Gesamtes Protokol
Guten Tag,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte nehmen Sie Platz.
Uns fehlt noch der zweite Schriftführer, der von der
SPD. Wir können natürlich auch die Beschlussunfähigkeit
feststellen. – Herr Küster? Wollen wir den Parlamentari-
schen Geschäftsführer, Herrn Küster, als Schriftführer zu-
lassen? – Nach der Geschäftsordnung des Bundestages
verpflichte ich Sie.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Lage und zu den
Perspektiven der deutschen Luft- und Raumfahrt.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesmi-
nister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.
S
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute dem Ka-
binett den Bericht des Koordinators für Luft- und Raum-
fahrt vorgelegt. Er basiert auf dem von mir erbetenen Be-
richt der High-Level-Group, die wir eingesetzt haben,
damit die Spitzen der Branche zusammen über die Zu-
kunft der Luft- und Raumfahrt nachdenken. Wir haben in
dem Koordinatorbericht eine Antwort formuliert, um uns
auf die Entwicklung dieser wichtigen Zukunftsbranche
vorzubereiten, und auch eine strategische Partnerschaft
zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik verab-
redet.
Zugleich war es unser Anliegen als Bundesregierung
– es war auch mein persönliches Anliegen –, die Wirt-
schaft, die in diesem Bereich engagiert ist, zu einem Be-
kenntnis zum Standort Deutschland zu bewegen. Dies ist
geschehen. Sie verpflichtet sich, sich innerhalb der Rah-
menbedingungen und der Fördermöglichkeiten, die wir
geschaffen haben, am Standort Deutschland weiterhin
stark zu engagieren.
Im Unterschied zu anderen Branchen hat sich die Luft-
und Raumfahrtindustrie, wie Sie wissen, in den letzten
Jahren sehr positiv entwickelt. Sie hat wichtige Konsoli-
dierungs- und Kooperationsprozesse eingeleitet und steht
heute trotz der großen Schwierigkeiten nach dem 11. Sep-
tember auch international gut da. Der Standort Deutsch-
land muss so gestärkt werden, dass wir für die Luft- und
Raumfahrtbranche auch in Zukunft ein wichtiger Ferti-
gungs- und Forschungsstandort und ein wichtiger Stand-
ort für internationale Projekte sein können.
Ich darf in Erinnerung rufen, dass wir hinsichtlich des
Umsatzes und der Beschäftigung eine positive Entwick-
lung verzeichnen können. Die Fachleute wissen, dass wir
Mitte der 90er-Jahre den Tiefpunkt erreicht hatten. Nach
dem Dolores-Programm, das insbesondere die Dasa
betraf, fiel der Umsatz von immerhin fast 14 Milliar-
den Euro auf 7,8 Milliarden Euro. Er halbierte sich also
fast. Die Beschäftigtenzahl sank von 94 000 im Jahre
1990 auf 61 000.
Inzwischen haben wir einen Umsatz von mehr als
15 Milliarden Euro erreicht. Das heißt, wir haben im Jahr
2001 den höchsten Umsatz in der Luft- und Raumfahrt-
branche, den wir jemals hatten. Die Beschäftigtenzahl in
Deutschland ist auf 71 000 gestiegen. Von 1998 bis 2001
ist der Umsatz um 25 Prozent und ist die Beschäftigten-
zahl um 8 Prozent gestiegen. Ich finde, das sind positive
Zahlen. Ich sage ausdrücklich, dass dies nur möglich war,
weil alle – Wirtschaft, Wissenschaft und Politik – zusam-
mengearbeitet haben und in dieser wichtigen Branche ent-
sprechende Rahmenbedingungen geschaffen worden
sind.
Die Luft- und Raumfahrtindustrie hat mit der Unter-
stützung der Bundesregierung eine gute Ausgangsposi-
tion im europäischen Verbund und weitestgehende
Planungssicherheit erreicht. Vorrangige industrielle Auf-
gabe wird in der nächsten Zeit die Konsolidierung bislang
entstandener europäischer Strukturen sein. Auf der politi-
schen Agenda wird vor allem die fortschreitende Har-
monisierung der Beschaffungspolitiken und -mechanis-
men sowie der Exportpolitiken in Europa stehen. Wir sind
dabei, eine europäische Sicherheits- und Außenpolitik zu
entwickeln. Dazu gehört integral auch die Luft- und
21505
217. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Beginn: 13.00 Uhr
Raumfahrtbranche als ein ganz wichtiges Instrument die-
ser Politik.
Ich habe die High-Level-Group zu einem ständigen
Beratungsgremium des Koordinators berufen. Wir wer-
den also auch in Zukunft die im letzten Jahr eingesetzte
High-Level-Group als Berater für den Koordinator haben.
Ich glaube, es ist notwendig, dass wir regelmäßig mitei-
nander über die Zukunftsfragen dieser Branche reden.
Auf der europäische Bühne möchte ich einen erneuten
Impuls an den seinerzeit berufenen Kreis der Beauftrag-
ten der sechs Staats- und Regierungschefs aus Deutsch-
land, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und
Schweden geben, um Transparenz in den Rahmenbedin-
gungen der einzelnen Länder herzustellen und die Wett-
bewerbsbedingungen innerhalb Europas, aber auch ge-
genüber internationalen Konkurrenten zu verbessern.
Auch zukünftig soll die heimische Industrie durch eine
innovative deutsche Luftfahrtforschung unterstützt
werden. Bislang haben die Bundesregierung, die Länder,
die Industrie und die Wissenschaft in den Luftfahrtfor-
schungsprogrammen seit 1995 insgesamt 1,2 Milliar-
den Euro aufgewendet. Dadurch ist ein abgestimmtes
Kompetenznetzwerk sensitiver Technologieentwick-
lungen entstanden. Kernkompetenzen, Arbeitsplätze und
Standorte in Deutschland wurden gesichert. Die deutsche
Luftfahrtindustrie hält eine führende Position in Europa.
Die Forschungsergebnisse spiegeln sich auch im Markt-
erfolg wider.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der entscheidende
Punkt ist, dass wir bei dem Luftfahrtforschungsprogramm
in Zukunft neue Akzente setzen, etwa den Treibstoffver-
brauch und die Emissionswerte zu reduzieren. Bis 2008
wird auch mit dem Forschungsprogramm, das wir planen,
eine weitere Einsparung von 11 Prozent beim Treibstoff-
verbrauch angestrebt. Die CO2-Emissionen haben sichschon jetzt deutlich verringert. Die NOx-Emissionenkonnten im gleichen Zeitraum, in den letzten fünf Jahren,
um etwa 25 Prozent reduziert werden.
Das Gleiche gilt für den Fluglärm. Das ist eine wich-
tige Thematik, auch in den großen Städten. Die Fluglärm-
belastung im Flughafennahbereich liegt heute bei einem
Viertel der Werte von vor 30 Jahren. Es ist für die Akzep-
tanz dieser Branche bei der Bevölkerung sehr wichtig,
dies deutlich zu machen: Eine hoch entwickelte Volks-
wirtschaft braucht eine leistungsfähige, moderne Luft-
fahrt. Dazu gehört eben, dass man Flughafenbedingungen
hat, die das erlauben. Allerdings gehört dazu auch, dass
man etwas tut, um Emissionen zu reduzieren, um Lärm zu
reduzieren. Dem dienen auch die Forschungsprogramme,
die wir eingeleitet haben.
Um die nachhaltige sozioökonomische Entwicklung
der Luftfahrt, insbesondere die Entkoppelung von Ver-
kehrswachstum und Umweltbelastung, sowie Sicherheit,
Passagierfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit weiter zu
verbessern, setzt sich die Bundesregierung im Rahmen
ihrer finanzpolitischen Leitlinien für ein Luftfahrt-
forschungsprogramm III ab dem Jahre 2003 ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
wird nach Möglichkeit auch den Erhalt deutscher vertei-
digungstechnischer Kernfähigkeiten und Kapazitäten un-
terstützen und im Rahmen anstehender Beschaffungspro-
gramme einen Beitrag zur Stabilisierung leisten. Uns
kommt es entscheidend darauf an, zu erkennen, dass diese
Branche eine wichtige Zukunfts- und Wachstumsbranche
ist. Mit unseren Kernkompetenzen in diesem Bereich
wollen wir uns im internationalen Wettbewerb behaupten
und in Europa eine entscheidende Rolle spielen.
Vielen Dank.
Ich danke
Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Das Wort zu einer Frage gebe ich zunächst dem Kolle-
gen Koppelin.
Herr Staatssekretär, die
Fluggesellschaften in aller Welt und insbesondere in Eu-
ropa sind in einer schwierigen Situation. In den letzten
Monaten haben wir mit Sabena und Swissair zwei Pleiten
erlebt. Beim Kauf von Airbussen gerade durch diese bei-
den Gesellschaften hatte die Bundesregierung Ausfall-
bürgschaften geleistet, sodass jetzt eine Belastung in
Höhe von etwa 250 Millionen Euro auf uns zukommt,
dem natürlich der Wert der bestellten Flugzeuge entge-
gensteht. Beabsichtigt die Bundesregierung, weiterhin
Bürgschaften auszusprechen, wenn Airbusse von Flug-
gesellschaften bestellt werden, und sieht sie noch Risiken
bei Fluggesellschaften, deren Bilanzen im Augenblick
nicht so gut sind?
S
Herr Koppelin,
Sie stellen den Sachverhalt richtig dar. Die Standorte, an
denen der Airbus produziert wird – vor allen Dingen
Deutschland und Frankreich –, haben eine hohes Interesse
daran, dass moderne Flugzeuge verkauft werden. Deshalb
werden wir unsere Sicherungspolitik auch nicht ändern.
Wir werden allerdings sehr genau hinschauen, von wel-
chen Linien die Flugzeuge bestellt werden und wie deren
ökonomische Situation ist. Manche waren ja – nicht bei
Sabena, aber bei Swissair – über die Entwicklung über-
rascht. Bei solchen Absicherungen ist es also zwingend
geboten, sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des bestel-
lenden Unternehmens genau anzuschauen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inIhrem Bericht habe ich zumindest eine Andeutung übereine Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten ver-misst. Wir wissen, dass es auch dort eine positive Ent-wicklung bei Großraumtransportflugzeugen gibt. SehenSie nicht auch die Gefahr, dass angesichts der augen-blicklichen Diskussion um das Transportflugzeug A400Mund des wirklich amateurhaften Verhaltens des Verteidi-gungsministers die Briten eine Chance erkennen, auszu-steigen und mit den USAdas Großraumtransportflugzeugzu bauen, wenn es auf unserer Seite so weitergeht, sodass
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf21506
wir quasi gezwungen wären, zum Beispiel mit derUkraine ein neues Transportflugzeug zu entwickeln?S
Zunächst weise
ich mit Entschiedenheit Ihre Bemerkung zurück, die auf
den Verteidigungsminister zielte.
Der Verteidigungsminister hat übrigens auch auf der
Grundlage der Entscheidung des Parlaments alles getan,
damit wir nach 30 Jahren endlich wieder ein Transport-
flugzeug bekommen.
Deutschland befindet sich in einer blamablen Situation:
Wir sind im Hinblick auf Transportflugzeuge nicht hand-
lungsfähig, da es im letzten Jahrzehnt leider versäumt
worden ist, dafür zu sorgen, dass eine hoch entwickelte
Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik über ein mo-
dernes, leistungsfähiges Transportflugzeug verfügt.
Herr Koppelin, Sie haben Recht: Wir haben verschie-
dene Varianten geprüft, auch die Frage einer Beteiligung
am Bau der „Antonow“. Sie wissen, dass dabei eine große
Rolle gespielt hat, wie viele Arbeitsplätze entstünden und
wie viele Kernkompetenzen, die wir an unserem Standort
haben, umgesetzt werden könnten. Ich bin aber davon
überzeugt, dass der jetzt eingeschlagene Weg richtig ist,
und hoffe sehr, dass es nach der A400M-Entscheidung
jetzt rasch zum Bau der Flugzeuge kommt. Das ist für die
Arbeitsplätze in Deutschland von großer Wichtigkeit,
aber auch im Hinblick darauf von besonderer Bedeutung,
dass wir das Transportflugzeug dringend brauchen.
Das bedeutet allerdings nicht – das sage ich ausdrück-
lich –, dass wir nicht die Zusammenarbeit mit Ländern
Mittel- und Osteuropas suchten. Insbesondere in der
Ukraine und in Russland, aber auch in angrenzenden mit-
teleuropäischen Staaten gibt es enorme Fähigkeiten ge-
rade in dieser Branche, die wir gemeinsam nutzen wollen.
Es gibt eine Reihe von Kooperationsideen, die wir umset-
zen wollen. Gleichwohl sind wir entschlossen, das Flug-
zeug A400M herzustellen, sodass wir endlich einen guten
Transporter zur Verfügung haben werden.
Herr Kol-
lege Rossmanith.
Herr Staatssekre-
tär, wenn ich boshaft wäre – aber das bin ich nicht –,
würde ich Sie jetzt fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass wir
mit der Wiedervereinigung Deutschlands zusätzliche in-
ternationale Verpflichtungen im militärischen Bereich
eingehen mussten und deshalb eine andere Kapazität er-
forderlich war, weshalb bereits seit Beginn der 90er-Jahre
die Diskussion um ein Nachfolgemodell für die Transall
geführt wird und dabei – Sie haben es angedeutet – meh-
rere Alternativen angesprochen wurden. Ich bin aber nicht
boshaft und will diese Frage nicht stellen.
Ich stelle eine ganz kurze Frage zum Luftfahrt-
forschungsprogramm III: Hat sich die Bundesregierung
schon Gedanken über die Höhe der finanziellen Ausstat-
tung dieses Luftfahrtforschungsprogramms gemacht oder
besteht im Moment nur der Wille, dieses Programm un-
ter dem Titel „Luftfahrtforschungsprogramm III“ fortzu-
setzen?
S
Herr
Rossmanith, wenn Sie gestatten, dass ich die Frage, die
Sie eigentlich gar nicht gestellt haben, dennoch beant-
worte, dann erlaube ich mir den Satz: Liebe Kolleginnen
und Kollegen, der Transporter A400M wird nicht nur für
militärische Belange interessant sein – das ist meine feste
Überzeugung –, sondern insbesondere auch für huma-
nitäre Hilfen. Das darf man nicht unterschätzen. Wir
brauchen dringend Transportkapazitäten in diesem Be-
reich. Deshalb war es ungeachtet der veränderten politi-
schen Situation wichtig, diesen Weg zu gehen.
– Ich sage ja, dass es nicht nur ein Militärflugzeug ist. Es
ist ein Flugzeug, das man gerade im humanitären Bereich
dringend braucht.
Zu Ihrer Frage im Hinblick auf das Luftfahrt-
forschungsprogramm III: Ja, wir haben uns Gedanken
gemacht. Wir haben auch präzise Vorstellungen. Ich habe
eben einige inhaltliche Schwerpunkte dieses Programms
genannt. Es geht dabei vor allem um Triebwerkstechnik,
um die Emissionsreduzierung, um Lärmreduzierung und
um die Reduzierung des Treibstoffverbrauchs. Wir setzen
also besondere Akzente für dieses Luftfahrtforschungs-
programm.
Ich sage das Folgende ausdrücklich auch in einer Re-
gierungsbefragung: Wir haben in den letzten Jahren inter-
fraktionell in diesem Bereich so gut zusammengearbeitet,
dass es sogar gelungen ist, eine Länderbeteiligung am
Luftfahrtforschungsprogramm zu erreichen. Ich sage
das gerade dem Kollegen Rossmanith, weil sowohl der
Bremer Bürgermeister als auch die Bayerische Staats-
regierung dabei geholfen haben. So können wir sagen:
Wir haben mit dem Lufo II ein gutes Programm realisie-
ren können. Die Industrie hat einen höheren Anteil als bei
Lufo I gezahlt. Wir haben auch eine Bund-Länder-Betei-
ligung erzielt. Ich hoffe sehr, dass wir das in dieser Weise
fortsetzen können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,ist die Bundesregierung bereit, das Ziel der weiteren Lärm-reduzierung in ihre Öffentlichkeitsarbeit aufzunehmen,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Jürgen Koppelin21507
damit endlich der Unfug aufhört, dass sofort, wenn imRahmen der Konversion die weitere fliegerische Nutzungeines aufgegebenen Fliegerhorstes im zivilen Bereich an-diskutiert wird, Bürgerinitiativen wegen des Lärms einRiesenspektakel veranstalten?Ich halte es für notwendig, dass wir diese Thematiknicht immer nur hier diskutieren und diesbezügliche Ak-tivitäten entfalten, sondern auch in der Öffentlichkeitkundtun, welche Fortschritte gemacht wurden und durchdieses Programm weiter erzielt werden sollen und auchkönnen.S
Herr
Rossmanith, in einer Demokratie muss man aushalten,
dass es Kritik gibt; mit ihr muss man sich auseinander
setzen. Das tun wir auch. Wir sind souverän genug, die
Bürger ernst zu nehmen, wenn sie diese Standpunkte ver-
treten. Das ist auch wichtig.
Ich glaube, dass es eine Informationslücke hinsichtlich
der erzielten technischen Fortschritte gibt. Wir hatten in
den letzten zehn Jahren bei der Lärmreduzierung einen
Quantensprung, übrigens auch, weil wir bei der For-
schung zur Triebwerkstechnik darauf gedrängt haben.
Man kann das bei MTU genau beobachten. Dort wurden
geradezu Quantensprünge gemacht. Die Lärmemission
der Flugzeuge ist deutlich geringer geworden. Der Lärm-
teppich eines modernen Airbusses, wie man das im Fach-
chinesisch nennt, ist mit dem eines Flugzeuges von vor
30 Jahren völlig unvergleichbar. Es ist wirklich ein großer
Fortschritt erzielt worden.
Ich nutze die Gelegenheit Ihrer Frage, diesen Umstand
einer großen Öffentlichkeit deutlich zu machen. Ich bin
gern bereit, im Rahmen der Möglichkeiten der Bundesre-
gierung – ich hoffe dabei auf Ihre Unterstützung – alles zu
tun, um öffentlich zu vermitteln, dass wir wirklich Fort-
schritte gemacht haben. Was die Triebwerkstechnik an-
geht, gelten wir hinsichtlich der Lärmreduzierungen in-
zwischen als erste Adresse in der Welt.
Herr Kol-
lege Straubinger.
Herr Staatssekretär,
Sie haben sehr umfangreich auf die Erfolge der Vergan-
genheit hingewiesen. Wir sind uns alle – auch parteiüber-
greifend – darin einig, dass Erfolge erzielt wurden, aber
zukünftig noch Verbesserungen bei der Flugsicherheit,
dem Treibstoffverbrauch und dergleichen erreicht werden
müssen. Die erreichten Erfolge sind auch auf die Luft-
fahrtforschungsprogramme der Vergangenheit zurückzu-
führen.
Ich möchte in Erinnerung rufen, dass das erste Luft-
fahrtforschungsprogramm unter dem damaligen Bundes-
kanzler Helmut Kohl für die Jahre 1995 bis 1998 mit
600 Millionen DM seitens des Bundes ausgestattet war.
Das Nachfolgeprogramm unter der Verantwortung Ihrer
Regierung für die Jahre 1999 bis 2002 ist mit 240 Mil-
lionen DM ausgestattet. Der Zeitraum für dieses Pro-
gramm ist fast abgelaufen. Was passiert in den folgenden
Jahren?
Sie haben vorhin angekündigt, die Bundesregierung
überlege, ein Luftfahrtforschungsprogramm III aufzu-
legen. Die bloße Absicht nützt aber sehr wenig, weil die
Forschungseinrichtungen dauerhaft für die Zukunft pla-
nen müssen. Können Sie uns bereits heute darlegen, wie
das Luftfahrtforschungsprogramm III nach den Vorstel-
lungen der Bundesregierung ausgestattet sein soll – nicht
nur in den Zielstellungen, sondern auch in finanzieller
Hinsicht – und in welchem Zeitraum es verwirklicht wer-
den soll?
S
Herr
Straubinger, ich danke Ihnen für den Hinweis. Ich kann
mich sehr gut daran erinnern, dass wir kurz nach der
Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahre 1998
die Chefgespräche für unseren Haushalt hatten und so-
zusagen binnen kürzester Frist das Lufo II gestartet ha-
ben. Sie haben darauf abgehoben, wir hätten 50 Milli-
onen Euro pro Jahr vorgesehen, während es vorher insge-
samt 600 Millionen DM gewesen seien. Der Grund liegt
in der Unterschiedlichkeit unseres Staatsverständnisses.
Wir glauben, dass der Staat nicht alles finanzieren muss.
Das Programm ist genauso umfangreich wie vorher, nur
zahlt jetzt die Industrie ein bisschen mehr.
Wir finden, es ist in Ordnung, dass wir die Industrie
– vor allem, wenn es der Wirtschaft gut geht; Sie wissen,
die Branche hat sich gut entwickelt – einladen, einen ei-
genen Beitrag zu leisten. Ich bin ein bisschen stolz darauf
– es haben viele mitgeholfen, ich will es trotzdem hervor-
heben –, dass es uns gelungen ist, mit der Beteiligung der
Länder, die genauso viel wie der Bund getragen haben,
mit Lufo II ein erhebliches Programm, das auch gut läuft,
zustande bekommen zu haben. Wenn Sie mich persönlich
fragen, muss ich Ihnen sagen: Wir haben gute Ideen in der
Sache, haben das Programm aber noch nicht quantifiziert.
Dies sollte im Anschluss an das Lufo II im Jahre 2003 be-
ginnen. Sie wissen, wie die Entscheidungsprozesse sind.
Deshalb ist es wichtig, dass das Programm in den Haus-
halt 2003 eingestellt wird.
Zusatzfrage.
Ich entnehme dem
Stenographischen Bericht über die Sitzung vom 24. Ja-
nuar, dass die Kollegin Margit Wetzel mindestens 50 Mil-
lionen Euro jährlich für ein Luftfahrtforschungspro-
gramm III für erforderlich hält. Ist die Bundesregierung
bereit, für das Luftfahrtforschungsprogramm jährlich
50 Millionen Euro in den Haushalt einzustellen?
S
Herr KollegeStraubinger, der Standpunkt und die Meinung einer sehrkompetenten Kollegin wie Frau Wetzel werden natürlich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Kurt J. Rossmanith21508
bei der Bundesregierung auf offene Ohren stoßen. Das istgar keine Frage.
– Wenn Sie schon einmal im Flugzeug gesessen hätten,dann wüssten Sie, dass Sie es mit ruhiger Hand steuernmüssen. Dabei können Sie nicht „herumfiebern“,
sondern Sie müssen steuern. Das tun wir auch.Frau Wetzel kommt aus einer Region, in der die Luft-fahrtindustrie eine große Rolle spielt. Sie weiß deshalbauch ein bisschen, was notwendig ist. Meine persönlicheMeinung ist – ich habe das eben bereits ausgeführt –: Wirbrauchen ein Lufo III etwa mit 50 Millionen Euro proJahr. Das würde diesen Zahlen entsprechen.
Weitere
Fragen liegen nicht vor. Ich danke Ihnen, Herr Parlamen-
tarischer Staatssekretär.
Wir haben die Regierungsbefragung früher als vorge-
sehen beendet. In Abstimmung mit den Fraktionen unter-
breche ich die Sitzung bis 13.35 Uhr.
Die unter-
brochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
– Drucksache 14/8246 –
Zu Beginn der Fragestunde behandeln wir gemäß
Nr. 15 der Richtlinien für die Fragestunde vier schriftliche
Fragen der Abgeordneten Ilse Aigner und vier schriftliche
Fragen der Abgeordneten Susanne Jaffke.
Ich rufe zunächst die Fragen der Abgeordneten Ilse
Aigner auf:
2/42 Welche militärischen und wirtschaftlichen Gründe
waren ausschlaggebend, die Entscheidung, das Fernmeldebatail-
lon Dillingen zu schließen, zu ändern und dafür das Fernmelde-
bataillon am Standort Murnau aufzulösen, und wie stellt sich der
Sanierungsbedarf bzw. Bauzustand bei beiden Standorten dar?
deschule des Heeres von Feldafing/Pöcking nach Günzburg, Dil-
lingen, Donauwörth oder einen anderen Standort und sind bei
diesen Standorten ausreichend Grundstücksflächen in öffentlicher
Hand vorhanden?
2/44 Wie hoch sind die zusätzlichen Kosten, die durch eine
Verzögerung der geplanten und unabwendbar notwendigen Sa-
nierungsarbeiten, unabhängig von der momentan geplanten Ver-
legung, an den Lehrsaalgebäuden und der Abwasserentsorgung
der Fernmeldeschule Feldafing entstanden sind bzw. noch ent-
stehen werden?
2/45 Ist nach jetzigen Erkenntnissen ein Lehrbetrieb nach
dem 1. Januar 2003 in der Fernmeldeschule Feldafing sicher-
gestellt und wann ist der letztmögliche Zeitpunkt, mit den Sanie-
rungsarbeiten bzw. dem Bau von Lehrsaalersatzflächen zu be-
ginnen?
Da die Fragen inzwischen schriftlich beantwortet sind,
kann die Fragestellerin nur fragen, warum die Antworten
nicht innerhalb der Wochenfrist gegeben wurden.
Frau Kollegin Aigner, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Schulte! Warum
ist die Antwort auf die von mir am 6. Februar gestellten
Fragen nicht fristgemäß Ende der letzten Woche, sondern
erst heute früh um 10.48 Uhr per Fax eingegangen?
B
Herr Kollege, angesichts der
zwischen uns geführten umfangreichen Korrespondenz
muss ich darauf hinweisen, dass kein Ministerium mehr
Anfragen hat als das BMVg.
Liebe Frau Kollegin Aigner, zunächst einmal entschul-
dige ich mich dafür, dass das passiert ist. Ich muss aber
darauf hinweisen, dass sich 90 Prozent unserer Mitarbei-
ter in Bonn und 10 Prozent in Berlin befinden. Die tüch-
tigen Mitarbeiter vom Parlaments- und Kabinettsreferat
waren bis auf einen Mitarbeiter, der Ihnen geschrieben
hat, bedauerlicherweise erkrankt. Das ist wahr. Im Rhein-
land wurde zu dieser Zeit – Sie werden sich sicher erin-
nern – Karneval gefeiert, was eine mehrtägige Freizeit be-
deutet. Es handelt sich um den Zeitraum zwischen
Weiberfastnacht und Rosenmontag. – Es tut mir Leid. Ich
habe versucht, Ihnen die Antwort wenigstens heute Nacht
zukommen zu lassen. Ich habe die Antwort gestern Abend
unterschrieben.
Herr Präsident, ich bin gern bereit, die Antwort hier
vorzutragen.
Das brau-
chen Sie nicht. Frau Kollegin Aigner hat aber eine Zu-
satzfrage.
Sehr geehrte Frau Staats-sekretärin, auf die von mir gestellte Frage nach den wirt-schaftlichen und militärischen Gründen für die Änderungder Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidi-gung, nämlich statt des Fernmeldebataillons am StandortDillingen nun das Fernmeldebataillon am Standort Mur-nau aufzulösen, wurde wie folgt geantwortet:Von der ursprünglichen, mit dem Entwurf des Res-sortkonzepts Stationierung vom 29. Januar 2001 be-kannt gegebenen Absicht, das Fernmeldebatail-lon 230 in Dillingen aufzulösen, wurde Abstandgenommen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf21509
Wieso konnte für eine derartig lapidare Antwort bzw.Nichtantwort, die in jeder Zeitung nachzulesen war, dieFrist nicht eingehalten werden? Das hätten Sie überall ab-schreiben können.
B
Frau Kollegin, es handelte sich
– Sie erinnern sich – nicht nur um eine Frage. In meinen
Unterlagen befinden sich vier Fragen.
Ich habe versucht, Ihnen auf alle Fragen eine Antwort zu
geben. Ich habe begründet, warum die Nähe zu Dillingen
hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit wichtig ist. Sie
haben sich ja auch mit der Verlegung der Schule beschäf-
tigt. Offensichtlich aus diesem Grund wurde das Fern-
meldebataillon in Murnau aufgelöst und die Liegenschaft
aufgegeben.
Ich habe versucht, Ihnen korrekt und nach bestem Wis-
sen und Gewissen zu antworten.
Frau Kolle-
gin Aigner, möchten Sie auch zu den anderen Fragen in
der gleichen Art und Güte Zusatzfragen stellen?
Wenn ich darf, möchte ich
das tun.
Ich habe noch eine Frage zu der Frist. Frau Staats-
sekretärin, ich akzeptiere selbstverständlich Ihre Ent-
schuldigung. Am Freitag hätte ich noch die Möglichkeit
gehabt, mündliche Fragen, und zwar sachliche, für die
heutige Fragestunde nachzureichen. Da die Antwort aller-
dings erst heute eingegangen ist, konnte ich von dieser
Möglichkeit keinen Gebrauch machen.
Jeder weiß, dass in Bayern am 3. März Kommunal-
wahlen stattfinden. Könnte das Vorgehen – das könnte
man böswilligerweise unterstellen – in Ihrem Ministe-
rium damit zusammenhängen?
B
Ich habe Ihre Frage gestern
Abend auf den Tisch bekommen und war ganz entsetzt.
Um keinen Tadel vom Präsidenten zu bekommen, wollte
ich Ihnen wenigstens noch gestern Abend eine Antwort
geben, und zwar in der Erkenntnis, dass Sie heute Nach-
mittag Zusatzfragen stellen können. Ich beantworte Ih-
nen, wie Sie wissen, gern alle Fragen. Das ist klar. Ich
habe es überhaupt erst gestern Abend erfahren, dass sie
nicht beantwortet worden waren. Ich habe Ihnen deshalb
unsere Antwort vorweg geschickt, damit Sie noch weiter
fragen können.
Ich kann
jetzt allerdings nur die Fragen zulassen, die nach Nr. 15
der Richtlinien für die Fragestunde zulässig sind. Deshalb
muss ich die Kollegin Aigner trotz der Bereitschaft der
Frau Staatssekretärin darauf hinweisen, dass sie nur nach
dem Warum und Wieso, nicht aber nach weiteren inhaltli-
chen Dingen fragen darf.
Ich möchte meine Frage auf
alle vier Fragen bezogen wissen: Warum sind die Fragen
nach Zahlen – es handelt sich ja um Binsenweisheiten,
die, wie gesagt, in allen öffentlichen Dokumenten enthal-
ten und auch an den Standorten bekannt sind – nicht schon
frühzeitiger von Ihrem Haus – nicht von Ihnen persönlich,
Frau Staatssekretärin; ich nehme Ihnen ja die Entschuldi-
gung auch ab, da ich Sie persönlich schätze – beantwortet
worden? Es haben, wie gesagt, schon alle Zahlen vorge-
legen und die Antworten sind teilweise, mit Verlaub,
falsch gewesen.
B
Ich kann das, was Sie jetzt sa-
gen, nicht widerlegen, aber ich kann das, wenn es stimmt,
dadurch wieder gutmachen, dass ich Ihnen anbiete, dass
wir ein Gespräch darüber führen und Sie dabei eine sorg-
fältigere Auskunft bekommen.
Mit meiner Vorgehensweise hatte ich eigentlich das
Gegenteil erreichen wollen, Herr Präsident: Die Fragende
sollte, von den Antworten ausgehend, die ihr vorher mit-
geteilt wurden, weitere Fragen stellen können.
Als ehema-
lige Parlamentarische Geschäftsführerin kennen Sie ja
wohl die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.
B
Ich stimme Ihnen ausdrücklich
zu. Ich war dabei aber, wie Sie wissen, immer etwas
großzügiger.
Frau Kolle-
gin Aigner, können Sie sich mit dem vorgeschlagenen
Verfahren einverstanden erklären?
Wir werden es so versuchen
oder auf einem anderen parlamentarischen Weg.
Dankeschön.Ich rufe jetzt die Fragen der Kollegin Susanne Jaffkeauf:1/218 Ist es richtig, dass die Standortverwaltungen im Be-reich operatives Liegenschaftswesen der Gesellschaft für Ent-wicklung, Beschaffung und Betrieb mbH unterstelltwurden und, wenn ja, treffen diese Entscheidungen auch für dieStandortverwaltungen Neubrandenburg, Torgelow und Eggesinzu?1/219 Inwiefern will die Bundesregierung an diesen Stand-orten die bisherigen Ausbildungsplätze in Anzahl und Qualitätsicherstellen und erhalten?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Ilse Aigner21510
1/220 Wie viel ziviles Personal an den Standorten Neubran-denburg und Torgelow ist davon betroffen und in Kenntnis gesetztworden?1/221 Wie viel ziviles Personal an den Standorten Neubran-denburg und Torgelow ist von Entlassung bzw. Umsetzung be-troffen?Der Sachverhalt unterscheidet sich nicht von dem beiden Fragen der Kollegin Aigner.
So ist es. In der Tat
wurden auch die von mir schriftlich eingereichten Fragen
vom Bundesverteidigungsministerium nicht fristgerecht
beantwortet. Bei mir ist der etwas ungewöhnliche Um-
stand eingetreten, dass die Antwort der Parlamentarischen
Staatssekretärin aus ihrem Büro per Fax um 22.42 Uhr am
19. Februar abgesandt wurde und mein Büro erreichte. Ich
hoffe ja sehr – so könnte ich ketzerischerweise sagen –
dass die Arbeitnehmerrechte durch einen Arbeitseinsatz
nach 22 Uhr nicht vernachlässigt wurden.
So möchte auch ich in diesem Zusammenhang fragen:
Warum ist die fristgerechte Beantwortung der Fragen
nicht möglich gewesen?
B
Ich wiederhole es noch einmal:
90 Prozent unserer Mitarbeiter sind in Bonn; das war eine
Entscheidung des Bundestages, die meine Zustimmung
und die verschiedener Kollegen damals nicht gefunden
hat, die aber erfolgt ist. In der Tat gab es im Rheinland von
Weiberfastnacht bis zum Rosenmontag einschließlich
eine besondere Situation
– nein, am Dienstag müssen sie arbeiten, da war ich näm-
lich auch da –, sonst hätten wir natürlich Leute von Bonn
nach Berlin geholt. Bis auf einen Mitarbeiter hat nämlich
eine Grippewelle alle in Berlin erfasst. Soweit meine Ant-
wort darauf, Frau Kollegin Jaffke.
Wenn Sie aber ernsthaft glauben, dass Mitarbeiter im
Leitungsbüro eines Ministeriums eine geregelte Arbeits-
zeit haben, dann irren Sie sich; denn in Sitzungswochen
trifft das ganz bestimmt nicht zu. Als Entschädigung dafür
gibt es ja auch eine Ministerialzulage. Wir sind übrigens
noch später nach Hause gegangen.
Zusatz-
frage?
Dieses Schicksal ereilt
uns ja alle. Trotzdem hätte ich zu den Fristen noch eine
Nachfrage. Ich habe mich selbstverständlich in der sit-
zungsfreien Woche um die fristgerechte Beantwortung
meiner Fragen über das Parlamentssekretariat des Deut-
schen Bundestages bemüht. Von dort wurde mir in einem
Rückruf mitgeteilt, dass die Hardthöhe deshalb nicht in
der Lage war, mir die Fragen innerhalb der Frist zur
Beantwortung vorzulegen, weil kein unterschriftsberech-
tigtes Leitungsmitglied erreichbar war. Können Sie das
bestätigen?
Wenn nicht, müsste ich den Leiter des Parlaments-
sekretariats der Bundestagsverwaltung bemühen, diese
Aussage, die er mir gegenüber persönlich gemacht hat,
zu bestätigen. Könnten Sie dazu bitte noch eine Auskunft
geben?
B
Frau Kollegin Jaffke, das kann
ich ausdrücklich nicht bestätigen, es sei denn, die Fragen
wären an das Büro meiner Kollegen gegangen und dort
liegen geblieben.
Im Zeitalter der modernen Kommunikationstechniken
bin ich in der Lage – ich habe die EDV nämlich mit ein-
geführt –, mir solche Unterlagen, wenn sie mir gemailt
werden, jederzeit in meinem Wahlkreis in Hameln aus-
drucken zu lassen und Ihnen selbstverständlich eine Ant-
wort zu geben. Das kann nicht der Grund gewesen sein.
Denn selbst am Rosenmontag war ich für die Berliner er-
reichbar, allerdings nicht für die Bonner; denn die waren
nicht da. Das kann es also nicht gewesen sein. Ich bin ganz
erstaunt, dass es heißt, es sei kein unterschriftsberechtig-
tes Mitglied erreichbar gewesen. Das höre ich zum ersten
Mal.
Dann würde ich Sie
herzlich bitten, sich darum zu kümmern.
Da die Antwort auf die schriftlich gestellten Fragen in-
haltlich nicht ausreichend ist, möchte ich nachfragen: Ist
es möglich, dass Sie gestern den Weg der nächtlichen
Beantwortung der Fragen auch deshalb genutzt haben,
um heute einer inhaltlichen Nachfrage aus dem Wege zu
gehen?
B
Nein.
Dann kön-nen wir drei Feststellungen treffen:Erstens. Das Gesprächsangebot der Frau Staatssekretä-rin Brigitte Schulte gilt auch gegenüber der KolleginSusanne Jaffke.
Zweitens. Sie können natürlich für die nächste Sit-zungswoche erneut Fragen einreichen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters21511
Drittens. Da die Karnevalszeit zu Ende ist, können wirdavon ausgehen, dass die Mitglieder der Bundesregierungdie Fragen, die in Zukunft gestellt werden, fristgerecht in-nerhalb einer Woche beantworten werden.
Ich danke Ihnen, Frau Schulte, und rufe nunmehr die
übrigen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staats-
sekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Heidi Lippmann auf:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass ein Kriegs-
dienstverweigerungsantragsteller im Gegensatz zum Wehrpflichti-
gen ein selbst zu bezahlendes polizeiliches Führungszeugnis vor-
legen muss?
D
Frau Kollegin Lippmann, nach § 2 Abs. 2 des Kriegs-
dienstverweigerungsgesetzes ist dem Antrag auf Kriegs-
dienstverweigerung ein polizeiliches Führungszeugnis
beizufügen. Die Vorlage des Führungszeugnisses soll die
Anerkennung von Antragstellern verhindern, die wegen
bestimmter krimineller Taten verurteilt worden sind. Es
handelt sich dabei um Taten, die eine Gewaltbereitschaft
erkennen lassen und daher mit der behaupteten Gewissens-
entscheidung nicht vereinbar erscheinen. Das Führungs-
zeugnis dient dem Antragsteller zum Nachweis seiner
Rechtsposition. Aus diesem Grunde ist es grundsätzlich an-
gebracht, dass der Antragsteller die mit diesem Nachweis
verbundenen Kosten trägt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinwei-
sen, dass bei der Beantragung des Führungszeugnisses
auch eine Gebührenbefreiung wegen Mittellosigkeit be-
antragt werden kann. Mittellosigkeit wird bei Schülern,
Studenten, Auszubildenden und bei Empfängern von So-
zialhilfe vermutet.
Es hat sich allerdings herausgestellt, dass der Anteil der
Ablehnungen der Anerkennung als Kriegsdienstverwei-
gerer wegen einer Eintragung im Führungszeugnis
äußerst gering ist. Aus diesem Grunde wird derzeit inner-
halb der Bundesregierung geprüft, ob die in § 2 Abs. 2
Kriegsdienstverweigerungsgesetz festgelegte Vorlage-
pflicht geändert werden sollte.
Zusatzfrage
der Kollegin Lippmann.
Vielen Dank für die Aus-
kunft, Frau Staatssekretärin. Wenn meine Frage der An-
lass dafür sein sollte, dass eine solche Prüfung vorge-
nommen wird, wäre ich sehr dankbar. Aber ich gehe nicht
davon aus, dass Sie das mit Ja beantworten werden.
Ist denn geplant, im Prüfungszeitraum alle Kriegs-
dienstverweigerungsantragsteller von der Gebührenerhe-
bung zu befreien?
D
Nein, das ist nicht geplant. Wir prüfen zurzeit, ob diese
Vorschrift, das polizeiliche Führungszeugnis vorzulegen,
noch sinnvoll ist.
Darüber hinaus muss ich Sie daran erinnern, dass wir
immer nach Wegen zur Verwaltungsvereinfachung su-
chen. Wenn sich herausstellt, dass das polizeiliche
Führungszeugnis bei der Anerkennung so gut wie gar
keine Rolle mehr spielt, weil nichts drin steht, dann ist die
Abschaffung dieser Vorschrift aus Gründen der Verwal-
tungsvereinfachung sinnvoll. Allerdings überlegen wir
zugleich, ob wir die Vorlage eines Führungszeugnisses
durch eine Regelanfrage, wie im Wehrpflichtgesetz vor-
gesehen, ersetzen werden.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich
freue mich natürlich, dass diese Prüfung erfolgt, aber wie
wir ja wissen, dauert eine solche Prüfung in Ihrem Hause
sehr lange. Das vermute ich einfach einmal.
Es müsste auch noch eine Gesetzesänderung erfolgen,
weil die Verpflichtung zur Vorlage eines Führungszeug-
nisses im Kriegsdienstverweigerungsgesetz steht. Ist ge-
plant, diese noch in dieser Legislaturperiode, also bis zur
letzten Sitzungswoche Anfang Juli, durchzuführen?
D
Zunächst einmal möchte ich auf Ihre erste Bemerkung,
dass Ihre Frage vielleicht dazu geführt hat, dass diese Prü-
fung stattfindet, eingehen. Ich muss Sie enttäuschen. Auf
der Arbeitsebene wird schon länger darüber geredet. Ich
kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob die Änderung des Geset-
zes in dieser kurzen Zeit noch möglich sein wird.
Ich dankeIhnen, Frau Staatssekretärin, und rufe den Geschäftsbe-reich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung stehtStaatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung.Ich rufe Frage 2 der Frau Kollegin Lippmann auf:Wurde die Bundesregierung von US-amerikanischer oder bos-nischer Seite informiert, bevor die bosnische Regierung am 18. Ja-nuar 2002 trotz des wegen nicht vorgelegter Beweise ergangenengegensätzlichen Urteils des höchsten bosnischen Gerichtes sechsvon den USA des Terrorismus verdächtigte Algerier an Soldaten
grundlage sieht die Bundesregierung für diese Vorgehensweise,auch vor dem Hintergrund ihres Engagements für den Aufbaueiner demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, deren un-trennbarer Bestandteil die Gewaltenteilung ist?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters21512
D
Frau Kollegin Lippmann! Die Bundesregierung er-
hielt vorab keine Informationen vonseiten der USA bzw.
von der Regierung von Bosnien und Herzegowina über
die geplante Überstellung der sechs Algerier, nach denen
Sie gefragt hatten.
Die Prüfung der Frage nach der einschlägigen Rechts-
grundlage ist eine innerstaatliche Angelegenheit und ob-
liegt den zuständigen Stellen in Bosnien und Herzegowina.
Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang
jedoch auf die intensiven Bemühungen der Regierung von
Bosnien und Herzegowina, ihren Verpflichtungen aus den
Resolutionen 1368 und 1373 der Vereinten Nationen nach-
zukommen und den Terrorismus effektiv zu bekämpfen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatsmi-
nister. – Können Sie mir sagen, aufgrund welcher inter-
nationalen rechtlichen Grundlage – über diese beiden von
Ihnen genannten Resolutionen hinaus – die Überstellung
oder die Auslieferung dieser sechs Algerier, die unter dem
Verdacht standen, al-Qaida-Mitglieder zu sein, an das
amerikanische SFOR-Kontingent erfolgte? Ich frage ganz
konkret nach der internationalen rechtlichen Grundlage.
D
Die Rechtsgrundlage ergibt sich aus den beiden ge-
rade genannten Resolutionen. Das sind nicht irgendwel-
che Meinungsäußerungen, sondern das sind die von den
Vereinten Nationen festgelegten Prinzipien, nach denen
der Terrorismus bekämpft werden soll und nach denen
sich alle Länder zu richten haben. Dazu haben sich diese
verpflichtet.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Es fällt zwar nicht in den
Kompetenzbereich der Bundesregierung, aber es ist doch
von einem darüber hinausgehenden Interesse innerhalb
des NATO-Bündnisses, der KFOR-Truppen und der Anti-
terrorallianz, ob bekannt ist, was mit diesen sechs algeri-
schen Gefangenen geschehen ist. Sind sie in die USAver-
bracht worden? Welchen Status erhalten sie dort?
D
Es bestand ein begründeter Anfangsverdacht, dass
die sechs Personen Mitglieder des al-Qaida-Netzwerkes
sind. Nach unseren Informationen werden sie in die USA
oder in eines der von den Vereinigten Staaten betriebenen
Kriegsgefangenenlager gebracht. Unserer Auffassung
nach müssten sie dort wie Kriegsgefangene behandelt
werden. Auf jeden Fall haben sie ein Anrecht auf ein fai-
res Verfahren.
Ich danke
Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Wirtschaft und Technologie. Die Frage 3 der
Kollegin Dr. Elke Leonhard wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Wohnungswesen auf. Der Parla-
mentarische Staatssekretär Achim Großmann wird die
Fragen beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 4 des Kollegen Hans
Michelbach auf:
Welche Initiativen plant die Bundesregierung zur Anbindung
der oberfränkischen Industriestandorte nach dem Rückzug der DB
Cargo?
A
Vielen
Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Michelbach, die
Bundesregierung steht zu den mit der Bahnreform ver-
folgten Zielen, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen,
die finanzielle Belastung der Steuerzahler durch die
Schiene zu begrenzen und die Wirtschaftlichkeit einer un-
ternehmerisch geführten Deutschen Bahn AG zu errei-
chen.
Die Entwicklung einer modernen und leistungsfähigen
Bahn ist ein Kernelement der integrierten Verkehrspolitik.
Die Bundesregierung wird ihren Beitrag dazu mit ord-
nungs- und investitionspolitischen Maßnahmen weiterhin
leisten. Seine Verantwortung nach Art. 87 e Abs. 4 Grund-
gesetz nimmt der Bund dadurch wahr, dass er entspre-
chend dem Verkehrsbedarf und im Rahmen der zur Ver-
fügung stehenden Haushaltsmittel Investitionen in die
Schienenwege der Eisenbahn des Bundes finanziert. Dies
schafft, insbesondere auch durch die im Rahmen des Zu-
kunftsinvestitionsprogramms erhöhten Leistungen des
Bundes, Möglichkeiten, Nachfragepotenziale zu aktivie-
ren, und ist deshalb sinnvoller, als auf dem Markt nicht
konkurrenzfähige Angebote zu subventionieren.
Mit der Bahnreform ist verbunden, dass nach dem
maßgeblichen Aktienrecht ein direktes Einwirken des
Bundes auf die unternehmenspolitischen Entscheidungen
des Vorstandes der Deutschen Bahn AG nicht zulässig ist.
Nach Auskunft der DB Cargo in Nürnberg laufen für den
angesprochenen Raum derzeit noch Kooperationsver-
handlungen zur Übernahme der Bedienung durch nicht
bundeseigene Eisenbahnen.
Zusatzfrage.
Mir geht es, HerrStaatssekretär, um das Vorgehen der Deutschen Bahn AGin diesem Bereich. Natürlich ist es richtig, was Sie hin-sichtlich der Nachfragepotenziale sagen; aber es ist auchrichtig, dass man Wettbewerb zulassen muss. Die Deut-sche Bahn AG betreibt durch eine Art unternehmerischeRosinenpickerei einen unzulässigen Wettbewerbsaus-schluss, indem sie den interessierten privaten Anbieternden Zutritt in eine geschlossene Region in Oberfrankenverweigert. Damit belastet sie die Wirtschaft in der Re-gion, die keine Alternative bezüglich einer Verbesserungder Verkehrsanbindung hat. Das heißt, Sie haben eine
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002 21513
Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur, aber die DBCargo friert die Nachfragepotenziale zulasten anderer An-bieter ein.A
Der Ei-
gentümer Bund, Herr Kollege Michelbach, hat natürlich
ein ordnungspolitisches Interesse an einem funktionieren-
den Wettbewerb im Schienennetz. Nur durch Wettbewerb
auf der Schiene wird der Verkehrsträger insgesamt attrak-
tiver und wird sich gegen die Konkurrenz, insbesondere
die Straße, besser behaupten können. Bei der Vollendung
der Bahnreform wird deshalb die Sicherstellung eines dis-
kriminierungsfreien Wettbewerbes eine zentrale Rolle
spielen. So soll durch eine Änderung des Allgemeinen Ei-
senbahngesetzes die Wettbewerbsaufsicht gestärkt wer-
den. Die Bundesregierung hat den Wunsch, dass Privat-
bahnen vermehrt als Anbieter auftreten und Chancen
bei der Güterverkehrsbedienung auf der Schiene wahr-
nehmen.
Im Zuge der Bahnreform steht schon heute anderen Ei-
senbahnverkehrsunternehmen der Zugang zum Netz der
Deutschen Bahn AG frei. Damit haben diese die Mög-
lichkeit, Marktchancen zu nutzen. Die Deutsche Bahn AG
hat zugesagt, mit jedem Güterverkehrskunden zu verhan-
deln und ihm eine Alternative zu bieten, bevor die im Rah-
men von MORAC erforderlichen Maßnahmen umgesetzt
werden. Entsprechend sucht die DB AG mit dem Ziel,
möglichst viel Verkehr auf der Schiene zu halten, intensiv
nach Lösungen, die von ihr nicht mehr bedienten Güter-
verkehrsstellen durch bestehende oder neu zu gründende
nicht bundeseigene Eisenbahnen zu erhalten.
In dem Fall, den Sie ansprechen, sind einige Stellen
ganz geschlossen worden. Es sind nicht im Sinne der „Ro-
sinenpickerei“ einzelne Kunden bedient worden, sondern
es geht um ein Angebot an die NE-Bahnen, sich diese re-
gionalen Märkte zu erschließen. Wenn die NE-Bahnen
dies wollen, können sie sicher auch mit den potenziellen
Kunden verhandeln und versuchen, diese für sich zu ge-
winnen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
das ist im Grundsatz richtig. Aber warum lassen Sie dann
zu, dass Güterverkehrsstellen der DB Cargo erst ge-
schlossen werden, statt dass sie von den privaten Anbie-
ter nahtlos übernommen werden? Das ist doch das Pro-
blem. Wie wollen Sie denn die Schiene weiter stärken,
wenn Sie circa 650 Güterverkehrsstellen in Deutschland
schließen, ohne privaten Anbietern die Chance zu geben,
sofort einzusteigen? In Oberfranken gibt es private An-
bieter, die man auf einige wenige Standorte verwiesen hat,
während die lukrativen Standorte, die ganz in der Nähe
sind, für diese Anbieter nicht zugänglich gemacht werden.
So kann doch kein Wettbewerb entstehen. Deswegen
müssen Sie hier ordnungspolitisch eingreifen.
A
Herr
Kollege Michelbach, wenn wir ordnungspolitisch ein-
greifen würden, würden wir eine ordnungspolitische
Sünde begehen. Ich sage noch einmal: Mit der Bahn-
reform ist nach dem geltenden Aktienrecht ein direktes
Eingreifen des Bundes in die unternehmenspolitischen
Entscheidungen des Vorstandes der DB AG nicht zuläs-
sig. Die Deutsche Bahn AG wurde privatisiert, damit sie
sich als wirtschaftlich funktionierendes Unternehmen
aufstellen kann. Sie können jetzt vom Bund nicht verlan-
gen, dass er in das Geschäftsgebaren der Deutschen Bahn
AG eingreift. Das lässt das Aktienrecht nicht zu.
Wir haben das getan, was wir machen konnten: Wir ha-
ben in Verhandlungen mit der Deutschen Bahn AG si-
chergestellt, dass jede von der DB Cargo nicht mehr be-
diente Güterverkehrsstelle und alle dahinter liegenden
Gleisanschlüsse so lange erhalten bleiben, bis der Ver-
band Deutscher Verkehrsunternehmen und die darin orga-
nisierten NE-Bahnen, also die privaten Bahnen, die Mög-
lichkeit der Weiterbedienung geprüft haben. Wir haben
also die Voraussetzungen für den Weiterbetrieb geschaf-
fen und haben ein Verfahren implementiert, das es er-
möglicht, beim Verband nachzufragen, welche Regionen
privat erschlossen werden können. Das können wir leis-
ten und das haben wir gemacht.
Ich rufe die
Frage 5 des Abgeordneten Georg Girisch auf:
Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung bereit ist, ab 2003
für alle baureifen Bauabschnitte der Bundesautobahn A 6 zwi-
schen Amberg und Waidhaus ausreichend Finanzmittel einzupla-
nen, damit der Lückenschluss der A 6 rechtzeitig zur bevorste-
henden EU-Osterweiterung fertig gestellt werden kann?
Wollen Sie diese Frage zusammen mit der Frage 6 be-
antworten, Herr Staatssekretär?
A
Ja, Herr
Präsident, wegen des Sachzusammenhangs möchte ich
die beiden Fragen zusammen beantworten.
Dann rufe
ich auch die Frage 6 des Abgeordneten Georg Girisch auf:
Wenn ja, im Rahmen welcher Haushaltstitel und -jahre ist
diese Finanzierung vorgesehen, und wie werden sich die abseh-
baren Verzögerungen bei der Erhebung der „streckenbezogenen
LKW-Maut“ auf den Fertigstellungstermin der A 6 zwischen
Amberg-Ost und Waidhaus auswirken?
A
HerrKollege Girisch, nach den bekannten Aussagen der Bun-desregierung zur Bundesautobahn A 6 Amberg/Ost–Pfreimd–Waidhaus soll die Teilstrecke östlich der BABA 93 bis 2005 und die Gesamtstrecke zwischen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Hans Michelbach21514
Amberg/Ost und Waidhaus bis 2008 durchgehend fertiggestellt werden.Einzelheiten der Finanzierung werden, ausgehend vondem vorhandenen Baurecht, auf der Basis der Ansätze fürden Bundesfernstraßenbau in den jährlichen Bundeshaus-halten zwischen dem Bundesministerium für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen und der bayerischen Straßen-bauverwaltung festgelegt. Angesicht fehlender Zugehö-rigkeit von Abschnitten der BAB A 6 zu dem aus derLKW-Maut finanzierten Anti-Stau-Programm gibt eshieraus – zumal in dem Programmbeginnjahr 2003 –keine Rückwirkungen auf die Bundesautobahn A 6.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie
rechnen also damit, dass die A6 bis 2008 fertig gestellt ist.
Kann man zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass die A 6 bis
2008 komplett finanziert ist?
A
Da die
Bundesregierung davon ausgeht, dass die Autobahn bis
2008 fertig gestellt ist, ist sie auch der Meinung, dass sie
in diesem Zeitraum finanziert werden kann. Ich darf Sie
in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass zwei Teil-
stücke im Bau sind und ein Teilstück schon in Betrieb ge-
nommen wurde. Für das Teilstück Woppenhof–Kalten-
baum gibt es schon einen Planfeststellungsbescheid. Die
Finanzierung ist durch das ZIP-Programm sichergestellt.
Der Baubeginn ist voraussichtlich für Mitte dieses Jahres,
im August oder September, zu erwarten.
Weitere Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär,
kann man sagen, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel
die dafür notwendigen Mittel bereits freigegeben hat?
A
Sie wis-
sen Herr Kollege Girisch, dass wir nach dem Haushalts-
recht den Haushalt Jahr für Jahr aufstellen müssen. Hinzu
kommt die mittelfristige Finanzplanung. Es ist aber die
politische Absicht der Koalitionsfraktionen und der Bun-
desregierung, die ersparten Zinsausgaben aufgrund der
Versteigerung der UMTS-Lizenzen für die Verstetigung
der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen zu nutzen.
Herr Staatssekretär, trifft
es zu, dass Mittel der Bahn AG, die nicht für das Strecken-
netz ausgegeben werden, für die A 6 verwendet werden
können?
A
Es gibt
eine klare Festlegung im Haushalt, dass die Mittel, die für
den Straßenbau eingestellt sind, für den Straßenbau ver-
wendet werden und dass die Mittel, die für Schieneninves-
titionen zur Verfügung stehen, für Schieneninvestitionen
eingesetzt werden. Daher kann ich Ihre Frage nicht posi-
tiv beantworten.
Herr Staatssekretär,
kann man zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass die A 6
komplett finanziert ist und die Endfinanzierung der A 6
sichergestellt ist?
A
Man
kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass die Bundes-
regierung davon ausgeht, dass die Autobahn im Jahre
2008 fertig gestellt ist. Das bedeutet, dass wir entspre-
chende Entscheidungen für den Zeitraum noch fällen wer-
den, für den es aus den Gründen, die Sie kennen, bis jetzt
noch keine festen Finanzzusagen geben kann.
Ich danke
Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzleram-
tes auf. Die Fragen werden von Herrn Staatsminister Pro-
fessor Dr. Julian Nida-Rümelin beantwortet.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Hartmut Koschyk
auf:
Wie gewährleistet die Bundesregierung die Sicherung des kul-
turellen Erbes der Siebenbürger Sachsen im Zusammenhang mit
der geplanten Herauslösung des Siebenbürgischen Museums
– Quelle: Unterrichtung durch die Bundesregierung „Konzeption
zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Ge-
schichte im östlichen Europa“, Bundestagsdrucksache 14/4586
Nr. 4.5 – aus der untrennbaren musealen Einheit von Siebenbür-
gischem Museum, Siebenbürgischem Archiv, Siebenbürgischer
Bibliothek und Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim, und wie
rechtfertigt sie vor dem Hintergrund der Existenzsicherung dieses
in Deutschland einzigartigen, wertvollen Bestandes an siebenbür-
gischem Kulturgut das Junktim gegenüber dem Trägerverein Sie-
benbürgisches Museum Gundelsheim e. V., einer Wiederbeset-
zung der Stelle des Museumsleiters und weiterer Mitarbeiter nur
dann zuzustimmen, wenn der Träger der Verlagerung des Mu-
seums ohne Einschränkung – Quelle: Schreiben des Beauftragten
der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Me-
dien vom 21. November 2001 an den Trägerverein Siebenbürgi-
sches Museum Gundelsheim e. V. – zustimmt?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn ich darf, möchte ich die beiden Fragen
des Kollegen Koschyk im Zusammenhang beantworten.
Dann rufeich auch Frage 8 des Kollegen Hartmut Koschyk auf:Wie hoch beziffert die Bundesregierung die auf den Bundes-haushalt entfallenden Kosten, wie sie mit der Verlagerung des Sie-benbürgischen Museums von Gundelsheim nach Ulm und demspäteren Betrieb des Hauses in Ulm verbunden sind, und wie be-wertet die Bundesregierung die Verlagerung des Museums unterder Maßgabe einer effizienten Verwendung von Haushaltsmittelnangesichts der im Jahr 1997 mit Bundesmitteln erfolgten Reno-vierung des Gebäudes in Gundelsheim und angesichts der demBund am derzeitigen Standort entstehenden Unterhaltungskosten?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Parl. Staatssekretär Achim Großmann21515
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Um mir persönlich ein klares Bild zu ver-
schaffen und um Ihre Fragen so präzise wie nur möglich
beantworten zu können, habe ich heute ein ausführliches
Gespräch geführt, an dem unter anderem der Vorsitzende
des Trägervereins sowie der Vorstand des Bundesverban-
des und Mitarbeiter des Museums teilgenommen haben.
Man kann das Ergebnis folgendermaßen zusammenfas-
sen: Dieses Museum, das erst seit 1990 – übrigens lange
vor meinem Amtsantritt – von der Bundesregierung ge-
fördert wird, und zwar gegenwärtig pro Jahr mit circa
1 Million DM, also circa 500 000 Euro, erzielt nicht die
Besucherzahlen, die man bei dieser Unterstützung durch
Steuermittel erwarten sollte. Im letzten Jahr waren es et-
was mehr als 4 100. Ich habe mir die langfristige Besu-
cherstatistik besorgt. In dieser fand ich das interessante Er-
gebnis, dass dieses kleine lokale Museum vor dem Beginn
der Förderung des Bundes im Jahre 1990 deutlich höhere
Besucherzahlen, etwa doppelt so hohe, erzielte wie heute
mit einer Bundesförderung von circa 1 Million DM.
Wir können ein Museum nicht in der Größenordnung,
nämlich in Höhe von 250 DM pro Besucher, subventio-
nieren, wie es vielleicht im Opernbereich angemessen er-
scheinen mag. Das habe ich den Vertretern des Bundes-
verbandes und des Trägervereins im Rahmen dieses
Gesprächs sehr deutlich gesagt.
Es gibt im Übrigen – lassen Sie es mich präzise aus-
drücken – den Entwurf eines Prüfungsberichtes des Prü-
fungsamtes des Bundesrechnungshofes vom Januar 2002,
der zu genau dem gleichen Ergebnis kommt wie ich.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Die eine Möglichkeit ist,
dass das Museum in Gundelsheim bleibt. Fachleute sagen
– das lässt sich erhärten –, dass angesichts der Verkehrs-
lage und der Aufmerksamkeit, die vor Ort unter Einbezie-
hung der anderen Einrichtungen, auf die Sie in Ihrer Frage
auch abheben, besteht, die Möglichkeiten ausgeschöpft
sind. Wenn das so ist, dann muss der Bund seine Förde-
rung herunterfahren. Langfristig sehe ich keine Perspek-
tive mehr für die Förderung durch den Bund.
Die andere Möglichkeit ist – das war die bisherige
Linie meiner Behörde –, dieses Museum nach Ulm zu ver-
lagern, in der Hoffnung – auch das Donauschwäbische
Zentralmuseum ist dort; das Museum ließe sich in dessen
Nähe ansiedeln –, dass wir dort höhere Besucherzahlen
und die nötige Aufmerksamkeit gewinnen.
Nun gibt es das ernst zu nehmende Gegenargument
– das sprechen Sie in Ihrer Frage an –, dass man dadurch
den Zusammenhang auflöst, der zwischen dem Sieben-
bürgischen Museum, dem Siebenbürgischen Archiv, der
Siebenbürgischen Bibliothek und dem Siebenbürgen-
Institut in Gundelsheim besteht. Ich sage ganz deutlich:
Gegen den Willen der Repräsentanten derjenigen, für die
wir bereit sind, zusätzliche Millionenbeträge einzusetzen
– damit komme ich gleich zur Beantwortung Ihrer zwei-
ten Frage; es handelt sich geschätzt um circa 9 Mil-
lionen DM –, tun wir das nicht.
Deswegen sind wir heute so verblieben, dass in sehr
kurzer Frist der Versuch unternommen wird, eine Verla-
gerung all dieser Einrichtungen von Gundelsheim nach
Ulm zu prüfen. In diesem Fall müssen auch Baden-Würt-
temberg und Nordrhein-Westfalen mitspielen, weil der
Bund Träger nur des Museums ist. Die anderen Einrich-
tungen liegen nicht in unserer Verantwortung. Wenn zu er-
warten ist, dass auch die anderen Einrichtungen verlagert
werden, wären Herr Dr. Machat und die anderen Betrof-
fenen bereit, vorab der Verlagerung des Museums zuzu-
stimmen. Wenn es nicht möglich ist, den Zusammenhang
der Einrichtungen an einem neuen Ort sicherzustellen,
soll das Museum auf Wunsch derjenigen, die dort die Ver-
antwortung tragen, insbesondere auf Wunsch des Träger-
vereins – das ist also nicht mein Vorschlag –, in Gundels-
heim bleiben, was allerdings bedeutet, dass der Bund
nicht mehr in der alten Höhe fördern können wird.
Einen Satz noch, weil Sie die Maßnahme im Jahr 1997
angesprochen haben. Dies war übrigens nicht nur vor mei-
ner Zeit, sondern lag sogar noch in der Verantwortung der
früheren Bundesregierung. Es handelte sich dabei nicht
um Bauinvestitionen, sondern um Investitionen in eine
verbesserte Präsentation der Ausstellung. Das sind summa
summarum keine verlorenen Mittel. Nun kann man kri-
tisch fragen, ob man angesichts der stagnierenden, ja so-
gar zurückgehenden Besucherzahlen 1997 mit einer doch
relativ großen Investition nicht hätte vorsichtiger sein
müssen. Aber: Tempi passati. Insgesamt lässt sich das
auch am neuen Ort sinnvoll nutzen.
Zusatzfrage,
Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatsminister,
zunächst einmal bin ich froh darüber, dass meine beiden
Fragen zur heutigen Fragestunde zu dem sicherlich nicht
zufällig für heute anberaumten Gespräch geführt haben
und damit alle Beteiligten an einen Tisch gebracht wur-
den. Kann man dann, wenn, wie Sie sagen, auch die an-
deren Beteiligten, nämlich das Land Baden-Württemberg
und das Land Nordrhein-Westfalen, mit der Verlagerung
aller Einrichtungen von Gundelsheim nach Ulm einver-
standen sind, davon ausgehen, dass das von der Bundes-
regierung entsprechend finanziell begleitet würde – es
geht um mehr als nur um die Verlagerung des Museums –,
und konnten Sie heute auch die Zustimmung der Reprä-
sentanten der Siebenbürger Sachsen dafür erreichen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Position der Siebenbürger Sachsen warganz klar: Sie kämpfen nicht für den Standort Gundels-heim, sondern für den Zusammenhang. Das heißt: Wenndie Rahmenbedingungen in Ulm besser sind und wennsich in Ulm der gleiche Zusammenhang herstellen lässt,dann sind sie für die Verlagerung.Ich habe allerdings auch deutlich gemacht – damit binich beim ersten Teil Ihrer Zusatzfrage –, dass der Bund zu-sätzliche Aufgaben nicht schultern kann. Wie gesagt: Essind geschätzt insgesamt 9 Millionen DM, die die Verla-gerung nur des Museums kosten würde. Schon das istschwer zu bewältigen, aber es ist zu bewältigen. WeitereLasten könnten wir nicht auf uns nehmen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 200221516
Weitere Zu-
satzfrage.
Wird denn der Bund,
das heißt Ihr Haus, im Hinblick auf eine mögliche Verla-
gerung aller dieser Einrichtungen nach Ulm auch Kon-
takte aufnehmen und entsprechende Verhandlungen mit
den beteiligten Bundesländern führen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind so verblieben, dass die Initiative jetzt
beim Trägerverein bzw. bei den Siebenbürger Sachsen
liegt, aber wir sehr konstruktiv daran mitwirken. Wir ge-
hen jetzt davon aus, dass wir einen gemeinsamen Termin
mit Beteiligung von Vertretern Baden-Württembergs,
Nordrhein-Westfalens, des Bundes sowie des Bundesver-
bands, des Trägervereins und Repräsentanten der Einrich-
tungen, um die es hier geht, vereinbaren.
Bitte.
Herr Staatsminister,
ich darf noch einmal auf mögliche finanzielle Aspekte
dieser Verlagerung zu sprechen kommen. Die neu errich-
tete Kulturstiftung des Bundes – darüber haben wir uns
einmal im Rahmen einer Regierungsbefragung unterhal-
ten – wurde vonseiten der Bundesregierung damit be-
gründet, dass man einer alten Idee des damaligen Bun-
deskanzlers Willy Brandt nachgekommen sei, eine
zentrale Einrichtung auch für die Repräsentanz des geis-
tig-kulturellen Erbes des früheren deutschen Ostens zu
schaffen. Könnte von diesem Stiftungsgedanken her,
wenn die Verlagerung nach Ulm unter Zustimmung aller
Beteiligten zustande kommt, auch eine Unterstützung
hierfür geleistet werden?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Manche Kritiker, auch aus den Reihen Ihrer
Partei, haben immer wieder die zu geringe finanzielle
Ausstattung der Kulturstiftung des Bundes betont. Wir ha-
ben dafür im Haushalt 2002 25 Millionen DM
– ich sage es einmal altmodisch, weil dann die Zahlen
rund sind – eingestellt und mit einer Verpflichtungs-
ermächtigung einen Aufwuchs auf 75 Millionen DM bis
2004 erreicht. Dennoch würden diese Stiftungsmittel – es
soll eine Kulturstiftung sein, die für den Bund kulturelle
Akzente setzt und damit ein breites Aufgabenfeld wahr-
nehmen soll –, die jährlich zur Verfügung stehen – es ist
kein Kapital –, sehr rasch verplant sein. Die spezifische
Rolle der Stiftung, wie wir sie ihr zugedacht haben, näm-
lich – ich bleibe bei einem Bild aus dem Bereich des Fuß-
balls – als Libero zu wirken, einzelne Projekte zu fördern
und es dann wieder sein Bewenden sein zu lassen, wäre
dann nicht mehr möglich.
Das heißt, eine institutionelle Förderung der Kultur-
stiftung des Bundes in diesem Bereich kommt nicht in-
frage, was aber nicht ausschließt, dass wir einzelne und
befristete Projekte – dabei geht es um die Beziehungen
zwischen Deutschland und Rumänien; das ist angesichts
der Tatsache, dass sich Europa nach Osten öffnet und zu-
nehmend die Konturen des alten historischen Europas an-
nimmt, ein sehr wichtiges Feld – in diesem Bereich för-
dern. Dies kann auch in Kooperation mit den dortigen
Einrichtungen geschehen.
Ich darf noch einmal
darauf zurückkommen, Herr Staatsminister, was passie-
ren wird, wenn sich die Lösung der Verlagerung nicht ein-
vernehmlich mit allen Beteiligten realisieren lässt und
man am Standort Gundelsheim festhalten muss. Es gibt
nicht nur in diesem spezifischen Bereich der Kulturszene
im Zusammenhang mit § 96 des Bundesvertriebenen-
gesetzes, sondern generell in Deutschland erfolgreiche
Konzeptionen, dass man Kultureinrichtungen gerade im
musealen Bereich an dezentralen Standorten durch ein
entsprechendes Marketing auch in Zusammenarbeit mit
der regionalen und lokalen Kulturszene so aufwerten
kann, dass sich entsprechende Besuchererfolge einstellen.
Das gibt es auch im Zusammenhang mit dem § 96 des
Bundesvertriebenengesetzes. Ich denke an die Einrich-
tungen in Königswinter-Heisterbacherrott mit entspre-
chenden Besucherzahlen, aber auch im allgemeinen
Kulturbereich ist so etwas möglich.
In Ihrer Antwort hat mich der Automatismus ein wenig
erschreckt: Wenn das nicht zustande kommt, dann müssen
wir unsere Förderung kontinuierlich reduzieren. Dazu
habe ich die Frage, ob die Bundesregierung dann nicht be-
reit wäre, erfolgreiche Konzeptionen, die zu entsprechen-
den Besucherzahlen und zur Erhöhung der Besucherzah-
len an anderen Orten geführt haben, auf den Standort
Gundelsheim anzuwenden und ein Stück zu fördern.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Einschätzung der Fachleute – ich bin keinMuseumsorganisator –, auch von Frau Dr. Wild, die andem heutigen Gespräch teilgenommen hat, und des eige-nen Referates, ist, dass sich an diesem Ort kein Potenzialdieser Art ergeben wird. Hier sind alle Möglichkeiten aus-gereizt. Frau Dr. Wild hat dargestellt, was das Museumauch in Kooperation mit der Gemeinde schon unternom-men hat. Die Besucherstatistik ist – das muss ich deutlichsagen – deprimierend. Wenn der Bund nicht geförderthätte, wäre sie wahrscheinlich nicht anders ausgefallen.Der Rückgang mag mit dem Rückgang der so genann-ten Erlebnisgeneration zusammenhängen. Andererseitshaben wir aus Rumänien Zuwanderung, die zum Teil ausdem kulturellen Umfeld der Siebenbürger Sachsen kommt.Nach Einschätzung der Fachleute sollte man sich keineIllusionen machen. In Gundelsheim wird es nicht gelin-gen, die Besucherzahlen auf das Niveau zu bringen, dasnotwendig ist, um eine Förderung von rund 1 Million DMpro Jahr zu rechtfertigen.Nun kann man kritisch fragen: Warum kommen wirerst nach zehn Jahren zu dieser Erkenntnis? Für das letzteJahr übernehme ich eine Mitverantwortung. Aber ichdenke, wir sollten nicht noch weitere Versuche starten, diezusätzliche Steuergelder in Anspruch nehmen und die Si-tuation nicht verbessern werden. Das Museum ist nachübereinstimmender Einschätzung aller – das sollte man
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002 21517
ausdrücklich sagen – in einer guten Verfassung, sowohlbei der Präsentation als auch bei der Organisation.
Eine Zu-
satzfrage des Kollege Peter Hintze.
Herr Staatsminister, ich
habe – zugegebenermaßen mit leichtem Erschrecken –
verfolgt, dass Sie hier dem Haus dargelegt haben, dass Sie
die Förderung des kulturellen Erbes Europas, was die
Subventionierung durch die Bundesregierung angeht, an
Besucherzahlen binden, und das, obwohl Sie dem Mu-
seum ausdrücklich bescheinigen, dass es eine sehr gute
Arbeit leistet. Mich erschüttert dieser kulturpolitische An-
satz. Wie viele Besucher erwartet denn die Bundesregie-
rung, um dieses wichtige kulturelle Erbe Europas zu er-
halten?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Hintze, Sie sind da erschrocken, aber Sie
sollten da nicht erschrocken sein. Ich war zuvor Kulturre-
ferent in einer Stadt, in einer Kommune. Wenn wir dort
zum Beispiel Auslastungen von Theatern hätten, wie sie
in manchen anderen Städten gelegentlich als ganz akzep-
tabel angesehen werden, dann hätten wir dort ein ähn-
liches Desaster in der Kulturpolitik wie in manchen ande-
ren Städten in Deutschland. Ich habe das nie zugelassen.
Wenn die Besucherzahlen in einer Einrichtung dramatisch
zurückgehen, dann kann nicht gelten, was ein kluger
Theaterkritiker einmal geschrieben hat: Leeres Theater,
gutes Theater. – Dann ist es vielmehr ein schlechtes Thea-
ter. Das Theater muss bei denjenigen ankommen, für die
wir die Steuergelder zur Verfügung stellen.
In diesem Fall bewegen wir uns in einer Größenord-
nung von etwa 250 DM pro Besucherin oder Besucher.
Das ist für ein Museum generell zu viel. Eine solche
ungünstige Zahl wird es in Deutschland kaum noch ein-
mal geben. Das ist nicht nur meine Einschätzung, sondern
auch die Einschätzung des Bundesrechnungshofes. Wir
sollten nicht gegen ausdrückliche Stellungnahmen des
Bundesrechnungshofes verstoßen, ohne sehr gute Gründe
zu haben.
Dass das zu viel ist, liegt jedenfalls auf der Hand. Ande-
rerseits ist das Museum in seiner jetzigen Form und Struk-
tur auf diese Förderung angewiesen.
Für mich war in dem Gespräch heute interessant, dass
die Vertreter des Trägervereins und des Bundesverbandes
ohne dieses Erschrecken, das ich erst einmal nachvollzie-
hen kann, gesagt haben: Das können wir uns schon vor-
stellen. – Dieses Museum hat auch vor Beginn der Be-
zuschussung durch den Bund gut gearbeitet. Es hatte
einen anderen Charakter.
Aber das ist alles Zukunftsmusik. Wir müssen uns
natürlich einen Weg überlegen, bei dem diese Einrichtung
nicht beschädigt wird. Sie soll ja fortbestehen. Aber sie
kann nicht mit dieser Erwartung belastet werden, die wir
jetzt haben.
Ich danke
Ihnen, Herr Staatsminister.
Die Fragen der Kollegen Eckart von Klaeden und
Hans-Peter Friedrich zur Tätigkeit des Bundeskanzler-
amtes im Zusammenhang mit den Vermittlungsstatistiken
der Bundesanstalt für Arbeit werden durch Herrn Staats-
minister Hans Martin Bury beantwortet.
Zunächst geht es um die Frage 9 des Kollegen von
Klaeden:
Welche Stelle im Bundeskanzleramt hat Anfang Januar 2002
das vom Abgeordnetenbüro des Staatsministers beim Bundes-
kanzler, Hans Martin Bury, weitergeleitete Schreiben eines Revi-
sors der Bundesanstalt für Arbeit über geschönte Vermitt-
lungsstatistiken zur weiteren Bearbeitung erhalten, und was ist
dort angesichts der Schwere der in dem Schreiben erhobenen Vor-
würfe im Einzelnen unternommen worden?
H
Herr Kollege von Klaeden, das Schreiben des Con-
trollers der Bundesanstalt für Arbeit ging am 3. Januar
dieses Jahres in meinem Berliner Abgeordnetenbüro ein
und wurde von dort unmittelbar an die zuständige Fachab-
teilung im Bundeskanzleramt – das ist die Abteilung 3 –
weitergeleitet. Dort war bereits nach Veröffentlichung des
„Stern“-Artikels vom 6. Dezember 2001 über Missstände
bei der Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit
beim zuständigen Bundesministerium für Arbeit und So-
zialordnung eine Stellungnahme angefordert worden.
Das Schreiben des Controllers war allgemein gehalten
und nahm ausdrücklich auf den genannten „Stern“-Arti-
kel Bezug. Nach einem Telefonat mit einem Sachbearbei-
ter in meinem Berliner Abgeordnetenbüro konkretisierte
der Controller der Bundesanstalt für Arbeit am 9. und am
17. Januar in zwei E-Mails an mein Berliner Abgeordne-
tenbüro die Vorwürfe. Die E-Mails wurden ebenfalls an
die Fachabteilung im Bundeskanzleramt weitergeleitet.
Angesichts der Schwere der Vorwürfe war eine sorg-
fältige Prüfung und Bewertung ihrer Substanz erforder-
lich. Eine Weiterleitung des Schreibens bzw. der E-Mails
des BA-Controllers an das BMA oder die Bundesanstalt
war dabei ausgeschlossen, weil er „inständig“ um Ver-
traulichkeit insbesondere gegenüber dem Bundesministe-
rium für Arbeit und Sozialordnung gebeten hatte.
Am 24. Januar 2002 wandte sich der Controller dann
entgegen seiner ursprünglichen Absicht parallel auch an
das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Er
befürchtete eigenen Ausführungen zufolge, dass die
inzwischen vom Bundesrechnungshof in Stichproben er-
mittelten Prüfungsergebnisse über fehlerhafte Statistiken
bei der Arbeitsvermittlung innerhalb der Bundesanstalt
für Arbeit nicht aufgeklärt würden, sondern dass dort
„weiter vertuscht und verzögert“ werden solle.
Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin21518
Herr Staatsminis-
ter, ist der Bericht des „Stern“ zutreffend, dass im Kanz-
leramt erwogen wurde, den Chef des Kanzleramtes, Herrn
Steinmeier – wie der „Stern“ schreibt, „Schröders besten
Mann“ –, zum Aufräumen nach Nürnberg zu schicken? Ist
damit nicht ein gewisses Unwerturteil gegenüber der Ar-
beit des Bundesarbeitsministeriums verbunden?
H
Der Bericht des „Stern“ ist in diesem Punkte nicht zu-
treffend. Insofern kann auch nicht davon die Rede sein,
dass hier ein negatives Urteil über das BMAgefällt würde.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatsminis-
ter, ist Ihnen bekannt, dass der Vorabbericht des Bun-
desrechnungshofes, der unter anderem zu den Rück-
trittsforderungen gegen Herrn Jagoda geführt hat, von
Mitarbeitern des Bundesarbeitsministeriums an Journa-
listen weitergegeben worden sein soll? Wenn Ihnen das
nicht bekannt ist, darf ich Sie darum bitten, diesem Vor-
gang nachzugehen und mich darüber zu unterrichten, weil
er für die Frage des Umgangs mit solchen Vorgängen und
die Frage, wie man mit dem Präsidenten der Bundesan-
stalt für Arbeit umgeht, nicht ohne Relevanz ist.
H
Da mir nicht bekannt ist, durch wen und auf welchem
Wege der genannte Bericht an die Presse weitergegeben
wurde, vermag ich den Vorgang auch nicht zu bewerten.
– Gerne.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Friedrich.
Herr
Staatsminister, können Sie sagen, wann das Bundeskanz-
leramt oder das BMA die Presse zum ersten Mal über die
gesamten Vorgänge informiert hat? Zunächst wurde eine
Stellungnahme angefordert, dann wurden im Januar Ge-
spräche geführt. Wann haben Sie die Presse zum ersten
Mal offiziell informiert?
H
Die Information der Presse erfolgte nach meiner
Kenntnis durch das Bundesarbeitsministerium und durch
den Regierungssprecher in der Regierungspressekonfe-
renz. Die exakten Daten habe ich nicht hier.
Ich rufe nun
die Frage 10 des Abgeordneten Hans-Peter Friedrich auf:
Was hat das Bundeskanzleramt dem Revisor der BAauf dessen
Schreiben an den Staatsminister beim Bundeskanzler, Hans Martin
Bury, geantwortet und wie erklärt sich die Bundesregierung ange-
sichts ihrer Antwort, dass der BA-Revisor sich gezwungen sah, sich
mit Schreiben vom 24. Januar 2002 an den Bundesminister für Ar-
beit und Sozialordnung, Walter Riester, persönlich zu wenden, da
er seine Erkenntnisse vom Bundeskanzleramt nicht ernst genom-
men sah und
er sich in der augenblicklichen Situation nicht mehr anders zu hel-
fen wusste ?
H
Herr Kollege Friedrich, wie bereits in meiner Antwort
auf die Frage des Kollegen von Klaeden ausgeführt, dau-
erte die Prüfung noch an, als sich der Controller am 24. Ja-
nuar 2002 entgegen seiner ursprünglichen Absicht pa-
rallel auch an das Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung wandte. Wie gesagt, befürchtete er eigenen
Ausführungen zufolge, dass die inzwischen vom Bundes-
rechnungshof berichteten Prüfungsergebnisse über feh-
lerhafte Statistiken bei der Arbeitsvermittlung innerhalb
der Bundesanstalt für Arbeit nicht aufgeklärt würden, son-
dern dass dort „weiter vertuscht und verzögert werden“
solle.
Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, gab es vor dem „Stern“-Artikel im De-
zember im Kanzleramt schon irgendwelche Hinweise da-
rauf, dass es bei der Statistik oder der Arbeitsvermittlung
möglicherweise zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist?
In der Presse ist zum Beispiel von einem Bericht vom Mai
2000 die Rede. War zu diesem Zeitpunkt schon etwas be-
kannt? Haben Sie Bürgerbriefe bekommen? Haben Sie
schon vorher Briefe von Revisoren bekommen?
H
Der von Ihnen angesprochene Bericht ist mir persön-
lich nicht bekannt. Der „Stern“-Artikel im Dezember be-
zog sich im Wesentlichen auf Ineffizienzen bei der
Arbeitsvermittlung. Dies war Anlass, eine entsprechende
Stellungnahme anzufordern, um über mögliche Konse-
quenzen beraten zu können.
Dazu eine
Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden und dann des Kol-
legen Dr. Grehn.
Herr Staatsminis-
ter, meine Frage zielt darauf ab, ab wann der Bundesre-
gierung die Missstände tatsächlich bekannt waren. Heute
wird der Bundesarbeitsminister von „dpa“ wie folgt zi-
tiert:
Die Missstände in der Arbeitsverwaltung bestünden
seit mehr als zehn Jahren. Er selbst habe sofort rea-
giert.
Welche Reaktionen des Bundesarbeitsministers seit sei-
nem Amtsantritt sind dem Bundeskanzleramt bekannt?
H
Richtig ist, dass der Bundesarbeitsminister unmittelbar,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002 21519
nachdem der Bundesrechnungshof in seiner Überprüfungzu dem Ergebnis kam,
dass Manipulationen der Vermittlungsstatistik vorlagen,und nachdem diese Feststellung durch Schreiben einesControllers der Bundesanstalt für Arbeit erhärtet wurde,tätig geworden ist und eine umfassende Aufklärung sowiezu ziehende Konsequenzen vorangetrieben hat. Dassdiese Missstände schon seit längerer Zeit bestehen und of-fenkundig bis in die Verantwortung früherer Bundesre-gierungen zurückreichen, haben sowohl die Prüfung undBewertung des Rechnungshofes als auch die nachfol-gende Aufklärung des Sachverhaltes deutlich ergeben.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Dr. Grehn.
Herr Staatsminister, ich habe
nur eine relativ kurze Frage. Liegen Ihnen in der Zwi-
schenzeit, bis sich der Schreiber des an das Bundeskanz-
leramt gerichteten Briefes an das Bundesministerium für
Arbeit und Sozialordnung gewandt hat, Ergebnisse eige-
ner Untersuchungen vor, die unabhängig von dem sind,
was der Bundesrechnungshof vorgelegt hat und was zwi-
schenzeitlich aus den eigenen Untersuchungen des BMA
bekannt ist?
H
Der Bundesarbeitsminister hat auf der Basis der Prü-
fungsergebnisse des Bundesrechnungshofes und der In-
formationen des Controllers der Bundesanstalt für Arbeit
selbstverständlich weiter gehende Untersuchungen ange-
ordnet; diese Untersuchungen laufen und bestätigen im
Kern die Vorwürfe des Controllers und die Ergebnisse der
Stichprobenüberprüfung des Bundesrechnungshofes.
Ich danke
Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen. Die Fragen werden durch Frau Par-
lamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks be-
antwortet.
Die Fragen 11, 12 und 13 der Kollegen von Klaeden
und Austermann werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Ursula Heinen auf:
Hält der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das in
Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1466/97 des Rates vom
7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwa-
chung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschafts-
politiken vorgesehene Verfahren der Frühwarnung entgegen dem
Wortlaut für eine Ermessensvorschrift, und wenn ja, was sind die
Gründe für diese Auffassung?
D
Frau Kollegin Heinen,
Kommission und Rat verfügen bei der Feststellung einer
erheblichen Abweichung der Haushaltslage vom mittel-
fristigen Haushaltsziel oder vom entsprechenden Anpas-
sungspfad im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Verordnung
Nr. 1466/97 über einen Beurteilungsspielraum. Nach der
Konzeption der genannten Verordnung, die auf die wirt-
schaftspolitische Grundsatzbestimmung des Art. 99 EG-
Vertrag gestützt ist, beinhaltet diese Feststellung in erster
Linie eine Bewertung der Wirtschaftspolitik des betref-
fenden Mitgliedstaates. Es kommt darauf an, in welchem
Maße der Mitgliedstaat seine im Stabilitätsprogramm an-
gekündigte und vom Rat gebilligte Politik realisiert hat
und inwieweit externe Faktoren zu der entstandenen Ab-
weichung beigetragen haben.
Der Rat konnte im vorliegenden Fall davon ausgehen,
dass den Anforderungen des Stabilitätspaktes durch Bun-
desfinanzminister Eichel Rechnung getragen wird, ohne
dass es hierzu einer Empfehlung bedurfte.
Zurück zu meiner Frage:
In dem besagten Art. 6 heißt es:
Stellt der Rat ein erhebliches Abweichen der Haus-
haltslage von dem mittelfristigen Haushaltsziel oder
vom entsprechenden Anpassungspfad fest, so richte
er als frühzeitige Warnung vor dem Entstehen eines
übermäßigen Defizits gemäß Art. 103 Abs. 4 eine
Empfehlung an den betreffenden Mitgliedstaat, die
notwendigen Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen.
Halten Sie dies für eine Ermessensvorschrift oder für
eine tatsächlich bindende Vorschrift?
D
Das Bundesfinanzministe-
rium und die Kommission waren sich völlig einig darüber,
dass im Falle Deutschlands keine rechtliche Notwendig-
keit bestand, eine Frühwarnung auszusprechen. Dies hat
Kommissar Solbes in einem Schreiben an Minister Eichel
vom 29. Januar 2002 noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Insofern beziehe ich mich auf meine Ihnen soeben gege-
bene Antwort: Es besteht ein Beurteilungsspielraum. Es
geht hierbei weniger um die bloßen Zahlen und darum, ob
man mit einem Defizit von 2,5 Prozent oder 2,6 Prozent
relativ nah am Kriterium von 3 Prozent angelangt ist; viel-
mehr soll die frühzeitige Warnung – das ist ihr Ziel, wenn
sie denn sinnvoll sein soll – gleichsam die Politik beurtei-
len, also die Frage beantworten, ob gute oder schlechte
Politik gemacht wird. Eine frühzeitige Warnung hat nur
dann Sinn, wenn zugleich eine Änderung der Politik an-
gemahnt würde. Dies war niemals Gegenstand des ent-
sprechenden Entwurfs der Europäischen Kommission.
Der Bundesregierung wurde im Gegenteil in dem von der
Kommission verfassten Entwurf bestätigt, dass gegen ihre
Politik keine Einwendungen bestehen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Peter Hintze.
Frau Staatssekretärin, Sieführten eben aus, dass es doch eine Art von Ermessen gibt,obwohl das im Widerspruch zum Text steht, und legten alsBeweis für Ihre Aussage dar, dass eine Politikänderung
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Staatsminister Hans Martin Bury21520
nicht erforderlich und die Bundesregierung deswegen aufdem richtigen Pfad sei.Sind demnach alle Berichte, die die Bundesregierung– auch in den Ausschüssen – abgegeben hat, nachdem zurErreichung des angestrebten Ziels, im Jahre 2004 entwe-der keine Neuverschuldung zu erreichen oder jedenfallsnahe an eine Null-Neuverschuldung heranzukommen, zu-sätzliche Sparanstrengungen unternommen werden,falsch?D
Nein, Herr Kollege Hintze.
Sie müssen differenzieren. Die ins Auge gefasste frühzei-
tige Warnung bezog sich auf das schon abgelaufene
Jahr 2001 und auf das Jahr 2002. Sie bezog sich nicht auf
die Folgejahre, auf 2003 und folgende, sondern auf das
aktuelle Haushaltsjahr, in dem eine frühzeitige Warnung
hätte ausgesprochen werden können, aber nicht ausge-
sprochen werden musste.
Das heißt, zur Erreichung des Ziels, im Jahre 2004 ei-
nen nahezu ausgeglichenen gesamstaatlichen Haushalt
von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversiche-
rungssystemen vorzulegen, sind in der Tat auf allen Ebe-
nen weitere politische Anstrengungen notwendig. Sie dür-
fen diesen Umstand aber nicht mit der frühzeitigen
Warnung, die sich auf das Jahr 2002 hätte beziehen sollen,
vermischen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Dr. Friedrich.
Frau
Staatssekretärin, Sie sagen, mit diesem Schreiben aus
Brüssel sei eine Bewertung der Politik – gute oder
schlechte Politik – verbunden. Sie sagen, im Entwurf sei
der Bundesregierung bestätigt worden, es sei eine gute
Politik gemacht worden. Warum wollte dann der Bundes-
kanzler dieses Lob aus Brüssel nicht entgegennehmen?
D
Der Bundeskanzler hat
sich nicht etwa dagegen gewehrt. Das Lob aus Brüssel ist
auch so öffentlich bekannt geworden. In der Tat ist der
Bundesregierung bestätigt worden, dass sie eine ordentli-
che Haushalts- und Finanzpolitik macht. Das bestätigen
auch die Daten.
Ich rufe die
Frage 15 der Kollegin Ursula Heinen auf:
Gibt es Bestrebungen seitens des Bundesministers der Finan-
zen, Hans Eichel, das Kriterium von höchstens 3 Prozent für das
öffentliche Haushaltsdefizit neu zu definieren und konjunkturelle
Einflüsse dabei herauszurechnen?
D
Frau Kollegin Heinen, eine
Änderung des Stabilitätspakts steht aus Sicht der Bundes-
regierung nicht zur Debatte. Die 3-Prozent-Defizitgrenze
hat natürlich weiter Bestand. Auf europäischer Ebene ist
es überdies gerade die Bundesregierung, die aufgrund der
methodischen Probleme des strukturellen Defizits stets
die Bedeutung des nominalen Defizits hervorhebt. Das
nominale Defizit muss auch in Zukunft im Mittelpunkt
der Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme stehen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
wenn dem so ist, wie Sie gerade gesagt haben, dass es
nämlich bei den Zielen bleibt, warum haben Sie dann sol-
che Mühen auf sich genommen, zu verhindern, dass die
Kommission eine entsprechende frühzeitige Warnung
nach Art. 6 erteilt? Das bedeutet doch im Grunde, dass Sie
das 3-Prozent-Kriterium und das, was damit verbunden
ist, nicht interessiert.
D
Wir haben keine Bemühun-
gen auf uns genommen, um zu verhindern, dass eine früh-
zeitige Warnung ausgesprochen wird.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Wie bewerten Sie das
Verhalten des Bundeskanzlers und des Finanzministers
im Ecofin-Rat der vergangenen Woche? Das war doch ein
klares Bemühen, eben diese Warnung zu verhindern.
D
Nein, Frau Kollegin
Heinen, dies war eine Zusage, die sich auf das Jahr 2004,
also auf die Zukunft, bezog. Ich darf Sie noch einmal da-
rauf hinweisen, dass sich das ins Auge gefasste „early
warning“ auf das laufende Haushaltsjahr bezogen hätte.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Lennartz.
Frau Staatssekretärin, die
Bemühungen des Finanzministers sind darauf gerichtet,
die Nettoverschuldung des Staates zu reduzieren. Könn-
ten Sie uns heute kundtun, ob die Bemühungen der vor-
herigen Regierung genauso intensiv waren wie die
Bemühungen von Herrn Eichel?
D
Herr Kollege Lennartz, imVerein der europäischen Mitgliedstaaten wird es Deutsch-land – mit allen Anstrengungen als Gesamtstaat – wie auchFrankreich erst im Jahre 2004 gelingen, einen nahezuausgeglichenen Haushalt vorzulegen. In allen anderen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Peter Hintze21521
Ländern ist dies schon jetzt der Fall oder wird vor 2004der Fall sein.Das heißt, die Bundesregierung hat völlig zu Recht denStabilitäts- und Wachstumspakt in Brüssel vorangetriebenund erreicht, dass im Zusammenhang mit der Einführungdes Euro dieser Pakt geschlossen worden ist. Allerdingssind in der Tat im Gesamtstaat ab dem Jahr 1996 Ver-säumnisse zu beobachten. Ich möchte dabei nicht auf ein-zelne Ebenen des Gesamtstaates abheben. Aber wenn derGesamtstaat – also Bund, Länder, Gemeinden und Sozial-versicherungssysteme – schon im Jahre 1996 echte An-strengungen in dieser Hinsicht unternommen hätte, dannhätten wir die Hälfte der Wegstrecke schon längst hinteruns gelassen. So aber haben wir einen großen Teil derWegstrecke noch vor uns.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Peter Hintze.
Frau Staatssekretärin, habe
ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie vor diesem Hause
erklärt haben, niemand in der Bundesregierung – weder
der Finanzminister noch der Kanzler oder der Außenmi-
nister – habe einen Versuch unternommen, einen in Brüs-
sel geplanten blauen Brief zu verhindern?
D
Der Bundesfinanzminister
hat mit Kommissar Solbes darüber korrespondiert und
ihm angeboten – ich kann den Brief nicht genau zitieren
und habe auch im Moment das Datum des Briefs nicht im
Kopf; das wäre aber nachzuholen –, gemeinsam die Linie
festzulegen, wie es weiter vorangehen soll. Im Ergebnis
ist dies durch den Ecofin genau so geschehen, indem sich
die Bundesrepublik für die Zukunft verpflichtet hat, ge-
eigente Maßnahmen einzuleiten. Das ist übrigens nicht
neu, sondern ist schon Gegenstand unserer Meldung zum
Stabilitätspakt vom Dezember 2000 gewesen. In der Mel-
dung zum Stabilitätspakt zum Jahre 2001 hatten wir we-
gen der zurückgehenden Konjunktur ein anderes Szenario
dargelegt. Aber schon in der Meldung zum Stabilitätspakt
vom Dezember 2000 hatten wir einen ausgeglichenen
– nicht nur einen nahezu ausgeglichenen – gesamtstaatli-
chen Haushalt für das Jahr 2004 und einen ausgegliche-
nen Bundeshaushalt für das Jahr 2006 angekündigt.
In der Meldung des vergangenen Jahres haben wir, wie
gesagt, wegen der nicht günstigen Konjunktur ein anderes
Szenario vorgelegt. Dieses Szenario wollten die europä-
ischen Mitgliedstaaten in der Tat nicht akzeptieren, son-
dern sie wollten, dass wir genau wie Frankreich im
Jahr 2004 einen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorle-
gen, allerdings auch unter Berücksichtigung der konjunk-
turellen Entwicklung, also der Wachstumsentwicklung.
Eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Frau Staatssekre-
tärin, hat es die Bemühungen zur Verhinderung des blauen
Briefes vonseiten der Bundesregierung gegeben, ja oder
nein?
D
Es hat selbstverständlich
Gespräche gegeben. Selbstverständlich telefoniert der
Bundesminister der Finanzen mit seinen Kollegen.
Selbstverständlich hat es auch Gespräche mit Kommissar
Solbes gegeben. Diese Gespräche sind sehr häufig telefo-
nischer Art; im Übrigen handelt es sich um persönliche
Gespräche. Diese kann ich nicht beurteilen.
Aber der Bundesminister der Finanzen hat bekanntlich
schon öffentlich erklärt, dass er gegen ein so genanntes
„early warning“ nichts einzuwenden habe, da er wisse,
dass damit seine Politik gestützt werde. Das können Sie in
öffentlichen Quellen nachlesen.
Die Fragen
16 und 17 des Kollegen Bartholomäus Kalb und die Fra-
gen 18 und 19 des Kollegen Hans Jochen Henke werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe daher jetzt die Frage 20 des Kollegen Peter
Hintze auf:
Was bewog den Bundeskanzler, Gerhard Schröder, den Bun-
desminister der Finanzen, Hans Eichel, anzuweisen, Einfluss auf
die anderen Mitgliedstaaten im Rat zu nehmen und einen blauen
Brief an die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern?
D
Eine Einflussnahme
vonseiten des Bundesministers der Finanzen Hans Eichel
auf die anderen Mitgliedstaaten im Rat mit dem Ziel,
einen blauen Brief an die Bundesrepublik Deutschland zu
verhindern, hat es nicht gegeben. Es gab auch keine
entsprechende Anweisung des Bundeskanzlers Gerhard
Schröder.
Eine Zu-
satzfrage.
Wie bewertet die Bundes-
regierung die Stellungnahme des Kommissionspräsiden-
ten Prodi zu der Kritik des Bundeskanzlers an der Kom-
mission in dieser Frage?
D
Ich bitte um Entschuldi-gung, aber die Stellungnahme von Herrn Prodi ist mirnicht bekannt. Deswegen kann ich jetzt keine Bewertungdazu abgeben. Vielleicht könnten Sie sie wiederholen;aber dann wäre es möglicherweise aus dem Stand heraustrotzdem schwierig, eine Stellungnahme dazu abzugeben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks21522
– Ich bin dazu bereit, aber Sie müssten wenigstens dieStellungnahme zitieren. Da ich sie nicht kenne, kann ichsie schließlich nicht bewerten.
Nach dem, was wir eben
erlebt haben, möchte ich die Staatssekretärin lieber nicht
in Bedrängnis bringen.
Herr Kol-
lege Hintze, haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ich warte die Beantwor-
tung meiner zweiten Frage ab.
Dann rufe
ich die Frage 21 auf:
Sieht der Bundeskanzler, Gerhard Schröder, in der Zukunft an-
gesichts des deutschen Präzedenzfalles überhaupt noch die Mög-
lichkeit, dass an irgendeinen Mitgliedstaat ein blauer Brief ver-
schickt werden kann?
D
Das Ergebnis der letzten
Sitzung des Ecofin-Rates stellt keinen „deutschen Präze-
denzfall“ dar, da es lediglich in Bezug auf das in diesem
konkreten Fall anzuwendende Verfahren unterschiedliche
Auffassungen zwischen Kommission und Rat gab.
Über die inhaltliche Bewertung des deutschen Stabi-
litätsprogramms waren sich Kommission und Rat einig.
Wenn es der Sache nach gerechtfertigt ist, wird es zukünf-
tig selbstverständlich so genannte blaue Briefe an die
betreffenden Mitgliedstaaten geben.
Eine Zu-
satzfrage.
Wie soll nach Auffassung
der Bundesregierung der Stabilitätspakt im zukünftigen
EU-Verfassungsvertrag verankert werden?
D
Selbstverständlich nach
den Regeln des Stabilitätspakts.
Das muss auch protokol-
liert werden. – Schönen Dank.
Die Fra-
ge 22 der Kollegin Gudrun Kopp wird ebenso schriftlich
beantwortet wie die Fragen 23 und 24 des Kollegen Hans-
Joachim Otto , die Frage 25 des Kollegen Ernst
Hinsken, die Frage 26 der Kollegin Dr. Elke Leonhard
und die Frage 27 des Kollegen Hans-Michael Goldmann.
Ich möchte nun die Fragen 28 und 29 des Kollegen
Dr. Norbert Röttgen aufrufen. – Ich sehe, dass er nicht
anwesend ist. Deshalb werden diese Fragen gemäß der
Geschäftsordnung nicht beantwortet, es sei denn, die Frau
Staatssekretärin ist bereit, Herrn Dr. Röttgen ihre vorbe-
reiteten Antworten schriftlich zur Verfügung zu stellen.
D
Herr Präsident, Sie müssen
entscheiden, ob ich die Fragen beantworten soll oder
nicht; denn eine Beantwortung der Fragen wäre ein Ver-
stoß gegen die Geschäftsordnung. Wenn Sie mich darum
bitten, dann tue ich es natürlich.
Das ist klar.
Ich habe ja gesagt, sie werden nicht beantwortet.
D
Wenn Sie mich bitten, dann
tue ich es trotzdem. Die Geschäftsordnung sieht eine Be-
antwortung der Fragen allerdings nicht vor. Darüber müs-
sen Sie und nicht ich entscheiden.
Sie begehen
keinen Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages und erhalten keine Rüge, wenn Sie so
freundlich wären, dem Kollegen Röttgen Ihre Antworten
zukommen zu lassen.
D
Das mache ich, Herr Präsi-
dent. – Danke schön.
Ich danke
Ihnen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Matthias Berninger zur Verfügung.
Die Frage 32 des Kollegen Ernst Hinsken wird schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Dr. Gerd Müller auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung im
Hinblick auf die Verbesserung der Einkommenssituation der
Grünlandbetriebe in benachteiligten Bergregionen aus den Er-
kenntnissen des jetzt abgeschlossenen Modellprojektes Allgäu?
Ma
Herr Präsident! Geschätzter Herr KollegeMüller, Ziel der Bundesinitiative „Modellprojekt Allgäu“war es, am Beispiel der Grünlandregion Allgäu modellhaft
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks21523
Wege aufzuzeigen, mit denen eine leistungsfähige bäuer-liche Landwirtschaft gestärkt und eine nachhaltige Ent-wicklung sichergestellt werden kann. Es ging darum, aufandere Regionen übertragbare Strategien zur Bewäl-tigung der strukturellen Probleme zu entwickeln, die sichaus den spezifischen Standortfaktoren der Grünlandre-gionen ergeben. Es hat sich im Rahmen der Auswertunggezeigt, dass die Bildung von Kooperationen zwischenlandwirtschaftlichen Betrieben insbesondere im Bereichder Mechanisierung ein erhebliches Potenzial zur Ein-kommensverbesserung darstellt. Um das an einem Bei-spiel deutlich zu machen: Es wurden 44 Kooperationenmit knapp 860 000 DM gefördert. Aus diesen Förder-mitteln konnte ein Investitionsvolumen von 5,9 Milli-onen DM realisiert werden.Ein anderer für uns sehr wichtiger Aspekt war die Stär-kung des ohnehin im Allgäu bereits praktizierten länd-lichen Tourismus. Hier sind eine ganze Reihe von Ideenentwickelt worden, die den im Tourismus tätigen undauch den neu einsteigenden landwirtschaftlichen Betrie-ben Möglichkeiten bieten bzw. ihnen zumindest dabeihelfen, ihre Einkommen dauerhaft zu sichern. Darüber hi-naus wurden Erfahrungen gesammelt, die auf andere Re-gionen sicherlich gewinnbringend übertragbar sind.Wir haben aus dem „Modellprojekt Allgäu“ eine ganzeReihe von Erkenntnissen gewonnen, die in die Initiativeder Bundesregierung „Regionen aktiv – Land gestaltetZukunft“ eingeflossen sind.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, in
der Vergangenheit ist bereits Kritik daran geäußert wor-
den, dass im Rahmen dieses Projektes 500 000 DM nur
für Agenturen ausgegeben worden sind. Meine Frage ist
– Sie haben schon auf Ergebnisse hingewiesen –: Welche
Maßnahmen wird die Bundesregierung nun ergreifen, um
bundesweit Grünlandregionen wie beispielsweise das
Allgäu gezielt im Wettbewerb zu unterstützen?
Ma
Diese Frage betrifft den Kern der neuen
Agrarpolitik. Die Vorschläge, die wir vor dem Hinter-
grund entwickelt haben, dass die Milchquote auf euro-
päischer Ebene immer mehr zum Gegenstand der Dis-
kussion geworden ist – wir haben beispielsweise die
Einführung einer Grünlandprämie vorgeschlagen; wir ha-
ben im Rahmen der Diskussion über die Modulation die
Umverteilung der Mittel aus der ersten Säule in die zweite
Säule der Agrarförderung vorgeschlagen; wir haben vor-
geschlagen, mehr Steuermittel in die multifunktionale
Landwirtschaft fließen zu lassen –, werden gerade den be-
nachteiligten Standorten, also den Grünlandregionen wie
beispielsweise dem Allgäu, nutzen.
Darüber hinaus haben wir die Erfahrung gemacht, dass
es sinnvoll ist, wenn sich die Leute in den Regionen an
einen Tisch setzen. Wir haben den Wettbewerb, auf den
ich schon eben hingewiesen habe, im letzten Jahr in die
Wege geleitet. Es gab eine erhebliche Resonanz, obwohl
sich, anders als bei dem Projekt im Allgäu, einige Lan-
desregierungen, beispielsweise die Bayerische Staats-
regierung, an dem neuen Modellprojekt nicht beteiligt
haben. Die Bayerische Staatsregierung ließ das Projekt
vielmehr links liegen; dennoch haben sich gerade in
Bayern sehr viele Regionen beworben.
Wir haben mit diesem Projekt eine Diskussion in Gang
gesetzt. Der Wettbewerb befindet sich jetzt in der ent-
scheidenden Phase. In den nächsten Wochen werden die-
jenigen Regionen festgelegt, die gewonnen haben. Aber
auch alle anderen Regionen, die sich an dem Projekt
beteiligt haben, haben eine Reihe von zusätzlichen Er-
kenntnissen gewonnen.
Wir glauben, dass die Landwirtschaft in diesen Regio-
nen nur dann eine gute, tragfähige Zukunft hat, wenn sich
nicht nur die Landwirte selbst, sondern auch die ganze Re-
gion um die Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe
kümmert und sich die landwirtschaftlichen Betriebe für
zusätzliche Betriebszweige und Einkommensquellen stär-
ker öffnen, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Zweite Zu-
satzfrage.
Herr Staatssekretär, an-
gesichts Ihrer Aussagen frage ich Sie, ob Sie bereit wären,
die Bewerbung meiner Region im Rahmen dieses neuen
Modellwettbewerbs des Bundeslandwirtschaftsministe-
riums zu unterstützen, um, auf den Erkenntnissen des jet-
zigen Projekts aufbauend, ganz gezielt Maßnahmen zu
entwickeln, die der Stärkung der Einkommenssituation
und dem Erhalt der ökologisch höchst wertvollen Land-
schaft in dieser Region zugute kommen.
Ma
Herr Abgeordneter, selbst wenn ich diese
Bereitschaft hätte, müsste ich Ihnen sagen: Die Entschei-
dung über die Auswahl der Modellregionen wird von ei-
ner mit Fachleuten besetzten unabhängigen Jury getrof-
fen.
Ich rufe die
Frage 31 des Kollegen Dr. Müller auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung im Interna-
tionalen Jahr der Berge zur Unterstützung der Bergbauern und der
Tourismuswirtschaft in den Alpen?
Ma
Herr Abgeordneter, Berge haben für das Über-leben der Menschheit eine entscheidende Funktion. Dies indas Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen und zu festi-gen ist die Aufgabe des Internationalen Jahres der Berge.Unser Ministerium hat zuständigkeitshalber Initiativen ge-startet. In der vergangenen Woche hat die Ministerin in
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Bayern hierzu eine Kampagne in Gang gesetzt, die für dieGebirgsregionen insgesamt Bedeutung haben soll.Neben der Kampagne für das Internationale Jahr derBerge arbeiten wir insbesondere im Bereich des Touris-mus mit dem Bundesministerium für Wirtschaft zusam-men. Wir versuchen gemeinsam, den Tourismus in denGebirgsregionen voranzubringen. Insbesondere zur För-derung der landwirtschaftlichen Strukturen in den Ge-birgsregionen werden seit Jahren im Rahmen der Ge-meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur unddes Küstenschutzes“ erhebliche finanzielle Unterstüt-zungen bereitgestellt, um die Gebirgsbauern in diesen Re-gionen zu halten und ihre Wirtschaftskraft zu stärken.Auch diesbezüglich gilt das, was ich in der Beantwor-tung der vorherigen Frage gesagt habe: Die Neuorientie-rung der Agrarpolitik wird die finanziellen Spielräumezur Förderung der Landwirtschaft in diesen Regionen er-heblich ausweiten.
Haben Sie
eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Müller?
Ich habe eine kurze Zu-
satzfrage. – Herr Staatssekretär, Sie sind sicher bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass sich – das ist Ihnen offensicht-
lich aus Ihren Akten bekannt – diese Region als Mo-
dellregion für das Zukunftsmodell ökologische Land-
wirtschaft rechtzeitig beworben hat und in der
Endausscheidung ist. Ich frage Sie – ich bitte Sie darum –,
ob Sie eine solche Bewerbung unterstützen. Im Interna-
tionalen Jahr der Berge könnte die Bedeutung der Land-
wirtschaft im Voralpen- und Alpenbereich für Landschaft,
Wasserhaushalt, Natur- und Kulturhaushalt mit gezielten
Maßnahmen vorangebracht werden.
Ma
Ich habe keinen Überblick darüber, wer
sich im Rahmen des Internationalen Jahres der Berge be-
worben hat. Ich nehme hier zur Kenntnis, dass sich diese
Region beworben hat. Im Haushalt 2002 wurden durch
das Parlament im Rahmen dieses Modellprojekts erheb-
liche Mittel bereitgestellt, um in Verbindung mit sehr vie-
len Organisationen und Trägern vor Ort im Rahmen des
Internationalen Jahres der Berge Initiativen zu starten, die
auch über das Jahr hinaus eine entsprechende Wirkung
entfalten können.
Ich bitte aber um Verständnis dafür, dass ich angesichts
des Verfahrens hier nicht vonseiten der Bundesregierung
für die eine oder andere Region in irgendeiner Form eine
besondere Unterstützung zusagen kann. Die Prozesse sind
transparent gestaltet; Experten entscheiden darüber, wie
die Mittel ausgegeben werden. In diesem Punkt unter-
scheiden sich die Wettbewerbe, die wir gestartet haben,
von der Vergabe von Projekten, wie wir sie nach dem
Regierungswechsel vorgefunden haben.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Lennartz.
Danke schön, Herr Präsi-
dent. – Herr Staatssekretär, wir haben zur Kenntnis
genommen, welche Maßnahmen dankenswerterweise
vonseiten der Bundesregierung insbesondere zur Unter-
stützung des Internationalen Jahres der Berge durchge-
führt werden. Ist nicht das Verhalten der bayerischen
Behörden bei der BSE-Bewältigung kontraproduktiv
auch für die Tourismuswirtschaft?
Ma
Es ist auf jeden Fall so, dass infolge der
BSE-Krise Diskussionen stattgefunden haben, die der
Landwirtschaft erheblich geschadet haben. Im letzten
Jahr, auf dem Höhepunkt der BSE-Hysterie, durften Kin-
der aus landwirtschaftlichen Betrieben beispielsweise
nicht mehr in den Kindergarten, getreu dem Motto, BSE
könnte ja ansteckend sein. Es wurde auch gefragt, ob man
Patienten, die in einem Betrieb gearbeitet hatten, in dem
BSE festgestellt worden ist, in Krankenhäusern nicht ei-
ner getrennten ärztlichen Behandlung zuführen muss.
Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, diese Debatte sehr
zu versachlichen.
Es ist aber zweifellos richtig, dass die BSE-Krise in
dem Maße, in dem sie durch Versäumnisse etwa der
Bayerischen Staatsregierung weiter auf der Tagesordnung
steht, dem Tourismus schadet. Ich glaube aber, dass wir
im Bereich des Tourismus im Großen und Ganzen den-
noch sehr gute Ergebnisse in den letzten Jahren erzielen
konnten. Ebenso wird, wie ich denke, der ländliche Tou-
rismus eine große Zukunft haben. Für Leute, die sich nicht
gleich ins Flugzeug setzen wollen, ist Urlaub auf dem
Bauernhof sicherlich eine sehr gute Alternative; diese Ur-
laubsform stellt auch einen echten Wachstumsmarkt dar.
Die finanziellen Risiken der neuerlichen BSE-Diskus-
sion – gestern gab es ja Berichte, die deutlich gemacht ha-
ben, dass der Rindfleischmarkt erneut einbricht – werden
allerdings wieder die landwirtschaftlichen Betriebe in
Bayern, insbesondere die kleinen bäuerlichen Betriebe, zu
tragen haben, die schon unter der bisherigen BSE-Krise
und dem Versagen der alten Bundesregierung gelitten ha-
ben.
Ich dankeIhnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.Ich muss jetzt eine geschäftsleitende Bemerkung ma-chen: Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bun-desministeriums der Verteidigung werden schriftlich be-antwortet. Das Gleiche gilt für die Fragen aus demGeschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit undSozialordnung mit Ausnahme der Fragen 45 und 46 desKollegen Dr. Klaus Grehn und der Fragen 47 und 48 desKollegen Günter Baumann. Das bedeutet, dass wir mit derFragestunde wahrscheinlich früher fertig werden. Es istbeabsichtigt, die Sitzung des Bundestages bis 15.35 Uhr
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zu unterbrechen. Erst dann beginnt die angekündigteAktuelle Stunde.Zur Beantwortung der noch ausstehenden Fragen ausdem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeitund Sozialordnung steht der Parlamentarische Staats-sekretär Gerd Andres zur Verfügung.Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Dr. Klaus Grehnauf:Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Neu-regelung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, TzBfG, die seitdem 1. Januar 2001 vorsieht, dass die Befristung eines Arbeits-verhältnisses bis zu zwei Jahren ohne besonderen Sachgrund dannnicht mehr möglich ist, wenn der Arbeitnehmer irgendwann inder Vergangenheit einmal bei demselben Arbeitgeber beschäftigtwar?G
Schönen Dank, Herr
Präsident. Ich würde gerne die Fragen 45 und 46 gemein-
sam beantworten, wenn der Abgeordnete Dr. Grehn damit
einverstanden ist.
Bitte.
Dann rufe
ich auch die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Klaus Grehn
auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bundesarbeits-
gemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels,
dass großzügigere Befristungsmöglichkeiten für Arbeitsverhält-
nisse die Schaffung neuer Arbeitsplätze positiv beeinflussen wür-
den?
G
Mit den Neuregelungen
des Befristungsrechts im Teilzeit- und Befristungsgesetz
wurde ein Regelwerk zu befristeten Arbeitsverhältnissen
in Kraft gesetzt, das die Flexibilitätsinteressen der Arbeit-
geber und die sozialen Schutzinteressen der Arbeitnehmer
ausgewogen berücksichtigt. Zugleich wurden die Vorga-
ben der Vereinbarung der europäischen Sozialpartner und
der entsprechenden EG-Richtlinie in nationales Recht
umgesetzt.
Für die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sach-
lichen Befristungsgrund, die so genannte erleichterte Be-
fristung, wurde im Teilzeit- und Befristungsgesetz nicht
zuletzt auf Verlangen der Arbeitgeberseite im Gegensatz
zu den bisher, immer nur zeitlich begrenzt geltenden Re-
gelungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes eine
Dauerregelung geschaffen. Es ist dabei geblieben, dass
befristete Arbeitsverträge bis zur Dauer von zwei Jahren
keines sachlichen Befristungsgrundes bedürfen. An der
Neuregelung wird unter anderem auch von der Bundes-
arbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des
Einzelhandels kritisiert, dass solche Verträge nur noch bei
Neueinstellungen zulässig sind. Aber genau das entspricht
dem wesentlichen Anliegen der europäischen So-
zialpartner und der EG-Richtlinie, befristete Arbeitsver-
träge dann zuzulassen, wenn sie sinnvoll sind, aber ihren
Missbrauch in Form von Dauerbefristung zu verhindern.
Diesen Missbrauch ließ die unter der früheren Bundesre-
gierung eingeführte Möglichkeit zu, dass befristete Ar-
beitsverträge mit und ohne Sachgrund unbegrenzt aufei-
nander folgen konnten. Das unbefristete Arbeitsverhältnis
mit Kündigungsschutz soll auch nach dem erklärten Wil-
len der europäischen Sozialpartner die Regel, das befris-
tete Arbeitsverhältnis die Ausnahme bleiben. Das liegt
nicht zuletzt im wohlverstandenen Interesse der Arbeit-
geber.
Die gesetzliche Neuregelung verhindert keinesfalls die
befristete Einstellung von Arbeitnehmern, wenn diese
schon zuvor bei demselben Arbeitgeber beschäftigt wa-
ren. In diesem Fall steht nach § 14 Abs. 1 Teilzeit- und
Befristungsgesetz eine ganze Palette von Sachgründen für
die befristete Beschäftigung von Arbeitnehmern zur Ver-
fügung. Gerade in den Betrieben des Einzelhandels ist be-
fristete Saisonbeschäftigung üblich und in ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als sachlicher
Befristungsgrund anerkannt, auch dann, wenn der Arbeit-
geber zum Beispiel für die Schlussverkäufe oder für das
Weihnachtsgeschäft wiederholt dieselben Aushilfskräfte
einstellt. Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist unter ande-
rem auch die Zulässigkeit der Befristung zur Erprobung
und zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers.
Herr Kol-
lege Grehn, Sie haben Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär Andres,
ich habe eine Nachfrage: Sie haben wahrscheinlich die
Positionen des Handelsverbandes zur Kenntnis genom-
men; das entnahm ich Ihren Äußerungen. Wie stehen Sie
zu den Untersuchungs- und Befragungsergebnissen, nach
denen 50 Prozent der Einzelhandelsunternehmen ange-
ben, eine Vorbeschäftigung habe eine beabsichtigte Ein-
stellung verhindert?
G
Herr Abgeordneter
Grehn, ich muss zunächst sagen: Ich kenne die Befragung
nicht, habe mich nicht mit ihr auseinander gesetzt und will
mich auch nicht auf sie beziehen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen sagen,
dass es entgegen den öffentlichen Äußerungen ganz un-
terschiedlicher Verbandsvertreter oder Arbeitgebervertre-
ter oder auch der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel-
und Großbetriebe des Einzelhandels nicht richtig ist, dass
man jemanden, der schon einmal bei einem beschäftigt
war, nicht erneut befristet beschäftigen könnte. Es ist mir
ganz wichtig, das hier darzustellen, weil natürlich in die-
sem Bereich befristete Beschäftigung auch dann möglich
ist, wenn man denselben Arbeitnehmer schon früher in ei-
nem anderen Zusammenhang beschäftigt hatte.
Die Unternehmen gehen da-von aus, dass eine Ausweitung der sachlichen Gründe fürdiese befristete Beschäftigung die Wirksamkeit dieserRegelung erhöhen würde. Wie stehen Sie zu dieser Aus-
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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters21526
sage? Man nimmt insbesondere Bezug auf Tätigkeiten,die zeitlich und inhaltlich mit der Vorbeschäftigung nichtim Zusammenhang stehen, oder auf Zeiten, die nur alsAushilfszeiten gegolten haben und auf die eine Nachbe-schäftigung folgt, bei der das Gesetz dann greift.G
Ich glaube, ich habe Ih-
nen in der Antwort schon gesagt, dass nach ständiger
Rechtsprechung beispielsweise Saisonarbeit in bestimm-
ten Bereichen als sachlicher Befristungsgrund anerkannt
wird, sodass ich die Argumentation nicht verstehe, man
müsse den Katalog der sachlichen Gründe ausweiten oder
mehrere Möglichkeiten der Beschäftigung ohne sach-
lichen Grund zulassen.
Der Gesetzgeber wollte ja gerade, dass die befristete
Beschäftigung ohne sachlichen Grund nur einmal für
zwei Jahre zulässig ist. Die befristete Beschäftigung mit
sachlichem Grund ist zeitlich nicht beschränkt; ich habe
Gründe aufgezählt. Insbesondere für den Groß- und Ein-
zelhandel ist saisonale Beschäftigung, beispielweise we-
gen des Weihnachtsgeschäftes oder wegen der Schluss-
verkäufe, ein anerkannter sachlicher Grund, sodass jeder
Arbeitgeber eine Arbeitskraft befristet einstellen kann. Er
kann auch dieselbe Arbeitskraft mehrmals, mehrere Jahre
hintereinander beschäftigen. In diesem Bereich gibt es
überhaupt keine gesetzliche Beschränkung, sodass ich
eine Ausweitung der sachlichen Gründe nicht für nötig
halte.
Eine letzte Nachfrage, Herr
Staatssekretär: Ich hatte auf die Untersuchung mit dem
Ergebnis 50 Prozent verwiesen. Ein weiteres Untersu-
chungsergebnis besagt, dass das Instrument der Befris-
tung ohne sachlichen Grund von 70 Prozent der Unter-
nehmen, die in die Befragung einbezogen waren, als nur
noch eingeschränkt nutzbar anerkannt wird.
Meine Frage: Erkennen Sie die Notwendigkeit an, sich
dieser Untersuchung anzunehmen, den Sachverhalt auf-
grund der Untersuchungsergebnisse zu prüfen und sich
gegebenenfalls erneut dazu zu positionieren?
G
Herr Abgeordneter
Grehn, ich habe auf Ihre Fragen geantwortet. In diesen
Fragen ist nichts von einem Untersuchungszusammen-
hang oder von einer Untersuchung zu lesen. Ich habe
schon darauf hingewiesen, dass ich die Untersuchung
jetzt nicht präsent habe. Ich bin gerne bereit sie mir anzu-
schauen. Wenn Sie danach weitere Fragen stellen wollen,
stehe ich dafür selbstverständlich zur Verfügung.
Ich rufe die
Frage 47 des Kollegen Günter Baumann auf:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die im
Juni 2001 beschlossene neue Rentenvergleichsberechnung für
tenversicherungsträgern nicht umgesetzt worden ist und die
Anträge der Betroffenen von den Landesversicherungsanstalten
bzw. der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vermutlich
bis zum Sommer 2002 nicht bearbeitet werden können?
Lieber Kollege Baumann, die
Probleme der verwaltungsgemäßen Umsetzung der mit
dem zweiten AAÜG-Änderungsgesetz bestimmten Ver-
besserung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes sind
der Bundesregierung bekannt.
Zutreffend ist, dass die aufgrund der Ergänzung des
§ 13 Berufliches Rehabilitierungsgesetz notwendig ge-
wordenen weiteren Vergleichsrentenberechnungen bisher
noch nicht voll maschinell erfolgen können. Daraus ist je-
doch keinesfalls abzuleiten, dass entsprechende Anträge
überhaupt nicht bearbeitet werden. Vielmehr wurde es als
hinnehmbar angesehen, dass einzelne Fälle zunächst nur
mit manuellen Eingriffen in den technischen Verfahrens-
ablauf bearbeitet und beschieden werden können.
Bei der Entscheidung für diese Übergangslösung zur
Bearbeitung relativ geringer Fallzahlen nach dem Beruf-
lichen Rehabilitierungsgesetz hatten die Rentenversiche-
rungsträger ihre aktuellen Aufgaben- und Terminsitua-
tionen zu beachten, die seit dem zweiten Halbjahr 2001
besonders von der verwaltungsgemäßen Umsetzung des
Altersvermögens- und des Altersvermögensergänzungs-
gesetzes bestimmt sind. Zusätzlich waren Aufgaben im
Rahmen der Währungsumstellung zum 1. Januar 2002
vordringlich zu lösen.
In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass
die Verbesserungen des Beruflichen Rehabilitierungs-
gesetzes sehr kurzfristig als Ergebnis des Vermittlungs-
verfahrens in das zweite AAÜG-Änderungsgesetz auf-
genommen worden sind, sodass der in einem normalen
Gesetzgebungsverfahren übliche Verwaltungsvorlauf bei
In-Kraft-Treten dieses Gesetzes nicht bestand.
Vor diesem Hintergrund sieht sich die Bundesversiche-
rungsanstalt für Angestellte in der Lage, Renten an
Verfolgte des SED-Regimes mit Bezugspunkten zu
Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonder-
versorgungssystemen der ehemaligen DDR voraussicht-
lich ab Ende des zweiten Quartals 2002 voll maschinell zu
berechnen.
Dieser Termin gilt auch für die Renten, bei denen noch
die Übergangsvorschriften des Beitrittsgebietes zur An-
wendung kommen. Für die Renten, bei denen die Ver-
gleichsberechnungen alleine nach den Regelungen des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGBVI – vorzuneh-
men sind, werden die Berechnungen voraussichtlich ab
April 2002 vorgenommen werden können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,Sie führten aus, dass die Renten gegenwärtig nur manuellund auch nur in geringer Anzahl nachberechnet werden
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Dr. Klaus Grehn21527
können. Mir ist eine andere Auffassung der Rentenver-sicherungsträger bekannt. Diese teilen den Antragstellernmit Formblatt mit, dass eine Prüfung und Vergleichs-berechnung gegenwärtig nicht durchgeführt werden kann,da keinerlei Computerprogramme vorhanden sind undmanuell nichts berechnet wird.Es ist unheimlich schwierig, dies den so genanntenVerfolgten des DDR-Regimes zu erklären, wenn zur glei-chen Zeit systemnahe Funktionäre der DDR die höherenRenten erhalten. Was gedenkt die Bundesregierung hierzu tun? Mir ist bekannt, dass keinerlei Weisungsrecht ge-genüber den Rentenversicherungsträgern besteht. Der po-litische Druck und der Wille des Parlaments müssten hieraber eine Reihe von Möglichkeiten eröffnen.
Herr Abgeordneter, ich habe
zunächst einmal die Bitte, dass Sie mir dieses Formblatt
bzw. diese Formmitteilung geben. Ich werde dem nach-
gehen.
Wenn der Tatbestand stimmen sollte, dass überhaupt
keine Berechnungen stattfinden, werden wir das entspre-
chend thematisieren. Uns ist mitgeteilt worden, dass es
nur zu Problemen kommt, wenn bestimmte Vergleichs-
berechnungen anzustellen sind; nur so ist es mir bekannt.
Ich bitte Sie, mir das zu geben. Wir werden dann Wege
und Möglichkeiten finden, dort zu intervenieren.
Dann rufe
ich die Frage 48 des Abgeordneten Günter Baumann auf:
Wenn ja, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung,
um bei den Rentenversicherungsträgern auf eine zügige Umset-
zung dieser Regelung zum rentenrechtlichen Nachteilsausgleich
hinzuwirken?
G
Die Rentenversiche-
rungsträger teilen das Anliegen der Bundesregierung, die
Neuregelungen des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes
so zeitnah wie möglich umzusetzen. Die Bundesregierung
geht daher davon aus, dass die Umsetzung der Berech-
nung auch vor dem Hintergrund der Belastung durch die
Erledigung sonstiger Aufgaben so schnell wie möglich
stattfinden kann. Ich habe Sie schon darauf hingewiesen,
dass die Rentenversicherungsträger der Auffassung sind,
dass im zweiten Quartal 2002 voll berechnet werden
kann, sodass man dann zügig an eine Umsetzung und ei-
nen Abschluss herangehen wird.
Ich danke
Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Wie bereits
angekündigt, sind wir damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Parlaments bis
15.35 Uhr. Dann findet die angekündigte Aktuelle Stunde
statt.
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zu der von Bun-
desfinanzminister Hans Eichel abgegebenen
Erklärung, bis 2004 einen „nahezu ausgegliche-
nen Gesamthaushalt“ vorlegen zu können
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
den Antragsteller der Kollege Dr. Günter Rexrodt von der
FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Letzte Nacht haben unsere Bobfah-rerinnen in Salt Lake City einen kleinen Fehler gemachtund die Silbermedaille erhalten; das ist schon etwas.Wenn man aber große Fehler macht, dann landet man sehrschnell unter „ferner liefen“. Bei der Olympiade ist das soähnlich wie in der Politik, Herr Finanzminister Eichel:Wenn man große Fehler macht, dann landet man unter„ferner liefen“.
So ist das auch mit unserer wirtschaftlichen und fi-nanzpolitischen Situation. Nur, die Folgen sind sehr vielgrößer und betreffen sehr viele Menschen. Das bedeutetnicht nur weniger Freude, sondern auch eine höhere Ar-beitslosigkeit und Verdrossenheit in diesem Land.Aufgrund unserer finanzpolitischen Lage sollten wireigentlich einen blauen Brief aus Brüssel erhalten. Dieserwurde abgewendet. Dabei ist ein politischer Schaden ent-standen, der größer ist als der, der entstanden wäre, wenndieser Brief gekommen wäre.
Aber nun, Herr Finanzminister, wollen wir schon wissen,wie Sie Ihr Versprechen einhalten wollen, das Sie gege-ben haben, um diesen Brief abzuwenden. Sie haben zuge-sagt, dass die Bundesregierung das gesamtstaatliche De-fizit von 54Milliarden Euro in nur zweieinhalb Jahren aufnahezu null senken wird.Herr Bundesfinanzminister, mit den Zusagen nachaußen, die die gesamte Bundesregierung derzeit macht, istdas so eine Sache. Der Bundesverteidigungsminister undseine Zusagen hinsichtlich des Kaufs von Transportflug-zeugen stehen heute nicht zur Debatte. Aber das allesnährt Misstrauen. Nun wollen wir wissen, wie Sie Ihr Ver-sprechen einhalten wollen. Meiner Meinung nach müssteein Wunder geschehen: Entweder müsste eine wunder-same Einnahmeerhöhung eintreten oder es müsste richtiggespart werden.Nun wenden wir uns einmal den Einnahmen zu: Wohersollen angesichts der ausgesprochen richtigen Entschei-dung, die Steuersätze nicht zu erhöhen, höhere Einnahmenkommen? Die Konjunkturentwicklung gibt das nicht her;in diesem Jahr, in dem mit einem Wachstum von 0,75 Pro-zent gerechnet wird, auf keinen Fall. Für die nächsten bei-den Jahre haben Sie je 2,5 Prozent prognostiziert.
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Günter Baumann21528
Alles, was im Jahreswirtschaftsbericht steht, ist bereitsMakulatur.
Aufgrund der Weltkonjunktur kann es vielleicht zu einemWachstum von 1 Prozent kommen. Das wären dann, ge-samtstaatlich gesehen, Einnahmen von rund 20 Milliar-den Euro mehr, aber eben keine 54 Milliarden Euro.Binnenwirtschaftliche Zusatzimpulse, die schon auskonjunkturellen Gründen gebraucht würden, wird es nichtgeben, solange es an grundlegenden Reformen fehlt. Esfehlt vor allem – das ist das Entscheidende – an einer Re-form des Arbeitsmarkts.
Solange im Niedriglohnsektor, beim Kündigungsschutz,beim Tarifrecht und bei der Mitbestimmung keine Kor-rekturen erfolgen, werden die binnenwirtschaftliche Ver-drossenheit und der Attentismus bei den Investitionen bei-behalten. Von daher erhalten Sie keine Entlastung.Was die Ausgabenseite angeht, Herr Bundesfinanzmi-nister: Der Haushalt – wir haben das hier immer gesagt –wird auf „crash“ gefahren. Die Reform der Ausgaben hatnie stattgefunden,
auch in der Zeit nicht, als Sie konjunkturell Rückenwindhatten und als aufgrund von Einmaleinnahmen die Ein-nahmequellen reichlich sprudelten.Sie haben die Nettokreditaufnahme in den Jahren 2000und 2001 in der Summe nur um 5,1 Milliarden Euro redu-ziert. Das war viel zu wenig und nun haben wir den Salat.
– Herr Wagner, das wissen Sie genau. Der Investitionsan-teil am Gesamthaushalt steuert auf ein historisches Tiefvon 10,1 Prozent zu.
Die Bundeswehr können Sie nicht mehr als Steinbruchbenutzen; da müssen Sie allemal drauflegen.
Der Kollege Urbaniak ist nicht anwesend. Ich fragegleichwohl: Wollen Sie die Kohlesubventionen kürzen?Wollen Sie bei der Landwirtschaft kürzen?
Das traue ich Ihnen nicht zu; das bringen Sie nicht.Der Haushalt kann nur saniert werden – es gibt garkeine andere Möglichkeit –, wenn man an den Haushaltdes Bundesarbeitsministers herangeht, meine Damen undHerren.
Dabei geht es um die Arbeitsförderungsmaßnahmen unddarum, dass 30 Prozent des Bundeshaushalts an die Ren-tenversicherung gezahlt werden. 30 Prozent – mit stei-gender Tendenz! Das geht in Richtung einer steuerfinan-zierten Rente.
Wenn Sie da keine Reform schaffen, bringen Sie es nicht.
Heute Nachmittag wollen wir erfahren, wie Sie, HerrFinanzminister, die 54 Milliarden Euro, die Sie nun ein-sparen müssen – das haben Sie zugesagt, um den blauenBrief abzuwenden –, einsparen wollen.
Heute wollen wir wissen: Wie wollen Sie das machen?
Darauf, es zu erfahren, haben wir und hat auch die Öf-fentlichkeit einen Anspruch. Wir sind alle sehr gespannt,Herr Bundesfinanzminister.
Als
nächster Redner hat der Kollege Joachim Poß von der
SPD-Fraktion das Wort.
Ich werde Sie schonen, HerrKollege.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-land hat maßgeblich an der Entstehung der EuropäischenWirtschafts- und Währungsunion und an der Konzipie-rung des Europäischen Stabilitätspakts mitgearbeitet.
Herr Waigel war da Getriebener von Herrn Stoiber. Be-kanntlich wollte Herr Stoiber – so auf einem CSU-Partei-tag; Herr Michelbach wird das bestätigen können – dieEuro-Einführung ursprünglich ablehnen.
Unsere europäischen Partner erwarten gerade wegender aktiven Rolle Deutschlands von uns eine stabilitäts-orientierte Haushalts- und Finanzpolitik. Die rechtlichenVerpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland mitgroßen Mehrheiten, sowohl hier im Deutschen Bundestagals auch im Bundesrat, eingegangen ist, sind eindeutig.Das gesamtstaatliche Defizit in Deutschland ist auf jähr-lich maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu be-grenzen. Die Mitgliedstaaten müssen mittelfristig ausge-glichene Budgets erreichen. Diese Verpflichtungen hat
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Dr. Günter Rexrodt21529
der Bundesfinanzminister letzte Woche in Brüssel nocheinmal bestätigt und konkretisiert. Warum werden sie jetzteigentlich infrage gestellt? Aber es war ja zu erwarten,dass in einem Wahljahr die Erklärung des Bundesfinanz-ministers zu einer innenpolitischen Auseinandersetzunggenutzt werden würde.Wenn es um so genannte blaue Briefe ginge, dannmüsste ich Ihnen von der CDU/CSU und der FDP für alleIhre Vorschläge zur Steuersenkung und zur Ausgaben-erhöhung jetzt zehn solcher Briefe überreichen.
Sehr wahrscheinlich wäre es sogar angemessener, Ihnendie rote Karte wegen mangelnder wirtschafts- und finanz-politischer Kompetenz zu überreichen.
Diese Koalition fühlt sich verpflichtet, alles zu tun, da-mit Deutschland ein verlässlicher europäischer Partnerbleibt. Die vielen Äußerungen der letzten Tage und Wo-chen haben auch einer breiten Öffentlichkeit eines klar ge-macht: Die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Euro-päischen Stabilitäts- und Wachstumspakt obliegt sowohldem Bund als auch den Ländern. Ich füge hinzu: DieserVerpflichtung unterliegt auch die Opposition hier imDeutschen Bundestag und in den Ländern. Von nun anwerden alle Ihre Vorschläge sehr genau an diesem Krite-rium gemessen werden.
Deshalb begrüße ich diese Diskussion.Weil manche Äußerung aus den Ländern zuweilen an-ders verstanden worden ist, sei noch einmal darauf hin-gewiesen, dass es bereits heute klare gesetzliche Normengibt, durch die neben dem Bund auch die Länder ein-schließlich ihrer Gemeinden auf die Einhaltung des Sta-bilitätspaktes verpflichtet sind. Sowohl Bundestag alsauch Bundesrat haben Ende letzten Jahres mit großerMehrheit den Art. 7 des Solidarpaktfortführungsgesetzesverabschiedet, mit dem § 51 a in das Haushaltsgrundsätze-gesetz eingefügt worden ist.
Dieser neue Paragraph schreibt fest, dass der Bund unddie Länder ihrer Verantwortung zur Einhaltung der Ver-pflichtungen im Rahmen dieses Paktes nachkommen undeine Rückführung der Nettoneuverschuldung mit demZiel ausgeglichener Haushalte anstreben. Dies ist – dashaben manche vergessen – geltendes Recht.Was ergibt sich daraus? Diejenigen, die im Bund undin den Ländern die öffentlichen Haushalte zu verantwor-ten haben, müssen sich zusammensetzen und in einemkonstruktiven Klima ausloten, was sie zur Erreichung dereingegangenen haushaltspolitischen Verpflichtungen zutun haben. Es ist daher zu begrüßen, dass die Länder-finanzminister und der Bundesfinanzminister bereits imMärz eine Sondersitzung des Finanzplanungsrates durch-führen wollen. Vor diesem Hintergrund habe ich wenigVerständnis für gegenseitige Schuldzuweisungen. Aberdiese Phase scheint jetzt hoffentlich vorbei und überwun-den zu sein.Mit den Vorbereitungen für den Bundeshaushalt 2003und den Finanzplan bis 2006 muss jeder Ressortministerprüfen, wo in den Etats noch Reserven vorhanden sind.
Ebenso sind auch die einzelnen Bundesländer aufgefor-dert, nach Einsparmöglichkeiten in ihren Haushalten zusuchen.Wenn Herr Merz jetzt schon behauptet, ein ausge-glichener staatlicher Gesamthaushalt sei bis 2004 nichtmehr zu erreichen,
dies wäre nur mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um4 Prozentpunkte möglich,
dann betätigt er sich wieder einmal als Hellseher. DieseKoalition gedenkt nicht, solchen vergifteten Vorschlägenzu folgen.
Dies macht wieder einmal Ihre Denkart deutlich, HerrMerz; denn vor wenigen Wochen haben Sie ebenso wieHerr Stoiber noch die Ausnutzung des 3-Prozent-Spiel-raumes gefordert. Bei Ihnen geht derzeit alles durchei-nander. Herr Rauen hat sich heute öffentlich geäußert undwill die Unternehmensteuerreform rückgängig machen.Bei Ihnen läuft es nach dem Motto „Denn sie wissennicht, was sie wollen“. Weil Sie nicht wissen, was Siewollen, sind Sie die schlechtesten Ratgeber für eine solideFinanzpolitik.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Rauen für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Der Anlass der Aktuellen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Joachim Poß21530
Stunde ist mir zu ernst, um auf die Vorhaltungen von HerrnPoß näher einzugehen.
Anfang der 90er-Jahre war es ein großer und von vie-len nicht für möglich gehaltener Erfolg von Kohl undWaigel, dass sich die Partnerländer im Rahmen des Stabi-litätspaktes bereit gefunden haben, institutionelle Rege-lungen für die Begrenzung und Rückführung ihrer Staats-verschuldung zu akzeptieren. Das war für uns wichtig,damit einer starken D-Mark ein starker Euro folgen kann.Machen wir uns aber nichts vor: Auch die beste Verein-barung ist nur so viel wert wie der Wille aller Beteiligten,sie einzuhalten und die gemeinsam festgesetzten Regelnauch dann zu akzeptieren, wenn dies für einen selbstunangenehm und schmerzlich ist.
Vor diesem Hintergrund ist das Vorgehen der Regie-rung im Zusammenhang mit der von der EU-Kommissionvorgeschlagenen Frühwarnung verheerend.
Deutschland, das die anderen Mitgliedstaaten auf den Sta-bilitätspakt verpflichtet hat, zeigt sich nicht nur unfähig,dessen Ziele zu erfüllen, sondern auch unwillig, die fürdiesen Fall vorgesehenen Konsequenzen hinzunehmen.
Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen worden. Nie-mand glaubt noch im Ernst, dass die im Stabilitätspaktvorgesehenen Kontroll- und Sanktionsmechanismen inder Zukunft noch einmal greifen werden, wenn einer dergroßen Mitgliedstaaten betroffen ist. Um eines kurzfris-tigen innenpolitischen Vorteils im Wahljahr willen hat dieBundesregierung in Kauf genommen, dass das Vertrauenin die Stabilität des Euro und die institutionellen Rege-lungen der Währungsunion auf Dauer Schaden nehmen.Eben in der Fragestunde hat Frau Hendricks erklärt,Minister Eichel habe darauf keinen Einfluss genommen.
Die ganze Welt weiß, dass er versprochen hat, die staat-liche Neuverschuldung bis 2004 gegen null zurückzu-führen. Die Frühwarnung sollte kommen, weil an-genommen werden muss, dass wir 2002 die Defizitquotevon 3 Prozent streifen werden.Meine Damen und Herren, was heißt es, in zwei Jah-ren die Defizitquote um 3 Prozent zu reduzieren? Dasheißt, der Gesamtfinanzierungssaldo muss um 60 Milli-arden Euro reduziert werden. Herr Eichel, sagen Sie mirbitte, wie Sie dies machen wollen. Sie müssen dann jaauch für die Länder und Gemeinden sprechen, die nichtzuletzt durch Ihre Steuerreform weit mehr mit Steu-errückgängen belastet sind als der Bund selbst. Schließ-lich haben die Länder 5,7 Prozent Rückgang, die Ge-meinden 9,6 Prozent und der Bund lediglich 2,5 Prozent.
Sie müssen schon erlauben, dass man die Frage stellt: Wiesoll dies denn geschehen?Herr Eichel, das Vertrauen in die Ausgabenkonsolidie-rung habe ich nicht mehr. Sie haben über die Einnahmenkonsolidiert, wie eben schon von Herrn Rexrodt gesagt.Die Investitionen des Bundes gehen von 1998 bis 2002nominell um 10 Milliarden DM zurück.Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal darstel-len, in welchem steuerpolitischen und finanzpolitischenUmfeld dies geschieht. Herr Poß hat auf Waigel verwie-sen. Ich darf ein paar Zahlen nennen: FinanzministerWaigel musste mit Gesamtsteuereinnahmen fertig wer-den, die im Jahr 1995 bei 814 Milliarden DM, im Jahr1996 bei 800 Milliarden DM, im Jahr 1997 bei 797 Milli-arden DM und im Jahr 1998 bei 833 Milliarden DMlagen.
Das heißt, der gesamte Steuerzuwachs betrug in diesenJahren nominell lediglich 19 Milliarden DM.Wir hatten aber im Jahr 1999 auf allen Ebenen – Bund,Länder und Gemeinden – Steuereinnahmen von 886 Mil-liarden DM, im Jahr 2000 von 913 Milliarden DM, imJahr 2001 von 877 Milliarden DM und im Jahr 2002 von904 Milliarden DM.
Das heißt, Sie hatten in diesen vier Jahren einen Steuer-aufwuchs von insgesamt 244 Milliarden DM. Sie habennur über die Einnahmen konsolidiert, nicht aber über dieAusgaben.
Herr Poß, ich bitte zu respektieren, wenn unser Frak-tionsvorsitzender Friedrich Merz völlig zu Recht dieFrage stellt: Wie kann man einem solchen Finanzministertrauen? Will er nicht wieder nur über die Einnahmenseiteversuchen, seine Zusage einzuhalten? Es ist einfach eineWahrheit: Wenn ich diesen Finanzierungssaldo ausglei-chen wollte, dann müsste ich die Mehrwertsteuer ins-gesamt um 4 Prozentpunkte erhöhen.Herr Minister, Sie werden hier gleich dazu sprechen.Sagen Sie uns, wie Sie den Ausgleich des gesamtstaat-lichen Finanzierungssaldos bei Bund, Ländern und Ge-meinden angesichts der verheerenden Einnahmesituationder Länder und Gemeinden seriöserweise in den Jahren2003 und 2004 schaffen wollen!
Ich kann nur sagen: Die Zusage, die Sie gemacht haben,um den blauen Brief zu verhindern, konnte nur ein Fi-nanzminister machen, der davon ausgeht, nach dem
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Peter Rauen21531
22. September 2002 nicht mehr in der Verantwortung zustehen.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Oswald Metzger vom Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aktuelle Stun-den sind in einem Wahljahr immer reizvoll, weil man sichdann in Wahlkampfrauch hüllt und Fakten um die Ohrenhaut, die sich schlecht nachvollziehen lassen. Aber einenackte Zahl, die für die Solidität der Bundesebene steht,muss man hier immer wiederholen: Wir haben in den letz-ten vier Jahren den Schuldenstand des Bundes um 39Mil-liarden Euro erhöht, Sie haben ihn in den letzten vier Jah-ren Ihrer Regierungszeit um 141 Milliarden Euro erhöht.Das sind die schlichten Fakten.
Zweiter Punkt: Herr Kollege Rauen hat gerade vorge-tragen, der Bund spare nicht auf der Ausgabenseite. Dasletzte Jahr hat der Bundeshaushalt mit einem Ausgaben-minus von 0,5 Prozent abgeschlossen. Bund und Länderhatten seit Jahren – auch schon zu Ihrer Regierungszeit –im Finanzplanungsrat dazu verabredet, die Ausgaben ineinem Korridor bis maximal 2 Prozent steigen zu lassen.Der Bund hat sich daran gehalten, eine Reihe von Bun-desländern nicht, und zwar ganz egal, wie sie regiert wer-den; auch „schwarze“ Länder liegen bei Ihren Ausgabenüber der Steigerungsrate von 2 Prozent. Was die Soliditätangeht, können Sie uns also in keiner Weise packen.
In der letzten Woche haben wir in Gestalt des Bundes-finanzministers in Brüssel die Zusage gemacht, das ge-samtstaatliche Defizit im Jahr 2004 „close to balance“ zubringen. Das bedeutet ein gesamtstaatliches Defizit vonetwa 0,5 Prozent.
– Wenn Sie Zwischenrufe machen, können Sie nichtzuhören.
0,5 Prozent werden im Jahre 2004 ungefähr 13, 14 Milli-arden Euro ausmachen, wohingegen das gesamtstaatlicheDefizit im letzten Jahr fast 54 Milliarden Euro betrug.Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungenmüssen bis 2004 im Zuge einer anspringenden Konjunk-tur – nicht in eine Rezession hinein –
ihre Anstrengungen durch Strukturreformen beim Ar-beitsmarkt und durch Zusammenlegung von Arbeits-losen- und Sozialhilfe deutlich verstärken. Das sind jetztkeine Aussagen des Haushaltssprechers der Grünen, son-dern der Bundeskanzler hat sich in der letzten Woche, wieSie sich vielleicht erinnern, zu dieser Reformagenda be-kannt.Die Bundesländer haben sich im letzten Jahr, als es umdas so genannte Maßstäbegesetz ging, geweigert,
in dieses Gesetz einen nationalen Stabilitätspakt hinein-zuschreiben. Im ursprünglichen Gesetzentwurf des Bun-desfinanzministeriums war eine entsprechende Formulie-rung enthalten; aber alle 16 Länder haben dies abgelehnt.Warum sie das getan haben, wird deutlich, wenn man denJahresabschluss 2001 ansieht: Nur der Bund war konse-quent und hat seine Ausgabenlinie und auch die Linie sei-ner Nettokreditaufnahme gehalten. So einfach ist dieganze Geschichte.
Bei Lichte betrachtet sitzen alle, wenn sie ehrlich sind,in einem Boot, egal, zu welcher Partei sie gehören. In dennächsten vier Jahren – natürlich auch in der nächsten Le-gislaturperiode – werden wir die Bürgerinnen und Bürgerauf „Weniger ist mehr“ einstellen müssen. Solange wirnämlich Bundes- und Landeshaushalte über Kredite fi-nanzieren, werden wir auch ständig über Steuererhö-hungen diskutieren müssen; denn die Zinsen und Zinses-zinsen zahlen nicht die Politiker,
sondern die Bürgerinnen und Bürger.Es reicht nicht aus, dass wir die Neuverschuldung re-duzieren und die Ausgabenstruktur des Bundeshaushaltsverbessern – beispielsweise ist das Verhältnis von Inves-titionen und Kreditaufnahme jetzt wesentlich besser alszu Ihren Regierungszeiten; Sie müssen diesen soliden Pa-rameter als Basis für eine korrekte Betrachtung der Aus-gabenstruktur des Bundeshaushalts hinnehmen –; viel-mehr müssen alle Ebenen in gesamtstaatlicher Solidaritäteinen nationalen Stabilitätspakt schmieden. Allerdingsdarf dann ein bayerischer Ministerpräsident nicht in derersten Woche, nachdem er zum Kanzlerkandidaten gekürtwurde, allen Ernstes behaupten, es gebe so etwas wie eineSchwankungsreserve von 8 Milliarden Euro, man könnebis zur Maastrichter Defizitmarge von 3 Prozent ja nochGeld ausgeben, Konjunkturprogramme auflegen oderSteuern senken.
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Peter Rauen21532
So etwas ist vor allem dann höchst unsolide, wenn man alsParteivorsitzender der Nachfolger von Herrn Waigel ist,der Gott sei Dank – das sage ich ganz bewusst; ich habedas in der Opposition unterstützt – den europäischenNachbarn den Stabilitätspakt zugemutet und ihn durchge-setzt hat.
Das ist ein Armutszeugnis für die Opposition.Dies zeigt aber auch – das ist jetzt an die Adresse desFraktionsvorsitzenden Merz gerichtet –, dass die Debattein Brüssel in einem Wahljahr in Deutschland sehr wohlheilsame Wirkungen hat. Zumindest die CDU/CSU hatsich von Steuersenkungsversprechen verabschiedet;
die FDP hat dies im Gegensatz zur Bevölkerung nochnicht begriffen. Allerdings hat Kollege Rauen heute im„Handelsblatt“ angekündigt, dass er die Steuern fürGroßunternehmen erhöhen wolle. Diese Strategie kannman Ihnen natürlich auch nicht durchgehen lassen, HerrRauen. Da ist unsere Linie doch konsequenter. Auch derKanzler hat sich dazu bekannt: Wir wollen keine Steuer-erhöhungen. Wir wollen eine Fortsetzung der soliden Fi-nanzpolitik. Wir glauben, dass das für 2004 anvisierte Zielehrgeizig, aber zu schaffen ist, wenn wir im Windschatteneiner wieder anziehenden Weltkonjunktur weitere Struk-turreformen vornehmen.
Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Christa Luft von der PDS-Frak-
tion.
Herr Präsident! Verehrte Kol-leginnen und Kollegen! Im Abgeben ehrgeiziger Verspre-chen war die rot-grüne Bundesregierung schon immerMeisterin;
im Einhalten war sie das nicht.
Ich erinnere nur an das Versprechen, die Zahl der Arbeits-losen auf 3,5 Millionen abzubauen, ich erinnere an denAufbau Ost, der Chefsache werden sollte. Man kann wei-tere Beispiele finden. Mit der jüngsten Erklärung des Fi-nanzministers, den Gesamthaushalt bis 2004 nahezu aus-zugleichen, wird es, so denke ich, nicht anders werden,
denn dieses Versprechen beruht nicht auf solider Prüfungund Abwägung der dafür erforderlichen Voraussetzungen.Es ist eine Panikreaktion, um die Zustellung des blauenBriefes, der in Brüssel bereits im Briefkasten lag, in letz-ter Minute doch noch zu verhindern.Minister Eichel hat etwas zugesagt, was er eigentlichgar nicht zusagen kann, denn die Bundesrepublik wäreaufgrund dessen letztlich zu einer Verfassungsänderunggezwungen. Ohne eine Änderung des Art. 109, der denLändern Selbstständigkeit in der Haushaltspolitik zusi-chert, ist das gar nicht zu machen. Zudem braucht der Fi-nanzminister ein Gesetz, das Sanktionen bei Fehlverhal-ten vorsieht. Ob beides so rechtzeitig zu realisieren ist,dass bis 2004 Wirkungen erzielt werden könnten, isthöchst zweifelhaft.Das aber ist nur die formale Seite. Die inhaltliche Seitebesteht meines Erachtens darin, dass Stabilität nicht nurdurch Sparen zu erreichen ist, sondern Wachstum undneue Einnahmen voraussetzt.
Der Pakt, den die Euro-Länder abgeschlossen haben,heißt nicht umsonst Stabilitäts- und Wachstumspakt.Wachstum aber ist die eigentliche Achillesferse der deut-schen Stabilitätspolitik, weil die Investitionskraft auf al-len Ebenen der Bundesrepublik gesunken ist. Insbeson-dere die viel gelobte rot-grüne Steuerreform hat dieHaushalte der Länder und Gemeinden so stark belastet,dass diese kaum noch Investitionskraft haben. Sie kennenwie ich viele Bundesländer und noch viel mehr Kommu-nen, die nicht einmal mehr in der Lage sind, Fördermitteldes Bundes und der Europäischen Union abzurufen, weilsie die Eigenbeiträge zu Finanzierung nicht aufbringenkönnen.
Im Jahr 2001 sank das Investitionsniveau der Kommu-nen unter das Niveau des Jahres 1993. Das will schon et-was heißen. 2002 ist keine Änderung abzusehen. Der Ab-sturz der Gewerbesteuer wird die Kommunen zwingen,weiter auf die Ausgabenbremse zu treten. Wenn dieseLage nicht geändert wird, dann ist ein totaler Investi-tionsnotstand aufgrund des angestrebten Sparens zulastender Länder und Kommunen vorprogrammiert.Ein nationaler Stabilitätspakt macht also nur Sinn,wenn er auf einer Neuverteilung von Aufgaben zwischenBund und Ländern beruht und wenn er den Ländern undKommunen neue, zuverlässige Einnahmequellen sichert.Das bedeutet für mich, endlich über die erneute Erhebungder Vermögensteuer Konsens zu erzielen
und eine Mindeststeuer einzuführen, damit sich gut ver-dienende Konzerne nicht länger teilweise oder ganz derSteuer entziehen können. Auch die Rücknahme der Steu-erfreistellung für Veräußerungsgewinne von Kapitalge-sellschaften gehört auf den Prüfstand, wenn man sich einsolch ehrgeiziges Ziel vornimmt, wie es der Bundes-finanzminister in Brüssel verkündet hat.
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Oswald Metzger21533
Völlig im Dunkeln bleibt, wie der Bund seinen Spar-beitrag bis 2004 erbringen will. Der Finanzminister solltenicht allzu sehr auf eine konjunkturelle Aufhellung set-zen. Eine Mehrwertsteuererhöhung wird im Regierungs-lager kategorisch ausgeschlossen; jedenfalls hört man dasjetzt laufend. Soziale Grausamkeiten sollen den Bürge-rinnen und Bürgern, so der SPD-Fraktionschef Struck,nicht zugemutet werden, denn der Gürtel sei schon jetzteng genug geschnallt. An der haushaltsmäßig noch nichteingeordneten Finanzierung des Militärtransporters undan der Transrapidstrecke soll festgehalten werden. Sozial-hilfe und Arbeitslosenhilfe sollen natürlich nicht zusam-mengelegt werden – das sei nur ein Gerücht – und an derBildung soll auch nicht gespart werden. Also: Dementiüber Dementi.Wo aber, Herr Bundesfinanzminister, soll das Messerdann angesetzt werden? Es ist politisch höchst durchsich-tig, wenn auf diese Frage vor der Bundestagswahl keinekonkrete Antwort gegeben wird.
Ich bin sicher, dass Staatssekretär Overhaus längst eineStreichliste in der Schreibtischschublade hat.Eines muss klar sein: Stabilitätspolitik darf sich – ichbetone: so wichtig das ist – nicht auf die Stabilität desEuro beschränken. Sie darf die soziale Stabilität der Ge-sellschaft nicht beschädigen. Diese Gefahr besteht aber,wenn die Erklärung des Bundesfinanzministers voraus-setzungslos umgesetzt wird. Im Übrigen bestünde sieauch dann, wenn die Vorschläge der Union und der FDP,die sich vornehmlich den Haushalt für Arbeit und Sozia-les als ausquetschbare Zitrone ausgesucht haben, ver-wirklicht würden.
Für die
Bundesregierung spricht jetzt der Bundesminister Hans
Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn iches richtig sehe, wird diese Debatte an diesem Tage bereitszum dritten Mal in den verschiedenen Gremien des Deut-schen Bundestages geführt.
Ich muss Ihnen sagen: Ich bin außerordentlich darüber er-staunt, wie Sie wahrnehmen, was seit Jahren verabredetist. So ist zum Beispiel das Ziel, im Jahre 2004 einen na-hezu ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, Bestandteilaller deutschen Stabilitätsprogramme seit dem Jahr 2000.Diese Programme liegen Ihnen allen vor. Wir haben daszuletzt dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundes-tages mit dem Umdruck vom 6. Juni 2001 mitgeteilt.
Mit anderen Worten: Es gibt überhaupt kein neues Ver-sprechen des Bundesfinanzministers. Es gibt nur eines,nämlich die Tatsache, dass die Opposition einen Sachver-halt, den sie durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt– ich komme gleich noch darauf – selbst herbeigeführthat, mit einer Verspätung von zwei Jahren heute zurKenntnis nimmt. Das ist alles. Ansonsten hat sich nichtsgeändert.
Nebenbei: In Brüssel haben wir das Verfahren einstim-mig – in der Eurogroup, im Ecofin, gemeinsam mit derKommission und dem Präsidenten der Europäischen Zen-tralbank – abgeschlossen.
Sie finden das durch den spanischen Ratspräsidenten,Ministerpräsident Aznar, der ja bekanntlich ein Konser-vativer ist, im „Spiegel“-Interview dieser Woche be-stätigt. Meine Damen und Herren, das ist Ihr Pech: DieRede, die ich hier halte, könnte mein spanischer KollegeRodrigo Rato genauso halten. Dann hätten Sie ein paarSchwierigkeiten mehr.
Deswegen: Dieses Thema ist erledigt, und zwar einver-nehmlich. Damit wird eine Stärkung des europäischenStabilitätspaktes erreicht.
Darauf lege ich den größten Wert.
Ich komme jetzt auf die zentralen Fragen meiner an-geblichen Versprechen, die für Sie so neu sind:Erstens: Dreiprozentkriterium. Das ist Bestandteil desMaastricht-Vertrages, den die Regierung Kohl einge-bracht hat und dem alle deutschen Bundesländer im Bun-desrat sowie alle Parteien im Deutschen Bundestag zuge-stimmt haben. Seitdem steht das Dreiprozentkriterium –Versprechen Nummer 1.Übrigens: Wie ernst Sie diesen Punkt nehmen, habe ichin der Vergangenheit erlebt. Herr Stoiber wollte wenigs-tens einmal die Grenzen der Belastbarkeit austesten undhat gesagt, man könne den Spielraum zwischen 2,7 Pro-zent und 3 Prozent ausschöpfen. Herr Brüderle hat ganzoffen erklärt, wir sollten unsere Verpflichtungen aus demeuropäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt suspendie-ren und für ein paar Jahre nicht so ernst nehmen. Was istdas für ein Umgang mit einem in der Tat hohen Gut, dereuropäischen Stabilitätskultur, das Sie selber herbeige-führt haben?
Wie schändlich behandeln Sie das selbst? Es ist ja auchnicht ohne Hintersinn, dass Theo Waigel heute nicht hierim Plenum sitzt.
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Dr. Christa Luft21534
Ich habe die differenzierten Stellungnahmen, die er abge-geben hat, ganz genau zur Kenntnis genommen und mitden Anträgen, die Sie im Deutschen Bundestag gestellthaben, verglichen.Zweitens. Es ist wichtig, in diesem Jahr die Haushalts-pläne sorgfältig auszuführen und dabei Ermessensmaß-nahmen zu vermeiden, die zu einer Erhöhung der Defiziteführen. Das habe ich Ihnen immer wieder gesagt, meineDamen und Herren. Erinnern Sie sich doch daran, HerrAustermann, welche Anträge Sie zu den Haushaltsbera-tungen für das Jahr 2002 im vergangenen Spätsommereingebracht haben. Das waren noch schlappe 30 Milliar-den – damals noch DM – obendrauf. Damit war der Ver-trag von Maastricht längst gebrochen. Das ist Ihre Politik.Ich habe Ihnen immer wieder gesagt, dass dies mit demeuropäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht ver-einbar ist.
Was haben Sie denn in der Steuerpolitik vorgeschla-gen? Frau Merkel hat gesagt: Wir ziehen mal locker dieStufe 2005 auf 2002 vor. Sie wollten ja ursprünglich auf2002 vorziehen.
– Das werden Sie gleich alles erfahren. – Mit anderenWorten: Sie sind die schlechtesten Wächter des europä-ischen Stabilitätspakts, seit Sie selbst ihn abgeschlossenhaben.
Damit komme ich zu dem, was wir bisher gemacht ha-ben. Wir wollen doch einmal festhalten, dass – anders alsdas, was Sie hier die ganze Zeit vorbringen – im Vergleichdes Haushalts für das Jahr 1998 mit dem Haushaltsplan2002
die Ausgaben um 5,5 Prozent oder 12,6 Milliarden Eurogesunken sind. In den Haushalt für 1998 müssen Sienämlich all das mit einbeziehen, was Sie damals verges-sen haben,
zum Beispiel die Haushaltsnotlagenhilfen für Bremenund das Saarland und vieles andere. Die Ausgaben sind– wenn Sie sie genau betrachten – um 12,6 MilliardenEuro gesunken. Das ist eine Konsolidierung auf der Aus-gabenseite.
Sie haben in der gesamten Zeit von Steuererhöhungengeredet. Ich will Ihnen fairerweise mitteilen, dass HerrRauen mir vorhin gesagt hat, er werde morgen im „Han-delsblatt“ dementieren, dass er das jemals gesagt habe.Der hessische Ministerpräsident Roland Koch – bekannt-lich Ihr Parteifreund – hat es aber gesagt, Herr Rauen. Dasist das Pech an der Sache.
Angesichts Ihrer Äußerungen in der letzten Zeit habe ichden Eindruck, dass Sie als einzige Antwort Steuererhö-hungen vorbereiten wollen.
Wir aber – das sage ich dezidiert – wollen das nicht.
– Meine Antwort ist ganz einfach, verehrter HerrMichelbach. Sie müssen gar nicht dazwischenschreien.Sie müssen sich nur ansehen, welche Haushaltspolitik wirseit dem Konsolidierungshaushalt 2000 betrieben haben.Wir haben nämlich mit dem 30-Milliarden-DM-Sparpro-gramm erreicht, dass wir im Jahr 2000 bereits die Mini-malbenchmark von 1,1 Prozent erzielt haben und deswe-gen jetzt nicht die 3 Prozent überschreiten.
Hätten wir noch den Haushalt des Jahres 1998, verehr-ter Herr Michelbach, dann stünden wir jetzt vor einem De-fizit von mehr als 4 Prozent.
Das ist das Ergebnis unserer Politik.
Das lasse ich mir von Ihnen keinen Deut schlechtmachen.Wir verfolgen den Weg, die NettoneuverschuldungJahr für Jahr konsequent zu reduzieren, weiter. Wir liegenauch mit dem Haushaltsplan für das Jahr 2001 und seinemAbschluss leicht unter der Planung des Haushaltsjahres1999 – mit einer ständigen Reduzierung der Ausgaben-linie bis 2001 und der Nettoneuverschuldung.
Das heißt für 2003 – das werden Sie beim Haushaltsplan2003 sehen – und für 2004, dass die Nettoneuverschul-dung weiter auf 15 Milliarden Euro bzw. 10 MilliardenEuro sinken wird. Das ist die Linie, die wir konsequentverfolgen – dafür müssen wir nichts Neues erfinden – unddie mit dem jeweiligen Haushaltsplan festgelegt wird.
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Bundesminister Hans Eichel21535
Jetzt stellt sich eine spannende Frage – an der Sie übri-gens gescheitert sind –, in der Bayern immer voran war.Ich habe heute zum ersten Mal vom bayerischen Minis-terpräsidenten und Kanzlerkandidaten eine etwas kon-struktivere Äußerung zu diesem Thema gehört. Das warnämlich bisher ziemlich spannend. Auch was Sie gesagthaben, Frau Luft, war völlig daneben. Der Deutsche Bun-destag und der Bundesrat haben den Maastricht-Vertragbeschlossen. Damit sind wir völkerrechtliche Verpflich-tungen eingegangen. Wenn aber innerstaatlich in der Tat– daran will ich gar nicht tasten – die Haushaltsautonomiedes Bundes auf der einen Seite und die der Länder auf deranderen Seite – die der Gemeinden übrigens nicht, weilsie der Aufsicht der Länder unterstehen und Bestandteilder Länder sind – gegeben ist, kann man nicht erklären:Wir haben zwar einen völkerrechtlich gültigen Vertrag ab-geschlossen, aber wir, die Länder, haben damit nichts zutun.
Das war die bayerische Position gegen Theo Waigel. Dashabe ich bis in die letzten Tage hinein von HerrnFaltlhauser und Herrn Glück gehört. Heute hat HerrStoiber zum ersten Mal erklärt, was selbstverständlichsein müsste: Wir sind bereit, uns an einem nationalen Sta-bilitäts- und Wachstumspakt zu beteiligen.
– Ja, die erste Runde haben wir im vergangenen Jahr er-reicht. Theo Waigel – ich sage das ohne Vorwurf – hat dasnicht geschafft.
Deswegen sage ich ausdrücklich: Wir gehen genau denWeg, wie er in unserem Zukunftsprogramm 2000 Punktfür Punkt beschrieben ist. Ich fordere die Länder auf – daswerden wir ganz fair machen –, ihren Beitrag dazu zu leis-ten; denn das Problem im vergangenen Jahr, das uns dieDebatte über das „early warning“ eingebracht hat, war dieVerdreifachung der Länderdefizite. Diese haben sich des-halb vergrößert, nicht etwa weil ich – das kann ich garnicht – bestimmte Lasten zuungunsten der Länder ver-schoben habe, sondern weil ein Teil der Länder weit überdie vom Finanzplanungsrat empfohlene Ausgabenliniehinausgegangen ist.Zum Schluss: Die von mir dargestellte Politik müssenwir nicht nur wegen des Stabilitätspaktes machen. Wirmüssen sie auch machen, weil wir selber aus der Schul-denfalle, in die Sie uns geführt haben, herauskommenmüssen. Das werden wir auch schaffen.
Ich erteiledas Wort dem Kollegen Dietrich Austermann für die Frak-tion von CDU/CSU.Dietrich Austermann (von Abgeordne-ten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Das war
eine peinliche Rede, Herr Minister Eichel.
Wenn ich bedenke, dass Sie von allen Mitgliedern derEuropäischen Kommission einen blauen Brief angekün-digt bekommen haben, dass im Prinzip alle damit einver-standen waren, dass Sie einen blauen Brief erhalten, unddass Sie selber sogar mit diesem blauen Brief zuerst ein-verstanden waren, kann ich nicht nachvollziehen, wie Sie,nachdem der Bundeskanzler auf europäischer Ebene vonVerschwörungstheorien geredet hat, die Stabilitätskulturanpreisen können. Wie sind Sie denn mit den Kommis-sionsmitgliedern und den Vertretern der anderen Länderin dieser Frage umgegangen? Das passt doch hinten undvorne nicht zusammen.
Ihre Rede war auch deshalb peinlich, weil Sie zwarständig irgendwelche Stabilitätsprogramme ankündigen,aber in der praktischen Politik das genaue Gegenteil vondem tun,
was notwendig wäre, damit 2004 ein ausgeglichenerHaushalt vorgelegt werden kann. Ein Beispiel dafür istdas gesamtstaatliche Defizit. Es lag 1998 bei 1,7 Prozentdes BIP. Es liegt zurzeit bei 2,6 bis 2,7 Prozent und wirdnach den Einschätzungen aller, die etwas von Wirtschaftverstehen, in diesem Jahr die Drei-Prozent-Marke tangie-ren. Das heißt, Sie haben durch Ihre Politik die Ver-schlechterung des gesamtstaatlichen Defizits und die Ver-letzung der Maastricht-Kriterien vorbereitet. Das ist derentscheidende Punkt.
Angesichts dessen hilft es nichts, wenn Sie den Län-dern die Schuld daran mit der Behauptung geben, sie hät-ten sich nicht an dem nationalen Konsolidierungspakt be-teiligt. Nein, Sie haben durch Ihr Zukunftsprogrammsowie durch viele andere Maßnahmen
– ich nenne nur die UMTS-Erlöse, die Postumsatzsteuerund die Reform der Körperschaftsteuer als Beispiele –den Ländern den Dreck vor die Tür gekippt. Jetzt sagenSie den Ländern: Ihr spart nicht in ausreichendem Maße!
Ein konkretes Beispiel für Ihre Politik gab es vor einerStunde in der Sitzung des Haushaltsausschusses: HerrBodewig hat festgestellt, dass der Bund den Transrapid
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Bundesminister Hans Eichel21536
mitfinanzieren wolle. Er erwartet aber, dass auch die Län-der Bayern und Nordrhein-Westfalen einen Beitrag leis-ten und dass sie für die Maßnahmen verantwortlich sind.
Er hat zwar einen Bundeszuschuss in Höhe von 6,1 Mil-liarden DM in Aussicht gestellt. Er hat dafür aber keineneinzigen Pfennig in die Haushalte dieses, des nächstenund des übernächsten Jahres eingestellt. Sie machen stän-dig unredliche Versprechungen, um den Ländern Sand indie Augen zu streuen.
Sie wollen die Länder auch hier sich selbst überlassen. Siemachen ständig Versprechungen – ich nenne in diesemZusammenhang nur das Thema Airbus –, die nicht gehal-ten werden.
Die mangelnde Glaubwürdigkeit rot-grüner Finanz-politik kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Ausga-ben aufgebläht worden sind. Sie haben neue Schulden ge-macht. Sie haben Deutschland in die Rezession geführt.1998 gab es ein Wirtschaftswachstum von rund 3 Prozent.Heute weist die deutsche Wirtschaft ein Nullwachstumauf, wenn sie sich nicht sogar in der Rezession befindet.
Wie können Sie angesichts der gegenwärtigen Rezessionversprechen, dass Sie das gesamtstaatliche Defizit, dasmomentan bei 60 Milliarden bis 65 Milliarden Euro liegt,bis 2004 auf null bringen werden? Das ist überhaupt nichtzu schaffen. Wenn man einigermaßen glaubwürdig seinwill, dann darf man so etwas nicht versprechen.Sie sind angesichts Ihrer Erklärungen, die Sie im Hin-blick auf das gesamtstaatliche Defizit und die zukünftigeEntwicklung abgeben, nicht mehr ernst zu nehmen. Wiesoll das gesamtstaatliche Defizit in Höhe von rund 65Mil-liarden Euro bis 2004 abgebaut werden, wenn man be-denkt, dass Sie eine Politik machen, die wachstumshem-mend ist, die neue bürokratische Hürden aufgebaut hatund die den Arbeitsmarkt stranguliert? Ich möchte das aneinem bildlichen Beispiel darstellen: Sie behaupten jedeshalbe Jahr aufs Neue, dass der Aufschwung vor der Türstehe. Zurzeit heißt es: Die Energiepreise sind so niedrig.Also muss der Aufschwung jetzt unbedingt kommen. –Ich nehme an, dass Sie selbst in letzter Zeit nicht getankthaben;
sonst würden Sie nicht sagen, dass die Energiepreise ge-sunken sind.Mir fällt dazu folgendes Bild ein: Hans Eichel tappertohne Laterne im Keller herum und sagt: Irgendwo geht eshier doch nach oben.
Vielleicht hilft ihm einmal jemand mit einer Laterne aus.Irgendwo gibt es sicherlich eine Treppe. Irgendwann gehtes sicherlich einmal aufwärts. Aber es geht nicht aufwärts,wenn Sie diese Politik weiterführen, wenn Sie die Lastenbei den Ländern abladen, alle anderen beschimpfen undgleichzeitig noch mit der EU hadern.
Wir brauchen eine wachstumsfördernde Steuerpolitik,die Steigerung der Investitionen und den Abbau der büro-kratischen Hemmnisse auf dem Arbeitsmarkt. Wir müs-sen wirklich sparen. Ihr eigener Haushalt enthält eineFülle von Maßnahmen, die es mit sich bringen, dass prak-tisch jeden Tag eine neue Gesellschaft gegründet wird unddass – von der Öffentlichkeitsarbeit bis zur Flugbereit-schaft – irgendwo Geld verschwendet wird. Ständig wer-den neue Maßnahmen eingeleitet, die den SteuerzahlerGeld kosten, obwohl Einsparungen vorgenommen wer-den könnten, wenn man es wirklich ernst meinte.Diese Politik hat abgewirtschaftet. Von Sparpolitikkann keine Rede sein.
Eine Perspektive ist nicht vorhanden. Sie haben sich end-gültig um die Glaubwürdigkeit in Europa gebracht.
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-
legin Christine Scheel.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! HerrAustermann, in den letzten Jahren der Regierungstätigkeitvon Union und FDP gab es noch nicht einmal ein Licht-lein, sondern es war zappenduster, und zwar die ganzeZeit:
Während auf der einen Seite die Steuereinnahmen zurück-gegangen sind, haben Sie auf der anderen Seite von Jahrzu Jahr Steuererhöhungen vorgenommen; die Sozialversi-cherungsbeiträge sind gestiegen und die Gesamtbelas-tungen sind, was Verschuldung und Nettokreditaufnahmebetrifft, ebenfalls gestiegen. Das sind, was Ihre Politik bis1998 angeht, Fakten.
Ich komme auf das heutige Thema zu sprechen. Es isteine Tatsache, dass die Finanzplanung bis 2004 genaudem entspricht, was bereits vor Jahren zugesagt wordenist, nämlich einen auf allen Ebenen der Bundesrepublik
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Dietrich Austermann21537
Deutschland nahezu ausgeglichenen Haushalt vorzu-legen.
Ich muss sagen: Ich verstehe die Aufregung überhauptnicht;
denn an diesem Ziel hat sich nichts verändert. ImJahr 2000 gab es aufgrund der beschlossenen Steuerre-form 2000 und der damit verbundenen Steuerentlastungenallerdings die Überlegung, das Defizit bis 2006 abzu-bauen. Wir werden jetzt aber das umsetzen, was unterTheo Waigel und auch unter Hans Eichel immer verspro-chen worden ist. Der von uns verantwortete und einge-schlagene Konsolidierungskurs des Bundes wird seinenBeitrag dazu leisten. Das ist überhaupt keine Frage.Friedrich Merz – er ist gerade entschwunden –
hat behauptet, die Sparziele von Hans Eichel und der Re-gierung könnten nur durch eine kräftige Erhöhung derMehrwertsteuer um vier Prozentpunkte erreicht werden.
Sie sollten dann konsequenterweise sagen, dass Sie wederan die Konsolidierung glauben noch dass Sie noch ir-gendeinen Sparwillen haben, dass Sie überhaupt keinenBock mehr haben, in diesem Zusammenhang irgendetwaszu tun, was Strukturreformen betrifft, die dieses Land inverschiedenen Bereichen nach wie vor braucht.
Es ist hochinteressant, sich die zuletzt gemachten Vor-schläge anzuschauen. Sie haben wieder eine Steuerer-höhungsdebatte begonnen, indem Sie eine Mehrwert-steuererhöhung – anscheinend fällt Ihnen wirklich nichtsanderes ein – gefordert haben. Gleichzeitig wird im„Handelsblatt“ über die Überlegungen von Herr Rauenberichtet. Diese lässt er morgen anscheinend dementieren.Darüber bin ich überrascht, denn das „Handelsblatt“ isteine sehr solide und eine sehr gute Wirtschaftszeitung.Haben diejenigen, die den entsprechenden Artikel in die-ser Zeitung geschrieben haben, irgendetwas geträumt?Das kann ich mir nicht vorstellen. Herr Rauen, irgendeinFünklein Wahrheit muss in diesem Artikel enthalten sein.Ich vermute, dass der Vorstoß, der von Ihnen in IhrerFunktion als finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecherder CDU/CSU-Fraktion kommt, auf großen Unmut beimKandidaten aus Bayern gestoßen ist. Er hat nämlich ge-sagt, dass er sich dieser Forderung nicht unbedingt an-schließen wird; vielmehr hat er seine Haltung offen ge-lassen.Was bedeutet die Forderung, die jetzt vonseiten derCDU/CSU zur Steuerpolitik erhoben wird, denn wirk-lich? Ihr erster Vorschlag, Körperschaften höher zu be-steuern, führt zwar dazu, dass große Unternehmen höherbesteuert werden, aber auch jede andere Körperschaftwird in Zukunft höher besteuert. Dazu gehören auchkleine und mittelständische Unternehmen, die dieseRechtsform gewählt haben; auch die gibt es in diesemLand.Über Ihren zweiten Vorschlag, Verlustvorträge in Zu-kunft nicht mehr anzurechnen, kann man ja reden;
aber jeder Existenzgründer und alle kleinen und mittel-ständischen Unternehmen, die investieren, Verluste ma-chen und die Möglichkeit von Vorträgen brauchen, umsich entwickeln zu können, werden damit ausgebremst.
Ich frage mich da, wo hier eine vernünftige Mittelstands-politik betrieben wird.Ich denke, dass das Chaos in Ihren Vorschlägen so wei-tergeht, wie wir es schon in den letzten Wochen erlebt ha-ben, und dass man sich in der Union und in der FDP nichteinig darüber ist, was man will. Die FDP hat wiederumForderungen auf den Tisch gelegt, die Steuerausfälle inder Größenordnung von über 250 Milliarden Euro nachsich ziehen. Wenn wir dem nachkommen würden, was dieFDP will, wären alle Ebenen in diesem Staat völlig bank-rott.Danke schön.
Für die
Fraktion der FDP spricht der Kollege Dr. Hermann Otto
Solms.
Meine Damen undHerren! Wenn ein Schüler einen blauen Brief bekommt,strengt er sich an, um das Klassenziel zu erreichen. HansEichel und Gerhard Schröder versuchen, den blauen Briefzu vermeiden. Das Ergebnis ist: Am Schluss bleiben siesitzen.
Das Problem ist nämlich, Herr Kollege Eichel: Ihre Wortein Gottes Ohr, aber Ihre Taten stimmen nicht mit IhrenWorten überein. Es heißt ja schon in der Bibel: An ihrenTaten sollt ihr sie erkennen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Christine Scheel21538
Sie sind als Sparminister angetreten und haben sogar vonder Oppositionspartei FDP die Zusicherung bekommen,Ihnen bei der Konsolidierung des Bundeshaushaltes hel-fen zu wollen.Was haben Sie denn wirklich getan? Die Ausgaben desBundes sind gestiegen. Sie haben auf Kosten der Steuer-zahler gespart. Sie haben die Steuern so erhöht, dass aufdiese Weise zwischenzeitlich ein Spareffekt eingetretenist.
Das beruht alles auf Ihren Zahlen, Herr Eichel. Gespartwurde kein Pfennig; es wurde mehr ausgegeben.
Die investiven Ausgaben sind gesenkt worden; damit ha-ben Sie die Konjunkturkrise noch verschärft.Jetzt sollen wir Ihnen aufgrund dieser Erfahrungenglauben, dass Sie innerhalb von zwei Jahren ein Defizitvon 54 Milliarden Euro, weit über 100 Milliarden DM,abbauen können?
Wenn Sie Vorschläge dafür bringen würden, wäre das janoch gut und wir würden Sie dabei unterstützen, aber Siebringen ja keinen einzigen Vorschlag.
Das ist doch interessant; denn Sie haben nur noch andert-halb Jahre Zeit, dieses Ziel zu erreichen – aber kein einzi-ger Vorschlag zur Konsolidierung.
– Es sind noch anderthalb Jahre, um das Ziel im Jahr 2004zu erreichen. Weil Sie aber im nächsten halben Jahr keineVorschläge mehr machen, werden Sie auch nicht dieChance haben, dieses Ziel zu erreichen. Das ist das Ent-scheidende.
Angesichts des Debakels bei der Bundesanstalt für Ar-beit hätten Sie doch allen Anlass, Vorschläge zu machen.So eine gute Vorlage hat es doch seit Jahrzehnten nichtmehr gegeben. Da hat sich in einer Bundesanstalt ein Kar-tell aus Gutmenschen zusammengeschlossen: Das sinddie Funktionäre unter den Sozialpolitikern, das sind dieFunktionäre bei den Arbeitgebern und den Arbeit-nehmern, die ihre Probleme auf Kosten der Steuerzahlerund der Beitragszahler lösen. Sie haben sich durchSchwindel und Betrug Steuermittel in Milliardenhöhe er-kämpft, erstritten bzw. ergaunert.
Und nun geht die ganze Kritik nur an die MarionetteJagoda, der ja letztlich der Erfüllungsgehilfe von Riester,Kannengießer und Engelen-Kefer ist.
Er soll zum Schluss das Bauernopfer sein.
Sie hätten allen Anlass gehabt, im Kabinett dafür Sorgezu tragen, dass gespart wird. Wenn die Bundesanstalt inder Form, wie sie heute besteht, aufgelöst würde, könntenlocker 20 oder 30 Milliarden eingespart werden. Dannkönnten Sie auch bei den Ländern Überzeugungsarbeitleisten, damit sie an einer gesamtstaatlichen Sparaufgabemitwirken. Aber Sie können natürlich nicht den Länderndas Sparen zumuten, wenn Sie selbst mit schlechtem Bei-spiel vorangehen.
Meine Damen und Herren, ein Bundesfinanzminister,der seine Aufgaben so wenig ernst nimmt, kann wirklichnicht mehr in diesem Amt bleiben.
Auch ein Bundeskanzler, der die BundesrepublikDeutschland in Europa öffentlich dermaßen blamiert, in-dem er das allgemein anerkannte Stabilitätsziel infragestellt und damit die Autorität für die Stabilitätspolitik un-terläuft,
kann in diesem Amt nicht länger bleiben.
Wir verlieren an Vertrauen und an Autorität, nationalwie international, in einem Maße, wie es das vorher nochnie gegeben hat. Das ist ein einmaliger Vorgang. Jedernüchterne Betrachter von außen sieht das so. Sie müsseneinmal Ihre parteiprogrammatischen Überlegungen undÄußerungen vergessen. Schauen Sie sich ganz nüchternan, was hier in Deutschland stattfindet! Das ist eine Bla-mage auf der ganzen Strecke.
Es ist einem sogar als Oppositionspolitiker peinlich, wel-ches Bild diese Bundesregierung abgibt. Mir ist das pein-lich.
Wenn ich mit Ausländern rede, versuche ich sogar noch,diese Bundesregierung zu verteidigen, weil man ja nichtglauben mag, welch schwaches Bild hier geboten wird.
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Dr. Hermann Otto Solms21539
Ich sage Ihnen: Es hilft nicht, dass Sie die Rechnungdafür bei der Wahl bekommen. Sie haben jetzt noch einigeMonate Zeit. Geben Sie sich Mühe, machen Sie ein paarkonkrete Vorschläge und versuchen Sie, noch ein bisschenvon Ihrer verkündeten Politik umzusetzen. Damit würdenSie dem ganzen Staat helfen.Vielen Dank.
Das Wort
hat der Kollege Hans Georg Wagner für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Solms,die Angriffe auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derBundesanstalt für Arbeit weise ich in aller Deutlichkeitzurück.
Es ist eine Unverschämtheit, was Sie hier von sich gege-ben haben.
Die Mitarbeiter leisten treu und brav ihren Dienst. WennVersäumnisse vorgekommen sind, werden daraus Konse-quenzen gezogen. Aber gerade Sie behalten sich vor, alleMitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Lumpen, Verbrecherund Gauner zu bezeichnen,
obwohl Sie beim Geldwäschegesetz und bei den Gesetzengegen Steuerhinterziehung nicht mitgemacht haben. Siesind doch die Partei der Besserverdienenden, wie Sieselbst gesagt haben.
Herr Kollege Austermann hat gesagt, es habe eineAusgabenexplosion gegeben. Ich will Ihnen einmal dieZahlen für die Ausgaben während unserer Regierungszeitvorlesen: 1999 waren es 246 Milliarden Euro, 2000 wa-ren es 244 Milliarden Euro, 2001 waren es 245 Milliar-den Euro und 2002 sind 247 Milliarden Euro geplant.Jetzt sagen Sie mir, Herr Austermann, was da explodiert!
Das sagen ausgerechnet die, die dafür verantwortlichsind, dass bei Steuermindereinnahmen des Staates – HerrRauen hat die Zahlen freundlicherweise vorgelesen –ständig die Schulden erhöht worden sind, bis auf 1,5 Bil-lionen DM mit 80 Milliarden DM jährlicher Zins-belastung. Diese Belastung unserer Kinder und Enkelkin-der wurde, Gott sei Dank, 1998 durch den Wählergestoppt. Wir haben die umgekehrte Entwicklung einge-leitet. Dazu waren Sie zu keinem Zeitpunkt fähig undauch nicht willens.
Noch ein Punkt zur Sitzung des Haushaltsausschusses:Herr Bodewig trägt einleuchtend und nachvollziehbarzum Transrapid vor, nur Herr Austermann begreift esnicht.
Ich habe ihm dann empfohlen, er möge doch einmal einenBlick in den Haushaltsplan werfen.
Im Haushaltsplan stehen nämlich die entsprechendenTitel. Und obwohl dort Planungskosten in Höhe von34 Millionen Euro enthalten sind, sagen Sie, wir hättendafür keinen Pfennig im Haushalt eingestellt.
Wenn man so an die Arbeit herangeht, ist das unseriös.Das kann nicht hingenommen werden.
Es ist schon gesagt worden, dass Bund, Länder, Ge-meinden und Sozialversicherungen zusammen eine Ein-heit bilden.
Jeder muss sich daran halten. Ich will es mir jetzt erspa-ren, vorzulesen, wie die Länderhaushalte, und zwar durchdie Bank, explodiert sind.
– Nein. Die Länder haben Sparmaßnahmen in dem erfor-derlichen Umfang vermissen lassen.Herr Kollege Koppelin, Sie sind mit mir im Haushalts-ausschuss. Ihnen ist, wie mir, am 27. Juni 2001 die Druck-sache 2576 des Haushaltsausschusses zugegangen. Darinwird über die 93. Sitzung des Finanzplanungsrates am6. Juni 2001 berichtet. Wenn man sich das Blatt ansiehtund die Entwicklung in den öffentlichen Haushalten bis2005 betrachtet, dann liest man bei 2004 eine Null und bei2005 ebenfalls. Entweder haben Sie die Vorlage nicht ge-lesen oder Sie wollen sie bewusst nicht zur Kenntnis neh-men. Sie haben dem damals – auch hier im Bundestag undim Bundesrat – nicht widersprochen.
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Dr. Hermann Otto Solms21540
Wir müssen jetzt versuchen, uns sehr anzustrengen, damitBund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen die-ses erklärte Ziel in der Tat einhalten.Noch etwas: Ihr Kanzlerkandidat hat ja bei FrauMerkel, nein, bei Frau Christiansen gesagt,
dass man den Spielraum von 2,7 auf 3 Prozent für Inves-titionsprogramme nutzen solle. Das habe im Haus-halt 2002 eine Auswirkung von etwa 6 Milliarden. Ermöchte ja ab Herbst die Verantwortung hier übernehmen,also für den Haushalt 2003. Aufgrund der Zahlen, dienach Brüssel gemeldet worden sind, nämlich 1 Prozent,hätte er dann einen Spielraum von 30 Milliarden Euro. –Das war sein Vorschlag.Wenn man die 30 Milliarden Euro auf die Gesamtver-schuldung aufschlägt, erkennt man, dass die Tatbestands-merkmale des Art. 115 Grundgesetz erfüllt werden.Würde also das, was er vorgeschlagen hat – wahrschein-lich unüberlegt oder durch Herrn Austermann beraten –,durchgeführt, wäre der Haushalt des nächsten Jahres ver-fassungswidrig. Sie können doch nicht zu einem verfas-sungswidrigen Haushalt auffordern.Die Finanzpolitik von Hans Eichel ist nicht nur vonuns, der Regierungskoalition, gelobt und mitgetragenworden. Die Europäische Union hat, als die Debatte überden so genannten blauen Brief stattfand
– wie ich Sie einschätze, haben Sie doch auch eine ganzeMenge blaue Briefe bekommen: „Die Versetzung ist starkgefährdet“ oder Ähnliches –, bescheinigt, dass die Haus-halts- und die Finanzpolitik der Bundesregierung absolutrichtig und grundsolide sind. Wir werden dafür sorgen,dass dies im nächsten Jahr fortgesetzt werden kann.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Hans
Michelbach.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Die zentralen Heraus-forderungen und Zukunftsfragen für unser Land sind, denwirtschaftlichen Abstieg unseres Landes, die Massenar-beitslosigkeit, die Überlastung unserer Sozialsysteme undden Verlust des soziales Zusammenhalts zu beenden unddas internationale Ansehen unseres Landes sowie die Sta-bilität unserer Währung durch eine seriöse und wachs-tumsfördernde Haushalts- und Finanzpolitik zu mehren.Herr Eichel, darauf erwarten die Menschen in unseremLand Antworten. Diese Antworten bleiben Sie schuldig.
Was Sie heute hier geboten haben, ist der Verantwortungeines deutschen Bundesfinanzministers nicht würdig.
Sachaussagen? – Fehlanzeige. Planungssicherheit fürMenschen, Bürger und Betriebe? – Keine. Wo bleibenIhre Sparvorschläge, Herr Eichel? Die Antworten daraufbleiben Sie schuldig. Sie haben wieder nur Ausflüchte.Schuld sind immer die anderen, das ist Ihre Politik.
Der Bundesregierung geht damit schon nach drei Jahrendie Luft aus.Mit Blick auf die Kriterien des Stabilitätspakts hättedie Bundesregierung den blauen Brief aus Brüssel ver-dient. Dieser Auffassung der Europäischen Kommission,der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bun-desbank schloss sich zunächst auch Bundesfinanzminis-ter Eichel an. Herr Eichel, Sie fanden doch durch denblauen Brief zunächst Ihre Finanzpolitik bestätigt; Siefühlten sich belobigt. Jetzt spielen Sie den Ahnungslosen.Auch Ihr Genosse, Herr Bundesbankpräsident Welteke,hielt den blauen Brief für angemessen. Der Bundeskanz-ler – das ist die Wahrheit – hat Ihnen aber die Kehrtwendebefohlen, anstatt der Annäherung an die Verschuldungs-grenze von 3 Prozent mit konkreten Maßnahmen zu be-gegnen.Mit der ominösen Verschwörungstheorie des Bundes-kanzlers, es seien nicht ökonomische Gründe undDeutschland habe den blauen Brief nicht verdient, hat sichder Bundeskanzler zum Totengräber des Stabilitätspaktsund zum Weichmacher des Euro gemacht.
Mit diesem Amoklauf ist schwerer Schaden für Deutsch-land und die Stabilitätskultur in Europa entstanden. DieseGroßmannssucht des Bundeskanzlers ist in Europa fehlam Platze.
Dann mussten Sie, Herr Eichel, Ihren Canossagangzum Ecofin antreten und mit einem Kuhhandel denoffiziellen blauen Brief aus Brüssel verhindern. Mit demVersprechen, sich künftig wie ein reuiger Sünder zu ver-halten, ließen Sie Ihre Amtskollegen noch einmal davon-kommen. Dabei konnten Sie sich auf jene verlassen, dieden von Theo Waigel durchgesetzten Stabilitätspaktseinerzeit nur mit Widerwillen akzeptierten.Zur Abwendung des blauen Briefes aus Brüssel habenSie, Herr Eichel, nun versprochen, den Haushalt innerhalbvon 24 Monaten auszugleichen. Das ist eine leere, un-erfüllbare Versprechung, weil Ihre rot-grüne Politik nichtstimmt, weil Ihre Haushalts- und Finanzpolitik nichtstimmt. Damit wurden die Unglaubwürdigkeit, Beliebig-keit und Unzuverlässigkeit der Bundesregierung wiederdeutlich.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2002
Hans Georg Wagner21541
Herr Eichel kommt mir wie der Sitzenbleiber vor, derdas vollmundige Versprechen abgibt, in zwei Jahren derMusterschüler zu sein. Doch niemand glaubt ihm mehr,weil er kein glaubwürdiges Konzept vorträgt.
Rot-Grün ist geistig und konzeptionell am Ende.
Er rettet sich nur noch in Schuldzuweisungen RichtungBundesländer und Kommunen.Wir brauchen eine neue Standortoffensive, durch diedie Bremsen auf dem Arbeitsmarkt gelöst werden – daskostet gar nichts –, die Einstellungshindernisse beseitigtwerden und die Schwarzarbeit konkret bekämpft wird.Der Mittelstand muss entlastet werden, Steuervereinfa-chung und Steuergerechtigkeit müssen hergestellt wer-den.Deutschland braucht möglichst schnell
den Wechsel. Durch jeden Tag, den Neuwahlen eher statt-finden, gewinnt Deutschland.
Deutschland muss vom Tabellenende wieder in die Spit-zengruppe Europas geführt werden.
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Volker Kröning für die Fraktion
der SPD.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Wenn diese Debatte nichtnur in einer Aktuellen Stunde, sondern auch darüber hi-naus von Bedeutung sein soll, sind noch ein paar Wortezum Verhältnis zwischen Bund und Ländern erforderlich.
Bei den föderalen und parlamentarischen Entscheidun-gen im Jahre 2001, erst über das Maßstäbegesetz und dannüber das Solidarpaktfortführungsgesetz, waren die Vor-schläge der Bundesregierung zur innerstaatlichen Umset-zung des Stabilitätspaktes von Maastricht nicht durch-setzbar. Übrig geblieben ist im Maßstäbegesetz nur § 4, indem es heißt:Bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse vonBund und Ländern sowie der Gestaltung der öffent-lichen Haushalte ist über die Bestimmungen desArtikels 106 Abs. 3 Satz 4 und 5 des Grundgesetzeshinaus sicherzustellen, dass durch eine gemeinsameAusgabenlinie die Bestimmungen des Maastricht-Vertrages und des europäischen Stabilitäts- undWachstumspaktes zur Begrenzung des gesamtstaatli-chen Defizits umgesetzt werden.Diese Vorschrift gilt seit dem 12. September 2001.Nebenbei bemerkt: Die FDP hat damals dieses Gesetzund damit auch diese Vorschrift abgelehnt. Herr Dr. Solms,was Ihr Verhältnis zu den Ländern angeht, muss man fest-stellen, dass man bei Ihnen weder von Solidarität mit denLändern noch von Unterstützung des Bundes bei derDurchsetzung einer Stabilitätspolitik gegenüber den Län-dern sprechen kann.
Auch bei den Entscheidungen über das Solidarpakt-fortführungsgesetz 2001 waren die Vorschläge des Bun-des – und zwar von Regierung und Koalition – gegenüberden Ländern nicht alle durchsetzbar. Der Entwurf für ei-nen neuen § 51 a des Haushaltsgrundsätzegesetzes stießauf eine geschlossene Ablehnungsfront des Bundesrates.Der Einwand war derselbe wie 1992 bei der Verabschie-dung des Vertrages von Maastricht. Es heißt aus der Sichtder Länder nach wie vor, die Stabilitätskriterien könnten„keine weitgehenden Eingriffe in die eigenverantwortli-che Haushaltswirtschaft der Länder rechtfertigen“. Diesgelte „auch für das gemeinsame politische Ziel ausgegli-chener Haushalte“.Durchgesetzt hat sich – das muss festgehalten werden;das Eisen muss geschmiedet werden, solange es heiß ist –aus gesetzlicher Sicht der Bund. § 51 a des Haushalts-grundsätzegesetzes lautet nämlich – leider ist er erst ab2005 wirksam –:Bund und Länder kommen ihrer Verantwortung zurEinhaltung der Bestimmungen in Artikel 104 desVertrages zur Gründung der Europäischen Gemein-schaft und des europäischen Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes nach und streben eine Rückführung derNettoneuverschuldung mit dem Ziel ausgeglichenerHaushalte an.Leider kam man in der Sitzung des Finanzplanungsra-tes am 26. November 2001 nicht weiter, sondern fiel hin-ter dieses Ziel zurück. Zwar war man sich in der Absicht– so heißt es leider schwach formuliert – zur dauerhaftenEinhaltung der Maastricht-Kriterien entsprechend denZielsetzungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes– diesen Punkt fügte man hinzu – einig, aber man hat sichnicht über den Zeitpunkt hinsichtlich eines Einstieges indie gemeinsame Stabilitätspolitik und über die Schritt-folge verständigt.Damit bleibt festzuhalten:Erstens. Es gibt bereits einen nationalen Stabilitäts-pakt, allerdings nur in rudimentärer Form. Ich schließenicht aus, dass angesichts der Erfahrungen, die wir in die-sem Jahr gemacht haben, neue bundesrechtliche Regelun-gen über die hinaus, die es zurzeit gibt, nötig sein werden
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Hans Michelbach21542
und in der nächsten Legislaturperiode verabschiedet wer-den müssen.
Die Länder stellen rechts- und verfassungspolitische For-derungen an den Bund. Denken Sie nur an die Föderalis-musreform, an die Entmischung von staatlichen Aufgabenauf den beiden Ebenen und an bessere Möglichkeiten derFinanzierung von Aufgaben in eigenverantwortlicherWahrnehmung.Ich schließe also nicht aus, dass es weiter gehende Re-gelungen in der nächsten Legislaturperiode geben wird.Dazu sollten die Regelungen in anderen Bundesstaaten,die der Europäischen Union angehören, zum Vergleichherangezogen werden. Bei dieser Gelegenheit erinnereich gern an unser Nachbarland Österreich.Zweitens. Dem Finanzplanungsrat kommt in diesemJahr eine Schlüsselrolle zu. Wir haben schon von der Son-dersitzung gehört; Herr Poß hat sie erwähnt. Es geht umdie Steuerung des Haushaltsvollzuges 2002 und um diegestalterische Kraft von Bund, von Ländern, von für dieSozialversicherung Verantwortlichen – das ist nicht nur,aber auch der Gesetzgeber – und von Gemeinden bei derAufstellung der Haushalte im Jahr 2003 und in den Fol-gejahren. Diese Chance muss politisch genutzt werden.Schönen Dank.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter Hintze.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Wenn es eines Beweises be-durft hätte, dass diese Regierung am Ende ist, dann ist erspätestens mit der peinlichen Posse um den blauen Briefaus Brüssel geliefert worden.
Mit dem Euro haben wir in Europa nicht nur eine ge-meinsame Währung, sondern auch die gemeinsame Ver-pflichtung, die Stabilität und Stärke unseres Geldes zu si-chern. Da geht es um wirtschafts- und finanzpolitischeFakten und auch um Psychologie. Der Euro wird sich ne-ben dem Dollar als Weltwährung nur dann behaupten kön-nen, wenn alle Welt sieht, dass wir in Europa das wirt-schaftliche Wachstum fördern und uns peinlich genau andie Stabilitätsregeln halten. Genau das ist hier nicht pas-siert; dagegen ist verstoßen worden.
Ich verstehe schon, dass der Regierung der Vorgangunangenehm ist.
Früher war es immer so: Wir alle mussten in Wahlkämp-fen mühsam ermitteln, wie Deutschland im wirtschaftli-chen Vergleich abschneidet. Die Menschen haben viel-leicht gedacht, das sei nur Wahlkampf. Mit derEinführung des Euro ist heute für die Teilnehmer derWährungsunion, für die zwölf Staaten, klar, wie hoch imeuropäischen Vergleich die jeweilige Verschuldung unddas Wachstum sind und wie es mit der wirtschaftlichenStärke aussieht. Bei diesem speziellen Medaillenspiegelsieht es für Deutschland ziemlich trostlos aus: letzter Ta-bellenstand.
Es ist die Schuld dieser rot-grünen Regierung, dass wirdas kläglichste Wachstum und den höchsten Schulden-stand zu verantworten haben.
Was wir hier heute erlebt haben, war eine Nebelkerzenach der anderen. Da wird die Statistik bemüht und diesesund jenes in den Raum geschleudert. Was ist denn derGrund unserer hohen Neuverschuldung?
Der Grund unserer hohen Neuverschuldung ist die wirt-schaftliche Schwäche. Die wirtschaftliche Schwäche istdas Ergebnis der Politik dieser Regierung.
Wenn in den Zeitungen über Steuererhöhungen speku-liert wird, dann doch deswegen, weil auch der letzte Jour-nalist den Glauben daran verloren hat, dass es dieser Re-gierung gelingen könnte, das wirtschaftliche Wachstumso zu beleben, dass der Bundeshaushalt auf diese Weisegerettet werden kann.
Dieser Regierung traut man nichts mehr zu, allenfallsSteuererhöhungen – und das ist fatal.
Der Bundeskanzler wollte verhindern, dass das demdeutschen Volk bekannt wird. Wir können hier heute do-kumentieren: Es ist ihm nicht gelungen.
– Sie müssen sich dies jetzt einmal anhören! – Insofernwar Herr Eichel vielleicht einen Hauch klüger. Wenn wirden Brief entgegengenommen und gesagt hätten: „Okay,wir strengen uns jetzt an“, wären vielleicht ein paar hä-mische Bemerkungen gefallen; aber ansonsten wären Siedurchgekommen. Aber der Versuch des Bundeskanzlers,in seiner Angst vor dem Wähler den blauen Brief zu un-terdrücken, hat diese Sache auch für den Deutschen, dersich für Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht interessiert,
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Volker Kröning21543
offensichtlich gemacht. Insofern war es vielleicht docheine gute Geschichte.
Europapolitisch ist dies allerdings fatal. Wir stehen vorder Osterweiterung. Wir wollen, dass junge Demokratienzu uns stoßen. Wenn die hören: „Die Regeln in Europagelten nur für die Kleinen; aber wenn die Großen betrof-fen sind, werden sie mit einer kräftigen Aktion ausgehe-belt“, dann ist das für den Einigungsprozess in Europaungut.
Das ist auch für uns ungut. Denn mit einem solchen Um-gang mit selbst gesetzten Regeln verletzen wir die Kultur,von der wir letztlich alle profitieren.
Wir in Europa sind eine Rechtsgemeinschaft, die davonlebt, dass sich alle vertragsgemäß verhalten.
– Ihre Schreierei und Aufregung dokumentieren dasschlechte Gewissen darüber, dass uns die Regierung hiereine peinliche Aktion geboten hat und dass die europä-ische Öffentlichkeit – schauen Sie einmal in französische,englische und italienische Zeitungen – über das entsetztist, was Deutschland der Stabilitätskultur, dem Euro unddem gemeinsamen Projekt Europa angetan hat.
Das Peinlichste waren die Verschwörungstherorienbzw. Verdachtstheorien des Bundeskanzlers – er glänzt jaheute durch Abwesenheit – in Bezug auf die Kommission.Wie kann man die Hüterin der Verträge, unsere Europä-ische Kommission, vor der europäischen Öffentlichkeit ineiner derart peinlichen Weise verdächtigen, wie das derKanzler getan hat? Ich erwarte von ihm eine Entschuldi-gung vor diesem Hause für dieses Vorgehen.
Ich komme zum Schluss:
Die Bundesregierung hat dem Euro und Europa durchdiese Art und Weise des Umgangs Schaden zugefügt. Eswird Zeit, dass wir eine neue Regierung bekommen.
Ich gebe
nunmehr das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen
Ludwig Eich.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Herr Kollege Hintze, wenn ich Ihnen sozuhöre, fällt mir nur noch die Bibel ein.
In der Bibel heißt es: Lügenhafte Lippen sind dem Herrnein Gräuel. – Ihre Aussagen – das muss ich hier sagen –waren wirklich gräulich.
Für mich heißt das heutige Thema: Wie hält es die deut-sche Politik mit der Stabilität? Was müssen wir tun, umdiesem Ziel gerecht zu werden? Wie ernst nehmen wir dasauf nationaler Ebene?
Hans Eichel hat vor dem Ecofin-Rat klargestellt, dassdie Defizitgrenze von 3 Prozent und das Ziel eines ausge-glichenen Haushalts im Jahr 2004 gelten und dass man dieKonsolidierung verstärken wird. Er hat sich verpflichtet,auf Bundesebene mit den Bundesländern eine Vereinba-rung nach dem Stabilitätspakt zu treffen. Ich stelle fest,dass sich das, was geschehen ist, in völliger Übereinstim-mung mit dem befindet, was 1997 als Stabilitätspakt inKraft getreten ist.
Natürlich kann man fragen: Wieso ist eine solche Er-klärung erforderlich, wenn es doch eine EU-Vereinbarunggibt?
Die Antwort ist ganz einfach: Weil das Defizit der Bun-desländer, unter anderem das von Bayern, erheblich ge-wachsen ist,
was gegen diese Stabilitätskriterien verstößt. Das ist dieUrsache und das ist der Grund für die notwendigen Klar-stellungen.Leider ist es nun notwendig geworden, mit den Län-dern zu reden mit dem Ziel, dass die Stabilitätskriterienauf Dauer eingehalten werden. Es geht heute um einen na-tionalen Stabilitätspakt. Dafür – das kann ich hier fest-stellen – hat Hans Eichel breite Unterstützung, nicht nurvon den Regierungsparteien, sondern zum Beispiel auchvon Ernst Welteke, der sagt: Es wird höchste Zeit, einennationalen Stabilitätspakt zu schließen. Horst Siebertsagt: Ein nationaler Stabilitätspakt ist die wichtigste Vo-raussetzung für einen ausgeglichenen Gesamtstaatshaus-halt. Sein Kollege Wolfgang Wiegard geht gar so weit undsagt: Wir brauchen eine Grundgesetzänderung, damitauch die Bundesländer den Erfordernissen des EU-Ver-trages Rechnung tragen.Es geht also schlicht und einfach darum, auch die Län-der in ihrer Haushaltspolitik auf europäisches Recht ein-zuschwören. Das ist der Hintergrund. Es geht also darum,
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Peter Hintze21544
dass die Länder und auch alle Gebietskörperschaften aufdie Stabilität des Euro verpflichtet werden.Es ist nicht korrekt und nicht in Ordnung, wenn HansEichel einen blauen Brief dafür bekommen soll, dass dieLänder eine drastische Erhöhung ihres Schuldenkontos zuverzeichnen haben. Deswegen ist gerade diese Diskussionhier wichtig.
Leider wird hier von der Opposition ein großes Getösegemacht und natürlich wird der Versuch der Desinforma-tion unternommen.
Es soll versucht werden, die Öffentlichkeit darüber imUnklaren zu lassen, wo hier Ursache und Wirkung sind.Ich finde es wichtig, nachzulesen, wie seriös dieCDU/CSU und ihr Kanzlerkandidat aus Bayern mit demZiel der Stabilität umgehen.
Weil es wirklich so schön ist und weil Millionen Fernseh-zuschauer verfolgt haben, was vor einem Monat bei FrauMerkel, ich meine: Frau Christiansen, passiert ist, möchteich das hier wiedergeben: Frau Christiansen fragt HerrnStoiber, was er davon hält, dass Frau Merkel die Schuldenerhöhen will. Er antwortet darauf:... den Spielraum, den wir möglicherweise noch alsVerschuldung haben bis zur Grenze 3,0 – darüber hi-naus dürfen wir ja nicht gehen;– irgendwie scheint er zu bedauern, dass es eine Grenzevon 3,0 gibt –
dann kriegen wir die gelbe oder rote Karte aus Brüs-sel –, das sind vielleicht 15, 16 Milliarden Mark, diewir überhaupt noch als Spielraum haben, und ichmeine, dass wir jedenfalls einen Teil dieses Spiel-raums hernehmen müssen, um Wachstum anzustre-ben.Ich entnehme der Antwort Folgendes: Stoiber bedauertsehr, dass es keine beliebige Erhöhung der Staatsver-schuldung geben kann.
Herr Stoiber nimmt in der Tat an, dass er mit 15 oder16 Milliarden DM, bei einem Bruttoinlandsprodukt vonetwa 4 Billionen DM, die Konjunktur ausreichend an-schieben kann, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Mit dem Spielraum, den er hier gesehen haben will,wird er bei weitem nicht auskommen. Er will800 000 neue Jobs im Niedriglohnbereich ohne Neuver-schuldung „sponsern“. Er will 10 Milliarden Euro für dieneuen Bundesländer ausgeben. Und dann natürlich nochder große Hit: 600 Euro pro Kind im Monat in den erstendrei Jahren, und zwar einkommensunabhängig! 25 Mil-liarden Euro pro Jahr will er dafür ausgeben.
Diese angestrebte Neuverschuldung ist wirklich be-merkenswert. Im Grunde ist sie eine Gefährdung der Sta-bilität des Euro. Professor Peffekoven sagt dazu: Das kön-nen wir im Augenblick nicht finanzieren. Deshalb werdenwir das alles nicht machen können.
Die Kommentierung der anderen Experten geht von „be-dauerlich“ von Professor Kromphardt über „nicht ernst zunehmen“ von Professor Seitz bis „Luftnummer“ vonJürgen Borchert. Das sind die Kommentare der Expertenzu Ihrer Politik.
Herr Kol-
lege Eich, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Ihre
Politik ist nicht überzeugend und – das werden Sie sehen –
sie ist in diesem Land auch nicht mehrheitsfähig.
Vielen Dank.
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet. Wir sind damit am Schluss un-
serer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 21. Februar, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.