Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002
Manfred Opel
21792
(C)
(D)
(A)
(B)
Berichtigung
218. Sitzung, Seite 21578 (D), 4. Absatz, der 2. Satz ist wie folgt zu
lesen: „Sie müssen berücksichtigen, dass der weit überwiegende Teil
der Kapitalgesellschaften in vielen kleinen GmbHs organisiert ist.“
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(C)
(D)
(A)
(B)
Adam, Ulrich CDU/CSU 22.02.2002
Altmaier, Peter CDU/CSU 22.02.2002
Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 22.02.2002
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 22.02.2002*
Bierwirth, Petra SPD 22.02.2002
Bodewig, Kurt SPD 22.02.2002
Bohl, Friedrich CDU/CSU 22.02.2002
Braun (Augsburg), FDP 22.02.2002
Hildebrecht
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 22.02.2002
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 22.02.2002*
Francke, Klaus CDU/CSU 22.02.2002
Dr. Friedrich (Erlangen), CDU/CSU 22.02.2002
Gerhard
Friedrich (Bayreuth), FDP 22.02.2002
Horst
Friedrich (Altenburg), SPD 22.02.2002
Peter
Glos, Michael CDU/CSU 22.02.2002
Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 22.02.2002
Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 22.02.2002
Goldmann, FDP 22.02.2002
Hans-Michael
Grießhaber, Rita BÜNDNIS 90/ 22.02.2002
DIE GRÜNEN
Gröhe, Hermann CDU/CSU 22.02.2002
Günther (Duisburg), CDU/CSU 22.02.2002
Horst
Hartnagel, Anke SPD 22.02.2002
Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 22.02.2002
DIE GRÜNEN
Höfer, Gerd SPD 22.02.2002*
Holetschek, Klaus CDU/CSU 22.02.2002
Imhof, Barbara SPD 22.02.2002
Irmer, Ulrich FDP 22.02.2002
Jäger, Renate SPD 22.02.2002
Jünger, Sabine PDS 22.02.2002
Jung (Düsseldorf), SPD 22.02.2002
Volker
Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 22.02.2002
Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 22.02.2002
DIE GRÜNEN
Kolbow, Walter SPD 22.02.2002
Kors, Eva-Maria CDU/CSU 22.02.2002
Kossendey, Thomas CDU/CSU 22.02.2002*
Kraus, Rudolf CDU/CSU 22.02.2002
Küchler, Ernst SPD 22.02.2002
Kühn-Mengel, Helga SPD 22.02.2002
Dr. Lamers, (Heidelberg) CDU/CSU 22.02.2002
Karl A.
Leidinger, Robert SPD 22.02.2002
Link (Diepholz), CDU/CSU 22.02.2002
Walter
Matschie, Christoph SPD 22.02.2002
Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ 22.02.2002
DIE GRÜNEN
Michels, Meinolf CDU/CSU 22.02.2002
Müller (Düsseldorf), SPD 22.02.2002
Michael
Nolte, Claudia CDU/CSU 22.02.2002
Ostrowski, Christine PDS 22.02.2002
Philipp, Beatrix CDU/CSU 22.02.2002
Raidel, Hans CDU/CSU 22.02.2002*
Rauber, Helmut CDU/CSU 22.02.2002*
Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 22.02.2002
Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 22.02.2002
Hannelore
Roos, Gudrun SPD 22.02.2002
Roth (Speyer), Birgit SPD 22.02.2002
Rühe, Volker CDU/CSU 22.02.2002
Scharping, Rudolf SPD 22.02.2002
Schemken, Heinz CDU/CSU 22.02.2002
Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 22.02.2002
DIE GRÜNEN
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Schlee, Dietmar CDU/CSU 22.02.2002
Schloten, Dieter SPD 22.02.2002*
Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 22.02.2002
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 22.02.2002
Hans Peter
Schösser, Fritz SPD 22.02.2002
Dr. Schubert, Mathias SPD 22.02.2002
Schütze (Berlin), CDU/CSU 22.02.2002
Diethard
Schultz (Köln), SPD 22.02.2002
Volkmar
Seehofer, Horst CDU/CSU 22.02.2002
Singhammer, Johannes CDU/CSU 22.02.2002
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 22.02.2002
Steiger, Wolfgang CDU/CSU 22.02.2002
Strebl, Matthäus CDU/CSU 22.02.2002
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 22.02.2002*
Tappe, Joachim SPD 22.02.2002
Dr. Thomae, Dieter FDP 22.02.2002
Vogt (Pforzheim), Ute SPD 22.02.2002
Volquartz, Angelika CDU/CSU 22.02.2002
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 22.02.2002
Weisskirchen SPD 22.02.2002*
(Wiesloch), Gert
Wimmer (Neuss), CDU/CSU 22.02.2002*
Willy
Wissmann, Matthias CDU/CSU 22.02.2002
Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 22.02.2002
Wolf, Aribert CDU/CSU 22.02.2002
Zapf, Uta SPD 22.02.2002*
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Mehr Frauen an die
Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch
Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft
und Forschung stärken (Tagesordnungspunkt 17)
Brigitte Wimmer (Karlsruhe) (SPD): Lassen Sie mich
zu Beginn die Nobelpreisträgerin Christine Nüsslein-
Volhard zitieren: „Nichts ist so entscheidend für den An-
stieg des Frauenanteils wie dieser selbst“, sagt sie und legt
damit den Finger in die Wunde des Mangels an Frauen in
Führungspositionen: Es fehlt an weiblichen Vorbildern
auf dem oftmals dornenreichen Weg nach oben. Es gibt
sie zwar, die erfolgreichen Frauen an der Spitze, auch in
für Frauen eher untypischen Bereichen, aber eben viel zu
wenige.
Das heißt: Wir haben eine breite Basis hoch quali-
fizierter Frauen, aber an der Spitze sind Wissenschaft und
Forschung nach wie vor fest in männlicher Hand. Erst im
Jahr 2000 wurde in Deutschland die erste Frau auf eine
C-4-Professur für Gynäkologie berufen, im Jahr 2001 er-
hielt die erste Frau einen C-4-Lehrstuhl, für Chirurgie.
Wir stellen uns immer wieder die Frage: Warum kön-
nen Frauen ihre Qualifikation nicht in entsprechende
Karrieren umsetzen? Eine Antwort darauf ist sicher: So-
lange Frauen in wissenschaftlichen Spitzenpositionen nur
eine kleine Minderheit sind, bleiben auch die Auswahl-
und Entscheidungsgremien fest in männlicher Hand – und
Männer fördern bevorzugt Männer. Das gilt übrigens
nicht nur für die genannten medizinischen und die natur-
wissenschaftlich-technischen Fachbereiche, sondern auch
für die Sprach- und Kulturwissenschaften, wo Frauen mit
über 70 Prozent der Studierenden die Mehrheit, an der
Spitze aber eine verschwindende Minderheit sind.
Frauen sind in Entscheidungs- und Führungsposi-
tionen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen und
in wichtigen Zukunftsfeldern, wie technikorientierten Be-
rufen und Studiengängen, dramatisch unterrepräsentiert.
Das bestehende hohe Qualifikationspotenzial von Frauen
auf den verschiedenen Ebenen des beruflichen und des
wissenschaftlichen Qualifizierungsprozesses wird nicht
ausgeschöpft.
Zukunftsorientierte Politik muss die Voraussetzungen
dafür schaffen, dass Frauen in Wissenschaft und For-
schung in allen Bereichen und auf allen Ebenen, vor allem
in Führungspositionen, gleichberechtigt vertreten sind.
Es kann politisch nicht länger verantwortet werden, dass
Leistungen von hervorragend und teuer ausgebildeten
Frauen in den Hochschulen und in der Forschung nicht
durch entsprechende Führungspositionen sichtbar werden.
Um solche nachhaltigen Veränderungen zu bewirken,
haben die Bundesregierung und unsere Ministerin
Bulmahn einen neuen Aufbruch in der Gleichstellungs-
politik eingeleitet und die Gleichstellung von Frauen und
Männern wieder zu einem großen gesellschaftlichen Re-
formprojekt gemacht. Die in Artikel 3 Abs. 2 GG veran-
kerte formale Gleichberechtigung von Frauen und die seit
Jahren geführte Debatte um Inhalt und Methoden ihrer
Durchsetzung hat mit dem 1997 im Amsterdamer Vertrag,
1999 in den beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU
und dem von der Bundesregierung im Juni 1999 be-
schlossenen neuen Ansatz des Gender Mainstreaming
eine neue Qualität erreicht (Programm „Frau und Beruf“,
Juni 1999). Entsprechend gilt es auch in der Bildungs-
und Forschungspolitik, Chancengleichheit als durchgän-
giges Leitprinzip in allen Programmen und Maßnahmen
in Bildung und Forschung zu etablieren und als einen
Beitrag zur Qualitäts- und Leistungssteigerung zu begrei-
fen. Hier ist ein Umdenken bei allen Verantwortlichen in
Politik und Wirtschaft, in Wissenschaft und Forschung
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erforderlich, da sonst die Chancen der heute jungen
Frauen lebenslang hinter den Berufs- und Zukunftschan-
cen der männlichen Kollegen zurückbleiben werden.
Seit vielen Jahren erreichen Frauen in der Bundes-
republik Deutschland höhere Bildungsabschlüsse als
Männer. Mehr erwerbstätige Frauen als Männer verfügen
über den Abschluss einer Berufsausbildung oder Berufs-
fachschule. Es liegt im Interesse der Wirtschaft und der
Gesellschaft, die vorhandenen Kompetenzen von Frauen
stärker zu nutzen und ausbildungsadäquat einzusetzen.
Die Verbesserung der Chancen von Frauen ist in diesem
Zusammenhang als eine sofort einsatzbereite Ressource
für Forschung und Lehre anzusehen. Dies ist ein Beitrag
zur Qualitätssicherung, Leistungssteigerung und Stär-
kung der Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen und
außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Wir begrüßen ausdrücklich Initiativen und Maß-
nahmen die eingeleitet wurden, vor allem unterstützen
wir unter anderem, dass die Bundesregierung die Gleich-
stellung von Frauen und Männern wieder zu einem
großen gesellschaftlichen Reformprojekt und einem
Schwerpunkt ihrer Politik gemacht hat, dass mit dem
Kabinettsbeschluss vom 20. Juni 1999 durch das Pro-
gramm „Frau und Beruf“ Gender Mainstreaming als
durchgängiges Leitprinzip für alle Maßnahmen und Pro-
gramme der Bundesregierung verbindlich festgelegt
wurde, dass die Bundesregierung mit dem Kabinetts-
beschluss vom 26. Juli 2000 der Gleichstellung von
Frauen und Männern (Gender Mainstreaming) in der Ge-
meinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien
zentrale Bedeutung zuerkennt, die Verabschiedung des
Gleichstellungsdurchsetzungsgesetzes, das die außeruni-
versitären Forschungseinrichtungen einbezieht, die die
Grundzüge dieses Gesetzes für den öffentlichen Dienst
des Bundes gemäß den vertraglichen Vereinbarungen an-
zuwenden haben, und dass in den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen für Kinderbetreuungsangebote
Haushaltsmittel eingesetzt werden können, dass im Bun-
deshaushalt im Einzelplan 30 des BMBF seit 1999 Chan-
cengleichheit als durchgängiges Leitprinzip (Gender
Mainstreaming) verankert ist und ein eigener Haushalts-
titel „Strategien zur Durchsetzung von Chancengleichheit
für Frauen in Bildung und Forschung“ neu eingerichtet
worden ist und dass das BMBF ein eigenes Referat
„Frauen in Bildung und Forschung“, angesiedelt in der
Strategieabteilung des Hauses, etabliert hat, dass Bund
und Länder eine 40-prozentige Beteiligung von Frauen
bei den personenbezogenen Maßnahmen des gesamten
Hochschul-Wissenschafts-Programms vereinbart haben,
den Bericht der BLK „Frauen in der Wissenschaft – Ent-
wicklung und Perspektiven auf dem Weg zur Chancen-
gleichheit“ vom 30. Oktober 2000 als richtungweisendes
Positionspapier mit konkreten Zielmarken für die Durch-
setzung der Chancengleichheit von Frauen in Wissen-
schaft und Forschung.
Die Chancen für Frauen, an die Spitze zu gelangen,
sind günstig, da der Generationswechsel an unseren
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen ansteht. Diesen Generationswechsel müssen wir
nutzen, um den Anteil von Frauen in wissenschaftlichen
Spitzenpositionen deutlich zu erhöhen.
Mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes
wurde bereits ein Durchbruch erzielt: Die Verwirklichung
der Gleichstellung von Männern und Frauen gehört heute
explizit zu den Aufgaben der Hochschulen. Fortschritte
bei der Gleichstellung sind ein wichtiges Kriterium bei
der Qualitäts- und Leistungsbewertung der Hochschulen
und damit bei der Mittelzuweisung.
Was die außeruniversitären Forschungseinrichtungen
betrifft, so erwarte ich von dem im Dezember letzten Jah-
res verabschiedeten Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz,
das auch für die Forschungseinrichtungen gilt, große Fort-
schritte bei der Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen,
Das Programm „Anstoß zum Aufstieg“ ergänzt das
neue Hochschul-Wissenschaftsprogramm (HWP) „Chan-
cengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“, das am
1. Januar 2001 angelaufen ist und in dem Bund und Län-
der jährlich 30,7 Millionen Euro vor allem für die Förde-
rung von Frauen auf dem Weg zu einer Professur zur
Verfügung stellen. Auch hier erwarte ich sichtbare Fort-
schritte, was die Steigerung des Anteils von Frauen an den
Professuren betrifft.
Wir haben uns das Ziel gesetzt, den Anteil von Profes-
sorinnen bis zum Jahr 2005 auf 20 Prozent zu erhöhen,
was fast eine Verdoppelung gegenüber dem Jahre 2000
bedeutet. Wir wissen, dass dies ein sehr anspruchsvolles
Ziel ist, und werden alles zu dessen Umsetzung unterneh-
men, damit wir hier auch international den dringend er-
forderlichen Anschluss erreichen.
Wir wollen mehr Frauen an die Spitze von Wissen-
schaft und Forschung. Damit uns das gelingt, brauchen
wir gemeinsame Anstrengungen von allen, die zum Errei-
chen dieses Zieles beitragen können.
Kerstin Griese (SPD): Mehr Frauen an die Spitze von
Wissenschaft und Forschung – das ist ein vordringliches
Ziel dieser Bundesregierung und das begrüßen wir sehr.
Lassen Sie mich mit einer persönlichen Erfahrung be-
ginnen, die ganz offensichtlich zeigt, wie wichtig die Stär-
kung von Frauen in Wissenschaft und Forschung ist: In
meinem Studium der Geschichte und Politikwissenschaft
ist mir nicht eine einzige Professorin an meiner Hoch-
schule begegnet. Glücklicherweise gab es auch mal den
einen oder anderen Gastvortrag einer Professorin, aber
das löst das Problem nicht. Gerade für Studentinnen, für
angehende und junge Wissenschaftlerinnen ist es wichtig,
Professorinnen zu erleben, als ein Beispiel für Frauen an
der Spitze in Wissenschaft und Forschung. Wir wissen,
wie wichtig solche Vorbilder sind, um junge Frauen zu
motivieren, selber eine wissenschaftliche Karriere einzu-
schlagen. Ganz abgesehen davon haben Frauen in der
Wissenschaft in den letzten Jahren besonders eines be-
wirkt: den eigenen Blick, den spezifischen Blick und die
Erfahrungen von Frauen, sei es auf Geschichte, Medizin
oder Sprachwissenschaften. Dieser eigene Blick hat
Neues, Spannendes und Innovatives in die Forschung ge-
bracht, die Wissenschaft ist eindeutig bereichert worden.
Es ist immer noch ein Skandal, dass in Deutschland mit
Marion Kiechle an der TU München nur ein einziger
Lehrstuhl für Gynäkologie mit einer Frau besetzt ist.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21795
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Hieran sehen wir nur allzu deutlich unseren Nachholbe-
darf. Die Realität an den deutschen Hochschulen ist noch
immer erschreckend: Zwar sind über die Hälfte derjeni-
gen, die ein Studium beginnen, Frauen. Davon erreichen
auch noch knapp die Hälfte ihren Hochschulabschluss.
Danach gibt es dann einen starken Bruch: Nur ein Drittel
davon promovieren, deutlich weniger als ein Viertel, ak-
tuell 18,4 Prozent, habilitieren, und den Anteil der Pro-
fessuren mag ich in Brüchen gar nicht mehr benennen: Es
sind bei den C4-Professuren knapp 7 Prozent. Der Wis-
senschafts- und Forschungsbereich ist ein Beispiel, dass
das „old-boys-network“ noch immer gut funktioniert. Da-
gegen müssen wir auf die Netzwerke der jungen forschen
Wissenschaftlerinnen setzen: In der außeruniversitären
Forschung sieht es übrigens nicht besser aus: Bei den
Spitzenpositionen stehen fünf Frauen 95 Männern gegen-
über. Und bei Zukunftsberufen in der IT-Branche und bei
Meisterausbildungen kommen auf eine Frau neun Män-
ner. Das Problem beginnt schon in der Ausbildung, wo
Frauen nur 14 Prozent der Ausbildungsplätze im IT-Be-
reich belegen. Das wollen und das müssen wir ändern und
damit haben wir auch schon begonnen:
Die Unterrepräsentanz von Frauen im wichtigen Zu-
kunftsbereich der Bildung und Forschung ist nicht länger
hinzunehmen. Wir fordern die Gleichberechtigung von
Frauen in allen Bereichen der Wissenschaft und For-
schung. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Bundes-
regierung im Rahmen ihres Gender Mainstreaming-An-
satzes begonnen hat, dieses Leitprinzip auch im Bildungs-
und Forschungsbereich durchzusetzen. Dazu gibt es viel-
fältige Programme und Projekte. Mit dem Programm „In-
novation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft
im 21. Jahrhundert“ wollen wir den Frauenanteil bis 2005
in den Informatikstudiengängen und den IT-Berufen auf
40 Prozent steigern. Das Bund-Länder-Programm „Chan-
cengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre“ ist mit
einem Volumen von jährlich 30 Millionen Euro gestartet
worden und hat zum Ziel, Frauen auf dem Weg zu einer
Professur zu unterstützen.
Der CDU/CSU und der FDP ist der Vorwurf zu ma-
chen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit das Thema Gleich-
stellung, gerade hier im Wissenschafts- und Forschungs-
bereich, ignoriert und sträflich vernachlässigt haben. Ich
glaube fast, dass die Aussage des Altkanzlers Kohl, die
hohe Arbeitslosigkeit in Ihrer Regierungszeit sei durch
die „verstärkte Erwerbsneigung der Frauen“ verursacht,
Ihre Mentalität geprägt hat. Wenn man ein solch konser-
vatives Familienbild von der Frau für Haus und Herd hat,
dann passt anscheinend dazu keine Nobelpreisträgerin
und keine Professorin.
Entscheidend ist die Frage, wo die Barrieren für Frauen
auf dem wissenschaftlichen Weg an die Spitze sind. Noch
immer ist es so, dass es auch im Studium und in der wis-
senschaftlichen Karriere eher die Frauen sind, die zurück-
stecken, wenn Kinder unterwegs sind. Für sie stellt sich
die Frage „Kinder oder Karriere?“ schärfer als für ihre
männlichen Kommilitonen. Die Väter der Kinder werden
weitaus häufiger Professoren als die Mütter. Die Kinder-
betreuung führt natürlich dazu, dass sich das Studium
oder die Promotion verlängert oder unterbrochen wird
und dass die Chancen auf wissenschaftliches Fortkom-
men sinken. Deshalb ist es besonders wichtig, die Situa-
tion der Kinderbetreuung zu verbessern. An unseren
Hochschulen studieren insgesamt circa 115 000 Väter und
Mütter, das sind 7 Prozent der Studierenden in den alten
und 8 Prozent in den neuen Bundesländern. Viele Studen-
tenwerke haben in den letzten Jahren Tagesstätten für die
Kinder studierender Eltern aufgebaut. Hier müssen Bund
und Land gemeinsam daran arbeiten, dass die Möglich-
keiten der Kinderbetreuung verbessert werden. Wir von
der SPD haben dieses Ziel zu einem Schwerpunkt unserer
Politik gemacht. Unser Ziel ist es, dass Männer und
Frauen Kinder und Karriere vereinbaren können. Gerade
die skandinavischen Länder zeigen uns, dass gute Kin-
derbetreuungsmöglichkeiten dazu beitragen, ein gesell-
schaftliches Klima zu schaffen, in denen berufstätige
Mütter eine Selbstverständlichkeit sind.
Deshalb fordern wir heute die Bundesregierung auf,
gemeinsam mit den Ländern dafür zu sorgen, dass die
Kinderbetreuungsangebote an den Hochschulen ausge-
baut werden, dass mehr ganztägige Betreuung angeboten
wird und dass die Länder einen Schwerpunkt auf Ganz-
tagsschulen setzen. Da sind die Unterschiede zwischen
den Bundesländern gravierend, in CDU/CSU regierten
süddeutschen Ländern gibt es noch immer wenig Betreu-
ungsangebote, besonders für unter Dreijährige und im
Ganztagsbereich. Hier muss sich etwas ändern. Wir un-
terstützen die Bundesregierung darin, ihren Weg der Stär-
kung von Frauen in Wissenschaft und Forschung weiter
zu gehen, damit die Frauen, die wissenschaftlich Spitze
sind auch an die Spitze kommen.
Bärbel Sothmann (CDU/CSU): „Die Zukunft der
Menschheit hängt ab von der Zukunft der Frauen“ – so
lautete das Fazit der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Pe-
king. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für Entwicklungs-
länder, sondern auch für Industrienationen. Diese Fest-
stellung orientiert sich nicht nur an dem berechtigten
Verlangen von Frauen nach Gleichberechtigung, sondern
auch an den Grundbedürfnissen der Gesellschaft an sich.
Globalisierung, Demographischer Wandel, Sicherung
von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen, Bewah-
rung einer gesunden Umwelt – um diese Herausforderun-
gen zu meistern, müssen wir alle Kräfte mobilisieren. Wir
müssen dazu auch und gerade das Potenzial von Frauen
nutzen. Wir können es uns nicht länger leisten, die Kom-
petenzen hochkarätiger Wissenschaftlerinnen zu ignorie-
ren – erst recht nicht im Hinblick auf den zunehmenden
Fachkräftemangel. Doch genau das tun wir zurzeit.
Frauen in Wissenschaft und Forschung haben zahllose
Stolpersteine und Barrieren zu überwinden.
Zwar stellen Frauen die Hälfte der Studierenden, ma-
chen oft bessere Abschlüsse als Männer, schreiben ein
Drittel aller Promotionen und treten auch in den Medien
zunehmend als Expertinnen in Erscheinung, wie zum
Beispiel die Medizin-Nobelpreisträgerin und Direktorin
des Max-Planck-Instituts in Tübingen, Dr. Christiane
Nüsslein-Volhard. Doch wir wissen auch: Frauen er-
greifen nur selten Zukunftsberufe, zum Beispiel in
der Multimediabranche, und sind in naturwissen-
schaftlich technischen Fächern an unseren Hochschulen
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unterrepräsentiert. In anderen Ländern, zum Beispiel in
Portugal und Frankreich, ist der Frauenanteil erheblich
höher.
Fatal ist außerdem der Karriereknick von Frauen kurz
nach dem Studium. Sie haben mit Ihrem Antrag völlig
Recht: je höher die Positionen, desto niedriger der Frau-
enanteil. Bei Habilitationen liegt er unter 20 Prozent, bei
Professuren insgesamt bei knapp 10 Prozent und bei
C4-Professuren nur bei rund 6 Prozent. Damit sind wir
auch hier – wie in vielen anderen Bereichen – Schlusslicht
in Europa. Auch in außeruniversitären Forschungsein-
richtungen sind nur rund 5 Prozent der Spitzenpositionen
mit Frauen besetzt. In den Beratungsgremien der Minis-
terien ist weiblicher Sachverstand ebenfalls Mangelware.
Und im Bundesforschungsministerium selbst gibt es auch
nur eine Frau in der Abteilungsleiterposition.
Der Handlungsbedarf ist also groß, zumal wir vor ei-
nem Generationswechsel an deutschen Hochschulen ste-
hen, bei dem Frauen auf keinen Fall außen vor bleiben
dürfen.
Wir, das heißt die Union, haben uns seit Jahren für
mehr Chancengleichheit von Frauen in allen gesellschaft-
lichen Bereichen, auch in Wissenschaft und Forschung,
eingesetzt.
Ich nenne nur einige Beispiele: Der Bundesfor-
schungsbericht 1996 enthielt erstmals ein separates Kapi-
tel zum Thema „Frauen in der Forschung“. Auch wir hat-
ten uns das Ziel gesetzt, den Anteil der Professorinnen bis
zum Jahr 2005 auf 20 Prozent zu steigern.
Das BMBF hat noch unter der unionsgeführten Regie-
rung die Förderung von Frauen in alle seine Schwer-
punktprogramme integriert. Das entsprach schon damals
dem Ziel des heute viel strapazierten Begriffs „Gender
Mainstreaming“. Es gab im BMBF auch früher schon das
Referat „Frauen in Bildung und Forschung“.
Wir haben die Initiative „Frauen geben Technik neue
Impulse“ gestartet, den Aufbau einer Expertinnen-
datenbank unterstützt, das Meister-BAföG und das Total
E-Quality-Prädikat eingeführt und über das Bundesgre-
mienbesetzungsgesetz versucht, eine höhere Beteiligung
von Frauen in wissenschaftlichen Beratungs- und Ent-
scheidungsgremien zu erreichen.
In unseren Hochschulsonderprogrammen nahm die
Frauenförderung einen großen Umfang ein, zum Beispiel
im HSP III mit 720 Millionen DM für die personenbezo-
gene Förderung von Wissenschaftlerinnen und zusätzlich
200 Millionen DM für spezielle Maßnahmen wie Kon-
takt- und Wiedereinstiegsstipendien.
Bei der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes
haben wir 1998 einen wichtigen Durchbruch für Frauen in
Wissenschaft und Lehre erreicht und die staatliche Hoch-
schulförderung von der Durchsetzung der Chancengleich-
heit abhängig gemacht. Gerade die Gruppe der Frauen der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deren Vorsitzende ich zu
dieser Zeit war, hatte sich dafür stark gemacht.
Neben der Verpflichtung der Hochschulen, Frauenbe-
auftragte zu bestellen, haben wir auch spezielle Förder-
programme für Frauen in den Ländern durchgesetzt.
Mit anderen Worten: Der Aufbruch in der Gleichstel-
lungspolitik hat schon zu unseren Zeiten stattgefunden.
Die meisten Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils
in Wissenschaft und Forschung, die Sie in Ihrem Antrag
nennen, sind also die Fortsetzung oder die Ausweitung der
Maßnahmen, die wir in unserer Regierungszeit initiiert
haben. Sie rennen deshalb mit Ihren Forderungen im We-
sentlichen offene Türen bei uns ein.
Wenn man die Ursachen für den niedrigen Frauenan-
teil in Wissenschaft und Technik betrachtet – die traditio-
nellen Rollenerwartungen unserer Gesellschaft, die Ten-
denz von Frauen, typisch weibliche Berufe zu ergreifen,
und fehlende weibliche Rollenvorbilder – dann sieht man,
dass man sich nicht nur auf Fördermaßnahmen an Hoch-
schulen und in Forschungseinrichtungen selbst beschrän-
ken darf. Wir müssen schon früh beginnen, die Weichen
für Frauen richtig zu stellen. Das hat auch die internatio-
nale Bildungskonferenz des BMBF in München Anfang
Februar bestätigt, in der es um die Zukunftschancen von
jungen Frauen in Informatik, Technik und Naturwissen-
schaften ging.
Bereits in der Schule müssen wir Vorurteile gegen
Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen ab-
bauen und alte Rollenklischees endgültig aus den Schul-
büchern verbannen. Wir müssen beruflich erfolgreiche
Frauen als Vorbilder sichtbar machen. Getrennter Unter-
richt in naturwissenschaftlichen Fächern kann dazu bei-
tragen, dass Mädchen ihren eigenen Zugang zur Technik
besser finden. Die Kampagne „Schulen ans Netz“ – die
noch von uns initiiert wurde – bietet für Mädchen viele
Chancen, ebenso wie die Informationskampagne von
Frau Bulmahn „Be.Ing“.
In der Ausbildung sind besonders die Betriebe gefor-
dert, jungen Frauen eine Chance in technischen Berufen
zu geben. Dazu gehören auch mehr Berufspraktika für
Mädchen noch während der Schulzeit. Der Wettbewerb
„Frauenfreundlicher Betrieb“ ist hier eine große Hilfe.
Auch Aktionen wie das „Abenteuer-Technik-Camp für
Mädchen“ der Firma Siemens sollten mehr Nachahmer
finden.
An Hochschulen benötigen wir eine spezielle Beratung
für Studentinnen in naturwissenschaftlich-technischen
Studiengängen. Wir brauchen Anreizsysteme für die Ein-
stellung von qualifizierten Wissenschaftlerinnen. Wir
brauchen mehr Professorinnen in den Berufungskommis-
sionen. Nachwuchswissenschaftlerinnen müssen frühzei-
tig in die Verwaltungs- und Gremienarbeit eingebunden
werden, um sie besser in den Wissenschaftsbetrieb zu in-
tegrieren. Wir unterstützen das Bund-Länder-Programm
„Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre“
als notwendige Fortsetzung des ausgelaufenen HSP III,
weil wir Frauenförderung als Dauermaßnahme brauchen.
Dabei ist darauf zu achten, dass die Mittel effizient einge-
setzt werden.
Spezielle Förder- und Mentorenprogramme für ange-
hende Professorinnen sollten längerfristig aufgelegt wer-
den. So besteht zum Beispiel weiterhin großes Interesse
von Wissenschaftlerinnen an Karriereberatung. Doch lei-
der gibt es nach meinen Informationen keine Fortführung
des entsprechenden Programms „Anstoß zum Aufstieg“.
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Wir fordern Sie auf, bei der Einführung der Juniorpro-
fessuren darauf zu dringen, dass Frauen gleichberechtigt
zum Zuge kommen. Dieses neue Instrument hat sich
nämlich bisher sehr nachteilig auf den Frauenanteil aus-
gewirkt. Darauf haben insbesondere Vertreterinnen der
BuKoF – Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstel-
lungsbeauftragten an Hochschulen – hingewiesen.
Wir sollten auch an den Hochschulen an ein Aufbre-
chen der Koedukation denken. Positive Erfahrungen gibt
es nicht nur in den USA– wo die Absolventinnen von Wo-
mens Colleges im Beruf nachweislich erfolgreicher sind
als Absolventinnen gemischter Hochschulen –, sondern
auch bei uns: zum Beispiel an der Hochschule Bremen mit
ihrem internationalen Studiengang nur für Frauen im Be-
reich Informatik; zum Beispiel bei dem Modellprojekt
„Internationale Frauenuniversität“ – IFU – im Rahmen
der Expo 2000. Man sollte auf jeden Fall die Fortsetzung
des IFU-Studienangebots in Form von internationalen
Master-Studiengängen für Frauen ermöglichen.
In den außeruniversitären Forschungseinrichtungen
gilt das Bundesgleichstellungsgesetz nicht. Hier müssen
in der Tat so schnell wie möglich umfassende vertragliche
Regelungen zur Durchsetzung der Chancengleichheit ge-
troffen werden. Gender mainstreaming muss auch bei der
Umstellung auf die Programmorientierte Förderung in der
HGF – Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher
Forschungszentren – beachtet werden.
Familienfreundliche Bedingungen sind bei allen För-
dermaßnahmen das A und O. Jede Art von Frauenförde-
rung bleibt Makulatur, solange hochkarätige Wissen-
schaftlerinnen weiter vor die Entscheidung Familie oder
Beruf gestellt werden. Wir brauchen daher kürzere Studi-
enzeiten, die Möglichkeit des Teilzeitstudiums, flexiblere
Arbeitsformen und vor allem bedarfsgerechte Kinderbe-
treuungsangebote.
Frauen-Netzwerke, wie sie zum Beispiel bei der IFU
jetzt wieder entstanden sind, können Frauen und Mädchen
ebenfalls ermutigen, technische und naturwissenschaftli-
che Fächer zu studieren, in diesen Berufen Karriere zu
machen und ihre Kompetenzen der Allgemeinheit zur
Verfügung zu stellen. Ihre Arbeit sollte deshalb auch von
der Politik stärker unterstützt werden.
Viele Maßnahmen für mehr Chancengleichheit von
Frauen in Wissenschaft und Forschung zeigen bereits Er-
folge. Ich bin deshalb sehr gespannt auf den Fortschritts-
bericht, der Mitte 2002 vorgelegt werden soll. Doch wir
müssen noch viel mehr in dieser Richtung tun. Wir brau-
chen die Kompetenzen und die Innovationskraft von
Frauen, wir brauchen die weibliche Sicht der Dinge, um
den Dialog von Wissenschaft und Öffentlichkeit zu för-
dern und international konkurrenzfähig zu bleiben.
Geben wir unseren Wissenschaftlerinnen deshalb end-
lich die Chancen, die sie verdienen!
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): „Hunde und Damen nicht erwünscht!“ – ein
Schild mit dieser Aufschrift ließ ein Professor Anfang
des letzten Jahrhunderts an der Hörsaaltür anbringen.
Diese Zeiten sind dank der bürgerlichen Frauenbewegung
vorbei.
Seit vielen Jahren erreichen Frauen höhere Bildungs-
abschlüsse als Männer. Betrachtet man die Pisa-Studie
unter diesem geschlechtsspezifischen Aspekt, so steht
fest: Ohne die qualifizierten Mädchen und jungen Frauen
wäre das Desaster noch viel größer.
Allen ist klar, dass wir eine neue Bildungsreform brau-
chen. Dabei muss die Chancengleichheit groß geschrie-
ben werden. Es ist doch ein Armutszeugnis für unsere Ge-
sellschaft, wenn wieder die soziale Herkunft entscheidend
für den Bildungserfolg ist. Ich hatte geglaubt, diese Zei-
ten seien vorbei. Auch dass bei uns nur 16 Prozent eines
Altersjahrgangs ein Studium erfolgreich abschließen,
während es in Großbritannien fast doppelt so viel sind,
zeigt dringenden Handlungsbedarf.
Doch zurück zu den Frauen: Ihr Anteil unter den Erst-
semestern liegt bei 53 Prozent. Wenn wir also Bildung als
Voraussetzung für eine berufliche Karriere ansehen,
müssten demnach goldene Zeiten für die Erwerbstätigkeit
von Frauen angebrochen sein.
Ein Blick in die Statistik verdunkelt dieses Bild. Von
dieser guten Ausgangsbasis aus sinkt der Frauenanteil von
Qualifikationsstufe zu Qualifikationsstufe stetig ab. Bei
den Professorinnen bleiben gerade mal 10 Prozent Frauen
übrig. Von den gut bezahlten C4-Professuren sind nur
sechs von 100 mit Professorinnen besetzt. Deutschland
bildet damit das Schlusslicht in Europa.
In den außenuniversitären Forschungseinrichtungen
sind es gar nur 5 Prozent Frauen in Spitzenpositionen.
Frauen sind also in den Entscheidungs- und Führungspo-
sitionen an den Hochschulen wie auch in den For-
schungseinrichtungen dramatisch unterrepräsentiert.
Hinzu kommt, dass Frauen und Männer bei der Studi-
enwahl nach wie vor erhebliche geschlechtsspezifische
Unterschiede aufweisen. Folge davon ist: Frauen sind in
zukunftsorientierten Berufen wie im IT-Bereich kaum an-
zutreffen.
Wir brauchen also eine moderne Gleichstellungspolitik
und deutliche Strukturveränderungen in der Wissenschaft.
Neben einer gerechten Chancenverteilung zwischen den
Geschlechtern müssen aber auch die Rahmenbedingun-
gen für die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienar-
beit verbessert werden. Ganztagskinderbetreuung und
Ganztagsschulen sind das Gebot der Stunde.
Aber auch Frauen, die keine Kinder haben – und das
sind immerhin 40 Prozent der Wissenschaftlerinnen –
werden im Wissenschaftsbetrieb benachteiligt. Darum
muss die Gleichstellung von Männern und Frauen zu ei-
nem durchgängigen Qualitätskriterium der Hochschulen
und Forschungseinrichtungen werden. Alle Initiativen
und Maßnahmen müssen sich an der Verwirklichung der
Gleichstellung messen lassen. Das Konzept hierfür heißt
Gender Mainstreaming und ich bin froh, dass die rot-
grüne Bundesregierung diesen neuen Ansatz kurz nach
Regierungsantritt zum Leitprinzip für alle Ministerien er-
hoben hat. Darum wurde im neuen Gleichstellungsgesetz
für den öffentlichen Dienst des Bundes auch die Vergabe
staatlicher Leistungen an die Gleichstellung gekoppelt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221798
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In den Jahren 2000 bis 2010 wird über die Hälfte der
Professoren das Ruhestandsalter erreichen. Dies bietet
eine Chance nicht nur für einen Generationenwechsel,
sondern auch für einen Geschlechterwechsel. Dies müs-
sen wir nutzen. Darum brauchen wir ein gezieltes Stel-
lenprogramm für Wissenschaftlerinnen für C3- und
C4-Stellen.
Die rot-grüne Koalition hat es sich.zum Ziel gesetzt,
den Anteil von Professorinnen bis zum Jahr 2005 auf 20
Prozent zu steigern. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Von al-
lein lässt es sich jedoch nicht verwirklichen. In Ergänzung
zu dem Programm „Anstoß zum Anstieg“ muss daher bei
der finanziellen Ausstattung für die Juniorprofessuren da-
rauf geachtet werden, dass die bundeseigenen Mittel in
Abhängigkeit einer Quote vergeben werden. Wir fordern
das Ministerium dazu auf, die versprochene quotierte Mit-
telzuweisung aus dem Bundesprogramm für die Junior-
professuren rigoros einzuhalten. Nur wenn jetzt viele
Frauen auf Juniorprofessuren berufen werden, können wir
die angestrebte Zielmarke von 20 Prozent Professorinnen
bis 2005 auch erreichen.
Neben diesen hilfreichen Ansätzen und Programmen
sind weitere Veränderungen nötig. Die Old-Boys-net-
works gerade in den technischen und naturwissenschaft-
lichen Studiengängen halten noch immer Frauen davon
ab, ihre berufliche Zukunft zu verwirklichen.
In der Wirtschaft ist es schon angekommen: Wer Erfolg
haben will, braucht die Frauen. Teams von Männern und
Frauen sind erfolgreicher als reine Männerteams. Das
müsste doch auch die Wissenschaft schon im eigenen In-
teresse für sich nutzen.
Ulrike Flach (FDP): Deutschland ist mal wieder
Schlusslicht in Europa, und ich finde, dass unser letzter
Platz mit 6,3 Prozent beim Anteil der Frauen unter den
C4-Professuren an Universitäten ein ebensolches Armuts-
zeugnis ist wie unser letzter Platz bei der Konjunkturent-
wicklung.
Ihr Antrag zeigt eindrucksvoll auf, dass in Deutschland
die Zahl der Frauen abnimmt, je höher das Qualifika-
tionsniveau steigt. Sind es bei den Erstsemestern noch
52,9 Prozent – die Zahl stammt aus dem Jahr 1999 –, so
sinkt der Anteil auf 5,1 Prozent bei den Spitzenpositionen
in außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dass hier
mehr getan werden muss, ist unstreitig. Der wenig ein-
gängige Begriff Gender Mainstreaming verschleiert eher,
worum es geht: Frauen müssen in Wissenschaft und For-
schung gefördert und gefordert werden.
Der Antrag zeigt aber leider auch, dass der Bundes-
tagswahlkampf naht. Ein Lob für die Bundesregierung
reiht sich an das nächste. Hier wäre im Sinne der Sache
etwas Differenzierung nötig gewesen. Denn ich frage
mich: Dient es dem Ziel, den Anteil der Professorinnen
bis 2005 auf 20 Prozent zu erhöhen, wenn durch die HRG-
Reform eine ganze Generation junger Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler aufs Abstellgleis geschickt wird?
Die Auswirkungen sind doch fatal, Frau Ministerin. Nicht
umsonst hat die „taz“, sicher kein Sprachrohr der FDP-
Fraktion, das Beispiel einer promovierten Geochemikerin
dokumentiert, die nach 12 Jahren befristeter Forschungs-
arbeit vor dem Aus steht.
Ebenso ist die faktische Abschaffung der Habilitation
auch im Hinblick auf die Frauenförderung kontraproduk-
tiv. Eine Habilitation neben der Erziehung eines Kindes
durchzuziehen ist schon schwer genug, die vielfältigen
Aufgaben einer Juniorprofessur zu bewältigen ist fast un-
möglich. Sie hätten die Habilitation als zusätzlichen Qua-
lifikationsweg erhalten müssen.
Ich nehme auch sehr sorgfältig die Signale auf, die jetzt
von den Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen
kommen. Mir schreibt die Bundeskonferenz der Frauen-
beauftragten, dass zum Beispiel bei den ersten 12 Beru-
fungsvorschlägen für Juniorprofessuren an der Hum-
boldt-Universität – nichtmedizinischer Bereich – nur eine
Frau war. Ich kann deshalb bisher nicht sehen, warum der
Antrag Ihre Juniorprofessuren im Hinblick auf die Frau-
enförderung lobt.
Ihr Antrag listet eine Reihe von Maßnahmen auf, die
das BMBF angeschoben hat oder die im Rahmen der BLK
beschlossen worden sind. Was mir fehlt, sind Ergebnisse,
zumindest bei den Maßnahmen und Beschlüssen, die
schon seit mehreren Jahren laufen. Was ist denn dabei he-
rausgekommen, dass das Kabinett am 20. Juni 1999 Gen-
der Mainstreaming, wie Sie schreiben, „zentrale Bedeu-
tung zuerkannt“ hat? Hier findet sich viel heiße Luft in
Ihrem Antrag. Andere, sinnvolle Maßnahmen wie das
Emmy-Noether-Programm zur Förderung von Wissen-
schaftlerinnen werden überhaupt nicht erwähnt.
Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen wir diesen
Antrag ab. Das Ziel ist richtig, auch manche Ihrer Vor-
schläge, aber eine Lobhudelei auf die zum Teil kontrapro-
duktiven Maßnahmen der Bundesregierung werden wir
nicht mitmachen.
Maritta Böttcher (PDS): Vor über 80 Jahren – im Jahr
1920 – wurde für Frauen der Zugang zum Hochschul-
lehrerberuf erstmals formal geöffnet. Doch der Weg von
der formalen zur tatsächlichen Gleichberechtigung, wie
sie das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 fordert, liegt noch
weitestgehend vor uns.
Auch im 21. Jahrhundert werden Frauen strukturell
von Lehrstühlen und anderen Leitungsfunktionen an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen ferngehalten.
Nur sechs von 100 Professuren der höchsten Besoldungs-
stufe C4 sind von Frauen besetzt. Insgesamt liegt der
Anteil der Professorinnen bei rund 10 Prozent. Dieser
Wert ist für Deutschland auch im internationalen Ver-
gleich blamabel. In Ländern wie der Türkei, Finnland
oder Portugal ist fast jede fünfte ordentliche und sogar je-
de dritte außerordentliche Professur mit einer Frau besetzt.
Unser Land kann es sich nicht länger leisten, die Hälfte
der Bevölkerung vom Zugang zu verantwortlichen Funk-
tionen in Forschung und Lehre auszugrenzen, nicht nur,
weil wertvolle Begabungsressourcen ungenutzt bleiben;
wir blenden auch die spezifischen Erfahrungen von
Frauen und damit ihre spezifischen Sichtweisen auf
Wissenschaft aus.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21799
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Die PDS begrüßt daher, dass sich die Bundesregierung
das Ziel gesetzt hat, den Anteil der Professorinnen bis
zum Jahr 2005 auf 20 Prozent zu erhöhen. Bis zum Jahr
2005 wird der derzeitige Generationenwechsel in der
Hochschullehrerschaft weitgehend abgeschlossen sein.
Gleichstellungsmaßnahmen, die erst in fünf Jahren grei-
fen, kommen definitiv zu spät.
Es ist eine einfache Rechung: Wenn wir den Anteil der
Professorinnen von heute 10 Prozent innerhalb von drei
Jahren auf 20 Prozent verdoppeln wollen, müssen wir
dafür Sorge tragen, dass bei der Besetzung frei werdender
Lehrstühle sehr viel mehr Frauen als 20 Prozent zum Zuge
kommen müssen. Jüngste Berechnungen gehen von min-
destens 50 Prozent aus. Tatsächlich aber liegt der Anteil
von Frauen bei der Besetzung von Professuren zurzeit bei
nur rund 12 Prozent und ist sogar – wie die Daten der
Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und For-
schungsförderung belegen – rückläufig.
Es liegt also auf der Hand: Die Politik muss zu viel
wirksameren Maßnahmen greifen als bisher. Wenn ich
mir nun aber Ihren Antrag ansehe, meine Damen und
Herren von den Koalitionsfraktionen, so stelle ich fest,
dass Sie sich vor allem auf eines konzentrieren: die Regie-
rung lang und breit für ihre bisherige Politik zu loben – für
eine Politik, die bisher eben noch keinen Durchbruch ge-
schafft hat.
Richtig ist: Wir brauchen eine mehrdimensionale Stra-
tegie zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Auch
im Wissenschaftssystem muss die Politik auf verschie-
denen Ebenen gleichzeitig ansetzen. Es geht zum Beispiel
um die Berücksichtigung von gleichstellungspolitischen
Erfolgen in der leistungsorientierten Mittelverteilung, um
die institutionelle Stärkung von Frauen- und Gleichstel-
lungsbeauftragten, um die Vereinbarkeit von wissen-
schaftlicher Arbeit und Familie für Frauen und Männer,
um Sonderprogramme mit Fördermaßnahmen speziell für
Frauen, um die Neuordnung der Hochschullehrer-
laufbahn. Es geht um die gezielte Förderung von Studen-
tinnen und Schülerinnen, um die Verankerung von Frau-
enforschung und Gender Studies und um die strategische
Verankerung gleichstellungspolitischer Ziele nach dem
Prinzip des Gender Mainstreaming.
Zu dieser mehrdimensionalen Strategie gehören aber
eben auch verbindliche Vorgaben der Politik für die Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen. Dies zeigen in
alarmierender Weise auch die ersten Rückmeldungen zur
Umsetzung des BMBF-Förderprogramms Juniorpro-
fessuren. So wird aus der Humboldt-Universität Berlin ge-
meldet, dass unter den ersten zwölf Berufungsvorschlägen
für Juniorprofessuren nur eine einzige Frau ist. Die Bun-
desbildungsministerin muss sich daher schon die Frage
gefallen lassen: Warum haben Sie die Vergabe der För-
dermittel nicht mit der verbindlichen Auflage versehen,
dass die Hochschulen die Hälfte ihrer Juniorprofessuren
mit Frauen besetzen müssen? Es kann Sie doch nicht
ernstlich überraschen, dass ein freundliches Rundschrei-
ben an die Hochschulleitungen nicht ausreicht.
Ich frage Sie weiter: Warum gibt es in den Perso-
nalbestimmungen des Hochschulrahmengesetzes immer
noch keine Vorrangregelung zugunsten des unterreprä-
sentierten Geschlechts? Das vom BMBF geförderte Bon-
ner Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und For-
schung hat einen entsprechenden Vorschlag ausgearbeitet.
Dennoch haben SPD und Grüne im November 2001 un-
seren Änderungsantrag zur 5. HRG-Novelle abgelehnt.
Meine Damen und Herren, Ihr Antrag ist gut gemeint,
zweifellos. Sie können sogar mit einer Unterstützung mei-
ner Fraktion für die einzelnen Vorschläge rechnen. Insge-
samt wird Ihre Strategie aber der tatsächlichen Heraus-
forderung nicht gerecht. Gleichstellungspolitik darf sich
zwar nicht in Quoten und Zielvorgaben erschöpfen, aber
ohne solche verbindlichen Instrumente bleibt sie eine
zahnlose Tigerin.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zurBeratung des Antrags: Für eine Verlängerung
der Rückwirkungsfrist für die Berufskrankheit
Nummer 4111 (Tagesordnungspunkt 18)
Wolfgang Grotthaus (SPD):Was verbirgt sich hinter
der Berufskrankheit 4111? Es handelt sich um die so ge-
nannte Staublunge, wie sie bei Bergleuten des Stein-
kohlebergbaus leider viel zu häufig aufgetreten ist. Als
Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet, selbst im Bergbau ge-
lernt, kenne ich die Tragik dieser Erkrankung aus nächs-
ter Nähe. Lebendig ist mir eine Erinnerung eines Bürgers
aus meiner Heimatstadt Oberhausen, dem ich im persön-
lichen Gespräch auseinander legen musste, dass seine
Krankheit nicht weniger schlimm und damit auch nicht
weniger „wert“ sei als andere; dennoch musste ich ihm
auch mitteilen, dass die gesetzliche Regelung für ihn
keine Entschädigung vorsehe, da seine Erkrankung vor
dem 1. Januar 1993 eingetreten ist. Das ist bitter.
Hier sind wir bei der eigentlichen Frage, die die Be-
troffenen nicht verstehen, nämlich, wie gerecht bzw. un-
gerecht eine Stichtagsregelung ist. Das Bundes-
sozialgericht hat dazu eine klare Rechtssprechung
vorgelegt und die Regelung 1999 bestätigt. Die Rück-
wirkungsklausel sei rechtswirksam und mit dem Gleich-
behandlungsgrundsatz vereinbar. Allerdings obliege dem
Verordnungsgeber, also der Bundesregierung, eine Be-
obachtungspflicht. Der kommt sie auch nach. Ich gehe
später noch darauf ein.
Liege ausreichendes Zahlenmaterial über die poten-
ziellen Versicherungsfälle vor, sei zu prüfen, ob aufgrund
der Rückwirkungsklausel „nur einem verhältnismäßig
kleinen Kreis der Erkrankten eine Entschädigung zustehe
und der weitaus größere Teil von einer Entschädigung
ausgeschlossen bleibe“. Dann sei die Regelung aus ver-
fassungsrechtlichen Gründen zu ändern. Das hat das
BMA im 2001 geprüft.
Weder der Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung noch wir von der SPD-Fraktion nehmen das Schick-
sal der Kumpel auf die leichte Schulter. Nach der Prüfung
im Herbst 2001 ist die Rückwirkungsklausel weiterhin
sachgerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221800
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Seien wir doch einmal ehrlich: Eine Stichtagsregelung
ist aus sozialpolitischen Gründen einfach erforderlich.
Das System erfordert dies. Den Rückwirkungszeitraum
zu verlängern ist – einmal ganz unabhängig von der Kos-
tenfrage betrachtet – aus Gründen der Risikozurechnung
nicht gerechtfertigt; es würden Feststellungsprobleme
aufgeworfen und es zöge eine Präjudizwirkung für andere
Berufskrankheiten nach sich.
Zum anderen machen wir uns auch deshalb die Ent-
scheidung darüber nicht leicht, weil wir den Antrag hier
nicht einfach ablehnend beraten, obwohl es genügend Ar-
gumente dafür gibt. Wir schlagen vielmehr eine Beratung
im Fachausschuss durch die Überweisung vor, um dort er-
neut die Argumente zu prüfen.
Nach der im Herbst 2001 vorgenommenen Überprü-
fung stehen insgesamt 3 686 Anerkennungen 3 966 Ab-
lehnungen wegen des Stichtags gegenüber. Der Maßstab
des BSG, dass nicht der „weitaus größte Teil der Betroffe-
nen“ aufgrund der Rückwirkungsregelung entschädi-
gungslos bleibt, ist damit eingehalten. Nennenswerte Ver-
änderungen durch noch nicht abgeschlossene Verfahren
sind nicht zu erwarten. Die von der FDPaufgeführten Zah-
len sind so nicht verwendbar, denn es liegt in der Logik der
Anerkennungsverfahren, dass nach erfolgter Anerkennung
von Erkrankten bis zum Stichtag die Zahl der Anerken-
nungen rückläufig, die der Ablehnungen steigend ist. Dies
werden wir aber in aller gebotenen Gewissenhaftigkeit
und Ausführlichkeit im Ausschuss beraten können.
Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Opposition, unterstellen Sie uns nicht in diesem sen-
siblen, mit Emotionen behafteten Bereich der Entschädi-
gungsregelung für erkrankte Kumpel des Bergbaus, wir
würden mit der Stichtagsregelung eine „unbillige Härte
gegenüber den Bergleuten“ vertreten und damit ihre Auf-
bauleistungen der 40er- und 60er-Jahre nicht in angemes-
sener Form würdigen. In dem Fall ließe sich nämlich fra-
gen, warum Sie im Jahre 1997 die Stichtagsregelung
eingeführt und nicht bei der überschaubaren Zahl von Be-
troffenen darauf verzichtet haben. Es könnte weiter ge-
fragt werden, warum Sie drei Jahre nach dem Regie-
rungswechsel das von Ihnen eingeführte Gesetz
korrigieren wollen, und man könnte zu dem Schluss kom-
men, dass hier wahltaktische Gründe eine Rolle spielen.
Diese Debatte wollen wir aber nicht. Sie führt in der
Sache nicht weiter. Deshalb lassen Sie uns im Ausschuss
in der geboten Ruhe und Sachlichkeit die Dinge bespre-
chen und nicht Emotionen, die durchaus berechtigt sind,
für vermeintliche wahlstrategische Zwecke benutzen.
Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Die FDP-
Bundestagsfraktion überrascht mit ihrem Antrag „Für
eine Verlängerung der Rückwirkungsfrist für die Berufs-
krankheit Nummer 4111“. Die Forderung der FDP hat die
durch Arbeitseinsatz geschädigten Menschen im Auge
und gibt deren Anliegen Vorrang gegenüber den auf die
Berufsgenossenschaften zukommenden Kosten. Die FDP
aufrichtig sozialpolitisch engagiert: Schon dieser Sach-
verhalt empfiehlt die vorgelegte Initiative wohlwollender
Aufmerksamkeit.
Zustimmung gibt es von uns aber auch in der Sache.
Der deutsche Bergbau gehört zu den modernsten seines
Faches in der Welt. In unserem Bergbau besteht ein hoch
entwickeltes System der Klimatisierung, das man verein-
facht wohl als Entlüftung bezeichnen würde. Dies redu-
ziert die Explosionsgefahr und beseitigt zum größten Teil
die Gefährdung der Atemwege. Die Ursachen für die
chronisch obstruktive Emphysembronchitis bei Bergleu-
ten liegt in der Vergangenheit. Sie ist nicht auf aktuelle
Gesundheitsgefährdungen zurückzuführen. In der Auf-
bauphase der Bundesrepublik; in den 40er- bis 60er-Jah-
ren waren wir noch nicht so weit. Damals wurde die Ge-
sundheit geschädigt, sodass die Bergleute heute unter
chronisch obstruktiver Emphysembronchitis leiden.
Dass diese Gefährdungen heute praktisch beseitigt
sind, ist auch eine der Erfolgsgeschichten der Berufsge-
nossenschaften. Sie sorgen nicht nur für die Regulierung
von Schäden, sondern investieren in Prävention. Dieses
Modell hat sich ausgesprochen bewährt. Für ihre Erfolge
bin ich den Berufsgenossenschaften dankbar.
Der heutige Standard musste hart erarbeitet werden
und dies dauerte seine Zeit. Die chronisch obstruktive
Emphysembronchitis ist ein Erbe früherer Zeiten, für das
heute die Schadensregulierung der Berufsgenossenschaft
eintreten muss.
Dem steht der gültige § 6 Abs. 1 der Berufskrank-
heiten-Verordnung entgegen. Er regelt die Anerkennung
der Berufskrankheit Nr. 4111, die chronisch obstruktive
Emphysembronchitis bei Steinkohlebergbau unter Tage.
Die am 1. Dezember 1997 in Kraft getretene Berufs-
krankheiten-Verordnung sieht eine auf den 1. Januar 1993
begrenzte Rückwirkung vor. Dies hat zur Folge, dass seit
dem 1. Dezember 1997 Erkrankungen, die vor dem Januar
1993 entstanden sind, nicht als Berufskrankheiten aner-
kannt werden und die Betroffenen damit nicht als Versi-
cherungsfall anerkannt werden.
Besonders betroffen sind Bergleute, die in den 40er-
bis 60er-Jahren untertage gearbeitet haben. Viele Berg-
leute, die an chronisch obstruktiver Emphysembronchitis
erkrankt waren, sind inzwischen verstorben.
Die Angaben der Bergbau-Berufsgenossenschaft erge-
ben folgendes Bild: 3 663 Bergleuten konnte die Berufs-
krankheit 4111 nicht anerkannt werden, weil sie vor dem
Januar 1993 erkrankt sind und ihr Fall erst nach dem
Juli 1997 bearbeitet wurde. 1 102 Bergleute hatten Glück.
Auch sie sind bereits vor dem Januar 1993 erkrankt, wur-
den aber in der Zeit zwischen Mitte 1996 und Mitte 1997
anerkannt. Damals bestand die Rückwirkungsklausel des
aktuellen § 6 Abs. 1 noch nicht. 877 Renten wurden aner-
kannt, weil die Erkrankungen erst nach dem Stichtag,
1. Januar 1993, auftraten. Das ist natürlich ungerecht und
muss geändert werden. Die gültige Verordnung verhin-
dert, dass die Berufsgenossenschaft ihrer Aufgabe der
Schadensregulierung nachkommen kann. Deshalb muss
der Verordnungsgeber handeln.
Was ist das für eine Ungerechtigkeit, wenn der eine
Kollege anerkannt wird, weil er das Glück hatte, als einer
der ersten Fälle bearbeitet zu werden. Sein Kollege wird
nicht anerkannt, weil der das Pech hatte, dass seine Akte
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erst Monate später bearbeitet wurde. Das kann man doch
niemandem erklären.
Der Verordnungsgeber hat diese Konsequenz wohl
1997 nicht erkennen können. Doch Walter Riester regiert
bereits seit Ende 1998 im BMA. Er hätte lange genug Zeit
gehabt, dies zu ändern. Es ist doch eine Schande für einen
SPD-Arbeitsminister, wenn er zur Beseitigung dieses
Missstandes erst durch einen Antrag der FDPaufgefordert
werden muss.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):Der heute zur Debatte stehende Antrag der FDPbe-
trifft eine Bevölkerungsgruppe, die beim Aufbau unseres
Landes viel geleistet hat. Hierfür möchte ich den Berg-
leuten an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank aus-
sprechen.
Die untertage herrschenden Arbeitsbedingungen im
Steinkohlebergbau waren bis in die 60er-Jahre des ver-
gangenen Jahrhunderts derart schlecht, dass sie zum Teil
zu schweren chronischen Erkrankungen führten. Gesi-
cherte wissenschaftliche Erkenntnisse über den Zusam-
menhang zwischen den damaligen Arbeitsbedingungen
und der Berufskrankheit 4111, der chronisch obstruktiven
Emphysembronchitis, liegen erst seit Mitte der 90er-Jahre
vor. Aus diesem Grund hat der Verordnungsgeber im
Jahre 1997 diese Berufskrankheit in die Berufskrankhei-
tenverordnung aufgenommen, übrigens unter Beteiligung
der FDP.
Dass die FDP im Wahljahr 2002 die Bundesregierung
auffordert, die mit der Anerkennung der Berufskrankheit
verbundene Rückwirkungsklausel zu überprüfen und zu
ändern, ist ihr legitimes Recht. Warum sie in ihrem Antrag
nicht alle vorhandenen Erkenntnisse einbezieht und auch
zur Kostenfrage keinerlei Stellung nimmt, muss sie sich
aber fragen lassen.
Das Bundessozialgericht hat zwar festgestellt, dass
dem Verordnungsgeber eine Beobachtungspflicht obliegt.
Es hat aber auch die Rückwirkungsklausel als rechtswirk-
sam und für mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz ver-
einbar befunden.
Der Beobachtungspflicht ist die Bundesregierung im
Jahr 2001 nachgekommen. So standen zum 31. Juli 2001
3 686 Anerkennungen der Berufskrankheit 3 966 Ableh-
nungen gegenüber. Eine gravierende Änderung des Ver-
hältnisses ist nicht mehr zu erwarten, da bis zum Sommer
vergangenen Jahres nur noch 15 Prozent der eingegange-
nen Anträge nicht beschieden waren.
Eine von der FDP geforderte uneingeschränkte Rück-
wirkung wäre aus vielfältigen Gründen nicht vertretbar.
Allein die Sachverhaltsaufklärung und die Ursachenfest-
stellung würde die Antragsteller und Versicherungsträger
vor kaum lösbare Probleme stellen. Der entstehende Ver-
waltungsaufwand würde in keinem Verhältnis zu dem zu
erwartenden Erfolg stehen. Abgesehen davon stehen der
entsprechenden Berufsgenossenschaft die erforderlichen
Kapazitäten nicht zur Verfügung.
Auch eine Sonderbehandlung der Berufskrankheit
4111 würde durch ihre präjustizierende Wirkung erhebli-
che negative Auswirkungen auf die Solidargemeinschaft
der Arbeitgeber haben. Außerdem entspricht die getrof-
fene Rückwirkungsklausel den üblichen Regelungen bei
der Aufnahme neuer Erkrankungen in die Berufskrank-
heitenverordnung, die als Stichtag das Datum der letzten
Anpassung der Verordnung vorsieht. Von Willkürlichkeit,
wie im FDP-Antrag behauptet, kann also keine Rede sein.
Ich möchte nicht unterstellen, dass die CDU/CSU- FDP-
Koalition in diesem Fall 1997 willkürlich gehandelt hat.
Selbstverständlich liegt uns weiterhin die Situation der
an der Berufskrankheit 4111 Erkrankten am Herzen. Wir
werden zu gegebener Zeit unserer Beobachtungspflicht
erneut nachkommen. Die Bergleute sind bei uns gut auf-
gehoben.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird diesen of-
fensichtlich aus wahltaktischen Gründen eingebrachten
Antrag ablehnen.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die FDP-Bundestags-
fraktion möchte mit diesem Antrag zur Lösung eines wich-
tigen sozialpolitischen Problems beitragen, das besonders
in Nordrhein-Westfalen eine große Rolle spielt: Seit dem
1. Dezember 1997 ist zwar die chronische obstruktive Bron-
chitis und/oder ein Lungenemphysem bei Bergleuten als
Folge langjähriger Untertagearbeit unter Einwirkung von
Feinstäuben als Berufskrankheit in die Berufskrankheiten-
verordnung aufgenommen. Aber durch eine auf den 1. Ja-
nuar 1993 bezogene Rückwirkungsregelung – § 6 Abs. 1
der Berufskrankheitenverordnung – werden vor dem 1. Ja-
nuar bereits nachgewiesene Erkrankungen nicht als Be-
rufskrankheit anerkannt. Sie sind somit auch kein Versi-
cherungsfall. Das betrifft die Mehrzahl der Bergleute, deren
Untertagearbeit mit den Zechenschließungen seit den 60er-
Jahren beendet wurde.
Langsam über viele Jahre stetig fortschreitende Ge-
webszerstörungen der Lungen mit Verminderung der At-
mungsfunktion haben zunehmend die Lebensqualität von
Erkrankten eingeschränkt und nicht selten zum Tode ge-
führt. Im Ergebnis sind also Bergleute, die vor dem Stich-
tag 1. Januar 1993 nachweislich an der Berufskrankheit
litten, durch diese Rückwirkung von einer Entschädigung
ausgeschlossen, im Todesfall auch die Hinterbliebenen.
Für die FDP stelle ich fest: Das ist eine unbillige Härte
gegenüber den Bergleuten, die in den 40er- bis 60er-Jah-
ren maßgeblich am Wiederaufbau unseres Landes mitge-
wirkt haben. Besonders bedenklich erscheint auch, die
Versorgungsansprüche der Witwen dieser Bergleute nicht
anzuerkennen. Schließlich hat auch das Bundessozialge-
richt am 30. September 1999 dem Bundesministerium für
Arbeit und Sozialordnung aufgegeben, seine einschrän-
kende Rückwirkungsklausel zu überprüfen. Das Gericht
sieht darin eine Ungleichbehandlung von bei ihrer Be-
rufsausübung durch Feinstäube Erkrankten.
Die gesundheitliche Gefährdung durch Feinstäube im
Untertage-Steinkohlenbergbau liegt, vom heutigen Zeit-
punkt aus betrachtet, nicht in der Zukunft, sondern in der
Vergangenheit. Die Rückwirkungsregelung widerspricht
daher dem Ziel, das mit der Aufnahme der Berufskrankheit
Nr. 4111 in die Berufskrankheitenverordnung bezweckt
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221802
(C)
(D)
(A)
(B)
wurde. Wir wollen diese Rückwirkungsklausel des § 6
Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung aufheben oder
die Rückwirkungszeit – um etwa 25 bis 30 Jahre! – deut-
lich verlängern. Damit würden nicht nur die für die be-
troffenen Feinstaub-Opfer unverständlichen Ungleichbe-
handlungen beseitigt, sondern auch die Bedenken des
Bundessozialgerichts im Hinblick auf den Gleichheits-
grundsatz des Grundgesetzes gegenstandslos.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle, dem Arzt Dr. Karl
Heinz Bonmann aus Oberhausen für sein Engagement in
dieser Sache zu danken.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Pia Maier (PDS): Manche Dinge erstaunen mich hier
wirklich noch: Da wird die Staublunge als Berufskrank-
heit Nr. 4111 anerkannt. Aber nur für die, die erst nach
dem 1. Januar 1993 erkrankten. Warum nur? Die Staub-
lunge gehört vor allem in die Zeiten des Steinkohleberg-
baus. Bergleute atmeten in den Bergwerken viel mehr
Staub ein als übertage üblich. Dieser Staub führt zu bron-
chialen Erkrankungen, die schließlich chronisch werden
und die Lungenfunktion beeinträchtigen. Der Zusammen-
hang zwischen Staubbelastung der Luft am Arbeitsplatz
und Schäden der Lunge ist nachgewiesen und die Berufs-
krankheit entsprechend definiert.
Der Steinkohlebergbau ist in den letzten Jahrzehnten
zurückgegangen. Das Ruhrgebiet hat einen enormen
Strukturwandel hinter sich, an die streikenden Bergleute,
die nicht auf die Straße gesetzt werden wollten, können
sich viele noch erinnern. Und alle wissen auch, dass die
Zahl der Beschäftigten im Bergbau in den letzten Jahren
zurückgegangen ist. Berufskrankheiten, die mit dem
Steinkohleabbau zusammenhängen, müssen also notwen-
digerweise auch seltener vorkommen. Die Gesundheits-
vorsorge hat vermutlich weiter dazu beigetragen, dass Be-
rufskrankheiten wie die Staublunge eher seltener werden.
Aber was sieht die Berufskrankheiten-Verordnung
vor? Nur wer schon vor dem Stichtag 1. Januar 1993 nach-
weisbar an einer chronischen obstruktiven Emphysem-
bronchitis – kurz eben Staublunge – erkrankt war, be-
kommt auch eine Entschädigung. Die anderen Fälle
gehen leer aus. Im Antrag der FDP ist von 3 663 Fällen
die Rede, die wegen der begrenzten Rückwirkung abge-
lehnt wurden.
Ja, da kann ich doch nicht anders, als der FDP zustim-
men. Diese Regelung ist unlogisch, unnötig und den Be-
troffenen nicht zu erklären. Die Lösung kann nur darin be-
stehen, die Frist deutlich zu verlängern. So weit zu
verlängern, dass alle ehemaligen Bergleute, die an Staub-
lunge erkranken auch eine Entschädigung erhalten. Ge-
rade bei Atemwegserkrankungen zeigen sich die Auswir-
kungen ja erst spät. Zunächst ist da nur die Bronchitis, die
sich dann mit der Zeit auf die Lunge auswirkt. Und diese
Beeinträchtigung der Lungenfunktion ist ausschlagge-
bend für die geringere Lebensqualität und die gesunkene
Lebenserwartung der Betroffenen.
Eine Entschädigung ist dabei das mindeste, denn ihre
Gesundheit bekommen die Betroffenen damit auch nicht
zurück. Die schwere Arbeit untertage hat eine Krankheit
bewirkt, und es ist beschämend, dass ein willkürlich fest-
gelegter Stichtag die erkrankten Bergleute um die Zahlung
von Entschädigung bringt. Einen vernünftigen Grund
dafür kann ich jedenfalls nicht erkennen. Deswegen, auch
wenn es selten vorkommt: Die PDS-Fraktion unterstützt
den FDP-Antrag für eine Verlängerung der Rückwir-
kungsfrist für die Berufskrankheit Nummer 4111.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts: Soziale Arbeit stärken – Alternativen zum
Zivildienst entwickeln (Tagesordnungspunkt 19)
Dieter Dzewas (SPD): „Soziale Arbeit stärken – Al-
ternativen zum Zivildienst entwickeln!“, das klingt gut
und beides haben wir bereits getan. Es wundert doch sehr,
dass die PDS-Fraktion trotz eingehender Beratungen im
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend noch
nicht zur Kenntnis genommen hat, dass ihre Forderungen
zu einem großen Teil erfüllt sind. Der Antrag ist also
schlicht überflüssig.
Die Bundesregierung stärkt soziale Arbeit nachhaltig.
Sie stärkt sie durch Qualifizierungsmaßnahmen über das
Job-Aqtiv-Gesetz, das wir kürzlich hier im Hause verab-
schiedet haben, und im Rahmen von JUMP findet auch
eine Grundqualifizierung in vielen sozialen Bereichen
statt.
Ombudsstellen im Zivildienstbereich werden nicht
benötigt und sind auch von allen Seiten unerwünscht. Das
würde zum einen die Selbstverantwortung und Selbst-
steuerung der Verbände untergraben und diesen zum an-
deren zusätzliche Institutionen und erhöhten Verwal-
tungsaufwand aufbürden.
Die PDS fordert in ihrem Antrag, den Zivildienst als
Alternative zum Wehrdienst zu erhalten. Natürlich ma-
chen wir das. Das Bundeskabinett hat zur Reform der
Bundeswehr bereits vor einiger Zeit klargestellt, dass der
Zivildienst erhalten bleibt, ebenso wie die Wehrpflicht
auch weiter läuft.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben im November
vergangenen Jahres eines Gesetzentwurf im Deutschen
Bundestag eingebracht, mit dem wir Alternativen zum Zi-
vildienst stärken. Unser Entwurf zur Änderung des FSJ-
Förderungsgesetzes beinhaltet im neu geschaffenen § 14 c
des Zivildienstgesetzes gerade die Möglichkeit für aner-
kannte Kriegsdienstverweigerer, im Rahmen eines frei-
willigen sozialen oder freiwilligen ökologischen Jahres
eine völlig andere Art Dienst als den Zivildienst abzuleis-
ten. Anschließend können sich die Dienstpflichtigen ihre
für die Allgemeinheit geleistete Zeit als Pflichtdienst an-
rechnen lassen.
Wir machen das freiwillige soziale Jahr noch attrakti-
ver. Durch die Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten kön-
nen Freiwillige nun noch mehr als bisher ihren Neigungen
folgen. Engagement ist nun möglich in den klassischen
Bereichen wie sozialen Diensten, dem Gesundheits- und
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Pflegebereich, aber auch in neuen Feldern wie Kultur,
Sport, Denkmalpflege und Jugendhilfe. Gerade hier sehen
viele junge Männer und Frauen eine Alternative zum klas-
sischen FSJ.
Konkret heißt das: Ein junger Mann kann seinen Zivil-
dienst künftig auch im Sportbereich im Rahmen eines
freiwilligen sozialen Jahres, oder im Umweltbereich, im
Rahmen eines freiwilligen ökologischen Jahres, absolvie-
ren. Das sind Schritte für eine moderne und zukunfts-
orientierte Konversion des Zivildienstes. Voraussetzung
bei Kriegsdienstverweigerern ist allerdings, dass sie sich
mindestens zwei Monate länger verpflichten, als sie das
im Zivildienst hätten machen müssen. Das heißt, mindes-
tens zwölf Monate Dienst in den freiwilligen Jahren,
höchstens aber 18 Monate. Attraktivität gewinnen die
Freiwilligendienste zudem durch eine zeitliche Flexibili-
sierung.
Wir haben erkannt, dass mehr als 90 Prozent der Teil-
nehmerinnen und Teilnehmer an einem freiwilligen so-
zialen oder freiwilligen ökologischen Jahr mit dieser Zeit
sehr zufrieden waren. Diese Zufriedenheit gilt es auch auf
den Zivildienstbereich zu übertragen.
Mit unserem Gesetzentwurf bewirken wir einen weite-
ren Ausbau der Freiwilligendienste im In- und Ausland.
Im Auslandsbereich weiten wir sie auf das außereuropä-
ische Ausland aus. Die Zahl der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer hat sich seit 1993 um etwa 70 Prozent erhöht
und die Nachfrage nach Plätzen übersteigt zur Zeit deut-
lich das Angebot. Die hohe Nachfrage zeigt eindeutig,
dass sich junge Menschen engagieren wollen und für ihre
Gesellschaft einen freiwilligen Dienst leisten möchten.
Dieses Engagement sollten wir unterstützen.
Es wird allerdings keine Engpässe bei der Besetzung
freier Plätze für anerkannte Kriegsdienstverweigerer im
FSJ oder FÖJ geben. Im Gegenteil: Für „Zivis“ in den
Freiwilligendiensten sollen zusätzliche Stellen geschaf-
fen werden. Wir wollen die Dienste dort klar und eindeu-
tig unterstützen, wo die Nachfrage am größten ist. Denn
eines ist vollkommen klar: Wo junge Menschen mit Spaß
und Engagement bei der Sache sind – sei es im sozialen
Bereich, der Denkmalpflege, im Sport oder beim Um-
weltschutz –, ist jeder Euro gut angelegt. Hier erzielen alle
Beteiligten die besten Ergebnisse.
Mit einem hat die PDS-Fraktion allerdings Recht – und
dies möchte ich hier ausdrücklich unterstreichen –: Die
Leistungen der Zivildienstleistenden verdienen hohe An-
erkennung. Vor allem diejenigen, die in der individuellen
Schwerstbehindertenbetreuung, ISB, tätig sind, sind viel-
fältigen Anforderungen ausgesetzt. Große psychische und
physische Belastungen sind mit dieser Arbeit verbunden.
Einige junge Menschen sind diesen Herausforderun-
gen allerdings gewachsen – andere nicht. Wir wollen ver-
hindern, dass junge Männern im Rahmen ihres Zivildiens-
tes Erfahrungen machen müssen, die sie an den Rand ihrer
physischen und psychischen Fähigkeiten bringen. Sie sol-
len selbst einschätzen, wozu sie in der Lage sind. Unser
Konzept der wahlweisen Absolvierung von Zivildienst,
FSJ oder FÖJ setzt genau hier an.
Neben der bestehenden Ableistung des Zivildienstes
im Ausland eröffnen wir Kriegsdienstverweigerern zu-
künftig, ihr FSJ oder FÖJ im europäischen und außer-
europäischen Ausland zu absolvieren. Die Beteiligung
von Jugendlichen vor allem an grenzüberschreitenden
Freiwilligendiensten trägt in enormem Maße zur künfti-
gen persönlichen wie beruflichen Entwicklung bei. Sie
fördert die Herausbildung sozialer Fähigkeiten und eine
ausgewogene Integration in die Gesellschaft. Kurz:
Grenzüberschreitende Freiwillige sind engagiert im öf-
fentlichen Leben.
Noch ein Wort zum FSJ-Förderungsänderungsgesetz:
Wir prüfen auch, wie wir die Rahmenbedingungen für
länger andauernde Freiwilligendienste vor allem im euro-
päischen und nichteuropäischen Ausland und für auslän-
dische Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Deutschland
verbessern können. Das bedeutet auch, dass wir vor der
Einbringung eines eigenständigen Freiwilligengesetzes
die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukunft
des Bürgerschaftlichen Engagements“ genau analysieren
und berücksichtigen werden.
Sie sehen, unser Gesetzentwurf zur Änderung des FSJ-
Förderungsgesetzes geht bedeutend weiter als der Antrag
der PDS-Fraktion. Er verbessert die Attraktivität der Frei-
willigendienste und erweitert zudem die Möglichkeiten
für den Zivildienst. Dagegen war der Antrag der PDS be-
reits zur Bundestagsdebatte im Juli 2000 überholt, heute
ist er es allemal.
Marlene Rupprecht (SPD): Es ist schon erstaunlich,
wie ein positiv klingender Antrag, ich spreche hier von
dem Vorschlag der PDS-Kollegen „Soziale Arbeit stärken
– Alternativen zum Zivildienst entwickeln“ bei genaue-
rem Hinsehen sich als Antrag für die Neugestaltung des
Staates herausstellt. Er ignoriert, dass die Bundesrepublik
Deutschland ein föderativer Staat ist, mit gewachsenen
sozialen Strukturen und Zuständigkeiten. Man könnte
jetzt spekulieren, ob es mangelnde Kenntnis der Gege-
benheiten oder das Verhaftetsein in vergangenen Struktu-
ren eines zentralistisch geführten Staates ist.
Nun zu den einzelnen Forderungen des Antrages: Sie
fordern die Einrichtung einer Ombudsstelle Zivildienst,
die damit Aufgaben der Pflegeversicherung, des Zivil-
dienstes und des Rehabilitationsrechtes wahrnehmen
müsste. Sie würden erstens damit in das Selbstverwal-
tungsrecht der Träger und Verbände eingreifen, zweitens
dem Zivildienst Aufgaben zuordnen, für die er laut
Grundgesetz nicht zuständig ist, und nebenbei gesagt, un-
terstellen Sie uns, dass wir den Zivildienst abschaffen
wollen. Drittens ignorieren Sie, dass der Bundestag 2001
das Sozialgesetzbuch IX verabschiedet hat, dessen Kern-
stück die Einrichtung von Servicestellen für die Beratung
von Betroffenen und Angehörigen ist. Die PDS-Fraktion
hat als einzige Fraktion diesem Antrag nicht zugestimmt.
Obwohl wir mit diesem Gesetz auch das Recht auf ein
persönliches Budget und die Assistenz beschlossen
– übrigens sind dies Punkte, die sie in ihrem Antrag for-
dern – haben sie sich der Stimme enthalten.
Sie wollen eine Kommission der sozialen Arbeit ein-
richten. Auch das hört sich erst einmal gut an. In Wirk-
lichkeit wollen Sie, dass der Staat alle sozialen Aufgaben
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von der Kinderbetreuung über die Jugendhilfe, die Alten-
hilfe und den Behinderten- und Schwerbehindertenbe-
reich aus öffentlichen Geldern bezahlt. Sie legen aber
nicht dar, woher das dafür benötigte Geld kommen soll.
Und Sie ignorieren völlig, dass Jugendhilfe und Kinder-
betreuung kommunale Aufgaben sind und die Kommunen
sich bestimmt nicht von einer Zentralstelle, die für alles
zuständig ist – in Bayern würde man sagen: einer „eierle-
genden Wollmilchsau“ –, in ihre Kompetenzen pfuschen
lassen. In anderen Bereichen sind Kranken-, Pflege- oder
Rentenversicherer oder auch Sozialhilfeträger zuständig,
die alle unterschiedlich finanziert werden und die Sie alle
über einen Kamm scheren.
Ich stimme Ihnen zu, dass für viele Betroffene die Viel-
falt der Hilfeangebote verwirrend ist. Dem ist aber nicht
mit einer über allem schwebenden zentralistischen Mam-
mutbehörde beizukommen. Vielmehr muss die Beratung
vor Ort, direkt bei den Betroffenen sein. Dies erreichen
wir mit der Einrichtung der Servicestellen in jedem Land-
kreis und in jeder kreisfreien Stadt.
Die Qualifizierung junger Menschen für soziale Berufe
wird durch die Umsetzung unseres Job-Aqtiv-Gesetzes
erreicht. Hier wird gezielt auch im sozialen Bereich ge-
schult.
Kolleginnen und Kollegen von der PDS-Fraktion, Sie
fordern mit einem Satz auch noch gleich den Ausbau der
Freiwilligendienste. Wir stellen ihrem recht lässig dahin-
gestellten Antrag einen fundierten Reformvorschlag für
die Freiwilligendienste entgegen – fundiert deshalb, weil
er die gewachsenen Strukturen im Bereich der Freiwilli-
gendienste berücksichtigt und gleichzeitig modernen Er-
fordernissen entspricht. Wir erweitern die Einsatzfelder
für die jungen Menschen, und die ausländischen Einsatz-
gebiete werden auf das außereuropäische Ausland ausge-
dehnt. Die bisherige Altersregelung entfällt. Es können
nun auch Jugendliche nach Vollendung der Vollzeitschul-
pflicht ihren Freiwilligendienst absolvieren. Sie werden
auf ihre Aufgaben gut vorbereitet und während des Diens-
tes pädagogisch begleitet und sozialversicherungsrecht-
lich abgesichert. Für anerkannte Kriegsdienstverweigerer
besteht die Möglichkeit, ihren Zivildienst als Freiwilli-
gendienst abzuleisten. Dabei wird durch eine Verordnung
dafür Sorge getragen, dass bisherige Freiwilligenplätze
für Mädchen nicht etwa durch Zivildienstplätze ersetzt
werden.
Wenn Ihre Forderungen nach Ausweitung der Freiwil-
ligendienste und einer Reform des Zivildienstes ernst ge-
meint sind, können Sie unserem Antrag zur Reform des
FSJ/FÖJ, der in Bälde in diesem Hause in zweiter und
dritter Lesung beraten wird, zustimmen.
Es ist schwierig und oft mühselig, realistische, um-
setzbare Anträge ins Parlament einzubringen, aber es ist
sehr viel ehrlicher, als populistische Lösungen anzubie-
ten, so wie Sie das in Ihrem Antrag tun.
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Sagen wir zum Be-
ginn und ausnahmsweise einmal etwas Positives über ei-
nen Antrag der PDS. Die Feststellung, der Zivildienst
habe sich über die Jahrzehnte zu einer wichtigen Säule
im Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland ent-
wickelt, ist richtig und diese Debatte heute ist der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch Anlass, den Zivil-
dienstleistenden in Deutschland ein Wort des Dankes und
der Anerkennung für ihre Arbeit zu sagen. Richtig ist da-
neben auch die Feststellung im PDS-Antrag, dass die
durch Rot-Grün beispielweise im so genannten Haus-
haltssanierungsgesetz vorgenommenen Kürzungen nega-
tive Folgen im Zivildienst nach sich gezogen haben.
Das war's dann aber auch schon mit den Gemeinsam-
keiten, denn die Folgerungen, die die PDS aus den eben
beschriebenen Umständen zieht, sind für die Union in
keinster Weise akzeptabel.
Erstens. Die PDS geht, wie im Übrigen auch Bünd-
nis 90/Die Grünen (auf diesen kleinen interkoalitionären
Unterschied sei an dieser Stelle auch nochmals hinge-
wiesen) davon aus, dass die allgemeine Wehrpflicht ab-
geschafft werden sollte. Diese Auffassung teilt die CDU/
CSU nicht.
Zweitens. Seit Monaten diskutieren wir in diesem Ho-
hen Hause darüber (wenn auch je nach Fraktions-
zugehörigkeit mit unterschiedlicher Intensität), wie die
Kräfte des Arbeitsmarkts entfesselt werden können und
wie die Staatsquote gesenkt werden könnte. Mitten hinein
in diese Diskussion präsentiert uns die PDS einen Antrag,
der einen breiten öffentlich geförderten Beschäftigungs-
sektor zum Ziel hat. Da fragt man sich schon, ob die PDS
tatsächlich aus ihrer reichen Vergangenheit etwas gelernt
hat. Wir brauchen nicht mehr Staat, sondern weniger
Staat. Von den Kosten dieses öffentlich geförderten Be-
schäftigungssektors wollen wir in diesem Zusammenhang
einmal gar nicht reden!
Lassen Sie mich diese Debatte aber auch dazu nutzen,
die Bundesregierung einmal mehr daran zu erinnern, dass
sie nach wie vor in der Pflicht steht, ihre Zukunftsplanun-
gen bei Wehrpflicht und Zivildienst aufeinander abzu-
stimmen. Von Planungssicherheit bei den Einsatzstellen
kann längst keine Rede mehr sein, und nicht wenige Be-
schäftigungsstellen diskutieren längst die Frage, ob die
Bereitstellung von Zivildienststellen denn überhaupt noch
einen Sinn macht – und dies sowohl in finanzieller als
auch in organisatorischer Hinsicht.
Nehmen Sie nur einmal exemplarisch den einzigarti-
gen Geniestreich, den Dienst in Abschnitten ableisten zu
können. Wir haben diese Regelung bei der Wehrpflicht
kritisiert; die Bundesregierung blieb beratungsresistent.
Wir haben diese Regelung beim Zivildienst kritisiert; die
Bundesregierung blieb beratungsresistent. Nun findet
sich diese seltsame Regelung auch im Entwurf des Frei-
willigengesetzes, über das wir am Mittwoch eine öffent-
liche Anhörung hatten. Dieses Mal findet sich unsere Kri-
tik ausnahmslos im Tenor mit der Auffassung der
Sachverständigen. Vielleicht markiert dies ja doch noch
den Punkt, an dem Sie lernfähig werden. Dass eine Re-
gierung ihrer Opposition nicht glaubt, dafür mag man ja
noch Verständnis haben. Aber dass man sich gegen den
versammelten Sachverstand aus Wissenschaft und Praxis
stellt, das ist dann doch eine etwas seltsame Form von in-
tellektueller Kontinuität.
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Lassen Sie mich zum Schluss mit einer Bemerkung auf
die Ausschussberatungen zurückkommen; insbesondere
auf das, was von sozialdemokratischer Seite dort vorge-
tragen wurde. Da wurde doch allen Ernstes das so ge-
nannte Job-Aqtiv-Gesetz als Instrument genannt, mit dem
Umschulungen und andere Maßnahmen der Arbeitsver-
waltung ermöglicht würden. Nach all dem, was wir in den
letzten Tagen aus der Bundesanstalt für Arbeit gehört
haben oder besser: hören mussten, klingt diese Bemer-
kung aus der Ausschussberatung ja fast schon grotesk. Ich
denke, die Vertreterinnen und Vertreter von Rot-Grün se-
hen das inzwischen auch so!
Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hat durch
ihre unkoordinierte Vorgehensweise bei den Reformen
von Wehrpflicht und Zivildienst einen Beitrag dazu ge-
leistet, dass das die Regierungsarbeit prägende Chaos-
prinzip nun auch noch an dieser Stelle deutlich wird. Die
PDS will dem abhelfen, indem sie eine Lösung aus der so-
zialistischen Mottenkiste präsentiert. Wir wollen weder
das eine noch das andere; deshalb lehnen wir den Antrag
der PDS ab!
Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Zivildienstkonversion ist für meine Fraktion nach wie
vor ein wichtiges Thema. Solange die Entscheidung be-
züglich der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht
noch nicht getroffen ist, können sich Veränderungen bei
der Kriegsdienstverweigerung jedoch nur abbilden, wenn
sie angelehnt sind an die Strukturen der Wehrpflicht. Den-
noch ist für uns absehbar, dass die Wehrpflicht fällt. Das
bedeutet für den Zivildienst schon jetzt einen stetigen
Aufwuchs an Konversion.
Ein Beitrag dazu ist die Verkürzung der Dienstzeit,
aber auch die Novellierung des FSJ und FÖJ-Gesetzes.
Um darüber hinaus die „arbeitsmarktpolitische Neutra-
lität“ des Zivildienstes sicherzustellen, ist aus unserer
Sicht die Verkürzung der Zivildienstzeit in dieser Legis-
latur von 13 auf elf und jetzt auf zehn Monate ebenfalls
notwendig. Aus Sicht meiner Fraktion merke ich an die-
ser Stelle jedoch nicht nur obligatorisch an, dass wir wei-
terhin eine Angleichung der Dienstzeiten wollen. Nicht
nur aus Gerechtigkeitsgründen den Zivildienstleistenden
gegenüber waren und sind diese Maßnahmen notwendig.
Natürlich bedeutet dies für die Einsatzbereiche eine
schrittweise Umstellung. Schrittweise deshalb, weil es bei
den wichtigen Leistungen, die die Zivildienstleistenden
erbringen, keine Brüche geben darf. Expertenberechnun-
gen belegen längst, dass drei Zivildienstleistende die
Arbeit von zwei hauptamtlichen Kräften verrichten könn-
ten. Die Einstellung von Pflegekräften ist volkswirt-
schaftlich gesehen demnach sogar günstiger als die Be-
schäftigung von Zivildienstleistenden. Dennoch braucht
die Konversion des Zivildienstes Zeit. Sie alle wissen, wie
politische Prozesse funktionieren.
Abgesehen vom Ausbildungsprogramm der Bundes-
länder zum Beruf der „Sozialassistenten“, die die Arbeit
von Zivildienstleistenden übernehmen können, bietet so-
wohl das Job-Aqtiv-Gesetz als auch die Novelle zum
Meister-BAföG Ansatzpunkte, die in die Diskussion ein-
bezogen werden müssen. Diese Perspektiven kommen in
Ihrem Antrag eindeutig zu kurz.
Auch andere Passagen gehen streckenweise am Thema
vorbei. Natürlich muss die Pflege im Gesundheitswesen
sichergestellt werden. Aber dazu bedarf es sicherlich we-
sentlich mehr als einer vorausschauenden Entwicklung
von Alternativen zum Zivildienst. Unserer Meinung nach
besteht in diesem Bereich Reformbedarf, der beispiels-
weise nicht durch eine Beschwerdestelle, wie die PDS sie
vorschlägt, befriedigt wird.
Insgesamt setzten Bündnis 90/Die Grünen auf die För-
derung von Engagement statt Verpflichtung zum Zwangs-
dienst. Und diesen Weg verfolgen wir auch in der Koalition.
Am Ende bleibt mir aus den genannten Gründen nur Ih-
nen zu empfehlen, der Haltung des Ausschusses zu folgen
und bei der Ablehnung des PDS-Antrages zu bleiben.
Ina Lenke (FDP): Der Zivildienst leistet einen wich-
tigen Beitrag für die sozialen Dienste in unserer Gesell-
schaft. Wie der Antrag der PDS aus den Jahr 2000 be-
schreibt, leisten Zivildienstleistende in vielen sozialen
Einrichtungen wertvolle Arbeit. Beschlüsse der Bundes-
regierung zur Wehrpflicht und die Kürzungen beim Zivil-
dienst in den Haushalten des Familienministeriums der
letzten Jahre zeigen deutlich auf, dass Einsparungen fast
ausschließlich zulasten des Zivildienstes gegangen sind,
zum Beispiel durch geringere Beitragszahlungen an die
Rentenversicherung.
Jetzt geht die Legislaturperiode zu Ende und die Re-
gierung hat es bis heute versäumt, ein umfassendes Kon-
zept als Ersatz für den zeitlich immer mehr eingeschränk-
ten Zivildienst und auch für „die Zeit danach“, wenn die
Wehrpflicht fällt und die Bundeswehr in eine Berufsar-
mee umgewandelt wird, vorzulegen. Dies ist ein eklatan-
tes Versäumnis dieser Regierung. Hier wird politisches
Nichtstun für unsere Gesellschaft, gerade für Ältere,
Kranke und Behinderte, schlimme Folgen haben.
Ich habe immer wieder die Regierung durch Anfragen
und Diskussionen in unserem Ausschuss zum Handeln
aufgefordert. Passiert ist nichts. Auf den letzten Metern
haben Sie von Rot-Grün einen „Mini-Antrag“ zum FSJ
und FÖJ vorgelegt, der konzeptionell misslungen ist. Das
hat die Anhörung am Dienstag im Bundestag gezeigt. Sie
haben kein umfassendes Konzept für die vielen jungen
Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten wollen.
Der niedersächsische Innenminister Bartling, der Ihrer
Partei, der SPD, angehört, holt jedes Jahr wieder den
Pflichtdienst für junge Männer und Frauen aus der Mot-
tenkiste. Sie sind sich noch nicht einmal über Ihre eigene
parteipolitische Richtung einig.
Die FDP hat im Dezember letzten Jahres einen eige-
nen Antrag „Deutschland braucht gesetzliche Rahmen-
bedingungen für einen allgemeinen Freiwilligendienst“
dem Parlament vorgelegt, der in dieser Woche bereits Ge-
genstand der Anhörung des Ausschusses für Familie,
Frauen, Senioren und Jugend war. Die FDPwill, dass un-
ter anderem rechtliche Grundlagen für einen allgemeinen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221806
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Freiwilligendienst für Menschen in Deutschland geschaf-
fen werden, der Aufbau der Kooperation gemeinnütziger
Dienste zwischen der Europäischen Union, der EFTAund
den Beitrittsländern sowie ausgewählte Drittländer unter-
stützt und rechtliche sowie institutionelle Hindernisse ab-
gebaut werden.
Der Antrag der PDS fordert den Ausbau des öffentlich
geförderten Beschäftigungssektors. Das lehnt die FDP ab,
zumal unsere Forderungen zu Freiwilligendiensten dem
Parlament vorliegen.
Anlage 5
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 772. Sitzung am 1. Februar
2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
Grundgesetz nicht zu stellen:
– GesetzzurNeuregelungdesRechtsdesNaturschutzes
und derLandschaftspflege und zurAnpassung ande-
rerRechtsvorschriften (BNatSchGNeuregG)
– Gesetz zur Änderung des Fleischhygienegesetzes,
des Geflügelfleischhygienegesetzes und des Tierseu-
chengesetzes
– Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernener-
gienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elek-
trizität
– Gesetz zur Aufhebung der für die Kostengesetze nach
dem Einigungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze für
den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor
dem 3. Oktober 1990 nicht galt (Ermäßigungssatz-
Aufhebungsgesetz Berlin – KostGErmaufhGBln)
– Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes
– Gesetz zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der
Gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelaus-
gaben-Begrenzungsgesetz – AABG)
Der Bundesrat hat in seiner 772. Sitzung am 1. Februar
2002 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz gemäß Ar-
tikel 84 Abs. 1 nicht zuzustimmen:
– Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fall-
pauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauscha-
lengesetz – FPG)
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom
14. Februar 2002 mitgeteilt, dass sie den Antrag Sachge-
rechter Schutz der Rechte für Software auf Drucksache
14/4384 zurückgezogen hat.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der
nachstehenden Vorlage absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen
um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung so-
wie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jah-
resabrüstungsbericht 2000)
– Drucksache 14/5986 –
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla-
mentarischen Versammlung der NATO
über die Frühjahrstagung der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO vom 26. bis 30. Mai 2000 in Buda-
pest, Ungarn
– Drucksachen 14/6933, 14/7413 Nr. 1 –
Ausschuss fürWirtschaft und Technologie
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundeskartellamts über seine Tätigkeit in den
Jahren 1999/2000 sowie über die Lage und Entwicklung auf
seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesre-
gierung
– Drucksache 14/6300 –
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2000
– Drucksachen 14/6905, 14/7195 Nr. 1.1 –
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
– Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Ge-
schäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Monitoring „Stand und Perspektiven der geneti-
schen Diagnostik“
– Drucksache 14/4656 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Finanzausschuss
Drucksache 14/7700 Nr. 2.3
Drucksache 14/7700 Nr. 2.54
Drucksache 14/7129 Nr. 2.31
Drucksache 14/7129 Nr. 2.47
Drucksache 14/7129 Nr. 2.65
Ausschuss fürWirtschaft und Technologie
Drucksache 14/6508 Nr. 2.4
Drucksache 14/7708 Nr. 2.25
Drucksache 14/7708 Nr. 2.28
Drucksache 14/7708 Nr. 2.32
Drucksache 14/7883 Nr. 1.3
Drucksache 14/7883 Nr. 1.4
Drucksache 14/7883 Nr. 1.5
Drucksache 14/7883 Nr. 1.6
Drucksache 14/7883 Nr. 2.3
Drucksache 14/7883 Nr. 2.4
Drucksache 14/7883 Nr. 2.20
Drucksache 14/7883 Nr. 2.27
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/7129 Nr. 2.13
Drucksache 14/7129 Nr. 2.58
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2002 21807
(C)
(D)
(A)
(B)
Drucksache 14/7197 Nr. 2.15
Drucksache 14/7197 Nr. 2.30
Drucksache 14/7409 Nr. 2.16
Drucksache 14/7409 Nr. 2.18
Drucksache 14/7409 Nr. 2.28
Drucksache 14/7522 Nr. 2.2
Drucksache 14/7522 Nr. 2.4
Drucksache 14/7522 Nr. 2.8
Drucksache 14/7522 Nr. 2.10
Drucksache 14/7522 Nr. 2.17
Drucksache 14/7708 Nr. 2.3
Drucksache 14/7708 Nr. 2.17
Drucksache 14/7708 Nr. 2.18
Drucksache 14/7708 Nr. 2.19
Drucksache 14/7708 Nr. 2.29
Drucksache 14/7708 Nr. 2.33
Drucksache 14/7708 Nr. 2.35
Drucksache 14/7883 Nr. 2.10
Drucksache 14/7883 Nr. 2.30
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Drucksache 14/7000 Nr. 2.2
Drucksache 14/7000 Nr. 2.15
Drucksache 14/7883 Nr. 1.1
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 14/7883 Nr. 2.21
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 219. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 200221808
(C)(A)
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin