Protokoll:
14219

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 219

  • date_rangeDatum: 22. Februar 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:50 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarz- arbeit (Drucksachen 14/8221, 14/8288) . . . . . . . 21707 A Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMA . . . . . 21707 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 21709 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21710 D Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 21711 C Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21713 B Anette Kramme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21714 B Franz Romer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21715 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21717 A Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . 21717 C Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21718 C Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Riegert, Ilse Aigner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Verei- nen und Organisationen (Drucksachen 14/5224, 14/6218) . . . . 21720 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gemeinnüt- zige Vereine von hohen Energiekos- ten entlasten (Drucksachen 14/4386, 14/5196) . . . . 21720 D Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21720 D Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 21722 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21724 C Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21726 B Gustav-Adolf Schur PDS . . . . . . . . . . . . . . . 21727 D Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21728 D Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21729 D Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21731 D Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21733 B Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21733 C Lothar Binding (Heidelberg) SPD . . . . . . . . . 21733 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Vereinbarte Debatte zur Einsetzung des EU-Verfassungskonvents . . . . . . . . . . . . 21735 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . 21735 C Peter Altmaier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21737 C Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21739 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 21740 B Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21741 C Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21742 B Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 21743 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 21744 C Plenarprotokoll 14/219 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 219. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 14: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungs- güter im Jahr 2000 (Rüstungsexport- bericht 2000) (Drucksache 14/7657) . . . . . . . . . . . . . . . 21745 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 21746 A Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . 21747 A Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21747 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21749 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21750 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21752 A Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21753 A Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21753 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . 21754 C Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21755 A Tagesordnungspunkt 15: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechts- anpassungsgesetzes (Drucksachen 14/6884, 14/7169, 14/8299) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21756 D – Zweite und dritte Beratung des von denAbgeordnetenDr.EvelynKenzler, Roland Claus, weiterenAbgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrach- tenEntwurfs eines ... Gesetzes zurÄn- derung des Schuldrechtsanpas- sungsgesetzes (SchuldRAnpÄndG) (Drucksachen 14/65, 14/8299) . . . . 21756 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Änderung der Nutzungsentgeltverordnung (NutzEV) (Drucksachen 14/6918, 14/63, 14/8299) 21757 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 21757 B Andrea Voßhoff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 21758 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21759 D Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21760 C Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 21761 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 21762 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 21764 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21766 D Tagesordnungspunkt 16: Große Anfrage der Abgeordneten Steffen Kampeter, Dr. Norbert Lammert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Bestandsaufnahme und Perspekti- ven derRock- und Popmusik in Deutsch- land (Drucksachen 14/4290, 14/6993) . . . . . . . 21764 C Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21764 C Dr. Julian Nida-Rümelin, BK . . . . . . . . . . . . . 21769 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . 21770 A Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21770 C Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21772 A Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21772 B Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21772 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21774 A Michael Roth (Heringen) SPD . . . . . . . . . . . 21775 A Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Dr. Peter Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und For- schung – durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken (Drucksache 14/7627) . . . . . . . . . . . . . . . 21776 C Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Für eine Verlängerung der Rückwirkungsfrist für die Berufskrankheit Nummer 4111 (Drucksache 14/6969) . . . . . . . . . . . . . . . 21776 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002II Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Ilja Seifert, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Soziale Arbeit stärken – Alternativen zum Zivildienst entwickeln (Drucksachen 14/3563, 14/7996) . . . . . . . 21777 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21777 B Zusatztagesordnungspunkt 8: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu aktuellen Drohungen des Präsidenten der USA gegen den Irak 21778 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21778 C Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21779 B Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21780 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21781 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 21782 A Reinhold Robbe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21783 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 21784 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21785 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 21786 A Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . 21787 A Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 21788 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . 21789 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 21790 D Manfred Opel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21791 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21792 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21792 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 21793 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken (Tagesordnungspunkt 17) 21794 B Brigitte Wimmer (Karlsruhe) SPD . . . . . . . . 21794 B Kerstin Griese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21795 D Bärbel Sothmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 21796 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21798 B Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21799 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21799 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine Verlängerung der Rück- wirkungsfrist für die Berufskrankheit Nummer 4111 (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . 21800 C Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . 21800 C Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 21801 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21802 A Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . 21802 C Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21803 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: So- ziale Arbeit stärken – Alternativen zum Zivil- dienst entwickeln (Tagesordnungspunkt 19) 21803 C Dieter Dzewas SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21803 C Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21804 C Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . 21805 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21806 A Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21806 C Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21807 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 Manfred Opel 21792 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 218. Sitzung, Seite 21578 (D), 4. Absatz, der 2. Satz ist wie folgt zu lesen: „Sie müssen berücksichtigen, dass der weit überwiegende Teil der Kapitalgesellschaften in vielen kleinen GmbHs organisiert ist.“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21793 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 22.02.2002 Altmaier, Peter CDU/CSU 22.02.2002 Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 22.02.2002 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 22.02.2002* Bierwirth, Petra SPD 22.02.2002 Bodewig, Kurt SPD 22.02.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 22.02.2002 Braun (Augsburg), FDP 22.02.2002 Hildebrecht Brudlewsky, Monika CDU/CSU 22.02.2002 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 22.02.2002* Francke, Klaus CDU/CSU 22.02.2002 Dr. Friedrich (Erlangen), CDU/CSU 22.02.2002 Gerhard Friedrich (Bayreuth), FDP 22.02.2002 Horst Friedrich (Altenburg), SPD 22.02.2002 Peter Glos, Michael CDU/CSU 22.02.2002 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 22.02.2002 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 22.02.2002 Goldmann, FDP 22.02.2002 Hans-Michael Grießhaber, Rita BÜNDNIS 90/ 22.02.2002 DIE GRÜNEN Gröhe, Hermann CDU/CSU 22.02.2002 Günther (Duisburg), CDU/CSU 22.02.2002 Horst Hartnagel, Anke SPD 22.02.2002 Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 22.02.2002 DIE GRÜNEN Höfer, Gerd SPD 22.02.2002* Holetschek, Klaus CDU/CSU 22.02.2002 Imhof, Barbara SPD 22.02.2002 Irmer, Ulrich FDP 22.02.2002 Jäger, Renate SPD 22.02.2002 Jünger, Sabine PDS 22.02.2002 Jung (Düsseldorf), SPD 22.02.2002 Volker Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 22.02.2002 Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 22.02.2002 DIE GRÜNEN Kolbow, Walter SPD 22.02.2002 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 22.02.2002 Kossendey, Thomas CDU/CSU 22.02.2002* Kraus, Rudolf CDU/CSU 22.02.2002 Küchler, Ernst SPD 22.02.2002 Kühn-Mengel, Helga SPD 22.02.2002 Dr. Lamers, (Heidelberg) CDU/CSU 22.02.2002 Karl A. Leidinger, Robert SPD 22.02.2002 Link (Diepholz), CDU/CSU 22.02.2002 Walter Matschie, Christoph SPD 22.02.2002 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ 22.02.2002 DIE GRÜNEN Michels, Meinolf CDU/CSU 22.02.2002 Müller (Düsseldorf), SPD 22.02.2002 Michael Nolte, Claudia CDU/CSU 22.02.2002 Ostrowski, Christine PDS 22.02.2002 Philipp, Beatrix CDU/CSU 22.02.2002 Raidel, Hans CDU/CSU 22.02.2002* Rauber, Helmut CDU/CSU 22.02.2002* Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 22.02.2002 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 22.02.2002 Hannelore Roos, Gudrun SPD 22.02.2002 Roth (Speyer), Birgit SPD 22.02.2002 Rühe, Volker CDU/CSU 22.02.2002 Scharping, Rudolf SPD 22.02.2002 Schemken, Heinz CDU/CSU 22.02.2002 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 22.02.2002 DIE GRÜNEN entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Schlee, Dietmar CDU/CSU 22.02.2002 Schloten, Dieter SPD 22.02.2002* Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 22.02.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 22.02.2002 Hans Peter Schösser, Fritz SPD 22.02.2002 Dr. Schubert, Mathias SPD 22.02.2002 Schütze (Berlin), CDU/CSU 22.02.2002 Diethard Schultz (Köln), SPD 22.02.2002 Volkmar Seehofer, Horst CDU/CSU 22.02.2002 Singhammer, Johannes CDU/CSU 22.02.2002 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 22.02.2002 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 22.02.2002 Strebl, Matthäus CDU/CSU 22.02.2002 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 22.02.2002* Tappe, Joachim SPD 22.02.2002 Dr. Thomae, Dieter FDP 22.02.2002 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 22.02.2002 Volquartz, Angelika CDU/CSU 22.02.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 22.02.2002 Weisskirchen SPD 22.02.2002* (Wiesloch), Gert Wimmer (Neuss), CDU/CSU 22.02.2002* Willy Wissmann, Matthias CDU/CSU 22.02.2002 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 22.02.2002 Wolf, Aribert CDU/CSU 22.02.2002 Zapf, Uta SPD 22.02.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken (Tagesordnungspunkt 17) Brigitte Wimmer (Karlsruhe) (SPD): Lassen Sie mich zu Beginn die Nobelpreisträgerin Christine Nüsslein- Volhard zitieren: „Nichts ist so entscheidend für den An- stieg des Frauenanteils wie dieser selbst“, sagt sie und legt damit den Finger in die Wunde des Mangels an Frauen in Führungspositionen: Es fehlt an weiblichen Vorbildern auf dem oftmals dornenreichen Weg nach oben. Es gibt sie zwar, die erfolgreichen Frauen an der Spitze, auch in für Frauen eher untypischen Bereichen, aber eben viel zu wenige. Das heißt: Wir haben eine breite Basis hoch quali- fizierter Frauen, aber an der Spitze sind Wissenschaft und Forschung nach wie vor fest in männlicher Hand. Erst im Jahr 2000 wurde in Deutschland die erste Frau auf eine C-4-Professur für Gynäkologie berufen, im Jahr 2001 er- hielt die erste Frau einen C-4-Lehrstuhl, für Chirurgie. Wir stellen uns immer wieder die Frage: Warum kön- nen Frauen ihre Qualifikation nicht in entsprechende Karrieren umsetzen? Eine Antwort darauf ist sicher: So- lange Frauen in wissenschaftlichen Spitzenpositionen nur eine kleine Minderheit sind, bleiben auch die Auswahl- und Entscheidungsgremien fest in männlicher Hand – und Männer fördern bevorzugt Männer. Das gilt übrigens nicht nur für die genannten medizinischen und die natur- wissenschaftlich-technischen Fachbereiche, sondern auch für die Sprach- und Kulturwissenschaften, wo Frauen mit über 70 Prozent der Studierenden die Mehrheit, an der Spitze aber eine verschwindende Minderheit sind. Frauen sind in Entscheidungs- und Führungsposi- tionen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen und in wichtigen Zukunftsfeldern, wie technikorientierten Be- rufen und Studiengängen, dramatisch unterrepräsentiert. Das bestehende hohe Qualifikationspotenzial von Frauen auf den verschiedenen Ebenen des beruflichen und des wissenschaftlichen Qualifizierungsprozesses wird nicht ausgeschöpft. Zukunftsorientierte Politik muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Frauen in Wissenschaft und For- schung in allen Bereichen und auf allen Ebenen, vor allem in Führungspositionen, gleichberechtigt vertreten sind. Es kann politisch nicht länger verantwortet werden, dass Leistungen von hervorragend und teuer ausgebildeten Frauen in den Hochschulen und in der Forschung nicht durch entsprechende Führungspositionen sichtbar werden. Um solche nachhaltigen Veränderungen zu bewirken, haben die Bundesregierung und unsere Ministerin Bulmahn einen neuen Aufbruch in der Gleichstellungs- politik eingeleitet und die Gleichstellung von Frauen und Männern wieder zu einem großen gesellschaftlichen Re- formprojekt gemacht. Die in Artikel 3 Abs. 2 GG veran- kerte formale Gleichberechtigung von Frauen und die seit Jahren geführte Debatte um Inhalt und Methoden ihrer Durchsetzung hat mit dem 1997 im Amsterdamer Vertrag, 1999 in den beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU und dem von der Bundesregierung im Juni 1999 be- schlossenen neuen Ansatz des Gender Mainstreaming eine neue Qualität erreicht (Programm „Frau und Beruf“, Juni 1999). Entsprechend gilt es auch in der Bildungs- und Forschungspolitik, Chancengleichheit als durchgän- giges Leitprinzip in allen Programmen und Maßnahmen in Bildung und Forschung zu etablieren und als einen Beitrag zur Qualitäts- und Leistungssteigerung zu begrei- fen. Hier ist ein Umdenken bei allen Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, in Wissenschaft und Forschung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221794 (C) (D) (A) (B) erforderlich, da sonst die Chancen der heute jungen Frauen lebenslang hinter den Berufs- und Zukunftschan- cen der männlichen Kollegen zurückbleiben werden. Seit vielen Jahren erreichen Frauen in der Bundes- republik Deutschland höhere Bildungsabschlüsse als Männer. Mehr erwerbstätige Frauen als Männer verfügen über den Abschluss einer Berufsausbildung oder Berufs- fachschule. Es liegt im Interesse der Wirtschaft und der Gesellschaft, die vorhandenen Kompetenzen von Frauen stärker zu nutzen und ausbildungsadäquat einzusetzen. Die Verbesserung der Chancen von Frauen ist in diesem Zusammenhang als eine sofort einsatzbereite Ressource für Forschung und Lehre anzusehen. Dies ist ein Beitrag zur Qualitätssicherung, Leistungssteigerung und Stär- kung der Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wir begrüßen ausdrücklich Initiativen und Maß- nahmen die eingeleitet wurden, vor allem unterstützen wir unter anderem, dass die Bundesregierung die Gleich- stellung von Frauen und Männern wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt und einem Schwerpunkt ihrer Politik gemacht hat, dass mit dem Kabinettsbeschluss vom 20. Juni 1999 durch das Pro- gramm „Frau und Beruf“ Gender Mainstreaming als durchgängiges Leitprinzip für alle Maßnahmen und Pro- gramme der Bundesregierung verbindlich festgelegt wurde, dass die Bundesregierung mit dem Kabinetts- beschluss vom 26. Juli 2000 der Gleichstellung von Frauen und Männern (Gender Mainstreaming) in der Ge- meinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien zentrale Bedeutung zuerkennt, die Verabschiedung des Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes, das die außeruni- versitären Forschungseinrichtungen einbezieht, die die Grundzüge dieses Gesetzes für den öffentlichen Dienst des Bundes gemäß den vertraglichen Vereinbarungen an- zuwenden haben, und dass in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen für Kinderbetreuungsangebote Haushaltsmittel eingesetzt werden können, dass im Bun- deshaushalt im Einzelplan 30 des BMBF seit 1999 Chan- cengleichheit als durchgängiges Leitprinzip (Gender Mainstreaming) verankert ist und ein eigener Haushalts- titel „Strategien zur Durchsetzung von Chancengleichheit für Frauen in Bildung und Forschung“ neu eingerichtet worden ist und dass das BMBF ein eigenes Referat „Frauen in Bildung und Forschung“, angesiedelt in der Strategieabteilung des Hauses, etabliert hat, dass Bund und Länder eine 40-prozentige Beteiligung von Frauen bei den personenbezogenen Maßnahmen des gesamten Hochschul-Wissenschafts-Programms vereinbart haben, den Bericht der BLK „Frauen in der Wissenschaft – Ent- wicklung und Perspektiven auf dem Weg zur Chancen- gleichheit“ vom 30. Oktober 2000 als richtungweisendes Positionspapier mit konkreten Zielmarken für die Durch- setzung der Chancengleichheit von Frauen in Wissen- schaft und Forschung. Die Chancen für Frauen, an die Spitze zu gelangen, sind günstig, da der Generationswechsel an unseren Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich- tungen ansteht. Diesen Generationswechsel müssen wir nutzen, um den Anteil von Frauen in wissenschaftlichen Spitzenpositionen deutlich zu erhöhen. Mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes wurde bereits ein Durchbruch erzielt: Die Verwirklichung der Gleichstellung von Männern und Frauen gehört heute explizit zu den Aufgaben der Hochschulen. Fortschritte bei der Gleichstellung sind ein wichtiges Kriterium bei der Qualitäts- und Leistungsbewertung der Hochschulen und damit bei der Mittelzuweisung. Was die außeruniversitären Forschungseinrichtungen betrifft, so erwarte ich von dem im Dezember letzten Jah- res verabschiedeten Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz, das auch für die Forschungseinrichtungen gilt, große Fort- schritte bei der Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen, Das Programm „Anstoß zum Aufstieg“ ergänzt das neue Hochschul-Wissenschaftsprogramm (HWP) „Chan- cengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“, das am 1. Januar 2001 angelaufen ist und in dem Bund und Län- der jährlich 30,7 Millionen Euro vor allem für die Förde- rung von Frauen auf dem Weg zu einer Professur zur Verfügung stellen. Auch hier erwarte ich sichtbare Fort- schritte, was die Steigerung des Anteils von Frauen an den Professuren betrifft. Wir haben uns das Ziel gesetzt, den Anteil von Profes- sorinnen bis zum Jahr 2005 auf 20 Prozent zu erhöhen, was fast eine Verdoppelung gegenüber dem Jahre 2000 bedeutet. Wir wissen, dass dies ein sehr anspruchsvolles Ziel ist, und werden alles zu dessen Umsetzung unterneh- men, damit wir hier auch international den dringend er- forderlichen Anschluss erreichen. Wir wollen mehr Frauen an die Spitze von Wissen- schaft und Forschung. Damit uns das gelingt, brauchen wir gemeinsame Anstrengungen von allen, die zum Errei- chen dieses Zieles beitragen können. Kerstin Griese (SPD): Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – das ist ein vordringliches Ziel dieser Bundesregierung und das begrüßen wir sehr. Lassen Sie mich mit einer persönlichen Erfahrung be- ginnen, die ganz offensichtlich zeigt, wie wichtig die Stär- kung von Frauen in Wissenschaft und Forschung ist: In meinem Studium der Geschichte und Politikwissenschaft ist mir nicht eine einzige Professorin an meiner Hoch- schule begegnet. Glücklicherweise gab es auch mal den einen oder anderen Gastvortrag einer Professorin, aber das löst das Problem nicht. Gerade für Studentinnen, für angehende und junge Wissenschaftlerinnen ist es wichtig, Professorinnen zu erleben, als ein Beispiel für Frauen an der Spitze in Wissenschaft und Forschung. Wir wissen, wie wichtig solche Vorbilder sind, um junge Frauen zu motivieren, selber eine wissenschaftliche Karriere einzu- schlagen. Ganz abgesehen davon haben Frauen in der Wissenschaft in den letzten Jahren besonders eines be- wirkt: den eigenen Blick, den spezifischen Blick und die Erfahrungen von Frauen, sei es auf Geschichte, Medizin oder Sprachwissenschaften. Dieser eigene Blick hat Neues, Spannendes und Innovatives in die Forschung ge- bracht, die Wissenschaft ist eindeutig bereichert worden. Es ist immer noch ein Skandal, dass in Deutschland mit Marion Kiechle an der TU München nur ein einziger Lehrstuhl für Gynäkologie mit einer Frau besetzt ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21795 (C) (D) (A) (B) Hieran sehen wir nur allzu deutlich unseren Nachholbe- darf. Die Realität an den deutschen Hochschulen ist noch immer erschreckend: Zwar sind über die Hälfte derjeni- gen, die ein Studium beginnen, Frauen. Davon erreichen auch noch knapp die Hälfte ihren Hochschulabschluss. Danach gibt es dann einen starken Bruch: Nur ein Drittel davon promovieren, deutlich weniger als ein Viertel, ak- tuell 18,4 Prozent, habilitieren, und den Anteil der Pro- fessuren mag ich in Brüchen gar nicht mehr benennen: Es sind bei den C4-Professuren knapp 7 Prozent. Der Wis- senschafts- und Forschungsbereich ist ein Beispiel, dass das „old-boys-network“ noch immer gut funktioniert. Da- gegen müssen wir auf die Netzwerke der jungen forschen Wissenschaftlerinnen setzen: In der außeruniversitären Forschung sieht es übrigens nicht besser aus: Bei den Spitzenpositionen stehen fünf Frauen 95 Männern gegen- über. Und bei Zukunftsberufen in der IT-Branche und bei Meisterausbildungen kommen auf eine Frau neun Män- ner. Das Problem beginnt schon in der Ausbildung, wo Frauen nur 14 Prozent der Ausbildungsplätze im IT-Be- reich belegen. Das wollen und das müssen wir ändern und damit haben wir auch schon begonnen: Die Unterrepräsentanz von Frauen im wichtigen Zu- kunftsbereich der Bildung und Forschung ist nicht länger hinzunehmen. Wir fordern die Gleichberechtigung von Frauen in allen Bereichen der Wissenschaft und For- schung. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Bundes- regierung im Rahmen ihres Gender Mainstreaming-An- satzes begonnen hat, dieses Leitprinzip auch im Bildungs- und Forschungsbereich durchzusetzen. Dazu gibt es viel- fältige Programme und Projekte. Mit dem Programm „In- novation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft im 21. Jahrhundert“ wollen wir den Frauenanteil bis 2005 in den Informatikstudiengängen und den IT-Berufen auf 40 Prozent steigern. Das Bund-Länder-Programm „Chan- cengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre“ ist mit einem Volumen von jährlich 30 Millionen Euro gestartet worden und hat zum Ziel, Frauen auf dem Weg zu einer Professur zu unterstützen. Der CDU/CSU und der FDP ist der Vorwurf zu ma- chen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit das Thema Gleich- stellung, gerade hier im Wissenschafts- und Forschungs- bereich, ignoriert und sträflich vernachlässigt haben. Ich glaube fast, dass die Aussage des Altkanzlers Kohl, die hohe Arbeitslosigkeit in Ihrer Regierungszeit sei durch die „verstärkte Erwerbsneigung der Frauen“ verursacht, Ihre Mentalität geprägt hat. Wenn man ein solch konser- vatives Familienbild von der Frau für Haus und Herd hat, dann passt anscheinend dazu keine Nobelpreisträgerin und keine Professorin. Entscheidend ist die Frage, wo die Barrieren für Frauen auf dem wissenschaftlichen Weg an die Spitze sind. Noch immer ist es so, dass es auch im Studium und in der wis- senschaftlichen Karriere eher die Frauen sind, die zurück- stecken, wenn Kinder unterwegs sind. Für sie stellt sich die Frage „Kinder oder Karriere?“ schärfer als für ihre männlichen Kommilitonen. Die Väter der Kinder werden weitaus häufiger Professoren als die Mütter. Die Kinder- betreuung führt natürlich dazu, dass sich das Studium oder die Promotion verlängert oder unterbrochen wird und dass die Chancen auf wissenschaftliches Fortkom- men sinken. Deshalb ist es besonders wichtig, die Situa- tion der Kinderbetreuung zu verbessern. An unseren Hochschulen studieren insgesamt circa 115 000 Väter und Mütter, das sind 7 Prozent der Studierenden in den alten und 8 Prozent in den neuen Bundesländern. Viele Studen- tenwerke haben in den letzten Jahren Tagesstätten für die Kinder studierender Eltern aufgebaut. Hier müssen Bund und Land gemeinsam daran arbeiten, dass die Möglich- keiten der Kinderbetreuung verbessert werden. Wir von der SPD haben dieses Ziel zu einem Schwerpunkt unserer Politik gemacht. Unser Ziel ist es, dass Männer und Frauen Kinder und Karriere vereinbaren können. Gerade die skandinavischen Länder zeigen uns, dass gute Kin- derbetreuungsmöglichkeiten dazu beitragen, ein gesell- schaftliches Klima zu schaffen, in denen berufstätige Mütter eine Selbstverständlichkeit sind. Deshalb fordern wir heute die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern dafür zu sorgen, dass die Kinderbetreuungsangebote an den Hochschulen ausge- baut werden, dass mehr ganztägige Betreuung angeboten wird und dass die Länder einen Schwerpunkt auf Ganz- tagsschulen setzen. Da sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern gravierend, in CDU/CSU regierten süddeutschen Ländern gibt es noch immer wenig Betreu- ungsangebote, besonders für unter Dreijährige und im Ganztagsbereich. Hier muss sich etwas ändern. Wir un- terstützen die Bundesregierung darin, ihren Weg der Stär- kung von Frauen in Wissenschaft und Forschung weiter zu gehen, damit die Frauen, die wissenschaftlich Spitze sind auch an die Spitze kommen. Bärbel Sothmann (CDU/CSU): „Die Zukunft der Menschheit hängt ab von der Zukunft der Frauen“ – so lautete das Fazit der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Pe- king. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für Entwicklungs- länder, sondern auch für Industrienationen. Diese Fest- stellung orientiert sich nicht nur an dem berechtigten Verlangen von Frauen nach Gleichberechtigung, sondern auch an den Grundbedürfnissen der Gesellschaft an sich. Globalisierung, Demographischer Wandel, Sicherung von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen, Bewah- rung einer gesunden Umwelt – um diese Herausforderun- gen zu meistern, müssen wir alle Kräfte mobilisieren. Wir müssen dazu auch und gerade das Potenzial von Frauen nutzen. Wir können es uns nicht länger leisten, die Kom- petenzen hochkarätiger Wissenschaftlerinnen zu ignorie- ren – erst recht nicht im Hinblick auf den zunehmenden Fachkräftemangel. Doch genau das tun wir zurzeit. Frauen in Wissenschaft und Forschung haben zahllose Stolpersteine und Barrieren zu überwinden. Zwar stellen Frauen die Hälfte der Studierenden, ma- chen oft bessere Abschlüsse als Männer, schreiben ein Drittel aller Promotionen und treten auch in den Medien zunehmend als Expertinnen in Erscheinung, wie zum Beispiel die Medizin-Nobelpreisträgerin und Direktorin des Max-Planck-Instituts in Tübingen, Dr. Christiane Nüsslein-Volhard. Doch wir wissen auch: Frauen er- greifen nur selten Zukunftsberufe, zum Beispiel in der Multimediabranche, und sind in naturwissen- schaftlich technischen Fächern an unseren Hochschulen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221796 (C) (D) (A) (B) unterrepräsentiert. In anderen Ländern, zum Beispiel in Portugal und Frankreich, ist der Frauenanteil erheblich höher. Fatal ist außerdem der Karriereknick von Frauen kurz nach dem Studium. Sie haben mit Ihrem Antrag völlig Recht: je höher die Positionen, desto niedriger der Frau- enanteil. Bei Habilitationen liegt er unter 20 Prozent, bei Professuren insgesamt bei knapp 10 Prozent und bei C4-Professuren nur bei rund 6 Prozent. Damit sind wir auch hier – wie in vielen anderen Bereichen – Schlusslicht in Europa. Auch in außeruniversitären Forschungsein- richtungen sind nur rund 5 Prozent der Spitzenpositionen mit Frauen besetzt. In den Beratungsgremien der Minis- terien ist weiblicher Sachverstand ebenfalls Mangelware. Und im Bundesforschungsministerium selbst gibt es auch nur eine Frau in der Abteilungsleiterposition. Der Handlungsbedarf ist also groß, zumal wir vor ei- nem Generationswechsel an deutschen Hochschulen ste- hen, bei dem Frauen auf keinen Fall außen vor bleiben dürfen. Wir, das heißt die Union, haben uns seit Jahren für mehr Chancengleichheit von Frauen in allen gesellschaft- lichen Bereichen, auch in Wissenschaft und Forschung, eingesetzt. Ich nenne nur einige Beispiele: Der Bundesfor- schungsbericht 1996 enthielt erstmals ein separates Kapi- tel zum Thema „Frauen in der Forschung“. Auch wir hat- ten uns das Ziel gesetzt, den Anteil der Professorinnen bis zum Jahr 2005 auf 20 Prozent zu steigern. Das BMBF hat noch unter der unionsgeführten Regie- rung die Förderung von Frauen in alle seine Schwer- punktprogramme integriert. Das entsprach schon damals dem Ziel des heute viel strapazierten Begriffs „Gender Mainstreaming“. Es gab im BMBF auch früher schon das Referat „Frauen in Bildung und Forschung“. Wir haben die Initiative „Frauen geben Technik neue Impulse“ gestartet, den Aufbau einer Expertinnen- datenbank unterstützt, das Meister-BAföG und das Total E-Quality-Prädikat eingeführt und über das Bundesgre- mienbesetzungsgesetz versucht, eine höhere Beteiligung von Frauen in wissenschaftlichen Beratungs- und Ent- scheidungsgremien zu erreichen. In unseren Hochschulsonderprogrammen nahm die Frauenförderung einen großen Umfang ein, zum Beispiel im HSP III mit 720 Millionen DM für die personenbezo- gene Förderung von Wissenschaftlerinnen und zusätzlich 200 Millionen DM für spezielle Maßnahmen wie Kon- takt- und Wiedereinstiegsstipendien. Bei der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes haben wir 1998 einen wichtigen Durchbruch für Frauen in Wissenschaft und Lehre erreicht und die staatliche Hoch- schulförderung von der Durchsetzung der Chancengleich- heit abhängig gemacht. Gerade die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deren Vorsitzende ich zu dieser Zeit war, hatte sich dafür stark gemacht. Neben der Verpflichtung der Hochschulen, Frauenbe- auftragte zu bestellen, haben wir auch spezielle Förder- programme für Frauen in den Ländern durchgesetzt. Mit anderen Worten: Der Aufbruch in der Gleichstel- lungspolitik hat schon zu unseren Zeiten stattgefunden. Die meisten Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Wissenschaft und Forschung, die Sie in Ihrem Antrag nennen, sind also die Fortsetzung oder die Ausweitung der Maßnahmen, die wir in unserer Regierungszeit initiiert haben. Sie rennen deshalb mit Ihren Forderungen im We- sentlichen offene Türen bei uns ein. Wenn man die Ursachen für den niedrigen Frauenan- teil in Wissenschaft und Technik betrachtet – die traditio- nellen Rollenerwartungen unserer Gesellschaft, die Ten- denz von Frauen, typisch weibliche Berufe zu ergreifen, und fehlende weibliche Rollenvorbilder – dann sieht man, dass man sich nicht nur auf Fördermaßnahmen an Hoch- schulen und in Forschungseinrichtungen selbst beschrän- ken darf. Wir müssen schon früh beginnen, die Weichen für Frauen richtig zu stellen. Das hat auch die internatio- nale Bildungskonferenz des BMBF in München Anfang Februar bestätigt, in der es um die Zukunftschancen von jungen Frauen in Informatik, Technik und Naturwissen- schaften ging. Bereits in der Schule müssen wir Vorurteile gegen Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen ab- bauen und alte Rollenklischees endgültig aus den Schul- büchern verbannen. Wir müssen beruflich erfolgreiche Frauen als Vorbilder sichtbar machen. Getrennter Unter- richt in naturwissenschaftlichen Fächern kann dazu bei- tragen, dass Mädchen ihren eigenen Zugang zur Technik besser finden. Die Kampagne „Schulen ans Netz“ – die noch von uns initiiert wurde – bietet für Mädchen viele Chancen, ebenso wie die Informationskampagne von Frau Bulmahn „Be.Ing“. In der Ausbildung sind besonders die Betriebe gefor- dert, jungen Frauen eine Chance in technischen Berufen zu geben. Dazu gehören auch mehr Berufspraktika für Mädchen noch während der Schulzeit. Der Wettbewerb „Frauenfreundlicher Betrieb“ ist hier eine große Hilfe. Auch Aktionen wie das „Abenteuer-Technik-Camp für Mädchen“ der Firma Siemens sollten mehr Nachahmer finden. An Hochschulen benötigen wir eine spezielle Beratung für Studentinnen in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen. Wir brauchen Anreizsysteme für die Ein- stellung von qualifizierten Wissenschaftlerinnen. Wir brauchen mehr Professorinnen in den Berufungskommis- sionen. Nachwuchswissenschaftlerinnen müssen frühzei- tig in die Verwaltungs- und Gremienarbeit eingebunden werden, um sie besser in den Wissenschaftsbetrieb zu in- tegrieren. Wir unterstützen das Bund-Länder-Programm „Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre“ als notwendige Fortsetzung des ausgelaufenen HSP III, weil wir Frauenförderung als Dauermaßnahme brauchen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Mittel effizient einge- setzt werden. Spezielle Förder- und Mentorenprogramme für ange- hende Professorinnen sollten längerfristig aufgelegt wer- den. So besteht zum Beispiel weiterhin großes Interesse von Wissenschaftlerinnen an Karriereberatung. Doch lei- der gibt es nach meinen Informationen keine Fortführung des entsprechenden Programms „Anstoß zum Aufstieg“. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21797 (C) (D) (A) (B) Wir fordern Sie auf, bei der Einführung der Juniorpro- fessuren darauf zu dringen, dass Frauen gleichberechtigt zum Zuge kommen. Dieses neue Instrument hat sich nämlich bisher sehr nachteilig auf den Frauenanteil aus- gewirkt. Darauf haben insbesondere Vertreterinnen der BuKoF – Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstel- lungsbeauftragten an Hochschulen – hingewiesen. Wir sollten auch an den Hochschulen an ein Aufbre- chen der Koedukation denken. Positive Erfahrungen gibt es nicht nur in den USA– wo die Absolventinnen von Wo- mens Colleges im Beruf nachweislich erfolgreicher sind als Absolventinnen gemischter Hochschulen –, sondern auch bei uns: zum Beispiel an der Hochschule Bremen mit ihrem internationalen Studiengang nur für Frauen im Be- reich Informatik; zum Beispiel bei dem Modellprojekt „Internationale Frauenuniversität“ – IFU – im Rahmen der Expo 2000. Man sollte auf jeden Fall die Fortsetzung des IFU-Studienangebots in Form von internationalen Master-Studiengängen für Frauen ermöglichen. In den außeruniversitären Forschungseinrichtungen gilt das Bundesgleichstellungsgesetz nicht. Hier müssen in der Tat so schnell wie möglich umfassende vertragliche Regelungen zur Durchsetzung der Chancengleichheit ge- troffen werden. Gender mainstreaming muss auch bei der Umstellung auf die Programmorientierte Förderung in der HGF – Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren – beachtet werden. Familienfreundliche Bedingungen sind bei allen För- dermaßnahmen das A und O. Jede Art von Frauenförde- rung bleibt Makulatur, solange hochkarätige Wissen- schaftlerinnen weiter vor die Entscheidung Familie oder Beruf gestellt werden. Wir brauchen daher kürzere Studi- enzeiten, die Möglichkeit des Teilzeitstudiums, flexiblere Arbeitsformen und vor allem bedarfsgerechte Kinderbe- treuungsangebote. Frauen-Netzwerke, wie sie zum Beispiel bei der IFU jetzt wieder entstanden sind, können Frauen und Mädchen ebenfalls ermutigen, technische und naturwissenschaftli- che Fächer zu studieren, in diesen Berufen Karriere zu machen und ihre Kompetenzen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Ihre Arbeit sollte deshalb auch von der Politik stärker unterstützt werden. Viele Maßnahmen für mehr Chancengleichheit von Frauen in Wissenschaft und Forschung zeigen bereits Er- folge. Ich bin deshalb sehr gespannt auf den Fortschritts- bericht, der Mitte 2002 vorgelegt werden soll. Doch wir müssen noch viel mehr in dieser Richtung tun. Wir brau- chen die Kompetenzen und die Innovationskraft von Frauen, wir brauchen die weibliche Sicht der Dinge, um den Dialog von Wissenschaft und Öffentlichkeit zu för- dern und international konkurrenzfähig zu bleiben. Geben wir unseren Wissenschaftlerinnen deshalb end- lich die Chancen, die sie verdienen! Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Hunde und Damen nicht erwünscht!“ – ein Schild mit dieser Aufschrift ließ ein Professor Anfang des letzten Jahrhunderts an der Hörsaaltür anbringen. Diese Zeiten sind dank der bürgerlichen Frauenbewegung vorbei. Seit vielen Jahren erreichen Frauen höhere Bildungs- abschlüsse als Männer. Betrachtet man die Pisa-Studie unter diesem geschlechtsspezifischen Aspekt, so steht fest: Ohne die qualifizierten Mädchen und jungen Frauen wäre das Desaster noch viel größer. Allen ist klar, dass wir eine neue Bildungsreform brau- chen. Dabei muss die Chancengleichheit groß geschrie- ben werden. Es ist doch ein Armutszeugnis für unsere Ge- sellschaft, wenn wieder die soziale Herkunft entscheidend für den Bildungserfolg ist. Ich hatte geglaubt, diese Zei- ten seien vorbei. Auch dass bei uns nur 16 Prozent eines Altersjahrgangs ein Studium erfolgreich abschließen, während es in Großbritannien fast doppelt so viel sind, zeigt dringenden Handlungsbedarf. Doch zurück zu den Frauen: Ihr Anteil unter den Erst- semestern liegt bei 53 Prozent. Wenn wir also Bildung als Voraussetzung für eine berufliche Karriere ansehen, müssten demnach goldene Zeiten für die Erwerbstätigkeit von Frauen angebrochen sein. Ein Blick in die Statistik verdunkelt dieses Bild. Von dieser guten Ausgangsbasis aus sinkt der Frauenanteil von Qualifikationsstufe zu Qualifikationsstufe stetig ab. Bei den Professorinnen bleiben gerade mal 10 Prozent Frauen übrig. Von den gut bezahlten C4-Professuren sind nur sechs von 100 mit Professorinnen besetzt. Deutschland bildet damit das Schlusslicht in Europa. In den außenuniversitären Forschungseinrichtungen sind es gar nur 5 Prozent Frauen in Spitzenpositionen. Frauen sind also in den Entscheidungs- und Führungspo- sitionen an den Hochschulen wie auch in den For- schungseinrichtungen dramatisch unterrepräsentiert. Hinzu kommt, dass Frauen und Männer bei der Studi- enwahl nach wie vor erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen. Folge davon ist: Frauen sind in zukunftsorientierten Berufen wie im IT-Bereich kaum an- zutreffen. Wir brauchen also eine moderne Gleichstellungspolitik und deutliche Strukturveränderungen in der Wissenschaft. Neben einer gerechten Chancenverteilung zwischen den Geschlechtern müssen aber auch die Rahmenbedingun- gen für die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienar- beit verbessert werden. Ganztagskinderbetreuung und Ganztagsschulen sind das Gebot der Stunde. Aber auch Frauen, die keine Kinder haben – und das sind immerhin 40 Prozent der Wissenschaftlerinnen – werden im Wissenschaftsbetrieb benachteiligt. Darum muss die Gleichstellung von Männern und Frauen zu ei- nem durchgängigen Qualitätskriterium der Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden. Alle Initiativen und Maßnahmen müssen sich an der Verwirklichung der Gleichstellung messen lassen. Das Konzept hierfür heißt Gender Mainstreaming und ich bin froh, dass die rot- grüne Bundesregierung diesen neuen Ansatz kurz nach Regierungsantritt zum Leitprinzip für alle Ministerien er- hoben hat. Darum wurde im neuen Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst des Bundes auch die Vergabe staatlicher Leistungen an die Gleichstellung gekoppelt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221798 (C) (D) (A) (B) In den Jahren 2000 bis 2010 wird über die Hälfte der Professoren das Ruhestandsalter erreichen. Dies bietet eine Chance nicht nur für einen Generationenwechsel, sondern auch für einen Geschlechterwechsel. Dies müs- sen wir nutzen. Darum brauchen wir ein gezieltes Stel- lenprogramm für Wissenschaftlerinnen für C3- und C4-Stellen. Die rot-grüne Koalition hat es sich.zum Ziel gesetzt, den Anteil von Professorinnen bis zum Jahr 2005 auf 20 Prozent zu steigern. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Von al- lein lässt es sich jedoch nicht verwirklichen. In Ergänzung zu dem Programm „Anstoß zum Anstieg“ muss daher bei der finanziellen Ausstattung für die Juniorprofessuren da- rauf geachtet werden, dass die bundeseigenen Mittel in Abhängigkeit einer Quote vergeben werden. Wir fordern das Ministerium dazu auf, die versprochene quotierte Mit- telzuweisung aus dem Bundesprogramm für die Junior- professuren rigoros einzuhalten. Nur wenn jetzt viele Frauen auf Juniorprofessuren berufen werden, können wir die angestrebte Zielmarke von 20 Prozent Professorinnen bis 2005 auch erreichen. Neben diesen hilfreichen Ansätzen und Programmen sind weitere Veränderungen nötig. Die Old-Boys-net- works gerade in den technischen und naturwissenschaft- lichen Studiengängen halten noch immer Frauen davon ab, ihre berufliche Zukunft zu verwirklichen. In der Wirtschaft ist es schon angekommen: Wer Erfolg haben will, braucht die Frauen. Teams von Männern und Frauen sind erfolgreicher als reine Männerteams. Das müsste doch auch die Wissenschaft schon im eigenen In- teresse für sich nutzen. Ulrike Flach (FDP): Deutschland ist mal wieder Schlusslicht in Europa, und ich finde, dass unser letzter Platz mit 6,3 Prozent beim Anteil der Frauen unter den C4-Professuren an Universitäten ein ebensolches Armuts- zeugnis ist wie unser letzter Platz bei der Konjunkturent- wicklung. Ihr Antrag zeigt eindrucksvoll auf, dass in Deutschland die Zahl der Frauen abnimmt, je höher das Qualifika- tionsniveau steigt. Sind es bei den Erstsemestern noch 52,9 Prozent – die Zahl stammt aus dem Jahr 1999 –, so sinkt der Anteil auf 5,1 Prozent bei den Spitzenpositionen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dass hier mehr getan werden muss, ist unstreitig. Der wenig ein- gängige Begriff Gender Mainstreaming verschleiert eher, worum es geht: Frauen müssen in Wissenschaft und For- schung gefördert und gefordert werden. Der Antrag zeigt aber leider auch, dass der Bundes- tagswahlkampf naht. Ein Lob für die Bundesregierung reiht sich an das nächste. Hier wäre im Sinne der Sache etwas Differenzierung nötig gewesen. Denn ich frage mich: Dient es dem Ziel, den Anteil der Professorinnen bis 2005 auf 20 Prozent zu erhöhen, wenn durch die HRG- Reform eine ganze Generation junger Wissenschaftlerin- nen und Wissenschaftler aufs Abstellgleis geschickt wird? Die Auswirkungen sind doch fatal, Frau Ministerin. Nicht umsonst hat die „taz“, sicher kein Sprachrohr der FDP- Fraktion, das Beispiel einer promovierten Geochemikerin dokumentiert, die nach 12 Jahren befristeter Forschungs- arbeit vor dem Aus steht. Ebenso ist die faktische Abschaffung der Habilitation auch im Hinblick auf die Frauenförderung kontraproduk- tiv. Eine Habilitation neben der Erziehung eines Kindes durchzuziehen ist schon schwer genug, die vielfältigen Aufgaben einer Juniorprofessur zu bewältigen ist fast un- möglich. Sie hätten die Habilitation als zusätzlichen Qua- lifikationsweg erhalten müssen. Ich nehme auch sehr sorgfältig die Signale auf, die jetzt von den Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen kommen. Mir schreibt die Bundeskonferenz der Frauen- beauftragten, dass zum Beispiel bei den ersten 12 Beru- fungsvorschlägen für Juniorprofessuren an der Hum- boldt-Universität – nichtmedizinischer Bereich – nur eine Frau war. Ich kann deshalb bisher nicht sehen, warum der Antrag Ihre Juniorprofessuren im Hinblick auf die Frau- enförderung lobt. Ihr Antrag listet eine Reihe von Maßnahmen auf, die das BMBF angeschoben hat oder die im Rahmen der BLK beschlossen worden sind. Was mir fehlt, sind Ergebnisse, zumindest bei den Maßnahmen und Beschlüssen, die schon seit mehreren Jahren laufen. Was ist denn dabei he- rausgekommen, dass das Kabinett am 20. Juni 1999 Gen- der Mainstreaming, wie Sie schreiben, „zentrale Bedeu- tung zuerkannt“ hat? Hier findet sich viel heiße Luft in Ihrem Antrag. Andere, sinnvolle Maßnahmen wie das Emmy-Noether-Programm zur Förderung von Wissen- schaftlerinnen werden überhaupt nicht erwähnt. Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen wir diesen Antrag ab. Das Ziel ist richtig, auch manche Ihrer Vor- schläge, aber eine Lobhudelei auf die zum Teil kontrapro- duktiven Maßnahmen der Bundesregierung werden wir nicht mitmachen. Maritta Böttcher (PDS): Vor über 80 Jahren – im Jahr 1920 – wurde für Frauen der Zugang zum Hochschul- lehrerberuf erstmals formal geöffnet. Doch der Weg von der formalen zur tatsächlichen Gleichberechtigung, wie sie das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 fordert, liegt noch weitestgehend vor uns. Auch im 21. Jahrhundert werden Frauen strukturell von Lehrstühlen und anderen Leitungsfunktionen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ferngehalten. Nur sechs von 100 Professuren der höchsten Besoldungs- stufe C4 sind von Frauen besetzt. Insgesamt liegt der Anteil der Professorinnen bei rund 10 Prozent. Dieser Wert ist für Deutschland auch im internationalen Ver- gleich blamabel. In Ländern wie der Türkei, Finnland oder Portugal ist fast jede fünfte ordentliche und sogar je- de dritte außerordentliche Professur mit einer Frau besetzt. Unser Land kann es sich nicht länger leisten, die Hälfte der Bevölkerung vom Zugang zu verantwortlichen Funk- tionen in Forschung und Lehre auszugrenzen, nicht nur, weil wertvolle Begabungsressourcen ungenutzt bleiben; wir blenden auch die spezifischen Erfahrungen von Frauen und damit ihre spezifischen Sichtweisen auf Wissenschaft aus. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21799 (C) (D) (A) (B) Die PDS begrüßt daher, dass sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt hat, den Anteil der Professorinnen bis zum Jahr 2005 auf 20 Prozent zu erhöhen. Bis zum Jahr 2005 wird der derzeitige Generationenwechsel in der Hochschullehrerschaft weitgehend abgeschlossen sein. Gleichstellungsmaßnahmen, die erst in fünf Jahren grei- fen, kommen definitiv zu spät. Es ist eine einfache Rechung: Wenn wir den Anteil der Professorinnen von heute 10 Prozent innerhalb von drei Jahren auf 20 Prozent verdoppeln wollen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass bei der Besetzung frei werdender Lehrstühle sehr viel mehr Frauen als 20 Prozent zum Zuge kommen müssen. Jüngste Berechnungen gehen von min- destens 50 Prozent aus. Tatsächlich aber liegt der Anteil von Frauen bei der Besetzung von Professuren zurzeit bei nur rund 12 Prozent und ist sogar – wie die Daten der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und For- schungsförderung belegen – rückläufig. Es liegt also auf der Hand: Die Politik muss zu viel wirksameren Maßnahmen greifen als bisher. Wenn ich mir nun aber Ihren Antrag ansehe, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, so stelle ich fest, dass Sie sich vor allem auf eines konzentrieren: die Regie- rung lang und breit für ihre bisherige Politik zu loben – für eine Politik, die bisher eben noch keinen Durchbruch ge- schafft hat. Richtig ist: Wir brauchen eine mehrdimensionale Stra- tegie zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Auch im Wissenschaftssystem muss die Politik auf verschie- denen Ebenen gleichzeitig ansetzen. Es geht zum Beispiel um die Berücksichtigung von gleichstellungspolitischen Erfolgen in der leistungsorientierten Mittelverteilung, um die institutionelle Stärkung von Frauen- und Gleichstel- lungsbeauftragten, um die Vereinbarkeit von wissen- schaftlicher Arbeit und Familie für Frauen und Männer, um Sonderprogramme mit Fördermaßnahmen speziell für Frauen, um die Neuordnung der Hochschullehrer- laufbahn. Es geht um die gezielte Förderung von Studen- tinnen und Schülerinnen, um die Verankerung von Frau- enforschung und Gender Studies und um die strategische Verankerung gleichstellungspolitischer Ziele nach dem Prinzip des Gender Mainstreaming. Zu dieser mehrdimensionalen Strategie gehören aber eben auch verbindliche Vorgaben der Politik für die Hoch- schulen und Forschungseinrichtungen. Dies zeigen in alarmierender Weise auch die ersten Rückmeldungen zur Umsetzung des BMBF-Förderprogramms Juniorpro- fessuren. So wird aus der Humboldt-Universität Berlin ge- meldet, dass unter den ersten zwölf Berufungsvorschlägen für Juniorprofessuren nur eine einzige Frau ist. Die Bun- desbildungsministerin muss sich daher schon die Frage gefallen lassen: Warum haben Sie die Vergabe der För- dermittel nicht mit der verbindlichen Auflage versehen, dass die Hochschulen die Hälfte ihrer Juniorprofessuren mit Frauen besetzen müssen? Es kann Sie doch nicht ernstlich überraschen, dass ein freundliches Rundschrei- ben an die Hochschulleitungen nicht ausreicht. Ich frage Sie weiter: Warum gibt es in den Perso- nalbestimmungen des Hochschulrahmengesetzes immer noch keine Vorrangregelung zugunsten des unterreprä- sentierten Geschlechts? Das vom BMBF geförderte Bon- ner Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und For- schung hat einen entsprechenden Vorschlag ausgearbeitet. Dennoch haben SPD und Grüne im November 2001 un- seren Änderungsantrag zur 5. HRG-Novelle abgelehnt. Meine Damen und Herren, Ihr Antrag ist gut gemeint, zweifellos. Sie können sogar mit einer Unterstützung mei- ner Fraktion für die einzelnen Vorschläge rechnen. Insge- samt wird Ihre Strategie aber der tatsächlichen Heraus- forderung nicht gerecht. Gleichstellungspolitik darf sich zwar nicht in Quoten und Zielvorgaben erschöpfen, aber ohne solche verbindlichen Instrumente bleibt sie eine zahnlose Tigerin. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Antrags: Für eine Verlängerung der Rückwirkungsfrist für die Berufskrankheit Nummer 4111 (Tagesordnungspunkt 18) Wolfgang Grotthaus (SPD):Was verbirgt sich hinter der Berufskrankheit 4111? Es handelt sich um die so ge- nannte Staublunge, wie sie bei Bergleuten des Stein- kohlebergbaus leider viel zu häufig aufgetreten ist. Als Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet, selbst im Bergbau ge- lernt, kenne ich die Tragik dieser Erkrankung aus nächs- ter Nähe. Lebendig ist mir eine Erinnerung eines Bürgers aus meiner Heimatstadt Oberhausen, dem ich im persön- lichen Gespräch auseinander legen musste, dass seine Krankheit nicht weniger schlimm und damit auch nicht weniger „wert“ sei als andere; dennoch musste ich ihm auch mitteilen, dass die gesetzliche Regelung für ihn keine Entschädigung vorsehe, da seine Erkrankung vor dem 1. Januar 1993 eingetreten ist. Das ist bitter. Hier sind wir bei der eigentlichen Frage, die die Be- troffenen nicht verstehen, nämlich, wie gerecht bzw. un- gerecht eine Stichtagsregelung ist. Das Bundes- sozialgericht hat dazu eine klare Rechtssprechung vorgelegt und die Regelung 1999 bestätigt. Die Rück- wirkungsklausel sei rechtswirksam und mit dem Gleich- behandlungsgrundsatz vereinbar. Allerdings obliege dem Verordnungsgeber, also der Bundesregierung, eine Be- obachtungspflicht. Der kommt sie auch nach. Ich gehe später noch darauf ein. Liege ausreichendes Zahlenmaterial über die poten- ziellen Versicherungsfälle vor, sei zu prüfen, ob aufgrund der Rückwirkungsklausel „nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis der Erkrankten eine Entschädigung zustehe und der weitaus größere Teil von einer Entschädigung ausgeschlossen bleibe“. Dann sei die Regelung aus ver- fassungsrechtlichen Gründen zu ändern. Das hat das BMA im 2001 geprüft. Weder der Bundesminister für Arbeit und Sozialord- nung noch wir von der SPD-Fraktion nehmen das Schick- sal der Kumpel auf die leichte Schulter. Nach der Prüfung im Herbst 2001 ist die Rückwirkungsklausel weiterhin sachgerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221800 (C) (D) (A) (B) Seien wir doch einmal ehrlich: Eine Stichtagsregelung ist aus sozialpolitischen Gründen einfach erforderlich. Das System erfordert dies. Den Rückwirkungszeitraum zu verlängern ist – einmal ganz unabhängig von der Kos- tenfrage betrachtet – aus Gründen der Risikozurechnung nicht gerechtfertigt; es würden Feststellungsprobleme aufgeworfen und es zöge eine Präjudizwirkung für andere Berufskrankheiten nach sich. Zum anderen machen wir uns auch deshalb die Ent- scheidung darüber nicht leicht, weil wir den Antrag hier nicht einfach ablehnend beraten, obwohl es genügend Ar- gumente dafür gibt. Wir schlagen vielmehr eine Beratung im Fachausschuss durch die Überweisung vor, um dort er- neut die Argumente zu prüfen. Nach der im Herbst 2001 vorgenommenen Überprü- fung stehen insgesamt 3 686 Anerkennungen 3 966 Ab- lehnungen wegen des Stichtags gegenüber. Der Maßstab des BSG, dass nicht der „weitaus größte Teil der Betroffe- nen“ aufgrund der Rückwirkungsregelung entschädi- gungslos bleibt, ist damit eingehalten. Nennenswerte Ver- änderungen durch noch nicht abgeschlossene Verfahren sind nicht zu erwarten. Die von der FDPaufgeführten Zah- len sind so nicht verwendbar, denn es liegt in der Logik der Anerkennungsverfahren, dass nach erfolgter Anerkennung von Erkrankten bis zum Stichtag die Zahl der Anerken- nungen rückläufig, die der Ablehnungen steigend ist. Dies werden wir aber in aller gebotenen Gewissenhaftigkeit und Ausführlichkeit im Ausschuss beraten können. Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, unterstellen Sie uns nicht in diesem sen- siblen, mit Emotionen behafteten Bereich der Entschädi- gungsregelung für erkrankte Kumpel des Bergbaus, wir würden mit der Stichtagsregelung eine „unbillige Härte gegenüber den Bergleuten“ vertreten und damit ihre Auf- bauleistungen der 40er- und 60er-Jahre nicht in angemes- sener Form würdigen. In dem Fall ließe sich nämlich fra- gen, warum Sie im Jahre 1997 die Stichtagsregelung eingeführt und nicht bei der überschaubaren Zahl von Be- troffenen darauf verzichtet haben. Es könnte weiter ge- fragt werden, warum Sie drei Jahre nach dem Regie- rungswechsel das von Ihnen eingeführte Gesetz korrigieren wollen, und man könnte zu dem Schluss kom- men, dass hier wahltaktische Gründe eine Rolle spielen. Diese Debatte wollen wir aber nicht. Sie führt in der Sache nicht weiter. Deshalb lassen Sie uns im Ausschuss in der geboten Ruhe und Sachlichkeit die Dinge bespre- chen und nicht Emotionen, die durchaus berechtigt sind, für vermeintliche wahlstrategische Zwecke benutzen. Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Die FDP- Bundestagsfraktion überrascht mit ihrem Antrag „Für eine Verlängerung der Rückwirkungsfrist für die Berufs- krankheit Nummer 4111“. Die Forderung der FDP hat die durch Arbeitseinsatz geschädigten Menschen im Auge und gibt deren Anliegen Vorrang gegenüber den auf die Berufsgenossenschaften zukommenden Kosten. Die FDP aufrichtig sozialpolitisch engagiert: Schon dieser Sach- verhalt empfiehlt die vorgelegte Initiative wohlwollender Aufmerksamkeit. Zustimmung gibt es von uns aber auch in der Sache. Der deutsche Bergbau gehört zu den modernsten seines Faches in der Welt. In unserem Bergbau besteht ein hoch entwickeltes System der Klimatisierung, das man verein- facht wohl als Entlüftung bezeichnen würde. Dies redu- ziert die Explosionsgefahr und beseitigt zum größten Teil die Gefährdung der Atemwege. Die Ursachen für die chronisch obstruktive Emphysembronchitis bei Bergleu- ten liegt in der Vergangenheit. Sie ist nicht auf aktuelle Gesundheitsgefährdungen zurückzuführen. In der Auf- bauphase der Bundesrepublik; in den 40er- bis 60er-Jah- ren waren wir noch nicht so weit. Damals wurde die Ge- sundheit geschädigt, sodass die Bergleute heute unter chronisch obstruktiver Emphysembronchitis leiden. Dass diese Gefährdungen heute praktisch beseitigt sind, ist auch eine der Erfolgsgeschichten der Berufsge- nossenschaften. Sie sorgen nicht nur für die Regulierung von Schäden, sondern investieren in Prävention. Dieses Modell hat sich ausgesprochen bewährt. Für ihre Erfolge bin ich den Berufsgenossenschaften dankbar. Der heutige Standard musste hart erarbeitet werden und dies dauerte seine Zeit. Die chronisch obstruktive Emphysembronchitis ist ein Erbe früherer Zeiten, für das heute die Schadensregulierung der Berufsgenossenschaft eintreten muss. Dem steht der gültige § 6 Abs. 1 der Berufskrank- heiten-Verordnung entgegen. Er regelt die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 4111, die chronisch obstruktive Emphysembronchitis bei Steinkohlebergbau unter Tage. Die am 1. Dezember 1997 in Kraft getretene Berufs- krankheiten-Verordnung sieht eine auf den 1. Januar 1993 begrenzte Rückwirkung vor. Dies hat zur Folge, dass seit dem 1. Dezember 1997 Erkrankungen, die vor dem Januar 1993 entstanden sind, nicht als Berufskrankheiten aner- kannt werden und die Betroffenen damit nicht als Versi- cherungsfall anerkannt werden. Besonders betroffen sind Bergleute, die in den 40er- bis 60er-Jahren untertage gearbeitet haben. Viele Berg- leute, die an chronisch obstruktiver Emphysembronchitis erkrankt waren, sind inzwischen verstorben. Die Angaben der Bergbau-Berufsgenossenschaft erge- ben folgendes Bild: 3 663 Bergleuten konnte die Berufs- krankheit 4111 nicht anerkannt werden, weil sie vor dem Januar 1993 erkrankt sind und ihr Fall erst nach dem Juli 1997 bearbeitet wurde. 1 102 Bergleute hatten Glück. Auch sie sind bereits vor dem Januar 1993 erkrankt, wur- den aber in der Zeit zwischen Mitte 1996 und Mitte 1997 anerkannt. Damals bestand die Rückwirkungsklausel des aktuellen § 6 Abs. 1 noch nicht. 877 Renten wurden aner- kannt, weil die Erkrankungen erst nach dem Stichtag, 1. Januar 1993, auftraten. Das ist natürlich ungerecht und muss geändert werden. Die gültige Verordnung verhin- dert, dass die Berufsgenossenschaft ihrer Aufgabe der Schadensregulierung nachkommen kann. Deshalb muss der Verordnungsgeber handeln. Was ist das für eine Ungerechtigkeit, wenn der eine Kollege anerkannt wird, weil er das Glück hatte, als einer der ersten Fälle bearbeitet zu werden. Sein Kollege wird nicht anerkannt, weil der das Pech hatte, dass seine Akte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21801 (C) (D) (A) (B) erst Monate später bearbeitet wurde. Das kann man doch niemandem erklären. Der Verordnungsgeber hat diese Konsequenz wohl 1997 nicht erkennen können. Doch Walter Riester regiert bereits seit Ende 1998 im BMA. Er hätte lange genug Zeit gehabt, dies zu ändern. Es ist doch eine Schande für einen SPD-Arbeitsminister, wenn er zur Beseitigung dieses Missstandes erst durch einen Antrag der FDPaufgefordert werden muss. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Der heute zur Debatte stehende Antrag der FDPbe- trifft eine Bevölkerungsgruppe, die beim Aufbau unseres Landes viel geleistet hat. Hierfür möchte ich den Berg- leuten an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank aus- sprechen. Die untertage herrschenden Arbeitsbedingungen im Steinkohlebergbau waren bis in die 60er-Jahre des ver- gangenen Jahrhunderts derart schlecht, dass sie zum Teil zu schweren chronischen Erkrankungen führten. Gesi- cherte wissenschaftliche Erkenntnisse über den Zusam- menhang zwischen den damaligen Arbeitsbedingungen und der Berufskrankheit 4111, der chronisch obstruktiven Emphysembronchitis, liegen erst seit Mitte der 90er-Jahre vor. Aus diesem Grund hat der Verordnungsgeber im Jahre 1997 diese Berufskrankheit in die Berufskrankhei- tenverordnung aufgenommen, übrigens unter Beteiligung der FDP. Dass die FDP im Wahljahr 2002 die Bundesregierung auffordert, die mit der Anerkennung der Berufskrankheit verbundene Rückwirkungsklausel zu überprüfen und zu ändern, ist ihr legitimes Recht. Warum sie in ihrem Antrag nicht alle vorhandenen Erkenntnisse einbezieht und auch zur Kostenfrage keinerlei Stellung nimmt, muss sie sich aber fragen lassen. Das Bundessozialgericht hat zwar festgestellt, dass dem Verordnungsgeber eine Beobachtungspflicht obliegt. Es hat aber auch die Rückwirkungsklausel als rechtswirk- sam und für mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz ver- einbar befunden. Der Beobachtungspflicht ist die Bundesregierung im Jahr 2001 nachgekommen. So standen zum 31. Juli 2001 3 686 Anerkennungen der Berufskrankheit 3 966 Ableh- nungen gegenüber. Eine gravierende Änderung des Ver- hältnisses ist nicht mehr zu erwarten, da bis zum Sommer vergangenen Jahres nur noch 15 Prozent der eingegange- nen Anträge nicht beschieden waren. Eine von der FDP geforderte uneingeschränkte Rück- wirkung wäre aus vielfältigen Gründen nicht vertretbar. Allein die Sachverhaltsaufklärung und die Ursachenfest- stellung würde die Antragsteller und Versicherungsträger vor kaum lösbare Probleme stellen. Der entstehende Ver- waltungsaufwand würde in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg stehen. Abgesehen davon stehen der entsprechenden Berufsgenossenschaft die erforderlichen Kapazitäten nicht zur Verfügung. Auch eine Sonderbehandlung der Berufskrankheit 4111 würde durch ihre präjustizierende Wirkung erhebli- che negative Auswirkungen auf die Solidargemeinschaft der Arbeitgeber haben. Außerdem entspricht die getrof- fene Rückwirkungsklausel den üblichen Regelungen bei der Aufnahme neuer Erkrankungen in die Berufskrank- heitenverordnung, die als Stichtag das Datum der letzten Anpassung der Verordnung vorsieht. Von Willkürlichkeit, wie im FDP-Antrag behauptet, kann also keine Rede sein. Ich möchte nicht unterstellen, dass die CDU/CSU- FDP- Koalition in diesem Fall 1997 willkürlich gehandelt hat. Selbstverständlich liegt uns weiterhin die Situation der an der Berufskrankheit 4111 Erkrankten am Herzen. Wir werden zu gegebener Zeit unserer Beobachtungspflicht erneut nachkommen. Die Bergleute sind bei uns gut auf- gehoben. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird diesen of- fensichtlich aus wahltaktischen Gründen eingebrachten Antrag ablehnen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die FDP-Bundestags- fraktion möchte mit diesem Antrag zur Lösung eines wich- tigen sozialpolitischen Problems beitragen, das besonders in Nordrhein-Westfalen eine große Rolle spielt: Seit dem 1. Dezember 1997 ist zwar die chronische obstruktive Bron- chitis und/oder ein Lungenemphysem bei Bergleuten als Folge langjähriger Untertagearbeit unter Einwirkung von Feinstäuben als Berufskrankheit in die Berufskrankheiten- verordnung aufgenommen. Aber durch eine auf den 1. Ja- nuar 1993 bezogene Rückwirkungsregelung – § 6 Abs. 1 der Berufskrankheitenverordnung – werden vor dem 1. Ja- nuar bereits nachgewiesene Erkrankungen nicht als Be- rufskrankheit anerkannt. Sie sind somit auch kein Versi- cherungsfall. Das betrifft die Mehrzahl der Bergleute, deren Untertagearbeit mit den Zechenschließungen seit den 60er- Jahren beendet wurde. Langsam über viele Jahre stetig fortschreitende Ge- webszerstörungen der Lungen mit Verminderung der At- mungsfunktion haben zunehmend die Lebensqualität von Erkrankten eingeschränkt und nicht selten zum Tode ge- führt. Im Ergebnis sind also Bergleute, die vor dem Stich- tag 1. Januar 1993 nachweislich an der Berufskrankheit litten, durch diese Rückwirkung von einer Entschädigung ausgeschlossen, im Todesfall auch die Hinterbliebenen. Für die FDP stelle ich fest: Das ist eine unbillige Härte gegenüber den Bergleuten, die in den 40er- bis 60er-Jah- ren maßgeblich am Wiederaufbau unseres Landes mitge- wirkt haben. Besonders bedenklich erscheint auch, die Versorgungsansprüche der Witwen dieser Bergleute nicht anzuerkennen. Schließlich hat auch das Bundessozialge- richt am 30. September 1999 dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung aufgegeben, seine einschrän- kende Rückwirkungsklausel zu überprüfen. Das Gericht sieht darin eine Ungleichbehandlung von bei ihrer Be- rufsausübung durch Feinstäube Erkrankten. Die gesundheitliche Gefährdung durch Feinstäube im Untertage-Steinkohlenbergbau liegt, vom heutigen Zeit- punkt aus betrachtet, nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit. Die Rückwirkungsregelung widerspricht daher dem Ziel, das mit der Aufnahme der Berufskrankheit Nr. 4111 in die Berufskrankheitenverordnung bezweckt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221802 (C) (D) (A) (B) wurde. Wir wollen diese Rückwirkungsklausel des § 6 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung aufheben oder die Rückwirkungszeit – um etwa 25 bis 30 Jahre! – deut- lich verlängern. Damit würden nicht nur die für die be- troffenen Feinstaub-Opfer unverständlichen Ungleichbe- handlungen beseitigt, sondern auch die Bedenken des Bundessozialgerichts im Hinblick auf den Gleichheits- grundsatz des Grundgesetzes gegenstandslos. Erlauben Sie mir an dieser Stelle, dem Arzt Dr. Karl Heinz Bonmann aus Oberhausen für sein Engagement in dieser Sache zu danken. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Pia Maier (PDS): Manche Dinge erstaunen mich hier wirklich noch: Da wird die Staublunge als Berufskrank- heit Nr. 4111 anerkannt. Aber nur für die, die erst nach dem 1. Januar 1993 erkrankten. Warum nur? Die Staub- lunge gehört vor allem in die Zeiten des Steinkohleberg- baus. Bergleute atmeten in den Bergwerken viel mehr Staub ein als übertage üblich. Dieser Staub führt zu bron- chialen Erkrankungen, die schließlich chronisch werden und die Lungenfunktion beeinträchtigen. Der Zusammen- hang zwischen Staubbelastung der Luft am Arbeitsplatz und Schäden der Lunge ist nachgewiesen und die Berufs- krankheit entsprechend definiert. Der Steinkohlebergbau ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Das Ruhrgebiet hat einen enormen Strukturwandel hinter sich, an die streikenden Bergleute, die nicht auf die Straße gesetzt werden wollten, können sich viele noch erinnern. Und alle wissen auch, dass die Zahl der Beschäftigten im Bergbau in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Berufskrankheiten, die mit dem Steinkohleabbau zusammenhängen, müssen also notwen- digerweise auch seltener vorkommen. Die Gesundheits- vorsorge hat vermutlich weiter dazu beigetragen, dass Be- rufskrankheiten wie die Staublunge eher seltener werden. Aber was sieht die Berufskrankheiten-Verordnung vor? Nur wer schon vor dem Stichtag 1. Januar 1993 nach- weisbar an einer chronischen obstruktiven Emphysem- bronchitis – kurz eben Staublunge – erkrankt war, be- kommt auch eine Entschädigung. Die anderen Fälle gehen leer aus. Im Antrag der FDP ist von 3 663 Fällen die Rede, die wegen der begrenzten Rückwirkung abge- lehnt wurden. Ja, da kann ich doch nicht anders, als der FDP zustim- men. Diese Regelung ist unlogisch, unnötig und den Be- troffenen nicht zu erklären. Die Lösung kann nur darin be- stehen, die Frist deutlich zu verlängern. So weit zu verlängern, dass alle ehemaligen Bergleute, die an Staub- lunge erkranken auch eine Entschädigung erhalten. Ge- rade bei Atemwegserkrankungen zeigen sich die Auswir- kungen ja erst spät. Zunächst ist da nur die Bronchitis, die sich dann mit der Zeit auf die Lunge auswirkt. Und diese Beeinträchtigung der Lungenfunktion ist ausschlagge- bend für die geringere Lebensqualität und die gesunkene Lebenserwartung der Betroffenen. Eine Entschädigung ist dabei das mindeste, denn ihre Gesundheit bekommen die Betroffenen damit auch nicht zurück. Die schwere Arbeit untertage hat eine Krankheit bewirkt, und es ist beschämend, dass ein willkürlich fest- gelegter Stichtag die erkrankten Bergleute um die Zahlung von Entschädigung bringt. Einen vernünftigen Grund dafür kann ich jedenfalls nicht erkennen. Deswegen, auch wenn es selten vorkommt: Die PDS-Fraktion unterstützt den FDP-Antrag für eine Verlängerung der Rückwir- kungsfrist für die Berufskrankheit Nummer 4111. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Soziale Arbeit stärken – Alternativen zum Zivildienst entwickeln (Tagesordnungspunkt 19) Dieter Dzewas (SPD): „Soziale Arbeit stärken – Al- ternativen zum Zivildienst entwickeln!“, das klingt gut und beides haben wir bereits getan. Es wundert doch sehr, dass die PDS-Fraktion trotz eingehender Beratungen im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend noch nicht zur Kenntnis genommen hat, dass ihre Forderungen zu einem großen Teil erfüllt sind. Der Antrag ist also schlicht überflüssig. Die Bundesregierung stärkt soziale Arbeit nachhaltig. Sie stärkt sie durch Qualifizierungsmaßnahmen über das Job-Aqtiv-Gesetz, das wir kürzlich hier im Hause verab- schiedet haben, und im Rahmen von JUMP findet auch eine Grundqualifizierung in vielen sozialen Bereichen statt. Ombudsstellen im Zivildienstbereich werden nicht benötigt und sind auch von allen Seiten unerwünscht. Das würde zum einen die Selbstverantwortung und Selbst- steuerung der Verbände untergraben und diesen zum an- deren zusätzliche Institutionen und erhöhten Verwal- tungsaufwand aufbürden. Die PDS fordert in ihrem Antrag, den Zivildienst als Alternative zum Wehrdienst zu erhalten. Natürlich ma- chen wir das. Das Bundeskabinett hat zur Reform der Bundeswehr bereits vor einiger Zeit klargestellt, dass der Zivildienst erhalten bleibt, ebenso wie die Wehrpflicht auch weiter läuft. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben im November vergangenen Jahres eines Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem wir Alternativen zum Zi- vildienst stärken. Unser Entwurf zur Änderung des FSJ- Förderungsgesetzes beinhaltet im neu geschaffenen § 14 c des Zivildienstgesetzes gerade die Möglichkeit für aner- kannte Kriegsdienstverweigerer, im Rahmen eines frei- willigen sozialen oder freiwilligen ökologischen Jahres eine völlig andere Art Dienst als den Zivildienst abzuleis- ten. Anschließend können sich die Dienstpflichtigen ihre für die Allgemeinheit geleistete Zeit als Pflichtdienst an- rechnen lassen. Wir machen das freiwillige soziale Jahr noch attrakti- ver. Durch die Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten kön- nen Freiwillige nun noch mehr als bisher ihren Neigungen folgen. Engagement ist nun möglich in den klassischen Bereichen wie sozialen Diensten, dem Gesundheits- und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21803 (C) (D) (A) (B) Pflegebereich, aber auch in neuen Feldern wie Kultur, Sport, Denkmalpflege und Jugendhilfe. Gerade hier sehen viele junge Männer und Frauen eine Alternative zum klas- sischen FSJ. Konkret heißt das: Ein junger Mann kann seinen Zivil- dienst künftig auch im Sportbereich im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres, oder im Umweltbereich, im Rahmen eines freiwilligen ökologischen Jahres, absolvie- ren. Das sind Schritte für eine moderne und zukunfts- orientierte Konversion des Zivildienstes. Voraussetzung bei Kriegsdienstverweigerern ist allerdings, dass sie sich mindestens zwei Monate länger verpflichten, als sie das im Zivildienst hätten machen müssen. Das heißt, mindes- tens zwölf Monate Dienst in den freiwilligen Jahren, höchstens aber 18 Monate. Attraktivität gewinnen die Freiwilligendienste zudem durch eine zeitliche Flexibili- sierung. Wir haben erkannt, dass mehr als 90 Prozent der Teil- nehmerinnen und Teilnehmer an einem freiwilligen so- zialen oder freiwilligen ökologischen Jahr mit dieser Zeit sehr zufrieden waren. Diese Zufriedenheit gilt es auch auf den Zivildienstbereich zu übertragen. Mit unserem Gesetzentwurf bewirken wir einen weite- ren Ausbau der Freiwilligendienste im In- und Ausland. Im Auslandsbereich weiten wir sie auf das außereuropä- ische Ausland aus. Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat sich seit 1993 um etwa 70 Prozent erhöht und die Nachfrage nach Plätzen übersteigt zur Zeit deut- lich das Angebot. Die hohe Nachfrage zeigt eindeutig, dass sich junge Menschen engagieren wollen und für ihre Gesellschaft einen freiwilligen Dienst leisten möchten. Dieses Engagement sollten wir unterstützen. Es wird allerdings keine Engpässe bei der Besetzung freier Plätze für anerkannte Kriegsdienstverweigerer im FSJ oder FÖJ geben. Im Gegenteil: Für „Zivis“ in den Freiwilligendiensten sollen zusätzliche Stellen geschaf- fen werden. Wir wollen die Dienste dort klar und eindeu- tig unterstützen, wo die Nachfrage am größten ist. Denn eines ist vollkommen klar: Wo junge Menschen mit Spaß und Engagement bei der Sache sind – sei es im sozialen Bereich, der Denkmalpflege, im Sport oder beim Um- weltschutz –, ist jeder Euro gut angelegt. Hier erzielen alle Beteiligten die besten Ergebnisse. Mit einem hat die PDS-Fraktion allerdings Recht – und dies möchte ich hier ausdrücklich unterstreichen –: Die Leistungen der Zivildienstleistenden verdienen hohe An- erkennung. Vor allem diejenigen, die in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung, ISB, tätig sind, sind viel- fältigen Anforderungen ausgesetzt. Große psychische und physische Belastungen sind mit dieser Arbeit verbunden. Einige junge Menschen sind diesen Herausforderun- gen allerdings gewachsen – andere nicht. Wir wollen ver- hindern, dass junge Männern im Rahmen ihres Zivildiens- tes Erfahrungen machen müssen, die sie an den Rand ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten bringen. Sie sol- len selbst einschätzen, wozu sie in der Lage sind. Unser Konzept der wahlweisen Absolvierung von Zivildienst, FSJ oder FÖJ setzt genau hier an. Neben der bestehenden Ableistung des Zivildienstes im Ausland eröffnen wir Kriegsdienstverweigerern zu- künftig, ihr FSJ oder FÖJ im europäischen und außer- europäischen Ausland zu absolvieren. Die Beteiligung von Jugendlichen vor allem an grenzüberschreitenden Freiwilligendiensten trägt in enormem Maße zur künfti- gen persönlichen wie beruflichen Entwicklung bei. Sie fördert die Herausbildung sozialer Fähigkeiten und eine ausgewogene Integration in die Gesellschaft. Kurz: Grenzüberschreitende Freiwillige sind engagiert im öf- fentlichen Leben. Noch ein Wort zum FSJ-Förderungsänderungsgesetz: Wir prüfen auch, wie wir die Rahmenbedingungen für länger andauernde Freiwilligendienste vor allem im euro- päischen und nichteuropäischen Ausland und für auslän- dische Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Deutschland verbessern können. Das bedeutet auch, dass wir vor der Einbringung eines eigenständigen Freiwilligengesetzes die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ genau analysieren und berücksichtigen werden. Sie sehen, unser Gesetzentwurf zur Änderung des FSJ- Förderungsgesetzes geht bedeutend weiter als der Antrag der PDS-Fraktion. Er verbessert die Attraktivität der Frei- willigendienste und erweitert zudem die Möglichkeiten für den Zivildienst. Dagegen war der Antrag der PDS be- reits zur Bundestagsdebatte im Juli 2000 überholt, heute ist er es allemal. Marlene Rupprecht (SPD): Es ist schon erstaunlich, wie ein positiv klingender Antrag, ich spreche hier von dem Vorschlag der PDS-Kollegen „Soziale Arbeit stärken – Alternativen zum Zivildienst entwickeln“ bei genaue- rem Hinsehen sich als Antrag für die Neugestaltung des Staates herausstellt. Er ignoriert, dass die Bundesrepublik Deutschland ein föderativer Staat ist, mit gewachsenen sozialen Strukturen und Zuständigkeiten. Man könnte jetzt spekulieren, ob es mangelnde Kenntnis der Gege- benheiten oder das Verhaftetsein in vergangenen Struktu- ren eines zentralistisch geführten Staates ist. Nun zu den einzelnen Forderungen des Antrages: Sie fordern die Einrichtung einer Ombudsstelle Zivildienst, die damit Aufgaben der Pflegeversicherung, des Zivil- dienstes und des Rehabilitationsrechtes wahrnehmen müsste. Sie würden erstens damit in das Selbstverwal- tungsrecht der Träger und Verbände eingreifen, zweitens dem Zivildienst Aufgaben zuordnen, für die er laut Grundgesetz nicht zuständig ist, und nebenbei gesagt, un- terstellen Sie uns, dass wir den Zivildienst abschaffen wollen. Drittens ignorieren Sie, dass der Bundestag 2001 das Sozialgesetzbuch IX verabschiedet hat, dessen Kern- stück die Einrichtung von Servicestellen für die Beratung von Betroffenen und Angehörigen ist. Die PDS-Fraktion hat als einzige Fraktion diesem Antrag nicht zugestimmt. Obwohl wir mit diesem Gesetz auch das Recht auf ein persönliches Budget und die Assistenz beschlossen – übrigens sind dies Punkte, die sie in ihrem Antrag for- dern – haben sie sich der Stimme enthalten. Sie wollen eine Kommission der sozialen Arbeit ein- richten. Auch das hört sich erst einmal gut an. In Wirk- lichkeit wollen Sie, dass der Staat alle sozialen Aufgaben Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221804 (C) (D) (A) (B) von der Kinderbetreuung über die Jugendhilfe, die Alten- hilfe und den Behinderten- und Schwerbehindertenbe- reich aus öffentlichen Geldern bezahlt. Sie legen aber nicht dar, woher das dafür benötigte Geld kommen soll. Und Sie ignorieren völlig, dass Jugendhilfe und Kinder- betreuung kommunale Aufgaben sind und die Kommunen sich bestimmt nicht von einer Zentralstelle, die für alles zuständig ist – in Bayern würde man sagen: einer „eierle- genden Wollmilchsau“ –, in ihre Kompetenzen pfuschen lassen. In anderen Bereichen sind Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherer oder auch Sozialhilfeträger zuständig, die alle unterschiedlich finanziert werden und die Sie alle über einen Kamm scheren. Ich stimme Ihnen zu, dass für viele Betroffene die Viel- falt der Hilfeangebote verwirrend ist. Dem ist aber nicht mit einer über allem schwebenden zentralistischen Mam- mutbehörde beizukommen. Vielmehr muss die Beratung vor Ort, direkt bei den Betroffenen sein. Dies erreichen wir mit der Einrichtung der Servicestellen in jedem Land- kreis und in jeder kreisfreien Stadt. Die Qualifizierung junger Menschen für soziale Berufe wird durch die Umsetzung unseres Job-Aqtiv-Gesetzes erreicht. Hier wird gezielt auch im sozialen Bereich ge- schult. Kolleginnen und Kollegen von der PDS-Fraktion, Sie fordern mit einem Satz auch noch gleich den Ausbau der Freiwilligendienste. Wir stellen ihrem recht lässig dahin- gestellten Antrag einen fundierten Reformvorschlag für die Freiwilligendienste entgegen – fundiert deshalb, weil er die gewachsenen Strukturen im Bereich der Freiwilli- gendienste berücksichtigt und gleichzeitig modernen Er- fordernissen entspricht. Wir erweitern die Einsatzfelder für die jungen Menschen, und die ausländischen Einsatz- gebiete werden auf das außereuropäische Ausland ausge- dehnt. Die bisherige Altersregelung entfällt. Es können nun auch Jugendliche nach Vollendung der Vollzeitschul- pflicht ihren Freiwilligendienst absolvieren. Sie werden auf ihre Aufgaben gut vorbereitet und während des Diens- tes pädagogisch begleitet und sozialversicherungsrecht- lich abgesichert. Für anerkannte Kriegsdienstverweigerer besteht die Möglichkeit, ihren Zivildienst als Freiwilli- gendienst abzuleisten. Dabei wird durch eine Verordnung dafür Sorge getragen, dass bisherige Freiwilligenplätze für Mädchen nicht etwa durch Zivildienstplätze ersetzt werden. Wenn Ihre Forderungen nach Ausweitung der Freiwil- ligendienste und einer Reform des Zivildienstes ernst ge- meint sind, können Sie unserem Antrag zur Reform des FSJ/FÖJ, der in Bälde in diesem Hause in zweiter und dritter Lesung beraten wird, zustimmen. Es ist schwierig und oft mühselig, realistische, um- setzbare Anträge ins Parlament einzubringen, aber es ist sehr viel ehrlicher, als populistische Lösungen anzubie- ten, so wie Sie das in Ihrem Antrag tun. Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Sagen wir zum Be- ginn und ausnahmsweise einmal etwas Positives über ei- nen Antrag der PDS. Die Feststellung, der Zivildienst habe sich über die Jahrzehnte zu einer wichtigen Säule im Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland ent- wickelt, ist richtig und diese Debatte heute ist der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch Anlass, den Zivil- dienstleistenden in Deutschland ein Wort des Dankes und der Anerkennung für ihre Arbeit zu sagen. Richtig ist da- neben auch die Feststellung im PDS-Antrag, dass die durch Rot-Grün beispielweise im so genannten Haus- haltssanierungsgesetz vorgenommenen Kürzungen nega- tive Folgen im Zivildienst nach sich gezogen haben. Das war's dann aber auch schon mit den Gemeinsam- keiten, denn die Folgerungen, die die PDS aus den eben beschriebenen Umständen zieht, sind für die Union in keinster Weise akzeptabel. Erstens. Die PDS geht, wie im Übrigen auch Bünd- nis 90/Die Grünen (auf diesen kleinen interkoalitionären Unterschied sei an dieser Stelle auch nochmals hinge- wiesen) davon aus, dass die allgemeine Wehrpflicht ab- geschafft werden sollte. Diese Auffassung teilt die CDU/ CSU nicht. Zweitens. Seit Monaten diskutieren wir in diesem Ho- hen Hause darüber (wenn auch je nach Fraktions- zugehörigkeit mit unterschiedlicher Intensität), wie die Kräfte des Arbeitsmarkts entfesselt werden können und wie die Staatsquote gesenkt werden könnte. Mitten hinein in diese Diskussion präsentiert uns die PDS einen Antrag, der einen breiten öffentlich geförderten Beschäftigungs- sektor zum Ziel hat. Da fragt man sich schon, ob die PDS tatsächlich aus ihrer reichen Vergangenheit etwas gelernt hat. Wir brauchen nicht mehr Staat, sondern weniger Staat. Von den Kosten dieses öffentlich geförderten Be- schäftigungssektors wollen wir in diesem Zusammenhang einmal gar nicht reden! Lassen Sie mich diese Debatte aber auch dazu nutzen, die Bundesregierung einmal mehr daran zu erinnern, dass sie nach wie vor in der Pflicht steht, ihre Zukunftsplanun- gen bei Wehrpflicht und Zivildienst aufeinander abzu- stimmen. Von Planungssicherheit bei den Einsatzstellen kann längst keine Rede mehr sein, und nicht wenige Be- schäftigungsstellen diskutieren längst die Frage, ob die Bereitstellung von Zivildienststellen denn überhaupt noch einen Sinn macht – und dies sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer Hinsicht. Nehmen Sie nur einmal exemplarisch den einzigarti- gen Geniestreich, den Dienst in Abschnitten ableisten zu können. Wir haben diese Regelung bei der Wehrpflicht kritisiert; die Bundesregierung blieb beratungsresistent. Wir haben diese Regelung beim Zivildienst kritisiert; die Bundesregierung blieb beratungsresistent. Nun findet sich diese seltsame Regelung auch im Entwurf des Frei- willigengesetzes, über das wir am Mittwoch eine öffent- liche Anhörung hatten. Dieses Mal findet sich unsere Kri- tik ausnahmslos im Tenor mit der Auffassung der Sachverständigen. Vielleicht markiert dies ja doch noch den Punkt, an dem Sie lernfähig werden. Dass eine Re- gierung ihrer Opposition nicht glaubt, dafür mag man ja noch Verständnis haben. Aber dass man sich gegen den versammelten Sachverstand aus Wissenschaft und Praxis stellt, das ist dann doch eine etwas seltsame Form von in- tellektueller Kontinuität. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21805 (C) (D) (A) (B) Lassen Sie mich zum Schluss mit einer Bemerkung auf die Ausschussberatungen zurückkommen; insbesondere auf das, was von sozialdemokratischer Seite dort vorge- tragen wurde. Da wurde doch allen Ernstes das so ge- nannte Job-Aqtiv-Gesetz als Instrument genannt, mit dem Umschulungen und andere Maßnahmen der Arbeitsver- waltung ermöglicht würden. Nach all dem, was wir in den letzten Tagen aus der Bundesanstalt für Arbeit gehört haben oder besser: hören mussten, klingt diese Bemer- kung aus der Ausschussberatung ja fast schon grotesk. Ich denke, die Vertreterinnen und Vertreter von Rot-Grün se- hen das inzwischen auch so! Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hat durch ihre unkoordinierte Vorgehensweise bei den Reformen von Wehrpflicht und Zivildienst einen Beitrag dazu ge- leistet, dass das die Regierungsarbeit prägende Chaos- prinzip nun auch noch an dieser Stelle deutlich wird. Die PDS will dem abhelfen, indem sie eine Lösung aus der so- zialistischen Mottenkiste präsentiert. Wir wollen weder das eine noch das andere; deshalb lehnen wir den Antrag der PDS ab! Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zivildienstkonversion ist für meine Fraktion nach wie vor ein wichtiges Thema. Solange die Entscheidung be- züglich der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht noch nicht getroffen ist, können sich Veränderungen bei der Kriegsdienstverweigerung jedoch nur abbilden, wenn sie angelehnt sind an die Strukturen der Wehrpflicht. Den- noch ist für uns absehbar, dass die Wehrpflicht fällt. Das bedeutet für den Zivildienst schon jetzt einen stetigen Aufwuchs an Konversion. Ein Beitrag dazu ist die Verkürzung der Dienstzeit, aber auch die Novellierung des FSJ und FÖJ-Gesetzes. Um darüber hinaus die „arbeitsmarktpolitische Neutra- lität“ des Zivildienstes sicherzustellen, ist aus unserer Sicht die Verkürzung der Zivildienstzeit in dieser Legis- latur von 13 auf elf und jetzt auf zehn Monate ebenfalls notwendig. Aus Sicht meiner Fraktion merke ich an die- ser Stelle jedoch nicht nur obligatorisch an, dass wir wei- terhin eine Angleichung der Dienstzeiten wollen. Nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen den Zivildienstleistenden gegenüber waren und sind diese Maßnahmen notwendig. Natürlich bedeutet dies für die Einsatzbereiche eine schrittweise Umstellung. Schrittweise deshalb, weil es bei den wichtigen Leistungen, die die Zivildienstleistenden erbringen, keine Brüche geben darf. Expertenberechnun- gen belegen längst, dass drei Zivildienstleistende die Arbeit von zwei hauptamtlichen Kräften verrichten könn- ten. Die Einstellung von Pflegekräften ist volkswirt- schaftlich gesehen demnach sogar günstiger als die Be- schäftigung von Zivildienstleistenden. Dennoch braucht die Konversion des Zivildienstes Zeit. Sie alle wissen, wie politische Prozesse funktionieren. Abgesehen vom Ausbildungsprogramm der Bundes- länder zum Beruf der „Sozialassistenten“, die die Arbeit von Zivildienstleistenden übernehmen können, bietet so- wohl das Job-Aqtiv-Gesetz als auch die Novelle zum Meister-BAföG Ansatzpunkte, die in die Diskussion ein- bezogen werden müssen. Diese Perspektiven kommen in Ihrem Antrag eindeutig zu kurz. Auch andere Passagen gehen streckenweise am Thema vorbei. Natürlich muss die Pflege im Gesundheitswesen sichergestellt werden. Aber dazu bedarf es sicherlich we- sentlich mehr als einer vorausschauenden Entwicklung von Alternativen zum Zivildienst. Unserer Meinung nach besteht in diesem Bereich Reformbedarf, der beispiels- weise nicht durch eine Beschwerdestelle, wie die PDS sie vorschlägt, befriedigt wird. Insgesamt setzten Bündnis 90/Die Grünen auf die För- derung von Engagement statt Verpflichtung zum Zwangs- dienst. Und diesen Weg verfolgen wir auch in der Koalition. Am Ende bleibt mir aus den genannten Gründen nur Ih- nen zu empfehlen, der Haltung des Ausschusses zu folgen und bei der Ablehnung des PDS-Antrages zu bleiben. Ina Lenke (FDP): Der Zivildienst leistet einen wich- tigen Beitrag für die sozialen Dienste in unserer Gesell- schaft. Wie der Antrag der PDS aus den Jahr 2000 be- schreibt, leisten Zivildienstleistende in vielen sozialen Einrichtungen wertvolle Arbeit. Beschlüsse der Bundes- regierung zur Wehrpflicht und die Kürzungen beim Zivil- dienst in den Haushalten des Familienministeriums der letzten Jahre zeigen deutlich auf, dass Einsparungen fast ausschließlich zulasten des Zivildienstes gegangen sind, zum Beispiel durch geringere Beitragszahlungen an die Rentenversicherung. Jetzt geht die Legislaturperiode zu Ende und die Re- gierung hat es bis heute versäumt, ein umfassendes Kon- zept als Ersatz für den zeitlich immer mehr eingeschränk- ten Zivildienst und auch für „die Zeit danach“, wenn die Wehrpflicht fällt und die Bundeswehr in eine Berufsar- mee umgewandelt wird, vorzulegen. Dies ist ein eklatan- tes Versäumnis dieser Regierung. Hier wird politisches Nichtstun für unsere Gesellschaft, gerade für Ältere, Kranke und Behinderte, schlimme Folgen haben. Ich habe immer wieder die Regierung durch Anfragen und Diskussionen in unserem Ausschuss zum Handeln aufgefordert. Passiert ist nichts. Auf den letzten Metern haben Sie von Rot-Grün einen „Mini-Antrag“ zum FSJ und FÖJ vorgelegt, der konzeptionell misslungen ist. Das hat die Anhörung am Dienstag im Bundestag gezeigt. Sie haben kein umfassendes Konzept für die vielen jungen Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten wollen. Der niedersächsische Innenminister Bartling, der Ihrer Partei, der SPD, angehört, holt jedes Jahr wieder den Pflichtdienst für junge Männer und Frauen aus der Mot- tenkiste. Sie sind sich noch nicht einmal über Ihre eigene parteipolitische Richtung einig. Die FDP hat im Dezember letzten Jahres einen eige- nen Antrag „Deutschland braucht gesetzliche Rahmen- bedingungen für einen allgemeinen Freiwilligendienst“ dem Parlament vorgelegt, der in dieser Woche bereits Ge- genstand der Anhörung des Ausschusses für Familie, Frauen, Senioren und Jugend war. Die FDPwill, dass un- ter anderem rechtliche Grundlagen für einen allgemeinen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221806 (C) (D) (A) (B) Freiwilligendienst für Menschen in Deutschland geschaf- fen werden, der Aufbau der Kooperation gemeinnütziger Dienste zwischen der Europäischen Union, der EFTAund den Beitrittsländern sowie ausgewählte Drittländer unter- stützt und rechtliche sowie institutionelle Hindernisse ab- gebaut werden. Der Antrag der PDS fordert den Ausbau des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Das lehnt die FDP ab, zumal unsere Forderungen zu Freiwilligendiensten dem Parlament vorliegen. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 772. Sitzung am 1. Februar 2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – GesetzzurNeuregelungdesRechtsdesNaturschutzes und derLandschaftspflege und zurAnpassung ande- rerRechtsvorschriften (BNatSchGNeuregG) – Gesetz zur Änderung des Fleischhygienegesetzes, des Geflügelfleischhygienegesetzes und des Tierseu- chengesetzes – Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernener- gienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elek- trizität – Gesetz zur Aufhebung der für die Kostengesetze nach dem Einigungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze für den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht galt (Ermäßigungssatz- Aufhebungsgesetz Berlin – KostGErmaufhGBln) – Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes – Gesetz zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelaus- gaben-Begrenzungsgesetz – AABG) Der Bundesrat hat in seiner 772. Sitzung am 1. Februar 2002 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz gemäß Ar- tikel 84 Abs. 1 nicht zuzustimmen: – Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fall- pauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauscha- lengesetz – FPG) Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 14. Februar 2002 mitgeteilt, dass sie den Antrag Sachge- rechter Schutz der Rechte für Software auf Drucksache 14/4384 zurückgezogen hat. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung so- wie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jah- resabrüstungsbericht 2000) – Drucksache 14/5986 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der NATO über die Frühjahrstagung der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO vom 26. bis 30. Mai 2000 in Buda- pest, Ungarn – Drucksachen 14/6933, 14/7413 Nr. 1 – Ausschuss fürWirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundeskartellamts über seine Tätigkeit in den Jahren 1999/2000 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesre- gierung – Drucksache 14/6300 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2000 – Drucksachen 14/6905, 14/7195 Nr. 1.1 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Ge- schäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring „Stand und Perspektiven der geneti- schen Diagnostik“ – Drucksache 14/4656 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 14/7700 Nr. 2.3 Drucksache 14/7700 Nr. 2.54 Drucksache 14/7129 Nr. 2.31 Drucksache 14/7129 Nr. 2.47 Drucksache 14/7129 Nr. 2.65 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/6508 Nr. 2.4 Drucksache 14/7708 Nr. 2.25 Drucksache 14/7708 Nr. 2.28 Drucksache 14/7708 Nr. 2.32 Drucksache 14/7883 Nr. 1.3 Drucksache 14/7883 Nr. 1.4 Drucksache 14/7883 Nr. 1.5 Drucksache 14/7883 Nr. 1.6 Drucksache 14/7883 Nr. 2.3 Drucksache 14/7883 Nr. 2.4 Drucksache 14/7883 Nr. 2.20 Drucksache 14/7883 Nr. 2.27 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/7129 Nr. 2.13 Drucksache 14/7129 Nr. 2.58 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21807 (C) (D) (A) (B) Drucksache 14/7197 Nr. 2.15 Drucksache 14/7197 Nr. 2.30 Drucksache 14/7409 Nr. 2.16 Drucksache 14/7409 Nr. 2.18 Drucksache 14/7409 Nr. 2.28 Drucksache 14/7522 Nr. 2.2 Drucksache 14/7522 Nr. 2.4 Drucksache 14/7522 Nr. 2.8 Drucksache 14/7522 Nr. 2.10 Drucksache 14/7522 Nr. 2.17 Drucksache 14/7708 Nr. 2.3 Drucksache 14/7708 Nr. 2.17 Drucksache 14/7708 Nr. 2.18 Drucksache 14/7708 Nr. 2.19 Drucksache 14/7708 Nr. 2.29 Drucksache 14/7708 Nr. 2.33 Drucksache 14/7708 Nr. 2.35 Drucksache 14/7883 Nr. 2.10 Drucksache 14/7883 Nr. 2.30 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/7000 Nr. 2.2 Drucksache 14/7000 Nr. 2.15 Drucksache 14/7883 Nr. 1.1 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/7883 Nr. 2.21 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221808 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421900000
Guten Morgen, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff-
net.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleich-
terung der Bekämpfung von illegaler Beschäf-
tigung und Schwarzarbeit
– Drucksachen 14/8221, 14/8288 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1421900100
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Illegale Beschäftigung
und Schwarzarbeit können datenmäßig nicht genau er-
fasst werden.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Bisher in Nürnberg!)


Das liegt in der Natur der Sache. Aber fest steht: Es gibt
sie. Parteiübergreifend besteht Konsens, dass sie einen
sehr großen Umfang in unserer Volkswirtschaft einneh-
men.

Der Schaden für unser Solidarsystem ist beträchtlich.
Er kann mit einer Faustformel abgeschätzt werden:
10 000 Arbeitsplätze, die aufgrund von illegaler Beschäf-
tigung und Schwarzarbeit im vergangenen Jahr nicht
zustande kamen, bedeuten für die Sozialversicherung
jeweils einen Beitragsausfall in Höhe von 221 Milli-

onen DM und einen Steuerausfall für den Fiskus in Höhe
von 93 Millionen DM. Ich sage für die Bundesregierung
ganz deutlich: So kann und darf es nicht weitergehen; dies
kann nicht länger hingenommen werden. Wir müssen die
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarz-
arbeit spürbar verbessern. Genau das ist der Sinn und
Zweck der Ihnen vorliegenden Gesetzesinitiative.

Worauf kommt es uns dabei als Erstes an? Wir wollen
keine neuen bürokratischen Strukturen aufbauen; doch
die Erfahrung hat gezeigt, dass in der Praxis häufig
Schwierigkeiten bei der Verfolgung von illegaler Be-
schäftigung auftreten. Genau darauf zielt der Gesetzent-
wurf ab. Diese Schwierigkeiten sollen durch eine bessere
Zusammenarbeit der bereits zuständigen Behörden und
dadurch, dass der Bundesanstalt fürArbeit neue Befug-
nisse eingeräumt werden, überwunden werden. Außer-
dem – ohne dieses geht es offenbar nicht – sollen die
Sanktionen erheblich verschärft werden. Das erhöht na-
türlich den Grad der Abschreckung.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was anderes fällt euch nicht ein!)


Verschärfte Sanktionen erleichtern es aber auch, unge-
rechtfertigte Gewinne abzuschöpfen. Neben einem höhe-
ren Grad der Abschreckung soll die Gewinnabschöpfung
erleichtert werden. So sollen wegen der besonderen Be-
deutung der illegalen Beschäftigung im Baugewerbe die
Hauptunternehmer im Baugewerbe verstärkt in die Ver-
antwortung genommen werden. Sie sollen künftig bei ei-
genem Verschulden für die Sozialversicherungsbeiträge
der Arbeitnehmer ihrer Subunternehmer haften.

Zu Ihrer Information: Der Gesetzentwurf berücksich-
tigt die Entschließung des Deutschen Bundestages vom
6. April 2001 über Eckpunkte zur Verbesserung der
Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit
ebenso wie zwei mit großer Mehrheit zustande gekom-
mene Entschließungen des Bundesrates zur Wieder-
herstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt vom
19. März 1999 und zur Verbesserung der Bekämpfung
der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung vom
29. September 2000.

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(A)



(B)


219. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Ich will die wichtigsten neuen Regelungen, die wir
vorgesehen haben, kurz skizzieren: Zum einen werden die
bestehenden Hindernisse bei der Zusammenarbeit zwi-
schen den Behörden abgebaut. So werden die Sozialhilfe-
träger und die für Asylbewerberleistungen zuständigen
Behörden ausdrücklich zur Zusammenarbeit aufgefor-
dert. Sie erhalten das Recht der verdachtslosen Prüfung
in Betrieben und auf Grundstücken. Gleichzeitig wird der
Informationsaustausch zwischen den an der Bekämpfung
illegaler Beschäftigung beteiligten Behörden verbessert.
So werden, wie gesagt, die Behörden, die für Sozialhilfe
und für Asylbewerberleistungen zuständig sind, einbe-
zogen und über das Steuerrecht die Finanzbehörden stär-
ker eingebunden. Bisher hatten diese nur das Recht und
nicht die Pflicht zur Information. Künftig werden sie ver-
pflichtet, diejenigen Behörden, die mit der Bekämpfung
der illegalen Beschäftigung befasst sind, von den Verhält-
nissen des Steuerpflichtigen zu unterrichten, soweit die
Kenntnis dieser Verhältnisse für die Bekämpfung illegaler
Beschäftigung erforderlich ist.

Wie bereits angedeutet, sollen die Sanktionen ver-
schärft werden: Höhere Bußgelder und eine Erweiterung
der Straftatbestände bei illegaler Beschäftigung sind vor-
gesehen. Bei Schwarzarbeit wird ein Bußgeld von bis zu
300 000 Euro angedroht. Das gilt auch für die Erteilung
von Aufträgen für Schwarzarbeit. Illegale Ausländer-
beschäftigung ist bereits dann eine Straftat, wenn mehr
als drei Ausländer länger als 14 Tage illegal beschäftigt
werden.

Des Weiteren ist vorgesehen, die Zuständigkeit der
Wirtschaftsstrafkammern auf Arbeitsmarkttatbestände zu
erweitern. Die Abwicklung aufgedeckter Fälle illegaler
Beschäftigung wird künftig dadurch erleichtert, dass kraft
Gesetzes ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart gilt, wenn
bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversiche-
rungsbeiträge nicht gezahlt wurden. Der Hauptunterneh-
mer im Baubereich – das wurde ebenfalls schon ange-
deutet –, der so genannte Generalunternehmer, haftet
künftig für die Sozialversicherungsbeiträge, die ein Nach-
unternehmer, ein so genannter Subunternehmer, für des-
sen Arbeitnehmer nicht abgeführt hat.

Diese Haftung ist verschuldensabhängig: Wenn der
Hauptunternehmer nachweist, dass er aufgrund sorgfäl-
tiger Prüfung ohne eigenes Verschulden davon ausgehen
konnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflicht
erfüllt, haftet er nicht. Damit wird zugleich eine Geset-
zeslücke geschlossen: Seit dem 1. Januar 1999 haftet im
Baubereich der Hauptunternehmer unmittelbar, wenn der
von ihm beauftragte Nachunternehmer das Mindestent-
gelt der Arbeitnehmer und die Beiträge an die Sozialkas-
sen der Bauwirtschaft nicht gezahlt hat. Seit dem 1. Ja-
nuar 2002 muss im Baubereich der Hauptunternehmer zur
Sicherung der Steueransprüche gegen den Nachunterneh-
mer 15 Prozent der Rechnungssumme des Nachunterneh-
mers abziehen und an das Finanzamt abführen.

Um klarzustellen, was wir hier machen: Es gibt die Ge-
neralunternehmerhaftung schon beim so genannten Min-
destlohn, bei den Sozialbeiträgen an die so genannten
Baukassen und im Steuerrecht hinsichtlich der zu zahlen-
den Lohnsteuer. Unser Gesetzentwurf sieht vor, diese

Haftung auf die Sozialversicherungs- und die Steuerleis-
tungen insgesamt auszudehnen.

Last, but not least: Von öffentlichen Bauaufträgen
sollen Bewerber für eine Dauer von vier Jahren ausge-
schlossen werden, wenn gegen sie wegen illegaler Be-
schäftigung eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Mo-
naten, eine Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder
eine Geldbuße von wenigstens 2 500 Euro verhängt wur-
de. Damit wird deutlich: Wir werden es nicht mehr hin-
nehmen, dass illegale Beschäftigung oder Schwarzarbeit
als Kavaliersdelikt abgetan werden. Ich hoffe, dass das
nun völlig klar ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Das hat doch niemand gemacht!)


Wie Ihnen bekannt ist, hat der Bundesrat den Gesetz-
entwurf in seiner Stellungnahme grundsätzlich begrüßt.
Ich empfehle insbesondere den Kolleginnen und Kolle-
gen von der Union, sich die einzelnen Anmerkungen des
Bundesrates anzuschauen und dabei zu berücksichtigen,
wie sich manche Bundesländer verhalten haben. Ich ver-
weise auf Bayern, das die Strafbarkeit vom ersten Tag der
Beschäftigung illegaler Ausländer gefordert hat.

Die vom Bundesrat geäußerten Vorschläge und Prüf-
bitten zielen auf die weitere Verbesserung bei der
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarz-
arbeit. Kernpunkte sind Forderungen, die Ahndungsvor-
schriften zu verschärfen sowie das Vergaberecht zu mil-
dern. Die Bundesregierung hat die Anregungen des
Bundesrates eingehend geprüft und wird eine Reihe von
ihnen im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgreifen.
Soweit der Bundesrat fordert, die Nutzung des Vergabe-
rechts zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung einzu-
schränken, prüft die Bundesregierung den Vorschlag, die
Ausschlussfrist für die Teilnahme am Wettbewerb von
vier, wie im Entwurf des Tariftreuegesetzes, auf drei Jahre
zu verkürzen.

Der Einführung eines Schwellenwerts von 50 000 Euro
bei öffentlichen Aufträgen kann aus ordnungspolitischen
Gründen hingegen nicht zugestimmt werden. Viele kleine
Unternehmen, insbesondere des Handwerks, leben na-
hezu ausschließlich von Aufträgen, die unterhalb dieses
Schwellenwerts liegen. Würde die Bundesregierung dem
Vorschlag des Bundesrates folgen, wäre diese nicht gering
zu schätzende Zahl von Unternehmen schutzlos der
„Schmutzkonkurrenz“ ausgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ebenso können wir dem Änderungsvorschlag des Bun-
desrates nicht zustimmen, die zwingende Verpflichtung
der Vergabestellen aufzuheben, Auskünfte über Bußgeld-
entscheidungen einzuholen.

Einer Reihe von Vorschlägen stimmt die Bundesregie-
rung zu. So akzeptiert sie im Zusammenhang mit der ge-
forderten Verschärfung des Ahndungsrechts den Vor-
schlag, die Arbeitsämter und Hauptzollämter bei der
Verfolgung von illegaler Beschäftigung durch die Län-
derpolizeien unterstützen zu lassen. Die Bundesregierung




Parl. Staatssekretär Gerd Andres
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wird auch prüfen, ob ein neuer Straftatbestand bei wieder-
holter Schwarzarbeit geschaffen werden soll. Dagegen
lehnt sie es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ab, den
Straftatbestand bei illegaler Ausländerbeschäftigung
auf die Beschäftigung von mehr als einem Ausländer ab
der ersten Minute auszudehnen, ebenso lehnt sie ein ver-
dachtsloses Prüfungsrecht auf Schwarzarbeit ab.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Schluss noch Folgendes sagen: Winston
Churchill, oft zitiert, weil bekannt als Liebhaber von
Aphorismen – letztere bezeichnete er als verdaute Wahr-
heiten –, soll einmal gesagt haben: „Wer die bessere Ein-
sicht hat, darf sich nicht scheuen, unpopulär zu werden.“
Dieses Risiko geht die Bundesregierung bei einer be-
stimmten Klientel ein, wenn sie diesem Hause heute ihren
Gesetzentwurf zur Erleichterung der Bekämpfung von
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vorlegt. Ich
sage es frei heraus: Bei Leuten, die skrupellos Gesetze
brechen, die bei Steuern betrügen und unser Sozialsystem
jährlich um Milliarden bringen, ist diese Bundesregierung
gern unpopulär.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ihr seid aber auch darüber hinaus unpopulär! Wir wollen ihre Praktiken sogar noch wirksamer als bisher bekämpfen. In diesem Sinne verdient der vorliegende Gesetzentwurf Ihre Zustimmung. Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421900200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Karl Josef-Laumann, CDU/CSU-Fraktion.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Der kann ja jetzt nur noch zustimmen, wie ich ihn kenne!)



Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1421900300
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ein Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung illegaler
Beschäftigung und Schwarzarbeit in Deutschland ist si-
cherlich notwendig; denn wir haben es hier mit einem
wachsenden und tief greifenden Problem in Deutschland
zu tun. Es gibt Berechnungen, nach denen das Volumen
der Schwarzarbeit in Deutschland mittlerweile rund
350 Milliarden Euro beträgt. Wissenschaftler sagen uns,
dass der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlands-
produkt bei über 16 Prozent liegen könnte. Das Schlimms-
te, was uns die Wissenschaft zu diesem Thema sagt, ist,
dass die Tendenz steigend ist.

Dass diese Tendenz in Deutschland steigt, während sie
in anderen europäischen Ländern abnimmt, beweisen
auch umfangreiche europäische Studien. So ist in Finn-
land, Belgien, Dänemark und Griechenland die Schwarz-
arbeit deutlich gesunken,


(Gerd Andres, Parl. Staatssekretär: Woher weiß man das denn? – Zuruf von der SPD: Das Niveau war da doch kräftig höher!)


wohingegen sie bei uns deutlich angestiegen ist. Man geht
davon aus, dass die Einnahmeausfälle für die Sozialver-
sicherungen durch illegale Beschäftigung und Schwarz-
arbeit in Deutschland bei weit über 100 Milliarden DM
liegen und dass große Beitragssenkungen möglich wären,
wenn wir diese Problematik nicht hätten.

Deswegen ist es wichtig, über den Bereich der
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vor allen Din-
gen am Bau – den dieser Gesetzentwurf stark im Auge
hat – hinaus auch einmal darüber nachzudenken, dass wir
ja nicht nur in diesem Bereich Schwarzarbeit und illegale
Beschäftigung haben, sondern dass es mittlerweile in
breiten Teilen der Bevölkerung, vor allen Dingen im
Bereich der handwerklichen Dienstleistungen, bei uns in
Deutschland einen riesigen Markt für Schwarzarbeit gibt.

Das hat nicht nur, aber doch sehr deutlich mit der Ge-
setzgebung in Deutschland zu tun. Ich bin wirklich davon
überzeugt, dass durch die Neuregelung der 630-Mark-
Jobs


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU] – Paul Breuer [CDU/CSU]: Ein Programm zur Förderung der Schwarzarbeit!)


vor allen Dingen diejenigen, die neben ihrer Haupt-
beschäftigung einen 630-Mark-Job hatten,


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Überstunden!)


zu Hunderttausenden in die illegale Beschäftigung, also in
die Schwarzarbeit, getrieben worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Überstunden! Das kann doch nicht wahr sein!)


Ich wette, dass Sie mit Ihren in vielen Bereichen des Steu-
errechts getroffenen Entscheidungen – beispielsweise ha-
ben Sie die Absetzbarkeit einer Haushaltshilfe wieder
zurückgenommen –


(Zuruf von der SPD: Sagen Sie mal was Neues!)


hunderttausende Beschäftigte im privaten Haushaltwie-
der in die Schwarzarbeit getrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich kann Ihnen nur sagen: In dem schwierigen Bereich

Bau muss die Illegalität ganz anders bekämpft werden als
in dem Bereich, über den ich jetzt rede. Wenn es der Poli-
tik in Deutschland nicht gelingt, eine praktikable Lösung
zu finden, um den privaten Bereich stärker für die offizi-
elle Beschäftigung zu öffnen, werden wir an diesem rie-
sengroßen Bereich der Schwarzarbeit nur ganz wenig ver-
ändern. Die illegale Beschäftigung findet nämlich
– neben dem Baubereich – vor allen Dingen im privaten
Bereich statt.

Sie brauchen sich nur einmal die Statistiken der Finanz-
ämter anzuschauen, um zu sehen, wie viele private Putz-
frauen, für die Abgaben gezahlt werden, in der Bundes-
republik Deutschland gemeldet sind. Ich kann Ihnen sagen:
Allein in meinem privaten Umfeld und in meiner Heimat-
gemeinde gibt es mehr Putzfrauen in Privathaushalten, als




Parl. Staatssekretär Gerd Andres

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(C)



(D)



(A)



(B)


der gesamten Finanzverwaltung meines Wahlkreises ge-
meldet sind. Jeder – auch hier im Bundestag – weiß, dass
es dort eine Beschäftigung nach BAT – Bar auf die Tatze –
gibt; dies ist mittlerweile die Regel.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich befürchte, dass uns, wenn Sie so weitermachen, in

diesem Bereich ein ähnlicher Systembruch ins Haus ste-
hen wird, wie wir ihn jetzt bei der Arbeitsverwaltung er-
leben. Anscheinend haben dort nämlich ebenfalls alle ge-
wusst, dass es nicht effizient ist; es ist aber nie etwas
geschehen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wohl wahr!)


So ist es auch mit Ihrer Politik zur Bekämpfung der
Schwarzarbeit. Sie setzen darauf, Gesetze zu verschärfen
und Strafen zu erhöhen, anstatt die Rahmenbedingungen
für offizielle Arbeit in Deutschland zu verbessern


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und damit die Anreize für Schwarzarbeit bei uns in
Deutschland von vornherein nachhaltig zu verschlech-
tern.

Wir haben im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
auch in der Vergangenheit schon manche Anhörung über
das Thema illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit
durchgeführt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die
Expertenrunden zur Beurteilung Ihres Gesetzentwurfes,
die vor uns liegen, sehr deutlich machen werden, dass es
nur mit Sanktionen, Auflagen und Strafen nicht geht. Ich
glaube auch, dass wir gemeinsam überlegen müssen, wie
wir weiter vorgehen. Vor der Verschärfung des Gesetzes
hätte in einem ersten Schritt eigentlich dafür gesorgt wer-
den müssen, dass die bestehenden rechtlichen Vorschrif-
ten konsequenter umgesetzt werden, dass die Einhaltung
schärfer kontrolliert wird und dass viel effektiver gear-
beitet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich lege mich heute noch nicht fest, wie meine Fraktion

am Ende des Beratungsprozesses über diesen Gesetzent-
wurf entscheiden wird. Die Problematik auf dem Bau
werden wir sicherlich alle gleich beurteilen. Sie müssen
sich einmal vorstellen: Wenn die so genannten General-
unternehmer eine Rücklage für die Steuern bilden und die
Löhne garantieren müssen sowie dann noch zusätzlich
den Sozialversicherungsbeitrag zu leisten haben – wenn
man es bei der Steuer macht, spricht vieles dafür, es bei
der Sozialversicherung nicht anders zu machen; das muss
ich zugeben –, dann müssen sie mehr als 50 Prozent der
Rechnungssumme für irgendwelche Rücklagen treu-
händerisch abgeben. Diejenigen, die Generalunternehmer
sind, müssten sich also dafür verbürgen.

Ich finde, dass an so einem Beispiel deutlich wird,
welch verrückten Weg wir in diesen Bereichen mittler-
weile einschlagen. Ich glaube, das ist das Herumdoktern
an Symptomen, aber nicht das Herangehen an die Wurzel
des Problems. Die Wurzel des Problems ist, dass wir uns
in der Bundesrepublik Deutschland – in der Tradition un-
seres Landes – für ein Sozialsystem entschieden haben, in

dem die Kosten für die soziale Sicherheit allein durch die
menschliche Arbeit erbracht werden müssen.

Wenn es uns nicht gelingt, hier umzusteuern und auch
andere Einkommensarten, die heute eine ganz andere Be-
deutung haben als damals, als man sich entschieden hatte,
es nur auf den Lohn zu beschränken, zu berücksichtigen,
wird die Sozialpolitik zur Verteuerung der menschlichen
Arbeit erheblich beitragen. Die Menschen werden dann
versuchen, am Steuer- und Abgabensystem vorbei zu ar-
beiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen ist es notwendig, dass wir in dieser Frage

der Politik einen ganz anderen Weg gehen, nämlich den
Weg der Entlastung der menschlichen Arbeit pro Arbeits-
stunde.


(Zuruf von der SPD: Dazu haben Sie 16 Jahre lang Zeit gehabt!)


Sie haben die Kosten in diesem Bereich mittlerweile nur
erhöht. Wenn Sie die Steuern erhöhen und nicht gleich-
zeitig die Sozialversicherungsbeiträge senken, wie zum
1. Januar dieses Jahres, wenn Ihre Rentenreform schon
nach dem In-Kraft-Setzen nicht mehr greift, weil die Ein-
nahmeseite nicht stimmt, dann sollten Sie uns auch nicht
so viele Ratschläge geben. Wir können uns diese Dinge
weiterhin gegenseitig vorwerfen; aber solange wir das
tun, errichten wir eine Art Selbstblockade und haben in
der Bundesrepublik Deutschland eine gute Konjunktur
für Schwarzarbeit.

Deshalb sollten sich beide Seiten dieses Hauses
bemühen, nach Lösungen zu suchen, um mehr Arbeit wie-
der auf den offiziellen Arbeitsmarkt zurückzuführen.
Das wird nur gelingen, wenn die Menschen sehen, dass
ihnen mehr verbleibt, als sie an Abzügen haben.


(Erika Lotz [SPD]: Das war zu eurer Zeit so!)

Es ist doch heute schon ein Spruch unter vielen Leuten,
dass sie bei einer Überstunde lieber die Abzüge ausge-
zahlt bekommen möchten als das, was sie netto erhalten.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist das System linke Tasche, rechte Tasche! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Dann stimmt das doch mit den 7,5 Prozent bei der IG Metall!)


Solange diese Situation besteht, werden Sie die Schwarz-
arbeit in Deutschland nicht effektiv bekämpfen können.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421900400
Ich erteile das Wort
Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421900500
Herr
Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-
ben bereits im April über einen Entschließungsantrag zur
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarz-
arbeit debattiert und ihn angenommen. Die negativen Fol-
gen und Auswirkungen der illegalen Beschäftigung sind in
jener Debatte geschildert worden und weiterer Handlungs-




Karl-Josef Laumann
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(C)



(D)



(A)



(B)


bedarf wurde deutlich. Gehandelt werden soll gemäß dem
nun vorliegenden Gesetzentwurf, der an drei Stellen an-
setzt:

Erstens. Die Zusammenarbeit der bei der Bekämpfung
zuständigen Behörden wird verbessert, die Befugnisse für
die Arbeitsverwaltung werden ausgeweitet. Dies erwei-
tert die Möglichkeiten zur Verfolgung entsprechender
Verstöße.

Zweitens. Unternehmer, die der illegalen Beschäfti-
gung überführt werden, müssen zukünftig mit erheblich
verschärften Sanktionen rechnen.

Drittens. Unternehmer im Baubereich stehen zukünftig
stärker in der Verantwortung. Um auch bei ihren Subun-
ternehmen illegale Beschäftigung nach Möglichkeit
auszuschließen, haften sie für die Sozialversicherungs-
beiträge von deren Beschäftigten. Diese General-
unternehmerhaftung kommt nur dann zur Geltung, wenn
der Generalunternehmer seiner Sorgfaltspflicht unzurei-
chend nachgekommen ist, sprich: wenn er im Vorfeld
nicht überprüft hat, ob ein Subunternehmer Sozialversi-
cherungsbeiträge abführt.

Wir haben uns in diesem Zusammenhang ein Ziel ge-
setzt: Wir wollen den Behörden, die damit befasst sind,
Instrumente an die Hand geben, mit denen sie Schwarzar-
beit effektiv bekämpfen können. Auch der Justiz soll er-
möglicht werden, sich entsprechend zu spezialisieren, um
der zunehmenden Professionalisierung im Bereich der il-
legalen Beschäftigung und Schwarzarbeit begegnen zu
können. Wir weiten die Sanktionen aus, um eine ab-
schreckende Wirkung zu erzielen.

Dazu muss ich eines sagen: Gestern gab es hier eine in-
nenpolitische Debatte, in der vor allem die Vertreter der
CDU/CSU verschärfte Sanktionen und Strafen auf allen
Feldern gefordert haben.


(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD])

Aber auf diesem Feld, auf dem es angezeigt und richtig
ist, sagen Sie, wir bräuchten solche Sanktionen nicht. Das
ist ein Widerspruch und ich weiß nicht, wie Sie diesen er-
klären wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die öffentliche Hand muss vorbildhaft vorgehen;
denn sie kann in Zukunft Unternehmern, denen Schwarz-
arbeit und illegale Beschäftigung nachgewiesen werden,
vier Jahre von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Das
soll insbesondere eine Signalwirkung haben.

Herr Laumann, Sie haben eben von Rahmenbedin-
gungen gesprochen. Es trifft zu, dass wir bereits die Rah-
menbedingungen verbessert haben. Ich will Ihnen ein
paar Beispiele nennen: das 1999 beschlossene Entsende-
gesetz, die Vorbereitung eines Gesetzentwurfs zur Tarif-
treue, die Steuersenkungen, die Stabilisierung der Abga-
ben und – nicht zu vergessen – die Reformen auf dem
Arbeitsmarkt mithilfe einzelner Instrumente von Job Ro-
tation bis zum Job-Aqtiv-Gesetz. Wir haben alle diese
Rahmenbedingungen gesetzt. Welche Vorschläge haben
Sie dem entgegenzusetzen? Sie haben in Ihrer Rede nur
alte Vorschläge aufgeführt, die Sie immer wieder aus der

Schublade herausholen und von denen Sie nicht einmal
wissen, wie sie wirken sollen. Mit diesen Vorschlägen er-
reichen Sie ganz bestimmt eines nicht: die Bekämpfung
der Schwarzarbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für die Schaffung guter Rahmenbedingungen haben
wir – das habe ich gerade ausgeführt – einiges getan. Aber
wir müssen auch ordnungspolitisch agieren und reagie-
ren. Es geht nämlich um große Summen von Geld, das den
Sozialversicherungen vorenthalten wird. Es geht aber
auch um die Wiederherstellung eines gerechten Wettbe-
werbs und – mehr noch – um die Erhaltung zahlreicher
Arbeitsplätze in seriös wirtschaftenden Unternehmen so-
wie um die Sicherung der Beschäftigung von zahlreichen
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Es geht ferner
darum, fahrlässige Ignoranz gegenüber den Spielregeln in
einer Solidargesellschaft zu bekämpfen. Deshalb bringen
wir diesen Gesetzentwurf ein.

Wir müssen Schranken setzen und Signale aussenden.
Ich denke, an diesem Punkt sollten auch Sie mitgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421900600
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, das Wort.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1421900700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon seltsam:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, mithin die
Schattenwirtschaft in unserem Lande, wachsen kräftig.
Rund 6,2 Prozent hat dieser Bereich nach Schätzung von
Experten im letzten Jahr zugelegt. Er boomt also regel-
recht. Im Gegensatz dazu herrscht in der übrigen Wirt-
schaft Flaute. Mit einer Jahreswachstumsrate von wahr-
scheinlich durchschnittlich weniger als 0,5 Prozent stehen
wir am Rande einer Rezession, möglicherweise schon
mittendrin.


(Peter Dreßen [SPD]: Ja, ja!)

Für die Bauwirtschaft, in der nach den Formulierun-

gen Ihres Gesetzentwurfes, Herr Dreßen, die illegale Be-
schäftigung und die Schwarzarbeit eine besondere Be-
deutung haben, sehen die Zahlen sogar noch dramatischer
aus. Nach den vom Statistischen Bundesamt am vergan-
genen Mittwoch, also vor zwei Tagen, herausgegebenen
Daten zur Bauindustrie zeigt sich für das Gesamtjahr
2001 – zum Vergleich wurde das Jahr 2000 zugrunde ge-
legt – folgendes Bild: Auftragseingang minus 5,1 Prozent,
geleistete Arbeitsstunden minus 11,9 Prozent, Gesamt-
umsatz minus 7,5 Prozent, Beschäftigte minus 9,1 Pro-
zent. Mit nur noch 954 000 liegt die Zahl der Beschäftig-
ten im deutschen Baugewerbe erstmals unter 1 Million.

Lieber Kollege Dreßen, das ist die aktuelle Lage in der
Baubranche. Ich will Ihnen sagen: An dieser Situation
sind die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition
alles andere als unschuldig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Märchen!)





Ekin Deligöz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Einschränkung der Möglichkeiten zur Verlustver-
rechnung, die rückwirkende Veränderung von Spekulati-
onsfristen, das einseitige Mietrecht, die bürokratische
Bauabzugsteuer – man könnte noch viel mehr Punkte
nennen –: Das alles sind Bausteine, mit denen Sie zu die-
ser Situation beigetragen haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Eine Unverschämtheit!)


Vielleicht ist es dieses Schuldgefühl, das die Regierung
zum Handeln treibt. Allerdings muss man deutlich sagen:
Wie so oft in den letzten Jahren versuchen Sie, das Pro-
blem mit zusätzlicher Regulierung und mit mehr Büro-
kratie in den Griff zu bekommen.


(Erika Lotz [SPD]: Was haben Sie in den letzten Jahren gemacht?)


Es gehört wirklich nicht viel Fantasie dazu, um Ihnen vo-
rauszusagen: Auch mit diesem Gesetz werden Sie eine
Bauchlandung erleiden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Folge wird ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen
sein.

Dabei sind wir uns einig – das will ich hier feststellen –:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind keine Lö-
sung. Sie führen zu einem unfairen Wettbewerb gegenüber
denjenigen, die sich unter Beachtung der gesetzlichen Vor-
schriften und auch in Erfüllung ihrer sozialen Verantwor-
tung, etwa was die Sozialversicherungen anbelangt, im täg-
lichen Kampf um Aufträge zu behaupten versuchen. Der
Punkt ist aber: Man muss das Übel an der Wurzel packen
und darf nicht einfach nur die Symptome bekämpfen. Das
werfen wir Ihnen vor.

Ihr Gesetzentwurf ist auch – anders als Sie behaupten –
nicht kostenneutral für die Bauwirtschaft. Er hat selbstver-
ständlich Auswirkungen auf das Niveau der Baupreise. Da
haben Sie es sich in Ihrem Gesetzentwurf ein bisschen
einfach gemacht.


(Klaus Brandner [SPD]: Der muss mal auf eine Baustelle! Der muss sich mal schmutzige Hände holen!)


– Herr Brandner, hören Sie einmal zu! – Die Kostener-
höhungen beruhen nicht nur auf einem höheren Verwal-
tungsaufwand. Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre
der gemäß Ihrem Gesetzentwurf in SGB IV einzufügen-
den § 28 a Abs. 3 a, § 28 e Abs. 3 a und § 28 f Abs. 1 a
– diese Bezeichnungen sollte man sich einmal auf der
Zunge zergehen lassen; es wird immer komplizierter – mit
den dort begründeten Meldepflichten, Prüfungspflichten
und Aufbereitungspflichten. Nicht nur das ist kostentrei-
bend. Ein besonders hohes Kostenrisiko besteht vielmehr
auch in der selbst bei größter Sorgfalt nicht auszu-
schließenden Haftungsverpflichtung eines Auftragge-
bers. Jeder ordentliche Kaufmann wird in seiner Kalku-
lation ein solches Risiko berücksichtigen müssen. Wer das
nicht glaubt, sollte einmal die Luftfahrtbranche betrach-
ten: Unternehmen dieser Branche lassen natürlich, nach-

dem keine staatliche Haftung mehr existiert, Risiko-
prämien in ihre Kalkulation einfließen.


(Ludwig Eich [SPD]: Das ist doch Marktwirtschaft, oder nicht?)


Unternehmer des Baugewerbes haften nach Ihrer Vor-
lage für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge,
und zwar – das ist paradox – nicht nur für die ihrer un-
mittelbaren Subunternehmer, sondern auch für die von de-
ren Subunternehmern usw., also bis ins letzte Glied. Die
Last des Beweises, sich von der ordnungsgemäßen Ab-
führung der Sozialversicherungsbeiträge oder zumindest
von der ordnungsgemäßen Planung der Abführung über-
zeugt zu haben, liegt bei den Bauauftraggebern. Es wer-
den sich interessante juristische Auseinandersetzungen
ergeben; so viel ist schon jetzt klar.

Ich will hier deutlich auf eine Äußerung des Hauptge-
schäftsführers des Hauptverbandes der Deutschen Bau-
industrie, Herrn Knipper, hinweisen, der in dieser Woche
nach unserer Auffassung zu Recht gesagt hat: Dieser Ent-
wurf eines Gesetzes gegen die Schwarzarbeit ist verfas-
sungswidrig.


(Beifall bei der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Mit der Verfassungswidrigkeit haben Sie aber in der letzten Regierung viele Probleme gehabt! Das wissen Sie, Herr Kolb!)


Wie gesagt, jeder vernünftig kalkulierende gewerbs-
mäßige Bauauftraggeber wird das Haftungsrisiko sowie
die Kosten, die bei der Überprüfung seiner Subunterneh-
mer entstehen, in die Kalkulation einfließen lassen. Das
heißt im Klartext – das ist das Ergebnis rot-grüner Politik –:
Bauen wird wieder einmal teurer werden. Für das gleiche
Geld gibt es weniger Haus, weniger Straße und weniger
Bauvolumen. Wichtige Infrastrukturmaßnahmen der öf-
fentlichen Hand müssen gestreckt werden. Manches pri-
vate Investitionsprojekt bleibt auf der Strecke, weil es sich
nicht mehr rechnet. So kann man die Nachfrage nach Bau-
leistungen erfolgreich zum Erliegen bringen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze werden
Sie mit diesem Gesetzentwurf garantiert nicht schaffen,
jedenfalls nicht im Bausektor. Neue Arbeitsplätze entste-
hen allenfalls in Anwaltskanzleien.

Ich finde es fatal, dass Sie den Druck vor allem auf mit-
telständische Bauunternehmen, denen es bereits jetzt
schlecht geht, noch einmal erhöhen. In Ihrem Gesetzent-
wurf wird die Bedeutung der Freistellungsbescheini-
gung nach § 48 b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuerge-
setzes weiter gestärkt. Die im Zusammenhang mit der
Bauabzugsteuer eingeführte Freistellungsbescheinigung
gilt nämlich, so ist es in der Begründung zu lesen, als In-
diz dafür, dass der Subunternehmer seiner Pflicht zur
ordnungsgemäßen Abführung der Sozialversicherungs-
beiträge nachkommen wird. Das heißt im Umkehr-
schluss: Wer die Freistellungsbescheinigung nicht hat, gilt
als unzuverlässig und bleibt bei der Auftragsvergabe
außen vor. Niemand will schließlich riskieren, in die Haf-
tung genommen zu werden.




Dr. Heinrich L. Kolb
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wie ich eingangs sagte: Man muss die Probleme an der
Wurzel packen und sollte nicht nur Symptome angehen.
Wer illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit unattraktiv
machen will, der muss dafür sorgen, dass legale Arbeit
billiger wird und dass sich legale Arbeit lohnt. Dazu
braucht es entschiedener Steuersenkungen, wirklicher Re-
formen der Sozialversicherung und weniger Regulierung
des Arbeitsmarktes.


(Beifall bei der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Alles Allgemeinplätze!)


Senken Sie also die Sozialversicherungsabgaben unter
40 Prozent!


(Franz Thönnes [SPD]: Sie haben sie kräftig hoch getrieben!)


Das hatten Sie ja einmal ausweislich Ihrer Koalitionsver-
einbarung vor. Sorgen Sie für eine wirklich einfache und
gerechte Steuerreform, die den Mittelstand entlastet, und
belasten Sie nicht die Bauwirtschaft zusätzlich in solch
existenzvernichtender Weise! Ich befürchte aber, dass Sie
dazu nicht mehr die Kraft haben. Sie haben auch nicht die
nötige Zeit – sieben Monate sind nicht viel. Wir werden
hier nach dem 22. September 2002 für Abhilfe sorgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Wiesehügel [SPD]: War das eine Koalitionsaussage?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421900800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1421900900
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Über das Ziel, Schwarzarbeit und
illegale Beschäftigung zu bekämpfen, sind wir uns sicher
alle einig. Nur über den Weg könnte man streiten. Bei die-
sem Gesetzentwurf müssen wir also fragen: Ist der Weg,
der gegangen werden soll, auch angesichts der Erfahrun-
gen, die wir mit dem geltenden Gesetz gemacht haben,
richtig?

Nun heißt Schwarzarbeit ja „Schwarzarbeit“, weil sie
im Dunkeln stattfindet. Bereits Bertolt Brecht wusste in
der „Dreigroschenoper“ zu sagen: Die im Dunkeln sieht
man nicht.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Gilt das auch für CDU-Politiker?)


In diesem Sinne haben wir im Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung wiederholt festgestellt, dass wir über
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nichts Genaues
wissen. Hier gilt also das Sprichwort: Nichts Genaues
weiß man nicht.

Erstens. Alles gründet sich auf Vermutungen und Be-
rechnungen, die nicht nachvollziehbar sind. Deshalb müs-
sen wir schon nachprüfen, ob denn die Angaben wirklich
zutreffen.

Zweitens. Schwarzarbeit ist nicht gleich Schwarzarbeit
und illegale Beschäftigung nicht gleich illegale Beschäf-
tigung. Ich möchte schon unterscheiden zwischen demje-

nigen, der schwarzarbeitet, um zu gehobenem Wohlstand
zu kommen, und demjenigen, der schwarzarbeitet, um
sich und seine Familie über Wasser zu halten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Interessante Unterscheidung!)


Für den letzteren Fall gibt es Beispiele zur Genüge.
Schwarz oder illegal wird häufig gearbeitet für Hunger-
löhne, für ein Taschengeld, unter unwürdigen Bedingun-
gen. Es ist kein Vergnügen, wie man es hier manchmal
herauszuhören glaubt. Damit ist keine erstrebenswerte
Lebensgestaltung möglich. Finanziell bleiben die Men-
schen weit abgeschlagen. Schwarzzuarbeiten entspringt
nicht dem Wunsch der Menschen.

Deshalb sehen wir einen Ansatz darin – das wäre eine
Möglichkeit gewesen –, einen Gesetzentwurf zur Förde-
rung von Beschäftigung und zur massenhaften Schaffung
von Arbeitsplätzen vorzulegen. Wenn es hinreichend viele
Arbeitsplätze gibt, können zumindest diejenigen, die nur
deshalb schwarzarbeiten, weil sie überleben müssen und
weil nichts anderes angeboten wird, in das normale Ar-
beitsleben eingegliedert werden – bitte schön zu existenz-
sichernden Löhnen! Selbst wenn das neue Gesetz, so wie
Sie es formuliert haben, greifen sollte, wird es nur einen
winzigen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen leis-
ten. Ich weiß auch nicht, ob damit die Schwarzarbeit we-
sentlich bekämpft werden kann.

Außer den Zahlen, die darin genannt sind – Anstieg der
Schwarzarbeit auf 16 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts –, haben wir auch Kenntnisse darüber, welche Sank-
tionen verhängt worden sind und in welchem Umfang sie
realisiert worden sind. Das Ausmaß der verhängten Sank-
tionen hat sich mehr als vervierfacht, die Summe, die da-
durch realisiert werden konnte, hat sich nicht einmal
verdoppelt. Genau daran wird das Problem sichtbar: Sank-
tionen – da stimme ich Ihnen, Herr Kollege Kolb, völlig
zu – sind nicht der richtige Weg. Statt Sanktionen brauchen
wir Prävention. Auf Prävention ist dieser Gesetzentwurf
aber nun wahrlich nicht ausgerichtet.

Es bleibt auch dahingestellt, ob die selbstschuldneri-
sche Haftung mit der Verfassung in Übereinstimmung zu
bringen ist. Genauso ist zu prüfen, ob der Datenabgleich,
den Sie im Hinblick auf die illegale Beschäftigung auslän-
discher Bürger vorsehen, mit dem Datenschutz in Über-
einstimmung zu bringen ist. Alles das muss geprüft wer-
den, wenn die Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden soll.

Es gibt ein weiteres Problem, auf das ich aufmerksam
mache; Kollege Kolb hat es schon in etwa angedeutet.
Wenn ein Großunternehmen für seine Nachunternehmer
haften soll, dann wird es sich bei den kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen, die die Aufträge annehmen,
selbstverständlich absichern wollen. Insofern ist die Si-
tuation in meinem Wahlkreis symptomatisch für die
neuen Bundesländer. Wenn dort von kleinen oder mittel-
ständischen Unternehmern gefordert wird, diese Haftung
zu übernehmen und einen entsprechenden Betrag bei dem
Großauftraggeber zu hinterlegen, dann sind sie am Ende.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!)





Dr. Heinrich L. Kolb

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(C)



(D)



(A)



(B)


Das können sie nicht leisten. Man muss also im Auge be-
halten, ob das so machbar ist. Ich glaube, dass dies eher
schädlich ist. Deshalb muss man überprüfen, ob damit das
Ziel, das Sie anvisieren, erreicht wird.

Ich will ein weiteres Problem ansprechen, das dieser
Gesetzentwurf aufwirft. Der Gesetzentwurf tangiert ein
altes Thema, nämlich die aus dem Mittelalter stammende
und immer mehr unzeitgemäße Ordnung des deutschen
Handwerks.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was haben Sie gegen das deutsche Handwerk?)


– Das hat etwas damit zu tun, dass die Handwerksord-
nung den Notwendigkeiten eines modern operierenden
Handwerks nicht mehr Rechnung trägt. Man muss in die
Handwerksrolle eingetragen sein. Wenn man arbeitet,
ohne eingetragen zu sein, gerät man in den Bereich der il-
legalen Beschäftigung. Damit sind im Gesetzentwurf
Sanktionen – ich hoffe, ich habe es richtig im Kopf – von
bis zu 100 000 Euro verbunden.

Illegale Beschäftigung am Bau hat offensichtlich ein
bedrohliches Ausmaß angenommen. Dazu ist viel gesagt
worden. Das kostet viele qualifizierte Bauarbeiter den
Job. Gerade hier den Arbeitnehmerschutz zu erhöhen,
Dumpinglöhne und mangelhaften sozialen Schutz zu un-
terbinden findet unsere Zustimmung. Es ist richtig, den
Unternehmer in die Pflicht zu nehmen, aber das muss ver-
träglich sein und darf keine Arbeitsplätze kosten.

Der Präsident signalisiert mir das Ende meiner Rede-
zeit. Daher rede ich jetzt „in Schwarzarbeit“ weiter. Las-
sen Sie mich betonen: Alles in allem verkennen wir nicht,
dass durch illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit in
dem geschilderten Ausmaß erheblicher gesellschaftlicher
Schaden angerichtet wird. Vor diesem Hintergrund muss
der Gesetzentwurf ausgewogener gestaltet werden.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421901000
Ich erteile der Kolle-
gin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.


Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1421901100
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das erste Mal
eine Studie über das Ausmaß der Schwarzarbeit in der
Bundesrepublik Deutschland gelesen habe, habe ich de-
ren Ergebnisse angezweifelt, obwohl die dargelegte Me-
thodik und die gesetzten wissenschaftlichen Prämissen
durchaus plausibel erschienen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das haben Sie schön formuliert, Kollegin Kramme!)


Ich habe mir daraufhin verschiedene andere Untersu-
chungen angeschaut und musste einsehen: Die gewonne-
nen Erkenntnisse stimmen zumindest der Richtung nach.
Die Wirtschaftswissenschaften umschreiben den Sachver-
halt der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik Deutschland
mit folgenden statistischen Daten:

Erstens. Das Schwarzarbeitvolumen macht circa
16 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsproduktes aus.
Dies entspricht einem Volumen von 336 Milliarden Euro

im Jahr 2001. Diese Bilanz zieht das Institut für Ange-
wandte Wirtschaftsforschung.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie haben die gleichen Zahlen wie ich!)


Zweitens. Herr Laumann und Herr Dr. Kolb, hören Sie
jetzt ganz genau zu. Sie können etwas lernen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Von Ihnen nicht!)


Seit dem Jahr 2000, also nach In-Kraft-Treten der rot-grü-
nen Steuerreform, wächst die Schattenwirtschaft zum
ersten Mal seit den 80er-Jahren nicht stärker als die offi-
zielle Wirtschaft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! – KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: Die offizielle Wirtschaft wächst bei Ihnen gar nicht! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wer kurz vor der Rezession steht, sollte solche Vergleiche nicht machen!)


In den vergangenen Jahren ist dagegen die Schattenwirt-
schaft drei- bis viermal schneller als die offizielle Wirt-
schaft gewachsen. Dieses Ergebnis teilt ebenfalls das In-
stitut für Angewandte Wirtschaftsforschung mit. Ihr
Politikansatz, Herr Kolb, erweist sich als komplett un-
richtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: Rohrkrepierer!)


Drittens. Betrachtet man die Schattenwirtschaft im
Baugewerbe im Bundesland Brandenburg, so erzielte
diese eine Wertschöpfung, in einem Umfang von 25 Pro-
zent der offiziellen Wertschöpfung. Der Umfang der
Schattenwirtschaft in Berlin beträgt sogar 53 Prozent der
offiziellen Wertschöpfung, so Professor Schneider von
der Universität Linz.

Viertens. Im Bundesland Brandenburg werden im Bau-
gewerbe circa 112 Millionen Stunden Schwarzarbeit ge-
leistet, in Berlin circa 132 Millionen Stunden. Das ent-
spricht für Brandenburg 64 000 Vollzeitschwarz-
arbeitsplätzen bei 91 000 offiziell Beschäftigten. Der ent-
sprechende Wert für Berlin lautet 75 000 Schwarzarbei-
terstellen und 67 000 legale Arbeitsplätze. Diese Erkennt-
nisse gehen wiederum auf Professor Schneider zurück.

Diese Zahlen sind leider nicht nur Statistik, sondern
dokumentieren auch einen immer wieder von den Ge-
werkschaften, den Verbänden, den Industrie- und Han-
delskammern und den Unternehmen beschriebenen und
beklagten Prozess.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Können wir die nachfolgende Vorlesung auch belegen?)


Der ruinöse Wildwestwettbewerb gerade im Bereich der
Bauwirtschaft hat dazu geführt, dass nur Unternehmen
überleben, die mittels Mischkalkulationen mehr Billig-
subunternehmer mit illegalen Beschäftigten als ihre Mit-
bewerber einkalkulieren.




Dr. Klaus Grehn
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(C)



(D)



(A)



(B)


Die in Gang gesetzte Spirale der illegalen Beschäfti-
gung vernichtet permanent legale Beschäftigungsverhält-
nisse und verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Legal beschäftigte Arbeitnehmer können im Lohnkonkur-
renzkampf mit den illegalen, die bei den Stundenverrech-
nungssätzen bis zu 50 Prozent billiger sind, nicht beste-
hen. Der Leiharbeitsbericht der Bundesregierung geht
davon aus, dass in den letzten vier Jahren allein im Bau-
gewerbe mindestens 170 000 legale Stellen durch diesen
Prozess vernichtet worden sind.

Massive Verstöße gegen zwingende Tarifverträge, ge-
gen Arbeitnehmerschutzgesetze und die Umgehung ar-
beitsschutzrechtlicher Normen sind gerade in der Bau-
branche tagtägliche Realität. Viele Unternehmen denken,
dass sie sonst nicht dem Wettbewerb standhalten können.

Das Hauptzollamt Bamberg hat errechnet, dass der
jährliche volkswirtschaftliche Schaden zulasten der So-
zialversicherungsträger, der Bauberufsgenossenschaft so-
wie des Finanzamtes bei durchschnittlich 40 000 Euro je
Ganztagsschwarzarbeiter liegt. Der öffentlichen Hand
entgehen jedes Jahr etwa 125 Milliarden Euro. Das
Hauptzollamt Bamberg stellt weiter fest, dass je nach il-
legaler Beschäftigungsform häufig – gerade an ausländi-
sche Bürger – nur Nettolöhne von 4 Euro, 3 Euro, 2,5 Euro
und weniger bezahlt werden. Dass damit menschliche
Schicksale einhergehen, ist klar.

Der Skandal hat aber einen Namen. Der Name lautet
Kohl-Regierung.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das glauben doch nicht einmal Sie!)


Die eben zitierte Studie belegt eindeutig, dass die
CDU/CSU über 16 Jahre das rasante Wachsen des
Schwarzarbeitsektors hat geschehen lassen,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Lauter!)

ohne wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sie hat zu-
geschaut.


(Beifall bei der SPD)

Der Schuldspruch lautet: politisch verantwortlich durch
Unterlassen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wer nach drei Jahren so dasteht, sollte nicht über 16 Jahre reden! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: 2002 muss Kohl abgewählt werden! Kohl muss weg! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Die Studie hebt im Umkehrschluss die Arbeit der rot-
grünen Koalition hervor. Angesichts der weiterhin drama-
tischen Zahlen können wir es dabei aber nicht bewenden
lassen. Lohndumping, Beitragsbetrug und Steuerhinter-
ziehung sind konsequent und zielgenau anzugehen.

Weil wir wieder Chancengleichheit für legal arbeitende
Beschäftigte und legal arbeitende Unternehmer wollen,
brauchen wir eine verschuldensabhängige Generalun-
ternehmerhaftung im Baubereich für Sozialversiche-
rungsbeiträge der Arbeitnehmer. Weil wir wieder Chan-

cengleichheit für legal arbeitende Beschäftigte und legal
arbeitende Unternehmer wollen, brauchen wir den
langjährigen Ausschluss von schwarzen Schafen der
Branche bei öffentlichen Bauaufträgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Weil wir wieder Chancengleichheit wollen, brauchen wir
einen größeren Sanktionsrahmen und eine Erweiterung
der Straftatbestände bei illegaler Beschäftigung. Den ho-
hen Gewinnchancen muss eine angemessene Ab-
schreckung gegenüberstehen.

Justiz und Behörden brauchen Chancen, um Recht und
Ordnung wieder herzustellen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mittelständler brauchen auch Chancen!)


Deshalb räumen wir ihnen jetzt die Möglichkeit der ver-
besserten Zusammenarbeit und der verbesserten Informa-
tion ein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesetz-
entwurf baut nicht auf Misstrauen gegenüber den Unter-
nehmen auf. Vielmehr geht es darum, dass die Verant-
wortlichen mehr Verantwortung für die Verhältnisse
übernehmen, derer sie sich bedienen. Er ist ein wichtiger
und guter Schritt in Richtung faire Wettbewerbsbedin-
gungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kannst du vergessen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421901200
Ich erteile dem Kolle-
gen Franz Romer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Franz Romer (CDU):
Rede ID: ID1421901300
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Illegale
Beschäftigung und Schwarzarbeit bescheren uns in jedem
Jahr erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Ten-
denz ist steigend.


(Zuruf von der CDU/CSU: Leider Gottes!)

Dass hier etwas getan werden muss, ist jedem klar.

Frau Kollegin, was Sie soeben berichtet haben, ist wie
so oft in den vergangenen Wochen ein Ergebnis Ihrer
rückwärts gewandten Politik.


(Anette Kramme [SPD]: Wir haben gehandelt! Das kann nicht rückwärts gewandt sein!)


Eine Fülle von Aussagen sind überhaupt nicht nachvoll-
ziehbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Gesetz allein kann die Misere auf dem Arbeitsmarkt
und bei den Sozialkassen natürlich nicht lösen. Ich werde
jetzt nicht lange auf die desolate Lage in unserem Land
eingehen; die Zahl von 4,3 Millionen Arbeitslosen spricht
für sich. Man kann nur hoffen, dass die Bekämpfung der
Schwarzarbeit ihren Teil zur Schaffung legaler Arbeits-
verhältnisse beiträgt.




Anette Kramme

21715


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weise ferner darauf hin, dass die Regierung mit
ihrem Gesetzentwurf etwas bekämpfen muss, was
sie durch ihre bisherige Politik, durch Gesetze wie das
325-Euro-Gesetz und durch mehr Bürokratie leider selbst
vorangetrieben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sehen wir uns einmal die Instrumente an, mit denen die

Bundesregierung die Schwarzarbeit bekämpfen will.
Gleich an erster Stelle des Gesetzentwurfes ist zu lesen,
dass die Bundesanstalt für Arbeit neue Befugnisse be-
kommen soll. Was wollen Sie der Bundesanstalt denn
noch alles auferlegen? Ist Ihnen denn überhaupt bewusst,
wie viele Aufgaben die Bundesanstalt bereits jetzt wahr-
nimmt?

Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen: Mir ist
nicht wohl dabei. Eine Bundesanstalt, die die Erfolge ihrer
Arbeit in der Vergangenheit falsch dargestellt hat, muss erst
einmal in den eigenen Reihen aufräumen. Zur Verfolgung
von illegaler Beschäftigung ist sie leider, zumindest zurzeit,
wohl nicht geeignet und auch nicht in der Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein Blick in die heutige Presse genügt. Mir gefällt die Al-
ternative, die Behörden der Zollverwaltung vermehrt in
die Verantwortung zu nehmen, wesentlich besser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch sind die Verbindung und die Durchlässigkeit zu

allen Sozialsystemen sowie zu den jeweiligen Organisa-
tionen der Handwerkskammern und zu den IHKs drin-
gend geboten. Denn nur so lassen sich bei den Subunter-
nehmen schon im Vorfeld Illegalität und schwarze Schafe
feststellen.

Wichtig und im Gesetzentwurf auch vorgesehen sind
verschärfte Sanktionen. Über die Abschreckungswirkung
lässt sich sicher streiten. Höhere Strafen schrecken nur
dann ab, wenn sie mit verschärften Kontrollen einhergehen.
Denn viele Unternehmen, die mit illegal Beschäftigten
hohe Gewinnspannen haben, lassen sich durch mögliche
Sanktionen nicht abhalten. Das sieht anders aus, wenn die
Wahrscheinlichkeit, überführt zu werden, zunimmt.

Aus meiner Sicht sind also verschärfte Kontrollen am
wichtigsten. Für diese Aufgaben sind die Behörden der
Zollverwaltung sicher gut geeignet. Die Unabhängigkeit
der Verfolgungsbehörden muss gewahrt sein. Die
schwarzen Schafe, die erwischt werden, müssen zumin-
dest durch hohe Geldbußen ein wenig zur Schadensmini-
mierung beitragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Angemessen ist, dass der Gesetzentwurf einen beson-
deren Schwerpunkt im Baugewerbe setzt. Die Bauunter-
nehmer selbst sollen sich nicht mehr hinter dem Subun-
ternehmer verstecken können. Die Haftung des
Generalunternehmers ist sicher ein geeignetes Mittel,
Ordnung in das Baugewerbe zu bringen.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Zuhören, Herr Kolb!)


Auch der Ausschluss von der Vergabe der begehrten
öffentlichen Aufträge für die Dauer von vier statt bisher
zwei Jahren klingt vielversprechend. Dies haben Bewer-
ber zu erwarten, die wegen illegaler Beschäftigung zu ei-
ner bestimmten, nicht geringen Strafe verurteilt wurden.

Neu und auch sehr begrüßenswert ist, dass Unterneh-
men mit illegal Beschäftigten auch aus laufenden Verträ-
gen entlassen werden können. Welche Konsequenzen dies
bei öffentlichen Aufträgen hat, ist noch abzuklären. Denn
die Neuvergabe kann mit Mehrkosten verbunden sein.
Die günstigen Preise des gekündigten Unternehmens ba-
sieren ja auf seinen illegalen Machenschaften.

Die Verwirklichung des Ziels, illegale Beschäftigung
einzudämmen, darf aber nicht wieder zu mehr Bürokratie
führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!)


Denn genau diese führt, genauso wie die Kostenseite, zu
mehr Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Wir
wissen ja: Bürokratie ist Schröders Liebling.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eine einzige Beschäftigungstherapie!)


Sie muss verhindert werden.
Deshalb ist es besonders wichtig, dass die zunehmende

Bürokratie auf dem Arbeitsmarkt aufgebrochen wird,
damit es sich wieder lohnt, legal zu arbeiten. Die Abgaben
sind allgemein zu hoch.


(Erika Lotz [SPD]: Die waren doch bei euch noch höher! – Gegenruf von der FDP: Leider wahr!)


Es bleibt einfach zu wenig im Geldbeutel. Deshalb ist es
für viele unattraktiv, überhaupt zu arbeiten oder aber
einen Zusatzverdienst ordnungsgemäß anzumelden.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist eine generelle Entschuldigung für Unternehmen! Das ist aber billig!)


Leichter ist es, wenn man sofort in die Schwarzarbeit
geht.

Der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt
beträgt inzwischen 16,5 Prozent. Das entspricht 350 Mil-
liarden Euro. An einem Arbeitsmarkt, der Schwarzarbeit
in diesem Ausmaß benötigt, stimmt etwas nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Gesetzentwurf muss deutlich machen, was illegale
Beschäftigung und was Schwarzarbeit ist. Es muss näm-
lich sichergestellt werden, dass das Gesetz letztendlich
auch den Richtigen trifft. So befürchten beispielsweise
unabhängige Handwerker und Handwerkerinnen, dass
sie wegen unklarer Formulierungen zu Unrecht von dem
Gesetz erfasst werden. Dies hätte für sie existenzbedro-
hende Konsequenzen. Die Unklarheiten bestehen nicht
bei den eingetragenen Handwerksbetrieben, sondern bei
den Betrieben, die sich laut Gesetz ausnahmsweise nicht




Franz Romer
21716


(C)



(D)



(A)



(B)


in die Handwerksrolle eintragen lassen müssen. Dies ist
zum Beispiel bei einfachen handwerklichen Tätigkeiten
sowie bei einem unerheblichen Nebenbetrieb der Fall.

In dem vorliegenden Gesetzentwurf sollte klar zum
Ausdruck kommen, dass es sich bei diesen hand-
werksähnlichen Betrieben um eine erlaubte Tätigkeit han-
delt. Auch die Höhe des Bußgeldes sollte dem Umfang
des Betriebes angemessen sein. So sollte sich der Buß-
geldkatalog für handwerksähnliche Betriebe eher an den
Bußgeldern für die übrigen Gewerbebetriebe orientieren.

Die zahlreichen offenen Fragen sind zu erörtern. Wir
werden die Probleme bei der Anhörung zu diesem Thema
aufzeigen. Die Fragen müssen in die weiteren Beratungen
einfließen und berücksichtigt werden. Positiv ist – ich be-
grüße dies ausdrücklich –, dass dieser längst fällige Vor-
stoß überhaupt vorgenommen wird. Vielleicht ist der vor-
liegende Gesetzentwurf ein Schritt zu einer Verbesserung.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Wiesehügel [SPD]: Das war ja nicht der Rede wert!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421901400
Ich erteile der Kolle-
gin Franziska Eichstädt-Bohlig vom Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Ich war sehr erfreut über den Beitrag des Kollegen
Romer, aber sehr entsetzt über den Beitrag des Kollegen
Kolb.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So sieht aber die Realität aus!)


Ich glaube, der Unterschied liegt darin: Wir müssen end-
lich begreifen, dass wir nicht immer fordern können, es
müsse alles billiger werden, und dass wir nicht immer sa-
gen dürfen, Deregulierung werde das schaffen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Man muss die Probleme wirklich angehen!)


Wir sind insbesondere in der Bauwirtschaft in der Situa-
tion einer Kostenkonkurrenz und eines Preisdumpings,
die die Illegalität regelrecht ermuntert. An dieser Stelle
muss endlich gehandelt werden. Es stimmt – Frau
Kramme, Sie haben es vorhin gesagt –: Eigentlich hätte
schon unter der letzten Regierung gehandelt werden müs-
sen. Wir sollten das Problem auch sehr ernst nehmen. Ich be-
grüße es – das wird von der CDU/CSU auch so gesehen –,
dass noch einmal geprüft werden soll, ob Bürokratie
durch das Gesetz angemessen reduziert worden ist. Ich
halte das für eine ernste Frage. Man darf aber nicht so tun,
als könnten wir mit weiterer Deregulierung die Probleme
lösen, vor denen wir heute stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Probleme durch Schwarzarbeit sind ausführlich

angesprochen worden; ich brauche die Zahlen daher nicht
noch einmal zu erwähnen. Ich möchte aber deutlich sa-
gen, dass all denen in der Bauwirtschaft, die sehr korrekt

arbeiten, die ihr Unternehmen solide führen und eine
Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrecht erhalten
wollen, nicht länger zuzumuten ist, ständig in Konkurrenz
mit Geschäftemachern zu stehen, die sie durch illegale
Praktiken – im Wesentlichen ist das der Versuch, durch
Lohndumping Sozialversicherungsbeiträge und Steuerab-
gaben zu umgehen – schädigen. Insofern ist das nicht nur
ein Problem der Arbeitnehmer und der politisch Verant-
wortlichen, sondern auch ein Problem der Wirtschaftskul-
tur – speziell der Bauwirtschaft – in unserem Land. Wir
wollen die betroffenen Unternehmen schützen und stär-
ken, damit sie nicht geschädigt werden. Ich glaube, das
Thema Wirtschaftskultur muss in diesem Lande endlich
wieder diskutiert werden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421901500
Frau Kollegin Eich-
städt-Bohlig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Kolb?


(Zurufe von der SPD: Nein!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

in dieser Debatte etwas Sinnvolles gelernt hat.


(Zuruf von der SPD: Da können wir lange warten!)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1421901600
Frau Kollegin, ich wollte
Sie fragen, ob Sie bereit sind, zu den Ausführungen von
Herrn Knipper, dem Geschäftsführer des Hauptverbandes
der Deutschen Bauindustrie, Stellung zu nehmen, der ge-
sagt hat, mit der von Ihnen vorgelegten Regelung stehle
sich der Staat aus der Verantwortung. Er sagt, dieser Ge-
setzentwurf sei mittelstandsfeindlich, aber Sie haben ge-
sagt, Sie wollen den Unternehmen helfen. Offensichtlich
sehen das diejenigen, denen Sie helfen wollen, nämlich
die Unternehmen, anders. Ihr Vorhaben, so Knipper,
belaste die Unternehmen zusätzlich und es werde die Li-
quidität und der Kreditrahmen auch seriöser Nachunter-
nehmen erheblich eingeschränkt.

Frau Kollegin, ich frage Sie: Sehen Sie diese Probleme
nicht? Sehen Sie nicht, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf
am Problem vorbei handeln?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

bedenken, dass verschiedene Verbände und Unternehmen
dies unterschiedlich sehen. Ich habe sehr deutlich gesagt,
dass ich insbesondere im Interesse des Mittelstands rede,
der sich für einen soliden Wirtschaftsraum engagiert, um
mit einer korrekten Finanzierung und Bezahlung von
Löhnen und Gehältern und den zugehörigen Sozialabga-
ben und Steuern seine Wirtschaftskultur zu pflegen. Des-
wegen habe ich sehr wohl gesagt, dass ich es für richtig
halte, in der Beratung sehr genau zu prüfen, inwieweit der
bürokratische Aufwand angemessen ist und ob es richtig
ist, die Zollverwaltung statt die Arbeitsverwaltung und die
Arbeitsämter einzusetzen.




Franz Romer

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(C)



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(A)



(B)


Aber wenn einfach gesagt wird: Das kostet uns wieder
ein paar Groschen und deswegen ist es schlecht;


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Die Unternehmen sind in ihrer Existenz bedroht! Das ist das Problem!)


deshalb werden wir das Sub- und Subsubunternehmertum
weiterhin pflegen, dann sollte die FDP einmal prüfen, ob
sie nicht der Aufforderung zur Illegalität regelrecht Vor-
schub leistet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist verfassungsfeindlich, was Sie machen! Kapieren Sie das doch, Frau Eichstädt-Bohlig!)


– Das ist nicht verfassungsfeindlich. Es gibt eben das
Dreiecksverhältnis zwischen dem Staat mit seinem Steu-
eraufkommen und solider Finanzierung einerseits, der
vernünftigen Entlohnung der Beschäftigten in unserem
Lande andererseits und der Konkurrenz zwischen denen,
die meinen, ihr Geld durch Schwarzarbeit erwirtschaften
zu können, und denen, die ihren Platz im Wirtschaftssys-
tem haben und ihr Geld auf ehrliche Art verdienen. Die
Schwarzarbeit müssen wir eindämmen Es müssen kor-
rekte Linien eingezogen werden. Das halte ich für richtig.
Insofern halte ich den Gesetzentwurf im Prinzip für un-
terstützenswert.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Im „Prinzip“! Die Grünen gehen auf Distanz!)


Ich habe es eben bereits deutlich gesagt: Wir müssen
prüfen, inwieweit der bürokratische Aufwand noch etwas
reduziert werden kann. Hier sind wir durchaus verhand-
lungs- und gesprächsbereit. Aber die alte FDP-Formel
„Mehr Deregulierung bringt preiswertere Angebote und
deswegen mehr Arbeit für die Bauwirtschaft“ ist eine Pri-
mitivformel, mit der wir die Wirtschaft in unserem Land
kaputtmachen und die solide arbeitenden Unternehmen in
eine immer stärkere Konkurrenz zu denjenigen bringen,
die nicht solide wirtschaften.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warten wir die Arbeitslosenzahlen ab!)


Ich hoffe, dass auch die FDP endlich lernt, dass wir ein
Stück Wirtschaftskultur in unserem Lande aufrechterhal-
ten wollen. Deswegen halte ich es für richtig und fordere
die Bauwirtschaft – auch den Verband von Herrn
Knipper – auf, dieses Gesetz mit zu unterstützen; die mit-
telständische Bauwirtschaft macht dies bereits sehr aktiv.
Dann bekommen wir im Umgang damit wirklich eine
Trendwende. Dass wir das Sub- und Subsubunternehmer-
tum einschränken müssen, lernen Sie hoffentlich auch
mitzutragen.

Ich sage – auch im Hinblick darauf, dass wir nicht nur
dieses eine Gesetzeswerk diskutieren, sondern dass es,
wie bereits ausgeführt worden ist, mit der Bauabzugs-
steuer und dem Gesetz zur Tariftreue, das wir noch disku-
tieren werden, im Zusammenhang steht – noch eines ganz
deutlich. Es ist richtig, dass dadurch auch ein Stück weit
Kosten entstehen. Aber sie stehen in einer angemessenen
Relation zu dem, was die Gesellschaft für Bauleistungen

zahlt – das gilt auch für andere –, und dem, was wir wol-
len, nämlich dass unsere Arbeitnehmer und Beschäftigten
für ihre Entlohnung eine solide Sozialversicherung, Al-
tersversorgung und Gesundheitsvorsorge erhalten und der
Staat korrekt seine Steuern erhält. Wir haben die Aufgabe,
dafür zu sorgen, dass dieses Dreiecksverhältnis solide ge-
pflegt und dass nicht ständig die Konkurrenz vergrößert
wird und wir uns gegenseitig kaputt konkurrieren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie regulieren alles kaputt!)


Insofern tut die Regierung etwas für die neue Wirt-
schaftskultur. In diesem Sinne hoffe ich, dass auch die
Opposition mehr und mehr lernt, dass dies der richtige
Weg ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421901700
Ich erteile dem Kolle-
gen Klaus Wiesehügel von der SPD-Fraktion das Wort.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1421901800
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zunächst einmal der Bundesregierung danken, dass sie
diesen Gesetzentwurf eingebracht hat. Er ist auf eine Ini-
tiative dieses Hauses zurückgegangen und wird den Rah-
men dafür setzen, dass wir die illegale Beschäftigung und
die Schwarzarbeit wirksam bekämpfen können.


(Beifall bei der SPD)

Bei Schwarzarbeit haben wir es mit einem Phänomen

zu tun. Eigentlich sind alle dagegen. Eigentlich will nie-
mand die Schwarzarbeit,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Und alle machen sie!)


aber wenn es um die Bekämpfung der Schwarzarbeit geht,
zeigt jeder auf den anderen und niemand will wirkliche
Einflussnahme und entsprechende Gesetze, die das Ganze
beseitigen würden.


(Beifall bei der SPD)

In der vergangenen Legislaturperiode zum Beispiel

gab es die so genannte Blüm-Kampagne, in der umfang-
reich plakatiert wurde, dass es sich nicht um ein Kava-
liersdelikt handelt. Die gesamte Kampagne zielte aber im
Grunde genommen auf den Feierabendschwarzarbeiter
ab. Das ist nicht zu entschuldigen; denn auch das ist
Schwarzarbeit. Schlimmer ist aber, dass der Eindruck er-
weckt wurde, als sei die Schwarzarbeit nach Feierabend
das Hauptproblem. Ich sage: Wir müssen die Gewichtung
ein wenig verändern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen die Realität zur Kenntnis nehmen. Der we-
sentliche Teil von illegaler Beschäftigung und Schwarz-
arbeit ist organisierte und unternehmerische Schwarz-
arbeit.


(Beifall bei der SPD)





Franziska Eichstädt-Bohlig
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(C)



(D)



(A)



(B)


Das sind Tatsachen, die Sie einfach nicht zur Kenntnis
nehmen wollen. Wir haben das zur Kenntnis genommen
und deswegen einen entsprechenden Gesetzentwurf ein-
gebracht.

Herr Laumann, Sie behaupten seit fast drei Jahren im-
mer wieder, unser Gesetz zur Neuregelung der
325-Euro-Jobs sei an der Ausweitung der Schwarzarbeit
schuld. Das ist völlig falsch. Sie müssen zur Kenntnis
nehmen: Gerade die Schwarzarbeit ist durch dieses Ge-
setz erheblich eingedämmt worden.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich mit der Materie beschäftigt hätten, dann
wüssten Sie, dass die illegale Beschäftigung gerade im
Bereich des Gebäudereinigerhandwerks massiv zurück-
gegangen ist, weil wir einen entsprechenden gesetzlichen
Rahmen geschaffen haben. Sie können schreien, so viel
Sie wollen: Das sind die Tatsachen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur noch Sie und eine kleine Gruppe hier im Hause ma-
chen uns im Zusammenhang mit den 630-DM-Jobs
– heute sind das 325-Euro-Jobs – Vorhaltungen. Außer-
halb des Parlaments spricht längst jeder positiv über das
Gesetz; denn jeder weiß, dass es aufgrund unseres Geset-
zes wieder Ganztags- und Halbtagsarbeitsplätze und
keine gestückelten Arbeitsplätze mehr gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte deutlich machen, was ich mit der Verände-
rung der Gewichtung meinte. Laut einer Meldung vom
14. Februar 2002 wurden bei einer Kontrolle auf der staat-
lichen Baustelle des BKA in Wiesbaden, also vor der
Haustür von Herrn Koch, fünf Maler erwischt, die
schwarz arbeiteten. Sie waren von der Regierung Koch
eingestellt und auf der Baustelle des BKA beschäftigt
worden. Es handelte sich dabei aber mitnichten um fünf
Maler, die jeder für sich schwarz arbeiteten. Nein, eine
Malerfirma hat diese fünf organisiert und auf der Bau-
stelle des BKA illegal eingesetzt. In 90 Prozent der Fälle
findet Schwarzarbeit in organisierter Form statt. Deswe-
gen wollen wir mit dem vorliegenden Gesetz vor allen
Dingen die organisierte Schwarzarbeit treffen. Wir müs-
sen – das ist schon gesagt worden – das Übel bei der Wur-
zel packen. Wir sollten uns aber auch einig sein, was die
Wurzel des Übels ist.

Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der in der jetzigen
Debatte – Herr Kolb, Sie müssen mir keine Zwi-
schenfrage stellen; ich weiß ja, was Sie fragen wollen; ich
werde auf das, was Sie vorhin dazu gesagt haben, sofort
eingehen – auch eine Rolle gespielt hat. Die General-
unternehmer haften dafür, dass die von Ihnen beauftrag-
ten Subunternehmer die Sozialabgaben der Arbeitnehmer
ordentlich abführen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist verfassungswidrig!)


Sie haben gesagt – das stellen Sie immer wieder falsch
dar –: Wir können doch das Bauen nicht noch teurer ma-

chen. Ich hatte mir schon überlegt, an dieser Stelle eine
Zwischenfrage zu stellen. Ich habe es aber dann doch
nicht getan, weil ich wusste, dass ich dazu in meiner Rede
Stellung nehmen kann. Das werde ich jetzt wie folgt tun:
Seit 1993 – das sind fast 10 Jahre; Herr Kolb, es wird Zeit,
dass Sie das endlich zur Kenntnis nehmen – sind die Bau-
preise fast unverändert geblieben, während in der sonsti-
gen produktiven Wirtschaft die Preise um 5 Prozent ge-
stiegen sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich rede von der Zukunft!)


Diese Entwicklung fiel nicht in unsere, sondern in Ihre
Regierungszeit, also in die Zeit, als Sie in der Regierung
tief verstrickt waren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir waren in der Regierung nicht verstrickt!)


Für die Wurzel des Übels, nämlich die Stagnation der
Baupreise, sind Sie verantwortlich und nicht wir. Nehmen
Sie das endlich zur Kenntnis!


(Beifall bei der SPD)

Nun wird behauptet, die Unternehmen müssten für den

Haftungsfall Rücklagen bilden. Sie kennen offenbar nur
das Rezept „Weiter so wie bisher“. Damit löst man keine
Probleme. Herr Laumann, warum müssen denn die Un-
ternehmen Rücklagen bilden?


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Dass ein Gewerkschaftsvorsitzender in der Regierung verstrickt ist, das ist schlimm!)


– Was soll das Gerede vom Gewerkschaftsvorsitzenden?
Plärren Sie nicht herum! Hören Sie doch lieber zu!

Warum müssen die Unternehmen Rücklagen bilden?
Warum können die Generalunternehmen nicht einfach das
machen, was meine Kollegin Eichstädt-Bohlig vorge-
schlagen hat, nämlich auf Subunternehmer zu verzichten?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist verfassungswidrig!)


In den Niederlanden, dem Deregulierungsmusterländle,
auf das Sie immer verweisen, sind Subunternehmerketten
verboten. Der Verzicht auf Subunternehmer ist die rich-
tige Antwort; denn dann müssen sich die Generalunter-
nehmen keine Sorgen im Hinblick auf die Haftung ma-
chen und müssen keine Rücklagen bilden.


(Beifall bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wenn man Ihnen zuhört, weiß man, was das Wort „Prolet“ bedeutet!)


Viele Vorschläge, die gemacht worden sind, sind in un-
seren Gesetzentwurf eingeflossen. Sie selber wissen, dass
es in der Vergangenheit – das war einer der wesentlichen
Punkte – erhebliche Defizite in der Zusammenarbeit der
Behörden gab. Wir haben die Behörden in der Tat nicht
ausreichend verpflichtet, sich gegenseitig Daten zur Ver-
fügung zu stellen. Dies fasst dieses Gesetz an. Die Er-
kenntnis, dass es erforderlich ist, die Daten entsprechend
auszutauschen, ist in dieses Gesetz eingeflossen. Ich
hoffe, dass die für die Bekämpfung von Illegalität und
Schwarzarbeit zuständigen Behörden künftig besser




Klaus Wiesehügel

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(C)



(D)



(A)



(B)


zusammenarbeiten und dass wir mit dem effektiveren
Weitermelden von Daten in der Lage sind, Schwarzarbeit
wirklich zu bekämpfen und nicht nur darüber zu reden.
Dieses Gesetz soll dem Anspruch seiner Überschrift ge-
recht werden. Bei Ihren Gesetzen war das nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns nicht
nur in der Beschreibung von Illegalität und Schwarzar-
beit, sondern auch ganz erheblich in der Nennung der Ur-
sachen. Sie haben hier heute Morgen wieder eindrucks-
voll vorgetragen, welche Ursachen für Schwarzarbeit
Sie kennen: zu hohe Steuern, zu hohe Lohnnebenkosten.
Sie meinen, bei deren Senkung würde Schwarzarbeit von
ganz alleine verschwinden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was glauben Sie denn, warum Schwarzarbeit für die Leute interessant ist?)


Nehmen Sie bitte folgende Tatsache zur Kenntnis: Seit
1998 – hören Sie einmal zu, Herr Kolb! – haben sich in ei-
nem mittelständischen Betrieb mit einer Bruttolohn-
summe von ungefähr 250 000 Euro – das sind ungefähr
acht Beschäftigte – die Aufwendungen für die Arbeitge-
berbeiträge zur Rentenversicherung um 1 534 Euro redu-
ziert. Wir haben tatsächlich die Aufwendungen für Sozi-
alversicherungsbeiträge reduziert.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie hoch ist die Belastung durch die Ökosteuer für die Fahrzeuge des Unternehmens?)


Gleichzeitig sagen Sie, die Schwarzarbeit nehme zu, weil
wir sie erhöht hätten. Irgendetwas stimmt mit Ihrer Argu-
mentation nicht. Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis
nehmen: Ihre Argumentation ist schlichtweg falsch.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Was ist mit der Ökosteuer?)


Ich will Ihnen sagen, warum die Schwarzarbeit zu-
nimmt. Schwarzarbeit hat im Wesentlichen etwas mit
Moral zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)


Schwarzarbeit hat ganz erheblich mit mangelndem Un-
rechtsbewusstsein zu tun.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Zur Schwarzarbeit gehören immer zwei, Herr Wiesehügel!)


Der Weg von Schwarzgeld zu Schwarzarbeit ist bei
schwindendem Unrechtsbewusstsein leider sehr kurz ge-
worden. Auch da liegen die Ursachen.


(Beifall bei der SPD)

Die Moral einiger Politiker in diesem Land ist durch Ge-
setze nicht zu verändern. Das wissen wir. Deswegen brau-
chen wir Kontrollen und auch Sanktionen.

Die Mitverantwortlichen dafür, dass die Moral in die-
sem Land eben nicht erneuert, sondern total fehlgesteuert
wurde und den Bach heruntergegangen ist, sollten sich
dieser Verantwortung bewusst sein, an diesem Gesetz
konstruktiv mitarbeiten und nicht ständig von Deregulie-

rung reden. Ich hoffe, dass Sie darüber einmal ein biss-
chen nachdenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: Wir wollen einmal wissen, wie viel Gewerkschaftsbeiträge bei Ihnen aus Schwarzgeld bezahlt wurden!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421901900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 14/8221 und 14/8288 an die
an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zu-
sätzlich an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Klaus Riegert, Ilse Aigner, Marie-Luise
Dött, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in
Vereinen und Organisationen
– Drucksache 14/5224 –

(Erste Beratung 155. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6218 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Norbert Barthle

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter
Letzgus, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Gemeinnützige Vereine von hohen Energiekos-
ten entlasten
– Drucksachen 14/4386, 14/5196 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Barthle

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael Bürsch, SPD-Fraktion.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1421902000
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat der Bundestag
eine Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaft-
lichen Engagements“ ins Leben gerufen. Das Thema
heute hat mit dem weitreichenden Thema der Enquete-




Klaus Wiesehügel
21720


(C)



(D)



(A)



(B)


Kommission zu tun. Deshalb freue ich mich über die
Möglichkeit, in der heutigen Debatte ein paar grundsätz-
liche Worte zu sagen. Ich möchte fünf Anmerkungen
machen.

Erstens. Vereine und andere Organisationen sind maß-
gebliche Träger der Bürgergesellschaft und des bürger-
schaftlichen Engagements. Dies gilt quantitativ: Laut
Freiwilligensurvey von 1999 gibt es in Deutschland rund
22 Millionen Engagierte, die Hälfte davon in Vereinen
und Verbänden. Qualitativ betrachtet bilden Vereine und
andere Organisationen sozusagen den Kernbereich der
Bürgergesellschaft. Sie ermöglichen gesellschaftliche
Selbstorganisation, geben dem dritten Sektor Gewicht ge-
genüber Staat und Wirtschaft, sie geben dem Engagement
Halt und Dauer und sie vermitteln und stärken soziale und
bürgerschaftliche Kompetenzen wie Verantwortungs-
übernahme, Konfliktfähigkeit und Gemeinwohlorientie-
rung. Letztlich tragen sie dadurch zum gesellschaftlichen
Zusammenhalt bei.

Zweitens. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht auf
materiellen Gewinn ausgerichtet. Wer sich bürgerschaft-
lich engagiert, übernimmt gemeinnützig Verantwortung
für andere als Bürgerin oder Bürger. Diese freiwillige
Selbstverpflichtung schließt sicher ein Eigeninteresse
nicht aus, wohl aber das Motiv der materiellen Gewinner-
zielung. Steht Verdienst oder auch geringfügige Beschäf-
tigung im Mittelpunkt, kann nicht mehr von bürgerschaft-
lichem Engagement die Rede sein. Aus der Perspektive
der Vereine heißt das: Ein zu großzügiger Umgang mit
materiellen Vergütungen oder Aufwandsentschädi-
gungen, die über den tatsächlich entstandenen Aufwand
hinausgehen, untergraben die Freiwilligkeit bürgerschaft-
lichen Engagements und setzen unter Umständen eine
Anspruchsspirale in Gang, die es immer schwerer macht,
überhaupt noch Menschen für eine unentgeltliche Mitar-
beit zu gewinnen. Daraus folgt: Eine Ausdehnung steuer-
freier Vergütungen für bürgerschaftliches Engagement
widerspricht letzten Endes dem Spezifikum bürgerschaft-
lichen Engagements, nämlich der Unentgeltlichkeit.

Drittens. Die Vereine sind herausgefordert, sich in
Organisation und Alltagspraxis auf gewandelte Motive
und Erwartungen bürgerschaftlichen Engagements ein-
zustellen. Ein genereller Rückgang der Bereitschaft, Ver-
antwortung in Vereinen und anderen Organisationen zu
übernehmen, lässt sich nach den uns vorliegenden Er-
kenntnissen nicht feststellen. Allerdings verändern sich
die Motive und Erwartungen der Engagierten: Eigenin-
teresse und Gemeinwohlorientierung gehen eine neue
Verbindung ein; diese Verknüpfung zum Ausgangspunkt
für veränderte Formen bürgerschaftlichen Engagements
zu machen scheint wichtig. Viele Engagierte wollen auch
keine langfristigen Bindungen mehr übernehmen; inso-
fern wachsen die Anforderungen an ihre Betreuung, an
ihre Fortbildung und auch an die Mitgestaltungsmöglich-
keiten, die man ihnen einräumen muss. In diesen verän-
derten Motiven der Engagierten liegt auch eine Haupt-
ursache für Nachwuchsprobleme in manchen Bereichen
des Ehrenamts, zum Beispiel im Sport. Das bedeutet: Für
Vereine liegt eine entscheidende Aufgabe darin, insti-
tutionelle Passungen – wie die Fachleute sagen – zu ent-
wickeln; das heißt, die veränderten Motive und Erwar-

tungen der Engagierten und die Anforderungen der Orga-
nisationen wie Verlässlichkeit und Kompetenz besser als
bisher einander anzupassen.

Viertens. Die Zukunft des bürgerschaftlichen Engage-
ments wird nicht vorrangig durch materielle Anreize ge-
sichert, sondern durch die Entwicklung einer umfassen-
den Anerkennungskultur – in Vereinen und Verbänden
ebenso wie in Wirtschaft und Verwaltung.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber wenn sie durch Steuern bestraft werden, nützt das nichts mehr!)


Anerkennung kann sich in vielerlei Hinsicht zeigen:
Durch Ehrungen und symbolische Aufmerksamkeiten,
aber noch mehr durch vielfältige Formen von Wertschät-
zung und Würdigung kann deutlich gemacht werden, dass
dieses Engagement gewünscht, gewollt und möglich ist.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch Weiterbildung ist eine Form der Anerkennung:
Menschen, die sich engagieren, erwerben durch ihr Enga-
gement vielfältige Kompetenzen. Qualifizierung im En-
gagement und für Engagement gewinnt insoweit zuneh-
mende Bedeutung.

Fünftens. Der Bundesgesetzgeber kann Vereine und
andere Organisationen durch die Verbesserung der recht-
lichen Rahmenbedingungen stärken: Erstes und wich-
tigstes Ziel dabei scheint mir der Schutz der Engagierten
vor unkalkulierbaren Risiken, Schäden und Haftungen zu
sein. Die Enquete-Kommission befindet sich zurzeit in
Gesprächen mit Verbänden und der Versicherungswirt-
schaft und wird dem Parlament zu diesem Thema im Ab-
schlussbericht konkrete Handlungsempfehlungen unter-
breiten. Freiwilligkeit und Selbstorganisation sind aus
unserer Sicht zentrale Kennzeichen bürgerschaftlichen
Engagements in Vereinen und anderen Organisationen der
Bürgergesellschaft. Insofern sind die Organisationen
selbst die ersten Akteure und auch die ersten Ansprech-
partner, wenn es um die Entwicklung nachhaltig för-
dernder Strukturen für bürgerschaftliches Engagement
geht.

Der Staat wirkt hierbei vor allem ermöglichend, er-
munternd und ermutigend. Während materielle Vergüns-
tigungen einseitige und unter Umständen sogar falsche
Anreize setzen, trägt die Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements und die Stärkung des Schutzes von bürger-
schaftlich Engagierten zur Verbesserung der institutionel-
len Rahmenbedingungen des Engagements bei.

Bei der heutigen Debatte sind wir uns in einem Punkt
sicherlich einig – da schließe ich mich gerne einem Satz
aus dem Entschließungsantrag der CDU/CSU an –:

Vereine müssen gestärkt werden, damit Bürgerinnen
und Bürger ermutigt werden, sich für den Verein und
ihre Mitmenschen zu engagieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wo Sie Recht haben, Herr Barthle, haben Sie Recht.




Dr. Michael Bürsch

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Die Enquete-Kommission wird mit ihren Empfehlun-
gen deutliche Zeichen für ein vereinsfreundliches Klima
in Deutschland setzen – und das ist gut so.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Werner Siemann [CDU/ CSU]: Sind Sie ein Freund von Herrn Wowereit?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421902100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Barthle (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege
Bürsch, Sie haben über die Inhalte der Enquete-Kommis-
sion sehr schön berichtet. Aber ich erlaube mir – bei aller
Wertschätzung – die Anmerkung, dass man in der Schule
sagen würde: Thema verfehlt. Wir diskutieren heute näm-
lich über einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2001 und ei-
nen Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus dem
Jahr 2000. Zwischenzeitlich ist mehr als ein Jahr vergan-
gen, bis wir in zweiter und dritter Lesung über diesen
Gesetzentwurf endlich debattieren. So „eilig“ hatte es also
diese Bundesregierung, sich mit unseren Vorschlägen zur
tatsächlichen Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Ver-
einen und Organisationen auseinander zu setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum so viel Zeit vergangen ist, erklärt sich schnell,

wenn man auf die Inhalte schaut. Da geht es nämlich
tatsächlich um konkrete Maßnahmen zur Verbesserung
der Rahmenbedingungen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist ja ein Witz!)


Wenn es darum geht, schöne Veranstaltungen zu organi-
sieren – gerade ist das Jahr des Ehrenamts abgelaufen –,
wenn es darum geht, rhetorisch wohlklingende Reden
auszuformulieren, wenn es darum geht, schöne Prospekte
und Werbematerialien zu erstellen, dann ist diese Regie-
rung fleißig. Wenn es aber um konkretes Handeln geht,
dann wird die Luft dünn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Peter Danckert [SPD]: Ein bisschen Fakten jetzt noch!)


– Ich weiß schon, warum Sie nach den Fakten rufen. Sie
haben die Übungsleiterpauschale auf 3 600 DM erhöht
und den Berechtigtenkreis erweitert.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Immerhin! Das ist doch schon etwas!)


Sie haben die Lohnsteuerrichtlinie für die Feuerwehrleute
verändert und Sie haben – der Kollege hat darauf aus-
führlich hingewiesen – eine Enquete-Kommission zur
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements einge-
setzt. Das will ich gar nicht kritisieren. Im Gegenteil: Da
wird sogar gute Arbeit geleistet.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Na endlich!)


Aber das allein genügt eben nicht. Es reicht nicht aus,
eine Enquete-Kommission einzusetzen, die ihre Vor-
schläge zum Ende der Legislaturperiode vorlegt und die
daraus zu ziehenden Konsequenzen der nächsten Regie-
rung überlässt.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Dann können wir es umsetzen!)


– So machen wir es dann. – Dieses Vorgehen genügt auch
deshalb nicht, weil Sie die Vereine in den dreieinhalb Jah-
ren Ihrer Regierungszeit nicht entlastet, sondern belastet
haben, und zwar durch Ihre unseligen Gesetze zu den
630-DM- bzw. 325-Euro-Jobs, durch die Regelung zur
Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit und durch die
von Ihnen eingeführte Ökosteuer. Damit haben Sie die
Vereine wirtschaftlich geschwächt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor allem haben Sie zusätzliche Bürokratie geschaffen
und damit viele Menschen entmutigt, sich zu engagieren.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit den Vereinen zu tun? Das habe ich nicht verstanden!)


Man muss so weit gehen und sagen: Diese Gesetze haben
in der Vereinslandschaft wie eine Bombe eingeschlagen
und die Kollateralschäden sind bis heute nicht beseitigt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die von Ihnen eingeführte ungerechte und unsoziale
Ökosteuer stellt für unsere gemeinnützigen Vereine eine
erhebliche Belastung dar. Ehrenamtlich Tätige, Eltern und
Betreuer, die zum Beispiel Kinder zu Veranstaltungen
fahren, werden durch diese Ökosteuer belastet. Sie ver-
teuern die Benutzung von Schwimmbädern, Vereins-
heimen, Hallen, Übungsstätten von Musikvereinen. Sie
langen überall dort zu, wo Energie verbraucht wird, und
zwar ohne jeden Ausgleich. Eine Ermäßigung erhalten
nur diejenigen Unternehmen, die möglichst viel Energie
verbrauchen, während Sie die Vereine hängen lassen.

Eine Umfrage unter den großen Sportvereinen hat ge-
zeigt, dass sie allein durch die Ökosteuer im Jahr durch-
schnittlich mit 8 740 DM zusätzlich belastet werden. Die
größeren Vereine, die selbst Anlagen betreiben, werden
direkt belastet. Ein Verein wie der TSC Eintracht Dort-
mund hat im vergangenen Jahr allein 28 000 DM Strom-
steuer – nicht Stromkosten – gezahlt. Da schlägt Ihre
Steuererhöhung ordentlich zu Buche. Die kleineren Ver-
eine, die keine eigenen Anlagen betreiben, sehen sich vor
die Situation gestellt, dass die Träger die Nutzungsent-
gelte anheben, häufig unter Verweis auf die gestiegenen
Energiekosten.

Während Sie für Pendler, für Wohngeldbezieher und
auch für die Landwirtschaft einen entsprechenden Aus-
gleich für die Belastungen durch die Ökosteuer geschaf-
fen haben, lassen Sie unsere Vereine im Regen stehen.
Diese Ungleichbehandlung, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von Rot-Grün, müssen Sie den Menschen draußen




Dr. Michael Bürsch
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erklären, und zwar am besten, Herr Kollege Bürsch, be-
vor wir von einer neuen Kultur der Freiwilligkeit reden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Haben Sie einen Finanzierungsvorschlag?)


– Ich komme darauf zurück. – Lassen Sie mich noch ein-
mal auf § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes einge-
hen, die so genannte Übungsleiterpauschale. Wenn wir
uns recht erinnern, konnte die Übungsleiterpauschale in
der SPD-Fraktion nur gegen den Widerstand des Finanz-
ministers durchgesetzt werden. Der Finanzminister ist
übrigens derselbe Herr Eichel, der noch 1998 als
Ministerpräsident in Hessen die Erhöhung gefordert hatte.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist ja falsch, was Sie sagen!)


– Das können Sie nachlesen. – Dies geschah auch nur, um
die durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäfti-
gungsverhältnisse entstandene bürokratische Belastung
einigermaßen auszugleichen. Das war die Begründung.

Tatsache ist aber – so können wir im Freiwilligensur-
vey von 1999 nachlesen –, dass gerade einmal ein Drittel
der im Bereich des Sports Engagierten überhaupt eine
Kostenerstattung und lediglich 7 Prozent eine pauscha-
lierte Aufwandsentschädigung erhalten.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die anderen haben keine Kosten!)


Mit der Erhöhung der Übungsleiterpauschale entlasten
Sie also nur jene ehrenamtlich Tätigen, die in den Genuss
dieser Regelung kommen. Das bürgerschaftliche Engage-
ment in unseren Vereinen und Organisationen wird aber
ganz wesentlich von einem viel weiteren Personenkreis
getragen, und das sind eben nicht nur die durch § 3 Nr. 26
des Einkommensteuergesetzes Begünstigten.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Warum haben Sie es denn nicht gemacht?)


Das sind vor allem auch die Funktionsträger, das sind die
Vorstandsmitglieder, die Jugendleiter, die Schatzmeister,
die Schriftführer, aber auch zum Beispiel Platzwarte,
Zeugwarte oder sonstige Helfer.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb fordern wir, die CDU/CSU-Fraktion, Sie auf,

die Regelungen zu den steuerfreien Einnahmen nach § 3
Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes so zu gestalten, dass
zumindest die ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder
und Funktionsträger erfasst werden. Darüber hinaus soll-
ten nach unserer Meinung die ehrenamtlich tätigen Helfer
und Mitarbeiter durch eine allgemeine steuer- und sozial-
versicherungsfreie Ehrenamtspauschale von 600 Euro pro
Jahr entlastet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Danckert [SPD]: Auch das noch!)


Wir haben diese und weiter gehende klare Vorschläge vor-
gelegt; ich will jetzt nicht im Einzelnen darauf eingehen.

Meine Damen und Herren, wir alle freuen uns in die-
sen Tagen über die hervorragenden Erfolge unserer Sport-

ler, vor allem unserer Sportlerinnen, in Salt Lake City, de-
nen ich auch von dieser Stelle aus nochmals ganz herzlich
gratuliere.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber eines muss man sagen: Von nichts kommt nichts,
liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Da ist doch viel gekommen!)


Wenn wir auch in Zukunft konkurrenzfähig bleiben wol-
len, müssen wir heute die Grundlagen für künftige Erfolge
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu gehört zu allererst eine Neuregelung der 325-Euro-
Jobs und eine Änderung der Regelung zur Scheinselbst-
ständigkeit. Damit würden Sie bürokratische Entlastun-
gen für unsere Vereine schaffen.

Bis zum heutigen Tag ist übrigens auch die Frage der
Sozialversicherungspflicht im Zusammenhang mit der
Übungsleiterpauschale völlig unklar.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Tatsache ist nämlich, dass auch nach dem Gespräch der
Bundesregierung mit den Sozialversicherungsträgern und
nach entsprechenden Schreiben, die über die Spitzen-
verbände ins Land hinausgingen, wonach ein Betrag von
940 DM monatlich für Übungsleiter sozialabgabenfrei sein
sollte, sofern diese bis maximal 15 Stunden wöchentlich
tätig sind, im Lande größte Unklarheit herrscht. Die Lan-
desversicherungsanstalt Baden-Württemberg hat mit dem
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Kontakt
aufgenommen und von dort die Antwort erhalten, dieser
Vereinbarung werde nicht zugestimmt und in der Sozial-
versicherung gelte weder eine Entgeltgrenze – mit Aus-
nahme der 3 600 DM pro Jahr – noch eine Stundengrenze.
Nach dieser Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Rot-Grün, weiß draußen im Lande nun wirklich niemand
mehr, wie eigentlich zu verfahren ist. Wenn man sich das
Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozial-
ordnung anschaut, wundert man sich darüber auch nicht.
Darin steht klipp und klar, dass in jedem konkreten
Einzelfall die vorliegenden Umstände einzeln geprüft und
gewürdigt werden müssen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dafür braucht man eine neue Behörde!)


– Dazu brauchen wir vor allem wieder viel Bürokratie.
Lassen Sie mich noch kurz auf die Neuregelung für die

Feuerwehrleute eingehen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist nicht Thema Ihrer Vorlage! – Gegenruf des Abg. Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben auch nicht zum Thema geredet!)


Unser bzw. Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder hat beim
Feuerwehrtag versprochen, die Gleichstellung mit den
kommunalen Mandatsträgern herzustellen. Auch dieses




Norbert Barthle

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Versprechen wurde nur zum Teil eingelöst. Während für
die kommunalen Mandatsträger ein gestaffelter Betrag
nach der Anzahl der Einwohner der Kommune gilt, erhal-
ten die Feuerwehrleute nun pauschal 300 DM pro Monat
steuerfrei.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das wundert niemanden!)


Wenn ein Feuerwehrmann in einem Monat zufällig viele
Einsätze hat – weil vielleicht der Feuerteufel umgeht –
und er eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 301 DM
erhält, wird er für den gesamten Betrag steuer- und abga-
bepflichtig.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unerhört!)

Es wäre also viel klüger gewesen, statt einer Monats-

pauschale eine Jahrespauschale einzuführen. Damit wäre
den Feuerwehren wirklich geholfen gewesen. Auch hier
gilt der Satz: Hätten Sie uns vorher gefragt, hätten wir Ih-
nen gesagt, wie man besser regiert. Man kann es nämlich
besser machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Danckert [SPD]: Gott sei Dank ist niemand auf die Idee gekommen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns in der
Einschätzung der Aufgaben, die unsere Vereine in unserer
Gesellschaft wahrnehmen, einig. Wir wissen, dass die
Vereine Ausdruck einer lebendigen, leistungsfähigen und
solidarischen Bürgergesellschaft sind. Mit ihrer sozialen
Integrationskraft schaffen sie eine ganz wesentliche
Klammer über alle Bevölkerungsschichten und -kreise
hinweg. Wir wissen, dass Dank und Anerkennung in die-
sem Bereich eigentlich Selbstverständlichkeiten sind. An-
erkennung heißt aus unserer Sicht aber vor allem, dass
entbürokratisiert wird, dass für den Aufwand eine pau-
schale Entschädigung gezahlt wird und dass es zu Er-
leichterungen bei Haftungsfragen kommt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Aha, da treffen wir uns!)


Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle noch zu entspre-
chenden Lösungen finden. Wir haben mit unseren Geset-
zesanträgen Vorschläge gemacht. Deshalb fordere ich Sie
auf: Stärken Sie unsere Vereine, geben Sie unseren Bür-
gerinnen und Bürgern wieder mehr Mut, sich im Verein
für ihre Mitmenschen zu engagieren, setzen Sie ein Zei-
chen für ein vereinsfreundliches Klima und handeln Sie
vor allem einmal konkret.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Die SPD ist vereinsfeindlich!)


Reden Sie nicht nur darüber, sondern folgen Sie unseren
Vorschlägen und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Dann
wird es für unsere Vereine in diesem Lande besser.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421902200
Ich erteile Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Als Erstes habe ich verstanden, dass die Erfolge
von Salt Lake City offenbar noch nicht ausreichen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben es offensichtlich nicht verstanden!)


Von nichts kommt nichts. Ich hatte es vorhin fast so ver-
standen, dass wir in Richtung DDR-Strategie gehen soll-
ten;


(Zuruf von der CDU/CSU: So etwas Absonderliches!)


denn nur, wenn Deutschland 100 Prozent der Medaillen
gewinne, sei es international verträglich. Ich gönne auch
anderen Ländern ein paar Medaillen und finde, dass wir
in Salt Lake City sehr gut abgeschnitten haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Als Zweites habe ich verstanden, dass die CDU/CSU

wieder einmal die Spendierhosen anhat. Ich habe eben da-
rüber nachgedacht, wie der blaue Brief bzw. die rote Karte
aus Brüssel ausgesehen hätte, wenn wirklich all das, was
Sie uns von diesem Podium aus vorgeschlagen haben, ge-
macht worden wäre. Ständig reden Sie von vorgezogenen
Steuersenkungen. Gleichzeitig haben Sie eine spendable
Art, mit Staatsausgaben umzugehen.


(Susanne Kastner [SPD]: Wohl wahr! – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ich habe in Ihrer Rede noch nichts davon gehört, was die Vereine alles leisten!)


Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, das gäbe
nur noch rote Karten, sodass man ganz vom Feld gehen
könnte. Das alles sollten Sie sich für die Zukunft wirklich
überlegen. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der auch
Oppositionsparteien anfangen müssen, sich zu fragen, ob
sie das, was sie der Bevölkerung versprechen, auch wirk-
lich halten können.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD] – Werner Siemann [CDU/CSU]: Die Vereine werden Ihnen die rote Karte geben!)


Ich denke, das gehört sich für eine seriöse Politik, und
zwar nicht nur für die Regierungskoalition, sondern auch
für die Opposition. Weil Sie das einfach nicht können,
werden Sie in der Opposition bleiben.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum Praktischen: Als Erstes möchte ich als Grüne
natürlich etwas zu Ihrer Dauerschallplatte Ökosteuer sa-
gen, weil dieses Thema immer wieder angesprochen wird.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das werden wir bis zum 22. September immer wieder ansprechen! – Susanne Kastner [SPD]: Die Schallplatte hängt an der Stelle!)


Wir bekommen in jeder Sitzung auf den Tisch, dass un-
sere Gesellschaft an der Ökosteuer zusammenbricht. Das
ist offenbar auch in Salt Lake City der Fall.




Norbert Barthle
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(A)



(B)


Sie behaupten tatsächlich, dass die Ökosteuer zu so
sensationellen Energiekosten geführt hat, dass ganze Ver-
eine nicht mehr arbeiten können und praktisch kurz vor
dem Zusammenbruch stehen. Bei Ihrem Antrag hatte ich
ein wenig das Gefühl, dass Sie sich hauptsächlich über
Vereine zum Üben von Formel-1-Rennen Sorgen machen.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Waren Sie überhaupt schon einmal bei Vereinen? – Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, welche Zielsetzung
Sie hier haben.

Die Regierung hat an sehr vielen Stellen, besonders im
Bereich der Energiepreise, deutliche Anreize für einen
sparsamen Umgang geschaffen. Die Praxis zeigt, dass ge-
rade Vereine – jedenfalls die Vereine, die ich kenne – sehr
bewusst und verantwortungsvoll mit Energie umgehen,
weil sie die Zeichen der Zeit verstanden und Umwelt-
engagement in ihre Vereinsziele mit einbezogen haben.
Von daher habe ich das Gefühl, dass Sie mit den falschen
Vereinen Kontakt haben bzw. mit denen, die die künftigen
Generationen nicht im Blick haben und den Klimaschutz
nicht ernst nehmen wollen. Ich kenne Vereine, bei denen
das anders ist, und finde es gut, dass es viele Vereine gibt,
die unsere Ziele positiv unterstützen.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Sie kennen überhaupt keine Vereine!)


– Doch, doch, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Es
gibt viele umweltengagierte Vereine.

Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal eines der
CDU-geführten Länder loben. Es gibt in einigen Bundes-
ländern staatlich geförderte Ökochecks, beispielsweise
für Sportvereine. Das Umweltministerium von Baden-
Württemberg engagiert sich in diesem Bereich sehr stark.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Genau! BadenWürttemberg ganz vorn!)


Es hat Anlagen von 50 Sportvereinen auf ihre Umweltver-
träglichkeit hin untersucht, Schwachstellen in der Ener-
gieversorgung aufgezeigt und den Vereinen geholfen,
Konzepte zu entwickeln, die dann auch gefördert werden,
um die Umstellung von starkem Energieverbrauch auf
Energieeffizienz voranzutreiben. Auch der Landessport-
bund Hessen fordert eine bessere Vernetzung der Vereine
untereinander, damit das Know-how des Energiesparens
im Vereinsleben weitergegeben werden kann.

Es gibt also in unserer Gesellschaft praktische Schritte
zu einem energieeffizienten Umgang, ohne dass es immer
gleich um mehr Geld geht. Das Energiesparen selbst spart
irgendwann auch Geld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Als Zweites möchte ich etwas zu der Forderung nach
Steuererleichterungen in Ihrem Gesetzentwurf sagen. Im-
merhin haben Sie zur Kenntnis genommen, dass wir die
Übungsleiterpauschale von 3 600 DM – das war ja noch
zur Zeit der D-Mark – auf 4 800 DM angehoben haben.


(Lachen bei der CDU/CSU Norbert Barthle [CDU/CSU]: Oh, oh! Das wollten Sie mal!)


– Entschuldigung, jetzt war ich in der falschen Zeile. Sie
fordern die weitere Anhebung, wir haben die Pauschale
überhaupt erst auf 3 600 DM angehoben. Das war eine
Steigerung um 50 Prozent.


(Beifall bei der SPD)

Außerdem haben wir durch das neue Stiftungsrecht

die Möglichkeit von Spenden für Vereine verbessert, so-
dass jetzt sehr viel mehr gespendet werden kann. Wir ha-
ben das Steuerrecht und das Stiftungsrecht insgesamt ver-
bessert. Auch dadurch wird die Gesellschaft in ihrem
bürgerschaftlichen Engagement sehr unterstützt.

Wir haben in der Enquete-Kommission begonnen, zu
prüfen, wie bürgerschaftliches Engagement weiter ge-
stärkt und die Gesellschaft in Zukunft aktiv an gesell-
schaftlichen Aufgaben beteiligt werden kann.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wie lange wollen Sie denn noch prüfen? Die Periode ist doch zu Ende und dann sind Sie weg!)


– Eine Enquete-Kommission macht ihre Arbeit, erstellt
einen Schlussbericht, gibt Empfehlungen und dann zie-
hen wir politische Schlussfolgerungen. Ich glaube,
Sie sollten einmal prüfen, ob und wie stark Sie dann
noch da sind und ob Sie die richtigen Schlussfolgerun-
gen ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie die Mo-
dernisierung des bürgerschaftlichen Engagements nicht
aktiv mittragen wollen. Ich finde es gut und richtig,
wenn wir Sportvereine, Kleingärtner- und Feuerwehr-
vereine haben. Aber es kann nicht das einzige Ziel sein,
vorhandenen Vereinen mehr Geld zu geben und mehr
Steuererleichterungen zu verschaffen. Von daher ist der
Ansatz, den wir jetzt haben, sehr richtig und wichtig:
Erst einmal diskutieren wir darüber, wie wir das bürger-
schaftliche Engagement in der Gesellschaft, auch bei
den jüngeren Generationen, ausweiten können, und dann
diskutieren wir darüber, wann und wie wir es fördern
wollen.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Sie diskutieren nur, aber Sie handeln nicht! Sie sind vereinsfeindlich! – Gegenruf des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das nehmen Sie zurück!)


– Wir diskutieren nicht nur, sondern wir handeln auch.
Das habe ich Ihnen eben am Beispiel des Stiftungswesens,
der Übungsleiterpauschale und auch unseres Umgangs
mit dem Steuerrecht dargelegt.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Bei der EnqueteKommission fehlt Ihr Vertreter meistens!)


Als Letztes will ich in Ihre Richtung Folgendes sagen:
Wir haben ausgerechnet, dass die Umsetzung der Forde-
rungen in Ihrem Gesetzentwurf und in Ihrem Antrag
13 Milliarden Euro kosten würde. Ich muss Sie deshalb
ernsthaft fragen, ob Sie wirklich meinen, dass man mit sol-
chen falschen Versprechungen an die Öffentlichkeit treten
sollte. Meiner Meinung nach sollte man entsprechende




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Maßnahmen sehr viel differenzierter und sozusagen klein-
teiliger prüfen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ich habe gesagt: 7 Prozent und nicht 100 Prozent!)


Wir sind uns alle einig, dass wir das bürgerschaftliche
Engagement stärken müssen. Wir dürfen aber nicht die
falsche Versprechung machen, wir könnten alles geben,
ohne dass die Bürger ihrerseits etwas einbringen. Die
Vereinskultur in unserem Lande ist sehr viel weiter, als
Sie es suggerieren, weil sich eben sehr viele Bürger in ei-
nem sehr hohen Maße engagieren und damit dieser Ge-
sellschaft ein Stück Bürgerkultur geben und auch in Zu-
kunft geben wollen.

Wir werden differenziert vorgehen und nicht einfach
versuchen, nur mit Geld diese Dinge anzupacken. Wir
werden in der nächsten Legislaturperiode in diesem Be-
reich Zeichen setzen, um ihn zu stärken.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Es muss Butter bei die Fische!)


Dies wird aber nicht nach dem Formel-1-Prinzip ge-
schehen, wie Sie sich das wünschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421902300
Ich erteile dem Kolle-
gen Gerhard Schüßler, FDP-Fraktion, das Wort.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1421902400
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Erstens, Frau Kollegin
Eichstädt-Bohlig: Ich habe selten einen Beitrag von Ihnen
gehört, der so wenig Sachkenntnis zeigte wie der, den Sie
hier über die aktuelle Situation von Vereinen vorgetragen
haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Werner Siemann [CDU/CSU]: Treffer!)


Zweite Bemerkung. Sie beziehen sich auf die Arbeit in
der Enquete-Kommission. Ich kann dazu nur feststellen,
dass die Vertreter der Grünen in der Enquete-Kommission
in aller Regel durch Abwesenheit glänzen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Hört, Hört! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)


Vor circa vier Wochen hat der Bundestag über die
Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion bezüglich der Si-
tuation der Vereine in Deutschland debattiert. Sowohl
diese Anfrage als auch der vorliegende Antrag und Ge-
setzentwurf haben den gleichen Geist. Im Verlaufe des
Jahres 2000 hat sich mehr als deutlich gezeigt, dass die
vielen Gesetzesänderungen der rot-grünen Regierungs-
mehrheit den Vereinen große Lasten aufgebürdet haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wer das bestreitet, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, hat
von der Vereinsarbeit keine Ahnung.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Die war auch nie da! – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Sie kennt offensichtlich nur die Formel 1!)


Bis heute hat sich die Situation nicht geändert.
Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Die Bundes-

regierung hat gerade mit dem 325-Euro-Gesetz den Ver-
einen massiv geschadet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auf die Vereine ist ein riesiger Verwaltungsaufwand zu-
gekommen, da statt der pauschalen Versteuerung nun ver-
schiedene Renten- und Krankenversicherungsbeiträge
auszurechnen und an unterschiedliche Kassen abzuführen
sind. Mit Aufwandsentschädigungen unter 325 Euro
wurde in der Vergangenheit häufig das äußerst zeit- und
kostenintensive ehrenamtliche Engagement einiger Mit-
glieder abgemildert, auf das ein Verein nicht verzichten
kann. Vereine können nun einmal keine Lohnbüros unter-
halten.

Am Rande bemerkt: Das Schöne für die Bundesregie-
rung war ja, dass die ehemalig geringfügig Beschäftigten
mit einem Schlag sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigte waren und damit voll in der Statistik gezählt worden
sind.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Genau! – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Rosstäuscher ! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der größte Betrug!)


Das ist ein phänomenales Ergebnis: Der Ehrenamtler im
Verein mit seiner Aufwandsentschädigung wird plötzlich
zum Aktivposten in Schröders Arbeitsmarktstatistik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ernst Burgbacher [FDP]: Unglaublich! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist der wahre Hintergrund dieses Vorgehens! – Widerspruch der Abg. Susanne Kastner [SPD])


– Nein, Frau Kollegin, das ist ein primitiver Versuch, die
Menschen zu täuschen.

Die CDU/CSU-Fraktion hat Recht – wir teilen diese
Meinung –, wenn sie die gestiegene wirtschaftliche Be-
lastung der Vereine, hervorgerufen vor allem durch die
Ökosteuer, beklagt.


(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU])


Da können Sie so viel reden, wie Sie wollen: Diesem
Vorwurf können Sie sich nicht entziehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gerade die Vereine, die eigene Anlagen und Schwimm-
bäder unterhalten, was ja in einem hohen Maße den Staat
entlastet, sind in besonderer Weise belastet.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)

Lassen Sie sich die Zahlen einmal geben! Dann werden
Sie erkennen, dass Sie nicht so wie bisher reden können.

Aber auch die mittleren und kleinen Vereine sind indi-
rekt dadurch betroffen, dass die Kommunen ihre gestie-
genen Kosten durch Gebührenerhöhungen auf die Ver-
eine umlegen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Zum Teil ganz kräftig!)





Franziska Eichstädt-Bohlig
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Wie ist nun dagegen vorzugehen? Die Vorschläge der
CDU/CSU-Fraktion zielen darauf, die wirtschaftlichen
und administrativen Belastungen der Vereine durch rot-
grüne Gesetzeswerke punktuell zu kompensieren. Dies
ist nur verständlich; wir haben dafür große Sympathien
gezeigt.

Doch damit lassen sich nur kleine Etappensiege her-
beiführen, die das Steuerchaos letztlich weiter ver-
größern. Wenn der Übungsleiterfreibetrag gemäß § 3
Nr. 26 Einkommensteuergesetz beispielsweise auf neben-
berufliche pädagogische, künstlerische, pflegende und or-
ganschaftliche Tätigkeiten ausgedehnt werden soll, dann
birgt das – das ist voraussehbar – viele neue Schwie-
rigkeiten. Zum einen ist fraglich, ob damit erfasste Ne-
benberufe notwendigerweise etwas mit einem Ehrenamt
zu tun haben. Zum anderen lässt die Weite der Ausdeh-
nung befürchten, dass es zu missbräuchlichen Gestaltun-
gen kommt. Als Teil einer unendlichen Geschichte würde
der Gesetzgeber zur Beschränkung wieder Regeln in § 3
Nr. 26 Einkommensteuergesetz hineinarbeiten müssen. In
Zukunft würde wieder – wie jetzt in der Enquete-Kom-
mission „Bürgerschaftliches Engagement“ – die Klage
über viel zu komplizierte gesetzliche Rahmenbedingun-
gen geführt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Was sagen Sie dazu, Herr Barthle? Das kann doch nicht sein! – Dieter Grasedieck [SPD]: Das ist doch wirklich ein Angriff!)


Die FDP-Bundestagsfraktion fordert daher für den
gesamten gemeinnützigen Sektor eine grundlegende
Reform des Steuerrechts. Neben den wichtigen allge-
meinen Maßgaben der Vereinfachung und Tarifsenkung
muss im Steuerrecht für den gemeinnützigen Sektor unter
anderem Folgendes gelten:

Erstens. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird vom Grund-
satz her neu konzipiert; denn das jetzige spiegelt noch den
Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts wider und entspricht
nicht den Erfordernissen einer offenen, pluralistischen
Bürgergesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Zweitens. Die jetzt bestehenden punktuellen Privile-
gierungstatbestände werden zugunsten genereller Rege-
lungen abgeschafft, da sie ungerecht sind und historisch
auf die Stärke einzelner Lobbygruppen zurückzuführen
sind.

Drittens. Die Bürger werden so weit entlastet, dass sie
mehr Freiraum für bürgerschaftliches Engagement haben.
Die leicht anwendbare Gewährung von Frei- oder Pausch-
beträgen ersetzt den Wust an Detailregelungen.

Für die FDP ist klar, dass der Staat seiner Verpflichtung
hinsichtlich vernünftiger Rahmenbedingungen für ehren-
amtliches Engagement nachzukommen hat. Doch statt
des jahrzehntelangen Gezerres um einzelne Privilegien,
dessen Gefechte wir auch heute in der Enquete-Kommis-
sion partiell erleben, sollte sich der Gesetzgeber wieder
auf die Grundideen des ehrenamtlichen Engagements be-
sinnen, das auch nur den geringsten Ansatz von Kommer-
zialisierung verbietet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für mich persönlich war der letzte Sommer entschei-
dend. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich nach all den
Anhörungen in der Enquete-Kommission, woran fast aus-
schließlich Verbandsvertreter beteiligt waren, die Ab-
wechslung gegönnt, Jugendliche aus dem ganzen Bun-
desgebiet, die persönlich ehrenamtliche Arbeit leisten und
Beachtliches getan haben, einzuladen. Besonders nach-
drücklich haben sie vor der zunehmenden Kommerziali-
sierung des Ehrenamtes gewarnt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Aha!)

Viel entscheidender sei, so die jungen Menschen, die Ver-
ringerung der bürokratischen Hürden und der bessere
Zugang zum ehrenamtlichen Engagement, verbunden mit
einer gewissen Ausbildungsvoraussetzung, um ehrenamt-
liches Engagement auch tatsächlich leisten zu können.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sehr gut!)

Der Bundestag sollte verstärkt sein Augenmerk auf diese
einfachen, aber vom Grundsatz her einzig richtigen Ideen
legen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421902500
Ich erteile dem Kolle-
gen Gustav-Adolf Schur, PDS-Fraktion, das Wort.


Gustav-Adolf Schur (PDS):
Rede ID: ID1421902600
Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Alles, was Rang und Rahmen
hat, jettet zurzeit zu den Olympischen Spielen und feiert
sich und die deutschen Medaillengewinner.


(Ute Kumpf [SPD]: Vor allem die Thüringer!)

Sogar der Sportkoordinator der Bundeswehr erklärt: „Wir
als Bundeswehr haben von unserem Parlament den Auf-
trag erhalten, uns um den Leistungssport zu kümmern“,
was ich so präzise bislang nicht kannte.

Aber wo bleiben in diesen Stunden die Glückwünsche
für die Ehrenamtlichen,


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


die die Sieger von Salt Lake City irgendwann in der
Schule oder im Verein für den Sport gewonnen haben, die
für den ersten Anstoß, für die erste Begeisterung sorgten?

Bereits im September 1999 habe ich mich bei der Be-
ratung eines Gesetzentwurfs zur Stärkung des Ehrenamts
geäußert. Die heutige Kopplung mit dem Antrag zur Ener-
giekostensenkung für gemeinnützige Vereine vom No-
vember 2000 halte ich für angebracht. Hierbei geht es um
Energie, die durch Kabel und Drähte geleitet wird. Ich
meinte eingangs aber solche Energie, die Tausende jeden
Tag in Vereinen aufbringen, um junge Menschen für den
Sport zu begeistern. Diese Energie wurde über Jahrzehnte
nur unzureichend vergolten. Wenn die Kosten für die an-
dere Energie gesenkt werden, dann hilft immerhin das
– das ist klar – den Ehrenamtlichen.




Gerhard Schüßler

21727


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich glaube aber, dass beide Vorlagen zu kurz greifen.
Sie erfassen die Gesamtsituation der deutschen Vereins-
landschaft nicht. Bei der öffentlichen Anhörung im
Sportausschuss im November vergangenen Jahres zur
Situation der Sportvereine und der dort ehrenamtlich
Tätigen wurde das von Experten leider sehr eindrucksvoll
bestätigt.

Herr Remberg, Vorsitzender eines Großvereins in
Rheine, sagte – ich zitiere –:

Ich glaube, dass der Sport sowohl vom Sport selbst
als auch von der Politik noch zu wenig als Quer-
schnittsaufgabe gesehen wird. Deshalb fallen in der
Politik und bei den Behörden sehr häufig Entschei-
dungen, deren Tragweite für den Sport nicht erkannt
wird und die dann die Ehrenamtlichen verunsichern.
Wenn Sie das einmal aus den verschiedenen Poli-
tikbereichen betrachten, dann ist sicher Gesundheits-
politik ohne Sport ..., Sozialpolitik ... und auswärtige
Politik ohne Sport nicht denkbar ...

Der Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes
Baden-Württemberg, Rainer Hipp, äußerte sich unter an-
derem zu Sport und Gesundheitswesen und stellte dazu
eine weit gehende Nichtbefassung durch die Bundespoli-
tik über zehn Jahre hinweg fest. Er zitierte aus der Zeit-
schrift „Sportmedizin“:

In der Bundesrepublik entstehen jährlich Kosten und
Leistungseinbußen durch Krankheiten in Höhe von
450 bis 500 Mrd. DM. Dies ist eine kaum mehr
finanzierbare volkswirtschaftliche Belastung. Min-
destens 30 % davon entfallen auf teilweise vermeid-
bare degenerative Erkrankungen, vor allem des
Herz-Kreislauf-Systems.

Durch kontinuierliche sportliche Betätigung könnte
also eine Kosteneinsparung in Höhe von 5 Prozent erzielt
werden – eine echte volkswirtschaftliche Größe. Es würde
sich bezahlt machen, in den Sport mehr als bisher zu
investieren, damit Vereine wirklich Sport für jedermann
und nach jedermanns Geschmack anbieten können.

Ich zitiere nochmals Rainer Hipp:
Der Sport will keine Privilegierung. Aber er möchte
eine ungekürzte Güterabwägung unter Einbeziehung
aller Interessen und eine daran orientierte rechtlich
gesicherte Ordnung, ein Konzept, das ihn seine Auf-
gaben auch erfüllen lässt.

Leider, meine Damen und Herren, ist ein solches Konzept
mit Ihrem Gesetzentwurf und Ihrem Antrag nicht in Sicht.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das stimmt!)

Ein Ehrenamtsgesetz, wie vom Deutschen Sportbund in
seinem Katalog von Forderungen an die Bundesregierung
benannt, würde diese Anforderung viel eher entsprechen.

Der Präsident des Deutschen Turner-Bundes, Rainer
Brechtken, sagte in der gleichen Anhörung, dass mit den
schon eingeleiteten Neuregelungen im Vereinsrecht eine
gewisse Entbürokratisierung erfolgt ist, ein Vereins-
fördergesetz aber von Vorteil wäre, weil es, ähnlich wie
bei anderen Gesetzen, alle Tatbestände in einem Gesetz
zusammenfassen würde und damit Übersichtlichkeit und
Informationssicherheit gegeben wären. Er sagte aber

auch, dass er aufgrund seiner parlamentarischen Erfah-
rungen – er war Landtagsabgeordneter in Baden-Würt-
temberg – einer möglichen Realisierung skeptisch ge-
genüberstehe.

Diese Befürchtung wird durch die mehr als 25-jährige
Schulsportmisere und die defizitäre Entwicklung der Be-
wegungserziehung im Elementarbereich erhärtet. PISA-
Studie und Schulsportmisere verlangen im Interesse der
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesam-
ten Bundesgebiet nach einem einheitlichen Bildungssys-
tem.

Die Stellung des Sports im Wertesystem der Gesell-
schaft ist durch die Praxis neu definiert worden. Eine ge-
sunde, lebensfrohe und leistungsfähige Bevölkerung ist
mehr wert als jede olympische Goldmedaille,


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


andererseits aber auch der beste Garant für das Erreichen
von Weltspitzenleistungen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1421902700
Ich erteile dem Kolle-
gen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion, das Wort.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Noch ein Vereinsfeindlicher! – Gegenruf des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sie stoßen eine Beleidigung nach der anderen aus!)



Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1421902800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU arbei-
tet wirklich ziemlich flexibel:


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Das sind wir immer!)


Einmal sagt sie Ja, ein anderes Mal sagt sie Nein zur Öko-
steuer.Ab und zu ist dann ein Jein zu hören. 2000 erklär-
ten Sie von der CDU/CSU: Die Ökosteuer ist absolutes
Teufelswerk.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Ist sie auch!)

Im Januar 2002 veränderten sich Ihre Ansichten zum
Teufel. Herr Stoiber, Herr Glos und die Spitzenvertreter
der CDU/CSU sagten dann: Wir wollen die Ökosteuer in
der Zukunft beibehalten. Sie arbeiten nach dem Motto:
Wer nicht überzeugen kann, sollte wenigstens verwirren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sich selbst!)


Die Koalition hat schon vor Jahren eine Gesamtlösung
– und keine Detaillösung – umgesetzt. Wir legen Wert da-
rauf, dass wir bei allen Lösungen verantwortungsvoll vor-
gehen. Im Gegensatz zur Opposition ist uns das wichtig.
Sie kennen das Wort „Verantwortung“ offensichtlich
nicht. Sie versuchen, den Schuldenberg noch zu erhöhen.




Gustav-Adolf Schur
21728


(C)



(D)



(A)



(B)


Damit haben wir wirklich Probleme. Sie haben uns ein
Langzeitdesaster hinterlassen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Schuldenmacher sind Sie!)


Auch in den nächsten zehn Jahren werden wir mit diesem
Langzeitdesaster der Schulden zu kämpfen haben. Wir ha-
ben stets verantwortungsvoll gehandelt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Werner Siemann [CDU/CSU]: Am 22. September habt ihr fertig!)


Sie wollen die Übungsleiterpauschale noch einmal er-
höhen. Die Summe ist vorhin schon einmal genannt wor-
den: 13 Milliarden Euro. Wir haben wirklich Wert darauf
gelegt, dass wir den gesamten Ansatz des Ehrenamtes und
nicht nur Details sehen. Das müssten vor allem diejenigen
wissen, die in der Enquete-Kommission zum Ehrenamt
mitgearbeitet haben. Die Koalition hat diese Enquete-
Kommission eingerichtet, um ein Gesamtbild zu errei-
chen. Es wäre einfach falsch, Teile des Gesamtbudgets
herauszubrechen. Sie sehen nur Einzelgesichtspunkte und
haben keine langfristigen Konzepte.

Von Ihnen, Herr Barthle, ist vorhin Salt Lake City an-
gesprochen worden. Dort haben wir viel erreicht. Das ist
unter anderem auch ein Verdienst der dreijährigen SPD-
Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: In drei Jahren zum Olympiasieger!)


Sie haben 16 Jahre lang nichts getan. Wir hingegen – es
ist schon einiges genannt worden – müssen festhalten:
Wir haben gehandelt. Im Unterschied zu Ihnen haben wir
die Übungsleiterpauschale in den letzten drei Jahren von
2 400 auf 3 600 DM erhöht. Wir haben viel erreicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Salt Lake City ist der Qualitätsbeweis!)


Wir haben das gemacht, weil wir genau wissen, dass
die Übungsleiterarbeit innerhalb unserer Sportvereine
wichtig und entscheidend ist. Es ist wichtig, dass die
Übungsleiterarbeit weiter unterstützt wird. Durch sie wird
Integrationsarbeit und Jugendarbeit betrieben. Die Inte-
grationsarbeit ist vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe.
Hier haben wir im Gegensatz zu Ihnen etwas verändert.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


– Schreiben Sie sich das alles auf. Das wäre gut, damit Sie
etwas lernen.

Im Rahmen der Integrationsarbeit spielen Kurden,
Deutsche und Türken zusammen und nehmen Rücksicht
aufeinander. Das ist ein wichtiger Punkt für unsere Sport-
vereine. Wir haben das unterstützt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sehen nur Details. In diesem Fall sind das die
4 800 DM. Was sagen Sie einer Frau, die in einer Selbst-
hilfegruppe krebskranke Menschen betreut und selbst
krank ist? Es ist eine wichtige Aufgabe, Kranke zu be-
treuen und zu beraten. Das ist in der Selbsthilfegruppe
möglich. Wir haben einen Gesamtansatz gefunden. Wir
haben die Selbsthilfegruppe in den letzten drei Jahren un-
terstützt. Das will ich noch einmal unterstreichen. Dafür
ist eine Mark pro Einwohner zur Verfügung gestellt wor-
den. Diese wichtige Aufgabe muss auch weiterhin
unterstützt werden.

Herr Barthle hat noch einen weiteren Punkt aufgeführt:
Die Feuerwehr ist unterstützt worden.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Auch haben wir die Freiwilligendienste beträchtlich

gefördert. Das Budget dafür ist um 50 Prozent heraufge-
setzt worden: von 11,5 Millionen Euro auf 16,5 Millionen
Euro. Jugendliche können in Hospizen, Krankenhäusern
und Behindertenheimen arbeiten. All das zählt zum Eh-
renamt.

Hierzu gehört natürlich auch unser Stiftungsrecht.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Leider nicht die Vereine!)

Im Stiftungsrecht ist vieles umgesetzt worden, was für un-
sere Wahlkreise wichtig ist. Sie müssen selbst einmal in
Ihrem Wahlkreis nachsehen.

Durch die Förderung der Übungsleiter, der Selbsthilfe-
gruppen, der Freiwilligendienste und durch das neue
Stiftungsrecht unterstützen wir das Ehrenamt in seiner
Gesamtheit. Das ist der wesentliche Vorteil. Die Enquete-
Kommission wird in Zukunft ein Gesamtkonzept erarbei-
ten, das wir abarbeiten werden. Wir werden das Ehrenamt
auch künftig so wie in den letzten drei Jahren unterstüt-
zen.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421902900
Ich erteile dem Kolle-
gen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Endlich einer, der Ahnung davon hat! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Deshalb kommt er nie in die Enquete-Kommission! Ich hatte ihn gar nicht gekannt, bin aber nur Stellvertreter dort! Das ist etwas erschreckend!)


Klaus Riegert (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Ablehnung unserer Gesetzes-
initiative durch die Koalition in den Ausschüssen hat mich
schon überrascht. In der Öffentlichkeit, vor Vereinen und
Verbänden, hören Sie sich ganz anders an. Aber so ist das
bei Ihnen: versprochen, gebrochen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Herr Riegert, wollen Sie jetzt auch noch Beifall für einen solchen Unsinn?)





Dieter Grasedieck

21729


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihr Dreisprung heißt: Unsere Verbesserungsvorschläge
für Vereine und das Ehrenamt lehnen Sie als utopisch ab.
Ihre eigenen mickrigen Ergebnisse blasen Sie auf. Hand-
lungsnotwendigkeiten schieben Sie auf die Enquete-
Kommission ab. Mittlerweile habe ich den Verdacht, Sie
hoffen, dass Sie dies nach dem Herbst nicht mehr um-
setzen müssen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach je! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Dafür kommt nicht mal Beifall!)


Was haben Sie nicht alles versprochen? Eichel forderte
am 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwandsent-
schädigung für Vorstandsmitglieder und Funktionsträ-
ger. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und heu-
tige Bundesgesundheitsministerin Schmidt forderte am
6. Mai 1999, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf
400 DM monatlich anzuheben.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Hört, hört!)

Zur Begründung sagte Frau Schmidt, dies koste nicht viel,
man verzichte nur auf zu erwartende Steuereinnahmen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Frak-
tion, Wilhelm Schmidt, bot mit und forderte am 23. Ju-
ni 1999 in einer Vorlage an die SPD-Bundestagsfraktion,
die so genannte Übungsleiterpauschale auf 400 DM mo-
natlich anzuheben.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In Ankündigungen sind sie groß!)


Seine Begründung: Die gemeinnützigen Organisationen
könnten mit ihren ehrenamtlichen Strukturen die bürokra-
tisch sehr aufwendige Umsetzung der Neuregelung der
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse kaum bewäl-
tigen. Recht hat er! Das ist eine seltene, aber wahre Ein-
sicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dieter Grasedieck [SPD]: Vereinzelter Applaus!)


Der Fraktionsvorsitzende Peter Struck versprach am
20. Mai 2000, die steuerfreie Übungsleiterpauschale auf
400 DM monatlich anzuheben. Die sportpolitischen Spre-
cher von Rot und Grün, die heute nicht anwesend sind,
forderten dies sowie die Ausweitung auf andere Tätig-
keiten. Finanzminister Eichel hat sie zurückgepfiffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Ihre
Vorschläge waren alle gut, auch die Begründungen. Des-
halb haben wir sie in einem Gesetzentwurf zusammenge-
fasst. Nun verweigern Sie Ihren eigenen Vorschlägen die
Zustimmung. Sie bestätigen dringenden Handlungs-
bedarf, lehnen Verbesserungen aber ab.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Versprochen, gebrochen!)


Das, Herr Bürsch, ist nicht gut so. Würde dies nur Ihrer
Glaubwürdigkeit schaden, wäre es nicht schlimm. Ihr Ver-
halten schadet aber vor allem den ehrenamtlich Tätigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, in unserer Gesellschaft be-
steht ein breiter Konsens für unsere Vorschläge. Der
Deutsche Sportbund und der Deutsche Kulturrat fordern
diese Verbesserungen. Die von der Enquete-Kommission
„Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ beauf-
tragten Gutachter kommen zu dem gleichen Ergebnis wie
wir. Sie sehen breiteste Übereinstimmung bei Politikern,
Sachverständigen und Betroffenen. Erinnern wir Sie an
Ihre Aussagen und berufen wir uns auf die Ergebnisse der
von Ihnen bestellten Gutachter, sprechen Sie von utopi-
schen Forderungen.

Heute sagt uns Ihr Finanzminister, dass seine eigenen
Forderungen unbezahlbar gewesen sein sollen. Dies nen-
nen Sie seriöse Politik für das Ehrenamt. So hätten Sie un-
sere Vorschläge nicht umsetzen müssen. Doch man hätte
in den Ausschüssen wenigstens über mögliche Verbesse-
rungen sprechen können. Aber Sie verweigern sich total.
Ich erinnere Sie – falls Sie das übersehen haben – an Fol-
gendes: Sie hätten auch einen eigenen Gesetzentwurf ein-
bringen können.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber sie wollten es nicht!)


Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, mit
Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Zu-
kunft des bürgerschaftlichen Engagements“, deren Inhalte
Sie heute im Bundestag reihenweise ablehnen, in den
Wahlkampf zu ziehen. Ein solch durchsichtiges Wahl-
kampfmanöver wird Ihnen nicht gelingen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Werner Siemann [CDU/CSU]: Das nennt man Doppelzüngigkeit!)


Zwar findet man bei Ihnen plakative, vollmundige
Ankündigungen, Versprechungen und Broschüren vor.
Aber Sie tun nichts. Wenn Sie etwas tun, führen Sie die
ehrenamtlich Engagierten unverfroren hinter das Licht.
Das ist Ihre Art Engagement. Sie gaukeln den ehrenamt-
lich Tätigen vor, welch Heilsbringer diese Bundesregie-
rung für das Ehrenamt ist.


(Zurufe von der CDU/CSU: Gaukler!)

Ich habe hier eine Broschüre der Bundesregierung mit

dem Titel „Mitmachen, mithelfen – Ehrensache“. Besser
wäre der Titel „Getäuscht, getrickst, gelogen“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dieter Grasedieck [SPD]: Das müssen Sie nach 16 Jahren sagen! Sie haben ja in 16 Jahren viel erreicht!)


Im Vorwort preist der Bundeskanzler das ehrenamtliche
Engagement an. Bei den inhaltlichen Ausführungen lässt
er die ehrenamtlich Tätigen schamlos über die Klinge
springen. Schröder spricht von bürokratischer Entlas-
tung durch das Bundesseuchengesetz 2001. Wie immer
versucht er, seine Wohltaten möglichst volkstümlich an
den Mann zu bringen. Auf Seite 12 heißt es:

Würstchen können demnach von der freiwilligen
Feuerwehr seit 2001 ohne Belehrung und Bescheini-
gung bei Straßenfesten gegrillt werden,


(Zuruf von der SPD: Ja, das ist richtig!)





Klaus Riegert
21730


(C)



(D)



(A)



(B)


damit sich die Feuerwehr von dem Erlös einen neuen
Spritzenwagen kaufen kann.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer können
Mahlzeiten ohne Belehrung und Bescheinigung zu-
bereiten und diese bei Vereinsfesten verkaufen, um
die Vereinskasse aufzubessern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja unglaublich!)


Ich fände es – genau wie Millionen ehrenamtlich
Tätige – prima, wenn sie von bürokratischen Lasten be-
freit wären.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Durch Ihre Gesetzesvorlage?)


Nur ist dies nicht die Wahrheit. Ich habe bei der Bundes-
regierung schriftlich nachgefragt, ob dies so zutreffe. Die
Antwort der Bundesregierung vom Januar 2002 lautet:
Seit 1997 – Sie hören richtig: seit 1997 – habe sich nichts
geändert.


(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! – Hört! Hört!)


Die Bundesregierung und der Bundeskanzler haben die
Ehrenamtlichen schlicht getäuscht. Stellen Sie sich ein-
mal eine ehrenamtliche Helferin auf einem Vereinsfest
vor, die selbst gemachten Salat oder Kuchen verkauft.
Dann kommt ein Beamter vom Gesundheits- oder Ord-
nungsamt


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Frau Künast schickt gleich drei Behörden!)


und verlangt von ihr Bescheinigungen nach der Hygiene-
verordnung. Dann zieht die ehrenamtliche Helferin die
Broschüre der Bundesregierung aus der Tasche, zeigt das
Foto des Bundeskanzlers und den folgenden Text, in dem
steht, dass durch Änderung des Seuchengesetzes 2001
nun alles besser und unbürokratischer geregelt sei. Da
wird den Beamten des Ordnungsamtes nichts anderes
übrig bleiben als zu sagen: Packen Sie Ihre Sachen ein!


(Susanne Kastner [SPD]: So ein Unsinn!)

Schröder hat vieles anders, aber nichts besser gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es geht weiter im Text. Der Bundeskanzler, der Bun-
desinnenminister, die Fraktionsspitzen und die rot-grüne
Koalition haben die Vereinbarungen mit den Sozialver-
sicherungsträgern, dass die geringfügigen Beschäftigun-
gen in Sportvereinen bis zu 630DM zukünftig melde- und
sozialversicherungsfrei seien, als Stärkung des Ehrenamts
und als Abbau von Bürokratie gepriesen. Bundesinnen-
minister Schily konnte sich ob dieser Wohltaten gar nicht
genug auf die Schultern klopfen. Ich habe die Bundes-
regierung gefragt, wie die geringfügige Beschäftigung in
gemeinnützigen Vereinen geregelt war, bevor die von
Rot-Grün verursachte Neuregelung des 630-DM-Geset-
zes in Kraft getreten ist. Antwort der Bundesregierung:
Vor 1999 gab es diese Bürokratie gar nicht.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Für die Beschäftigten gab es weder eine Meldepflicht bei
den Sozialversicherungen noch eine Pflicht zur Beitrags-
abführung. Getäuscht, getrickst und gelogen – dies zieht
sich wie ein roter Faden durch diese Broschüre.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir danken den Millionen von ehrenamtlich Tätigen
und wollen Verbesserungen für ihr Engagement. Ist Ihnen
eigentlich bewusst, dass Sie den Vorsitzenden, den Kas-
sierer, den ehrenamtlichen Geschäftsführer, den Jugend-
leiter oder den Abteilungsleiter weiterhin zwingen, jedes
Blatt Papier, jede Briefmarke, jedes Telefongespräch und
jeden gefahrenen Kilometer zu notieren, damit sie ihre
tatsächlichen Kosten erstattet bekommen können? Mei-
nen Sie, dass die Vereine Geld ausgeben können, soweit
dies nicht gerechtfertigt ist? Sie haben jetzt die Gelegen-
heit, diese Ungerechtigkeit abzustellen und Ihre umfang-
reichen Ankündigungen zum Wohle der ehrenamtlich
Tätigen in die Tat umzusetzen. Stimmen Sie deshalb ge-
gen die Beschlussempfehlung des Ausschusses! Die eh-
renamtlich Tätigen haben diese Verbesserungen verdient.
Sie könnten damit Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit einen
Dienst erweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es ist 11.11 Uhr!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421903000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Peter Danckert von der SPD-Fraktion.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Er rettet die Sache jetzt auch nicht mehr!)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1421903100
Lieber Herr Kollege Klaus
Riegert, herzlichen Glückwunsch: Nach dreieinhalb Jah-
ren Opposition einen derart pompösen Gesetzentwurf zur
Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Or-
ganisationen. Und was kommt dann raus? Ein Mäuslein!
Nicht mehr als das. Ich frage Sie allen Ernstes: Haben Sie
in den letzten Tagen mit Ihrem Kanzlerkandidaten über
diesen Gesetzentwurf geredet? Mich würde interessieren,
was er dazu sagt. Ich bin sicher, dass er Ihnen die gleiche
Antwort gibt wie zum Thema Ökosteuer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zwei Jahre lang haben Sie uns mit der Ökosteuer gepei-
nigt und verlangt, sie abzuschaffen. Nichts ist mehr davon
übrig. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäf-
tigungsverhältnissen wird sich auch nichts ändern, und
zwar ganz egal, wer regiert. An dieser Stelle hätte ich
gerne einmal die Meinung von Herrn Stoiber über diesen
Gesetzentwurf gehört.

Sie haben hier viel erzählt, Herr Kollege Riegert, ha-
ben aber eine Frage nicht beantwortet – die Antwort in
Ihrem Gesetzentwurf ist mehr als dürftig –: Was wird das
kosten? In dem Gesetzentwurf steht ein interessanter
Satz:




Klaus Riegert

21731


(C)



(D)



(A)



(B)


Die eventuell anfallenden Steuermindereinnahmen
können nicht genau beziffert werden. Sie liegen im
Rahmen vergleichbarer steuerlicher Änderungen der
letzten beiden Jahre.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das haben wir von Eichel abgeschrieben!)

Was meinen Sie eigentlich damit? Sie legen uns hier allen
Ernstes einen Gesetzentwurf vor und haben noch nicht
einmal eine schwache Ahnung, was seine Umsetzung
kosten wird.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Gar nichts!)

Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gab es – Kol-

lege Barthle wird das als Berichterstatter des Finanzaus-
schusses bestätigen können – Hinweise der Bundesregie-
rung, was die Umsetzung des Gesetzentwurfs kosten
könnte. Wir haben eine Summe von 25 Milliarden gehört;
das steht auch in den amtlichen Unterlagen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Falsch!)

Ich selber kann auch nicht sagen, ob diese Zahl stimmt.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Falsch!)

Sie aber setzen sich mit dieser Frage gar nicht erst aus-
einander. Das Schlimme an dieser Geschichte ist: Sie ver-
kaufen der Öffentlichkeit einen tollen Gesetzentwurf, bei
dem ein Paragraph mit einer Nummer geändert werden
soll, verraten uns aber nicht, wie das finanziert werden
soll.


(Beifall bei der SPD)

Das ist das Unseriöse an Ihrer Politik: ein großes Gedöns
zu machen und kein Wort zur Frage der Kosten zu verlie-
ren. Man kann alles versprechen, muss aber den Bür-
gerinnen und Bürgern vor der Wahl offen sagen, was eine
Maßnahme unterm Strich kosten wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein zweiter Punkt. Sie haben in Ihrer langen Regie-

rungszeit – diese ist Gott sei Dank am 27. September 1998
zu Ende gegangen – eine interessante Sache gemacht, auf
die ich Sie aufmerksam machen möchte. Die Kohl-Re-
gierung hat nämlich im Jahre 1997 eine unabhängige
Sachverständigenkommission zur Prüfung des Ge-
meinnützigkeits- und Spendenrechts einberufen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Außer Bürokratie habt ihr doch überhaupt nichts fertig gebracht!)


Diese Kommission hat am 24. März 1998 einen sehr in-
teressanten, umfangreichen Bericht vorgelegt. Wenn Sie
den umgesetzt hätten, müssten Sie sich heute nicht mehr
so verstecken. Das ist nämlich die Realität: Sie setzen eine
Sachverständigenkommission ein, die einen Bericht zur
Vereinfachung und Verbesserung des Gemeinnützigkeits-
und Spendenrechts vorlegt, unternehmen aber anschlie-
ßend nichts.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der noch

interessanter ist. Zur Begründung Ihres Erhöhungsverlan-
gens von 3 600 auf 4 800 DM – nachdem wir nun den ers-

ten entscheidenden Schritt in dieser Angelegenheit unter-
nommen haben – berufen Sie sich


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Uns geht es vor allem um die Ausweitung auf die Funktionsträger!)


– auch Sie, Herr Kollege Barthle – in Ihren Ausführun-
gen auf die Bundesratsinitiative des damaligen Minis-
terpräsidenten Eichel, nachzulesen in der Bundesrats-
drucksache 950/98. Die müssten Sie einmal lesen, bevor
Sie dummes Zeug in Ihren Gesetzentwurf schreiben!
Darin ist nämlich nicht von einer Erhöhung der Kosten-
pauschale die Rede, sondern nur von einer Erweiterung
auf andere Funktionsträger.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Das haben wir ja schon gemacht!)


Sie aber argumentieren zur Begründung Ihrer Auffassung
ständig, dass Herr Eichel schon 1998 die Erhöhung ge-
fordert habe. Nichts davon ist wahr. Sie sind noch nicht
einmal in der Lage, sich die Unterlagen, auf die Sie sich
berufen, anzusehen, sondern Sie tragen hier falsche Dinge
vor. Das ist das Unseriöse an Ihrem Vorgehen.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich abschließend anmerken, Herr Kollege

Riegert: So ganz ernst kann das alles ja gar nicht gewesen
sein. Warum brauchen Sie eigentlich dreieinhalb Jahre
– ich rede gar nicht von den 16 Jahren, in denen Sie Zeit
hatten, so etwas umzusetzen; weshalb Sie zu dem Thema
gar nichts sagen, ist eine offene Frage; aber lassen Sie uns
das vergessen –, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen?
Können Sie uns das verraten? Sie scheinen es mit Ihrer
Initiative nicht besonders eilig gehabt zu haben. Denn das
ist ja alles schon Anfang vergangenen Jahres – –


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Sie haben es blockiert!)


– Sie hätten es schließlich auf die Tagesordnung des Hau-
ses setzen lassen können. Das haben Sie aber nicht ge-
macht. Offensichtlich war Ihnen bei dieser Angelegen-
heit selber nicht wohl. Wir hätten schon im Sommer
darüber diskutieren können. Sie haben aber darauf ver-
zichtet.

Warum bringen Sie den Gesetzentwurf jetzt ein? Die
Antwort darauf ist sehr einfach: Das ist nur Wahlkampf-
geklingel.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Es gab doch einen Antrag! Ihr habt doch alles verhindert!)


An die Fraktionen der FDP und der PDS gerichtet las-
sen Sie mich sagen: Meine Herren Kollegen, ihr habt doch
nicht so recht verstanden, wofür ihr eigentlich seid.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Die FDP ist dagegen!)


Aus den Empfehlungen der verschiedenen Ausschüsse
ist ersichtlich, dass einmal eine Enthaltung erfolgt und
einmal dagegen gestimmt wird. Die Positionen der




Dr. Peter Danckert
21732


(C)



(D)



(A)



(B)


Parteien, die wir auch besprochen haben, sind ziemlich
offen.

Abschließend möchte ich sagen, Herr Kollege Riegert,
dass wir – das ist doch das Vernünftige – zunächst einmal
abwarten sollten, was die gemeinsam eingesetzte Enquete-
Kommission vorlegt.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mit ruhiger Hand abwarten!)


Dann sollten wir zu einer umfassenden Regelung kom-
men und nicht punktuell sozusagen einen Warenhauska-
talog mit einer gewissen Beliebigkeit vorlegen und am
Ende noch nicht einmal angeben, wie das Vorhaben fi-
nanziert werden soll.


(Beifall bei der SPD)

Sie als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Sportaus-

schuss sollten sich den Grundsatz „Fair geht vor“ merken
und sich erst dann wieder zu Wort melden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ein billiges Ausweichmanöver, sonst gar nichts!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421903200
Der Kollege Klaus
Riegert hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte
sehr.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Jetzt nehmen wir die Polemik mal heraus, weil wir ein gemeinsames Ziel haben, sehr geehrter Herr Riegert!)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1421903300
Herr Dr. Danckert, wenn
Sie das Motto „Fair geht vor“ anführen, möchte ich kurz
vortragen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: Eichel
fordert am 1. Dezember 1998 die steuerfreie Aufwands-
entschädigung für Vorstandsmitglieder und Funktions-
träger – genauso wie Sie es aus der Drucksache 950/98 zi-
tiert haben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aha! Er kann nicht zuhören!)


Ich habe das völlig korrekt zitiert. Sie können das nachher
im Protokoll nachlesen.

Die anderen Zitate stammten in der Tat von Mitglie-
dern Ihrer Fraktion. Die können Sie in den entsprechen-
den Presseberichten ebenfalls nachvollziehen


(Susanne Kastner [SPD]: Sollen wir denn hier den „Bayernkurier“ lesen?)


oder wenn Sie sich die Mühe machen wollen, können Sie
bei Ihrer sportpolitischen Sprecherin den Entwurf heraus-
suchen, in dem genau die Stellen, aus denen ich zitiert
habe, enthalten sind und die dann in der Fraktion zurück-
gezogen wurden. Laut dieser Drucksache hat Herr Eichel
gesagt, dass die Steuermindereinnahmen nicht bezifferbar
seien. Des Weiteren wird ausgeführt, dass die tatsäch-

lichen Steuerausfälle – das haben wir genau so übernom-
men – gering seien.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das Ehrenamt eignet sich nicht zum Wadenbeißertum, Herr Riegert! – Gegenruf des Abg. Werner Siemann [CDU/CSU]: Sie sollten einmal etwas für die Ehrenamtlichen tun! )



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421903400
Herr Kollege
Danckert, möchten Sie erwidern? – Bitte sehr.


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1421903500
Herr Kollege Riegert, le-
sen Sie bitte einmal die entsprechenden Ausschussproto-
kolle nach. Sie werden dann feststellen, dass man sich auf
die Äußerungen des ehemaligen hessischen Ministerprä-
sidenten Eichel bezogen hat, als es um die Erhöhung des
Steuerfreibetrags von 3 600 DM auf 4 800 DM ging. Ge-
nau das ergibt sich auch aus den verschiedenen Drucksa-
chen. Ich habe mich ja nicht auf Ihre Rede bezogen.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Doch!)

Ich habe vielmehr auf das Bezug genommen, was von Ih-
rer Fraktion in dieser Angelegenheit nicht mündlich, son-
dern schriftlich vorgetragen worden ist. Das ist noch viel
schlimmer; denn man muss den Eindruck haben, dass hier
ganz bewusst getäuscht wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das war nicht bloß ein Windei, sondern ein faules Ei!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421903600
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Fraktion.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1421903700
Frau Präsiden-
tin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die jetzige Debatte bietet eine gute Gele-
genheit, den ehrenamtlich Tätigen zu danken und unserer
Gesellschaft zu den Abermillionen selbstlos geleisteten
Stunden zu gratulieren, die die ehrenamtlich Tätigen von
ihrer Lebenszeit abgegeben haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schließlich ist jede Stunde, die man der Gesellschaft ab-
gibt, für die persönliche Verwendung unwiederbringlich
verloren. Ich glaube, dass das die eigentliche Bedeutung
des Ehrenamts unterstreicht.

Wir müssen aber auch erkennen, dass das traditionelle
Ehrenamt, das uns immer vorschwebt, sehr stark gefährdet
ist. Bestimmte Großorganisationen und Vereine verzeich-
nen eine dramatische Erosion in diesem Bereich. Wir tun
so, als könnten wir diese Entwicklung mit einem leichten
Federstrich und durch Einbringung eines Gesetzentwurfs
bzw. eines Antrags im Parlament korrigieren. Die Arbeits-
und Freizeitwelt wird vollständig umgebaut. Es ent-
wickeln sich eine neue Jugendkultur und neue Engage-
mentformen, die dieses Haus noch gar nicht registriert hat.




Dr. Peter Danckert

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(D)



(A)



(B)


Der Zerfall moralischer Kategorien – darauf komme ich
später zurück – tut das Seine dazu, dass nicht mehr so viele
Menschen wie in der Vergangenheit bereit sind, sich eh-
renamtlich zu engagieren. Daraus ergeben sich bestimmte
Zukunftsaufgaben.

Die CDU/CSU lenkt mit ihrem Entwurf genau von die-
sen Zukunftsaufgaben ab; denn sie reduziert Problem-
lösungsansätze auf die Geldfrage. Aber beim Ehrenamt
geht es vordergründig nicht um Geld. Es geht vielmehr
um viel tiefere Begründungszusammenhänge, über die
wir nachdenken müssen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Entbürokratisierung war das Stichwort!)


Es ist ein Widerspruch – dieser lässt sich auch in der
Begründung des CDU/CSU-Entwurfs finden –, wenn
Herr Schüßler im Zusammenhang mit dem Ehrenamt über
die Entwicklung der geringfügigen Beschäftigungsver-
hältnisse nachdenkt; denn geringfügige Beschäftigungs-
verhältnisse haben mit dem Ehrenamt nichts zu tun.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was?)

Bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen han-
delt es sich um bezahlte Tätigkeiten. Aber die ehrenamt-
liche Tätigkeit ist unbezahlt. Wer geringfügige Beschäfti-
gungsverhältnisse und ehrenamtliche Tätigkeit in einem
Atemzug erwähnt, der will das Volk bewusst desinfor-
mieren.


(Beifall bei der SPD)

Ich denke, das war auch die Konsequenz aus der ein-

fallslosen Großen Anfrage der CDU/CSU, die insgesamt
60 Fragen umfasst. Wenn man sich die einzelnen Fragen
genau anschaut, dann stellt man fest, dass sich 18 Fragen
auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse beziehen,
neun Fragen auf Steuerprüfung, acht Fragen auf die
Übungsleiterpauschale, sieben Fragen auf Rechtsvorschrif-
ten und drei Fragen auf das Durchlaufspendenverfahren. Es
ist lächerlich, wenn Sie glauben, dass Sie mit diesen Fragen
Antworten auf die Zukunftsfrage bezüglich des Verhältnis-
ses von Jugend und Ehrenamt finden werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vorhin wurden Fakten eingeklagt. Die möchte ich nun
nennen. Die Übungsleiterpauschale gibt es seit 1980. Von
1980 bis 1998 ist die Übungsleiterpauschale um 0 Prozent
angehoben worden.


(Heiterkeit bei der SPD)

Das heißt also, dass die Übungsleiterpauschale beispiels-
weise im Jahr 1983 um 0 Prozent, 1984 um 0 Prozent, 1985
um 0 Prozent und auch in den Jahren 1997 und 1998 um
0 Prozent angehoben wurde. Meines Wissens war die rot-
grüne Koalition in diesem Zeitraum noch nicht an der Re-
gierung. Insofern muss man sich einmal überlegen, was für
ein Vorgang das ist: 1999 wurde die Übungsleiterpau-
schale von uns um 50 Prozent angehoben – um jetzt, ein
Jahr später, von Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt zu
bekommen, mit dem Sie weitere 50 Prozent fordern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Noch etwas: Aus steuersystematischen Gründen ist die
Übungsleiterpauschale noch nicht einmal eine kluge Ant-
wort auf die Problemlage, die sich uns stellt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Anhebung durch die rot-grüne Koalition war eine Not-
operation, mit der wir deutlich machen wollten: Ehrenamt,
wir nehmen dich wichtig. Es ist so lange nichts passiert;
lasst uns schnell die Übungsleiterpauschale anheben,
auch wenn wir langfristig ein völlig anderes System brau-
chen, weil sich das Ehrenamt nicht auf diese primitive
Frage nach Geld reduzieren lässt.

Es gibt noch ganz andere Widersprüche: Herr Riegert
hat in der letzten Debatte zu diesem Thema gefordert – ich
habe das einmal nachgelesen –, die Zweckbetriebsgrenzen
bei gemeinnützigen Vereinen anzuheben. Andererseits
aber will die CDU/CSU das Gastronomie- und Touris-
musgewerbe nicht gefährden – ein bislang unaufgelöster
Widerspruch.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ist ja nicht wahr!)


Auf eine Ursache für die Erosion des Ehrenamts und
der Vereine wurde heute noch gar nicht eingegangen.
Mich wundert Folgendes: Die meisten von uns sind ja in
einem Alter, wo wir Kinder zwischen, sagen wir einmal,
zehn und 25 Jahren haben könnten. Ich frage mich wirk-
lich, ob Sie mit Ihren Kindern gelegentlich einmal reden.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ja, mache ich!)

– Deshalb habe ich auch in die andere Richtung geschaut.
Mein Eindruck ist nämlich, dass das bei der CDU/CSU
relativ selten passiert.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wir trommeln noch!)


Die CDU/CSU stellt immer die Frage: Geht ihr eigent-
lich in die Vereine? Die Antwort ist: Ja, wie gehen in Ver-
eine. Ich zum Beispiel gehe in die DLRG.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Sehr löblich!)

Dort heißt das Treffen Ortsgruppe. Im Sport heißt es Ver-
ein, in Parteien heißt es Ortsverein. Meine Kinder aber ge-
hen überhaupt nicht in einen Verein oder eine Ortsgruppe,
sondern bilden – komischerweise ein Wort, das hier selten
vorkommt – einen Clan.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Wo kommen Sie denn her?)


Jugendliche treffen sich zum Beispiel zu einem Wett-
kampfwochenende.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Nein, das ist nicht nur ein englisches Wort. Daran er-
kennt man, dass Sie die Problemlage überhaupt nicht
durchdrungen haben. Sie gehen in Ihrer Freizeit zu einem
Seminar, aber die Jugendlichen heute gehen zum Beispiel
zu einer LAN-Party – womöglich treffen sie sich gar nur
virtuell, sind also real an unterschiedlichen Orten.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Das meinen Sie doch nicht im Ernst, was Sie hier sagen!?)





Lothar Binding (Heidelberg)

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(B)


Die Jugendlichen schaffen auch völlig neue Verhaltens-
muster und haben andere moralische Vorstellungen.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Da gibt es aber Begeisterung bei Ihren Leuten über diese Argumente!)


Die Gerechtigkeitsfragen beispielsweise werden ganz neu
abgebildet. Auf diese Fragestellungen gehen wir über-
haupt nicht ein.

Ich will Ihnen sagen, warum ich glaube, dass wir mit
einem naiven Zugang zu diesem Thema Ehrenamt bei Ju-
gendlichen überhaupt nichts bewirken können. Meine
Kinder fragen mich zum Beispiel, warum ich ihnen etwas
von Selbstlosigkeit erzähle, wenn doch ein Herr Kohl
noch im Parlament sitzt.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Weil das Elternhaus nicht stimmt!)


Wenn ich sage, dass die Maxime „Du sollst anderen Men-
schen helfen“ eine positive Qualität hat, dann bekomme
ich zu hören: Der Koch verwaltet Schwarzkonten und ist
immer noch im Amt, wird sogar als Kanzlerkandidat ge-
handelt. – Nun gut, in Bezug auf die Nachfolge von Kohl
bedeutete das ja wenigstens Kontinuität: Verwaltung von
Schwarzkonten im Kanzleramt.


(Beifall bei der SPD)

Für mich wäre das aber eine Perspektive, die mich er-
schrecken lässt.

Was ich sagen will, ist: Der Zerfall moralischer Kate-
gorien macht den Jugendlichen keinen Mut, sich im klas-
sischen Sinne ehrenamtlich zu engagieren. Die Ignoranz
von vielen in diesem Hause hinsichtlich der neuen Ju-
gendkulturen schafft jedenfalls keine Brücke zwischen
neuen Jugendkulturen und unserem traditionellen bürger-
schaftlichen Engagement. Ich denke, dass Sie mit der Re-
duktion dieses Themas auf die primitive Frage des Geldes
dem Ehrenamt mehr schaden als nutzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421903800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5224 zur
Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Or-
ganisationen. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Druck-
sache 14/6218, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Die Vereinsfeinde! – Lachen bei der SPD)


Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 14/5196 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel: „Gemeinnützige Vereine von

hohen Energiekosten entlasten“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4386 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der
PDS und FDP und gegen die Stimmen von CDU/CSU ist
die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 7 auf:
Vereinbarte Debatte
zur Einsetzung des EU-Verfassungskonvents

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Darüber
herrscht Einverständnis.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Pro-
fessor Jürgen Meyer für die SPD-Fraktion.


Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1421903900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Eröffnung des
„Konvents zur Zukunft Europas“ in der kommenden Wo-
che in Brüssel ist ein Ereignis, das für die Zukunft der Eu-
ropäischen Union besondere und hoffentlich historische
Bedeutung hat. Die Regierungschefs der 15 Mitgliedstaa-
ten sprechen in den Schlussfolgerungen von Laeken vom
vergangenen Dezember vom Weg zu einer Verfassung
für die europäischen Bürger. Deshalb nennen viele den
Konvent der 105 Delegierten aus 28 Ländern, dessen Ein-
berufung ich übrigens schon einmal im Juni 1995 in einer
Bundestagsdebatte zu fordern gewagt hatte, nicht zu Un-
recht „Verfassungskonvent“. Damit ist eine faszinierende
Aufgabe beschrieben.

Ich will die erste Sitzungswoche nach meiner Wahl
zum Delegierten des Deutschen Bundestages im Konvent


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Eine gute Wahl!)


gerne nutzen, um Ihnen für das in mich gesetzte Vertrauen
zu danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Uwe Hiksch [PDS]: Haben wir gerne gemacht!)


Ich habe mich darüber gefreut, dass mich alle Fraktionen
außer der CDU/CSU-Fraktion geschlossen gewählt ha-
ben, aus der CDU/CSU-Fraktion immerhin die Europa-
politiker, die dem Thema etwas näher stehen als andere.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Die klügeren Leute!)


Die Europäische Union benötigt eine Verfassung oder,
wie manche sagen, eine Grundordnung, die Demokratie
und Effizienz auch nach der bevorstehenden Erweite-
rung sichert. Diese Erweiterung, die wir ja alle wollen,
um möglicherweise weitere zehn Staaten noch vor der Eu-
ropawahl 2004 ist mit der Gefahr verbunden, dass sich die
zentrifugalen Kräfte verstärken und ein nicht mehr
arbeitsfähiges Gebilde entsteht. Deshalb ist es höchste
Zeit für eine Verfassung. Ich denke, unsere gemeinsame




Lothar Binding (Heidelberg)


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(A)



(B)


Überzeugung ist: Eine Erweiterung der Europäischen
Union ohne Vertiefung ist kein überzeugendes Konzept.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es waren nicht zu-
letzt wir Parlamentarier, die diesen zweiten Konvent er-
kämpft haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS – Zuruf von der SPD: Jawohl, Herr Fischer, so war das!)


Ich erinnere an Entschließungen aller Fraktionen dieses
Hauses, an Entschließungen der Konferenz der Europa-
ausschüsse mit dem schönen Namen COSAC und an eine
gemeinsame Sitzung der Europaausschüsse des Bun-
destages und der Assemblée Nationale wenige Tage vor
Laeken. Ich erinnere aber auch daran, dass der Erfolg die-
ser Bemühungen drei Voraussetzungen hatte:

Erstens. Ohne die Erfindung des ersten Konvents
durch die rot-grüne Bundesregierung und ohne die Durch-
setzung des Konventsgedankens auf dem Gipfel von Köln
im Juni 2000 gäbe es keinen zweiten Konvent. Daran
sollte man sich immer erinnern, wenn man in diesem Zu-
sammenhang auf die Bundesregierung zu sprechen
kommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/ CSU])


Zweitens. Mit der Konferenz von Nizza war die alte
Methode, europapolitische Weichenstellungen hinter ver-
schlossenen Türen vorzubereiten und dann in der „Nacht
der langen Messer“ zu mehr oder weniger überzeugenden
Kompromissen zu kommen, an ihre Grenzen gestoßen.

Drittens und vor allem: Ohne den Erfolg des ersten
Konvents, dessen Zusammensetzung und Arbeitsweise
im Wesentlichen weiterhin gelten, gäbe es den zweiten
Konvent nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe darauf hingewiesen, dass die Arbeitsweise
und die Zusammensetzung des ersten Konvents weiterhin
gelten. Davon gibt es zwei Ausnahmen, die aber positiv
zu bewerten sind:

Zum einen sind am zweiten Konvent auch die Kandi-
datenländer beteiligt, und zwar ebenso wie die 15 Mit-
gliedsländer mit drei Delegierten. Das ist notwendig, weil
es, demokratisch betrachtet, völlig unerträglich wäre, eine
Verfassung zu erarbeiten, die den demnächst beitretenden
Kandidatenländern übergestülpt würde. Sie müssen daran
mitwirken können. Das ist eine gute Lösung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Außerdem wird dem zweiten Konvent das „Forum
der Zivilgesellschaft“ hinzugefügt. Auch das ist ein Fort-
schritt. Es ist notwendig, dass die Delegierten in stän-
digem Kontakt mit den Vertretern von Kirchen, Gewerk-

schaften, Hochschulen usw. sind; denn erst dieser Kontakt
ermöglicht es, eine überzeugende Verfassung zu erarbei-
ten, die die Köpfe und, so hoffe ich, die Herzen der Men-
schen erreicht. Ich hoffe, dass das Forum der Zivilgesell-
schaft nicht nur virtuell ist, sondern dass seine Sprecher in
Brüssel zusammenkommen und die Delegierten dann das
tun, was besonders wichtig ist, nämlich einfach zuhören.

Ein wichtiges Thema, mit dem wir uns zu befassen ha-
ben werden, ist die Verbindlichkeit der Grund-
rechte-Charta, die vom ersten Konvent erarbeitet wor-
den ist. Entgegen manchen Befürchtungen, zum Beispiel
unserer britischen Freunde, ist der Schritt zu einer ver-
bindlichen Grundrechte-Charta nicht so groß, wie manche
meinen:

Zum einen haben sich die Regierungschefs durch die
feierliche Verkündung der Charta im Dezember 2000 in
Nizza politisch selbst verpflichtet.

Zum Zweiten wird die Grundrechte-Charta von der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Lu-
xemburg aufgrund der Anträge der Generalanwälte schon
jetzt angewandt. Das ist notwendig, weil nach Art. 6 des
geltenden EU-Vertrages auch die gemeinsame Verfas-
sungsüberlieferung der Mitgliedstaaten Grundlage des
geltenden Rechts in der Europäischen Union ist. Im Rah-
men des ersten Konvents hatten wir genau das zu formu-
lieren.

Roman Herzog hat völlig Recht, wenn er sagt, dass die
Kandidatenländer – er wies insbesondere auf die Türkei
hin – gut daran tun, vor der Entscheidung über ihren Bei-
tritt die Charta nicht nur zu lesen, sondern auch im eige-
nen Land zu verwirklichen. Darin liegt die praktische Be-
deutung dieser Charta.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU])


Ihre Anerkennung als rechtsverbindlicher erster Teil
der Verfassung bedeutet vor allem, dass die Europäische
Union eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft und
eine Währungsunion, sondern auch eine Wertegemein-
schaft ist. Das kann man mit den anspruchsvollen Worten
der Regierungskonferenz von Laeken formulieren, die ich
hier zitieren will:

Welche Rolle spielt Europa in dieser gewandelten
Welt? Muss Europa nicht – nun, da es endlich geeint
ist – eine führende Rolle in einer neuen Weltordnung
übernehmen, die Rolle einer Macht, die in der Lage
ist, sowohl eine stabilisierende Rolle weltweit zu
spielen, als auch ein Beispiel zu sein für zahlreiche
Länder und Völker? Europa als Kontinent der huma-
nitären Werte, der Magna Charta, der Bill of Rights,
der Französischen Revolution, des Falls der Berliner
Mauer. Kontinent der Freiheit, der Solidarität, vor al-
lem der Vielfalt, was auch die Achtung der Sprachen,
Kulturen und Traditionen anderer einschließt. Die
einzige Grenze, die die Europäische Union zieht, ist
die der Demokratie und der Menschenrechte. Die
Union steht nur Ländern offen, die ihre Grundwerte,
wie freie Wahlen, Achtung der Minderheiten und der
Rechtsstaatlichkeit, teilen.




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

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Ich denke, dass das eine Überzeugung ist, die uns auch
hier, in diesem Hohen Hause, eint.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt könnte die CDU auch einmal klatschen!)


Die Regierungschefs haben in Laeken die weiteren
Themen, mit denen sich der Konvent befassen soll, mit
einer Reihe von Fragebündeln beschrieben, aus denen
sich eines ganz klar ergibt: Die Antworten muss der Kon-
vent in der vorgegebenen Zeit von etwa zwölf Monaten
selbst finden. Sie sind ihm nicht vorgegeben; denn sonst
hätten die Regierungschefs ja diese Frageform nicht sinn-
voll wählen können.

Was das in Deutschland mehr als anderswo heftig dis-
kutierte Thema der Kompetenzen angeht, wird sicher der
Versuch notwendig sein, einen Kompetenzkatalog, wie
ihn übrigens auch der britische Premierminister Tony
Blair inzwischen vorgelegt hat, zu diskutieren. Aber über
zwei Dinge sollten wir uns dabei einig sein: Das von al-
len anerkannte Subsidiaritätsprinzip,wonach die untere
Einheit immer so lange zuständig ist, wie sie konkrete
Fragen ausreichend regeln kann, also in Deutschland eben
auch die Gemeinden, die Regionen, die Länder, und
selbstverständlich der Staat Bundesrepublik, wird Grund-
lage der Konventsberatungen sein.

Ich füge eines hinzu, worüber wir hoffentlich auch ei-
nig sein werden. Immer, wenn Kompetenzen von der na-
tionalen auf die europäische Ebene übertragen werden,
muss auf eines geachtet werden: Es darf nicht eine
Reduzierung oder gar einen Wegfall der parlamenta-
rischen Kontrolle geben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Die Übertragung von Kompetenzen muss mit der Erhal-
tung der Kontrolle, im Normalfall durch das Europäische
Parlament, verbunden sein. Stärkung der Europäischen
Union mit weniger Demokratie – das ist ein Weg, den wir
hoffentlich gemeinsam ablehnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konventsmodell
ist oft als Versuch gewürdigt worden, mehr Demokratie
und mehr Parlament zu wagen. Das ist ein hoher An-
spruch, dem keine tiefe Enttäuschung folgen darf. Des-
halb meine ich, dass wir im Konvent – das gilt selbstver-
ständlich auch für den Präsidenten Giscard – zum Erfolg
geradezu verurteilt sind. Der zweite Konvent darf kein
Luftballon sein, der mit Getöse aufsteigt und dann in
großer Höhe leise zerplatzt. Die Konventsidee darf nicht
mit dem Ende des Konvents ebenfalls zu Ende sein. Das
heißt: Der Geist dieses Modells muss sich im Inhalt der
Verfassung, die der Konvent erarbeitet, widerspiegeln.

Der Konvent ist eine große historische Chance, die es
zu nutzen gilt. Ich will gerne meinen engagierten Beitrag
dazu leisten und bitte alle Fraktionen dieses Hauses, mich

dabei durch konkrete und konstruktive Zusammenarbeit
zu unterstützen.

Ich bedanke mich.

(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421904000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion.


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1421904100
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die europäische Geschichte der letz-
ten zweieinhalbtausend Jahre war immer auch eine Ver-
fassungsgeschichte, ob Sie an die griechische Polis, die
römische Republik, die Magna Charta – Kollege Meyer
hat sie bereits genannt –, die Französische Revolution, die
Paulskirchenverfassung oder das deutsche Grundgesetz
denken. Verfassungen haben den Sinn, ein Gemeinwesen
zu ordnen. Sie haben den Sinn, der allumfassenden Macht
Einzelner wie des Staates Grenzen zu setzen. Sie sollen
Interessengegensätze ausbalancieren. Sie sollen dazu bei-
tragen, dass ein Gemeinwesen vernünftig funktionieren
kann.

Deshalb brauchen wir, auch wenn die Europäische
Union sicherlich kein Staat im klassischen Sinne ist und
es vielleicht auf lange Zeit nicht oder auch nie werden
wird, auch auf europäischer Ebene eine Verfassung.


(Beifall im ganzen Hause)

Es war der französische Staatspräsident Jacques Chirac,
der sich von dieser Stelle aus in seiner Rede vor dem
Deutschen Bundestag als erster amtierender europäischer
Staatsmann klar und unzweideutig zu dem Projekt einer
europäischen Verfassung bekannt hat und damit der Dis-
kussion in der Europäischen Union über die künftigen
Herausforderungen eine neue Dimension verliehen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Konvent,
der am 28. Februar zusammentritt, erleben wir in der Tat
nicht mehr und nicht weniger als die Geburtsstunde die-
ser europäischen Verfassung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der PDS)


Deshalb ist es notwendig, dass wir uns, bevor der Konvent
beginnt, Gedanken darüber machen und uns darüber klar
werden, wie die entscheidenden Herausforderungen, die
es zu bewältigen gibt, aussehen, damit wir uns nicht in
Debatten über Einzelheiten wie zum Beispiel die Stimm-
gewichtung, die qualifizierten Mehrheitsentscheidungen
und das Verhältnis der Institutionen zueinander verzet-
teln.

Die erste und wichtigste Herausforderung ist die Par-
lamentarisierung des europäischen Prozesses. Was
meine ich damit? Bisher treffen wir die Entscheidungen
auf europäischer Ebene nach einem alten Modell, das in
der Vergangenheit erst leidlich und dann immer weniger
funktioniert hat. Nach diesem Modell definieren die
15 Mitgliedstaaten zunächst einmal ihre nationalen Inte-
ressen und versuchen dann in langwierigen Verhandlun-
gen, diese 15 verschiedenen nationalen Interessen so
auszugleichen, dass am Ende ein Package Deal, ein




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


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(A)



(B)


Kompromiss, ein Teppichhandel herauskommt. Dieses
System hat früher funktioniert. Danach hat es eine Zeit
lang mehr schlecht als recht funktioniert. In den letzten
Jahren funktionierte es überhaupt nicht mehr. Das haben
wir in Nizza gesehen. Nizza ist das Menetekel für das
Scheitern der alten Methode der Entscheidung und Kon-
sensfindung in der Europäischen Union.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Oft wird gesagt, dass es die Beamten hinter verschlos-
senen Türen sind, die keine Ergebnisse zustande bringen.
Herr Minister Fischer, ich will ausdrücklich auch Ihre Be-
amten in Schutz nehmen, weil ich weiß, dass die Mitar-
beiter des Auswärtigen Amtes, so wie in vielen anderen
Mitgliedstaaten auch,


(Detlev von Larcher [SPD]: Wollen Sie jetzt Herrn Fischer loben?)


die europapolitischen Entscheidungen und Auffassungen,
die wir in diesem Hause gemeinsam teilen, mit großem
Engagement vertreten.


(Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können den Minister aber auch in das Lob einschließen!)


Das System verhindert aber, dass Ergebnisse zustande
kommen.

Deshalb brauchen wir ein parlamentarisches System
der Beratung. Im Übrigen ist es auch nahe liegend: Wenn
es um Fragen wie die Tabakrichtlinie, die Altautorichtli-
nie oder um die Fragen geht, wie viel Umweltschutz wir
in Europa brauchen und wie wir die Steuergesetzgebung
in Europa gestalten wollen, geht es in erster Linie eben
nicht nur um nationale Interessen. In Deutschland sind die
Auffassungen zwischen der CDU/CSU, der SPD, den
Grünen und der FDP dann auch unterschiedlich.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wahr!)

Auch in fast allen anderen Ländern sind sie unterschied-
lich. Trotzdem zwingen wir die Mitgliedstaaten nach un-
serem bisherigen System dazu, sich auf eine Position zu
einigen. Derjenige, der im Rat überstimmt wird, hat dann
große Schwierigkeiten, zu Hause zu verkaufen, warum er
in der Minderheit geblieben ist.

Ich glaube, dass es deshalb wichtig ist, dass wir das,
was im Parlamentarismus aller europäischen Mitglied-
staaten seit langem die Regel ist, auch in der Europäischen
Union zur Regel machen. Wir müssen nach politischen
Lagern diskutieren. Wir müssen versuchen, zwischen der
europäischen Linken und der europäischen Rechten, zwi-
schen der Europäischen Volkspartei, den Sozialdemokra-
ten, den Grünen und den Liberalen vernünftige Kompro-
misse hinzubekommen.


(Zuruf von der PDS: Und den Sozialisten!)

Es war das Erfolgsgeheimnis des Konvents, der die

Grundrechtecharta ausgearbeitet hat, dass es nicht 15Ak-
teure gab, sondern dass am Ende nur zwischen zwei oder

drei unterschiedlichen Auffassungen Kompromisse zu-
stande gebracht werden mussten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist mit der
Einsetzung dieses Konvents auch ein entscheidender
Schritt zu einem Systemwechsel eingeleitet worden. Ich
will allerdings auch deutlich sagen, dass nicht alle Regie-
rungen so sehr für den Konvent waren wie die deutsche
Bundesregierung, die den Deutschen Bundestag und den
Europaausschuss in dem Bestreben, einen Konvent zu-
stande zu bringen, unterstützt hat. Es gab andere Regie-
rungen in Europa, die das Projekt torpedieren wollten.
Diejenigen, die sich nicht durchgesetzt haben, versuchen
jetzt zum Teil, den Konvent zu einer kleinen Regierungs-
konferenz umzufunktionieren, indem sie durch allerhand
Geschäftsordnungstricks – es geht unter anderem um die
Sitzordnung, die Abstimmungsmodalitäten und die Rede-
ordnung – versuchen, diesen Konvent an seiner parla-
mentarischen Arbeit zu hindern. Dies werden wir gemein-
sam mit den Parlamentariern im Europäischen Parlament
zu verhindern wissen.


(Beifall im ganzen Hause)

Zweiter Punkt. Im Verfassungskonvent geht es auch

um die Demokratisierung der Europäischen Union. Da-
mit ist nicht Demokratisierung in dem Sinne gemeint,
dass wir heute im Europäischen Parlament und im Minis-
terrat über die Regierungen, die ihrerseits von Par-
lamenten gewählt worden sind, keine demokratische Le-
gitimation hätten. Nein, das Kernrecht des Bürgers in
einer Demokratie besteht darin, dass er alle vier oder fünf
Jahre die Möglichkeit hat, seine Regierung, wenn sie gute
Arbeit gemacht hat, zu bestätigen oder sie, wenn sie
schlechte Arbeit gemacht hat, abzuwählen. Das mussten
wir früher alle vier Jahre fürchten, das fürchten Sie jetzt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Wir fürchten uns nicht!)


Aber das ist der Normalfall von Demokratie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Heute in sieben Monaten ist Schluss!)

Wir sollten das ernst nehmen. Warum scheitern denn so

viele Referenden über europäische Vertragsänderungen,
zum Beispiel in Dänemark und jetzt in Irland? Warum ha-
ben wir die Debatten über Europamüdigkeit und Europa-
verdrossenheit? Doch sicherlich auch deswegen, weil
viele Menschen das Gefühl haben, dass sie dem, was in
Brüssel entschieden wird, hilflos ausgeliefert sind,


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

dass sie keine Sanktionsmöglichkeiten haben, dass sie
sich nicht zur Wehr setzen können.

Deshalb ist es wichtig, dass der Präsident der Euro-
päischen Kommission in Zukunft vom Europäischen
Parlament gewählt werden kann. Dann werden wir einen
europäischen Wahlkampf mit unterschiedlichen Spitzen-
kandidaten und unterschiedlichen Programmen bekom-
men. In diesem europäischen Prozess werden sich die
Bürger wesentlich besser wiederfinden können, als dies
gegenwärtig der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Peter Altmaier
21738


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Dritte ist die Handlungsfähigkeit der Europä-
ischen Union. Es führt auch zu Europaverdrossenheit,
wenn viele Bürger, die zum Beispiel als Handwerker, als
Landwirte oder als Studenten in ihrem unmittelbaren Le-
bensumfeld mit Europa und europäischen Regelungen
konfrontiert werden, feststellen, dass es zwar in vielen
Bereichen europäische Kompetenzen gibt, dass diese Zu-
ständigkeiten auf europäischer Ebene aber entweder gar
nicht oder nur unzureichend wahrgenommen werden
können. Das ist ein Problem für die Akzeptanz der euro-
päischen Einigung. Deshalb müssen wir durch eine mu-
tige Reform des Ministerrats – durch Mehrheitsentschei-
dungen – dafür sorgen, dass die Europäische Union ihre
Handlungsfähigkeit erhält.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit komme ich zu dem eigentlichen Kernpunkt des

Konventes. Ich glaube nicht, dass der Konvent automa-
tisch ein Erfolg wird. Es wird in diesem Konvent Interes-
sengegensätze geben zwischen denen, die meinen, dass
wir schon viel zu viel Europa haben, dass die Unabhän-
gigkeit des Nationalstaates bedroht ist, und denen, die sa-
gen, wir brauchen mehr Europa und vor allen Dingen ein
stärkeres Europa. Das bedeutet, dass es im Konvent zu
Krisen kommen wird, dass die Beratungen stocken wer-
den, dass sie möglicherweise sogar scheitern können.

Wie können wir einen historischen Kompromiss finden
zwischen dem Nationalstaat, der ja nicht verschwinden
soll, den nationalen Identitäten, die weiterbestehen müs-
sen, auf der einen Seite und den Bedürfnissen der europä-
ischen Integration auf der anderen Seite, um das, was in
Europa gemacht werden muss, so erledigen zu können,
dass die Bürger damit einverstanden sind?

Es gibt dafür zwei Ansatzpunkte. Die einen sagen, wir
müssten in Europa künftig über alles reden. Europa müsse
zuständig sein von der Schule bis zur Bahre: für jede
Frage der Sozialpolitik, Kulturpolitik, Bildungspolitik,
Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik. Zum Ausgleich
wird versucht, die europäischen Institutionen zu
schwächen, indem Befugnisse von der Kommission auf
den Ministerrat übertragen werden, indem dafür gesorgt
wird, dass – statt der alten Methode nach Jean Monnet –
intergouvernementale Prozeduren verstärkt werden, so-
dass die Europäische Union am Ende überhaupt nicht
mehr handlungsfähig ist und an ihren eigenen Befugnis-
sen erstickt. Das ist nicht unser Weg.

Die zweite Lösung, die sich anbietet, ist, dass wir sa-
gen, dass wir starke europäische Institutionen wollen,
eine handlungsfähige Kommission und einen Ministerrat,
der seiner Verantwortung gerecht wird, dass wir aber nicht
wollen, dass Europa alles macht. Wenn es in Zukunft noch
Nationalstaaten geben soll, dann brauchen sie auch
eigene Zuständigkeiten, dann dürfen wir die Zustän-
digkeiten nicht so vermischen, dass der Bürger am Ende
nicht mehr entscheiden kann, wer wofür verantwortlich
ist, wer was macht. Zur Demokratie gehört auch, dass die
Bürger wissen und entscheiden können, wen sie für etwas
verantwortlich machen, wenn sie mit einer Regelung zu-
frieden sind oder nicht.

Wir werden im Konvent sicherlich schwierige Bera-
tungen haben. Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Feh-
ler machen, mit der Schere im Kopf an diese Beratungen
heranzugehen; denn ich glaube, dass wir ein Ergebnis nur
dann erzielen werden, wenn wir uns nicht von vornherein
auf Minimalkompromisse, auf den kleinsten gemeinsa-
men Nenner festlegen lassen.

Wir werden allerdings auch nur dann Erfolg haben,
wenn wir niemanden überfordern: weder die kleinen Mit-
gliedstaaten, die vor einem Direktorium der großen Mit-
gliedstaaten Angst haben, noch die reicheren Mitglied-
staaten, deren finanzielle Belastbarkeit nicht unendlich
groß ist, und auch nicht die ärmeren Mitgliedstaaten, die
zu Recht auf Solidarität hoffen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421904200
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1421904300
Ich komme zum
Schluss, Frau Präsidentin.

Wir dürfen vor allen Dingen nicht den Fehler machen,
das Vertrauen, das die Bürger in ihre Institutionen haben,
dadurch zu beschädigen, dass wir im Konvent in Brüssel
ein schlechtes Beispiel für die Zusammenarbeit der Euro-
päer geben. Wir müssen zeigen, dass wir imstande sind,
ein mutiges und ambitioniertes Projekt voranzutreiben, an
dessen Ende ein Verfassungsvertrag steht, der Europa vo-
ranbringt und die europäischen Probleme im Interesse der
Bürger löst.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Uwe Hiksch [PDS])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421904400
Ich will darauf hin-
weisen, dass auch die frei gesprochenen Schlussworte zur
Redezeit gehören.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das war doch nur ein langer Schlusssatz!)


– Ja, es war nur ein langer Schlusssatz, der zudem hoch
interessant war. Ich darf noch hinzufügen, dass wir uns
über die Fortschritte hinsichtlich des Verfassungskon-
vents sehr freuen.

Ich gebe nun dem Kollegen Christian Sterzing das
Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421904500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
schwierig, diesen Konvent in vier Minuten so zu würdi-
gen, wie es ihm eigentlich gebührt. Aber es ist sicherlich
nicht so schwierig wie das Entwerfen einer europäischen
Verfassung innerhalb eines Jahres. Ich will im Folgenden
nur einige wenige Stichworte nennen.

Es ist ganz wichtig, dass wir diesen Konvent im Rah-
men der fortschreitenden Demokratisierung des Integra-
tionsprozesses betrachten. Die Demokratisierung im




Peter Altmaier

21739


(C)



(D)



(A)



(B)


Sinne von Parlamentarisierung wurde bereits ange-
sprochen. Eine Versammlung, die mehrheitlich aus Parla-
mentariern zusammengesetzt ist, ist in der Lage – so
hoffen wir alle –, die Logik der Regierungskonferenzen
und der nicht nachvollziehbaren Kompromisse hinter
verschlossenen Türen zu durchbrechen. Insofern bedeutet
der Konvent einen großen Fortschritt auf dem Weg der
Demokratisierung der Europäischen Union.

Das zweite Stichwort ist die Entnationalisierung. Es
ist wichtig, dass durch diesen mehrheitlich von Parla-
mentariern besetzten Konvent auch die nationale Logik
von Regierungskonferenzen durchbrochen wird. Die Ab-
geordneten werden sich weitgehend in ihren politischen
Familien organisieren. Dies wird die Debatten prägen.
Dadurch kommt es nicht zu einer Belebung scheinbarer
Gegensätze bei den nationalen Vorstellungen. Auch das ist
ein ganz wesentlicher Fortschritt.

Ich glaube drittens, dass dieser Konvent zu einer Poli-
tisierung beitragen wird. Die Debatten werden anders
verlaufen, weil sie sich auf die politischen Kernthemen
konzentrieren können. Es geht nämlich nicht darum, zu
Hause das Gesicht zu wahren und Rivalitäten in Bezug
auf nationale Interessen auszutragen. Wir können uns
vielmehr um die wirklichen politischen Probleme des In-
tegrationsprozesses kümmern. Dies wird in der Konse-
quenz dazu führen, dass die Akzeptanz des Integrations-
prozesses und der Reiz, diesen Prozess zu verfolgen und
sich daran zu beteiligen, gesteigert wird.

Meines Erachtens dürfen wir nicht nur den Konvent im
Blick haben, sondern müssen auch das Forum der Zivil-
gesellschaft sehen, das diesem Konvent nach dem Be-
schluss von Laeken zur Seite gestellt wird. Wir sind uns
alle darin einig, dass es wichtig ist, eine breite gesell-
schaftliche Debatte über den Integrationsprozess und über
die Zukunft Europas zu initiieren. Die Verantwortung
dafür kann nicht einfach auf den Konvent übertragen wer-
den. Die Verantwortung muss in diesem Forum wahrge-
nommen werden. Hier kommt es darauf an, in geeigneter
Weise Initiativen, Organisationen und Institutionen an der
Debatte zu beteiligen.

Auch für uns auf der nationalen Ebene ist das sehr
wichtig. Die Debatte darf sich nicht alleine in Brüssel ab-
spielen. Wir müssen sie bei uns im Parlament, in den Frak-
tionen und in den Parteien politisch begleiten. Wir müs-
sen diesen Konvent insofern auch als einen Impuls für
unsere europapolitische und integrationspolitische Arbeit
in den verschiedensten politischen Gremien verstehen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421904600
Für die FDP-Frak-
tion spricht jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1421904700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich und uneingeschränkt

die Einsetzung des europäischen Verfassungskonvents.
Sie unterstützt genau diesen Titel. Ich kann mich noch gut
an Diskussionen hier im Parlament im Zusammenhang
mit der Europäischen Grundrechte-Charta erinnern, in
denen immer wieder gesagt wurde: Lassen Sie uns die
Grundrechte-Charta nicht in Verbindung mit einem euro-
päischen Verfassungsgebungsprozess setzen; das kann
diesem Projekt schaden. Man sieht daran – das erfüllt uns
mit Hoffnung –, dass die Meinungsbildung in Europa in-
nerhalb eines Jahres auch in diesem Punkt sehr wohl
vorangegangen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der PDS)


Von daher unterstützen wir diesen Prozess.
Wir sehen darin die – vielleicht sogar einzige – Chance,

Europa am Scheideweg, wie es auf dem Gipfel von
Laeken bezeichnet wurde, in die richtige Richtung zu be-
wegen. Denn neben der historisch notwendigen Erweite-
rung um ost- und mitteleuropäische Staaten geht es gleich-
zeitig zwingend darum, die Vertiefung derEuropäischen
Union voranzubringen. Denn nur wenn uns beides inner-
halb eines sehr ehrgeizig festgelegten Zeithorizontes ge-
lingt, wird Europa wirklich die politische Europäische
Union, die wir wollen, und läuft nicht Gefahr, sich rück-
wärts bzw. hin zu einer in erster Linie wirtschaftlichen
Gemeinschaft, in der es um die Verteilung von Subven-
tionen bzw. Geldern geht, zu entwickeln.

Wir sprechen zwar hier im Bundestag über den Kon-
vent. Es ist aber schade, dass unsere unmittelbaren Ein-
flussmöglichkeiten gering sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Meyer, wir unterstützen, dass mit Ihnen ein profun-
der Kenner der europäischen Materie und ein überzeugter
Europäer im Konvent vertreten ist. Sie sind ja auch von
unserer Fraktion gewählt worden, um die dortigen Aufga-
ben wahrzunehmen. Aber der Konvent – vor allem das
Präsidium – ist nicht so zusammengesetzt, wie wir uns das
gewünscht haben.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Zuruf von der SPD: Keine Frau!)


Es ist kein Parlamentskonvent. Das Präsidium besteht
mehrheitlich nicht aus Parlamentariern und in ihm wird
leider, wie es wohl sein wird, auch kein Vertreter Deutsch-
lands sein. Das ist schade.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Es kommt entscheidend darauf an, dass sich der Kon-

vent auf seinen ersten Sitzungen Gedanken über Verfah-
ren macht – und diese auch beschließt –, die der Gefahr
der Dominanz durch das Präsidium vorbeugen. Es sollte
verhindert werden, dass die Parlamentarier aus dem Eu-
ropäischen Parlament und aus den nationalen Parlamen-
ten nach einer wunschgemäßen Diskussion mehr oder we-
niger das abnicken, was ihnen nach internen Beratungen
im Präsidium vorgelegt worden ist. Genau das wollen wir
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Christian Sterzing
21740


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, deshalb sollten wir uns hier
als Parlamentarier und insbesondere als Mitglieder des
Europaausschusses, der nach Art. 45 des Grundgesetzes
eine besondere Funktion hat, der nämlich ermächtigt ist,
die Rechte des Bundestages wahrzunehmen, Gedanken
darüber machen, wie wir dieser Funktion außer durch die
vielen zu erwartenden Diskussionen über den gesamten
Themenkatalog, der uns allen bekannt ist und der in den
Schlussfolgerungen des Gipfels von Laeken in einer Fülle
von Fragen umrissen worden ist, gerecht werden. Wir
sollten uns im Europaausschuss und auch im Parlament
auf wichtige Vorgaben einigen, die dann den deutschen
Vertretern im Konvent, also unserem deutschen Parla-
mentsvertreter, aber auch den anderen deutschen Vertre-
tern, eine gewisse Rückendeckung bieten. Ich hoffe nicht,
dass sich unsere Befürchtung bestätigen wird, dass sich
die weiteren deutschen Vertreter, Herr Teufel als Vertreter
der Länder,


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Wo sind die denn heute?)


Herr Glotz als Regierungsbeauftragter und sein Unter-
stützer Herr Pleuger,


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Wo sind die denn? Sind die nicht eingeladen?)


nicht hier im Bundestag befinden werden, um sich das an-
zuhören, was wir hier im Zusammenhang mit dem Ver-
fassungskonvent zu sagen haben, und dies auch ernst zu
nehmen.

Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger hin-
sichtlich dieses Konventes sind zu Recht groß. Entspre-
chend große Erwartungen sind ja geweckt worden. Wie
können wir diesen Erwartungen entsprechen? – Indem,
wie Herr Altmaier gesagt hat, nachher nicht der kleinste
gemeinsame Nenner herauskommt, indem es nicht nur
eine Neuauflage von Regierungskonferenzen nach altem
Stil mit einem Ergebnis à la Nizza gibt, sondern indem in
dem Konvent ein Ergebnis erzielt wird, das zwar von ei-
ner Regierungskonferenz abgesegnet wird, aber dort nicht
entscheidend verändert wird, und das Europa wirklich zu
einem demokratischen, transparenten, effizienten Ge-
meinwesen macht – natürlich mit staatlichen Funktionen
und staatlicher Autorität.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Damit das mit unseren schwachen Mitteln – dass es
schwache Mittel sind, müssen wir einmal deutlich sagen –
gelingen kann, ist es zwingend notwendig, dass zumin-
dest die deutschen Vertreter in dem Konvent in ihren un-
terschiedlichen Rollen, auch mit ihren unterschiedlichen
Interessen – sie sind dort ja in unterschiedlichen Funktio-
nen – zusammenstehen. Wenn es noch nicht einmal gelin-
gen sollte, dass Herr Teufel, Herr Glotz und Herr Meyer an
einem Strang ziehen, dann, so glaube ich, brauchen wir in
das Ergebnis der Beratungen des Konvents keine allzu
großen Hoffnungen zu setzen. Deshalb hoffe ich nicht,
dass es jetzt ein schlechter Auftakt war,


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Hoffentlich! Der Herr Außenminister wird es erklären!)


weil diese Herren in ihren Funktionen heute leider nicht
die Debatte hier verfolgt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421904800
Das Wort hat nun der
Kollege Uwe Hiksch für die PDS-Fraktion.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1421904900
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wir von der PDS-Bundestagsfrak-
tion begrüßen, dass ein europäischer Verfassungskonvent
eingesetzt wird, weil wir glauben, dass dieser europäische
Verfassungskonvent die Chance bietet, politische und
auch institutionelle Reformen voranzubringen, die in der
Europäischen Union bisher nicht möglich waren.

Wir weisen aber auch darauf hin, dass die Einsetzung
dieses zweiten Konvents nur möglich geworden ist, weil
– wir alle wissen das ja – eine Reihe von Regierungen in
Europa erkennen musste, dass das Instrument der Regie-
rungskonferenzen, diese Treffen in geheimen Zirkeln, als
Reformmotor der Europäischen Union gescheitert ist.
Diesen europäischen Konvent zu schaffen ist auch des-
halb möglich gewesen, weil manche Regierungen, die der
Integration und der europäischen Idee nicht so aufge-
schlossen gegenüberstehen, beispielsweise die deutsche
Regierung, durchaus hoffen, dass dieser Konvent zeigen
wird, dass auch die Parlamentarierinnen und Parlamenta-
rier dann, wenn sie an die Reform der Verträge gehen, da-
ran ein Stückchen scheitern könnten. Deshalb sind wir
alle gemeinsam dazu aufgerufen, Kolleginnen und Kolle-
gen, für die Zukunft Europas und für die Schaffung eines
Europas der Bürger dabei mitzuhelfen, dass dieser Kon-
vent ein Erfolg wird.


(Beifall bei der PDS)

Damit er ein Erfolg werden kann, darf über der Frage

der institutionellen Reformen nicht vergessen werden,
dass auch politische Reformen auf die Tagesordnung der
Europäischen Union gesetzt werden müssen. Wir von der
PDS-Bundestagsfraktion sind der Überzeugung, dass es
nicht angehen kann, eine Agrarpolitik zu entwickeln, die
mit dem Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten in Eu-
ropa Landwirte erster und zweiter Klasse schafft. Die
Landwirte müssen wissen – dabei wollen wir mithelfen –,
dass sie gleiche Rechte und auch gleiche Subventionen
bekommen.

Wir glauben auch, dass die Reform der Strukturpoli-
tik in der Europäischen Union auf die Tagesordnung ge-
setzt werden muss. Dabei darf aber nicht der Egoismus der
Starken siegen. Schwächere Regionen und schwächere
Staaten brauchen weiterhin die europäische Unterstüt-
zung.


(Beifall bei der PDS)

Wir müssen deutlich machen, dass bei der Internatio-

nalisierung der Kapital- und Finanzströme, die es schon
lange gibt, eine immer stärkere Zusammenarbeit in der




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

21741


(C)



(D)



(A)



(B)


Wirtschaftspolitik notwendig ist, die beispielsweise mit
dem Modell einer europäischen Wirtschaftsregierung ein
Stückchen vorangebracht werden kann.

Die Menschen in unserem Lande werden der europä-
ischen Idee gegenüber nur dann aufgeschlossen bleiben,
wenn sie spüren, dass auf europäischer Ebene nicht nur
die Ökonomie, sondern auch die realen Probleme der
Menschen, die Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot und die
soziale Ausgrenzung immer größerer Teile unserer Ge-
sellschaft, eine Rolle spielen. Deshalb glauben wir, dass
dieser Konvent eine gute Grundlage ist, um die Demo-
kratisierung der Europäischen Union voranzubringen.

Demokratisierung bedeutet aber auch – Frau
Leutheusser-Schnarrenberger hat es bereits aufgezeigt –,
dass der darauf folgende Konvent darüber diskutieren
muss, dass sich ein Konvent faktisch nicht nur aus den
beiden Hauptströmungen zusammensetzen darf, sondern
die Pluralität europäischer Parteien und ideeller Strömun-
gen wiedergeben muss. Deswegen sollte der übernächste
Konvent vielleicht so angelegt sein, dass eine rein natio-
nalstaatliche Auswahl überwunden wird.


(Beifall bei der PDS)

Wir glauben, dass der Versuch der Schaffung einer eu-

ropäischen Verfassung, in der individuell einklagbare so-
ziale und bürgerliche Grundrechte festgeschrieben werden
müssen, ganz wichtig für die Zukunft der Europäischen
Union ist. Darüber hinaus müssen die Leftovers von Nizza
– die Versuche, eine kleinere arbeitsfähige Kommission zu
schaffen, Mehrheitsentscheidungen als grundsätzliche eu-
ropäische Entscheidungsgrundlage sowie individuell ein-
klagbare Grundrechte für die einzelnen Menschen im sozia-
len und bürgerlichen Bereich durchzusetzen – angegangen
werden. Das sind einige der wichtigsten europäischen
Herausforderungen, dass ohne Europa viel schwieriger
ist, die Zukunftschancen zu nutzen, Vollbeschäftigung zu
schaffen und Armut zu bekämpfen, als mit Europa.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Herr Meyer, viel
Erfolg im Konvent und hoffe, dass dies gelingen möge.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421905000
Das Wort hat jetzt der
Kollege Günter Gloser für die SPD-Fraktion.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1421905100
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen!

Von Europa weiß kein Mensch, weder ob es vom
Meer umflossen ist, noch wonach es benannt ist,
noch wer es war, der ihm den Namen gegeben hat.

Diese Sorgen haben im Jahr 430 vor Christus einen alt-
griechischen Historiker geplagt.

Wir stehen vor anderen Herausforderungen: der Inte-
gration und Erweiterung der Europäischen Union. Beides
setzt ein handlungsfähiges Europa voraus. Wie ist zu
diesem Ziel zu gelangen? Die Methode Jean Monnets hat
sich in einer bestimmten und sicherlich auch sehr langen
Phase als richtig erwiesen. Aber die Schwerpunktsetzung
allein auf das ökonomische Zusammenwachsen hat die
demokratische Verfasstheit in dieser Europäischen Union

in den Hintergrund gedrängt. Es hat Strukturen gegeben,
mit denen wir als Parlamentarier nicht einverstanden sein
konnten. Insofern ist es wichtig und richtig zugleich,
wenn sich die Europäische Union – Regierungen wie Par-
lamente, Wissenschaft, aber auch Zivilgesellschaft – auf
den Weg zu einer europäischen Verfassung macht. Mit
dem Einsetzen eines Konvents wird gleichzeitig Abschied
von der bisherigen Methode der Vertragsänderungen ge-
nommen.

Was aber hat das für Folgen? Dies ist bereits von meinen
Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen worden.

Erstens. Jetzt muss der Konvent beweisen, dass er es
besser kann als vorausgegangene Regierungskonferenzen.

Zweitens. Wir haben an mancher Stelle beklagt und be-
klagen es auch heute noch, dass der Konvent nicht rein
parlamentarisch besetzt ist. Dennoch ist der parlamenta-
rische Einfluss erheblich gestärkt worden. Wir als Parla-
mentarier müssen nun beweisen, dass es uns gelingt, die
Initiative zu ergreifen und die Möglichkeit zur Gestaltung
zu nutzen. Der Konvent soll sich – es wurde gerade schon
die Forderung nach dem nächsten Konvent gestellt – in
der Tat bewähren.

Drittens – das halte ich für einen wichtigen Punkt; wir
sehen dies bei eigenen Parlamentsdebatten –: Der Kon-
vent kann der Beginn einer europäischen Öffentlichkeit,
ein Beleg für mehr Transparenz in der Europäischen
Union und damit auch ein Beleg für mehr Demokratie
sein. Insofern ist es nicht vermessen, die konstituierende
Sitzung des Konvents am 28. Februar 2002 als ein histo-
risches Datum zu bezeichnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Nachdem aufgrund der innenpolitischen Situation vie-
les an diese Bundesregierung herangetragen wurde, nach-
dem sie verurteilt und kritisiert wurde, will ich noch ein-
mal in Erinnerung rufen – der Kollege Professor Meyer
hat das zu Recht erwähnt –, dass in Köln durch diese Bun-
desregierung, durch Bundeskanzler Schröder und Außen-
minister Joschka Fischer, ein Testlauf in Gang gebracht
worden ist. Dieser Testlauf wurde positiv abgeschlossen.
Insofern war es nur folgerichtig, dass wir Parlamentarier
gesagt haben: Lasst uns dieses Modell aufgreifen und den
Parlamentariern mehr Mitwirkungs- und Gestaltungs-
rechte bei dieser Verfassung geben.

Die SPD hat mit ihrem Leitantrag „Verantwortung für
Europa“ unterstrichen, welche Kernbereiche wichtig ge-
nug sind, in diesem Konvent behandelt zu werden. Was
erwarten wir für die Zukunft der Europäischen Union?
Ich verdeutliche es an vier Punkten:

Erstens. Die Handlungsfähigkeit der Europäischen
Union ist sicherzustellen.

Zweitens. Eine klare Aufgabenzuordnung für die euro-
päischen Institutionen, die Europäische Kommission, das
Europäische Parlament und den Europäischen Rat, ist er-
forderlich.




Uwe Hiksch
21742


(C)



(D)



(A)



(B)


Drittens. Nicht zu vergessen ist das Zusammenspiel
dieser Institutionen mit den nationalen Parlamenten. Da-
mit ist nicht gesagt, dass wir von vornherein alles auf die
europäische Ebene heben wollen. Vielmehr müssen auch
die nationalen Parlamente eine wichtige Rolle spielen.
Dafür ist aber nicht unbedingt eine neue Institution auf eu-
ropäischer Ebene erforderlich.

Viertens. Wir brauchen eine Reform der Sachpolitiken.
Lieber Kollege Hiksch, Sie haben in Ihrem Beitrag die

zwei Klassen in der gemeinsamen Agrarpolitik erwähnt.
Wir Sozialdemokraten lassen uns weiterhin davon leiten,
in der Europäischen Union auf Solidarität zu achten. Das
haben wir bei den 15 gezeigt, das werden wir auch bei der
erweiterten Union zeigen. Allerdings müssen Sie dann
auch sagen, wie das alles finanziert werden soll. Dazu
höre ich leider keine Vorschläge von der PDS. Es wäre si-
cherlich sinnvoll, dies im Laufe der Diskussion zu errei-
chen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Europä-
ische Union wird in wenigen Jahren 25 oder noch mehr
Mitgliedstaaten umfassen. Eine Gemeinschaft mit dann
mehr als 500 Millionen Einwohnern braucht klare Ziele
und Regeln für das Zusammenleben und die Politik-
gestaltung. Sie muss auch nach ihrer Erweiterung hand-
lungs- und entscheidungsfähig sein. Insofern ist es gerade
vor dem Hintergrund der Erweiterung der Europäischen
Union richtig, dass wir von vornherein fraktionsübergrei-
fend – das finde ich sehr gut – gefordert haben, dass alle
Beitrittsländer an diesem Prozess beteiligt werden kön-
nen. Auch dies ist ein Beleg für die Offenheit dieser Zu-
kunftsdiskussion in der Europäischen Union.

Europa ist seit vielen Jahrhunderten ein gemeinsamer
Lebens- und Gestaltungsraum mit sehr vielen Brüchen:
mit Kriegen, Katastrophen, Tragödien und Kleinstaaterei.
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, besteht die große
Chance, mit der Debatte über die Zukunft Europas und der
bevorstehenden Erweiterung aus einem über viele Jahre
zerstrittenen Kontinent einen friedlichen Kontinent zu ge-
stalten und eine europäische Identität herzustellen.

Wenn wir als Parlamentarier daran mitwirken können
und gemeinsam mit den Kollegen, die Deutschland in die-
sem europäischen Konvent vertreten, daran beteiligt wer-
den, dann müssen wir in den nächsten Wochen und Mo-
naten auch in diesem Parlament Gelegenheit haben,
mehrfach über den Verlauf des europäischen Konvents
und die Zukunft der Europäischen Union zu diskutieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421905200
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1421905300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wir müssen uns gegenseitig
wieder ernst nehmen, sonst können wir Debatten verges-
sen. Sich gegenseitig mehr ernst zu nehmen heißt, das

Parlament und nicht die Regierung oder den Bundesrat
zum Zentrum der Debatte zu machen; denn bei diesem
Projekt handelt es sich um eine der weitest reichenden
Reformen des europäischen Staats- und Verfassungs-
gefüges. Hier geht es um zentrale politische Fragen, die
uns in den nächsten Jahren alle berühren werden. Daher
müssen wir uns gegenseitig ernst nehmen.

Eine solche Debatte ist ein hervorragender Aufbruch.
Frau Kollegin, ich gebe Ihnen vollkommen Recht: Heute
stellt sich nicht die Frage „Wo ist Behle?“, sondern es
stellt sich die Frage, wo Teufel, Glotz und Pleuger sind.
Natürlich wollen wir miteinander in Deutschland mit den
Vertretern im Konvent – auch mit denjenigen, die den
Bundesrat vertreten – in einen Dialog eintreten und eine
gemeinsame Linie entwickeln. Nur dann haben solche
Debatten Sinn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Es geht jetzt darum, in Europa die internationale Hand-
lungsfähigkeit der Union, aber auch die Erweiterungs-
fähigkeit und deren Funktionsfähigkeit nach innen si-
cherzustellen. Heute diskutieren wir über die Zielstellung
des Konvents. Nun hat der Gipfel von Nizza dem Konvent
die klare Aufgabe vorgegeben, zu den Themenbereichen
Kompetenzabgrenzung der einzelnen Ebenen, Vereinfa-
chung der Verträge und Stärkung der Rolle der nationalen
Parlamente Vorschläge und Optionen zu erarbeiten. – Die-
ses Thema rutscht oft ein bisschen unter den Teppich. –
Der Konvent wird dazu wichtige Vorarbeiten für die im
Jahr 2004 einzuberufende Regierungskonferenz leisten.
Er wird und kann aber die Regierungskonferenz nicht er-
setzen.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das wissen wir!)


Er leistet zentrale Vorarbeiten, die dann in eine Regie-
rungskonferenz einmünden werden.

Welche vorrangigen Fragen müssen neben denen, die
aufgeworfen wurden, diskutiert werden? Natürlich stehen
auf der Tagesordnung weitere brennende Themen: die
Reform der europäischen Regional- und Strukturpolitik
sowie die Reformierung des Finanzsystems und der Land-
wirtschaftspolitik. Dies sind die Tagesfragen. In der Kon-
ventsdebatte gehen wir ein Stück darüber hinaus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
die Debatte über die Abgrenzung der Kompetenzen zwi-
schen Europa, den Mitgliedstaaten und den Ländern auch
dazu nutzen – dazu möchte ich die Bundesregierung und
uns alle ermutigen –, eine innerstaatliche Funktional-
reform in Deutschland anzudiskutieren. Denn wir kön-
nen in der Europäischen Union nicht eine zusätzliche,
neue Ebene der Gesetzgebung einführen, ohne die Aus-
wirkungen auf das Staatsgefüge in Deutschland und auf
den Staats- und Verwaltungsaufbau auf den Prüfstand zu
stellen. Die Ziele dieser innerstaatlichen Funktional-
reform sind eine Verschlankung staatlicher Hierarchie-
ebenen und eine Entbürokratisierungsoffensive. Dies
müssen wir intern leisten. Darüber hinaus geht es darum,
den Aufgabenbestand der EU an die Leistungsfähigkeit
der erweiterten 27er-Gemeinschaft anzupassen.




Günter Gloser

21743


(C)



(D)



(A)



(B)


Was die Frage der Kompetenzabgrenzung betrifft, so
hat die CDU/CSU mit dem Bocklet/Schäuble-Papier ei-
nen überzeugenden, umfassenden und abgewogenen Vor-
schlag in die Debatte eingeführt, der in der europäischen
Diskussion schon heute eine zentrale Rolle spielt. Ich
möchte nur einige Punkte dieses Papiers ansprechen: Wir
bringen sehr klar zum Ausdruck, wo wir für uns mehr eu-
ropäische Kompetenzen erwarten. Hier lauten die Stich-
worte: Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Aber demgegenüber sagen wir auch sehr klar, differen-
ziert und detailliert, wo die Grenzen europäischer Durch-
griffsgestaltung liegen, nämlich beispielsweise beim
inneren Staatsaufbau der Mitgliedstaaten einschließlich
der kommunalen Selbstverwaltung und bei der Daseins-
vorsorge.

Herr Fischer – Sie sprechen ja nach mir –, das
Bocklet/Schäuble-Papier ist eine hervorragende Basis.
Wo ist der Diskussionsvorschlag bzw. der Entwurf der
Regierung, wie diese Themen angepackt werden sollen?
Ich werde anschließend ganz gespannt Ihren Ausfüh-
rungen lauschen.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Humboldt-Uni!)

Bei den institutionellen Reformen – dies möchte ich

ergänzend sagen – sollte man sich nicht nur auf die Euro-
päische Kommission und das Europäische Parlament,
sondern insbesondere auf den Ministerrat konzentrieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Europapolitik bedarf, wenn wir vom Ministerrat auf
den Rat und die nationale Beteiligung blicken, einer
neuen Struktur, und zwar auch in Deutschland. Wir
benötigen ein koordinierendes und gestaltendes Europa-
ministerium. Europapolitik ist längst nicht mehr Außen-
politik, sondern sie benötigt einen eigenen Kopf, der dem
Parlament gegenüber Verantwortung übernimmt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nizza gibt
den Mitgliedstaaten auch den Auftrag einer Neudefinition
der Rolle der nationalen Parlamente; darüber denken
nationale Parlamentarier komischerweise weniger nach
als über die Rolle des Europäischen Parlaments. Dazu ha-
ben wir Vorschläge vorgelegt. Ich skizziere sie nur kurz:
Wir brauchen eine Parlamentarisierung und die konse-
quentere Nutzung der jetzigen Rahmenbedingungen. Eine
solche Debatte ist im Rahmen unserer jetzigen Möglich-
keiten gegeben. Aber wir brauchen auch eine Ergänzung
des Art. 23 GG, um den Rat und unsere Vertreter bei
grundlegenden Rechtsetzungsfragen an das Votum des
Bundestages zu binden.

Darüber hinaus ist die Frage zu diskutieren, ob in zen-
tralen Fragen ein neuer Rat, ein Ministerrat, auch aus Ver-
tretern der nationalen Parlamente bestehen soll. Der Bun-
desrat ist hier einen Schritt weiter.

Diese Fragen müssen in den nächsten Monaten mitei-
nander im Dialog diskutiert werden. Es stellt sich darüber
hinaus die Frage nach der Rolle der Nationen. Ich habe
sehr aufmerksam zugehört: Wir müssen natürlich auch die
Chance nutzen, eine europäische Wertedebatte zu initiie-
ren. Insgesamt stehen wir nicht am Rande einer Krise,
sondern vor einer großartigen Chance, gemeinsam mo-

derne, zukunftsfähige Strukturen in Europa zu ent-
wickeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421905400
Nun erteile ich dem
Bundesaußenminister Joschka Fischer das Wort.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421905500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir
bis zum Jahre 2006 oder kurz darüber hinaus voraus-
schauen, werden wir feststellen, dass wir vor drei wirklich
zentralen Aufgaben stehen, die nicht nur Deutschland,
sondern die Europäische Union als Ganzes in einem ho-
hen Maße fordern werden.

Die erste Aufgabe ist, endlich den Schritt zu machen,
die europäische Integration zu leisten, und zwar in räum-
licher Ausdehnung durch die Aufnahme neuer Mitglied-
staaten. Das wird, da die Arbeit gut vorankommt – ent-
sprechend den Vorgaben der Europäischen Räte von
Nizza und Göteborg –, hoffentlich bis zum Früh-
sommer 2004 gelingen, sodass die ersten neuen Mitglied-
staaten an der Wahl zum Europaparlament werden teil-
nehmen können.

Dies wird aber eine große Herausforderung für uns alle
bedeuten, und zwar in finanzieller und institutioneller
Hinsicht. Wenn es so kommt, wie die Kommission meint,
dass es vermutlich kommen wird, dass zehn neue Mit-
gliedstaaten aufgenommen werden, werden wir eine Eu-
ropäische Union der 25 haben. Dies wird das institu-
tionelle Gefüge vor grundsätzliche Herausforderungen
stellen, und zwar nicht nur im funktionalen, sondern
auch im demokratischen Sinne. Ein Staatenverbund mit
25 Mitgliedstaaten wird die Kompromisse immer un-
durchschaubarer und die Beziehungen zwischen den un-
terschiedlichen Nationalstaaten immer komplizierter und
überfrachteter machen. Die einzelnen Staaten werden
schwerer zusammenzubringen sein, die Kompromiss-
pakete werden von den Menschen immer weniger ver-
standen werden. Damit wird ein heute bereits sich
abzeichnendes Legitimationsdefizit verstärkt werden,
sodass die Zustimmung zu der für uns alle unverzicht-
baren europäischen Entscheidungsebene – denn Europa
bedeutet unser aller Zukunft – in den Mitgliedstaaten ab-
nehmen wird. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

Es ist aber auch die funktionale Seite berührt. Die
neuen Mitgliedstaaten haben kein Interesse, in eine Euro-
päische Union einzutreten, die nur noch unzureichend
funktioniert oder gar in eine Stagnation verfällt. Wir dür-
fen uns keine Illusionen darüber machen – ich plädiere
hier für Realismus; gerade wir Deutsche sind dafür be-
sonders geeignet, da wir innerstaatlich die Schwierig-
keiten des Zusammenfindens und Zusammenwachsens
bereits erlebt haben –, wie viel Geduld und gegenseitigen
Verständnisses es bedarf. Es treten neue Mitgliedstaa-
ten ein, die für ihre nationale Unabhängigkeit von
der Sowjetunion und gegen Diktaturen über fünf Jahr-
zehnte hinweg gekämpft haben. Wir werden neue
Mitgliedstaaten bekommen, die ihren eigenen Zugang zur




Dr. Gerd Müller
21744


(C)



(D)



(A)



(B)


europäischen Integrationsidee haben und – das ist sehr
wichtig – im Laufe der Zeit weiter entwickeln müssen.

Das alles wird keineswegs die Bindungskraft einer sich
erweiternden Europäischen Union verstärken. Wenn also
zu dem Demokratieproblem auch noch ein Funktiona-
litätsproblem hinzu käme, würde das die Europäische
Union vor sehr ernste Probleme stellen. Genau deshalb
besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Er-
weiterung und Vertiefung der Integration. Hier liegt
die Hauptaufgabe. Ich sage unbeschadet der parteipoli-
tischen Positionen, die hier eingenommen werden – in der
Politik zählen die Ergebnisse –: Wenn der Konvent das
Demokratieproblem und das Funktionalitätsproblem nur
unzureichend lösen würde, würden wir mit einer Union
der 25 eben nur unzureichende Ergebnisse erzielen, die
dann zu unzureichenden Konsequenzen führten.

Ich wünsche mir, dass sich der Konvent an diesen
Grundtatsachen orientiert:

Wie kann eine europäische Demokratie der 25 Mit-
gliedstaaten funktionieren? Welches institutionelle Ge-
füge und welches Verhältnis von nationalstaatlicher und
europäischer Ebene braucht sie? Ich stimme völlig damit
überein, dass die innerstaatliche Organisationskompetenz
bei den Nationalstaaten liegt. Es wäre geradezu unsinnig,
bei einer so unterschiedlichen föderalen und zentralstaat-
lichen Tradition, wie sie beispielsweise in Deutschland
und Frankreich besteht, plötzlich von Brüssel her ent-
scheiden zu wollen. Das wird nicht funktionieren.

Aber die entscheidende Frage ist die nach der Funk-
tionalität einer europäischen Demokratie. Dabei wage
ich die Prophezeiung, dass auf den Konvent eine sehr
schwierige Aufgabe zukommt. Meine These ist, dass der
Konvent bereits zu 95 Prozent oder mehr über den Erfolg
der dann stattfindenden Regierungskonferenz entschei-
den wird. Ich sehe nicht, dass die Regierungskonferenz
Ergebnisse erzielen wird, die der Konvent nicht schon
vorher hinbekommen hat. Aber wir werden sehen, dass
die nationalen Widersprüche bzw. die unterschiedlichen
Verfassungstraditionen und die unterschiedlichen Vorstel-
lungen von Europa nicht zwischen Parlamentariern und
Regierungsvertretern, sondern im Konvent erstens ausge-
tragen und zweitens in einen Konsens überführt werden
müssen. Zugleich bestehen zentrale Interessenwider-
sprüche zwischen Groß und Klein.

Auch die Vorstellungen zur Kompetenzabgrenzung, die
Sie eben mit dem Schäuble-Bocklet-Papier artikuliert
haben, Herr Müller, werden von sehr vielen – ich behaupte
sogar: von der Mehrheit – in der Europäischen Union mit
großer Skepsis gesehen und nur sehr eingeschränkt geteilt,
um es in diplomatische Formulierungen zu kleiden.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Es gewinnt aber an Kraft!)


– Es mag ja sein, dass es an Kraft gewinnt, aber diese
Kraft könnte sich durchaus auch in der Ablehnung solcher
Vorstellungen manifestieren. Ich sage nicht, dass es so
kommen muss. Ich beschreibe nur das Spannungsverhält-
nis, in dem sich der Konvent befinden wird. Deswegen
plädiere ich für sehr viel Realismus, das heißt, dass
visionäre Kraft, wie man sich einen solchen Kompromiss
vorstellt, auch mit Realismus gepaart ist.

Es wird viele Ideen geben. Für mich lautet die zentrale
Frage – damit komme ich zum Schluss; das würde ich
Herrn Meyer und seinem Stellvertreter Altmaier als Ver-
treter des Parlaments gerne mit auf den Weg geben –: Ver-
lassen wir den Staatenverbund und schaffen wir den
Schritt in die Föderation? Schaffen wir also auf der poli-
tischen Ebene denselben Schritt, den wir mit dem Maas-
tricht-Vertrag auf der monetären Ebene und der Ebene
des gemeinsamen Marktes geschafft haben, ja oder nein?
Das richtet sich danach, ob wir den Staatenverbund über-
schreiten und zu der Föderation gelangen, was die politi-
sche Integration bzw. die Schaffung einer europäischen
Demokratie ausmacht.

Es wird sich meines Erachtens zeigen, ob die Doppel-
rolle des Europäischen Rates wirklich überwunden und
aufgelöst werden kann – dazu gibt es unterschiedliche Va-
rianten und Ansätze – oder ob – in welcher Form auch im-
mer – die Doppelrolle des Rates erhalten bleibt. Bleibt die
Doppelrolle erhalten, bleiben wir im Staatenverbund.
Dann wird es mit 25 Mitgliedstaaten alles andere als ein-
fach werden. Überschreiten wir den Staatenverbund, wer-
den wir den Schritt in die Föderation gehen und der Rat
wird sich zwischen Legislative und Exekutive entschei-
den müssen. Das ist für mich die zentrale Frage.

Die Zeit lässt es nicht zu, näher in die Details zu gehen.
Aber ich bin mir sicher, dass wir im Rahmen des Aus-
schusses, Herr Vorsitzender, noch Gelegenheit haben wer-
den, mit allen am Konvent Beteiligten diese Fragen zu
diskutieren. Ich wünsche Ihnen allen und auch uns Erfolg;
denn Europa ist unser gemeinsames Schicksal.

Gerade die jüngsten weltpolitischen Ereignisse zeigen:
Bleiben die Europäer getrennt und schaffen wir die euro-
päische Demokratie nicht, dann werden wir nicht zum Ge-
staltungsfaktor, sondern werden mitgestaltet werden. Ich
meine, es liegt in unser aller Interesse, gemeinsam mit un-
seren Partnern im 21. Jahrhundert ein Gestaltungsfaktor
zu werden und zu bleiben.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421905600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpoli-
tik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2000

(Rüstungsexportbericht 2000)

– Drucksache 14/7657 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss ür Wirtschaft und Technoloie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung




Bundesminister Joseph Fischer

21745


(C)



(D)



(A)



(B)


Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Damit
sind Sie einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das
Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar
Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1421905700
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Rüstungs-
exportbericht 2000 legt die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag zum zweiten Mal Rechenschaft
über die Rüstungsexportpolitik des Vorjahres ab. Der
neue Bericht zeigt, dass die Bundesregierung auch im Jahr
2000 eine restriktive Rüstungsexportpolitik verfolgt hat.

In dem jetzt vorliegenden Bericht sind im Sinne der
Verbesserung der Transparenz – das war immer ein wich-
tiges Anliegen des Parlaments – zusätzliche Informatio-
nen aufgenommen worden. So enthält der jetzige Bericht
– um die Entwicklung über die Jahre hinweg offen zu le-
gen – Aufstellungen zu der Entwicklung der Zahl der Ge-
nehmigungen und der tatsächlichen Ausfuhren in den Jah-
ren 1996 bis 2000.

Des Weiteren wurde auch eine Aufstellung mit einer
Strafverfolgungsstatistik – auch das war mehrfach Ge-
genstand der Ausschussberatungen – nach dem Kriegs-
waffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz
aufgenommen. Außerdem wird über an andere Länder ge-
leistete militärische Ausrüstungshilfen sowie über neu ab-
geschlossene regierungsamtliche Kooperationen im Rüs-
tungsgüterbereich mit deutscher Beteiligung berichtet.
Für das Jahr 2000 konnte in beiden Bereichen Fehlan-
zeige gemeldet werden. Allerdings wird in Zukunft in der
Frage der Kooperation – das füge ich hinzu – gerade vor
dem Hintergrund dessen, über das wir in der vorangegan-
gen Debatte diskutiert haben, in Europa sehr viel mehr ab-
laufen als in der Vergangenheit. Das bedeutet, dass Eu-
ropa auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik
handlungsfähiger werden muss.

Neu ist im Rüstungsexportbericht ebenfalls ein Kapitel
über die Genehmigungspolitik bei der Ausfuhr von Klein-
waffen. Die Bundesregierung zollt damit der Bedeutung
der Kleinwaffenproblematik Tribut. Im letzten Jahr hat zu
diesem Thema eine große UN-Konferenz in New York
stattgefunden, auf der wir uns zusammen mit unseren eu-
ropäischen Partnern für eine stringente Exportpolitik im
Bereich dieser Waffenkategorie eingesetzt haben.

Nicht gefolgt ist die Bundesregierung dem Wunsch
nach Aufnahme von Angaben über Dual-use-Güter. Das
Wirtschaftsministerium hatte dem Wirtschaftsausschuss
einen Bericht dazu vorgelegt. Dieser wird im Ausschuss
erörtert werden.

Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Einzelheiten
eingehen. Nur so viel: Rüstungsgüter und Dual-use-Güter
sind Waren von sehr unterschiedlichem Charakter. Rüs-
tungsgüter werden speziell für militärische Zwecke her-
gestellt. Dual-use-Güter können auch für völlig andere
Zwecke hergestellt werden. Sie können in sensitiven Be-

reichen sicherlich auch anders verwendet werden. Aber in
der Praxis werden diese Güter in aller Regel für zivile
Zwecke eingesetzt. Vor diesem Hintergrund würde die
Aufnahme von Dual-use-Gütern in den Rüstungsexport-
bericht statistisch ein völlig falsches Bild vermitteln. Das
möchten wir auch im Interesse der Transparenz vermei-
den. Eine Informationslücke für das Parlament ergibt sich
hieraus jedoch nicht. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, der Auswärtige Ausschuss und der Haus-
haltsausschuss werden wie schon in den vorangegange-
nen Jahren jährlich über die Zahl der Ablehnungen und
die der Genehmigungen der Ausfuhren von Dual-use-Gü-
tern unterrichtet.

Lassen Sie mich nun noch ein paar Sätze zu den Zahlen
sagen, die der Bericht, der sehr umfangreich ist und in dem
die Entwicklung der letzten Jahre dargelegt wird, enthält.
Die jetzt vorliegenden Zahlen belegen erneut, dass die
Rüstungsexporte – das ist traditionell so – nur eine geringe
Rolle bei den deutschen Ausfuhren spielen. So lag der An-
teil der Ausfuhren von Kriegswaffen an den deutschen
Gesamtausfuhren im Jahr 2000 bei 0,11 Prozent. Kriegs-
waffen wurden im Wert von 1,33 Milliarden DM ausge-
führt. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rück-
gang um 53 Prozent.

Es liegen auch statistische Angaben sowohl zu der Aus-
fuhr von Kriegswaffen als auch zu der Ausfuhr von sons-
tigen Rüstungsgütern vor. Im Berichtsjahr wurden Aus-
fuhrgenehmigungen im Wert von 5,568 Milliarden DM
erteilt. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Pro-
zent gesunken. Interessant ist, dass der Wert der Geneh-
migungen für Ausfuhren in EU- und NATO-Länder sowie
in ihnen gleichgestellte Länder fast unverändert geblieben
ist, während der Wert der Genehmigungen für Ausfuhren
in so genannte Drittländer um 24 Prozent zurückgegangen
ist. Das entspricht unserer Politik; denn wir wollen nicht
nur Transparenz herstellen. Wir wollen auch dafür sorgen,
dass die EU- und die NATO-Länder ihre Sicherheitsbe-
stimmungen für die Genehmigung von Ausfuhren in
Drittländer verschärfen.

Einen Anstieg gab es bei den Sammelausfuhrgeneh-
migungen. Dabei handelt es sich um Genehmigungen,
welche für Ausfuhren im Rahmen von Kooperationspro-
jekten mit EU- und NATO-Ländern erteilt werden. Sam-
melausfuhrgenehmigungen ermöglichen den vereinfach-
ten Warenaustausch zwischen den Kooperationspartnern;
deshalb diese Zusammenfassung. Der Anstieg beruht un-
ter anderem darauf, dass im letzten Jahr das Eurofighter-
Programm anlief und daher entsprechende Sammelaus-
fuhrgenehmigungen ausgestellt wurden.

Der Rüstungsexportbericht geht auch auf die in der öf-
fentlichen Diskussion viel beachteten internationalen Ver-
gleichsstatistiken ein. Wir sind zu dem Ergebnis gekom-
men, dass ein seriöser Vergleich der bedeutenden
Rüstungsexportländer nur schwer möglich ist. Das liegt
unter anderem daran, dass in den jeweiligen Statistiken
der Länder ganz unterschiedliche Waffenkategorien zu-
grunde gelegt werden.




Vizepräsidentin Anke Fuchs
21746


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421905800
Herr Staatssekretär,
es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen
Sie die Frage des Kollegen Koppelin zulassen?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1421905900
Ja, von Herrn
Koppelin immer.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421906000
Bitte sehr.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421906100
Danke, Herr Staatssekretär.
– Das hört sich alles ganz gut an; aber entscheidend ist
doch die Lieferung in Krisengebiete. Ich nehme einmal ei-
nen Bereich heraus. Vielleicht können Sie dazu etwas sa-
gen; es gab auch Presseberichte dazu. Wie verhält es sich
mit den Lieferungen nach Israel? Sind die Pressemeldun-
gen richtig, wonach die Lieferungen nach Israel angestie-
gen sind?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1421906200
Herr Koppelin,
wir sind da sehr aufmerksam, gerade aufgrund der aktuel-
len Entwicklungen. Aus Ihrer Regierungszeit wissen Sie,
dass es langfristige Verträge gibt. Gerade angesichts der
momentan sehr angespannten Situation verfolgen wir das
sehr aufmerksam. Wir haben, soweit mir bekannt, keiner-
lei Entscheidung getroffen, die einen Anstieg begründet
hätte, beobachten aber sehr wohl genau, wie dieses Span-
nungsgebiet einzuschätzen ist. Insofern können Sie davon
ausgehen, dass wir unsere Grundsätze auch bei aktuellen
Entwicklungen sehr genau im Auge behalten.

Bei den Empfängern deutscher Rüstungsgüter stehen
EU- und NATO-Partner eindeutig im Vordergrund. Das ist
sehr wichtig, weil wir immer gesagt haben, wir wollten
zwar unsere Sicherheitskräfte binden und stabilisieren,
aber bei Drittländern vorsichtig sein. Fast 80 Prozent der
Genehmigungen wurden für Ausfuhren in EU-, NATO-
und gleichgestellte Länder erteilt. Die ersten sechs Posi-
tionen bei den wichtigsten Bestimmungsländern werden
von NATO-Ländern besetzt, angeführt von den USA.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß natürlich,
dass es immer problematisch ist, etwas mit einem statisti-
schen Werk darstellen zu wollen. Ich glaube, dass der Rüs-
tungsexportbericht, den ich Ihnen hier kurz vorgestellt
habe, belegt, dass die Bundesregierung entsprechend
ihrem Bekenntnis in ihren politischen Grundsätzen eine
restriktive Exportkontrollpolitik betrieben hat, wiewohl
sie auch dem Gedanken der Kooperation, insbesondere mit
unseren europäischen Nachbarn, Rechnung getragen hat.
Die Ergebnisse des 11. September des letzten Jahres haben
deutlich gezeigt, dass eine internationale Zusammenarbeit
bei der Bekämpfung des Terrorismus – hierzu zählt auch
eine entsprechende Ausstattung von Streitkräften – unum-
gänglich ist und dass wir Kooperationen auf europäischer,
aber auch weiterer internationaler Ebene suchen müssen.
Es ist besser für die Weltgemeinschaft, in einer großen Ko-
operation statt unilateral zu agieren. Insofern macht es
Sinn, hier Kooperationswege zu suchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
wird – wenn wir den Auftrag erhalten, unsere Regie-
rungsarbeit fortzusetzen –


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Diese Einschränkung ist schon sehr wichtig! – Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das ist noch offen!)


alles tun, um auch in der nächsten Periode den restrikti-
ven Kurs mit Augenmaß fortzusetzen. Gerade in diesem
sensiblen Bereich müssen wir auf der einen Seite unseren
verteidigungspolitischen Ansprüchen gerecht werden
– wir brauchen eine leistungsfähige Einheit – und auf der
anderen Seite sehr genau hinschauen. Dies ist aber, so
glaube ich, überparteilicher Konsens und kommt auch
in dem Rüstungsexportbericht 2000, dem zweiten Be-
richt, den wir in unserer Verantwortung dem Parlament
vorlegen, zum Ausdruck. Man kann sagen – auch nach
den Beratungen in den Ausschüssen –, dass dies ein Kurs
mit Augenmaß ist. Das heißt, dass man nicht nur auf Pro-
dukte schaut, sondern auch auf die internationale Lage
und die jeweilige politische Situation.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421906300
Für die CDU/CSU-
Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Erich Fritz.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1421906400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit November 2001 liegt dem Bundestag der Rüstungs-
exportbericht 2000 vor. Fertig war er meines Wissens
bereits im April 2001. Wie viele Waschgänge bei 90 Grad
er in dieser Zeit durchlaufen hat, weiß ich nicht; aber das
Produkt ist dennoch nicht so weiß geworden, wie Sie
es sich vielleicht gewünscht hätten, meine Damen und
Herren von der rot-grünen Koaltion.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

In einer Studie kommt das Institut für Europäische

Studien der Freien Universität Brüssel zu dem Ergebnis:
Gemessen an diesen Vorgaben

– gemeint sind die eigenen Vorgaben von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen –

ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellos
gescheitert.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das stimmt allerdings auch wieder!)


Die Regierungskoalition hat ihr Versprechen, beim Rüs-
tungsexport noch restriktiver zu verfahren, nicht um-
gesetzt. Egal, ob man den Bericht an dem Anspruch, den
Sie selbst sich gestellt haben, oder an der Politik der
Vorgängerregierung misst oder ihn einem europäischen
bzw. internationalen Vergleich unterzieht, das Ergebnis ist
jeweils nicht besonders aufregend.


(Heidi Lippmann [PDS]: Darüber müssen Sie doch glücklich sein!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Rot-Grün macht so weiter wie bisher. Es gibt ganz offen-
sichtlich eine große Kontinuität zwischen der Rüstungs-
exportpolitik vor und nach 1998. Das belegt nur, dass
auch vorher Politik auf diesem Feld verantwortungsvoll
und restriktiv betrieben wurde.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das kann man aber auch anders sehen!)


Die Fakten stellen sich folgendermaßen dar: Die Rüs-
tungsexporte sind nicht gesunken. Die Addition von Sam-
mel- und Einzelgenehmigungen ergibt gegenüber dem
Vorjahr einen Anstieg: von 6 573,3 Millionen DM 1999
auf 9 303,1 Millionen DM 2000. Dies entspricht einer
Steigerungsrate von gut 40 Prozent gegenüber 1999. Da-
ran ändert auch die Äußerung der Regierung – auch der
Staatssekretär hat ja gerade noch einmal darauf hingewie-
sen, dass man das nicht tun dürfe –, dass beide Posten,
Einzel- und Sammelgenehmigungen, nicht vergleichbar
seien, nichts. Solche Argumente haben Sie ja früher nie
interessiert. Sie haben beide Posten, wenn ich mich recht
entsinne, auch immer addiert. Im Vergleich zu den Tira-
den von Herrn Bachmaier und Herrn Ströbele ist die Aus-
einandersetzung jetzt doch sehr zivil geworden, wie ich
finde.

Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und sons-
tigen Rüstungsgütern bewegen sich also auf hohem Ni-
veau. Deutschland rangiert an fünfter Stelle unter den
weltweit größten Exportländern.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter Ihrer Verantwortung waren wir weiter vorn!)


– Wenn Sie demnächst weitere Rüstungsgüter verkaufen
müssen, wird das wieder genauso sein. – Ich rechne im
Übrigen damit, dass schon im Jahr 2001 wieder ein Ge-
samtwert der Exporte von Rüstungsgütern im Wert von
14 bis 14,5 Milliarden DM zu verzeichnen sein wird. Die
Bundesregierung sollte diesen Bericht unmittelbar nach
Fertigstellung vorlegen. Oder liegt die späte Vorlage des
2000er-Berichts darin begründet, dass man einen Grund
anführen kann, den Bericht für 2001 erst nach der Bun-
destagswahl vorzulegen?


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Na klar!)

Wenn Sie ernsthaft belegen wollen, wie sich Ihre politische
Arbeit in diesem Bereich entwickelt hat, dann legen Sie
bitte den Bericht noch im Frühsommer dieses Jahres vor.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Über das Transparenzgebot und wie man ihm richtig
nachkommt, kann man lange streiten. Wenn man die ver-
schiedenen Berichte in Europa vergleicht, stellt man
große Unterschiede fest. Wir wissen, dass gar nicht alles
erfassbar ist und es nicht sinnvoll ist, hier einen Wust
an bürokratischen Maßnahmen zu ergreifen; gerade im
Kooperationsbereich sind wir gut beraten, nicht jede
Schraube aufzuführen.

Man darf aber vor diesem Hintergrund nicht, wie die
Regierungsfraktionen es immer tun, vorgeben, dass der
Bericht völlige Transparenz herstelle. Die Informationen

über die tatsächlich erfolgten Exporte sind sehr spärlich.
Man stellt fest, dass das Niveau beim Export der Kriegs-
waffen wieder das Niveau von 1998, dem letzten Jahr der
Regierung Kohl, erreicht. Insofern ist es recht fragwürdig,
von einer drastischen Reduzierung der Kriegswaffen-
exporte zu sprechen.

Herr Kollege Koppelin hat gerade schon die Frage der
Abwägung und des Umgangs mit Exporten in Span-
nungsgebiete am Beispiel Israels problematisiert. Das ist
natürlich ein schwieriges Thema; das gebe ich gerne zu.
Es wäre aber schon einmal ganz interessant, nachzuvoll-
ziehen, wie der Abwägungsprozess bei der Bundesregie-
rung hier vor sich gegangen ist.

Meine Damen und Herren, in der Koalition gibt es über
den Waffenkatalog ja reichlich Uneinigkeit, auch zwi-
schen dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsmi-
nisterium. Es handelt sich hierbei sicherlich um einen
schwierigen Abwägungsprozess innerhalb einer Regie-
rung; ich möchte aber daran erinnern, dass wir, wenn un-
sere Politik glaubwürdig bleiben soll, vor allen Dingen die
Berücksichtigung von Handelspartnern in Europa und in
der NATO intensiv beachten müssen. Deshalb können
Abwägungsprozesse nicht einfach nach den von Ihnen
jetzt vorangestellten Kriterien ablaufen; es handelt sich
vielmehr immer um Einzelfallabwägungen.

Durch diesen Streit in der Koalition ist deutlich ge-
worden, auf welch wackligen Beinen der vermeintliche
rot-grüne Konsens hinsichtlich der Forderungen nach ei-
ner restriktiven Rüstungspolitik tatsächlich steht. Die
Äußerungen der Grünen-Chefin Roth, die Rudolf
Scharpings Aussagen als „unverantwortlich“ bezeichnete
– das kann man anhand von Zeitungsberichten belegen –,
weil er nicht nur Überschussmaterial der Bundeswehr
weltweit zum Verkauf angeboten, sondern auch in der
Krisenregion des Nahen Ostens für deutsche Rüstungs-
exporte geworben habe, zeigen die übliche Regierungs-
konfusion. Herr Scharping ist offensichtlich ein genauso
schlechter Verkäufer, wie er ein unsolider und unkalku-
lierbarer Einkäufer ist. Das hat sich am Beispiel der Air-
busflugzeuge gezeigt.

Der vorgelegte Bericht der Bundesregierung über ihre
Exportpolitik zeigt, dass Anspruch und Wirklichkeit weit
auseinander klaffen. Von einer restriktiveren Rüstungsex-
portpolitik kann keine Rede sein. Der rot-grüne Anspruch,
eine wirklich neue Politik zu machen, wird nicht erfüllt;
dennoch glaube ich, dass wir Deutschen uns mit unserer
Politik insgesamt sehen lassen können. Sie haben aller-
dings eine Erwartungshaltung aufgebaut, die keine ver-
antwortlich handelnde Regierung erfüllen kann. Die Zah-
len sprechen gegen Sie. Der „Tagesspiegel“ hat am
18. Dezember geschrieben: „Das ist ja wie bei Kohl.“
Damit hat er völlig Recht.

Mich stört besonders die Tatsache, dass das ständige
Bemühen der Regierung Kohl, weitere Schritte hin zu ei-
nem gemeinsamen Rechtsrahmen für die Rüstungs-
exportpolitik der Europäischen Union zu machen, offen-
sichtlich zum Stillstand gekommen ist. Dabei weiß jeder,
dass wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
und auch eine gemeinsame Rüstungs- und Rüstungs-
exportpolitik in Europa brauchen.




Erich G. Fritz
21748


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland gilt in diesen Fragen unter den EU- und
NATO-Partnern als zumindest nicht restlos zuverlässig.
Wir haben im Bereich der Kooperation Schwierigkeiten.
Ich hoffe, dass diese Schwierigkeiten in den nächsten Jah-
ren ausgeräumt werden können. Jeder muss wissen: Wenn
wir in diesem Bereich Sonderwege gehen, dann verlieren
wir auch unseren politischen Einfluss auf die europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik und auf die Gestal-
tung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Meine Schlussfolgerung bezüglich Ihrer Politik lautet:
Die Politik von Rot-Grün steht ohne jede Glaubwürdig-
keit da. Der Unterschied zwischen einer hohen, öffentlich
dargestellten Moral auf der einen Seite und der politi-
schen Praxis auf der anderen Seite ist allzu offensichtlich.
Es wäre viel besser und viel verantwortlicher, wenn Sie
deutlich machten und erklärten, dass der Rüstungsexport
nun einmal eine schwierige Angelegenheit ist und dass
unabhängig davon, was man in den Grundsätzen nieder-
gelegt hat, in jedem Fall die Abwägung schwierig ist und
bleibt, weil doch in jedem Einzelfall sowohl außen- und
sicherheitspolitische Erwägungen als auch viele weitere
Aspekte in die Betrachtungen einbezogen werden
müssen. Dabei könne keine Regierung widerspruchsfrei
bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421906500
Jetzt hat die Kollegin
Angelika Beer für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421906600
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine
Fraktion begrüßt die Vorlage des zweiten Rüstungs-
exportsberichts. Herr Kollege Fritz, das, was wir erreicht
haben, hat die von Ihrer Fraktion getragene damalige Re-
gierung nie geschafft: Wir haben unsere Zusage einge-
halten, mit der Vorlage dieser Berichte ein Stück Transpa-
renz und Nachvollziehbarkeit für die Öffentlichkeit
herzustellen,


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das war in Europa bei allen Regierungen auf dem Weg, als Sie drankamen!)


wohl wissend, dass wir uns damit – das wollen wir; das
ist vernünftig – der Kritik stellen. Rüstungsexport ist ein
heikles Geschäft. Wir werden versuchen, unsere poli-
tische Option weiter zu definieren. Diese Transparenz ist
ein Erfolg von Rot-Grün.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal Ihre Reden von 1995 vor!)


Dieser Bericht zeigt auch, dass wir durchaus – der Kol-
lege Mosdorf hat darauf hingewiesen – einige Erfolge im
Sinne einer tatsächlich restriktiven Exportpolitik erringen
konnten. Dieser Bericht ist im Vergleich zum vorherigen
Bericht in einigen Punkten und Details verbessert worden,
was nicht zuletzt auf Bemühungen meiner Fraktion und
insbesondere auf die Anliegen des Ausschusses fürMen-

schenrechte zurückgeht. Dieser Bericht bildet eine gute
Grundlage für weitere Verbesserungen, die ich hier an-
sprechen möchte:

Dieser Bericht enthält zum ersten Mal eine den ent-
sprechenden Zeitraum betreffende Strafverfolgungssta-
tistik und Vergleichszahlen für die Vorjahre. Erst diese
Daten ermöglichen eine Bewertung.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sie sind sehr bescheiden geworden!)


Dieser Bericht geht gesondert auch auf die Problematik
des Kleinwaffenexports ein. Kleinwaffenexport ist ein
besonderes Anliegen der Regierung gerade in der in-
ternationalen oder europäischen Kooperation, um dort
weitere Ausdehnungen des Exports zu verhindern.


(Heidi Lippmann [PDS]: Verhinderung der Ausdehnung – wenn das das Ziel ist! Ich bitte dich!)


Allerdings zeigt der Bericht auch – das will ich durch-
aus sagen –, dass die rot-grünen Exportrichtlinien, die wir
zu Anfang unserer Koalition verbessert und verschärft
haben, in der Praxis noch nicht zufrieden stellend umge-
setzt worden sind. Wir halten weitere substanzielle Redu-
zierungen bei Exporten für notwendig,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


auch wenn die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr tatsäch-
lich zurückgegangen sind. Kriegswaffenexporte in so ge-
nannte Entwicklungsländer spielen – das ist nachgewie-
sen – so gut wie keine Rolle mehr und das ist gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Und wie ist das mit Indien?)


Ich will das betonen, weil es aus menschenrechtlicher
Sicht aufgrund des prekären Zusammenhangs von Men-
schenrechten, Rüstungsimporten und Entwicklungs-
chancen ganz besonders erfreulich ist. Es ist heute – das
gebe ich zu – noch nicht absehbar, ob sich dies zu einem
beständigen Trend entwickeln wird. Wir hoffen das und
arbeiten daran.

Herr Kollege Fritz, wir als Grüne haben überhaupt
nichts dagegen, den nächsten Exportbericht noch in die-
ser Legislaturperiode zu beraten, wenn er rechtzeitig
durch das federführende Haus vorbereitet wird.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das kann man ja befördern! – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sorgen Sie mal dafür! Die Zahlen liegen doch schon bereit!)


Rot-Grün hat keinen Grund zu verheimlichen. Wir wer-
den diesen Weg der Transparenz fortsetzen.

Wir wollen gern auch die weiteren Berichte ausbauen.
Wir sind der Überzeugung – da gibt es einen Dissens; aber
das ist unsere Position –, dass Dual-use-Güter Bestandteil
des Exportberichtes sein sollen. Auch wenn es in der Ge-
neralität nicht möglich sein sollte – über die Gründe wer-
den wir beraten –, möchte ich zumindest noch einmal auf




Erich G. Fritz

21749


(C)



(D)



(A)



(B)


die Anhörung des Menschenrechtsausschusses zur Frage
der Folter hinweisen. Ich glaube, diese Anhörung hat sehr
deutlich gemacht, dass zum Beispiel so heikle Export-
güter wie Elektroschockgeräte auf jeden Fall in diesem
Bericht erwähnt werden müssen. Wir haben die Bitte an
das Ministerium, das mit zu berücksichtigen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Ihr seid doch in der Regierung! Vergiss das nicht!)


Der Bericht zeigt auch, wie schwierig es ist, die End-
verbleibskontrolle gerade im Bereich von Kleinwaffen,
die ich hier noch einmal erwähnen will, festzuschreiben.
Meines Erachtens wäre es sinnvoll, dass wir auch die
Gründe zur Verweigerung von gewünschten Exporten an-
derer Länder aufführen, weil dadurch der Erfolg der rot-
grünen Koalition deutlich würde, dass wir aus guten,
menschenrechtlichen Gründen auf Exporte verzichten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Weiermann [SPD])


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion
tritt dafür ein, die Transparenz im Bereich der parlamen-
tarischen Kontrolle zu erhöhen. Ich möchte als Beispiele
die aktuelle Praxis der amerikanischen und der schwe-
dischen Kolleginnen und Kollegen nennen. Dort werden
die Parlamente sehr frühzeitig unterrichtet. Das tut nicht
weh, sondern ermöglicht es dem Parlament, über we-
sentliche Entscheidungen mitzudiskutieren. Wenn man
akzeptiert, dass Export ein Bestandteil von Außenpolitik
ist, muss die parlamentarische Kontrolle von dem Knüp-
pel der Geheimhaltung befreit werden. Sonst werden die
Sachen, die über die Medien oder über das Internet so-
wieso international bekannt werden, immer wieder für
unsägliche Debatten missbraucht. Unser Anliegen ist es,
die Transparenz herzustellen. Die Notwendigkeit ergibt
sich zum Beispiel aus den jährlichen Berichten der Ge-
meinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, der
GKKE. Es ist auch ein Anliegen von Amnesty Interna-
tional und vielen anderen Nichtregierungsorganisationen.
Dort möchten wir Instrumente schärfen. Ich glaube, dass
das dem Anliegen einer restriktiven Exportpraxis ent-
gegenkommen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Weiermann [SPD])


Werte Kolleginnen und Kollegen, noch eines zur Op-
position: Wir sind in einem schwierigen Umsteuerungs-
prozess. Wir steuern um, was Sie über Jahre praktiziert
haben.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Warten wir mal auf die nächsten Zahlen!)


Sie sind die Verpflichtungen eingegangen; ich nenne als
Beispiel die U-Boot-Lieferungen an Israel. Sie haben die
Voranfragen im Hinblick auf den Export von Bestand-
teilen einer Munitionsanlage in die Türkei rechtlich be-
stätigt.


(Heidi Lippmann [PDS]: Ihr macht das nicht anders!)


Sie können uns gern für aktuelle Entscheidungen kritisie-
ren, aber bitte nicht dafür prügeln, dass wir rechtlich ge-
zwungen sind, eingegangene Verpflichtungen der Kohl-
Regierung umzusetzen.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sie müssen jetzt schon deutsche Panzerteile in Panzer einbauen, die von woanders kommen!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist übrigens ein
Grund dafür, dass wir uns dafür einsetzen, dass auch Vor-
anfragen Bestandteil des Exportberichtes werden, weil
dann deutlich wird, welche schwierigen politischen Ent-
scheidungen zu treffen sind. Wir versuchen damit, die Pra-
xis transparent zu machen. Ich glaube, das kommt auch der
Opposition entgegen. Dadurch könnten wir – auch eine
zukünftige Regierung – verhindern, dass dort verbindliche
Zusagen gegeben werden, die wir nicht mittragen können.

Abschließend möchte ich noch auf eines hinweisen:
Der Verteidigungsminister hat dankenswerterweise eine
Liste erstellt, die eine Aufstellung der Rüstungsgüter der
Bundeswehr, die im Rahmen der Bundeswehrreform für
den Export bereitgestellt werden sollen, enthält. Aus un-
serer Sicht wäre es sehr viel wünschenswerter, auf den
Export zu verzichten und die weniger modernen Waffen
zu vernichten.

Wenn sie dennoch exportiert werden, muss das natür-
lich auf der Grundlage der Exportrichtlinien geschehen.
Bei einem Export zum Beispiel an NATO-Partner, die auf
den gleichen technischen Standard gehoben werden sol-
len, muss sichergestellt werden, dass der Endverbleib dort
auch bestätigt wird.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Vor allen Dingen darf es nicht zu einem Exportwettlauf
führen. Die Staaten, die von uns ausgesondertes Gerät
erhalten – geschenkt oder verkauft –, müssen versichern,
dass die bei ihnen dadurch frei werdenden Waffen nicht in
Krisenregionen exportiert, sondern vernichtet werden.

Das ist eine verantwortliche Politik im Bündnis und
dafür setzen wir uns ein. Wir sind bereit, diese in Zukunft
transparenter zu gestalten, als das bisher der Fall gewesen
ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421906700
Für die FDP-Fraktion
hat der Kollege Dr. Werner Hoyer das Wort.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1421906800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, ich danke
Ihnen für die differenzierte Darstellung in Ihrer heutigen
Rede. Das sind wir von Ihnen auch gewohnt. Ich weiß
nicht, ob Sie in der nächsten Woche noch die Absicht ha-
ben, im Deutschen Bundestag zu reden. Wenn nicht, war
das heute Ihre letzte Rede. Ich möchte auf keinen Fall ver-
gessen, mich als Haushaltsberichterstatter der FDP für das
Bundeswirtschaftsministerium für die exzellente Zusam-
menarbeit zu bedanken.


(Beifall)





Angelika Beer
21750


(C)



(D)



(A)



(B)


Die differenzierte Darstellung, die Sie heute hier vor-
getragen haben und der pragmatische Ansatz, der auf die
Realitäten und die praktischen Schwierigkeiten eines
Rüstungsexportberichts hinweist, sind natürlich nicht der
Maßstab, den die Opposition heute anlegen muss. Maß-
stab für das, was die Opposition heute hier zu sagen hat,
ist das, was die Koalitionsfraktionen vor dieser Legis-
laturperiode angekündigt haben. Dort sind doch große
Diskrepanzen festzustellen. Herr Kollege Fritz hat zum
Teil schon zu Recht darauf hingewiesen. Ich werde darauf
noch zurückkommen.

Ich habe mich gefreut, dass die Kollegin Beer eben klar
gemacht hat, dass auch die Grünen ein Interesse daran ha-
ben, dass der Rüstungsexportbericht 2001 nicht erst im
November, sondern, wie früher üblich, spätestens im Sep-
tember vorgelegt wird, damit wir noch vor der Bundes-
tagswahl darüber diskutieren können.

Transparenz ist eines der wesentlichen Ziele, die mit
dem Rüstungsexportbericht erreicht werden sollen. Dies
ist ein großes und zugleich sehr schwer erreichbares Ziel;
denn wir bewegen uns hier auf einem sehr schmalen Grat.
Es gibt berechtigte Interessen der eigenen und der euro-
päischen Rüstungsindustrie, es gibt Verpflichtungen ge-
genüber Bündnispartnern und es gibt selbstverständlich
auch die Sorge um die Verwendung der exportierten Rüs-
tungsgüter durch andere. Hinzu kommen Geheimhal-
tungsnotwendigkeiten in wesentlichen Bereichen. All das
schränkt die Vollständigkeit eines solchen Berichtes und
die Aussagefähigkeit notwendigerweise etwas ein. Des-
wegen ist das Erreichen der Transparenz ein sehr an-
spruchsvolles Ziel. Wir sollten damit ehrlich und vorsich-
tig umgehen.

Abstriche muss man allerdings nicht nur im Hinblick
auf die Transparenz machen, sondern auch im Hinblick
auf die Aussagekraft, und zwar allein schon deshalb,
weil grundsätzlich vom Geldwert ausgegangen wird.
Das bedeutet zum Beispiel, dass preiswert oder kosten-
los abgegebene Überschusswaffen der Bundeswehr nur
dann, wenn sie als schwere Waffen dem VN-Waffen-
register gemeldet worden sind, berücksichtigt werden
können.

Sie sind eben auf die Erfassung der Kleinwaffen ein-
gegangen. Hier gibt es natürlich einen kleinen Fortschritt
dadurch, dass dieses Kapitel überhaupt erwähnt wird.
Aber auch hier wird nur mit dem Wert argumentiert;
Stückzahlen sucht man dort vergeblich. Wenn man sich
die praktische Problematik des Missbrauchs von Klein-
waffen ansieht, dann erkennt man, dass das auf eine echte
Lücke im Rüstungsexportbericht hinzudeuten scheint. Ich
will das gar nicht kritisch anmerken, sondern ich will nur
feststellen, dass das ein praktisches Problem ist, das man
durch ideologische Erklärungen nicht einfach aus der
Welt schaffen kann.

Was hat nun die Bundesregierung beim Thema Rüs-
tungsexporte bislang getan? Zunächst einmal ist festzu-
halten, dass es unter dieser Bundesregierung eigentlich
gar keine Rüstungsexporte geben dürfte. Da hat mittler-
weile die pragmatische Seite die Oberhand gewonnen.
Das ist auch gut und beruhigend. Aber Faktum ist, dass

noch im Grundsatzprogramm der SPD, in der Variante
vom 17. April 1998, also von vor der Bundestagswahl,
steht:

Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und
Rüstungsgütern zu verhindern.

(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Genau so ist es! Das ist wörtlich zitiert!)

In dem Programm der Grünen zur Bundestagswahl

1998 steht:
Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, der
USA und Kanadas unterbinden und ihre Subventio-
nierung beenden.

Das sind die Maßstäbe, an denen Sie sich messen las-
sen müssen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS – Ulrich Heinrich [FDP]: Gelogen haben sie!)


Dass wir diese Maßstäbe nicht teilen, ändert nichts an der
Notwendigkeit, Sie daran zu messen. An diesem Maßstab
gemessen ist die Bundesregierung bei der Rüstungs-
exportpolitik gescheitert.


(Beifall bei der FDP)

Die Ausfuhren deutscher Kriegswaffen stiegen im

Jahr 1999 um fast 120 Prozent. Selbstverständlich weiß
ich, dass das auch Abwicklungen beinhaltet. Aber dass
man diesen erheblich gestiegenen Wert als Referenzmaß-
stab für die angebliche Absenkung im Jahr 2000 heran-
zieht, ist einigermaßen dreist, das ist Chuzpe.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es ist doch bei der Praxis der Rüstungsexportberichte

ganz pragmatisch davon auszugehen, dass durch Schwan-
kungen bei einzelnen Projekten von Jahr zu Jahr riesige
Gesamtschwankungen in der Rüstungsexportsumme zu-
stande kommen. Da brauchen nur zwei U-Boote von ei-
nem Jahr aufs andere umgebucht zu werden und schon hat
man eine völlig andere Aussage. Das ist hier der Fall. Des-
wegen kommt es darauf an, die Rüstungsexportzahlen
über die mittlere Frist zu bewerten. Wenn man das tut und
die Trends sieht, dann sieht die Bundesregierung bei wei-
tem nicht so gut aus. Bei Vorlage des Rüstungsexport-
berichts 2001 wird sie erst recht nicht besonders gut aus-
sehen, weil dann nämlich eine erhebliche Steigerung
enthalten sein wird.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sehen hervorragend aus!)


Herr Fritz, in der Tat steht die Bundesrepublik
Deutschland in der SIPRI-Studie bei den Rüstungsexpor-
ten an fünfter Stelle. Was mich aber beunruhigt, ist die
Tatsache, dass sich diese Zahl auf den Referenzzeitraum
1996 bis 2000 bezieht. Die relativ niedrige Platzierung auf
Platz fünf ist darauf zurückzuführen, dass es in den Jah-
ren 1996/1997 relativ wenig Rüstungsexporte gab. Aber
zum Schluss, in den Jahren 1999/2000, ist erheblich zu-
gelegt worden. Wenn Sie die Zahlen für 2000 nehmen,




Dr. Werner Hoyer

21751


(C)



(D)



(A)



(B)


dann sehen Sie, dass die Bundesrepublik Deutschland in
der Rüstungsexportstatistik schon auf Platz drei liegt. Da
muss man einfach der Wahrheit die Ehre geben.

Eine in sich stringente Position der Bundesregierung
zum Thema Rüstungsexporte sehe ich nicht. Das ist auch
viel schwieriger, als es sich Ideologen von Rot und Grün
vorgestellt haben. Insbesondere wird es dann immer
wieder zum Schwur kommen, wenn ganz pragmatische
Entscheidungen zum Beispiel des Bundesministers der
Verteidigung mit Grundsatzaussagen zur Rüstungsexport-
politik der Regierungskoalition, wie ich sie eben vorge-
tragen habe, kollidieren. Es erscheint zum Beispiel abso-
lut unsinnig, wenn der Bundesminister der Verteidigung
überschüssiges Rüstungsmaterial über die deutschen Bot-
schaften an befreundete Nationen veräußern will und das
vom Außenminister verhindert wird.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch sinnvoll!)


Das ist reine Rüstungsexportkosmetik und schadet den
Interessen unseres Landes.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421906900
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1421907000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab der Bun-
desregierung und auch Ihnen gratulieren, dass wir diese
Debatte heute nicht, wie im vergangenen Jahr, um Mitter-
nacht führen


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

und vor allem die Grünen ihre Reden nicht zu Protokoll
gegeben haben.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: So leicht sind Sie zufrieden zu stellen!)


Es ist ja schon toll, dass Frau Beer hier heute gesprochen
hat. Außerdem gratuliere ich der Bundesregierung für die
erfolgreiche Verteidigung des fünften bis dritten Platzes.
Immerhin liegen wir bei den Rüstungsexporten noch mit
weitem Abstand vor China.

Ich will jetzt gar nicht so weit zurückgehen und auf das
zurückgreifen, was vor der Wahl gesagt wurde. 1999 hat
Herr Fischer gesagt, wer Rüstungsgüter verbrauche, müs-
se diese auch produzieren und exportieren. Das ist von
dieser Regierung doch hervorragend umgesetzt worden.

Ein Erfolg ist das natürlich nur aus Sicht derjenigen,
die an diesem mörderischen Geschäft ordentlich verdie-
nen, und derjenigen, die Krieg und Kriegsführungsmög-
lichkeiten als legitimes Mittel der Politik betrachten. Sie
werden uns sicherlich verzeihen, wenn die PDS in diesen
Lobgesang nicht einstimmt.


(Beifall bei der PDS – Erich G. Fritz [CDU/ CSU]: Halten Sie eine alte Rede von Frau Beer?)


Dabei befinden wir uns in sehr guter Gesellschaft mit all
denen, die sich kritisch mit der Problematik der Waffen-
ausfuhren beschäftigen, mit der gemeinsamen Kommis-
sion der beiden Kirchen, mit Amnesty International, mit
der Deutschen Friedensgesellschaft, mit dem Berliner
Institut für Transatlantische Sicherheit, mit dem BICC in
Bonn und vielen anderen.

Transparenz und die Verbesserung parlamentarischer
Mitbefassung, also Mitberatung vor wichtigen Entschei-
dungen, sind das eine. Wir haben Ihnen dazu einen ent-
sprechenden Antrag unterbreitet. Viel wichtiger aber ist
die weitere Einschränkung bis hin zur endgültigen Ein-
stellung aller Rüstungsexporte.


(Beifall bei der PDS)

In Ihren Sonntags- und Parteitagsreden erklären Sie,

den zivilen Anteil in der Konfliktlösung stärken zu wol-
len. In der Praxis zeichnen Sie aber dafür verantwortlich,
dass die in Ihren Richtlinien festgelegten Kriterien wie
zum Beispiel die Achtung von Menschenrechten und die
Vermeidung von Waffenlieferungen in Krisengebiete
kaum eine Rolle spielen. Das ist schlichtweg ein Skandal.

Als Beispiel – dies steht im Widerspruch zu dem Au-
genmaß, das Herr Mosdorf angesprochen hat – nenne ich
höchst problematische Lieferungen in Staaten, in denen
Krisen oder Konflikte herrschen: Herstellungsausrüstung
für Munition nach Usbekistan und Nepal und Panzerab-
wehrwaffen nach Indien, U-Boot-Teile, Fregatten und
Hubschrauber, maritime Kriegsmittel – darunter U-Boote –
für Südafrika und Malaysia, Kampfhubschrauber nach
Südkorea, wenn auch ohne Bewaffnung, wie Sie – ich
muss sagen: lächerlicherweise – in Ihrem Bericht hervor-
heben.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das stimmt doch!)


Nicht zu vergessen sind die Lieferungen an Indonesien, in
die Türkei und, wie schon genannt, an Israel: 346 Milli-
onen für Panzerteile, Panzerfahrzeuge, Torpedos und an-
deres. Wie diese eingesetzt werden, können wir uns stünd-
lich in den Nachrichten ansehen. Waffen für Israel sind
kein legitimes Mittel zur Konfliktlösung im Nahen
Osten.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Weiermann [SPD]: Na, na!)


Wir fordern Sie auf, die Kriterien der Spannungsver-
meidung und der Gewaltprävention endlich ernst zu neh-
men. Gerade mit Blick auf die Gewalteskalation im Na-
hen Osten und auf die akuten Völkerrechts- und
Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee in
den besetzten Palästinensergebieten füge ich hinzu: Be-
obachten Sie nicht länger, sondern stoppen Sie umgehend
alle Rüstungslieferungen in den Nahen Osten!


(Beifall bei der PDS)

Machen Sie endlich ernst damit, den Export von Klein-
waffen einzudämmen und komplett einzustellen!

Es genügt nicht, auf internationalen Konferenzen
große Reden zu halten. Wir wollen Taten sehen, was so-
wohl den Export von Kleinwaffen als auch das tödliche




Dr. Werner Hoyer
21752


(C)



(D)



(A)



(B)


Geschäft mit Landminen angeht. Sagen Sie hier und
heute, dass Sie Schluss damit machen, und steigen Sie
aus!


(Beifall bei der PDS)

Last, not least ein Satz zu der atemberaubenden Liste,

die Herr Scharping wohl in den nächsten Tagen über das
auszumusternde Wehrmaterial vorlegen wird. Er
braucht ja dringend Geld für neue Waffensysteme. Wir
fordern Sie auf: Verkaufen Sie nicht ein Stück dieses Ma-
terials, egal ob innerhalb der NATO-Staaten oder in Dritt-
länder! Verschrotten Sie den Kram!


(Beifall bei der PDS)

Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was

Sie in Ihren Programmen und in der Koalitionsvereinba-
rung festgeschrieben haben, ernst nehmen, dann stimmen
Sie bitte unserem Entschließungsantrag zu.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Weiermann [SPD]: Aber Ihr Mundwerk ist auch eine Waffe!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421907100
Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1421907200
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich einmal vom
letzten Redebeitrag absehe,


(Zuruf von der PDS: Der war gut!)

so finde ich, dass hier eine sehr ausgewogene und sehr
nachdenkliche Diskussion geführt worden ist, die der Be-
deutung des Gegenstandes in erfreulicher Weise Rech-
nung trägt. Ich will hinzufügen, dass ich es geradezu für
normal halte, wenn wir uns alle – ob in Oppositionsfrak-
tionen oder in Regierungsfraktionen – mit diesen Fragen
auseinander setzen; denn es handelt sich tatsächlich im
Einzelnen um schwierige Abwägungsfragen.

Zunächst möchte ich darauf verweisen, dass es erfreu-
lich und richtig ist – es ist zudem eine Neuerung –, dass
wir hier überhaupt über einen Rüstungsexportbericht mit-
einander debattieren. Ich will Ihnen zwar keinen Vorwurf
machen, möchte aber zumindest festhalten, dass Sie in Ih-
rer Regierungszeit diese Möglichkeit der umfassenden In-
formation des Parlaments und der Öffentlichkeit nicht
eingeräumt haben. Insofern ist das ein Fortschritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421907300
Herr Kollege Staffelt,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1421907400
Bitte schön.

(Wolfgang Weiermann [SPD]: Erich, er hat noch nicht viel sagen können!)



Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1421907500
Herr Kollege Weiermann,
ich habe nur eine Informationsfrage. Keine Aufregung!


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Aufgeregt sind wir sowieso nicht!)


Herr Kollege Staffelt, können Sie bestätigen, dass zu
der Zeit, in der Ihre Regierung die Vorlage eines Rüs-
tungsexportberichtes eingeführt hat, in allen anderen eu-
ropäischen Ländern – mit Ausnahme Dänemarks; es hat
erst jetzt nachgezogen – das Erstellen solcher Berichte
eingeführt wurde, dass dies also der Logik der Entwick-
lung der europäischen Rüstungsexportkontrollpolitik
entspricht und kein besonderes politisches Verdienst ist?


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1421907600
Herr Kollege Fritz, man
kann natürlich alles herunterreden. Sie wissen vielleicht,
dass sich die Bundesregierung im europäischen Rahmen
sehr stark für die Vorlage eines solchen Berichtes einge-
setzt hat. Sie wollte nicht nur mit einem guten Beispiel
vorangehen, sondern hat auch die anderen Partner ani-
miert, einen solchen Weg zu gehen. Das ist doch ein Ge-
winn an sich. Ich freue mich darüber, wenn alle übrigen
Staaten der Europäischen Union und möglichst weitere
Staaten einen solchen Bericht erstellen.

Sie wissen bestimmt – das fällt mir in diesem Zusam-
menhang ein –, dass auf dem Gipfel in Nizza zwischen der
EU und den Vereinigten Staaten von Amerika sehr inten-
siv darüber gesprochen worden ist, dass auch dort der Öf-
fentlichkeit Rüstungsexporte sehr viel transparenter
gemacht werden. Auch das ist ein Teilerfolg der Bundes-
regierung, die sich diesen Dingen in gesonderter Weise
verpflichtet fühlt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich an die Tatsache anknüpfen, dass heute
ein solcher Bericht vorliegt. Wir legen das deutsche Kon-
trollsystem für Rüstungsgüter in aller Offenheit dar. Wir
haben eingeführt, dass die Auswirkungen von Abrüs-
tungsvereinbarungen auf die Exportkontrolle genannt
werden. Heute wird die deutsche im multilateralen Rah-
men stattfindende Rüstungsexportkontrollpolitik auch in
der Öffentlichkeit debattiert.

Im Rahmen der politischen Grundsätze auf dem Gebiet
des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs-
gütern, die Ihnen allen bekannt sind, wird die Beachtung
der Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt. Auch das
ist in dieser prioritären Form eine Neuerung im Vergleich
zu dem, was wir aus der Vergangenheit kennen, wobei ich
nicht unterstellen will, dass vergangene Regierungen aus
ihrer politischen Sichtweise heraus nicht auch einen Ab-
wägungsprozess vorgenommen haben, der ihren politi-
schen Leitlinien folgte.

Lassen Sie mich darüber hinaus darauf hinweisen, dass
es keinen Sinn macht, eine Diskussion zu führen, wie Sie
das hier getan haben. Sie haben gesagt, wir hätten
zunächst anderes formuliert und würden jetzt das prakti-
zieren, was Sie praktiziert hätten, und deshalb sei das
falsch.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Ich habe nicht gesagt, dass das falsch ist!)





Heidi Lippmann

21753


(C)



(D)



(A)



(B)


– Doch, so ist schon seit langem Ihre Argumentation. Im
Übrigen ist es immer wieder auch die von Herrn Uldall im
Wirtschaftsausschuss gewesen. – Ich glaube, dass wir an
dieser Stelle sehr sorgsam vorgehen müssen. Wir haben
eine neue Plattform und wir haben Richtlinien, die jeder
überprüfen kann. Dass sich das Ganze im Bereich von In-
terpretation und Einzelentscheidungen abspielt, das wis-
sen wir alle sehr genau.

Die Realitäten sind eindeutig: Es geht um das Thema
Menschenrechte und um das Thema Konfliktvermei-
dung. Ich muss zurückweisen, dass sich die Bundesregie-
rung nicht ernsthaft mit der Befriedung wichtiger Teile
dieser Welt auseinander setzen würde. Bundesminister
Fischer und die gesamte Bundesregierung haben sich,
gerade was den Konflikt im Nahen Osten betrifft, poli-
tisch sehr nachhaltig und mehr als andere engagiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Wir haben gegenüber Israel Verpflich-
tungen; das ist das eine. Das andere ist – das hat Staatsse-
kretär Mosdorf sehr deutlich festgestellt –: Wir beobach-
ten die Situation und natürlich wird es Teil der
Regierungsüberlegungen sein, nicht dazu beizutragen,
dass Waffen oder ähnliches Gerät, das in diesem Konflikt
eine Rolle spielen könnte, in diese Region geliefert wer-
den. Das liegt doch auf der Hand und dazu steht jeder.

Es ist richtig, was in Bezug auf die im vorliegenden Be-
richt genannten Zahlen gesagt worden ist: Jeder Bericht
wird natürlich nur einen Ausschnitt der Anträge, Geneh-
migungen und – um es wirtschaftlich auszudrücken – der
Umsatzzahlen darstellen können, die es in dem betreffen-
den Zeitraum gegeben hat. Dennoch muss ich sagen, dass
es meiner Ansicht nach nicht so sehr auf die Quantität,
sondern mehr auf die Qualität ankommt. Wir können kon-
statieren – das ist in dem Zusammenhang außerordentlich
wichtig –, dass bei den Einzelexportgenehmigungen für
Exporte in Länder, die nicht der NATO angehören,
NATO-Ländern auch nicht gleichgestellt sind, ein Minus
von 24 Prozent festzustellen ist. Das ist doch eine Ent-
wicklung, die wir begrüßen.


(Beifall bei der SPD)

Wenn es in der Zukunft andere Entscheidungen in dem

Bereich gibt, wenn es zum Beispiel die Entscheidung für
die Lieferung von Schiffen nach Südafrika gibt – das ist
hier angesprochen worden und ist auch im Antrag der
PDS nachzulesen –, dann fallen diese im Rahmen eines
Überlegungs- und Entscheidungsprozesses, den man
nicht ohne weiteres verweigern kann; wenn das vernünf-
tig gehandhabt wird, ist das auch zu rechtfertigen. Wir ha-
ben in Deutschland nun einmal eine hoch technisierte In-
dustrie, die in Kooperation mit der in anderen
europäischen Ländern einen wichtigen Beitrag zu unserer
Volkswirtschaft leistet. An dieser Stelle möchte ich auf
eine Zahl hinweisen – sie ist ganz interessant –, damit wir
uns auch einmal darüber im Klaren werden, welche Di-
mensionen das Ganze eigentlich hat: Im Jahr 2000 betrug
bei uns der Anteil der Rüstungsexporte an den Gesamt-
exporten 0,11 Prozent.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421907700
Herr Kollege Staffelt,
gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin
Lippmann?


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1421907800
Ja, bitte.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1421907900
Herr Kollege Staffelt, Sie
sprachen gerade die U-Boot-Lieferung nach Südafrika
an. Ich war seinerzeit mit Mitgliedern des Verteidigungs-
ausschusses dort. Wir haben Gespräche mit dem Fregat-
ten- und dem U-Boot-Konsortium der deutschen Unter-
nehmen, die vor Ort waren, geführt. Ihnen ist genauestens
bekannt, denke ich, dass wegen Korruptionsvorwürfen
mittlerweile staatsanwaltlich und gerichtlich ermittelt
wird und dass Mitarbeiter auch aus deutschen Unterneh-
men entlassen wurden, weil Korruptionsvorwürfe beste-
hen.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Fragen!)

Es gibt die Forderung nach einem Moratorium der Lie-

ferungen. Stimmen Sie dieser Forderung nach einem Mo-
ratorium zu?


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1421908000
Das kann ich nicht beur-
teilen und das werde ich hier auch nicht beantworten. Ich
kann Ihnen zu diesem Thema nur eines sagen: Wie bei
vielen geschäftlichen Aktivitäten wird es auch in dem Be-
reich immer das Risiko geben, dass sich Unternehmen
oder einzelne Personen nicht an die Spielregeln halten.
Ich habe das hier nicht zu erörtern. Ich habe hier die Rüs-
tungsexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland und
nicht das Verhalten einzelner Unternehmen bei der Ak-
quisition von Aufträgen zu erörtern.

Wenn es solche Vorkommnisse gibt, dann werden sie
aufgeklärt – offenbar ist das ja auch hier der Fall – und
dann wird man derartige Schäden zu reparieren haben.
Das liegt auf der Hand. Das ist ganz normal. Wenn ich
Ihren Vorstellungen folgte, dann müsste ich sozusagen
ganze Branchen auslöschen, nur weil in diesen Branchen
der eine oder andere Versuch unternommen wird, unlau-
ter an Aufträge heranzukommen. Das wäre kein vernünf-
tiges Verfahren.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ab-
schluss noch einmal darauf verweisen, dass unser
Bemühen darauf gerichtet ist, die Grundwerte, denen sich
diese Regierung verpflichtet fühlt, in die Praxis umzuset-
zen und dafür Sorge zu tragen, dass diese Grundsätze, so-
weit es irgend möglich ist, mit den Realitäten dieser Welt
in Übereinstimmung gebracht werden. Wir sind gut bera-
ten, glaube ich, gemeinsam mit unseren Partnern in Eu-
ropa und in der NATO eine Politik der Transparenz, aber
eben auch eine Politik zu betreiben, die Rüstungsexporte
da, wo sie verantwortbar sind, nicht unmöglich macht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421908100
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Herr Kollege Ruprecht Polenz für
die Fraktion der CDU/CSU.




Dr. Ditmar Staffelt
21754


(C)



(D)



(A)



(B)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1421908200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Als Frau Beer vorhin zum
Rednerpult ging, habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre,
wenn sie eine ihrer Reden von 1995 oder 1996 zum glei-
chen Thema halten würde.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das hat Frau Lippmann übernommen! – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gerade von der PDS gehört!)


– Das hat Frau Lippmann übernommen. Insofern bin ich
doch noch auf meine Kosten gekommen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Das war meine eigene Rede!)


– Aber die Argumente waren ziemlich gleich.
SPD und Grüne wollen den Eindruck erwecken – auch

Frau Beer hat das heute wieder versucht –, als gäbe es seit
1998 eine grundsätzlich andere Rüstungsexportpolitik.
Den Eindruck müssen Sie erwecken, weil Sie die Vorgän-
gerregierung kritisiert haben – das sind die Debatten von
damals gewesen –, sie habe Waffen „auf Teufel komm
raus“ und gleichsam „ohne Rücksicht auf Verluste“ ex-
portiert. Wenn man dies in den alten Debatten nachliest,
dann findet man die Zitate von dem Tod, der ein Meister
aus Deutschland sei, und Ihre Vorwürfe von damals, in de-
nen man auch illegale Exporte der alten Bundesregierung
zur Last gelegt hat.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen gab es Rücktritte!)


Was hatten Sie den Wählern 1998 versprochen, Frau
Beer? In Ihrem Programm heißt es wörtlich:

Wir wollen Rüstungsexporte außerhalb der EU, der
USA und Kanadas unterbinden und ihre Subventio-
nierung beenden.

Die SPD hat in ihrem Programm geschrieben:
Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüs-
tungsgütern zu verhindern.

Gemessen an diesen Vorgaben und an Ihren eigenen Zie-
len ist die rot-grüne Rüstungsexportpolitik zweifellos ge-
scheitert. Das ist nicht meine Feststellung, sondern das
wörtliche Ergebnis einer ausführlichen Bewertung von
Sibylle Bauer vom Institut für Europäische Studien, FU
Brüssel, die kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“ aus-
führlich nachzulesen war.

Frau Beer, Sie haben die Fachgruppe Rüstungsexporte
der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung zi-
tiert. Sie stellt in ihrem Rüstungsexportbericht 2001 fest:

Der deutsche Export an Kriegswaffen und Rüstungs-
gütern ist seit 1998 nicht zurückgegangen, sondern
hat inzwischen wieder das Niveau der frühen 90er-
Jahre erreicht.

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bericht ist sehr viel qualifizierter als Ihre Rede hier!)


Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung ver-
sucht, dieses Ergebnis zu kaschieren. Gleich zu Anfang
wird hervorgehoben, Herr Staatssekretär, 2000 seien
53 Prozent weniger Kriegswaffen als im Vorjahr expor-
tiert worden. „Donnerwetter“! kann ich dazu nur sagen.
Darüber wird sich die grüne Basis freuen. Ich habe einmal
den Vorjahresbericht nachgelesen. Dort wurde herausge-
stellt: Etwa ein Drittel der Kriegswaffenexporte gehen auf
die Lieferung von zwei U-Booten nach Israel zurück. Die
Lieferung stand damals im Zusammenhang mit Zusagen
aus dem Golfkrieg.

Es ist schon ein merkwürdiger Umgang mit Statistik,
dass man die aus diesem Grund hohen Zahlen vom Vor-
jahr als Vergleichsgröße anführt, um daraus eine drasti-
sche Verringerung des Exports von Kriegswaffen zu
folgern.


(Heidi Lippmann [PDS]: Sie müssen dann minus zwei U-Boote rechnen!)


Es stehen jetzt Vertragsabschlüsse in Bezug auf die Liefe-
rung von U-Booten nach Südkorea und von U-Booten und
Fregatten nach Südafrika ins Haus, die in der Exportsta-
tistik noch nicht erfasst sind. Im kommenden Jahr ist des-
halb mit einem Anstieg von Kriegswaffenexporten in
Drittländer zu rechnen. Wie ich Sie kenne, werden Sie uns
das dann in die Schuhe schieben, wenn Sie nach dem
22. September den künftigen Rüstungsexportbericht als
Opposition kritisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Wovon träumen Sie nachts?)


Wie sieht die Wirklichkeit aus? Deutschland hat auch
unter der CDU-geführten Bundesregierung eine restrik-
tive Rüstungsexportpolitik betrieben. Das wird auch eine
künftige CDU-geführte Bundesregierung tun. Der heutige
gültige Verhaltenskodex der Europäischen Union zur
Waffenausfuhr, der zu Recht als großer Fortschritt auch
in dem Bericht gelobt wird, stammt vom 8. Juni 1998. Die
CDU-geführte Bundesregierung hat diesen Kodex maß-
geblich mit herbeigeführt, um die eigene restriktive Pra-
xis auch auf europäischer Ebene durchzusetzen. Insbe-
sondere Außenminister Kinkel und auch Sie, Herr Hoyer,
als Staatsminister hatten daran großen Anteil.

Zu der Entwicklung der deutschen Rüstungsexporte in
den zurückliegenden Jahren hat die Stiftung Wissenschaft
und Politik die vier wesentlichen internationalen Statisti-
ken ausgewertet und kommt dabei zu folgendem Ergebnis
– ich zitiere –:

Im internationalen Rüstungshandel der 90er-Jahre ...
spielen Deutschland und die deutsche Industrie nur
eine marginale Rolle, wenn man einmal vom Mari-
neschiffbau absieht. Anders als die öffentliche Dis-
kussion oft nahe legt, gilt dies insbesondere für den
Export konventioneller Waffen in Entwicklungslän-
der ...
Die Statistiken machen daher auch deutlich, dass
– mit Ausnahme des Marineschiffbaus – die deutsche
Rüstungsindustrie im internationalen Rüstungshan-
del kaum von Bedeutung ist.






(C)



(D)



(A)



(B)


Zum gleichen Ergebnis kommt auch die Fachgruppe
Rüstungsexporte der Konferenz „Kirche und Entwick-
lung“:

Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg eine ver-
gleichsweise zurückhaltende Rüstungsexportpolitik
verfolgt ...

Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben,
meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,
dass Sie diese Politik nicht geändert haben. Sie sollten
dann aber auch nicht so tun, als hätten Sie sie geändert.

Im letzten Jahr gab es ein großes Spektakel um den
Testpanzer „Leopard“ für die Türkei. Sie haben


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erfolgreich verhindert, dass der Panzer geliefert wird!)


immer wieder – auch in dramatischer Weise und öffent-
lich – die Rüstungshilfe für diesen NATO-Partner infrage
gestellt. An diesem Punkt zeigt sich die Widersprüchlich-
keit rot-grüner Politik.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)

Die Türkei wird jetzt Führungsnation bei den Friedens-
truppen in Afghanistan, weil die Bundeswehr nicht so
ausgestattet ist, dass sie diese Aufgabe übernehmen
könnte, obwohl dies zweifellos im Interesse der afghani-
schen Regierung gewesen wäre. Jetzt, meine Damen und
Herren, hängt auch die Sicherheit der deutschen Soldaten
in Afghanistan unter anderem davon ab, wie gut türkische
Soldaten für ihre Aufgabe dort ausgerüstet sind.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das ist aber wirklich sehr weit hergeholt!)


Ich bin gespannt, wie lange Rot-Grün diesen Spagat noch
vorführen will: gute Ausrüstung der türkischen Soldaten,
aber am liebsten keine Waffenlieferungen an die Türkei.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt noch einen zweiten Schwachpunkt in Ihrer

Politik:

(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Wenn das alles ist, dann geht es ja! Das werden wir uns merken! Wir haben nur zwei Schwachpunkte!)


die Auswirkungen der dramatischen Unterfinanzierung
der Bundeswehr auf die Rüstungsexporte. Weil der Ver-
teidigungshaushalt nicht ordentlich finanziert ist, soll
Scharping die nicht mehr benötigten Waffen verkaufen.
Den Erlös kann er dann behalten.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch in Ordnung!)


Ein 46-seitiger Katalog von Überschusswaffen – er ist
heute schon mehrfach angesprochen worden – wurde vom
Verteidigungsministerium an 53 Verteidigungsattachés in
deutschen Botschaften geschickt, damit diese Bestellun-
gen hereinholen. Aber nach Intervention des Auswärtigen
Amtes darf er nun nicht an alle vorgesehenen Adressaten
verteilt werden.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns im Deut-
schen Bundestag in Zukunft stärker mit den Fragen be-
schäftigen, die sich im Zusammenhang mit Rüstung aus
der Internationalisierung und europäischen Kooperation
ergeben. In diese Aufgabe müssen wir auch das Europä-
ische Parlament einbeziehen.

Ich komme zusammenfassend zum Schluss: Niemand
in diesem Haus sieht Waffen als einen Exportartikel wie
jeden anderen an.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das haben wir auch niemandem unterstellt!)


Niemand will die restriktive Rüstungspolitik aller Bun-
desregierungen ändern. Wir stehen gemeinsam vor der
Aufgabe, dieses Ziel auch bei zunehmender Internationa-
lisierung der Rüstungsproduktion zu erreichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421908300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7657 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsan-
trag auf Drucksache 14/8275 soll an dieselben Ausschüsse
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a) und b) auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsan-
passungsgesetzes
– Drucksachen 14/6884, 14/7169 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Evelyn Kenzler, Roland Claus,
Sabine Jünger, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurts eines ... Geset-
zes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungs-
gesetzes (SchuldRAnpÄndG)

– Drucksache 14/65 –

(Erste Beratung 11. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8299 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Andrea Voßhoff
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler




Ruprecht Polenz
21756


(C)



(D)



(A)



(B)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn

Kenzler, Dr. Ruth Fuchs, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Änderung des Schuldrechtsanpassungs-
gesetzes

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn
Kenzler, Roland Claus, Sabine Jünger, Dr.
Gregor Gysi und der Faktion der PDS
Änderung der Nutzungsentgeltverordnung

(NutzEV)


– Drucksachen 14/6918, 14/63, 14/8299 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Andrea Voßhoff
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den wir
später namentlich abstimmen werden, liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Par-
lamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1421908400
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf ändert das
Schuldrechtsanpassungsgesetz. Daher befassen wir uns
erneut mit dem Recht der Überleitung von Eigentums-
und Nutzungsrechten an Immobilien in den neuen Bun-
desländern. Damit sind wir in dem Bereich, den jede und
jeder von uns kennt: im Bereich des so genannten Dat-
schenrechts. Dabei handelt es sich um eine besonders sen-
sible Materie.

Es geht nämlich um widerstreitende Interessen von
Grundstückseigentümern auf der einen Seite und von ver-
traglichen Grundstücksnutzern auf der anderen Seite. Es
geht um einen gerechten Ausgleich dieser Interessen.
Diese Diskussionen werden in der Öffentlichkeit, wie wir
alle wissen, zum Teil sehr emotional geführt. Denn jede
Seite fühlt sich schnell übervorteilt.

Ich denke, es ist umso erfreulicher, dass es uns gelun-
gen ist, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen sach-
gerechten und, wie ich meine, akzeptablen Kompromiss
zu finden. Dazu haben in einer besonders intensiven Weise
die Überlegungen und Ergebnisse einer von der Bundes-
ministerin der Justiz und der Konferenz der Justizministe-
rinnen und Justizminister der neuen Bundesländer einge-
setzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe beigetragen, die die
Grundlagen für den Gesetzentwurf geschaffen haben.

Sie alle wissen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf ei-
nen Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsge-

richts erledigen. Das Bundesverfassungsgericht ver-
langt in seinem Beschluss vom 14. Juli 1999 „Regelungen
zur angemessenen Beteiligung des Nutzers an den öffent-
lichen Lasten des Grundstücks und zur Gewährung eines
Teilflächenkündigungsrechts für Eigentümer großer
Grundstücke“. Es hat uns somit – mit anderen Worten –
aufgefordert, die sich aus dem Schuldrechtsanpassungs-
gesetz ergebenden Rechte der Grundstückseigentümer zu
stärken. Dieser Auftrag des Gerichts ist unsere Grundlage.
Deswegen war es auch von Anfang an klar, dass die Poli-
tik bezüglich der Nutzerseite nur einen äußerst be-
schränkten Gestaltungsraum haben wird, weil wir hier
verfassungsrechtlich eingeschränkt sind. Wenn man sich
kritisch mit den Problemen befasst, dann weiß man auch,
dass die Erledigung dieses Auftrages nicht einfach gewe-
sen ist.

Ich möchte einige Punkte aus dem Interessenausgleich
zwischen Nutzern und Grundstückseigentümern im Ein-
zelnen darstellen. Erstens. Der Gesetzentwurf enthält zur
Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten einen
Vorschlag, der sachgerecht die Belange beider Seiten
berücksichtigt. Die wiederkehrenden Leistungen soll der
Nutzer tragen, weil er den Vorteil der diesen Beiträgen zu-
grunde liegenden Leistungen während der Nutzungszeit
ja auch alleine genießt. Die einmalig erhobenen Beiträge
sollen sich Eigentümer und Nutzer grundsätzlich teilen,
wobei wir hier zugunsten der Nutzer einen Zeitraum von
zehn Jahren vorsehen, in dem dies – solange das Ver-
tragsverhältnis auch tatsächlich besteht – durch Teilbe-
träge erledigt werden kann.

Zweitens. Der Vorschlag des Entwurfs zum Teilkündi-
gungsrecht der Eigentümer verlangt, dass das Grund-
stück mindestens 1000 Quadratmeter groß sein muss und
dass dem Nutzer nach Ausübung des Kündigungsrechts
mindestens 400 Quadratmeter zur eigenen Nutzung ver-
bleiben müssen. Außerdem darf der Grundstückseigen-
tümer die Teilkündigung nur vornehmen, wenn der Nut-
zer „die bisherige Nutzung ohne unzumutbare Einbußen
fortsetzen kann“. Auch dies hat das Bundesverfassungs-
gericht vorgegeben.

Wir sind über den Auftrag des Bundesverfassungsge-
richts hinausgegangen. Wir haben nämlich gesagt: Auch
für die Nutzerseite ist es angemessen, ihr ein Teilkündi-
gungsrecht bei besonders großen Grundstücken einzuräu-
men. Wir haben also mehr getan, als uns das Bundesver-
fassungsgericht vorgegeben hat.

Drittens. Der Regierungsentwurf enthält den Vorschlag
klarstellender Änderungen der Nutzungsentgeltverord-
nung. Hier werden die Vergleichbarkeitskriterien zur Er-
mittlung des ortsüblichen Nutzungsentgelts deutlicher ge-
fasst. Sie wissen, dass dieser Vorschlag jetzt auf die
entsprechenden Vorschläge der Nutzerverbände selber
zurückgeht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser An-
trag ist in den Ausschüssen ausgesprochen gründlich be-
raten worden. Ich darf mich an dieser Stelle für die kon-
struktive Zusammenarbeit auch der Kolleginnen und
Kollegen der Oppositionsparteien ausdrücklich bedan-
ken. Ich denke, dass auch die Anhörung, die wir im No-
vember letzten Jahres durchgeführt haben, zum Ausdruck




Vizepräsidentin Petra Bläss

21757


(C)



(D)



(A)



(B)


gebracht hat, dass es als Alternative eigentlich keine sinn-
volle und verfassungsrechtlich tragfähige Regelung gibt.
Es sind keine entsprechenden anderweitigen Vorschläge
gemacht worden. Im Gegenteil: Wenn Sie sich an die Aus-
sagen der Gutachter erinnern, müssen Sie zugeben, dass
sie im Wesentlichen die Vorschläge der Bundesregierung
bestätigt haben. Das gilt auch für die Vertreter der Bun-
desländer.

Ich kann verstehen, dass sich die Nutzer auf der einen
Seite und die Eigentümer auf der anderen Seite mehr er-
wartet haben. Ich denke, dass wir gut daran tun, darauf
hinzuweisen, dass es wichtig ist, in diesem hochsensiblen
Bereich endlich zu Rechtssicherheit zu gelangen. Ich
finde, man sollte, auch wenn es schwer fällt, der Versu-
chung, populistisch zu arbeiten, etwas widerstehen. Denn
nichts wäre schädlicher, als erneut Erwartungen zu
wecken, die der Gesetzgeber hinterher nicht erfüllen
kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421908500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Andrea Voßhoff.

Andrea Voßhoff (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Aufmerksamkeit vieler Grundstückseigen-
tümer und Nutzer von Freizeit- und Erholungsgrund-
stücken in den neuen Bundesländern ist uns bei der Bera-
tung dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung heute
gewiss.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung soll eine Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts aus dem Jahr 1999 zum Schuldrechtsanpas-
sungsgesetz umgesetzt werden. Wir alle wissen, wie
emotional und kontrovers diese Entscheidung zwischen
den betroffenen Grundstückseigentümern und Nutzern
bisher diskutiert wurde. Die rechtliche Anpassung der
Nutzungsverhältnisse von Freizeitgrundstücken gehörte
von Anfang an zu den schwierigen Kapiteln des Eini-
gungsvertrages. Grundstückseigentümer und Grund-
stücksnutzer kämpfen daher seit Jahren für ihre Interes-
sen, dabei begleitet ein Spannungsbogen aus Emotionen
und Verunsicherungen diesen Angleichungsprozess. Wir
alle wissen ob der vielen Petitionen, Schreiben und Ver-
anstaltungen vor Ort, die die bestehenden Regelungen seit
Jahren und dieses aktuelle Gesetzgebungsverfahren be-
gleiten und daher den Rechtsfrieden anscheinend nur
schwer einkehren lassen.

Die emotionale Betroffenheit der Nutzer ist sicher
verständlich. Wer seit Jahren ein Grundstück nutzt, es mit
einer eigenen Datsche unter den damaligen Bedingungen
der DDR bebaut hat, es hegt und pflegt, auch wenn es ihm
auf dem Papier nicht gehört, der entwickelt ein sehr per-
sönliches Verhältnis zu dem Grundstück und kämpft für
sein Vertrauen in den Fortbestand dieser Verhältnisse.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wer vor dem Grundstück steht und von der Nutzung
langfristig ausgeschlossen ist, obwohl es sein Eigentum
ist, von dem er vielleicht sogar vertrieben wurde und er es
bis heute selbst nicht nutzen kann, vielleicht für den Rest
seines Lebens nicht, versteht die Welt nicht mehr. Das
sind Schicksale, sind Enttäuschungen, für die eine SED-
Diktatur verantwortlich ist und nicht das Schuldrechtsan-
passungsgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb, meine Damen und Herren von der PDS, ist

Ihre Rolle in diesem Gesetzgebungsverfahren auch be-
sonders verwerflich. Statt aus dieser Verantwortung zu
lernen, ist Ihre einseitige Interessenvertretung zugunsten
der Nutzer nichts anderes als eine Instrumentalisierung zu
Ihrer eigenen politischen Profilierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollen den Rechtsfrieden nicht einkehren lassen. Ihre
Änderungsanträge stellen dies auch heute wieder unter
Beweis und ignorieren zudem die Vorgaben des Bundes-
verfassungsgerichts in eklatanter Weise. Dies ist auch in
der Anhörung deutlich geworden. Dass das Eigentum zu
den elementaren Grundrechten gehört, sollten Sie nicht
immer beharrlich ignorieren bzw. einseitig interpretieren.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen,
Sie müssen sich in Ihr rechtspolitisches Stammbuch schrei-
ben lassen, dass Sie diesen Interessenausgleich in der Ver-
gangenheit mit Ihren einseitigen Forderungen zugunsten
der Nutzer und zulasten der Grundstückseigentümer erheb-
lich strapaziert haben. Das Bundesverfassungsgericht hat
Sie ja nunmehr auch auf den Boden der verfassungsrecht-
lichen Realität zurückgeholt und Ihren rechtspolitischen
Waghalsigkeiten aus der vergangenen Legislaturperiode
ein Ende gesetzt. Sie haben mit Ihren Initiativen und For-
derungen in der Vergangenheit auch in dieser Frage wie-
der einmal alles versprochen und konnten es, wie dieser
Entwurf belegt, nicht halten. Auch das gehört zu Ihrer Re-
gierungsbilanz, meine Damen und Herren von Rot-Grün.

Das fing mit Ihren Versprechungen zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit zu Beginn Ihrer Regierungszeit an
und hört bei Ihren in der Vergangenheit gemachten Ver-
sprechungen gegenüber den Grundstücksnutzern auf.
Aber das ist Ihre Bilanz, die der Wähler im September
dieses Jahres quittieren wird.

Übrigens muss ich mich wundern, dass die Justizminis-
terin, Frau Däubler Gmelin – sie ist anwesend –, auch
heute zu diesem Thema wieder nicht spricht. Es wäre
schon geboten gewesen, dass gerade die Justizministerin
den Nutzern, denen sie offenbar noch 1997 auf einem
Kongress Hoffnungen gemacht hat, die schon damals
mehr als bedenklich waren, wenigstens heute in der ab-
schließenden Lesung erklärt, warum der heutige Gesetz-
entwurf ihren Forderungen von damals nun wirklich dia-
metral entgegensteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun hat aber das Bundesverfassungsgericht mit seiner

Entscheidung 1999 das genaue Gegenteil von dem ver-
langt, was Sie immer gefordert haben. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat zwingende Änderungen zugunsten der




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
21758


(C)



(D)



(A)



(B)


Grundstückseigentümer gefordert. So hat es festge-
stellt, dass Regelungsbereiche des Schuldrechtsanpas-
sungsgesetzes die wirtschaftliche Verwertbarkeit des
Grundstücks für den Eigentümer in verfassungswidriger
Weise einschränken, und entsprechende Änderungen ge-
fordert, die heute zur Diskussion und zur abschließenden
Beratung anstehen.

Dass Sie, meine Damen und Herren von der Regie-
rungskoalition, sich mit der Umsetzung der Entscheidung
schwer getan haben, kann ich verstehen. Wenn Sie die
Rede der Justizministerin auf dem Nutzerkongress 1997
und die vielen Schreiben der betroffenen Nutzer, die dies
nun von Ihnen einfordern, neben diesen Gesetzentwurf le-
gen und an Ihre parlamentarischen Initiativen aus der ver-
gangenen Legislaturperiode denken, dann weiß ich, dass
Sie sich heute nicht sonderlich wohl in Ihrer Haut fühlen.

Um sicherzustellen, dass Sie dieses Gesetz nicht, wie
es sonst bei Ihnen üblich ist, im Geschwindschritt durch
das Parlament treiben, haben wir auch im Interesse der
Betroffenen im Zuge des parlamentarischen Beratungs-
verfahrens eine Anhörung im Rechtsausschuss einge-
fordert und durchgeführt. Ich konzediere ausdrücklich
– das habe ich auch in der Ausschusssitzung gesagt –: Der
Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung und setzt die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts über weite
Strecken richtig um. Ich stelle ebenfalls fest – Herr Staats-
sekretär Pick hat es ausgeführt –, dass der Handlungs-
spielraum für den Nutzer mehr als begrenzt ist. Auch die
Anhörung im November des vergangenen Jahres hat dies
in vielen Teilbereichen ergeben.

Die gemeinsame Arbeit der Bund-Länder-Arbeits-
gruppe, deren Ergebnis doch wohl ein wesentlicher Be-
standteil dieses Gesetzentwurfs ist, hatte über weite
Strecken das Ziel, den sozialen Interessenausgleich und
das gewachsene Vertrauen der Betroffenen zu wahren.

Wir sagen deshalb auch nicht Nein zu dem Entwurf.
Wir werden uns aber dennoch enthalten, weil wir in einem
besonders strittigen und daher nicht unwesentlichen Teil-
bereich einerseits verfassungsrechtliche Bedenken
nicht ganz ausräumen können und andererseits fehlende
repräsentative rechtstatsächliche Erkenntnisse über den
Umfang etwaiger anrechenbarer Nutzerinvestitionen eine
Zustimmung zu dieser Regelung nicht möglich gemacht
haben.

Dabei geht es um die Ausgestaltung der Stundungsre-
gelung bei der 50-Prozent-Beteiligung des Nutzers an den
rückwirkenden einmaligen öffentlichen Lasten. Es blei-
ben eben Zweifel, ob die Vorgabe des Bundesverfas-
sungsgerichts nach einer angemessenen Beteiligung des
Nutzers an den öffentlichen Lasten mit der Ausgestaltung
der langjährigen Stundungsregelung in dem Gesetzent-
wurf umgesetzt wurde.

Auch fehlt uns im rechtstatsächlichen Bereich ein re-
präsentativer Überblick darüber, ob und in welchem Um-
fang die faktischen Investitionen des Nutzers in Er-
schließungsmaßnahmen in der Vergangenheit dem im
Gesetzentwurf verfolgten Ansatz einer hälftigen Kosten-
teilung für die rückwirkend angefallenen einmaligen öf-
fentlichen Lasten entgegenstehen.

Einzelne Berechnungen, die auch in der Anhörung ge-
nannt wurden, die aber zum Teil auch Investitionen dar-
stellen, die lediglich dem Nutzer dienlich sind und des-
halb nicht berücksichtigt werden können, lassen keinen
Rückschluss auf repräsentative Aussagen und Erkenntnis
zu.

Auch hierzu, meine Damen und Herren, kann ich nur
erneut feststellen, dass die parlamentarische Beratungs-
zeit in diesem Hause wieder einmal relativ kurz war, wenn
auch nicht so kurz wie bei manch anderer Initiative.


(Hans-Christan Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Monate!)


Ich erinnere daran, dass die erste Lesung des Entwurfs im
Oktober des vergangenen Jahres stattfand, zu einer Zeit,
als die Frist des Bundesverfassungsgerichts zur Umset-
zung, nämlich der 30. Juni 2001, längst verstrichen war.

Mit Blick auf den von Ihnen immer wieder erwähnten
abschließenden Charakter dieses Gesetzes sind unsere
Bedenken in diesen Punkten eben nicht ausgeräumt.


(Zuruf von der SPD: Welche Bedenken?)

Wir lehnen wegen der übrigen Ansätze den Gesetzent-

wurf nicht ab, können ihm aber aus den genannten Grün-
den auch nicht zustimmen und werden uns deshalb ent-
halten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421908600
Jetzt spricht der Kol-
lege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Frau Voßhoff, auch wir – das hat die PDS-Fraktion
auch zu Recht festgestellt – haben in der Vergangenheit,
noch 1998, in der Frage des Ausgleichs zwischen Nutzer
und Grundstückseigentümer eine andere Auffassung ver-
treten. Wir waren immer der Meinung, dass die Nutzer
– darauf haben Sie hingewiesen –, die sich manchmal
jahrzehntelang über zwei Generationen hinweg um ein
Pachtgrundstück bzw. um ein von ihnen genutztes Grund-
stück gekümmert haben, in den schweren Zeiten der DDR
dort investiert und auch Lebenszeit investiert haben, einen
Anspruch darauf haben, auf diesem Grundstück ihren Le-
bensabend zu verbringen und dass ihre Kinder dort weiter
leben können.

Wir wollten die Lasten anders verteilen. Wir wollten
dieses Leben möglichst allen ermöglichen.

Nur, das Bundesverfassungsgericht zwingt uns mit
dem Beschluss vom 14. Juli 1999 – Frau Voßhoff, das ha-
ben Sie offenbar vergessen –, unsere Auffassung aufzu-
geben und eine andere Regelung zu finden. Das gilt für
die Justizministerin genauso wie für die Bündnisgrünen.
Viele Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern ha-
ben uns daraufhin verbittert geschrieben, dass sie sich, als
sie sich für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik
Deutschland entschieden haben, nicht hätten vorstellen




Andrea Voßhoff

21759


(C)



(D)



(A)



(B)


können, dass dieser Beitritt einmal zum Verlust ihres
Grundstückes, des Lebensmittelpunktes ihrer Familien,
führen könnte. In den Briefen wird auch darauf hingewie-
sen, dass man Pachtzinsen von 500 DM bezahlen solle,
wo früher die Pachten bei 20 DM lagen – ob die Berech-
nungen im Einzelfall richtig sind, wird sich noch heraus-
stellen; es steht aber außer Frage, dass sich die Pachten
exorbitant erhöhen werden –, diese Pachten aber nicht
zahlen könne. Wir können diesen Menschen nur sagen:
Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutsch-
land habt ihr auch das Grundgesetz mit dem Grundrecht
auf Eigentum übernommen. Den hohen Stellenwert des
Grundrechts auf Eigentum müsst ihr nun hinnehmen, und
zwar so, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt.
Dem müssen wir uns alle unterwerfen.

Was haben wir gemacht? Wenn Sie die Begründung
des Beschlusses vom 14. Juli 1999 lesen, dann werden Sie
feststellen, dass fast jede Bestimmung, die der vorlie-
gende Gesetzentwurf enthält, aus dem Beschluss des Bun-
desverfassungsgerichts abgeleitet ist. In zwei Punkten
sind wir über den Beschluss sogar noch hinausgegangen.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das
alte Schuldrechtsanpassungsgesetz, das alleine den
Grundstückseigentümern die öffentlichen Lasten ihrer
Grundstücke aufbürdet, verfassungswidrig sei. Dem müs-
sen wir nachkommen. Deshalb werden nach der jetzigen
Regelung die öffentlichen Lasten des Grundstücks zwi-
schen Nutzern und Eigentümern hälftig geteilt. Wir haben
allerdings einen Kompromiss gefunden: Die Kosten, die
jetzt auf die Nutzer zukommen, müssen nicht auf einmal,
sondern können in Raten innerhalb von zehn Jahren be-
glichen werden. Den Nutzern steht außerdem ein Sonder-
kündigungsrecht zu, das es ihnen ermöglicht, sich den fi-
nanziellen Lasten zu entziehen, allerdings nur unter
Aufgabe ihres Grundstückes. Das ist der Preis.

Frühere Gesetzgeber haben nach dem Grundsatz
„Rückgabe vor Entschädigung“ – das hätte man auch an-
ders regeln können; aber das war eine grundsätzliche Ent-
scheidung des Deutschen Bundestages – gehandelt und
haben versucht, den Nutzern dadurch entgegenzukom-
men, dass ihnen kündigungsfreie Zeiten von Jahren
und Jahrzehnten eingeräumt wurden. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat dazu festgestellt: Wenn man die Ei-
gentümer zwingt, auf die wirtschaftliche Nutzung ihrer
Grundstücke so lange zu verzichten, dann müssen auch
die Nutzer an den öffentlichen Lasten angemessen betei-
ligt werden. Nichts anderes setzen wir jetzt um. Wir tun
das gezwungenermaßen. Wir tun es nicht, weil wir etwa
die große Not, in der sich manche Nutzer von Grund-
stücken jetzt befinden, nicht sehen würden. Wir können
einfach nicht anders.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist nach Maßgabe des
Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts ein notwen-
diger Kompromiss. Wir können diesen Beschluss nicht
ignorieren. Es würde weder den Eigentümern noch den
Nutzern nutzen, wenn wir eine Regelung schaffen wür-
den, die nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts entspricht; denn dann würde die Gefahr bestehen,
dass das Bundesverfassungsgericht in ein, zwei oder drei
Jahren erneut korrigierend eingreifen müsste. Deshalb
halte ich auch den Gesetzentwurf der PDS, mit dem den

Nutzern angeblich geholfen werden soll, für den falschen
Weg. Das hieße „Steine statt Brot“ geben. Denn wenn Ihr
Vorschlag umgesetzt würde, dann wäre die Rechtslage der
Nutzer weiterhin sehr unsicher. Die Nutzer könnten ihr
Leben und das ihrer Familien nicht planen. Es bestünde
die Gefahr, dass die Nutzer in ein, zwei Jahren sogar mit
noch höheren Kosten belastet würden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421908700
Herr Kollege
Ströbele, kommen Sie bitte zum Schluss.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

auch wenn es uns schwer fällt und wir große Probleme
haben, bei den Betroffenen für diese gesetzliche Regelung
auf Verständnis zu stoßen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421908800
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Klaus Haupt.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1421908900
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzent-
wurf zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
behandeln wir wahrlich kein Weltproblem; aber für viele
Ostdeutsche ist unsere Entscheidung heute äußerst wich-
tig. Für manche hängt davon ab, ob ihre Datschenwelt
buchstäblich zusammenbricht.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der [SPD]: Deshalb enthalten Sie sich!)


Rund 1 Millionen Datschenbesitzer zwischen Rostock
und Suhl sehen diese Problematik verständlicherweise
mit viel Emotionen und Herzblut. Sie haben zu DDR-Zei-
ten ihr Erholungsgrundstück mit Leidenschaft, Fleiß und
Schweiß sowie für damalige Verhältnisse auch mit erheb-
lichen Ersparnissen buchstäblich urbar und nutzbar ge-
macht. Es wurde Teil ihres Lebens. Hier wurde für die
ganze Familie Frei- und Urlaubszeit verbracht. Sie hatten
gar keinen Anlass, das mit irgendeinem Unrechtsgefühl
zu tun. In der Regel war es ihnen nicht möglich, das
Grundstück zu kaufen. Die damaligen Pachtverträge
konnten sie als ebenso dauerhaft ansehen wie einen Erb-
baupachtvertrag nach westlichem Muster.

Diese objektiven Besonderheiten darf man nicht
außer Acht lassen. Sie erfordern heute differenzierte Lö-
sungen. Es geht um einen vernünftigen Interessenaus-
gleich zwischen den Grundstückseigentümern und den
Nutzern. Das ist zugegebenermaßen alles andere als
leicht; denn die Interessen könnten unterschiedlicher
nicht sein.

Selbstverständlich gibt es zur Umsetzung der Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1999
keine Alternative. Aber selbstverständlich ist auch die
Frage zu stellen, ob der von der Bundesregierung vorge-
legte Gesetzentwurf auch den Vorgaben der obersten
Richter der Republik entspricht.


(Beifall bei der FDP)





Hans-Christian Ströbele
21760


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sehen die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes
nach einem ausgewogenen und sozialverträglichen Inte-
ressenausgleich zwischen Nutzern und Grundstücks-
eigentümern in dem vorliegenden Entwurf als leider nicht
erfüllt.


(Beifall bei der FDP)

Grundsätzlich ist richtig, dass die Pächter in vollem

Umfang die regelmäßig wiederkehrenden Gebühren
– wie für Abwasser, Abfall usw. – zu tragen haben. Das ist
nachvollziehbar und akzeptabel. Denn was man nutzt und
verbraucht, muss man auch bezahlen. Dagegen ist nicht
nachvollziehbar, dass die Nutzer bei einmalig erhobenen
Abgaben wie Anschluss- und Straßenbaubeiträgen rück-
wirkend mit der Hälfte der Kosten belastet werden. Denn
die damit verbundene Erhöhung des Grundstückswertes
kommt vor allem dem Eigentümer zugute. Auch wenn den
Pächtern jährlich nur maximal 10 Prozent dieses Kosten-
anteils abverlangt werden können, werden nicht wenige
Datschenbesitzer im Osten aufgeben müssen.

Die Karlsruher Richter haben richtigerweise verlangt,
die Nutzer angemessen an den einmaligen Aufwendungen
der Grundstückseigentümer zu beteiligen. Sie haben aber
keine Beteiligung von 50 Prozent gefordert.


(Zuruf von der [SPD]: Hätten Sie doch einen Änderungsantrag gestellt!)


Dass die Nutzer keine Möglichkeit haben, ihre erbrachten
Erschließungsleistungen gegenzurechnen, ist unlogisch,
ungerecht und ebenfalls kein angemessener Interessen-
ausgleich.


(Beifall der Abg. Cornelia Pieper [FDP] – Zuruf von der [SPD]: Wo sind denn Ihre Vorschläge?)


Bedenklich ist auch die Tatsache, dass die Lebensdauer
von Investitionen nicht berücksichtigt wurde. Eine Kana-
lisation ist zum Beispiel auf eine Lebensdauer von 40 Jah-
ren ausgelegt. Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf kann
der Nutzer sie nur noch 14 Jahre in Anspruch nehmen, soll
sie aber zur Hälfte mitfinanzieren. Die FDP ist hier der
Meinung, dass eine Regelung für eine angemessene Be-
teiligung des Nutzers an den öffentlichen Lasten im Ver-
hältnis zum tatsächlichen Nutzungszeitraum stehen muss.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Von der Bundesregierung hätten wir Liberalen in die-
ser Sache mehr Sensibilität und Problembewusstsein ge-
genüber der spezifischen Situation in der ehemaligen
DDR erwartet, um endlich den notwendigen Rechtsfrie-
den in der Beziehung zwischen Grundstückseigentümern
und Nutzern herbeizuführen. Viele Probleme bleiben vom
Gesetzentwurf unberücksichtigt, obwohl sie einer dring-
lichen Lösung bedürfen. Deshalb kann die FDP der Vor-
lage der Regierung nicht zustimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421909000
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler. – Bevor ich
ihr das Wort erteile, bitte ich Sie, den Lärmpegel etwas zu
reduzieren. Ich habe Verständnis für die Wiedersehens-
freude zwischen den Kolleginnen und Kollegen vor der
namentlichen Abstimmung, wir sollten aber auch der letz-
ten Rednerin und den letzten Redner noch die entspre-
chende Aufmerksamkeit zollen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1421909100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Regierungsentwurf
bringt nicht die abschließende und für alle Seiten befrie-
digende Lösung auf dem schwierigen Gebiet der
Schuldrechtsanpassung. Er dient fast ausschließlich der
Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts von 1999. Die gesetzlichen Defizite und Mängel
wie beispielsweise beim Kündigungsrecht wurden mit
Verweis auf eben diese Entscheidung nicht behoben. Das
ist bitter für viele Tausende ostdeutscher Nutzer von
Erholungsgrundstücken. Sie hatten in den Regierungs-
wechsel große Hoffnungen gesetzt, denn es war neben
meiner Fraktion ja gerade die SPD, die in der letzten
Wahlperiode ganz ähnliche Änderungsvorschläge zu-
gunsten der Nutzer gemacht hat.

Rechtsfrieden zwischen Grundstückseigentümern und
Nutzern wird es auf der Basis der Regelungen dieses Ent-
wurfes nicht geben.


(Beifall bei der PDS)

Die eklatante Benachteiligung der Nutzer zum Beispiel in
Entschädigungsfragen bleibt, nun noch vermehrt durch
eine zum Teil unangemessen hohe Beteiligung an den öf-
fentlichen Lasten. Das zwingt viele weitere ostdeutsche
Nutzer zur Aufgabe ihrer Datschen. Unsere Änderungs-
vorschläge finden Sie in unseren beiden heute zur Ab-
stimmung stehenden Anträgen.

Lieber Herr Kollege Hacker und liebe Frau Kollegin
Voßhoff, Sie bemühen in diesem Zusammenhang gern
den üblichen parlamentarischen Vorwurf des Populismus
oder jetzt auch der Verwerflichkeit an die Adresse meiner
Fraktion.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Überhaupt nicht!)


Wir würden bei den Betroffenen mit verfassungswidrigen
Vorschlägen falsche Hoffnungen wecken und einseitig
zugunsten der Nutzer agieren. Das ist natürlich Nonsens.
Wenn das nämlich stimmen würde, dann hätte Ihre Frak-
tion im 13. Bundestag ebenfalls verfassungsrechtlich
nicht haltbare Vorschläge erarbeitet.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Nur das Bundesverfassungsgericht hätte dann die SPD
davor bewahrt, im 14. Bundestag verfassungswidrige ge-
setzliche Regelungen durchzusetzen. Damit stellen Sie
sich doch selber ein juristisches Armutszeugnis aus; das
wollen Sie doch sicher nicht.


(Beifall bei der PDS)





Klaus Haupt

21761


(C)



(D)



(A)



(B)


Bei den Nutzungsverhältnissen stehen sich zwei Ei-
gentümer gegenüber, nämlich der Eigentümer des Grund-
stücks und der Eigentümer der Baulichkeit. Das wird lei-
der oft übersehen.


(Beifall bei der PDS)

Die Regelung der Schuldrechtsanpassung muss nach
Art. 14 Grundgesetz beiden Eigentümergruppen gerecht
werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
schließt nicht aus, dass notwendige Änderungen auch
zum Schutz des Eigentums der Nutzer erfolgen. Da Ge-
genstand der Entscheidung Verfassungsbeschwerden der
Grundstückseigentümer waren, hatte es naturgemäß auch
nur über diese zu entscheiden. Das bedeutet jedoch im
Umkehrschluss nicht, dass der Spielraum des Gesetzge-
bers für die Vertragsseite der Nutzer nun gleich Null ist.

Für die ostdeutschen Nutzer ist es tragisch, dass Sie
Ihre Courage, jetzt da Sie an der Regierung sind, verlas-
sen hat und Sie hinter dem Bundesverfassungsgericht in
Deckung gehen. Offensichtlich gibt es auch keinen politi-
schen Willen mehr zu weitergehenden Änderungen. Ich
empfehle Ihnen deshalb das Buch von Stefan Reker über
Roman Herzog. Darin äußert sich der ehemalige Präsident
des Bundesverfassungsgerichts zu der aus seiner Sicht
übertriebenen Unterwürfigkeit der Politik gegenüber den
Karlsruher Urteilen folgendermaßen:

Unsere Entscheidungen werden in der politischen
Praxis oft heillos überinterpretiert. Einzelne Sätze
werden aus der Masse herausgegriffen und verabso-
lutiert ... Und diese werden dann in der politischen
Diskussion gehandelt, als ob sie von Gott persönlich
dem Moses auf dem Berg Sinai überreicht worden
wären.

Ich will Ihnen deshalb nur den Rat mit auf den Weg ge-
ben: Versuchen Sie sich nicht in der Rolle des Moses.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421909200
Der letzte Redner vor
der namentlichen Abstimmung ist der Kollege Hans-
Joachim Hacker für die SPD-Fraktion.


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1421909300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Kenzler, Ihr
Abgleiten in Bibelzitate wird den Nutzern wenig helfen.
Auf Ihre Position werde ich am Ende meiner Rede noch
zu sprechen kommen, aber ich denke, wir sollten uns erst
einmal mit dem eigentlichen Thema, um das es hier geht,
näher befassen.

Mit der heutigen Debatte beenden wir das parlamenta-
rische Verfahren der Novellierung des Schuldrechtsan-
passungsgesetzes, auf das die Nutzer von Erholungs-
grundstücken und die Eigentümer monatelang gewartet
haben. Auch ich meine, ebenso wie der Herr Staatssekre-
tär das dargestellt hat, dass dieser Gesetzgebungsprozess,
der die komplizierte Materie der Nutzungsverhältnisse an
Grundstücken in den neuen Ländern beinhaltet, von einer
beispielhaften Art und Weise der Zusammenarbeit zwi-
schen dem Bund und den Ländern, aber auch der Zusam-
menarbeit der Kolleginnen und Kollegen im Rechtsaus-

schuss und in den Berichterstattergesprächen gekenn-
zeichnet war. Ich möchte mich an dieser Stelle insbeson-
dere für die sehr kompetente Unterstützung bei dieser Ar-
beit durch das Bundesjustizministerium bedanken.

Der heutigen Abschlussberatung gehen auf Initiative
des Bundesjustizministeriums durchgeführte Beratungen
einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe voraus, an die wir an
dieser Stelle erinnern sollten. Der Beschluss des Bundes-
verfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 ist nach dem Be-
ginn dieser Beratungen auf der Ebene zwischen dem
Bund und den Ländern verkündet worden. In diese Bera-
tungen waren die Vertreter der unterschiedlichen Interes-
sengruppen bereits eingebunden.

Der federführende Rechtsausschuss hat am 14. No-
vember 2001 zu dieser Thematik eine Anhörung durch-
geführt. Das Ergebnis dieser Anhörung kann man folgen-
dermaßen zusammenfassen: Der Gesetzentwurf der
Bundesregierung hat den Auftrag des Bundesverfas-
sungsgerichts in verfassungskonformer Weise umgesetzt
und hierbei die Interessen des Bestands sozialverträg-
licher Lösungen beachtet.

Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Gesetz nicht je-
den Betroffenen zufrieden stellen können. Nicht jeder Be-
troffene wird die Bewertung mittragen bzw. vollständig
mittragen. In dieser Hinsicht hat jedoch nicht die subjek-
tive Akzeptanz Vorrang; wir sind vielmehr gehalten, uns
ganz konkret an den Auftrag des Bundesverfassungsge-
richts zu halten. Dieser Auftrag umfasst letzten Endes
auch die Eigentumsgarantie. Frau Dr. Kenzler, er umfasst
nicht nur die Eigentumsgarantie der Nutzer, die von der
SPD immer hoch geschätzt wurde, sondern auch die Ei-
gentumsgarantie der Grundstückseigentümer, die in der
DDR jahrzehntelang nicht beachtet worden ist. Auch das
gehört zu der gesamten Wahrheit. Insofern haben Sie uns
aus der Geschichte ein Osterei ins Nest gelegt.

Ich will an dieser Stelle – das sage ich jetzt ganz deut-
lich – nichts verschweigen. Ich nehme zu dem Sachver-
halt Stellung, an den von Frau Voßhoff und von Frau
Kenzler immer wieder gern erinnert wird. Natürlich hatte
die SPD-Bundestagsfraktion ursprünglich weitergehende
Vorstellungen. Wir haben diese weitergehenden Vorstel-
lungen in der letzten Legislaturperiode in ein parlamenta-
risches Verfahren konkret einbezogen; aber – das ist der
entscheidende Punkt – wir kommen nicht darum herum,
dass der Handlungsrahmen des Gesetzgebers aufgrund
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts klar be-
stimmt ist. Durch das Gesetz wird er ausgefüllt. Das muss
man hier so konkret feststellen. Auch an dieser Stelle
muss man das den Nutzern und ihren Vertretern in den
Verbänden – ich spreche insbesondere das Präsidium des
VDGN an – sagen.

Dieser Bewertung schließen sich nicht nur die Kolle-
ginnen und Kollegen meiner Fraktion an, sondern auch
viele Vertreter der neuen Länder, und zwar ganz gleich,
welches Parteibuch sie haben, obgleich dies bei der Bil-
dung der Landesregierungen eine Rolle gespielt hat.

Frau Dr. Kenzler, an dieser Stelle möchte ich unter-
streichen: Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner
Bewertung sicherlich auch berücksichtigt, über wie viele
Jahre bzw. Jahrzehnte während der DDR-Zeit Grund-
stückseigentümer in ihren Rechten beschränkt waren.




Dr. Evelyn Kenzler
21762


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421909400
Herr Kollege Hacker,
ich muss Sie kurz unterbrechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, ein we-
nig Rücksicht darauf zu nehmen, dass noch ein Redner
spricht. Seine Redezeit beträgt noch zweieinhalb Minu-
ten. Ich bitte für diese zweieinhalb Minuten um etwas
mehr Ruhe, damit wir auch dieser Rede noch folgen kön-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1421909500
Vielen Dank, Frau
Präsidentin.

Das Bundesverfassungsgericht hatte zu berücksichti-
gen, dass durch die Gesetzgebung im Jahre 1994 ein
Kündigungsschutz bis zum Jahre 2015 festgeschrieben
wurde. Das sind 25 Jahre zuzüglich der Zeit, während der
der Grundstückseigentümer in der DDR über sein Eigen-
tum nicht verfügen konnte. Vergessen wir das nicht, Frau
Dr. Kenzler!

Es wird oft darauf hingewiesen, dass ältere Menschen
von ihren Grundstücken vertrieben werden. Für diejeni-
gen, die das 60. Lebensjahr erreicht hatten, gilt ein le-
benslanger Kündigungsschutz. Insofern unterscheidet die
Regierungskoalition – ich spreche hier insbesondere für
die SPD – eines von der Opposition: Wir haben das Mach-
bare, den Interessenausgleich zwischen den Nutzern und
den Eigentümern, im Auge. Die Opposition – voran die
PDS, aber auch Vertreter anderer Oppositionsparteien –
nährt reines Wunschdenken. Das muss man hier im Ple-
num einmal so deutlich sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie helfen damit den Nutzern nicht, sondern Sie geben,
wie die Zeitschrift „Das Grundstück“ des VDGN mich
richtig zitiert, den Betroffenen Steine statt Brot. Wunsch
und Hoffnung der PDS ist es, aus verständlicher Ableh-
nung zusätzlicher finanzieller Lasten, die bei den Nutzern
vorhanden ist, politisches Kapital zu schlagen. Das kann
ich parteipolitisch nachvollziehen; Sie leisten damit den
Nutzern aber keinen guten Dienst, sondern einen Bären-
dienst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben vorhin gesagt, wir würden Ihre Position als

Populismus bezeichnen. Populismus, Frau Dr. Kenzler, ist
noch geschmeichelt. Es gibt dafür andere Begriffe, die ich
hier lieber nicht einführen möchte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Profes-
sor Pick hat hier auf die Regelung zur Beteiligung der Nut-
zer an den öffentlichen Lasten verwiesen. Ich möchte, auch
unter dem Aspekt, dass mir wenig Zeit verbleibt, die ein-
zelnen Themen nicht noch einmal im Detail ansprechen,
sondern nur auf Folgendes hinweisen: Der Bundesgesetz-
geber ist nach dem Grundgesetz an seine Kompetenzen ge-
bunden. Natürlich hat die Bundesregierung auch überlegt,
ob es nicht möglich ist, durch den Erlass einer Stundungs-
regelung die Last von den Nutzern abzuwenden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie alle wissen aber – die PDS genauso wie andere –, dass
wir nach dem Grundgesetz diese Stundungsregelung nicht
erlassen können, weil die Zuständigkeit des Bundestages
für diese Regelung gar nicht gegeben ist. Wenn Sie aber
eine solche Regelung für richtig halten, richte ich folgen-
den Appell an Sie: Ich werde in Mecklenburg-Vorpom-
mern dafür werben. Ich richte einen entsprechenden Ap-
pell an Herrn Gysi und Herrn Holter. Vielleicht hat Herr
Holter ja Zeit, sich auch mit dieser Thematik einmal zu
beschäftigen. Ich sehe einer solchen Initiative mit sehr
viel Zutrauen entgegen und Sie können sicher sein, dass
ich einer Stundungsregelung wie bei den Bundeskleingar-
tengrundstücken meine volle Unterstützung geben werde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die finanzi-
elle Last kommt nur dann zum Tragen, wenn tatsächlich
Anschlüsse getätigt werden. Die Opposition baut hier ein
Szenario auf, als würden diese Gebühren morgen für je-
des Grundstück anfallen. Die Gebühren entstehen tatsäch-
lich aber nur durch Anschlüsse. Ich habe mich auf den
Grundstücken in den Erholungsanlagen umgesehen. Da
hat sich generell seit 1990 so viel Neues nicht getan. Es ist
aber völlig klar, dass die Kosten getragen werden müssen,
wenn die Anschlüsse kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421909600
Herr Kollege Hacker,
wenn Sie einmal auf die Uhr schauen, sehen Sie, dass Ihre
Redezeit abgelaufen ist.


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1421909700
Ich habe das schon
gesehen, Frau Präsidentin. Deshalb möchte ich mit zwei
Sätzen enden.

Der erste Satz: Ich bin ernüchtert von den Positionen
der CDU/CSU und der FDP. Die FDP hat vollmundig an-
gekündigt, weitere Änderungen einzubringen. Sie haben
hier aber nicht einen einzigen Änderungsantrag vorgelegt
und lehnen den Gesetzentwurf ab.

Zur PDS kann ich nur sagen: Machen Sie weiter so.
Was Sie betreiben, ist kein Beitrag zur deutschen Einheit;
das ist Spalterpolitik. Sie leisten den Nutzern mit Ihrer Po-
sition keinen Dienst. Ich bin gespannt, wie sich Ihre Par-
tei auf den Länderebenen verhalten wird. Das werden wir
dann sehen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421909800
Herr Kollege Hacker,
ich muss Sie jetzt wirklich bitten, zum Schluss zu kommen.


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1421909900
Frau Präsidentin, ich
bin bereits am Schluss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421910000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, Drucksa-
chen 14/6884 und 14/7169. Der Rechtsausschuss






(C)



(D)



(A)



(B)


empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf
Drucksache 14/8315 vor, über den wir zuerst abstimmen. –
Ich bitte darum, dass noch erkennbar bleibt, wie die Frak-
tionen abstimmen. Deshalb sollten bitte nicht alle schon
jetzt die Urnen bestürmen. – Ich lasse zunächst über den
Änderungsantrag der Fraktion der PDS abstimmen. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der CDU/
CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Die Fraktion der PDS verlangt
eine namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)

Ich bitte alle hier verbleibenden Abgeordneten, die
Plätze jetzt relativ schnell einzunehmen, damit wir zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
PDS zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes,
Drucksache 14/65, kommen können. – Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/8299, den Gesetzentwurf ab-
zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
dritte Beratung.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8299 empfiehlt der Rechtsausschuss, den
Antrag der Fraktion der PDS zur Änderung des Schuld-
rechtsanpassungsgesetzes auf Drucksache 14/6918 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenom-
men.

Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der PDS zur
Änderung der Nutzungsentgeltverordnung auf Druck-

sache 14/63 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auch
diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Steffen Kampeter, Dr. Norbert Lammert, Bernd
Neumann (Bremen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Bestandsaufnahme und Perspektiven der
Rock- und Popmusik in Deutschland
– Drucksachen 14/4290, 14/6993 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. – Ich wollte gerade „den
Singewettbewerb“ sagen, aber der findet ja erst heute
Abend statt. – Erster Redner für die CDU/CSU-Fraktion
ist der Kollege Steffen Kampeter.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1421910100
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche
Bundestag beschäftigt sich heute auf Initiative der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit einem Thema, das wir
nicht in jeder Sitzungswoche auf der Tagesordnung ha-
ben, nämlich mit dem Stand und den Entwicklungsper-
spektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland.

Da es in den letzten Tagen einige interessierte Blicke,
auch der veröffentlichten Meinung, darauf gegeben hat,
wie es zu dieser Anfrage kam, lassen Sie mich erläutern,
welche Motive uns getrieben haben, die Situation der
Rock- und Popmusik im Deutschen Bundestag zu thema-
tisieren.

Die populäre Musik gehört zu den Grundgeräuschen
der Gegenwart. ... Diese Musik begleitet den moder-
nen Menschen, vom Erwachen bis zur Müdigkeit,
von der Stunde seiner Geburt bis zur letzten Müdig-
keit. Sie lässt ihn bei der Arbeit nicht allein, sie
gehört zum Krieg und zum Vergnügen, sie begleitet
den Schmerz, die Hoffnung und die Liebe.

Dieses Zitat des Feuilletonisten Thomas Steinfeld be-
schreibt sicher auch die Aufnahme der modernen Musik
durch die – nicht nur die heute hier anwesenden – Parla-
mentarierinnen und Parlamentarier. Wer heute zu einem
Konzert der Rolling Stones geht, erlebt, um welch gene-
rationenübergreifendes Phänomen es sich handelt. Rock-
und Popmusik geht über Staats- ebenso wie über Partei-
grenzen hinweg, sie ist, obwohl oftmals versucht, schwer-
lich politisch zu vereinnahmen und sie ist schon längst
keine Domäne der politischen Linken mehr, so gerne sie
selbst das hätte.


(Jörg Tauss [SPD]: Na, na!)

Sie ist vielmehr ein Beleg dafür, dass die Trennung zwi-
schen Hoch- und Subkultur nicht mehr so eindeutig ist,
wie noch vor wenigen Jahren behauptet.




Vizepräsidentin Petra Bläss
21764


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Ergebnis Seite 21766 D

Deutschland hat im Bereich der Unterhaltungsmusik
eine große Tradition. In den 30er-Jahren des vergangenen
Jahrhunderts gingen von Deutschland wichtige Impulse
aus. Mit dem Exodus der kulturellen Eliten war nach dem
Zweiten Weltkrieg ein Anknüpfen an diese Unterhal-
tungsmusiktraditionen schwer möglich. Der Wind der po-
pulären Musik weht seither vor allem transatlantisch. Die
ehemalige DDR war in der Förderung der populären Mu-
sik im Übrigen eine positive Ausnahme.

Es ist uns in Deutschland noch nicht gelungen, den Be-
reich der Kreativwirtschaft als einen wesentlichen Stand-
ortfaktor im kulturellen wie im wirtschaftlichen Bereich
zu sehen. Deswegen ist es ein wesentliches Anliegen un-
serer Anfrage, auf die berechtigten Forderungen und
Wünsche dieses Bereiches der Kreativwirtschaft hinzu-
weisen und sie im Parlament zu diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen damit auch die in unseren Augen fragwür-

dige Praxis beenden, dass sich die Bundesregierung und
auch andere prominente Politiker im Rahmen eines ober-
flächlichen und auf Außenwirkung abzielenden Schein-
dialogs der Popularität von Musikerinnen und Musikern
bedienen. Es fehlt dabei meist die ernsthafte Auseinan-
dersetzung mit den Rahmenbedingungen, die eine nach-
haltige und musikalisch erfolgreiche Rock- und Popmu-
sik in Deutschland ermöglichen.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Beantwortung unserer Großen Anfrage macht

deutlich, dass auch die Einrichtung eines Beauftragten für
Kultur und Medien die Exekutive nicht zu einem empha-
tischen Unterstützer der Rock- und Popmusik gemacht
hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Na, na!)

Ich füge hinzu: Damit steht sie zweifelsohne in der Tradi-
tion manch ihrer Vorgänger. Mit Fleiß, aber sicherlich kei-
nesfalls mit Liebe haben die Beamten das zusammenge-
tragen, was ihnen zusammenzutragen wichtig erschien.
Allerdings liefert die Antwort bei allem Unzulänglichen,
Unvollständigen und Beschönigenden gleichwohl eine
Tagesordnung der Themen und Anliegen, mit denen sich
der Deutsche Bundestag im Kulturausschuss, aber auch
im Wirtschaftsausschuss in Zukunft stärker auseinander
setzen muss. Wir dürfen mit unseren kreativen Eliten
nicht so selektiv umgehen wie in der Vergangenheit, in-
dem wir die Filmwirtschaft fördern und die Musikwirt-
schaft am Rande liegen lassen.

Die CDU hat sich als Partei gleichwohl dieser Aufgabe
gestellt. Mit der Gründung des Dialogforums Musik-
wirtschaft bietet sie den verschiedenen Interessen im Be-
reich der deutschen Rock- und Popmusik eine Gesprächs-
plattform zur Erörterung ihrer Anliegen. Dabei zielen wir
nicht auf das einmalige, nach außen gerichtete Event oder
Happening, sondern vielmehr auf den fortgesetzten, an
Themen orientierten Austausch. Die erfreuliche Resonanz
zeigt, dass wir hier einem objektiven Bedürfnis entgegen-
gekommen sind. Wir hoffen, dass andere gesellschafts-
politische Akteure diesem Beispiel folgen. Es schadet
keinem, sich mit Themen auseinander zu setzen, die wahr-

scheinlich – wie ich mir vorstellen kann, wenn ich auf die
Tribüne schaue – stärker interessieren als manch anderer
Punkt auf der Tagesordnung.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Was können wir aus der Anfrage an politischen Forde-

rungen ableiten? Die erste Forderung, die uns leider am
wenigsten betrifft, zielt auf die Situation des Musikun-
terrichts.Der Musikunterricht in Deutschland leidet Not.
Ich appelliere daher nachdrücklich an die Kultusminister-
konferenz, dieses Thema offensiv anzugehen und die
Schwächen endlich zu beseitigen, die sie in vielen Stel-
lungnahmen hinreichend beschrieben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ohne Musiker gibt es keine Musik.

Die zweite Forderung, die ich hier aufstellen möchte,
ist, dass die Musikerverbände und die Musikinitiativen
aus diesem Bereich von der Politik stärker wahrgenom-
men werden müssen. Sie stehen oft am Rande. Der Bund
hat es in der Hand, die bestehenden Wettbewerbe und Ini-
tiativen im Pop- und Rockbereich stärker wahrzunehmen.
Ich wünsche uns allen mehr Mut für diese Kontakte. Ich
empfinde es als ein ermutigendes Signal, dass der Kultur-
beauftragte heute selbst in dieser Debatte sprechen wird.

Die mit der Rock- und Popmusik verbundenen Unter-
nehmen leisten einen respektablen Beitrag zu unserer
Volkswirtschaft. Die Wirtschaftskraft der Tonträgerher-
steller, der Veranstaltungswirtschaft und der Unterhal-
tungselektronik sowie der Musiker, der Texter, der Kom-
ponisten, der Techniker, der Musikjournalisten und der
Produzenten wird vielfach unterschätzt. Alljährlich stellt
sich die Szene auf der Kölner Schau „Popkomm“ nicht
nur den Fans, sondern auch den Geschäftspartnern vor.
Schon längst hat die Branche den Bereich der Schatten-
wirtschaft verlassen, der ihr von manchen Zeitgenossen
noch heute angelastet wird. Wir haben es mit einer leis-
tungsfähigen, außerordentlich kreativen und überwiegend
mittelständisch strukturierten Wirtschaft zu tun. Wäre die
Beschäftigung mit der Rock- und Popmusik nicht schon
aus kulturpolitischen Gründen unverzichtbar, wirtschafts-
politisch ist sie es gleichwohl.

Die Probleme sind ähnlich gelagert wie in anderen
Wirtschaftsbereichen. Konzentration heißt das Stich-
wort auch in der Tonträgerindustrie. Wir erleben in diesen
Tagen, dass beispielsweise der Branchenführer ein
Familienunternehmen aufgekauft hat, das sich insbeson-
dere mit den deutschsprachigen Schlagern und mit der
Volksmusik beschäftigt hat. Es wird in Bezug auf Kreati-
vität und Wettbewerb interessant sein zu erfahren, ob ein
internationaler Konzern mit genauso viel Liebe für die
deutsche Musik diese Sparte weiter pflegt, wie sie von sei-
ner Neuerwerbung in den vergangenen Jahren bewiesen
wurde. Auch hier wie in vielen anderen Bereichen muss-
ten die Kartellinstitutionen für die Sicherung von Wettbe-
werb, Vielfalt und Kreativität sorgen. Es geht uns also
nicht um einen Bundesrockminister oder um eine neue
Popsubvention. Wie im gesamten Mittelstandsbereich
sind es vor allen Dingen die Rahmenbedingungen, die für
ein erfolgreiches – das heißt in diesem Bereich: kreatives –
Handeln erforderlich sind.




Steffen Kampeter

21765


(C)



(D)



(A)



(B)


Aus Anlass der Beantwortung dieser Großen Anfrage
regen wir an, die Rahmenbedingungen der Kreativwirt-
schaft zu überprüfen. Eine erste Erleichterung hat dieses
Parlament im steuerlichen Bereich bereits beschlossen.
Mit der Reform der so genannten Ausländersteuer sind
gerade mittelständische Veranstalter wesentlich entlastet
und ist eine politische Fehlentscheidung aus den 90er-Jah-
ren korrigiert worden.

Ein weiteres wichtiges Thema sind die Ausbildungs-
fragen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, dass
mit dem Veranstaltungskaufmann neben dem Veranstal-
tungstechniker und Medienkaufmann ein weiteres bran-
chenspezifisches Ausbildungsprofil geschaffen worden
ist. Im Kern geht es wie auch in vielen anderen Bereichen
um die gezielte Nachwuchsförderung sowohl auf der
Seite der Künstler wie auch auf der Seite der Vermarkter.
In vielen anderen europäischen Ländern ist die Entwick-
lung schon sehr viel weiter. Auf Dauer werden wir nicht
mit den Westernhagens, den Maffays und den Linden-
bergs die nächsten 20 Jahre kreativ überleben. Hier muss
in Deutschland ein neuer Wind in die Rock- und Popmu-
sik kommen.

Als eine weitere, rasch zu verwirklichende Maßnahme
für die kleinen und mittleren Tonträgerunternehmen
schlagen wir die Einrichtung eines Musikexportbüros
vor, das die bisherige außenwirtschaftliche Förderung er-
gänzt. Der Staat könnte hier die Anschubfinanzierung
leisten. Das Büro muss sich auf Dauer finanziell selbst tra-
gen und seine Dienstleistungen zu marktfähigen Kon-
ditionen anbieten. Das wäre ein Signal in Zeiten sinken-
der Inlandsumsätze. Damit würden wir lediglich das
nachvollziehen, was viele andere Staaten bereits zur För-
derung ihrer heimischen Rock- und Popmusik unterneh-
men. Hier können wir kurzfristig eine sinnvolle Aktivität
entwickeln.

Ein weiteres Feld sind die Urheberfragen, die durch
die Entwicklung der digitalen Techniken in den Fokus von
Künstlern, Rechteinhabern und Tonträgerunternehmen
gerückt sind. Wie die chaotische und wechselhafte Dis-
kussion beim Urhebervertragsrecht zeigt, hat die derzei-
tige Regierung für diese Bereiche des Urheberrechts kein
umfassendes, konsensbildendes Konzept.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)


Es ist wichtig, dass sich der Staatsminister für Kultur
und Medien in diesen Fragen stärker gegenüber der zu-
ständigen Justizministerin durchsetzt. Denn es geht im
Kern darum, die Rechte der Kreativen und die Vielfalt der
Branche aufrechtzuerhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem Urhebervertragsrecht ist aber nur ein Teil des
Urheberrechts abgehandelt. Die Europäische Union hat
uns weitere Aufgaben gestellt. Deren mögliche Lösungen
lassen die Kreativen in diesem Land unruhig werden. Es
geht um die Ausgestaltung von digitalen Kopien im Pri-
vatbereich. Bei Software und vergleichbar geschützten
Inhalten besteht ein strikter Urheberschutz. In der Musik
fehlt er. Dies betrifft auch den weit gefassten Bereich der
Internetpiraterie.

Eine Zahl in diesem Zusammenhang: Im vergangenen
Jahr sind erstmals mehr unbespielte Tonträger als be-
spielte CDs verkauft worden. Der „Marktplatz Musik“
droht ohne eine entsprechende verbindliche Regelung zu
verarmen und die kreativen Szenen auszutrocknen. Des-
wegen müssen wir bei der bis zum Ende des nächsten Jah-
res anstehenden Umsetzung der diesbezüglichen EU-
Richtlinie ganz besonders sorgsam auf diesen Bereich
achten. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie
noch vor der Sommerpause einen Vorschlag in die Dis-
kussion einbringt, wie wir die Vorgaben aus Europa in na-
tionales Recht umsetzen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Viele der hier angesprochenen Themen sind nicht im

klassischen Sinne parteipolitisch zu strukturieren. Es gibt
eben keine linke oder rechte Poppolitik. Mehrheiten und
Minderheiten ändern sich schneller, als noch vor kurzem
vermutet.


(Zuruf von der SPD: Schauen wir mal! Abwarten!)


Deswegen bieten wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Ihnen an, den Dialog mit den Kreativen in der Musik-
branche, insbesondere mit denjenigen in der Rock- und
Popmusik, über alle Fraktionsgrenzen zu suchen und im
Rahmen dieses Dialogs dazu beizutragen, dass sich dieser
kreative Standortfaktor fortentwickeln kann. Wir als
CDU/CSU sind dazu bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421910200
Bevor wir in der
Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen das von den Schrift-
führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über den von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ver-
künden. Abgegebene Stimmen 445. Mit Ja haben
262 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Mit Nein haben
33Abgeordnete gestimmt. 150 Kolleginnen und Kollegen
haben sich enthalten.




Steffen Kampeter
21766


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 445;
davon

ja: 262
nein: 33
enthalten: 150

Ja
SPD
Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr

Doris Barnett
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher

Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann




Vizepräsidentin Petra Bläss

21767


(C)



(D)



(A)



(B)


Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Klaus Hasenfratz
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner

Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)


Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Horst Schild
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba

Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Gerald Häfner
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher

Nein
CDU/CSU
Hans Jochen Henke
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Voß
PDS
Dr. Dietmar Bartsch




Vizepräsidentin Petra Bläss
21768


(C)



(D)



(A)



(B)


Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert

Enthalten
SPD
Siegfried Scheffler
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Heribert Blens
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz

Jochen Borchert
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Hansjürgen Doss
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach

(KarlsruheLand)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy

Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Bernward Müller (Jena)

Günter Nooke
Franz Obermeier
Norbert Otto (Erfurt)

Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe

Wilhelm Josef Sebastian
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Bernd Wilz
Werner Wittlich
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
FDP
Jörg van Essen
Gisela Frick
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bierling, Hans-Dirk* Bühler (Bruchsal), Klaus* Höfer, Gerd* Kossendey, Thomas*

CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU
Raidel, Hans* Rauber, Helmut* Schloten, Dieter* Dr. Süssmuth, Rita*
CDU/CSU CDU/CSU SPD CDU/CSU
Weisskirchen (Wiesloch), Gerd* Wimmer (Neuss), Willy* Zapf, Uta*

SPD CDU/CSU SPD

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung OSZE

Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Jetzt erteile ich Staatsminister Julian Nida-Rümelin

das Wort.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421910300
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Herr Kampeter, wir waren in den
vergangenen Monaten nicht immer einer Meinung. Aus-
weislich dessen, was Sie hier vorgetragen haben, sind
heute die Übereinstimmungen groß. Es schadet nicht,
dass wir im Bundestag über das Thema Rock und Pop dis-
kutieren, wenn auch bei reduzierter Besetzung im Ver-
gleich zu der vor einigen Minuten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber bei qualifizierter!)


Ich möchte mich auf wenige Bemerkungen beschrän-
ken. Meine Behörde hat sehr ausführlich zu der vorlie-
genden Großen Anfrage Stellung genommen. Sie umfasst
fast 40 Seiten, eng bedruckt. Es ergibt keinen Sinn, hier
den Versuch zu unternehmen, sie zusammenzufassen.
Aber einige zentrale Aussagen sowohl zu dieser Antwort
als auch zur Perspektive der Zusammenarbeit von Politik
und Pop- und Rockmusikbranche sind angebracht.

Zum einen darf man zwei Dinge nicht miteinander ver-
wechseln: die kulturelle Bedeutung einer bestimmten
Sparte der Kunst auf der einen Seite und auf der anderen
Seite das Ausmaß der Förderung, die der Staat dieser
Sparte bzw. Branche angedeihen lässt.


(Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wie beim Film!)


– Ja, der Film ist ein Beispiel dafür, aber auch die Lite-
ratur. Der Staat hält sich in der Literaturförderung, wenn
man einmal von Ausbildungsinstitutionen absieht, sehr
zurück. Wir vertrauen auf eine funktionierende Verlags-
branche und sollten die Rahmenbedingungen so setzen,
dass sich die Verlagsbranche gedeihlich entwickelt. Wir
fördern die literarische Produktion so gut wie gar nicht
unmittelbar. Das ist aber selbstverständlich kein Unwert-
urteil gegenüber der Literatur.

Das heißt, wenn wir darüber diskutieren, ob der Staat
in einem höheren Maße fördernd tätig werden soll, so
müssen wir dies zunächst einmal von der Frage der kul-
turellen Bedeutung abkoppeln. Deswegen möchte ich
dazu doch noch eine Bemerkung machen.

Wir haben in Deutschland – auch darin scheinen wir
übereinzustimmen – eine Tradition der Trennung von
„E“ und „U“, von so genannter ernster und so genannter
Unterhaltungskultur, wie sie im internationalen Vergleich
vermutlich sogar einmalig ist. Weder unser Nachbar im
Westen, Frankreich, noch unsere Nachbarn weiter west-
lich, Großbritannien, USA, haben diese scharfe Tren-
nung. Es ist ganz wichtig, denke ich, dass wir den Beitrag
der Popkultur im weitesten Sinne zur kulturellen Ent-
wicklung, übrigens auch zur Identitätsbildung jüngerer
Menschen, sehr ernst nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Jetzt stellt sich die Frage, ob eine spezifische zusätz-
liche Förderung des Staates, über das hinaus, was es gibt
und was in der Antwort auch aufgelistet ist, wünschens-
wert ist.

Ich will nur in Klammern hinzufügen: Wir müssen ge-
gen die Bedrohung, die sich gegenwärtig durch die Mög-
lichkeit, digitale Kopien zu erstellen, für die künstle-
rische Kreativität und ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit
zeigt, sehr gründlich angehen. Sie haben die wesentlichen
Rahmenbedingungen genannt. Die Umsetzung der EU-
Richtlinie ist jetzt auf der Tagesordnung. Es gibt im We-
sentlichen nur zwei Optionen. Die eine ist, dass diejeni-
gen Kopien, die wir zulassen, zur Stärkung der Urheber
beitragen müssen. Die andere ist das, was die Amerikaner
„technological device“ nennen, also ein technologisches
Verfahren, das die Möglichkeit, digitale Kopien, auch aus
dem Internet, zu erstellen – das gilt auch für den Film –,
beschränkt. Wir müssen sehr genau prüfen, welche For-
men schädlich und welche positiv sind. Die USA haben
auch dazu einige Erfahrungen gesammelt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wann kommt denn der Vorschlag?)


Jetzt zur Frage der zusätzlichen Förderung durch den
Staat. Ich war im November letzten Jahres auf der 3. Pop-
konferenz in Germering. Mir ist dort aufgefallen, dass die
Erwartung an den Staat im weitesten Sinne, Kommunen,
Länder und Bund, groß ist, dass aber wirklich überzeu-
gende Konzeptionen dazu, wie das denn aussehen sollte,
noch nicht vorliegen. Ich habe dann gefragt, wie viele
denn aus der Branche kommen. Wenn ich mich richtig
erinnere, hat sich nur ein Einziger gemeldet. Das heißt,
die Branche selbst war auf dieser 3. Popkonferenz nur
schwach vertreten.

Ich habe vor einigen Tagen ein Gespräch geführt, um
auszuloten, wie weit die Kooperationsbereitschaft der
Branche selbst denn eigentlich geht. Ich kann mir vorstel-
len – ich sage das hier ganz deutlich –, dass in einer ge-
wissen Analogie zu dem, was wir in der Filmförderung
machen, mit Branchenunterstützung Förderungen organi-
sierbar sind.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Aha! Das wollen wir festhalten! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir nehmen Sie beim Wort!)


Ich sage das hier deswegen, weil die Gesprächspartner,
mit denen ich geredet habe, erstaunlich offen waren, und
zwar auch offen für den Gedanken, dass dies nicht Sache
des Steuerzahlers sein kann – jedenfalls nicht primär, weil
da ein Brancheninteresse dahinter steht –, dass der Staat
aber bereit sein muss, diesem Brancheninteresse, das ei-
nem kulturellen Interesse entspricht, das wir fördern müs-
sen, dann auch nachzukommen.

Dazu gehört auch die Frage Exportbüro. Da kann man
sich zum Beispiel Förderung von Start-ups, Nachwuchs-
förderung, Förderung von Clubs, die in dem Bereich agie-
ren, in dem es wirtschaftlich schwierig ist, sich zu halten,
und vieles mehr überlegen. Als Einziges kann ich hier ver-
sprechen, in den nächsten Monaten einen Diskussions-
entwurf zu erarbeiten, in dem einige Vorschläge, die in
diese Richtung gehen, enthalten sein werden. Wir werden




Vizepräsidentin Petra Bläss

21769


(C)



(D)



(A)



(B)


dann Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Die kon-
krete Umsetzung wird in dieser Legislaturperiode nicht
mehr möglich sein.

Ganz zum Schluss spreche ich noch einen Punkt an
– die Redezeit ist noch nicht abgelaufen –, der mir Kopf-
zerbrechen bereitet und uns allen vielleicht Kopfzer-
brechen bereiten sollte. Wir haben in Deutschland einen
Horror vor fast jeder Art von Quote, außer vielleicht bei
der Gleichstellung der Geschlechter.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421910400
Herr Staatsminister,
der Kollege Lammert hat eine Frage. Lassen Sie die zu?


(Zurufe von der SPD: Nein! – Lassen Sie ihn den Satz doch zu Ende bringen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1421910500
Ich möchte dem
begonnenen Satz und seiner Vollendung nicht im Wege
stehen.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421910600
Bitte schön. Ich bringe ihn gleich zu Ende.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1421910700
Herr Staatsminis-
ter, ich möchte meine Frage gerne mit dem ausdrücklichen
Interesse an Ihren Ausführungen und wegen der damit ver-
bundenen grundsätzlichen Ankündigungen stellen. Ich
möchte gerne wissen, ob Sie beabsichtigen und sich in der
Lage sehen, die von Ihnen dargestellten prinzipiellen Er-
wägungen und Überlegungen der Bundesregierung noch
vor Abschluss dieser Legislaturperiode in einer Weise zu
konkretisieren, die beratungsfähig ist? Oder halten Sie das
eher für ein Projekt der nächsten Legislaturperiode?

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421910800
Die Umsetzung wird sicherlich nicht mehr in
dieser Legislaturperiode möglich sein. Aber ähnlich wie
beim Filmkonzept, dessen konkrete Umsetzung in seinen
wesentlichen Teilen erst 2003 erfolgen kann, denke ich
doch, dass wir noch vor der Sommerpause auf der Basis
eines Diskussionsentwurfes, den wir in Zusammenarbeit
mit Branchenvertretern und Kreativen erarbeiten sollten,
darüber im Kulturausschuss das Gespräch führen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Jetzt bringe ich noch meinen Satz mit der Quote zu
Ende. Ich gebe offen zu: Ich bin in diesem Punkt über-
haupt noch nicht festgelegt. Ich habe etwas provokativ ge-
schrieben, man solle im Bereich der Filmförderung von
Frankreich lernen. Wir müssen im Zusammenhang mit
dem Film über die Investitionsquote sowieso noch einmal
beraten. Das ist ein sehr ernstes Thema. Dazu werde ich
einen Vorschlag unterbreiten.

Das Interessante ist, dass der französische Markt gegen
den globalen Trend gegenwärtig eine Zunahme der Pop-
und Rockmusik auf dem nationalen Markt erlebt. Der
Zwang zu kultureller Vielfalt hat dazu geführt, dass in
Frankreich ein breiteres kulturelles Interesse an dieser

Form der Kunst und der Musik besteht. Wir müssen uns
überlegen, ob wir nicht im Sinne dessen, was die Fran-
zosen „diversité“ nennen, einen Beitrag leisten können.
Mich hat es – das will ich ganz offen sagen – alarmiert,
dass mir Fachleute erzählt haben: Einer der Hauptgründe
dafür, dass deutschsprachige Popmusik so unbeliebt ist,
sei in dem mangelnden Interesse der Werbebranche zu su-
chen, weil die Zuhörer durch die deutschen Texte von den
Inhalten der Werbebotschaft abgelenkt würden. Das muss
uns zu denken geben.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421910900
Nächster Redner ist
der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421911000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe beide Seiten dieser
Branche kennen gelernt. Zum einen habe ich viele Jahre
lang Musik mitproduziert und war an vielen erfolgreichen
Titeln beteiligt. Zum anderen war ich später als Leiter ei-
ner Musikredaktion beim Norddeutschen Rundfunk tätig.

Insofern bin ich der Bundesregierung für diese Mate-
rialsammlung sehr dankbar. Es ist eine ausgesprochen
gute Materialsammlung. Wenn die Antwort Schwächen
hat – das muss ich leider meinen Kolleginnen und Kolle-
gen von der Union sagen –, dann liegt das an den Fragen,
die die Union gestellt hat.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich sage ganz offen, dass mir einige der Fragen wehtun.

Ich finde, die Künstlerinnen und Künstler, die wir unter-
stützen wollen und die der Kollege Kampeter zu Recht an-
gesprochen hat, haben es nicht verdient, dass in einer An-
frage auf links- oder rechtsextreme Musik eingegangen
wird. Das sollte man in einer solchen Anfrage nicht tun.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist übelste Polemik!)


Es gibt eine weitere Schwäche, die mir sehr wichtig ist
und die ich daher ansprechen möchte, Kollege Kampeter.
Es ist ein Versäumnis der Union bei der Anfrage, dass lei-
der nicht nach den vielen Künstlerinnen und Künstlern
aus Ostdeutschland gefragt wird.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Nach der Wende haben viele Künstlerinnen und Künstler
aus der ehemaligen DDR auf einen Umschwung gehofft.
Sie wollten endlich frei arbeiten können und hofften auf
eine offene Welt. Was mussten sie feststellen? Dass die
deutsche Einheit die Künstlerinnen und Künstler aus Ost-
deutschland überhaupt nicht auf der Rechnung hatte, we-
der in den Medien noch bei der GEMA.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Insofern freue ich mich wirklich darüber, dass meine
Freunde von Karat oder auch mein Freund Frank Schöbel




Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin
21770


(C)



(D)



(A)



(B)


jetzt wieder im Kommen sind. Wenn man mit diesen Per-
sonen auch schon vor der Wende lange zusammen-
gearbeitet hat, dann war es schmerzhaft zu sehen, dass
die Künstler aus der ehemaligen DDR mehr als Fußnote
der Unterhaltungsbranche angesehen wurden. Manchmal
reichte der eine oder andere Künstler als Beigabe für
Kaffeefahrten ostdeutscher Rentner zur Animation beim
Kauf von Rheumadecken oder Kochtöpfen. Auch wenn es
der eine oder andere nicht gern hören mag, sage ich an
dieser Stelle: Ich bin dem Mitteldeutschen Rundfunk
dankbar, dass diese Künstler zumindest bei diesem Sen-
der eine Chance haben, wie immer man deren musikali-
schen Stil im Einzelnen bewertet.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Ich habe erhebliche Zweifel, ob unsere Künstler wirk-
lich rechtliche Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber
verlangen, wie es die Union hier fordert; Herr Kollege
Kampeter hat dazu das eine und andere angesprochen.
Vielmehr braucht kulturelle Betätigung – das trifft jeden-
falls auf Rock- und Popmusik zu; darüber sollten wir
mehr sprechen – in erster Linie Freiheit und eine Vielzahl
von Entfaltungsmöglichkeiten.


(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Sorge ist, dass rechtliche Rahmenbedingungen
sehr schnell zu geistiger Einengung, zu Vorschriften und
zum Teil auch zu Geschmacksdiktatur führen.

Herr Kollege Kampeter, Ihre Vorschläge habe ich
gehört. Als Beispiel nehme ich die unbespielten CDs:
Das hatten wir doch früher auch. Man hat Musikkassetten
gekauft und bespielt. An den Problemen hat sich nichts
geändert; an ihnen wird sich auch nichts ändern. Es wird
immer Wege geben, Musik irgendwo aufzunehmen, ohne
dafür bezahlen zu müssen. Die Frage stellt sich eher an die
Industrie, ob die Preise in jedem Falle gerechtfertigt sind,
die sie für ihre Produkte verlangt. Und die Frage ist, was
beim Künstler übrig bleibt. Das würde mich viel mehr in-
teressieren.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zu wenig gibt die Antwort auf die Große Anfrage Aus-
kunft darüber, warum es deutsche Rock- und Popmusiker
so schwer haben. Eine der Hauptursachen liegt, wie ich
glaube, darin, dass deutsche Rundfunk- und Fernsehan-
stalten – egal, ob es öffentlich-rechtliche oder private
sind – zu reinen Abnudelmaschinen für Hitlisten gewor-
den sind.


(Beifall bei der FDP)

Da kommen dann Nachwuchsmusiker eindeutig zu kurz.
Überlegen Sie einmal, ob Freunde von mir wie Jürgen von
der Lippe und Reinhard Mey heute eine Chance hätten,
von den Rundfunkanstalten gespielt zu werden. Sie hätten
in der augenblicklichen Situation keine Chance und das
ist das Schlimme.

Nicht nur die Rundfunk- und Fernsehanstalten haben
entscheidend dazu beigetragen, dass der Nachwuchs
keine Chance hat. Auch die Musikindustrie selbst ist für

diese Entwicklung verantwortlich. In einem Interview mit
BBC sagte Elton John in dieser Woche, viele in der
Musikindustrie dächten heute nur noch an ihre Quartals-
einnahme und in der Musikbranche gebe es keine Lang-
lebigkeit. Das ist auch einer der Gründe und das ist be-
dauerlich. Hierin liegt das Problem für junge Künstler,
wenn sie sich heute an die Musikbranche wenden.

Herr Kollege Kampeter hat gesagt, Musik lasse sich
politisch nicht vereinnahmen. Damit hat er natürlich
Recht. Auf der anderen Seite hat die Musik auch auf Po-
litik Einfluss genommen, lieber Kollege Kampeter.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein Widerspruch, Herr Kollege!)


Zum Beispiel denke ich – das war wirklich eine schöne
Zeit – an die Neue Deutsche Welle. Ich weiß nicht, ob sich
der eine oder andere noch daran erinnert. Da gab es einen
unbekannten Sänger wie Markus, der damals „Ich will
Spaß“ sang. Die Grünen haben das übernommen, weil es
im Text dann hieß:

Und kostet Benzin auch zwei Mark zehn,
– Entschuldigung, Frau Präsidentin –

scheißegal, es wird schon gehn.
Die Grünen haben das sofort zum Programm gemacht.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das war deren Parteihymne!)


Dem Bundeskanzler wünsche ich, dass er sich einmal die
Platte von Geier Sturzflug auflegt, in der es hieß: „Und
jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir erhöhen das
Bruttosozialprodukt“.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Wir „steigern“, nicht „erhöhen“!)


Wenn das Kabinett hier tätig würde, würde es mich
freuen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mein Wunsch ist, dass die Medien – vor allem der öf-
fentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch die privaten Sen-
der – nicht nur Abnudelstationen für amerikanische und
englische Hitparaden sind, sondern dass sie auch unseren
Künstlern eine Chance geben. Jetzt werden nämlich nur
noch Hitlisten abgespielt, die aus dem Computer kom-
men. In den Funkhäusern gibt es zum Teil keine Musikre-
dakteure und Musikabteilungen mehr. Das ist schlecht.

Lassen Sie mich, weil es Freitagnachmittag ist, noch
eine humorvolle Bemerkung machen – ich hoffe, Sie ha-
ben dafür Verständnis –: Nach dem 22. September wird in
unserem Land die FDP die Musik machen. Ich glaube,
vielen Menschen wird es gefallen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421911100
Jetzt wird langsam
deutlich, wie schade es ist, dass diese Debatte nicht auch
durch etwas Gesang angereichert werden kann.




Jürgen Koppelin

21771


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich erteile dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort zu
einer Kurzintervention.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1421911200
Herr Kollege
Koppelin, ich bin für Kritik offen. Wenn es aber Missver-
ständnisse gibt, möchte ich sie ausräumen.

Erstens. Ich habe hier in keiner Weise – das gilt auch
für den Text der Anfrage – die Leistungen der DDR-
Rockmusik gering geschätzt. Im Gegenteil, in meinem
Redebeitrag habe ich – Sie können das im Protokoll nach-
lesen – die Rock- und Popmusikförderung der ehemaligen
DDR ausdrücklich hervorgehoben. Denken Sie nur an
Puhdys, Karat und andere Gruppen. Da war man in der
DDR vielleicht aus ideologischen Gründen flotter und fi-
xer. Aber die DDR-Musik ist ein unverzichtbarer Be-
standteil der Rock- und Popmusik in Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Zweitens. Sie haben behauptet, die CDU/CSU-Bun-

destagsfraktion fordere rechtliche Rahmenbedingungen,
um die Freiheit einzuschränken. Das ist natürlich absolu-
ter Humbug und beruht wahrscheinlich auf einem Miss-
verständnis. Tatsache ist, dass ich hier den Urheberrechts-
schutz angesprochen habe. Dort befinde ich mich mit der
Bundesregierung in Übereinstimmung.

Ich zitiere jemanden, der ja auch gelegentlich von der
Bundesregierung gehört wird, nämlich Klaus Meine von
den Scorpions, der sich zu diesem Themenbereich laut ei-
ner Agenturmeldung von gestern geäußert und sich be-
klagt hat, dass die Politiker hierzulande in den vergange-
nen Jahren zu wenig für Künstler und Musiker getan
hätten. Die Altrocker fordern mit deutlichen Worten ein
Gesetz gegen die Brennerei.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Ja, die Altrocker! Aber nicht die Jungrocker!)


Die Musikindustrie leide unter dem Diebstahl geistigen
Eigentums.

Im Kern geht es darum, dass wir diesen Diebstahl geis-
tigen Eigentums nicht weiter zulassen wollen. Wir warten
auf die Initiative des Herrn Staatsministers und der Bun-
desjustizministerin. Das hat mit der Einschränkung von
Freiheit überhaupt nichts zu tun. Herr Kollege Koppelin,
da sind Sie etwas über das Ziel hinausgeschossen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421911300
Jetzt hat der Kollege
Koppelin die Möglichkeit zu erwidern.


(Roland Claus [PDS]: Eitel wie die Rockstars!)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421911400
Kollege Kampeter, sonst
schätze ich Sie ja als Mitglied des Haushaltsausschusses.
Aber heute habe ich es anscheinend sehr schwer mit Ih-
nen. Ich habe festgestellt, dass die ostdeutschen Künst-
ler in der Anfrage der Union überhaupt keine Berück-
sichtigung finden. Zeigen Sie mir doch die Frage, in der
es um die ostdeutschen Künstler geht. Nach ihnen ist nicht
gefragt worden. Dieser Bereich ist für diese Branche un-

glaublich wichtig. Wenn man Künstler fördern will, dann
muss man auch danach fragen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ja auch unstreitig! Das habe ich ja auch in meiner Rede gesagt!)


– Es geht nicht um Ihre Rede. Ich habe von der Anfrage ge-
sprochen. Ich bitte Sie um Nachsicht und um das Nachlesen
meiner Rede. Ich denke, in Ihrer Anfrage, auf die ich mich
bezogen habe, hätten die ostdeutschen Künstler besondere
Berücksichtigung finden müssen, weil es in der DDR eben
ein anderes System gab, nach dem gefördert wurde.

Kollege Kampeter, ich sage eines ganz offen: Wir se-
hen uns ja hin und wieder in einem Gebäude hier in der
Nähe. Da war früher eine Schallplattenfirma drin, die ich
häufig besucht habe. Auch diese gibt es nicht mehr. All
dies sind Probleme, mit denen man sich ruhig einmal be-
schäftigen sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Dann haben Sie allerdings etwas gesagt, was ich nicht
erwähnt habe, dass nämlich die CDU/CSU die Freiheit
einschränken wolle. Zwar möchte ich Sie gern so zitieren,
aber gesagt habe ich dies nicht. Ich habe nur auf die recht-
lichen Rahmenbedingungen hingewiesen, die von der
Union gefordert werden. Als Liberaler bin ich hier immer
sehr vorsichtig.

Ich wiederhole es: Auch früher ist kopiert worden. Da-
mals waren es die Kassetten. Heute kauft man CDs und
brennt sie. Das haben junge Menschen immer getan. Ich
bekenne mich dazu, dies auch getan zu haben, als es noch
nicht viel Taschengeld gab. Das wird es immer geben. Der
Gesetzgeber sollte dies nicht so regeln, wie Kollege
Kampeter das fordert. Kollege Kampeter, ich habe viel-
mehr gesagt – das ist mir wichtig –, dass vielleicht auch
die Industrie einmal ihre Preispolitik überdenken sollte.
Denn diese kassiert in erster Linie ab, nicht die Künstler.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421911500
Nach diesem Duett
kommt jetzt wieder ein Solo. Das Wort hat die Kollegin
Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421911600
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich
freue ich mich, heute zu einem Thema reden zu dürfen,
das das Lebensgefühl junger Menschen wie kaum ein an-
deres ausdrücken kann. Durch die Rock- und Popmusik
mit ihren vielen unterschiedlichen Genres – sei es Alter-
native, Hiphop oder Techno – können heutzutage mehr
Jugendliche direkt erreicht oder tangiert werden als bei-
spielsweise durch den Sport – geschweige denn durch die
Politik oder Parteien.

Nicht zuletzt deswegen hat sich die Unterhaltungsmu-
sikbranche zu einem wichtigen ökonomischen Faktor ent-
wickelt. Erfreulich dabei ist aus unserer Sicht, dass sich
gerade auch die deutsche Branche in diesem Markt be-




Vizepräsidentin Petra Bläss
21772


(C)



(D)



(A)



(B)


haupten kann. Schön ist, dass auch die CDU/CSU endlich
erkannt hat, welche Bedeutung die von ihr bislang eher
stiefmütterlich behandelte U-Musik für den Wirtschafts-
standort Deutschland hat.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer hat denn die Anfrage gestellt? Wir oder Sie?)


Anders als vor 20, 30 oder 40 Jahren, wo mancherorts
allein das Hören der Doors oder der Rolling Stones schon
beinahe ein Straftatbestand war, wird Rock und Pop in-
zwischen von nahezu allen Altersgruppen und sozialen
Schichten akzeptiert. Kaum jemand spricht mehr abfällig
von „Negermusik“, wenn er oder sie Rockmusik im Ra-
dio oder im Fernsehen hört.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Doch, da gibt es noch welche!)


Die Frage ist jedoch: Welche Rolle kann und soll der
Staat gegenüber der Rock- und Popkultur einnehmen?
Diese Kultur war und ist in vielen Bereich immer noch
eine Subkultur. Dies muss sie auch bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


Sie ist eben nicht nur populistisch und kommerziell aus-
gelegt, sondern in ihr spiegelt sich auch gesellschaftliche
Opposition. Auch deswegen erreicht sie viele Menschen
direkter und unverfälscht.

Erfolg im Popbusiness ist oft unabhängig von einer
messbaren musikalischen Qualität. Daher kann es unseres
Erachtens kein Kriterium für förderungswürdige Rock-
und Popmusik geben. Niemand hat etwas davon, wenn er
oder sie sich einen „Rockmusikmagisterhut“ aufsetzen
kann. Einziges Kriterium könnte ein Trend oder der Ge-
schmack des Publikums sein. Dies wäre sicherlich nicht
förderungswürdig.

Sehr wohl hat der Staat aber die Aufgabe, günstige
Rahmenbedingungen für Musiker und Musikerinnen zu
schaffen. In diesem Bereich hat die Bundesregierung eine
positive Bilanz aufzuweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Stichworte hierfür sind KSK, Urheberrecht und die Re-
form der Besteuerung ausländischer Künstlerinnen und
Künstler. All dies sind Punkte, die die Produktionsbedin-
gungen von Rock- und Popmusikern, aber auch von den
Veranstaltern in Deutschland verbessert haben.

Was wir allerdings nicht brauchen, ist eine Quote für
deutsche Rock- und Popmusik in Radio und Fernsehen.
Diese unselige, weil auch nationalistische Debatte ist
schon 1996, damals unter anderem von dem Musiker
Heinz-Rudolf Kunze, ins Spiel gebracht worden. Auch
ohne eine Quote liegt der Chartanteil an deutschen Re-
pertoires seit Jahren bei knapp 50 Prozent. Auch ohne eine
Quote erfreuen sich Musiksender wie VIVA, die verstärkt
auf inländische Musik setzen, zunehmender Beliebtheit
bei den Zuschauerinnen und Zuschauern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch ohne eine Quote sind deutsche Musikerinnen und
Musiker wie Sarah Connor, Echt oder Guano Apes nicht
nur national, sondern auch international erfolgreich.

Wer eine solche Quote fordert, vergisst zudem, dass
Rock und Pop schon immer ein internationales Phänomen
gewesen sind und dass auch die deutsche Popmusik zum
Beispiel aus der Aneignung und Verwandlung anglo-ame-
rikanischer Stile entstanden ist. Er vergisst auch, dass Mu-
sik von Kreativität lebt und Kreativität von Austausch.
Dieser Austausch findet international statt und ist nicht
national beschränkt.

Zudem ist Deutschland seit über zehn Jahren Aus-
gangspunkt einer Techno- und Diskokultur, unter ande-
rem mit der Love Parade in Berlin, die sich weit über die
Grenzen verbreitet und Deutschland zu einem wichtigen
Repertoirelieferanten für den Weltmarkt gemacht hat.
Auch wenn ich nicht gerade behaupten kann, dass mir
diese Musikrichtung besonders am Herzen liegt, so be-
weist dieses Beispiel doch, wie wenig wir eine solche
Quote benötigen.

Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt – meine
Vorredner haben es schon angesprochen – eingehen, näm-
lich auf Musik im Internet sowie auf die leidige Frage
von Raubkopien und MP3. Keinesfalls dürfen wir hier
die urheberrechtlichen Fragen aus den Augen verlieren.
Dennoch muss es nicht automatisch durch das Internet zu
einer Beeinträchtigung der Musikszene kommen.


(Jörg Tauss [SPD]: Richtig!)

Es ist meines Erachtens in erster Linie die Aufgabe der Mu-
sikbranche, mit technischen Verfahren so genannte Umge-
hungsstrategien der Konsumentinnen und Konsumenten
abzuwehren. Aktuelle Untersuchungen aus den USA zei-
gen zudem, dass nicht durch das Internet Umsätze wegbre-
chen, sondern vor allem durch eine weltweite Rezession.

Auf der letzten Kölner Popkomm beklagten vor allem
die kleinen so genannten Independent Labels das rein auf
den Kommerz ausgerichtete Verhalten der so genannten
Major Labels, die nur unflexibel auf die Wünsche der Kon-
sumenten reagieren. Die wahre Angst der Großen der Bran-
che gründet sich wohl eher darauf, dass im Netz jedermann
als Musikproduzentin oder Musikproduzent und zugleich
auch als Händler auftreten kann und dass auf diese Weise
Fangemeinden innovativer Richtungen entstehen, auf die
die Branchenriesen nicht schnell genug reagieren können.
Dabei könnte das Internet durchaus als Chance begriffen
werden, einen wirklichen Dialog zwischen Musikschaffen-
den, Produzenten und Fans herzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Abschließend noch eine sehr persönliche Bemerkung:
Ich möchte mir persönlich angesichts des Altersdurch-
schnitts im Parlament nicht vorstellen, wie eine vom
Deutschen Bundestag geförderte Popmusik aussehen
würde.


(Heiterkeit bei der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Grausame Vorstellung! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist nicht sehr charmant von Ihnen!)





Grietje Bettin

21773


(C)



(D)



(A)



(B)


– Das ist doch die Wahrheit oder nicht? Die Wahrheit ist
manchmal hart.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Von morgens bis abends „Satisfaction“! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir können gerne eine Altersdurchschnittsberechnung auf der anderen Seite durchführen!)


– Ich glaube, das sähe für uns sehr gut aus.
Unsere Möglichkeiten der politischen Einflussnahme

im Bereich der Rock- und Popmusik sind zum Glück ins-
gesamt eher gering und zum großen Teil beschränkt auf
unsere Rollen als Konsumentinnen und Konsumenten,
Konzertbesucher und gegebenenfalls auch aktive Musi-
ker. All das hoffentlich ganz im Sinne der Buntheit und
Vielfalt der Rock- und Popmusik.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421911700
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1421911800
Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde es sehr gut, dass wir uns heute am Tag der Verlei-
hung des Grand Prix d’Eurovision aufgrund der Anfrage
der CDU/CSU in diesem Hause mit der Situation und den
Perspektiven der Rock- und Popmusik beschäftigen. Da-
durch wurde die Bundesregierung genötigt, einen
Überblick über die allgemeine Situation der Ausbildung
und Nachwuchsförderung sowie über die rechtlichen
Rahmenbedingungen zu geben.

Im Vortext der großen Anfrage heißt es:
Die Rock- und Popmusik bedarf – auch aufgrund der
Entwicklung in der Branche – staatlicher Aufmerk-
samkeit sowie angemessener rechtlicher Rahmenbe-
dingungen wie andere Bereiche der Kultur- und Mu-
sikförderung auch.

Das ist richtig. Das ist richtig. Die gegenwärtige Praxis
der Förderung sieht leider anders aus. Hier ist festzustel-
len, dass der populären Musik bislang kein den anderen
Kultursparten vergleichbares Gewicht zukommt.

Den kulturpolitischen Diskurs zur Rock- und Popmu-
sik voranzutreiben ist angesichts des gewachsenen gesell-
schaftlichen Stellenwerts dieses Musikbereichs und sei-
ner Präsenz im Alltag verschiedener sozialer Schichten
und Generationen zwingend notwendig. Wir sehen in ei-
ner solchen intensiven Debatte auch den Weg zu einem
sinnvollen Konzept für die Gestaltung der bundes- und
landespolitischen Rahmenbedingungen.

Wenn wir als PDS-Fraktion für öffentliches Engage-
ment im Bereich der Rock- und Popmusik eintreten, dann
haben wir dafür auch wirtschaftliche und beschäftigungs-
politische Motive. Rock- und Popmusik ist ein wesentli-

cher Standort- und Wirtschaftsfaktor und kann eine wichtige
Rolle bei der Entwicklung strukturschwacher Regionen
spielen, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Ent-
scheidend aber sind für uns ihre kulturelle Funktion und ihre
Rolle im Alltag als Moment der Sinnbestimmung und Wert-
orientierung breiter Bevölkerungskreise. Das beschränkt
sich nicht mehr nur auf den Alltag von Jugendlichen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bin dem Kollegen Koppelin sehr dankbar dafür, dass er
darauf hingewiesen hat, welche Rolle die Rock- und Pop-
musik in der DDR gespielt hat.


(Beifall bei der PDS)

Wenn wir jetzt genug Zeit hätten, könnten wir noch wei-
ter vertiefen, dass sie für meine Generation eine wesentli-
che politische Sozialisation im Alltag bedeutete. Sie war
ein wesentlicher Ausdruck eines bestimmten menschli-
chen Empfindens, das natürlich auch oppositionelle Züge
trug.

Ohne ihre Rolle zu überhöhen, sehen wir gerade in der
Rockmusik und in der Popkultur als relativ neuen, aus den
Jugend- und Gegenkulturen der 60er-Jahre hervorgegan-
genen Phänomenen eine Art soziales Laboratorium, in
dem neue Sinngebung gefunden, neue Lebensformen er-
probt oder erlebensorientierte und gegenwartsbezogene
Wahrnehmungsformen erkundet werden können. Ihre in
diesem Sinne emanzipatorischen Momente gilt es zu stär-
ken und der Nutzung dieser populären Formen durch die
rechte Szene entgegenzusteuern. „Rock gegen Rechts“ ist
immer noch ein deutliches Zeichen, dem wir uns nicht
entziehen dürfen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entwickeln
sich rasch, und in der Rock- und Popkultur sind eine
enorme Beschleunigung von Trends und eine Vervielfäl-
tigung und Ausdifferenzierung von Szenen festzustellen.
Die Anpassung der Förderstrukturen an diese veränderten
Bedingungen erfolgt aber nur zögerlich. Um neue Wege
zu finden, ist der Dialog mit den Interessenverbänden der
Rock- und Popmusik auf Bundes- und Landesebene un-
verzichtbar. Die Bundesregierung will diesen Dialog
führen. Das begrüßen wir. Daher müssen die Bedingun-
gen für die Arbeit solcher Interessenverbände wie etwa
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Musikinitiativen
B.A.Rock dringend verbessert werden. Auch muss eine
kontinuierliche Arbeit ermöglicht werden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421911900
Herr Kollege Fink, Sie
müssen jetzt bald zum Schluss kommen.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1421912000
Abschließend möchte ich
auf die Bedeutung der wissenschaftlichen Begleitung die-
ser Prozesse hinweisen. Dass es hierbei Differenzen gibt
und weiterer Forschungsbedarf besteht, ist für mich ein
wichtiger Hinweis. Ein Forschungszentrum für populäre
Musik als weltweit erste Institution dieser Art ist 1983 in
der DDR gegründet worden, nämlich an der Humboldt-
Universität. Ich bin sehr froh, dass es inzwischen auch ei-




Grietje Bettin
21774


(C)



(D)



(A)



(B)


nen ordentlichen Professor für dieses Fach gibt. Wir soll-
ten diese Potenziale nutzen und uns darum bemühen, diese
Prozesse auch auf wissenschaftlichem Weg zu begleiten.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421912100
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Michael Roth von der SPD-
Fraktion.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1421912200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja heute rich-
tig hymnisch geworden. Dazu fällt mir Rio Reiser ein, der
einst sang: Das alles und noch viel mehr würd’ ich ma-
chen, wenn ich König von Deutschland wär. – Mit Ver-
laub, Herr Staatsminister: Es gäbe dann wohl keinen Kul-
turminister, sondern einen Rock’n’Roll-Minister, und die
heutige Thematik wäre Chefsache.


(Heiterkeit bei der SPD)

Den König gibt es glücklicherweise nicht, den Minis-

ter schon, aber ausgemachte Experten für Rock und Pop
sind in unseren Reihen eher rar. Wir sind – da sollten wir
die Kirche im Dorf lassen – eher Konsumenten und als
Politiker eher Zielscheibe – das ist auch gut so – denn
Verbündete der Rockkultur.


(Beifall bei der SPD)

Rock und Pop haben ihre Wurzeln im Protest.


(Zustimmung bei der PDS)

Ihre Kultur entstand als ein Gegenentwurf gegen alles Ar-
rivierte, gegen unsere schicken Anzüge und vor allen Din-
gen gegen das Etablierte. Ich denke, das betrifft alle Ab-
geordneten, egal welcher Partei sie angehören, vielleicht
mit Ausnahme von Angela Marquardt von der PDS. Diese
Musik sprach eine Sprache, die offensichtlich geeignet
war, soziale Schranken zu sprengen und Generationen zu
überbrücken. Die Rock- und Popmusik ermöglichte die
Demokratisierung der Musik. Das habe nicht ich gesagt.
Das stammt von Eric Hobsbawn. Es ist trotzdem richtig.
Daher kann hier auch nicht ernsthaft zur Debatte stehen,
dass dieses Themenfeld vor der Sozialdemokratie gerettet
werden müsste.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Doch!)

Die Rock- und Popkultur sucht auch nicht Schutz, schon
gar nicht in den Armen der CDU/CSU.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich, Herr Kampeter,
gerne in der Rolle des Retters sehen würden. Aber dann
müssten Sie schon etwas mehr bieten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Blödsinn!)

Dass das persönliche Interesse an der Rock- und Pop-

musik in den vergangenen Jahrzehnten auch im Deut-
schen Bundestag zugenommen hat, darf durchaus als ein
positives Zeichen gewertet werden. Dass wir heute nicht
über antiquierte Vorstellungen von „langhaarigen

Rockern“ und anderen „Revoluzzern“ diskutieren müs-
sen, zeigt, dass die Rock- und Popmusik inzwischen so-
gar in der CDU akzeptiert wird; ja selbst die CSU ver-
schließt sich nicht mehr gänzlich den Klängen einer
„gepflegten Beatmusik“.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Diskutiert werden muss aber über die Rolle, die der
Staat gegenüber der Rock- und Popkultur spielen kann
und sollte. Die Rockmusik ist ein Medium, um mit mehr
oder weniger Lautstärke und vor allem mit entsprechen-
den Liedtexten rebellieren zu können: gegen die Eltern,
gegen die Schule, gegen die Gesellschaft und nicht zuletzt
auch und gerade gegen die Politik. Es bedarf keiner Kon-
ventionen, keiner besonderen Ausbildung, keiner Di-
plome und schon gar keiner offiziellen gesellschaftlichen
Anerkennung, um Rockmusik zu produzieren. Wir brau-
chen vor allen Dingen keine Normen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Klaus Meine sieht das anders!)


Ich fände es fürchterlich, wenn wir darüber im Bundestag
diskutierten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Rock-
und Popmusik ein enormer Wirtschaftsfaktor, der am
stärksten kommerzialisierte Bereich des Kulturwesens ist.
Lange bevor Fördermechanismen anderswo die Kreativen
unterstützen, hat die Musikindustrie Bands abgegriffen,
multipliziert und verkauft. Dass darin auch Gefahren lie-
gen – auf diese hat Grietje Bettin gerade hingewiesen –,
darf nicht unbeachtet bleiben. Die Diskussion über die
MP-3-Technologie ist hinlänglich bekannt. Die Verviel-
fältigung von Musik ist kaum kontrollierbar. Diese Tech-
nologie wird aber auch von freien Musikern zur Selbstver-
marktung genutzt. Letztlich entscheiden die Konsumenten
und die Musikindustrie, die ja teilweise schon dazu über-
gegangen ist – hier wird es pervers –, die Talente nicht erst
zu entdecken, sondern sie von vornherein und zielgrup-
pengerecht zu produzieren. Erst gibt es die Songs und
dann die Gesichter. Die Produzenten bleiben im Hinter-
grund. Hier wirkt das freie Spiel der Kräfte des Marktes
bisweilen absurd.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Das spiegelt sich beim Publikum durchaus wider. Die
Kosten einer hochsubventionierten Theater- oder Kon-
zertkarte sorgen eher für Verdruss, während 50 Euro oder
mehr für die Karte eines Rockevents zumeist locker sit-
zen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dafür kommen Sie ja auch kaum in die Oper!)


Jeder Versuch, die im Ursprung kreativ-anarchischen Ele-
mente der Rock- und Popkultur – seien sie revolutionär
oder kommerziell – in staatsnahe, wenngleich fördernde




Dr. Heinrich Fink

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(C)



(D)



(A)



(B)


Strukturen einzubinden, kann nur mit Loriots Jodel-
diplom belohnt werden.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Die Rock- und Popmusik kennt keine Grenzen. Warum
sollte man mit der Diskussion über Quotenregelungen ir-
gendwelche Grenzen ziehen, Herr Staatsminister? Gerade
die neuere Popmusik wie Hip-Hop, Techno oder Rap
– diese Musikrichtungen sind in entscheidendem Maße von
der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen – ist längst
nicht mehr nach muttersprachlichen Kriterien einzuordnen.
So schwach, wie es gelegentlich dargestellt wird, ist die
deutschsprachige Rock- und Popmusik gar nicht.

Dort, wo wir als Politiker gefragt sind, hat diese Ko-
alitionsregierung durchaus für vorbildliche Regelungen
gesorgt. Dort, wo es um sinnvolle Rahmenbedingungen
geht, haben wir für die Kulturschaffenden und somit auch
für die Rock- und Popszene erhebliche Verbesserungen
– die Kollegin Grietje Bettin hat sie schon vorhin ge-
nannt – durchgesetzt:


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber gespannt!)


Künstlersozialkasse, Urhebervertragsrecht, Besteuerung
ausländischer Künstlerinnen und Künstler. Das spricht
auch die Rock- und Popszene an.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weitere Verbesserungsmöglichkeiten – darauf möchte
ich zum Schluss noch hinweisen – müssen natürlich auf
Länderebene und kommunaler Ebene ausgelotet werden
– ich bin mir sicher, dass einige Kollegen damit schon
Erfahrungen auf kommunaler Ebene gemacht haben –:
Unterstützung von Konzertorganisationen und Festivals;
Hilfe bei der Bereitstellung von Übungsräumen; womög-
lich Investitionszuschüsse beim Instrumentenkauf oder
Finanzhilfen für Studioproduktionen. Natürlich könnte
auch im schulischen Musikunterricht noch eine Menge
getan werden, wenn diesem Unterrichtsfach endlich
flächendeckend ein adäquater Stellenwert eingeräumt
würde. Darüber redet überhaupt niemand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der PDS – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Doch, ich in meiner Rede! Aber mir hört ja keiner zu!)


Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; es
ist ein Lebensgefühl.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421912300
Herr Kollege Roth,
Präsidentin zu sein ist ebenfalls ein harter Job.


(Heiterkeit)

Denn man muss selbst in einer solchen Debatte den Red-
ner an die Redezeit erinnern.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1421912400
Ich weiß! Ich habe
vorhin schon meine Parlamentarische Geschäftsführerin

gefragt, wie lange ich überziehen darf. Denn bislang habe
ich noch nie überzogen. Es ist wirklich mein letzter Satz.

Rockmusiker zu sein ist zumeist mehr als ein Beruf; es
ist ein Lebensgefühl, in das ausgerechnet wir in diesem
Haus uns wohl wahrlich nicht hineinversetzen können.
Zumindest habe ich noch nicht gehört, dass jemals ein Ab-
geordneter zum Rockmusiker avancierte. Wenn das so
wäre, dann, meine Damen und Herren, hätte die Kulturre-
volution wahrlich ihre Kinder gefressen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421912500
Auch wenn wir in die-
ser temperamentvollen Debatte noch nicht zu Rockmusi-
kerinnen und -musikern mutiert sind, muss ich leider die
Aussprache schließen. Wir haben auch keine Abstimmun-
gen durchzuführen, da dies eine vereinbarte Debatte zu
der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion war.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Wimmer (Karlsruhe), Dr. Peter Eckardt, Dr. Hans
Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft
und Forschung – durch GenderMainstreaming
Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken
– Drucksache 14/7627 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen Brigitte Wimmer, Kerstin Griese,
Bärbel Sothmann, Irmingard Schewe-Gerigk, Ulrike
Flach sowie Maritta Böttcher haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.1) – Ich sehe Einverständnis im gesamten
Hause.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7627 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Dieter Thomae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Verlängerung der Rückwirkungsfrist
für die Berufskrankheit Nr. 4111
– Drucksache 14/6969 –




Michael Roth (Heringen)

21776


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Gesundheit

Die Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Grotthaus,
Gerald Weiß, Katrin Göring-Eckart, Dr. Heinrich Kolb
und Pia Maier haben ihre Reden ebenfalls zu Protokoll ge-
geben.1) – Kein Widerspruch.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6969 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Einverständnis im
ganzen Hause. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Sabine Jünger,
Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Soziale Arbeit stärken – Alternativen zum
Zivildienst entwickeln
– Drucksachen 14/3563, 14/7996 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Dzewas
Thomas Dörflinger
Ina Lenke
Christian Simmert
Monika Balt

Die Kolleginnen und Kollegen Dieter Dzewas, Mar-
lene Rupprecht, Thomas Dörflinger, Christian Simmert
und Ina Lenke haben ihre Reden bereits zu Protokoll ge-
geben.2) – Redet die PDS?


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Klar redet die PDS!)


– Das war mir nicht angekündigt.
Dann erteile ich dem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421912600
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Nach der Debatte über Rock-
und Popmusik über Zivildienstleistende zu reden ist gar
nicht so schwer. Es ist nahe liegend, dass die einen mit
dem anderen etwas zu tun haben.

Im Zivildienst geht es um ernsthafte Probleme. Jeder
von uns weiß, dass der Zivildienst keinen gesetzlichen
Sicherstellungsauftrag im sozialen Bereich hat. In der
Praxis ist es aber so, dass ohne die Zivildienstleistenden
heute kaum noch eine Alteneinrichtung, kaum noch eine
Behinderteneinrichtung – sei es im ambulanten, sei es im
stationären Bereich –, kaum noch eine Kindereinrichtung
existieren kann.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das kann so nicht hingenommen werden. Deswegen

schlagen wir in unserem Antrag vor, die soziale Arbeit

– die gut bezahlt sein muss – zu stärken, indem der Zivil-
dienst reformiert wird. Wir sagen klipp und klar: Obwohl
wir eigentlich für die Abschaffung aller Zwangsdienste,
also von Wehrpflicht und Zivildienst, sind, kann man den
Zivildienst nicht abschaffen, ohne vorher Kompensatio-
nen für das geschaffen zu haben, was die jungen Männer
mit großem Engagement – zum Teil arbeiten sie wesent-
lich länger, als sie eigentlich müssten – leisten.


(Beifall bei der PDS)

Es geht um eine Konversion des Zivildienstes, nicht um
eine scheibchenweise Amputation, indem wir ihn jedes
Mal ein bisschen mehr zurückschrauben.

Nachdem ich das vorausgeschickt habe, möchte ich auf
unseren Antrag zu sprechen kommen. Wir schlagen ver-
schiedene Maßnahmen vor, damit diejenigen – ich rede
jetzt hauptsächlich vom sozialen Bereich –, die jetzt einen
Vorteil davon haben, dass es die Zivildienstleistenden
gibt, zum Beispiel behinderte Menschen in Werkstätten
oder in der ISB, der individuellen Schwerbehindertenbe-
treuung, nicht in ein Loch fallen, aus dem sie nicht he-
rauskommen. Wir können denen das nicht zumuten.

Bei der notwendigen Konversion müssen auch die Trä-
gereinrichtungen in die Lage versetzt werden, den Über-
gang zu bewältigen. Momentan werden die Zivildienst-
leistenden als billige Arbeitskräfte missbraucht. Das kann
nicht Aufgabe des Zivildienstes sein. Deshalb muss dieser
Missbrauch zurückgefahren und eine vernünftige Rege-
lung gefunden werden, damit die wichtigen sozialen Auf-
gaben, die in diesem Bereich erfüllt werden, weiterhin in
guter Qualität erfüllt werden können.

Wir schlagen zum Beispiel die Schaffung des Amtes
eines Ombudsmannes vor, an den man sich, falls ir-
gendwo bei den Betroffenen Probleme auftauchen – also
zum Beispiel bei den behinderten Menschen, bei den Zi-
vildienstleistenden oder bei den Zivildienststellen –, wen-
den kann und der dafür sorgt, dass diese Probleme schnell
und unbürokratisch gelöst werden.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben in unserem Antrag auch noch mehrere

Vorschläge unterbreitet, die von einer langfristigen Per-
spektive ausgehen. Insbesondere sollte endlich dazu über-
gegangen werden, bestimmte Bereiche des gesellschaft-
lichen Lebens, die von jedem von uns für wichtig gehalten
werden – darüber bestand in jeder Aussprache hier bisher
Einigkeit –, nicht ausschließlich betriebswirtschaftlichen
bzw. Marktkriterien zu unterwerfen. Man sollte vielmehr
sagen, dass diese Arbeit auch dann, wenn man dort keine
Gewinne erzielen kann, geleistet werden muss. Demzu-
folge ist eine ständige – auch finanzielle – Unterstützung
erforderlich. Ob Sie das wie wir als öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor bezeichnen oder umbenennen,


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das bleibt trotzdem falsch!)


ist egal; es geht mir hier um die Sache, und die brauchen
wir.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier

noch an einem ganz konkreten und aktuellen Beispiel




Vizepräsidentin Petra Bläss

21777


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3
2) Anlage 4

darstellen, was Zivildienstleistende heute leisten, was pas-
siert, wenn sie wegfallen, und wie es eigentlich nicht lau-
fen sollte. In der vergangenen Woche erfuhr ich von einem
Mann aus der schönen Stadt Viersen: Er ist Ende 30, quer-
schnittsgelähmt und führt mithilfe von Zivildienstleis-
tenden ein relativ selbstbestimmtes Leben. Ende März die-
ses Jahres wird ihm die Hilfe durch Zivildienstleistende
verwehrt, weil die Zivildienststelle sagt, sie könne die Zi-
vis nicht mehr bezahlen. Einerseits bezahlt die Pflege-
versicherung für die Zivildienstleistung nur drei Stun-
densätze pro Tag, obwohl die Zivildienstleistenden
14 Stunden am Tag da sind. Das liegt daran, dass die Pfle-
geversicherung nicht bereit ist zu zahlen, wenn Zivil-
dienstleistende Behinderte außer Haus begleiten usw.
Diese dürfen nur das Verlassen der Wohnung abrechnen,
wofür es 70 Punkte gibt; für eine Begleitung außer Haus
– dabei handelt es sich um Spazierengehen oder Essenge-
hen – gäbe es 600 Punkte. So bezahlt die Pflegeversiche-
rung für die Zivildienstleistenden, die diesen Mann be-
treuen, nur drei Stunden pro Tag, während die anderen elf
Stunden das Sozialamt zahlen soll. Das Sozialamt ande-
rerseits begrenzt aber seine Leistungen ab sofort auf maxi-
mal 1 500 Euro pro Monat. Da für die Betreuung dieses
Mannes nunmehr 300 Euro im Monat fehlen, wird ihm ge-
sagt, er solle ins Heim gehen, weil die Zivis diese Arbeit
nicht mehr leisten könnten. Sagen Sie bitte: Wie wollen
wir aus dieser Kluft eigentlich herauskommen? – Entwe-
der wir erlauben den Zivis, die Arbeit die ganze Zeit zu ma-
chen, und bezahlen sie ordentlich oder wir erhöhen – das
entspricht unserem Vorschlag – das Niveau der sozialen
Arbeit: ordentliche Bezahlung, klare Verhältnisse. Die be-
troffenen Menschen dürfen nicht mehr der Demütigung
ausgesetzt sein, Bittsteller zu sein.


(Beifall bei der PDS)

Ich bedauere, dass die Kolleginnen und Kollegen

hierzu heute nicht mehr reden können. Ich denke, dass wir
in der Sache vorankommen müssen – es ist nicht damit ge-
tan, den Antrag heute abzulehnen –, um den Zivildienst zu
konvertieren und nicht zu amputieren.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421912700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend auf Drucksache 14/7996 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Soziale Arbeit stärken –
Alternativen zum Zivildienst entwickeln“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3563 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf – es handelt sich zu-
gleich um den letzten Tagesordnungspunkt des heutigen
Tages –:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS

Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Drohungen des Präsidenten der USAgegen den
Irak

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Frak-
tionsvorsitzende der PDS, Roland Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421912800
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich wurde in dieser Woche
gefragt, ob der Titel „Haltung der Bundesregierung zu ak-
tuellen Drohungen des Präsidenten der USA gegen den
Irak“ nicht zu martialisch gewählt ist. Ich glaube, dass das
nicht der Fall ist. Allenfalls der Vorgang, um den es hier-
bei geht, ist martialisch. Wir haben es mit Kriegsdrohun-
gen zu tun.

Ich war in den Vereinigten Staaten, als die Worte des
US-Präsidenten die Runde machten. Ich war am Ground
Zero und habe wahrgenommen, dass sich die Bevölke-
rung der Vereinigten Staaten als im Krieg befindlich emp-
findet. Die herausragende Frage der Verantwortlichen im
Pentagon ist natürlich immer: Wo ist der Feind? Diese
Frage ist zu beantworten.

Die Situation in Deutschland und in Europa ist anders:
Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und auch
die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages wollen
diesen Krieg nicht. Verstehen Sie insofern das Ansinnen
der von uns beantragten heutigen Aktuellen Stunde nicht
konfrontativ! Wir haben seinerzeit, als es um die Ent-
scheidung über den Einsatz deutscher Soldaten im Afgha-
nistan-Krieg ging, gesagt: Krieg ist die falsche Antwort
auf den Terror. Wir finden, dass Krieg auch die falsche
Antwort auf ganz sicher vorhandene Unterdrückungen
und Menschenrechtsverletzungen im Irak ist.

Ich hatte jüngst die Gelegenheit, im amerikanischen
State Departement einmal die Position gegen den Afgha-
nistan-Krieg – sie wird in Europa nicht nur, aber auch von
der PDS vertreten – einzubringen. Ich habe versucht,
darzustellen, dass diese Position sehr wohl mit einer Hal-
tung einhergeht, die nicht als Antiamerikanismus diffa-
miert werden kann, die durchaus solidarisch sein kann,
auch wenn sie sich in dieser Angelegenheit mit dem ame-
rikanischen Vorgehen kritisch auseinander setzt. Die Re-
aktion auf die Frage, ob diese Position für die Kollegen im
State Departement akzeptabel sei, war, dass sie sich selbst
sehr wohl als auf der Suche befindlich verstehen und des-
halb mit Kritik umgehen können.

Ich finde, man muss an dieser Stelle eines sehr deutlich
sagen: Ein Krieg gegen den Irak wäre durch nichts zu
rechtfertigen, von den unabsehbaren Auswirkungen auf
den Nahostkonflikt einmal ganz abgesehen.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb sind die Mahnungen der europäischen Außenmi-
nister, denen wir von hier aus den Rücken stärken können,
sicher zu begrüßen. Diese Mahnungen sind ehrenwert.

Aber ich fürchte, dass die Mahnungen des Bundes-
außenministers Fischer und der anderen europäischen
Außenminister folgenlos bleiben. Deshalb besteht die Ge-
fahr, dass zwischen „uneingeschränkter Solidarität“, die
hier vom Kanzler bekundet wurde, und dem Ausschluss




Dr. Ilja Seifert
21778


(C)



(D)



(A)



(B)


von Abenteuern, der auch an dieser Stelle verkündet
wurde, fließende Grenzen entstehen. Ist es denn kein
Abenteuer, wenn deutsche Soldaten in Kuwait an
Manövern teilnehmen? Wir wollen Ihnen eines deutlich
sagen: Wir verkennen die schwierige Situation der Bun-
desregierung nicht, auch wenn sie sie natürlich selbst zu
verantworten hat. Sie sind nicht aus Versehen in den Bei-
standsfall geraten.

Da Bundesaußenminister Fischer so starke Worte wie
„Alliierte sind keine Satelliten“ gewählt hat, will ich an
das erinnern, was uns hier alles – das waren nicht ganz so
starke Worte – im Herbst des vergangenen Jahres unter-
stellt worden ist und welche Häme wir damals einzu-
stecken hatten. Sofort kommt ja auch die Kritik der CDU
an die Adresse des Bundesaußenministers, die ich in der
Sache nicht teile. Aber ganz sicher ist ein Problem daran
echt: Dem Wahlkämpfer Fischer steht der Außenminister
Fischer dabei schon ein Stück im Wege.

Gesetzt den Fall – diese Erwartungen wurden ja auch
in öffentlichen Ankündigungen geäußert –, die USAwol-
len diesen Krieg im Alleingang führen, bleibt noch immer
die Tatsache, dass wir hier und an anderen Stellen den
Beistandsfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages beschlos-
sen haben – nicht mit unseren Stimmen, aber mit den be-
kannten Mehrheiten. Wir stehen damit vor der auch völ-
kerrechtlich spannenden Frage: Wo ist der Ausstieg aus
dem NATO-Beistandsfall? Ein solcher ist bekanntlich im
Vertrag nicht geregelt.

Ich habe in einer ganzen Reihe von Gesprächen mit Ex-
pertinnen und Experten zu dieser Frage in dieser und in den
zurückliegenden Wochen immer wieder gewissermaßen als
Beruhigung gehört: Nun regen Sie sich doch nicht auf, das
dauert doch alles noch. – Ich empfinde das überhaupt nicht
als Beruhigung. Ich denke, wir brauchen den öffentlichen
Widerstand vor dem Waffengang. Wir brauchen den Wi-
derspruch gegen eine solche Politik auch hier aus Europa
und wir haben heute und sicher auch danach noch Gele-
genheit, diesen Widerspruch zu artikulieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421912900
Das war eine Punkt-
landung, was die Redezeit betrifft.

Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel für die
SPD-Fraktion.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1421913000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Das Interesse an dieser Debatte
scheint mir – so muss ich es, wenn ich die Zeitungen auf-
schlage, sagen – ein eher innenpolitisches zu sein. Ich
muss gestehen: Diese Rede hat mich auch nicht vom Ge-
genteil überzeugen können.

Wenn hier behauptet wird, dass es um Krieg oder nicht
Krieg geht, werden durchaus starke Worte gewählt, die
wir aus der PDS oft genug gehört haben. Aber darum geht
es heute hier nicht. Ich muss auch sagen, lieber Kollege
Pflüger: Es geht heute auch nicht um die Frage, wie weit
Deutschland im Kampf gegen den Terrorismus klar an der

Seite Amerikas steht oder wie weit dies nicht der Fall ist.
Alles, was wir in den letzten Tagen dazu gehört haben,
halte ich sowohl in der Debatte darüber, wie man sich ge-
genüber dem Irak verhalten soll, als auch in der Debatte
darüber, was im Rahmen des Kampfes gegen den Terro-
rismus zu tun ist, wirklich für wenig hilfreich.

Konsens besteht unter uns allen hinsichtlich der Ge-
fährlichkeit des Irak. Es ist klar, wie gefährlich er für die
Nachbarn ist. Es ist klar und deutlich, wie schwierig die
Lage für Israel und für den Nahen Osten wird, wenn hier
etwas losgeht. Dass die Person Saddam Hussein und sein
Regime wahrhaftig mit großer Gefahr gerade im Nahen
Osten zu tun haben, dürfte wohl uns allen bewusst sein.

Gefahr besteht auch, wenn Massenvernichtungsmittel
angeschafft und Trägerraketen vorbereitet werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Eingesetzt werden!)

Das ist eine Gefahr für uns alle, mit der wir uns auseinan-
der zu setzen haben. Nicht zuletzt darf man auch feststel-
len, was übrigens für alle Diktatoren gilt: Er ist eine Ge-
fahr für die eigene Bevölkerung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Auch um der eigenen Bevölkerung willen ist Saddam
Hussein zu bekämpfen.

Aber nach allem, was wir wissen – natürlich muss ich
zugeben, dass wir vielleicht nicht alles wissen –, muss
man gleichzeitig sagen: Diese Gefahr ist keine akute, son-
dern eine längerfristige Bedrohung. Wir müssen durchaus
offen miteinander darüber diskutieren, wie wir dieser Ge-
fahr Herr werden können.

Von zentraler Bedeutung – ich denke, auch darüber
sind wir uns einig – ist die Einhaltung der UNO-Resolu-
tionen, die Frage der Waffeninspektionen, die auf jeden
Fall weiter möglich sein müssen und die man durchsetzen
muss. Sie sind dringend notwendig. Deshalb sollten wir es
begrüßen und das mit unserer Unterstützung deutlich ma-
chen, dass der Generalsekretär der UNO im April, beglei-
tet von Herrn Blix – das ist auch wichtig und ein deutli-
ches Signal –, im Irak Gespräche führen will.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Die Diskussion über das Sanktionsregime scheint mir
ebenfalls von großer Bedeutung zu sein. Wir haben auch
diese Debatte lange geführt und müssen zumindest fest-
stellen, dass dieses Regime, das wir hatten, wohl eher
– ich sage es vorsichtig – zur Verelendung der Bevölke-
rung geführt, als wirklich zu einer Schwächung Saddam
Husseins beigetragen hat. Das Gegenteil scheint mir der
Fall zu sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber neu
diskutieren und dass wir auch im Sanktionsregime neue
Strukturen finden. Im Mai wird es hierzu neue Entschei-
dungen geben. Wir hoffen, dass diese im Rahmen des
UNO-Sicherheitsrates in einem großen Konsens getroffen
werden können.

Wir alle wissen ehrlich gesagt relativ wenig darüber,
welche Rolle der Irak im internationalen Terrorismus spielt,
wie die Strukturen aussehen. Es gibt jedenfalls bisher keine
klaren Beweise für entsprechende Zusammenhänge. Wir




Roland Claus

21779


(C)



(D)



(A)



(B)


wissen, dass die Diskussion darüber auch in den USA in-
tensiv geführt wird.

Ich denke, wir brauchen ein gemeinsames und ent-
schlossenes Handeln gegen den Terrorismus und eine
klare Position gegenüber dem Irak in den Punkten, die ich
eben genannt habe. Das heißt, dass wir intensive Kon-
sultationen zwischen den USA und Europa brauchen.
Dies ist bereits in durchaus hohem Maße geschehen. Viel-
leicht war es aber nicht in allen Punkten ausreichend. Da-
rüber lässt sich reden; dies sollten wir auch tun.

In den letzten Tagen war ich in Brüssel. Im Rahmen der
NATO-Parlamentarierversammlung führten wir auch ein
Gespräch im NATO-Rat. Es war klar, dass es auch hier ein
Spektrum unterschiedlicher Positionen gibt. Eines sollte
wichtig sein: Wir brauchen ein klares, politisches und ge-
meinsames Vorgehen und keine Debatte über Antiameri-
kanismus oder dergleichen Vorwürfe. Es geht darum, dass
wir zusammenstehen und dass die wichtigsten UNO-Si-
cherheitsratsmitglieder, die ein Vetorecht haben, zu einer
gemeinsamen Position finden. Dafür gibt es auch erste An-
zeichen. Hierbei müssen wir insbesondere Moskau drän-
gen, dass es seinen Einfluss auf Saddam Hussein nutzt.
Wir müssen hier zu einer gemeinsamen Position kommen.

Im Kampf gegen den Terrorismus darf die breite Koa-
lition, die weit über die Wertegemeinschaft des Westens
hinausgeht, nicht gefährdet werden. Ihr Verschwinden
würde uns allen nichts nützen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421913100
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Karl Lamers.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1421913200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Kollege Meckel, ich stimme
Ihnen ausdrücklich zu: Nach der Rede des Kollegen Claus
war es notwendig, darauf hinzuweisen, dass nicht Ame-
rika, sondern der Irak das Problem ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Es kann wenig Zweifel daran geben, dass dieser Dik-
tator, der einer der brutalsten ist, die wir je kennen gelernt
haben, weiterhin nach Massenvernichtungswaffen strebt
und vielleicht auch schon über solche verfügt. Wir sind
uns auch alle darüber klar, dass er sein eigenes Volk un-
terdrückt und dass es höchste Zeit ist, dass dieses schwie-
rige Volk – es besteht im Grunde genommen aus vielen
Völkern – ein anderes Regime bekommt. Das bleiben die
Grundaxiome sowohl der europäischen und deutschen als
auch der amerikanischen Politik. Dazu gehört auch, dass
die UN-Inspekteure wieder ins Land gelassen werden.
Das muss unser erstes und vorrangiges Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Was sind nun die weiteren Optionen? Was muss und
kann getan werden? Was sind dabei die Interessen von

Deutschland und Europa? Die Amerikaner lassen keinen
Zweifel daran, dass sie es mit ihren Warnungen gegenüber
dem Irak ernst meinen. Wir müssen diese Warnungen
ernst nehmen. Ich glaube, wir können ihre Entschlossen-
heit nur dann verstehen, wenn wir bereit sind, uns in ihre
Rolle als Symbol der freiheitlichen westlichen Gesell-
schaftsordnung hineinzuversetzen. Dabei ist zu berück-
sichtigen, dass sich die USA durch die Ereignisse des
11. September zutiefst verletzt fühlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns muss klar sein,
dass wir uns von den Vereinigten Staaten nicht abkoppeln
können. Von allem, was sie tun, sind auch wir betroffen.
Das gilt ebenso für die Folgen, wie zum Beispiel denen
ihres Einsatzes in Afghanistan. Genauso wäre es im Falle
eines Vorgehens gegen den Irak.

Wir haben nicht nur den Wunsch, sondern auch das
Recht, mit den Amerikanern darüber zu reden und kon-
sultiert zu werden, bevor Entscheidungen getroffen wer-
den; denn ein solcher Angriff wäre mit einer Reihe von
Problemen verbunden. Ich will sie nicht alle aufzählen.
Herr Kollege Meckel hat schon darauf hingewiesen, dass
die Erhaltung der internationalen Koalition, gerade mit
der arabischen Welt, ganz vorrangig sein muss. Wir kön-
nen mögliche Auswirkungen auf den Israel-Palästina-
Konflikt nicht übersehen. Vor allen Dingen müssen wir
uns darüber im Klaren sein, dass wir die Frage beantwor-
ten müssen, was nachher geschehen kann und wie wir uns
in der richtigen Weise verhalten und einsetzen können.

Kurzum: Unser gemeinsames Ziel mit den USA ist es,
den Irak Saddam Husseins zur Räson zu bringen und dem
Kontrollregime der Vereinten Nationen wieder volle Gel-
tung zu verschaffen.

Wenn es richtig ist, dass wir, aus den Gründen, die ich
genannt habe, einen Anspruch darauf haben, gehört zu
werden, dann gilt aber auch, dass wir dialogfähig sein
müssen. Der Vorwurf, den ich der Bundesregierung ma-
chen muss, ist, dass sie nicht alles in ihren Kräften Ste-
hende getan hat,


(Markus Meckel [SPD]: Na, na!)

um uns dialogfähig zu machen bzw. dafür zu sorgen, dass
Europa dialogfähig wird. Denn wir müssen uns doch da-
rüber im Klaren sein: Alleine sind wir nicht in der Lage,


(Markus Meckel [SPD]: Man macht doch nicht alles öffentlich!)


uns wirklich Gehör zu verschaffen.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Absolut richtig!)

Es ist eine traurige Tatsache: Wer nicht gebraucht wird,

der wird auch nicht gehört. Wir werden für den militäri-
schen Teil nicht gebraucht. Das hat gerade im Falle
Deutschlands Ursachen, die im Versagen dieser Regie-
rung liegen.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Oh!)

– Dass die Bundeswehr in einem mehr als beklagenswer-
ten Zustand ist,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt diese Platte wieder!)





Markus Meckel
21780


(C)



(D)



(A)



(B)


haben wir ja gerade bei der Verlegung der Streitkräfte
nach Afghanistan gemerkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sosehr es stimmt, dass im Augenblick aus allen euro-

päischen Ländern ein gemeinsamer Tenor über den Atlan-
tik schallt, so wissen die Amerikaner doch sehr genau,
dass Europa, wenn es ernst wird, wieder auseinander fällt.
Deswegen ist das Erste, was wir von dieser Regierung
verlangen müssen, dass Europa mit einer Stimme spricht.
Herr Minister, da hat es ja in der letzten Zeit, wenn auch
nicht im Zusammenhang mit diesem Thema, genau das
Gegenteil einer deutschen Bemühung gegeben. Der Bun-
deskanzler hat Europa schwersten Schaden zugefügt


(Manfred Opel [SPD]: Das hat bloß keiner gemerkt außer Ihnen!)


und da hat man Ihre Stimme leider nicht gehört.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421913300
Herr Kollege Lamers,
ich muss Sie leider an die Redezeit in der Aktuellen
Stunde erinnern.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1421913400
Ja. – Was wir also brau-
chen, ist ein dialogfähiges Europa, ein Europa, das seine
Stimme auch in der NATO erheben kann und das über den
Atlantik gehört wird. Ich glaube, dass wir uns vornehmen
sollten, die öffentliche Diskussion und die öffentliche Kri-
tik an Amerika mit dem heutigen Tag zu beenden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Aber nicht doch!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421913500
Das Wort für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat der Kollege
Dr. Helmut Lippelt.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421913600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fand die Art und Weise, wie Herr Meckel das Problem an-
gesprochen hat, sehr gut und ich fand die Art und Weise,
wie Herr Lamers Herrn Meckel aufgenommen hat, sehr
gut und richtig. Ich fand sie richtiger als die Anfänge, bei
denen sich Herr Claus und Herr Pflüger in einer seltsamen
Achse befanden und meinten, dieses Thema auf den
Wahlkampf reduzieren zu dürfen, wobei dem deutschen
Außenminister der Wahlkämpfer im Wege stehe. Das fand
ich, ehrlich gesagt, etwas geschmacklos, auch von Ihnen,
Herr Pflüger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es geht hier doch um die ernste Frage, die Herr Lamers
gerade aufgebracht hat, wie wir mit einer sich zuspitzen-
den Krise umgehen, bei der die Amerikaner gar nicht im
Unrecht sind. Ich bin der Letzte, der leugnet, dass wir,
wenn Bomben fallen, möglicherweise eine Giftwolke ha-
ben. Es ist gar nicht daran zu zweifeln, dass es viele gute
Gründe gibt. Man muss aber trotz Solidarität die Frage an
die amerikanische Politik stellen, ob die Aktionen, die

sich anbahnen, mit den richtigen Mitteln und zum richti-
gen Zeitpunkt durchgeführt werden. Es stellt sich die
Frage, ob es nicht klüger wäre – das hat auch der franzö-
sische Außenminister angemahnt –, diese Situation diffe-
renzierter zu betrachten.

Die Frage ist, ob es richtig ist, das Problem des Terro-
rismus – bei der Bekämpfung des al-Qaida-Terrorismus
musste man sehr wohl militärische Mittel anwenden –
hier mit dem Problem der Massenvernichtungswaffen zu
verbinden. Angesichts der Verschiebung dieser Ziele
muss man fragen, ob damit nicht größerer Schaden in der
arabischen Welt angerichtet wird und ob man nicht zu an-
deren Schlussfolgerungen kommen sollte. Aus diesem
Grunde, Herr Lamers, fand ich den zweiten Teil Ihrer
Rede nicht richtig.

Ich will sagen, weshalb es richtig ist, dass wir dieses
Thema heute debattieren. Wer die Entwicklung genau ver-
folgt hat – man konnte es ja auch nachlesen –, wie isla-
mische Regierungen aus großer Sorge Saddam Hussein
signalisiert haben, er möge doch gefälligst die Inspekto-
ren ins Land lassen – sie sprachen davon, dass dies seine
letzte Chance sei; ich erwähne in diesem Zusammenhang
den Brief von Ecevit –, und wer die Antwort „Es werden
nur Spione geschickt“ kennt, der weiß, dass eine Einsicht
kaum zu erwarten ist und dass sich die Lage weiter zu-
spitzen wird.

Wer auf der anderen Seite zur Kenntnis nimmt, dass die
amerikanische Administration eine neue Irak-Strategie
erarbeiten lässt, was zur Folge hat, dass es auf der Reise
von Cheney nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um
das Wie geht, der muss große Angst verspüren, Herr
Pflüger. Man muss daher kritische Fragen stellen dürfen.
Es besteht kein Zweifel, dass wir diese Fragen in ange-
messener Form und unter Berücksichtigung der Bündnis-
solidarität stellen.

Wir haben im Moment folgendes Problem: Ein Dikta-
tor verharrt in seiner unbeweglichen Trotzhaltung. Auf
der einen Seite haben wir also ein Milosevic-Problem.
Auf der anderen Seite gibt es das Problem, dass bis Mai
eine Drohkulisse aufgebaut wird. In der „Herald Tribune“
kann man sehr genau nachlesen – auch wenn die Ameri-
kaner jetzt Desinformationen verbreiten sollten –, dass
mit den Vorbereitungen begonnen wird. Natürlich wird es
politische Lösungsversuche und eine UNO-Resolution
geben. Das heißt, die Vorbereitung auf politischem Gebiet
steht noch bevor. Bis dahin hat Europa Zeit, seine Stimme
zu erheben, so wie es Blair und – für das konservative La-
ger – Aznar schon getan haben.

Diese Gelegenheit muss genutzt werden, um – ausge-
hend von einer Drohkulisse – dafür zu sorgen, dass der Dik-
tator den Ernst der Lage erkennt. Es muss aber gleichzeitig
dafür gesorgt werden, dass Amerika aus einer solchen
Drohkulisse wieder herauskommt und nicht in Handlungs-
zwänge gerät, die nicht mehr beherrschbar sind. Wenn
diese Zwänge nicht mehr beherrscht werden können, gera-
ten wir nämlich in eine Situation, die ich jetzt nicht weiter
ausmalen möchte, die Ihnen aber allen bekannt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Karl Lamers

21781


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421913700
Jetzt spricht der Kol-
lege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1421913800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist von Herrn Lamers und
Herrn Meckel und teilweise auch von Herrn Lippelt schon
so viel Richtiges zum Thema Irak und Saddam gesagt
worden, dass ich mich mit dem Herrn gar nicht mehr
lange aufhalten möchte. Ich möchte mich vielmehr auf
eine andere große Sorge konzentrieren, die ich in diesem
Zusammenhang habe.

Mich bewegt gegenwärtig am meisten, wie die freie
Welt in der mittel- und langfristigen Betrachtung mit Be-
drohungen, wie sie von jemandem wie Saddam Hussein
ausgehen, umgeht. Es bewegt mich die Frage, wie wir uns
vor der Gefahr schützen, uns in der freien Welt von jeman-
dem auseinander dividieren zu lassen, der für Völkermord,
Vertreibung, Angriffskrieg, Geiselnahme des eigenen
Volkes und vieles andere und nicht zuletzt auch für die Pro-
duktion und Weiterverbreitung von Massenvernichtungs-
waffen und gegebenenfalls auch Trägersystemen steht.

Mir behagt natürlich vieles nicht an der Kriegsrhetorik,
die gegenwärtig von jenseits des Atlantiks zu uns he-
rüberkommt. Ich halte manches, was im Zusammenhang
mit der Achse des Bösen gesagt wird, nicht unbedingt für
klug.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ingrid Holzhüter [SPD])


Es ist völkerrechtlich problematisch, so zu tun, als sei der
Angriff auf den Irak die logische und automatisch ge-
rechtfertigte Konsequenz aus den Aktionen gegen die
Terrororganisation al-Qaida.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Ich teile schließlich ausdrücklich die Sorgen derje-

nigen, die befürchten, dass die Soldaten der Bundeswehr,
die sich gegenwärtig an einem sich immer mehr verlän-
gernden Manöver in Kuwait beteiligen, unter Umständen
in eine Situation hineingezogen werden könnten, die in ei-
nem Krieg endet, in dem der Deutsche Bundestag seine
Rolle als Herr einer Parlamentsarmee im Grunde nicht
mehr frei spielen kann. Insofern habe ich wirklich größte
Besorgnisse.

Aber ich bin der Meinung, dass es sich diejenigen, die
plötzlich ihren antiamerikanischen Reflexen wieder
freien Lauf lassen, deutlich zu leicht machen. Plötzlich ist
ja – der Wahlkampf lässt grüßen – so mancher antiameri-
kanische Reflex wieder da. Das ist eine Zeit lang über-
deckt worden. Der Außenminister musste natürlich der
amerikanischen Administration erst einmal beweisen,
dass er wirklich von einem antiimperialistischen Street-
fighter zu einem überzeugten Atlantiker mutiert ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Jetzt hat er den latenten Antiamerikanismus der grünen
Basis eben doch wieder entdeckt.


(Markus Meckel [SPD]: Vorsicht!)

Deswegen habe ich die Sorge, dass wir als Deutsche

und Europäer aufgrund dieser innenpolitischen Dimen-

sion letztendlich schlecht vorbereitet sind, wenn es darum
geht, die Diskussion über Meinungsunterschiede mit
den amerikanischen Freunden tatsächlich sachgerecht zu
führen. Wo sind denn die europäischen Konzepte für
eine entschlossenere Abrüstungs- und Antiprolifera-
tionspolitik? Welche Konzepte haben wir im Hinblick auf
den Umgang mit Terrorismus und mit der Produktion
von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen?
Mit welchen Instrumenten wollen wir Saddam Hussein
zwingen, die UN-Inspektoren wieder in sein Land zu las-
sen? Zu all dem hören wir hier relativ wenig.

Das Gefährlichste ist, dass wir in Amerika und in
Europa zwischenzeitlich voneinander eine wechselseitige
Perzeption haben zustande kommen lassen, bei der die
einen auf der anderen Seite des Atlantiks als Weicheier
dargestellt werden, die die Realitäten des Lebens nicht er-
kennen, während bei diesen der Eindruck entsteht, dass
die andere Seite des Atlantiks blindwütig draufschlagen
würde, wenn ihr in dieser Welt irgendetwas nicht passt. Es
ist höchste Zeit, dass die Europäer und die Amerikaner
wieder zu gemeinsamen Analysen, zu gemeinsamer Ent-
scheidungsfähigkeit und hoffentlich auch zu einer ge-
meinsamen Sprache zurückfinden. Nach meiner Auffas-
sung ist es in dieser Frage fünf vor zwölf.

Ich glaube nicht an Huntingtons „Clash of civiliza-
tions“. Aber ich habe schon die Befürchtung, dass wir auf
einen Clash der politischen Kulturen zwischen Nord-
amerika und Europa hinsteuern könnten, wenn wir nicht
gewaltig aufpassen und gegensteuern. Die deutsche Poli-
tik ist hier in besonderer Weise gefordert. Seit 50 Jahren
ist es ein Imperativ deutscher Außenpolitik, sich niemals
in die Situation manövrieren zu lassen, zwischen euro-
päischer Integration und transatlantischer Verankerung
wählen zu müssen. Deswegen sind in schwierigsten
Zeiten – ich denke an die INF-Debatte Ende der 80er-
Jahre, als es um die Kurzstreckenraketen ging – durch
kluge Diplomatie und Außenpolitik immer wieder For-
men der Begegnung und des Dialogs – teilweise auf dis-
krete Art – gefunden worden. Ich hoffe, dass es solche
Initiativen wie damals bei Hans-Dietrich Genscher auch
jetzt bald wieder geben wird. Wir brauchen sie, wenn wir
die Zeit, die wir noch haben, tatsächlich nutzen wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gefährlichste ist, dass das Wirklichkeit werden
könnte, was als Paradigmenwechsel der amerikanischen
Außenpolitik beschrieben wird: weg vom Multilatera-
lismus, aufgrund dessen uns der ehemalige Präsident
George Bush seinerzeit „partnership in leadership“ ange-
boten hatte, hin zu dem, was sich jetzt als Unilateralismus
der amerikanischen Seite unter George W. Bush darstellt,
der zum Beispiel die Vereinten Nationen nur noch als läs-
tig zu empfinden scheint.

Diese kurzfristigen Ad-hoc-Zweckbündnisse, die eine
Aushöhlung der Nordatlantischen Allianz, dem neben EU
und UNO wichtigsten Instrument, das wir in der Welt ha-
ben, übrigens auch für den Kern deutscher Außen- und
Sicherheitspolitik, zur Folge haben können, könnten auf
längere Sicht zu dem Gefährlichsten führen, was Deutsch-
land passieren kann: dass die Europäer tatsächlich den






(C)



(D)



(A)



(B)


Weg der Renationalisierung der Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik gehen. Die NATO hat uns über Jahrzehnte
davor bewahrt. Wir sollten nicht zulassen, dass durch eine
Erosion der NATO diese Gefahr wieder virulent wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421913900
Das Wort hat der Kol-
lege Reinhold Robbe für die SPD-Fraktion.


Reinhold Robbe (SPD):
Rede ID: ID1421914000
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Völlig unabhängig
von der Frage, wie sich die Bundesregierung zur aktuel-
len Situation im Irak verhält, ist in diesem Zusammen-
hang doch eine ganz andere Frage zu stellen, nämlich:
Was veranlasst eigentlich die PDS, dieses Thema gerade
zu diesem Zeitpunkt auf die Tagesordnung zu setzen? Ich
will noch einen Schritt weiter gehen und fragen: Ist die
PDS unter moralischen Gesichtspunkten überhaupt legi-
timiert, sich an einer derartigen Debatte zu beteiligen?


(Beifall des Abg. Manfred Opel [SPD])

Ich beantworte diese Frage mit einem klaren Nein. Die

SED-Nachfolger haben sich bisher jeder internationalen
Verantwortung grundsätzlich verweigert.


(Beifall des Abg. Manfred Opel [SPD] sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die PDS hat jeden Bundeswehreinsatz abgelehnt, der da-
rauf gerichtet war, Völkermord, Vertreibung, Massenver-
gewaltigungen und Terror zu beenden. Ich erinnere in die-
sem Zusammenhang an die Verweigerungshaltung der
PDS in Sachen Bosnien, Kosovo, Mazedonien und auch
Terrorismusbekämpfung in Afghanistan.

Stets war es die PDS, die alle Befürworter dieser
Einsätze de facto als Kriegstreiber verunglimpfte und sich
selber insbesondere in den neuen Bundesländern als Frie-
denspartei zu etablieren versucht hat. Besonders uner-
träglich wurde es immer dann, wenn die PDS auch noch
solche Leute hofierte, die für all die Verbrechen verant-
wortlich waren.


(Zuruf von der PDS)

– Warten Sie es ab! – Geradezu verräterisch ist jenes Bild,
das Herrn Gysi Hände schüttelnd mit Herrn Milosevic
zeigt


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

– das wollen Sie nicht gern hören, aber das muss an die-
ser Stelle gesagt werden –, und zwar zu einem Zeitpunkt,
als die Völkergemeinschaft der freien Welt Milosevic ein-
deutig als Drahtzieher und Hauptverantwortlichen für die
Verbrechen gegen die Menschlichkeit identifiziert hatte.


(Beifall des Abg. Manfred Opel [SPD])

Diese doppelzüngige und aus meiner Sicht auch in

höchstem Maße unmoralische Politik wird von den Post-
kommunisten munter weiter betrieben. So findet bei-
spielsweise Anfang März in Berlin eine Solidaritäts-

veranstaltung der PDS für Milosevic statt, der im Au-
genblick wegen zahlreicher Kriegsverbrechen in Den
Haag angeklagt wird.


(Zuruf der Abg. Heidi Lippmann [PDS] – Unruhe)


Und diese Partei erdreistet sich, den USA und der deut-
schen Bundesregierung Zensuren zu verteilen, weil sie of-
fensichtlich der festen Überzeugung ist, dass die Öffent-
lichkeit schon nicht so genau hinschauen wird!

Gott sei Dank sind wir nicht auf die Erkenntnisse und
Ratschläge der PDS angewiesen. Gott sei Dank spielt
diese Auffassung der SED-Nachfolger in der deutschen
Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt keine Rolle.


(Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)

Der Bundesaußenminister hat alles Notwendige zur

aktuellen Lage im Irak-Konflikt erklärt und wird dies, wie
ich vermute, auch in der heutigen Debatte tun.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wir wissen!)


Wichtig ist, in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass
die deutsche Bundesregierung nichts unternehmen wird,
was zu einer Verschärfung der angespannten Situation
beitragen könnte. Sie hat vielmehr ein elementares Inte-
resse daran, alle Bemühungen zu unterstützen, die die
vielfältigen Konfliktherde des Nahen und Mittleren
Ostens mit diplomatischen Mitteln und in enger Ab-
stimmung mit den europäischen und transatlantischen
Verbündeten entschärfen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Haben Sie auch was zum Thema zu sagen?)


Im Übrigen ist es unverantwortlich, den Einsatz der
deutschen ABC-Abwehrkräfte in Kuwait als ersten Schritt
einer deutschen Verwicklung in den nächsten Krieg – das
ist Originalton PDS – bewusst misszudeuten. So etwas
nenne ich: Stimmung machen wider besseres Wissen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unabhängig von der Notwendigkeit, im Dialog mit un-

seren amerikanischen Freunden erforderlichenfalls auch
vor übertriebenen Drohgebärden zu warnen, muss man die
besondere Stimmungslage in den USA bei der Bewertung
bestimmter Kraftausdrücke berücksichtigen. Eines aber
steht unumstößlich fest: Es ist unsere Pflicht, in enger Ab-
stimmung mit unseren europäischen Nachbarn immer wie-
der die mahnende und warnende Stimme gegenüber
Saddam Hussein zu erheben; denn er ist dafür verantwort-
lich, dass tagtäglich Menschen verfolgt und ermordet wer-
den, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

und dass möglicherweise biologische und chemische
Waffen produziert und in Stellung gebracht werden. Des-
halb darf der Druck auf Bagdad nicht nachlassen. Daher
gibt es keine Alternative zum verhängten Embargo.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)





Dr. Werner Hoyer

21783


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421914100
Ich erteile jetzt dem
Kollegen Friedbert Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1421914200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemanden
im Saal, der der Meinung ist, man dürfe die Vereinigten
Staaten von Amerika nicht kritisieren oder nicht seine
eigene Meinung haben. Wir sind freie Bündnispartner
und nicht unmündige Befehlsempfänger. Solidarität heißt
nicht Gehorsam.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Natürlich kann man Kritik üben. Aber die öffentliche Kri-
tik, die der Außenminister in diesen Tagen mehrfach
geübt hat, war in Form und Substanz falsch und nicht
akzeptabel. Diese besondere Art der Kritik war zum jet-
zigen Zeitpunkt ein schwerer Fehler. Ich will versuchen,
das zu begründen.

Wir haben nach dem 11. September in der NATO den
Bündnisfall erklärt. Unsere Soldaten patrouillieren ge-
meinsam mit amerikanischen Soldaten in Afghanistan.
Die Amerikaner tragen bei diesem Kampf gegen den welt-
weiten Terror, der auch nach Auffassung der Bundes-
regierung uns und unsere Zivilisation bedroht, die Haupt-
last. Sie jetzt öffentlich zu ermahnen, zu schelten, den
Eindruck zu vermitteln, Amerika stünde kurz vor einem
Alleingang und einem militärischen Schlag gegenüber
Bagdad, ist wirklich unverantwortlich. Das kann man mit
Stil hinter verschlossenen Türen machen. Unter Freunden
ist es üblich, dass man sich manchmal die Meinung sagt.
Aber das öffentlich auszutragen ist etwas, was in Amerika
nicht verstanden wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wird in Amerika vor allen Dingen auch deshalb

nicht verstanden, weil wir als Europäer nach dem 11. Sep-
tember ein so schlechtes Bild abgegeben haben, weil wir
– Karl Lamers hat es gesagt – eben nicht mit einer Stimme
gesprochen haben. Wenn wir nicht einmal in der Lage
sind, unser Militärmaterial mit eigenen Flugzeugen
nach Afghanistan zu transportieren, sondern uns aus
Usbekistan Iljuschins dafür leihen müssen, wenn wir uns
eine solche Airbusposse wie die der letzten Wochen leis-
ten,


(Manfred Opel [SPD]: Wer hat sich das denn geleistet? Das waren Sie!)


dann sollten wir mit öffentlichen Belehrungen gegenüber
unseren amerikanischen Bündnispartnern etwas vorsich-
tiger und zurückhaltender sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube, dass dies ein großer Fehler gewesen ist, zu-

mal die Art der Kritik des Bundesaußenministers gerade
diejenigen in Washington stärkt, die er eigentlich bekämp-
fen möchte, nämlich die Unilateralisten, die der Ansicht
sind, sie könnten sowieso alles alleine, ohne die Europäer
und ohne jegliche Bündnispartner. Lesen Sie einmal in der
heutigen Ausgabe des „Wall Street Journal“, was dazu der
frühere CIA-Chef James Woolsey sagt! Schauen Sie sich

an, was in den Kommentaren in Amerika nach dieser Kri-
tik von Fischer geäußert worden ist! In den USA gibt es
Enttäuschung und Abwendung. Dadurch werden gerade
diejenigen bestärkt, die sagen: Wir brauchen die Europäer
sowieso nicht. Seht, auf sie ist kein Verlass.

Das ist eine falsche und in der Tat – darin stimme ich
dem Kollegen Hoyer zu – langfristig durchaus gefährliche
Politik. Hier ist der Popanz eines unmittelbar bevor-
stehenden Krieges aufgebaut worden. Herr Powell, der
amerikanische Außenminister, hat am 14. Februar 2002 in
der „Financial Times“ gesagt: Niemand sollte glauben,
auf dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten
läge ein Plan für eine militärische Intervention. Das ist
nicht der Fall.

Warum also diese Aufregung? Warum die Warnung vor
einem Alleingang? Hat nicht Amerika diese Antiterror-
koalition aufgebaut? Fährt nicht Vizepräsident Dick
Cheney demnächst in die Region, um genau diese Anti-
terrorkoalition zu pflegen? Was eigentlich hat Sie zu der
Skepsis gegenüber Amerika berechtigt, man könne diese
Koalition leichtfertig aufgeben und einen Alleingang un-
ternehmen? Ich halte Ihre Äußerung für nicht verantwort-
lich. Ich glaube, das war ein schwerer Fehler.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es ist doch offenkundig

– der eine oder andere hat es hier gesagt –, was für ein
fürchterlicher Diktator Saddam Hussein ist. Hans Magnus
Enzensberger hat ihn bereits 1991 den „genuinen Nach-
folger Hitlers“ und ein „Monster“ genannt und hat Fol-
gendes gesagt:

Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäre
Antrieb. Objekte, Anlässe, Gründe werden gesucht,
wo sie sich finden. Wer bei der Vernichtung zuerst an
die Reihe kommt, hängt nur von den Gelegenheiten
ab, die sich bieten.

Das sagte der eher linke Intellektuelle Enzensberger und
nicht irgendein CDU-Politiker.

Nun wissen wir, dass dieser Diktator an Massenver-
nichtungswaffen arbeitet. Wir wissen, dass er einer der
schlimmsten Diktatoren der Welt ist. Sollen wir ange-
sichts dessen wirklich sagen, dass wir, ganz egal was er
macht, nie militärisch eingreifen werden? Es geht nicht
darum, morgen Krieg gegen den Irak zu führen. Es geht
aber darum, eine Druck- und Drohkulisse gegen diesen
Diktator als eine Option unter mehreren aufrechtzuerhal-
ten. Wenn wir das nicht tun, helfen alle netten und freund-
lichen Appelle, alle Konsultationen, Markus Meckel, und
alle sonstigen Maßnahmen nichts. Wenn man nicht bereit
ist, solchen Leuten notfalls auch militärisch entgegenzu-
treten, werden wir irgendwann keine Chance und keine
Zukunft mehr haben. Dass wir das ebenfalls so sehen, das
müssen wir auch unseren amerikanischen Freunden sehr
deutlich sagen. Wenn wirklich klar ist, dass es im Irak
Massenvernichtungswaffen gibt, dass bei Hussein aggres-
sive Absichten bestehen und dass er mit Terroristen zu-
sammenarbeitet, dann darf er sich nicht mehr wohl fühlen
und nicht mehr ruhig schlafen. Es geht darum, eine mi-
litärische Option nicht von vornherein auszuschließen,
und um nichts anderes.






(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, hier sind wir mit unseren
Freunden in den USA einer Meinung. Ich fordere jeden
von uns, der kritische Anmerkungen hat, auf, sie nicht
über die „Welt“ und den „Spiegel“ in die Öffentlichkeit zu
tragen, sondern sie mit den Amerikanern im Gespräch
hinter verschlossenen Türen zu erörtern, jedenfalls so-
lange wir in einer Auseinandersetzung gegen den interna-
tionalen Terrorismus stehen, wie es im Moment der Fall
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Ingrid Holzhüter [SPD]: Die Zivilbevölkerung interessiert überhaupt nicht mehr, oder wie?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421914300
Jetzt spricht die Kol-
legin Angelika Beer für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421914400
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Pflüger, ich wundere mich einigermaßen über Ihre Pole-
mik, die dem Ernst der Situation nun wirklich nicht mehr
angemessen ist, sondern den Versuch darstellt, an der
falschen Stelle die falsche Debatte zu führen.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Was war denn daran polemisch? Dann haben Sie noch keine polemische Rede von mir gehört!)


Ich wundere mich auch, weil ich ziemlich sicher bin, dass
Sie an der Münchener Sicherheitstagung teilgenommen ha-
ben. Die öffentliche Debatte fing spätestens dann an, als
Herr Wolfowitz und andere Vertreter der amerikanischen
Partner dort sehr klar gesagt haben, wie sie ihre Rolle be-
werten. Ich habe jetzt das Zitat nicht schriftlich vorliegen;
aber ich versuche, mich an den Wortlaut zu erinnern. Sie
sagten, sie, die Amerikaner, seien angegriffen worden; sie
würden selbst darüber entscheiden, wie sie reagierten, und
bräuchten dazu keine Resolution, egal, wozu und von wem.

Wir haben diese Debatte auf der Münchener Sicher-
heitskonferenz öffentlich weitergeführt. Dabei war eine
große Einigkeit der Europäer insoweit zu erkennen, als
Europa mit diesem zunehmenden Unilateralismus ein
Problem hat und zwar zu einer Stärkung der transatlanti-
schen Beziehungen bereit ist, aber doch eine eigenstän-
dige Position in dieser Frage vertreten will und wird. Ich
erinnere an die kritischen Äußerungen von Blair und der
französischen Seite, die nicht ohne Grund und meines Er-
achtens auch mit gutem Recht vor einem drohenden ein-
seitigen Schlag der Amerikaner gegen den Irak gewarnt
haben. Es war gerade von unserem Außenminister mehr
als verantwortlich, sehr zurückhaltende und zugleich
klare Worte auszusprechen.

Dass wir in der Europäischen Union noch nicht so weit
sind, wie wir es uns alle wünschen, ist ein Problem; das
wissen wir. Das gilt übrigens nicht nur für die ESVP,
sondern auch für die gemeinsame europäische Positionie-
rung, wenn es darum geht, europäische Interessen zu ver-
treten. Nichtsdestotrotz findet dieser dringend notwen-
dige europäische Dialog statt; denn wenn es zu einseitigen
Angriffen auf den Irak käme und dies dazu führen würde,
dass der Nahe Osten in Flammen aufginge, dann wäre es

nicht mehr nur eine Frage der Amerikaner, sondern auch
eine europäische Frage.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Mal
war ich in diesem Land unter Saddam Hussein direkt nach
dem Giftgaseinsatz in Halabja, also dem Einsatz von
Massenvernichtungswaffen gegen das eigene Volk. Das
zweite Mal war ich dort zusammen mit Menschenrechts-
organisationen zur Analyse der Anfal-Offensive gegen die
Opposition im eigenen Land. Das dritte Mal war ich nach
der Massenflucht der Kurden im Norden Iraks dort, um zu
helfen, dieses Land zu entminen. Wir wissen, mit wel-
chem Regime wir es zu tun haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich!)

Aber es muss doch erlaubt sein, die Frage zu stellen,

was der Kampf gegen den internationalen Terrorismus,
den wir uneingeschränkt solidarisch unterstützen, be-
inhaltet und was nicht dazu gehört. Gerade das gemein-
same und erfolgreiche Agieren gegen al-Qaida in Afgha-
nistan hat deutlich gemacht, dass Militär allein
terroristische Strukturen nicht beseitigen kann. Wir sehen
die politischen Aufgaben, die wir auch verantwortungs-
bewusst angehen.

Aber es besteht – jedenfalls nach allem, was mir be-
kannt ist – ein Unterschied zu dem Regime Saddam
Husseins und den von ihm ausgehenden Gefahren. Ich
glaube, dass uneingeschränkte Solidarität durchaus Fol-
gendes beinhalten muss – was auch positiv sein soll –:
eine Kritik, die davor warnt, die internationale Koalition
gegen den Terrorismus mit einem einseitigen Vorgehen
gegen Saddam Hussein zu spalten und zu zerbrechen, eine
Kritik, die auch unsere Sorge über die Lage im Nahen
Osten und den Schutz Israels betrifft, eine Kritik, die nicht
unsolidarisch ist, sondern darauf setzt, dass wir multina-
tional bzw. international, wenn möglich, zusammen mit
den Amerikanern, unterschiedliche Gefahren differenziert
und gemeinsam militärisch, vor allem aber auch nicht mi-
litärisch zu bekämpfen versuchen.

Genau dies ist die Aufgabe, wenn es um den Irak geht.
Wir brauchen eine Stärkung der Vereinten Nationen und
des Sanktionsmechanismus. Wir müssen Saddam Hussein
klarmachen, dass das einzige Mittel, Weiteres zu verhin-
dern, die Zulassung der Inspekteure ist. Denn nur so kön-
nen wir doch perspektivisch versuchen, das Problem der
Massenvernichtungswaffen im Irak, möglicherweise aber
auch in anderen Staaten, transparent zu machen und diese
Gefahr einzudämmen, bis hin zur Vernichtung unter in-
ternationaler Kontrolle.

Dann geht es um die Stärkung der Instrumente der in-
ternationalen Abrüstung und Rüstungskontrolle, wie wir
sie im Unterausschuss „Abrüstung und Nichtprolifera-
tion“ regelmäßig diskutieren, schärfen und anspitzen.
Denn mit einem Militärangriff werden wir die Gefahr der
Proliferation solcher Staaten wie des Irak nicht beseitigen
können. Insofern hoffe ich, dass diese Debatte etwas zur
Versachlichung beiträgt.

Ich denke, dass der Außenminister seine Gründe darle-
gen wird. Ich begrüße die Initiative der deutschen Bun-
desregierung, innerhalb der europäischen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik eine gemeinsame Stimme zu




Dr. Friedbert Pflüger

21785


(C)



(D)



(A)



(B)


finden, die die legitimen deutschen, vor allen Dingen aber
europäischen und damit internationalen Interessen gegen-
über dem amerikanischen Partner klarmacht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421914500
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421914600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es war doch sehr herzerfri-
schend, hier im Plenum der Rede solch eines kalten Krie-
gers wie Herrn Robbe zuzuhören. Ich hatte schon fast ver-
gessen, dass es so etwas noch gibt. Ich finde es angenehm,
diese Erinnerung an die lebendige Vergangenheit hier vor-
geführt zu bekommen. Zur Substanz selbst hatte er nichts
zu sagen und hat er auch nichts gesagt.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Heute hat die ganze Bundesregierung nicht so geredet wie Herr Robbe!)


Deswegen möchte ich mich lieber mit intelligenteren
Beiträgen auseinander setzen. Mich bedrückt es schon ein
bisschen, dass ein so kluger Kopf wie Karl Lamers hier
formuliert, dass die USA nicht öffentlich zu kritisieren
seien. Kollege Pflüger hat dies dann differenziert und ge-
sagt, man dürfe kritisieren, allerdings nicht öffentlich.
Eine Kritik, die nur im stillen Kämmerlein und in exklu-
siven Runden, nicht aber vor der Öffentlichkeit geäußert
wird, ist unwirksam, zudem unehrlich und trägt nicht dazu
bei, dass man politische Positionen kontrovers oder ge-
meinsam entwickeln kann. Das ist einfach Unsinn.


(Beifall bei der PDS – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Wir sind im Bündnisfall! Ich weiß nicht, ob Sie das kennen!)


Im Unterschied zu Ihnen nehme ich den amerikani-
schen Präsidenten sehr ernst. Wenn er von einer „Aggres-
sion“ und von einem „Feldzug gegen das Böse“ spricht,
dann ist das richtig, was man heute – sowohl national als
auch international – in fast jeder Zeitung lesen kann, dass
nämlich die Frage eines Krieges gegen den Irak nicht
mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch eine Frage des
Wie, des Wann und des Mit-wem-zusammen ist.

Wir müssen uns klarmachen: Wir stehen vor einem sol-
chen Krieg, wenn die Amerikaner nicht gestoppt werden
können. Das macht die Brisanz dieser Sache aus. Ob, wie
und wann es zu einem solchen Krieg kommt, entscheidet
ausschließlich die US-Spitze, und zwar allein, das heißt,
ohne Verbündete, ohne NATO und ohne Koalition gegen
den Terror. Das ist uns allen in den letzten Wochen mehr-
fach, wie ich finde, glaubwürdig und überzeugend durch
die USAmitgeteilt worden. Das erste und letzte Wort liegt
in dieser Frage bei den Vereinigten Staaten.

Ich erinnere an die großen Worte der Kollegen Merz,
Fischer, Volmer und anderer, die in diesem Hause wähn-
ten, dass die USA einen Multilateralismus neu entdeckt
hätten, dass sie jetzt multilateral handeln würden. Das al-

les erweist sich doch schlichtweg als Traumtänzerei.
Traumtänzerei kann man Bush nicht vorwerfen, er be-
treibt Realpolitik, Macht- und Interessenpolitik. Es geht
um Einflusssphären, Naturressourcen und um Handels-
wege. Um diese Tatsache soll niemand herumreden. Wir
brauchen nicht Absichten, sondern Interessenanalysen.

Zum Krieg der Waffen kommen der Krieg der Worte
und – wie man jetzt sehen kann – der Krieg der Fälschun-
gen und – das muss nicht einmal meine gesamte Fraktion
teilen – eine unappetitliche Mischung von Nationalismus,
Weltherrschaftsanspruch und religiösem Sendungsbe-
wusstsein. Diese komplizierte Mischung macht die Ge-
fährlichkeit der amerikanischen Politik aus.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Vor einigen Wochen haben wir vom Bundesaußenmi-

nister gehört, wer Einfluss nehmen wolle, müsse mitma-
chen. Mitgemacht haben wir – ich finde: leider –, aber
Einfluss haben wir dadurch nicht gewonnen. Ich möchte
deutlich sagen: Wer Einfluss nehmen will, darf eben nicht
mitmachen, er muss sich entgegenstellen. Diese Meinung
verbreitet sich immer stärker in Europa.


(Beifall bei der PDS)

Jetzt habe ich vom Außenminister gehört – die

CDU/CSU findet das ja so entsetzlich –, wir seien keine
Satelliten der USA. Ich befürchte, wir sind es doch. Ich
zweifle an der Glaubwürdigkeit der Aussage des Außen-
ministers, solange mir nicht das Gegenteil bewiesen wird.
Ich meine, dass die Polemik, dass das ein Rückfall in seine
Vergangenheit sei – das weiß doch jeder –, Unsinn ist.
Herr Fischer hat ganz klar gesagt, die Amerikaner seien
nicht zu kritisieren. Jetzt sagt er, wir seien keine Satelliten
der USA. Er muss den Widerspruch auflösen. Man löst
ihn am besten durch Taten auf.

Solange die deutschen Truppen in Kuwait stationiert
sind, besteht die Gefahr, dass die Teilnahme an den ge-
meinsamen Manövern mit den USA zum jetzigen Zeit-
punkt weltweit nur so verstanden werden kann, dass
Deutschland bereit ist, in einem solchen Krieg auch mi-
litärisch an der Seite der USA zu kämpfen.


(Reinhold Robbe [SPD]: So viel Unsinn auf einmal habe ich noch nie gehört!)


Das ist „the proof of the pudding“: Rückzug der Truppen,
und das ohne Hintertür. Wir müssen klar feststellen, dass
das Parlament in diesen wie auch in anderen Fragen im-
mer wieder getäuscht und belogen worden ist. Es ist ja gar
nicht vorgesehen, dass alle deutschen Truppen nach dem
Manöver zurückgezogen werden. 50 Soldaten sollen da
bleiben und die anderen, die nach Deutschland zurückge-
nommen werden, sollen so positioniert werden, dass sie
innerhalb von Stunden wieder in Kuwait sein können.

Das ist doch die Realität: Man hat zugestimmt, dass
deutsche Truppen hinter dem Rücken des Parlaments in
Kuwait stationiert werden. Man hat damit signalisiert:
Wir stehen auch in kriegerischen Auseinandersetzungen
an der Seite der USA. Dass wir unmittelbar in eine solche
Auseinandersetzung hineingezogen werden könnten, ist
die Sorge, die die PDS bewegt hat, diese Aktuelle Stunde
zu fordern, um der deutschen Bundesregierung im Parla-




Angelika Beer
21786


(C)



(D)



(A)



(B)


ment rechtzeitig zu sagen, sie solle nicht nur erklären,
dass sie diesen Krieg nicht will, sondern auch, dass sie an
ihm nicht teilnehmen wird. Das ist unsere Forderung.


(Beifall bei der PDS – Reinhold Robbe [SPD]: Welcher Krieg? Das ist Quatsch!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421914700
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Christoph Moosbauer.


Christoph Moosbauer (SPD):
Rede ID: ID1421914800
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer wie-
der spannend, wie die Union es schafft, egal um welches
Thema es geht, ihre Redebeiträge immer so hinzudrehen,
dass sie irgendwie ihre Kritik an der angeblich unterfi-
nanzierten Bundeswehr unterbringen kann.


(Heiterkeit des Abg. Dr. Helmut Lippelt [Hannover] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn der Kollege Lamers, dessen Äußerungen über
die Regionen des Nahen und Mittleren Ostens ich ansons-
ten bekanntlich sehr schätze, andeutet, im transatlanti-
schen Verhältnis stimme es deswegen nicht, weil wir nicht
gehört wurden, und zwar deshalb, weil wir nicht ge-
braucht würden, erweckt er den Eindruck, dass die Bun-
deswehr, wenn es 1998 keinen Regierungswechsel gege-
ben hätte, unter Ihrer Regierung mittlerweile über
Flugzeugträger und große Flottenverbände verfügen
würde, die wir den Amerikanern zur Verfügung stellen
würden. Das wage ich aber zu bezweifeln.

Da wir über den Kern der derzeitigen Krise im und um
den Irak sprechen, die ja schon lange andauert, möchte ich
versuchen, einmal das Positive an dieser Situation he-
rauszukehren, nämlich dass der Irak auch durch den in-
ternationalen Druck, der bei der Behandlung dieser Frage
wieder zustande gekommen ist, stärker zu kooperieren
versucht, als es vorher der Fall war. Das lehrt uns zweier-
lei: Ich meine, wir sind gut beraten, wenn wir als Europäer
– das gilt aber auch für die Amerikaner – erkennen, dass
wir in den letzten Jahren in unseren eigentlichen politi-
schen Bemühungen, nämlich zu verhindern, dass vom
Irak noch einmal eine militärische Bedrohung für die Re-
gion, für die eigene Bevölkerung, aber auch über die Re-
gion hinaus ausgeht, etwas nachgelassen haben. Wir soll-
ten das nun zum Anlass nehmen, wieder verstärkt
politische Forderungen zu stellen und auch die VN-Sank-
tionen wirksam werden zu lassen.

Wir wissen natürlich, dass der europäische Ansatz, In-
stabilitäten und Konflikte am besten politisch zu bekämp-
fen, nicht immer funktioniert – vor allem dann nicht,
wenn man es mit einem Menschen wie Saddam Hussein
zu tun hat –, dass wir – das muss aufgrund der Erfahrun-
gen in den vergangenen Jahren auch von europäischer
Seite eingestanden werden – den Druck, der hinter sol-
chen politischen Forderungen steht, nicht aufbauen kön-
nen und dass die Amerikaner dazu offensichtlich besser in
der Lage sind. Diese Analyse ist sicherlich unstrittig.

Gleichwohl meine ich, dass eine gute Politik nicht aus
einer einseitigen militärischen Drohung, aber auch offen-
sichtlich leider nicht nur aus reiner Diplomatie besteht,

sondern aus einer Mischung aus beidem. Deshalb sollten
wir jetzt in erster Linie politisch handeln, um diesem Kon-
flikt zu begegnen, und von europäischer Seite das, was
wir lange bedacht haben, nämlich wie wir ein Sanktions-
regime effektiv gestalten können, umsetzen, sodass wir
auf der einen Seite Saddam Hussein nicht die Möglichkeit
bieten, über die Sanktionen zu legitimieren, dass er sein
eigenes Volk aushungert und unterdrückt, aber auf der an-
deren Seite verhindern, dass vom Irak auch durch ato-
mare, biologische und chemische Waffen wieder eine Be-
drohung für die Region ausgeht. Das gilt gerade in der
gegenwärtigen Situation, in der sich die Lage zuspitzt und
durchaus mit unwägbaren Eskalationsmöglichkeiten und
Übergriffen auf den Kernkonflikt im Nahen Osten zwi-
schen Israel und Palästina zu rechnen ist.

Da es hier offensichtlich in erster Linie nicht so sehr
um den Irak ging, sondern um den Versuch, der Bundes-
regierung zu unterstellen, in antiamerikanische Reflexe
zurückzuverfallen, möchte ich noch eines loswerden: Das
Ganze wird durch den Wahlkampf und den Zwang gezei-
tigt, die eigene Klientel zu bedienen. Ich frage mich, wer
tatsächlich mit solchen Äußerungen Wahlkampf macht:
derjenige, der versucht, eine europäische oder deutsche
Position einzubringen, oder der andere, der reflexartig
den Knüppel des Antiamerikanismus aus der Tasche holt,
um damit vielleicht ebenfalls im Wahlkampf seine eigene
Klientel zu bedienen.


(Beifall bei der SPD)

Herr Pflüger, Sie haben gesagt, man dürfe die USA

zwar kritisieren, aber man dürfe sie nicht belehren, schon
gar nicht in unserer Situation. Ich möchte aber abschlie-
ßend anmerken, dass nicht nur die Bundesregierung ver-
sucht, als Lehrer aufzutreten, wenn Sie so wollen, sondern
dass es noch andere gibt, die den Amerikanern etwas ins
Hausaufgabenheft schreiben. Ich zitiere Folgendes:

Die USA müssen begreifen, dass die Europäer Part-
ner sind und keine Vasallen.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Ja, wer war denn das?)

Das wurde vor dem Auswärtigen Ausschuss der Pariser
Nationalversammlung von Altkanzler Helmut Kohl ge-
sagt. Herr Pflüger, übernehmen Sie!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Joseph Fischer, Bundesminister: Schau mal an!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421914900
Jetzt spricht der Kol-
lege Manfred Opel für die SPD-Fraktion.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das kann doch nicht stimmen!)



Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1421915000
Frau Präsidentin!


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421915100
Entschuldigen Sie,
Herr Kollege. – Da kein anderer Abgeordneter der
CDU/CSU mehr auf der Rednerliste steht, wird Herr
Hedrich nach dem Bundesaußenminister reden; denn es




Wolfgang Gehrcke

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ist nicht üblich, dass ein Mitglied der Bundesregierung
der letzte Redner ist.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Entschuldigung, Frau Präsidentin! Aber dann haben Sie mich missverstanden! Wir hatten auf dieser Position eindeutig den Kollegen Hedrich gemeldet!)


– Wenn Sie akzeptieren, dass der Bundesaußenminister
das letzte Wort hat, dann kann Herr Hedrich jetzt spre-
chen. Normalerweise hat die Opposition das Recht, eine
Erwiderung zu verlangen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wir behalten uns sogar vor, den letzten Redner zu stellen! Das kam vorhin auch nicht richtig raus!)


– In Ordnung. Dann haben wir uns wirklich missverstan-
den. Entschuldigung, Herr Kollege.

Das Wort hat jetzt der Kollege Hedrich.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Dann müssen Sie noch reden! Er kann doch nicht zweimal reden! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Aber die Geschäftsordnung kennen Sie ja nicht!)



Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1421915200
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist es
egal, ob ich jetzt oder nach dem Bundesaußenminister
rede.

Ich möchte – das liegt mir besonders am Herzen – die
Gesamtsituation betrachten. Mir bereitet die Destabilisie-
rung der gesamten Nahostregion Sorge. Natürlich bin ich
damit einverstanden, dass wir deutlich machen, wo die
eigentlichen Verantwortlichkeiten liegen. Das ist im Zu-
sammenhang mit dem Irak eindeutig. Es ist auch eindeu-
tig, dass die Koalition gegen den Terrorismus, die weit
über unsere Wertegemeinschaft hinausgeht, absolute Pri-
orität hat. Aber wir sollten uns auch darüber im Klaren
sein, dass wir – so möchte ich das einmal nennen – eine
zweite Phase brauchen. Wir müssen uns nämlich sehr
viel ernsthafter als bisher mit der Situation in den Län-
dern auseinander setzen, die Mitglied der Antiterrorko-
alition sind. Geben diese Partnerländer zum Teil nicht
auch Anlass, über die Gestaltung der westlichen Politik
nachzudenken? Werfen wir ruhig einmal einen Blick auf
unsere Partner im Kampf gegen den Terrorismus: In Us-
bekistan herrscht ein diktatorisches Regime. Auch Ägyp-
ten ist nicht gerade ein klassisches Beispiel für Demo-
kratie.

Es kann durchaus Entwicklungen geben, die wir unter-
stützen sollten. Sollte beispielsweise Syrien einmal eine
Öffnungspolitik betreiben, dann sollten wir die dortige
Mittel- und Oberschicht unterstützen; denn sie ist sehr
stark westlich orientiert und wäre durchaus bereit, das
Land auf einem freiheitlich-demokratischen Weg in die
Staatengemeinschaft des Westens zu führen. Herr Außen-
minister, wenn man sich einige Persönlichkeiten aus der
syrischen Mittel- und Oberschicht genau anschaut, dann
stellt man fest, dass das durchaus eine Perspektive ist.

Worum geht es mir in diesem Zusammenhang? Wir, die
Amerikaner und die Europäer, dürfen über den Kampf ge-
gen Terrorismus und Diktaturen, der absolute Priorität hat,
nicht vergessen, den Ländern, die Mitglied der Antiterror-
koalition sind und die aufgrund ihrer innenpolitischen Ver-
hältnisse nicht unbedingt als freiheitlich-demokratische
Rechtsstaaten bezeichnet werden können, deutlich zu ma-
chen, dass der Nährboden für fundamentalistisch-terroris-
tische Bewegungen und für Unfreiheit nicht beseitigt wer-
den kann, wenn sich ihre Regime nicht stärker als bisher
öffnen; denn gerade die Perspektivlosigkeit bringt viele
Jugendliche, die in Diktaturen leben, dazu, sich Terroristen
als Vorbilder zu suchen. Deshalb darf uns der Kampf ge-
gen Diktatoren und gegen fundamentalistische Terroristen,
der sicherlich auch militärisch geführt werden muss, nicht
den Blick dafür verstellen, dass wir die gesellschaftlichen
Kräfte ermutigen müssen, die für mehr Freiheit und de-
mokratische Rechtsstaatlichkeit eintreten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht nur die Bundeswehr, auch der Etat der Entwick-

lungshilfeministerin zum Beispiel – ich bitte um Nach-
sicht, aber das ist der nächste Punkt – ist absolut unterfi-
nanziert, womit wir uns möglicherweise schon heute
versündigen, weil wir es unterlassen, eine Perspektive zu
entwickeln.


(Manfred Opel [SPD]: Aber die Zahlen sind besser, als sie vorher waren! – Diese Zahlen kenne ich besser, lieber Kollege Opel. Deshalb eine höfliche, aber kritische Anmerkung: Herr Außenminister, wir wissen es durchaus zu schätzen, dass Sie sich persönlich die Zeit für diese Debatte nehmen. Das Verteidigungsministerium war wenigstens zeitweise vertreten. Aber das Ministerium, das die Dinge, die ich eben angesprochen habe, vor Ort implementieren muss, ist in dieser Debatte überhaupt nicht vertreten. Diese Verhältnisse beobachten wir hier seit Wochen und Monaten. Das lässt mich ein bisschen zweifeln, ob es wirklich einen kohärenten Ansatz der Politik der Bundesregierung in dieser Frage gibt. Ich bezweifle das – leider! Jetzt ist der Kollege Manfred Opel dran, bitte. (Abg. Manfred Opel [SPD] begibt sich zum Rednerpult – Joseph Fischer, Bundesminister: Vielleicht hätte ich jetzt reden sollen!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421915300


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1421915400
Mir ist es egal.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Ich will Sie nicht weiter warten lassen!)

– Macht doch nichts. Ich lege gerne den Rückwärtsgang
ein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421915500
Wir sind heute flexi-
bel. Dann hat jetzt der Bundesaußenminister Joseph
Fischer das Wort.




Vizepräsidentin Petra Bläss
21788


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Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421915600

Herr Kollege Opel, ich bitte um Verzeihung. Sie wissen
jetzt, wie es mir mit Kabul geht.


(Heiterkeit)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Saddam

Hussein regiert, genauer gesagt: terrorisiert den Irak und
die Region seit 20 Jahren mit diktatorischer Gewalt. Er ist
einer der schlimmsten Gewaltherrscher, der sich an der
Macht hält. Er unterdrückt mit brutaler Härte gleicher-
maßen jede politische Opposition wie ethnische Minder-
heiten, Kurden und Schiiten. Ich werde nie die Bilder des
Einsatzes von Giftgas gegenüber Dörfern in den kurdi-
schen Gebieten im Norden des Iraks vergessen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Vergessen wir auch nicht!)


Das zeigt die Entschlossenheit und die Brutalität dieses
Gewaltherrschers. Er hat Massenvernichtungswaffen pro-
duziert und gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Er
hat sie im irakisch-iranischen Krieg auch gegenüber dem
Iran eingesetzt. Er hat Kuwait überfallen und nicht nur
versucht, diesen Nachbarstaat zu annektieren, sondern
auch dort schlimme Verbrechen begangen.

Aber am schlimmsten unterdrückt er die eigene Bevöl-
kerung. Ich kenne zufälligerweise die Daten und Zahlen,
auch aus Gesprächen mit meinem früheren Kollegen Ro-
bin Cook, der ausgeführt hat, dass die Möglichkeiten, die
das Programm der Vereinten Nationen etwa zum Import
von Medizin, von Technologie für Krankenhäuser, von
Lebensmitteln und Ähnlichem bietet, bei weitem nicht
ausgeschöpft wurden, wohl aber der Import von Spirituo-
sen aus Schottland gewaltig zugenommen hat. Es gibt an-
dere Beispiele dafür, die zeigen, wie versucht wird, die
Sanktionen zu umgehen und sich wieder die Möglichkeit
zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu ver-
schaffen.

Das alles ist seit längerem bekannt und hat auch dazu
geführt, dass es Colin Powell war, dass es gerade die USA
waren, die mit Beginn der Administration Bush darauf ge-
setzt haben, eine Erneuerung des Sanktionsprogramms zu
leisten, nämlich so genannte Smart Sanctions zu verein-
baren.

Das ist die Lage, in der wir uns befinden. Dies alles ist
eingebettet in die Gesamtlage im Nahen Osten und der ge-
samten Region sowie die Situation seit dem 11. Septem-
ber, seit dem Angriff eines menschenverachtenden Terro-
rismus auf die Menschen der Vereinigten Staaten, auf die
Regierung der Vereinigten Staaten, und die Koalition ge-
gen den Terror.

Damit wir gleich zweifelsfrei einen Punkt klarstellen:
Die Bundeswehr wird nur auf der Grundlage der Be-
schlussfassung des Parlaments zu Enduring Freedom ein-
gesetzt. Was das Mandat – und übrigens auch Einsatzge-
biete – betrifft, gibt es hier eindeutige Festlegungen. Für
das Verfahren gibt es sowohl von der Regierung in Af-
ghanistan als auch außerhalb von Afghanistan Zustim-
mung. Insofern können Sie fest davon ausgehen, dass alle
Einsätze, die die Bundeswehr dazu vornimmt, nur im
Rahmen dieses Mandats stattfinden. Etwas anderes ist mit

der Bundesregierung nicht zu machen. Insofern sollten
Sie Ihre Wahlkampfpropaganda an diesem Punkt nun
wirklich den Realitäten annähern.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wir werden sehen, Herr Kollege!)


– Es geht nicht darum, was wir sehen, sondern um Fakten.
Es ist mir wichtig, dieses hier noch einmal zu unterstrei-
chen.

Es ist etwas völlig anderes, hier über die allgemeine Si-
tuation oder über konkrete Planungen zu sprechen. Der
Bundesregierung sind konkrete Planungen der Regierung
der Vereinigten Staaten von Amerika nicht bekannt. An-
gesichts des Ernstes des Themas mag es trefflich sein, da-
rüber in politischen Diskussionen zu spekulieren, aber die
Bundesregierung kann und darf sich – das werden Sie ver-
stehen – nicht öffentlich an diesen Spekulationen beteili-
gen. Wir sind gerne bereit, über alle Aspekte im Aus-
schuss zu sprechen, aber in der öffentlichen Diskussion
müssen wir uns an die Fakten halten. Wir sehen allerdings
mit Sorge, dass sich die Diskussion in eine bestimmte
Richtung entwickelt: Es wurde die Münchner Sicher-
heitskonferenz genannt. Auch in der State of the Union
Address hat sich der amerikanische Präsident einer sehr
kräftigen Sprache bedient.

Ob man die Konsequenzen, die sich aus der Idee einer
Achse des Bösen ergeben, in jeder Hinsicht teilt, ob es
richtig ist, in diesem Zusammenhang die Öffnungs-
bemühungen der Reformer um Chatami im Iran so dar-
zustellen, wie es geschehen ist, ob die Behauptung einer
Achse des Bösen der Dynamik der „sunshine policy“, also
der Sonnenscheinpolitik, von Präsident Kim Dae-jung in
Südkorea, mit der zweifelsohne Schritte in die richtige
Richtung gemacht wurden – das ist natürlich noch nicht
der Durchbruch –, nutzt, sind Fragen, die nicht nur hier in
Deutschland gestellt wurden, sondern mittlerweile auch
im Licht des Besuchs des amerikanischen Präsidenten in
Fernost in Washington neu gestellt werden dürften. Inso-
fern halte ich es für einen ganz wichtigen Punkt, dass wir
uns hier nicht in Spekulationen ergehen, aber sehr wohl
unsere Sorgen zum Ausdruck bringen.

Es geht mir hier nicht darum, Saddam Hussein in
Schutz zu nehmen – mitnichten. Ich bin vielmehr der Mei-
nung, dass es nur einen Schritt gibt, um eine entspre-
chende Eskalation zu verhindern, nämlich dass Saddam
Hussein – dazu ist er politisch und völkerrechtlich ver-
pflichtet, wenn er es ernst meint – das Sanktionsregime
der Vereinten Nationen, wie es in zwei Sicherheitsratsre-
solutionen formuliert wurde, uneingeschränkt akzeptiert,
das heißt, die uneingeschränkte Tätigkeit von Inspektoren
der Vereinten Nationen im Irak zulässt, damit festgestellt
werden kann, ob er über Massenvernichtungsmittel ver-
fügt und ob er sie gegebenenfalls produzieren kann. Wenn
ja, müssen diese Mittel entsprechend den Resolutionen
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vernichtet
werden, damit der Irak nicht mehr über diese Möglich-
keiten verfügt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(C)



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(A)



(B)


Für jemanden, der weiterdenkt, stellt sich die ent-
scheidende Frage, wie es denn in der Gesamtregion wei-
tergeht. Da muss ich ehrlich sagen – das tut mir Leid, Herr
Pflüger –, dass die Diskussion mit einer größeren Gruppe
von Kongressabgeordneten, wozu ich heute die Gelegen-
heit hatte, richtig erfrischend im Verhältnis zu dem war,
was Sie hier vorgetragen haben.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Haltung beschreibt man im katholischen Raum mit
„päpstlicher als der Papst“. Ich meine damit eine unter
Demokratien nicht angemessene Form von Ergebenheits-
adressen, wie Sie sie hier abgegeben haben. Sie sagen,
dass Helmut Kohl mich in Paris zu Recht kritisiert habe,
dass ich darauf hingewiesen habe, dass Demokratien
Bündnispartner und keine Satelliten seien. Gleich an-
schließend hat er gesagt, dass wir auch keine Vasallen
seien. Können Sie mir den Unterschied zwischen unseren
beiden Auffassungen sagen? In der Sache, abgesehen von
den Personen Helmut Kohl und Joschka Fischer, werden
Menschen, die des Deutschen mächtig sind, darin keinen
Unterschied sehen.

Hinter Ihnen sitzt der Kollege Lamers, dem Sie sich ge-
rade zuwenden und dessen stechender Blick auf Ihnen
ruht. Der hat in einem Interview mit der „Frankfurter
Rundschau“ die Dinge eher noch zugespitzter formuliert.
Sie können darauf antworten, dass der Kollege Lamers
zwar ein sehr kluger Kopf sei – dem stimme ich zu –, aber
nicht die Bundesregierung vertrete.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: So ist es leider!)

– Ich kann dem nur hinzufügen, dass es auch gut ist, dass
Sie nicht die Bundesregierung vertreten, sonst würden Sie
vom Kollegen Pflüger ähnlich kritisiert, wie ich es wurde.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Allerdings!)


Wenden wir uns der FDP zu. Wenn ich den Kollegen
Westerwelle, der zum Widerstand aufgerufen hat, in die-
ser Frage als Maßstab nehme, dann stellt sich für mich die
Frage, wer hier eigentlich Wahlkampf mit dieser Debatte
betreibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Uns erfüllt die ganze Entwicklung mit großer Sorge.
Wir befinden uns in einer Debatte mit unseren europä-

ischen Partnern. Beim informellen Treffen der europä-
ischen Außenminister in Cáceres haben alle dieselben
Sorgen geäußert. Wenn Sie die Veröffentlichungen in der
nationalen Presse verfolgen, können Sie das feststellen.
Ich habe den Eindruck, dass die etwas kräftige transatlan-
tische Debatte, die sicherlich nicht in dieser Tonlage fort-
geführt werden sollte, unter den Gesichtspunkten des
„Jetzt müssen wir miteinander reden“ und des „Jetzt
hören wir einander zu“ – diesen Eindruck konnte ich zu-
mindest in meiner heutigen Diskussion mit amerikani-
schen Kongressabgeordneten gewinnen – eher gut getan
hat, als dass sie zu negativen Entwicklungen geführt hat.
Noch immer ist klar: Wir diskutieren unter Partnern, ja un-
ter Freunden.

Wir müssen begreifen, dass die USA eine andere Sicht
der Dinge haben als wir Europäer. Umgekehrt müssen die
USA verstehen, dass sich unsere Sichtweise in manchen
Punkten von ihrer unterscheidet. Wir stehen vor einer
komplizierten und wichtigen Diskussion, die wir in die
Gesamtlage einordnen müssen.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Der große Er-
folg der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert war letzt-
endlich der militärische Sieg über den Nationalsozialis-
mus. Leider hat nicht Deutschland selbst Hitler und seine
Schergen gerichtet; leider war das Attentat vom
20. Juli 1944 nicht erfolgreich. Ich füge hinzu: Leider war
auch der Widerstand von Sozialdemokraten und Kommu-
nisten nicht erfolgreich. Leider haben auch mutige Ein-
zelne keinen Erfolg gehabt.

Die USA, die anderen Alliierten und die Rote Armee ha-
ben die Nazis niedergekämpft. Das führte zur Teilung Euro-
pas und zum Kalten Krieg. Dass Westeuropa frei geblieben
ist, verdanken wir den USA. Dass Westdeutschland eine de-
mokratische Perspektive hatte, verdanken wir ebenso wie
die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit den USA.

Der große Erfolg bestand eben nicht darin, allein auf
militärische Stärke zu setzen, sondern im „nation buil-
ding“ – so nennt man es heute –, das aus der Systemaus-
einandersetzung mit dem Sowjetkommunismus hervor-
ging. Nichts anderes als „nation building“ war der Aufbau
der Bundesrepublik Deutschland und anderer europä-
ischer Demokratien. Sie gründen auf Marktwirtschaft,
Sozialstaat und Demokratie. – Das war der große Erfolg.

Was das Nachdenken über allfällige Perspektiven an-
geht: Wir werden auch in Bezug auf Afghanistan feststel-
len, dass es darum geht, langfristig so etwas wie „nation
building“, Nationenbildung, zu betreiben. Selbstverständ-
lich wird das auch für den Nahen und Mittleren Osten gel-
ten. Alles andere hätte sehr gefährliche Konsequenzen.
Wenn ich in diese Richtung weiterdächte, dann geriete ich
ins Spekulieren und das will ich nicht tun.

Im transatlantischen Verhältnis führen wir eine not-
wendige und wichtige Debatte. Die Bundesregierung hat
eine klare Position: Wir wollen, dass die VN-Resolutio-
nen ohne Wenn und Aber unverzüglich umgesetzt werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421915700
Bevor der Kollege
Manfred Opel das Wort hat, hat der Kollege Friedbert
Pflüger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1421915800
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des
Kollegen Fischer möchte ich drei Bemerkungen machen.

Zunächst einmal möchte ich Folgendes sagen: Er hat
darauf hingewiesen – ich begrüße das –, dass wir alle mit-
einander die Forderung erheben, dass die UN-Inspektoren
wieder ins Land kommen. Wir wissen, dass die Arbeit an
Massenvernichtungswaffen verstärkt vorgenommen wird,
seit die UN-Inspektoren nicht mehr im Land sind. Wir




Bundesminister Joseph Fischer
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wissen, dass sich Saddam Hussein bemüht, die Teile, die
ihm weggenommen worden sind, neu zu erwerben. Des-
halb ist es absolut notwendig – –


(Widerspruch des Bundesministers Joseph Fischer)


– Ich habe die entsprechenden Berichte gelesen. Herr
Hanning, der BND-Chef, hat in der letzten Ausgabe des
„Spiegel“ noch einmal sehr deutlich gesagt: Im Irak ist
man dabei, sich die Teile, die verloren gegangen sind, ver-
deckt wieder zu beschaffen. Ich finde, das sollte bei uns
besondere Aufmerksamkeit hervorrufen.

Herr Kollege Fischer, es ist richtig, die Forderung zu
erheben: Die UN-Inspektoren müssen ins Land. Aber
warum sollte Saddam Hussein dieser Forderung nachge-
ben, wenn von ihm jeder militärische Druck genommen
wird? Wegen der freundlichen Appelle der Außenminis-
ter? – Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wenn man es
wirklich damit ernst meint, dass dieses Regime die Men-
schen nicht weiter terrorisieren darf – das sagen auch Sie
zu Recht –, dann kann man ihm doch nicht von vornherein
sozusagen einen Freifahrtschein geben und sagen: Ganz
egal, was du tust, militärisch werden wir dir nichts tun. –
Das war mein erster Punkt. Mein zweiter Punkt: Sie haben
eben etwas zu unseren Soldaten in Kuwait gesagt. Die sind
dort mit ABC-Spürpanzern, die den Namen „Fuchs“ tra-
gen. Nach meinem Kenntnisstand und nach dem der Kol-
legen, die ich gefragt habe, die auch an den Sitzungen des
Verteidigungsausschusses teilgenommen haben, könnte
sich die einzig denkbare Aufgabe für diese Soldaten im
Falle einer Eskalation des Konfliktes unter Beteiligung des
Iraks ergeben. Nur dann haben sie eine Funktion. Was sie
sonst in Kuwait machen, weiß kein Mensch.

Sie stellen sich als Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland hin und sagen: Ich habe große Sorgen – das
haben Sie eben noch einmal gesagt – vor einem militäri-
schen Alleingang der USA und vor einer Eskalation und
davor warne ich die Amerikaner. – Wenn Sie diese Sorge
haben, dann haben wir in der CDU/CSU und wir alle im
Parlament das Recht, endlich klare Auskunft über den
Auftrag dieser Soldaten der Bundesrepublik Deutschland
in Kuwait zu bekommen. Dann haben wir auch das Recht
zu erfahren, unter welchem Kommando sie dort eigentlich
ihren Dienst tun.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr richtig!)

Diese Aussagen haben wir bisher von Ihnen nicht gehört.
Ich nehme an, die eigentliche Funktion dieser Soldaten in-
teressiert gerade auch die Kollegen Ihrer Partei, die Kol-
legen von den Grünen. Geben Sie nicht große Interviews
und machen Sie nicht große Muskelspiele, sondern klären
Sie diese Fragen und informieren Sie uns vernünftig. Ich
sage gar nicht, dass ich dagegen bin, dass die Soldaten in
Kuwait sind; ich als Parlamentarier in diesem Land
möchte es nur gerne klar wissen. Ich finde, dass wir alle
miteinander das Recht haben, zu erfahren, was unsere
Soldaten dort eigentlich sollen.

Zum Schluss noch eine dritte Bemerkung: Herr
Fischer, Sie haben eben gesagt: Wir dürfen nicht allein auf
das Militärische setzen. – In Ihrem Interview in der
„Welt“ in der letzten Woche haben Sie gesagt, Amerika

würde jetzt ausschließlich auf die militärische Option set-
zen und das würde die Verzweiflung der Menschen nicht
beseitigen. Wenn Sie sich anschauen, welche Gelder auf
der Welt für humanitäre Dinge ausgegeben werden, wer-
den Sie feststellen: Die meisten Gelder sind immer noch
amerikanische Gelder, die zwar nicht von der Regierung,
aber von den Menschen in Amerika, oft durch amerikani-
sche Stiftungen oder durch amerikanische Regierungs-
programme angeregt, kommen. Die Menschen in Ame-
rika haben nicht die Einstellung, dass sie alle Konflikte
auf der Welt mit Militär lösen wollen; die Amerikaner sind
im Gegenteil ein sehr großherziges Volk. Das haben wir
auch hier in Deutschland erlebt. Die Unterstellung, Ame-
rika würde nur noch in Rüstungskategorien denken, emp-
finde ich angesichts der gesamten Geschichte der Verei-
nigten Staaten in Europa wirklich als einen Fehlgriff.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Pflüger, Sie verdrehen jetzt die Sachen!)


Bei allem, was Sie auch sonst so leichtfertig von sich ge-
ben, sollten Sie sich überlegen, ob Sie hier auf dem rich-
tigen Weg sind. Mit der einen oder anderen Ihrer Bemer-
kungen sind Sie uns entgegengekommen.

Ich bin dem Kollegen Lamers sehr dankbar dafür, dass
er klipp und klar gesagt hat: Natürlich haben wir das Recht
auf Kritik. – Wir sollten sie in einer Art und Weise üben,
dass wir in Amerika verstanden werden, und nicht so, dass
dort die Schotten herunterklappen. Die Art und Weise, wie
Sie in den letzten Wochen die Kritik vorgetragen haben, ist
leider nicht dazu angetan, die Amerikaner darin zu bestär-
ken, mit uns den Dialog zu suchen, sondern sie führt im
Gegenteil dazu, dass sie sich stärker unilateralistisch ver-
halten. Deshalb war Ihre Kritik nach meinem Dafürhalten
kontraproduktiv, auch Ihren eigenen Zielen gegenüber.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421915900
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist nun endgültig der Kollege Manfred
Opel.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist keine Debatte, sondern eine Aktuelle Stunde!)



Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1421916000
Frau Präsidentin! Sehr verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die Fragen, die mit dem Irak
zusammenhängen, sind Strukturfragen der Politik. Es sind
Fragen, die uns zum Nachdenken veranlassen, welche
Kriterien wir in Bezug auf eine präventive Friedenspoli-
tik aufstellen. Es sind Fragen, die mit aktiver Stabili-
tätspolitik zu tun haben. Die Fragen machen Antworten
darauf erforderlich, wie wir die Reduzierung aller Risiken
für den Weltfrieden organisieren wollen.

Eines muss klar sein – Herr Pflüger, Sie haben das
gerade am Rande noch angedeutet –: Militär schafft kei-
nen Frieden. Militär hilft bei der Friedensschaffung, aber
Militär selbst schafft keinen Frieden. Sie fragen, warum
Saddam Hussein, der Diktator, wie er an diesem Pult be-
schrieben wurde, Einsicht walten und neutrale Inspektoren
der Vereinten Nationen ins Land lassen sollte. Wenn man




Dr. Friedbert Pflüger

21791


(C)



(D)



(A)



(B)


das anstrebt, bedeutet das nicht, dass man ihm mit der Zer-
störung des Landes bei Gefahr für Leib und Leben unschul-
diger Menschen droht. Es bedeutet, dass er keine politische
Zukunft hat. Wir müssen vorher alle politischen Möglich-
keiten ausschöpfen. Herr Kollege Pflüger, deswegen ist es
falsch, wenn wir von vornherein mit dem stärksten Mittel,
das wir haben, nämlich dem Militär, drohen. Wir wissen uns
dabei übrigens mit den Vereinten Nationen und letztlich
auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika einig.

Der Kollege Hoyer hat hier einige sehr interessante
Ausführungen gemacht. Herr Kollege, es wäre aber sicher
unerträglich, wenn wir erlauben würden, dass Saddam
Hussein die Qualität unserer Beziehungen zu Amerika, sei
es direkt oder indirekt, bestimmt. Genau deswegen müs-
sen wir in der Diskussion, in die wir uns hineinbegeben,
sehr vorsichtig sein. Dabei ist es egal, wie die äußeren
Verhältnisse sind; als Stichwort nenne ich den Wahl-
kampf. Herr Gehrcke, daher glaube ich, dass jede Fraktion
des Deutschen Bundestages gut beraten ist, sich nicht
– vielleicht unwillentlich, faktisch dann aber doch – zum
Handlanger von Saddam Hussein zu machen.


(Roland Claus [PDS]: Oh weh, das hat uns noch gefehlt!)


Herr Kollege Pflüger, ich glaube, dass Sie in der Dis-
kussion mit dem Außenminister gemerkt haben, dass Ihre
Kritik einseitig war. Sie haben ja erstaunlicherweise keine
Kritik an den Worten des Außenministers, sondern nur an
der Art, wie es vorgetragen wurde, geübt. Das ist hochin-
teressant. Die Menschen in unserem Lande müssen aber
bei den Grundfragen unserer Politik genau erkennen kön-
nen und auch wissen, was unsere Regierung denkt und
was sie tut. Deshalb ist es gerade in den Grundfragen er-
forderlich, dass die Vertreter der Bundesregierung klar
sprechen. Die Geheimdiplomatie, die Sie einklagen, hat
hier eine deutliche Grenze.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Man darf nicht annehmen, dass die Amerikaner so
empfindlich wie zerbrechliche Porzellanpüppchen seien.
Das sind sie nicht.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Im Gegensatz zu Friedbert!)


Die Amerikaner wissen sehr wohl, dass ihre eigene Sicher-
heit völlig inhaltsleer ist, wenn sie hier in Europa kein star-
kes Standbein besitzen und es bewahren. Dass die Ameri-
kaner in und mit Europa sind, liegt in ihrem ureigensten
Interesse. Deswegen ist es völlig falsch, anzunehmen, dass
die Amerikaner von Europa lassen würden. Richtig ist: Wir
brauchen die Amerikaner für unsere Sicherheit. Es stimmt
aber auch, dass die Amerikaner uns für ihre brauchen.

Verehrter Herr Kollege Gehrcke, ich wollte eigentlich
nicht darauf eingehen, dass Sie den Kollegen Robbe einen

kalten Krieger genannt haben. Damit haben Sie offenbart,
welchen Denkkategorien Sie noch verhaftet sind. Herr
Gehrcke, das gehört in die Zeit von vor Gorbatschow. Da-
gegen sollten Sie etwas tun.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch ein Kompliment!)


Das ABC-Analysepotenzial, welches wir mit dem
Fuchs im Golf haben, dient nur der Prävention. Dass sie
üben, bedeutet überhaupt nichts anderes, als dass versucht
werden muss, einsatzbereit zu sein. Anders, als Sie es dar-
gestellt haben, entspricht das den Entscheidungen des
Deutschen Bundestages.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wir wissen doch beide, dass das nicht stimmt!)


– Herr Gehrcke, natürlich ist das so. Das können Sie nicht
abstreiten. Den Beschluss haben wir gefasst und Sie ha-
ben ihm widersprochen. Vielleicht ist Ihnen das entfallen.

Zusammenfassend muss man feststellen, dass die Bun-
desregierung in voller Übereinstimmung mit den Verein-
ten Nationen, der Europäischen Union und auch den USA
weiterhin darauf drängen wird, dass der Irak die Ver-
pflichtungen, die ihm die Vereinten Nationen bzw. der
Weltsicherheitsrat auferlegt haben, erfüllt. Niemand kann
hinnehmen, dass ein Staat oder eine Gruppe von Staaten
den Weltfrieden gefährdet. Das gilt auch für den Irak.

Ich hätte mich gefreut, wenn die PDS hier klargestellt
hätte, dass auch sie in diesen Kategorien denkt. Ich halte
es für verfehlt, dass man den amerikanischen Präsidenten
in dieser Fragestellung unqualifiziert angreift. Der Präsi-
dent hat die Drohungen, die ihm von Ihnen unterstellt
werden, nie ausgesprochen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421916100
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 27. Februar 2002, 13 Uhr, ein.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei all den Kolleginnen
und Kollegen, die bis zum Schluss in dieser Intensität und
Disziplin ausgeharrt haben, ebenso bei unseren Zu-
schauerinnen und Zuschauern auf der Besuchertribüne.
Ein gutes Wochenende für Sie alle!

Die Sitzung ist geschlossen.