehat – hinaus auch einmal darüber nachzudenken, dass wirja nicht nur in diesem Bereich Schwarzarbeit und illegaleBeschäftigung haben, sondern dass es mittlerweile inbreiten Teilen der Bevölkerung, vor allen Dingen imBereich der handwerklichen Dienstleistungen, bei uns inDeutschland einen riesigen Markt für Schwarzarbeit gibt.Das hat nicht nur, aber doch sehr deutlich mit der Ge-setzgebung in Deutschland zu tun. Ich bin wirklich davonüberzeugt, dass durch die Neuregelung der 630-Mark-Jobs
vor allen Dingen diejenigen, die neben ihrer Haupt-beschäftigung einen 630-Mark-Job hatten,
zu Hunderttausenden in die illegale Beschäftigung, also indie Schwarzarbeit, getrieben worden sind.
Ich wette, dass Sie mit Ihren in vielen Bereichen des Steu-errechts getroffenen Entscheidungen – beispielsweise ha-ben Sie die Absetzbarkeit einer Haushaltshilfe wiederzurückgenommen –
hunderttausende Beschäftigte im privaten Haushaltwie-der in die Schwarzarbeit getrieben haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: In dem schwierigen BereichBau muss die Illegalität ganz anders bekämpft werden alsin dem Bereich, über den ich jetzt rede. Wenn es der Poli-tik in Deutschland nicht gelingt, eine praktikable Lösungzu finden, um den privaten Bereich stärker für die offizi-elle Beschäftigung zu öffnen, werden wir an diesem rie-sengroßen Bereich der Schwarzarbeit nur ganz wenig ver-ändern. Die illegale Beschäftigung findet nämlich– neben dem Baubereich – vor allen Dingen im privatenBereich statt.Sie brauchen sich nur einmal die Statistiken der Finanz-ämter anzuschauen, um zu sehen, wie viele private Putz-frauen, für die Abgaben gezahlt werden, in der Bundes-republik Deutschland gemeldet sind. Ich kann Ihnen sagen:Allein in meinem privaten Umfeld und in meiner Heimat-gemeinde gibt es mehr Putzfrauen in Privathaushalten, als
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Parl. Staatssekretär Gerd Andres21709
der gesamten Finanzverwaltung meines Wahlkreises ge-meldet sind. Jeder – auch hier im Bundestag – weiß, dasses dort eine Beschäftigung nach BAT – Bar auf die Tatze –gibt; dies ist mittlerweile die Regel.
Ich befürchte, dass uns, wenn Sie so weitermachen, indiesem Bereich ein ähnlicher Systembruch ins Haus ste-hen wird, wie wir ihn jetzt bei der Arbeitsverwaltung er-leben. Anscheinend haben dort nämlich ebenfalls alle ge-wusst, dass es nicht effizient ist; es ist aber nie etwasgeschehen.
So ist es auch mit Ihrer Politik zur Bekämpfung derSchwarzarbeit. Sie setzen darauf, Gesetze zu verschärfenund Strafen zu erhöhen, anstatt die Rahmenbedingungenfür offizielle Arbeit in Deutschland zu verbessern
und damit die Anreize für Schwarzarbeit bei uns inDeutschland von vornherein nachhaltig zu verschlech-tern.Wir haben im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnungauch in der Vergangenheit schon manche Anhörung überdas Thema illegale Beschäftigung und Schwarzarbeitdurchgeführt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch dieExpertenrunden zur Beurteilung Ihres Gesetzentwurfes,die vor uns liegen, sehr deutlich machen werden, dass esnur mit Sanktionen, Auflagen und Strafen nicht geht. Ichglaube auch, dass wir gemeinsam überlegen müssen, wiewir weiter vorgehen. Vor der Verschärfung des Gesetzeshätte in einem ersten Schritt eigentlich dafür gesorgt wer-den müssen, dass die bestehenden rechtlichen Vorschrif-ten konsequenter umgesetzt werden, dass die Einhaltungschärfer kontrolliert wird und dass viel effektiver gear-beitet wird.
Ich lege mich heute noch nicht fest, wie meine Fraktionam Ende des Beratungsprozesses über diesen Gesetzent-wurf entscheiden wird. Die Problematik auf dem Bauwerden wir sicherlich alle gleich beurteilen. Sie müssensich einmal vorstellen: Wenn die so genannten General-unternehmer eine Rücklage für die Steuern bilden und dieLöhne garantieren müssen sowie dann noch zusätzlichden Sozialversicherungsbeitrag zu leisten haben – wennman es bei der Steuer macht, spricht vieles dafür, es beider Sozialversicherung nicht anders zu machen; das mussich zugeben –, dann müssen sie mehr als 50 Prozent derRechnungssumme für irgendwelche Rücklagen treu-händerisch abgeben. Diejenigen, die Generalunternehmersind, müssten sich also dafür verbürgen.Ich finde, dass an so einem Beispiel deutlich wird,welch verrückten Weg wir in diesen Bereichen mittler-weile einschlagen. Ich glaube, das ist das Herumdokternan Symptomen, aber nicht das Herangehen an die Wurzeldes Problems. Die Wurzel des Problems ist, dass wir unsin der Bundesrepublik Deutschland – in der Tradition un-seres Landes – für ein Sozialsystem entschieden haben, indem die Kosten für die soziale Sicherheit allein durch diemenschliche Arbeit erbracht werden müssen.Wenn es uns nicht gelingt, hier umzusteuern und auchandere Einkommensarten, die heute eine ganz andere Be-deutung haben als damals, als man sich entschieden hatte,es nur auf den Lohn zu beschränken, zu berücksichtigen,wird die Sozialpolitik zur Verteuerung der menschlichenArbeit erheblich beitragen. Die Menschen werden dannversuchen, am Steuer- und Abgabensystem vorbei zu ar-beiten.
Deswegen ist es notwendig, dass wir in dieser Frageder Politik einen ganz anderen Weg gehen, nämlich denWeg der Entlastung der menschlichen Arbeit pro Arbeits-stunde.
Sie haben die Kosten in diesem Bereich mittlerweile nurerhöht. Wenn Sie die Steuern erhöhen und nicht gleich-zeitig die Sozialversicherungsbeiträge senken, wie zum1. Januar dieses Jahres, wenn Ihre Rentenreform schonnach dem In-Kraft-Setzen nicht mehr greift, weil die Ein-nahmeseite nicht stimmt, dann sollten Sie uns auch nichtso viele Ratschläge geben. Wir können uns diese Dingeweiterhin gegenseitig vorwerfen; aber solange wir dastun, errichten wir eine Art Selbstblockade und haben inder Bundesrepublik Deutschland eine gute Konjunkturfür Schwarzarbeit.Deshalb sollten sich beide Seiten dieses Hausesbemühen, nach Lösungen zu suchen, um mehr Arbeit wie-der auf den offiziellen Arbeitsmarkt zurückzuführen.Das wird nur gelingen, wenn die Menschen sehen, dassihnen mehr verbleibt, als sie an Abzügen haben.
Es ist doch heute schon ein Spruch unter vielen Leuten,dass sie bei einer Überstunde lieber die Abzüge ausge-zahlt bekommen möchten als das, was sie netto erhalten.
Solange diese Situation besteht, werden Sie die Schwarz-arbeit in Deutschland nicht effektiv bekämpfen können.Schönen Dank.
Ich erteile das Wort
Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
HerrPräsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-ben bereits im April über einen Entschließungsantrag zurBekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarz-arbeit debattiert und ihn angenommen. Die negativen Fol-gen und Auswirkungen der illegalen Beschäftigung sind injener Debatte geschildert worden und weiterer Handlungs-
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Karl-Josef Laumann21710
bedarf wurde deutlich. Gehandelt werden soll gemäß demnun vorliegenden Gesetzentwurf, der an drei Stellen an-setzt:Erstens. Die Zusammenarbeit der bei der Bekämpfungzuständigen Behörden wird verbessert, die Befugnisse fürdie Arbeitsverwaltung werden ausgeweitet. Dies erwei-tert die Möglichkeiten zur Verfolgung entsprechenderVerstöße.Zweitens. Unternehmer, die der illegalen Beschäfti-gung überführt werden, müssen zukünftig mit erheblichverschärften Sanktionen rechnen.Drittens. Unternehmer im Baubereich stehen zukünftigstärker in der Verantwortung. Um auch bei ihren Subun-ternehmen illegale Beschäftigung nach Möglichkeitauszuschließen, haften sie für die Sozialversicherungs-beiträge von deren Beschäftigten. Diese General-unternehmerhaftung kommt nur dann zur Geltung, wennder Generalunternehmer seiner Sorgfaltspflicht unzurei-chend nachgekommen ist, sprich: wenn er im Vorfeldnicht überprüft hat, ob ein Subunternehmer Sozialversi-cherungsbeiträge abführt.Wir haben uns in diesem Zusammenhang ein Ziel ge-setzt: Wir wollen den Behörden, die damit befasst sind,Instrumente an die Hand geben, mit denen sie Schwarzar-beit effektiv bekämpfen können. Auch der Justiz soll er-möglicht werden, sich entsprechend zu spezialisieren, umder zunehmenden Professionalisierung im Bereich der il-legalen Beschäftigung und Schwarzarbeit begegnen zukönnen. Wir weiten die Sanktionen aus, um eine ab-schreckende Wirkung zu erzielen.Dazu muss ich eines sagen: Gestern gab es hier eine in-nenpolitische Debatte, in der vor allem die Vertreter derCDU/CSU verschärfte Sanktionen und Strafen auf allenFeldern gefordert haben.
Aber auf diesem Feld, auf dem es angezeigt und richtigist, sagen Sie, wir bräuchten solche Sanktionen nicht. Dasist ein Widerspruch und ich weiß nicht, wie Sie diesen er-klären wollen.
Die öffentliche Hand muss vorbildhaft vorgehen;denn sie kann in Zukunft Unternehmern, denen Schwarz-arbeit und illegale Beschäftigung nachgewiesen werden,vier Jahre von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Dassoll insbesondere eine Signalwirkung haben.Herr Laumann, Sie haben eben von Rahmenbedin-gungen gesprochen. Es trifft zu, dass wir bereits die Rah-menbedingungen verbessert haben. Ich will Ihnen einpaar Beispiele nennen: das 1999 beschlossene Entsende-gesetz, die Vorbereitung eines Gesetzentwurfs zur Tarif-treue, die Steuersenkungen, die Stabilisierung der Abga-ben und – nicht zu vergessen – die Reformen auf demArbeitsmarkt mithilfe einzelner Instrumente von Job Ro-tation bis zum Job-Aqtiv-Gesetz. Wir haben alle dieseRahmenbedingungen gesetzt. Welche Vorschläge habenSie dem entgegenzusetzen? Sie haben in Ihrer Rede nuralte Vorschläge aufgeführt, die Sie immer wieder aus derSchublade herausholen und von denen Sie nicht einmalwissen, wie sie wirken sollen. Mit diesen Vorschlägen er-reichen Sie ganz bestimmt eines nicht: die Bekämpfungder Schwarzarbeit.
Für die Schaffung guter Rahmenbedingungen habenwir – das habe ich gerade ausgeführt – einiges getan. Aberwir müssen auch ordnungspolitisch agieren und reagie-ren. Es geht nämlich um große Summen von Geld, das denSozialversicherungen vorenthalten wird. Es geht aberauch um die Wiederherstellung eines gerechten Wettbe-werbs und – mehr noch – um die Erhaltung zahlreicherArbeitsplätze in seriös wirtschaftenden Unternehmen so-wie um die Sicherung der Beschäftigung von zahlreichenBürgerinnen und Bürger in diesem Land. Es geht fernerdarum, fahrlässige Ignoranz gegenüber den Spielregeln ineiner Solidargesellschaft zu bekämpfen. Deshalb bringenwir diesen Gesetzentwurf ein.Wir müssen Schranken setzen und Signale aussenden.Ich denke, an diesem Punkt sollten auch Sie mitgehen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es ist schon seltsam:Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, mithin dieSchattenwirtschaft in unserem Lande, wachsen kräftig.Rund 6,2 Prozent hat dieser Bereich nach Schätzung vonExperten im letzten Jahr zugelegt. Er boomt also regel-recht. Im Gegensatz dazu herrscht in der übrigen Wirt-schaft Flaute. Mit einer Jahreswachstumsrate von wahr-scheinlich durchschnittlich weniger als 0,5 Prozent stehenwir am Rande einer Rezession, möglicherweise schonmittendrin.
Für die Bauwirtschaft, in der nach den Formulierun-gen Ihres Gesetzentwurfes, Herr Dreßen, die illegale Be-schäftigung und die Schwarzarbeit eine besondere Be-deutung haben, sehen die Zahlen sogar noch dramatischeraus. Nach den vom Statistischen Bundesamt am vergan-genen Mittwoch, also vor zwei Tagen, herausgegebenenDaten zur Bauindustrie zeigt sich für das Gesamtjahr2001 – zum Vergleich wurde das Jahr 2000 zugrunde ge-legt – folgendes Bild: Auftragseingang minus 5,1 Prozent,geleistete Arbeitsstunden minus 11,9 Prozent, Gesamt-umsatz minus 7,5 Prozent, Beschäftigte minus 9,1 Pro-zent. Mit nur noch 954 000 liegt die Zahl der Beschäftig-ten im deutschen Baugewerbe erstmals unter 1 Million.Lieber Kollege Dreßen, das ist die aktuelle Lage in derBaubranche. Ich will Ihnen sagen: An dieser Situationsind die Bundesregierung und die rot-grüne Koalitionalles andere als unschuldig.
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Ekin Deligöz21711
Die Einschränkung der Möglichkeiten zur Verlustver-rechnung, die rückwirkende Veränderung von Spekulati-onsfristen, das einseitige Mietrecht, die bürokratischeBauabzugsteuer – man könnte noch viel mehr Punktenennen –: Das alles sind Bausteine, mit denen Sie zu die-ser Situation beigetragen haben.
Vielleicht ist es dieses Schuldgefühl, das die Regierungzum Handeln treibt. Allerdings muss man deutlich sagen:Wie so oft in den letzten Jahren versuchen Sie, das Pro-blem mit zusätzlicher Regulierung und mit mehr Büro-kratie in den Griff zu bekommen.
Es gehört wirklich nicht viel Fantasie dazu, um Ihnen vo-rauszusagen: Auch mit diesem Gesetz werden Sie eineBauchlandung erleiden.
Die Folge wird ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzensein.Dabei sind wir uns einig – das will ich hier feststellen –:Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind keine Lö-sung. Sie führen zu einem unfairen Wettbewerb gegenüberdenjenigen, die sich unter Beachtung der gesetzlichen Vor-schriften und auch in Erfüllung ihrer sozialen Verantwor-tung, etwa was die Sozialversicherungen anbelangt, im täg-lichen Kampf um Aufträge zu behaupten versuchen. DerPunkt ist aber: Man muss das Übel an der Wurzel packenund darf nicht einfach nur die Symptome bekämpfen. Daswerfen wir Ihnen vor.Ihr Gesetzentwurf ist auch – anders als Sie behaupten –nicht kostenneutral für die Bauwirtschaft. Er hat selbstver-ständlich Auswirkungen auf das Niveau der Baupreise. Dahaben Sie es sich in Ihrem Gesetzentwurf ein bisscheneinfach gemacht.
– Herr Brandner, hören Sie einmal zu! – Die Kostener-höhungen beruhen nicht nur auf einem höheren Verwal-tungsaufwand. Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüreder gemäß Ihrem Gesetzentwurf in SGB IV einzufügen-den § 28 a Abs. 3 a, § 28 e Abs. 3 a und § 28 f Abs. 1 a– diese Bezeichnungen sollte man sich einmal auf derZunge zergehen lassen; es wird immer komplizierter – mitden dort begründeten Meldepflichten, Prüfungspflichtenund Aufbereitungspflichten. Nicht nur das ist kostentrei-bend. Ein besonders hohes Kostenrisiko besteht vielmehrauch in der selbst bei größter Sorgfalt nicht auszu-schließenden Haftungsverpflichtung eines Auftragge-bers. Jeder ordentliche Kaufmann wird in seiner Kalku-lation ein solches Risiko berücksichtigen müssen. Wer dasnicht glaubt, sollte einmal die Luftfahrtbranche betrach-ten: Unternehmen dieser Branche lassen natürlich, nach-dem keine staatliche Haftung mehr existiert, Risiko-prämien in ihre Kalkulation einfließen.
Unternehmer des Baugewerbes haften nach Ihrer Vor-lage für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge,und zwar – das ist paradox – nicht nur für die ihrer un-mittelbaren Subunternehmer, sondern auch für die von de-ren Subunternehmern usw., also bis ins letzte Glied. DieLast des Beweises, sich von der ordnungsgemäßen Ab-führung der Sozialversicherungsbeiträge oder zumindestvon der ordnungsgemäßen Planung der Abführung über-zeugt zu haben, liegt bei den Bauauftraggebern. Es wer-den sich interessante juristische Auseinandersetzungenergeben; so viel ist schon jetzt klar.Ich will hier deutlich auf eine Äußerung des Hauptge-schäftsführers des Hauptverbandes der Deutschen Bau-industrie, Herrn Knipper, hinweisen, der in dieser Wochenach unserer Auffassung zu Recht gesagt hat: Dieser Ent-wurf eines Gesetzes gegen die Schwarzarbeit ist verfas-sungswidrig.
Wie gesagt, jeder vernünftig kalkulierende gewerbs-mäßige Bauauftraggeber wird das Haftungsrisiko sowiedie Kosten, die bei der Überprüfung seiner Subunterneh-mer entstehen, in die Kalkulation einfließen lassen. Dasheißt im Klartext – das ist das Ergebnis rot-grüner Politik –:Bauen wird wieder einmal teurer werden. Für das gleicheGeld gibt es weniger Haus, weniger Straße und wenigerBauvolumen. Wichtige Infrastrukturmaßnahmen der öf-fentlichen Hand müssen gestreckt werden. Manches pri-vate Investitionsprojekt bleibt auf der Strecke, weil es sichnicht mehr rechnet. So kann man die Nachfrage nach Bau-leistungen erfolgreich zum Erliegen bringen.
Neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze werdenSie mit diesem Gesetzentwurf garantiert nicht schaffen,jedenfalls nicht im Bausektor. Neue Arbeitsplätze entste-hen allenfalls in Anwaltskanzleien.Ich finde es fatal, dass Sie den Druck vor allem auf mit-telständische Bauunternehmen, denen es bereits jetztschlecht geht, noch einmal erhöhen. In Ihrem Gesetzent-wurf wird die Bedeutung der Freistellungsbescheini-gung nach § 48 b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuerge-setzes weiter gestärkt. Die im Zusammenhang mit derBauabzugsteuer eingeführte Freistellungsbescheinigunggilt nämlich, so ist es in der Begründung zu lesen, als In-diz dafür, dass der Subunternehmer seiner Pflicht zurordnungsgemäßen Abführung der Sozialversicherungs-beiträge nachkommen wird. Das heißt im Umkehr-schluss: Wer die Freistellungsbescheinigung nicht hat, giltals unzuverlässig und bleibt bei der Auftragsvergabeaußen vor. Niemand will schließlich riskieren, in die Haf-tung genommen zu werden.
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Dr. Heinrich L. Kolb21712
Wie ich eingangs sagte: Man muss die Probleme an derWurzel packen und sollte nicht nur Symptome angehen.Wer illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit unattraktivmachen will, der muss dafür sorgen, dass legale Arbeitbilliger wird und dass sich legale Arbeit lohnt. Dazubraucht es entschiedener Steuersenkungen, wirklicher Re-formen der Sozialversicherung und weniger Regulierungdes Arbeitsmarktes.
Senken Sie also die Sozialversicherungsabgaben unter40 Prozent!
Das hatten Sie ja einmal ausweislich Ihrer Koalitionsver-einbarung vor. Sorgen Sie für eine wirklich einfache undgerechte Steuerreform, die den Mittelstand entlastet, undbelasten Sie nicht die Bauwirtschaft zusätzlich in solchexistenzvernichtender Weise! Ich befürchte aber, dass Siedazu nicht mehr die Kraft haben. Sie haben auch nicht dienötige Zeit – sieben Monate sind nicht viel. Wir werdenhier nach dem 22. September 2002 für Abhilfe sorgen.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Über das Ziel, Schwarzarbeit undillegale Beschäftigung zu bekämpfen, sind wir uns sicheralle einig. Nur über den Weg könnte man streiten. Bei die-sem Gesetzentwurf müssen wir also fragen: Ist der Weg,der gegangen werden soll, auch angesichts der Erfahrun-gen, die wir mit dem geltenden Gesetz gemacht haben,richtig?Nun heißt Schwarzarbeit ja „Schwarzarbeit“, weil sieim Dunkeln stattfindet. Bereits Bertolt Brecht wusste inder „Dreigroschenoper“ zu sagen: Die im Dunkeln siehtman nicht.
In diesem Sinne haben wir im Ausschuss für Arbeit undSozialordnung wiederholt festgestellt, dass wir überSchwarzarbeit und illegale Beschäftigung nichts Genaueswissen. Hier gilt also das Sprichwort: Nichts Genauesweiß man nicht.Erstens. Alles gründet sich auf Vermutungen und Be-rechnungen, die nicht nachvollziehbar sind. Deshalb müs-sen wir schon nachprüfen, ob denn die Angaben wirklichzutreffen.Zweitens. Schwarzarbeit ist nicht gleich Schwarzarbeitund illegale Beschäftigung nicht gleich illegale Beschäf-tigung. Ich möchte schon unterscheiden zwischen demje-nigen, der schwarzarbeitet, um zu gehobenem Wohlstandzu kommen, und demjenigen, der schwarzarbeitet, umsich und seine Familie über Wasser zu halten.
Für den letzteren Fall gibt es Beispiele zur Genüge.Schwarz oder illegal wird häufig gearbeitet für Hunger-löhne, für ein Taschengeld, unter unwürdigen Bedingun-gen. Es ist kein Vergnügen, wie man es hier manchmalherauszuhören glaubt. Damit ist keine erstrebenswerteLebensgestaltung möglich. Finanziell bleiben die Men-schen weit abgeschlagen. Schwarzzuarbeiten entspringtnicht dem Wunsch der Menschen.Deshalb sehen wir einen Ansatz darin – das wäre eineMöglichkeit gewesen –, einen Gesetzentwurf zur Förde-rung von Beschäftigung und zur massenhaften Schaffungvon Arbeitsplätzen vorzulegen. Wenn es hinreichend vieleArbeitsplätze gibt, können zumindest diejenigen, die nurdeshalb schwarzarbeiten, weil sie überleben müssen undweil nichts anderes angeboten wird, in das normale Ar-beitsleben eingegliedert werden – bitte schön zu existenz-sichernden Löhnen! Selbst wenn das neue Gesetz, so wieSie es formuliert haben, greifen sollte, wird es nur einenwinzigen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen leis-ten. Ich weiß auch nicht, ob damit die Schwarzarbeit we-sentlich bekämpft werden kann.Außer den Zahlen, die darin genannt sind – Anstieg derSchwarzarbeit auf 16 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts –, haben wir auch Kenntnisse darüber, welche Sank-tionen verhängt worden sind und in welchem Umfang sierealisiert worden sind. Das Ausmaß der verhängten Sank-tionen hat sich mehr als vervierfacht, die Summe, die da-durch realisiert werden konnte, hat sich nicht einmalverdoppelt. Genau daran wird das Problem sichtbar: Sank-tionen – da stimme ich Ihnen, Herr Kollege Kolb, völligzu – sind nicht der richtige Weg. Statt Sanktionen brauchenwir Prävention. Auf Prävention ist dieser Gesetzentwurfaber nun wahrlich nicht ausgerichtet.Es bleibt auch dahingestellt, ob die selbstschuldneri-sche Haftung mit der Verfassung in Übereinstimmung zubringen ist. Genauso ist zu prüfen, ob der Datenabgleich,den Sie im Hinblick auf die illegale Beschäftigung auslän-discher Bürger vorsehen, mit dem Datenschutz in Über-einstimmung zu bringen ist. Alles das muss geprüft wer-den, wenn die Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden soll.Es gibt ein weiteres Problem, auf das ich aufmerksammache; Kollege Kolb hat es schon in etwa angedeutet.Wenn ein Großunternehmen für seine Nachunternehmerhaften soll, dann wird es sich bei den kleinen und mittel-ständischen Unternehmen, die die Aufträge annehmen,selbstverständlich absichern wollen. Insofern ist die Si-tuation in meinem Wahlkreis symptomatisch für dieneuen Bundesländer. Wenn dort von kleinen oder mittel-ständischen Unternehmern gefordert wird, diese Haftungzu übernehmen und einen entsprechenden Betrag bei demGroßauftraggeber zu hinterlegen, dann sind sie am Ende.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Dr. Heinrich L. Kolb21713
Das können sie nicht leisten. Man muss also im Auge be-halten, ob das so machbar ist. Ich glaube, dass dies eherschädlich ist. Deshalb muss man überprüfen, ob damit dasZiel, das Sie anvisieren, erreicht wird.Ich will ein weiteres Problem ansprechen, das dieserGesetzentwurf aufwirft. Der Gesetzentwurf tangiert einaltes Thema, nämlich die aus dem Mittelalter stammendeund immer mehr unzeitgemäße Ordnung des deutschenHandwerks.
– Das hat etwas damit zu tun, dass die Handwerksord-nung den Notwendigkeiten eines modern operierendenHandwerks nicht mehr Rechnung trägt. Man muss in dieHandwerksrolle eingetragen sein. Wenn man arbeitet,ohne eingetragen zu sein, gerät man in den Bereich der il-legalen Beschäftigung. Damit sind im GesetzentwurfSanktionen – ich hoffe, ich habe es richtig im Kopf – vonbis zu 100 000 Euro verbunden.Illegale Beschäftigung am Bau hat offensichtlich einbedrohliches Ausmaß angenommen. Dazu ist viel gesagtworden. Das kostet viele qualifizierte Bauarbeiter denJob. Gerade hier den Arbeitnehmerschutz zu erhöhen,Dumpinglöhne und mangelhaften sozialen Schutz zu un-terbinden findet unsere Zustimmung. Es ist richtig, denUnternehmer in die Pflicht zu nehmen, aber das muss ver-träglich sein und darf keine Arbeitsplätze kosten.Der Präsident signalisiert mir das Ende meiner Rede-zeit. Daher rede ich jetzt „in Schwarzarbeit“ weiter. Las-sen Sie mich betonen: Alles in allem verkennen wir nicht,dass durch illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit indem geschilderten Ausmaß erheblicher gesellschaftlicherSchaden angerichtet wird. Vor diesem Hintergrund mussder Gesetzentwurf ausgewogener gestaltet werden.
Ich erteile der Kolle-
gin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das erste Maleine Studie über das Ausmaß der Schwarzarbeit in derBundesrepublik Deutschland gelesen habe, habe ich de-ren Ergebnisse angezweifelt, obwohl die dargelegte Me-thodik und die gesetzten wissenschaftlichen Prämissendurchaus plausibel erschienen.
Ich habe mir daraufhin verschiedene andere Untersu-chungen angeschaut und musste einsehen: Die gewonne-nen Erkenntnisse stimmen zumindest der Richtung nach.Die Wirtschaftswissenschaften umschreiben den Sachver-halt der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik Deutschlandmit folgenden statistischen Daten:Erstens. Das Schwarzarbeitvolumen macht circa16 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsproduktes aus.Dies entspricht einem Volumen von 336 Milliarden Euroim Jahr 2001. Diese Bilanz zieht das Institut für Ange-wandte Wirtschaftsforschung.
Zweitens. Herr Laumann und Herr Dr. Kolb, hören Siejetzt ganz genau zu. Sie können etwas lernen.
Seit dem Jahr 2000, also nach In-Kraft-Treten der rot-grü-nen Steuerreform, wächst die Schattenwirtschaft zumersten Mal seit den 80er-Jahren nicht stärker als die offi-zielle Wirtschaft.
In den vergangenen Jahren ist dagegen die Schattenwirt-schaft drei- bis viermal schneller als die offizielle Wirt-schaft gewachsen. Dieses Ergebnis teilt ebenfalls das In-stitut für Angewandte Wirtschaftsforschung mit. IhrPolitikansatz, Herr Kolb, erweist sich als komplett un-richtig.
Drittens. Betrachtet man die Schattenwirtschaft imBaugewerbe im Bundesland Brandenburg, so erzieltediese eine Wertschöpfung, in einem Umfang von 25 Pro-zent der offiziellen Wertschöpfung. Der Umfang derSchattenwirtschaft in Berlin beträgt sogar 53 Prozent deroffiziellen Wertschöpfung, so Professor Schneider vonder Universität Linz.Viertens. Im Bundesland Brandenburg werden im Bau-gewerbe circa 112 Millionen Stunden Schwarzarbeit ge-leistet, in Berlin circa 132 Millionen Stunden. Das ent-spricht für Brandenburg 64 000 Vollzeitschwarz-arbeitsplätzen bei 91 000 offiziell Beschäftigten. Der ent-sprechende Wert für Berlin lautet 75 000 Schwarzarbei-terstellen und 67 000 legale Arbeitsplätze. Diese Erkennt-nisse gehen wiederum auf Professor Schneider zurück.Diese Zahlen sind leider nicht nur Statistik, sonderndokumentieren auch einen immer wieder von den Ge-werkschaften, den Verbänden, den Industrie- und Han-delskammern und den Unternehmen beschriebenen undbeklagten Prozess.
Der ruinöse Wildwestwettbewerb gerade im Bereich derBauwirtschaft hat dazu geführt, dass nur Unternehmenüberleben, die mittels Mischkalkulationen mehr Billig-subunternehmer mit illegalen Beschäftigten als ihre Mit-bewerber einkalkulieren.
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Dr. Klaus Grehn21714
Die in Gang gesetzte Spirale der illegalen Beschäfti-gung vernichtet permanent legale Beschäftigungsverhält-nisse und verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze.Legal beschäftigte Arbeitnehmer können im Lohnkonkur-renzkampf mit den illegalen, die bei den Stundenverrech-nungssätzen bis zu 50 Prozent billiger sind, nicht beste-hen. Der Leiharbeitsbericht der Bundesregierung gehtdavon aus, dass in den letzten vier Jahren allein im Bau-gewerbe mindestens 170 000 legale Stellen durch diesenProzess vernichtet worden sind.Massive Verstöße gegen zwingende Tarifverträge, ge-gen Arbeitnehmerschutzgesetze und die Umgehung ar-beitsschutzrechtlicher Normen sind gerade in der Bau-branche tagtägliche Realität. Viele Unternehmen denken,dass sie sonst nicht dem Wettbewerb standhalten können.Das Hauptzollamt Bamberg hat errechnet, dass derjährliche volkswirtschaftliche Schaden zulasten der So-zialversicherungsträger, der Bauberufsgenossenschaft so-wie des Finanzamtes bei durchschnittlich 40 000 Euro jeGanztagsschwarzarbeiter liegt. Der öffentlichen Handentgehen jedes Jahr etwa 125 Milliarden Euro. DasHauptzollamt Bamberg stellt weiter fest, dass je nach il-legaler Beschäftigungsform häufig – gerade an ausländi-sche Bürger – nur Nettolöhne von 4 Euro, 3 Euro, 2,5 Euround weniger bezahlt werden. Dass damit menschlicheSchicksale einhergehen, ist klar.Der Skandal hat aber einen Namen. Der Name lautetKohl-Regierung.
Die eben zitierte Studie belegt eindeutig, dass dieCDU/CSU über 16 Jahre das rasante Wachsen desSchwarzarbeitsektors hat geschehen lassen,
ohne wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sie hat zu-geschaut.
Der Schuldspruch lautet: politisch verantwortlich durchUnterlassen.
Die Studie hebt im Umkehrschluss die Arbeit der rot-grünen Koalition hervor. Angesichts der weiterhin drama-tischen Zahlen können wir es dabei aber nicht bewendenlassen. Lohndumping, Beitragsbetrug und Steuerhinter-ziehung sind konsequent und zielgenau anzugehen.Weil wir wieder Chancengleichheit für legal arbeitendeBeschäftigte und legal arbeitende Unternehmer wollen,brauchen wir eine verschuldensabhängige Generalun-ternehmerhaftung im Baubereich für Sozialversiche-rungsbeiträge der Arbeitnehmer. Weil wir wieder Chan-cengleichheit für legal arbeitende Beschäftigte und legalarbeitende Unternehmer wollen, brauchen wir denlangjährigen Ausschluss von schwarzen Schafen derBranche bei öffentlichen Bauaufträgen.
Weil wir wieder Chancengleichheit wollen, brauchen wireinen größeren Sanktionsrahmen und eine Erweiterungder Straftatbestände bei illegaler Beschäftigung. Den ho-hen Gewinnchancen muss eine angemessene Ab-schreckung gegenüberstehen.Justiz und Behörden brauchen Chancen, um Recht undOrdnung wieder herzustellen.
Deshalb räumen wir ihnen jetzt die Möglichkeit der ver-besserten Zusammenarbeit und der verbesserten Informa-tion ein.Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesetz-entwurf baut nicht auf Misstrauen gegenüber den Unter-nehmen auf. Vielmehr geht es darum, dass die Verant-wortlichen mehr Verantwortung für die Verhältnisseübernehmen, derer sie sich bedienen. Er ist ein wichtigerund guter Schritt in Richtung faire Wettbewerbsbedin-gungen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Franz Romer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! IllegaleBeschäftigung und Schwarzarbeit bescheren uns in jedemJahr erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Ten-denz ist steigend.
Dass hier etwas getan werden muss, ist jedem klar.Frau Kollegin, was Sie soeben berichtet haben, ist wieso oft in den vergangenen Wochen ein Ergebnis Ihrerrückwärts gewandten Politik.
Eine Fülle von Aussagen sind überhaupt nicht nachvoll-ziehbar.
Das Gesetz allein kann die Misere auf dem Arbeitsmarktund bei den Sozialkassen natürlich nicht lösen. Ich werdejetzt nicht lange auf die desolate Lage in unserem Landeingehen; die Zahl von 4,3 Millionen Arbeitslosen sprichtfür sich. Man kann nur hoffen, dass die Bekämpfung derSchwarzarbeit ihren Teil zur Schaffung legaler Arbeits-verhältnisse beiträgt.
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Anette Kramme21715
Ich weise ferner darauf hin, dass die Regierung mitihrem Gesetzentwurf etwas bekämpfen muss, wassie durch ihre bisherige Politik, durch Gesetze wie das325-Euro-Gesetz und durch mehr Bürokratie leider selbstvorangetrieben hat.
Sehen wir uns einmal die Instrumente an, mit denen dieBundesregierung die Schwarzarbeit bekämpfen will.Gleich an erster Stelle des Gesetzentwurfes ist zu lesen,dass die Bundesanstalt für Arbeit neue Befugnisse be-kommen soll. Was wollen Sie der Bundesanstalt dennnoch alles auferlegen? Ist Ihnen denn überhaupt bewusst,wie viele Aufgaben die Bundesanstalt bereits jetzt wahr-nimmt?Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen: Mir istnicht wohl dabei. Eine Bundesanstalt, die die Erfolge ihrerArbeit in der Vergangenheit falsch dargestellt hat, muss ersteinmal in den eigenen Reihen aufräumen. Zur Verfolgungvon illegaler Beschäftigung ist sie leider, zumindest zurzeit,wohl nicht geeignet und auch nicht in der Lage.
Ein Blick in die heutige Presse genügt. Mir gefällt die Al-ternative, die Behörden der Zollverwaltung vermehrt indie Verantwortung zu nehmen, wesentlich besser.
Auch sind die Verbindung und die Durchlässigkeit zuallen Sozialsystemen sowie zu den jeweiligen Organisa-tionen der Handwerkskammern und zu den IHKs drin-gend geboten. Denn nur so lassen sich bei den Subunter-nehmen schon im Vorfeld Illegalität und schwarze Schafefeststellen.Wichtig und im Gesetzentwurf auch vorgesehen sindverschärfte Sanktionen. Über die Abschreckungswirkunglässt sich sicher streiten. Höhere Strafen schrecken nurdann ab, wenn sie mit verschärften Kontrollen einhergehen.Denn viele Unternehmen, die mit illegal Beschäftigtenhohe Gewinnspannen haben, lassen sich durch möglicheSanktionen nicht abhalten. Das sieht anders aus, wenn dieWahrscheinlichkeit, überführt zu werden, zunimmt.Aus meiner Sicht sind also verschärfte Kontrollen amwichtigsten. Für diese Aufgaben sind die Behörden derZollverwaltung sicher gut geeignet. Die Unabhängigkeitder Verfolgungsbehörden muss gewahrt sein. Dieschwarzen Schafe, die erwischt werden, müssen zumin-dest durch hohe Geldbußen ein wenig zur Schadensmini-mierung beitragen.
Angemessen ist, dass der Gesetzentwurf einen beson-deren Schwerpunkt im Baugewerbe setzt. Die Bauunter-nehmer selbst sollen sich nicht mehr hinter dem Subun-ternehmer verstecken können. Die Haftung desGeneralunternehmers ist sicher ein geeignetes Mittel,Ordnung in das Baugewerbe zu bringen.
Auch der Ausschluss von der Vergabe der begehrtenöffentlichen Aufträge für die Dauer von vier statt bisherzwei Jahren klingt vielversprechend. Dies haben Bewer-ber zu erwarten, die wegen illegaler Beschäftigung zu ei-ner bestimmten, nicht geringen Strafe verurteilt wurden.Neu und auch sehr begrüßenswert ist, dass Unterneh-men mit illegal Beschäftigten auch aus laufenden Verträ-gen entlassen werden können. Welche Konsequenzen diesbei öffentlichen Aufträgen hat, ist noch abzuklären. Denndie Neuvergabe kann mit Mehrkosten verbunden sein.Die günstigen Preise des gekündigten Unternehmens ba-sieren ja auf seinen illegalen Machenschaften.Die Verwirklichung des Ziels, illegale Beschäftigungeinzudämmen, darf aber nicht wieder zu mehr Bürokratieführen.
Denn genau diese führt, genauso wie die Kostenseite, zumehr Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Wirwissen ja: Bürokratie ist Schröders Liebling.
Sie muss verhindert werden.Deshalb ist es besonders wichtig, dass die zunehmendeBürokratie auf dem Arbeitsmarkt aufgebrochen wird,damit es sich wieder lohnt, legal zu arbeiten. Die Abgabensind allgemein zu hoch.
Es bleibt einfach zu wenig im Geldbeutel. Deshalb ist esfür viele unattraktiv, überhaupt zu arbeiten oder abereinen Zusatzverdienst ordnungsgemäß anzumelden.
Leichter ist es, wenn man sofort in die Schwarzarbeitgeht.Der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsproduktbeträgt inzwischen 16,5 Prozent. Das entspricht 350 Mil-liarden Euro. An einem Arbeitsmarkt, der Schwarzarbeitin diesem Ausmaß benötigt, stimmt etwas nicht.
Der Gesetzentwurf muss deutlich machen, was illegaleBeschäftigung und was Schwarzarbeit ist. Es muss näm-lich sichergestellt werden, dass das Gesetz letztendlichauch den Richtigen trifft. So befürchten beispielsweiseunabhängige Handwerker und Handwerkerinnen, dasssie wegen unklarer Formulierungen zu Unrecht von demGesetz erfasst werden. Dies hätte für sie existenzbedro-hende Konsequenzen. Die Unklarheiten bestehen nichtbei den eingetragenen Handwerksbetrieben, sondern beiden Betrieben, die sich laut Gesetz ausnahmsweise nicht
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Franz Romer21716
in die Handwerksrolle eintragen lassen müssen. Dies istzum Beispiel bei einfachen handwerklichen Tätigkeitensowie bei einem unerheblichen Nebenbetrieb der Fall.In dem vorliegenden Gesetzentwurf sollte klar zumAusdruck kommen, dass es sich bei diesen hand-werksähnlichen Betrieben um eine erlaubte Tätigkeit han-delt. Auch die Höhe des Bußgeldes sollte dem Umfangdes Betriebes angemessen sein. So sollte sich der Buß-geldkatalog für handwerksähnliche Betriebe eher an denBußgeldern für die übrigen Gewerbebetriebe orientieren.Die zahlreichen offenen Fragen sind zu erörtern. Wirwerden die Probleme bei der Anhörung zu diesem Themaaufzeigen. Die Fragen müssen in die weiteren Beratungeneinfließen und berücksichtigt werden. Positiv ist – ich be-grüße dies ausdrücklich –, dass dieser längst fällige Vor-stoß überhaupt vorgenommen wird. Vielleicht ist der vor-liegende Gesetzentwurf ein Schritt zu einer Verbesserung.Ich bedanke mich.
Ich erteile der Kolle-
gin Franziska Eichstädt-Bohlig vom Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.
legen! Ich war sehr erfreut über den Beitrag des Kollegen
Romer, aber sehr entsetzt über den Beitrag des Kollegen
Kolb.
Ich glaube, der Unterschied liegt darin: Wir müssen end-
lich begreifen, dass wir nicht immer fordern können, es
müsse alles billiger werden, und dass wir nicht immer sa-
gen dürfen, Deregulierung werde das schaffen.
Wir sind insbesondere in der Bauwirtschaft in der Situa-
tion einer Kostenkonkurrenz und eines Preisdumpings,
die die Illegalität regelrecht ermuntert. An dieser Stelle
muss endlich gehandelt werden. Es stimmt – Frau
Kramme, Sie haben es vorhin gesagt –: Eigentlich hätte
schon unter der letzten Regierung gehandelt werden müs-
sen. Wir sollten das Problem auch sehr ernst nehmen. Ich be-
grüße es – das wird von der CDU/CSU auch so gesehen –,
dass noch einmal geprüft werden soll, ob Bürokratie
durch das Gesetz angemessen reduziert worden ist. Ich
halte das für eine ernste Frage. Man darf aber nicht so tun,
als könnten wir mit weiterer Deregulierung die Probleme
lösen, vor denen wir heute stehen.
Die Probleme durch Schwarzarbeit sind ausführlich
angesprochen worden; ich brauche die Zahlen daher nicht
noch einmal zu erwähnen. Ich möchte aber deutlich sa-
gen, dass all denen in der Bauwirtschaft, die sehr korrekt
arbeiten, die ihr Unternehmen solide führen und eine
Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrecht erhalten
wollen, nicht länger zuzumuten ist, ständig in Konkurrenz
mit Geschäftemachern zu stehen, die sie durch illegale
Praktiken – im Wesentlichen ist das der Versuch, durch
Lohndumping Sozialversicherungsbeiträge und Steuerab-
gaben zu umgehen – schädigen. Insofern ist das nicht nur
ein Problem der Arbeitnehmer und der politisch Verant-
wortlichen, sondern auch ein Problem der Wirtschaftskul-
tur – speziell der Bauwirtschaft – in unserem Land. Wir
wollen die betroffenen Unternehmen schützen und stär-
ken, damit sie nicht geschädigt werden. Ich glaube, das
Thema Wirtschaftskultur muss in diesem Lande endlich
wieder diskutiert werden.
Frau Kollegin Eich-
städt-Bohlig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Kolb?
in dieser Debatte etwas Sinnvolles gelernt hat.
Frau Kollegin, ich wollteSie fragen, ob Sie bereit sind, zu den Ausführungen vonHerrn Knipper, dem Geschäftsführer des Hauptverbandesder Deutschen Bauindustrie, Stellung zu nehmen, der ge-sagt hat, mit der von Ihnen vorgelegten Regelung stehlesich der Staat aus der Verantwortung. Er sagt, dieser Ge-setzentwurf sei mittelstandsfeindlich, aber Sie haben ge-sagt, Sie wollen den Unternehmen helfen. Offensichtlichsehen das diejenigen, denen Sie helfen wollen, nämlichdie Unternehmen, anders. Ihr Vorhaben, so Knipper,belaste die Unternehmen zusätzlich und es werde die Li-quidität und der Kreditrahmen auch seriöser Nachunter-nehmen erheblich eingeschränkt.Frau Kollegin, ich frage Sie: Sehen Sie diese Problemenicht? Sehen Sie nicht, dass Sie mit diesem Gesetzentwurfam Problem vorbei handeln?
bedenken, dass verschiedene Verbände und Unternehmendies unterschiedlich sehen. Ich habe sehr deutlich gesagt,dass ich insbesondere im Interesse des Mittelstands rede,der sich für einen soliden Wirtschaftsraum engagiert, ummit einer korrekten Finanzierung und Bezahlung vonLöhnen und Gehältern und den zugehörigen Sozialabga-ben und Steuern seine Wirtschaftskultur zu pflegen. Des-wegen habe ich sehr wohl gesagt, dass ich es für richtighalte, in der Beratung sehr genau zu prüfen, inwieweit derbürokratische Aufwand angemessen ist und ob es richtigist, die Zollverwaltung statt die Arbeitsverwaltung und dieArbeitsämter einzusetzen.
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Franz Romer21717
Aber wenn einfach gesagt wird: Das kostet uns wiederein paar Groschen und deswegen ist es schlecht;
deshalb werden wir das Sub- und Subsubunternehmertumweiterhin pflegen, dann sollte die FDP einmal prüfen, obsie nicht der Aufforderung zur Illegalität regelrecht Vor-schub leistet.
– Das ist nicht verfassungsfeindlich. Es gibt eben dasDreiecksverhältnis zwischen dem Staat mit seinem Steu-eraufkommen und solider Finanzierung einerseits, dervernünftigen Entlohnung der Beschäftigten in unseremLande andererseits und der Konkurrenz zwischen denen,die meinen, ihr Geld durch Schwarzarbeit erwirtschaftenzu können, und denen, die ihren Platz im Wirtschaftssys-tem haben und ihr Geld auf ehrliche Art verdienen. DieSchwarzarbeit müssen wir eindämmen Es müssen kor-rekte Linien eingezogen werden. Das halte ich für richtig.Insofern halte ich den Gesetzentwurf im Prinzip für un-terstützenswert.
Ich habe es eben bereits deutlich gesagt: Wir müssenprüfen, inwieweit der bürokratische Aufwand noch etwasreduziert werden kann. Hier sind wir durchaus verhand-lungs- und gesprächsbereit. Aber die alte FDP-Formel„Mehr Deregulierung bringt preiswertere Angebote unddeswegen mehr Arbeit für die Bauwirtschaft“ ist eine Pri-mitivformel, mit der wir die Wirtschaft in unserem Landkaputtmachen und die solide arbeitenden Unternehmen ineine immer stärkere Konkurrenz zu denjenigen bringen,die nicht solide wirtschaften.
Ich hoffe, dass auch die FDP endlich lernt, dass wir einStück Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrechterhal-ten wollen. Deswegen halte ich es für richtig und forderedie Bauwirtschaft – auch den Verband von HerrnKnipper – auf, dieses Gesetz mit zu unterstützen; die mit-telständische Bauwirtschaft macht dies bereits sehr aktiv.Dann bekommen wir im Umgang damit wirklich eineTrendwende. Dass wir das Sub- und Subsubunternehmer-tum einschränken müssen, lernen Sie hoffentlich auchmitzutragen.Ich sage – auch im Hinblick darauf, dass wir nicht nurdieses eine Gesetzeswerk diskutieren, sondern dass es,wie bereits ausgeführt worden ist, mit der Bauabzugs-steuer und dem Gesetz zur Tariftreue, das wir noch disku-tieren werden, im Zusammenhang steht – noch eines ganzdeutlich. Es ist richtig, dass dadurch auch ein Stück weitKosten entstehen. Aber sie stehen in einer angemessenenRelation zu dem, was die Gesellschaft für Bauleistungenzahlt – das gilt auch für andere –, und dem, was wir wol-len, nämlich dass unsere Arbeitnehmer und Beschäftigtenfür ihre Entlohnung eine solide Sozialversicherung, Al-tersversorgung und Gesundheitsvorsorge erhalten und derStaat korrekt seine Steuern erhält. Wir haben die Aufgabe,dafür zu sorgen, dass dieses Dreiecksverhältnis solide ge-pflegt und dass nicht ständig die Konkurrenz vergrößertwird und wir uns gegenseitig kaputt konkurrieren.
Insofern tut die Regierung etwas für die neue Wirt-schaftskultur. In diesem Sinne hoffe ich, dass auch dieOpposition mehr und mehr lernt, dass dies der richtigeWeg ist.
Ich erteile dem Kolle-
gen Klaus Wiesehügel von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-dent! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchtezunächst einmal der Bundesregierung danken, dass siediesen Gesetzentwurf eingebracht hat. Er ist auf eine Ini-tiative dieses Hauses zurückgegangen und wird den Rah-men dafür setzen, dass wir die illegale Beschäftigung unddie Schwarzarbeit wirksam bekämpfen können.
Bei Schwarzarbeit haben wir es mit einem Phänomenzu tun. Eigentlich sind alle dagegen. Eigentlich will nie-mand die Schwarzarbeit,
aber wenn es um die Bekämpfung der Schwarzarbeit geht,zeigt jeder auf den anderen und niemand will wirklicheEinflussnahme und entsprechende Gesetze, die das Ganzebeseitigen würden.
In der vergangenen Legislaturperiode zum Beispielgab es die so genannte Blüm-Kampagne, in der umfang-reich plakatiert wurde, dass es sich nicht um ein Kava-liersdelikt handelt. Die gesamte Kampagne zielte aber imGrunde genommen auf den Feierabendschwarzarbeiterab. Das ist nicht zu entschuldigen; denn auch das istSchwarzarbeit. Schlimmer ist aber, dass der Eindruck er-weckt wurde, als sei die Schwarzarbeit nach Feierabenddas Hauptproblem. Ich sage: Wir müssen die Gewichtungein wenig verändern.
Wir müssen die Realität zur Kenntnis nehmen. Der we-sentliche Teil von illegaler Beschäftigung und Schwarz-arbeit ist organisierte und unternehmerische Schwarz-arbeit.
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Franziska Eichstädt-Bohlig21718
Das sind Tatsachen, die Sie einfach nicht zur Kenntnisnehmen wollen. Wir haben das zur Kenntnis genommenund deswegen einen entsprechenden Gesetzentwurf ein-gebracht.Herr Laumann, Sie behaupten seit fast drei Jahren im-mer wieder, unser Gesetz zur Neuregelung der325-Euro-Jobs sei an der Ausweitung der Schwarzarbeitschuld. Das ist völlig falsch. Sie müssen zur Kenntnisnehmen: Gerade die Schwarzarbeit ist durch dieses Ge-setz erheblich eingedämmt worden.
Wenn Sie sich mit der Materie beschäftigt hätten, dannwüssten Sie, dass die illegale Beschäftigung gerade imBereich des Gebäudereinigerhandwerks massiv zurück-gegangen ist, weil wir einen entsprechenden gesetzlichenRahmen geschaffen haben. Sie können schreien, so vielSie wollen: Das sind die Tatsachen.
Nur noch Sie und eine kleine Gruppe hier im Hause ma-chen uns im Zusammenhang mit den 630-DM-Jobs– heute sind das 325-Euro-Jobs – Vorhaltungen. Außer-halb des Parlaments spricht längst jeder positiv über dasGesetz; denn jeder weiß, dass es aufgrund unseres Geset-zes wieder Ganztags- und Halbtagsarbeitsplätze undkeine gestückelten Arbeitsplätze mehr gibt.
Ich möchte deutlich machen, was ich mit der Verände-rung der Gewichtung meinte. Laut einer Meldung vom14. Februar 2002 wurden bei einer Kontrolle auf der staat-lichen Baustelle des BKA in Wiesbaden, also vor derHaustür von Herrn Koch, fünf Maler erwischt, dieschwarz arbeiteten. Sie waren von der Regierung Kocheingestellt und auf der Baustelle des BKA beschäftigtworden. Es handelte sich dabei aber mitnichten um fünfMaler, die jeder für sich schwarz arbeiteten. Nein, eineMalerfirma hat diese fünf organisiert und auf der Bau-stelle des BKA illegal eingesetzt. In 90 Prozent der Fällefindet Schwarzarbeit in organisierter Form statt. Deswe-gen wollen wir mit dem vorliegenden Gesetz vor allenDingen die organisierte Schwarzarbeit treffen. Wir müs-sen – das ist schon gesagt worden – das Übel bei der Wur-zel packen. Wir sollten uns aber auch einig sein, was dieWurzel des Übels ist.Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der in der jetzigenDebatte – Herr Kolb, Sie müssen mir keine Zwi-schenfrage stellen; ich weiß ja, was Sie fragen wollen; ichwerde auf das, was Sie vorhin dazu gesagt haben, soforteingehen – auch eine Rolle gespielt hat. Die General-unternehmer haften dafür, dass die von Ihnen beauftrag-ten Subunternehmer die Sozialabgaben der Arbeitnehmerordentlich abführen.
Sie haben gesagt – das stellen Sie immer wieder falschdar –: Wir können doch das Bauen nicht noch teurer ma-chen. Ich hatte mir schon überlegt, an dieser Stelle eineZwischenfrage zu stellen. Ich habe es aber dann dochnicht getan, weil ich wusste, dass ich dazu in meiner RedeStellung nehmen kann. Das werde ich jetzt wie folgt tun:Seit 1993 – das sind fast 10 Jahre; Herr Kolb, es wird Zeit,dass Sie das endlich zur Kenntnis nehmen – sind die Bau-preise fast unverändert geblieben, während in der sonsti-gen produktiven Wirtschaft die Preise um 5 Prozent ge-stiegen sind.
Diese Entwicklung fiel nicht in unsere, sondern in IhreRegierungszeit, also in die Zeit, als Sie in der Regierungtief verstrickt waren.
Für die Wurzel des Übels, nämlich die Stagnation derBaupreise, sind Sie verantwortlich und nicht wir. NehmenSie das endlich zur Kenntnis!
Nun wird behauptet, die Unternehmen müssten für denHaftungsfall Rücklagen bilden. Sie kennen offenbar nurdas Rezept „Weiter so wie bisher“. Damit löst man keineProbleme. Herr Laumann, warum müssen denn die Un-ternehmen Rücklagen bilden?
– Was soll das Gerede vom Gewerkschaftsvorsitzenden?Plärren Sie nicht herum! Hören Sie doch lieber zu!Warum müssen die Unternehmen Rücklagen bilden?Warum können die Generalunternehmen nicht einfach dasmachen, was meine Kollegin Eichstädt-Bohlig vorge-schlagen hat, nämlich auf Subunternehmer zu verzichten?
In den Niederlanden, dem Deregulierungsmusterländle,auf das Sie immer verweisen, sind Subunternehmerkettenverboten. Der Verzicht auf Subunternehmer ist die rich-tige Antwort; denn dann müssen sich die Generalunter-nehmen keine Sorgen im Hinblick auf die Haftung ma-chen und müssen keine Rücklagen bilden.
Viele Vorschläge, die gemacht worden sind, sind in un-seren Gesetzentwurf eingeflossen. Sie selber wissen, dasses in der Vergangenheit – das war einer der wesentlichenPunkte – erhebliche Defizite in der Zusammenarbeit derBehörden gab. Wir haben die Behörden in der Tat nichtausreichend verpflichtet, sich gegenseitig Daten zur Ver-fügung zu stellen. Dies fasst dieses Gesetz an. Die Er-kenntnis, dass es erforderlich ist, die Daten entsprechendauszutauschen, ist in dieses Gesetz eingeflossen. Ichhoffe, dass die für die Bekämpfung von Illegalität undSchwarzarbeit zuständigen Behörden künftig besser
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Klaus Wiesehügel21719
zusammenarbeiten und dass wir mit dem effektiverenWeitermelden von Daten in der Lage sind, Schwarzarbeitwirklich zu bekämpfen und nicht nur darüber zu reden.Dieses Gesetz soll dem Anspruch seiner Überschrift ge-recht werden. Bei Ihren Gesetzen war das nicht der Fall.Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns nichtnur in der Beschreibung von Illegalität und Schwarzar-beit, sondern auch ganz erheblich in der Nennung der Ur-sachen. Sie haben hier heute Morgen wieder eindrucks-voll vorgetragen, welche Ursachen für SchwarzarbeitSie kennen: zu hohe Steuern, zu hohe Lohnnebenkosten.Sie meinen, bei deren Senkung würde Schwarzarbeit vonganz alleine verschwinden.
Nehmen Sie bitte folgende Tatsache zur Kenntnis: Seit1998 – hören Sie einmal zu, Herr Kolb! – haben sich in ei-nem mittelständischen Betrieb mit einer Bruttolohn-summe von ungefähr 250 000 Euro – das sind ungefähracht Beschäftigte – die Aufwendungen für die Arbeitge-berbeiträge zur Rentenversicherung um 1 534 Euro redu-ziert. Wir haben tatsächlich die Aufwendungen für Sozi-alversicherungsbeiträge reduziert.
Gleichzeitig sagen Sie, die Schwarzarbeit nehme zu, weilwir sie erhöht hätten. Irgendetwas stimmt mit Ihrer Argu-mentation nicht. Sie müssen einfach einmal zur Kenntnisnehmen: Ihre Argumentation ist schlichtweg falsch.
Ich will Ihnen sagen, warum die Schwarzarbeit zu-nimmt. Schwarzarbeit hat im Wesentlichen etwas mitMoral zu tun.
Schwarzarbeit hat ganz erheblich mit mangelndem Un-rechtsbewusstsein zu tun.
Der Weg von Schwarzgeld zu Schwarzarbeit ist beischwindendem Unrechtsbewusstsein leider sehr kurz ge-worden. Auch da liegen die Ursachen.
Die Moral einiger Politiker in diesem Land ist durch Ge-setze nicht zu verändern. Das wissen wir. Deswegen brau-chen wir Kontrollen und auch Sanktionen.Die Mitverantwortlichen dafür, dass die Moral in die-sem Land eben nicht erneuert, sondern total fehlgesteuertwurde und den Bach heruntergegangen ist, sollten sichdieser Verantwortung bewusst sein, an diesem Gesetzkonstruktiv mitarbeiten und nicht ständig von Deregulie-rung reden. Ich hoffe, dass Sie darüber einmal ein biss-chen nachdenken.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 14/8221 und 14/8288 an die
an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zu-
sätzlich an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Klaus Riegert, Ilse Aigner, Marie-Luise
Dött, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in
Vereinen und Organisationen
– Drucksache 14/5224 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksache 14/6218 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Norbert Barthle
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter
Letzgus, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Gemeinnützige Vereine von hohen Energiekos-
ten entlasten
– Drucksachen 14/4386, 14/5196 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Barthle
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Vor zwei Jahren hat der Bundestageine Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaft-lichen Engagements“ ins Leben gerufen. Das Themaheute hat mit dem weitreichenden Thema der Enquete-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Klaus Wiesehügel21720
Kommission zu tun. Deshalb freue ich mich über dieMöglichkeit, in der heutigen Debatte ein paar grundsätz-liche Worte zu sagen. Ich möchte fünf Anmerkungenmachen.Erstens. Vereine und andere Organisationen sind maß-gebliche Träger der Bürgergesellschaft und des bürger-schaftlichen Engagements. Dies gilt quantitativ: LautFreiwilligensurvey von 1999 gibt es in Deutschland rund22 Millionen Engagierte, die Hälfte davon in Vereinenund Verbänden. Qualitativ betrachtet bilden Vereine undandere Organisationen sozusagen den Kernbereich derBürgergesellschaft. Sie ermöglichen gesellschaftlicheSelbstorganisation, geben dem dritten Sektor Gewicht ge-genüber Staat und Wirtschaft, sie geben dem EngagementHalt und Dauer und sie vermitteln und stärken soziale undbürgerschaftliche Kompetenzen wie Verantwortungs-übernahme, Konfliktfähigkeit und Gemeinwohlorientie-rung. Letztlich tragen sie dadurch zum gesellschaftlichenZusammenhalt bei.Zweitens. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht aufmateriellen Gewinn ausgerichtet. Wer sich bürgerschaft-lich engagiert, übernimmt gemeinnützig Verantwortungfür andere als Bürgerin oder Bürger. Diese freiwilligeSelbstverpflichtung schließt sicher ein Eigeninteressenicht aus, wohl aber das Motiv der materiellen Gewinner-zielung. Steht Verdienst oder auch geringfügige Beschäf-tigung im Mittelpunkt, kann nicht mehr von bürgerschaft-lichem Engagement die Rede sein. Aus der Perspektiveder Vereine heißt das: Ein zu großzügiger Umgang mitmateriellen Vergütungen oder Aufwandsentschädi-gungen, die über den tatsächlich entstandenen Aufwandhinausgehen, untergraben die Freiwilligkeit bürgerschaft-lichen Engagements und setzen unter Umständen eineAnspruchsspirale in Gang, die es immer schwerer macht,überhaupt noch Menschen für eine unentgeltliche Mitar-beit zu gewinnen. Daraus folgt: Eine Ausdehnung steuer-freier Vergütungen für bürgerschaftliches Engagementwiderspricht letzten Endes dem Spezifikum bürgerschaft-lichen Engagements, nämlich der Unentgeltlichkeit.Drittens. Die Vereine sind herausgefordert, sich inOrganisation und Alltagspraxis auf gewandelte Motiveund Erwartungen bürgerschaftlichen Engagements ein-zustellen. Ein genereller Rückgang der Bereitschaft, Ver-antwortung in Vereinen und anderen Organisationen zuübernehmen, lässt sich nach den uns vorliegenden Er-kenntnissen nicht feststellen. Allerdings verändern sichdie Motive und Erwartungen der Engagierten: Eigenin-teresse und Gemeinwohlorientierung gehen eine neueVerbindung ein; diese Verknüpfung zum Ausgangspunktfür veränderte Formen bürgerschaftlichen Engagementszu machen scheint wichtig. Viele Engagierte wollen auchkeine langfristigen Bindungen mehr übernehmen; inso-fern wachsen die Anforderungen an ihre Betreuung, anihre Fortbildung und auch an die Mitgestaltungsmöglich-keiten, die man ihnen einräumen muss. In diesen verän-derten Motiven der Engagierten liegt auch eine Haupt-ursache für Nachwuchsprobleme in manchen Bereichendes Ehrenamts, zum Beispiel im Sport. Das bedeutet: FürVereine liegt eine entscheidende Aufgabe darin, insti-tutionelle Passungen – wie die Fachleute sagen – zu ent-wickeln; das heißt, die veränderten Motive und Erwar-tungen der Engagierten und die Anforderungen der Orga-nisationen wie Verlässlichkeit und Kompetenz besser alsbisher einander anzupassen.Viertens. Die Zukunft des bürgerschaftlichen Engage-ments wird nicht vorrangig durch materielle Anreize ge-sichert, sondern durch die Entwicklung einer umfassen-den Anerkennungskultur – in Vereinen und Verbändenebenso wie in Wirtschaft und Verwaltung.
Anerkennung kann sich in vielerlei Hinsicht zeigen:Durch Ehrungen und symbolische Aufmerksamkeiten,aber noch mehr durch vielfältige Formen von Wertschät-zung und Würdigung kann deutlich gemacht werden, dassdieses Engagement gewünscht, gewollt und möglich ist.
Auch Weiterbildung ist eine Form der Anerkennung:Menschen, die sich engagieren, erwerben durch ihr Enga-gement vielfältige Kompetenzen. Qualifizierung im En-gagement und für Engagement gewinnt insoweit zuneh-mende Bedeutung.Fünftens. Der Bundesgesetzgeber kann Vereine undandere Organisationen durch die Verbesserung der recht-lichen Rahmenbedingungen stärken: Erstes und wich-tigstes Ziel dabei scheint mir der Schutz der Engagiertenvor unkalkulierbaren Risiken, Schäden und Haftungen zusein. Die Enquete-Kommission befindet sich zurzeit inGesprächen mit Verbänden und der Versicherungswirt-schaft und wird dem Parlament zu diesem Thema im Ab-schlussbericht konkrete Handlungsempfehlungen unter-breiten. Freiwilligkeit und Selbstorganisation sind ausunserer Sicht zentrale Kennzeichen bürgerschaftlichenEngagements in Vereinen und anderen Organisationen derBürgergesellschaft. Insofern sind die Organisationenselbst die ersten Akteure und auch die ersten Ansprech-partner, wenn es um die Entwicklung nachhaltig för-dernder Strukturen für bürgerschaftliches Engagementgeht.Der Staat wirkt hierbei vor allem ermöglichend, er-munternd und ermutigend. Während materielle Vergüns-tigungen einseitige und unter Umständen sogar falscheAnreize setzen, trägt die Stärkung des bürgerschaftlichenEngagements und die Stärkung des Schutzes von bürger-schaftlich Engagierten zur Verbesserung der institutionel-len Rahmenbedingungen des Engagements bei.Bei der heutigen Debatte sind wir uns in einem Punktsicherlich einig – da schließe ich mich gerne einem Satzaus dem Entschließungsantrag der CDU/CSU an –:Vereine müssen gestärkt werden, damit Bürgerinnenund Bürger ermutigt werden, sich für den Verein undihre Mitmenschen zu engagieren.
Wo Sie Recht haben, Herr Barthle, haben Sie Recht.
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Dr. Michael Bürsch21721
Die Enquete-Kommission wird mit ihren Empfehlun-gen deutliche Zeichen für ein vereinsfreundliches Klimain Deutschland setzen – und das ist gut so.Vielen Dank.
Ich erteile das Wortdem Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion.Norbert Barthle (von Abgeordneten derCDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr KollegeBürsch, Sie haben über die Inhalte der Enquete-Kommis-sion sehr schön berichtet. Aber ich erlaube mir – bei allerWertschätzung – die Anmerkung, dass man in der Schulesagen würde: Thema verfehlt. Wir diskutieren heute näm-lich über einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2001 und ei-nen Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus demJahr 2000. Zwischenzeitlich ist mehr als ein Jahr vergan-gen, bis wir in zweiter und dritter Lesung über diesenGesetzentwurf endlich debattieren. So „eilig“ hatte es alsodiese Bundesregierung, sich mit unseren Vorschlägen zurtatsächlichen Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Ver-einen und Organisationen auseinander zu setzen.
Warum so viel Zeit vergangen ist, erklärt sich schnell,wenn man auf die Inhalte schaut. Da geht es nämlichtatsächlich um konkrete Maßnahmen zur Verbesserungder Rahmenbedingungen.
Wenn es darum geht, schöne Veranstaltungen zu organi-sieren – gerade ist das Jahr des Ehrenamts abgelaufen –,wenn es darum geht, rhetorisch wohlklingende Redenauszuformulieren, wenn es darum geht, schöne Prospekteund Werbematerialien zu erstellen, dann ist diese Regie-rung fleißig. Wenn es aber um konkretes Handeln geht,dann wird die Luft dünn.
– Ich weiß schon, warum Sie nach den Fakten rufen. Siehaben die Übungsleiterpauschale auf 3 600 DM erhöhtund den Berechtigtenkreis erweitert.
Sie haben die Lohnsteuerrichtlinie für die Feuerwehrleuteverändert und Sie haben – der Kollege hat darauf aus-führlich hingewiesen – eine Enquete-Kommission zurFörderung des bürgerschaftlichen Engagements einge-setzt. Das will ich gar nicht kritisieren. Im Gegenteil: Dawird sogar gute Arbeit geleistet.
Aber das allein genügt eben nicht. Es reicht nicht aus,eine Enquete-Kommission einzusetzen, die ihre Vor-schläge zum Ende der Legislaturperiode vorlegt und diedaraus zu ziehenden Konsequenzen der nächsten Regie-rung überlässt.
– So machen wir es dann. – Dieses Vorgehen genügt auchdeshalb nicht, weil Sie die Vereine in den dreieinhalb Jah-ren Ihrer Regierungszeit nicht entlastet, sondern belastethaben, und zwar durch Ihre unseligen Gesetze zu den630-DM- bzw. 325-Euro-Jobs, durch die Regelung zurBekämpfung der Scheinselbstständigkeit und durch dievon Ihnen eingeführte Ökosteuer. Damit haben Sie dieVereine wirtschaftlich geschwächt.
Vor allem haben Sie zusätzliche Bürokratie geschaffenund damit viele Menschen entmutigt, sich zu engagieren.
Man muss so weit gehen und sagen: Diese Gesetze habenin der Vereinslandschaft wie eine Bombe eingeschlagenund die Kollateralschäden sind bis heute nicht beseitigt.
Die von Ihnen eingeführte ungerechte und unsozialeÖkosteuer stellt für unsere gemeinnützigen Vereine eineerhebliche Belastung dar. Ehrenamtlich Tätige, Eltern undBetreuer, die zum Beispiel Kinder zu Veranstaltungenfahren, werden durch diese Ökosteuer belastet. Sie ver-teuern die Benutzung von Schwimmbädern, Vereins-heimen, Hallen, Übungsstätten von Musikvereinen. Sielangen überall dort zu, wo Energie verbraucht wird, undzwar ohne jeden Ausgleich. Eine Ermäßigung erhaltennur diejenigen Unternehmen, die möglichst viel Energieverbrauchen, während Sie die Vereine hängen lassen.Eine Umfrage unter den großen Sportvereinen hat ge-zeigt, dass sie allein durch die Ökosteuer im Jahr durch-schnittlich mit 8 740 DM zusätzlich belastet werden. Diegrößeren Vereine, die selbst Anlagen betreiben, werdendirekt belastet. Ein Verein wie der TSC Eintracht Dort-mund hat im vergangenen Jahr allein 28 000 DM Strom-steuer – nicht Stromkosten – gezahlt. Da schlägt IhreSteuererhöhung ordentlich zu Buche. Die kleineren Ver-eine, die keine eigenen Anlagen betreiben, sehen sich vordie Situation gestellt, dass die Träger die Nutzungsent-gelte anheben, häufig unter Verweis auf die gestiegenenEnergiekosten.Während Sie für Pendler, für Wohngeldbezieher undauch für die Landwirtschaft einen entsprechenden Aus-gleich für die Belastungen durch die Ökosteuer geschaf-fen haben, lassen Sie unsere Vereine im Regen stehen.Diese Ungleichbehandlung, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von Rot-Grün, müssen Sie den Menschen draußen
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Dr. Michael Bürsch21722
erklären, und zwar am besten, Herr Kollege Bürsch, be-vor wir von einer neuen Kultur der Freiwilligkeit reden.
– Ich komme darauf zurück. – Lassen Sie mich noch ein-mal auf § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes einge-hen, die so genannte Übungsleiterpauschale. Wenn wiruns recht erinnern, konnte die Übungsleiterpauschale inder SPD-Fraktion nur gegen den Widerstand des Finanz-ministers durchgesetzt werden. Der Finanzminister istübrigens derselbe Herr Eichel, der noch 1998 alsMinisterpräsident in Hessen die Erhöhung gefordert hatte.
– Das können Sie nachlesen. – Dies geschah auch nur, umdie durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäfti-gungsverhältnisse entstandene bürokratische Belastungeinigermaßen auszugleichen. Das war die Begründung.Tatsache ist aber – so können wir im Freiwilligensur-vey von 1999 nachlesen –, dass gerade einmal ein Drittelder im Bereich des Sports Engagierten überhaupt eineKostenerstattung und lediglich 7 Prozent eine pauscha-lierte Aufwandsentschädigung erhalten.
Mit der Erhöhung der Übungsleiterpauschale entlastenSie also nur jene ehrenamtlich Tätigen, die in den Genussdieser Regelung kommen. Das bürgerschaftliche Engage-ment in unseren Vereinen und Organisationen wird aberganz wesentlich von einem viel weiteren Personenkreisgetragen, und das sind eben nicht nur die durch § 3 Nr. 26des Einkommensteuergesetzes Begünstigten.
Das sind vor allem auch die Funktionsträger, das sind dieVorstandsmitglieder, die Jugendleiter, die Schatzmeister,die Schriftführer, aber auch zum Beispiel Platzwarte,Zeugwarte oder sonstige Helfer.
Deshalb fordern wir, die CDU/CSU-Fraktion, Sie auf,die Regelungen zu den steuerfreien Einnahmen nach § 3Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes so zu gestalten, dasszumindest die ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitgliederund Funktionsträger erfasst werden. Darüber hinaus soll-ten nach unserer Meinung die ehrenamtlich tätigen Helferund Mitarbeiter durch eine allgemeine steuer- und sozial-versicherungsfreie Ehrenamtspauschale von 600 Euro proJahr entlastet werden.
Wir haben diese und weiter gehende klare Vorschläge vor-gelegt; ich will jetzt nicht im Einzelnen darauf eingehen.Meine Damen und Herren, wir alle freuen uns in die-sen Tagen über die hervorragenden Erfolge unserer Sport-ler, vor allem unserer Sportlerinnen, in Salt Lake City, de-nen ich auch von dieser Stelle aus nochmals ganz herzlichgratuliere.
Aber eines muss man sagen: Von nichts kommt nichts,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn wir auch in Zukunft konkurrenzfähig bleiben wol-len, müssen wir heute die Grundlagen für künftige Erfolgeschaffen.
Dazu gehört zu allererst eine Neuregelung der 325-Euro-Jobs und eine Änderung der Regelung zur Scheinselbst-ständigkeit. Damit würden Sie bürokratische Entlastun-gen für unsere Vereine schaffen.Bis zum heutigen Tag ist übrigens auch die Frage derSozialversicherungspflicht im Zusammenhang mit derÜbungsleiterpauschale völlig unklar.
Tatsache ist nämlich, dass auch nach dem Gespräch derBundesregierung mit den Sozialversicherungsträgern undnach entsprechenden Schreiben, die über die Spitzen-verbände ins Land hinausgingen, wonach ein Betrag von940 DM monatlich für Übungsleiter sozialabgabenfrei seinsollte, sofern diese bis maximal 15 Stunden wöchentlichtätig sind, im Lande größte Unklarheit herrscht. Die Lan-desversicherungsanstalt Baden-Württemberg hat mit demVerband Deutscher Rentenversicherungsträger Kontaktaufgenommen und von dort die Antwort erhalten, dieserVereinbarung werde nicht zugestimmt und in der Sozial-versicherung gelte weder eine Entgeltgrenze – mit Aus-nahme der 3 600 DM pro Jahr – noch eine Stundengrenze.Nach dieser Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen vonRot-Grün, weiß draußen im Lande nun wirklich niemandmehr, wie eigentlich zu verfahren ist. Wenn man sich dasSchreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozial-ordnung anschaut, wundert man sich darüber auch nicht.Darin steht klipp und klar, dass in jedem konkretenEinzelfall die vorliegenden Umstände einzeln geprüft undgewürdigt werden müssen.
– Dazu brauchen wir vor allem wieder viel Bürokratie.Lassen Sie mich noch kurz auf die Neuregelung für dieFeuerwehrleute eingehen.
Unser bzw. Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder hat beimFeuerwehrtag versprochen, die Gleichstellung mit denkommunalen Mandatsträgern herzustellen. Auch dieses
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Norbert Barthle21723
Versprechen wurde nur zum Teil eingelöst. Während fürdie kommunalen Mandatsträger ein gestaffelter Betragnach der Anzahl der Einwohner der Kommune gilt, erhal-ten die Feuerwehrleute nun pauschal 300 DM pro Monatsteuerfrei.
Wenn ein Feuerwehrmann in einem Monat zufällig vieleEinsätze hat – weil vielleicht der Feuerteufel umgeht –und er eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 301 DMerhält, wird er für den gesamten Betrag steuer- und abga-bepflichtig.
Es wäre also viel klüger gewesen, statt einer Monats-pauschale eine Jahrespauschale einzuführen. Damit wäreden Feuerwehren wirklich geholfen gewesen. Auch hiergilt der Satz: Hätten Sie uns vorher gefragt, hätten wir Ih-nen gesagt, wie man besser regiert. Man kann es nämlichbesser machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns in derEinschätzung der Aufgaben, die unsere Vereine in unsererGesellschaft wahrnehmen, einig. Wir wissen, dass dieVereine Ausdruck einer lebendigen, leistungsfähigen undsolidarischen Bürgergesellschaft sind. Mit ihrer sozialenIntegrationskraft schaffen sie eine ganz wesentlicheKlammer über alle Bevölkerungsschichten und -kreisehinweg. Wir wissen, dass Dank und Anerkennung in die-sem Bereich eigentlich Selbstverständlichkeiten sind. An-erkennung heißt aus unserer Sicht aber vor allem, dassentbürokratisiert wird, dass für den Aufwand eine pau-schale Entschädigung gezahlt wird und dass es zu Er-leichterungen bei Haftungsfragen kommt.
Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle noch zu entspre-chenden Lösungen finden. Wir haben mit unseren Geset-zesanträgen Vorschläge gemacht. Deshalb fordere ich Sieauf: Stärken Sie unsere Vereine, geben Sie unseren Bür-gerinnen und Bürgern wieder mehr Mut, sich im Vereinfür ihre Mitmenschen zu engagieren, setzen Sie ein Zei-chen für ein vereinsfreundliches Klima und handeln Sievor allem einmal konkret.
Reden Sie nicht nur darüber, sondern folgen Sie unserenVorschlägen und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Dannwird es für unsere Vereine in diesem Lande besser.Vielen herzlichen Dank.
Ich erteile KolleginFranziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, dasWort.
legen! Als Erstes habe ich verstanden, dass die Erfolgevon Salt Lake City offenbar noch nicht ausreichen.
Von nichts kommt nichts. Ich hatte es vorhin fast so ver-standen, dass wir in Richtung DDR-Strategie gehen soll-ten;
denn nur, wenn Deutschland 100 Prozent der Medaillengewinne, sei es international verträglich. Ich gönne auchanderen Ländern ein paar Medaillen und finde, dass wirin Salt Lake City sehr gut abgeschnitten haben.
Als Zweites habe ich verstanden, dass die CDU/CSUwieder einmal die Spendierhosen anhat. Ich habe eben da-rüber nachgedacht, wie der blaue Brief bzw. die rote Karteaus Brüssel ausgesehen hätte, wenn wirklich all das, wasSie uns von diesem Podium aus vorgeschlagen haben, ge-macht worden wäre. Ständig reden Sie von vorgezogenenSteuersenkungen. Gleichzeitig haben Sie eine spendableArt, mit Staatsausgaben umzugehen.
Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, das gäbenur noch rote Karten, sodass man ganz vom Feld gehenkönnte. Das alles sollten Sie sich für die Zukunft wirklichüberlegen. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der auchOppositionsparteien anfangen müssen, sich zu fragen, obsie das, was sie der Bevölkerung versprechen, auch wirk-lich halten können.
Ich denke, das gehört sich für eine seriöse Politik, undzwar nicht nur für die Regierungskoalition, sondern auchfür die Opposition. Weil Sie das einfach nicht können,werden Sie in der Opposition bleiben.
Zum Praktischen: Als Erstes möchte ich als Grünenatürlich etwas zu Ihrer Dauerschallplatte Ökosteuer sa-gen, weil dieses Thema immer wieder angesprochen wird.
Wir bekommen in jeder Sitzung auf den Tisch, dass un-sere Gesellschaft an der Ökosteuer zusammenbricht. Dasist offenbar auch in Salt Lake City der Fall.
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Norbert Barthle21724
Sie behaupten tatsächlich, dass die Ökosteuer zu sosensationellen Energiekosten geführt hat, dass ganze Ver-eine nicht mehr arbeiten können und praktisch kurz vordem Zusammenbruch stehen. Bei Ihrem Antrag hatte ichein wenig das Gefühl, dass Sie sich hauptsächlich überVereine zum Üben von Formel-1-Rennen Sorgen machen.
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, welche ZielsetzungSie hier haben.Die Regierung hat an sehr vielen Stellen, besonders imBereich der Energiepreise, deutliche Anreize für einensparsamen Umgang geschaffen. Die Praxis zeigt, dass ge-rade Vereine – jedenfalls die Vereine, die ich kenne – sehrbewusst und verantwortungsvoll mit Energie umgehen,weil sie die Zeichen der Zeit verstanden und Umwelt-engagement in ihre Vereinsziele mit einbezogen haben.Von daher habe ich das Gefühl, dass Sie mit den falschenVereinen Kontakt haben bzw. mit denen, die die künftigenGenerationen nicht im Blick haben und den Klimaschutznicht ernst nehmen wollen. Ich kenne Vereine, bei denendas anders ist, und finde es gut, dass es viele Vereine gibt,die unsere Ziele positiv unterstützen.
– Doch, doch, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Esgibt viele umweltengagierte Vereine.Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal eines derCDU-geführten Länder loben. Es gibt in einigen Bundes-ländern staatlich geförderte Ökochecks, beispielsweisefür Sportvereine. Das Umweltministerium von Baden-Württemberg engagiert sich in diesem Bereich sehr stark.
Es hat Anlagen von 50 Sportvereinen auf ihre Umweltver-träglichkeit hin untersucht, Schwachstellen in der Ener-gieversorgung aufgezeigt und den Vereinen geholfen,Konzepte zu entwickeln, die dann auch gefördert werden,um die Umstellung von starkem Energieverbrauch aufEnergieeffizienz voranzutreiben. Auch der Landessport-bund Hessen fordert eine bessere Vernetzung der Vereineuntereinander, damit das Know-how des Energiesparensim Vereinsleben weitergegeben werden kann.Es gibt also in unserer Gesellschaft praktische Schrittezu einem energieeffizienten Umgang, ohne dass es immergleich um mehr Geld geht. Das Energiesparen selbst spartirgendwann auch Geld.
Als Zweites möchte ich etwas zu der Forderung nachSteuererleichterungen in Ihrem Gesetzentwurf sagen. Im-merhin haben Sie zur Kenntnis genommen, dass wir dieÜbungsleiterpauschale von 3 600 DM – das war ja nochzur Zeit der D-Mark – auf 4 800 DM angehoben haben.
– Entschuldigung, jetzt war ich in der falschen Zeile. Siefordern die weitere Anhebung, wir haben die Pauschaleüberhaupt erst auf 3 600 DM angehoben. Das war eineSteigerung um 50 Prozent.
Außerdem haben wir durch das neue Stiftungsrechtdie Möglichkeit von Spenden für Vereine verbessert, so-dass jetzt sehr viel mehr gespendet werden kann. Wir ha-ben das Steuerrecht und das Stiftungsrecht insgesamt ver-bessert. Auch dadurch wird die Gesellschaft in ihrembürgerschaftlichen Engagement sehr unterstützt.Wir haben in der Enquete-Kommission begonnen, zuprüfen, wie bürgerschaftliches Engagement weiter ge-stärkt und die Gesellschaft in Zukunft aktiv an gesell-schaftlichen Aufgaben beteiligt werden kann.
– Eine Enquete-Kommission macht ihre Arbeit, erstellteinen Schlussbericht, gibt Empfehlungen und dann zie-hen wir politische Schlussfolgerungen. Ich glaube,Sie sollten einmal prüfen, ob und wie stark Sie dannnoch da sind und ob Sie die richtigen Schlussfolgerun-gen ziehen.
Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie die Mo-dernisierung des bürgerschaftlichen Engagements nichtaktiv mittragen wollen. Ich finde es gut und richtig,wenn wir Sportvereine, Kleingärtner- und Feuerwehr-vereine haben. Aber es kann nicht das einzige Ziel sein,vorhandenen Vereinen mehr Geld zu geben und mehrSteuererleichterungen zu verschaffen. Von daher ist derAnsatz, den wir jetzt haben, sehr richtig und wichtig:Erst einmal diskutieren wir darüber, wie wir das bürger-schaftliche Engagement in der Gesellschaft, auch beiden jüngeren Generationen, ausweiten können, und danndiskutieren wir darüber, wann und wie wir es fördernwollen.
– Wir diskutieren nicht nur, sondern wir handeln auch.Das habe ich Ihnen eben am Beispiel des Stiftungswesens,der Übungsleiterpauschale und auch unseres Umgangsmit dem Steuerrecht dargelegt.
Als Letztes will ich in Ihre Richtung Folgendes sagen:Wir haben ausgerechnet, dass die Umsetzung der Forde-rungen in Ihrem Gesetzentwurf und in Ihrem Antrag13 Milliarden Euro kosten würde. Ich muss Sie deshalbernsthaft fragen, ob Sie wirklich meinen, dass man mit sol-chen falschen Versprechungen an die Öffentlichkeit tretensollte. Meiner Meinung nach sollte man entsprechende
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Franziska Eichstädt-Bohlig21725
Maßnahmen sehr viel differenzierter und sozusagen klein-teiliger prüfen.
Wir sind uns alle einig, dass wir das bürgerschaftlicheEngagement stärken müssen. Wir dürfen aber nicht diefalsche Versprechung machen, wir könnten alles geben,ohne dass die Bürger ihrerseits etwas einbringen. DieVereinskultur in unserem Lande ist sehr viel weiter, alsSie es suggerieren, weil sich eben sehr viele Bürger in ei-nem sehr hohen Maße engagieren und damit dieser Ge-sellschaft ein Stück Bürgerkultur geben und auch in Zu-kunft geben wollen.Wir werden differenziert vorgehen und nicht einfachversuchen, nur mit Geld diese Dinge anzupacken. Wirwerden in der nächsten Legislaturperiode in diesem Be-reich Zeichen setzen, um ihn zu stärken.
Dies wird aber nicht nach dem Formel-1-Prinzip ge-schehen, wie Sie sich das wünschen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Gerhard Schüßler, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Erstens, Frau KolleginEichstädt-Bohlig: Ich habe selten einen Beitrag von Ihnengehört, der so wenig Sachkenntnis zeigte wie der, den Siehier über die aktuelle Situation von Vereinen vorgetragenhaben.
Zweite Bemerkung. Sie beziehen sich auf die Arbeit inder Enquete-Kommission. Ich kann dazu nur feststellen,dass die Vertreter der Grünen in der Enquete-Kommissionin aller Regel durch Abwesenheit glänzen.
Vor circa vier Wochen hat der Bundestag über dieGroße Anfrage der CDU/CSU-Fraktion bezüglich der Si-tuation der Vereine in Deutschland debattiert. Sowohldiese Anfrage als auch der vorliegende Antrag und Ge-setzentwurf haben den gleichen Geist. Im Verlaufe desJahres 2000 hat sich mehr als deutlich gezeigt, dass dievielen Gesetzesänderungen der rot-grünen Regierungs-mehrheit den Vereinen große Lasten aufgebürdet haben.
Wer das bestreitet, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, hatvon der Vereinsarbeit keine Ahnung.
Bis heute hat sich die Situation nicht geändert.Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Die Bundes-regierung hat gerade mit dem 325-Euro-Gesetz den Ver-einen massiv geschadet.
Auf die Vereine ist ein riesiger Verwaltungsaufwand zu-gekommen, da statt der pauschalen Versteuerung nun ver-schiedene Renten- und Krankenversicherungsbeiträgeauszurechnen und an unterschiedliche Kassen abzuführensind. Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Eurowurde in der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- undkostenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mit-glieder abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichtenkann. Vereine können nun einmal keine Lohnbüros unter-halten.Am Rande bemerkt: Das Schöne für die Bundesregie-rung war ja, dass die ehemalig geringfügig Beschäftigtenmit einem Schlag sozialversicherungspflichtig Beschäf-tigte waren und damit voll in der Statistik gezählt wordensind.
Das ist ein phänomenales Ergebnis: Der Ehrenamtler imVerein mit seiner Aufwandsentschädigung wird plötzlichzum Aktivposten in Schröders Arbeitsmarktstatistik.
– Nein, Frau Kollegin, das ist ein primitiver Versuch, dieMenschen zu täuschen.Die CDU/CSU-Fraktion hat Recht – wir teilen dieseMeinung –, wenn sie die gestiegene wirtschaftliche Be-lastung der Vereine, hervorgerufen vor allem durch dieÖkosteuer, beklagt.
Da können Sie so viel reden, wie Sie wollen: DiesemVorwurf können Sie sich nicht entziehen.
Gerade die Vereine, die eigene Anlagen und Schwimm-bäder unterhalten, was ja in einem hohen Maße den Staatentlastet, sind in besonderer Weise belastet.
Lassen Sie sich die Zahlen einmal geben! Dann werdenSie erkennen, dass Sie nicht so wie bisher reden können.Aber auch die mittleren und kleinen Vereine sind indi-rekt dadurch betroffen, dass die Kommunen ihre gestie-genen Kosten durch Gebührenerhöhungen auf die Ver-eine umlegen.
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Franziska Eichstädt-Bohlig21726
Wie ist nun dagegen vorzugehen? Die Vorschläge derCDU/CSU-Fraktion zielen darauf, die wirtschaftlichenund administrativen Belastungen der Vereine durch rot-grüne Gesetzeswerke punktuell zu kompensieren. Diesist nur verständlich; wir haben dafür große Sympathiengezeigt.Doch damit lassen sich nur kleine Etappensiege her-beiführen, die das Steuerchaos letztlich weiter ver-größern. Wenn der Übungsleiterfreibetrag gemäß § 3Nr. 26 Einkommensteuergesetz beispielsweise auf neben-berufliche pädagogische, künstlerische, pflegende und or-ganschaftliche Tätigkeiten ausgedehnt werden soll, dannbirgt das – das ist voraussehbar – viele neue Schwie-rigkeiten. Zum einen ist fraglich, ob damit erfasste Ne-benberufe notwendigerweise etwas mit einem Ehrenamtzu tun haben. Zum anderen lässt die Weite der Ausdeh-nung befürchten, dass es zu missbräuchlichen Gestaltun-gen kommt. Als Teil einer unendlichen Geschichte würdeder Gesetzgeber zur Beschränkung wieder Regeln in § 3Nr. 26 Einkommensteuergesetz hineinarbeiten müssen. InZukunft würde wieder – wie jetzt in der Enquete-Kom-mission „Bürgerschaftliches Engagement“ – die Klageüber viel zu komplizierte gesetzliche Rahmenbedingun-gen geführt.
Die FDP-Bundestagsfraktion fordert daher für dengesamten gemeinnützigen Sektor eine grundlegendeReform des Steuerrechts. Neben den wichtigen allge-meinen Maßgaben der Vereinfachung und Tarifsenkungmuss im Steuerrecht für den gemeinnützigen Sektor unteranderem Folgendes gelten:Erstens. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird vom Grund-satz her neu konzipiert; denn das jetzige spiegelt noch denObrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts wider und entsprichtnicht den Erfordernissen einer offenen, pluralistischenBürgergesellschaft des 21. Jahrhunderts.Zweitens. Die jetzt bestehenden punktuellen Privile-gierungstatbestände werden zugunsten genereller Rege-lungen abgeschafft, da sie ungerecht sind und historischauf die Stärke einzelner Lobbygruppen zurückzuführensind.Drittens. Die Bürger werden so weit entlastet, dass siemehr Freiraum für bürgerschaftliches Engagement haben.Die leicht anwendbare Gewährung von Frei- oder Pausch-beträgen ersetzt den Wust an Detailregelungen.Für die FDP ist klar, dass der Staat seiner Verpflichtunghinsichtlich vernünftiger Rahmenbedingungen für ehren-amtliches Engagement nachzukommen hat. Doch stattdes jahrzehntelangen Gezerres um einzelne Privilegien,dessen Gefechte wir auch heute in der Enquete-Kommis-sion partiell erleben, sollte sich der Gesetzgeber wiederauf die Grundideen des ehrenamtlichen Engagements be-sinnen, das auch nur den geringsten Ansatz von Kommer-zialisierung verbietet.
Für mich persönlich war der letzte Sommer entschei-dend. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich nach all denAnhörungen in der Enquete-Kommission, woran fast aus-schließlich Verbandsvertreter beteiligt waren, die Ab-wechslung gegönnt, Jugendliche aus dem ganzen Bun-desgebiet, die persönlich ehrenamtliche Arbeit leisten undBeachtliches getan haben, einzuladen. Besonders nach-drücklich haben sie vor der zunehmenden Kommerziali-sierung des Ehrenamtes gewarnt.
Viel entscheidender sei, so die jungen Menschen, die Ver-ringerung der bürokratischen Hürden und der bessereZugang zum ehrenamtlichen Engagement, verbunden miteiner gewissen Ausbildungsvoraussetzung, um ehrenamt-liches Engagement auch tatsächlich leisten zu können.
Der Bundestag sollte verstärkt sein Augenmerk auf dieseeinfachen, aber vom Grundsatz her einzig richtigen Ideenlegen.Danke schön.
Ich erteile dem Kolle-
gen Gustav-Adolf Schur, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! WerteKolleginnen und Kollegen! Alles, was Rang und Rahmenhat, jettet zurzeit zu den Olympischen Spielen und feiertsich und die deutschen Medaillengewinner.
Sogar der Sportkoordinator der Bundeswehr erklärt: „Wirals Bundeswehr haben von unserem Parlament den Auf-trag erhalten, uns um den Leistungssport zu kümmern“,was ich so präzise bislang nicht kannte.Aber wo bleiben in diesen Stunden die Glückwünschefür die Ehrenamtlichen,
die die Sieger von Salt Lake City irgendwann in derSchule oder im Verein für den Sport gewonnen haben, diefür den ersten Anstoß, für die erste Begeisterung sorgten?Bereits im September 1999 habe ich mich bei der Be-ratung eines Gesetzentwurfs zur Stärkung des Ehrenamtsgeäußert. Die heutige Kopplung mit dem Antrag zur Ener-giekostensenkung für gemeinnützige Vereine vom No-vember 2000 halte ich für angebracht. Hierbei geht es umEnergie, die durch Kabel und Drähte geleitet wird. Ichmeinte eingangs aber solche Energie, die Tausende jedenTag in Vereinen aufbringen, um junge Menschen für denSport zu begeistern. Diese Energie wurde über Jahrzehntenur unzureichend vergolten. Wenn die Kosten für die an-dere Energie gesenkt werden, dann hilft immerhin das– das ist klar – den Ehrenamtlichen.
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Gerhard Schüßler21727
Ich glaube aber, dass beide Vorlagen zu kurz greifen.Sie erfassen die Gesamtsituation der deutschen Vereins-landschaft nicht. Bei der öffentlichen Anhörung imSportausschuss im November vergangenen Jahres zurSituation der Sportvereine und der dort ehrenamtlichTätigen wurde das von Experten leider sehr eindrucksvollbestätigt.Herr Remberg, Vorsitzender eines Großvereins inRheine, sagte – ich zitiere –:Ich glaube, dass der Sport sowohl vom Sport selbstals auch von der Politik noch zu wenig als Quer-schnittsaufgabe gesehen wird. Deshalb fallen in derPolitik und bei den Behörden sehr häufig Entschei-dungen, deren Tragweite für den Sport nicht erkanntwird und die dann die Ehrenamtlichen verunsichern.Wenn Sie das einmal aus den verschiedenen Poli-tikbereichen betrachten, dann ist sicher Gesundheits-politik ohne Sport ..., Sozialpolitik ... und auswärtigePolitik ohne Sport nicht denkbar ...Der Hauptgeschäftsführer des LandessportverbandesBaden-Württemberg, Rainer Hipp, äußerte sich unter an-derem zu Sport und Gesundheitswesen und stellte dazueine weit gehende Nichtbefassung durch die Bundespoli-tik über zehn Jahre hinweg fest. Er zitierte aus der Zeit-schrift „Sportmedizin“:In der Bundesrepublik entstehen jährlich Kosten undLeistungseinbußen durch Krankheiten in Höhe von450 bis 500 Mrd. DM. Dies ist eine kaum mehrfinanzierbare volkswirtschaftliche Belastung. Min-destens 30 % davon entfallen auf teilweise vermeid-bare degenerative Erkrankungen, vor allem desHerz-Kreislauf-Systems.Durch kontinuierliche sportliche Betätigung könntealso eine Kosteneinsparung in Höhe von 5 Prozent erzieltwerden – eine echte volkswirtschaftliche Größe. Es würdesich bezahlt machen, in den Sport mehr als bisher zuinvestieren, damit Vereine wirklich Sport für jedermannund nach jedermanns Geschmack anbieten können.Ich zitiere nochmals Rainer Hipp:Der Sport will keine Privilegierung. Aber er möchteeine ungekürzte Güterabwägung unter Einbeziehungaller Interessen und eine daran orientierte rechtlichgesicherte Ordnung, ein Konzept, das ihn seine Auf-gaben auch erfüllen lässt.Leider, meine Damen und Herren, ist ein solches Konzeptmit Ihrem Gesetzentwurf und Ihrem Antrag nicht in Sicht.
Ein Ehrenamtsgesetz, wie vom Deutschen Sportbund inseinem Katalog von Forderungen an die Bundesregierungbenannt, würde diese Anforderung viel eher entsprechen.Der Präsident des Deutschen Turner-Bundes, RainerBrechtken, sagte in der gleichen Anhörung, dass mit denschon eingeleiteten Neuregelungen im Vereinsrecht einegewisse Entbürokratisierung erfolgt ist, ein Vereins-fördergesetz aber von Vorteil wäre, weil es, ähnlich wiebei anderen Gesetzen, alle Tatbestände in einem Gesetzzusammenfassen würde und damit Übersichtlichkeit undInformationssicherheit gegeben wären. Er sagte aberauch, dass er aufgrund seiner parlamentarischen Erfah-rungen – er war Landtagsabgeordneter in Baden-Würt-temberg – einer möglichen Realisierung skeptisch ge-genüberstehe.Diese Befürchtung wird durch die mehr als 25-jährigeSchulsportmisere und die defizitäre Entwicklung der Be-wegungserziehung im Elementarbereich erhärtet. PISA-Studie und Schulsportmisere verlangen im Interesse derHerstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesam-ten Bundesgebiet nach einem einheitlichen Bildungssys-tem.Die Stellung des Sports im Wertesystem der Gesell-schaft ist durch die Praxis neu definiert worden. Eine ge-sunde, lebensfrohe und leistungsfähige Bevölkerung istmehr wert als jede olympische Goldmedaille,
andererseits aber auch der beste Garant für das Erreichenvon Weltspitzenleistungen.Ich bedanke mich.
Ich erteile dem Kolle-
gen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU arbei-tet wirklich ziemlich flexibel:
Einmal sagt sie Ja, ein anderes Mal sagt sie Nein zur Öko-steuer.Ab und zu ist dann ein Jein zu hören. 2000 erklär-ten Sie von der CDU/CSU: Die Ökosteuer ist absolutesTeufelswerk.
Im Januar 2002 veränderten sich Ihre Ansichten zumTeufel. Herr Stoiber, Herr Glos und die Spitzenvertreterder CDU/CSU sagten dann: Wir wollen die Ökosteuer inder Zukunft beibehalten. Sie arbeiten nach dem Motto:Wer nicht überzeugen kann, sollte wenigstens verwirren.
Die Koalition hat schon vor Jahren eine Gesamtlösung– und keine Detaillösung – umgesetzt. Wir legen Wert da-rauf, dass wir bei allen Lösungen verantwortungsvoll vor-gehen. Im Gegensatz zur Opposition ist uns das wichtig.Sie kennen das Wort „Verantwortung“ offensichtlichnicht. Sie versuchen, den Schuldenberg noch zu erhöhen.
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Gustav-Adolf Schur21728
Damit haben wir wirklich Probleme. Sie haben uns einLangzeitdesaster hinterlassen.
Auch in den nächsten zehn Jahren werden wir mit diesemLangzeitdesaster der Schulden zu kämpfen haben. Wir ha-ben stets verantwortungsvoll gehandelt.
Sie wollen die Übungsleiterpauschale noch einmal er-höhen. Die Summe ist vorhin schon einmal genannt wor-den: 13 Milliarden Euro. Wir haben wirklich Wert daraufgelegt, dass wir den gesamten Ansatz des Ehrenamtes undnicht nur Details sehen. Das müssten vor allem diejenigenwissen, die in der Enquete-Kommission zum Ehrenamtmitgearbeitet haben. Die Koalition hat diese Enquete-Kommission eingerichtet, um ein Gesamtbild zu errei-chen. Es wäre einfach falsch, Teile des Gesamtbudgetsherauszubrechen. Sie sehen nur Einzelgesichtspunkte undhaben keine langfristigen Konzepte.Von Ihnen, Herr Barthle, ist vorhin Salt Lake City an-gesprochen worden. Dort haben wir viel erreicht. Das istunter anderem auch ein Verdienst der dreijährigen SPD-Politik.
Sie haben 16 Jahre lang nichts getan. Wir hingegen – esist schon einiges genannt worden – müssen festhalten:Wir haben gehandelt. Im Unterschied zu Ihnen haben wirdie Übungsleiterpauschale in den letzten drei Jahren von2 400 auf 3 600 DM erhöht. Wir haben viel erreicht.
Wir haben das gemacht, weil wir genau wissen, dassdie Übungsleiterarbeit innerhalb unserer Sportvereinewichtig und entscheidend ist. Es ist wichtig, dass dieÜbungsleiterarbeit weiter unterstützt wird. Durch sie wirdIntegrationsarbeit und Jugendarbeit betrieben. Die Inte-grationsarbeit ist vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe.Hier haben wir im Gegensatz zu Ihnen etwas verändert.
– Schreiben Sie sich das alles auf. Das wäre gut, damit Sieetwas lernen.Im Rahmen der Integrationsarbeit spielen Kurden,Deutsche und Türken zusammen und nehmen Rücksichtaufeinander. Das ist ein wichtiger Punkt für unsere Sport-vereine. Wir haben das unterstützt.
Sie sehen nur Details. In diesem Fall sind das die4 800 DM. Was sagen Sie einer Frau, die in einer Selbst-hilfegruppe krebskranke Menschen betreut und selbstkrank ist? Es ist eine wichtige Aufgabe, Kranke zu be-treuen und zu beraten. Das ist in der Selbsthilfegruppemöglich. Wir haben einen Gesamtansatz gefunden. Wirhaben die Selbsthilfegruppe in den letzten drei Jahren un-terstützt. Das will ich noch einmal unterstreichen. Dafürist eine Mark pro Einwohner zur Verfügung gestellt wor-den. Diese wichtige Aufgabe muss auch weiterhinunterstützt werden.Herr Barthle hat noch einen weiteren Punkt aufgeführt:Die Feuerwehr ist unterstützt worden.
Auch haben wir die Freiwilligendienste beträchtlichgefördert. Das Budget dafür ist um 50 Prozent heraufge-setzt worden: von 11,5 Millionen Euro auf 16,5 MillionenEuro. Jugendliche können in Hospizen, Krankenhäusernund Behindertenheimen arbeiten. All das zählt zum Eh-renamt.Hierzu gehört natürlich auch unser Stiftungsrecht.
Im Stiftungsrecht ist vieles umgesetzt worden, was für un-sere Wahlkreise wichtig ist. Sie müssen selbst einmal inIhrem Wahlkreis nachsehen.Durch die Förderung der Übungsleiter, der Selbsthilfe-gruppen, der Freiwilligendienste und durch das neueStiftungsrecht unterstützen wir das Ehrenamt in seinerGesamtheit. Das ist der wesentliche Vorteil. Die Enquete-Kommission wird in Zukunft ein Gesamtkonzept erarbei-ten, das wir abarbeiten werden. Wir werden das Ehrenamtauch künftig so wie in den letzten drei Jahren unterstüt-zen.
Ich erteile dem Kolle-gen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Klaus Riegert (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die Ablehnung unserer Gesetzes-initiative durch die Koalition in den Ausschüssen hat michschon überrascht. In der Öffentlichkeit, vor Vereinen undVerbänden, hören Sie sich ganz anders an. Aber so ist dasbei Ihnen: versprochen, gebrochen.
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Dieter Grasedieck21729
Ihr Dreisprung heißt: Unsere Verbesserungsvorschlägefür Vereine und das Ehrenamt lehnen Sie als utopisch ab.Ihre eigenen mickrigen Ergebnisse blasen Sie auf. Hand-lungsnotwendigkeiten schieben Sie auf die Enquete-Kommission ab. Mittlerweile habe ich den Verdacht, Siehoffen, dass Sie dies nach dem Herbst nicht mehr um-setzen müssen.
Was haben Sie nicht alles versprochen? Eichel forderteam 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwandsent-schädigung für Vorstandsmitglieder und Funktionsträ-ger. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und heu-tige Bundesgesundheitsministerin Schmidt forderte am6. Mai 1999, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf400 DM monatlich anzuheben.
Zur Begründung sagte Frau Schmidt, dies koste nicht viel,man verzichte nur auf zu erwartende Steuereinnahmen.Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Frak-tion, Wilhelm Schmidt, bot mit und forderte am 23. Ju-ni 1999 in einer Vorlage an die SPD-Bundestagsfraktion,die so genannte Übungsleiterpauschale auf 400 DM mo-natlich anzuheben.
Seine Begründung: Die gemeinnützigen Organisationenkönnten mit ihren ehrenamtlichen Strukturen die bürokra-tisch sehr aufwendige Umsetzung der Neuregelung dergeringfügigen Beschäftigungsverhältnisse kaum bewäl-tigen. Recht hat er! Das ist eine seltene, aber wahre Ein-sicht.
Der Fraktionsvorsitzende Peter Struck versprach am20. Mai 2000, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf400 DM monatlich anzuheben. Die sportpolitischen Spre-cher von Rot und Grün, die heute nicht anwesend sind,forderten dies sowie die Ausweitung auf andere Tätig-keiten. Finanzminister Eichel hat sie zurückgepfiffen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, IhreVorschläge waren alle gut, auch die Begründungen. Des-halb haben wir sie in einem Gesetzentwurf zusammenge-fasst. Nun verweigern Sie Ihren eigenen Vorschlägen dieZustimmung. Sie bestätigen dringenden Handlungs-bedarf, lehnen Verbesserungen aber ab.
Das, Herr Bürsch, ist nicht gut so. Würde dies nur IhrerGlaubwürdigkeit schaden, wäre es nicht schlimm. Ihr Ver-halten schadet aber vor allem den ehrenamtlich Tätigen.
Meine Damen und Herren, in unserer Gesellschaft be-steht ein breiter Konsens für unsere Vorschläge. DerDeutsche Sportbund und der Deutsche Kulturrat forderndiese Verbesserungen. Die von der Enquete-Kommission„Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ beauf-tragten Gutachter kommen zu dem gleichen Ergebnis wiewir. Sie sehen breiteste Übereinstimmung bei Politikern,Sachverständigen und Betroffenen. Erinnern wir Sie anIhre Aussagen und berufen wir uns auf die Ergebnisse dervon Ihnen bestellten Gutachter, sprechen Sie von utopi-schen Forderungen.Heute sagt uns Ihr Finanzminister, dass seine eigenenForderungen unbezahlbar gewesen sein sollen. Dies nen-nen Sie seriöse Politik für das Ehrenamt. So hätten Sie un-sere Vorschläge nicht umsetzen müssen. Doch man hättein den Ausschüssen wenigstens über mögliche Verbesse-rungen sprechen können. Aber Sie verweigern sich total.Ich erinnere Sie – falls Sie das übersehen haben – an Fol-gendes: Sie hätten auch einen eigenen Gesetzentwurf ein-bringen können.
Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, mitHandlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Zu-kunft des bürgerschaftlichen Engagements“, deren InhalteSie heute im Bundestag reihenweise ablehnen, in denWahlkampf zu ziehen. Ein solch durchsichtiges Wahl-kampfmanöver wird Ihnen nicht gelingen.
Zwar findet man bei Ihnen plakative, vollmundigeAnkündigungen, Versprechungen und Broschüren vor.Aber Sie tun nichts. Wenn Sie etwas tun, führen Sie dieehrenamtlich Engagierten unverfroren hinter das Licht.Das ist Ihre Art Engagement. Sie gaukeln den ehrenamt-lich Tätigen vor, welch Heilsbringer diese Bundesregie-rung für das Ehrenamt ist.
Ich habe hier eine Broschüre der Bundesregierung mitdem Titel „Mitmachen, mithelfen – Ehrensache“. Besserwäre der Titel „Getäuscht, getrickst, gelogen“.
Im Vorwort preist der Bundeskanzler das ehrenamtlicheEngagement an. Bei den inhaltlichen Ausführungen lässter die ehrenamtlich Tätigen schamlos über die Klingespringen. Schröder spricht von bürokratischer Entlas-tung durch das Bundesseuchengesetz 2001. Wie immerversucht er, seine Wohltaten möglichst volkstümlich anden Mann zu bringen. Auf Seite 12 heißt es:Würstchen können demnach von der freiwilligenFeuerwehr seit 2001 ohne Belehrung und Bescheini-gung bei Straßenfesten gegrillt werden,
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Klaus Riegert21730
damit sich die Feuerwehr von dem Erlös einen neuenSpritzenwagen kaufen kann.
Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer könnenMahlzeiten ohne Belehrung und Bescheinigung zu-bereiten und diese bei Vereinsfesten verkaufen, umdie Vereinskasse aufzubessern.
Ich fände es – genau wie Millionen ehrenamtlichTätige – prima, wenn sie von bürokratischen Lasten be-freit wären.
Nur ist dies nicht die Wahrheit. Ich habe bei der Bundes-regierung schriftlich nachgefragt, ob dies so zutreffe. DieAntwort der Bundesregierung vom Januar 2002 lautet:Seit 1997 – Sie hören richtig: seit 1997 – habe sich nichtsgeändert.
Die Bundesregierung und der Bundeskanzler haben dieEhrenamtlichen schlicht getäuscht. Stellen Sie sich ein-mal eine ehrenamtliche Helferin auf einem Vereinsfestvor, die selbst gemachten Salat oder Kuchen verkauft.Dann kommt ein Beamter vom Gesundheits- oder Ord-nungsamt
und verlangt von ihr Bescheinigungen nach der Hygiene-verordnung. Dann zieht die ehrenamtliche Helferin dieBroschüre der Bundesregierung aus der Tasche, zeigt dasFoto des Bundeskanzlers und den folgenden Text, in demsteht, dass durch Änderung des Seuchengesetzes 2001nun alles besser und unbürokratischer geregelt sei. Dawird den Beamten des Ordnungsamtes nichts anderesübrig bleiben als zu sagen: Packen Sie Ihre Sachen ein!
Schröder hat vieles anders, aber nichts besser gemacht.
Es geht weiter im Text. Der Bundeskanzler, der Bun-desinnenminister, die Fraktionsspitzen und die rot-grüneKoalition haben die Vereinbarungen mit den Sozialver-sicherungsträgern, dass die geringfügigen Beschäftigun-gen in Sportvereinen bis zu 630DM zukünftig melde- undsozialversicherungsfrei seien, als Stärkung des Ehrenamtsund als Abbau von Bürokratie gepriesen. Bundesinnen-minister Schily konnte sich ob dieser Wohltaten gar nichtgenug auf die Schultern klopfen. Ich habe die Bundes-regierung gefragt, wie die geringfügige Beschäftigung ingemeinnützigen Vereinen geregelt war, bevor die vonRot-Grün verursachte Neuregelung des 630-DM-Geset-zes in Kraft getreten ist. Antwort der Bundesregierung:Vor 1999 gab es diese Bürokratie gar nicht.
Für die Beschäftigten gab es weder eine Meldepflicht beiden Sozialversicherungen noch eine Pflicht zur Beitrags-abführung. Getäuscht, getrickst und gelogen – dies ziehtsich wie ein roter Faden durch diese Broschüre.
Wir danken den Millionen von ehrenamtlich Tätigenund wollen Verbesserungen für ihr Engagement. Ist Ihneneigentlich bewusst, dass Sie den Vorsitzenden, den Kas-sierer, den ehrenamtlichen Geschäftsführer, den Jugend-leiter oder den Abteilungsleiter weiterhin zwingen, jedesBlatt Papier, jede Briefmarke, jedes Telefongespräch undjeden gefahrenen Kilometer zu notieren, damit sie ihretatsächlichen Kosten erstattet bekommen können? Mei-nen Sie, dass die Vereine Geld ausgeben können, soweitdies nicht gerechtfertigt ist? Sie haben jetzt die Gelegen-heit, diese Ungerechtigkeit abzustellen und Ihre umfang-reichen Ankündigungen zum Wohle der ehrenamtlichTätigen in die Tat umzusetzen. Stimmen Sie deshalb ge-gen die Beschlussempfehlung des Ausschusses! Die eh-renamtlich Tätigen haben diese Verbesserungen verdient.Sie könnten damit Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit einenDienst erweisen.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Peter Danckert von der SPD-Fraktion.
Lieber Herr Kollege KlausRiegert, herzlichen Glückwunsch: Nach dreieinhalb Jah-ren Opposition einen derart pompösen Gesetzentwurf zurStärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Or-ganisationen. Und was kommt dann raus? Ein Mäuslein!Nicht mehr als das. Ich frage Sie allen Ernstes: Haben Siein den letzten Tagen mit Ihrem Kanzlerkandidaten überdiesen Gesetzentwurf geredet? Mich würde interessieren,was er dazu sagt. Ich bin sicher, dass er Ihnen die gleicheAntwort gibt wie zum Thema Ökosteuer.
Zwei Jahre lang haben Sie uns mit der Ökosteuer gepei-nigt und verlangt, sie abzuschaffen. Nichts ist mehr davonübrig. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäf-tigungsverhältnissen wird sich auch nichts ändern, undzwar ganz egal, wer regiert. An dieser Stelle hätte ichgerne einmal die Meinung von Herrn Stoiber über diesenGesetzentwurf gehört.Sie haben hier viel erzählt, Herr Kollege Riegert, ha-ben aber eine Frage nicht beantwortet – die Antwort inIhrem Gesetzentwurf ist mehr als dürftig –: Was wird daskosten? In dem Gesetzentwurf steht ein interessanterSatz:
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Klaus Riegert21731
Die eventuell anfallenden Steuermindereinnahmenkönnen nicht genau beziffert werden. Sie liegen imRahmen vergleichbarer steuerlicher Änderungen derletzten beiden Jahre.
Was meinen Sie eigentlich damit? Sie legen uns hier allenErnstes einen Gesetzentwurf vor und haben noch nichteinmal eine schwache Ahnung, was seine Umsetzungkosten wird.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gab es – Kol-lege Barthle wird das als Berichterstatter des Finanzaus-schusses bestätigen können – Hinweise der Bundesregie-rung, was die Umsetzung des Gesetzentwurfs kostenkönnte. Wir haben eine Summe von 25 Milliarden gehört;das steht auch in den amtlichen Unterlagen.
Ich selber kann auch nicht sagen, ob diese Zahl stimmt.
Sie aber setzen sich mit dieser Frage gar nicht erst aus-einander. Das Schlimme an dieser Geschichte ist: Sie ver-kaufen der Öffentlichkeit einen tollen Gesetzentwurf, beidem ein Paragraph mit einer Nummer geändert werdensoll, verraten uns aber nicht, wie das finanziert werdensoll.
Das ist das Unseriöse an Ihrer Politik: ein großes Gedönszu machen und kein Wort zur Frage der Kosten zu verlie-ren. Man kann alles versprechen, muss aber den Bür-gerinnen und Bürgern vor der Wahl offen sagen, was eineMaßnahme unterm Strich kosten wird.
Ein zweiter Punkt. Sie haben in Ihrer langen Regie-rungszeit – diese ist Gott sei Dank am 27. September 1998zu Ende gegangen – eine interessante Sache gemacht, aufdie ich Sie aufmerksam machen möchte. Die Kohl-Re-gierung hat nämlich im Jahre 1997 eine unabhängigeSachverständigenkommission zur Prüfung des Ge-meinnützigkeits- und Spendenrechts einberufen.
Diese Kommission hat am 24. März 1998 einen sehr in-teressanten, umfangreichen Bericht vorgelegt. Wenn Sieden umgesetzt hätten, müssten Sie sich heute nicht mehrso verstecken. Das ist nämlich die Realität: Sie setzen eineSachverständigenkommission ein, die einen Bericht zurVereinfachung und Verbesserung des Gemeinnützigkeits-und Spendenrechts vorlegt, unternehmen aber anschlie-ßend nichts.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der nochinteressanter ist. Zur Begründung Ihres Erhöhungsverlan-gens von 3 600 auf 4 800 DM – nachdem wir nun den ers-ten entscheidenden Schritt in dieser Angelegenheit unter-nommen haben – berufen Sie sich
– auch Sie, Herr Kollege Barthle – in Ihren Ausführun-gen auf die Bundesratsinitiative des damaligen Minis-terpräsidenten Eichel, nachzulesen in der Bundesrats-drucksache 950/98. Die müssten Sie einmal lesen, bevorSie dummes Zeug in Ihren Gesetzentwurf schreiben!Darin ist nämlich nicht von einer Erhöhung der Kosten-pauschale die Rede, sondern nur von einer Erweiterungauf andere Funktionsträger.
Sie aber argumentieren zur Begründung Ihrer Auffassungständig, dass Herr Eichel schon 1998 die Erhöhung ge-fordert habe. Nichts davon ist wahr. Sie sind noch nichteinmal in der Lage, sich die Unterlagen, auf die Sie sichberufen, anzusehen, sondern Sie tragen hier falsche Dingevor. Das ist das Unseriöse an Ihrem Vorgehen.
Lassen Sie mich abschließend anmerken, Herr KollegeRiegert: So ganz ernst kann das alles ja gar nicht gewesensein. Warum brauchen Sie eigentlich dreieinhalb Jahre– ich rede gar nicht von den 16 Jahren, in denen Sie Zeithatten, so etwas umzusetzen; weshalb Sie zu dem Themagar nichts sagen, ist eine offene Frage; aber lassen Sie unsdas vergessen –, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen?Können Sie uns das verraten? Sie scheinen es mit IhrerInitiative nicht besonders eilig gehabt zu haben. Denn dasist ja alles schon Anfang vergangenen Jahres – –
– Sie hätten es schließlich auf die Tagesordnung des Hau-ses setzen lassen können. Das haben Sie aber nicht ge-macht. Offensichtlich war Ihnen bei dieser Angelegen-heit selber nicht wohl. Wir hätten schon im Sommerdarüber diskutieren können. Sie haben aber darauf ver-zichtet.Warum bringen Sie den Gesetzentwurf jetzt ein? DieAntwort darauf ist sehr einfach: Das ist nur Wahlkampf-geklingel.
An die Fraktionen der FDP und der PDS gerichtet las-sen Sie mich sagen: Meine Herren Kollegen, ihr habt dochnicht so recht verstanden, wofür ihr eigentlich seid.
Aus den Empfehlungen der verschiedenen Ausschüsseist ersichtlich, dass einmal eine Enthaltung erfolgt undeinmal dagegen gestimmt wird. Die Positionen der
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Dr. Peter Danckert21732
Parteien, die wir auch besprochen haben, sind ziemlichoffen.Abschließend möchte ich sagen, Herr Kollege Riegert,dass wir – das ist doch das Vernünftige – zunächst einmalabwarten sollten, was die gemeinsam eingesetzte Enquete-Kommission vorlegt.
Dann sollten wir zu einer umfassenden Regelung kom-men und nicht punktuell sozusagen einen Warenhauska-talog mit einer gewissen Beliebigkeit vorlegen und amEnde noch nicht einmal angeben, wie das Vorhaben fi-nanziert werden soll.
Sie als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Sportaus-schuss sollten sich den Grundsatz „Fair geht vor“ merkenund sich erst dann wieder zu Wort melden.Vielen Dank.
Der Kollege Klaus
Riegert hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte
sehr.
Herr Dr. Danckert, wenn
Sie das Motto „Fair geht vor“ anführen, möchte ich kurz
vortragen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: Eichel
fordert am 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwands-
entschädigung für Vorstandsmitglieder und Funktions-
träger – genauso wie Sie es aus der Drucksache 950/98 zi-
tiert haben.
Ich habe das völlig korrekt zitiert. Sie können das nachher
im Protokoll nachlesen.
Die anderen Zitate stammten in der Tat von Mitglie-
dern Ihrer Fraktion. Die können Sie in den entsprechen-
den Presseberichten ebenfalls nachvollziehen
oder wenn Sie sich die Mühe machen wollen, können Sie
bei Ihrer sportpolitischen Sprecherin den Entwurf heraus-
suchen, in dem genau die Stellen, aus denen ich zitiert
habe, enthalten sind und die dann in der Fraktion zurück-
gezogen wurden. Laut dieser Drucksache hat Herr Eichel
gesagt, dass die Steuermindereinnahmen nicht bezifferbar
seien. Des Weiteren wird ausgeführt, dass die tatsäch-
lichen Steuerausfälle – das haben wir genau so übernom-
men – gering seien.
Herr Kollege
Danckert, möchten Sie erwidern? – Bitte sehr.
Herr Kollege Riegert, le-
sen Sie bitte einmal die entsprechenden Ausschussproto-
kolle nach. Sie werden dann feststellen, dass man sich auf
die Äußerungen des ehemaligen hessischen Ministerprä-
sidenten Eichel bezogen hat, als es um die Erhöhung des
Steuerfreibetrags von 3 600 DM auf 4 800 DM ging. Ge-
nau das ergibt sich auch aus den verschiedenen Drucksa-
chen. Ich habe mich ja nicht auf Ihre Rede bezogen.
Ich habe vielmehr auf das Bezug genommen, was von Ih-
rer Fraktion in dieser Angelegenheit nicht mündlich, son-
dern schriftlich vorgetragen worden ist. Das ist noch viel
schlimmer; denn man muss den Eindruck haben, dass hier
ganz bewusst getäuscht wird.
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Die jetzige Debatte bietet eine gute Gele-genheit, den ehrenamtlich Tätigen zu danken und unsererGesellschaft zu den Abermillionen selbstlos geleistetenStunden zu gratulieren, die die ehrenamtlich Tätigen vonihrer Lebenszeit abgegeben haben.
Schließlich ist jede Stunde, die man der Gesellschaft ab-gibt, für die persönliche Verwendung unwiederbringlichverloren. Ich glaube, dass das die eigentliche Bedeutungdes Ehrenamts unterstreicht.Wir müssen aber auch erkennen, dass das traditionelleEhrenamt, das uns immer vorschwebt, sehr stark gefährdetist. Bestimmte Großorganisationen und Vereine verzeich-nen eine dramatische Erosion in diesem Bereich. Wir tunso, als könnten wir diese Entwicklung mit einem leichtenFederstrich und durch Einbringung eines Gesetzentwurfsbzw. eines Antrags im Parlament korrigieren. Die Arbeits-und Freizeitwelt wird vollständig umgebaut. Es ent-wickeln sich eine neue Jugendkultur und neue Engage-mentformen, die dieses Haus noch gar nicht registriert hat.
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Dr. Peter Danckert21733
Der Zerfall moralischer Kategorien – darauf komme ichspäter zurück – tut das Seine dazu, dass nicht mehr so vieleMenschen wie in der Vergangenheit bereit sind, sich eh-renamtlich zu engagieren. Daraus ergeben sich bestimmteZukunftsaufgaben.Die CDU/CSU lenkt mit ihrem Entwurf genau von die-sen Zukunftsaufgaben ab; denn sie reduziert Problem-lösungsansätze auf die Geldfrage. Aber beim Ehrenamtgeht es vordergründig nicht um Geld. Es geht vielmehrum viel tiefere Begründungszusammenhänge, über diewir nachdenken müssen.
Es ist ein Widerspruch – dieser lässt sich auch in derBegründung des CDU/CSU-Entwurfs finden –, wennHerr Schüßler im Zusammenhang mit dem Ehrenamt überdie Entwicklung der geringfügigen Beschäftigungsver-hältnisse nachdenkt; denn geringfügige Beschäftigungs-verhältnisse haben mit dem Ehrenamt nichts zu tun.
Bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen han-delt es sich um bezahlte Tätigkeiten. Aber die ehrenamt-liche Tätigkeit ist unbezahlt. Wer geringfügige Beschäfti-gungsverhältnisse und ehrenamtliche Tätigkeit in einemAtemzug erwähnt, der will das Volk bewusst desinfor-mieren.
Ich denke, das war auch die Konsequenz aus der ein-fallslosen Großen Anfrage der CDU/CSU, die insgesamt60 Fragen umfasst. Wenn man sich die einzelnen Fragengenau anschaut, dann stellt man fest, dass sich 18 Fragenauf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse beziehen,neun Fragen auf Steuerprüfung, acht Fragen auf dieÜbungsleiterpauschale, sieben Fragen auf Rechtsvorschrif-ten und drei Fragen auf das Durchlaufspendenverfahren. Esist lächerlich, wenn Sie glauben, dass Sie mit diesen FragenAntworten auf die Zukunftsfrage bezüglich des Verhältnis-ses von Jugend und Ehrenamt finden werden.
Vorhin wurden Fakten eingeklagt. Die möchte ich nunnennen. Die Übungsleiterpauschale gibt es seit 1980. Von1980 bis 1998 ist die Übungsleiterpauschale um 0 Prozentangehoben worden.
Das heißt also, dass die Übungsleiterpauschale beispiels-weise im Jahr 1983 um 0 Prozent, 1984 um 0 Prozent, 1985um 0 Prozent und auch in den Jahren 1997 und 1998 um0 Prozent angehoben wurde. Meines Wissens war die rot-grüne Koalition in diesem Zeitraum noch nicht an der Re-gierung. Insofern muss man sich einmal überlegen, was fürein Vorgang das ist: 1999 wurde die Übungsleiterpau-schale von uns um 50 Prozent angehoben – um jetzt, einJahr später, von Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt zubekommen, mit dem Sie weitere 50 Prozent fordern.
Noch etwas: Aus steuersystematischen Gründen ist dieÜbungsleiterpauschale noch nicht einmal eine kluge Ant-wort auf die Problemlage, die sich uns stellt.
Die Anhebung durch die rot-grüne Koalition war eine Not-operation, mit der wir deutlich machen wollten: Ehrenamt,wir nehmen dich wichtig. Es ist so lange nichts passiert;lasst uns schnell die Übungsleiterpauschale anheben,auch wenn wir langfristig ein völlig anderes System brau-chen, weil sich das Ehrenamt nicht auf diese primitiveFrage nach Geld reduzieren lässt.Es gibt noch ganz andere Widersprüche: Herr Riegerthat in der letzten Debatte zu diesem Thema gefordert – ichhabe das einmal nachgelesen –, die Zweckbetriebsgrenzenbei gemeinnützigen Vereinen anzuheben. Andererseitsaber will die CDU/CSU das Gastronomie- und Touris-musgewerbe nicht gefährden – ein bislang unaufgelösterWiderspruch.
Auf eine Ursache für die Erosion des Ehrenamts undder Vereine wurde heute noch gar nicht eingegangen.Mich wundert Folgendes: Die meisten von uns sind ja ineinem Alter, wo wir Kinder zwischen, sagen wir einmal,zehn und 25 Jahren haben könnten. Ich frage mich wirk-lich, ob Sie mit Ihren Kindern gelegentlich einmal reden.
– Deshalb habe ich auch in die andere Richtung geschaut.Mein Eindruck ist nämlich, dass das bei der CDU/CSUrelativ selten passiert.
Die CDU/CSU stellt immer die Frage: Geht ihr eigent-lich in die Vereine? Die Antwort ist: Ja, wie gehen in Ver-eine. Ich zum Beispiel gehe in die DLRG.
Dort heißt das Treffen Ortsgruppe. Im Sport heißt es Ver-ein, in Parteien heißt es Ortsverein. Meine Kinder aber ge-hen überhaupt nicht in einen Verein oder eine Ortsgruppe,sondern bilden – komischerweise ein Wort, das hier seltenvorkommt – einen Clan.
Jugendliche treffen sich zum Beispiel zu einem Wett-kampfwochenende.
– Nein, das ist nicht nur ein englisches Wort. Daran er-kennt man, dass Sie die Problemlage überhaupt nichtdurchdrungen haben. Sie gehen in Ihrer Freizeit zu einemSeminar, aber die Jugendlichen heute gehen zum Beispielzu einer LAN-Party – womöglich treffen sie sich gar nurvirtuell, sind also real an unterschiedlichen Orten.
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Lothar Binding
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Die Jugendlichen schaffen auch völlig neue Verhaltens-muster und haben andere moralische Vorstellungen.
Die Gerechtigkeitsfragen beispielsweise werden ganz neuabgebildet. Auf diese Fragestellungen gehen wir über-haupt nicht ein.Ich will Ihnen sagen, warum ich glaube, dass wir miteinem naiven Zugang zu diesem Thema Ehrenamt bei Ju-gendlichen überhaupt nichts bewirken können. MeineKinder fragen mich zum Beispiel, warum ich ihnen etwasvon Selbstlosigkeit erzähle, wenn doch ein Herr Kohlnoch im Parlament sitzt.
Wenn ich sage, dass die Maxime „Du sollst anderen Men-schen helfen“ eine positive Qualität hat, dann bekommeich zu hören: Der Koch verwaltet Schwarzkonten und istimmer noch im Amt, wird sogar als Kanzlerkandidat ge-handelt. – Nun gut, in Bezug auf die Nachfolge von Kohlbedeutete das ja wenigstens Kontinuität: Verwaltung vonSchwarzkonten im Kanzleramt.
Für mich wäre das aber eine Perspektive, die mich er-schrecken lässt.Was ich sagen will, ist: Der Zerfall moralischer Kate-gorien macht den Jugendlichen keinen Mut, sich im klas-sischen Sinne ehrenamtlich zu engagieren. Die Ignoranzvon vielen in diesem Hause hinsichtlich der neuen Ju-gendkulturen schafft jedenfalls keine Brücke zwischenneuen Jugendkulturen und unserem traditionellen bürger-schaftlichen Engagement. Ich denke, dass Sie mit der Re-duktion dieses Themas auf die primitive Frage des Geldesdem Ehrenamt mehr schaden als nutzen.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5224 zur
Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Or-
ganisationen. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Druck-
sache 14/6218, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 14/5196 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel: „Gemeinnützige Vereine von
hohen Energiekosten entlasten“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4386 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der
PDS und FDP und gegen die Stimmen von CDU/CSU ist
die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 7 auf:
Vereinbarte Debatte
zur Einsetzung des EU-Verfassungskonvents
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Darüber
herrscht Einverständnis.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Pro-
fessor Jürgen Meyer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Eröffnung des„Konvents zur Zukunft Europas“ in der kommenden Wo-che in Brüssel ist ein Ereignis, das für die Zukunft der Eu-ropäischen Union besondere und hoffentlich historischeBedeutung hat. Die Regierungschefs der 15 Mitgliedstaa-ten sprechen in den Schlussfolgerungen von Laeken vomvergangenen Dezember vom Weg zu einer Verfassungfür die europäischen Bürger. Deshalb nennen viele denKonvent der 105 Delegierten aus 28 Ländern, dessen Ein-berufung ich übrigens schon einmal im Juni 1995 in einerBundestagsdebatte zu fordern gewagt hatte, nicht zu Un-recht „Verfassungskonvent“. Damit ist eine faszinierendeAufgabe beschrieben.Ich will die erste Sitzungswoche nach meiner Wahlzum Delegierten des Deutschen Bundestages im Konvent
gerne nutzen, um Ihnen für das in mich gesetzte Vertrauenzu danken.
Ich habe mich darüber gefreut, dass mich alle Fraktionenaußer der CDU/CSU-Fraktion geschlossen gewählt ha-ben, aus der CDU/CSU-Fraktion immerhin die Europa-politiker, die dem Thema etwas näher stehen als andere.
Die Europäische Union benötigt eine Verfassung oder,wie manche sagen, eine Grundordnung, die Demokratieund Effizienz auch nach der bevorstehenden Erweite-rung sichert. Diese Erweiterung, die wir ja alle wollen,um möglicherweise weitere zehn Staaten noch vor der Eu-ropawahl 2004 ist mit der Gefahr verbunden, dass sich diezentrifugalen Kräfte verstärken und ein nicht mehrarbeitsfähiges Gebilde entsteht. Deshalb ist es höchsteZeit für eine Verfassung. Ich denke, unsere gemeinsame
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Lothar Binding
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Überzeugung ist: Eine Erweiterung der EuropäischenUnion ohne Vertiefung ist kein überzeugendes Konzept.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es waren nicht zu-letzt wir Parlamentarier, die diesen zweiten Konvent er-kämpft haben.
Ich erinnere an Entschließungen aller Fraktionen diesesHauses, an Entschließungen der Konferenz der Europa-ausschüsse mit dem schönen Namen COSAC und an einegemeinsame Sitzung der Europaausschüsse des Bun-destages und der Assemblée Nationale wenige Tage vorLaeken. Ich erinnere aber auch daran, dass der Erfolg die-ser Bemühungen drei Voraussetzungen hatte:Erstens. Ohne die Erfindung des ersten Konventsdurch die rot-grüne Bundesregierung und ohne die Durch-setzung des Konventsgedankens auf dem Gipfel von Kölnim Juni 2000 gäbe es keinen zweiten Konvent. Daransollte man sich immer erinnern, wenn man in diesem Zu-sammenhang auf die Bundesregierung zu sprechenkommt.
Zweitens. Mit der Konferenz von Nizza war die alteMethode, europapolitische Weichenstellungen hinter ver-schlossenen Türen vorzubereiten und dann in der „Nachtder langen Messer“ zu mehr oder weniger überzeugendenKompromissen zu kommen, an ihre Grenzen gestoßen.Drittens und vor allem: Ohne den Erfolg des erstenKonvents, dessen Zusammensetzung und Arbeitsweiseim Wesentlichen weiterhin gelten, gäbe es den zweitenKonvent nicht.
Ich habe darauf hingewiesen, dass die Arbeitsweiseund die Zusammensetzung des ersten Konvents weiterhingelten. Davon gibt es zwei Ausnahmen, die aber positivzu bewerten sind:Zum einen sind am zweiten Konvent auch die Kandi-datenländer beteiligt, und zwar ebenso wie die 15 Mit-gliedsländer mit drei Delegierten. Das ist notwendig, weiles, demokratisch betrachtet, völlig unerträglich wäre, eineVerfassung zu erarbeiten, die den demnächst beitretendenKandidatenländern übergestülpt würde. Sie müssen daranmitwirken können. Das ist eine gute Lösung.
Außerdem wird dem zweiten Konvent das „Forumder Zivilgesellschaft“ hinzugefügt. Auch das ist ein Fort-schritt. Es ist notwendig, dass die Delegierten in stän-digem Kontakt mit den Vertretern von Kirchen, Gewerk-schaften, Hochschulen usw. sind; denn erst dieser Kontaktermöglicht es, eine überzeugende Verfassung zu erarbei-ten, die die Köpfe und, so hoffe ich, die Herzen der Men-schen erreicht. Ich hoffe, dass das Forum der Zivilgesell-schaft nicht nur virtuell ist, sondern dass seine Sprecher inBrüssel zusammenkommen und die Delegierten dann dastun, was besonders wichtig ist, nämlich einfach zuhören.Ein wichtiges Thema, mit dem wir uns zu befassen ha-ben werden, ist die Verbindlichkeit der Grund-rechte-Charta, die vom ersten Konvent erarbeitet wor-den ist. Entgegen manchen Befürchtungen, zum Beispielunserer britischen Freunde, ist der Schritt zu einer ver-bindlichen Grundrechte-Charta nicht so groß, wie manchemeinen:Zum einen haben sich die Regierungschefs durch diefeierliche Verkündung der Charta im Dezember 2000 inNizza politisch selbst verpflichtet.Zum Zweiten wird die Grundrechte-Charta von derRechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Lu-xemburg aufgrund der Anträge der Generalanwälte schonjetzt angewandt. Das ist notwendig, weil nach Art. 6 desgeltenden EU-Vertrages auch die gemeinsame Verfas-sungsüberlieferung der Mitgliedstaaten Grundlage desgeltenden Rechts in der Europäischen Union ist. Im Rah-men des ersten Konvents hatten wir genau das zu formu-lieren.Roman Herzog hat völlig Recht, wenn er sagt, dass dieKandidatenländer – er wies insbesondere auf die Türkeihin – gut daran tun, vor der Entscheidung über ihren Bei-tritt die Charta nicht nur zu lesen, sondern auch im eige-nen Land zu verwirklichen. Darin liegt die praktische Be-deutung dieser Charta.
Ihre Anerkennung als rechtsverbindlicher erster Teilder Verfassung bedeutet vor allem, dass die EuropäischeUnion eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft undeine Währungsunion, sondern auch eine Wertegemein-schaft ist. Das kann man mit den anspruchsvollen Wortender Regierungskonferenz von Laeken formulieren, die ichhier zitieren will:Welche Rolle spielt Europa in dieser gewandeltenWelt? Muss Europa nicht – nun, da es endlich geeintist – eine führende Rolle in einer neuen Weltordnungübernehmen, die Rolle einer Macht, die in der Lageist, sowohl eine stabilisierende Rolle weltweit zuspielen, als auch ein Beispiel zu sein für zahlreicheLänder und Völker? Europa als Kontinent der huma-nitären Werte, der Magna Charta, der Bill of Rights,der Französischen Revolution, des Falls der BerlinerMauer. Kontinent der Freiheit, der Solidarität, vor al-lem der Vielfalt, was auch die Achtung der Sprachen,Kulturen und Traditionen anderer einschließt. Dieeinzige Grenze, die die Europäische Union zieht, istdie der Demokratie und der Menschenrechte. DieUnion steht nur Ländern offen, die ihre Grundwerte,wie freie Wahlen, Achtung der Minderheiten und derRechtsstaatlichkeit, teilen.
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Dr. Jürgen Meyer
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Ich denke, dass das eine Überzeugung ist, die uns auchhier, in diesem Hohen Hause, eint.
Die Regierungschefs haben in Laeken die weiterenThemen, mit denen sich der Konvent befassen soll, miteiner Reihe von Fragebündeln beschrieben, aus denensich eines ganz klar ergibt: Die Antworten muss der Kon-vent in der vorgegebenen Zeit von etwa zwölf Monatenselbst finden. Sie sind ihm nicht vorgegeben; denn sonsthätten die Regierungschefs ja diese Frageform nicht sinn-voll wählen können.Was das in Deutschland mehr als anderswo heftig dis-kutierte Thema der Kompetenzen angeht, wird sicher derVersuch notwendig sein, einen Kompetenzkatalog, wieihn übrigens auch der britische Premierminister TonyBlair inzwischen vorgelegt hat, zu diskutieren. Aber überzwei Dinge sollten wir uns dabei einig sein: Das von al-len anerkannte Subsidiaritätsprinzip,wonach die untereEinheit immer so lange zuständig ist, wie sie konkreteFragen ausreichend regeln kann, also in Deutschland ebenauch die Gemeinden, die Regionen, die Länder, undselbstverständlich der Staat Bundesrepublik, wird Grund-lage der Konventsberatungen sein.Ich füge eines hinzu, worüber wir hoffentlich auch ei-nig sein werden. Immer, wenn Kompetenzen von der na-tionalen auf die europäische Ebene übertragen werden,muss auf eines geachtet werden: Es darf nicht eineReduzierung oder gar einen Wegfall der parlamenta-rischen Kontrolle geben.
Die Übertragung von Kompetenzen muss mit der Erhal-tung der Kontrolle, im Normalfall durch das EuropäischeParlament, verbunden sein. Stärkung der EuropäischenUnion mit weniger Demokratie – das ist ein Weg, den wirhoffentlich gemeinsam ablehnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konventsmodellist oft als Versuch gewürdigt worden, mehr Demokratieund mehr Parlament zu wagen. Das ist ein hoher An-spruch, dem keine tiefe Enttäuschung folgen darf. Des-halb meine ich, dass wir im Konvent – das gilt selbstver-ständlich auch für den Präsidenten Giscard – zum Erfolggeradezu verurteilt sind. Der zweite Konvent darf keinLuftballon sein, der mit Getöse aufsteigt und dann ingroßer Höhe leise zerplatzt. Die Konventsidee darf nichtmit dem Ende des Konvents ebenfalls zu Ende sein. Dasheißt: Der Geist dieses Modells muss sich im Inhalt derVerfassung, die der Konvent erarbeitet, widerspiegeln.Der Konvent ist eine große historische Chance, die eszu nutzen gilt. Ich will gerne meinen engagierten Beitragdazu leisten und bitte alle Fraktionen dieses Hauses, michdabei durch konkrete und konstruktive Zusammenarbeitzu unterstützen.Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Die europäische Geschichte der letz-ten zweieinhalbtausend Jahre war immer auch eine Ver-fassungsgeschichte, ob Sie an die griechische Polis, dierömische Republik, die Magna Charta – Kollege Meyerhat sie bereits genannt –, die Französische Revolution, diePaulskirchenverfassung oder das deutsche Grundgesetzdenken. Verfassungen haben den Sinn, ein Gemeinwesenzu ordnen. Sie haben den Sinn, der allumfassenden MachtEinzelner wie des Staates Grenzen zu setzen. Sie sollenInteressengegensätze ausbalancieren. Sie sollen dazu bei-tragen, dass ein Gemeinwesen vernünftig funktionierenkann.Deshalb brauchen wir, auch wenn die EuropäischeUnion sicherlich kein Staat im klassischen Sinne ist undes vielleicht auf lange Zeit nicht oder auch nie werdenwird, auch auf europäischer Ebene eine Verfassung.
Es war der französische Staatspräsident Jacques Chirac,der sich von dieser Stelle aus in seiner Rede vor demDeutschen Bundestag als erster amtierender europäischerStaatsmann klar und unzweideutig zu dem Projekt einereuropäischen Verfassung bekannt hat und damit der Dis-kussion in der Europäischen Union über die künftigenHerausforderungen eine neue Dimension verliehen hat.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Konvent,der am 28. Februar zusammentritt, erleben wir in der Tatnicht mehr und nicht weniger als die Geburtsstunde die-ser europäischen Verfassung.
Deshalb ist es notwendig, dass wir uns, bevor der Konventbeginnt, Gedanken darüber machen und uns darüber klarwerden, wie die entscheidenden Herausforderungen, diees zu bewältigen gibt, aussehen, damit wir uns nicht inDebatten über Einzelheiten wie zum Beispiel die Stimm-gewichtung, die qualifizierten Mehrheitsentscheidungenund das Verhältnis der Institutionen zueinander verzet-teln.Die erste und wichtigste Herausforderung ist die Par-lamentarisierung des europäischen Prozesses. Wasmeine ich damit? Bisher treffen wir die Entscheidungenauf europäischer Ebene nach einem alten Modell, das inder Vergangenheit erst leidlich und dann immer wenigerfunktioniert hat. Nach diesem Modell definieren die15 Mitgliedstaaten zunächst einmal ihre nationalen Inte-ressen und versuchen dann in langwierigen Verhandlun-gen, diese 15 verschiedenen nationalen Interessen soauszugleichen, dass am Ende ein Package Deal, ein
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Dr. Jürgen Meyer
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Kompromiss, ein Teppichhandel herauskommt. DiesesSystem hat früher funktioniert. Danach hat es eine Zeitlang mehr schlecht als recht funktioniert. In den letztenJahren funktionierte es überhaupt nicht mehr. Das habenwir in Nizza gesehen. Nizza ist das Menetekel für dasScheitern der alten Methode der Entscheidung und Kon-sensfindung in der Europäischen Union.
Oft wird gesagt, dass es die Beamten hinter verschlos-senen Türen sind, die keine Ergebnisse zustande bringen.Herr Minister Fischer, ich will ausdrücklich auch Ihre Be-amten in Schutz nehmen, weil ich weiß, dass die Mitar-beiter des Auswärtigen Amtes, so wie in vielen anderenMitgliedstaaten auch,
die europapolitischen Entscheidungen und Auffassungen,die wir in diesem Hause gemeinsam teilen, mit großemEngagement vertreten.
Das System verhindert aber, dass Ergebnisse zustandekommen.Deshalb brauchen wir ein parlamentarisches Systemder Beratung. Im Übrigen ist es auch nahe liegend: Wennes um Fragen wie die Tabakrichtlinie, die Altautorichtli-nie oder um die Fragen geht, wie viel Umweltschutz wirin Europa brauchen und wie wir die Steuergesetzgebungin Europa gestalten wollen, geht es in erster Linie ebennicht nur um nationale Interessen. In Deutschland sind dieAuffassungen zwischen der CDU/CSU, der SPD, denGrünen und der FDP dann auch unterschiedlich.
Auch in fast allen anderen Ländern sind sie unterschied-lich. Trotzdem zwingen wir die Mitgliedstaaten nach un-serem bisherigen System dazu, sich auf eine Position zueinigen. Derjenige, der im Rat überstimmt wird, hat danngroße Schwierigkeiten, zu Hause zu verkaufen, warum erin der Minderheit geblieben ist.Ich glaube, dass es deshalb wichtig ist, dass wir das,was im Parlamentarismus aller europäischen Mitglied-staaten seit langem die Regel ist, auch in der EuropäischenUnion zur Regel machen. Wir müssen nach politischenLagern diskutieren. Wir müssen versuchen, zwischen dereuropäischen Linken und der europäischen Rechten, zwi-schen der Europäischen Volkspartei, den Sozialdemokra-ten, den Grünen und den Liberalen vernünftige Kompro-misse hinzubekommen.
Es war das Erfolgsgeheimnis des Konvents, der dieGrundrechtecharta ausgearbeitet hat, dass es nicht 15Ak-teure gab, sondern dass am Ende nur zwischen zwei oderdrei unterschiedlichen Auffassungen Kompromisse zu-stande gebracht werden mussten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist mit derEinsetzung dieses Konvents auch ein entscheidenderSchritt zu einem Systemwechsel eingeleitet worden. Ichwill allerdings auch deutlich sagen, dass nicht alle Regie-rungen so sehr für den Konvent waren wie die deutscheBundesregierung, die den Deutschen Bundestag und denEuropaausschuss in dem Bestreben, einen Konvent zu-stande zu bringen, unterstützt hat. Es gab andere Regie-rungen in Europa, die das Projekt torpedieren wollten.Diejenigen, die sich nicht durchgesetzt haben, versuchenjetzt zum Teil, den Konvent zu einer kleinen Regierungs-konferenz umzufunktionieren, indem sie durch allerhandGeschäftsordnungstricks – es geht unter anderem um dieSitzordnung, die Abstimmungsmodalitäten und die Rede-ordnung – versuchen, diesen Konvent an seiner parla-mentarischen Arbeit zu hindern. Dies werden wir gemein-sam mit den Parlamentariern im Europäischen Parlamentzu verhindern wissen.
Zweiter Punkt. Im Verfassungskonvent geht es auchum die Demokratisierung der Europäischen Union. Da-mit ist nicht Demokratisierung in dem Sinne gemeint,dass wir heute im Europäischen Parlament und im Minis-terrat über die Regierungen, die ihrerseits von Par-lamenten gewählt worden sind, keine demokratische Le-gitimation hätten. Nein, das Kernrecht des Bürgers ineiner Demokratie besteht darin, dass er alle vier oder fünfJahre die Möglichkeit hat, seine Regierung, wenn sie guteArbeit gemacht hat, zu bestätigen oder sie, wenn sieschlechte Arbeit gemacht hat, abzuwählen. Das musstenwir früher alle vier Jahre fürchten, das fürchten Sie jetzt.
Aber das ist der Normalfall von Demokratie.
Wir sollten das ernst nehmen. Warum scheitern denn soviele Referenden über europäische Vertragsänderungen,zum Beispiel in Dänemark und jetzt in Irland? Warum ha-ben wir die Debatten über Europamüdigkeit und Europa-verdrossenheit? Doch sicherlich auch deswegen, weilviele Menschen das Gefühl haben, dass sie dem, was inBrüssel entschieden wird, hilflos ausgeliefert sind,
dass sie keine Sanktionsmöglichkeiten haben, dass siesich nicht zur Wehr setzen können.Deshalb ist es wichtig, dass der Präsident der Euro-päischen Kommission in Zukunft vom EuropäischenParlament gewählt werden kann. Dann werden wir eineneuropäischen Wahlkampf mit unterschiedlichen Spitzen-kandidaten und unterschiedlichen Programmen bekom-men. In diesem europäischen Prozess werden sich dieBürger wesentlich besser wiederfinden können, als diesgegenwärtig der Fall ist.
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Das Dritte ist die Handlungsfähigkeit der Europä-ischen Union. Es führt auch zu Europaverdrossenheit,wenn viele Bürger, die zum Beispiel als Handwerker, alsLandwirte oder als Studenten in ihrem unmittelbaren Le-bensumfeld mit Europa und europäischen Regelungenkonfrontiert werden, feststellen, dass es zwar in vielenBereichen europäische Kompetenzen gibt, dass diese Zu-ständigkeiten auf europäischer Ebene aber entweder garnicht oder nur unzureichend wahrgenommen werdenkönnen. Das ist ein Problem für die Akzeptanz der euro-päischen Einigung. Deshalb müssen wir durch eine mu-tige Reform des Ministerrats – durch Mehrheitsentschei-dungen – dafür sorgen, dass die Europäische Union ihreHandlungsfähigkeit erhält.
Damit komme ich zu dem eigentlichen Kernpunkt desKonventes. Ich glaube nicht, dass der Konvent automa-tisch ein Erfolg wird. Es wird in diesem Konvent Interes-sengegensätze geben zwischen denen, die meinen, dasswir schon viel zu viel Europa haben, dass die Unabhän-gigkeit des Nationalstaates bedroht ist, und denen, die sa-gen, wir brauchen mehr Europa und vor allen Dingen einstärkeres Europa. Das bedeutet, dass es im Konvent zuKrisen kommen wird, dass die Beratungen stocken wer-den, dass sie möglicherweise sogar scheitern können.Wie können wir einen historischen Kompromiss findenzwischen dem Nationalstaat, der ja nicht verschwindensoll, den nationalen Identitäten, die weiterbestehen müs-sen, auf der einen Seite und den Bedürfnissen der europä-ischen Integration auf der anderen Seite, um das, was inEuropa gemacht werden muss, so erledigen zu können,dass die Bürger damit einverstanden sind?Es gibt dafür zwei Ansatzpunkte. Die einen sagen, wirmüssten in Europa künftig über alles reden. Europa müssezuständig sein von der Schule bis zur Bahre: für jedeFrage der Sozialpolitik, Kulturpolitik, Bildungspolitik,Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik. Zum Ausgleichwird versucht, die europäischen Institutionen zuschwächen, indem Befugnisse von der Kommission aufden Ministerrat übertragen werden, indem dafür gesorgtwird, dass – statt der alten Methode nach Jean Monnet –intergouvernementale Prozeduren verstärkt werden, so-dass die Europäische Union am Ende überhaupt nichtmehr handlungsfähig ist und an ihren eigenen Befugnis-sen erstickt. Das ist nicht unser Weg.Die zweite Lösung, die sich anbietet, ist, dass wir sa-gen, dass wir starke europäische Institutionen wollen,eine handlungsfähige Kommission und einen Ministerrat,der seiner Verantwortung gerecht wird, dass wir aber nichtwollen, dass Europa alles macht. Wenn es in Zukunft nochNationalstaaten geben soll, dann brauchen sie aucheigene Zuständigkeiten, dann dürfen wir die Zustän-digkeiten nicht so vermischen, dass der Bürger am Endenicht mehr entscheiden kann, wer wofür verantwortlichist, wer was macht. Zur Demokratie gehört auch, dass dieBürger wissen und entscheiden können, wen sie für etwasverantwortlich machen, wenn sie mit einer Regelung zu-frieden sind oder nicht.Wir werden im Konvent sicherlich schwierige Bera-tungen haben. Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Feh-ler machen, mit der Schere im Kopf an diese Beratungenheranzugehen; denn ich glaube, dass wir ein Ergebnis nurdann erzielen werden, wenn wir uns nicht von vornhereinauf Minimalkompromisse, auf den kleinsten gemeinsa-men Nenner festlegen lassen.Wir werden allerdings auch nur dann Erfolg haben,wenn wir niemanden überfordern: weder die kleinen Mit-gliedstaaten, die vor einem Direktorium der großen Mit-gliedstaaten Angst haben, noch die reicheren Mitglied-staaten, deren finanzielle Belastbarkeit nicht unendlichgroß ist, und auch nicht die ärmeren Mitgliedstaaten, diezu Recht auf Solidarität hoffen.
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum
Schluss, Frau Präsidentin.
Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Fehler machen,
das Vertrauen, das die Bürger in ihre Institutionen haben,
dadurch zu beschädigen, dass wir im Konvent in Brüssel
ein schlechtes Beispiel für die Zusammenarbeit der Euro-
päer geben. Wir müssen zeigen, dass wir imstande sind,
ein mutiges und ambitioniertes Projekt voranzutreiben, an
dessen Ende ein Verfassungsvertrag steht, der Europa vo-
ranbringt und die europäischen Probleme im Interesse der
Bürger löst.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich will darauf hin-
weisen, dass auch die frei gesprochenen Schlussworte zur
Redezeit gehören.
– Ja, es war nur ein langer Schlusssatz, der zudem hoch
interessant war. Ich darf noch hinzufügen, dass wir uns
über die Fortschritte hinsichtlich des Verfassungskon-
vents sehr freuen.
Ich gebe nun dem Kollegen Christian Sterzing das
Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es istschwierig, diesen Konvent in vier Minuten so zu würdi-gen, wie es ihm eigentlich gebührt. Aber es ist sicherlichnicht so schwierig wie das Entwerfen einer europäischenVerfassung innerhalb eines Jahres. Ich will im Folgendennur einige wenige Stichworte nennen.Es ist ganz wichtig, dass wir diesen Konvent im Rah-men der fortschreitenden Demokratisierung des Integra-tionsprozesses betrachten. Die Demokratisierung im
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Sinne von Parlamentarisierung wurde bereits ange-sprochen. Eine Versammlung, die mehrheitlich aus Parla-mentariern zusammengesetzt ist, ist in der Lage – sohoffen wir alle –, die Logik der Regierungskonferenzenund der nicht nachvollziehbaren Kompromisse hinterverschlossenen Türen zu durchbrechen. Insofern bedeutetder Konvent einen großen Fortschritt auf dem Weg derDemokratisierung der Europäischen Union.Das zweite Stichwort ist die Entnationalisierung. Esist wichtig, dass durch diesen mehrheitlich von Parla-mentariern besetzten Konvent auch die nationale Logikvon Regierungskonferenzen durchbrochen wird. Die Ab-geordneten werden sich weitgehend in ihren politischenFamilien organisieren. Dies wird die Debatten prägen.Dadurch kommt es nicht zu einer Belebung scheinbarerGegensätze bei den nationalen Vorstellungen. Auch das istein ganz wesentlicher Fortschritt.Ich glaube drittens, dass dieser Konvent zu einer Poli-tisierung beitragen wird. Die Debatten werden andersverlaufen, weil sie sich auf die politischen Kernthemenkonzentrieren können. Es geht nämlich nicht darum, zuHause das Gesicht zu wahren und Rivalitäten in Bezugauf nationale Interessen auszutragen. Wir können unsvielmehr um die wirklichen politischen Probleme des In-tegrationsprozesses kümmern. Dies wird in der Konse-quenz dazu führen, dass die Akzeptanz des Integrations-prozesses und der Reiz, diesen Prozess zu verfolgen undsich daran zu beteiligen, gesteigert wird.Meines Erachtens dürfen wir nicht nur den Konvent imBlick haben, sondern müssen auch das Forum der Zivil-gesellschaft sehen, das diesem Konvent nach dem Be-schluss von Laeken zur Seite gestellt wird. Wir sind unsalle darin einig, dass es wichtig ist, eine breite gesell-schaftliche Debatte über den Integrationsprozess und überdie Zukunft Europas zu initiieren. Die Verantwortungdafür kann nicht einfach auf den Konvent übertragen wer-den. Die Verantwortung muss in diesem Forum wahrge-nommen werden. Hier kommt es darauf an, in geeigneterWeise Initiativen, Organisationen und Institutionen an derDebatte zu beteiligen.Auch für uns auf der nationalen Ebene ist das sehrwichtig. Die Debatte darf sich nicht alleine in Brüssel ab-spielen. Wir müssen sie bei uns im Parlament, in den Frak-tionen und in den Parteien politisch begleiten. Wir müs-sen diesen Konvent insofern auch als einen Impuls fürunsere europapolitische und integrationspolitische Arbeitin den verschiedensten politischen Gremien verstehen.Vielen Dank.
Für die FDP-Frak-
tion spricht jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieFDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich und uneingeschränktdie Einsetzung des europäischen Verfassungskonvents.Sie unterstützt genau diesen Titel. Ich kann mich noch gutan Diskussionen hier im Parlament im Zusammenhangmit der Europäischen Grundrechte-Charta erinnern, indenen immer wieder gesagt wurde: Lassen Sie uns dieGrundrechte-Charta nicht in Verbindung mit einem euro-päischen Verfassungsgebungsprozess setzen; das kanndiesem Projekt schaden. Man sieht daran – das erfüllt unsmit Hoffnung –, dass die Meinungsbildung in Europa in-nerhalb eines Jahres auch in diesem Punkt sehr wohlvorangegangen ist.
Von daher unterstützen wir diesen Prozess.Wir sehen darin die – vielleicht sogar einzige – Chance,Europa am Scheideweg, wie es auf dem Gipfel vonLaeken bezeichnet wurde, in die richtige Richtung zu be-wegen. Denn neben der historisch notwendigen Erweite-rung um ost- und mitteleuropäische Staaten geht es gleich-zeitig zwingend darum, die Vertiefung derEuropäischenUnion voranzubringen. Denn nur wenn uns beides inner-halb eines sehr ehrgeizig festgelegten Zeithorizontes ge-lingt, wird Europa wirklich die politische EuropäischeUnion, die wir wollen, und läuft nicht Gefahr, sich rück-wärts bzw. hin zu einer in erster Linie wirtschaftlichenGemeinschaft, in der es um die Verteilung von Subven-tionen bzw. Geldern geht, zu entwickeln.Wir sprechen zwar hier im Bundestag über den Kon-vent. Es ist aber schade, dass unsere unmittelbaren Ein-flussmöglichkeiten gering sind.
Herr Meyer, wir unterstützen, dass mit Ihnen ein profun-der Kenner der europäischen Materie und ein überzeugterEuropäer im Konvent vertreten ist. Sie sind ja auch vonunserer Fraktion gewählt worden, um die dortigen Aufga-ben wahrzunehmen. Aber der Konvent – vor allem dasPräsidium – ist nicht so zusammengesetzt, wie wir uns dasgewünscht haben.
Es ist kein Parlamentskonvent. Das Präsidium bestehtmehrheitlich nicht aus Parlamentariern und in ihm wirdleider, wie es wohl sein wird, auch kein Vertreter Deutsch-lands sein. Das ist schade.
Es kommt entscheidend darauf an, dass sich der Kon-vent auf seinen ersten Sitzungen Gedanken über Verfah-ren macht – und diese auch beschließt –, die der Gefahrder Dominanz durch das Präsidium vorbeugen. Es sollteverhindert werden, dass die Parlamentarier aus dem Eu-ropäischen Parlament und aus den nationalen Parlamen-ten nach einer wunschgemäßen Diskussion mehr oder we-niger das abnicken, was ihnen nach internen Beratungenim Präsidium vorgelegt worden ist. Genau das wollen wirnicht.
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Christian Sterzing21740
Meine Damen und Herren, deshalb sollten wir uns hierals Parlamentarier und insbesondere als Mitglieder desEuropaausschusses, der nach Art. 45 des Grundgesetzeseine besondere Funktion hat, der nämlich ermächtigt ist,die Rechte des Bundestages wahrzunehmen, Gedankendarüber machen, wie wir dieser Funktion außer durch dievielen zu erwartenden Diskussionen über den gesamtenThemenkatalog, der uns allen bekannt ist und der in denSchlussfolgerungen des Gipfels von Laeken in einer Füllevon Fragen umrissen worden ist, gerecht werden. Wirsollten uns im Europaausschuss und auch im Parlamentauf wichtige Vorgaben einigen, die dann den deutschenVertretern im Konvent, also unserem deutschen Parla-mentsvertreter, aber auch den anderen deutschen Vertre-tern, eine gewisse Rückendeckung bieten. Ich hoffe nicht,dass sich unsere Befürchtung bestätigen wird, dass sichdie weiteren deutschen Vertreter, Herr Teufel als Vertreterder Länder,
Herr Glotz als Regierungsbeauftragter und sein Unter-stützer Herr Pleuger,
nicht hier im Bundestag befinden werden, um sich das an-zuhören, was wir hier im Zusammenhang mit dem Ver-fassungskonvent zu sagen haben, und dies auch ernst zunehmen.Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger hin-sichtlich dieses Konventes sind zu Recht groß. Entspre-chend große Erwartungen sind ja geweckt worden. Wiekönnen wir diesen Erwartungen entsprechen? – Indem,wie Herr Altmaier gesagt hat, nachher nicht der kleinstegemeinsame Nenner herauskommt, indem es nicht nureine Neuauflage von Regierungskonferenzen nach altemStil mit einem Ergebnis à la Nizza gibt, sondern indem indem Konvent ein Ergebnis erzielt wird, das zwar von ei-ner Regierungskonferenz abgesegnet wird, aber dort nichtentscheidend verändert wird, und das Europa wirklich zueinem demokratischen, transparenten, effizienten Ge-meinwesen macht – natürlich mit staatlichen Funktionenund staatlicher Autorität.
Damit das mit unseren schwachen Mitteln – dass esschwache Mittel sind, müssen wir einmal deutlich sagen –gelingen kann, ist es zwingend notwendig, dass zumin-dest die deutschen Vertreter in dem Konvent in ihren un-terschiedlichen Rollen, auch mit ihren unterschiedlichenInteressen – sie sind dort ja in unterschiedlichen Funktio-nen – zusammenstehen. Wenn es noch nicht einmal gelin-gen sollte, dass Herr Teufel, Herr Glotz und Herr Meyer aneinem Strang ziehen, dann, so glaube ich, brauchen wir indas Ergebnis der Beratungen des Konvents keine allzugroßen Hoffnungen zu setzen. Deshalb hoffe ich nicht,dass es jetzt ein schlechter Auftakt war,
weil diese Herren in ihren Funktionen heute leider nichtdie Debatte hier verfolgt haben.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der
Kollege Uwe Hiksch für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Wir von der PDS-Bundestagsfrak-tion begrüßen, dass ein europäischer Verfassungskonventeingesetzt wird, weil wir glauben, dass dieser europäischeVerfassungskonvent die Chance bietet, politische undauch institutionelle Reformen voranzubringen, die in derEuropäischen Union bisher nicht möglich waren.Wir weisen aber auch darauf hin, dass die Einsetzungdieses zweiten Konvents nur möglich geworden ist, weil– wir alle wissen das ja – eine Reihe von Regierungen inEuropa erkennen musste, dass das Instrument der Regie-rungskonferenzen, diese Treffen in geheimen Zirkeln, alsReformmotor der Europäischen Union gescheitert ist.Diesen europäischen Konvent zu schaffen ist auch des-halb möglich gewesen, weil manche Regierungen, die derIntegration und der europäischen Idee nicht so aufge-schlossen gegenüberstehen, beispielsweise die deutscheRegierung, durchaus hoffen, dass dieser Konvent zeigenwird, dass auch die Parlamentarierinnen und Parlamenta-rier dann, wenn sie an die Reform der Verträge gehen, da-ran ein Stückchen scheitern könnten. Deshalb sind wiralle gemeinsam dazu aufgerufen, Kolleginnen und Kolle-gen, für die Zukunft Europas und für die Schaffung einesEuropas der Bürger dabei mitzuhelfen, dass dieser Kon-vent ein Erfolg wird.
Damit er ein Erfolg werden kann, darf über der Frageder institutionellen Reformen nicht vergessen werden,dass auch politische Reformen auf die Tagesordnung derEuropäischen Union gesetzt werden müssen. Wir von derPDS-Bundestagsfraktion sind der Überzeugung, dass esnicht angehen kann, eine Agrarpolitik zu entwickeln, diemit dem Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten in Eu-ropa Landwirte erster und zweiter Klasse schafft. DieLandwirte müssen wissen – dabei wollen wir mithelfen –,dass sie gleiche Rechte und auch gleiche Subventionenbekommen.Wir glauben auch, dass die Reform der Strukturpoli-tik in der Europäischen Union auf die Tagesordnung ge-setzt werden muss. Dabei darf aber nicht der Egoismus derStarken siegen. Schwächere Regionen und schwächereStaaten brauchen weiterhin die europäische Unterstüt-zung.
Wir müssen deutlich machen, dass bei der Internatio-nalisierung der Kapital- und Finanzströme, die es schonlange gibt, eine immer stärkere Zusammenarbeit in der
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger21741
Wirtschaftspolitik notwendig ist, die beispielsweise mitdem Modell einer europäischen Wirtschaftsregierung einStückchen vorangebracht werden kann.Die Menschen in unserem Lande werden der europä-ischen Idee gegenüber nur dann aufgeschlossen bleiben,wenn sie spüren, dass auf europäischer Ebene nicht nurdie Ökonomie, sondern auch die realen Probleme derMenschen, die Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot und diesoziale Ausgrenzung immer größerer Teile unserer Ge-sellschaft, eine Rolle spielen. Deshalb glauben wir, dassdieser Konvent eine gute Grundlage ist, um die Demo-kratisierung der Europäischen Union voranzubringen.Demokratisierung bedeutet aber auch – FrauLeutheusser-Schnarrenberger hat es bereits aufgezeigt –,dass der darauf folgende Konvent darüber diskutierenmuss, dass sich ein Konvent faktisch nicht nur aus denbeiden Hauptströmungen zusammensetzen darf, sonderndie Pluralität europäischer Parteien und ideeller Strömun-gen wiedergeben muss. Deswegen sollte der übernächsteKonvent vielleicht so angelegt sein, dass eine rein natio-nalstaatliche Auswahl überwunden wird.
Wir glauben, dass der Versuch der Schaffung einer eu-ropäischen Verfassung, in der individuell einklagbare so-ziale und bürgerliche Grundrechte festgeschrieben werdenmüssen, ganz wichtig für die Zukunft der EuropäischenUnion ist. Darüber hinaus müssen die Leftovers von Nizza– die Versuche, eine kleinere arbeitsfähige Kommission zuschaffen, Mehrheitsentscheidungen als grundsätzliche eu-ropäische Entscheidungsgrundlage sowie individuell ein-klagbare Grundrechte für die einzelnen Menschen im sozia-len und bürgerlichen Bereich durchzusetzen – angegangenwerden. Das sind einige der wichtigsten europäischenHerausforderungen, dass ohne Europa viel schwierigerist, die Zukunftschancen zu nutzen, Vollbeschäftigung zuschaffen und Armut zu bekämpfen, als mit Europa.In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Herr Meyer, vielErfolg im Konvent und hoffe, dass dies gelingen möge.
Das Wort hat jetzt der
Kollege Günter Gloser für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen!Von Europa weiß kein Mensch, weder ob es vomMeer umflossen ist, noch wonach es benannt ist,noch wer es war, der ihm den Namen gegeben hat.Diese Sorgen haben im Jahr 430 vor Christus einen alt-griechischen Historiker geplagt.Wir stehen vor anderen Herausforderungen: der Inte-gration und Erweiterung der Europäischen Union. Beidessetzt ein handlungsfähiges Europa voraus. Wie ist zudiesem Ziel zu gelangen? Die Methode Jean Monnets hatsich in einer bestimmten und sicherlich auch sehr langenPhase als richtig erwiesen. Aber die Schwerpunktsetzungallein auf das ökonomische Zusammenwachsen hat diedemokratische Verfasstheit in dieser Europäischen Unionin den Hintergrund gedrängt. Es hat Strukturen gegeben,mit denen wir als Parlamentarier nicht einverstanden seinkonnten. Insofern ist es wichtig und richtig zugleich,wenn sich die Europäische Union – Regierungen wie Par-lamente, Wissenschaft, aber auch Zivilgesellschaft – aufden Weg zu einer europäischen Verfassung macht. Mitdem Einsetzen eines Konvents wird gleichzeitig Abschiedvon der bisherigen Methode der Vertragsänderungen ge-nommen.Was aber hat das für Folgen? Dies ist bereits von meinenVorrednerinnen und Vorrednern angesprochen worden.Erstens. Jetzt muss der Konvent beweisen, dass er esbesser kann als vorausgegangene Regierungskonferenzen.Zweitens. Wir haben an mancher Stelle beklagt und be-klagen es auch heute noch, dass der Konvent nicht reinparlamentarisch besetzt ist. Dennoch ist der parlamenta-rische Einfluss erheblich gestärkt worden. Wir als Parla-mentarier müssen nun beweisen, dass es uns gelingt, dieInitiative zu ergreifen und die Möglichkeit zur Gestaltungzu nutzen. Der Konvent soll sich – es wurde gerade schondie Forderung nach dem nächsten Konvent gestellt – inder Tat bewähren.Drittens – das halte ich für einen wichtigen Punkt; wirsehen dies bei eigenen Parlamentsdebatten –: Der Kon-vent kann der Beginn einer europäischen Öffentlichkeit,ein Beleg für mehr Transparenz in der EuropäischenUnion und damit auch ein Beleg für mehr Demokratiesein. Insofern ist es nicht vermessen, die konstituierendeSitzung des Konvents am 28. Februar 2002 als ein histo-risches Datum zu bezeichnen.
Nachdem aufgrund der innenpolitischen Situation vie-les an diese Bundesregierung herangetragen wurde, nach-dem sie verurteilt und kritisiert wurde, will ich noch ein-mal in Erinnerung rufen – der Kollege Professor Meyerhat das zu Recht erwähnt –, dass in Köln durch diese Bun-desregierung, durch Bundeskanzler Schröder und Außen-minister Joschka Fischer, ein Testlauf in Gang gebrachtworden ist. Dieser Testlauf wurde positiv abgeschlossen.Insofern war es nur folgerichtig, dass wir Parlamentariergesagt haben: Lasst uns dieses Modell aufgreifen und denParlamentariern mehr Mitwirkungs- und Gestaltungs-rechte bei dieser Verfassung geben.Die SPD hat mit ihrem Leitantrag „Verantwortung fürEuropa“ unterstrichen, welche Kernbereiche wichtig ge-nug sind, in diesem Konvent behandelt zu werden. Waserwarten wir für die Zukunft der Europäischen Union?Ich verdeutliche es an vier Punkten:Erstens. Die Handlungsfähigkeit der EuropäischenUnion ist sicherzustellen.Zweitens. Eine klare Aufgabenzuordnung für die euro-päischen Institutionen, die Europäische Kommission, dasEuropäische Parlament und den Europäischen Rat, ist er-forderlich.
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Uwe Hiksch21742
Drittens. Nicht zu vergessen ist das Zusammenspieldieser Institutionen mit den nationalen Parlamenten. Da-mit ist nicht gesagt, dass wir von vornherein alles auf dieeuropäische Ebene heben wollen. Vielmehr müssen auchdie nationalen Parlamente eine wichtige Rolle spielen.Dafür ist aber nicht unbedingt eine neue Institution auf eu-ropäischer Ebene erforderlich.Viertens. Wir brauchen eine Reform der Sachpolitiken.Lieber Kollege Hiksch, Sie haben in Ihrem Beitrag diezwei Klassen in der gemeinsamen Agrarpolitik erwähnt.Wir Sozialdemokraten lassen uns weiterhin davon leiten,in der Europäischen Union auf Solidarität zu achten. Dashaben wir bei den 15 gezeigt, das werden wir auch bei dererweiterten Union zeigen. Allerdings müssen Sie dannauch sagen, wie das alles finanziert werden soll. Dazuhöre ich leider keine Vorschläge von der PDS. Es wäre si-cherlich sinnvoll, dies im Laufe der Diskussion zu errei-chen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Europä-ische Union wird in wenigen Jahren 25 oder noch mehrMitgliedstaaten umfassen. Eine Gemeinschaft mit dannmehr als 500 Millionen Einwohnern braucht klare Zieleund Regeln für das Zusammenleben und die Politik-gestaltung. Sie muss auch nach ihrer Erweiterung hand-lungs- und entscheidungsfähig sein. Insofern ist es geradevor dem Hintergrund der Erweiterung der EuropäischenUnion richtig, dass wir von vornherein fraktionsübergrei-fend – das finde ich sehr gut – gefordert haben, dass alleBeitrittsländer an diesem Prozess beteiligt werden kön-nen. Auch dies ist ein Beleg für die Offenheit dieser Zu-kunftsdiskussion in der Europäischen Union.Europa ist seit vielen Jahrhunderten ein gemeinsamerLebens- und Gestaltungsraum mit sehr vielen Brüchen:mit Kriegen, Katastrophen, Tragödien und Kleinstaaterei.Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, besteht die großeChance, mit der Debatte über die Zukunft Europas und derbevorstehenden Erweiterung aus einem über viele Jahrezerstrittenen Kontinent einen friedlichen Kontinent zu ge-stalten und eine europäische Identität herzustellen.Wenn wir als Parlamentarier daran mitwirken könnenund gemeinsam mit den Kollegen, die Deutschland in die-sem europäischen Konvent vertreten, daran beteiligt wer-den, dann müssen wir in den nächsten Wochen und Mo-naten auch in diesem Parlament Gelegenheit haben,mehrfach über den Verlauf des europäischen Konventsund die Zukunft der Europäischen Union zu diskutieren.Vielen Dank.
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Wir müssen uns gegenseitigwieder ernst nehmen, sonst können wir Debatten verges-sen. Sich gegenseitig mehr ernst zu nehmen heißt, dasParlament und nicht die Regierung oder den Bundesratzum Zentrum der Debatte zu machen; denn bei diesemProjekt handelt es sich um eine der weitest reichendenReformen des europäischen Staats- und Verfassungs-gefüges. Hier geht es um zentrale politische Fragen, dieuns in den nächsten Jahren alle berühren werden. Dahermüssen wir uns gegenseitig ernst nehmen.Eine solche Debatte ist ein hervorragender Aufbruch.Frau Kollegin, ich gebe Ihnen vollkommen Recht: Heutestellt sich nicht die Frage „Wo ist Behle?“, sondern esstellt sich die Frage, wo Teufel, Glotz und Pleuger sind.Natürlich wollen wir miteinander in Deutschland mit denVertretern im Konvent – auch mit denjenigen, die denBundesrat vertreten – in einen Dialog eintreten und einegemeinsame Linie entwickeln. Nur dann haben solcheDebatten Sinn.
Es geht jetzt darum, in Europa die internationale Hand-lungsfähigkeit der Union, aber auch die Erweiterungs-fähigkeit und deren Funktionsfähigkeit nach innen si-cherzustellen. Heute diskutieren wir über die Zielstellungdes Konvents. Nun hat der Gipfel von Nizza dem Konventdie klare Aufgabe vorgegeben, zu den ThemenbereichenKompetenzabgrenzung der einzelnen Ebenen, Vereinfa-chung der Verträge und Stärkung der Rolle der nationalenParlamente Vorschläge und Optionen zu erarbeiten. – Die-ses Thema rutscht oft ein bisschen unter den Teppich. –Der Konvent wird dazu wichtige Vorarbeiten für die imJahr 2004 einzuberufende Regierungskonferenz leisten.Er wird und kann aber die Regierungskonferenz nicht er-setzen.
Er leistet zentrale Vorarbeiten, die dann in eine Regie-rungskonferenz einmünden werden.Welche vorrangigen Fragen müssen neben denen, dieaufgeworfen wurden, diskutiert werden? Natürlich stehenauf der Tagesordnung weitere brennende Themen: dieReform der europäischen Regional- und Strukturpolitiksowie die Reformierung des Finanzsystems und der Land-wirtschaftspolitik. Dies sind die Tagesfragen. In der Kon-ventsdebatte gehen wir ein Stück darüber hinaus.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssendie Debatte über die Abgrenzung der Kompetenzen zwi-schen Europa, den Mitgliedstaaten und den Ländern auchdazu nutzen – dazu möchte ich die Bundesregierung unduns alle ermutigen –, eine innerstaatliche Funktional-reform in Deutschland anzudiskutieren. Denn wir kön-nen in der Europäischen Union nicht eine zusätzliche,neue Ebene der Gesetzgebung einführen, ohne die Aus-wirkungen auf das Staatsgefüge in Deutschland und aufden Staats- und Verwaltungsaufbau auf den Prüfstand zustellen. Die Ziele dieser innerstaatlichen Funktional-reform sind eine Verschlankung staatlicher Hierarchie-ebenen und eine Entbürokratisierungsoffensive. Diesmüssen wir intern leisten. Darüber hinaus geht es darum,den Aufgabenbestand der EU an die Leistungsfähigkeitder erweiterten 27er-Gemeinschaft anzupassen.
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Günter Gloser21743
Was die Frage der Kompetenzabgrenzung betrifft, sohat die CDU/CSU mit dem Bocklet/Schäuble-Papier ei-nen überzeugenden, umfassenden und abgewogenen Vor-schlag in die Debatte eingeführt, der in der europäischenDiskussion schon heute eine zentrale Rolle spielt. Ichmöchte nur einige Punkte dieses Papiers ansprechen: Wirbringen sehr klar zum Ausdruck, wo wir für uns mehr eu-ropäische Kompetenzen erwarten. Hier lauten die Stich-worte: Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.Aber demgegenüber sagen wir auch sehr klar, differen-ziert und detailliert, wo die Grenzen europäischer Durch-griffsgestaltung liegen, nämlich beispielsweise beiminneren Staatsaufbau der Mitgliedstaaten einschließlichder kommunalen Selbstverwaltung und bei der Daseins-vorsorge.Herr Fischer – Sie sprechen ja nach mir –, dasBocklet/Schäuble-Papier ist eine hervorragende Basis.Wo ist der Diskussionsvorschlag bzw. der Entwurf derRegierung, wie diese Themen angepackt werden sollen?Ich werde anschließend ganz gespannt Ihren Ausfüh-rungen lauschen.
Bei den institutionellen Reformen – dies möchte ichergänzend sagen – sollte man sich nicht nur auf die Euro-päische Kommission und das Europäische Parlament,sondern insbesondere auf den Ministerrat konzentrieren.
Die Europapolitik bedarf, wenn wir vom Ministerrat aufden Rat und die nationale Beteiligung blicken, einerneuen Struktur, und zwar auch in Deutschland. Wirbenötigen ein koordinierendes und gestaltendes Europa-ministerium. Europapolitik ist längst nicht mehr Außen-politik, sondern sie benötigt einen eigenen Kopf, der demParlament gegenüber Verantwortung übernimmt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nizza gibtden Mitgliedstaaten auch den Auftrag einer Neudefinitionder Rolle der nationalen Parlamente; darüber denkennationale Parlamentarier komischerweise weniger nachals über die Rolle des Europäischen Parlaments. Dazu ha-ben wir Vorschläge vorgelegt. Ich skizziere sie nur kurz:Wir brauchen eine Parlamentarisierung und die konse-quentere Nutzung der jetzigen Rahmenbedingungen. Einesolche Debatte ist im Rahmen unserer jetzigen Möglich-keiten gegeben. Aber wir brauchen auch eine Ergänzungdes Art. 23 GG, um den Rat und unsere Vertreter beigrundlegenden Rechtsetzungsfragen an das Votum desBundestages zu binden.Darüber hinaus ist die Frage zu diskutieren, ob in zen-tralen Fragen ein neuer Rat, ein Ministerrat, auch aus Ver-tretern der nationalen Parlamente bestehen soll. Der Bun-desrat ist hier einen Schritt weiter.Diese Fragen müssen in den nächsten Monaten mitei-nander im Dialog diskutiert werden. Es stellt sich darüberhinaus die Frage nach der Rolle der Nationen. Ich habesehr aufmerksam zugehört: Wir müssen natürlich auch dieChance nutzen, eine europäische Wertedebatte zu initiie-ren. Insgesamt stehen wir nicht am Rande einer Krise,sondern vor einer großartigen Chance, gemeinsam mo-derne, zukunftsfähige Strukturen in Europa zu ent-wickeln.Vielen Dank.
Nun erteile ich dem
Bundesaußenminister Joschka Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wirbis zum Jahre 2006 oder kurz darüber hinaus voraus-schauen, werden wir feststellen, dass wir vor drei wirklichzentralen Aufgaben stehen, die nicht nur Deutschland,sondern die Europäische Union als Ganzes in einem ho-hen Maße fordern werden.Die erste Aufgabe ist, endlich den Schritt zu machen,die europäische Integration zu leisten, und zwar in räum-licher Ausdehnung durch die Aufnahme neuer Mitglied-staaten. Das wird, da die Arbeit gut vorankommt – ent-sprechend den Vorgaben der Europäischen Räte vonNizza und Göteborg –, hoffentlich bis zum Früh-sommer 2004 gelingen, sodass die ersten neuen Mitglied-staaten an der Wahl zum Europaparlament werden teil-nehmen können.Dies wird aber eine große Herausforderung für uns allebedeuten, und zwar in finanzieller und institutionellerHinsicht. Wenn es so kommt, wie die Kommission meint,dass es vermutlich kommen wird, dass zehn neue Mit-gliedstaaten aufgenommen werden, werden wir eine Eu-ropäische Union der 25 haben. Dies wird das institu-tionelle Gefüge vor grundsätzliche Herausforderungenstellen, und zwar nicht nur im funktionalen, sondernauch im demokratischen Sinne. Ein Staatenverbund mit25 Mitgliedstaaten wird die Kompromisse immer un-durchschaubarer und die Beziehungen zwischen den un-terschiedlichen Nationalstaaten immer komplizierter undüberfrachteter machen. Die einzelnen Staaten werdenschwerer zusammenzubringen sein, die Kompromiss-pakete werden von den Menschen immer weniger ver-standen werden. Damit wird ein heute bereits sichabzeichnendes Legitimationsdefizit verstärkt werden,sodass die Zustimmung zu der für uns alle unverzicht-baren europäischen Entscheidungsebene – denn Europabedeutet unser aller Zukunft – in den Mitgliedstaaten ab-nehmen wird. Das kann nicht in unserem Interesse sein.Es ist aber auch die funktionale Seite berührt. Dieneuen Mitgliedstaaten haben kein Interesse, in eine Euro-päische Union einzutreten, die nur noch unzureichendfunktioniert oder gar in eine Stagnation verfällt. Wir dür-fen uns keine Illusionen darüber machen – ich plädierehier für Realismus; gerade wir Deutsche sind dafür be-sonders geeignet, da wir innerstaatlich die Schwierig-keiten des Zusammenfindens und Zusammenwachsensbereits erlebt haben –, wie viel Geduld und gegenseitigenVerständnisses es bedarf. Es treten neue Mitgliedstaa-ten ein, die für ihre nationale Unabhängigkeit vonder Sowjetunion und gegen Diktaturen über fünf Jahr-zehnte hinweg gekämpft haben. Wir werden neueMitgliedstaaten bekommen, die ihren eigenen Zugang zur
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Dr. Gerd Müller21744
europäischen Integrationsidee haben und – das ist sehrwichtig – im Laufe der Zeit weiter entwickeln müssen.Das alles wird keineswegs die Bindungskraft einer sicherweiternden Europäischen Union verstärken. Wenn alsozu dem Demokratieproblem auch noch ein Funktiona-litätsproblem hinzu käme, würde das die EuropäischeUnion vor sehr ernste Probleme stellen. Genau deshalbbesteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Er-weiterung und Vertiefung der Integration. Hier liegtdie Hauptaufgabe. Ich sage unbeschadet der parteipoli-tischen Positionen, die hier eingenommen werden – in derPolitik zählen die Ergebnisse –: Wenn der Konvent dasDemokratieproblem und das Funktionalitätsproblem nurunzureichend lösen würde, würden wir mit einer Unionder 25 eben nur unzureichende Ergebnisse erzielen, diedann zu unzureichenden Konsequenzen führten.Ich wünsche mir, dass sich der Konvent an diesenGrundtatsachen orientiert:Wie kann eine europäische Demokratie der 25 Mit-gliedstaaten funktionieren? Welches institutionelle Ge-füge und welches Verhältnis von nationalstaatlicher undeuropäischer Ebene braucht sie? Ich stimme völlig damitüberein, dass die innerstaatliche Organisationskompetenzbei den Nationalstaaten liegt. Es wäre geradezu unsinnig,bei einer so unterschiedlichen föderalen und zentralstaat-lichen Tradition, wie sie beispielsweise in Deutschlandund Frankreich besteht, plötzlich von Brüssel her ent-scheiden zu wollen. Das wird nicht funktionieren.Aber die entscheidende Frage ist die nach der Funk-tionalität einer europäischen Demokratie. Dabei wageich die Prophezeiung, dass auf den Konvent eine sehrschwierige Aufgabe zukommt. Meine These ist, dass derKonvent bereits zu 95 Prozent oder mehr über den Erfolgder dann stattfindenden Regierungskonferenz entschei-den wird. Ich sehe nicht, dass die RegierungskonferenzErgebnisse erzielen wird, die der Konvent nicht schonvorher hinbekommen hat. Aber wir werden sehen, dassdie nationalen Widersprüche bzw. die unterschiedlichenVerfassungstraditionen und die unterschiedlichen Vorstel-lungen von Europa nicht zwischen Parlamentariern undRegierungsvertretern, sondern im Konvent erstens ausge-tragen und zweitens in einen Konsens überführt werdenmüssen. Zugleich bestehen zentrale Interessenwider-sprüche zwischen Groß und Klein.Auch die Vorstellungen zur Kompetenzabgrenzung, dieSie eben mit dem Schäuble-Bocklet-Papier artikulierthaben, Herr Müller, werden von sehr vielen – ich behauptesogar: von der Mehrheit – in der Europäischen Union mitgroßer Skepsis gesehen und nur sehr eingeschränkt geteilt,um es in diplomatische Formulierungen zu kleiden.
– Es mag ja sein, dass es an Kraft gewinnt, aber dieseKraft könnte sich durchaus auch in der Ablehnung solcherVorstellungen manifestieren. Ich sage nicht, dass es sokommen muss. Ich beschreibe nur das Spannungsverhält-nis, in dem sich der Konvent befinden wird. Deswegenplädiere ich für sehr viel Realismus, das heißt, dassvisionäre Kraft, wie man sich einen solchen Kompromissvorstellt, auch mit Realismus gepaart ist.Es wird viele Ideen geben. Für mich lautet die zentraleFrage – damit komme ich zum Schluss; das würde ichHerrn Meyer und seinem Stellvertreter Altmaier als Ver-treter des Parlaments gerne mit auf den Weg geben –: Ver-lassen wir den Staatenverbund und schaffen wir denSchritt in die Föderation? Schaffen wir also auf der poli-tischen Ebene denselben Schritt, den wir mit dem Maas-tricht-Vertrag auf der monetären Ebene und der Ebenedes gemeinsamen Marktes geschafft haben, ja oder nein?Das richtet sich danach, ob wir den Staatenverbund über-schreiten und zu der Föderation gelangen, was die politi-sche Integration bzw. die Schaffung einer europäischenDemokratie ausmacht.Es wird sich meines Erachtens zeigen, ob die Doppel-rolle des Europäischen Rates wirklich überwunden undaufgelöst werden kann – dazu gibt es unterschiedliche Va-rianten und Ansätze – oder ob – in welcher Form auch im-mer – die Doppelrolle des Rates erhalten bleibt. Bleibt dieDoppelrolle erhalten, bleiben wir im Staatenverbund.Dann wird es mit 25 Mitgliedstaaten alles andere als ein-fach werden. Überschreiten wir den Staatenverbund, wer-den wir den Schritt in die Föderation gehen und der Ratwird sich zwischen Legislative und Exekutive entschei-den müssen. Das ist für mich die zentrale Frage.Die Zeit lässt es nicht zu, näher in die Details zu gehen.Aber ich bin mir sicher, dass wir im Rahmen des Aus-schusses, Herr Vorsitzender, noch Gelegenheit haben wer-den, mit allen am Konvent Beteiligten diese Fragen zudiskutieren. Ich wünsche Ihnen allen und auch uns Erfolg;denn Europa ist unser gemeinsames Schicksal.Gerade die jüngsten weltpolitischen Ereignisse zeigen:Bleiben die Europäer getrennt und schaffen wir die euro-päische Demokratie nicht, dann werden wir nicht zum Ge-staltungsfaktor, sondern werden mitgestaltet werden. Ichmeine, es liegt in unser aller Interesse, gemeinsam mit un-seren Partnern im 21. Jahrhundert ein Gestaltungsfaktorzu werden und zu bleiben.Danke.
Ich schließe die Aus-sprache.Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung über ihre Exportpoli-tik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2000
– Drucksache 14/7657 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss ür Wirtschaft und Technoloie
Auswärtiger AusschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Bundesminister Joseph Fischer21745
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion derPDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Damitsind Sie einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. DasWort hat der Parlamentarische Staatssekretär SiegmarMosdorf.S
Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Rüstungs-exportbericht 2000 legt die Bundesregierung demDeutschen Bundestag zum zweiten Mal Rechenschaftüber die Rüstungsexportpolitik des Vorjahres ab. Derneue Bericht zeigt, dass die Bundesregierung auch im Jahr2000 eine restriktive Rüstungsexportpolitik verfolgt hat.In dem jetzt vorliegenden Bericht sind im Sinne derVerbesserung der Transparenz – das war immer ein wich-tiges Anliegen des Parlaments – zusätzliche Informatio-nen aufgenommen worden. So enthält der jetzige Bericht– um die Entwicklung über die Jahre hinweg offen zu le-gen – Aufstellungen zu der Entwicklung der Zahl der Ge-nehmigungen und der tatsächlichen Ausfuhren in den Jah-ren 1996 bis 2000.Des Weiteren wurde auch eine Aufstellung mit einerStrafverfolgungsstatistik – auch das war mehrfach Ge-genstand der Ausschussberatungen – nach dem Kriegs-waffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetzaufgenommen. Außerdem wird über an andere Länder ge-leistete militärische Ausrüstungshilfen sowie über neu ab-geschlossene regierungsamtliche Kooperationen im Rüs-tungsgüterbereich mit deutscher Beteiligung berichtet.Für das Jahr 2000 konnte in beiden Bereichen Fehlan-zeige gemeldet werden. Allerdings wird in Zukunft in derFrage der Kooperation – das füge ich hinzu – gerade vordem Hintergrund dessen, über das wir in der vorangegan-gen Debatte diskutiert haben, in Europa sehr viel mehr ab-laufen als in der Vergangenheit. Das bedeutet, dass Eu-ropa auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitikhandlungsfähiger werden muss.Neu ist im Rüstungsexportbericht ebenfalls ein Kapitelüber die Genehmigungspolitik bei der Ausfuhr von Klein-waffen. Die Bundesregierung zollt damit der Bedeutungder Kleinwaffenproblematik Tribut. Im letzten Jahr hat zudiesem Thema eine große UN-Konferenz in New Yorkstattgefunden, auf der wir uns zusammen mit unseren eu-ropäischen Partnern für eine stringente Exportpolitik imBereich dieser Waffenkategorie eingesetzt haben.Nicht gefolgt ist die Bundesregierung dem Wunschnach Aufnahme von Angaben über Dual-use-Güter. DasWirtschaftsministerium hatte dem Wirtschaftsausschusseinen Bericht dazu vorgelegt. Dieser wird im Ausschusserörtert werden.Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Einzelheiteneingehen. Nur so viel: Rüstungsgüter und Dual-use-Gütersind Waren von sehr unterschiedlichem Charakter. Rüs-tungsgüter werden speziell für militärische Zwecke her-gestellt. Dual-use-Güter können auch für völlig andereZwecke hergestellt werden. Sie können in sensitiven Be-reichen sicherlich auch anders verwendet werden. Aber inder Praxis werden diese Güter in aller Regel für zivileZwecke eingesetzt. Vor diesem Hintergrund würde dieAufnahme von Dual-use-Gütern in den Rüstungsexport-bericht statistisch ein völlig falsches Bild vermitteln. Dasmöchten wir auch im Interesse der Transparenz vermei-den. Eine Informationslücke für das Parlament ergibt sichhieraus jedoch nicht. Der Ausschuss für Wirtschaft undTechnologie, der Auswärtige Ausschuss und der Haus-haltsausschuss werden wie schon in den vorangegange-nen Jahren jährlich über die Zahl der Ablehnungen unddie der Genehmigungen der Ausfuhren von Dual-use-Gü-tern unterrichtet.Lassen Sie mich nun noch ein paar Sätze zu den Zahlensagen, die der Bericht, der sehr umfangreich ist und in demdie Entwicklung der letzten Jahre dargelegt wird, enthält.Die jetzt vorliegenden Zahlen belegen erneut, dass dieRüstungsexporte – das ist traditionell so – nur eine geringeRolle bei den deutschen Ausfuhren spielen. So lag der An-teil der Ausfuhren von Kriegswaffen an den deutschenGesamtausfuhren im Jahr 2000 bei 0,11 Prozent. Kriegs-waffen wurden im Wert von 1,33 Milliarden DM ausge-führt. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rück-gang um 53 Prozent.Es liegen auch statistische Angaben sowohl zu der Aus-fuhr von Kriegswaffen als auch zu der Ausfuhr von sons-tigen Rüstungsgütern vor. Im Berichtsjahr wurden Aus-fuhrgenehmigungen im Wert von 5,568 Milliarden DMerteilt. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Pro-zent gesunken. Interessant ist, dass der Wert der Geneh-migungen für Ausfuhren in EU- und NATO-Länder sowiein ihnen gleichgestellte Länder fast unverändert gebliebenist, während der Wert der Genehmigungen für Ausfuhrenin so genannte Drittländer um 24 Prozent zurückgegangenist. Das entspricht unserer Politik; denn wir wollen nichtnur Transparenz herstellen. Wir wollen auch dafür sorgen,dass die EU- und die NATO-Länder ihre Sicherheitsbe-stimmungen für die Genehmigung von Ausfuhren inDrittländer verschärfen.Einen Anstieg gab es bei den Sammelausfuhrgeneh-migungen. Dabei handelt es sich um Genehmigungen,welche für Ausfuhren im Rahmen von Kooperationspro-jekten mit EU- und NATO-Ländern erteilt werden. Sam-melausfuhrgenehmigungen ermöglichen den vereinfach-ten Warenaustausch zwischen den Kooperationspartnern;deshalb diese Zusammenfassung. Der Anstieg beruht un-ter anderem darauf, dass im letzten Jahr das Eurofighter-Programm anlief und daher entsprechende Sammelaus-fuhrgenehmigungen ausgestellt wurden.Der Rüstungsexportbericht geht auch auf die in der öf-fentlichen Diskussion viel beachteten internationalen Ver-gleichsstatistiken ein. Wir sind zu dem Ergebnis gekom-men, dass ein seriöser Vergleich der bedeutendenRüstungsexportländer nur schwer möglich ist. Das liegtunter anderem daran, dass in den jeweiligen Statistikender Länder ganz unterschiedliche Waffenkategorien zu-grunde gelegt werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs21746
Herr Staatssekretär,
es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen
Sie die Frage des Kollegen Koppelin zulassen?
S
Ja, von Herrn
Koppelin immer.
Bitte sehr.
Danke, Herr Staatssekretär.
– Das hört sich alles ganz gut an; aber entscheidend ist
doch die Lieferung in Krisengebiete. Ich nehme einmal ei-
nen Bereich heraus. Vielleicht können Sie dazu etwas sa-
gen; es gab auch Presseberichte dazu. Wie verhält es sich
mit den Lieferungen nach Israel? Sind die Pressemeldun-
gen richtig, wonach die Lieferungen nach Israel angestie-
gen sind?
S
Herr Koppelin,
wir sind da sehr aufmerksam, gerade aufgrund der aktuel-
len Entwicklungen. Aus Ihrer Regierungszeit wissen Sie,
dass es langfristige Verträge gibt. Gerade angesichts der
momentan sehr angespannten Situation verfolgen wir das
sehr aufmerksam. Wir haben, soweit mir bekannt, keiner-
lei Entscheidung getroffen, die einen Anstieg begründet
hätte, beobachten aber sehr wohl genau, wie dieses Span-
nungsgebiet einzuschätzen ist. Insofern können Sie davon
ausgehen, dass wir unsere Grundsätze auch bei aktuellen
Entwicklungen sehr genau im Auge behalten.
Bei den Empfängern deutscher Rüstungsgüter stehen
EU- und NATO-Partner eindeutig im Vordergrund. Das ist
sehr wichtig, weil wir immer gesagt haben, wir wollten
zwar unsere Sicherheitskräfte binden und stabilisieren,
aber bei Drittländern vorsichtig sein. Fast 80 Prozent der
Genehmigungen wurden für Ausfuhren in EU-, NATO-
und gleichgestellte Länder erteilt. Die ersten sechs Posi-
tionen bei den wichtigsten Bestimmungsländern werden
von NATO-Ländern besetzt, angeführt von den USA.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß natürlich,
dass es immer problematisch ist, etwas mit einem statisti-
schen Werk darstellen zu wollen. Ich glaube, dass der Rüs-
tungsexportbericht, den ich Ihnen hier kurz vorgestellt
habe, belegt, dass die Bundesregierung entsprechend
ihrem Bekenntnis in ihren politischen Grundsätzen eine
restriktive Exportkontrollpolitik betrieben hat, wiewohl
sie auch dem Gedanken der Kooperation, insbesondere mit
unseren europäischen Nachbarn, Rechnung getragen hat.
Die Ergebnisse des 11. September des letzten Jahres haben
deutlich gezeigt, dass eine internationale Zusammenarbeit
bei der Bekämpfung des Terrorismus – hierzu zählt auch
eine entsprechende Ausstattung von Streitkräften – unum-
gänglich ist und dass wir Kooperationen auf europäischer,
aber auch weiterer internationaler Ebene suchen müssen.
Es ist besser für die Weltgemeinschaft, in einer großen Ko-
operation statt unilateral zu agieren. Insofern macht es
Sinn, hier Kooperationswege zu suchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
wird – wenn wir den Auftrag erhalten, unsere Regie-
rungsarbeit fortzusetzen –
alles tun, um auch in der nächsten Periode den restrikti-
ven Kurs mit Augenmaß fortzusetzen. Gerade in diesem
sensiblen Bereich müssen wir auf der einen Seite unseren
verteidigungspolitischen Ansprüchen gerecht werden
– wir brauchen eine leistungsfähige Einheit – und auf der
anderen Seite sehr genau hinschauen. Dies ist aber, so
glaube ich, überparteilicher Konsens und kommt auch
in dem Rüstungsexportbericht 2000, dem zweiten Be-
richt, den wir in unserer Verantwortung dem Parlament
vorlegen, zum Ausdruck. Man kann sagen – auch nach
den Beratungen in den Ausschüssen –, dass dies ein Kurs
mit Augenmaß ist. Das heißt, dass man nicht nur auf Pro-
dukte schaut, sondern auch auf die internationale Lage
und die jeweilige politische Situation.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU-
Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Erich Fritz.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Seit November 2001 liegt dem Bundestag der Rüstungs-exportbericht 2000 vor. Fertig war er meines Wissensbereits im April 2001. Wie viele Waschgänge bei 90 Grader in dieser Zeit durchlaufen hat, weiß ich nicht; aber dasProdukt ist dennoch nicht so weiß geworden, wie Siees sich vielleicht gewünscht hätten, meine Damen undHerren von der rot-grünen Koaltion.
In einer Studie kommt das Institut für EuropäischeStudien der Freien Universität Brüssel zu dem Ergebnis:Gemessen an diesen Vorgaben– gemeint sind die eigenen Vorgaben von SPD und Bünd-nis 90/Die Grünen –ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellosgescheitert.
Die Regierungskoalition hat ihr Versprechen, beim Rüs-tungsexport noch restriktiver zu verfahren, nicht um-gesetzt. Egal, ob man den Bericht an dem Anspruch, denSie selbst sich gestellt haben, oder an der Politik derVorgängerregierung misst oder ihn einem europäischenbzw. internationalen Vergleich unterzieht, das Ergebnis istjeweils nicht besonders aufregend.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21747
Rot-Grün macht so weiter wie bisher. Es gibt ganz offen-sichtlich eine große Kontinuität zwischen der Rüstungs-exportpolitik vor und nach 1998. Das belegt nur, dassauch vorher Politik auf diesem Feld verantwortungsvollund restriktiv betrieben wurde.
Die Fakten stellen sich folgendermaßen dar: Die Rüs-tungsexporte sind nicht gesunken. Die Addition von Sam-mel- und Einzelgenehmigungen ergibt gegenüber demVorjahr einen Anstieg: von 6 573,3 Millionen DM 1999auf 9 303,1 Millionen DM 2000. Dies entspricht einerSteigerungsrate von gut 40 Prozent gegenüber 1999. Da-ran ändert auch die Äußerung der Regierung – auch derStaatssekretär hat ja gerade noch einmal darauf hingewie-sen, dass man das nicht tun dürfe –, dass beide Posten,Einzel- und Sammelgenehmigungen, nicht vergleichbarseien, nichts. Solche Argumente haben Sie ja früher nieinteressiert. Sie haben beide Posten, wenn ich mich rechtentsinne, auch immer addiert. Im Vergleich zu den Tira-den von Herrn Bachmaier und Herrn Ströbele ist die Aus-einandersetzung jetzt doch sehr zivil geworden, wie ichfinde.Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und sons-tigen Rüstungsgütern bewegen sich also auf hohem Ni-veau. Deutschland rangiert an fünfter Stelle unter denweltweit größten Exportländern.
– Wenn Sie demnächst weitere Rüstungsgüter verkaufenmüssen, wird das wieder genauso sein. – Ich rechne imÜbrigen damit, dass schon im Jahr 2001 wieder ein Ge-samtwert der Exporte von Rüstungsgütern im Wert von14 bis 14,5 Milliarden DM zu verzeichnen sein wird. DieBundesregierung sollte diesen Bericht unmittelbar nachFertigstellung vorlegen. Oder liegt die späte Vorlage des2000er-Berichts darin begründet, dass man einen Grundanführen kann, den Bericht für 2001 erst nach der Bun-destagswahl vorzulegen?
Wenn Sie ernsthaft belegen wollen, wie sich Ihre politischeArbeit in diesem Bereich entwickelt hat, dann legen Siebitte den Bericht noch im Frühsommer dieses Jahres vor.
Über das Transparenzgebot und wie man ihm richtignachkommt, kann man lange streiten. Wenn man die ver-schiedenen Berichte in Europa vergleicht, stellt mangroße Unterschiede fest. Wir wissen, dass gar nicht alleserfassbar ist und es nicht sinnvoll ist, hier einen Wustan bürokratischen Maßnahmen zu ergreifen; gerade imKooperationsbereich sind wir gut beraten, nicht jedeSchraube aufzuführen.Man darf aber vor diesem Hintergrund nicht, wie dieRegierungsfraktionen es immer tun, vorgeben, dass derBericht völlige Transparenz herstelle. Die Informationenüber die tatsächlich erfolgten Exporte sind sehr spärlich.Man stellt fest, dass das Niveau beim Export der Kriegs-waffen wieder das Niveau von 1998, dem letzten Jahr derRegierung Kohl, erreicht. Insofern ist es recht fragwürdig,von einer drastischen Reduzierung der Kriegswaffen-exporte zu sprechen.Herr Kollege Koppelin hat gerade schon die Frage derAbwägung und des Umgangs mit Exporten in Span-nungsgebiete am Beispiel Israels problematisiert. Das istnatürlich ein schwieriges Thema; das gebe ich gerne zu.Es wäre aber schon einmal ganz interessant, nachzuvoll-ziehen, wie der Abwägungsprozess bei der Bundesregie-rung hier vor sich gegangen ist.Meine Damen und Herren, in der Koalition gibt es überden Waffenkatalog ja reichlich Uneinigkeit, auch zwi-schen dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsmi-nisterium. Es handelt sich hierbei sicherlich um einenschwierigen Abwägungsprozess innerhalb einer Regie-rung; ich möchte aber daran erinnern, dass wir, wenn un-sere Politik glaubwürdig bleiben soll, vor allen Dingen dieBerücksichtigung von Handelspartnern in Europa und inder NATO intensiv beachten müssen. Deshalb könnenAbwägungsprozesse nicht einfach nach den von Ihnenjetzt vorangestellten Kriterien ablaufen; es handelt sichvielmehr immer um Einzelfallabwägungen.Durch diesen Streit in der Koalition ist deutlich ge-worden, auf welch wackligen Beinen der vermeintlicherot-grüne Konsens hinsichtlich der Forderungen nach ei-ner restriktiven Rüstungspolitik tatsächlich steht. DieÄußerungen der Grünen-Chefin Roth, die RudolfScharpings Aussagen als „unverantwortlich“ bezeichnete– das kann man anhand von Zeitungsberichten belegen –,weil er nicht nur Überschussmaterial der Bundeswehrweltweit zum Verkauf angeboten, sondern auch in derKrisenregion des Nahen Ostens für deutsche Rüstungs-exporte geworben habe, zeigen die übliche Regierungs-konfusion. Herr Scharping ist offensichtlich ein genausoschlechter Verkäufer, wie er ein unsolider und unkalku-lierbarer Einkäufer ist. Das hat sich am Beispiel der Air-busflugzeuge gezeigt.Der vorgelegte Bericht der Bundesregierung über ihreExportpolitik zeigt, dass Anspruch und Wirklichkeit weitauseinander klaffen. Von einer restriktiveren Rüstungsex-portpolitik kann keine Rede sein. Der rot-grüne Anspruch,eine wirklich neue Politik zu machen, wird nicht erfüllt;dennoch glaube ich, dass wir Deutschen uns mit unsererPolitik insgesamt sehen lassen können. Sie haben aller-dings eine Erwartungshaltung aufgebaut, die keine ver-antwortlich handelnde Regierung erfüllen kann. Die Zah-len sprechen gegen Sie. Der „Tagesspiegel“ hat am18. Dezember geschrieben: „Das ist ja wie bei Kohl.“Damit hat er völlig Recht.Mich stört besonders die Tatsache, dass das ständigeBemühen der Regierung Kohl, weitere Schritte hin zu ei-nem gemeinsamen Rechtsrahmen für die Rüstungs-exportpolitik der Europäischen Union zu machen, offen-sichtlich zum Stillstand gekommen ist. Dabei weiß jeder,dass wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitikund auch eine gemeinsame Rüstungs- und Rüstungs-exportpolitik in Europa brauchen.
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Erich G. Fritz21748
Deutschland gilt in diesen Fragen unter den EU- undNATO-Partnern als zumindest nicht restlos zuverlässig.Wir haben im Bereich der Kooperation Schwierigkeiten.Ich hoffe, dass diese Schwierigkeiten in den nächsten Jah-ren ausgeräumt werden können. Jeder muss wissen: Wennwir in diesem Bereich Sonderwege gehen, dann verlierenwir auch unseren politischen Einfluss auf die europäischeSicherheits- und Verteidigungspolitik und auf die Gestal-tung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.Meine Schlussfolgerung bezüglich Ihrer Politik lautet:Die Politik von Rot-Grün steht ohne jede Glaubwürdig-keit da. Der Unterschied zwischen einer hohen, öffentlichdargestellten Moral auf der einen Seite und der politi-schen Praxis auf der anderen Seite ist allzu offensichtlich.Es wäre viel besser und viel verantwortlicher, wenn Siedeutlich machten und erklärten, dass der Rüstungsexportnun einmal eine schwierige Angelegenheit ist und dassunabhängig davon, was man in den Grundsätzen nieder-gelegt hat, in jedem Fall die Abwägung schwierig ist undbleibt, weil doch in jedem Einzelfall sowohl außen- undsicherheitspolitische Erwägungen als auch viele weitereAspekte in die Betrachtungen einbezogen werdenmüssen. Dabei könne keine Regierung widerspruchsfreibleiben.Vielen Dank.
Jetzt hat die Kollegin
Angelika Beer für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
FrauPräsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! MeineFraktion begrüßt die Vorlage des zweiten Rüstungs-exportsberichts. Herr Kollege Fritz, das, was wir erreichthaben, hat die von Ihrer Fraktion getragene damalige Re-gierung nie geschafft: Wir haben unsere Zusage einge-halten, mit der Vorlage dieser Berichte ein Stück Transpa-renz und Nachvollziehbarkeit für die Öffentlichkeitherzustellen,
wohl wissend, dass wir uns damit – das wollen wir; dasist vernünftig – der Kritik stellen. Rüstungsexport ist einheikles Geschäft. Wir werden versuchen, unsere poli-tische Option weiter zu definieren. Diese Transparenz istein Erfolg von Rot-Grün.
Dieser Bericht zeigt auch, dass wir durchaus – der Kol-lege Mosdorf hat darauf hingewiesen – einige Erfolge imSinne einer tatsächlich restriktiven Exportpolitik erringenkonnten. Dieser Bericht ist im Vergleich zum vorherigenBericht in einigen Punkten und Details verbessert worden,was nicht zuletzt auf Bemühungen meiner Fraktion undinsbesondere auf die Anliegen des Ausschusses fürMen-schenrechte zurückgeht. Dieser Bericht bildet eine guteGrundlage für weitere Verbesserungen, die ich hier an-sprechen möchte:Dieser Bericht enthält zum ersten Mal eine den ent-sprechenden Zeitraum betreffende Strafverfolgungssta-tistik und Vergleichszahlen für die Vorjahre. Erst dieseDaten ermöglichen eine Bewertung.
Dieser Bericht geht gesondert auch auf die Problematikdes Kleinwaffenexports ein. Kleinwaffenexport ist einbesonderes Anliegen der Regierung gerade in der in-ternationalen oder europäischen Kooperation, um dortweitere Ausdehnungen des Exports zu verhindern.
Allerdings zeigt der Bericht auch – das will ich durch-aus sagen –, dass die rot-grünen Exportrichtlinien, die wirzu Anfang unserer Koalition verbessert und verschärfthaben, in der Praxis noch nicht zufrieden stellend umge-setzt worden sind. Wir halten weitere substanzielle Redu-zierungen bei Exporten für notwendig,
auch wenn die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr tatsäch-lich zurückgegangen sind. Kriegswaffenexporte in so ge-nannte Entwicklungsländer spielen – das ist nachgewie-sen – so gut wie keine Rolle mehr und das ist gut so.
Ich will das betonen, weil es aus menschenrechtlicherSicht aufgrund des prekären Zusammenhangs von Men-schenrechten, Rüstungsimporten und Entwicklungs-chancen ganz besonders erfreulich ist. Es ist heute – dasgebe ich zu – noch nicht absehbar, ob sich dies zu einembeständigen Trend entwickeln wird. Wir hoffen das undarbeiten daran.Herr Kollege Fritz, wir als Grüne haben überhauptnichts dagegen, den nächsten Exportbericht noch in die-ser Legislaturperiode zu beraten, wenn er rechtzeitigdurch das federführende Haus vorbereitet wird.
Rot-Grün hat keinen Grund zu verheimlichen. Wir wer-den diesen Weg der Transparenz fortsetzen.Wir wollen gern auch die weiteren Berichte ausbauen.Wir sind der Überzeugung – da gibt es einen Dissens; aberdas ist unsere Position –, dass Dual-use-Güter Bestandteildes Exportberichtes sein sollen. Auch wenn es in der Ge-neralität nicht möglich sein sollte – über die Gründe wer-den wir beraten –, möchte ich zumindest noch einmal auf
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Erich G. Fritz21749
die Anhörung des Menschenrechtsausschusses zur Frageder Folter hinweisen. Ich glaube, diese Anhörung hat sehrdeutlich gemacht, dass zum Beispiel so heikle Export-güter wie Elektroschockgeräte auf jeden Fall in diesemBericht erwähnt werden müssen. Wir haben die Bitte andas Ministerium, das mit zu berücksichtigen.
Der Bericht zeigt auch, wie schwierig es ist, die End-verbleibskontrolle gerade im Bereich von Kleinwaffen,die ich hier noch einmal erwähnen will, festzuschreiben.Meines Erachtens wäre es sinnvoll, dass wir auch dieGründe zur Verweigerung von gewünschten Exporten an-derer Länder aufführen, weil dadurch der Erfolg der rot-grünen Koalition deutlich würde, dass wir aus guten,menschenrechtlichen Gründen auf Exporte verzichten.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktiontritt dafür ein, die Transparenz im Bereich der parlamen-tarischen Kontrolle zu erhöhen. Ich möchte als Beispieledie aktuelle Praxis der amerikanischen und der schwe-dischen Kolleginnen und Kollegen nennen. Dort werdendie Parlamente sehr frühzeitig unterrichtet. Das tut nichtweh, sondern ermöglicht es dem Parlament, über we-sentliche Entscheidungen mitzudiskutieren. Wenn manakzeptiert, dass Export ein Bestandteil von Außenpolitikist, muss die parlamentarische Kontrolle von dem Knüp-pel der Geheimhaltung befreit werden. Sonst werden dieSachen, die über die Medien oder über das Internet so-wieso international bekannt werden, immer wieder fürunsägliche Debatten missbraucht. Unser Anliegen ist es,die Transparenz herzustellen. Die Notwendigkeit ergibtsich zum Beispiel aus den jährlichen Berichten der Ge-meinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, derGKKE. Es ist auch ein Anliegen von Amnesty Interna-tional und vielen anderen Nichtregierungsorganisationen.Dort möchten wir Instrumente schärfen. Ich glaube, dassdas dem Anliegen einer restriktiven Exportpraxis ent-gegenkommen würde.
Werte Kolleginnen und Kollegen, noch eines zur Op-position: Wir sind in einem schwierigen Umsteuerungs-prozess. Wir steuern um, was Sie über Jahre praktizierthaben.
Sie sind die Verpflichtungen eingegangen; ich nenne alsBeispiel die U-Boot-Lieferungen an Israel. Sie haben dieVoranfragen im Hinblick auf den Export von Bestand-teilen einer Munitionsanlage in die Türkei rechtlich be-stätigt.
Sie können uns gern für aktuelle Entscheidungen kritisie-ren, aber bitte nicht dafür prügeln, dass wir rechtlich ge-zwungen sind, eingegangene Verpflichtungen der Kohl-Regierung umzusetzen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist übrigens einGrund dafür, dass wir uns dafür einsetzen, dass auch Vor-anfragen Bestandteil des Exportberichtes werden, weildann deutlich wird, welche schwierigen politischen Ent-scheidungen zu treffen sind. Wir versuchen damit, die Pra-xis transparent zu machen. Ich glaube, das kommt auch derOpposition entgegen. Dadurch könnten wir – auch einezukünftige Regierung – verhindern, dass dort verbindlicheZusagen gegeben werden, die wir nicht mittragen können.Abschließend möchte ich noch auf eines hinweisen:Der Verteidigungsminister hat dankenswerterweise eineListe erstellt, die eine Aufstellung der Rüstungsgüter derBundeswehr, die im Rahmen der Bundeswehrreform fürden Export bereitgestellt werden sollen, enthält. Aus un-serer Sicht wäre es sehr viel wünschenswerter, auf denExport zu verzichten und die weniger modernen Waffenzu vernichten.Wenn sie dennoch exportiert werden, muss das natür-lich auf der Grundlage der Exportrichtlinien geschehen.Bei einem Export zum Beispiel an NATO-Partner, die aufden gleichen technischen Standard gehoben werden sol-len, muss sichergestellt werden, dass der Endverbleib dortauch bestätigt wird.
Vor allen Dingen darf es nicht zu einem Exportwettlaufführen. Die Staaten, die von uns ausgesondertes Geräterhalten – geschenkt oder verkauft –, müssen versichern,dass die bei ihnen dadurch frei werdenden Waffen nicht inKrisenregionen exportiert, sondern vernichtet werden.Das ist eine verantwortliche Politik im Bündnis unddafür setzen wir uns ein. Wir sind bereit, diese in Zukunfttransparenter zu gestalten, als das bisher der Fall gewesenist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FDP-Fraktion
hat der Kollege Dr. Werner Hoyer das Wort.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, ich dankeIhnen für die differenzierte Darstellung in Ihrer heutigenRede. Das sind wir von Ihnen auch gewohnt. Ich weißnicht, ob Sie in der nächsten Woche noch die Absicht ha-ben, im Deutschen Bundestag zu reden. Wenn nicht, wardas heute Ihre letzte Rede. Ich möchte auf keinen Fall ver-gessen, mich als Haushaltsberichterstatter der FDP für dasBundeswirtschaftsministerium für die exzellente Zusam-menarbeit zu bedanken.
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Angelika Beer21750
Die differenzierte Darstellung, die Sie heute hier vor-getragen haben und der pragmatische Ansatz, der auf dieRealitäten und die praktischen Schwierigkeiten einesRüstungsexportberichts hinweist, sind natürlich nicht derMaßstab, den die Opposition heute anlegen muss. Maß-stab für das, was die Opposition heute hier zu sagen hat,ist das, was die Koalitionsfraktionen vor dieser Legis-laturperiode angekündigt haben. Dort sind doch großeDiskrepanzen festzustellen. Herr Kollege Fritz hat zumTeil schon zu Recht darauf hingewiesen. Ich werde daraufnoch zurückkommen.Ich habe mich gefreut, dass die Kollegin Beer eben klargemacht hat, dass auch die Grünen ein Interesse daran ha-ben, dass der Rüstungsexportbericht 2001 nicht erst imNovember, sondern, wie früher üblich, spätestens im Sep-tember vorgelegt wird, damit wir noch vor der Bundes-tagswahl darüber diskutieren können.Transparenz ist eines der wesentlichen Ziele, die mitdem Rüstungsexportbericht erreicht werden sollen. Diesist ein großes und zugleich sehr schwer erreichbares Ziel;denn wir bewegen uns hier auf einem sehr schmalen Grat.Es gibt berechtigte Interessen der eigenen und der euro-päischen Rüstungsindustrie, es gibt Verpflichtungen ge-genüber Bündnispartnern und es gibt selbstverständlichauch die Sorge um die Verwendung der exportierten Rüs-tungsgüter durch andere. Hinzu kommen Geheimhal-tungsnotwendigkeiten in wesentlichen Bereichen. All dasschränkt die Vollständigkeit eines solchen Berichtes unddie Aussagefähigkeit notwendigerweise etwas ein. Des-wegen ist das Erreichen der Transparenz ein sehr an-spruchsvolles Ziel. Wir sollten damit ehrlich und vorsich-tig umgehen.Abstriche muss man allerdings nicht nur im Hinblickauf die Transparenz machen, sondern auch im Hinblickauf die Aussagekraft, und zwar allein schon deshalb,weil grundsätzlich vom Geldwert ausgegangen wird.Das bedeutet zum Beispiel, dass preiswert oder kosten-los abgegebene Überschusswaffen der Bundeswehr nurdann, wenn sie als schwere Waffen dem VN-Waffen-register gemeldet worden sind, berücksichtigt werdenkönnen.Sie sind eben auf die Erfassung der Kleinwaffen ein-gegangen. Hier gibt es natürlich einen kleinen Fortschrittdadurch, dass dieses Kapitel überhaupt erwähnt wird.Aber auch hier wird nur mit dem Wert argumentiert;Stückzahlen sucht man dort vergeblich. Wenn man sichdie praktische Problematik des Missbrauchs von Klein-waffen ansieht, dann erkennt man, dass das auf eine echteLücke im Rüstungsexportbericht hinzudeuten scheint. Ichwill das gar nicht kritisch anmerken, sondern ich will nurfeststellen, dass das ein praktisches Problem ist, das mandurch ideologische Erklärungen nicht einfach aus derWelt schaffen kann.Was hat nun die Bundesregierung beim Thema Rüs-tungsexporte bislang getan? Zunächst einmal ist festzu-halten, dass es unter dieser Bundesregierung eigentlichgar keine Rüstungsexporte geben dürfte. Da hat mittler-weile die pragmatische Seite die Oberhand gewonnen.Das ist auch gut und beruhigend. Aber Faktum ist, dassnoch im Grundsatzprogramm der SPD, in der Variantevom 17. April 1998, also von vor der Bundestagswahl,steht:Unser Ziel ist es, den Export von Waffen undRüstungsgütern zu verhindern.
In dem Programm der Grünen zur Bundestagswahl1998 steht:Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, derUSA und Kanadas unterbinden und ihre Subventio-nierung beenden.Das sind die Maßstäbe, an denen Sie sich messen las-sen müssen.
Dass wir diese Maßstäbe nicht teilen, ändert nichts an derNotwendigkeit, Sie daran zu messen. An diesem Maßstabgemessen ist die Bundesregierung bei der Rüstungs-exportpolitik gescheitert.
Die Ausfuhren deutscher Kriegswaffen stiegen imJahr 1999 um fast 120 Prozent. Selbstverständlich weißich, dass das auch Abwicklungen beinhaltet. Aber dassman diesen erheblich gestiegenen Wert als Referenzmaß-stab für die angebliche Absenkung im Jahr 2000 heran-zieht, ist einigermaßen dreist, das ist Chuzpe.
Es ist doch bei der Praxis der Rüstungsexportberichteganz pragmatisch davon auszugehen, dass durch Schwan-kungen bei einzelnen Projekten von Jahr zu Jahr riesigeGesamtschwankungen in der Rüstungsexportsumme zu-stande kommen. Da brauchen nur zwei U-Boote von ei-nem Jahr aufs andere umgebucht zu werden und schon hatman eine völlig andere Aussage. Das ist hier der Fall. Des-wegen kommt es darauf an, die Rüstungsexportzahlenüber die mittlere Frist zu bewerten. Wenn man das tut unddie Trends sieht, dann sieht die Bundesregierung bei wei-tem nicht so gut aus. Bei Vorlage des Rüstungsexport-berichts 2001 wird sie erst recht nicht besonders gut aus-sehen, weil dann nämlich eine erhebliche Steigerungenthalten sein wird.
Herr Fritz, in der Tat steht die BundesrepublikDeutschland in der SIPRI-Studie bei den Rüstungsexpor-ten an fünfter Stelle. Was mich aber beunruhigt, ist dieTatsache, dass sich diese Zahl auf den Referenzzeitraum1996 bis 2000 bezieht. Die relativ niedrige Platzierung aufPlatz fünf ist darauf zurückzuführen, dass es in den Jah-ren 1996/1997 relativ wenig Rüstungsexporte gab. Aberzum Schluss, in den Jahren 1999/2000, ist erheblich zu-gelegt worden. Wenn Sie die Zahlen für 2000 nehmen,
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Dr. Werner Hoyer21751
dann sehen Sie, dass die Bundesrepublik Deutschland inder Rüstungsexportstatistik schon auf Platz drei liegt. Damuss man einfach der Wahrheit die Ehre geben.Eine in sich stringente Position der Bundesregierungzum Thema Rüstungsexporte sehe ich nicht. Das ist auchviel schwieriger, als es sich Ideologen von Rot und Grünvorgestellt haben. Insbesondere wird es dann immerwieder zum Schwur kommen, wenn ganz pragmatischeEntscheidungen zum Beispiel des Bundesministers derVerteidigung mit Grundsatzaussagen zur Rüstungsexport-politik der Regierungskoalition, wie ich sie eben vorge-tragen habe, kollidieren. Es erscheint zum Beispiel abso-lut unsinnig, wenn der Bundesminister der Verteidigungüberschüssiges Rüstungsmaterial über die deutschen Bot-schaften an befreundete Nationen veräußern will und dasvom Außenminister verhindert wird.
Das ist reine Rüstungsexportkosmetik und schadet denInteressen unseres Landes.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab der Bun-desregierung und auch Ihnen gratulieren, dass wir dieseDebatte heute nicht, wie im vergangenen Jahr, um Mitter-nacht führen
und vor allem die Grünen ihre Reden nicht zu Protokollgegeben haben.
Es ist ja schon toll, dass Frau Beer hier heute gesprochenhat. Außerdem gratuliere ich der Bundesregierung für dieerfolgreiche Verteidigung des fünften bis dritten Platzes.Immerhin liegen wir bei den Rüstungsexporten noch mitweitem Abstand vor China.Ich will jetzt gar nicht so weit zurückgehen und auf daszurückgreifen, was vor der Wahl gesagt wurde. 1999 hatHerr Fischer gesagt, wer Rüstungsgüter verbrauche, müs-se diese auch produzieren und exportieren. Das ist vondieser Regierung doch hervorragend umgesetzt worden.Ein Erfolg ist das natürlich nur aus Sicht derjenigen,die an diesem mörderischen Geschäft ordentlich verdie-nen, und derjenigen, die Krieg und Kriegsführungsmög-lichkeiten als legitimes Mittel der Politik betrachten. Siewerden uns sicherlich verzeihen, wenn die PDS in diesenLobgesang nicht einstimmt.
Dabei befinden wir uns in sehr guter Gesellschaft mit alldenen, die sich kritisch mit der Problematik der Waffen-ausfuhren beschäftigen, mit der gemeinsamen Kommis-sion der beiden Kirchen, mit Amnesty International, mitder Deutschen Friedensgesellschaft, mit dem BerlinerInstitut für Transatlantische Sicherheit, mit dem BICC inBonn und vielen anderen.Transparenz und die Verbesserung parlamentarischerMitbefassung, also Mitberatung vor wichtigen Entschei-dungen, sind das eine. Wir haben Ihnen dazu einen ent-sprechenden Antrag unterbreitet. Viel wichtiger aber istdie weitere Einschränkung bis hin zur endgültigen Ein-stellung aller Rüstungsexporte.
In Ihren Sonntags- und Parteitagsreden erklären Sie,den zivilen Anteil in der Konfliktlösung stärken zu wol-len. In der Praxis zeichnen Sie aber dafür verantwortlich,dass die in Ihren Richtlinien festgelegten Kriterien wiezum Beispiel die Achtung von Menschenrechten und dieVermeidung von Waffenlieferungen in Krisengebietekaum eine Rolle spielen. Das ist schlichtweg ein Skandal.Als Beispiel – dies steht im Widerspruch zu dem Au-genmaß, das Herr Mosdorf angesprochen hat – nenne ichhöchst problematische Lieferungen in Staaten, in denenKrisen oder Konflikte herrschen: Herstellungsausrüstungfür Munition nach Usbekistan und Nepal und Panzerab-wehrwaffen nach Indien, U-Boot-Teile, Fregatten undHubschrauber, maritime Kriegsmittel – darunter U-Boote –für Südafrika und Malaysia, Kampfhubschrauber nachSüdkorea, wenn auch ohne Bewaffnung, wie Sie – ichmuss sagen: lächerlicherweise – in Ihrem Bericht hervor-heben.
Nicht zu vergessen sind die Lieferungen an Indonesien, indie Türkei und, wie schon genannt, an Israel: 346 Milli-onen für Panzerteile, Panzerfahrzeuge, Torpedos und an-deres. Wie diese eingesetzt werden, können wir uns stünd-lich in den Nachrichten ansehen. Waffen für Israel sindkein legitimes Mittel zur Konfliktlösung im NahenOsten.
Wir fordern Sie auf, die Kriterien der Spannungsver-meidung und der Gewaltprävention endlich ernst zu neh-men. Gerade mit Blick auf die Gewalteskalation im Na-hen Osten und auf die akuten Völkerrechts- undMenschenrechtsverletzungen der israelischen Armee inden besetzten Palästinensergebieten füge ich hinzu: Be-obachten Sie nicht länger, sondern stoppen Sie umgehendalle Rüstungslieferungen in den Nahen Osten!
Machen Sie endlich ernst damit, den Export von Klein-waffen einzudämmen und komplett einzustellen!Es genügt nicht, auf internationalen Konferenzengroße Reden zu halten. Wir wollen Taten sehen, was so-wohl den Export von Kleinwaffen als auch das tödliche
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Dr. Werner Hoyer21752
Geschäft mit Landminen angeht. Sagen Sie hier undheute, dass Sie Schluss damit machen, und steigen Sieaus!
Last, not least ein Satz zu der atemberaubenden Liste,die Herr Scharping wohl in den nächsten Tagen über dasauszumusternde Wehrmaterial vorlegen wird. Erbraucht ja dringend Geld für neue Waffensysteme. Wirfordern Sie auf: Verkaufen Sie nicht ein Stück dieses Ma-terials, egal ob innerhalb der NATO-Staaten oder in Dritt-länder! Verschrotten Sie den Kram!
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, wasSie in Ihren Programmen und in der Koalitionsvereinba-rung festgeschrieben haben, ernst nehmen, dann stimmenSie bitte unserem Entschließungsantrag zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich einmal vom
letzten Redebeitrag absehe,
so finde ich, dass hier eine sehr ausgewogene und sehr
nachdenkliche Diskussion geführt worden ist, die der Be-
deutung des Gegenstandes in erfreulicher Weise Rech-
nung trägt. Ich will hinzufügen, dass ich es geradezu für
normal halte, wenn wir uns alle – ob in Oppositionsfrak-
tionen oder in Regierungsfraktionen – mit diesen Fragen
auseinander setzen; denn es handelt sich tatsächlich im
Einzelnen um schwierige Abwägungsfragen.
Zunächst möchte ich darauf verweisen, dass es erfreu-
lich und richtig ist – es ist zudem eine Neuerung –, dass
wir hier überhaupt über einen Rüstungsexportbericht mit-
einander debattieren. Ich will Ihnen zwar keinen Vorwurf
machen, möchte aber zumindest festhalten, dass Sie in Ih-
rer Regierungszeit diese Möglichkeit der umfassenden In-
formation des Parlaments und der Öffentlichkeit nicht
eingeräumt haben. Insofern ist das ein Fortschritt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Staffelt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Weiermann,
ich habe nur eine Informationsfrage. Keine Aufregung!
Herr Kollege Staffelt, können Sie bestätigen, dass zu
der Zeit, in der Ihre Regierung die Vorlage eines Rüs-
tungsexportberichtes eingeführt hat, in allen anderen eu-
ropäischen Ländern – mit Ausnahme Dänemarks; es hat
erst jetzt nachgezogen – das Erstellen solcher Berichte
eingeführt wurde, dass dies also der Logik der Entwick-
lung der europäischen Rüstungsexportkontrollpolitik
entspricht und kein besonderes politisches Verdienst ist?
Herr Kollege Fritz, mankann natürlich alles herunterreden. Sie wissen vielleicht,dass sich die Bundesregierung im europäischen Rahmensehr stark für die Vorlage eines solchen Berichtes einge-setzt hat. Sie wollte nicht nur mit einem guten Beispielvorangehen, sondern hat auch die anderen Partner ani-miert, einen solchen Weg zu gehen. Das ist doch ein Ge-winn an sich. Ich freue mich darüber, wenn alle übrigenStaaten der Europäischen Union und möglichst weitereStaaten einen solchen Bericht erstellen.Sie wissen bestimmt – das fällt mir in diesem Zusam-menhang ein –, dass auf dem Gipfel in Nizza zwischen derEU und den Vereinigten Staaten von Amerika sehr inten-siv darüber gesprochen worden ist, dass auch dort der Öf-fentlichkeit Rüstungsexporte sehr viel transparentergemacht werden. Auch das ist ein Teilerfolg der Bundes-regierung, die sich diesen Dingen in gesonderter Weiseverpflichtet fühlt.
Lassen Sie mich an die Tatsache anknüpfen, dass heuteein solcher Bericht vorliegt. Wir legen das deutsche Kon-trollsystem für Rüstungsgüter in aller Offenheit dar. Wirhaben eingeführt, dass die Auswirkungen von Abrüs-tungsvereinbarungen auf die Exportkontrolle genanntwerden. Heute wird die deutsche im multilateralen Rah-men stattfindende Rüstungsexportkontrollpolitik auch inder Öffentlichkeit debattiert.Im Rahmen der politischen Grundsätze auf dem Gebietdes Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs-gütern, die Ihnen allen bekannt sind, wird die Beachtungder Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt. Auch dasist in dieser prioritären Form eine Neuerung im Vergleichzu dem, was wir aus der Vergangenheit kennen, wobei ichnicht unterstellen will, dass vergangene Regierungen ausihrer politischen Sichtweise heraus nicht auch einen Ab-wägungsprozess vorgenommen haben, der ihren politi-schen Leitlinien folgte.Lassen Sie mich darüber hinaus darauf hinweisen, dasses keinen Sinn macht, eine Diskussion zu führen, wie Siedas hier getan haben. Sie haben gesagt, wir hättenzunächst anderes formuliert und würden jetzt das prakti-zieren, was Sie praktiziert hätten, und deshalb sei dasfalsch.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Heidi Lippmann21753
– Doch, so ist schon seit langem Ihre Argumentation. ImÜbrigen ist es immer wieder auch die von Herrn Uldall imWirtschaftsausschuss gewesen. – Ich glaube, dass wir andieser Stelle sehr sorgsam vorgehen müssen. Wir habeneine neue Plattform und wir haben Richtlinien, die jederüberprüfen kann. Dass sich das Ganze im Bereich von In-terpretation und Einzelentscheidungen abspielt, das wis-sen wir alle sehr genau.Die Realitäten sind eindeutig: Es geht um das ThemaMenschenrechte und um das Thema Konfliktvermei-dung. Ich muss zurückweisen, dass sich die Bundesregie-rung nicht ernsthaft mit der Befriedung wichtiger Teiledieser Welt auseinander setzen würde. BundesministerFischer und die gesamte Bundesregierung haben sich,gerade was den Konflikt im Nahen Osten betrifft, poli-tisch sehr nachhaltig und mehr als andere engagiert.
Ich sage Ihnen: Wir haben gegenüber Israel Verpflich-tungen; das ist das eine. Das andere ist – das hat Staatsse-kretär Mosdorf sehr deutlich festgestellt –: Wir beobach-ten die Situation und natürlich wird es Teil derRegierungsüberlegungen sein, nicht dazu beizutragen,dass Waffen oder ähnliches Gerät, das in diesem Konflikteine Rolle spielen könnte, in diese Region geliefert wer-den. Das liegt doch auf der Hand und dazu steht jeder.Es ist richtig, was in Bezug auf die im vorliegenden Be-richt genannten Zahlen gesagt worden ist: Jeder Berichtwird natürlich nur einen Ausschnitt der Anträge, Geneh-migungen und – um es wirtschaftlich auszudrücken – derUmsatzzahlen darstellen können, die es in dem betreffen-den Zeitraum gegeben hat. Dennoch muss ich sagen, dasses meiner Ansicht nach nicht so sehr auf die Quantität,sondern mehr auf die Qualität ankommt. Wir können kon-statieren – das ist in dem Zusammenhang außerordentlichwichtig –, dass bei den Einzelexportgenehmigungen fürExporte in Länder, die nicht der NATO angehören,NATO-Ländern auch nicht gleichgestellt sind, ein Minusvon 24 Prozent festzustellen ist. Das ist doch eine Ent-wicklung, die wir begrüßen.
Wenn es in der Zukunft andere Entscheidungen in demBereich gibt, wenn es zum Beispiel die Entscheidung fürdie Lieferung von Schiffen nach Südafrika gibt – das isthier angesprochen worden und ist auch im Antrag derPDS nachzulesen –, dann fallen diese im Rahmen einesÜberlegungs- und Entscheidungsprozesses, den mannicht ohne weiteres verweigern kann; wenn das vernünf-tig gehandhabt wird, ist das auch zu rechtfertigen. Wir ha-ben in Deutschland nun einmal eine hoch technisierte In-dustrie, die in Kooperation mit der in andereneuropäischen Ländern einen wichtigen Beitrag zu unsererVolkswirtschaft leistet. An dieser Stelle möchte ich aufeine Zahl hinweisen – sie ist ganz interessant –, damit wiruns auch einmal darüber im Klaren werden, welche Di-mensionen das Ganze eigentlich hat: Im Jahr 2000 betrugbei uns der Anteil der Rüstungsexporte an den Gesamt-exporten 0,11 Prozent.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Staffelt,
gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin
Lippmann?
Ja, bitte.
Herr Kollege Staffelt, Sie
sprachen gerade die U-Boot-Lieferung nach Südafrika
an. Ich war seinerzeit mit Mitgliedern des Verteidigungs-
ausschusses dort. Wir haben Gespräche mit dem Fregat-
ten- und dem U-Boot-Konsortium der deutschen Unter-
nehmen, die vor Ort waren, geführt. Ihnen ist genauestens
bekannt, denke ich, dass wegen Korruptionsvorwürfen
mittlerweile staatsanwaltlich und gerichtlich ermittelt
wird und dass Mitarbeiter auch aus deutschen Unterneh-
men entlassen wurden, weil Korruptionsvorwürfe beste-
hen.
Es gibt die Forderung nach einem Moratorium der Lie-
ferungen. Stimmen Sie dieser Forderung nach einem Mo-
ratorium zu?
Das kann ich nicht beur-
teilen und das werde ich hier auch nicht beantworten. Ich
kann Ihnen zu diesem Thema nur eines sagen: Wie bei
vielen geschäftlichen Aktivitäten wird es auch in dem Be-
reich immer das Risiko geben, dass sich Unternehmen
oder einzelne Personen nicht an die Spielregeln halten.
Ich habe das hier nicht zu erörtern. Ich habe hier die Rüs-
tungsexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland und
nicht das Verhalten einzelner Unternehmen bei der Ak-
quisition von Aufträgen zu erörtern.
Wenn es solche Vorkommnisse gibt, dann werden sie
aufgeklärt – offenbar ist das ja auch hier der Fall – und
dann wird man derartige Schäden zu reparieren haben.
Das liegt auf der Hand. Das ist ganz normal. Wenn ich
Ihren Vorstellungen folgte, dann müsste ich sozusagen
ganze Branchen auslöschen, nur weil in diesen Branchen
der eine oder andere Versuch unternommen wird, unlau-
ter an Aufträge heranzukommen. Das wäre kein vernünf-
tiges Verfahren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ab-
schluss noch einmal darauf verweisen, dass unser
Bemühen darauf gerichtet ist, die Grundwerte, denen sich
diese Regierung verpflichtet fühlt, in die Praxis umzuset-
zen und dafür Sorge zu tragen, dass diese Grundsätze, so-
weit es irgend möglich ist, mit den Realitäten dieser Welt
in Übereinstimmung gebracht werden. Wir sind gut bera-
ten, glaube ich, gemeinsam mit unseren Partnern in Eu-
ropa und in der NATO eine Politik der Transparenz, aber
eben auch eine Politik zu betreiben, die Rüstungsexporte
da, wo sie verantwortbar sind, nicht unmöglich macht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner indieser Debatte ist der Herr Kollege Ruprecht Polenz fürdie Fraktion der CDU/CSU.
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Dr. Ditmar Staffelt21754
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Als Frau Beer vorhin zumRednerpult ging, habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre,wenn sie eine ihrer Reden von 1995 oder 1996 zum glei-chen Thema halten würde.
– Das hat Frau Lippmann übernommen. Insofern bin ichdoch noch auf meine Kosten gekommen.
– Aber die Argumente waren ziemlich gleich.SPD und Grüne wollen den Eindruck erwecken – auchFrau Beer hat das heute wieder versucht –, als gäbe es seit1998 eine grundsätzlich andere Rüstungsexportpolitik.Den Eindruck müssen Sie erwecken, weil Sie die Vorgän-gerregierung kritisiert haben – das sind die Debatten vondamals gewesen –, sie habe Waffen „auf Teufel kommraus“ und gleichsam „ohne Rücksicht auf Verluste“ ex-portiert. Wenn man dies in den alten Debatten nachliest,dann findet man die Zitate von dem Tod, der ein Meisteraus Deutschland sei, und Ihre Vorwürfe von damals, in de-nen man auch illegale Exporte der alten Bundesregierungzur Last gelegt hat.
Was hatten Sie den Wählern 1998 versprochen, FrauBeer? In Ihrem Programm heißt es wörtlich:Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, derUSA und Kanadas unterbinden und ihre Subventio-nierung beenden.Die SPD hat in ihrem Programm geschrieben:Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüs-tungsgütern zu verhindern.Gemessen an diesen Vorgaben und an Ihren eigenen Zie-len ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellos ge-scheitert. Das ist nicht meine Feststellung, sondern daswörtliche Ergebnis einer ausführlichen Bewertung vonSibylle Bauer vom Institut für Europäische Studien, FUBrüssel, die kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“ aus-führlich nachzulesen war.Frau Beer, Sie haben die Fachgruppe Rüstungsexporteder Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung zi-tiert. Sie stellt in ihrem Rüstungsexportbericht 2001 fest:Der deutsche Export an Kriegswaffen und Rüstungs-gütern ist seit 1998 nicht zurückgegangen, sondernhat inzwischen wieder das Niveau der frühen 90er-Jahre erreicht.
Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung ver-sucht, dieses Ergebnis zu kaschieren. Gleich zu Anfangwird hervorgehoben, Herr Staatssekretär, 2000 seien53 Prozent weniger Kriegswaffen als im Vorjahr expor-tiert worden. „Donnerwetter“! kann ich dazu nur sagen.Darüber wird sich die grüne Basis freuen. Ich habe einmalden Vorjahresbericht nachgelesen. Dort wurde herausge-stellt: Etwa ein Drittel der Kriegswaffenexporte gehen aufdie Lieferung von zwei U-Booten nach Israel zurück. DieLieferung stand damals im Zusammenhang mit Zusagenaus dem Golfkrieg.Es ist schon ein merkwürdiger Umgang mit Statistik,dass man die aus diesem Grund hohen Zahlen vom Vor-jahr als Vergleichsgröße anführt, um daraus eine drasti-sche Verringerung des Exports von Kriegswaffen zufolgern.
Es stehen jetzt Vertragsabschlüsse in Bezug auf die Liefe-rung von U-Booten nach Südkorea und von U-Booten undFregatten nach Südafrika ins Haus, die in der Exportsta-tistik noch nicht erfasst sind. Im kommenden Jahr ist des-halb mit einem Anstieg von Kriegswaffenexporten inDrittländer zu rechnen. Wie ich Sie kenne, werden Sie unsdas dann in die Schuhe schieben, wenn Sie nach dem22. September den künftigen Rüstungsexportbericht alsOpposition kritisieren.
Wie sieht die Wirklichkeit aus? Deutschland hat auchunter der CDU-geführten Bundesregierung eine restrik-tive Rüstungsexportpolitik betrieben. Das wird auch einekünftige CDU-geführte Bundesregierung tun. Der heutigegültige Verhaltenskodex der Europäischen Union zurWaffenausfuhr, der zu Recht als großer Fortschritt auchin dem Bericht gelobt wird, stammt vom 8. Juni 1998. DieCDU-geführte Bundesregierung hat diesen Kodex maß-geblich mit herbeigeführt, um die eigene restriktive Pra-xis auch auf europäischer Ebene durchzusetzen. Insbe-sondere Außenminister Kinkel und auch Sie, Herr Hoyer,als Staatsminister hatten daran großen Anteil.Zu der Entwicklung der deutschen Rüstungsexporte inden zurückliegenden Jahren hat die Stiftung Wissenschaftund Politik die vier wesentlichen internationalen Statisti-ken ausgewertet und kommt dabei zu folgendem Ergebnis– ich zitiere –:Im internationalen Rüstungshandel der 90er-Jahre ...spielen Deutschland und die deutsche Industrie nureine marginale Rolle, wenn man einmal vom Mari-neschiffbau absieht. Anders als die öffentliche Dis-kussion oft nahe legt, gilt dies insbesondere für denExport konventioneller Waffen in Entwicklungslän-der ...Die Statistiken machen daher auch deutlich, dass– mit Ausnahme des Marineschiffbaus – die deutscheRüstungsindustrie im internationalen Rüstungshan-del kaum von Bedeutung ist.
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Zum gleichen Ergebnis kommt auch die FachgruppeRüstungsexporte der Konferenz „Kirche und Entwick-lung“:Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg eine ver-gleichsweise zurückhaltende Rüstungsexportpolitikverfolgt ...Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben,meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,dass Sie diese Politik nicht geändert haben. Sie solltendann aber auch nicht so tun, als hätten Sie sie geändert.Im letzten Jahr gab es ein großes Spektakel um denTestpanzer „Leopard“ für die Türkei. Sie haben
immer wieder – auch in dramatischer Weise und öffent-lich – die Rüstungshilfe für diesen NATO-Partner infragegestellt. An diesem Punkt zeigt sich die Widersprüchlich-keit rot-grüner Politik.
Die Türkei wird jetzt Führungsnation bei den Friedens-truppen in Afghanistan, weil die Bundeswehr nicht soausgestattet ist, dass sie diese Aufgabe übernehmenkönnte, obwohl dies zweifellos im Interesse der afghani-schen Regierung gewesen wäre. Jetzt, meine Damen undHerren, hängt auch die Sicherheit der deutschen Soldatenin Afghanistan unter anderem davon ab, wie gut türkischeSoldaten für ihre Aufgabe dort ausgerüstet sind.
Ich bin gespannt, wie lange Rot-Grün diesen Spagat nochvorführen will: gute Ausrüstung der türkischen Soldaten,aber am liebsten keine Waffenlieferungen an die Türkei.
Es gibt noch einen zweiten Schwachpunkt in IhrerPolitik:
die Auswirkungen der dramatischen Unterfinanzierungder Bundeswehr auf die Rüstungsexporte. Weil der Ver-teidigungshaushalt nicht ordentlich finanziert ist, sollScharping die nicht mehr benötigten Waffen verkaufen.Den Erlös kann er dann behalten.
Ein 46-seitiger Katalog von Überschusswaffen – er istheute schon mehrfach angesprochen worden – wurde vomVerteidigungsministerium an 53 Verteidigungsattachés indeutschen Botschaften geschickt, damit diese Bestellun-gen hereinholen. Aber nach Intervention des AuswärtigenAmtes darf er nun nicht an alle vorgesehenen Adressatenverteilt werden.Meine Damen und Herren, wir müssen uns im Deut-schen Bundestag in Zukunft stärker mit den Fragen be-schäftigen, die sich im Zusammenhang mit Rüstung ausder Internationalisierung und europäischen Kooperationergeben. In diese Aufgabe müssen wir auch das Europä-ische Parlament einbeziehen.Ich komme zusammenfassend zum Schluss: Niemandin diesem Haus sieht Waffen als einen Exportartikel wiejeden anderen an.
Niemand will die restriktive Rüstungspolitik aller Bun-desregierungen ändern. Wir stehen gemeinsam vor derAufgabe, dieses Ziel auch bei zunehmender Internationa-lisierung der Rüstungsproduktion zu erreichen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/7657 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsan-trag auf Drucksache 14/8275 soll an dieselben Ausschüsseüberwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Dasist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a) und b) auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Schuldrechtsan-passungsgesetzes– Drucksachen 14/6884, 14/7169 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-ordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus,Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und der Fraktionder PDS eingebrachten Entwurts eines ... Geset-zes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungs-gesetzes
– Drucksache 14/65 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts-ausschusses
– Drucksache 14/8299 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim HackerAndrea VoßhoffHans-Christian StröbeleRainer FunkeDr. Evelyn Kenzler
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Ruprecht Polenz21756
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. EvelynKenzler, Dr. Ruth Fuchs, Ulla Jelpke, weitererAbgeordneter und der Fraktion der PDSÄnderung des Schuldrechtsanpassungs-gesetzes– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. EvelynKenzler, Roland Claus, Sabine Jünger, Dr.Gregor Gysi und der Faktion der PDSÄnderung der Nutzungsentgeltverordnung
– Drucksachen 14/6918, 14/63, 14/8299 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim HackerAndrea VoßhoffHans-Christian StröbeleRainer FunkeDr. Evelyn KenzlerZum Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den wirspäter namentlich abstimmen werden, liegt ein Ände-rungsantrag der Fraktion der PDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Par-lamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.D
Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf ändert dasSchuldrechtsanpassungsgesetz. Daher befassen wir unserneut mit dem Recht der Überleitung von Eigentums-und Nutzungsrechten an Immobilien in den neuen Bun-desländern. Damit sind wir in dem Bereich, den jede undjeder von uns kennt: im Bereich des so genannten Dat-schenrechts. Dabei handelt es sich um eine besonders sen-sible Materie.Es geht nämlich um widerstreitende Interessen vonGrundstückseigentümern auf der einen Seite und von ver-traglichen Grundstücksnutzern auf der anderen Seite. Esgeht um einen gerechten Ausgleich dieser Interessen.Diese Diskussionen werden in der Öffentlichkeit, wie wiralle wissen, zum Teil sehr emotional geführt. Denn jedeSeite fühlt sich schnell übervorteilt.Ich denke, es ist umso erfreulicher, dass es uns gelun-gen ist, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen sach-gerechten und, wie ich meine, akzeptablen Kompromisszu finden. Dazu haben in einer besonders intensiven Weisedie Überlegungen und Ergebnisse einer von der Bundes-ministerin der Justiz und der Konferenz der Justizministe-rinnen und Justizminister der neuen Bundesländer einge-setzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe beigetragen, die dieGrundlagen für den Gesetzentwurf geschaffen haben.Sie alle wissen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf ei-nen Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsge-richts erledigen. Das Bundesverfassungsgericht ver-langt in seinem Beschluss vom 14. Juli 1999 „Regelungenzur angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffent-lichen Lasten des Grundstücks und zur Gewährung einesTeilflächenkündigungsrechts für Eigentümer großerGrundstücke“. Es hat uns somit – mit anderen Worten –aufgefordert, die sich aus dem Schuldrechtsanpassungs-gesetz ergebenden Rechte der Grundstückseigentümer zustärken. Dieser Auftrag des Gerichts ist unsere Grundlage.Deswegen war es auch von Anfang an klar, dass die Poli-tik bezüglich der Nutzerseite nur einen äußerst be-schränkten Gestaltungsraum haben wird, weil wir hierverfassungsrechtlich eingeschränkt sind. Wenn man sichkritisch mit den Problemen befasst, dann weiß man auch,dass die Erledigung dieses Auftrages nicht einfach gewe-sen ist.Ich möchte einige Punkte aus dem Interessenausgleichzwischen Nutzern und Grundstückseigentümern im Ein-zelnen darstellen. Erstens. Der Gesetzentwurf enthält zurBeteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten einenVorschlag, der sachgerecht die Belange beider Seitenberücksichtigt. Die wiederkehrenden Leistungen soll derNutzer tragen, weil er den Vorteil der diesen Beiträgen zu-grunde liegenden Leistungen während der Nutzungszeitja auch alleine genießt. Die einmalig erhobenen Beiträgesollen sich Eigentümer und Nutzer grundsätzlich teilen,wobei wir hier zugunsten der Nutzer einen Zeitraum vonzehn Jahren vorsehen, in dem dies – solange das Ver-tragsverhältnis auch tatsächlich besteht – durch Teilbe-träge erledigt werden kann.Zweitens. Der Vorschlag des Entwurfs zum Teilkündi-gungsrecht der Eigentümer verlangt, dass das Grund-stück mindestens 1000 Quadratmeter groß sein muss unddass dem Nutzer nach Ausübung des Kündigungsrechtsmindestens 400 Quadratmeter zur eigenen Nutzung ver-bleiben müssen. Außerdem darf der Grundstückseigen-tümer die Teilkündigung nur vornehmen, wenn der Nut-zer „die bisherige Nutzung ohne unzumutbare Einbußenfortsetzen kann“. Auch dies hat das Bundesverfassungs-gericht vorgegeben.Wir sind über den Auftrag des Bundesverfassungsge-richts hinausgegangen. Wir haben nämlich gesagt: Auchfür die Nutzerseite ist es angemessen, ihr ein Teilkündi-gungsrecht bei besonders großen Grundstücken einzuräu-men. Wir haben also mehr getan, als uns das Bundesver-fassungsgericht vorgegeben hat.Drittens. Der Regierungsentwurf enthält den Vorschlagklarstellender Änderungen der Nutzungsentgeltverord-nung. Hier werden die Vergleichbarkeitskriterien zur Er-mittlung des ortsüblichen Nutzungsentgelts deutlicher ge-fasst. Sie wissen, dass dieser Vorschlag jetzt auf dieentsprechenden Vorschläge der Nutzerverbände selberzurückgeht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser An-trag ist in den Ausschüssen ausgesprochen gründlich be-raten worden. Ich darf mich an dieser Stelle für die kon-struktive Zusammenarbeit auch der Kolleginnen undKollegen der Oppositionsparteien ausdrücklich bedan-ken. Ich denke, dass auch die Anhörung, die wir im No-vember letzten Jahres durchgeführt haben, zum Ausdruck
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Vizepräsidentin Petra Bläss21757
gebracht hat, dass es als Alternative eigentlich keine sinn-volle und verfassungsrechtlich tragfähige Regelung gibt.Es sind keine entsprechenden anderweitigen Vorschlägegemacht worden. Im Gegenteil: Wenn Sie sich an die Aus-sagen der Gutachter erinnern, müssen Sie zugeben, dasssie im Wesentlichen die Vorschläge der Bundesregierungbestätigt haben. Das gilt auch für die Vertreter der Bun-desländer.Ich kann verstehen, dass sich die Nutzer auf der einenSeite und die Eigentümer auf der anderen Seite mehr er-wartet haben. Ich denke, dass wir gut daran tun, daraufhinzuweisen, dass es wichtig ist, in diesem hochsensiblenBereich endlich zu Rechtssicherheit zu gelangen. Ichfinde, man sollte, auch wenn es schwer fällt, der Versu-chung, populistisch zu arbeiten, etwas widerstehen. Dennnichts wäre schädlicher, als erneut Erwartungen zuwecken, die der Gesetzgeber hinterher nicht erfüllenkann.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Andrea Voßhoff.Andrea Voßhoff (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Die Aufmerksamkeit vieler Grundstückseigen-tümer und Nutzer von Freizeit- und Erholungsgrund-stücken in den neuen Bundesländern ist uns bei der Bera-tung dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung heutegewiss.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesre-gierung soll eine Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts aus dem Jahr 1999 zum Schuldrechtsanpas-sungsgesetz umgesetzt werden. Wir alle wissen, wieemotional und kontrovers diese Entscheidung zwischenden betroffenen Grundstückseigentümern und Nutzernbisher diskutiert wurde. Die rechtliche Anpassung derNutzungsverhältnisse von Freizeitgrundstücken gehörtevon Anfang an zu den schwierigen Kapiteln des Eini-gungsvertrages. Grundstückseigentümer und Grund-stücksnutzer kämpfen daher seit Jahren für ihre Interes-sen, dabei begleitet ein Spannungsbogen aus Emotionenund Verunsicherungen diesen Angleichungsprozess. Wiralle wissen ob der vielen Petitionen, Schreiben und Ver-anstaltungen vor Ort, die die bestehenden Regelungen seitJahren und dieses aktuelle Gesetzgebungsverfahren be-gleiten und daher den Rechtsfrieden anscheinend nurschwer einkehren lassen.Die emotionale Betroffenheit der Nutzer ist sicherverständlich. Wer seit Jahren ein Grundstück nutzt, es miteiner eigenen Datsche unter den damaligen Bedingungender DDR bebaut hat, es hegt und pflegt, auch wenn es ihmauf dem Papier nicht gehört, der entwickelt ein sehr per-sönliches Verhältnis zu dem Grundstück und kämpft fürsein Vertrauen in den Fortbestand dieser Verhältnisse.
Aber wer vor dem Grundstück steht und von der Nutzunglangfristig ausgeschlossen ist, obwohl es sein Eigentumist, von dem er vielleicht sogar vertrieben wurde und er esbis heute selbst nicht nutzen kann, vielleicht für den Restseines Lebens nicht, versteht die Welt nicht mehr. Dassind Schicksale, sind Enttäuschungen, für die eine SED-Diktatur verantwortlich ist und nicht das Schuldrechtsan-passungsgesetz.
Deshalb, meine Damen und Herren von der PDS, istIhre Rolle in diesem Gesetzgebungsverfahren auch be-sonders verwerflich. Statt aus dieser Verantwortung zulernen, ist Ihre einseitige Interessenvertretung zugunstender Nutzer nichts anderes als eine Instrumentalisierung zuIhrer eigenen politischen Profilierung.
Sie wollen den Rechtsfrieden nicht einkehren lassen. IhreÄnderungsanträge stellen dies auch heute wieder unterBeweis und ignorieren zudem die Vorgaben des Bundes-verfassungsgerichts in eklatanter Weise. Dies ist auch inder Anhörung deutlich geworden. Dass das Eigentum zuden elementaren Grundrechten gehört, sollten Sie nichtimmer beharrlich ignorieren bzw. einseitig interpretieren.Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen,Sie müssen sich in Ihr rechtspolitisches Stammbuch schrei-ben lassen, dass Sie diesen Interessenausgleich in der Ver-gangenheit mit Ihren einseitigen Forderungen zugunstender Nutzer und zulasten der Grundstückseigentümer erheb-lich strapaziert haben. Das Bundesverfassungsgericht hatSie ja nunmehr auch auf den Boden der verfassungsrecht-lichen Realität zurückgeholt und Ihren rechtspolitischenWaghalsigkeiten aus der vergangenen Legislaturperiodeein Ende gesetzt. Sie haben mit Ihren Initiativen und For-derungen in der Vergangenheit auch in dieser Frage wie-der einmal alles versprochen und konnten es, wie dieserEntwurf belegt, nicht halten. Auch das gehört zu Ihrer Re-gierungsbilanz, meine Damen und Herren von Rot-Grün.Das fing mit Ihren Versprechungen zur Bekämpfungder Arbeitslosigkeit zu Beginn Ihrer Regierungszeit anund hört bei Ihren in der Vergangenheit gemachten Ver-sprechungen gegenüber den Grundstücksnutzern auf.Aber das ist Ihre Bilanz, die der Wähler im Septemberdieses Jahres quittieren wird.Übrigens muss ich mich wundern, dass die Justizminis-terin, Frau Däubler Gmelin – sie ist anwesend –, auchheute zu diesem Thema wieder nicht spricht. Es wäreschon geboten gewesen, dass gerade die Justizministerinden Nutzern, denen sie offenbar noch 1997 auf einemKongress Hoffnungen gemacht hat, die schon damalsmehr als bedenklich waren, wenigstens heute in der ab-schließenden Lesung erklärt, warum der heutige Gesetz-entwurf ihren Forderungen von damals nun wirklich dia-metral entgegensteht.
Nun hat aber das Bundesverfassungsgericht mit seinerEntscheidung 1999 das genaue Gegenteil von dem ver-langt, was Sie immer gefordert haben. Das Bundesverfas-sungsgericht hat zwingende Änderungen zugunsten der
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Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick21758
Grundstückseigentümer gefordert. So hat es festge-stellt, dass Regelungsbereiche des Schuldrechtsanpas-sungsgesetzes die wirtschaftliche Verwertbarkeit desGrundstücks für den Eigentümer in verfassungswidrigerWeise einschränken, und entsprechende Änderungen ge-fordert, die heute zur Diskussion und zur abschließendenBeratung anstehen.Dass Sie, meine Damen und Herren von der Regie-rungskoalition, sich mit der Umsetzung der Entscheidungschwer getan haben, kann ich verstehen. Wenn Sie dieRede der Justizministerin auf dem Nutzerkongress 1997und die vielen Schreiben der betroffenen Nutzer, die diesnun von Ihnen einfordern, neben diesen Gesetzentwurf le-gen und an Ihre parlamentarischen Initiativen aus der ver-gangenen Legislaturperiode denken, dann weiß ich, dassSie sich heute nicht sonderlich wohl in Ihrer Haut fühlen.Um sicherzustellen, dass Sie dieses Gesetz nicht, wiees sonst bei Ihnen üblich ist, im Geschwindschritt durchdas Parlament treiben, haben wir auch im Interesse derBetroffenen im Zuge des parlamentarischen Beratungs-verfahrens eine Anhörung im Rechtsausschuss einge-fordert und durchgeführt. Ich konzediere ausdrücklich– das habe ich auch in der Ausschusssitzung gesagt –: DerGesetzentwurf geht in die richtige Richtung und setzt dieVorgaben des Bundesverfassungsgerichts über weiteStrecken richtig um. Ich stelle ebenfalls fest – Herr Staats-sekretär Pick hat es ausgeführt –, dass der Handlungs-spielraum für den Nutzer mehr als begrenzt ist. Auch dieAnhörung im November des vergangenen Jahres hat diesin vielen Teilbereichen ergeben.Die gemeinsame Arbeit der Bund-Länder-Arbeits-gruppe, deren Ergebnis doch wohl ein wesentlicher Be-standteil dieses Gesetzentwurfs ist, hatte über weiteStrecken das Ziel, den sozialen Interessenausgleich unddas gewachsene Vertrauen der Betroffenen zu wahren.Wir sagen deshalb auch nicht Nein zu dem Entwurf.Wir werden uns aber dennoch enthalten, weil wir in einembesonders strittigen und daher nicht unwesentlichen Teil-bereich einerseits verfassungsrechtliche Bedenkennicht ganz ausräumen können und andererseits fehlenderepräsentative rechtstatsächliche Erkenntnisse über denUmfang etwaiger anrechenbarer Nutzerinvestitionen eineZustimmung zu dieser Regelung nicht möglich gemachthaben.Dabei geht es um die Ausgestaltung der Stundungsre-gelung bei der 50-Prozent-Beteiligung des Nutzers an denrückwirkenden einmaligen öffentlichen Lasten. Es blei-ben eben Zweifel, ob die Vorgabe des Bundesverfas-sungsgerichts nach einer angemessenen Beteiligung desNutzers an den öffentlichen Lasten mit der Ausgestaltungder langjährigen Stundungsregelung in dem Gesetzent-wurf umgesetzt wurde.Auch fehlt uns im rechtstatsächlichen Bereich ein re-präsentativer Überblick darüber, ob und in welchem Um-fang die faktischen Investitionen des Nutzers in Er-schließungsmaßnahmen in der Vergangenheit dem imGesetzentwurf verfolgten Ansatz einer hälftigen Kosten-teilung für die rückwirkend angefallenen einmaligen öf-fentlichen Lasten entgegenstehen.Einzelne Berechnungen, die auch in der Anhörung ge-nannt wurden, die aber zum Teil auch Investitionen dar-stellen, die lediglich dem Nutzer dienlich sind und des-halb nicht berücksichtigt werden können, lassen keinenRückschluss auf repräsentative Aussagen und Erkenntniszu.Auch hierzu, meine Damen und Herren, kann ich nurerneut feststellen, dass die parlamentarische Beratungs-zeit in diesem Hause wieder einmal relativ kurz war, wennauch nicht so kurz wie bei manch anderer Initiative.
Ich erinnere daran, dass die erste Lesung des Entwurfs imOktober des vergangenen Jahres stattfand, zu einer Zeit,als die Frist des Bundesverfassungsgerichts zur Umset-zung, nämlich der 30. Juni 2001, längst verstrichen war.Mit Blick auf den von Ihnen immer wieder erwähntenabschließenden Charakter dieses Gesetzes sind unsereBedenken in diesen Punkten eben nicht ausgeräumt.
Wir lehnen wegen der übrigen Ansätze den Gesetzent-wurf nicht ab, können ihm aber aus den genannten Grün-den auch nicht zustimmen und werden uns deshalb ent-halten.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-lege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen.
legen! Frau Voßhoff, auch wir – das hat die PDS-Fraktionauch zu Recht festgestellt – haben in der Vergangenheit,noch 1998, in der Frage des Ausgleichs zwischen Nutzerund Grundstückseigentümer eine andere Auffassung ver-treten. Wir waren immer der Meinung, dass die Nutzer– darauf haben Sie hingewiesen –, die sich manchmaljahrzehntelang über zwei Generationen hinweg um einPachtgrundstück bzw. um ein von ihnen genutztes Grund-stück gekümmert haben, in den schweren Zeiten der DDRdort investiert und auch Lebenszeit investiert haben, einenAnspruch darauf haben, auf diesem Grundstück ihren Le-bensabend zu verbringen und dass ihre Kinder dort weiterleben können.Wir wollten die Lasten anders verteilen. Wir wolltendieses Leben möglichst allen ermöglichen.Nur, das Bundesverfassungsgericht zwingt uns mitdem Beschluss vom 14. Juli 1999 – Frau Voßhoff, das ha-ben Sie offenbar vergessen –, unsere Auffassung aufzu-geben und eine andere Regelung zu finden. Das gilt fürdie Justizministerin genauso wie für die Bündnisgrünen.Viele Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern ha-ben uns daraufhin verbittert geschrieben, dass sie sich, alssie sich für den Beitritt der DDR zur BundesrepublikDeutschland entschieden haben, nicht hätten vorstellen
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Andrea Voßhoff21759
können, dass dieser Beitritt einmal zum Verlust ihresGrundstückes, des Lebensmittelpunktes ihrer Familien,führen könnte. In den Briefen wird auch darauf hingewie-sen, dass man Pachtzinsen von 500 DM bezahlen solle,wo früher die Pachten bei 20 DM lagen – ob die Berech-nungen im Einzelfall richtig sind, wird sich noch heraus-stellen; es steht aber außer Frage, dass sich die Pachtenexorbitant erhöhen werden –, diese Pachten aber nichtzahlen könne. Wir können diesen Menschen nur sagen:Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutsch-land habt ihr auch das Grundgesetz mit dem Grundrechtauf Eigentum übernommen. Den hohen Stellenwert desGrundrechts auf Eigentum müsst ihr nun hinnehmen, undzwar so, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt.Dem müssen wir uns alle unterwerfen.Was haben wir gemacht? Wenn Sie die Begründungdes Beschlusses vom 14. Juli 1999 lesen, dann werden Siefeststellen, dass fast jede Bestimmung, die der vorlie-gende Gesetzentwurf enthält, aus dem Beschluss des Bun-desverfassungsgerichts abgeleitet ist. In zwei Punktensind wir über den Beschluss sogar noch hinausgegangen.Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass dasalte Schuldrechtsanpassungsgesetz, das alleine denGrundstückseigentümern die öffentlichen Lasten ihrerGrundstücke aufbürdet, verfassungswidrig sei. Dem müs-sen wir nachkommen. Deshalb werden nach der jetzigenRegelung die öffentlichen Lasten des Grundstücks zwi-schen Nutzern und Eigentümern hälftig geteilt. Wir habenallerdings einen Kompromiss gefunden: Die Kosten, diejetzt auf die Nutzer zukommen, müssen nicht auf einmal,sondern können in Raten innerhalb von zehn Jahren be-glichen werden. Den Nutzern steht außerdem ein Sonder-kündigungsrecht zu, das es ihnen ermöglicht, sich den fi-nanziellen Lasten zu entziehen, allerdings nur unterAufgabe ihres Grundstückes. Das ist der Preis.Frühere Gesetzgeber haben nach dem Grundsatz„Rückgabe vor Entschädigung“ – das hätte man auch an-ders regeln können; aber das war eine grundsätzliche Ent-scheidung des Deutschen Bundestages – gehandelt undhaben versucht, den Nutzern dadurch entgegenzukom-men, dass ihnen kündigungsfreie Zeiten von Jahrenund Jahrzehnten eingeräumt wurden. Das Bundesverfas-sungsgericht hat dazu festgestellt: Wenn man die Ei-gentümer zwingt, auf die wirtschaftliche Nutzung ihrerGrundstücke so lange zu verzichten, dann müssen auchdie Nutzer an den öffentlichen Lasten angemessen betei-ligt werden. Nichts anderes setzen wir jetzt um. Wir tundas gezwungenermaßen. Wir tun es nicht, weil wir etwadie große Not, in der sich manche Nutzer von Grund-stücken jetzt befinden, nicht sehen würden. Wir könneneinfach nicht anders.Der vorliegende Gesetzentwurf ist nach Maßgabe desBeschlusses des Bundesverfassungsgerichts ein notwen-diger Kompromiss. Wir können diesen Beschluss nichtignorieren. Es würde weder den Eigentümern noch denNutzern nutzen, wenn wir eine Regelung schaffen wür-den, die nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsge-richts entspricht; denn dann würde die Gefahr bestehen,dass das Bundesverfassungsgericht in ein, zwei oder dreiJahren erneut korrigierend eingreifen müsste. Deshalbhalte ich auch den Gesetzentwurf der PDS, mit dem denNutzern angeblich geholfen werden soll, für den falschenWeg. Das hieße „Steine statt Brot“ geben. Denn wenn IhrVorschlag umgesetzt würde, dann wäre die Rechtslage derNutzer weiterhin sehr unsicher. Die Nutzer könnten ihrLeben und das ihrer Familien nicht planen. Es bestündedie Gefahr, dass die Nutzer in ein, zwei Jahren sogar mitnoch höheren Kosten belastet würden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Ströbele, kommen Sie bitte zum Schluss.
auch wenn es uns schwer fällt und wir große Probleme
haben, bei den Betroffenen für diese gesetzliche Regelung
auf Verständnis zu stoßen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Klaus Haupt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzent-wurf zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzesbehandeln wir wahrlich kein Weltproblem; aber für vieleOstdeutsche ist unsere Entscheidung heute äußerst wich-tig. Für manche hängt davon ab, ob ihre Datschenweltbuchstäblich zusammenbricht.
Rund 1 Millionen Datschenbesitzer zwischen Rostockund Suhl sehen diese Problematik verständlicherweisemit viel Emotionen und Herzblut. Sie haben zu DDR-Zei-ten ihr Erholungsgrundstück mit Leidenschaft, Fleiß undSchweiß sowie für damalige Verhältnisse auch mit erheb-lichen Ersparnissen buchstäblich urbar und nutzbar ge-macht. Es wurde Teil ihres Lebens. Hier wurde für dieganze Familie Frei- und Urlaubszeit verbracht. Sie hattengar keinen Anlass, das mit irgendeinem Unrechtsgefühlzu tun. In der Regel war es ihnen nicht möglich, dasGrundstück zu kaufen. Die damaligen Pachtverträgekonnten sie als ebenso dauerhaft ansehen wie einen Erb-baupachtvertrag nach westlichem Muster.Diese objektiven Besonderheiten darf man nichtaußer Acht lassen. Sie erfordern heute differenzierte Lö-sungen. Es geht um einen vernünftigen Interessenaus-gleich zwischen den Grundstückseigentümern und denNutzern. Das ist zugegebenermaßen alles andere alsleicht; denn die Interessen könnten unterschiedlichernicht sein.Selbstverständlich gibt es zur Umsetzung der Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1999keine Alternative. Aber selbstverständlich ist auch dieFrage zu stellen, ob der von der Bundesregierung vorge-legte Gesetzentwurf auch den Vorgaben der oberstenRichter der Republik entspricht.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Hans-Christian Ströbele21760
Wir sehen die Forderung des Bundesverfassungsgerichtesnach einem ausgewogenen und sozialverträglichen Inte-ressenausgleich zwischen Nutzern und Grundstücks-eigentümern in dem vorliegenden Entwurf als leider nichterfüllt.
Grundsätzlich ist richtig, dass die Pächter in vollemUmfang die regelmäßig wiederkehrenden Gebühren– wie für Abwasser, Abfall usw. – zu tragen haben. Das istnachvollziehbar und akzeptabel. Denn was man nutzt undverbraucht, muss man auch bezahlen. Dagegen ist nichtnachvollziehbar, dass die Nutzer bei einmalig erhobenenAbgaben wie Anschluss- und Straßenbaubeiträgen rück-wirkend mit der Hälfte der Kosten belastet werden. Denndie damit verbundene Erhöhung des Grundstückswerteskommt vor allem dem Eigentümer zugute. Auch wenn denPächtern jährlich nur maximal 10 Prozent dieses Kosten-anteils abverlangt werden können, werden nicht wenigeDatschenbesitzer im Osten aufgeben müssen.Die Karlsruher Richter haben richtigerweise verlangt,die Nutzer angemessen an den einmaligen Aufwendungender Grundstückseigentümer zu beteiligen. Sie haben aberkeine Beteiligung von 50 Prozent gefordert.
Dass die Nutzer keine Möglichkeit haben, ihre erbrachtenErschließungsleistungen gegenzurechnen, ist unlogisch,ungerecht und ebenfalls kein angemessener Interessen-ausgleich.
Bedenklich ist auch die Tatsache, dass die Lebensdauervon Investitionen nicht berücksichtigt wurde. Eine Kana-lisation ist zum Beispiel auf eine Lebensdauer von 40 Jah-ren ausgelegt. Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf kannder Nutzer sie nur noch 14 Jahre in Anspruch nehmen, sollsie aber zur Hälfte mitfinanzieren. Die FDP ist hier derMeinung, dass eine Regelung für eine angemessene Be-teiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten im Ver-hältnis zum tatsächlichen Nutzungszeitraum stehen muss.
Von der Bundesregierung hätten wir Liberalen in die-ser Sache mehr Sensibilität und Problembewusstsein ge-genüber der spezifischen Situation in der ehemaligenDDR erwartet, um endlich den notwendigen Rechtsfrie-den in der Beziehung zwischen Grundstückseigentümernund Nutzern herbeizuführen. Viele Probleme bleiben vomGesetzentwurf unberücksichtigt, obwohl sie einer dring-lichen Lösung bedürfen. Deshalb kann die FDP der Vor-lage der Regierung nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler. – Bevor ich
ihr das Wort erteile, bitte ich Sie, den Lärmpegel etwas zu
reduzieren. Ich habe Verständnis für die Wiedersehens-
freude zwischen den Kolleginnen und Kollegen vor der
namentlichen Abstimmung, wir sollten aber auch der letz-
ten Rednerin und den letzten Redner noch die entspre-
chende Aufmerksamkeit zollen.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Regierungsentwurfbringt nicht die abschließende und für alle Seiten befrie-digende Lösung auf dem schwierigen Gebiet derSchuldrechtsanpassung. Er dient fast ausschließlich derUmsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts von 1999. Die gesetzlichen Defizite und Mängelwie beispielsweise beim Kündigungsrecht wurden mitVerweis auf eben diese Entscheidung nicht behoben. Dasist bitter für viele Tausende ostdeutscher Nutzer vonErholungsgrundstücken. Sie hatten in den Regierungs-wechsel große Hoffnungen gesetzt, denn es war nebenmeiner Fraktion ja gerade die SPD, die in der letztenWahlperiode ganz ähnliche Änderungsvorschläge zu-gunsten der Nutzer gemacht hat.Rechtsfrieden zwischen Grundstückseigentümern undNutzern wird es auf der Basis der Regelungen dieses Ent-wurfes nicht geben.
Die eklatante Benachteiligung der Nutzer zum Beispiel inEntschädigungsfragen bleibt, nun noch vermehrt durcheine zum Teil unangemessen hohe Beteiligung an den öf-fentlichen Lasten. Das zwingt viele weitere ostdeutscheNutzer zur Aufgabe ihrer Datschen. Unsere Änderungs-vorschläge finden Sie in unseren beiden heute zur Ab-stimmung stehenden Anträgen.Lieber Herr Kollege Hacker und liebe Frau KolleginVoßhoff, Sie bemühen in diesem Zusammenhang gernden üblichen parlamentarischen Vorwurf des Populismusoder jetzt auch der Verwerflichkeit an die Adresse meinerFraktion.
Wir würden bei den Betroffenen mit verfassungswidrigenVorschlägen falsche Hoffnungen wecken und einseitigzugunsten der Nutzer agieren. Das ist natürlich Nonsens.Wenn das nämlich stimmen würde, dann hätte Ihre Frak-tion im 13. Bundestag ebenfalls verfassungsrechtlichnicht haltbare Vorschläge erarbeitet.
Nur das Bundesverfassungsgericht hätte dann die SPDdavor bewahrt, im 14. Bundestag verfassungswidrige ge-setzliche Regelungen durchzusetzen. Damit stellen Siesich doch selber ein juristisches Armutszeugnis aus; daswollen Sie doch sicher nicht.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Klaus Haupt21761
Bei den Nutzungsverhältnissen stehen sich zwei Ei-gentümer gegenüber, nämlich der Eigentümer des Grund-stücks und der Eigentümer der Baulichkeit. Das wird lei-der oft übersehen.
Die Regelung der Schuldrechtsanpassung muss nachArt. 14 Grundgesetz beiden Eigentümergruppen gerechtwerden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsschließt nicht aus, dass notwendige Änderungen auchzum Schutz des Eigentums der Nutzer erfolgen. Da Ge-genstand der Entscheidung Verfassungsbeschwerden derGrundstückseigentümer waren, hatte es naturgemäß auchnur über diese zu entscheiden. Das bedeutet jedoch imUmkehrschluss nicht, dass der Spielraum des Gesetzge-bers für die Vertragsseite der Nutzer nun gleich Null ist.Für die ostdeutschen Nutzer ist es tragisch, dass SieIhre Courage, jetzt da Sie an der Regierung sind, verlas-sen hat und Sie hinter dem Bundesverfassungsgericht inDeckung gehen. Offensichtlich gibt es auch keinen politi-schen Willen mehr zu weitergehenden Änderungen. Ichempfehle Ihnen deshalb das Buch von Stefan Reker überRoman Herzog. Darin äußert sich der ehemalige Präsidentdes Bundesverfassungsgerichts zu der aus seiner Sichtübertriebenen Unterwürfigkeit der Politik gegenüber denKarlsruher Urteilen folgendermaßen:Unsere Entscheidungen werden in der politischenPraxis oft heillos überinterpretiert. Einzelne Sätzewerden aus der Masse herausgegriffen und verabso-lutiert ... Und diese werden dann in der politischenDiskussion gehandelt, als ob sie von Gott persönlichdem Moses auf dem Berg Sinai überreicht wordenwären.Ich will Ihnen deshalb nur den Rat mit auf den Weg ge-ben: Versuchen Sie sich nicht in der Rolle des Moses.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner vor
der namentlichen Abstimmung ist der Kollege Hans-
Joachim Hacker für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Kenzler, IhrAbgleiten in Bibelzitate wird den Nutzern wenig helfen.Auf Ihre Position werde ich am Ende meiner Rede nochzu sprechen kommen, aber ich denke, wir sollten uns ersteinmal mit dem eigentlichen Thema, um das es hier geht,näher befassen.Mit der heutigen Debatte beenden wir das parlamenta-rische Verfahren der Novellierung des Schuldrechtsan-passungsgesetzes, auf das die Nutzer von Erholungs-grundstücken und die Eigentümer monatelang gewartethaben. Auch ich meine, ebenso wie der Herr Staatssekre-tär das dargestellt hat, dass dieser Gesetzgebungsprozess,der die komplizierte Materie der Nutzungsverhältnisse anGrundstücken in den neuen Ländern beinhaltet, von einerbeispielhaften Art und Weise der Zusammenarbeit zwi-schen dem Bund und den Ländern, aber auch der Zusam-menarbeit der Kolleginnen und Kollegen im Rechtsaus-schuss und in den Berichterstattergesprächen gekenn-zeichnet war. Ich möchte mich an dieser Stelle insbeson-dere für die sehr kompetente Unterstützung bei dieser Ar-beit durch das Bundesjustizministerium bedanken.Der heutigen Abschlussberatung gehen auf Initiativedes Bundesjustizministeriums durchgeführte Beratungeneiner Bund-Länder-Arbeitsgruppe voraus, an die wir andieser Stelle erinnern sollten. Der Beschluss des Bundes-verfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 ist nach dem Be-ginn dieser Beratungen auf der Ebene zwischen demBund und den Ländern verkündet worden. In diese Bera-tungen waren die Vertreter der unterschiedlichen Interes-sengruppen bereits eingebunden.Der federführende Rechtsausschuss hat am 14. No-vember 2001 zu dieser Thematik eine Anhörung durch-geführt. Das Ergebnis dieser Anhörung kann man folgen-dermaßen zusammenfassen: Der Gesetzentwurf derBundesregierung hat den Auftrag des Bundesverfas-sungsgerichts in verfassungskonformer Weise umgesetztund hierbei die Interessen des Bestands sozialverträg-licher Lösungen beachtet.Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Gesetz nicht je-den Betroffenen zufrieden stellen können. Nicht jeder Be-troffene wird die Bewertung mittragen bzw. vollständigmittragen. In dieser Hinsicht hat jedoch nicht die subjek-tive Akzeptanz Vorrang; wir sind vielmehr gehalten, unsganz konkret an den Auftrag des Bundesverfassungsge-richts zu halten. Dieser Auftrag umfasst letzten Endesauch die Eigentumsgarantie. Frau Dr. Kenzler, er umfasstnicht nur die Eigentumsgarantie der Nutzer, die von derSPD immer hoch geschätzt wurde, sondern auch die Ei-gentumsgarantie der Grundstückseigentümer, die in derDDR jahrzehntelang nicht beachtet worden ist. Auch dasgehört zu der gesamten Wahrheit. Insofern haben Sie unsaus der Geschichte ein Osterei ins Nest gelegt.Ich will an dieser Stelle – das sage ich jetzt ganz deut-lich – nichts verschweigen. Ich nehme zu dem Sachver-halt Stellung, an den von Frau Voßhoff und von FrauKenzler immer wieder gern erinnert wird. Natürlich hattedie SPD-Bundestagsfraktion ursprünglich weitergehendeVorstellungen. Wir haben diese weitergehenden Vorstel-lungen in der letzten Legislaturperiode in ein parlamenta-risches Verfahren konkret einbezogen; aber – das ist derentscheidende Punkt – wir kommen nicht darum herum,dass der Handlungsrahmen des Gesetzgebers aufgrunddes Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts klar be-stimmt ist. Durch das Gesetz wird er ausgefüllt. Das mussman hier so konkret feststellen. Auch an dieser Stellemuss man das den Nutzern und ihren Vertretern in denVerbänden – ich spreche insbesondere das Präsidium desVDGN an – sagen.Dieser Bewertung schließen sich nicht nur die Kolle-ginnen und Kollegen meiner Fraktion an, sondern auchviele Vertreter der neuen Länder, und zwar ganz gleich,welches Parteibuch sie haben, obgleich dies bei der Bil-dung der Landesregierungen eine Rolle gespielt hat.Frau Dr. Kenzler, an dieser Stelle möchte ich unter-streichen: Das Bundesverfassungsgericht hat bei seinerBewertung sicherlich auch berücksichtigt, über wie vieleJahre bzw. Jahrzehnte während der DDR-Zeit Grund-stückseigentümer in ihren Rechten beschränkt waren.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Dr. Evelyn Kenzler21762
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hacker,
ich muss Sie kurz unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, ein we-
nig Rücksicht darauf zu nehmen, dass noch ein Redner
spricht. Seine Redezeit beträgt noch zweieinhalb Minu-
ten. Ich bitte für diese zweieinhalb Minuten um etwas
mehr Ruhe, damit wir auch dieser Rede noch folgen kön-
nen.
Vielen Dank, Frau
Präsidentin.
Das Bundesverfassungsgericht hatte zu berücksichti-
gen, dass durch die Gesetzgebung im Jahre 1994 ein
Kündigungsschutz bis zum Jahre 2015 festgeschrieben
wurde. Das sind 25 Jahre zuzüglich der Zeit, während der
der Grundstückseigentümer in der DDR über sein Eigen-
tum nicht verfügen konnte. Vergessen wir das nicht, Frau
Dr. Kenzler!
Es wird oft darauf hingewiesen, dass ältere Menschen
von ihren Grundstücken vertrieben werden. Für diejeni-
gen, die das 60. Lebensjahr erreicht hatten, gilt ein le-
benslanger Kündigungsschutz. Insofern unterscheidet die
Regierungskoalition – ich spreche hier insbesondere für
die SPD – eines von der Opposition: Wir haben das Mach-
bare, den Interessenausgleich zwischen den Nutzern und
den Eigentümern, im Auge. Die Opposition – voran die
PDS, aber auch Vertreter anderer Oppositionsparteien –
nährt reines Wunschdenken. Das muss man hier im Ple-
num einmal so deutlich sagen.
Sie helfen damit den Nutzern nicht, sondern Sie geben,
wie die Zeitschrift „Das Grundstück“ des VDGN mich
richtig zitiert, den Betroffenen Steine statt Brot. Wunsch
und Hoffnung der PDS ist es, aus verständlicher Ableh-
nung zusätzlicher finanzieller Lasten, die bei den Nutzern
vorhanden ist, politisches Kapital zu schlagen. Das kann
ich parteipolitisch nachvollziehen; Sie leisten damit den
Nutzern aber keinen guten Dienst, sondern einen Bären-
dienst.
Sie haben vorhin gesagt, wir würden Ihre Position als
Populismus bezeichnen. Populismus, Frau Dr. Kenzler, ist
noch geschmeichelt. Es gibt dafür andere Begriffe, die ich
hier lieber nicht einführen möchte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Profes-
sor Pick hat hier auf die Regelung zur Beteiligung der Nut-
zer an den öffentlichen Lasten verwiesen. Ich möchte, auch
unter dem Aspekt, dass mir wenig Zeit verbleibt, die ein-
zelnen Themen nicht noch einmal im Detail ansprechen,
sondern nur auf Folgendes hinweisen: Der Bundesgesetz-
geber ist nach dem Grundgesetz an seine Kompetenzen ge-
bunden. Natürlich hat die Bundesregierung auch überlegt,
ob es nicht möglich ist, durch den Erlass einer Stundungs-
regelung die Last von den Nutzern abzuwenden.
Sie alle wissen aber – die PDS genauso wie andere –, dass
wir nach dem Grundgesetz diese Stundungsregelung nicht
erlassen können, weil die Zuständigkeit des Bundestages
für diese Regelung gar nicht gegeben ist. Wenn Sie aber
eine solche Regelung für richtig halten, richte ich folgen-
den Appell an Sie: Ich werde in Mecklenburg-Vorpom-
mern dafür werben. Ich richte einen entsprechenden Ap-
pell an Herrn Gysi und Herrn Holter. Vielleicht hat Herr
Holter ja Zeit, sich auch mit dieser Thematik einmal zu
beschäftigen. Ich sehe einer solchen Initiative mit sehr
viel Zutrauen entgegen und Sie können sicher sein, dass
ich einer Stundungsregelung wie bei den Bundeskleingar-
tengrundstücken meine volle Unterstützung geben werde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die finanzi-
elle Last kommt nur dann zum Tragen, wenn tatsächlich
Anschlüsse getätigt werden. Die Opposition baut hier ein
Szenario auf, als würden diese Gebühren morgen für je-
des Grundstück anfallen. Die Gebühren entstehen tatsäch-
lich aber nur durch Anschlüsse. Ich habe mich auf den
Grundstücken in den Erholungsanlagen umgesehen. Da
hat sich generell seit 1990 so viel Neues nicht getan. Es ist
aber völlig klar, dass die Kosten getragen werden müssen,
wenn die Anschlüsse kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hacker,
wenn Sie einmal auf die Uhr schauen, sehen Sie, dass Ihre
Redezeit abgelaufen ist.
Ich habe das schon
gesehen, Frau Präsidentin. Deshalb möchte ich mit zwei
Sätzen enden.
Der erste Satz: Ich bin ernüchtert von den Positionen
der CDU/CSU und der FDP. Die FDP hat vollmundig an-
gekündigt, weitere Änderungen einzubringen. Sie haben
hier aber nicht einen einzigen Änderungsantrag vorgelegt
und lehnen den Gesetzentwurf ab.
Zur PDS kann ich nur sagen: Machen Sie weiter so.
Was Sie betreiben, ist kein Beitrag zur deutschen Einheit;
das ist Spalterpolitik. Sie leisten den Nutzern mit Ihrer Po-
sition keinen Dienst. Ich bin gespannt, wie sich Ihre Par-
tei auf den Länderebenen verhalten wird. Das werden wir
dann sehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hacker,
ich muss Sie jetzt wirklich bitten, zum Schluss zu kommen.
Frau Präsidentin, ich
bin bereits am Schluss.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-derung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, Drucksa-chen 14/6884 und 14/7169. Der Rechtsausschuss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21763
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung anzunehmen.Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS aufDrucksache 14/8315 vor, über den wir zuerst abstimmen. –Ich bitte darum, dass noch erkennbar bleibt, wie die Frak-tionen abstimmen. Deshalb sollten bitte nicht alle schonjetzt die Urnen bestürmen. – Ich lasse zunächst über denÄnderungsantrag der Fraktion der PDS abstimmen. Werstimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist gegendie Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen dieStimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Die Fraktion der PDS verlangteine namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-nehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Icheröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-kannt gegeben.1)Ich bitte alle hier verbleibenden Abgeordneten, diePlätze jetzt relativ schnell einzunehmen, damit wir zurAbstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion derPDS zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes,Drucksache 14/65, kommen können. – Der Rechtsaus-schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf ab-zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-ter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abge-lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung diedritte Beratung.Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 14/8299 empfiehlt der Rechtsausschuss, denAntrag der Fraktion der PDS zur Änderung des Schuld-rechtsanpassungsgesetzes auf Drucksache 14/6918 ab-zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenom-men.Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der PDS zurÄnderung der Nutzungsentgeltverordnung auf Druck-sache 14/63 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auchdiese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen derPDS-Fraktion angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenSteffen Kampeter, Dr. Norbert Lammert, BerndNeumann , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUBestandsaufnahme und Perspektiven derRock- und Popmusik in Deutschland– Drucksachen 14/4290, 14/6993 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. – Ich wollte gerade „denSingewettbewerb“ sagen, aber der findet ja erst heuteAbend statt. – Erster Redner für die CDU/CSU-Fraktionist der Kollege Steffen Kampeter.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der DeutscheBundestag beschäftigt sich heute auf Initiative derCDU/CSU-Bundestagsfraktion mit einem Thema, das wirnicht in jeder Sitzungswoche auf der Tagesordnung ha-ben, nämlich mit dem Stand und den Entwicklungsper-spektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland.Da es in den letzten Tagen einige interessierte Blicke,auch der veröffentlichten Meinung, darauf gegeben hat,wie es zu dieser Anfrage kam, lassen Sie mich erläutern,welche Motive uns getrieben haben, die Situation derRock- und Popmusik im Deutschen Bundestag zu thema-tisieren.Die populäre Musik gehört zu den Grundgeräuschender Gegenwart. ... Diese Musik begleitet den moder-nen Menschen, vom Erwachen bis zur Müdigkeit,von der Stunde seiner Geburt bis zur letzten Müdig-keit. Sie lässt ihn bei der Arbeit nicht allein, siegehört zum Krieg und zum Vergnügen, sie begleitetden Schmerz, die Hoffnung und die Liebe.Dieses Zitat des Feuilletonisten Thomas Steinfeld be-schreibt sicher auch die Aufnahme der modernen Musikdurch die – nicht nur die heute hier anwesenden – Parla-mentarierinnen und Parlamentarier. Wer heute zu einemKonzert der Rolling Stones geht, erlebt, um welch gene-rationenübergreifendes Phänomen es sich handelt. Rock-und Popmusik geht über Staats- ebenso wie über Partei-grenzen hinweg, sie ist, obwohl oftmals versucht, schwer-lich politisch zu vereinnahmen und sie ist schon längstkeine Domäne der politischen Linken mehr, so gerne sieselbst das hätte.
Sie ist vielmehr ein Beleg dafür, dass die Trennung zwi-schen Hoch- und Subkultur nicht mehr so eindeutig ist,wie noch vor wenigen Jahren behauptet.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss21764
1) Ergebnis Seite 21766 DDeutschland hat im Bereich der Unterhaltungsmusikeine große Tradition. In den 30er-Jahren des vergangenenJahrhunderts gingen von Deutschland wichtige Impulseaus. Mit dem Exodus der kulturellen Eliten war nach demZweiten Weltkrieg ein Anknüpfen an diese Unterhal-tungsmusiktraditionen schwer möglich. Der Wind der po-pulären Musik weht seither vor allem transatlantisch. Dieehemalige DDR war in der Förderung der populären Mu-sik im Übrigen eine positive Ausnahme.Es ist uns in Deutschland noch nicht gelungen, den Be-reich der Kreativwirtschaft als einen wesentlichen Stand-ortfaktor im kulturellen wie im wirtschaftlichen Bereichzu sehen. Deswegen ist es ein wesentliches Anliegen un-serer Anfrage, auf die berechtigten Forderungen undWünsche dieses Bereiches der Kreativwirtschaft hinzu-weisen und sie im Parlament zu diskutieren.
Wir wollen damit auch die in unseren Augen fragwür-dige Praxis beenden, dass sich die Bundesregierung undauch andere prominente Politiker im Rahmen eines ober-flächlichen und auf Außenwirkung abzielenden Schein-dialogs der Popularität von Musikerinnen und Musikernbedienen. Es fehlt dabei meist die ernsthafte Auseinan-dersetzung mit den Rahmenbedingungen, die eine nach-haltige und musikalisch erfolgreiche Rock- und Popmu-sik in Deutschland ermöglichen.
Die Beantwortung unserer Großen Anfrage machtdeutlich, dass auch die Einrichtung eines Beauftragten fürKultur und Medien die Exekutive nicht zu einem empha-tischen Unterstützer der Rock- und Popmusik gemachthat.
Ich füge hinzu: Damit steht sie zweifelsohne in der Tradi-tion manch ihrer Vorgänger. Mit Fleiß, aber sicherlich kei-nesfalls mit Liebe haben die Beamten das zusammenge-tragen, was ihnen zusammenzutragen wichtig erschien.Allerdings liefert die Antwort bei allem Unzulänglichen,Unvollständigen und Beschönigenden gleichwohl eineTagesordnung der Themen und Anliegen, mit denen sichder Deutsche Bundestag im Kulturausschuss, aber auchim Wirtschaftsausschuss in Zukunft stärker auseinandersetzen muss. Wir dürfen mit unseren kreativen Elitennicht so selektiv umgehen wie in der Vergangenheit, in-dem wir die Filmwirtschaft fördern und die Musikwirt-schaft am Rande liegen lassen.Die CDU hat sich als Partei gleichwohl dieser Aufgabegestellt. Mit der Gründung des Dialogforums Musik-wirtschaft bietet sie den verschiedenen Interessen im Be-reich der deutschen Rock- und Popmusik eine Gesprächs-plattform zur Erörterung ihrer Anliegen. Dabei zielen wirnicht auf das einmalige, nach außen gerichtete Event oderHappening, sondern vielmehr auf den fortgesetzten, anThemen orientierten Austausch. Die erfreuliche Resonanzzeigt, dass wir hier einem objektiven Bedürfnis entgegen-gekommen sind. Wir hoffen, dass andere gesellschafts-politische Akteure diesem Beispiel folgen. Es schadetkeinem, sich mit Themen auseinander zu setzen, die wahr-scheinlich – wie ich mir vorstellen kann, wenn ich auf dieTribüne schaue – stärker interessieren als manch andererPunkt auf der Tagesordnung.
Was können wir aus der Anfrage an politischen Forde-rungen ableiten? Die erste Forderung, die uns leider amwenigsten betrifft, zielt auf die Situation des Musikun-terrichts.Der Musikunterricht in Deutschland leidet Not.Ich appelliere daher nachdrücklich an die Kultusminister-konferenz, dieses Thema offensiv anzugehen und dieSchwächen endlich zu beseitigen, die sie in vielen Stel-lungnahmen hinreichend beschrieben hat.
Ohne Musiker gibt es keine Musik.Die zweite Forderung, die ich hier aufstellen möchte,ist, dass die Musikerverbände und die Musikinitiativenaus diesem Bereich von der Politik stärker wahrgenom-men werden müssen. Sie stehen oft am Rande. Der Bundhat es in der Hand, die bestehenden Wettbewerbe und Ini-tiativen im Pop- und Rockbereich stärker wahrzunehmen.Ich wünsche uns allen mehr Mut für diese Kontakte. Ichempfinde es als ein ermutigendes Signal, dass der Kultur-beauftragte heute selbst in dieser Debatte sprechen wird.Die mit der Rock- und Popmusik verbundenen Unter-nehmen leisten einen respektablen Beitrag zu unsererVolkswirtschaft. Die Wirtschaftskraft der Tonträgerher-steller, der Veranstaltungswirtschaft und der Unterhal-tungselektronik sowie der Musiker, der Texter, der Kom-ponisten, der Techniker, der Musikjournalisten und derProduzenten wird vielfach unterschätzt. Alljährlich stelltsich die Szene auf der Kölner Schau „Popkomm“ nichtnur den Fans, sondern auch den Geschäftspartnern vor.Schon längst hat die Branche den Bereich der Schatten-wirtschaft verlassen, der ihr von manchen Zeitgenossennoch heute angelastet wird. Wir haben es mit einer leis-tungsfähigen, außerordentlich kreativen und überwiegendmittelständisch strukturierten Wirtschaft zu tun. Wäre dieBeschäftigung mit der Rock- und Popmusik nicht schonaus kulturpolitischen Gründen unverzichtbar, wirtschafts-politisch ist sie es gleichwohl.Die Probleme sind ähnlich gelagert wie in anderenWirtschaftsbereichen. Konzentration heißt das Stich-wort auch in der Tonträgerindustrie. Wir erleben in diesenTagen, dass beispielsweise der Branchenführer einFamilienunternehmen aufgekauft hat, das sich insbeson-dere mit den deutschsprachigen Schlagern und mit derVolksmusik beschäftigt hat. Es wird in Bezug auf Kreati-vität und Wettbewerb interessant sein zu erfahren, ob eininternationaler Konzern mit genauso viel Liebe für diedeutsche Musik diese Sparte weiter pflegt, wie sie von sei-ner Neuerwerbung in den vergangenen Jahren bewiesenwurde. Auch hier wie in vielen anderen Bereichen muss-ten die Kartellinstitutionen für die Sicherung von Wettbe-werb, Vielfalt und Kreativität sorgen. Es geht uns alsonicht um einen Bundesrockminister oder um eine neuePopsubvention. Wie im gesamten Mittelstandsbereichsind es vor allen Dingen die Rahmenbedingungen, die fürein erfolgreiches – das heißt in diesem Bereich: kreatives –Handeln erforderlich sind.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Steffen Kampeter21765
Aus Anlass der Beantwortung dieser Großen Anfrageregen wir an, die Rahmenbedingungen der Kreativwirt-schaft zu überprüfen. Eine erste Erleichterung hat diesesParlament im steuerlichen Bereich bereits beschlossen.Mit der Reform der so genannten Ausländersteuer sindgerade mittelständische Veranstalter wesentlich entlastetund ist eine politische Fehlentscheidung aus den 90er-Jah-ren korrigiert worden.Ein weiteres wichtiges Thema sind die Ausbildungs-fragen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, dassmit dem Veranstaltungskaufmann neben dem Veranstal-tungstechniker und Medienkaufmann ein weiteres bran-chenspezifisches Ausbildungsprofil geschaffen wordenist. Im Kern geht es wie auch in vielen anderen Bereichenum die gezielte Nachwuchsförderung sowohl auf derSeite der Künstler wie auch auf der Seite der Vermarkter.In vielen anderen europäischen Ländern ist die Entwick-lung schon sehr viel weiter. Auf Dauer werden wir nichtmit den Westernhagens, den Maffays und den Linden-bergs die nächsten 20 Jahre kreativ überleben. Hier mussin Deutschland ein neuer Wind in die Rock- und Popmu-sik kommen.Als eine weitere, rasch zu verwirklichende Maßnahmefür die kleinen und mittleren Tonträgerunternehmenschlagen wir die Einrichtung eines Musikexportbürosvor, das die bisherige außenwirtschaftliche Förderung er-gänzt. Der Staat könnte hier die Anschubfinanzierungleisten. Das Büro muss sich auf Dauer finanziell selbst tra-gen und seine Dienstleistungen zu marktfähigen Kon-ditionen anbieten. Das wäre ein Signal in Zeiten sinken-der Inlandsumsätze. Damit würden wir lediglich dasnachvollziehen, was viele andere Staaten bereits zur För-derung ihrer heimischen Rock- und Popmusik unterneh-men. Hier können wir kurzfristig eine sinnvolle Aktivitätentwickeln.Ein weiteres Feld sind die Urheberfragen, die durchdie Entwicklung der digitalen Techniken in den Fokus vonKünstlern, Rechteinhabern und Tonträgerunternehmengerückt sind. Wie die chaotische und wechselhafte Dis-kussion beim Urhebervertragsrecht zeigt, hat die derzei-tige Regierung für diese Bereiche des Urheberrechts keinumfassendes, konsensbildendes Konzept.
Es ist wichtig, dass sich der Staatsminister für Kulturund Medien in diesen Fragen stärker gegenüber der zu-ständigen Justizministerin durchsetzt. Denn es geht imKern darum, die Rechte der Kreativen und die Vielfalt derBranche aufrechtzuerhalten.
Mit dem Urhebervertragsrecht ist aber nur ein Teil desUrheberrechts abgehandelt. Die Europäische Union hatuns weitere Aufgaben gestellt. Deren mögliche Lösungenlassen die Kreativen in diesem Land unruhig werden. Esgeht um die Ausgestaltung von digitalen Kopien im Pri-vatbereich. Bei Software und vergleichbar geschütztenInhalten besteht ein strikter Urheberschutz. In der Musikfehlt er. Dies betrifft auch den weit gefassten Bereich derInternetpiraterie.Eine Zahl in diesem Zusammenhang: Im vergangenenJahr sind erstmals mehr unbespielte Tonträger als be-spielte CDs verkauft worden. Der „Marktplatz Musik“droht ohne eine entsprechende verbindliche Regelung zuverarmen und die kreativen Szenen auszutrocknen. Des-wegen müssen wir bei der bis zum Ende des nächsten Jah-res anstehenden Umsetzung der diesbezüglichen EU-Richtlinie ganz besonders sorgsam auf diesen Bereichachten. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sienoch vor der Sommerpause einen Vorschlag in die Dis-kussion einbringt, wie wir die Vorgaben aus Europa in na-tionales Recht umsetzen können.
Viele der hier angesprochenen Themen sind nicht imklassischen Sinne parteipolitisch zu strukturieren. Es gibteben keine linke oder rechte Poppolitik. Mehrheiten undMinderheiten ändern sich schneller, als noch vor kurzemvermutet.
Deswegen bieten wir als CDU/CSU-BundestagsfraktionIhnen an, den Dialog mit den Kreativen in der Musik-branche, insbesondere mit denjenigen in der Rock- undPopmusik, über alle Fraktionsgrenzen zu suchen und imRahmen dieses Dialogs dazu beizutragen, dass sich dieserkreative Standortfaktor fortentwickeln kann. Wir alsCDU/CSU sind dazu bereit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor wir in derDebatte fortfahren, möchte ich Ihnen das von den Schrift-führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis dernamentlichen Abstimmung über den von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzeszur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ver-künden. Abgegebene Stimmen 445. Mit Ja haben262 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Mit Nein haben33Abgeordnete gestimmt. 150 Kolleginnen und Kollegenhaben sich enthalten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Steffen Kampeter21766
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 445;davonja: 262nein: 33enthalten: 150JaSPDBrigitte AdlerIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldErnst BahrDoris BarnettEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthLothar Binding
Klaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseBernhard Brinkmann
Hans-Günter Bruckmann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss21767
Edelgard BulmahnDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Wolf-Michael CatenhusenDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseArne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannKlaus HasenfratzHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerGabriele IwersenJann-Peter JanssenDr. Uwe JensJohannes KahrsUlrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerHans-Ulrich KloseFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaUte KumpfKonrad KunickDr. Uwe KüsterWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherWaltraud LehnKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MertenDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerSiegmar MosdorfJutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDietmar NietanGünter OesinghausLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterChristel Riemann-HanewinckelReinhold RobbeRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Marlene RupprechtThomas SauerDr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchBernd ScheelenDr. Hermann ScheerHorst SchildOtto SchilyUlla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellKarsten SchönfeldOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Reinhard Schultz
Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimFranz ThönnesAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaHans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitJochen WeltHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelJürgen Wieczorek
Dieter WiefelspützKlaus WiesehügelBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyCDU/CSUWolfgang Börnsen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinAnnelie BuntenbachEkin DeligözAmke Dietert-ScheuerFranziska Eichstädt-BohligHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Gerald HäfnerUlrike HöfkenMichaele HustedtDr. Angelika Köster-LoßackDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Ludger VolmerHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
Fraktionslose AbgeordneteChrista LörcherNeinCDU/CSUHans Jochen HenkeBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSylvia VoßPDSDr. Dietmar Bartsch
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss21768
Wolfgang BierstedtPetra BlässMaritta BöttcherRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Klaus GrehnDr. Bärbel GrygierUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerRolf KutzmutzHeidi LippmannUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannPetra PauDr. Uwe-Jens RösselChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertEnthaltenSPDSiegfried SchefflerCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierNorbert BarthleGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtDr. Heribert BlensDr. Norbert BlümSylvia BonitzJochen BorchertKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeHartmut Büttner
Cajus CaesarPeter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersHansjürgen DossRainer EppelmannIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelUlf FinkIngrid Fischbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Jürgen GehbPeter GötzKurt-Dieter GrillManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinGerda HasselfeldtHansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasErnst HinskenPeter HintzeMartin HohmannSiegfried HornungJoachim HörsterGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlSteffen KampeterDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner KuhnKarl LamersDr. Norbert LammertHelmut LampKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Erich Maaß
Dr. Martin Mayer
Dr. Michael MeisterBernward Müller
Günter NookeFranz ObermeierNorbert Otto
Anton PfeiferDr. Friedbert PflügerRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffDr. Bernd ProtznerThomas RachelDr. Peter RamsauerChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHeinrich-Wilhelm RonsöhrKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckAnita SchäferHartmut SchauerteDr. Gerhard ScheuNorbert SchindlerDr. Erika SchuchardtGerhard SchulzClemens SchwalbeWilhelm Josef SebastianBernd SiebertWerner SiemannBärbel SothmannMargarete SpäteAndreas StormMax StraubingerThomas Strobl
Dr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Bernd WilzWerner WittlichWolfgang ZeitlmannBenno ZiererFDPJörg van EssenGisela FrickDr. Wolfgang GerhardtJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerDr. Heinrich L. KolbJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingCornelia PieperDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleJürgen TürkDr. Guido WesterwelleEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen desEuroparates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Bierling, Hans-Dirk* Bühler , Klaus* Höfer, Gerd* Kossendey, Thomas*CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSURaidel, Hans* Rauber, Helmut* Schloten, Dieter* Dr. Süssmuth, Rita*CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSUWeisskirchen , Gerd* Wimmer (Neuss), Willy* Zapf, Uta*SPD CDU/CSU SPD* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung OSZEDer Gesetzentwurf ist damit angenommen.Jetzt erteile ich Staatsminister Julian Nida-Rümelindas Wort.D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-men und Herren! Herr Kampeter, wir waren in denvergangenen Monaten nicht immer einer Meinung. Aus-weislich dessen, was Sie hier vorgetragen haben, sindheute die Übereinstimmungen groß. Es schadet nicht,dass wir im Bundestag über das Thema Rock und Pop dis-kutieren, wenn auch bei reduzierter Besetzung im Ver-gleich zu der vor einigen Minuten.
Ich möchte mich auf wenige Bemerkungen beschrän-ken. Meine Behörde hat sehr ausführlich zu der vorlie-genden Großen Anfrage Stellung genommen. Sie umfasstfast 40 Seiten, eng bedruckt. Es ergibt keinen Sinn, hierden Versuch zu unternehmen, sie zusammenzufassen.Aber einige zentrale Aussagen sowohl zu dieser Antwortals auch zur Perspektive der Zusammenarbeit von Politikund Pop- und Rockmusikbranche sind angebracht.Zum einen darf man zwei Dinge nicht miteinander ver-wechseln: die kulturelle Bedeutung einer bestimmtenSparte der Kunst auf der einen Seite und auf der anderenSeite das Ausmaß der Förderung, die der Staat dieserSparte bzw. Branche angedeihen lässt.
– Ja, der Film ist ein Beispiel dafür, aber auch die Lite-ratur. Der Staat hält sich in der Literaturförderung, wennman einmal von Ausbildungsinstitutionen absieht, sehrzurück. Wir vertrauen auf eine funktionierende Verlags-branche und sollten die Rahmenbedingungen so setzen,dass sich die Verlagsbranche gedeihlich entwickelt. Wirfördern die literarische Produktion so gut wie gar nichtunmittelbar. Das ist aber selbstverständlich kein Unwert-urteil gegenüber der Literatur.Das heißt, wenn wir darüber diskutieren, ob der Staatin einem höheren Maße fördernd tätig werden soll, somüssen wir dies zunächst einmal von der Frage der kul-turellen Bedeutung abkoppeln. Deswegen möchte ichdazu doch noch eine Bemerkung machen.Wir haben in Deutschland – auch darin scheinen wirübereinzustimmen – eine Tradition der Trennung von„E“ und „U“, von so genannter ernster und so genannterUnterhaltungskultur, wie sie im internationalen Vergleichvermutlich sogar einmalig ist. Weder unser Nachbar imWesten, Frankreich, noch unsere Nachbarn weiter west-lich, Großbritannien, USA, haben diese scharfe Tren-nung. Es ist ganz wichtig, denke ich, dass wir den Beitragder Popkultur im weitesten Sinne zur kulturellen Ent-wicklung, übrigens auch zur Identitätsbildung jüngererMenschen, sehr ernst nehmen.
Jetzt stellt sich die Frage, ob eine spezifische zusätz-liche Förderung des Staates, über das hinaus, was es gibtund was in der Antwort auch aufgelistet ist, wünschens-wert ist.Ich will nur in Klammern hinzufügen: Wir müssen ge-gen die Bedrohung, die sich gegenwärtig durch die Mög-lichkeit, digitale Kopien zu erstellen, für die künstle-rische Kreativität und ihre wirtschaftliche Verwertbarkeitzeigt, sehr gründlich angehen. Sie haben die wesentlichenRahmenbedingungen genannt. Die Umsetzung der EU-Richtlinie ist jetzt auf der Tagesordnung. Es gibt im We-sentlichen nur zwei Optionen. Die eine ist, dass diejeni-gen Kopien, die wir zulassen, zur Stärkung der Urheberbeitragen müssen. Die andere ist das, was die Amerikaner„technological device“ nennen, also ein technologischesVerfahren, das die Möglichkeit, digitale Kopien, auch ausdem Internet, zu erstellen – das gilt auch für den Film –,beschränkt. Wir müssen sehr genau prüfen, welche For-men schädlich und welche positiv sind. Die USA habenauch dazu einige Erfahrungen gesammelt.
Jetzt zur Frage der zusätzlichen Förderung durch denStaat. Ich war im November letzten Jahres auf der 3. Pop-konferenz in Germering. Mir ist dort aufgefallen, dass dieErwartung an den Staat im weitesten Sinne, Kommunen,Länder und Bund, groß ist, dass aber wirklich überzeu-gende Konzeptionen dazu, wie das denn aussehen sollte,noch nicht vorliegen. Ich habe dann gefragt, wie vieledenn aus der Branche kommen. Wenn ich mich richtigerinnere, hat sich nur ein Einziger gemeldet. Das heißt,die Branche selbst war auf dieser 3. Popkonferenz nurschwach vertreten.Ich habe vor einigen Tagen ein Gespräch geführt, umauszuloten, wie weit die Kooperationsbereitschaft derBranche selbst denn eigentlich geht. Ich kann mir vorstel-len – ich sage das hier ganz deutlich –, dass in einer ge-wissen Analogie zu dem, was wir in der Filmförderungmachen, mit Branchenunterstützung Förderungen organi-sierbar sind.
Ich sage das hier deswegen, weil die Gesprächspartner,mit denen ich geredet habe, erstaunlich offen waren, undzwar auch offen für den Gedanken, dass dies nicht Sachedes Steuerzahlers sein kann – jedenfalls nicht primär, weilda ein Brancheninteresse dahinter steht –, dass der Staataber bereit sein muss, diesem Brancheninteresse, das ei-nem kulturellen Interesse entspricht, das wir fördern müs-sen, dann auch nachzukommen.Dazu gehört auch die Frage Exportbüro. Da kann mansich zum Beispiel Förderung von Start-ups, Nachwuchs-förderung, Förderung von Clubs, die in dem Bereich agie-ren, in dem es wirtschaftlich schwierig ist, sich zu halten,und vieles mehr überlegen. Als Einziges kann ich hier ver-sprechen, in den nächsten Monaten einen Diskussions-entwurf zu erarbeiten, in dem einige Vorschläge, die indiese Richtung gehen, enthalten sein werden. Wir werden
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Vizepräsidentin Petra Bläss21769
dann Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Die kon-krete Umsetzung wird in dieser Legislaturperiode nichtmehr möglich sein.Ganz zum Schluss spreche ich noch einen Punkt an– die Redezeit ist noch nicht abgelaufen –, der mir Kopf-zerbrechen bereitet und uns allen vielleicht Kopfzer-brechen bereiten sollte. Wir haben in Deutschland einenHorror vor fast jeder Art von Quote, außer vielleicht beider Gleichstellung der Geschlechter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister,
der Kollege Lammert hat eine Frage. Lassen Sie die zu?
Ich möchte dem
begonnenen Satz und seiner Vollendung nicht im Wege
stehen.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön. Ich bringe ihn gleich zu Ende.
Herr Staatsminis-
ter, ich möchte meine Frage gerne mit dem ausdrücklichen
Interesse an Ihren Ausführungen und wegen der damit ver-
bundenen grundsätzlichen Ankündigungen stellen. Ich
möchte gerne wissen, ob Sie beabsichtigen und sich in der
Lage sehen, die von Ihnen dargestellten prinzipiellen Er-
wägungen und Überlegungen der Bundesregierung noch
vor Abschluss dieser Legislaturperiode in einer Weise zu
konkretisieren, die beratungsfähig ist? Oder halten Sie das
eher für ein Projekt der nächsten Legislaturperiode?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Umsetzung wird sicherlich nicht mehr in
dieser Legislaturperiode möglich sein. Aber ähnlich wie
beim Filmkonzept, dessen konkrete Umsetzung in seinen
wesentlichen Teilen erst 2003 erfolgen kann, denke ich
doch, dass wir noch vor der Sommerpause auf der Basis
eines Diskussionsentwurfes, den wir in Zusammenarbeit
mit Branchenvertretern und Kreativen erarbeiten sollten,
darüber im Kulturausschuss das Gespräch führen können.
Jetzt bringe ich noch meinen Satz mit der Quote zu
Ende. Ich gebe offen zu: Ich bin in diesem Punkt über-
haupt noch nicht festgelegt. Ich habe etwas provokativ ge-
schrieben, man solle im Bereich der Filmförderung von
Frankreich lernen. Wir müssen im Zusammenhang mit
dem Film über die Investitionsquote sowieso noch einmal
beraten. Das ist ein sehr ernstes Thema. Dazu werde ich
einen Vorschlag unterbreiten.
Das Interessante ist, dass der französische Markt gegen
den globalen Trend gegenwärtig eine Zunahme der Pop-
und Rockmusik auf dem nationalen Markt erlebt. Der
Zwang zu kultureller Vielfalt hat dazu geführt, dass in
Frankreich ein breiteres kulturelles Interesse an dieser
Form der Kunst und der Musik besteht. Wir müssen uns
überlegen, ob wir nicht im Sinne dessen, was die Fran-
zosen „diversité“ nennen, einen Beitrag leisten können.
Mich hat es – das will ich ganz offen sagen – alarmiert,
dass mir Fachleute erzählt haben: Einer der Hauptgründe
dafür, dass deutschsprachige Popmusik so unbeliebt ist,
sei in dem mangelnden Interesse der Werbebranche zu su-
chen, weil die Zuhörer durch die deutschen Texte von den
Inhalten der Werbebotschaft abgelenkt würden. Das muss
uns zu denken geben.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich habe beide Seiten dieserBranche kennen gelernt. Zum einen habe ich viele Jahrelang Musik mitproduziert und war an vielen erfolgreichenTiteln beteiligt. Zum anderen war ich später als Leiter ei-ner Musikredaktion beim Norddeutschen Rundfunk tätig.Insofern bin ich der Bundesregierung für diese Mate-rialsammlung sehr dankbar. Es ist eine ausgesprochengute Materialsammlung. Wenn die Antwort Schwächenhat – das muss ich leider meinen Kolleginnen und Kolle-gen von der Union sagen –, dann liegt das an den Fragen,die die Union gestellt hat.
Ich sage ganz offen, dass mir einige der Fragen wehtun.Ich finde, die Künstlerinnen und Künstler, die wir unter-stützen wollen und die der Kollege Kampeter zu Recht an-gesprochen hat, haben es nicht verdient, dass in einer An-frage auf links- oder rechtsextreme Musik eingegangenwird. Das sollte man in einer solchen Anfrage nicht tun.
Es gibt eine weitere Schwäche, die mir sehr wichtig istund die ich daher ansprechen möchte, Kollege Kampeter.Es ist ein Versäumnis der Union bei der Anfrage, dass lei-der nicht nach den vielen Künstlerinnen und Künstlernaus Ostdeutschland gefragt wird.
Nach der Wende haben viele Künstlerinnen und Künstleraus der ehemaligen DDR auf einen Umschwung gehofft.Sie wollten endlich frei arbeiten können und hofften aufeine offene Welt. Was mussten sie feststellen? Dass diedeutsche Einheit die Künstlerinnen und Künstler aus Ost-deutschland überhaupt nicht auf der Rechnung hatte, we-der in den Medien noch bei der GEMA.
Insofern freue ich mich wirklich darüber, dass meineFreunde von Karat oder auch mein Freund Frank Schöbel
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Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin21770
jetzt wieder im Kommen sind. Wenn man mit diesen Per-sonen auch schon vor der Wende lange zusammen-gearbeitet hat, dann war es schmerzhaft zu sehen, dassdie Künstler aus der ehemaligen DDR mehr als Fußnoteder Unterhaltungsbranche angesehen wurden. Manchmalreichte der eine oder andere Künstler als Beigabe fürKaffeefahrten ostdeutscher Rentner zur Animation beimKauf von Rheumadecken oder Kochtöpfen. Auch wenn esder eine oder andere nicht gern hören mag, sage ich andieser Stelle: Ich bin dem Mitteldeutschen Rundfunkdankbar, dass diese Künstler zumindest bei diesem Sen-der eine Chance haben, wie immer man deren musikali-schen Stil im Einzelnen bewertet.
Ich habe erhebliche Zweifel, ob unsere Künstler wirk-lich rechtliche Rahmenbedingungen vom Gesetzgeberverlangen, wie es die Union hier fordert; Herr KollegeKampeter hat dazu das eine und andere angesprochen.Vielmehr braucht kulturelle Betätigung – das trifft jeden-falls auf Rock- und Popmusik zu; darüber sollten wirmehr sprechen – in erster Linie Freiheit und eine Vielzahlvon Entfaltungsmöglichkeiten.
Meine Sorge ist, dass rechtliche Rahmenbedingungensehr schnell zu geistiger Einengung, zu Vorschriften undzum Teil auch zu Geschmacksdiktatur führen.Herr Kollege Kampeter, Ihre Vorschläge habe ichgehört. Als Beispiel nehme ich die unbespielten CDs:Das hatten wir doch früher auch. Man hat Musikkassettengekauft und bespielt. An den Problemen hat sich nichtsgeändert; an ihnen wird sich auch nichts ändern. Es wirdimmer Wege geben, Musik irgendwo aufzunehmen, ohnedafür bezahlen zu müssen. Die Frage stellt sich eher an dieIndustrie, ob die Preise in jedem Falle gerechtfertigt sind,die sie für ihre Produkte verlangt. Und die Frage ist, wasbeim Künstler übrig bleibt. Das würde mich viel mehr in-teressieren.
Zu wenig gibt die Antwort auf die Große Anfrage Aus-kunft darüber, warum es deutsche Rock- und Popmusikerso schwer haben. Eine der Hauptursachen liegt, wie ichglaube, darin, dass deutsche Rundfunk- und Fernsehan-stalten – egal, ob es öffentlich-rechtliche oder privatesind – zu reinen Abnudelmaschinen für Hitlisten gewor-den sind.
Da kommen dann Nachwuchsmusiker eindeutig zu kurz.Überlegen Sie einmal, ob Freunde von mir wie Jürgen vonder Lippe und Reinhard Mey heute eine Chance hätten,von den Rundfunkanstalten gespielt zu werden. Sie hättenin der augenblicklichen Situation keine Chance und dasist das Schlimme.Nicht nur die Rundfunk- und Fernsehanstalten habenentscheidend dazu beigetragen, dass der Nachwuchskeine Chance hat. Auch die Musikindustrie selbst ist fürdiese Entwicklung verantwortlich. In einem Interview mitBBC sagte Elton John in dieser Woche, viele in derMusikindustrie dächten heute nur noch an ihre Quartals-einnahme und in der Musikbranche gebe es keine Lang-lebigkeit. Das ist auch einer der Gründe und das ist be-dauerlich. Hierin liegt das Problem für junge Künstler,wenn sie sich heute an die Musikbranche wenden.Herr Kollege Kampeter hat gesagt, Musik lasse sichpolitisch nicht vereinnahmen. Damit hat er natürlichRecht. Auf der anderen Seite hat die Musik auch auf Po-litik Einfluss genommen, lieber Kollege Kampeter.
Zum Beispiel denke ich – das war wirklich eine schöneZeit – an die Neue Deutsche Welle. Ich weiß nicht, ob sichder eine oder andere noch daran erinnert. Da gab es einenunbekannten Sänger wie Markus, der damals „Ich willSpaß“ sang. Die Grünen haben das übernommen, weil esim Text dann hieß:Und kostet Benzin auch zwei Mark zehn,– Entschuldigung, Frau Präsidentin –scheißegal, es wird schon gehn.Die Grünen haben das sofort zum Programm gemacht.
Dem Bundeskanzler wünsche ich, dass er sich einmal diePlatte von Geier Sturzflug auflegt, in der es hieß: „Undjetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir erhöhen dasBruttosozialprodukt“.
Wenn das Kabinett hier tätig würde, würde es michfreuen.
Mein Wunsch ist, dass die Medien – vor allem der öf-fentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch die privaten Sen-der – nicht nur Abnudelstationen für amerikanische undenglische Hitparaden sind, sondern dass sie auch unserenKünstlern eine Chance geben. Jetzt werden nämlich nurnoch Hitlisten abgespielt, die aus dem Computer kom-men. In den Funkhäusern gibt es zum Teil keine Musikre-dakteure und Musikabteilungen mehr. Das ist schlecht.Lassen Sie mich, weil es Freitagnachmittag ist, nocheine humorvolle Bemerkung machen – ich hoffe, Sie ha-ben dafür Verständnis –: Nach dem 22. September wird inunserem Land die FDP die Musik machen. Ich glaube,vielen Menschen wird es gefallen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt wird langsamdeutlich, wie schade es ist, dass diese Debatte nicht auchdurch etwas Gesang angereichert werden kann.
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Jürgen Koppelin21771
Ich erteile dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort zueiner Kurzintervention.
Herr Kollege
Koppelin, ich bin für Kritik offen. Wenn es aber Missver-
ständnisse gibt, möchte ich sie ausräumen.
Erstens. Ich habe hier in keiner Weise – das gilt auch
für den Text der Anfrage – die Leistungen der DDR-
Rockmusik gering geschätzt. Im Gegenteil, in meinem
Redebeitrag habe ich – Sie können das im Protokoll nach-
lesen – die Rock- und Popmusikförderung der ehemaligen
DDR ausdrücklich hervorgehoben. Denken Sie nur an
Puhdys, Karat und andere Gruppen. Da war man in der
DDR vielleicht aus ideologischen Gründen flotter und fi-
xer. Aber die DDR-Musik ist ein unverzichtbarer Be-
standteil der Rock- und Popmusik in Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg.
Zweitens. Sie haben behauptet, die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion fordere rechtliche Rahmenbedingungen,
um die Freiheit einzuschränken. Das ist natürlich absolu-
ter Humbug und beruht wahrscheinlich auf einem Miss-
verständnis. Tatsache ist, dass ich hier den Urheberrechts-
schutz angesprochen habe. Dort befinde ich mich mit der
Bundesregierung in Übereinstimmung.
Ich zitiere jemanden, der ja auch gelegentlich von der
Bundesregierung gehört wird, nämlich Klaus Meine von
den Scorpions, der sich zu diesem Themenbereich laut ei-
ner Agenturmeldung von gestern geäußert und sich be-
klagt hat, dass die Politiker hierzulande in den vergange-
nen Jahren zu wenig für Künstler und Musiker getan
hätten. Die Altrocker fordern mit deutlichen Worten ein
Gesetz gegen die Brennerei.
Die Musikindustrie leide unter dem Diebstahl geistigen
Eigentums.
Im Kern geht es darum, dass wir diesen Diebstahl geis-
tigen Eigentums nicht weiter zulassen wollen. Wir warten
auf die Initiative des Herrn Staatsministers und der Bun-
desjustizministerin. Das hat mit der Einschränkung von
Freiheit überhaupt nichts zu tun. Herr Kollege Koppelin,
da sind Sie etwas über das Ziel hinausgeschossen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Koppelin die Möglichkeit zu erwidern.
Kollege Kampeter, sonst
schätze ich Sie ja als Mitglied des Haushaltsausschusses.
Aber heute habe ich es anscheinend sehr schwer mit Ih-
nen. Ich habe festgestellt, dass die ostdeutschen Künst-
ler in der Anfrage der Union überhaupt keine Berück-
sichtigung finden. Zeigen Sie mir doch die Frage, in der
es um die ostdeutschen Künstler geht. Nach ihnen ist nicht
gefragt worden. Dieser Bereich ist für diese Branche un-
glaublich wichtig. Wenn man Künstler fördern will, dann
muss man auch danach fragen.
– Es geht nicht um Ihre Rede. Ich habe von der Anfrage ge-
sprochen. Ich bitte Sie um Nachsicht und um das Nachlesen
meiner Rede. Ich denke, in Ihrer Anfrage, auf die ich mich
bezogen habe, hätten die ostdeutschen Künstler besondere
Berücksichtigung finden müssen, weil es in der DDR eben
ein anderes System gab, nach dem gefördert wurde.
Kollege Kampeter, ich sage eines ganz offen: Wir se-
hen uns ja hin und wieder in einem Gebäude hier in der
Nähe. Da war früher eine Schallplattenfirma drin, die ich
häufig besucht habe. Auch diese gibt es nicht mehr. All
dies sind Probleme, mit denen man sich ruhig einmal be-
schäftigen sollte.
Dann haben Sie allerdings etwas gesagt, was ich nicht
erwähnt habe, dass nämlich die CDU/CSU die Freiheit
einschränken wolle. Zwar möchte ich Sie gern so zitieren,
aber gesagt habe ich dies nicht. Ich habe nur auf die recht-
lichen Rahmenbedingungen hingewiesen, die von der
Union gefordert werden. Als Liberaler bin ich hier immer
sehr vorsichtig.
Ich wiederhole es: Auch früher ist kopiert worden. Da-
mals waren es die Kassetten. Heute kauft man CDs und
brennt sie. Das haben junge Menschen immer getan. Ich
bekenne mich dazu, dies auch getan zu haben, als es noch
nicht viel Taschengeld gab. Das wird es immer geben. Der
Gesetzgeber sollte dies nicht so regeln, wie Kollege
Kampeter das fordert. Kollege Kampeter, ich habe viel-
mehr gesagt – das ist mir wichtig –, dass vielleicht auch
die Industrie einmal ihre Preispolitik überdenken sollte.
Denn diese kassiert in erster Linie ab, nicht die Künstler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach diesem Duett
kommt jetzt wieder ein Solo. Das Wort hat die Kollegin
Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlichfreue ich mich, heute zu einem Thema reden zu dürfen,das das Lebensgefühl junger Menschen wie kaum ein an-deres ausdrücken kann. Durch die Rock- und Popmusikmit ihren vielen unterschiedlichen Genres – sei es Alter-native, Hiphop oder Techno – können heutzutage mehrJugendliche direkt erreicht oder tangiert werden als bei-spielsweise durch den Sport – geschweige denn durch diePolitik oder Parteien.Nicht zuletzt deswegen hat sich die Unterhaltungsmu-sikbranche zu einem wichtigen ökonomischen Faktor ent-wickelt. Erfreulich dabei ist aus unserer Sicht, dass sichgerade auch die deutsche Branche in diesem Markt be-
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Vizepräsidentin Petra Bläss21772
haupten kann. Schön ist, dass auch die CDU/CSU endlicherkannt hat, welche Bedeutung die von ihr bislang eherstiefmütterlich behandelte U-Musik für den Wirtschafts-standort Deutschland hat.
Anders als vor 20, 30 oder 40 Jahren, wo mancherortsallein das Hören der Doors oder der Rolling Stones schonbeinahe ein Straftatbestand war, wird Rock und Pop in-zwischen von nahezu allen Altersgruppen und sozialenSchichten akzeptiert. Kaum jemand spricht mehr abfälligvon „Negermusik“, wenn er oder sie Rockmusik im Ra-dio oder im Fernsehen hört.
Die Frage ist jedoch: Welche Rolle kann und soll derStaat gegenüber der Rock- und Popkultur einnehmen?Diese Kultur war und ist in vielen Bereich immer nocheine Subkultur. Dies muss sie auch bleiben.
Sie ist eben nicht nur populistisch und kommerziell aus-gelegt, sondern in ihr spiegelt sich auch gesellschaftlicheOpposition. Auch deswegen erreicht sie viele Menschendirekter und unverfälscht.Erfolg im Popbusiness ist oft unabhängig von einermessbaren musikalischen Qualität. Daher kann es unseresErachtens kein Kriterium für förderungswürdige Rock-und Popmusik geben. Niemand hat etwas davon, wenn eroder sie sich einen „Rockmusikmagisterhut“ aufsetzenkann. Einziges Kriterium könnte ein Trend oder der Ge-schmack des Publikums sein. Dies wäre sicherlich nichtförderungswürdig.Sehr wohl hat der Staat aber die Aufgabe, günstigeRahmenbedingungen für Musiker und Musikerinnen zuschaffen. In diesem Bereich hat die Bundesregierung einepositive Bilanz aufzuweisen.
Stichworte hierfür sind KSK, Urheberrecht und die Re-form der Besteuerung ausländischer Künstlerinnen undKünstler. All dies sind Punkte, die die Produktionsbedin-gungen von Rock- und Popmusikern, aber auch von denVeranstaltern in Deutschland verbessert haben.Was wir allerdings nicht brauchen, ist eine Quote fürdeutsche Rock- und Popmusik in Radio und Fernsehen.Diese unselige, weil auch nationalistische Debatte istschon 1996, damals unter anderem von dem MusikerHeinz-Rudolf Kunze, ins Spiel gebracht worden. Auchohne eine Quote liegt der Chartanteil an deutschen Re-pertoires seit Jahren bei knapp 50 Prozent. Auch ohne eineQuote erfreuen sich Musiksender wie VIVA, die verstärktauf inländische Musik setzen, zunehmender Beliebtheitbei den Zuschauerinnen und Zuschauern.
Auch ohne eine Quote sind deutsche Musikerinnen undMusiker wie Sarah Connor, Echt oder Guano Apes nichtnur national, sondern auch international erfolgreich.Wer eine solche Quote fordert, vergisst zudem, dassRock und Pop schon immer ein internationales Phänomengewesen sind und dass auch die deutsche Popmusik zumBeispiel aus der Aneignung und Verwandlung anglo-ame-rikanischer Stile entstanden ist. Er vergisst auch, dass Mu-sik von Kreativität lebt und Kreativität von Austausch.Dieser Austausch findet international statt und ist nichtnational beschränkt.Zudem ist Deutschland seit über zehn Jahren Aus-gangspunkt einer Techno- und Diskokultur, unter ande-rem mit der Love Parade in Berlin, die sich weit über dieGrenzen verbreitet und Deutschland zu einem wichtigenRepertoirelieferanten für den Weltmarkt gemacht hat.Auch wenn ich nicht gerade behaupten kann, dass mirdiese Musikrichtung besonders am Herzen liegt, so be-weist dieses Beispiel doch, wie wenig wir eine solcheQuote benötigen.Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt – meineVorredner haben es schon angesprochen – eingehen, näm-lich auf Musik im Internet sowie auf die leidige Fragevon Raubkopien und MP3. Keinesfalls dürfen wir hierdie urheberrechtlichen Fragen aus den Augen verlieren.Dennoch muss es nicht automatisch durch das Internet zueiner Beeinträchtigung der Musikszene kommen.
Es ist meines Erachtens in erster Linie die Aufgabe der Mu-sikbranche, mit technischen Verfahren so genannte Umge-hungsstrategien der Konsumentinnen und Konsumentenabzuwehren. Aktuelle Untersuchungen aus den USA zei-gen zudem, dass nicht durch das Internet Umsätze wegbre-chen, sondern vor allem durch eine weltweite Rezession.Auf der letzten Kölner Popkomm beklagten vor allemdie kleinen so genannten Independent Labels das rein aufden Kommerz ausgerichtete Verhalten der so genanntenMajor Labels, die nur unflexibel auf die Wünsche der Kon-sumenten reagieren. Die wahre Angst der Großen der Bran-che gründet sich wohl eher darauf, dass im Netz jedermannals Musikproduzentin oder Musikproduzent und zugleichauch als Händler auftreten kann und dass auf diese WeiseFangemeinden innovativer Richtungen entstehen, auf diedie Branchenriesen nicht schnell genug reagieren können.Dabei könnte das Internet durchaus als Chance begriffenwerden, einen wirklichen Dialog zwischen Musikschaffen-den, Produzenten und Fans herzustellen.
Abschließend noch eine sehr persönliche Bemerkung:Ich möchte mir persönlich angesichts des Altersdurch-schnitts im Parlament nicht vorstellen, wie eine vomDeutschen Bundestag geförderte Popmusik aussehenwürde.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Grietje Bettin21773
– Das ist doch die Wahrheit oder nicht? Die Wahrheit istmanchmal hart.
– Ich glaube, das sähe für uns sehr gut aus.Unsere Möglichkeiten der politischen Einflussnahmeim Bereich der Rock- und Popmusik sind zum Glück ins-gesamt eher gering und zum großen Teil beschränkt aufunsere Rollen als Konsumentinnen und Konsumenten,Konzertbesucher und gegebenenfalls auch aktive Musi-ker. All das hoffentlich ganz im Sinne der Buntheit undVielfalt der Rock- und Popmusik.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink.
Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde es sehr gut, dass wir uns heute am Tag der Verlei-
hung des Grand Prix d’Eurovision aufgrund der Anfrage
der CDU/CSU in diesem Hause mit der Situation und den
Perspektiven der Rock- und Popmusik beschäftigen. Da-
durch wurde die Bundesregierung genötigt, einen
Überblick über die allgemeine Situation der Ausbildung
und Nachwuchsförderung sowie über die rechtlichen
Rahmenbedingungen zu geben.
Im Vortext der großen Anfrage heißt es:
Die Rock- und Popmusik bedarf – auch aufgrund der
Entwicklung in der Branche – staatlicher Aufmerk-
samkeit sowie angemessener rechtlicher Rahmenbe-
dingungen wie andere Bereiche der Kultur- und Mu-
sikförderung auch.
Das ist richtig. Das ist richtig. Die gegenwärtige Praxis
der Förderung sieht leider anders aus. Hier ist festzustel-
len, dass der populären Musik bislang kein den anderen
Kultursparten vergleichbares Gewicht zukommt.
Den kulturpolitischen Diskurs zur Rock- und Popmu-
sik voranzutreiben ist angesichts des gewachsenen gesell-
schaftlichen Stellenwerts dieses Musikbereichs und sei-
ner Präsenz im Alltag verschiedener sozialer Schichten
und Generationen zwingend notwendig. Wir sehen in ei-
ner solchen intensiven Debatte auch den Weg zu einem
sinnvollen Konzept für die Gestaltung der bundes- und
landespolitischen Rahmenbedingungen.
Wenn wir als PDS-Fraktion für öffentliches Engage-
ment im Bereich der Rock- und Popmusik eintreten, dann
haben wir dafür auch wirtschaftliche und beschäftigungs-
politische Motive. Rock- und Popmusik ist ein wesentli-
cher Standort- und Wirtschaftsfaktor und kann eine wichtige
Rolle bei der Entwicklung strukturschwacher Regionen
spielen, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Ent-
scheidend aber sind für uns ihre kulturelle Funktion und ihre
Rolle im Alltag als Moment der Sinnbestimmung und Wert-
orientierung breiter Bevölkerungskreise. Das beschränkt
sich nicht mehr nur auf den Alltag von Jugendlichen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bin dem Kollegen Koppelin sehr dankbar dafür, dass er
darauf hingewiesen hat, welche Rolle die Rock- und Pop-
musik in der DDR gespielt hat.
Wenn wir jetzt genug Zeit hätten, könnten wir noch wei-
ter vertiefen, dass sie für meine Generation eine wesentli-
che politische Sozialisation im Alltag bedeutete. Sie war
ein wesentlicher Ausdruck eines bestimmten menschli-
chen Empfindens, das natürlich auch oppositionelle Züge
trug.
Ohne ihre Rolle zu überhöhen, sehen wir gerade in der
Rockmusik und in der Popkultur als relativ neuen, aus den
Jugend- und Gegenkulturen der 60er-Jahre hervorgegan-
genen Phänomenen eine Art soziales Laboratorium, in
dem neue Sinngebung gefunden, neue Lebensformen er-
probt oder erlebensorientierte und gegenwartsbezogene
Wahrnehmungsformen erkundet werden können. Ihre in
diesem Sinne emanzipatorischen Momente gilt es zu stär-
ken und der Nutzung dieser populären Formen durch die
rechte Szene entgegenzusteuern. „Rock gegen Rechts“ ist
immer noch ein deutliches Zeichen, dem wir uns nicht
entziehen dürfen.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entwickeln
sich rasch, und in der Rock- und Popkultur sind eine
enorme Beschleunigung von Trends und eine Vervielfäl-
tigung und Ausdifferenzierung von Szenen festzustellen.
Die Anpassung der Förderstrukturen an diese veränderten
Bedingungen erfolgt aber nur zögerlich. Um neue Wege
zu finden, ist der Dialog mit den Interessenverbänden der
Rock- und Popmusik auf Bundes- und Landesebene un-
verzichtbar. Die Bundesregierung will diesen Dialog
führen. Das begrüßen wir. Daher müssen die Bedingun-
gen für die Arbeit solcher Interessenverbände wie etwa
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Musikinitiativen
B.A.Rock dringend verbessert werden. Auch muss eine
kontinuierliche Arbeit ermöglicht werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Fink, Sie
müssen jetzt bald zum Schluss kommen.
Abschließend möchte ichauf die Bedeutung der wissenschaftlichen Begleitung die-ser Prozesse hinweisen. Dass es hierbei Differenzen gibtund weiterer Forschungsbedarf besteht, ist für mich einwichtiger Hinweis. Ein Forschungszentrum für populäreMusik als weltweit erste Institution dieser Art ist 1983 inder DDR gegründet worden, nämlich an der Humboldt-Universität. Ich bin sehr froh, dass es inzwischen auch ei-
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Grietje Bettin21774
nen ordentlichen Professor für dieses Fach gibt. Wir soll-ten diese Potenziale nutzen und uns darum bemühen, dieseProzesse auch auf wissenschaftlichem Weg zu begleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Michael Roth von der SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja heute rich-tig hymnisch geworden. Dazu fällt mir Rio Reiser ein, dereinst sang: Das alles und noch viel mehr würd’ ich ma-chen, wenn ich König von Deutschland wär. – Mit Ver-laub, Herr Staatsminister: Es gäbe dann wohl keinen Kul-turminister, sondern einen Rock’n’Roll-Minister, und dieheutige Thematik wäre Chefsache.
Den König gibt es glücklicherweise nicht, den Minis-ter schon, aber ausgemachte Experten für Rock und Popsind in unseren Reihen eher rar. Wir sind – da sollten wirdie Kirche im Dorf lassen – eher Konsumenten und alsPolitiker eher Zielscheibe – das ist auch gut so – dennVerbündete der Rockkultur.
Rock und Pop haben ihre Wurzeln im Protest.
Ihre Kultur entstand als ein Gegenentwurf gegen alles Ar-rivierte, gegen unsere schicken Anzüge und vor allen Din-gen gegen das Etablierte. Ich denke, das betrifft alle Ab-geordneten, egal welcher Partei sie angehören, vielleichtmit Ausnahme von Angela Marquardt von der PDS. DieseMusik sprach eine Sprache, die offensichtlich geeignetwar, soziale Schranken zu sprengen und Generationen zuüberbrücken. Die Rock- und Popmusik ermöglichte dieDemokratisierung der Musik. Das habe nicht ich gesagt.Das stammt von Eric Hobsbawn. Es ist trotzdem richtig.Daher kann hier auch nicht ernsthaft zur Debatte stehen,dass dieses Themenfeld vor der Sozialdemokratie gerettetwerden müsste.
Die Rock- und Popkultur sucht auch nicht Schutz, schongar nicht in den Armen der CDU/CSU.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich, Herr Kampeter,gerne in der Rolle des Retters sehen würden. Aber dannmüssten Sie schon etwas mehr bieten.
Dass das persönliche Interesse an der Rock- und Pop-musik in den vergangenen Jahrzehnten auch im Deut-schen Bundestag zugenommen hat, darf durchaus als einpositives Zeichen gewertet werden. Dass wir heute nichtüber antiquierte Vorstellungen von „langhaarigenRockern“ und anderen „Revoluzzern“ diskutieren müs-sen, zeigt, dass die Rock- und Popmusik inzwischen so-gar in der CDU akzeptiert wird; ja selbst die CSU ver-schließt sich nicht mehr gänzlich den Klängen einer„gepflegten Beatmusik“.
Diskutiert werden muss aber über die Rolle, die derStaat gegenüber der Rock- und Popkultur spielen kannund sollte. Die Rockmusik ist ein Medium, um mit mehroder weniger Lautstärke und vor allem mit entsprechen-den Liedtexten rebellieren zu können: gegen die Eltern,gegen die Schule, gegen die Gesellschaft und nicht zuletztauch und gerade gegen die Politik. Es bedarf keiner Kon-ventionen, keiner besonderen Ausbildung, keiner Di-plome und schon gar keiner offiziellen gesellschaftlichenAnerkennung, um Rockmusik zu produzieren. Wir brau-chen vor allen Dingen keine Normen.
Ich fände es fürchterlich, wenn wir darüber im Bundestagdiskutierten.
Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Rock-und Popmusik ein enormer Wirtschaftsfaktor, der amstärksten kommerzialisierte Bereich des Kulturwesens ist.Lange bevor Fördermechanismen anderswo die Kreativenunterstützen, hat die Musikindustrie Bands abgegriffen,multipliziert und verkauft. Dass darin auch Gefahren lie-gen – auf diese hat Grietje Bettin gerade hingewiesen –,darf nicht unbeachtet bleiben. Die Diskussion über dieMP-3-Technologie ist hinlänglich bekannt. Die Verviel-fältigung von Musik ist kaum kontrollierbar. Diese Tech-nologie wird aber auch von freien Musikern zur Selbstver-marktung genutzt. Letztlich entscheiden die Konsumentenund die Musikindustrie, die ja teilweise schon dazu über-gegangen ist – hier wird es pervers –, die Talente nicht erstzu entdecken, sondern sie von vornherein und zielgrup-pengerecht zu produzieren. Erst gibt es die Songs unddann die Gesichter. Die Produzenten bleiben im Hinter-grund. Hier wirkt das freie Spiel der Kräfte des Marktesbisweilen absurd.
Das spiegelt sich beim Publikum durchaus wider. DieKosten einer hochsubventionierten Theater- oder Kon-zertkarte sorgen eher für Verdruss, während 50 Euro odermehr für die Karte eines Rockevents zumeist locker sit-zen.
Jeder Versuch, die im Ursprung kreativ-anarchischen Ele-mente der Rock- und Popkultur – seien sie revolutionäroder kommerziell – in staatsnahe, wenngleich fördernde
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Dr. Heinrich Fink21775
Strukturen einzubinden, kann nur mit Loriots Jodel-diplom belohnt werden.
Die Rock- und Popmusik kennt keine Grenzen. Warumsollte man mit der Diskussion über Quotenregelungen ir-gendwelche Grenzen ziehen, Herr Staatsminister? Geradedie neuere Popmusik wie Hip-Hop, Techno oder Rap– diese Musikrichtungen sind in entscheidendem Maße vonder Bundesrepublik Deutschland ausgegangen – ist längstnicht mehr nach muttersprachlichen Kriterien einzuordnen.So schwach, wie es gelegentlich dargestellt wird, ist diedeutschsprachige Rock- und Popmusik gar nicht.Dort, wo wir als Politiker gefragt sind, hat diese Ko-alitionsregierung durchaus für vorbildliche Regelungengesorgt. Dort, wo es um sinnvolle Rahmenbedingungengeht, haben wir für die Kulturschaffenden und somit auchfür die Rock- und Popszene erhebliche Verbesserungen– die Kollegin Grietje Bettin hat sie schon vorhin ge-nannt – durchgesetzt:
Künstlersozialkasse, Urhebervertragsrecht, Besteuerungausländischer Künstlerinnen und Künstler. Das sprichtauch die Rock- und Popszene an.
Weitere Verbesserungsmöglichkeiten – darauf möchteich zum Schluss noch hinweisen – müssen natürlich aufLänderebene und kommunaler Ebene ausgelotet werden– ich bin mir sicher, dass einige Kollegen damit schonErfahrungen auf kommunaler Ebene gemacht haben –:Unterstützung von Konzertorganisationen und Festivals;Hilfe bei der Bereitstellung von Übungsräumen; womög-lich Investitionszuschüsse beim Instrumentenkauf oderFinanzhilfen für Studioproduktionen. Natürlich könnteauch im schulischen Musikunterricht noch eine Mengegetan werden, wenn diesem Unterrichtsfach endlichflächendeckend ein adäquater Stellenwert eingeräumtwürde. Darüber redet überhaupt niemand.
Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; esist ein Lebensgefühl.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Roth,
Präsidentin zu sein ist ebenfalls ein harter Job.
Denn man muss selbst in einer solchen Debatte den Red-
ner an die Redezeit erinnern.
Ich weiß! Ich habe
vorhin schon meine Parlamentarische Geschäftsführerin
gefragt, wie lange ich überziehen darf. Denn bislang habe
ich noch nie überzogen. Es ist wirklich mein letzter Satz.
Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; es
ist ein Lebensgefühl, in das ausgerechnet wir in diesem
Haus uns wohl wahrlich nicht hineinversetzen können.
Zumindest habe ich noch nicht gehört, dass jemals ein Ab-
geordneter zum Rockmusiker avancierte. Wenn das so
wäre, dann, meine Damen und Herren, hätte die Kulturre-
volution wahrlich ihre Kinder gefressen.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch wenn wir in die-ser temperamentvollen Debatte noch nicht zu Rockmusi-kerinnen und -musikern mutiert sind, muss ich leider dieAussprache schließen. Wir haben auch keine Abstimmun-gen durchzuführen, da dies eine vereinbarte Debatte zuder Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion war.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten BrigitteWimmer , Dr. Peter Eckardt, Dr. HansPeter Bartels, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der AbgeordnetenDr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, Hans-JosefFell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENMehr Frauen an die Spitze von Wissenschaftund Forschung – durch GenderMainstreamingFrauen in Wissenschaft und Forschung stärken– Drucksache 14/7627 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
InnenausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendDie Kolleginnen Brigitte Wimmer, Kerstin Griese,Bärbel Sothmann, Irmingard Schewe-Gerigk, UlrikeFlach sowie Maritta Böttcher haben ihre Reden zu Proto-koll gegeben.1) – Ich sehe Einverständnis im gesamtenHause.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/7627 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es keinenWiderspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten DetlefParr, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPFür eine Verlängerung der Rückwirkungsfristfür die Berufskrankheit Nr. 4111– Drucksache 14/6969 –
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Michael Roth
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1) Anlage 2Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für GesundheitDie Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Grotthaus,Gerald Weiß, Katrin Göring-Eckart, Dr. Heinrich Kolbund Pia Maier haben ihre Reden ebenfalls zu Protokoll ge-geben.1) – Kein Widerspruch.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/6969 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Einverständnis imganzen Hause. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend zu dem Antragder Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Sabine Jünger,Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der PDSSoziale Arbeit stärken – Alternativen zumZivildienst entwickeln– Drucksachen 14/3563, 14/7996 –Berichterstattung:Abgeordnete Dieter DzewasThomas DörflingerIna LenkeChristian SimmertMonika BaltDie Kolleginnen und Kollegen Dieter Dzewas, Mar-lene Rupprecht, Thomas Dörflinger, Christian Simmertund Ina Lenke haben ihre Reden bereits zu Protokoll ge-geben.2) – Redet die PDS?
– Das war mir nicht angekündigt.Dann erteile ich dem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Nach der Debatte über Rock-und Popmusik über Zivildienstleistende zu reden ist garnicht so schwer. Es ist nahe liegend, dass die einen mitdem anderen etwas zu tun haben.Im Zivildienst geht es um ernsthafte Probleme. Jedervon uns weiß, dass der Zivildienst keinen gesetzlichenSicherstellungsauftrag im sozialen Bereich hat. In derPraxis ist es aber so, dass ohne die Zivildienstleistendenheute kaum noch eine Alteneinrichtung, kaum noch eineBehinderteneinrichtung – sei es im ambulanten, sei es imstationären Bereich –, kaum noch eine Kindereinrichtungexistieren kann.
Das kann so nicht hingenommen werden. Deswegenschlagen wir in unserem Antrag vor, die soziale Arbeit– die gut bezahlt sein muss – zu stärken, indem der Zivil-dienst reformiert wird. Wir sagen klipp und klar: Obwohlwir eigentlich für die Abschaffung aller Zwangsdienste,also von Wehrpflicht und Zivildienst, sind, kann man denZivildienst nicht abschaffen, ohne vorher Kompensatio-nen für das geschaffen zu haben, was die jungen Männermit großem Engagement – zum Teil arbeiten sie wesent-lich länger, als sie eigentlich müssten – leisten.
Es geht um eine Konversion des Zivildienstes, nicht umeine scheibchenweise Amputation, indem wir ihn jedesMal ein bisschen mehr zurückschrauben.Nachdem ich das vorausgeschickt habe, möchte ich aufunseren Antrag zu sprechen kommen. Wir schlagen ver-schiedene Maßnahmen vor, damit diejenigen – ich redejetzt hauptsächlich vom sozialen Bereich –, die jetzt einenVorteil davon haben, dass es die Zivildienstleistendengibt, zum Beispiel behinderte Menschen in Werkstättenoder in der ISB, der individuellen Schwerbehindertenbe-treuung, nicht in ein Loch fallen, aus dem sie nicht he-rauskommen. Wir können denen das nicht zumuten.Bei der notwendigen Konversion müssen auch die Trä-gereinrichtungen in die Lage versetzt werden, den Über-gang zu bewältigen. Momentan werden die Zivildienst-leistenden als billige Arbeitskräfte missbraucht. Das kannnicht Aufgabe des Zivildienstes sein. Deshalb muss dieserMissbrauch zurückgefahren und eine vernünftige Rege-lung gefunden werden, damit die wichtigen sozialen Auf-gaben, die in diesem Bereich erfüllt werden, weiterhin inguter Qualität erfüllt werden können.Wir schlagen zum Beispiel die Schaffung des Amteseines Ombudsmannes vor, an den man sich, falls ir-gendwo bei den Betroffenen Probleme auftauchen – alsozum Beispiel bei den behinderten Menschen, bei den Zi-vildienstleistenden oder bei den Zivildienststellen –, wen-den kann und der dafür sorgt, dass diese Probleme schnellund unbürokratisch gelöst werden.
Wir haben in unserem Antrag auch noch mehrereVorschläge unterbreitet, die von einer langfristigen Per-spektive ausgehen. Insbesondere sollte endlich dazu über-gegangen werden, bestimmte Bereiche des gesellschaft-lichen Lebens, die von jedem von uns für wichtig gehaltenwerden – darüber bestand in jeder Aussprache hier bisherEinigkeit –, nicht ausschließlich betriebswirtschaftlichenbzw. Marktkriterien zu unterwerfen. Man sollte vielmehrsagen, dass diese Arbeit auch dann, wenn man dort keineGewinne erzielen kann, geleistet werden muss. Demzu-folge ist eine ständige – auch finanzielle – Unterstützungerforderlich. Ob Sie das wie wir als öffentlich gefördertenBeschäftigungssektor bezeichnen oder umbenennen,
ist egal; es geht mir hier um die Sache, und die brauchenwir.
Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hiernoch an einem ganz konkreten und aktuellen Beispiel
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Vizepräsidentin Petra Bläss21777
1) Anlage 32) Anlage 4darstellen, was Zivildienstleistende heute leisten, was pas-siert, wenn sie wegfallen, und wie es eigentlich nicht lau-fen sollte. In der vergangenen Woche erfuhr ich von einemMann aus der schönen Stadt Viersen: Er ist Ende 30, quer-schnittsgelähmt und führt mithilfe von Zivildienstleis-tenden ein relativ selbstbestimmtes Leben. Ende März die-ses Jahres wird ihm die Hilfe durch Zivildienstleistendeverwehrt, weil die Zivildienststelle sagt, sie könne die Zi-vis nicht mehr bezahlen. Einerseits bezahlt die Pflege-versicherung für die Zivildienstleistung nur drei Stun-densätze pro Tag, obwohl die Zivildienstleistenden14 Stunden am Tag da sind. Das liegt daran, dass die Pfle-geversicherung nicht bereit ist zu zahlen, wenn Zivil-dienstleistende Behinderte außer Haus begleiten usw.Diese dürfen nur das Verlassen der Wohnung abrechnen,wofür es 70 Punkte gibt; für eine Begleitung außer Haus– dabei handelt es sich um Spazierengehen oder Essenge-hen – gäbe es 600 Punkte. So bezahlt die Pflegeversiche-rung für die Zivildienstleistenden, die diesen Mann be-treuen, nur drei Stunden pro Tag, während die anderen elfStunden das Sozialamt zahlen soll. Das Sozialamt ande-rerseits begrenzt aber seine Leistungen ab sofort auf maxi-mal 1 500 Euro pro Monat. Da für die Betreuung diesesMannes nunmehr 300 Euro im Monat fehlen, wird ihm ge-sagt, er solle ins Heim gehen, weil die Zivis diese Arbeitnicht mehr leisten könnten. Sagen Sie bitte: Wie wollenwir aus dieser Kluft eigentlich herauskommen? – Entwe-der wir erlauben den Zivis, die Arbeit die ganze Zeit zu ma-chen, und bezahlen sie ordentlich oder wir erhöhen – dasentspricht unserem Vorschlag – das Niveau der sozialenArbeit: ordentliche Bezahlung, klare Verhältnisse. Die be-troffenen Menschen dürfen nicht mehr der Demütigungausgesetzt sein, Bittsteller zu sein.
Ich bedauere, dass die Kolleginnen und Kollegenhierzu heute nicht mehr reden können. Ich denke, dass wirin der Sache vorankommen müssen – es ist nicht damit ge-tan, den Antrag heute abzulehnen –, um den Zivildienst zukonvertieren und nicht zu amputieren.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend auf Drucksache 14/7996 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Soziale Arbeit stärken –
Alternativen zum Zivildienst entwickeln“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3563 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf – es handelt sich zu-
gleich um den letzten Tagesordnungspunkt des heutigen
Tages –:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Drohungen des Präsidenten der USAgegen den
Irak
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Frak-
tionsvorsitzende der PDS, Roland Claus.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Ich wurde in dieser Wochegefragt, ob der Titel „Haltung der Bundesregierung zu ak-tuellen Drohungen des Präsidenten der USA gegen denIrak“ nicht zu martialisch gewählt ist. Ich glaube, dass dasnicht der Fall ist. Allenfalls der Vorgang, um den es hier-bei geht, ist martialisch. Wir haben es mit Kriegsdrohun-gen zu tun.Ich war in den Vereinigten Staaten, als die Worte desUS-Präsidenten die Runde machten. Ich war am GroundZero und habe wahrgenommen, dass sich die Bevölke-rung der Vereinigten Staaten als im Krieg befindlich emp-findet. Die herausragende Frage der Verantwortlichen imPentagon ist natürlich immer: Wo ist der Feind? DieseFrage ist zu beantworten.Die Situation in Deutschland und in Europa ist anders:Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und auchdie Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages wollendiesen Krieg nicht. Verstehen Sie insofern das Ansinnender von uns beantragten heutigen Aktuellen Stunde nichtkonfrontativ! Wir haben seinerzeit, als es um die Ent-scheidung über den Einsatz deutscher Soldaten im Afgha-nistan-Krieg ging, gesagt: Krieg ist die falsche Antwortauf den Terror. Wir finden, dass Krieg auch die falscheAntwort auf ganz sicher vorhandene Unterdrückungenund Menschenrechtsverletzungen im Irak ist.Ich hatte jüngst die Gelegenheit, im amerikanischenState Departement einmal die Position gegen den Afgha-nistan-Krieg – sie wird in Europa nicht nur, aber auch vonder PDS vertreten – einzubringen. Ich habe versucht,darzustellen, dass diese Position sehr wohl mit einer Hal-tung einhergeht, die nicht als Antiamerikanismus diffa-miert werden kann, die durchaus solidarisch sein kann,auch wenn sie sich in dieser Angelegenheit mit dem ame-rikanischen Vorgehen kritisch auseinander setzt. Die Re-aktion auf die Frage, ob diese Position für die Kollegen imState Departement akzeptabel sei, war, dass sie sich selbstsehr wohl als auf der Suche befindlich verstehen und des-halb mit Kritik umgehen können.Ich finde, man muss an dieser Stelle eines sehr deutlichsagen: Ein Krieg gegen den Irak wäre durch nichts zurechtfertigen, von den unabsehbaren Auswirkungen aufden Nahostkonflikt einmal ganz abgesehen.
Deshalb sind die Mahnungen der europäischen Außenmi-nister, denen wir von hier aus den Rücken stärken können,sicher zu begrüßen. Diese Mahnungen sind ehrenwert.Aber ich fürchte, dass die Mahnungen des Bundes-außenministers Fischer und der anderen europäischenAußenminister folgenlos bleiben. Deshalb besteht die Ge-fahr, dass zwischen „uneingeschränkter Solidarität“, diehier vom Kanzler bekundet wurde, und dem Ausschluss
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Dr. Ilja Seifert21778
von Abenteuern, der auch an dieser Stelle verkündetwurde, fließende Grenzen entstehen. Ist es denn keinAbenteuer, wenn deutsche Soldaten in Kuwait anManövern teilnehmen? Wir wollen Ihnen eines deutlichsagen: Wir verkennen die schwierige Situation der Bun-desregierung nicht, auch wenn sie sie natürlich selbst zuverantworten hat. Sie sind nicht aus Versehen in den Bei-standsfall geraten.Da Bundesaußenminister Fischer so starke Worte wie„Alliierte sind keine Satelliten“ gewählt hat, will ich andas erinnern, was uns hier alles – das waren nicht ganz sostarke Worte – im Herbst des vergangenen Jahres unter-stellt worden ist und welche Häme wir damals einzu-stecken hatten. Sofort kommt ja auch die Kritik der CDUan die Adresse des Bundesaußenministers, die ich in derSache nicht teile. Aber ganz sicher ist ein Problem daranecht: Dem Wahlkämpfer Fischer steht der AußenministerFischer dabei schon ein Stück im Wege.Gesetzt den Fall – diese Erwartungen wurden ja auchin öffentlichen Ankündigungen geäußert –, die USAwol-len diesen Krieg im Alleingang führen, bleibt noch immerdie Tatsache, dass wir hier und an anderen Stellen denBeistandsfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages beschlos-sen haben – nicht mit unseren Stimmen, aber mit den be-kannten Mehrheiten. Wir stehen damit vor der auch völ-kerrechtlich spannenden Frage: Wo ist der Ausstieg ausdem NATO-Beistandsfall? Ein solcher ist bekanntlich imVertrag nicht geregelt.Ich habe in einer ganzen Reihe von Gesprächen mit Ex-pertinnen und Experten zu dieser Frage in dieser und in denzurückliegenden Wochen immer wieder gewissermaßen alsBeruhigung gehört: Nun regen Sie sich doch nicht auf, dasdauert doch alles noch. – Ich empfinde das überhaupt nichtals Beruhigung. Ich denke, wir brauchen den öffentlichenWiderstand vor dem Waffengang. Wir brauchen den Wi-derspruch gegen eine solche Politik auch hier aus Europaund wir haben heute und sicher auch danach noch Gele-genheit, diesen Widerspruch zu artikulieren.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war eine Punkt-
landung, was die Redezeit betrifft.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Das Interesse an dieser Debattescheint mir – so muss ich es, wenn ich die Zeitungen auf-schlage, sagen – ein eher innenpolitisches zu sein. Ichmuss gestehen: Diese Rede hat mich auch nicht vom Ge-genteil überzeugen können.Wenn hier behauptet wird, dass es um Krieg oder nichtKrieg geht, werden durchaus starke Worte gewählt, diewir aus der PDS oft genug gehört haben. Aber darum gehtes heute hier nicht. Ich muss auch sagen, lieber KollegePflüger: Es geht heute auch nicht um die Frage, wie weitDeutschland im Kampf gegen den Terrorismus klar an derSeite Amerikas steht oder wie weit dies nicht der Fall ist.Alles, was wir in den letzten Tagen dazu gehört haben,halte ich sowohl in der Debatte darüber, wie man sich ge-genüber dem Irak verhalten soll, als auch in der Debattedarüber, was im Rahmen des Kampfes gegen den Terro-rismus zu tun ist, wirklich für wenig hilfreich.Konsens besteht unter uns allen hinsichtlich der Ge-fährlichkeit des Irak. Es ist klar, wie gefährlich er für dieNachbarn ist. Es ist klar und deutlich, wie schwierig dieLage für Israel und für den Nahen Osten wird, wenn hieretwas losgeht. Dass die Person Saddam Hussein und seinRegime wahrhaftig mit großer Gefahr gerade im NahenOsten zu tun haben, dürfte wohl uns allen bewusst sein.Gefahr besteht auch, wenn Massenvernichtungsmittelangeschafft und Trägerraketen vorbereitet werden.
Das ist eine Gefahr für uns alle, mit der wir uns auseinan-der zu setzen haben. Nicht zuletzt darf man auch feststel-len, was übrigens für alle Diktatoren gilt: Er ist eine Ge-fahr für die eigene Bevölkerung.
Auch um der eigenen Bevölkerung willen ist SaddamHussein zu bekämpfen.Aber nach allem, was wir wissen – natürlich muss ichzugeben, dass wir vielleicht nicht alles wissen –, mussman gleichzeitig sagen: Diese Gefahr ist keine akute, son-dern eine längerfristige Bedrohung. Wir müssen durchausoffen miteinander darüber diskutieren, wie wir dieser Ge-fahr Herr werden können.Von zentraler Bedeutung – ich denke, auch darübersind wir uns einig – ist die Einhaltung der UNO-Resolu-tionen, die Frage der Waffeninspektionen, die auf jedenFall weiter möglich sein müssen und die man durchsetzenmuss. Sie sind dringend notwendig. Deshalb sollten wir esbegrüßen und das mit unserer Unterstützung deutlich ma-chen, dass der Generalsekretär der UNO im April, beglei-tet von Herrn Blix – das ist auch wichtig und ein deutli-ches Signal –, im Irak Gespräche führen will.
Die Diskussion über das Sanktionsregime scheint mirebenfalls von großer Bedeutung zu sein. Wir haben auchdiese Debatte lange geführt und müssen zumindest fest-stellen, dass dieses Regime, das wir hatten, wohl eher– ich sage es vorsichtig – zur Verelendung der Bevölke-rung geführt, als wirklich zu einer Schwächung SaddamHusseins beigetragen hat. Das Gegenteil scheint mir derFall zu sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber neudiskutieren und dass wir auch im Sanktionsregime neueStrukturen finden. Im Mai wird es hierzu neue Entschei-dungen geben. Wir hoffen, dass diese im Rahmen desUNO-Sicherheitsrates in einem großen Konsens getroffenwerden können.Wir alle wissen ehrlich gesagt relativ wenig darüber,welche Rolle der Irak im internationalen Terrorismus spielt,wie die Strukturen aussehen. Es gibt jedenfalls bisher keineklaren Beweise für entsprechende Zusammenhänge. Wir
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Roland Claus21779
wissen, dass die Diskussion darüber auch in den USA in-tensiv geführt wird.Ich denke, wir brauchen ein gemeinsames und ent-schlossenes Handeln gegen den Terrorismus und eineklare Position gegenüber dem Irak in den Punkten, die icheben genannt habe. Das heißt, dass wir intensive Kon-sultationen zwischen den USA und Europa brauchen.Dies ist bereits in durchaus hohem Maße geschehen. Viel-leicht war es aber nicht in allen Punkten ausreichend. Da-rüber lässt sich reden; dies sollten wir auch tun.In den letzten Tagen war ich in Brüssel. Im Rahmen derNATO-Parlamentarierversammlung führten wir auch einGespräch im NATO-Rat. Es war klar, dass es auch hier einSpektrum unterschiedlicher Positionen gibt. Eines solltewichtig sein: Wir brauchen ein klares, politisches und ge-meinsames Vorgehen und keine Debatte über Antiameri-kanismus oder dergleichen Vorwürfe. Es geht darum, dasswir zusammenstehen und dass die wichtigsten UNO-Si-cherheitsratsmitglieder, die ein Vetorecht haben, zu einergemeinsamen Position finden. Dafür gibt es auch erste An-zeichen. Hierbei müssen wir insbesondere Moskau drän-gen, dass es seinen Einfluss auf Saddam Hussein nutzt.Wir müssen hier zu einer gemeinsamen Position kommen.Im Kampf gegen den Terrorismus darf die breite Koa-lition, die weit über die Wertegemeinschaft des Westenshinausgeht, nicht gefährdet werden. Ihr Verschwindenwürde uns allen nichts nützen.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Karl Lamers.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Kollege Meckel, ich stimmeIhnen ausdrücklich zu: Nach der Rede des Kollegen Clauswar es notwendig, darauf hinzuweisen, dass nicht Ame-rika, sondern der Irak das Problem ist.
Es kann wenig Zweifel daran geben, dass dieser Dik-tator, der einer der brutalsten ist, die wir je kennen gelernthaben, weiterhin nach Massenvernichtungswaffen strebtund vielleicht auch schon über solche verfügt. Wir sinduns auch alle darüber klar, dass er sein eigenes Volk un-terdrückt und dass es höchste Zeit ist, dass dieses schwie-rige Volk – es besteht im Grunde genommen aus vielenVölkern – ein anderes Regime bekommt. Das bleiben dieGrundaxiome sowohl der europäischen und deutschen alsauch der amerikanischen Politik. Dazu gehört auch, dassdie UN-Inspekteure wieder ins Land gelassen werden.Das muss unser erstes und vorrangiges Ziel sein.
Was sind nun die weiteren Optionen? Was muss undkann getan werden? Was sind dabei die Interessen vonDeutschland und Europa? Die Amerikaner lassen keinenZweifel daran, dass sie es mit ihren Warnungen gegenüberdem Irak ernst meinen. Wir müssen diese Warnungenernst nehmen. Ich glaube, wir können ihre Entschlossen-heit nur dann verstehen, wenn wir bereit sind, uns in ihreRolle als Symbol der freiheitlichen westlichen Gesell-schaftsordnung hineinzuversetzen. Dabei ist zu berück-sichtigen, dass sich die USA durch die Ereignisse des11. September zutiefst verletzt fühlen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns muss klar sein,dass wir uns von den Vereinigten Staaten nicht abkoppelnkönnen. Von allem, was sie tun, sind auch wir betroffen.Das gilt ebenso für die Folgen, wie zum Beispiel denenihres Einsatzes in Afghanistan. Genauso wäre es im Falleeines Vorgehens gegen den Irak.Wir haben nicht nur den Wunsch, sondern auch dasRecht, mit den Amerikanern darüber zu reden und kon-sultiert zu werden, bevor Entscheidungen getroffen wer-den; denn ein solcher Angriff wäre mit einer Reihe vonProblemen verbunden. Ich will sie nicht alle aufzählen.Herr Kollege Meckel hat schon darauf hingewiesen, dassdie Erhaltung der internationalen Koalition, gerade mitder arabischen Welt, ganz vorrangig sein muss. Wir kön-nen mögliche Auswirkungen auf den Israel-Palästina-Konflikt nicht übersehen. Vor allen Dingen müssen wiruns darüber im Klaren sein, dass wir die Frage beantwor-ten müssen, was nachher geschehen kann und wie wir unsin der richtigen Weise verhalten und einsetzen können.Kurzum: Unser gemeinsames Ziel mit den USA ist es,den Irak Saddam Husseins zur Räson zu bringen und demKontrollregime der Vereinten Nationen wieder volle Gel-tung zu verschaffen.Wenn es richtig ist, dass wir, aus den Gründen, die ichgenannt habe, einen Anspruch darauf haben, gehört zuwerden, dann gilt aber auch, dass wir dialogfähig seinmüssen. Der Vorwurf, den ich der Bundesregierung ma-chen muss, ist, dass sie nicht alles in ihren Kräften Ste-hende getan hat,
um uns dialogfähig zu machen bzw. dafür zu sorgen, dassEuropa dialogfähig wird. Denn wir müssen uns doch da-rüber im Klaren sein: Alleine sind wir nicht in der Lage,
uns wirklich Gehör zu verschaffen.
Es ist eine traurige Tatsache: Wer nicht gebraucht wird,der wird auch nicht gehört. Wir werden für den militäri-schen Teil nicht gebraucht. Das hat gerade im FalleDeutschlands Ursachen, die im Versagen dieser Regie-rung liegen.
– Dass die Bundeswehr in einem mehr als beklagenswer-ten Zustand ist,
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Markus Meckel21780
haben wir ja gerade bei der Verlegung der Streitkräftenach Afghanistan gemerkt.
Sosehr es stimmt, dass im Augenblick aus allen euro-päischen Ländern ein gemeinsamer Tenor über den Atlan-tik schallt, so wissen die Amerikaner doch sehr genau,dass Europa, wenn es ernst wird, wieder auseinander fällt.Deswegen ist das Erste, was wir von dieser Regierungverlangen müssen, dass Europa mit einer Stimme spricht.Herr Minister, da hat es ja in der letzten Zeit, wenn auchnicht im Zusammenhang mit diesem Thema, genau dasGegenteil einer deutschen Bemühung gegeben. Der Bun-deskanzler hat Europa schwersten Schaden zugefügt
und da hat man Ihre Stimme leider nicht gehört.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Lamers,
ich muss Sie leider an die Redezeit in der Aktuellen
Stunde erinnern.
Ja. – Was wir also brau-
chen, ist ein dialogfähiges Europa, ein Europa, das seine
Stimme auch in der NATO erheben kann und das über den
Atlantik gehört wird. Ich glaube, dass wir uns vornehmen
sollten, die öffentliche Diskussion und die öffentliche Kri-
tik an Amerika mit dem heutigen Tag zu beenden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat der Kollege
Dr. Helmut Lippelt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfand die Art und Weise, wie Herr Meckel das Problem an-gesprochen hat, sehr gut und ich fand die Art und Weise,wie Herr Lamers Herrn Meckel aufgenommen hat, sehrgut und richtig. Ich fand sie richtiger als die Anfänge, beidenen sich Herr Claus und Herr Pflüger in einer seltsamenAchse befanden und meinten, dieses Thema auf denWahlkampf reduzieren zu dürfen, wobei dem deutschenAußenminister der Wahlkämpfer im Wege stehe. Das fandich, ehrlich gesagt, etwas geschmacklos, auch von Ihnen,Herr Pflüger.
Es geht hier doch um die ernste Frage, die Herr Lamersgerade aufgebracht hat, wie wir mit einer sich zuspitzen-den Krise umgehen, bei der die Amerikaner gar nicht imUnrecht sind. Ich bin der Letzte, der leugnet, dass wir,wenn Bomben fallen, möglicherweise eine Giftwolke ha-ben. Es ist gar nicht daran zu zweifeln, dass es viele guteGründe gibt. Man muss aber trotz Solidarität die Frage andie amerikanische Politik stellen, ob die Aktionen, diesich anbahnen, mit den richtigen Mitteln und zum richti-gen Zeitpunkt durchgeführt werden. Es stellt sich dieFrage, ob es nicht klüger wäre – das hat auch der franzö-sische Außenminister angemahnt –, diese Situation diffe-renzierter zu betrachten.Die Frage ist, ob es richtig ist, das Problem des Terro-rismus – bei der Bekämpfung des al-Qaida-Terrorismusmusste man sehr wohl militärische Mittel anwenden –hier mit dem Problem der Massenvernichtungswaffen zuverbinden. Angesichts der Verschiebung dieser Zielemuss man fragen, ob damit nicht größerer Schaden in derarabischen Welt angerichtet wird und ob man nicht zu an-deren Schlussfolgerungen kommen sollte. Aus diesemGrunde, Herr Lamers, fand ich den zweiten Teil IhrerRede nicht richtig.Ich will sagen, weshalb es richtig ist, dass wir diesesThema heute debattieren. Wer die Entwicklung genau ver-folgt hat – man konnte es ja auch nachlesen –, wie isla-mische Regierungen aus großer Sorge Saddam Husseinsignalisiert haben, er möge doch gefälligst die Inspekto-ren ins Land lassen – sie sprachen davon, dass dies seineletzte Chance sei; ich erwähne in diesem Zusammenhangden Brief von Ecevit –, und wer die Antwort „Es werdennur Spione geschickt“ kennt, der weiß, dass eine Einsichtkaum zu erwarten ist und dass sich die Lage weiter zu-spitzen wird.Wer auf der anderen Seite zur Kenntnis nimmt, dass dieamerikanische Administration eine neue Irak-Strategieerarbeiten lässt, was zur Folge hat, dass es auf der Reisevon Cheney nicht mehr um das Ob, sondern nur noch umdas Wie geht, der muss große Angst verspüren, HerrPflüger. Man muss daher kritische Fragen stellen dürfen.Es besteht kein Zweifel, dass wir diese Fragen in ange-messener Form und unter Berücksichtigung der Bündnis-solidarität stellen.Wir haben im Moment folgendes Problem: Ein Dikta-tor verharrt in seiner unbeweglichen Trotzhaltung. Aufder einen Seite haben wir also ein Milosevic-Problem.Auf der anderen Seite gibt es das Problem, dass bis Maieine Drohkulisse aufgebaut wird. In der „Herald Tribune“kann man sehr genau nachlesen – auch wenn die Ameri-kaner jetzt Desinformationen verbreiten sollten –, dassmit den Vorbereitungen begonnen wird. Natürlich wird espolitische Lösungsversuche und eine UNO-Resolutiongeben. Das heißt, die Vorbereitung auf politischem Gebietsteht noch bevor. Bis dahin hat Europa Zeit, seine Stimmezu erheben, so wie es Blair und – für das konservative La-ger – Aznar schon getan haben.Diese Gelegenheit muss genutzt werden, um – ausge-hend von einer Drohkulisse – dafür zu sorgen, dass der Dik-tator den Ernst der Lage erkennt. Es muss aber gleichzeitigdafür gesorgt werden, dass Amerika aus einer solchenDrohkulisse wieder herauskommt und nicht in Handlungs-zwänge gerät, die nicht mehr beherrschbar sind. Wenndiese Zwänge nicht mehr beherrscht werden können, gera-ten wir nämlich in eine Situation, die ich jetzt nicht weiterausmalen möchte, die Ihnen aber allen bekannt ist.
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Karl Lamers21781
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es ist von Herrn Lamers undHerrn Meckel und teilweise auch von Herrn Lippelt schonso viel Richtiges zum Thema Irak und Saddam gesagtworden, dass ich mich mit dem Herrn gar nicht mehrlange aufhalten möchte. Ich möchte mich vielmehr aufeine andere große Sorge konzentrieren, die ich in diesemZusammenhang habe.Mich bewegt gegenwärtig am meisten, wie die freieWelt in der mittel- und langfristigen Betrachtung mit Be-drohungen, wie sie von jemandem wie Saddam Husseinausgehen, umgeht. Es bewegt mich die Frage, wie wir unsvor der Gefahr schützen, uns in der freien Welt von jeman-dem auseinander dividieren zu lassen, der für Völkermord,Vertreibung, Angriffskrieg, Geiselnahme des eigenenVolkes und vieles andere und nicht zuletzt auch für die Pro-duktion und Weiterverbreitung von Massenvernichtungs-waffen und gegebenenfalls auch Trägersystemen steht.Mir behagt natürlich vieles nicht an der Kriegsrhetorik,die gegenwärtig von jenseits des Atlantiks zu uns he-rüberkommt. Ich halte manches, was im Zusammenhangmit der Achse des Bösen gesagt wird, nicht unbedingt fürklug.
Es ist völkerrechtlich problematisch, so zu tun, als sei derAngriff auf den Irak die logische und automatisch ge-rechtfertigte Konsequenz aus den Aktionen gegen dieTerrororganisation al-Qaida.
Ich teile schließlich ausdrücklich die Sorgen derje-nigen, die befürchten, dass die Soldaten der Bundeswehr,die sich gegenwärtig an einem sich immer mehr verlän-gernden Manöver in Kuwait beteiligen, unter Umständenin eine Situation hineingezogen werden könnten, die in ei-nem Krieg endet, in dem der Deutsche Bundestag seineRolle als Herr einer Parlamentsarmee im Grunde nichtmehr frei spielen kann. Insofern habe ich wirklich größteBesorgnisse.Aber ich bin der Meinung, dass es sich diejenigen, dieplötzlich ihren antiamerikanischen Reflexen wiederfreien Lauf lassen, deutlich zu leicht machen. Plötzlich istja – der Wahlkampf lässt grüßen – so mancher antiameri-kanische Reflex wieder da. Das ist eine Zeit lang über-deckt worden. Der Außenminister musste natürlich deramerikanischen Administration erst einmal beweisen,dass er wirklich von einem antiimperialistischen Street-fighter zu einem überzeugten Atlantiker mutiert ist.
Jetzt hat er den latenten Antiamerikanismus der grünenBasis eben doch wieder entdeckt.
Deswegen habe ich die Sorge, dass wir als Deutscheund Europäer aufgrund dieser innenpolitischen Dimen-sion letztendlich schlecht vorbereitet sind, wenn es darumgeht, die Diskussion über Meinungsunterschiede mitden amerikanischen Freunden tatsächlich sachgerecht zuführen. Wo sind denn die europäischen Konzepte füreine entschlossenere Abrüstungs- und Antiprolifera-tionspolitik? Welche Konzepte haben wir im Hinblick aufden Umgang mit Terrorismus und mit der Produktionvon Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen?Mit welchen Instrumenten wollen wir Saddam Husseinzwingen, die UN-Inspektoren wieder in sein Land zu las-sen? Zu all dem hören wir hier relativ wenig.Das Gefährlichste ist, dass wir in Amerika und inEuropa zwischenzeitlich voneinander eine wechselseitigePerzeption haben zustande kommen lassen, bei der dieeinen auf der anderen Seite des Atlantiks als Weicheierdargestellt werden, die die Realitäten des Lebens nicht er-kennen, während bei diesen der Eindruck entsteht, dassdie andere Seite des Atlantiks blindwütig draufschlagenwürde, wenn ihr in dieser Welt irgendetwas nicht passt. Esist höchste Zeit, dass die Europäer und die Amerikanerwieder zu gemeinsamen Analysen, zu gemeinsamer Ent-scheidungsfähigkeit und hoffentlich auch zu einer ge-meinsamen Sprache zurückfinden. Nach meiner Auffas-sung ist es in dieser Frage fünf vor zwölf.Ich glaube nicht an Huntingtons „Clash of civiliza-tions“. Aber ich habe schon die Befürchtung, dass wir aufeinen Clash der politischen Kulturen zwischen Nord-amerika und Europa hinsteuern könnten, wenn wir nichtgewaltig aufpassen und gegensteuern. Die deutsche Poli-tik ist hier in besonderer Weise gefordert. Seit 50 Jahrenist es ein Imperativ deutscher Außenpolitik, sich niemalsin die Situation manövrieren zu lassen, zwischen euro-päischer Integration und transatlantischer Verankerungwählen zu müssen. Deswegen sind in schwierigstenZeiten – ich denke an die INF-Debatte Ende der 80er-Jahre, als es um die Kurzstreckenraketen ging – durchkluge Diplomatie und Außenpolitik immer wieder For-men der Begegnung und des Dialogs – teilweise auf dis-krete Art – gefunden worden. Ich hoffe, dass es solcheInitiativen wie damals bei Hans-Dietrich Genscher auchjetzt bald wieder geben wird. Wir brauchen sie, wenn wirdie Zeit, die wir noch haben, tatsächlich nutzen wollen.
Das Gefährlichste ist, dass das Wirklichkeit werdenkönnte, was als Paradigmenwechsel der amerikanischenAußenpolitik beschrieben wird: weg vom Multilatera-lismus, aufgrund dessen uns der ehemalige PräsidentGeorge Bush seinerzeit „partnership in leadership“ ange-boten hatte, hin zu dem, was sich jetzt als Unilateralismusder amerikanischen Seite unter George W. Bush darstellt,der zum Beispiel die Vereinten Nationen nur noch als läs-tig zu empfinden scheint.Diese kurzfristigen Ad-hoc-Zweckbündnisse, die eineAushöhlung der Nordatlantischen Allianz, dem neben EUund UNO wichtigsten Instrument, das wir in der Welt ha-ben, übrigens auch für den Kern deutscher Außen- undSicherheitspolitik, zur Folge haben können, könnten auflängere Sicht zu dem Gefährlichsten führen, was Deutsch-land passieren kann: dass die Europäer tatsächlich den
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221782
Weg der Renationalisierung der Sicherheits- und Vertei-digungspolitik gehen. Die NATO hat uns über Jahrzehntedavor bewahrt. Wir sollten nicht zulassen, dass durch eineErosion der NATO diese Gefahr wieder virulent wird.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Reinhold Robbe für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Völlig unabhängigvon der Frage, wie sich die Bundesregierung zur aktuel-len Situation im Irak verhält, ist in diesem Zusammen-hang doch eine ganz andere Frage zu stellen, nämlich:Was veranlasst eigentlich die PDS, dieses Thema geradezu diesem Zeitpunkt auf die Tagesordnung zu setzen? Ichwill noch einen Schritt weiter gehen und fragen: Ist diePDS unter moralischen Gesichtspunkten überhaupt legi-timiert, sich an einer derartigen Debatte zu beteiligen?
Ich beantworte diese Frage mit einem klaren Nein. DieSED-Nachfolger haben sich bisher jeder internationalenVerantwortung grundsätzlich verweigert.
Die PDS hat jeden Bundeswehreinsatz abgelehnt, der da-rauf gerichtet war, Völkermord, Vertreibung, Massenver-gewaltigungen und Terror zu beenden. Ich erinnere in die-sem Zusammenhang an die Verweigerungshaltung derPDS in Sachen Bosnien, Kosovo, Mazedonien und auchTerrorismusbekämpfung in Afghanistan.Stets war es die PDS, die alle Befürworter dieserEinsätze de facto als Kriegstreiber verunglimpfte und sichselber insbesondere in den neuen Bundesländern als Frie-denspartei zu etablieren versucht hat. Besonders uner-träglich wurde es immer dann, wenn die PDS auch nochsolche Leute hofierte, die für all die Verbrechen verant-wortlich waren.
– Warten Sie es ab! – Geradezu verräterisch ist jenes Bild,das Herrn Gysi Hände schüttelnd mit Herrn Miloseviczeigt
– das wollen Sie nicht gern hören, aber das muss an die-ser Stelle gesagt werden –, und zwar zu einem Zeitpunkt,als die Völkergemeinschaft der freien Welt Milosevic ein-deutig als Drahtzieher und Hauptverantwortlichen für dieVerbrechen gegen die Menschlichkeit identifiziert hatte.
Diese doppelzüngige und aus meiner Sicht auch inhöchstem Maße unmoralische Politik wird von den Post-kommunisten munter weiter betrieben. So findet bei-spielsweise Anfang März in Berlin eine Solidaritäts-veranstaltung der PDS für Milosevic statt, der im Au-genblick wegen zahlreicher Kriegsverbrechen in DenHaag angeklagt wird.
Und diese Partei erdreistet sich, den USA und der deut-schen Bundesregierung Zensuren zu verteilen, weil sie of-fensichtlich der festen Überzeugung ist, dass die Öffent-lichkeit schon nicht so genau hinschauen wird!Gott sei Dank sind wir nicht auf die Erkenntnisse undRatschläge der PDS angewiesen. Gott sei Dank spieltdiese Auffassung der SED-Nachfolger in der deutschenAußen- und Sicherheitspolitik überhaupt keine Rolle.
Der Bundesaußenminister hat alles Notwendige zuraktuellen Lage im Irak-Konflikt erklärt und wird dies, wieich vermute, auch in der heutigen Debatte tun.
Wichtig ist, in diesem Zusammenhang festzuhalten, dassdie deutsche Bundesregierung nichts unternehmen wird,was zu einer Verschärfung der angespannten Situationbeitragen könnte. Sie hat vielmehr ein elementares Inte-resse daran, alle Bemühungen zu unterstützen, die dievielfältigen Konfliktherde des Nahen und MittlerenOstens mit diplomatischen Mitteln und in enger Ab-stimmung mit den europäischen und transatlantischenVerbündeten entschärfen.
Im Übrigen ist es unverantwortlich, den Einsatz derdeutschen ABC-Abwehrkräfte in Kuwait als ersten Schritteiner deutschen Verwicklung in den nächsten Krieg – dasist Originalton PDS – bewusst misszudeuten. So etwasnenne ich: Stimmung machen wider besseres Wissen.
Unabhängig von der Notwendigkeit, im Dialog mit un-seren amerikanischen Freunden erforderlichenfalls auchvor übertriebenen Drohgebärden zu warnen, muss man diebesondere Stimmungslage in den USA bei der Bewertungbestimmter Kraftausdrücke berücksichtigen. Eines abersteht unumstößlich fest: Es ist unsere Pflicht, in enger Ab-stimmung mit unseren europäischen Nachbarn immer wie-der die mahnende und warnende Stimme gegenüberSaddam Hussein zu erheben; denn er ist dafür verantwort-lich, dass tagtäglich Menschen verfolgt und ermordet wer-den, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden
und dass möglicherweise biologische und chemischeWaffen produziert und in Stellung gebracht werden. Des-halb darf der Druck auf Bagdad nicht nachlassen. Dahergibt es keine Alternative zum verhängten Embargo.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Dr. Werner Hoyer21783
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erteile jetzt dem
Kollegen Friedbert Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemandenim Saal, der der Meinung ist, man dürfe die VereinigtenStaaten von Amerika nicht kritisieren oder nicht seineeigene Meinung haben. Wir sind freie Bündnispartnerund nicht unmündige Befehlsempfänger. Solidarität heißtnicht Gehorsam.
Natürlich kann man Kritik üben. Aber die öffentliche Kri-tik, die der Außenminister in diesen Tagen mehrfachgeübt hat, war in Form und Substanz falsch und nichtakzeptabel. Diese besondere Art der Kritik war zum jet-zigen Zeitpunkt ein schwerer Fehler. Ich will versuchen,das zu begründen.Wir haben nach dem 11. September in der NATO denBündnisfall erklärt. Unsere Soldaten patrouillieren ge-meinsam mit amerikanischen Soldaten in Afghanistan.Die Amerikaner tragen bei diesem Kampf gegen den welt-weiten Terror, der auch nach Auffassung der Bundes-regierung uns und unsere Zivilisation bedroht, die Haupt-last. Sie jetzt öffentlich zu ermahnen, zu schelten, denEindruck zu vermitteln, Amerika stünde kurz vor einemAlleingang und einem militärischen Schlag gegenüberBagdad, ist wirklich unverantwortlich. Das kann man mitStil hinter verschlossenen Türen machen. Unter Freundenist es üblich, dass man sich manchmal die Meinung sagt.Aber das öffentlich auszutragen ist etwas, was in Amerikanicht verstanden wird.
Es wird in Amerika vor allen Dingen auch deshalbnicht verstanden, weil wir als Europäer nach dem 11. Sep-tember ein so schlechtes Bild abgegeben haben, weil wir– Karl Lamers hat es gesagt – eben nicht mit einer Stimmegesprochen haben. Wenn wir nicht einmal in der Lagesind, unser Militärmaterial mit eigenen Flugzeugennach Afghanistan zu transportieren, sondern uns ausUsbekistan Iljuschins dafür leihen müssen, wenn wir unseine solche Airbusposse wie die der letzten Wochen leis-ten,
dann sollten wir mit öffentlichen Belehrungen gegenüberunseren amerikanischen Bündnispartnern etwas vorsich-tiger und zurückhaltender sein.
Ich glaube, dass dies ein großer Fehler gewesen ist, zu-mal die Art der Kritik des Bundesaußenministers geradediejenigen in Washington stärkt, die er eigentlich bekämp-fen möchte, nämlich die Unilateralisten, die der Ansichtsind, sie könnten sowieso alles alleine, ohne die Europäerund ohne jegliche Bündnispartner. Lesen Sie einmal in derheutigen Ausgabe des „Wall Street Journal“, was dazu derfrühere CIA-Chef James Woolsey sagt! Schauen Sie sichan, was in den Kommentaren in Amerika nach dieser Kri-tik von Fischer geäußert worden ist! In den USA gibt esEnttäuschung und Abwendung. Dadurch werden geradediejenigen bestärkt, die sagen: Wir brauchen die Europäersowieso nicht. Seht, auf sie ist kein Verlass.Das ist eine falsche und in der Tat – darin stimme ichdem Kollegen Hoyer zu – langfristig durchaus gefährlichePolitik. Hier ist der Popanz eines unmittelbar bevor-stehenden Krieges aufgebaut worden. Herr Powell, deramerikanische Außenminister, hat am 14. Februar 2002 inder „Financial Times“ gesagt: Niemand sollte glauben,auf dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidentenläge ein Plan für eine militärische Intervention. Das istnicht der Fall.Warum also diese Aufregung? Warum die Warnung voreinem Alleingang? Hat nicht Amerika diese Antiterror-koalition aufgebaut? Fährt nicht Vizepräsident DickCheney demnächst in die Region, um genau diese Anti-terrorkoalition zu pflegen? Was eigentlich hat Sie zu derSkepsis gegenüber Amerika berechtigt, man könne dieseKoalition leichtfertig aufgeben und einen Alleingang un-ternehmen? Ich halte Ihre Äußerung für nicht verantwort-lich. Ich glaube, das war ein schwerer Fehler.
Meine Damen und Herren, es ist doch offenkundig– der eine oder andere hat es hier gesagt –, was für einfürchterlicher Diktator Saddam Hussein ist. Hans MagnusEnzensberger hat ihn bereits 1991 den „genuinen Nach-folger Hitlers“ und ein „Monster“ genannt und hat Fol-gendes gesagt:Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäreAntrieb. Objekte, Anlässe, Gründe werden gesucht,wo sie sich finden. Wer bei der Vernichtung zuerst andie Reihe kommt, hängt nur von den Gelegenheitenab, die sich bieten.Das sagte der eher linke Intellektuelle Enzensberger undnicht irgendein CDU-Politiker.Nun wissen wir, dass dieser Diktator an Massenver-nichtungswaffen arbeitet. Wir wissen, dass er einer derschlimmsten Diktatoren der Welt ist. Sollen wir ange-sichts dessen wirklich sagen, dass wir, ganz egal was ermacht, nie militärisch eingreifen werden? Es geht nichtdarum, morgen Krieg gegen den Irak zu führen. Es gehtaber darum, eine Druck- und Drohkulisse gegen diesenDiktator als eine Option unter mehreren aufrechtzuerhal-ten. Wenn wir das nicht tun, helfen alle netten und freund-lichen Appelle, alle Konsultationen, Markus Meckel, undalle sonstigen Maßnahmen nichts. Wenn man nicht bereitist, solchen Leuten notfalls auch militärisch entgegenzu-treten, werden wir irgendwann keine Chance und keineZukunft mehr haben. Dass wir das ebenfalls so sehen, dasmüssen wir auch unseren amerikanischen Freunden sehrdeutlich sagen. Wenn wirklich klar ist, dass es im IrakMassenvernichtungswaffen gibt, dass bei Hussein aggres-sive Absichten bestehen und dass er mit Terroristen zu-sammenarbeitet, dann darf er sich nicht mehr wohl fühlenund nicht mehr ruhig schlafen. Es geht darum, eine mi-litärische Option nicht von vornherein auszuschließen,und um nichts anderes.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221784
Meine Damen und Herren, hier sind wir mit unserenFreunden in den USA einer Meinung. Ich fordere jedenvon uns, der kritische Anmerkungen hat, auf, sie nichtüber die „Welt“ und den „Spiegel“ in die Öffentlichkeit zutragen, sondern sie mit den Amerikanern im Gesprächhinter verschlossenen Türen zu erörtern, jedenfalls so-lange wir in einer Auseinandersetzung gegen den interna-tionalen Terrorismus stehen, wie es im Moment der Fallist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Kol-
legin Angelika Beer für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! HerrPflüger, ich wundere mich einigermaßen über Ihre Pole-mik, die dem Ernst der Situation nun wirklich nicht mehrangemessen ist, sondern den Versuch darstellt, an derfalschen Stelle die falsche Debatte zu führen.
Ich wundere mich auch, weil ich ziemlich sicher bin, dassSie an der Münchener Sicherheitstagung teilgenommen ha-ben. Die öffentliche Debatte fing spätestens dann an, alsHerr Wolfowitz und andere Vertreter der amerikanischenPartner dort sehr klar gesagt haben, wie sie ihre Rolle be-werten. Ich habe jetzt das Zitat nicht schriftlich vorliegen;aber ich versuche, mich an den Wortlaut zu erinnern. Siesagten, sie, die Amerikaner, seien angegriffen worden; siewürden selbst darüber entscheiden, wie sie reagierten, undbräuchten dazu keine Resolution, egal, wozu und von wem.Wir haben diese Debatte auf der Münchener Sicher-heitskonferenz öffentlich weitergeführt. Dabei war einegroße Einigkeit der Europäer insoweit zu erkennen, alsEuropa mit diesem zunehmenden Unilateralismus einProblem hat und zwar zu einer Stärkung der transatlanti-schen Beziehungen bereit ist, aber doch eine eigenstän-dige Position in dieser Frage vertreten will und wird. Icherinnere an die kritischen Äußerungen von Blair und derfranzösischen Seite, die nicht ohne Grund und meines Er-achtens auch mit gutem Recht vor einem drohenden ein-seitigen Schlag der Amerikaner gegen den Irak gewarnthaben. Es war gerade von unserem Außenminister mehrals verantwortlich, sehr zurückhaltende und zugleichklare Worte auszusprechen.Dass wir in der Europäischen Union noch nicht so weitsind, wie wir es uns alle wünschen, ist ein Problem; daswissen wir. Das gilt übrigens nicht nur für die ESVP,sondern auch für die gemeinsame europäische Positionie-rung, wenn es darum geht, europäische Interessen zu ver-treten. Nichtsdestotrotz findet dieser dringend notwen-dige europäische Dialog statt; denn wenn es zu einseitigenAngriffen auf den Irak käme und dies dazu führen würde,dass der Nahe Osten in Flammen aufginge, dann wäre esnicht mehr nur eine Frage der Amerikaner, sondern aucheine europäische Frage.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Malwar ich in diesem Land unter Saddam Hussein direkt nachdem Giftgaseinsatz in Halabja, also dem Einsatz vonMassenvernichtungswaffen gegen das eigene Volk. Daszweite Mal war ich dort zusammen mit Menschenrechts-organisationen zur Analyse der Anfal-Offensive gegen dieOpposition im eigenen Land. Das dritte Mal war ich nachder Massenflucht der Kurden im Norden Iraks dort, um zuhelfen, dieses Land zu entminen. Wir wissen, mit wel-chem Regime wir es zu tun haben.
Aber es muss doch erlaubt sein, die Frage zu stellen,was der Kampf gegen den internationalen Terrorismus,den wir uneingeschränkt solidarisch unterstützen, be-inhaltet und was nicht dazu gehört. Gerade das gemein-same und erfolgreiche Agieren gegen al-Qaida in Afgha-nistan hat deutlich gemacht, dass Militär alleinterroristische Strukturen nicht beseitigen kann. Wir sehendie politischen Aufgaben, die wir auch verantwortungs-bewusst angehen.Aber es besteht – jedenfalls nach allem, was mir be-kannt ist – ein Unterschied zu dem Regime SaddamHusseins und den von ihm ausgehenden Gefahren. Ichglaube, dass uneingeschränkte Solidarität durchaus Fol-gendes beinhalten muss – was auch positiv sein soll –:eine Kritik, die davor warnt, die internationale Koalitiongegen den Terrorismus mit einem einseitigen Vorgehengegen Saddam Hussein zu spalten und zu zerbrechen, eineKritik, die auch unsere Sorge über die Lage im NahenOsten und den Schutz Israels betrifft, eine Kritik, die nichtunsolidarisch ist, sondern darauf setzt, dass wir multina-tional bzw. international, wenn möglich, zusammen mitden Amerikanern, unterschiedliche Gefahren differenziertund gemeinsam militärisch, vor allem aber auch nicht mi-litärisch zu bekämpfen versuchen.Genau dies ist die Aufgabe, wenn es um den Irak geht.Wir brauchen eine Stärkung der Vereinten Nationen unddes Sanktionsmechanismus. Wir müssen Saddam Husseinklarmachen, dass das einzige Mittel, Weiteres zu verhin-dern, die Zulassung der Inspekteure ist. Denn nur so kön-nen wir doch perspektivisch versuchen, das Problem derMassenvernichtungswaffen im Irak, möglicherweise aberauch in anderen Staaten, transparent zu machen und dieseGefahr einzudämmen, bis hin zur Vernichtung unter in-ternationaler Kontrolle.Dann geht es um die Stärkung der Instrumente der in-ternationalen Abrüstung und Rüstungskontrolle, wie wirsie im Unterausschuss „Abrüstung und Nichtprolifera-tion“ regelmäßig diskutieren, schärfen und anspitzen.Denn mit einem Militärangriff werden wir die Gefahr derProliferation solcher Staaten wie des Irak nicht beseitigenkönnen. Insofern hoffe ich, dass diese Debatte etwas zurVersachlichung beiträgt.Ich denke, dass der Außenminister seine Gründe darle-gen wird. Ich begrüße die Initiative der deutschen Bun-desregierung, innerhalb der europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik eine gemeinsame Stimme zu
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Dr. Friedbert Pflüger21785
finden, die die legitimen deutschen, vor allen Dingen abereuropäischen und damit internationalen Interessen gegen-über dem amerikanischen Partner klarmacht.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es war doch sehr herzerfri-schend, hier im Plenum der Rede solch eines kalten Krie-gers wie Herrn Robbe zuzuhören. Ich hatte schon fast ver-gessen, dass es so etwas noch gibt. Ich finde es angenehm,diese Erinnerung an die lebendige Vergangenheit hier vor-geführt zu bekommen. Zur Substanz selbst hatte er nichtszu sagen und hat er auch nichts gesagt.
Deswegen möchte ich mich lieber mit intelligenterenBeiträgen auseinander setzen. Mich bedrückt es schon einbisschen, dass ein so kluger Kopf wie Karl Lamers hierformuliert, dass die USA nicht öffentlich zu kritisierenseien. Kollege Pflüger hat dies dann differenziert und ge-sagt, man dürfe kritisieren, allerdings nicht öffentlich.Eine Kritik, die nur im stillen Kämmerlein und in exklu-siven Runden, nicht aber vor der Öffentlichkeit geäußertwird, ist unwirksam, zudem unehrlich und trägt nicht dazubei, dass man politische Positionen kontrovers oder ge-meinsam entwickeln kann. Das ist einfach Unsinn.
Im Unterschied zu Ihnen nehme ich den amerikani-schen Präsidenten sehr ernst. Wenn er von einer „Aggres-sion“ und von einem „Feldzug gegen das Böse“ spricht,dann ist das richtig, was man heute – sowohl national alsauch international – in fast jeder Zeitung lesen kann, dassnämlich die Frage eines Krieges gegen den Irak nichtmehr eine Frage des Ob, sondern nur noch eine Frage desWie, des Wann und des Mit-wem-zusammen ist.Wir müssen uns klarmachen: Wir stehen vor einem sol-chen Krieg, wenn die Amerikaner nicht gestoppt werdenkönnen. Das macht die Brisanz dieser Sache aus. Ob, wieund wann es zu einem solchen Krieg kommt, entscheidetausschließlich die US-Spitze, und zwar allein, das heißt,ohne Verbündete, ohne NATO und ohne Koalition gegenden Terror. Das ist uns allen in den letzten Wochen mehr-fach, wie ich finde, glaubwürdig und überzeugend durchdie USAmitgeteilt worden. Das erste und letzte Wort liegtin dieser Frage bei den Vereinigten Staaten.Ich erinnere an die großen Worte der Kollegen Merz,Fischer, Volmer und anderer, die in diesem Hause wähn-ten, dass die USA einen Multilateralismus neu entdeckthätten, dass sie jetzt multilateral handeln würden. Das al-les erweist sich doch schlichtweg als Traumtänzerei.Traumtänzerei kann man Bush nicht vorwerfen, er be-treibt Realpolitik, Macht- und Interessenpolitik. Es gehtum Einflusssphären, Naturressourcen und um Handels-wege. Um diese Tatsache soll niemand herumreden. Wirbrauchen nicht Absichten, sondern Interessenanalysen.Zum Krieg der Waffen kommen der Krieg der Worteund – wie man jetzt sehen kann – der Krieg der Fälschun-gen und – das muss nicht einmal meine gesamte Fraktionteilen – eine unappetitliche Mischung von Nationalismus,Weltherrschaftsanspruch und religiösem Sendungsbe-wusstsein. Diese komplizierte Mischung macht die Ge-fährlichkeit der amerikanischen Politik aus.
Vor einigen Wochen haben wir vom Bundesaußenmi-nister gehört, wer Einfluss nehmen wolle, müsse mitma-chen. Mitgemacht haben wir – ich finde: leider –, aberEinfluss haben wir dadurch nicht gewonnen. Ich möchtedeutlich sagen: Wer Einfluss nehmen will, darf eben nichtmitmachen, er muss sich entgegenstellen. Diese Meinungverbreitet sich immer stärker in Europa.
Jetzt habe ich vom Außenminister gehört – dieCDU/CSU findet das ja so entsetzlich –, wir seien keineSatelliten der USA. Ich befürchte, wir sind es doch. Ichzweifle an der Glaubwürdigkeit der Aussage des Außen-ministers, solange mir nicht das Gegenteil bewiesen wird.Ich meine, dass die Polemik, dass das ein Rückfall in seineVergangenheit sei – das weiß doch jeder –, Unsinn ist.Herr Fischer hat ganz klar gesagt, die Amerikaner seiennicht zu kritisieren. Jetzt sagt er, wir seien keine Satellitender USA. Er muss den Widerspruch auflösen. Man löstihn am besten durch Taten auf.Solange die deutschen Truppen in Kuwait stationiertsind, besteht die Gefahr, dass die Teilnahme an den ge-meinsamen Manövern mit den USA zum jetzigen Zeit-punkt weltweit nur so verstanden werden kann, dassDeutschland bereit ist, in einem solchen Krieg auch mi-litärisch an der Seite der USA zu kämpfen.
Das ist „the proof of the pudding“: Rückzug der Truppen,und das ohne Hintertür. Wir müssen klar feststellen, dassdas Parlament in diesen wie auch in anderen Fragen im-mer wieder getäuscht und belogen worden ist. Es ist ja garnicht vorgesehen, dass alle deutschen Truppen nach demManöver zurückgezogen werden. 50 Soldaten sollen dableiben und die anderen, die nach Deutschland zurückge-nommen werden, sollen so positioniert werden, dass sieinnerhalb von Stunden wieder in Kuwait sein können.Das ist doch die Realität: Man hat zugestimmt, dassdeutsche Truppen hinter dem Rücken des Parlaments inKuwait stationiert werden. Man hat damit signalisiert:Wir stehen auch in kriegerischen Auseinandersetzungenan der Seite der USA. Dass wir unmittelbar in eine solcheAuseinandersetzung hineingezogen werden könnten, istdie Sorge, die die PDS bewegt hat, diese Aktuelle Stundezu fordern, um der deutschen Bundesregierung im Parla-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Angelika Beer21786
ment rechtzeitig zu sagen, sie solle nicht nur erklären,dass sie diesen Krieg nicht will, sondern auch, dass sie anihm nicht teilnehmen wird. Das ist unsere Forderung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Christoph Moosbauer.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer wie-
der spannend, wie die Union es schafft, egal um welches
Thema es geht, ihre Redebeiträge immer so hinzudrehen,
dass sie irgendwie ihre Kritik an der angeblich unterfi-
nanzierten Bundeswehr unterbringen kann.
Wenn der Kollege Lamers, dessen Äußerungen über
die Regionen des Nahen und Mittleren Ostens ich ansons-
ten bekanntlich sehr schätze, andeutet, im transatlanti-
schen Verhältnis stimme es deswegen nicht, weil wir nicht
gehört wurden, und zwar deshalb, weil wir nicht ge-
braucht würden, erweckt er den Eindruck, dass die Bun-
deswehr, wenn es 1998 keinen Regierungswechsel gege-
ben hätte, unter Ihrer Regierung mittlerweile über
Flugzeugträger und große Flottenverbände verfügen
würde, die wir den Amerikanern zur Verfügung stellen
würden. Das wage ich aber zu bezweifeln.
Da wir über den Kern der derzeitigen Krise im und um
den Irak sprechen, die ja schon lange andauert, möchte ich
versuchen, einmal das Positive an dieser Situation he-
rauszukehren, nämlich dass der Irak auch durch den in-
ternationalen Druck, der bei der Behandlung dieser Frage
wieder zustande gekommen ist, stärker zu kooperieren
versucht, als es vorher der Fall war. Das lehrt uns zweier-
lei: Ich meine, wir sind gut beraten, wenn wir als Europäer
– das gilt aber auch für die Amerikaner – erkennen, dass
wir in den letzten Jahren in unseren eigentlichen politi-
schen Bemühungen, nämlich zu verhindern, dass vom
Irak noch einmal eine militärische Bedrohung für die Re-
gion, für die eigene Bevölkerung, aber auch über die Re-
gion hinaus ausgeht, etwas nachgelassen haben. Wir soll-
ten das nun zum Anlass nehmen, wieder verstärkt
politische Forderungen zu stellen und auch die VN-Sank-
tionen wirksam werden zu lassen.
Wir wissen natürlich, dass der europäische Ansatz, In-
stabilitäten und Konflikte am besten politisch zu bekämp-
fen, nicht immer funktioniert – vor allem dann nicht,
wenn man es mit einem Menschen wie Saddam Hussein
zu tun hat –, dass wir – das muss aufgrund der Erfahrun-
gen in den vergangenen Jahren auch von europäischer
Seite eingestanden werden – den Druck, der hinter sol-
chen politischen Forderungen steht, nicht aufbauen kön-
nen und dass die Amerikaner dazu offensichtlich besser in
der Lage sind. Diese Analyse ist sicherlich unstrittig.
Gleichwohl meine ich, dass eine gute Politik nicht aus
einer einseitigen militärischen Drohung, aber auch offen-
sichtlich leider nicht nur aus reiner Diplomatie besteht,
sondern aus einer Mischung aus beidem. Deshalb sollten
wir jetzt in erster Linie politisch handeln, um diesem Kon-
flikt zu begegnen, und von europäischer Seite das, was
wir lange bedacht haben, nämlich wie wir ein Sanktions-
regime effektiv gestalten können, umsetzen, sodass wir
auf der einen Seite Saddam Hussein nicht die Möglichkeit
bieten, über die Sanktionen zu legitimieren, dass er sein
eigenes Volk aushungert und unterdrückt, aber auf der an-
deren Seite verhindern, dass vom Irak auch durch ato-
mare, biologische und chemische Waffen wieder eine Be-
drohung für die Region ausgeht. Das gilt gerade in der
gegenwärtigen Situation, in der sich die Lage zuspitzt und
durchaus mit unwägbaren Eskalationsmöglichkeiten und
Übergriffen auf den Kernkonflikt im Nahen Osten zwi-
schen Israel und Palästina zu rechnen ist.
Da es hier offensichtlich in erster Linie nicht so sehr
um den Irak ging, sondern um den Versuch, der Bundes-
regierung zu unterstellen, in antiamerikanische Reflexe
zurückzuverfallen, möchte ich noch eines loswerden: Das
Ganze wird durch den Wahlkampf und den Zwang gezei-
tigt, die eigene Klientel zu bedienen. Ich frage mich, wer
tatsächlich mit solchen Äußerungen Wahlkampf macht:
derjenige, der versucht, eine europäische oder deutsche
Position einzubringen, oder der andere, der reflexartig
den Knüppel des Antiamerikanismus aus der Tasche holt,
um damit vielleicht ebenfalls im Wahlkampf seine eigene
Klientel zu bedienen.
Herr Pflüger, Sie haben gesagt, man dürfe die USA
zwar kritisieren, aber man dürfe sie nicht belehren, schon
gar nicht in unserer Situation. Ich möchte aber abschlie-
ßend anmerken, dass nicht nur die Bundesregierung ver-
sucht, als Lehrer aufzutreten, wenn Sie so wollen, sondern
dass es noch andere gibt, die den Amerikanern etwas ins
Hausaufgabenheft schreiben. Ich zitiere Folgendes:
Die USA müssen begreifen, dass die Europäer Part-
ner sind und keine Vasallen.
Das wurde vor dem Auswärtigen Ausschuss der Pariser
Nationalversammlung von Altkanzler Helmut Kohl ge-
sagt. Herr Pflüger, übernehmen Sie!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Manfred Opel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entschuldigen Sie,Herr Kollege. – Da kein anderer Abgeordneter derCDU/CSU mehr auf der Rednerliste steht, wird HerrHedrich nach dem Bundesaußenminister reden; denn es
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Wolfgang Gehrcke21787
ist nicht üblich, dass ein Mitglied der Bundesregierungder letzte Redner ist.
– Wenn Sie akzeptieren, dass der Bundesaußenministerdas letzte Wort hat, dann kann Herr Hedrich jetzt spre-chen. Normalerweise hat die Opposition das Recht, eineErwiderung zu verlangen.
– In Ordnung. Dann haben wir uns wirklich missverstan-den. Entschuldigung, Herr Kollege.Das Wort hat jetzt der Kollege Hedrich.
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist es
egal, ob ich jetzt oder nach dem Bundesaußenminister
rede.
Ich möchte – das liegt mir besonders am Herzen – die
Gesamtsituation betrachten. Mir bereitet die Destabilisie-
rung der gesamten Nahostregion Sorge. Natürlich bin ich
damit einverstanden, dass wir deutlich machen, wo die
eigentlichen Verantwortlichkeiten liegen. Das ist im Zu-
sammenhang mit dem Irak eindeutig. Es ist auch eindeu-
tig, dass die Koalition gegen den Terrorismus, die weit
über unsere Wertegemeinschaft hinausgeht, absolute Pri-
orität hat. Aber wir sollten uns auch darüber im Klaren
sein, dass wir – so möchte ich das einmal nennen – eine
zweite Phase brauchen. Wir müssen uns nämlich sehr
viel ernsthafter als bisher mit der Situation in den Län-
dern auseinander setzen, die Mitglied der Antiterrorko-
alition sind. Geben diese Partnerländer zum Teil nicht
auch Anlass, über die Gestaltung der westlichen Politik
nachzudenken? Werfen wir ruhig einmal einen Blick auf
unsere Partner im Kampf gegen den Terrorismus: In Us-
bekistan herrscht ein diktatorisches Regime. Auch Ägyp-
ten ist nicht gerade ein klassisches Beispiel für Demo-
kratie.
Es kann durchaus Entwicklungen geben, die wir unter-
stützen sollten. Sollte beispielsweise Syrien einmal eine
Öffnungspolitik betreiben, dann sollten wir die dortige
Mittel- und Oberschicht unterstützen; denn sie ist sehr
stark westlich orientiert und wäre durchaus bereit, das
Land auf einem freiheitlich-demokratischen Weg in die
Staatengemeinschaft des Westens zu führen. Herr Außen-
minister, wenn man sich einige Persönlichkeiten aus der
syrischen Mittel- und Oberschicht genau anschaut, dann
stellt man fest, dass das durchaus eine Perspektive ist.
Worum geht es mir in diesem Zusammenhang? Wir, die
Amerikaner und die Europäer, dürfen über den Kampf ge-
gen Terrorismus und Diktaturen, der absolute Priorität hat,
nicht vergessen, den Ländern, die Mitglied der Antiterror-
koalition sind und die aufgrund ihrer innenpolitischen Ver-
hältnisse nicht unbedingt als freiheitlich-demokratische
Rechtsstaaten bezeichnet werden können, deutlich zu ma-
chen, dass der Nährboden für fundamentalistisch-terroris-
tische Bewegungen und für Unfreiheit nicht beseitigt wer-
den kann, wenn sich ihre Regime nicht stärker als bisher
öffnen; denn gerade die Perspektivlosigkeit bringt viele
Jugendliche, die in Diktaturen leben, dazu, sich Terroristen
als Vorbilder zu suchen. Deshalb darf uns der Kampf ge-
gen Diktatoren und gegen fundamentalistische Terroristen,
der sicherlich auch militärisch geführt werden muss, nicht
den Blick dafür verstellen, dass wir die gesellschaftlichen
Kräfte ermutigen müssen, die für mehr Freiheit und de-
mokratische Rechtsstaatlichkeit eintreten.
Nicht nur die Bundeswehr, auch der Etat der Entwick-
lungshilfeministerin zum Beispiel – ich bitte um Nach-
sicht, aber das ist der nächste Punkt – ist absolut unterfi-
nanziert, womit wir uns möglicherweise schon heute
versündigen, weil wir es unterlassen, eine Perspektive zu
entwickeln.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist es egal.
– Macht doch nichts. Ich lege gerne den Rückwärtsgang
ein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind heute flexi-bel. Dann hat jetzt der Bundesaußenminister JosephFischer das Wort.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss21788
Herr Kollege Opel, ich bitte um Verzeihung. Sie wissenjetzt, wie es mir mit Kabul geht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! SaddamHussein regiert, genauer gesagt: terrorisiert den Irak unddie Region seit 20 Jahren mit diktatorischer Gewalt. Er isteiner der schlimmsten Gewaltherrscher, der sich an derMacht hält. Er unterdrückt mit brutaler Härte gleicher-maßen jede politische Opposition wie ethnische Minder-heiten, Kurden und Schiiten. Ich werde nie die Bilder desEinsatzes von Giftgas gegenüber Dörfern in den kurdi-schen Gebieten im Norden des Iraks vergessen.
Das zeigt die Entschlossenheit und die Brutalität diesesGewaltherrschers. Er hat Massenvernichtungswaffen pro-duziert und gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Erhat sie im irakisch-iranischen Krieg auch gegenüber demIran eingesetzt. Er hat Kuwait überfallen und nicht nurversucht, diesen Nachbarstaat zu annektieren, sondernauch dort schlimme Verbrechen begangen.Aber am schlimmsten unterdrückt er die eigene Bevöl-kerung. Ich kenne zufälligerweise die Daten und Zahlen,auch aus Gesprächen mit meinem früheren Kollegen Ro-bin Cook, der ausgeführt hat, dass die Möglichkeiten, diedas Programm der Vereinten Nationen etwa zum Importvon Medizin, von Technologie für Krankenhäuser, vonLebensmitteln und Ähnlichem bietet, bei weitem nichtausgeschöpft wurden, wohl aber der Import von Spirituo-sen aus Schottland gewaltig zugenommen hat. Es gibt an-dere Beispiele dafür, die zeigen, wie versucht wird, dieSanktionen zu umgehen und sich wieder die Möglichkeitzur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu ver-schaffen.Das alles ist seit längerem bekannt und hat auch dazugeführt, dass es Colin Powell war, dass es gerade die USAwaren, die mit Beginn der Administration Bush darauf ge-setzt haben, eine Erneuerung des Sanktionsprogramms zuleisten, nämlich so genannte Smart Sanctions zu verein-baren.Das ist die Lage, in der wir uns befinden. Dies alles isteingebettet in die Gesamtlage im Nahen Osten und der ge-samten Region sowie die Situation seit dem 11. Septem-ber, seit dem Angriff eines menschenverachtenden Terro-rismus auf die Menschen der Vereinigten Staaten, auf dieRegierung der Vereinigten Staaten, und die Koalition ge-gen den Terror.Damit wir gleich zweifelsfrei einen Punkt klarstellen:Die Bundeswehr wird nur auf der Grundlage der Be-schlussfassung des Parlaments zu Enduring Freedom ein-gesetzt. Was das Mandat – und übrigens auch Einsatzge-biete – betrifft, gibt es hier eindeutige Festlegungen. Fürdas Verfahren gibt es sowohl von der Regierung in Af-ghanistan als auch außerhalb von Afghanistan Zustim-mung. Insofern können Sie fest davon ausgehen, dass alleEinsätze, die die Bundeswehr dazu vornimmt, nur imRahmen dieses Mandats stattfinden. Etwas anderes ist mitder Bundesregierung nicht zu machen. Insofern solltenSie Ihre Wahlkampfpropaganda an diesem Punkt nunwirklich den Realitäten annähern.
– Es geht nicht darum, was wir sehen, sondern um Fakten.Es ist mir wichtig, dieses hier noch einmal zu unterstrei-chen.Es ist etwas völlig anderes, hier über die allgemeine Si-tuation oder über konkrete Planungen zu sprechen. DerBundesregierung sind konkrete Planungen der Regierungder Vereinigten Staaten von Amerika nicht bekannt. An-gesichts des Ernstes des Themas mag es trefflich sein, da-rüber in politischen Diskussionen zu spekulieren, aber dieBundesregierung kann und darf sich – das werden Sie ver-stehen – nicht öffentlich an diesen Spekulationen beteili-gen. Wir sind gerne bereit, über alle Aspekte im Aus-schuss zu sprechen, aber in der öffentlichen Diskussionmüssen wir uns an die Fakten halten. Wir sehen allerdingsmit Sorge, dass sich die Diskussion in eine bestimmteRichtung entwickelt: Es wurde die Münchner Sicher-heitskonferenz genannt. Auch in der State of the UnionAddress hat sich der amerikanische Präsident einer sehrkräftigen Sprache bedient.Ob man die Konsequenzen, die sich aus der Idee einerAchse des Bösen ergeben, in jeder Hinsicht teilt, ob esrichtig ist, in diesem Zusammenhang die Öffnungs-bemühungen der Reformer um Chatami im Iran so dar-zustellen, wie es geschehen ist, ob die Behauptung einerAchse des Bösen der Dynamik der „sunshine policy“, alsoder Sonnenscheinpolitik, von Präsident Kim Dae-jung inSüdkorea, mit der zweifelsohne Schritte in die richtigeRichtung gemacht wurden – das ist natürlich noch nichtder Durchbruch –, nutzt, sind Fragen, die nicht nur hier inDeutschland gestellt wurden, sondern mittlerweile auchim Licht des Besuchs des amerikanischen Präsidenten inFernost in Washington neu gestellt werden dürften. Inso-fern halte ich es für einen ganz wichtigen Punkt, dass wiruns hier nicht in Spekulationen ergehen, aber sehr wohlunsere Sorgen zum Ausdruck bringen.Es geht mir hier nicht darum, Saddam Hussein inSchutz zu nehmen – mitnichten. Ich bin vielmehr der Mei-nung, dass es nur einen Schritt gibt, um eine entspre-chende Eskalation zu verhindern, nämlich dass SaddamHussein – dazu ist er politisch und völkerrechtlich ver-pflichtet, wenn er es ernst meint – das Sanktionsregimeder Vereinten Nationen, wie es in zwei Sicherheitsratsre-solutionen formuliert wurde, uneingeschränkt akzeptiert,das heißt, die uneingeschränkte Tätigkeit von Inspektorender Vereinten Nationen im Irak zulässt, damit festgestelltwerden kann, ob er über Massenvernichtungsmittel ver-fügt und ob er sie gegebenenfalls produzieren kann. Wennja, müssen diese Mittel entsprechend den Resolutionendes Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vernichtetwerden, damit der Irak nicht mehr über diese Möglich-keiten verfügt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21789
Für jemanden, der weiterdenkt, stellt sich die ent-scheidende Frage, wie es denn in der Gesamtregion wei-tergeht. Da muss ich ehrlich sagen – das tut mir Leid, HerrPflüger –, dass die Diskussion mit einer größeren Gruppevon Kongressabgeordneten, wozu ich heute die Gelegen-heit hatte, richtig erfrischend im Verhältnis zu dem war,was Sie hier vorgetragen haben.
Ihre Haltung beschreibt man im katholischen Raum mit„päpstlicher als der Papst“. Ich meine damit eine unterDemokratien nicht angemessene Form von Ergebenheits-adressen, wie Sie sie hier abgegeben haben. Sie sagen,dass Helmut Kohl mich in Paris zu Recht kritisiert habe,dass ich darauf hingewiesen habe, dass DemokratienBündnispartner und keine Satelliten seien. Gleich an-schließend hat er gesagt, dass wir auch keine Vasallenseien. Können Sie mir den Unterschied zwischen unserenbeiden Auffassungen sagen? In der Sache, abgesehen vonden Personen Helmut Kohl und Joschka Fischer, werdenMenschen, die des Deutschen mächtig sind, darin keinenUnterschied sehen.Hinter Ihnen sitzt der Kollege Lamers, dem Sie sich ge-rade zuwenden und dessen stechender Blick auf Ihnenruht. Der hat in einem Interview mit der „FrankfurterRundschau“ die Dinge eher noch zugespitzter formuliert.Sie können darauf antworten, dass der Kollege Lamerszwar ein sehr kluger Kopf sei – dem stimme ich zu –, abernicht die Bundesregierung vertrete.
– Ich kann dem nur hinzufügen, dass es auch gut ist, dassSie nicht die Bundesregierung vertreten, sonst würden Sievom Kollegen Pflüger ähnlich kritisiert, wie ich es wurde.
Wenden wir uns der FDP zu. Wenn ich den KollegenWesterwelle, der zum Widerstand aufgerufen hat, in die-ser Frage als Maßstab nehme, dann stellt sich für mich dieFrage, wer hier eigentlich Wahlkampf mit dieser Debattebetreibt.
Uns erfüllt die ganze Entwicklung mit großer Sorge.Wir befinden uns in einer Debatte mit unseren europä-ischen Partnern. Beim informellen Treffen der europä-ischen Außenminister in Cáceres haben alle dieselbenSorgen geäußert. Wenn Sie die Veröffentlichungen in dernationalen Presse verfolgen, können Sie das feststellen.Ich habe den Eindruck, dass die etwas kräftige transatlan-tische Debatte, die sicherlich nicht in dieser Tonlage fort-geführt werden sollte, unter den Gesichtspunkten des„Jetzt müssen wir miteinander reden“ und des „Jetzthören wir einander zu“ – diesen Eindruck konnte ich zu-mindest in meiner heutigen Diskussion mit amerikani-schen Kongressabgeordneten gewinnen – eher gut getanhat, als dass sie zu negativen Entwicklungen geführt hat.Noch immer ist klar: Wir diskutieren unter Partnern, ja un-ter Freunden.Wir müssen begreifen, dass die USA eine andere Sichtder Dinge haben als wir Europäer. Umgekehrt müssen dieUSA verstehen, dass sich unsere Sichtweise in manchenPunkten von ihrer unterscheidet. Wir stehen vor einerkomplizierten und wichtigen Diskussion, die wir in dieGesamtlage einordnen müssen.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Der große Er-folg der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert war letzt-endlich der militärische Sieg über den Nationalsozialis-mus. Leider hat nicht Deutschland selbst Hitler und seineSchergen gerichtet; leider war das Attentat vom20. Juli 1944 nicht erfolgreich. Ich füge hinzu: Leider warauch der Widerstand von Sozialdemokraten und Kommu-nisten nicht erfolgreich. Leider haben auch mutige Ein-zelne keinen Erfolg gehabt.Die USA, die anderen Alliierten und die Rote Armee ha-ben die Nazis niedergekämpft. Das führte zur Teilung Euro-pas und zum Kalten Krieg. Dass Westeuropa frei gebliebenist, verdanken wir den USA. Dass Westdeutschland eine de-mokratische Perspektive hatte, verdanken wir ebenso wiedie Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit den USA.Der große Erfolg bestand eben nicht darin, allein aufmilitärische Stärke zu setzen, sondern im „nation buil-ding“ – so nennt man es heute –, das aus der Systemaus-einandersetzung mit dem Sowjetkommunismus hervor-ging. Nichts anderes als „nation building“ war der Aufbauder Bundesrepublik Deutschland und anderer europä-ischer Demokratien. Sie gründen auf Marktwirtschaft,Sozialstaat und Demokratie. – Das war der große Erfolg.Was das Nachdenken über allfällige Perspektiven an-geht: Wir werden auch in Bezug auf Afghanistan feststel-len, dass es darum geht, langfristig so etwas wie „nationbuilding“, Nationenbildung, zu betreiben. Selbstverständ-lich wird das auch für den Nahen und Mittleren Osten gel-ten. Alles andere hätte sehr gefährliche Konsequenzen.Wenn ich in diese Richtung weiterdächte, dann geriete ichins Spekulieren und das will ich nicht tun.Im transatlantischen Verhältnis führen wir eine not-wendige und wichtige Debatte. Die Bundesregierung hateine klare Position: Wir wollen, dass die VN-Resolutio-nen ohne Wenn und Aber unverzüglich umgesetzt werden.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor der Kollege
Manfred Opel das Wort hat, hat der Kollege Friedbert
Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen desKollegen Fischer möchte ich drei Bemerkungen machen.Zunächst einmal möchte ich Folgendes sagen: Er hatdarauf hingewiesen – ich begrüße das –, dass wir alle mit-einander die Forderung erheben, dass die UN-Inspektorenwieder ins Land kommen. Wir wissen, dass die Arbeit anMassenvernichtungswaffen verstärkt vorgenommen wird,seit die UN-Inspektoren nicht mehr im Land sind. Wir
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Bundesminister Joseph Fischer21790
wissen, dass sich Saddam Hussein bemüht, die Teile, dieihm weggenommen worden sind, neu zu erwerben. Des-halb ist es absolut notwendig – –
– Ich habe die entsprechenden Berichte gelesen. HerrHanning, der BND-Chef, hat in der letzten Ausgabe des„Spiegel“ noch einmal sehr deutlich gesagt: Im Irak istman dabei, sich die Teile, die verloren gegangen sind, ver-deckt wieder zu beschaffen. Ich finde, das sollte bei unsbesondere Aufmerksamkeit hervorrufen.Herr Kollege Fischer, es ist richtig, die Forderung zuerheben: Die UN-Inspektoren müssen ins Land. Aberwarum sollte Saddam Hussein dieser Forderung nachge-ben, wenn von ihm jeder militärische Druck genommenwird? Wegen der freundlichen Appelle der Außenminis-ter? – Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wenn man eswirklich damit ernst meint, dass dieses Regime die Men-schen nicht weiter terrorisieren darf – das sagen auch Siezu Recht –, dann kann man ihm doch nicht von vornhereinsozusagen einen Freifahrtschein geben und sagen: Ganzegal, was du tust, militärisch werden wir dir nichts tun. –Das war mein erster Punkt. Mein zweiter Punkt: Sie habeneben etwas zu unseren Soldaten in Kuwait gesagt. Die sinddort mit ABC-Spürpanzern, die den Namen „Fuchs“ tra-gen. Nach meinem Kenntnisstand und nach dem der Kol-legen, die ich gefragt habe, die auch an den Sitzungen desVerteidigungsausschusses teilgenommen haben, könntesich die einzig denkbare Aufgabe für diese Soldaten imFalle einer Eskalation des Konfliktes unter Beteiligung desIraks ergeben. Nur dann haben sie eine Funktion. Was siesonst in Kuwait machen, weiß kein Mensch.Sie stellen sich als Außenminister der BundesrepublikDeutschland hin und sagen: Ich habe große Sorgen – dashaben Sie eben noch einmal gesagt – vor einem militäri-schen Alleingang der USA und vor einer Eskalation unddavor warne ich die Amerikaner. – Wenn Sie diese Sorgehaben, dann haben wir in der CDU/CSU und wir alle imParlament das Recht, endlich klare Auskunft über denAuftrag dieser Soldaten der Bundesrepublik Deutschlandin Kuwait zu bekommen. Dann haben wir auch das Rechtzu erfahren, unter welchem Kommando sie dort eigentlichihren Dienst tun.
Diese Aussagen haben wir bisher von Ihnen nicht gehört.Ich nehme an, die eigentliche Funktion dieser Soldaten in-teressiert gerade auch die Kollegen Ihrer Partei, die Kol-legen von den Grünen. Geben Sie nicht große Interviewsund machen Sie nicht große Muskelspiele, sondern klärenSie diese Fragen und informieren Sie uns vernünftig. Ichsage gar nicht, dass ich dagegen bin, dass die Soldaten inKuwait sind; ich als Parlamentarier in diesem Landmöchte es nur gerne klar wissen. Ich finde, dass wir allemiteinander das Recht haben, zu erfahren, was unsereSoldaten dort eigentlich sollen.Zum Schluss noch eine dritte Bemerkung: HerrFischer, Sie haben eben gesagt: Wir dürfen nicht allein aufdas Militärische setzen. – In Ihrem Interview in der„Welt“ in der letzten Woche haben Sie gesagt, Amerikawürde jetzt ausschließlich auf die militärische Option set-zen und das würde die Verzweiflung der Menschen nichtbeseitigen. Wenn Sie sich anschauen, welche Gelder aufder Welt für humanitäre Dinge ausgegeben werden, wer-den Sie feststellen: Die meisten Gelder sind immer nochamerikanische Gelder, die zwar nicht von der Regierung,aber von den Menschen in Amerika, oft durch amerikani-sche Stiftungen oder durch amerikanische Regierungs-programme angeregt, kommen. Die Menschen in Ame-rika haben nicht die Einstellung, dass sie alle Konflikteauf der Welt mit Militär lösen wollen; die Amerikaner sindim Gegenteil ein sehr großherziges Volk. Das haben wirauch hier in Deutschland erlebt. Die Unterstellung, Ame-rika würde nur noch in Rüstungskategorien denken, emp-finde ich angesichts der gesamten Geschichte der Verei-nigten Staaten in Europa wirklich als einen Fehlgriff.
Bei allem, was Sie auch sonst so leichtfertig von sich ge-ben, sollten Sie sich überlegen, ob Sie hier auf dem rich-tigen Weg sind. Mit der einen oder anderen Ihrer Bemer-kungen sind Sie uns entgegengekommen.Ich bin dem Kollegen Lamers sehr dankbar dafür, dasser klipp und klar gesagt hat: Natürlich haben wir das Rechtauf Kritik. – Wir sollten sie in einer Art und Weise üben,dass wir in Amerika verstanden werden, und nicht so, dassdort die Schotten herunterklappen. Die Art und Weise, wieSie in den letzten Wochen die Kritik vorgetragen haben, istleider nicht dazu angetan, die Amerikaner darin zu bestär-ken, mit uns den Dialog zu suchen, sondern sie führt imGegenteil dazu, dass sie sich stärker unilateralistisch ver-halten. Deshalb war Ihre Kritik nach meinem Dafürhaltenkontraproduktiv, auch Ihren eigenen Zielen gegenüber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist nun endgültig der Kollege Manfred
Opel.
Frau Präsidentin! Sehr verehrteKolleginnen und Kollegen! Die Fragen, die mit dem Irakzusammenhängen, sind Strukturfragen der Politik. Es sindFragen, die uns zum Nachdenken veranlassen, welcheKriterien wir in Bezug auf eine präventive Friedenspoli-tik aufstellen. Es sind Fragen, die mit aktiver Stabili-tätspolitik zu tun haben. Die Fragen machen Antwortendarauf erforderlich, wie wir die Reduzierung aller Risikenfür den Weltfrieden organisieren wollen.Eines muss klar sein – Herr Pflüger, Sie haben dasgerade am Rande noch angedeutet –: Militär schafft kei-nen Frieden. Militär hilft bei der Friedensschaffung, aberMilitär selbst schafft keinen Frieden. Sie fragen, warumSaddam Hussein, der Diktator, wie er an diesem Pult be-schrieben wurde, Einsicht walten und neutrale Inspektorender Vereinten Nationen ins Land lassen sollte. Wenn man
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Dr. Friedbert Pflüger21791
das anstrebt, bedeutet das nicht, dass man ihm mit der Zer-störung des Landes bei Gefahr für Leib und Leben unschul-diger Menschen droht. Es bedeutet, dass er keine politischeZukunft hat. Wir müssen vorher alle politischen Möglich-keiten ausschöpfen. Herr Kollege Pflüger, deswegen ist esfalsch, wenn wir von vornherein mit dem stärksten Mittel,das wir haben, nämlich dem Militär, drohen. Wir wissen unsdabei übrigens mit den Vereinten Nationen und letztlichauch mit den Vereinigten Staaten von Amerika einig.Der Kollege Hoyer hat hier einige sehr interessanteAusführungen gemacht. Herr Kollege, es wäre aber sicherunerträglich, wenn wir erlauben würden, dass SaddamHussein die Qualität unserer Beziehungen zu Amerika, seies direkt oder indirekt, bestimmt. Genau deswegen müs-sen wir in der Diskussion, in die wir uns hineinbegeben,sehr vorsichtig sein. Dabei ist es egal, wie die äußerenVerhältnisse sind; als Stichwort nenne ich den Wahl-kampf. Herr Gehrcke, daher glaube ich, dass jede Fraktiondes Deutschen Bundestages gut beraten ist, sich nicht– vielleicht unwillentlich, faktisch dann aber doch – zumHandlanger von Saddam Hussein zu machen.
Herr Kollege Pflüger, ich glaube, dass Sie in der Dis-kussion mit dem Außenminister gemerkt haben, dass IhreKritik einseitig war. Sie haben ja erstaunlicherweise keineKritik an den Worten des Außenministers, sondern nur ander Art, wie es vorgetragen wurde, geübt. Das ist hochin-teressant. Die Menschen in unserem Lande müssen aberbei den Grundfragen unserer Politik genau erkennen kön-nen und auch wissen, was unsere Regierung denkt undwas sie tut. Deshalb ist es gerade in den Grundfragen er-forderlich, dass die Vertreter der Bundesregierung klarsprechen. Die Geheimdiplomatie, die Sie einklagen, hathier eine deutliche Grenze.
Man darf nicht annehmen, dass die Amerikaner soempfindlich wie zerbrechliche Porzellanpüppchen seien.Das sind sie nicht.
Die Amerikaner wissen sehr wohl, dass ihre eigene Sicher-heit völlig inhaltsleer ist, wenn sie hier in Europa kein star-kes Standbein besitzen und es bewahren. Dass die Ameri-kaner in und mit Europa sind, liegt in ihrem ureigenstenInteresse. Deswegen ist es völlig falsch, anzunehmen, dassdie Amerikaner von Europa lassen würden. Richtig ist: Wirbrauchen die Amerikaner für unsere Sicherheit. Es stimmtaber auch, dass die Amerikaner uns für ihre brauchen.Verehrter Herr Kollege Gehrcke, ich wollte eigentlichnicht darauf eingehen, dass Sie den Kollegen Robbe einenkalten Krieger genannt haben. Damit haben Sie offenbart,welchen Denkkategorien Sie noch verhaftet sind. HerrGehrcke, das gehört in die Zeit von vor Gorbatschow. Da-gegen sollten Sie etwas tun.
Das ABC-Analysepotenzial, welches wir mit demFuchs im Golf haben, dient nur der Prävention. Dass sieüben, bedeutet überhaupt nichts anderes, als dass versuchtwerden muss, einsatzbereit zu sein. Anders, als Sie es dar-gestellt haben, entspricht das den Entscheidungen desDeutschen Bundestages.
– Herr Gehrcke, natürlich ist das so. Das können Sie nichtabstreiten. Den Beschluss haben wir gefasst und Sie ha-ben ihm widersprochen. Vielleicht ist Ihnen das entfallen.Zusammenfassend muss man feststellen, dass die Bun-desregierung in voller Übereinstimmung mit den Verein-ten Nationen, der Europäischen Union und auch den USAweiterhin darauf drängen wird, dass der Irak die Ver-pflichtungen, die ihm die Vereinten Nationen bzw. derWeltsicherheitsrat auferlegt haben, erfüllt. Niemand kannhinnehmen, dass ein Staat oder eine Gruppe von Staatenden Weltfrieden gefährdet. Das gilt auch für den Irak.Ich hätte mich gefreut, wenn die PDS hier klargestellthätte, dass auch sie in diesen Kategorien denkt. Ich haltees für verfehlt, dass man den amerikanischen Präsidentenin dieser Fragestellung unqualifiziert angreift. Der Präsi-dent hat die Drohungen, die ihm von Ihnen unterstelltwerden, nie ausgesprochen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 27. Februar 2002, 13 Uhr, ein.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei all den Kolleginnen
und Kollegen, die bis zum Schluss in dieser Intensität und
Disziplin ausgeharrt haben, ebenso bei unseren Zu-
schauerinnen und Zuschauern auf der Besuchertribüne.
Ein gutes Wochenende für Sie alle!
Die Sitzung ist geschlossen.