Protokoll:
14216

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 216

  • date_rangeDatum: 1. Februar 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:49 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Absetzung des Tagesordnungspunktes 18 . . . 21425 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Fleischhygienegeset- zes, des Geflügelfleischhygienegesetzes und des Tierseuchengesetzes (Drucksachen 14/7153 [neu], 14/7467, 14/7941, 14/8094) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21425 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und derLandschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvor- schriften (BNatSchGNeuregG) (Drucksachen 14/6378, 14/6878, 14/7469, 14/7490, 14/7942, 14/8095) . . . . . . . . . . . 21425 B Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 21425 D Cajus Caesar CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 21427 A Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 21428 B Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21429 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 21431 C Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Schröter, Eckhardt Barthel (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der deutschen Filmförderung – zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd Neumann (Bremen), Dr. Norbert Lammert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Verbesse- rung der Rahmenbedingungen für den deutschen Film (Drucksachen 14/7178, 14/3375, 14/7705) 21432 D Gisela Schröter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21433 A Bernd Neumann (Bremen) CDU/CSU . . . . . . 21435 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21438 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 21439 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21441 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 21442 C Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 21443 D Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten (Kinderrechte- verbesserungsgesetz) (Drucksachen 14/2096, 14/8131) . . . . 21446 A b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Rosel Neuhäuser, Dr. Evelyn Kenzler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Plenarprotokoll 14/216 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 216. Sitzung Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 I n h a l t : Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes (Art. 6, Kinder- rechte) (Drucksache 14/7818) . . . . . . . . . . . . . 21446 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 21446 B Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21447 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21449 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21450 B Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21451 A Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 21451 D Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 21453 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21454 B Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Zehn- ten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (10. SGB-V- Änderungsgesetz) (Drucksache 14/8099) . . . . . . . . . . . . . . . 21455 C Fritz Schösser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21455 D Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21457 C Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . . . . . . . 21458 C Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21460 A Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21460 B Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 21461 C Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . 21462 B Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 21463 C Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Hauser (Bonn), Dr. Heinz Riesenhuber, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: „Stiftung Bildungstest“ – Qualität und Effizienz für den wachsenden Bildungs- markt (Drucksachen 14/6437, 14/8092) . . . . . . . 21465 D Ernst Küchler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21466 A Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU . . . . . . . . 21466 D Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21468 C Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21469 C Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21470 C Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 21471 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz von zu- gangskontrollierten Diensten und von Zu- gangskontrolldiensten (Zugangskontroll- diensteschutz-Gesetz) (Drucksachen 14/7229, 14/8130) . . . . . . . 21472 D Tagesordnungspunkt 21: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Dranske retten – der Gemeinde eine Perspek- tive geben (Drucksachen 14/5806, 14/7887) . . . . 21473 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 21473 B Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zum Umfang der Umsatz- steuerbefreiung von Dienstleistungen der Deutschen Post AG . . . . . . . . . . . . . . 21474 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 21474 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21475 C Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . . . . . . . 21477 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21479 A Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21480 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21481 C Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 21482 D Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 21483 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21484 D Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 21485 D Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . . 21487 B Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 21488 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 21489 D Dr. Frank Schmidt (Weilburg) SPD . . . . . . . . 21491 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21492 D Berichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21492 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 21493 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002II Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Än- derung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (10. SGB-V-Änderungsgesetz) (Zusatztages- ordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21494 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21494 B Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21495 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten (Zugangskon- trolldiensteschutz-Gesetz – ZKDSG) (Zusatz- tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21496 C Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21496 C Dr. Martina Krogmann CDU/CSU . . . . . . . . 21497 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21498 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . 21499 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21499 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Dranske retten – der Gemeinde eine Perspektive geben (Tagesordnungspunkt 21) 21500 A Dr. Christine Lucyga SPD . . . . . . . . . . . . . . . 21500 A Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU . . . . . . . . . . 21501 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21501 D Dr. Karlheinz Guttmacher FDP . . . . . . . . . . . 21502 C Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21503 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 Dr. Frank Schmidt (Weilburg) 21492 (C) (D) (A) (B) Berichtigungen 213. Sitzung, Seite 21166 (A), der 2. Absatz ist wie folgt zu lesen: Wenn man eine Empfeh- lung bekommt, dann kann man kaum damit rechnen – das ist möglicherweise eine unangemes- sene Reaktion gewesen –, dass das Bundesverfassungsbericht sofort und ohne noch einmal nach- zufragen – erst recht, ohne bei den drei anderen Prozessbevollmächtigten nachzufragen – die Termine aufhebt.“ 215. Sitzung, Seite 21366 (A), 1. Absatz; der 5. Satz ist wie folgt zu lesen: „Gegenüber dem Ansatz von 2001 ist das eine Steigerung von 14 Prozent und somit ein deutliches Signal auch im Innovationsbereich.“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 21493 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 01.02.2002 Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 01.02.2002 Barthle, Norbert CDU/CSU 01.02.2002 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 01.02.2002 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 01.02.2002 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 01.02.2002* Bierwirth, Petra SPD 01.02.2002 Dr. Blank, CDU/CSU 01.02.2002 Joseph-Theodor Bohl, Friedrich CDU/CSU 01.02.2002 Braun (Augsburg), FDP 01.02.2002 Hildebrecht Brüderle, Rainer FDP 01.02.2002 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 01.02.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 01.02.2002 Klaus Bury, Hans Martin SPD 01.02.2002 Diemers, Renate CDU/CSU 01.02.2002 Follak, Iris SPD 01.02.2002 Freitag, Dagmar SPD 01.02.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 01.02.2002 Peter Dr. Friedrich CDU/CSU 01.02.2002 (Erlangen), Gerhard Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 01.02.2002 Glos, Michael CDU/CSU 01.02.2002 Gradistanac, Renate SPD 01.02.2002 Günther (Duisburg), CDU/CSU 01.02.2002 Horst Dr. Gysi, Gregor PDS 01.02.2002 Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 01.02.2002 Heinen, Ursula CDU/CSU 01.02.2002 Dr. Hornhues, CDU/CSU 01.02.2002 Karl-Heinz Hübner, Carsten PDS 01.02.2002 Imhof, Barbara SPD 01.02.2002 Janssen, Jann-Peter SPD 01.02.2002 Kelber, Ulrich SPD 01.02.2002 Klappert, Marianne SPD 01.02.2002 Kossendey, Thomas CDU/CSU 01.02.2002 Kuhn, Werner CDU/CSU 01.02.2002 Dr. Küster, Uwe SPD 01.02.2002 Lamers, Karl CDU/CSU 01.02.2002 von Larcher, Detlev SPD 01.02.2002 Lehder, Christine SPD 01.02.2002 Leidinger, Robert SPD 01.02.2002 Leutheusser- Schnarren- FDP 01.02.2002 berger, Sabine Lötzer, Ursula PDS 01.02.2002 Marquardt, Angela PDS 01.02.2002 Mosdorf, Siegmar SPD 01.02.2002 Opel, Manfred SPD 01.02.2002 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 01.02.2002 Philipp, Beatrix CDU/CSU 01.02.2002 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 01.02.2002 Raidel, Hans CDU/CSU 01.02.2002 Rauber, Helmut CDU/CSU 01.02.2002 Dr. Richter, Edelbert SPD 01.02.2002 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 01.02.2002 Hannelore Roos, Gudrun SPD 01.02.2002 Schemken, Heinz CDU/CSU 01.02.2002 Schily, Otto SPD 01.02.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 01.02.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 01.02.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 01.02.2002 Schröder, Gerhard SPD 01.02.2002 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Schröter, Gisela SPD 01.02.2002 Dr. Schubert, Mathias SPD 01.02.2002 Schütze (Berlin), CDU/CSU 01.02.2002 Diethard Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 01.02.2002 Schultz (Everswinkel), SPD 01.02.2002 Reinhard Sebastian, Wilhelm CDU/CSU 01.02.2002 Josef Seehofer, Horst CDU/CSU 01.02.2002 Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 01.02.2002 DIE GRÜNEN Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 01.02.2002 Steinbach, Erika CDU/CSU 01.02.2002 Dr. Freiherr von CDU/CSU 01.02.2002 Stetten, Wolfgang Strebl, Matthäus CDU/CSU 01.02.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 01.02.2002 Titze-Stecher, Uta SPD 01.02.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 01.02.2002 Weis (Stendal), SPD 01.02.2002 Reinhard Weißgerber, Gunter SPD 01.02.2002 Dr. Westerwelle, Guido FDP 01.02.2002 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 01.02.2002 Wiesehügel, Klaus SPD 01.02.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 01.02.2002 Zumkley, Peter SPD 01.02.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- lung Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zehnten Geset- zes zur Änderung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch (10. SGB V-Änderungsgesetz) (Zusatz- tagesordnungspunkt 8) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Zunächst möchte ich auf die Rahmenbedingungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 200221494 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich des vorliegenden Gesetzentwurfes eingehen. Hier liegt zum einen die Entscheidung des Verfassungsgerichtes zum Zugang zur Gesetzlichen Krankenversicherung der freiwillig versicherten Rentner vor, die die seehofersche Regelung aus dem Jahre 1992 für verfassungswidrig er- klärt, zum anderen eine Mitteilung des Bundesrechnungs- hofes über den Zeitpunkt der Überweisung der Kranken- versicherungsbeiträge der Rentner durch die Rentenver- sicherung an die GKV. Würde unter den gegebenen Bedingungen dieses Haus nicht handeln, träte also gemäß Verfassungsgerichtsurteil der Rechtszustand von vor 1993 wieder ein, würde circa ein Drittel der betroffenen Rentner durch höhere Beiträge zur Krankenversicherung wesentlich schlechter gestellt. Dass es sich hierbei um Personen mit kleinen, ja gar Kleinstrenten handelt, ist dem Hause ja bekannt. Eine un- zumutbare Belastung der sozial Schwachen können wir aber nicht wollen. Aus diesem Grund haben die Koaliti- onsfraktionen den vorliegenden Gesetzentwurf einge- bracht. So viel vorab. Das Bundesverfassungsgericht hat die im Rahmen des GSG 1992 beschlossene Verschärfung der Voraussetzun- gen für eine Versicherungspflicht als Rentner für unver- einbar mit dem Grundgesetz erklärt. Es hat den Gesetzge- ber aufgefordert, die allein auf einer unterschiedlichen Bewertung von freiwilligen und pflichtversicherten Ver- sicherungszeiten beruhende Schlechterstellung freiwillig versicherter Rentner bis zum 31. März 2002 zu beseitigen. Und nun wird es interessant: Für den Fall, dass der Ge- setzgeber dem nicht nachkommt, richtet sich nach der Vorgabe des Gerichts der Zugang zur Pflichtversicherung als Rentner vom l . April 2002 an nach den Regelungen des Gesundheits-Reformgesetzes von I988. Dieser Zusatz des Bundesverfassungsgerichts hat Gesetzeskraft und be- darf keiner ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung, so- dass der Gesetzgeber nicht hätte handeln müssen. Eine weiterreichende, grundlegende gesetzliche Rege- lung des Mitgliedschafts- bzw. Beitragsrechts von Rent- nern entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungs- gerichts erscheint jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sachgerecht, weil keine Präjudizierung der Frage der künftigen Gestaltung des Beitragsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen werden sollte. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Regelungen sollten daher in den Kontext einer grundlegenden Neure- gelung des Beitragsrechts für alle Versichertengruppen gestellt werden. Insgesamt führt die Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts dazu, dass die überwiegende Zahl der frei- willig versicherten Rentner entlastet wird, weil sie gerin- gere Beiträge auf Versorgungsbezüge entrichten müssen und die Beitragspflicht sonstiger Einnahmen entfällt. Ver- fügen die Betroffenen neben der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch über keine weiteren beitrags- pflichtigen Einnahmen, müssen sie vom 1. April 2002 an einen höheren Krankenversicherungsbeitrag entrichten, da von ihrer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung von diesem Zeitpunkt an anstelle des ermäßigten Bei- tragssatzes der allgemeine Beitragssatz erhoben wird. Gleichzeitig werden sie jedoch nicht wie die Rentner mit weiteren Einkünften entlastet. Eine Belastung kann auch für mitversicherte Familienangehörige auftreten, die bis- lang keine Beiträge auf Kleinrenten zahlen mussten und durch den Beschluss des Gerichtes zukünftig Kranken- versicherungsbeiträge zahlen müssen. Aus Gründen des Bestands- und Vertrauensschutzes dieser Personen, die mit einer Beitragsmehrbelastung nicht rechnen konnten, sieht der Gesetzentwurf der Ko- alitionsfraktionen die Möglichkeit vor, diese Beitrags- mehrbelastungen zu vermeiden. Die Rentenbezieher, die bis zum 31. März 2002 freiwillige Mitglieder sind, weil sie die durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 ver- schärften Voraussetzungen für den Eintritt der Versiche- rungspflicht als Rentner nicht erfüllt haben und aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 2002 an als Rentner versicherungspflichtig wer- den würden, sollen die Möglichkeit haben, weiter als frei- williges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversiche- rung versichert zu sein. Durch Ausübung dieses Beitrittsrechts können die Betroffenen de facto ihren bis- herigen Status erhalten. Sie haben damit die Möglichkeit, Beitragsmehrbelastungen aufgrund des Eintritts der Ver- sicherungspflicht für sich und für ihren Ehegatten zu ver- meiden, wenn dieser bis zum 31. März 2002 beitragsfrei familienversichert ist und ebenfalls seit dem 1. April 2002 als Rentner versicherungspflichtig werden würde. Und noch ein Wort zu den Kosten: Natürlich hat das Urteil finanzielle Auswirkungen. Circa 250 Millionen Euro wird die Beitragsentlastung der Rentner die Kran- kenkassen kosten. Bis zu 50 Millionen Euro sind durch die Rentenversicherung mehr an die Krankenversiche- rung zu überweisen. Die Krankenkassen haben in Kennt- nis des Urteils die Kosten in ihren Haushalten berück- sichtigt. Das Optionsrecht der Versicherten kann die Krankenkassen zusätzlich mit bis zu 40 Millionen Euro belasten. Jedoch steht der Belastung der Krankenkasse eine Entlastung der Rentenkasse gegenüber. In den von den Koalitionsfraktionen mit den Rentenversicherungs- trägern und den Spitzenverbänden vorab geführten Ge- sprächen haben diese ihre Zustimmung zum vorgelegten Gesetz signalisiert. Es liegt also nun an uns, ungerecht- fertigte Härten bei den betroffenen Rentnern zu vermei- den. Zum Abschluss noch ein paar weitere Worte zum Ur- teil des Verfassungsgerichtes. Dieses Gericht hat in seiner Urteilsfindung ausdrücklich nicht die Einbeziehung wei- terer Einkommensarten in die Beitragsbemessung für ver- fassungswidrig erklärt. Mit diesem Urteil ist die Entwick- lung neuer Finanzierungskonzepte nicht eingeschränkt worden. Das Verfassungsgericht gibt geradezu eine mög- liche Richtung der Entwicklung der GKV vor. Ich fordere alle Mitglieder dieses Hauses auf, aktiv an der Fortentwicklung der GKV mitzuwirken, um mög- lichst breite und auch in der Zukunft tragende Pfeiler der solidarischen Krankenversicherung zu entwickeln. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Die im Zusammenhang mit dem Gesundheitsstrukturgesetz im Jahre 1992 von einer „Großen Koalition im Gesundheitswesen“ beschlossene Verschärfung der Voraussetzungen für den Eintritt der Versicherungspflicht als Rentner hatte hinsichtlich der Beitragshöhe im Rentenalter zu einer deutlichen Schlechterstellung der Mehrzahl der in der GKV freiwil- lig Versicherten gegenüber den Pflichtversicherten ge- führt. Sie müssen zum einen höhere Beiträge auf Versor- gungsbezüge entrichten, zum anderen wurde für sie einseitig eine Beitragspflicht für sonstige Einnahmen, zum Beispiel Miet- oder Zinseinkünfte, festgelegt. Die Klagen der Betroffenen gegen diese willkürliche Ungleichbehandlung hatten den vielfach vorausgesagten Erfolg. Mit Beschluss vom 15. März 2000 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Neuregelungen von 1992 für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und forderte den Gesetzgeber auf, die Schlechterstellung der freiwillig ver- sicherten Rentner bis spätestens zum 31. März 2002 auf- zuheben. Da diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerich- tes zugleich Gesetzeskraft hat, bewirkt sie, dass wieder weitgehend gleiche Verhältnisse hergestellt werden und der überwiegende Teil der betroffenen Ruheständler ent- sprechend entlastet wird. Das geltende Beitragsrecht bringt es aber mit sich, dass sich für nach der Regelung von 1992 freiwillig versicherte Rentner, die über keine zusätzlichen beitragspflichtigen Einnahmen verfügen, der Krankenversicherungsbeitrag ab dem 1. April dieses Jah- res spürbar erhöhen würde. Sie müssen von ihrer gesetz- lichen Rente nicht mehr den ermäßigten, sondern nun- mehr den allgemeinen Beitragssatz zahlen. Auch für mitversicherte Familienangehörige, die bis- her für Renten bis zu einer Höhe von 335 Euro monatlich keine Beiträge an die GKV entrichten müssen, würde eine zusätzliche Belastung eintreten. Sie werden durch den Be- schluss des Verfassungsgerichtes ebenfalls beitragspflich- tig und müssen den halben allgemeinen Beitragssatz von ihrer Rente zahlen. Ihre ohnehin geringen Altersbezüge würden dadurch noch weiter verkleinert. Diesen Gruppen von Rentnern würden damit empfindliche Verschlechte- rungen ins Haus stehen. Hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf der Koaliti- onsfraktionen an. Aus Gründen des Bestands- und Ver- trauensschutzes zielt er darauf, diesen Versicherten die Möglichkeit zu geben, die ansonsten am 1. April 2002 ein- tretenden Beitragsmehrbelastungen zu vermeiden. Zu diesem Zweck regelt das Gesetz, dass diejenigen, die nun- mehr im Ergebnis des Verfassungsgerichtsbeschlusses als Rentner wieder versicherungspflichtig werden, der ge- setzlichen Krankenversicherung als freiwillige Mitglieder beitreten können. Sie erhalten gewissermaßen ein zusätz- liches Beitrittsrecht, was ihnen entsprechend ihrer indivi- duellen Lage und unter Berücksichtigung der Situation ih- res Ehegatten ermöglicht, gegebenenfalls eintretende Beitragsmehrbelastungen zu vermeiden. Außerdem wird durch das Gesetz der in der Praxis ge- handhabte Fälligkeitszeitpunkt der Krankenversiche- rungsbeiträge seitens der Rentenversicherungsträger auf eine eindeutige gesetzliche Grundlage gestellt. Die Beiträge müssen am Ersten des Monats eingehen, für den die Rente gezahlt wird. Analog gilt dies für die Beiträge bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 21495 (C) (D) (A) (B) Diese Klarstellung ist für die GKV von nicht geringer Bedeutung. Damit wird vermieden, dass – wie es der Bun- desrechnungshof verlangt hatte – den Krankenkassen eine monatliche Beitragssumme von fast vier Milliarden DM erst sechs Wochen später zur Verfügung steht. Um eine solche Deckungslücke zu schließen, kämen viele Kran- kenkassen, aber auch die Pflegeversicherung unter zu- sätzlichen Druck, ihre Beiträge kurz- oder mittelfristig an- heben zu müssen. Die Mindereinnahmen, die sich durch die speziellen Regelungen des vorliegenden Gesetzes für die GKV er- geben, werden von der Koalition mit einer Größenord- nung von bis zum 40 Millionen Euro veranschlagt. Ge- meinsam mit den aus der Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichtes resultierenden Einnahmeverlusten summieren sie sich auf eine Größenordnung von mindes- tens 600 Millionen DM bzw. 300 Millionen Euro. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes enthielt auch die Option, die beanstandete Ungleichbehandlung dadurch zu beseitigen, dass zusätzliche Einkünfte, die neben den Renten erzielt werden, bei allen Rentnern an- lässlich der Beitragserhebung berücksichtigt werden. Als Grund für den von ihr gewählten Weg führt die Re- gierung an, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Zu- kunft anstehende Veränderungen im Beitragsrecht nicht vorweg nehmen wolle. Für ein solches Vorgehen spricht, dass es jetzt die beanstandeten Ungleichbehandlungen beseitigt und neue Verwerfungen vermeidet. Zugleich eröffnet es die Möglichkeit, die in der kommenden Zeit anstehenden, notwendigen Neuregelungen der Finanz- grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung im Zusammenhang zu betrachten. Richtig ist, dass lediglich eine Regelung von Teilelementen – losgelöst vom Ge- samtproblem – auch stets mit der Gefahr einhergeht, neue Ungerechtigkeiten zu schaffen. Wir vertreten die Auffassung, dass zum Erhalt einer solidarischen Voll- versicherung auch die finanziellen Grundlagen der GKV im Rahmen eines durchdachten Gesamtkonzeptes kurz-, mittel- und längerfristig konsolidiert werden müssen. So wären auch die jüngsten Beitragserhöhungen vermeid- bar gewesen, wenn die Kassen vom Finanzminister nur einen Teil jener Beitragseinnahmen zurückerhalten hät- ten, die ihnen zugunsten des Bundeshaushaltes systema- tisch entzogen wurden. Weitere Möglichkeiten, die Soli- dargemeinschaft schrittweise zu stärken, bestehen nach unserer Meinung unter anderem in der Entlastung der GKV von Leistungen, die aus Steuermitteln getragen werden müssten, in der Streichung bzw. Halbierung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, in der Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze sowie in der Einbeziehung Selbstständiger, freiberuflich Tätiger und Beamter in die GKV auf der Grundlage einer allgemeinen Versiche- rungspflicht, generell in einer Beitragserhebung von ei- ner breiteren solidarischen Basis und in der Berechnung des Arbeitgeberanteils nach der Bruttowertschöpfung der Unternehmen. Im Übrigen gilt auch für die GKV: Sie wird gestärkt, wenn Arbeitslosigkeit zurückgedrängt und insgesamt der gesellschaftliche Reichtum gerechter verteilt wird. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten (Zugangskon- trolldiensteschutz-Gesetz-ZKDSG) (Zusatzta- gesordnungspunkt 9) Hubertus Heil (SPD): Auf dem Weg in die Informati- ons- und Kommunikationsgesellschaft erschließen sich auch am Standort Deutschland nach wie vor starke Wachstums- und Beschäftigungspotenziale. Damit sich diese Potenziale, die sich aus den neuen technischen Mög- lichkeiten ergeben, voll entfalten können, müssen erheb- liche private Investitionen getätigt werden. Investitionen werden in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung privat- wirtschaftlich nur dann ausgelöst, wenn entsprechende berechtigte Gewinnerwartungen bestehen. Für den Fall, dass Leistungen, die durch solche Investitionen entstehen, mit erheblicher krimineller Energie durch technische Ma- nipulation kostenlos erschlichen werden, droht also ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden. Es ist unsere Verantwortung als Gesetzgeber, durch entsprechende Re- gelungen dieser Gefahr zu begegnen. Mit dem uns heute vorliegenden Zugangskontroll- diensteschutz-Gesetz setzen wir eine EU-Richtline in un- ser nationales Recht um. Zweck dieser Richtlinie ist es, ei- nen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für den Verstoß gegen Zugangskontrolldienste bzw. die Überbrückung von Zugangskontrolldiensten zu schaffen. Dieser Rechts- rahmen ist notwendig und von großer Bedeutung, da eine immer größer werdende Anzahl von Diensten davon be- troffen sind. Mediendienste über Breitbandnetze, wie zum Beispiel über das Kabelnetz oder Satellitenverbindungen, benöti- gen eine Zugangskontrolle, um die leistungsgemäße Ab- rechnung von Diensten zu ermöglichen. Prominentestes Beispiel dafür ist das digitale Kabelfernsehen. Der Dienst ist in digitaler Form über das vorhandene Kabelnetz ver- fügbar. Um ihn nutzen zu können, ist ein Decoder nötig, der das digitale Signal in einen analogen Fernsehkanal umwandelt, verschiedene Datenströme zusammensetzt und gegebenenfalls sogar über einen Rückkanal Steuer- befehle des Zuschauers übermittelt. Um diese oder ver- gleichbare Dienste anbieten zu können, müssen fast alle Geschäftsmodelle auf eine nutzungsabhängige Ge- bührenstruktur oder eine Abonnementgebühr zurückgrei- fen, da die aufwendig gestalteten Dienste sich nicht allein aus Werbung finanzieren lassen. Es liegt nun in der Natur der Sache, dass eine kosten- pflichtige Leistung vor Missbrauch geschützt werden muss, da sie ansonsten einem zu hohen Missbrauchsrisiko gegenübersteht. Bei digitalen Datendiensten geschieht dies, indem das Gerät, welches für die Dekodierung des Signals benötigt wird, mit einem Schlüssel gesichert wird. In der Praxis des digitalen Fernsehens hat jeder Nutzer für seinen Decoder einen Schlüssel, der meist in Form einer „Smart Card“ genannten Speicherkarte den Decoder freischaltet. Der heute vorliegende Gesetzentwurf regelt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 200221496 (C) (D) (A) (B) die Konsequenzen, die derjenige zu befürchten hat, der die angesprochenen Zugangskontrollen gewerbsmäßig umgeht. „Smart Cards“ sind Schlüssel, die einem Decoder das Dekodieren von Informationen ermöglichen. Zusammen mit einem Decoder bilden sie eine Einheit, die als Zu- gangskontrolldienst im Sinne des Gesetzentwurfes gilt. Da eine „Smart Card“ ein Schlüssel ist, muss sie auch ge- lesen werden können. So ist es auch möglich, diesen Schlüssel zu kopieren. Mit einer solchen Kopie kann es unter Umständen möglich sein, dass eine Person sich un- berechtigten Zugriff auf Datendienste verschafft. Das Kopieren von solchen Zugangsdaten ist allerdings mit vergleichbar hohem technischen Aufwand verbunden. Für Privatpersonen und einzelne Nutzer lohnt dieser Auf- wand normalerweise nicht, auch wenn gerade aus Kreisen der Computerspezialisten oft ein hoher Ehrgeiz zum Knacken von Codes und Zugangsdaten beobachtet wird. Dieses Verhalten sollte keinesfalls bagatellisiert werden. Bei Zugangskontrolldiensten für digitales Fernsehen han- delt es sich aber wohl eher um eine Form von „sportli- chem Ehrgeiz“. Der wirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, ist wahrscheinlich eher zu vernachlässigen. Als wirklich problematisch hingegen zeichnet sich die wachsende Tendenz ab, Geräte zum Umgehen von Zu- gangskontrolldiensten gewerbsmäßig herzustellen und zu vertreiben. In fast allen Mitgliedstaaten der EU gibt es be- reits einen oder mehrere Anbieter von solchen digitalen Datendiensten. Dabei sind sich die Experten einig, dass die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Dienste gerade erst am Anfang stehen. In den nächsten Jahren werden wir wahrscheinlich Zeugen eines Booms auf dem Gebiet der breitbandigen Übertragung digitaler Daten bis hin zum Endverbraucher werden. Eine Decoderbox wird bald so üblich wie etwa ein Videorecorder sein und das Abonne- ment eines digitalen Dienstes so selbstverständlich wie die Tageszeitung. Der Ausblick auf diese Entwicklungen – kombiniert mit den bereits jetzt bekannten Missbrauchsfällen – er- zeugt die Notwendigkeit für das Zugangskontrolldienste- schutz-Gesetz als verbindlichem Rechtsrahmen auf euro- päischer Ebene. Es ist zu erwarten, dass sowohl Anbieter digitaler Dienste ihre Produkte in mehreren Ländern der EU anbieten, als auch, dass Kriminelle mit ihren illegalen Zugangsüberbrückungen dasselbe tun. Schon allein aus diesem Grund ist eine EU-einheitliche Regelung höchst sinnvoll. Die EU-Richtlinie sieht vor, die Herstellung, die Ein- fuhr und den Vertrieb von Umgehungsvorrichtungen so- wie den Besitz, die technische Einrichtung, die Wartung, den Austausch und die Absatzförderung zu gewerbsmäßi- gen Zwecken unter Strafe zu stellen. Die Einschränkung „zu gewerbsmäßigen Zwecken“ ist dabei von entschei- dender Bedeutung. Einerseits sind damit die Fälle abge- deckt, die in eindeutig krimineller Absicht ausgeübt wer- den und die den größten wirtschaftlichen Schaden verursachen. Die EU-einheitliche Regelung gibt der Jus- tiz aller Mitgliedstaaten eine klare Handhabe auch bei grenzübergreifenden Fällen und gibt Unternehmen einen einheitlichen Rechtsrahmen. Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Nutzern sagen: Hier sieht die Richtlinie kein eigenständiges Strafmaß vor. In Deutschland fällt ein privater Nutzer einer illega- len Umgehungsvorrichtung für Zugangskontrolldienste unter § 265 a des StGB. Diese Regelung gibt genug Spiel- raum, um in offensichtlichen Fällen Nutzer zur Verant- wortung zu ziehen, macht aber den bloßen Besitz nicht au- tomatisch strafbar. Das ist auch nicht sinnvoll. Allzu leicht fällt ein gutgläubiger Nutzer auf ein professionell wirken- des Angebot herein und würde sich so strafbar machen, ohne etwas davon zu wissen. Natürlich kann Unwissen- heit nicht Schutz vor Strafe bedeuten. Aber die Priorität von Gesetzgebung sollte doch darauf liegen, die eindeu- tig Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Deshalb lehnen wir den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU ab. Dieser Antrag zielt darauf ab, keinen Unterschied zwischen Tätern und Nutzern zu machen. Eine solche Lösung halten wir für zu pauschal. In einem Rechtsstaat kann es schließlich keine Strafen nach dem Prinzip „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ geben. Darüber hinaus ist es nicht sinnvoll, so weit vom Wort- laut der EU-Richtlinie abzuweichen. Sinn und Zweck die- ser Richtlinie ist doch gerade die Schaffung eines europa- weit einheitlichen Rechtsrahmens. Falls sich – diese Mög- lichkeit will ich gerne einräumen – aus der weiteren Ent- wicklung eine solche Regelung als notwendig herausstel- len sollte, könnte diese im übrigen im Zuge der Eva- luierung der Richtlinie immer noch getroffen werden. In jedem Fall wird dieses Gesetz ab sofort für mehr Rechtssicherheit und damit für mehr Investitionssicher- heit sorgen. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU):Wir debattieren heute den Gesetzentwurf über den Schutz von zugangs- kontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiens- ten, kurz: über das ZKDSG. Zugangskontrollierte Dienste und Zugangskontroll- dienste sind entgeltpflichtige Dienste, zu denen man mit- hilfe von Smart-Cards, Chipkarten, Decodern oder ande- rer Software Zugang bekommt. Dies kann zum Beispiel Pay-TV sein, verschlüsselt übertragene Rundfunksendun- gen oder verschlüsselt im Internet bereitgehaltene Tele- dienste oder Mediendienste. Das Gesetz betrifft damit den gesamten Bereich möglicher aktueller aber auch zukünf- tiger Dienste, Angebote und Geschäftsmodelle im weiten Bereich Multimedia. Das Problem ist, dass in den vergangenen Jahren durch gefälschte Zugänge, also nachgebaute Decoder-Boxen, gefälschte Smart-Cards oder „gehackte“ Software bei den Anbietern solcher Dienste erhebliche Schäden entstanden sind – Tendenz weiter steigend. Der rechtliche Hand- lungsbedarf ist also groß. Leider ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung to- tal unzureichend. Mit dem Gesetzentwurf wird lediglich die gewerbsmäßige Verbreitung, Wartung und Einfuhr von „Vorrichtungen“, mit denen sich der Zugangsschutz von Fernseh- und Radiosendungen sowie von Diensten der Informationsgesellschaft unbefugt überwinden lässt, erfasst. Der nicht gewerbsmäßige Besitz durch private Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 21497 (C) (D) (A) (B) Schwarznutzer und Hacker wird jedoch gar nicht erfasst. Das ist nicht nur realitätsfremd und unpraktikabel, son- dern auch volkswirtschaftlich grob fahrlässig. Nach Ihrem Gesetzentwurf ist folgende absurde Situa- tion demnächst Realität: Der Händler, der in seinem La- den CDs mit gehackter Zugangssoftware zu Musikdaten- banken verkauft, erzielt durch diese Tätigkeit Einnahmen und macht sich also strafbar. Sein Nachbar, der dieselbe „gehackte“ Software zum Gratis-Download ins Netz stellt – und natürlich auch bei den Betreibern der Musikbörse Riesenschaden anrichtet –, bleibt dagegen straffrei, da es ihm ja nicht um die Erzielung von Einnahmen geht. Und was ist mit dem Konkurrenten des Händlers, der die CD mit der, „gehackten“ Software an bestimmte Kunden ver- schenkt? Ist die Schenkung eine Erzielung von Einnah- men? Handelt er gewerbsmäßig? Macht er sich strafbar? In allen diesen drei Fällen ist der Schaden für die An- bieter der Dienste, also in diesem Fall für die Musikbörse, immer derselbe. Ein größerer Personenkreis erhält Umge- hungsvorrichtungen, die einen Zugang zu seinem Ange- bot ermöglichen. Die Rechtsfolge ist allerdings völlig un- terschiedlich und auch im letzten Fall noch unklar. Sie schwankt zwischen Strafbarkeit und Straflosigkeit. Hier wird Recht aus der Täterperspektive gemacht: Nicht die Verluste und Beeinträchtigungen des Opfers, sondern die Motivation des Täters sind entscheidend für die Sanktion. Deshalb haben wir in unserem Änderungsantrag die Gleichstellung von gewerblichen und anderen Handlun- gen gefordert, um dieses Chaos zu beseitigen. Das ist der einzig richtige Weg für diesen zukunftsfähigen Bereich. Ihre Ablehnung unseres Antrages offenbart in deutlicher Weise zweierlei: Erstens, dass Sie immer noch nicht be- griffen haben, wie wichtig der Faktor Rechtssicherheit ge- rade für den gesamten Bereich der neuen Technologien ist, und zweitens, dass Sie die Zukunftsentwicklungen und -chancen für neue Geschäftsmodelle, neue Dienste, neue Technologien und neue Arbeitsplätze überhaupt nicht sehen und durch Ihre schlechte Politik blockieren. Hier geht es nämlich nicht nur um irgendwelche Bo- xen, die Zugang zu Pay-TV ermöglichen, wie Sie argu- mentiert haben. Hier geht es um neue Nutzungsformen, Geschäftsmodelle, Ideen, die gerade erst im Entstehen be- griffen sind. Fest steht: Im Multimedia-Bereich sind Pro- gnosen zu der Frage, wohin die Reise geht, außerordent- lich schwierig. Bislang haben sich auch die Experten oft verrechnet, was die Marktentwicklungen im Multimedia- bereich angeht. Ich nenne nur den Misserfolg von WAP – oder andersherum: den unglaublichen und unvorhergese- henen Erfolg von SMS. Wir lernen daraus, dass Markt- entwicklung im Multimediasektor offenbar stark nach dem Prinzip von „trial and error“ funktioniert. Oder andersherum formuliert: Die Multimediabranche in Deutschland und anderswo wird nur dann vorankommen, wenn sie möglichst schnell möglichst verschiedene Pro- dukte, Anwendungen und Geschäftsmodelle testen kann. Wie wird die Entwicklung sein? Die Entwicklung der Technik ermöglicht das Zusammenwachsen medialer Nutzungsfelder, die wir bis vor kurzem noch als völlig ge- trennte Sektoren angesehen haben: Telefonie, Fernsehen, Internet und andere Formen der Datenübertragung wach- sen im Zeichen der Digitalisierung zusammen, sowohl im stationären wie im mobilen Bereich. Die Chance, die in der Eröffnung einer Vielzahl multimedialer drahtgebun- dener (DSL, digitalisiertes TV-Kabel mit mindestens 512 MHz Bandbreite und Rückkanal, Stromnetz) und drahtloser Übertragungswege (GPRS, UMTS,WLAN, perspektivisch auch satellitengestützte Datenübertra- gung) liegt, darf nicht durch falsche Politik in Deutsch- land blockiert werden. Neue Formen des Kundenkontakts entstehen, völlig neue Dienstleistungs- und Geschäftsmo- delle mit vielen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Aber damit sie entstehen, brauchen sie bestimmte Rah- menbedingungen. Das sind vor allem offene Netze und offene Standards, die Wettbewerb ermöglichen. Aber das sind vor allem auch klare rechtliche Rahmenbedingun- gen. Klare rechtliche Rahmenbedingungen sind insbeson- dere im Bereich der Zukunftstechnologien die Vorausset- zung dafür, dass Neues entsteht – neue Inhalte, neue Geschäftsmodelle und neuer Wettbewerb um die besten Lösungen. Aber gerade dies haben Sie mit Ihrem Entwurf zum ZKDSG nicht geschafft. Das ZKDSG ist sicherlich nur ein total kleiner Baustein, gewissermaßen ein Atom in der IT-Welt. Aber es steht symbolisch dafür, dass Ihnen das Verständnis für das große Ganze, für die Chancen der Zukunft und die wirtschaftlichen Zusammenhänge fehlt. Kein Mensch erprobt in Deutschland neue Ideen, neue Geschäftsmodelle, wenn er nicht sicher sein kann, dass die illegale Nutzung seiner Dienste wahrscheinlich straf- frei bleibt. Kein Mensch stellt Musik, Texte, Filme ins Netz, wenn er nicht sicher ist, das er nicht großen Schaden durch Rechtsgutverletzungen nimmt. Anbieter, die über Kabel oder das Internet entgeltlich Inhalte zugänglich machen, brauchen den Schutz des Gesetzgebers, sonst zahlen bei diesen Geschäftsmodellen nur die Ehrlichen und die wären nach ihrem Gesetzentwurf bald die Dum- men. Sowie der Diebstahlsparagraph Handel und Privat- eigentum ermöglicht, muss das ZKDSG die Anbieter von Diensten schützen. Kein Schutz, keine Verbreitung der Dienste, das ist ja wohl klar! Nun zu Ihrer Kritik: Der § 265 a StGB greift nur, wenn ein Schwarznutzer auf frischer Tat ertappt wird. Aber stel- len Sie sich einmal vor, Sie sind vergangene Woche schwarzgefahren und heute klagt Sie jemand dafür an. Wie will der Ihnen das nachweisen? Genauso realitäts- fremd ist das in Ihrem Entwurf zum ZKDSG. Ziemlich un- wahrscheinlich, dass Sie die Schwarznutzer auf frischer Tat ertappen. Also bleiben sie straffrei. Sie sagen zudem, unser Änderungsantrag würde die Umsetzung der EU-Richtlinie behindern und eine Nach- notifizierung erforderlich machen. Das ist ziemlich pein- lich! Die Richtlinie wurde am 20. November 1998 verab- schiedet und sollte zum 28. Mai 2000 bereits umgesetzt werden. Inzwischen sind darüber 38 Monate vergangen – „ruhige Hand“ und verpennt, so ist Ihre Politik also auch im IT-Bereich und das ist erschreckend! Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ziel des heute auf der Agenda stehenden Gesetzes ist es, die gewerbsmäßige Verbreitung von Vorrichtungen zu verhindern, mit denen sich der Zugangsschutz sowohl Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 200221498 (C) (D) (A) (B) von kostenpflichtigen Radio- und Fernsehsendungen als auch von Diensten der Informationswirtschaft unbefugt überwinden lässt. Vor allem angesichts der momentanen Veränderungen in der Netz-Ökonomie, des Endes der „Kostenlos.de-Ära“, stehen die Unternehmerinnen und Unternehmer vor dem Problem, zu verhindern, dass ihre Leistungen von anony- men Usern ohne Gegenleistung in Anspruch genommen werden, die sich aufgrund der Anonymität vor dem Be- zahlen drücken können. Denn immer mehr geht ja der Trend im Netz in Richtung Kostenpflichtigkeit von Diens- ten und Inhalten. Das wird von manchen bedauert, sicher. Aber es handelt sich ja doch im Grundsatz nur um etwas, was wir in der Off-Line-Welt für selbstverständlich hal- ten: dass man eben nicht an den Kiosk geht, die Zeitung liest und sie dann wieder hinlegt, ohne sie zu kaufen. Denn dann würde es Zeitungen schlichtweg nicht mehr geben. Dass Angebote im Internet kostenpflichtig wer- den, mag man also bedauern. Dass Dinge, für die andere gearbeitet haben, oft nur gegen Geld zu haben sind, ist wohl auch keine umstürzende Neuerung. Im Gegenteil: Es ist legitim. Nicht legitim ist es aber, ohne Gegenleistung kosten- pflichtige Dienste in Anspruch zu nehmen und hierfür ge- werbsmäßig Vorkehrungen herzustellen und zu vertrei- ben. Und genau darum geht es in diesem Gesetz: Wir wollen verhindern, dass Menschen mit dem gewerbs- mäßigen Vertreiben solcher technischen Werkzeuge auch noch Geld verdienen. Um es noch einmal klar zu sagen: Hier wird kein Alltagsverhalten kriminalisiert, sondern der Strafrahmen dieses Gesetzes bezieht sich nur auf ge- werbliche Handlungen. Dem lange gehegten Mythos vom rechtsfreien Raum Internet müssen wir heute entgegenhalten, dass das, was in der Off-Line-Welt nicht legitim ist, online schwerlich legitim sein kann. Denn das kann ja im Ernst niemand wollen: dass gerade auch die Anonymität, die das Netz bietet und die ja auch für die Freiheit steht, die das neue Medium mit sich bringt, dazu genutzt wird, an Produkte und Dienstleistungen zu gelangen, ohne dafür zu bezah- len: Die Ökonomen nennen das „Free Rider Problem“. Hier geht es also nicht nur um die Umsetzung einer eu- ropäischen Richtlinie, sondern es ist auch ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Internet-Wirtschaft. Denn ge- rade jetzt, wo viele vom Ende der Dot-Coms reden und das Totenglöckchen über der New Econmy läuten, braucht die Netz-Ökonomie unsere politische Unterstüt- zung. Wir wollen mit dem heute verabschiedeten Gesetz gewährleisten, dass diejenigen, die in das Netz investie- ren und ihre Dienstleistungen und Produkte dort verkau- fen wollen, nicht von Trittbrettfahrern überfahren werden. Hier braucht die Internet-Ökonomie Rechtssicherheit. Und Politik ist gefordert, diese Entwicklung des Net- zes mit zu gestalten und zu fördern. Unser Gesetz ist ein weiterer wichtiger Baustein des Rechtsrahmens für die In- ternet-Wirtschaft, den die rot-grüne Bundesregierung in dieser Legislaturperiode bereits geschaffen hat. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Die FDP be- grüßt ausdrücklich das Ziel des Zugangskontrolldienste- schutzgesetzes, die Verbreitung von Vorrichtungen zu verhindern, mit denen sich der Zugangsschutz zu Fern- seh- und Radiosendungen sowie von anderen Diensten unbefugt umgehen lässt. Hiermit wird den berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Anbieter Rechnung getra- gen. Eine effektive Zugangskontrolle ist elementar für die sachgerechte Verbreitung von Pay-TV und anderen kos- tenpflichtigen Inhalteangeboten. Die FDP stimmt dem vorliegenden Zugangskontroll- diensteschutzgesetz allerdings aus folgenden Gründen nur mit Bauchschmerzen zu: Der Begriff „Zugangskon- trolldienste“ ist bisher ungebräuchlich und könnte daher die Rechtsanwender verwirren. Ferner hätten wir es be- grüßt, wenn die betreffenden Normen nicht in einem zu- sätzlichen Nebengesetz „versteckt“ worden wären, was ebenfalls nicht der Transparenz dient. So hätte beispiels- weise der neue Straftatbestand – § 5 ZKDSG – auch in das Strafgesetzbuch, der neue Ordnungswidrigkeitentatbe- stand – § 9 ZKDSG – in das Ordnungswidrigkeitengesetz integriert werden können. Aus Gründen der Rechtssystematik und Übersichtlich- keit befürwortet es die FDP grundsätzlich, neue gesetzli- che Regelungen in bestehende Gesetze zu integrieren. Außerdem hätten wir es begrüßt, wenn sich das ZKDSG nicht nur auf die gewerbsmäßigen Eingriffe zur Umge- hung von Zugangskontrolldiensten erstrecken würde. Ge- rade auch das nicht gewerbsmäßige Umgehen von Zu- gangskontrollen führt oft zu großen Schäden bei den betroffenen Unternehmen. Alles in allem: Die vorgesehenen Rechtsvorschriften sind geboten, gehen aber nicht weit genug und sind rechts- systematisch nicht optimal. Rolf Kutzmutz (PDS): Natürlich legt auch die PDS Wert auf einen einheitlichen Rechtsrahmen für einen funktionierenden EU-Binnenmarkt. Deshalb verweigern wir uns grundsätzlich nicht der Umsetzung von durch Rat und Parlament beschlossenen Richtlinien, auch nicht beim hier beratenen Gegenstand, der Bestrafung von Schwarzsehern von Premiere oder kostenpflichtigen In- ternet-Angeboten und ihrer Lieferanten. Selbstverständlich hat jedes Unternehmen Anspruch auf die Vergütung der von ihm erbrachten Leistung. Ver- stöße dagegen sind kein Kavaliersdelikt. Auch nach unse- rer Auffassung soll mit Strafandrohungen davor abge- schreckt werden, Verstöße geahndet werden. Sichtlich irritiert aber der enorme Strafrahmen: bis zu einem Jahr Gefängnis für das Geschäft mit nicht lizenzierter Soft- ware oder Decodern, bis zu 50 000 Euro Geldbuße für je- den, der beim Schwarzsehen erwischt wird. Zum Glück wurden weitere Überspitzungen in den Ausschussberatungen noch abgewendet: Die Regierung sah ursprünglich vor, dass Leo Kirch und Bertelsmann – um deren Produkte es hier vor allem geht – neben Scha- denersatz auch noch den erlangten Gewinn der illegalen Geschäftemacher selber einstreichen sollten. Die CDU/ CSU wollte auch noch die Schwarzseher ins Gefängnis stecken. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 21499 (C) (D) (A) (B) Natürlich kann man immer über Prävention und Sank- tionen reden. Auch ein kleiner Handwerksmeister würde sich freuen, wenn zahlungsunwillige Bauherren sofort ein Jahr ins Gefängnis wandern könnten und der vergeblich auf Lohn wartende Bauarbeiter ebenso, wenn er neben dem Entgelt für seine Arbeitsleistung auch noch den mit ihr erwirtschafteten Gewinn erhalten würde. Was ich sagen will: Mit der Höhe der Sanktionen wird hier für Bertelsmann und Kirch eine Extrawurst gebraten. Es mag ja sein, dass Genosse Schröder den Bossen mal wieder einen Gefallen tun will und die CDU/CSU den bis- herigen Arbeitsort ihres Kanzlerkandidaten im Blick hatte. Das alles können aber keine Kriterien für Rechtset- zung sein. Die PDS wird sich deshalb bei diesem grundsätzlich notwendigen Gesetzentwurf nur enthalten. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Dranske retten – der Gemeinde eine Perspektive geben (Tagesord- nungspunkt 21) Dr. Christine Lucyga (SPD):Die Gemeinde Dranske, im Nordwesten der Insel Rügen, direkt am Wieker Bod- den gelegen, hat reichlich Anteil an den Naturschönhei- ten, mit denen die Insel Rügen – eine der reizvollsten Küstenlandschaften Deutschlands – so ver- schwenderisch ausgestattet ist. Oft aber haben landschaft- liche Schönheit und intakte Natur keine Chance gegen menschliche Anmaßung, nach welcher der Zweck das Mittel heiligt. Dranske ist ein Beispiel dafür, wie aus einer lebens- werten Gegend in der Zeit des Kalten Krieges ein vom Normalbürger abgeschotteter Militärkomplex wurde. So musste in den 60er-Jahren ein altes Dorfensemble lieblos gefestigten Zweckbauten und Wohneinheiten für die zahl- reichen NVA- Angehörigen weichen, die mit der Auswei- tung der militärischen Nutzung des Gebietes am Bug Un- terkunft brauchten. Es wurde aus seinem landschaftlichen Zusammenhang gerissen und in eine Nachbarschaft ge- setzt, die es seiner Wirkung beraubt. Nicht nur hier denke ich angesichts solcher „Sünden“ menschlichen Zweck- denkens an die Zeilen eines nachdenklichen Liedes von hoher Aktualität: „Ich bin nur Gast auf Erden, versuch mich dann und wann als Hausherr zu gebärden, der alles machen kann ...“. Als 1991 der große Marinestützpunkt auf der Halbin- sel Bug geschlossen wurde, erwies sich, welch ein Dana- ergeschenk im Grunde mit dieser Anlage verbunden war. Was seit 1960 jahrzehntelang – für manche schon ein ganzes Menschenleben – Existenzgrundlage für viele ge- wesen war und der Gemeinde zu einem gewissen Wohl- stand verhalf, war nach Schließung des Stützpunktes plötzlich ein Klotz am Bein: Erbe aus vier Jahrzehnten militärischer Präsenz, das sich nicht einfach so abschüt- teln ließ. Als die NVA im Ort die Lichter ausgehen ließ, wurde die Gemeinde de facto „arbeitslos“. Die Folge war ein starker Bevölkerungsrückgang durch Weggehen der arbeitssuchenden Bevölkerung. Wenn es heute und hier aber in einem dramatischen Appell heißt: „Rettet Dranske!“, dann möchte ich doch einmal zurückfragen: Welches Dranske ist denn gemeint? „Rettet Dranske!“ hätte es schon vor 40 Jahren heißen müssen, als dieses lebenswerte Fleckchen Erde nach und nach von Zivilisten immer mehr abgeschottet wurde. Schon damals hätte es – und gerade unter den Bedingun- gen des „Reiselandes“ DDR – ein Urlaubsparadies sein können – und das dann auch für Soldaten und ihre Fami- lien –, in idealer Lage zwischen Bodden und Ostsee, auf der Ostseeseite in Sichtweite zur Insel Hiddensee. Seit 1991 nun führt dieser Ort einen Überlebenskampf zwischen Dornröschendasein und Neubeginn und hat da- bei vor allem Lasten der Vergangenheit zu schultern. Von erheblicher Abwanderung betroffen, mit erheblichen Alt- lasten kämpfend, die wiederum besondere strukturelle Probleme schaffen, scheint es aber nun eine erkennbare Perspektive zu geben und zwar in Richtung einer Teilhabe an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Gebietes, das durch seine besondere touristische Attraktivität auch auf neue Chancen setzt. Mit anerkennenswertem Engage- ment setzen gerade die Einwohner von Dranske auf mehr touristische Einrichtungen, und planen zum Beispiel auf dem einstigen Militärgelände auf dem Bug eine touristi- sche Anlage mit der beachtlichen Kapazität von circa 2 000 Übernachtungsmöglichkeiten und bauen darauf, dass Strände und Steiluferlandschaft nicht nur zur Som- merzeit Besucher begeistern. Bis dahin ist jedoch noch viel zu tun, was weder die Gemeinde allein noch das Land Mecklenburg-Vorpommern allein schultern können. Das schwierigste Problem dabei ist tatsächlich der hohe Leer- stand in einem aus einer überholten Nutzungsphilosophie heraus entstandenen tristen Wohnumfeld von damals und das haben die Menschen in Dranske nun wirklich nicht verdient. Zur Entlastung haben sich daher Bund, Land und Ge- meinde im Sommer an einen Tisch gesetzt und eine ein- vernehmliche Lösung gefunden, um insbesondere zu Nachbesserungen am Kaufvertrag über verbilligte Woh- nungen des Bundes zu kommen. Danach wurden der Ge- meinde sowohl Zinslasten abgenommen, als auch auf Verbilligungsabschläge und Ausgleichszahlungen ver- zichtet. Der Gemeinde drohen bei anderweitiger Verwen- dung des verbilligt aus dem Bundesvermögen erwor- benen Wohnungsbestandes weder Schadensersatzforde- rungen noch Vertragsstrafen. Dadurch haben sich wesent- liche Elemente des PDS-Antrages bereits erledigt, bevor der Antrag überhaupt gestellt wurde. Damit haben die Finanzministerin des Landes Meck- lenburg-Vorpommern und der Bundesfinanzminister – beiden sei an dieser Stelle für ihre Bereitschaft, zu einer Lösung zu kommen, gedankt – in kürzester Zeit endlich einen Ausweg aus einer Misere eröffnet, deren Grundla- gen nun wirklich lange vor unserer Regierungszeit gelegt wurden. Es ist erfreulich, dass Dranske mithilfe des Lan- des zwischenzeitlich auch die im Vergleichsweg ausge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 200221500 (C) (D) (A) (B) handelten Verbindlichkeiten erfüllt hat. Die Vorausset- zungen für eine erfolgreiche Verbesserung der Situation vor Ort sind damit deutlich besser geworden. Deshalb hilft man der Gemeinde am besten, wenn man sie in ihrem unternehmerischen Engagement, zum Beispiel bei der Er- richtung eines Ferienparkes, mit den vorhandenen Instru- mentarien unterstützt. So sind aus dem Programm zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur bereits 20 Millio- nen DM in die Gemeinde geflossen. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern hat sich engagiert und auch die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten geholfen. Was die Entlastung von Altschulden bei abzu- reißendem Wohnungsbestand angeht, so enthält das Stadt- umbauprogramm Ost ein umfangreiches Maßnahmepa- ket, das in Zusammenarbeit mit dem Land umgesetzt wird. Was wir wirklich tun können und müssen, um der Ge- meinde Dranske zu helfen, ist, ihre eigenen Wachstums- kräfte zu stärken und ihre Entwicklungsmöglichkeiten zu fördern, um Menschen zum Bleiben oder zum Zurück- kommen zu bewegen. Wenn wir Chancen organisieren wollen, dann müssen wir sie überzeugend darstellen: Des- halb ist es geradezu fahrlässig, ein Untergangsszenario zu entwerfen, das nicht ermutigend, sondern entmutigend wirkt. Nichts schadet Dranske, wie auch anderen ostdeut- schen Kommunen mehr als die ständigen Kassandrarufe vom Jammertal Ost. Wir brauchen aber risikobereite Un- ternehmer, die gewillt sind, in die Zukunft Ostdeutsch- lands, auch in die Dranskes, zu investieren. Dafür die not- wendigen Rahmenbedingungen zu schaffen ist unsere Aufgabe, und dieser Aufgabe stellen wir uns. Die Perspektive, die im PDS-Antrag für die Gemeinde Dranske und die Region um Dranske gefordert wird, ist bereits da – auch dank einer auf die Stärken der Region ausgerichteten Strukturpolitik des Landes Mecklenburg- Vorpommern und des Bundes. Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Der Antrag der PDS zum Thema Dranske begleitet uns schon eine Weile. Zweifellos sind die Zustände an diesem an sich wunder- schönen Ort alles andere als zufrieden stellend. Die Pro- blematik des extrem hohen Leerstandes in den Platten- bauten und die Folgen zu niedrig veranschlagter In- vestitionskosten sind im Falle dieser Gemeinde zwar sehr bedauerlich, aber kein Einzelfall im Osten. Fakt ist, dass der Deutsche Bundestag für solche Ein- zelfälle nicht zuständig ist. Bekannt ist den Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause aber auch, dass die PDS gerne solche populistischen Anträge stellt. Es ist nach- vollziehbar, dass sich Kollegin Ostrowski als Retterin von Dranske profilieren möchte. Gegenüber den Bewohnerin- nen und Bewohnern des Ortes ist es jedoch nicht ganz ehr- lich. Sie wissen, dass das Land zuständig ist. Ich empfehle Ihnen von der PDS, mit Ihren dortigen Genossen zu ver- handeln. Die sind dort ja bedauerlicherweise am Ruder. Die Idee der PDS, den gesamten Ausschuss nach Dranske zu beordern, ist natürlich genauso heuchlerisch. Sie wissen genau, dass wir dann jegliche andere Arbeit einstellen müssten, um durch halb Ostdeutschland zu rei- sen. Diese Vorstellung ist zugegebenermaßen zwar reiz- voll, aber kaum zweckmäßig. Wenn uns dann im Weiteren vom Bundesministerium der Finanzen mitgeteilt wird, dass mit der Gemeinde eine einvernehmliche Lösung gefunden wurde – und zwar be- reits im Sommer letzten Jahres –, wird der Antrag und damit die Debatte immer absurder. Über den Stadtumbau Ost sollte meiner Meinung nach zukünftig auch von der PDS etwas ernsthafter diskutiert werden. Schwierigkeiten gibt es genug. Ob das bekannte Stadtumbauprogramm der Bundesregierung wirklich nachhaltige Verbesserungen auf dem schwierigen ost- deutschen Wohnungsmarkt bringen wird, ist leider stark zu bezweifeln. Die Halbherzigkeit, mit der Rot-Grün le- diglich Mittel innerhalb der Wohnungsbauförderung um- schichtet und nicht bereit ist, frisches Geld in den Umbau der ostdeutschen Städte und Gemeinden zu investieren, ist sehr bedauerlich. Die Mittel für den Stadtumbau reichen nicht aus, um die Lage nachhaltig zu verbessern. Auch mit der Bereitstellung der Kofinanzierung hat so mancher Länderfinanzminister große Schwierigkeiten. In meiner Heimat Thüringen wurde nun der offizielle Startschuss für die Umsetzung gegeben – hoffen wir das Beste! Ein weiteres Problemfeld stellt aus meiner Sicht die von der Bundesregierung erlassene Altschuldenhilfever- ordnung dar. Die Entlastung gefährdeter Wohnungsbau- unternehmen nach § 6 a kommt nur sehr schleppend in Gang. Das Antragsverfahren ist sehr aufwendig und lang- wierig, dem steht ein ungebrochener Bedarf gegenüber. An dieser Stelle wird man sich etwas einfallen lassen müssen, um deutlichen Schwung in diesem Bereich zu er- zeugen – im Interesse der ostdeutschen Gemeinden und letztlich der Bürgerinnen und Bürger. So schließt sich der Kreis auch wieder zu jener Ge- meinde auf Rügen, die den Anlass zu dieser Debatte ge- geben hat. Wichtig zur „Rettung“ solcher Orte – da ist Dranske wahrlich nicht allein – ist die Bereitschaft der Bundesregierung und ihrer Parlamentsmehrheit, nun end- lich Ernst zu machen mit der „Chefsache Ost“ und in ver- nünftigem Rahmen Mittel zur Verfügung zu stellen. Da- ran kommen Sie zukünftig nicht vorbei, wenn Sie es ernst meinen mit Ostdeutschlands Städten und Gemeinden. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Probleme Dranskes sind durchaus ernst zu nehmen. Die Gemeinde am Nordwestende von Rügen ist ein ehemaliger Militärstandort der Nationalen Volks- armee. Sie erwarb 1994 von der Bundesvermögens- verwaltung 705 Plattenbauwohnungen, die 1990 in Bun- deseigentum gefallen waren. Nach der Schließung des militärischen Standortes sank die Einwohnerzahl von ehemals 3 700 Personen Anfang 1990 auf heute 2 200 Per- sonen. Die Leerstandsquote im Plattenbaugebiet stieg auf 50 Prozent. Die vertraglichen Bindungen für Instandset- zung und Belegung, die die Gemeinde beim Kauf der Wohnungen eingegangen war, drohten die hoch verschul- dete Gemeinde zu überfordern. In dieser schwierigen Situation setzt die PDS aber nicht etwa auf konkrete Lösungen für das konkrete Problem, in- dem sich der in Mecklenburg-Vorpommern zuständige Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 21501 (C) (D) (A) (B) PDS-Bauminister Holter der Sache annimmt, sondern übt sich in populistischer Selbstdarstellung. Wie üblich for- dert die PDS vom Bund wieder einmal mehr Geld – ganz so, als könne man die Probleme dieser Gemeinde – los- gelöst von dem allgemeinen Strukturwandel der ostdeut- schen Wirtschaft betrachten, ganz so, als wäre keine an- dere ostdeutsche Kommune von Bevölkerungsschwund, Leerstand und Verschuldung betroffen. Die Probleme Dranskes mögen in ihrer Zuspitzung eine Besonderheit darstellen, die strukturellen Probleme betreffen aber bei- nahe alle ostdeutsche Städte ähnlich. Wohnungsleer- stände bei gleichzeitig anhaltender Entleerung überfor- dern vielerorts Kommunen und Wohnungswirtschaft. Bekommen wir jetzt für jede ostdeutsche Kommune einen eigenen PDS-Antrag? Um den zwingend notwendigen Strukturwandel zu un- terstützen, hat die Bundesregierung vielfältige Hilfen be- schlossen. Mit der Novellierung des Altschuldenhilfege- setzes wird die Wohnungswirtschaft nachhaltig von Altschulden befreit. Mit dem Stadtumbauprogramm Ost, für das die Bundesregierung in den nächsten acht Jahren Finanzhilfen in Höhe von circa 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, werden überall in den neuen Ländern so- wohl die Erarbeitung von Stadtumbaukonzepten als auch Abriss und Umbau von leer stehendem Wohnraum geför- dert. Darüber hinaus wird die Aufwertung der Stadtteile ebenso gefördert wie die Eigentumsbildung und Investi- tionen in die Wohnungsbestände der städtischen Zentren. Von diesen Maßnahmen wird selbstverständlich auch Dranske profitieren, zumal es große Entwicklungschan- cen als Urlaubsort hat. Wenn die PDS meint, der Bund müsse extra für Dranske für Aufwertungsmaßnahmen zu- sätzliches Geld bereitstellen, dann kennt sie offenbar die Sorgen und Nöte vieler anderer Städte in Ostdeutschland nicht. Was Frau Ostrowski der Öffentlichkeit seit dem Sommer vergangenen Jahres auch verschweigt, ist die Tatsache, dass die Bundesregierung im besonderen Falle Dranskes für den Kaufvertrag der ehemaligen Bundes- wohnungen bereits eine einvernehmliche Lösung der Pro- bleme gefunden hat. So wurden die Zinslasten halbiert, auf die Nachzahlung des Verbilligungsabschlages wurde ebenso verzichtet wie auf die Vertragsstrafe bei Nichter- füllung der Vertragsvereinbarungen. Darüber hinaus sind aus dem Bundesprogramm zur Verbesserung der Wirt- schaftsstruktur bereits 20 Millionen DM an die Gemeinde Dranske geflossen. Wenn die PDS immer noch vom Bund pauschal zu- sätzliche Hilfen für Dranske fordert, scheint sie zu ver- gessen, dass die Sanierung der Gemeindefinanzen Sache der Länder, also Sache des von der PDS mitregierten Bun- deslandes Mecklenburg-Vorpommern ist. Ich meine, die PDS täte besser daran, den Antrag hier und heute zurückzuziehen. Die Bundesregierung hat ihren Teil zur Problemlösung beigetragen. Jetzt geht es um kommunalpolitische Aufgaben, die vor Ort und in Meck- lenburg-Vorpommern gelöst werden müssen. Darum sollte sich die PDS in Mecklenburg-Vorpommern für sinnvolle Strukturhilfen für benachteiligte Gemeinden einsetzen. Denn schließlich regiert in Mecklenburg-Vor- pommern die PDS. Dr. Karl-Heinz Guttmacher (FDP): Erneut fällt der Bundesregierung heute zu Recht auf die Füße, dass sie bisher ihre Wohnungspolitik in den neuen Bundesländern einseitig auf die kommunalen Wohnungsbestände ausge- richtet hat. Selbst auf die notwendige Entlastung des ho- hen strukturellen Leerstandes der Wohnungen in Bestän- den der Unternehmen in kommunaler Hand und der Genossenschaften reagierte die Bundesregierung mit der Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes nur halbher- zig. Die FDP hatte mit ihrem Gesetzentwurf zum AHG vor, alle Wohnungsunternehmen, die einen strukturellen dau- erhaften Leerstand oberhalb von 5 Prozent aufweisen, grundsätzlich zu entschulden. Einer solchen notwendigen Entlastung ist die Bundesregierung nicht gefolgt, sie hat stattdessen eine Verordnungsermächtigung nach § 6 a des 2. AHÄndG aufgenommen, wonach die Wohnungsgesell- schaften oberhalb eines strukturellen Leerstandes von 15 Prozent und einer Insolvenzgefahr den Antrag auf Ent- schuldung stellen können. Inzwischen ergibt sich in vie- len Städten und Gemeinden der neuen Bundesländer wie unter anderem Dranske oder Cottbus ein struktureller Leerstand von 50 Prozent. Die FDP fordert deshalb die Bundesregierung auf, den von der FDP 2001 eingebrachten Gesetzentwurf der Ent- schuldung der Wohnungsunternehmen oberhalb von 5 Prozent zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollten statt der Härtefallregelung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung auch Wohnungs- unternehmen, die keine Teilentlastung nach § 4 des AHG oder keine Zinshilfe nach § 7 des AHG in Anspruch ge- nommen haben, wie bisherige Antragsberechtigte aufge- nommen werden. Besonders die Treuhandliegenschafts- gesellschaften, die ursprünglich mit einem eigenen Privatisierungsmodell auftraten, das eine weitgehend un- sanierte, dafür aber billige Abgabe der Bestände an inte- ressierte Mieter vorsah, geraten durch den nicht verschul- deten hohen strukturellen Leerstand in Insolvenzgefahr. Mit dem Stadtumbauprogramm Ost muss den Städten und Gemeinden nach Vorlage eines schlüssigen städtebauli- chen Gesamtkonzeptes sowohl die Finanzierung des Rückbaus wie auch die Wohnumfeldverbesserung mitfi- nanziert werden. Hierbei ist es unumgänglich, zusätzliche Mittel durch Bund und Land zur Verfügung zu stellen. Eine Um- schichtung von 50 Millionen Euro aus den bisherigen Städtebaufinanzierungsmitteln nur mit neuer Zweckbin- dung als Städtebaufördermittel für Rückbau, Abriss und Umfeldsanierung ist hier nicht hilfreich. Die weiteren vorgesehenen 50 Millionen Euro umgeschichtete GA- Mittel für das Wohnumbauprogramm Ost sind notwendig, sie sind aber keine zusätzlichen Investitionsmittel für die Bauwirtschaft. Gerade in der heutigen wirtschaftlich re- zessiven Entwicklung der Bauwirtschaft und angesichts des angespannten Arbeitsmarktes muss sich die Bundes- regierung in die Pflicht nehmen, das Stadtumbaupro- gramm Ost mit zusätzlichen Investitionsmitteln beschleu- nigt auf den Weg zu bringen. So könnte besonders solchen wohnungspolitisch angeschlagenen Städten wie Dranske, Cottbus und anderen schnell geholfen werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 200221502 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion der FDPhat mit Schreiben vom 30. Januar 2002 mitgeteilt, dass sie den Änderungsantrag zum Ent- wurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern auf Drucksache 14/8076 zurückgezogen hat. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) vom 8. Juni 1967 für die Jahre 1999 bis 2002 (18. Subventionsbericht) – Drucksache 14/6748 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch-2000 und Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksache 14/6268 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/7197 Nr. 2.2 Finanzausschuss Drucksache 14/6116 Nr. 1.1 Drucksache 14/6395 Nr. 2.13 Drucksache 14/6395 Nr. 2.14 Drucksache 14/7000 Nr. 2.5 Drucksache 14/7000 Nr. 2.7 Drucksache 14/7000 Nr. 2.8 Drucksache 14/7197 Nr. 2.14 Drucksache 14/7708 Nr. 2.10 Drucksache 14/7708 Nr. 2.20 Drucksache 14/7708 Nr. 2.21 Drucksache 14/7708 Nr. 2.22 Drucksache 14/7708 Nr. 2.23 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/7129 Nr. 2.17 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/7708 Nr. 2.38 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/7000 Nr. 2.22 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/7197 Nr. 2.9 Drucksache 14/7129 Nr. 2.15 Drucksache 14/7409 Nr. 2.8 Drucksache 14/7522 Nr. 1.5 Drucksache 14/7522 Nr. 1.6 Drucksache 14/7522 Nr. 1.7 Drucksache 14/7522 Nr. 1.8 Drucksache 14/7522 Nr. 1.9 Drucksache 14/7522 Nr. 1.10 Drucksache 14/7522 Nr. 1.11 Drucksache 14/7522 Nr. 1.12 Drucksache 14/7522 Nr. 1.13 Drucksache 14/7522 Nr. 1.14 Drucksache 14/7522 Nr. 1.15 Drucksache 14/7522 Nr. 1.16 Drucksache 14/7522 Nr. 1.17 Drucksache 14/7522 Nr. 2.6 Drucksache 14/7708 Nr. 2.16 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002 21503 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421600000
Einen schö-
nen guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die zweite und
dritte Beratung des Gesetzes zur Änderung eisenbahn-
rechtlicher Vorschriften – Tagesordnungspunkt 18 – ab-
zusetzen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung undBeschlussempfehlung desAusschus-

(Vermittlungsausschuss)

Fleischhygienegesetzes, des Geflügelfleisch-
hygienegesetzes und des Tierseuchengesetzes
– Drucksachen 17/7153 (neu), 14/7467, 14/7941,
14/8094 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Das Wort zu Erklärungen wird ebenfalls
nicht gewünscht.


(Widerspruch der Abg. Marita Sehn [FDP])

– Haben Sie Einwendungen? Sie können den Worten des
amtierenden Präsidenten schon glauben.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur
Änderung des Fleischhygienegesetzes, des Geflügel-
fleischhygienegesetzes und des Tierseuchengesetzes. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses auf Drucksache 14/8094? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung und Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermitt lungsausschuss)

des Rechts des Naturschutzes und der Land-
schaftspflege und zur Anpassung anderer
Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuregG)

– Drucksachen 14/6378, 14/6878, 14/7469,
14/7490, 14/7942, 14/8095 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Müller (Düsseldorf)


Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall.

Interfraktionell ist vereinbart, dass jede Fraktion eine
Erklärung von fünf Minuten abgeben kann. Zunächst
gebe ich dem Kollegen Michael Müller das Wort. Er
spricht für die Fraktion der SPD.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1421600100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Nach 16 Jahren schließen wir
beim Naturschutz die klaffende Wunde, von der Klaus
Töpfer gesprochen hat. Das ist ein guter Tag für den Um-
welt- und Naturschutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir schaffen damit etwas, woran die CDU-Umweltminis-
ter gescheitert sind. Wir schaffen es nämlich, nicht nur
sonntags von der Umwelt zu reden, sondern auch werk-
tags entsprechend zu handeln. Das ist gut so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer es mit dem Umweltschutz ernst meint, der muss zu
einem modernen Naturschutzgesetz kommen. Da kann
man nicht tricksen; da muss man handeln. Man muss es,
auch wenn es Widerstände gibt, durchziehen. Das tun wir.
Das Naturschutzgesetz ist ein großer Schritt nicht nur in
Richtung zu mehr Lebensqualität, sondern auch zu mehr
Standortqualität. Es gibt auf Dauer keine gute Wirt-
schaft, wenn es keine gesunde Natur gibt. Diesen Zusam-
menhang muss jeder sehen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


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(C)



(D)



(A)



(B)


216. Sitzung

Berlin, Freitag, den 1. Februar 2002

Beginn: 09.00 Uhr

In dieser Legislaturperiode ist es der zweite wichtige
Schritt im Rahmen des Naturschutzrechts, nachdem wir
100 000 Hektar wertvoller Flächen in den neuen Bundes-
ländern gesichert haben. Es ist ein notwendiger Schritt,
um den Artenschwund zu stoppen. Wir bedauern es, dass
leider nicht alle Fraktionen des Hauses dieses Vorhaben
unterstützen.

Wir können nicht einerseits überall verkünden, dass
wir beim Umweltschutz Vorreiter sind, und auf der ande-
ren Seite beim Naturschutz hinterherhinken. Wir liegen
nämlich hinter vielen europäischen Ländern deutlich
zurück. Genau das wollen wir verändern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marita Sehn [FDP]: So ein Quatsch!)


Unser Dank gilt der Mehrheit der Länder, die im Ver-
mittlungsausschuss zugestimmt haben. Wir sehen die
Kompromisse, die wir gefunden haben, als eine gute Ei-
nigung zwischen Naturschutz und Landwirtschaft an.
Es ist falsch, zu glauben, die Landwirtschaft habe eine Zu-
kunft, wenn sie den Naturschutz nicht mehr ausreichend
beachtet.


(Marita Sehn [FDP]: Wir machen das doch, mein Gott!)


Nur eine Landwirtschaft, die sich dem Naturschutz öffnet,
kann auch auf Dauer eine akzeptierte, von den Bürgern
getragene Landwirtschaft sein. Wenn dies bereits immer
der Fall wäre, dann hätten wir die Skandale wohl nicht ge-
habt. Es ist gut, dass wir jetzt einen Schritt in Richtung
mehr Naturschutz machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diejenigen, die früher das Feuer entzündet haben – das
sage ich an die Adresse der rechten Seite des Hauses –,
sollten jetzt ruhig sein und lieber helfen, den Brand zu lö-
schen. Der Naturschutz ist ein Beitrag, um zu mehr Ak-
zeptanz der Landwirtschaft zu kommen. Dies ist im Inte-
resse der Bauern.


(Marita Sehn [FDP]: So ein Quatsch! – Cajus Caesar [CDU/CSU]: Nichts als Bürokratie!)


Auch unter den Landwirten wird das zunehmend so gese-
hen. Im Gegensatz zu denen, die es immer noch nicht be-
griffen haben, gibt es bei den Landwirten in der Zwi-
schenzeit sehr viel Offenheit.


(Marita Sehn [FDP]: Die machen das doch schon lange!)


– Ja, ich weiß, Sie machen alles, und dann wundere ich
mich, dass es trotzdem zu Skandalen, zu Artenschwund
und Bodenverschlechterungen kommt. Das muss doch ir-
gendwelche Ursachen haben. Wir leben in einer realen,
nicht in einer fiktiven Welt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Keine pauschale Verurteilung!)


Das Naturschutzgesetz schafft Voraussetzungen für ei-
nen Biotopverbund,wie ihn auch die Europäische Union

will. Wir verbessern den Artenschutz und wir schaffen
auch Rechtssicherheit für Offshoreanlagen.

Lassen Sie mich zwei Punkte besonders herausstrei-
chen: erstens die Verbandsklage. Durch das Bundes-
naturschutzgesetz wird die Vereinsklage eingeführt. Sie
entspricht den rechtlichen Standards von 13 der 16 Bun-
desländer. Dies war ein überfälliger Schritt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen zeigt die Erfahrung mit der Verbandsklage,
dass überall dort, wo sie eingeführt wurde, die Rechts-
sicherheit erhöht und die Verfahren beschleunigt wurden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Schauen Sie sich die realen Erfahrungen an und halten Sie
nicht länger an Ihren alten Vorurteilen fest! Eine Demo-
kratie braucht Akzeptanz und Integration. Sie spalten,
wenn Sie nicht merken, dass eine mündige Demokratie
die Vereins- und die Verbandsklage braucht.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Alles Müller, oder was?)


– Das ist in diesem Zusammenhang natürlich ein beson-
ders intelligenter Satz.

Zweitens. Wir machen gute Schritte in Richtung einer
verbesserten fachlichen Praxis.Der Naturschutz wird in
die Fachgesetze integriert.


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Sie gefährden die Förderung!)


Das machen wir bewusst. Es liegt im Interesse der Land-
wirte und einer guten Zukunft.


(Marita Sehn [FDP]: Das wissen die Landwirte, auch ohne dass Sie ihnen das sagen!)


Es ist interessant, dass vor allem diejenigen, die bei jeder
Gelegenheit von Modernisierung reden, immer dann ge-
gen die Modernisierung sind, wenn es konkret wird. Wir
werden konkret. Deshalb macht die Regierung einen
Schritt nach vorne, der auch akzeptiert werden wird.

Es kann nicht richtig sein, auf der einen Seite von
Nachhaltigkeit zu reden, und auf der anderen Seite dann,
wenn wir Nachhaltigkeitsregeln aufstellen, zu sagen: Da-
mit wollen wir nichts zu tun haben. – Nachhaltigkeit und
Naturschutz gehören unmittelbar zusammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Marita Sehn [FDP]: Das ist selbstverständlich!)


– Wenn das alles so selbstverständlich ist, dann können
Sie gleich zustimmen. Darüber wäre ich froh.

Wir akzeptieren auch – das ist insbesondere auf Vor-
schlagdesHerrnBundesumweltministerszustandegekom-
men – die Klarstellung zum Verkehrswegeplanungs-
beschleunigungsgesetz,einfurchtbarerBürokratenbegriff,
die dafür sorgt, dass es von den Regelungen des Natur-
schutzgesetzes unberührt bleibt. So lautete die Formulie-




Michael Müller (Düsseldorf)

21426


(C)



(D)



(A)



(B)


rung im Vermittlungsausschuss. Diese Formulierung zu
protokollierenistselbstverständlich.MitdemNaturschutz-
gesetzmachenwir deshalb einengutenSchritt voran.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marita Sehn [FDP]: Ihr werdet euch wundern, da bin ich ganz sicher!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421600200
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Cajus Julius
Caesar.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ CSU]: Salve! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)



Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1421600300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Union, werden die-
sen Gesetzentwurf auch unter Einbeziehung des Ergeb-
nisses des Vermittlungsausschusses ablehnen. Es handelt
sich um ein Vermittlungsausschussergebnis, das die
SPD-geführten Länder gegen den Willen der unionsge-
führten Länder herbeigeführt haben. Wir sehen als Folge
des Gesetzentwurfs ein Mehr an Bürokratie. Wir wollen
ein Miteinander mit den vor Ort lebenden Menschen. Das
muss unser gemeinsames Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir erkennen an, dass es aufgrund unserer herben Kri-

tik und aufgrund unserer konstruktiven Vorschläge zu ein-
zelnen Verbesserungen gekommen ist. Ich erwähne in
diesem Zusammenhang, dass das grundsätzliche
Kahlschlagsverbot durch die Zielformulierung nunmehr
ein Stückchen aufgeweicht wird. Dennoch muss man zur
Kenntnis nehmen, dass die Waldbauern, gerade die
1,3 Millionen Waldbesitzer mit einem durchschnittlichen
Besitz von nur 3,6 Hektar, beeinträchtigt werden.

Wir erkennen an, dass die Dokumentationspflicht nun-
mehr an das Fachrecht gebunden ist. Das ist auch sinnvoll.
Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Dokumentations-
pflicht auch für kleine Einheiten gilt. Das bedeutet aber
eine übertriebene Regelung mit mehr Kontrolle, mehr
Bürokratie, mehr Verwaltungsaufwand.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Jawohl! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau das ist es!)


Wir sehen es als sehr problematisch und nicht hin-
nehmbar an, dass in § 22 nach wie vor der Umgebungs-
schutz für an Schutzgebiete angrenzende bewirtschaftete
Flächen formuliert ist. Das bedeutet eine ungenaue Defi-
nition. Das bedeutet auch Beeinträchtigungen für die dort
Wirtschaftenden und auch Unklarheit für das Planungs-
recht der Kommunen vor Ort. Das ist aus unserer Sicht
nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nicht hinnehmbar ist für uns auch, dass nach dem Er-

gebnis des Vermittlungsausschusses erneut die Formulie-
rung in das Gesetz aufgenommen wird, nach der die vor
Ort Tätigen die Landschaftselemente nicht nur zu erhal-

ten und zu pflegen, sondern auch zu vermehren haben.
Wenn dies zur guten fachlichen Praxis gehört, dann be-
deutet das, dass man dafür keine Förderungsmittel der EU
beanspruchen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Aha! Das ist ein finanzielles Eigentor!)


Das kann man so nicht hinnehmen.
Wir kritisieren auch, dass Sie bei der Tierhaltung über

das Fachrecht hinausgehen. Sie wollen – das besagt die
Protokollnotiz der Bundesregierung im Vermittlungsaus-
schuss –, dass ein Ausgleich nur noch in engem betriebli-
chen Zusammenhang erfolgt. Das bedeutet: Sie treffen
insbesondere die ganz kleinen Betriebe, die darauf ange-
wiesen sind, neben den Einnahmen aus ihren kleinen
Flächen auch Einnahmen aus der Tierhaltung zu erzielen.
Das kann es doch nun wirklich nicht sein! Hier wird wie-
der etwas zulasten der ganz kleinen Betriebe formuliert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt habe ich verstanden, wo das Problem ist! Herr Müller hat mir das nicht klar gemacht!)


Wir wollen grundsätzlich, dass die gute fachliche Pra-
xis an das Fachrecht gebunden wird, damit es eindeutige
Zuständigkeiten und keine Doppelzuständigkeiten gibt.
Durch Ihre Formulierung kommt es dagegen zu einer Ver-
schwendung von Ressourcen insbesondere finanzieller
Art. Das ist nicht unser Anliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie bleiben bürokratisch. Schauen Sie sich das einmal

an! Bei der Umweltbeobachtung wollen Sie die Einwir-
kung und Wirkung von Umweltschutzmaßnahmen, den
Zustand und die Veränderung ermitteln sowie Auswer-
tung und Bewertung betreiben – das natürlich nicht zulas-
ten der Finanzen des Bundes; die Lasten sollen mal wie-
der die Kommunen und die Länder tragen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Stimmt doch gar nicht! – Ulrike Mehl [SPD]: Sie haben unser Gesetz nicht gelesen! Ich weiß nicht, welches Sie gelesen haben, unseres jedenfalls nicht!)


Auch das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch mit der flächendeckenden Landschaftsplanung
bleiben Sie bürokratisch. Jeder Quadratmeter soll von den
Ländern und Kreisen mit Verboten, Geboten und Festset-
zungen überzogen werden.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Sie haben das Gesetz gar nicht gelesen!)


Auch diesbezüglich waren die Länder, weite Teile des
Bundesrats und wir als Union völlig anderer Meinung.
Das ist Bürokratie hoch drei, die wir nicht akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Michael Müller (Düsseldorf)


21427


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie verschärfen die Zulässigkeitsvoraussetzungen und
verändern die Abwägungsklausel. Auch das greift in das
Planungsrecht der Kommunen ein und wird – entgegen
Ihren Ausführungen an anderer Stelle – die Planung und
vor allem die Umsetzung von Vorhaben deutlich er-
schweren. Auch das können wir nicht hinnehmen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau! Das erzählt mal den Spitzenverbänden!)


Sie nehmen eine Ausweitung der Schutzgebietsdefi-
nitionen vor. Damit wird der Dschungel von Schutzge-
bietsdefinitionen noch mehr vergrößert und unnötiger
Verwaltungsaufwand produziert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Das ist nicht in unserem Sinne.

Wir wollen nicht, dass noch mehr Planungs- und
Zwangsinstrumente auf den Weg gebracht werden, wie
Sie das mit diesem Gesetz betreiben. Wir wollen viel-
mehr, dass der praktische Naturschutz in den Vordergrund
gestellt wird. Deshalb wäre es aus unserer Sicht ganz
wichtig gewesen, die verpflichtenden Ausgleichsregelun-
gen, die neben uns auch der Bundesrat in einem neuen
§ 5 a gefordert hatte, zusätzlich aufzunehmen. Das haben
Sie nicht unterstützt. Dies ist sehr schade. Das ist gegen
die Menschen gerichtet und kommt enteignungsgleichen
Eingriffen gleich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen eine gesunde und lebenswerte Umwelt. Wir

wollen Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung der
ländlichen Räume. Wir wollen das Miteinander von Öko-
logie, Ökonomie und sozialer Komponente.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421600400
Ich erteile
das Wort der Kollegin Sylvia Voß für Bündnis 90/Die
Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421600500
Sehr ge-
ehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn es die Opposition offensichtlich nicht begrei-
fen kann:


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Nein, wir sind doof! – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Was war?)


Es ist heute wirklich ein großer Tag für unser Land; denn
Deutschland erhält endlich, nach 25 Jahren, und dank
Rot-Grün ein modernes, neues Naturschutzgesetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist gut für die Fauna und Flora unseres Landes. Das
ist gut für unsere Landschaften und für all diejenigen, die
von, mit und in den Landschaften leben. Das ist also gut
für uns alle. Wir haben dabei sowohl an die Gegenwart als
auch an die Zukunft gedacht.

Ein entscheidendes Novum unseres Neuregelungs-
gesetzes ist die Ausgestaltung eines kooperativen
Naturschutzes.


(Marita Sehn [FDP]: Das machen Sie doch gar nicht! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil! Wir haben ihn 1998 eingeführt!)


Naturschutz und landwirtschaftliche Nutzung werden in
diesem Gesetz in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt.
Das haben Sie nie zustande gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cajus Caesar [CDU/CSU]: Wo bleiben denn Ihre Ausgleichsregelungen?)


– Warum schreien Sie denn so, wenn Sie meinen, dass Sie
es schon gemacht haben?

Die Einflüsse, die von der Land-, Forst- und Fischerei-
wirtschaft auf die Arten- und die Biotopvielfalt ausgehen,
sind teilweise wirklich dramatisch. Da können Sie so viel
schreien, wie Sie wollen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Rufen!)

Das ist Fakt und durch Studien belegt. Dieser Wahrheit
mussten wir uns stellen, und zwar nach vielen Jahren, in
denen Sie sie ignoriert hatten. Die Wahrheit ist eine harte
Birne, egal ob man sie wirft oder fängt: Chemischer Pflan-
zenschutz, Düngung, Bodenbearbeitung, Melioration und
Flurbereinigungen beeinträchtigen den Naturhaushalt. Es
wäre wirklich verantwortungslos, darüber hinwegzuse-
hen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen Flurbereinigung?)


Wir suchen keinen Sündenbock. Wir bieten Lösungen
– vielleicht haben Sie einmal den Begriff „Win-win-Stra-
tegie“ gehört – mit Vorteilen für alle Seiten, mit dem Ziel,
auch für künftige Generationen die biologische Vielfalt
und unser aller Lebensgrundlagen zu erhalten.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen Flurbereinigung?)


Das neue Naturschutzgesetz erweitert erstmals die von
der Landwirtschaft entwickelten Regeln und Grundsätze
der guten fachlichen Praxis um naturschutzfachliche
Anforderungen. Das ist ungeheuer wichtig.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen Flurbereinigung?)


Es haben uns im Übrigen viele Landwirte versichert, dass
sie diese Anforderungen schon erfüllen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen Flurbereinigung?)


Deshalb möchte ich wissen, warum Sie andauernd dazwi-
schenrufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zudem sind die Anforderungen – auch durch die Über-
arbeitung des Vermittlungsausschusses – so gefasst, dass
sie den regionalen Besonderheiten entsprechen und durch
die Länder gut ausgestaltet werden können. Ich glaube,




Cajus Caesar
21428


(C)



(D)



(A)



(B)


auch Sie können nicht bestreiten, dass das eine föderal
sehr gut ausgewogene Lösung ist.


(Marita Sehn [FDP]: Nein, das ist sie nicht! Reden Sie mit Ihren Ländern!)


Die im Gesetz verankerten Kriterien berücksichtigen
die direkten und die indirekten Einflüsse der Landwirt-
schaft auf den Bestand und die Veränderungen der Tier-
und Pflanzenwelt. Das Gesetz verlangt von der Landwirt-
schaft eine Bewirtschaftungsweise, die dem Standort an-
gepasst ist und die die Bodenfruchtbarkeit sowie die
Nutzbarkeit der Flächen langfristig sichert. Ich glaube,
das sollten auch Sie wollen; denn davon profitiert nicht
nur der Landwirt, weil er so generationsübergreifend die
biologische Vielfalt erhält. Vielmehr profitieren wir alle
von dieser Kulturlandschaft, die wir zum Leben brauchen.

Was fordert das neue Recht noch? Vermeidbare Beein-
trächtigungen von Biotopen sind zu unterlassen. Hat in
diesem Haus wirklich jemand etwas dagegen, vermeid-
bare Eingriffe zu untersagen? Ich kann mir das nicht vor-
stellen. Aber Sie wollen das offensichtlich nicht akzeptie-
ren. Von der Einführung einer Dokumentation über den
Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln geht die
landwirtschaftliche Welt nicht unter. Malen Sie doch nicht
den Teufel an die Wand! Er sitzt schon auf vielen unserer
Äcker.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Der Anstieg des Nitratgehalts im Grundwasser ist zum
großen Teil durch eine nicht standortgerechte Produktion
sowie durch eine unsachgemäße Düngung und konzen-
trierte Tierhaltung verursacht worden.


(Marita Sehn [FDP]: So ein Quatsch!)

– Das ist überhaupt kein Quatsch. Mit diesem Zuruf zei-
gen Sie nur, dass Sie sich damit überhaupt nicht ausken-
nen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Kennen Sie sich damit aus?)


Deshalb macht es nämlich Sinn, dass festgelegt wurde,
dass die Tierhaltung in einem ausgewogenen Verhältnis
zum Pflanzenbau stehen muss. Für die Reinigung unseres
Trinkwassers zahlen wir nämlich alle. Da Trinkwasser für
uns lebensnotwendig ist, haben Antibiotika, Pestizide und
andere gefährliche Stoffe nichts darin zu suchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Angesichts der großen Bedeutung von Landschafts-
elementen wie Hecken und Feldgehölzen – hören Sie
gut zu – für die Vernetzung vorhandener Biotope verlangt
der Gesetzgeber, dass diese erhalten bleiben und dass
Wiederanpflanzungen dort, wo sie unbedingt erforder-
lich sind, vorzunehmen sind. Die Flurbereinigung, die
Sie gefördert haben, hatte schreckliche Auswirkungen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nicht immer, manchmal! – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Haben Sie noch alle auf die Reihe?)


Wir brauchen eine stärkere Vernetzung und mehr Land-
schaftselemente wie Hecken. Die Länder können jetzt
Programme zur Förderung von Wiederanpflanzungen
auflegen. Dafür haben wir die gesetzlichen Grundlagen
geschaffen. Lesen Sie das Gesetz einmal richtig!

Ein ideologisch unbefangener, gerecht denkender Zeit-
genosse wird diese Regelungen vernünftig finden. Sie
sind ganz gewiss nicht, wie Herr Ruck meinte mitteilen zu
müssen, Ausdruck eines rot-grünen Feldzugs gegen die
Bauern.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Doch, da ist was dran! Den rot-grünen Feldzug gibt es!)


Welche Realitätsferne, wenn Herr Ruck behauptet, die
Verbandsklage verhindere Gewerbeansiedlungen und
Verkehrsinfrastrukturprojekte! Das kann ja wohl nur pas-
sieren, wenn gerichtsfest festgestellt wird, dass Vorhaben
gegen geltendes Recht verstoßen. Ich weiß nicht, was Sie
gegen den Rechtsstaat haben.

Zum Schluss möchte ich sagen: Es ist wirklich der
große Tag für den Naturschutz, den wir uns gewünscht ha-
ben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Hätte es sein können!)


der mich mit Freude erfüllt, der auch Sie mit Freude er-
füllen sollte und der uns noch einmal deutlich vor Augen
führt, dass wir dieser Opposition


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wir sind nicht mehr lange Opposition! – Gegenruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das glaubt auch nur ihr!)


weder das Feld noch die Natur, weder unsere Tiere noch
unsere Pflanzen überlassen dürfen; denn das wäre
schlecht für den Rothalstaucher, für den Roten Stein-
brech, für die Gemeine Gelbeule, für den dunkel-
schwarzen Alpensalamander und für das allseits beliebte
Immergrün.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Was gibt es in Brandenburg? Den roten Adler!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421600600
Für die
Fraktion der FDP spricht die Kollegin Marita Sehn.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1421600700
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die Bundesregierung und, wie wir ge-
rade hören konnten, auch die sie tragenden Fraktionen
werden nicht müde, ihr Gesetz als einen Meilenstein für
den Naturschutz zu loben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Endlich Einsicht bei der FDP!)





Sylvia Voß

21429


(C)



(D)



(A)



(B)


Doch die Anhörung, bei der auch Sie waren, hat etwas an-
deres ergeben: Defizite im Naturschutz sind Vollzugsde-
fizite und keine Gesetzesdefizite.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wie viel einfacher ist es doch, ein Gesetz zu
stricken, als sich um eine entsprechende Umsetzung zu
kümmern!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau das ist es!)


Sie machen Gesetze und die Länder sollen sehen, wie sie
mit der Umsetzung fertig werden.


(Ulrike Mehl [SPD]: Frau Merkel hat das anders gesehen!)


Selbst die SPD-regierten Länder teilen nicht – Sie hätten
da vielleicht einmal hinhören sollen, Frau Mehl – Ihre Eu-
phorie über die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz.
Wenn man ehrlich gewesen wäre, hätte man sie lieber ab-
gelehnt. Hier wurde ein Gesetz über die Köpfe der Länder
hinweg gemacht und dort soll es nun umgesetzt werden.

Die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz ist keine
Sternstunde des Föderalismus, sie ist eher ein Zeichen der
Selbstherrlichkeit dieser Bundesregierung,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

die über alle Einwände der Betroffenen achselzuckend
hinweggeht.

Immer wenn Rot-Grün ein Problem angeht, stehen am
Ende mehr Bürokratie, weniger Entscheidungsfreiheit für
die Bürger und mehr Ordnungsrecht und Vorschriften.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit diesem Regulierungswahn betreiben Sie die schritt-
weise Entmündigung der Bürger. Ob Dosenpfand, ob
Legehennenverordnung, ob Bundesnaturschutzgesetz,


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen das mal richtig lesen! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Zustimmung Rheinland-Pfalz!)


bei dieser Bundesregierung, Frau Voß, kommt immer Ver-
ordnen vor Überzeugen.

Das Bundesnaturschutzgesetz ist nichts als ein schlecht
kaschierter Misstrauensantrag gegenüber unseren Land-
und Forstwirten. Frau Voß hat das hier eben wieder
exemplarisch vorgeführt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Für die FDP ist es unerträglich, wie Sie einen ganzen

Berufsstand unter den Generalverdacht des umweltschä-
digenden Verhaltens stellen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir doch gar nicht! Das sind doch bloß Behauptungen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie sprachen doch von Vollzugsdefizit!)


Misstrauen und versteckte Vorwürfe ziehen sich wie ein
roter Faden durch die gesamte Naturschutznovelle. Sie
misstrauen den Menschen. Deshalb geben Sie Dirigismus
und Ordnungsrecht den Vorzug vor dem bewährten Ver-
tragsnaturschutz.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Rheinland-Pfalz!)


Das ist ein zentraler Fehler in der Novelle, der leider auch
im Vermittlungsausschuss nicht beseitigt werden konnte,
Herr Müller.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Rheinland-Pfalz hat zugestimmt! Mit der FDP!)


– Dazu komme ich noch.
Die Politik der Bundesregierung durchzieht wie ein

Spaltpilz unsere Gesellschaft. Sie spalten, anstatt zusam-
menzuführen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie tun das!)


Sie versuchen, einen Keil in unsere Bauernschaft zu trei-
ben, indem Sie diese in öko gleich gut und konventionell
gleich böse einteilen. Sie, Herr Müller, provozieren Stadt-
Land-Konflikte, indem Sie bewährten Kooperationsmo-
dellen eine Absage erteilen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Im Gegenteil!)


– Nein! – Mit dem Vertragsnaturschutz hat die alte Bun-
desregierung – das waren wir – das umgesetzt, wovon Sie,
die Grünen, heute immer nur reden.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: „Alt“ ist richtig!)


Wir haben den Landwirten eine echte Einkommensper-
spektive durch den Naturschutz verschafft. So erreicht
man Akzeptanz im Naturschutz und nicht durch Ihren Ver-
ordnungswahn.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie müssen selbst darüber lachen!)


– Ich darf doch wohl noch lachen.
Ein weiterer gravierender Schwachpunkt bleibt die

Aushöhlung der Eigentumsrechte. Leider haben wir
nicht in allen Ländern – jetzt kommt Rheinland-Pfalz,
Herr Müller; gut zuhören! – einen FDP-Agrarminister, der
das Eigentum verteidigt und schützt.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rheinland-Pfalz stimmt mit!)


In Rheinland-Pfalz ist das Gott sei Dank so.

(Beifall bei der FDP)


Aber glaubt denn tatsächlich jemand hier im Parla-
ment, dass rot-grün regierte Länder eine Ausgleichsrege-
lung wie in Rheinland-Pfalz durchsetzen werden?


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das schaffen die nie!)





Marita Sehn
21430


(C)



(D)



(A)



(B)


Nein, das wird leider nicht geschehen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Das Gleiche gilt für die gute fachliche Praxis und das Bio-
topverbundsystem. Rheinland-Pfalz wird einen pragmati-
schen Weg finden, der Landwirte und Kommunen nicht
vor unlösbare Probleme stellt. Alle diejenigen, Frau
Müller, die zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen leben,
werden neidvoll über die südliche Grenze nach Rhein-
land-Pfalz blicken. Da bin ich mir sicher.


(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD – Ulrike Mehl [SPD]: Die ziehen jetzt alle nach Rheinland-Pfalz!)


Die FDP-Beteiligung in der Landesregierung wird zu ei-
nem echten Standortvorteil für die Landwirte werden.

Während die Landwirte, der Gartenbau, die Wirtschaft
immer wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen in Eu-
ropa einfordern, schafft die Bundesregierung nun auch
noch mutwillig Wettbewerbsverzerrungen innerhalb
Deutschlands.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht die FDP in RheinlandPfalz anders!)


Das zeigt, dass die Grünen geistig immer noch nicht in
Europa angekommen sind. Herr Fischer träumt von den
Vereinigten Staaten von Europa und sein Kollege Trittin
und seine Kollegin Künast betreiben eine rückwärts ge-
wandte Kleinstaaterei.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz bleibt trotz

unserer Bemühungen im Bundesrat ein Anschlag auf die
Entwicklungsfähigkeit des ländlichen Raums; das
finde ich sehr traurig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir bleiben deshalb auch weiterhin bei unserem katego-
rischen Nein zu dem trittinschen Gesetzentwurf. Wir wol-
len den Naturschutz; aber wir wollen, dass er zu einem
Anliegen der gesamten Gesellschaft wird und nicht zu et-
was,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ja, aber!)


das man per Gesetzesbeschluss einer Minderheit aufs
Auge drückt.


(Beifall bei der FDP)

Wir wollen einen modernen, einen kooperativen Natur-
schutz


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau den machen wir ja!)


und keinen veralteten, verordnenden Naturschutz, wie er
der Bundesregierung vorschwebt. Wir wollen einen Na-
turschutz für und mit den Menschen und keinen gegen sie.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Richtig! Auch deswegen muss Rot-Grün abgelöst werden!)


Deshalb wird die FDP-Bundestagsfraktion die Beschluss-
empfehlung des Vermittlungsausschusses ablehnen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur reden, machen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421600800
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Eva Bulling-
Schröter.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1421600900
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen – dies möchte
ich hier eingangs klar sagen –, dass das Gesetzgebungs-
verfahren zur Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes
endlich zum Abschluss gekommen ist.


(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Neben dem Artikelgesetz zur Umsetzung der IVU/UVP-
Richtlinie gehört sie sicherlich zu den umfangreichsten
Vorhaben der Bundesregierung auf dem Gebiet der Um-
weltpolitik. Sie gehört auch zu den umstrittensten. Vor al-
lem der konservative Teil der Landwirtschaftslobby lief
unermüdlich Sturm gegen diese Novelle.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die PDS in Mecklenburg-Vorpommern! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]:Die einen sagen, wir hätten zu viel gemacht, und die anderen sagen, wir hätten zu wenig gemacht! – Weitere Zurufe von der SPD)


Kollege Cajus Caesar hat uns das ja wieder vorgeführt.
Dennoch sind einige Fortschritte erzielt worden. Zu

nennen wären die Einführung eines bundesweiten Bio-
topverbundes, für den erstmals Regelungen einschließ-
lich solcher zur Mindestgröße der Gebiete aufgestellt
wurden, die bundeseinheitlichen Regelungen zur Ver-
bandsklage sowie die Regelungen zum Meeresschutz, zur
flächendeckenden Landschaftsplanung und zur Umwelt-
beobachtung. Zudem gelten jetzt für die Land- und Forst-
wirtschaft mehr Naturschutzauflagen.

Während bei den Beratungen im Bundestag zahlreiche
Änderungen zum ursprünglichen Regierungsentwurf ein-
gearbeitet wurden, die in der überwiegenden Mehrzahl
positiv zu bewerten sind, wurde die Novelle im Bundes-
rat in einigen Punkten aufgeweicht.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?)


Schmerzlich ist vor allem, dass die Möglichkeit der Be-
teiligung von Verbänden bis hin zur Klage, sofern Plan-
feststellungen durch Bebauungspläne ersetzt werden, im
Vermittlungsergebnis herausgefallen ist. Hier ergibt sich
ein Spielraum, um gerade in Ostdeutschland die unlieb-
same Bürgerbeteiligung durch die Wahl eines bequeme-
ren Verfahrens auszuhebeln.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Es ist nichts herausgefallen!)





Marita Sehn

21431


(C)



(D)



(A)



(B)


Für mich unverständlich ist zudem, dass es nun für die Fi-
schereiwirtschaft überhaupt keine Vorschriften zur guten
fachlichen Praxis geben soll.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habt ihr das auch in MecklenburgVorpommern so diskutiert?)


– Ich erzähle dazu noch etwas.
Unklar ist auch, ob durch die im Vermittlungsverfahren

eingeführte Einschränkung der ursprünglich vorgesehenen
schlagspezifischen Dokumentation über den Einsatz von
Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nicht lediglich der un-
befriedigende Status quo festgeschrieben wird. Diese soll
nun nach Maßgabe des landwirtschaftlichen Fachrechtes
durchgeführt werden. Doch das gilt ja auch heute schon.

In der Summe ist mit der Naturschutznovelle nicht
wirklich der große Wurf gelungen. Das sehen – hinter den
Kulissen – auch die Umweltverbände so. Ich denke, ihnen
blieb nach 25 Jahren Stillstand und Blockade im
Naturschutzrecht nichts anderes übrig, als die Novelle,
die ja tatsächlich einiges verbessert, zu verteidigen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Also doch keine A 20 in MeckPomm!)


Ähnlich geht es auch der PDS. Wir hatten, wie Sie sich
sicher erinnern, einen weiter gehenden Gesetzent-
wurf eingebracht. Dieser hatte keine Chance. Wir haben
aber weder auf Bundes- noch auf Landesebene den
Koalitionsentwurf abgelehnt.

Jetzt zu Ihrer Frage. Ich möchte einige Märchen ent-
kräften.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben sich die PDS
und ihr Umweltminister dem Koalitionsentwurf nicht ver-
weigert. Es war nicht die PDS, sonder die SPD. Sie kön-
nen sich die Reden von Herrn Methling angucken.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Koalitionsvertrag in Berlin? Stadtautobahn! Verkehrspolitische Kapitulation! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit der A 20 in Mecklenburg-Vorpommern?)


– Liebe Kollegen, wenn Sie im Glashaus sitzen, sollten
Sie nicht mit Steinen werfen.


(Beifall bei der PDS)

Eine Partei, die den Atomkompromiss gut findet und sich
für Auslandseinsätze der Bundeswehr einsetzt, braucht
hier nicht den Mund aufzureißen. Wir sind im Wahl-
kampf. Das wissen wir auch.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Scheinheilig seid ihr!)


Aber die, die im Glashaus sitzen, sollten nicht mit Steinen
werfen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Schmidt ist nur laut! Der wirft nicht mit Steinen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammengefasst
meinen wir, dass die rot-grüne Naturschutznovelle einige
Aspekte moderner Naturschutzpolitik aufgreift. Andere
Forderungen aus Wissenschaft und Umweltpolitik, wie
sie in unserem Gesetzentwurf zu finden sind, harren noch
einer gesetzlichen Umsetzung. Bei der nächsten Novelle
des Naturschutzgesetzes müssen neue Regelungen gefun-
den werden, um den Flächenverbrauch zu begrenzen.
Ich denke, das ist eine ganz wichtige Sache. Im Zeichen
der Nachhaltigkeit muss hier wesentlich weiter diskutiert
werden und es müssen Tatsachen geschaffen werden.
Auch der weiterhin unbefriedigende Baurechtskompro-
miss, welcher nach wie vor Naturschutzbelange hintan-
stellt – Sie kennen die Problematik: „Benehmen“ in „Ein-
vernehmen“? –, sollte geändert werden. Ich wünsche mir,
dass unsere Vorschläge zum Individualklagerecht bei
Umweltbelangen nach amerikanischem Vorbild und auch
die von den Verbänden lange geforderte Positivliste für
den Wildtierhandel diskutiert werden und einfließen.

Ich komme zum Schluss. Vonseiten der CDU/CSU und
der FDPwurde hier die Frage der Tierhaltung diskutiert.
Ich meine, wir müssen für eine vernünftige Tierhaltung
sorgen. Ich habe kein Verständnis zum Beispiel für die
FDP, die zwar fordert, den Tierschutz ins Grundgesetz
aufzunehmen, sich aber aufregt, wenn endlich eine ver-
nünftige Legehennenverordnung eingeführt wird. Viele
Tierschutzverbände fordern das seit langem. Auch in den
Ställen hat sich etwas verändert.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421601000
Wir kom-
men zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Neuregelung
des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege
und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses auf Drucksache 14/8095? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Fraktionen von CDU/CSU – –


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Teile der PDS haben zugestimmt!)


– Sie sollten abwarten. – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei hälftiger Zustim-
mung und hälftiger Enthaltung der PDS angenommen. –


(Beifall)

Sie sind so ungeduldig heute Morgen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja! Es geht um Naturschutz!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela

Schröter, Eckhardt Barthel (Berlin), Hans-




Eva Bulling-Schröter
21432


(C)



(D)



(A)



(B)


Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin, Rita
Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Reform der deutschen Filmförderung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd
Neumann (Bremen), Dr. Norbert Lammert,
Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Verbesserung der Rahmenbedingungen für
den deutschen Film
– Drucksachen 14/7178, 14/3375, 14/7705 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Bernd Neumann (Bremen)

Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Redne-
rin der Kollegin Gisela Schröter für die Fraktion der SPD
das Wort.


Gisela Schröter (SPD):
Rede ID: ID1421601100
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir diese De-
batte zur Filmförderung heute führen können. Ich finde es
gut, dass sie nicht in den Wahlkampf gezogen wird. So
können wir unsere gute Zusammenarbeit zwischen allen
Fraktionen fortsetzen, um schließlich ans Ziel zu kom-
men, der Novellierung des Filmförderungsgesetzes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Filmförderungsgesetz ist, wie Sie wissen, bis zum
31. Dezember 2003 befristet und steht für uns daher im
nächsten Jahr auf der Agenda. Unsere heutige Debatte be-
greife ich als einen wichtigen Schritt zur Reform des
Filmförderungsgesetzes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nicht nur das auslaufende Gesetz zur Filmförderung
gibt Anlass zum Handeln; es ist – ich denke, da verrate ich
kein Geheimnis – die Lage des deutschen Films selber, die
Handeln erfordert. Dazu zählt auch gesetzgeberisches
Handeln. Es ist nicht damit getan, das geltende Gesetz
fortzuschreiben, es muss in wichtigen Punkten grundle-
gend umgestaltet werden.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Da sind wir uns einig!)


– Das stimmt, darüber sind wir uns einig. Darüber
herrscht, wie wir wissen, weitgehend Konsens, Herr Kol-
lege Otto.


(Hans-Joachim Otto sind uns aber nicht in allen Punkten einig! – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Und das seit vielen Jahren!)


Wir dürfen uns nicht durch die guten Zahlen täuschen
lassen, die der deutsche Film derzeit vorzuweisen hat.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: „Gute Zahlen“?)


Der derzeit relativ hohe Marktanteil konnte – ich denke,
auch darüber sind wir uns einig, Herr Kollege Otto – im
Wesentlichen durch zwei sehr erfolgreiche Filme erreicht
werden, und zwar zum einen durch den Film „Der Schuh
des Manitu“ und zum anderen durch die deutsch-franzö-
sische Koproduktion „Die fabelhafte Welt der Amélie“.
Ich freue mich, dass es im vergangenen Jahr neun Pro-
duktionen gab, die über 1 Million Besucher aufweisen
konnten, und freue mich ganz besonders darüber, dass
darunter vier Kinderfilme waren. Ich denke, das ist sehr
gut.


(Beifall im ganzen Hause)

Die langjährige Erfahrung hat uns aber gezeigt, wie

schnell das Pendel wieder in die andere Richtung aus-
schlagen und der Marktanteil zusammenschrumpfen
kann. Warum sollen wir uns eigentlich mit einem Markt-
anteil von ungefähr 20 Prozent zufrieden geben, während
fast der gesamte Rest von US-amerikanischen Produktio-
nen bestritten wird?


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: 20 Prozent? Das sind doch nur 10 Prozent!)


– Im Moment liegen wir mit 19,7 Prozent bei einem An-
teil von ungefähr 20 Prozent. Ich habe schon darauf hin-
gewiesen, welchen Filmen das in erster Linie zu verdan-
ken war. Ich möchte mich damit nicht zufrieden geben.

Mit rund 175 Millionen Kinobesuchen im Jahr 2001
haben wir bei der Zahl der Kinobesuche eine Steigerung
von 15 Prozent zu verzeichnen. Ich nenne diese Zahl, um
auf die Massenwirksamkeit und die herausragende Be-
deutung, die das Medium Film hat, hinzuweisen. Man
sollte sich diese hohe Zahl von Besuchern in deutschen
Kinos einmal vor Augen führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ausland sieht es
für den deutschen Film dagegen nicht rosig aus. Ganz an-
ders verhält sich das übrigens mit den deutschen Fernseh-
produktionen; diese stehen hier heute aber nicht zur De-
batte. Es gibt kaum ein Filmfestival im Ausland, auf dem
deutsche Beiträge gezeigt werden. Da muss etwas passie-
ren. Ich glaube, wir alle denken etwas wehmütig an die
70er-Jahre zurück. Das waren damals die goldenen Jahre
des deutschen Films nach 1945.

Als Mitglied der Vergabekommission der Filmförde-
rungsanstalt sind in den letzten Jahren eine ganze Menge
Drehbücher durch meine Hände gegangen. Es war, so
muss ich Ihnen sagen, nicht immer ein Vergnügen; durch
so manches musste ich mich bis zum Schluss durch-
kämpfen. Auf den Punkt gebracht heißt das: Bereits in
dieser ersten kreativen Phase des Filmemachens beginnt
schon das Problem. Natürlich lässt sich Kreativität nicht
verordnen, aber wir müssen die Rahmenbedingungen für




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

21433


(C)



(D)



(A)



(B)


künstlerische Kreativität verbessern. Ich denke, darin sind
wir uns einig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Wir können zum Beispiel konkrete Maßnahmen für die
Förderung des Autorennachwuchses ergreifen.

Ein Fazit: Die Lage des deutschen Films, ob im In-
oder Ausland, gibt allen Anlass, das gesamte Fördersys-
tem und die Rahmenbedingungen für das Filmschaffen
auf den Prüfstand zu stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sehr richtig! Dann tun wir es aber auch!)


Die Debatte ist nicht neu. Sie hat einen sehr langen Vor-
lauf. Ich möchte darauf noch einmal kurz hinweisen: An-
gefangen hat es mit den Initiativen des damaligen Staats-
ministers Michael Naumann und es ging über die beiden
Anträge der Union und der Koalitionsfraktionen, über in-
tensive Beratungen im Ausschuss bis hin zu der einstimmig
im Ausschuss angenommenen gemeinsamen Entschlie-
ßung, die heute auch als Beschlussempfehlung Grundlage
unserer Debatte ist. Dieser Vorlauf war wichtig und not-
wendig, auch wenn er einigen zu lange gedauert hat.

Wir dürfen nicht den Blick dafür verlieren, wie ge-
gensätzlich die Interessen der Filmbranche gelagert
sind. Wir wissen auch, dass die Regelungsmöglichkeiten
des Bundes auf diesem Feld relativ eingeschränkt sind.
Wirkliche Bewegung in die festgefahrenen Positionen
kam – ich denke, das steht außer Frage, auch wenn es am
Anfang ein wenig gehakt hat – mit dem Bündnis für den
Film, wo alle Beteiligten erstmalig an einen Tisch zusam-
men gekommen sind.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Ich denke, das war die Voraussetzung dafür, dass wir
heute hier über konkrete Reformvorschläge diskutieren
können. Diese Vorschläge für eine Reform der Filmförde-
rung hat Staatsminister Nida-Rümelin in seinem filmpo-
litischen Konzept im November des vergangenen Jahres
vorgelegt. Es sind also ganz konkrete Vorlagen, über die
wir hier diskutieren sollen und wollen.


(Beifall bei der SPD)

Für mich ist es ganz besonders wichtig – das möchte

ich auch noch einmal sagen –, dass diese Reformvor-
schläge über die im neuen FFG zu regelnde Materie hi-
nausgehen. Es wird nicht nur anhand des FFG diskutiert,
sondern wir gehen weiter. Wir lassen uns davon nicht ein-
schränken. Das ist die besondere Stärke des Konzepts. Es
nimmt das deutsche Filmförderungsgesetz in seiner
Gänze, also auch unter Einschluss der Länderförderung
– das ist ganz besonders wichtig – und der europäischen
und internationalen Rahmenbedingungen, in den Blick.
Ich halte dieses Konzept für mutig und so auch für gelun-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es werden durchaus strittige Ideen in die Diskussion
eingebracht. Hierbei denke ich beispielsweise an den Vor-
schlag – diesen möchte ich schon einmal nennen – eines
Investitionsbeitrages des Fernsehens.

Ich halte dieses Konzept auch mit Blick auf die Um-
orientierung des Förderverständnisses für gelungen. Mit
diesem Konzept wird der Film zum ersten Mal wirklich
als Kulturgut betrachtet. Darauf liegt der Schwerpunkt
dieser Debatte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist aber gerade der Fehler!)


Das umfasst – lassen Sie mich das auch noch nennen –
erstens den massenwirksamen, kommerziell erfolgrei-
chen, aber zugleich auch qualitativ guten Film und zwei-
tens den primär künstlerisch anspruchsvollen Film, der
nicht auf das Massenpublikum zielt, aber für Vielfalt in
den Kinos sorgt.


(Beifall bei der SPD)

Ich denke, es ist wichtig, das Nebeneinander dieser bei-
den Filmarten zu fördern.

So verstanden, ist die Förderung über jeden Verdacht
einer Subventionspolitik erhaben und hat damit – das ist
auch ganz wichtig – nicht zuletzt von einer Beihilfekon-
trolle durch die EU nichts zu befürchten. Auch darauf
muss ich hinweisen.

Wichtig finde ich auch die Grundforderung des Kon-
zepts, die Produktionsbudgets deutlich zu erhöhen. Wir
können angesichts des Abschneidens im internationalen
Vergleich nicht die Augen davor verschließen, dass hier
etwas getan werden muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP] – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Wo kommt das her?)


– Es gibt vieles – dies, Kollege Lammert, zu Ihrer
Frage –, worüber wir noch diskutieren müssen und wol-
len.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Packen wir es an!)


Ich denke, dass all diejenigen, die heute dazu reden wer-
den, auch dazu bereit sind.

Wir haben keine Schere im Kopf, die uns hindert, alle
Eventualitäten hier zu diskutieren. Wir wissen, dass es
viele Knackpunkte gibt. All diese müssen wir offen dis-
kutieren. Ich denke zum Beispiel an ein deutlich stärkeres
Engagement des deutschen Fernsehens; das ist angespro-
chen worden. Ich denke auch an den noch geltenden Me-
dienerlass. Es geht darüber hinaus darum, die Referenz-
filmförderung gegenüber der Projektfilmförderung zu
stärken, und es geht – auch das ist genannt worden – um
eine stärkere Außenvertretung des deutschen Films.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, das ist
eine breite Palette; wir haben viel zu tun. Gestatten Sie
mir, das zum Schluss zu sagen: In der nächsten Woche




Gisela Schröter
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(D)



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(B)


findet hier die Berlinale statt und demnächst werden wie-
der die Oscars verliehen. Es wäre doch toll, wenn dort
endlich wieder einmal deutsche Filme prämiert würden.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen viel Erfolg bei der
Arbeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421601200
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Bernd
Neumann.


Bernd Neumann (CDU):
Rede ID: ID1421601300
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier
heute zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode über
die Rahmenbedingungen des deutschen Films und über
seine Perspektiven.


(Jörg Tauss [SPD]: Das hat es noch nie gegeben!)


Ich meine, das ist angemessen; denn der deutsche Film ist
ein wichtiges Wirtschafts- und Kulturgut. Wenn wir heute
über den Film diskutieren, meinen wir den Kinofilm
– nicht den Fernsehfilm – als besonderes Kulturgut mit
seinen Anforderungen an Ästhetik, Kameraführung und
Darstellung und mit seinen Chancen.

Vom Zeitpunkt her ist die heutige Debatte höchst aktu-
ell; denn sie findet unmittelbar vor der Eröffnung der
Berlinale statt, bei der sich auch deutsche Filme dem in-
ternationalen Wettbewerb stellen. Der deutsche Film wird
nach den Worten des neuen Berlinale-Chefs, Dieter
Kosslick, einen starken Auftritt bei den internationalen
Festspielen in Berlin haben. Im diesjährigen Wettbewerb
konkurrieren insgesamt vier deutsche Filme mit weiteren
44 aus aller Welt um den Goldenen Bären. Darüber hinaus
werden in der Reihe „Perspektive deutsches Kino“ zehn
Filme von Nachwuchstalenten gezeigt.

Meine Damen und Herren, diese Entwicklung ist zu
begrüßen; denn wie soll der deutsche Film international
erfolgreicher werden, wenn wir das bedeutendste Festival
im eigenen Land nicht dazu nutzen, herausragende deut-
sche Filme anzubieten, und stattdessen, wie in der Ver-
gangenheit, möglichst viele US-Produktionen in den
Wettbewerb holen?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dem neuen Berlinale-Chef, Dieter Kosslick, sei dafür
herzlich gedankt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der deutsche Film hat einen bescheidenen Marktanteil
in den deutschen Kinos; Frau Schröter hat darauf hinge-
wiesen. Dieser lag in den letzten Jahren zwischen 10 und
18 Prozent.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: 18 Prozent ist gut!)


Das Jahr 2001 war für den deutschen Film – man muss es
immer relativ sehen – allerdings das erfolgreichste seit
langer Zeit. Der Marktanteil lag bei fast 20 Prozent. Der
Film „Der Schuh des Manitu“ ist mit über 11 Millionen
Besuchern der erfolgreichste deutsche Film überhaupt.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ein großes Kulturhighlight!)


2001 gab es acht deutsche Filme, die in unseren Kinos
mehr als 1 Million Besucher erreichten. Auch das ist be-
merkenswert. Natürlich ist dies kein Grund zur Euphorie;
denn die Zahlen sind nicht stabil. Sie hängen von wenigen
besonders erfolgreichen Filmen ab. Dies kann sich schnell
wieder ändern. Dennoch sollte man sich darüber freuen.

Meine Damen und Herren, natürlich sind die Rahmen-
bedingungen für den deutschen Film, einschließlich der
Fördermechanismen, dringend verbesserungsbedürftig.
Dabei muss trotz allem die Zielsetzung realistisch blei-
ben. Die Zielsetzung heißt – Frau Kollegin Schröter, Sie
haben hier euphorisch eine Zahl genannt –: Es gilt, den im
letzten Jahr erreichten Anteil deutscher Filme in unseren
Kinos, also etwa 20 Prozent, möglichst zu halten, zu sta-
bilisieren und vielleicht sogar ein wenig auszubauen. Alle
anderen Zielsetzungen sind aus heutiger Sicht unrealis-
tisch. Auf den internationalen Märkten und auch in
Deutschland werden wir in der Quantität mit Hollywood
sobald nicht konkurrieren können. Die Dominanz des
amerikanischen Films hat primär filmunspezifische Ursa-
chen, die mit dem riesigen Markt für englischsprachige
Filme und entsprechend höherem Kapital zusammenhän-
gen. Wenn in Deutschland durchschnittlich nur 4 Milli-
onen Euro für einen Film zur Verfügung stehen, in Ame-
rika dagegen 50 Millionen Dollar, wird der ungleiche
Wettbewerb deutlich.

Auch der Verweis auf den Erfolg des französischen
Films in Frankreich – der Marktanteil liegt dort gegen-
wärtig bei 41 Prozent – ist wenig tauglich. Ursache dieses
Erfolges sind neben einer in der Tat traditionell besseren
kulturellen Akzeptanz des Films im Vergleich zu Deutsch-
land ein ausgeprägter staatlicher Dirigismus und Zentra-
lismus, verbunden mit Quoten und einer Kinoabgabe von
11 Prozent; bei uns liegt diese bei 2 Prozent. Das wollen
wir in Deutschland so nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben gute deutsche Filme, hoch begabte Regis-
seure, Drehbuchautoren, Schauspieler und Kameraleute,
die von der Qualität, also von kulturellen und filmischen
Ansprüchen her, im Vergleich mit Frankreich und Italien,
aber auch den USA voll mithalten können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb halte ich es für ungerecht und falsch, den deut-
schen Film als solchen schlecht zu reden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die primäre Verantwortung für den Film liegt bei der

Filmwirtschaft und den Filmschaffenden selbst. Die Poli-
tik kann nur möglichst vernünftige Rahmenbedingun-
gen für den Film schaffen. Hier allerdings ist einiges zu




Gisela Schröter

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(B)


tun. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte deshalb be-
reits am 16. Mai 2000 einen Antrag in den Deutschen
Bundestag eingebracht, der für die erste filmpolitische
Debatte in diesem Hause im September 2000 und für die
heutige ursächlich ist.

Dass dieser Antrag, in dem es um die Vorlage eines
Konzeptes der Bundesregierung zur Verbesserung der
Rahmenbedingungen für den deutschen Film geht, erst
heute, also nach fast zwei Jahren, abschließend behandelt
werden kann, liegt ausschließlich an der Verzögerungs-
haltung der rot-grünen Regierungskoalition, die damit
den Ministerwechsel im Bereich Kultur und Medien
einschließlich seiner Einarbeitungsphase überbrücken
wollte. Besonders kurios wurde es, als SPD und Grüne im
Oktober 2001, also anderthalb Jahre nach der Einbrin-
gung unseres Antrages, einen fast inhaltsgleichen Antrag
in den Bundestag einbrachten und dafür im Ausschuss für
Kultur und Medien unseren Antrag ablehnen wollten.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So sind sie!)


Letztlich setzte sich auch bei Ihnen die Vernunft durch,

(Jörg Tauss [SPD]: Die Vernunft regiert bei uns!)

sodass wir heute einen gemeinsamen Beschlussvorschlag
unterbreiten. Ich darf dennoch feststellen, dass Sie mit
dieser Verzögerung dem Anliegen des deutschen Films ei-
nen schlechten Dienst erwiesen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)


Mit der Vorlage des filmpolitischen Konzeptes des
BKM im November letzten Jahres wurde die Intention un-
seres Antrages, wenn auch leider sehr spät, erfüllt. Das
Konzept ist, Herr Nida-Rümelin, eine solide Diskussions-
grundlage. Es enthält interessante Anregungen,


(Monika Griefahn [SPD]: Immerhin!)

aber in den meisten Punkten keine endgültigen Festlegun-
gen, sodass, wenn wir der Filmwirtschaft endlich helfen
wollen, alsbald konkrete Beschlüsse dazu folgen müssen.

Ich möchte zu vier Schwerpunkten dieses Papiers Stel-
lung nehmen.

Erstens. Die öffentliche Förderung deutscher Filme
ist unverzichtbar. Ohne diese wäre die Mehrzahl nicht
darstellbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist politisch vertretbar; denn der Kinofilm ist ein wich-
tiges öffentliches Kulturgut. Bernd Eichinger hat Recht,
wenn er fordert, dass der Film im Verhältnis zu Theater und
Oper als gleichrangige Kunstform anzusehen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Vielfalt in diesem Bereich lässt sich über den Markt,
Herr Otto, allein nicht erreichen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Schauen wir einmal!)


Von den etwa 185 Millionen Euro, die für die Filmför-
derung in Deutschland jährlich zur Verfügung stehen,
werden über die FFA circa 60 Millionen Euro von der
Filmwirtschaft selbst aufgebracht. Nur circa 15 Millionen
Euro kommen aus dem Bundeshaushalt, die größere
Summe also von den Ländern. Forderungen nach Zentra-
lismus und der Kompetenz des Bundes sind daher deplat-
ziert, es sei denn, der Bund wolle sein finanzielles Enga-
gement deutlich erhöhen. Das sieht aber nicht so aus.

Deshalb kann nur Kooperation zwischen Bund und
Ländern infrage kommen. Sie aber ist nötig und muss
weiter verbessert werden, um der nationalen Bedeutung
des Films verstärkt Rechnung zu tragen und auch große
deutsche Filme zu ermöglichen.

Das Ziel des Filmkonzepts, die Referenzförderung zu
stärken, um erfolgreiche Filme und damit deren Wirt-
schaftlichkeit zu honorieren sowie Kapital für neue Filme
bereitzustellen, ist zu begrüßen. Es ist auch richtig, das
dies nicht zulasten der Projektförderung gehen darf.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Umschichtung geht nicht!)


– Doch.
Zweitens. Unverzichtbar für Kreativität und Innova-

tion sind unabhängige Produzenten. Dazu gehört deren
Verfügungsmöglichkeit über eigene Filmrechte. Deshalb
unterstützen wir die vorgesehene Reduzierung der Rech-
terückfallfristen von sieben auf fünf Jahre und gegebe-
nenfalls darüber hinaus. Die Einführung eines Investiti-
onsbeitrages zugunsten von Kinofilmen unabhängiger
Produzenten, den Fernsehveranstalter und gegebenenfalls
auch andere Filmanbieter zu zahlen haben, halte ich für
problematisch. Diese müssten dann einen bestimmten An-
teil ihres Programmbudgets in Werke unabhängiger Pro-
duzenten investieren. Vergleichbare Bestimmungen im
EU-Bereich – ich denke hierbei an die Fernsehrichtlinie –
haben nichts bewirkt, weil durch die Möglichkeit vielfäl-
tiger Interpretation Umgehungen nicht zu verhindern
sind. Solche Regelungen führen eher zum bürokratischen
Streit, nicht aber zur Stärkung von Produzenten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Drittens. Die Absicht, im Rahmen der anstehenden No-

vellierung des FFG eine deutliche Erhöhung der bisher
freiwilligenAbgabe der öffentlich-rechtlichen und priva-
ten Fernsehsender für die Filmförderung zu erreichen,
wird von der CDU/CSU-Fraktion voll unterstützt. Die
bisher geleistete Summe von nur 22 Millionen DM jähr-
lich steht in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, den die
Fernsehanstalten durch die jährliche Ausstrahlung von
vielen tausend Kinofilmen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hans-Joachim Otto müssen sie ja trotzdem noch einmal bezahlen!)


Insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat auf-
grund seiner Gebühreneinnahmen in Höhe von mehr als
6 Milliarden Euro eine besondere Verpflichtung für den
deutschen Film.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Bernd Neumann (Bremen)

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(B)


Viertens. Die im Konzept der Bundesregierung
geäußerte Absicht, die Kino- und Videoabgabe um einige
Prozentpunkte zu erhöhen, halten wir für falsch. Ange-
sichts des Kinosterbens sollten zurzeit keine weiteren Be-
lastungen auf die Kinos zukommen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Jawohl!)


Zurzeit zahlen die Filmtheaterbesitzer jährlich circa
18 Millionen Euro Abgaben. Eine Erhöhung um nur
1 Prozent des Jahresumsatzes ergäbe eine Summe von circa
9 Millionen Euro. Dies ist insbesondere den mittelständi-
schen Unternehmern im Augenblick nicht zuzumuten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist nicht vertretbar!)


Meine Damen und Herren, bei den Tagungen des
„Bündnisses für den Film“ wie auch in dem filmpoliti-
schen Konzept der Bundesregierung wurden bzw. werden
überwiegend Themen behandelt, für die der Bund keine
direkte Zuständigkeitskompetenz hat. Umso wichtiger
wäre es und umso glaubwürdiger wäre die Bundesregie-
rung in ihren allgemeinen Bekenntnissen für den deut-
schen Film, wenn sie wenigstens dort zur Verbesserung
der Rahmenbedingungen beitrüge, wo sie die direkte Ver-
antwortung hat. Hier allerdings sind die Ergebnisse be-
scheiden, um das vorsichtig auszudrücken. Lassen Sie
mich vier Punkte nennen.

Erstens. Die von der Bundesregierung initiierten Ge-
setzesänderungen zum Urhebervertragsrecht haben ent-
gegen den Wünschen und Zusagen in allen Treffen des
„Bündnisses für den Film“ die Rechtsposition der Produ-
zenten und damit ihre internationale Wettbewerbsfähig-
keit nicht gestärkt, Herr Nida-Rümelin, sondern durch
eine Reihe unklarer Formulierungen sogar noch ge-
schwächt – eine Ohrfeige für die Filmwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens. Der Medienerlass des Finanzministers zur
steuerlichen Behandlung von Filmfonds hat fatale Folgen
für die internationale Zusammenarbeit.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!)


Grenzüberschreitende Koproduktionen werden erschwert
bzw. unmöglich und konterkarieren damit die Bemühun-
gen, deutsche Filme im Ausland wettbewerbsfähig zu ma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Staatsminister Nida-Rümelin kennt das Problem. Seit fast
einem Jahr warten die Betroffenen auf eine Lösung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das steht schon in unserem Papier!)


Drittens. In Ihrem gestrigen Interview mit der „FAZ“
beklagen Sie, Herr Staatsminister, dass Medienfonds, die
mit deutschem Geld gespeist werden, ein Fünftel bis ein
Viertel des Hollywoodfilms finanzieren und damit Milli-
ardenbeträge ins Ausland fließen. Tatsächlich haben allein

im Jahr 2001 vorwiegend private deutsche Investoren
rund 3,5 Milliarden Euro in solche Medienfonds inves-
tiert. Dieses Geld fließt ganz überwiegend in Auftrags-
produktionen US-amerikanischer Studios und steht somit
deutschen und europäischen Produzenten nicht mehr zur
Verfügung.

Herr Staatsminister, Sie beklagen in dem Interview mit
Recht, dass wir in Deutschland die Einzigen sind, die da-
durch entstehende Steuerausfälle – man schätzt sie auf
circa 1,2 Milliarden Euro – großzügig zulassen.
Meine Damen und Herren, dieses Problem ist doch seit
1999 bekannt, nachdem die rot-grüne Bundesregierung
den unseligen § 2 b in das Einkommensteuergesetz einge-
führt hat. Warum ändern Sie denn nichts, wenn Ihnen die
deutsche Filmwirtschaft am Herzen liegt? Wir würden
dies uneingeschränkt unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Viertens. Die Außenvertretung des deutschen Films

ist natürlich verbesserungsfähig. Der Deutsche Bundestag
hatte die Bundesregierung bereits 1998 – Kollege
Börnsen, Sie waren dafür federführend –


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das waren noch Zeiten!)


aufgefordert, Vorschläge zu machen. Seit 1999 wird die-
ses Thema immer wieder in allen Bündnisveranstaltungen
für den Film diskutiert. Ankündigungen, diverse Gutach-
ten und häufige Kritik aus Ihrem Hause, Herr Nida-
Rümelin, haben zwar für Verunsicherung der Mitarbeiter
der Export-Union gesorgt; aber bis heute gibt es kein kon-
zeptionelles Ergebnis. Das ist unverantwortlich. Eines
steht fest: Wenn Sie die Verstärkung der Arbeit der Ex-
port-Union im Ausland fordern, müssen Sie selbst deut-
lich mehr Mittel zur Verfügung stellen, anstatt sie einzu-
frieren. Alles andere wäre unglaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, obwohl es viele Gemein-

samkeiten in diesem Hause beim Thema Film gibt, stelle
ich doch fest, dass Ansprüche und Wirklichkeit bei dieser
Bundesregierung auch im Bereich der Filmpolitik weit
auseinander klaffen. Allerdings ist nicht zu bestreiten,
dass sich der neue Staatsminister für Kultur und Medien
um den Filmbereich redlich bemüht. Wie heißt es so schön
in Goethes „Faust“? „Wer immer strebend sich bemüht,
den können wir erlösen!“ Das tun wir gern, meine Damen
und Herren,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ablösen!)


und zwar durch einen Wahlsieg der CDU/CSU am
22. September.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Faust ist aber gen Himmel gefahren, der war weg!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421601400
Das Wort
hat die Kollegin Dr. Antje Vollmer für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.




Bernd Neumann (Bremen)


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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421601500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt
Formen der Erlösung, auf die man leicht verzichten kann.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber die Ablösung fehlt! – Horst Kubatschka [SPD]: Das war nicht Goethe!)


Wir alle freuen uns auf die Berlinale. Wir freuen uns
darauf, dass es vier deutsche Filme gibt. Besonders wich-
tig ist, dass es einen deutschen Eröffnungsfilm von Tom
Tykwer gibt. Wir gratulieren dem neuen Chef der Berli-
nale, Herrn Kosslick, zu diesem Programm und wünschen
ihm auch für die Zukunft eine glückliche Hand.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir wollen dabei nicht vergessen, dass es eine echte Neue-
rung gibt, die das gute Verhältnis des Parlaments zur Ber-
linale zeigt: Die Feier wird in der Halle des Paul-Löbe-
Hauses stattfinden. Das ist sicherlich auch ästhetisch ein
Fortschritt gegenüber den Feiern der letzten Jahre.

Film ist ein außergewöhnliches und auch sehr sugges-
tives Medium, das nahezu alles kann: an Imagination,
gelegentlich aber auch – darum ist Film auch kein harm-
loses Medium – an Wirklichkeitsgestaltung und -verän-
derung. Film ist Kunst, Film ist aber auch Kommerz.
Deswegen birgt er in sich die denkbar breiteste Spannung,
was auch für Politiker, die dieses Medium fördern wollen,
nicht ohne Folgen ist.

Wir brauchen keine Vorbildung, um Filmgeschichten
zu verstehen,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Na, na!)


und doch wäre eine gründliche Ausbildung erforderlich,
um die subtile Sprache dieses Mediums auch in seiner
ganzen Tiefe zu erfassen oder sie gar selbst zu sprechen.
Film ist die Kunst, die die anderen Künste in sich vereint.
Film ist Kultur und gleichzeitig ein ganzer Wirtschafts-
zweig, bei dem wir uns, Herr Otto, nicht mit 18 Prozent
zufrieden geben wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Monika Griefahn [SPD]: Herr Otto möchte auch mehr, so ist es nicht! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Natürlich möchte ich mehr!)


Sieht man sich diese vielen Facetten an, so ist der Film
doch geradezu prädestiniert, populär und wirtschaftlich er-
folgreich zu sein. Warum stagnierte aber der deutsche Film
in den letzten Jahren, sieht man von diesem Jahr ab?
Warum sind seine Marktanteile selbst im eigenen Land
über Jahre so gering gewesen, dass wir uns schon mit den
20 Prozent zufrieden geben, von denen Sie, Herr Neumann,
gesprochen haben? Warum wandern immer noch die deut-
schen Filmemacher und Stars ins Ausland ab? Was ist mit
dem deutschen Kino los und wie sieht seine Zukunft aus?

In den vorliegenden Anträgen – und zwar auch in dem
der Opposition, das will ich ausdrücklich anerkennen –
werden genau diese Fragen aufgeworfen. Der Staats-
minister für Kultur und Medien hat eine sehr gründliche

Antwort darauf formuliert. Ich kann nichts Unanständiges
darin sehen, Herr Neumann, dass ein Ministerwechsel
dazu genutzt wird, ihn mit der gründlichen Ausarbeitung
eines Konzepts zu überbrücken. Ich meine, dafür müssten
Sie uns loben und nicht etwa kritisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Börnsen [CDU/ CSU]: Das war mit 24 Monaten viel zu lange! – Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Ja, es hat lange gedauert!)


Julian Nida-Rümelin ist der Aufforderung dieses Hau-
ses und vieler anderer Stellen nachgekommen und hat ein
Konzept erstellt. Wenn ich es richtig sehe, wird es den
nächsten großen Schwerpunkt der Arbeit des Kulturaus-
schusses bilden, und zwar nicht nur in diesem Jahr, son-
dern auch darüber hinaus. Wir haben keine andere Alter-
native, als uns intensiv darum zu kümmern.

Das vorliegende Konzept ist kenntnisreich, umfassend
und detailliert. Es ist ein Programm zur Förderung des
deutschen Films und zu seiner Neuverortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Neuverortung?)


Wir halten die wesentlichen Aussagen für richtig und
unterstützen sie. Ich möchte zwei Punkte herausgreifen.
Zunächst geht es um die Akzeptanz des Films in der Bun-
desrepublik.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist aber ein hehres Ziel!)


Welche Stellung der Film bei uns einnimmt, möchte ich
anhand von vier Gesichtspunkten deutlich machen.

Erstens: staatliche Zuwendungen.Natürlich sind es die
materiellen Zuwendungen, die am leichtesten zu messen
sind. Ein Blick auf unseren Nachbarn, das viel gepriesene
Filmparadies Frankreich, zeigt, dass das Kino dort einen an-
deren gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Stellen-
wert hat als hierzulande. Es ist angesehen, beliebt und wird
von staatlicher Seite auf vielen Ebenen gefördert. Frank-
reich schützt seine Filmemacher durch Quotierung und
durch Kinoabgaben. Beides ist bei uns nicht sehr populär.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig!)


Das ist mir bekannt. Aber ich meine insbesondere in Be-
zug auf die Kinoabgabe, dass zwischen unserer Filmab-
gabe und der in Frankreich noch sehr viel Platz ist. Da
könnten wir noch zulegen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wenn es um Abgaben geht, ist bei euch immer Platz!)


Ganz abgesehen davon meine ich, dass wir nicht nur vom
deutschen Film sprechen dürfen,


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]:Wir müssen erst einmal die Attraktivität des Angebots verbessern, bevor man zusätzliche Kosten veranlasst!)


sondern wenn wir vor der übergroßen Konkurrenz aus
Hollywood bestehen wollen, müssen wir gedanklich vom






(C)



(D)



(A)



(B)


europäischen Film ausgehen; also müssen sich die För-
dersysteme in Europa aufeinander zubewegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zweitens will ich nie vergessen, dass der deutsche Film
einmal sehr bedeutend gewesen ist. Er war sogar der welt-
weit bedeutendste und innovativste –


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Bei viel weniger Abgaben! Bei viel weniger Förderung damals! – Walter Hirche [FDP]: Den Zusammenhang müssen Sie mal nennen!)


in einer völlig anderen Zeit. Wir dürfen nie vergessen, was
der Nationalsozialismus auch im Bereich von Kunst und
Kultur an Zerstörung von Strukturen, Mythen und Exis-
tenzen von Künstlern und Regisseuren bedeutet hat, und
dass man 100 Jahre braucht, um wieder daran heranrei-
chen zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens sollten wir einmal einen genaueren Blick auf un-
sere Filmpreise werfen. In den Auswahlkriterien wurde –
jedenfalls in der Vergangenheit – zu stark an der Trennung
zwischen Kunst und Unterhaltung festgehalten. Wenn aber
das Publikum ausbleibt, wandern die Filmemacher ab. Des-
halb – das Konzept gibt eine Antwort darauf – versuchen wir
beides, nämlich den künstlerischen Wert und den Erfolg, als
Kriterien einzuführen und wichtig zu nehmen.

Viertens gibt es meines Erachtens ein Gewirr von un-
terschiedlichen Quellen der Unterstützung,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig!)


sodass man manchmal den Eindruck gewinnt, dass die
Qualität eines Geschäftsführers wichtiger ist als die eines
Regisseurs.


(Beifall im ganzen Hause)

Aber an guten Regisseuren, Schauspielern und Produzen-
ten mangelt es uns nicht. Wir können sie nur nicht halten.
Das ist unser Problem. Dabei muss man sich manchmal
auch fragen, welche Einstellung die Öffentlichkeit zu die-
sen besonderen Kreativen, unseren Künstlern in vielen
Bereichen, aber auch zu Schauspielern und Produzenten
hat. Warum klagen so viele Schauspieler, Produzenten
und Stars, dass sie in Deutschland permanent einer be-
sonderen Häme und Härte der Kritik ausgesetzt sind


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist wie bei uns Politikern!)


und eine ganz andere Stellung einnehmen als Künstler,
Stars und Schauspieler in anderen Ländern? Ich glaube,
die Öffentlichkeit – übrigens auch die Kulturkritik – sollte
sich einmal überlegen, woran es liegt, dass sich so viele
kreative Menschen verletzt fühlen.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Eine organisierte Neidgesellschaft ist das! – Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat daran mitgewirkt?)


Um wieder etwas Materielles anzusprechen: Natürlich
ist es auch wichtig, wie für den deutschen Film im Aus-
land geworben wird. Die Probleme der Export-Union wa-
ren schon oft ein Thema; Herr Neumann, Sie haben darauf
hingewiesen. Schon der Name, der nicht aus unserer Zeit
stammt, erinnert eher an einen Bierverlag als an eine In-
stitution zur Förderung eines künstlerischen Mediums im
Ausland. Da könnten wir einiges tun, auch im Sinne ihrer
Mitarbeiter. Ich denke, dass wir mit unseren neuen Plä-
nen, auch mit der Bundeskulturstiftung, dafür sorgen kön-
nen, dass es auch im Ausland eine Plattform für unsere
Künstler gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir hatten vor einiger Zeit eine Theateranhörung; dort
waren viele Regisseure und Schauspieler, sehr interes-
sante Leute aus dem Theaterbereich anwesend. Ich habe
die Diskussion mit einer regelrechten Provokation begon-
nen, indem ich gesagt habe: Über Geld wird nicht geredet.
Das verursachte zunächst große Empörung. Dann aber ha-
ben wir den ganzen Tag über Kreativität und die Bedin-
gungen dafür geredet, zum Beispiel darüber, wie das
Theater heutzutage auf Ereignisse wie den 11. September
reagiert, ob es noch ein politisches Theater gibt und ob es
nicht Zusammenschlüsse von Kreativen, von Regisseuren
geben muss, um sich gegenseitig zu unterstützen, um ge-
meinsam wieder eine eigene Handschrift zu finden, die
auch in einer globalisierten Welt Bestand haben kann.

Ich wünschte mir, dass die Diskussion über die Bedin-
gungen von Kreativität, über die eigene Handschrift des
deutschen oder auch europäischen Films auch in der Film-
wirtschaft begonnen wird. Denn genau dies war Bestand-
teil der großen Zeit des deutschen Nachkriegsfilms. Diese
Zeit war geprägt durch Solidarität unter den Künstlern
und gegenseitiges kreatives Befruchten, nicht durch große
finanzielle Förderung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja, ja!)

Dies heißt nicht, dass wir den Film nicht fördern sollten.
Ich glaube aber, dass Politik und Kultur hier zusammen-
arbeiten sollten. Kulturpolitik ist nämlich – in diesem
Sinne verstanden – zunächst einmal Kultur. Vielleicht ist
die Berlinale die erste Möglichkeit, miteinander über
diese Ziele zu reden.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421601600
Für die FDP
spricht nun der Kollege Hans-Joachim Otto.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1421601700
Liebe Kolle-
gin Vollmer, ich lausche immer wieder sehr gerne Ihren
interessanten, schöngeistigen Höhenflügen. Ich sehe es
hier allerdings als meine Aufgabe an, auf die noch immer
sehr deprimierende Bilanz hinzuweisen.

DerAnteil des deutschen Films im Jahr 2000 – das ist
das letzte Jahr, zu dem offizielle und gesicherte Daten der




Dr. Antje Vollmer

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(C)



(D)



(A)



(B)


FFA vorliegen – sank von 14 Prozent auf 12,5 Prozent.
Dieser Anteil wäre im Jahr 2001 vermutlich weiter ge-
sunken, Kollege Neumann, hätte es nicht kulturelle High-
lights wie „Der Schuh des Manitu“ gegeben. So sehr wir
uns aber auch über den Erfolg dieses Films freuen: Dies
entspricht nicht ganz den hehren Zielen und Anforderun-
gen, die Sie, Frau Kollegin Vollmer, eben dargestellt ha-
ben. Wir freuen uns auch über den Erfolg des Films „Die
fabelhafte Welt der Amélie“. Aber, Hand aufs Herz: Wer
außer uns Filmpolitikern und einigen Filmförderern weiß
denn schon, dass es sich bei dieser sehr französischen Lie-
besgeschichte um eine deutsche Koproduktion handelt? –
Also: Wir haben im Jahr 2001 Glück gehabt; das ist schön.
Wir müssen uns aber wirklich Gedanken machen, wie es
weitergehen soll.

Si
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421601800
erstens, pragmatische Re-
formschritte vorzuschlagen und, zweitens, grundlegende
Veränderungen anzustoßen. Wenden wir uns also
zunächst einmal Ihren, wie Sie sagen, pragmatischen Re-
formvorschlägen zu.

Es gibt durchaus einige Vorschläge – darüber brauchen
wir gar keinen Streit zu entfachen –, die allseitige Zu-
stimmung verdienen. Hierzu gehören beispielsweise die
verstärkte Förderung von Drehbüchern, des Verleihs und
der Außenvertretung des deutschen Films.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir widersprechen Ihnen auch nicht, wenn Sie die Pro-
jektmittel zugunsten der Referenzmittel drastisch um-
schichten wollen. Innerhalb des bestehenden Systems ist
das nur konsequent.

Wirsindzwarauchbei Ihnen, lieberHerrNida-Rümelin,
wenn Sie eine filmfreundliche Gestaltung des Urheber-
vertragsrechts fordern. Wir haben Sie aber vermisst, als
letzte Woche im Deutschen Bundestag die Urheber-
vertragsnovelle in dritterLesungverabschiedetwurde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wo haben Sie da Ihre Stimme erhoben? Wo haben Sie für
eine filmfreundliche Gestaltung gekämpft? – Geschwie-
gen haben Sie!


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Im Text des Gesetzes!)


– Das reicht nicht ganz.
Wir konnten auch nicht Ihre angekündigte Initiative bei

Finanzminister Eichel erkennen, um dessen Medienerlass
und § 2 b Einkommensteuergesetz zu ändern. Hat Sie da
der Mut vor fremden Thronen verlassen? Oder können Sie
auf zusätzliche Investorengelder verzichten?


(Zuruf von der CDU/CSU: Berechtigte Frage!)

So viel zu den pragmatischen Reformankündigungen.

Jetzt wende ich mich den von Ihnen vorgeschlagenen
„grundlegenden Veränderungen“ zu.

Ich habe mir Ihr Konzept durchgelesen – zweimal,
dreimal – und habe mich immer verzweifelter gefragt, ob
noch ein Kapitel beispielsweise mit der Überschrift „Sys-

temwechsel“ oder „Zukunftsperspektive“ kommt. In mei-
nem Druckexemplar muss dieses Kapitel wohl irgendwo
verloren gegangen sein. Die zentrale Botschaft, die Ihr
Papier durchzieht, heißt stattdessen – höchst altbacken so-
zialdemokratisch –: höhere Abgaben, noch mehr Umver-
teilung. An dieser Stelle verweigern wir Liberalen Ihnen
die Gefolgschaft.


(Beifall bei der FDP)

Die Rettung des deutschen Films kommt nicht von

noch mehr Fördergeldern. Bereits heute beträgt die Film-
förderung von Bund und Ländern insgesamt schlappe
400 Millionen DM jährlich oder – um es harmloser
auszudrücken – 200 Millionen Euro. Hinzu kommen
kommunale Mittel und vor allem Mittel aus europäischen
Förderprogrammen von weiteren 400 Millionen Euro.
Schon heute werden zwei Drittel aller Kosten des deut-
schen Films aus diesen Fördertöpfen gedeckt. Wohin wol-
len wir denn noch gehen?

Wie krass sich die Schere zwischen steigenden Förder-
mitteln und sinkenden Zuschauerzahlen öffnet, macht fol-
gende Rechnung deutlich: In die deutschen Kinos kamen
im Jahr 2000 – aus diesem Jahr stammt die letzte gesi-
cherte Zahl – 150 Millionen Besucher. Der Anteil des
deutschen Films betrug 12,5 Prozent. Das heißt,
18,75Millionen Besucher haben sich deutsche Filme oder
Koproduktionen angeschaut. Bei 400 Millionen DM För-
dervolumen – europäische Gelder außen vor – bedeutet
dies eine Subventionierung von 21,33 DM pro Besucher,
also fast doppelt so viel wie jede Kinokarte. Irgendwo ist
das Ende der Fahnenstange erreicht.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Opernkarten sind teurer, Herr Kollege!)


– Diese Diskussion führe ich mit Ihnen auch noch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Selbst Fußballkar ten kosten mehr!)

Die Umverteilungsarie hat zahlreiche deutsche Produ-

zenten und Regisseure – das hat übrigens auch Frau
Vollmer eben bestätigt – offenbar bei der Erschließung öf-
fentlicher Fördertöpfe kreativer werden lassen als bei der
Produktion guter Filme. Es ist das süße Gift der Subven-
tion, das den Blick auf die Qualität und die Marktfähig-
keit von Filmen trübt.


(Beifall bei der FDP)

Wahrscheinlich schadet diese Förderpraxis dem deut-
schen Film mehr, als sie ihm nützt. Hier sollte der von Ih-
nen, Herr Nida-Rümelin, angekündigte Systemwechsel
liegen.

Zumindest mittel- bis langfristig brauchen wir eine
konsequente und deutliche Zweiteilung: Auf der einen
Seite sollte es die reine Kulturförderung geben, die sich
auf anspruchsvolle Dokumentarfilme und andere Formate
fokussiert, welche die Studio- und Programmkinos be-
spielen. Deren Produktion kann zielgerichteter und
erfolgreicher als bisher gefördert werden.


(Beifall bei der FDP)





Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

21440


(C)



(D)



(A)



(B)


Auf der anderen Seite sollte es den weiten Bereich der
kommerziellen Kinofilme – Filme wie beispielsweise
„Schuh des Manitu“ – geben, die sich wie sonstige Wirt-
schaftsgüter mit privatem Kapital zu finanzieren haben.

Wenn Sie mich jetzt, Frau Kollegin Schröter und Frau
Kollegin Dr. Vollmer, für einen Turbokapitalisten halten
– das tun Sie ja sowieso –,


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Eben!)


dann muss ich mich, Herr Kollege Barthel, für die Ent-
gegnung der Autorität eines angesehenen Dritten bedie-
nen. Frage des „Spiegel“: „Wird der deutsche Film sich je
ohne Fördergelder rechnen?“ Antwort: „Warum nicht? Es
gibt in Europa ein deutschsprachiges Einzugsgebiet von
mehr als 90 Millionen Menschen ...“ Es gibt auch noch
Übersetzungsmöglichkeiten.


(Zuruf des Abg. Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD])


Das sagte Michael Naumann. Inzwischen beschleicht
mich die bange Erkenntnis, dass mein „Freund“ Naumann
in der Filmpolitik mehr Mut und Perspektive als sein
Nachfolger hatte.

Im Interesse des gemeinsamen Ziels, den deutschen Film
national und international zu stärken – darin sind wir uns ei-
nig –, werden wir Liberalen mit Ihnen und allen Beteiligten
um ein Reformkonzept ringen. Wir appellieren aber an Sie,
endlich mehr Mut, mehr Konsequenz und mehr Fantasie zu
entwickeln. Der neue Berlinale-Chef, Dieter Kosslick, ist
mehrfach angesprochen worden. Auch ich möchte das tun.
Er hat vor kurzem so schön gesagt – ich zitiere –:

Die deutsche Filmförderung ist eine komplett kon-
servative Schnarchabteilung, weil jeder Angst hat,
etwas zu verlieren, wenn er etwas verändert.

(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Der war über 20 Jahre der Oberschnarcher!)

Ich kann nur sagen: Wenn nichts verändert wird, ver-
lieren wir alles.

Soweit Herr Kosslick.
Also: Wecken wir die Schnarchabteilung! Bringen wir

frischen Wind in die deutsche Filmpolitik! Machen wir
den Film national und international wettbewerbsfähig! Es
ist höchste Zeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Aber nicht allein durch Streichung von Subventionen! Was wollen Sie eigentlich? Was ist Ihr Programm außer der Streichung von Subventionen?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421601900
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Heinrich Fink.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt der wahrhaft deutsche Film!)



Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1421602000
Sie werden sehen! – Sehr
verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegin-
nen und Kollegen! Einigkeit besteht darin, dass ein Re-
formprozess notwendig ist. Das haben wir alle zum Aus-
druck gebracht. Die Akzente, die die Richtung, die diese
Reform einschlagen soll, vorgeben, werden von den ver-
schiedenen Fraktionen aber durchaus unterschiedlich ge-
sehen. Wir sollten die Vorstellungen bündeln, um der Re-
form zu einem Erfolg zu verhelfen.

Ich möchte kurz erläutern, in welche Richtung die
Überlegungen der PDS zur Filmpolitik gehen. Dabei muss
ich einräumen, dass wir bei der Diskussion um notwendige
Veränderungen in diesem kulturellen Bereich noch am An-
fang stehen. Damit bekunde ich meine Bescheidenheit und
kündige nicht die von Ihnen erwartete Lösung an.

Wir halten die Verbesserung der Rahmenbedingungen
der Produktion und der Verbreitung von deutschen Filmen
für dringend notwendig. Dabei ist mehr als nur die Reform
der Filmförderung in den Blick zu nehmen. Es geht um die
Gesamtheit der Rahmenbedingungen: von den Förderin-
strumenten, der Stellung der unabhängigen Filmproduzen-
ten über steuerrechtliche und urheberrechtliche Fragen bis
hin zum gesellschaftlichen Klima und zum Stellenwert,
der dem Film beigemessen wird. Der deutsche Film muss
wieder das Kulturgut werden, das er einmal war.

Die kulturelle und die wirtschaftliche Bedeutung des
Kinofilms sind unbestritten. Aus Sicht der PDS ist auch
seine wirtschaftliche Bedeutung nicht zu unterschätzen.
Die Kulturwirtschaft ist eine der Schlüsselindustrien der
Gegenwart. Das mögliche Wachstumspotenzial, das ihr
Forscher bescheinigen, sollte – nicht zuletzt mit Blick auf
die Möglichkeit des Entstehens neuer Arbeitsplätze – aus-
geschöpft werden. Dazu bedarf es einer ressortübergrei-
fenden Politik, des Zusammenwirkens von Kultur-, Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktpolitikern.

Dennoch hat für uns die kulturelle Zielsetzung Prio-
rität. Insofern steht uns der Antrag von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen hinsichtlich seiner Intentionen näher.
In dem Antrag heißt es:

Die Reformvorschläge sollten darauf gerichtet sein,
...
– den deutschen Film primär als Kulturgut zu för-
dern, ohne die wirtschaftliche Förderung zu vernach-
lässigen;
...
– mit gezielten Maßnahmen den Erhalt der kulturel-
len Vielfalt im Filmschaffen zu gewährleisten; ...

Darum muss es nach meiner Meinung zweifellos für uns
alle gehen.

In diese Richtung gehen die vorgelegten Vorschläge
der Bundesregierung, deren Ansatz ist – ich wiederhole –:
Filmförderung ist Kulturförderung. Dieser Grundrich-
tung stimmen wir ohne Wenn und Aber zu.

Die Notwendigkeit der Filmförderung und des Einsat-
zes öffentlicher Mittel steht für uns außer Frage.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Es hätte uns auch verwundert, wenn es anders wäre!)





Hans-Joachim Otto (Frankfurt)


21441


(C)



(D)



(A)



(B)


Kreativität und Vielfalt im Filmschaffen müssen gesichert
werden. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, woher die
Mittel dafür kommen können. Zum Beispiel müsste von
den Fernsehanstalten eine deutlich höhere Abgabe geleis-
tet werden. Das wäre schon ein Schritt. Allerdings bin ich
auf jeden Fall gegen Kinopreiserhöhungen. Das bewirkte
nach meiner Meinung das Gegenteil.


(Beifall bei der PDS)

Es sollte über ein verstärktes Engagement des Bundes

und der Länder in der so genannten kulturellen Filmför-
derung nachgedacht werden. Gemessen an dem tatsächli-
chen Finanzbedarf reicht das, was an öffentlichen Mitteln
zur Verfügung gestellt wird, keineswegs aus. Deshalb sind
sozusagen nur kleine Filme und nur bestimmte Genres
möglich. Wir sind uns einig: In den Film zu investieren
heißt, in Kultur zu investieren. Das ist für mich nach wie
vor die nachhaltigste Investition zur Erhaltung von Ge-
schichte und Kunst.

Als Folge des bisherigen Fördersystems sehen wir in-
zwischen ganze Genres vernachlässigt, zum Beispiel den
Aktionsfilm, den Abenteuerfilm, vor allem aber den Do-
kumentarfilm. Gerade der Dokumentarfilm ist auf öffent-
liche Förderung angewiesen, soll er nicht gänzlich aus un-
seren Kinos verschwinden. Im Filmkonzept vermissen
wir Vorschläge dazu, wie dem zu begegnen ist. Den Do-
kumentarfilm als Kinofilm zu erhalten ist eine wichtige
kulturpolitische Aufgabe des Bundes.


(Beifall bei der PDS)

Wir sehen mit Sorge, wie schwierig es gegenwärtig ist,

Stoffe zu verfilmen, die formal provokant sind oder sich
gar kritisch mit gesellschaftlichen Themen auseinander
setzen. Das aber sollte kulturelle Filmförderung ermögli-
chen.

Deshalb halten wir es für richtig, insbesondere bei der
Drehbuchförderung anzusetzen, um das kreative Poten-
zial von Autoren besser zu nutzen und einen Freiraum zur
Entwicklung jenseits der Marktzwänge zu schaffen. Zu-
gleich sollten die Anreize für Produzenten verstärkt wer-
den, Projekte von Autoren weiterzuentwickeln und auf
den Markt zu bringen.

Der Ausbau der kriterienbasierten Referenzfilmförde-
rung ist zu begrüßen. Wichtig ist uns, dass dieser Ausbau
mit zusätzlichen Mitteln und nicht zulasten der Projekt-
filmförderung geschieht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie-
ßend noch einer Hoffnung Ausdruck geben, nämlich dass
es zur Zusammenarbeit aller kommt, die mit Film be-
schäftigt sind. Ich begrüße es sehr, dass es nicht nur einen
Drehbuchpreis, sondern auch einen Cutterpreis gibt; denn
auch der Cutter ist letztlich an diesem Prozess mit betei-
ligt. Der Sachverstand aller und auch die Bereitschaft aller
zu gemeinsamer, von kooperativer Grundhaltung be-
stimmter Aktion sind notwendig. Deswegen sollten wir
uns diesem Filmförderungsunternehmen nicht ver-
schließen, sondern sollten ihm unsere Stimme geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1421602100
Ich erteile
nunmehr dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die Frak-
tion der CDU/CSU das Wort.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1421602200
Herr
Präsident Dr. Seiters! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Es dient dem Kulturgut Film, wenn wir in der Mehr-
heit grundsätzlich einer Auffassung sind. Damit wird auch
eine Tradition fortgesetzt, die es hier bereits in der letzten
Legislaturperiode gegeben hat. Ich bin meinem Kollegen
Bernd Neumann dankbar dafür, dass er trotz seiner deut-
lichen und gezielten Kritik diese Übereinstimmung im
Grundsatz noch einmal unterstrichen hat.

„Was tun, wenn’s brennt?“

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Löschen!)

ist der Titel eines neuen deutschen Films, der jetzt ange-
laufen ist. Noch brennt es beim Kulturgut Film nicht, doch
es schwelt seit langem.

Die Situation wird deutlich, wenn man sich die Posi-
tion des deutschen Films auf der Jahresrangliste der zu-
schauerstärksten Streifen ansieht. 1998 war „Titanic“ das
Filmflaggschiff mit 18 Millionen Besuchern in Deutsch-
land. Auf Platz 15 folgte eine bundesdeutsche Produktion,
„Comedian Harmonists“. Auf Platz 15! 14-mal Hol-
lywood in Front! Auf Platz 19 dann „Lola rennt“. 1999
schaffte es der US-Film „Star Wars“ an die Spitze. Die
deutsch-französisch-italienische Koproduktion „Asterix
und Obelix“ kam auf Rang 9. Danach kam lange Zeit gar
nichts. Wieder beherrschte Hollywood den Markt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Im Jahr 2000 war unter den zehn erfolgreichsten Kino-
attraktionen keine einzige deutsche oder europäische Pro-
duktion. An der 15. Stelle stand mit „Anatomie“ der erste
bundesdeutsche Film. „American Pie“, „American Be-
auty“ und der US-Film „Gladiator“ dominierten das Ki-
noerlebnis der Jahrtausendwende und damit dominierten
amerikanische Ideale, amerikanische Werte.

Die US-Kulturoffensive per Film ist weltweit und ganz
besonders bei uns erfolgreich. Mit einem durchschnittli-
chen Marktanteil von gut 85 Prozent ist das amerikani-
sche Kino in der Bundesrepublik marktbeherrschend.
Deutschlands junge Generation huldigt Hollywood, auch
weil attraktive nationale Alternativen fehlen. Das ist kul-
turpolitisch problematisch; denn der Spielfilm, egal ob er
im Kino, im Fernsehen oder auf Video läuft, hat kultur-
prägende Kraft. Er beeinflusst – weil er Denken und
Fühlen gleichermaßen anspricht – die soziale und kultu-
relle Identität seiner Zuschauer.

152 Millionen Kinokarten wurden im Jahr 2000 in
Deutschland verkauft. Die junge Generation ist der
Hauptkunde. Die Zahl der Kinoleinwände hat sich seit
1990 verdoppelt. Das Kino vermeldet Wachstums-
rekorde. Damit wächst auch die Wirkung auf die nach-
wachsende Generation. Der für die Medien zuständige
EU-Kommissar hat in einem Grundsatzpapier gesagt: Be-
wegte Bilder haben einen fundamentalen Einfluss auf die




Dr. Heinrich Fink
21442


(C)



(D)



(A)



(B)


Vermittlung gesellschaftlicher Werte. Bildhafte Fakten
und Filme tragen dazu bei, die Welt begreifbar und ver-
stehbar zu machen. Gleichzeitig vermitteln sie uns auch
den Maßstab, wie wir die Welt sehen sollen. Filme haben
eine suggestive Wirkung. Für den Fernsehzuschauer bil-
den Spielfilme den höchsten Anteil. 205 Minuten täglich,
das heißt fast dreieinhalb Stunden, bringt jeder Europäer
vor dem Fernsehen, dem Heimkino, zu.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Meine Güte!)


Wir müssen weg von der Sichtweise, dass die audiovisu-
elle Industrie allein ein Warenproduzent sei. Sie ist wie
die Buchindustrie, die Museen und die Theater eine Kul-
turindustrie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das, was unsere Mitbürger und wir glauben, wissen, den-
ken, fühlen und fordern, wird nicht zuletzt auch durch
Filme geprägt. Beim Aufbau einer kulturellen Identität
spielen sie eine zentrale Rolle.

Obwohl wir gemeinsam durch die Neufassung des
Filmförderungsgesetzes 1998 eine gute Grundlage für
den Film in Deutschland geschaffen haben, bleiben die
Defizite offenkundig. Das gilt für das auf Bund und Län-
der zersplitterte Förderkonzept. Das gilt für die zu geringe
Beachtung des Kinder- und Jugendfilms. Das gilt beson-
ders auch für die Auslandspräsentation. Das Bündnis für
den Film hat offenkundig zu mehr Dialog der Verant-
wortlichen geführt. Die Atomisierung der deutschen
Filmlandschaft ist aber noch nicht beendet worden. Der
Auftritt des Bundeskanzlers bei Filmfestspielen ist zwar
förderlich für das Image des deutschen Films, hat aber
noch keine Auswirkungen auf eine verbesserte Mittelver-
gabe.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hollywood gibt durchschnittlich pro Film 40 Milli-

onen Dollar plus 20 Millionen Dollar für die Werbung
aus. Das sind also insgesamt 60 Millionen Dollar. In
Deutschland werden pro Film durchschnittlich 4 Milli-
onen Euro ausgegeben. Da kämpft David gegen Goliath.
Das kann nichts werden. Wir benötigen, wenn der deut-
sche Film in internationalen Wettbewerb bestehen will,
eine Kombination aller Mittel.Wir benötigen steuerliche
Erleichterungen für diejenigen, die mit privatem Kapital
das Risiko der Filmfinanzierung eingehen. Wir benötigen
eine höhere Beteiligung der Sender an der Filmproduk-
tion. In Frankreich macht dieser Anteil 3 Prozent des Um-
satzes aus. Bei uns werden gerade einmal 11 Millionen
pro Sendesystem ausgegeben. Das entspricht einem An-
teil von noch nicht einmal 0,3 Prozent. Hier herrscht
Handlungsbedarf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Handlungsbedarf gibt es nach meiner Auffassung auch

bei unserer Filmphilosophie, von der wir uns leiten las-
sen. Viele deutsche Filme sind erstklassig, intellektuell
anspruchsvoll sowie mit exzellenten Schauspielerinnen
und Schauspielern besetzt. Doch besucht werden sie nur
von wenigen. Allzu oft werden sie als zu trist, zu traurig
und zu temperamentlos empfunden. Außerdem wird

bemängelt, dass sie nur auf eine Zielgruppe zugeschnitten
seien. Der Großteil der Kinokunden wird jedenfalls nicht
erreicht. Warum wurde „Der Schuh des Manitu“ eigent-
lich ein Erfolg? Dieser Film wurde ein Erfolg, weil er
durch Witz, Humor, Ironie und komödiantische Wirkung
Alltagsentlastung versprach. Er ist eine Art modernes
Märchen. Jetzt sind wir schon wieder dabei, einen guten
Erfolg klein zu reden. Was sind wir doch für Kleingeister!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Doch zumeist produzieren wir in Deutschland Film-

kunstwerke für Minderheiten. Ich würde mir wünschen,
dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland in Zukunft
in den Fokus der Filmemacher gerät. Außerdem
– hier darf ich meinen Kollegen Norbert Lammert zitieren –
müssen wir zuerst einmal die Attraktivität des Angebots ver-
bessern,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Da hat er Recht!)


bevor wir uns über eine Erhöhung der Abgaben unterhal-
ten.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig! So machen wir das!)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421602300
Das Wort hat
jetzt der Herr Staatsminister für Kultur und Medien,
Julian Nida-Rümelin.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421602400
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! An Sie gerichtet, Herr Börnsen: Sie ha-
ben hier eine Kurzfassung der aristotelischen Theorie der
Katharsis geliefert.


(Heiterkeit – Dieter Schloten [SPD]: Das hat er aber nicht gewusst! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ich ahnte, dass ich hier noch etwas lernen würde!)


Kathartische Wirkung kann aber nicht nur der Unterhal-
tungsfilm haben, sondern auch der künstlerisch an-
spruchsvolle Film. Ich denke, wir haben viele Beispiele in
Erinnerung.

Wenn man sich die beiden Anträge der SPD-Fraktion
und der Unionsfraktion ansieht, erkennt man, dass es zwi-
schen den beiden großen Parteien in den Grundlinien
doch eine erstaunlich große Übereinstimmung gibt, in
welche Richtung sich die Filmpolitik, die Filmförderung
in Deutschland entwickeln sollte. Es gibt aber auch Ex-
treme in dieser Position.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wir sind Extremisten!)


Der eine Pol sitzt hier im Bundestag – Herr Otto hat dafür
gesprochen – und lässt sich im Kern auf folgende Position
reduzieren: Wir sollten den anspruchsvollen, an ein klei-
nes Publikum gerichteten schwierigen Film fördern, aber




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


21443


(C)



(D)



(A)



(B)


den Kinofilm ansonsten aus der Förderung durch Abga-
ben und Steuern herausnehmen.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Korrekt!)

Ich warne vor diesem Experiment. Es würde bedeuten,

dass wir zwar sicher noch eine Reihe interessanter Ange-
bote hätten, die dann in den dritten Programmen spät-
abends, um 24 Uhr oder später, oder von Goethe-Institu-
ten – was verdienstvoll ist – gezeigt würden. Aber der
deutsche Kinofilm würde – da bin ich sicher – auf diesem
Wege marginalisiert werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der zweite extreme Pol ist hier nicht vertreten, wenn
ich das recht sehe. Aber er lässt sich demnächst wohl in
einer Dokumentation nachlesen. Er ist relativ deutlich von
dem in Bayern zuständigen Minister für Film und Medien,
Herrn Huber, formuliert worden, der mich zu einem Ge-
spräch der filmpolitischen Arbeitsgemeinschaft der CSU
eingeladen hatte. Bei diesem Gespräch hat er im Wesent-
lichen formuliert, dass er keinen Änderungsbedarf – oder
wenn, nur einen marginalen Änderungsbedarf – in den
heutigen Filmförderstrukturen in Deutschland sieht.


(Norbert Otto [Erfurt] [CDU/CSU]: Wo ist da die extreme Position?)


– Sie wollen den Systembruch, Sie wollen die Privatisie-
rung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was machen Sie denn? Sie machen nur weiter so!)


– Jetzt warten Sie erst einmal ab, Herr Otto.
Ich bin der Auffassung, wir müssen nicht nur die ver-

schiedenen Initiativen, zum Beispiel Aufwertung der
Filmfestivals – zur Berlinale ist schon einiges gesagt
worden –, voranbringen, sondern wir müssen uns auch
überlegen, ob bestimmte Weichenstellungen neu vorge-
nommen werden müssen. Wenn man das von mir vorge-
legte Filmkonzept aufmerksam liest, dann wird man fest-
stellen, dass dort über diese Weichenstellungen – ich
komme gleich darauf zu sprechen – sehr deutlich gespro-
chen wird.

Mit anderen Worten: Wir können nicht die Hände in
den Schoß legen und sagen, die Politik hat das Ihre getan,
jetzt ist es Sache der Kreativen, die interessanten Stoffe zu
liefern, die dem deutschen Film im In- und Ausland eine
größere Bedeutung geben.

Bevor ich zu den zentralen Elementen dieses Konzep-
tes komme, das ich übrigens als Diskussionsentwurf ver-
stehe, möchte ich einmal kurz Distanz zu unserer jetzigen
Situation nehmen.

Die Filmförderung in Deutschland beginnt gewis-
sermaßen mit dem Oberhausener Manifest 1962. Dieses
Manifest war nicht etwa eine Reaktion darauf, dass der
deutsche Film an den deutschen Kinokassen keine Rolle
gespielt hätte; im Gegenteil: In den Nachkriegsjahrzehn-
ten – das wird Herr Otto gleich für seine Position in An-
spruch nehmen – war der Anteil des deutschen Films in

den Kinos sehr viel höher als in den Jahrzehnten danach.
Das Oberhausener Manifest war vielmehr eine Reaktion
auf die im Großen und Ganzen geringe künstlerische Qua-
lität und die geringe Wahrnehmung des deutschen Films
im Ausland. Das war der Anstoß. Der damalige Innenmi-
nister Höcherl hat dann ein 5-Millionen-DM-Programm
aufgelegt und das Kuratorium Junger deutscher Film
1965 gegründet. Prompt erhielten deutsche Filme auch
bei ausländischen Festivals Preise. Nachdem die FFA
1965 gegründet worden war, ging die Anzahl der Filme
zwischen 1966 und 1969 extrem nach oben, sie hat sich
von 69 auf 121 Filme fast verdoppelt. Mit dem Filmfern-
sehabkommen zur Kooperation mit den Fernsehanstalten
1974 ging eine Öffnung einher. Dies war der Beginn der
heutigen Struktur der Filmförderung.

Bevor wir uns heute überlegen, was wir tun müssen,
um dem deutschen Film in Deutschland und international
ein größeres Gewicht zu geben, lohnt es sich, darüber
nachzudenken, was uns eigentlich dazu treibt, dieses
Thema so intensiv zu diskutieren. Man könnte generell sa-
gen: Die Filmbranche ist eine Branche neben vielen an-
deren. Der Staat sollte sich mit Subventionen in diesem
Bereich


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig!)


wie in jeder anderen Wirtschaftsbranche zurückhalten;

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Abso lut richtig!)

schließlich sind wir dabei, Subventionen abzubauen.


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Das solltet ihr euch einmal merken!)


Hierauf ist zu antworten: Die eigentliche Legitimations-
grundlage für die Förderung des deutschen Kinofilms mit
Steuern und Abgaben ist die kulturelle Dimension.

Ich will ganz deutlich sagen: Die kulturelle Dimen-
sion des Kinofilms beschränkt sich nicht auf den künstle-
risch ambitionierten „kleinen“ Minderheitenfilm, sondern
die kulturelle Bedeutung des Kinofilms hängt vor allem
damit zusammen, dass das Medium Kinofilm insbeson-
dere bei der Generation der Jüngeren – sagen wir einmal
zwischen 14 und Mitte 20, zum Teil auch noch darüber hi-
naus – Identitäten prägt, Bilder, wie man lebt und leben
sollte, vermittelt und mit dazu beiträgt, Vorbilder zu
schaffen. Das gilt natürlich auch für große Hollywood-
Produktionen, die massiv die Entwicklung der Persön-
lichkeit von jungen Leuten beeinflussen. Deswegen müs-
sen wir ein Interesse daran haben, dass sich im Medium
Kinofilm nicht nur eine einzige kulturelle Prägung durch-
setzt, sondern auch die Vielfalt der europäischen Kulturen
deutlich wird und die deutsche Stimme vernehmbar wird.
Das ist, wie ich glaube, ganz wesentlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesichts dessen müssen wir uns überlegen, was die
Politik dazu beitragen kann. Herr Neumann, Sie hatten
angesprochen, dass einige Monate ins Land gegangen
sind, seitdem ich im Amt bin. Das stimmt. Meine Mitar-




Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin
21444


(C)



(D)



(A)



(B)


beiter wissen, dass ich auf keinen Bereich mehr Zeit auf-
gewendet habe als auf diesen. Es wäre sicherlich leicht ge-
wesen, ohne diesen Zeitaufwand ein Konzept zu erstellen.
Mein Eindruck ist – Ihre Erfahrungen müssten das ei-
gentlich bestätigen –: Wir werden eine Veränderung zum
Besseren nur erreichen, wenn es uns gelingt, innerhalb der
Branche, bei den Filmförderern und den wichtigsten Be-
teiligten einen Konsens herzustellen; anders ist das nicht
zu erreichen. Das kann nicht oktroyiert werden, sondern
das geht nur, indem wir die wechselseitige Blockade, die
nach meinem Eindruck den Prozess so lange verzögert hat
– natürlich sind die Interessen unterschiedlich und treffen
auch im Bündnis für den Film aufeinander –, dadurch auf-
heben, dass wir ein Paket schnüren.

Deswegen appelliere ich jetzt auch an Sie, nicht ein-
zelne Elemente – Herr Fink und Herr Otto haben das ge-
macht – herauszugreifen und andere abzulehnen. Wir
brauchen eine zusätzliche Förderung für deutsche Kinos.
Dazu gibt es konkrete Ideen. Auch die Kinos haben ein In-
teresse daran, dass der Film in Deutschland insgesamt
vorangebracht wird. Das spricht dafür, in dieses Paket
auch die Kinoabgabe einzubeziehen. Es geht hier um
eine Größenordnung von 1 Prozent des Kinokartenprei-
ses.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das macht aber schon ganz schön viel aus!)


Das sind etwa 12 Pfennig oder 6 Cent.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber 50 Prozent mehr als bisher!)

– 2,3 ist gegenwärtig der Durchschnitt.

Wir brauchen höhere Budgets. Es ist ganz merkwür-
dig, dass Deutschland mit seiner starken Wirtschaftskraft
so niedrige Budgets pro Film hat: niedriger als Frank-
reich, wesentlich niedriger als Großbritannien, von den
USA gar nicht zu sprechen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was? Großbritannien hat weniger!)


Wir brauchen eine Stärkung der Produzenten als zen-
trale Akteure. Sie müssen ein Interesse daran haben, dass
ihre Filme Erfolg haben.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das hätte jetzt im Urheberrecht passieren können!)


– Im Urheberrecht ist – so muss man sagen – die Sorge,
die verständlicherweise über viele Monate bestand, auch
aufgrund ausweislich der Schreiben, die ich jetzt bekom-
men habe, zerstreut.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Die zusätzlichen Verschlechterungen haben wir mit Mühe vermeiden können!)


– Über den Prozess will ich jetzt gar nicht sprechen. Wir ha-
ben intensive Diskussionen mit der Branche gehabt. So,
wie wir das Urhebervertragsrecht jetzt im Bundestag be-
schlossen haben, ist es keine Behinderung der Filmbranche.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Aber auch keine Stärkung der Produzenten! Das war ja geplant!)


– Das ist ein schwieriges Thema, wie Sie wissen. Es ist
wahr: Das ist in dieser Form nicht geschehen. Aber dafür
spricht sachlich viel.

Ich habe in diesem Konzept einige ordnungspolitische
Instrumente angesprochen. Ich will zwei in Erinnerung
rufen.

Es ist schon gesagt worden: Dass 7 Milliarden DM zu
80 Prozent in Hollywood-Produktionen gehen, ist ange-
sichts der Situation des europäischen Films schwer er-
träglich.


(Beifall bei der SPD –Monika Griefahn [SPD]: Das hat etwas mit den Filmfonds zu tun!)


Aber ich füge hinzu: Wir haben seit 1954 ein Handelsab-
kommen mit den USA, das es schwierig macht, das mit ei-
nem Federstrich zu lösen. Herr Neumann, ich kann das am
wenigsten, weil das eine finanzpolitische Frage von ge-
waltiger Größenordnung ist.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Sie würden es ja tun wollen!)


Wir brauchen da eine Lösung; auch ich will sie. Wir müs-
sen darüber diskutieren, warum wir hier eine Sonderrolle
einnehmen. Das macht kein anderes Land in Europa so.
Das ist eine schwierige Debatte. Wenn wir da einen Fort-
schritt bekommen, dann haben wir eine ganz andere
Grundlage für den europäischen und speziell den deut-
schen Film.

Wir sollten uns auch nicht davor drücken, eine Inves-
titionsquote, wie sie nach europäischem Recht möglich
ist, zumindest sehr genau zu diskutieren.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: 10 Prozent!)


Ich habe keine Lösung; aber darüber diskutieren müsste
man.

Es lohnt sich. Es geht nicht nur um einen wichtigen Teil
der deutschen Kulturwirtschaft, sondern auch um ein fas-
zinierendes Medium der Kunst, das kulturelle Identitäten
prägt. Wie gesagt: Es ist wünschenswert, dass in diesem
Medium die deutsche Stimme in Zukunft vernehmbarer
ist als in den letzten Jahren.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421602500
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 14/7705 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Reform der deutschen Filmförderung“ sowie zu dem An-
trag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Verbesse-
rung der Rahmenbedingungen für den deutschen Film“.

Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache




Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin

21445


(C)



(D)



(A)



(B)


14/7705 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men des ganzen Hauses gegen die Stimmen der FDP an-
genommen worden.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/7705 empfiehlt der Ausschuss für Kultur
und Medien, die genannten Anträge auf den Drucksa-
chen 14/7178 und 14/3375 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist damit einstimmig angenommen worden.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 a und 16 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weite-

(Kinderrechteverbesserungsgesetz – KindRVerbG)

– Drucksache 14/2096 –

(Erste Beratung 152. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8131 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Ronald Pofalla
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Sabine Jünger

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rosel
Neuhäuser, Dr. Evelyn Kenzler, Monika Balt, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion der PDS ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Grundgesetzes (Art. 6, Kinderrechte)

– Drucksache 14/7818 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach interfraktioneller Vereinbarung haben wir für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Kein
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1421602600
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir beraten heute über ein Gesetz zur weiteren
Verbesserung von Kinderrechten. Ich weiß, dass uns allen
die Verbesserung von Kinderrechten am Herzen liegt, und
stelle fest, dass der heutige Gesetzentwurf eine echte Ko-
produktion zwischen Bundesrat, Bundestag und auch der
Bundesregierung darstellt.

DieKinderrechte sind erst im Verlauf des letzten Jahr-
hunderts in den Blick gerückt. Die Wahrnehmung von
Kindern als Persönlichkeiten mit eigenen Rechten, eige-
nen Wünschen und eigenen Wertvorstellungen, aber auch
mit besonderen Schutzbedürfnissen ist uns heute selbst-
verständlich. Das gesetzliche Modell des Verhältnisses
zwischen Kindern und Eltern hat sich von autoritärer
Über- und Unterordnung zu einem eher partnerschaftli-
chen Erziehungsstil gewandelt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber ein bisschen Autorität muss schon sein!)


– Das kann auch eine natürliche Autorität sein, Herr Kol-
lege Geis. – Damit einher ging eine zunehmende Ableh-
nung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von erzie-
herischen Vorstellungen der Eltern. Insbesondere die
Pädagogen, die Psychologen und die Ärzte haben uns die
zerstörerischen Folgen von Gewaltanwendung für die
Entwicklung von Kindern dargestellt.

Beim Schutz der Kinder vorGewalt haben wir schon
Wichtiges erreicht: Ende 2000 ist zunächst das Gesetz zur
Ächtung der Gewalt in der Erziehung in Kraft getreten. Es
verbietet klar und unmissverständlich die Anwendung
körperlicher Strafen und anderer, auch subtiler Formen
von Gewalt als Mittel der Erziehung.

Als zweiter Schritt ist Anfang 2002 das Gewaltschutz-
gesetz in Kraft getreten. Es verbessert den zivilrechtlichen
Schutz von Gewaltopfern in ihren eigenen vier Wänden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss man noch abwarten!)


Das Opfer soll nicht mehr gezwungen sein, aus der Woh-
nung zu flüchten; vielmehr kann es verlangen und durch-
setzen, dass der Schläger die Wohnung verlässt. „Der
Schläger geht – die Geschlagene bleibt“ – das ist eine sehr
deutliche Charakterisierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Dieses Gesetz gibt den Opfern ein wirkungsvolles Instru-
ment an die Hand, um den Peiniger übergangsweise oder
gegebenenfalls auch dauerhaft aus der gemeinsamen
Wohnung zu verweisen.

Diese Regelungen des Gewaltschutzgesetzes gelten al-
lerdings nicht für das Verhältnis von Eltern zu ihren Kin-
dern. Für die Regelung dieses Verhältnisses gibt es im
BGB spezielle Vorschriften, auf deren Grundlage das
Familiengericht Maßnahmen zur Abwendung einer Ge-
fährdung des Kindeswohls treffen kann. Dabei kann das
Familiengericht auf eigene Initiative von Amts wegen
tätig werden; es bedarf nicht eines Antrags. Auch die Aus-
wahl der Maßnahmen ist ganz bewusst den Familienge-
richten überlassen worden. Sie treffen die geeigneten
Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls.

Wird ein Kind misshandelt, so können die Familienge-
richte schon heute einen Elternteil oder einen Dritten aus
der Wohnung weisen. So haben die Gerichte zum Beispiel
schon entschieden, dass ein Nachbar, der einem Nachbars-
kind Gewalt zufügte oder es missbrauchte, seine Woh-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
21446


(C)



(D)



(A)



(B)


nung verlassen musste. Es wurde bisher allerdings noch
kein einziger Fall veröffentlicht, bei dem ein Gericht ei-
nen gewalttätigen Elternteil aus der gemeinsamen Fami-
lienwohnung gewiesen hat.

Um die Familiengerichte zu ermutigen, in Zukunft
ihren Spielraum auch in dieser Richtung zu nutzen, wol-
len wir im Rahmen des § 1666 a BGB die Wegweisung
aus der Wohnung als mögliche Maßnahme ausdrücklich
nennen. Ich denke, das ist ein wichtiges politisches Signal
zum Schutz von Kindern vor Gewalt.


(Beifall im ganzen Hause)

So werden sich künftig das Gesetz zur Ächtung der Ge-
walt in der Erziehung, das Gewaltschutzgesetz und das
Kinderrechteverbesserungsgesetz zu einem Schutzsystem
bei häuslicher Gewalt, insbesondere gegenüber Kindern,
ergänzen.

Im zweiten Teil des Gesetzes haben wir einige Restan-
ten der Kindschaftsrechtsreform aufgegriffen. Ich
nenne hier die Einbenennung eines Kindes gemäß § 1618
BGB. Diese soll künftig auch dann möglich sein, wenn
die Eltern nach der Trennung die gemeinsame elterliche
Sorge beibehalten haben. Das ist zwar schon von der ober-
gerichtlichen Rechtsprechung zugelassen worden, ich
denke aber, dass es richtig ist, dass das geschriebene
Recht dieser Richtung folgt.

Auch eine Beistandschaft des Jugendamtes in Unter-
haltsangelegenheiten soll künftig nicht nur bei alleiniger
elterlicher Sorge, sondern auch bei gemeinsamer elterli-
cher Sorge beantragt werden können.


(Beifall bei der SPD)

Damit tragen wir einem Bedürfnis des betreuenden El-
ternteils Rechnung, nämlich Unterstützung bei der Gel-
tendmachung des Kindesunterhalts zu bekommen, und
wir beenden hier eine ziemlich uneinheitliche Handha-
bung der Jugendämter.

Ich möchte noch einige kurze Bemerkungen zum An-
trag der PDS zur Änderung des Grundgesetzes machen.
Sie wissen, dass wir über diese Frage bereits in den 90er-
Jahren in der Gemeinsamen Verfassungskommission
lange diskutiert haben. Es hat sich herausgestellt, dass
hier eine entsprechende Änderung nicht durchzusetzen
war. Dazu muss man sagen, dass unser Grundgesetz
natürlich in vollem Umfang auch für Kinder gilt. Dies ist
eigentlich selbstverständlich.


(Margot von Renesse [SPD]: Kinder sind auch Menschen!)


Sie verweisen in Ihrer Begründung ausdrücklich auf diese
Tatsache. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diesen
Grundsatz immer hervorgehoben.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Es ist gut, dass Sie das einmal sagen!)


Das Kind als Träger eigener Rechte und eigener Würde
muss in unserer Verfassung sicher nicht neu erfunden
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem nun geschaffenen gesetzlichen Rahmen ist ein
Raum geschaffen worden, um die Wahrung der Kinder-
rechte zu verbessern. Die Achtung der Kinderrechte ist
unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung der
Kinder zu selbstständigen und auch gemeinschaftsfähigen
Erwachsenen, wie sie uns am Herzen liegt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421602700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ronald Pofalla.


Ronald Pofalla (CDU):
Rede ID: ID1421602800
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Endlich einmal
ist in dieser Legislaturperiode ein Gesetzgebungsverfah-
ren so verlaufen, wie eigentlich alle Gesetzgebungsver-
fahren verlaufen sollten, nämlich geregelt und geordnet.
Man konnte während des Gesetzgebungsverfahren über
alles reden.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Funke weiß es besser!)


Sachliche Argumente auch der Opposition, Herr
Hartenbach, wurden berücksichtigt und es herrschte ein
kollegialer Umgang.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeichnet die rot-grüne Regierung aus! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war aber nicht immer der Fall!)


Eigentlich ist es ungewöhnlich, dass man so etwas zu
Beginn einer Rede lobend erwähnen muss. Der Grund für
diese ausdrückliche Erwähnung der Regelmäßigkeit und
Fairness liegt in den schlechten Erfahrungen, die wir als
Opposition bei diversen Gesetzgebungsverfahren in der
Vergangenheit, auch in der jüngsten Vergangenheit, ge-
macht haben.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Mir kommen gleich die Tränen! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss man leider so sehen!)


In geradezu halsbrecherischer Geschwindigkeit und
mit einem zum Teil heillosen Durcheinander haben wir in
den letzten Wochen und Monaten hier im Deutschen Bun-
destag verschiedene Gesetzgebungsvorhaben vonseiten
der Regierungskoalition erleben müssen, zuletzt das Ge-
setzgebungsverfahren zum Urheberrecht.

Ich möchte aber – aus Überzeugung – ganz besonders
dem Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesmi-
nisterin der Justiz, dem Kollegen Professor Dr. Eckart
Pick, danken. Durch seine bereits an anderer Stelle von
mir besonders hervorgehobene ruhige, besonnene und
nicht von persönlicher Eitelkeit geprägte Art hat er es ver-
mocht, ein professionelles Beratungsklima zu schaffen,
das bei anderen Vorhaben aus dem Bundesjustizministe-
rium sehr zu vermissen war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick

21447


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte aber auch der Kollegin Margot von
Renesse danken. Wir arbeiten auf diesem Themengebiet
seit mehreren Legislaturperioden zusammen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber dann ist genug des Dankes! – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir haben Sie noch nicht gedankt!)


Ich würde mir wünschen, dass sich auch die Kolleginnen
und Kollegen der grünen Bundestagsfraktion an der Kol-
legin von Renesse ein Vorbild nähmen, weil sie es wirk-
lich vermag, sachkundig zu argumentieren und durchaus
auch auf qualifizierte Gegenargumente einzugehen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mir ihr zusammengearbeitet!)


Ich will einige wenige Anmerkungen zum Inhalt des
Gesetzentwurfes machen, damit deutlich wird, warum wir
vonseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zustimmen.
Wir glauben, dass den Kindern – sie leiden unter Gewalt-
situationen in der Familie oder im Umfeld der Familie
häufig am allermeisten – in der Tat zusätzliche Rechte ein-
geräumt werden. Diese werden durch das Kinderrechte-
verbesserungsgesetz in das Zivilrecht übertragen, um
auch dort die Rechte der Kinder zu stärken.

Ich möchte mit der Einfügung des Abs. 2 in § 1600 BGB
beginnen. Dadurch wird eine Rechtssicherheit für Kinder
hergestellt. Es geht um die künstliche Befruchtung und um
die Frage, wer möglicherweise anfechten kann. In unserem
Land ist die künstliche Befruchtung durch die Samen-
spende eines Dritten grundsätzlich verboten. Insofern
könnte man die Auffassung vertreten, dass man das über-
haupt nicht regeln muss. Wir müssen es aber regeln, weil es
gesellschaftliche Realität ist, dass die künstliche Befruch-
tung im Ausland stattfindet und das Problem der Anfech-
tung in der Bundesrepublik Deutschland auftaucht. Es war
wichtig, diese gesetzliche Klarstellung vorzunehmen, um
Rechtsklarheit für die betroffenen Kinder zu erreichen.

Ich möchte einen zweiten Punkt nennen, nämlich die
beabsichtigte Änderung des § 1618 Satz 1 BGB. Diese
wird im Art. 1 Nr. 2 dieses Gesetzentwurfes vorgesehen.
Der zurzeit geltende Wortlaut dieser Regelung ist mehr als
irreführend. Nach dem Wortlaut scheint diese Vorschrift
nämlich zu bestimmen, dass bei Wiederverheiratung einer
geschiedenen Ehefrau, die in der neuen Ehe den Namen
des neuen Ehegatten annimmt, diese den neuen Namen
nur in dem Fall auf das Kind übertragen kann, dass ihr das
alleinige Sorgerecht zusteht. Selbstverständlich muss es
diese Möglichkeit auch für den Fall des gemeinsamen
Sorgerechts geben.

Diese Neuregelung schafft insoweit die notwendige
Klarheit, wenngleich ich mich über manches in der Recht-
sprechung gewundert habe. Ich glaube nämlich, dass die
bestehende Regelung diesen Umstand bereits berücksich-
tigt. Durch wohlwollende Auslegung hätte man dieses Er-
gebnis also auch anders erreichen können.


(Margot von Renesse [SPD]: So sind die Richter nun einmal!)


Nun folgen wir quasi unserer ursprünglichen gesetzlichen
Intention und stellen es klar. Ich glaube, dass damit etwas

vollzogen wird, was hier im Hohen Hause bisher niemand
anders gesehen hat.

Ich möchte auf eine weitere Regelungslücke, die in die-
sem Gesetzgebungsvorgang geschlossen wird, eingehen. Es
geht um die Änderung des § 1666 a BGB. Diese ist in
Art. 1 Nr. 4 des Kinderrechteverbesserungsgesetzes gere-
gelt. Dort wird festgelegt, dass dem Gewalttäter – sowohl
für den Fall der Gewalttätigkeit durch einen Elternteil, was
bereits geregelt war, als auch durch einen Dritten gegen das
Kind – die Nutzung der von dem Kind mitbewohnten Woh-
nung oder einer anderen Wohnung – das ist jetzt neu –, zum
Beispiel im selben Haus, untersagt werden kann. Zum
Schutz der von Gewalt betroffenen Kinder war diese ge-
setzliche Präzisierung richtig und notwendig. Ich glaube,
dass sie hier im Haus einvernehmlich vollzogen werden
kann.

Abschließend möchte ich betonen, dass die von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragte Streichung der
Art. 2 und 3 des Gesetzentwurfes, die eine Änderung des
Gesetzes über die rechtliche Stellung der nicht ehelichen
Kinder vorsah, richtig gewesen ist. Die Übernahme dieses
Antrages durch die Koalitionsfraktionen beweist, dass die
von uns vorgetragenen Argumente für die Streichung
richtig und überzeugend gewesen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das Ziel dieser ursprünglich vorgesehenen Änderung
war die Beseitigung der alten Stichtagsregelung, auf die
nun verzichtet wird. Durch diese Regelung bei Ein-
führung des Erbrechtes für nicht eheliche Kinder in den
60er-Jahren waren diejenigen Kinder von der erbrechtli-
chen Regelung ausgenommen, die zum Stichtag bereits
volljährig waren. Stichtag war damals das In-Kraft-Treten
des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nicht eheli-
chen Kinder am 1. Juli 1970. Folge dieser Stichtagsrege-
lung ist es, dass nicht eheliche, vor 1949 geborene Kinder
keinen erbrechtlichen Ausgleichsanspruch haben.

Die Stichtagsregelung ist vom Prinzip des Vertrauens-
schutzes gedeckt, eine Rechtsauffassung, die auch durch
das Bundesverfassungsgericht geteilt wird. Im Übrigen
muss man an dieser Stelle betonen, dass durch die Testier-
freiheit alle diese Fälle geregelt werden können, weil lo-
gischerweise durch ein Testament jede denkbare einzel-
rechtliche Regelung vollziehbar ist, sodass wir im Grunde
genommen keine gesetzliche Regelung brauchen.

Mittels des vorliegenden Gesetzentwurfes sollte also
diese Stichtagsregelung beseitigt werden. Das ist zum
Wohle des Vertrauensschutzes nun jedoch nicht erfolgt.

Alles in allem bleibt festzuhalten, dass durch den Ge-
setzentwurf zahlreiche Lücken geschlossen werden konn-
ten, die in der Praxis bisher für Unverständnis und Unge-
reimtheiten gesorgt hatten. Um es noch einmal zu
betonen: Es freut mich, dass dem berechtigten Anspruch
der Bürgerinnen und Bürger auf ein handwerklich ein-
wandfreies Gesetzgebungsverfahren Rechnung getragen
werden konnte, was in der Vergangenheit leider eher die
Ausnahme als die Regel gewesen ist.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hätte so gerne geklatscht, aber bei diesem Satz geht das nicht mehr!)





Ronald Pofalla
21448


(C)



(D)



(A)



(B)


Der kollegiale Geist, Frau Kollegin, von dem dieses
Gesetzgebungsverfahren getragen wurde, sollte unsere
Verhandlungen öfter durchwehen. Ich bedanke mich bei
allen Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen
für diese gute, offene und konstruktive Beratung. Im Er-
gebnis wird dieses Gesetz den Kindern in der Bundesre-
publik Deutschland helfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Dank gebührt aber auch Herrn Pofalla!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421602900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Über alle Fraktionsgrenzen hinweg sind wir
uns einig: Kinder sind in besonderem Maße darauf ange-
wiesen, dass Staat und Gesellschaft alle Möglichkeiten
ausschöpfen, um ihnen ein Aufwachsen in Geborgenheit
und Sicherheit zu ermöglichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Die psychischen und physischen Folgen von Gewalt
gegen Kinder sind verheerend. Sie haben Auswirkungen
auf ihr ganzes Leben und nicht selten auf das Leben ihrer
eigenen Kinder. Wer die Gewaltspirale durchbrechen
will, der muss dafür sorgen, dass Kinder vor Gewalt ge-
schützt werden. Das hat nicht zuletzt Professor Pfeiffer
vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen
ermittelt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dem stimmen wir zu!)


Wie für Frauen ist auch für Kinder der soziale Nahbe-
reich ein gefährlicher Ort: Der Vater, der Onkel oder der
Nachbar stellen nicht selten eine Bedrohung der Kinder
dar.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber zu einem geringen Prozentsatz! Nichts übertreiben!)


60 bis 80 Prozent sexualisierter Gewalt finden im sozia-
len Nahbereich statt. Dabei sollte gerade die Familie der
Ort sein, an dem ein Kind auf Schutz vertrauen kann.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der soziale Nahbereich ist nicht nur die Familie!)


Darum ist es das Ziel der rot-grünen Bundesregierung,
deutlich mehr Rechtssicherheit für Kinder zu schaffen.
Ich freue mich, Herr Geis, dass auch die Opposition die-
ser Meinung ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das waren wir schon immer!)


Mit dem vorliegenden Kinderrechteverbesserungsge-
setz setzen wir den Paradigmenwechsel, den wir schon

beim Gewaltschutzgesetz begonnen haben, fort. Das Ge-
setz stellt klar: Der Schutz vor Gewalt endet nicht an der
Wohnungstür. Schläge oder sexualisierte Gewalt in der
Familie sind nicht länger Privatangelegenheit. Das Prin-
zip, das gerade Herr Staatssekretär schon nannte – der Tä-
ter geht, das Opfer bleibt –, wird künftig auch dann ange-
wendet werden können, wenn das Opfer nicht die Ehefrau
oder die Lebensgefährtin, sondern das Kind ist.

Bislang erhielten Mütter, die sich wegen sexuellen
Missbrauchs ihres Kindes an die Polizei oder an Bera-
tungsstellen gewendet haben, meist den gut gemeinten
Rat: Schütze dein Kind, zieh aus der Wohnung aus. Künf-
tig wird dies nicht mehr notwendig sein. Polizei und Jus-
tiz sind in Fällen von Kindesmisshandlung nicht mehr
die Hände gebunden. Sie können den Gewalttäter aus der
Wohnung verweisen, wenn dies zum Schutze des Kindes
notwendig ist. Dieses Vorgehen gilt jetzt nicht nur für El-
tern, sondern auch für andere. Beispielsweise kann einem
Lebensgefährten der Mutter eine so genannte Go-Order
erteilt werden.

Ich freue mich ganz besonders, Herr Pofalla, dass auch
die Anregung der Bündnisgrünen von allen Fraktionen
einvernehmlich aufgenommen wurde, dass ein Dritter,
der zum Beispiel im gleichen Hause wohnt, ebenso der
Wohnung verwiesen werden kann, wenn er ein Kind be-
droht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Solche Anregungen kommen von den Grünen selten!)


– Ja, aber das ist doch hervorragend. Loben Sie uns doch
einfach einmal dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Das war ein guter Vorschlag – bitte schön!)


– Wunderbar, das tut besonders gut.
Mit dieser Regelung finden die neuen Schutzmöglich-

keiten des Gewaltschutzgesetzes auch im Kindschafts-
recht Eingang.

Wir schaffen aber auch weitere Rechtssicherheit für
Kinder. Wir passen das Abstammungsrecht den neuen
technischen Entwicklungen wie der künstlichen Befruch-
tung mithilfe einer Samenspende an. In diesen Fällen ist
nämlich die Anfechtung einer Vaterschaft nicht mehr
möglich, wenn der Partner der Mutter vorher mit einer
künstlichen Befruchtung durch eine Samenspende einver-
standen war. Damit wird verhindert, dass ein Mann, der
einer künstlichen Befruchtung durch einen anderen Mann
zugestimmt hat, sich seiner Vaterpflicht entledigen kann.

Wir stärken aber auch die Rechte des Elternteils, bei
dem ein Kind nach einer Trennung lebt. Danach kann
auch bei gemeinsamem Sorgerecht, das wir mit der Kind-
schaftsrechtsreform eingeführt haben, der Elternteil, bei
dem das Kind lebt, einen Antrag auf Beistandschaft des
Jugendamtes bezüglich des Kindesunterhalts stellen.
Dies war vorher nur bei alleinigem Sorgerecht möglich.
Damit muss der betreuende Elternteil – das ist in den
meisten Fällen die Mutter – künftig nicht mehr, nur weil
ein gemeinsames Sorgerecht besteht, einen Anwalt oder




Ronald Pofalla

21449


(C)



(D)



(A)



(B)


eine Anwältin bezahlen, um den Kindesunterhalt durch-
zusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Außerdem wird die Möglichkeit, einem Kind nach einer
Scheidung und Wiederverheiratung den neuen Ehenamen
zu geben, neu geregelt. Das wird den Interessen aller Be-
troffenen künftig besser gerecht werden. So scheitert es
künftig auch nicht mehr an einem gemeinsamen Sorge-
recht, wenn das Kind diesen neuen Namen tragen soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesrat hat
einen weiteren Punkt als regelungsbedürftig angesehen
und Bestimmungen dazu in seinem Gesetzentwurf vorge-
sehen. Das ist die Gleichbehandlung der nicht ehelichen
und der ehelichen Kinder, die vor 1949 geboren wurden;
für ab 1949 Geborene hatten wir eine diesbezügliche
Regelung. Auch meine Fraktion sieht hierin eine Unge-
rechtigkeit, zumal die völlige Gleichstellung zwar für die
neuen Bundesländer, nicht aber für die alten Bundeslän-
der gilt. Wir akzeptieren aber, dass ein Vertrauenstatbe-
stand geschaffen wurde, der auch vom Bundesverfas-
sungsgericht bereits bestätigt wurde.

Lassen Sie mich nun noch etwas zum Gesetzentwurf
der PDS anmerken. Gut gemeint ist nicht immer gut; das
wissen wir. Die Würde des Kindes ist natürlich ebenso
wie die Würde der Frauen und die Würde der alten Men-
schen unantastbar. Sie alle fallen unter Art. 1 des Grund-
gesetzes, der die Menschenwürde festschreibt.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS,
wir haben kein gesetzliches Defizit, sondern ein Defizit
bei der Umsetzung. Darum müssen wir uns auf allen Ebe-
nen vielmehr für die Einhaltung der Menschenwürde ein-
setzen. Wir brauchen aber keine Änderung des Grundge-
setzes. Deshalb ist das vorliegende Gesetz auch so
wichtig. Es schützt Kinder ganz konkret vor Gewalt und
stärkt ihre Rechte. Ich bin mir sehr sicher, dass das neue
Kindschaftsrecht zusammen mit dem Recht auf gewalt-
freie Erziehung auch gesellschaftliche Signalwirkung
haben wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein ge-
sellschaftliches Bewusstsein dafür, dass Kinder keine Ob-
jekte sind, über die Erwachsene beliebig verfügen können.
Wir tragen die Verantwortung dafür, dass wir in einer Ge-
sellschaft leben, die Kindern Rechte zugesteht, die ihre
Würde respektiert und Gewalt gegen Kinder verhindert.
Darum bin ich froh, dass wir diesen Antrag interfraktionell
erarbeitet haben und diesem auch so zustimmen werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421603000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1421603100
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die FDP begrüßt den vorliegenden Entwurf

eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung von Kinder-
rechten. Dieser Entwurf schließt sich nahtlos an die große
Kindschaftsreform vom 1. Juli 1998 an. Damals ist unter
anderem die Gleichstellung von ehelichen und nicht eheli-
chen Kindern im materiellen Recht und im Verfahrens-
recht erreicht worden, allerdings mit einer Ausnahme, die
bereits erwähnt worden ist und die zunächst auch Gegen-
stand der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzes und der
Beratungen im Rechtsausschuss gewesen ist. Dabei geht
es um die Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 nicht ehelich
geboren waren und aufgrund des Nichtehelichen-Geset-
zes von 1969 nur einen Erbersatzanspruch besitzen.

Auch bei dieser Novelle ist wie 1998 von einer Neure-
gelung Abstand genommen worden, und zwar, wie ich
meine, aus gutem Grund. Die Betroffenen haben in der Re-
gel durch Verfügungen unter Lebenden und/oder Verfü-
gungen von Todes wegen längst sinnvolle Regelungen ge-
funden. Selbst dann, wenn dies nicht der Fall sein sollte,
bedarf es keiner dringenden Regelung, weil auch insoweit
die mehrfachen Entscheidungen des Gesetzgebers und des
Bundesverfassungsgerichtes respektiert werden sollten.

Meine Damen und Herren, für den Fall der einver-
ständlichen Zeugung des Kindes durch künstliche Be-
fruchtung mittels Samenspende ist eine familienrechtli-
che Regelung getroffen worden, bei der die Anfechtung
der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter ausge-
schlossen ist. Wer die Entstehung eines Kindes verant-
wortet, muss für dieses Kind auch lebenslang Verantwor-
tung übernehmen.


(Beifall im ganzen Hause)

Das Gebot der gewaltfreien Erziehung ist bereits

durch die Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB durch das
Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur
Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November
2000 geregelt, sodass dieser Passus aus dem Bundesrats-
entwurf obsolet war. Die Regelung, die wir noch zusätz-
lich in § 1666 a BGB gefunden haben, ist sicherlich
zweckmäßig; darauf sind meine Vorredner bereits aus-
führlich eingegangen.

Ich bin mir bewusst, dass im tatsächlichen Verhältnis
zwischen Eltern und Kindern, vor allem aber zwischen
getrennt lebenden Ehegatten und Kindern trotz der großen
Kindschaftsreform und trotz des Gesetzes, das wir heute
gemeinsam verabschieden werden, nach wie vor Fragen
offen bleiben werden. Wir können nicht alle tatsächlichen
Verhältnisse durch Gesetze regeln. Fragen, die sich einer
gesetzlichen Normierung und gerichtlichen Überprüfung
entziehen, können wir nicht durch Gesetze oder Verord-
nungen regeln. Selbst dann, wenn solche Fragen durch
Beschluss oder Urteil entschieden worden sind, sind sie
häufig nur schwer oder gar nicht vollstreckbar. Hier wird
es auch Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Beteiligten
davon zu überzeugen, dass bei allem Streit zwischen Er-
wachsenen das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen
muss, denn sie sind die schwächsten Glieder unserer Ge-
sellschaft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Irmingard Schewe-Gerigk
21450


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(D)



(A)



(B)


Abschließend danke ich dafür, dass die Berichterstat-
tergespräche in guter und sachlicher Atmosphäre stattge-
funden haben und von den Mitarbeitern des Bundes-
justizministeriums sachkundig vorbereitet wurden. So
etwas würde man bei größeren Vorhaben auch gern erlebt
haben. Aber es verbleibt die Hoffnung auf eine bessere
Zukunft.

Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Irmgard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Wenn Sie bei anderen Themen auch so einsichtig sind, Herr Funke, können wir das gemeinsam machen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421603200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1421603300
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir beschließen heute ein weiteres
Gesetz, dessen Ziel es ist, die Rechtsstellung des Kindes
zum Inhalt gesetzlicher Regelungen zu machen. Die
Subjektstellung des Kindes hat auf der einfachgesetzli-
chen Ebene Deutschlands in den letzten Jahren in vielen
Bereichen schon ihre Berücksichtigung gefunden, Ich
nenne zum Beispiel das heute schon viel zitierte Gesetz
zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung vom Novem-
ber 2000. Diese Gesetzesänderungen spiegeln die verän-
derte Wahrnehmung von Kindern in unserer Gesellschaft
wider. Kinder werden im öffentlichen Bewusstsein mehr
und mehr als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenom-
men. Diese Entwicklung verfolge ich als derzeitige Vor-
sitzende der Kinderkommission, deren Aufgabe die Wahr-
nehmung der Belange von Kindern ist, mit großer Freude.

Im Sinne der Berücksichtigung der Subjektstellung des
Kindes ist die Forderung des Ausschlusses der Vater-
schaftsanfechtung bei künstlicher Befruchtung zu nen-
nen. Die Regelung, dass sich Männer, die in eine künst-
liche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten
eingewilligt haben, von der damit übernommenen Verant-
wortung nicht wieder lossagen können, schützt aus mei-
ner Sicht das Wohl des Kindes.

In diesem Sinne ist die Einführung einer Beistand-
schaft in Unterhaltssachen auch bei gemeinsamer elter-
licher Sorge zu begrüßen. Sie scheint ein Indiz dafür zu
sein, dass Sie, meine Damen und Herren von der Bundes-
regierung, das gemeinsame Sorgerecht mittlerweile rea-
listischer und damit kritischer als zum Zeitpunkt seiner
Einführung 1998 sehen. Bezüglich des vereinfachten Ver-
fahrens zu Unterhaltsfragen bleibt jedoch zu prüfen, zu
welcher Wirkung es letztendlich in der Praxis führt.

Die Forderung nach einem völligen Verzicht auf Kör-
perstrafen in der Erziehung ist im bereits erwähnten Ge-
setz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung schon ent-
halten. Darin aber – das scheint mir dabei besonders
wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen – ist geregelt,
dass das Kind ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat.


(Beifall bei der PDS)


Hier setzt die rechtliche Regelung in Anlehnung an die
UN-Kinderrechtekonvention direkt beim Kind an. Das
Kind wird so aus seiner Rolle als Objekt elterlicher und
staatlicher Sorge herausgeholt. Dies ist auch der zentrale
Punkt des von meiner Fraktion vorgelegten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes.

Wenn wir Politiker unsere Verantwortung Kindern und
Jugendlichen gegenüber wahrnehmen wollen, dann müs-
sen wir die Entwicklung der veränderten Sichtweise von
Kindern in unserer Gesellschaft fixieren.

Unsere Verfassung bleibt aber hinsichtlich einer expli-
ziten Formulierung subjektiver Rechte der Kinder hinter
dieser Entwicklung zurück. Diese Einschätzung hat übri-
gens auch die Bundesfamilienministerin Bergmann im
August des letzten Jahres in einem Artikel selbst geäußert.
Es geht um die formale Aufnahme einer längst verbreite-
ten Praxis. Die Verankerung der Rechte des Kindes in der
Verfassung ist meiner Ansicht nach ein längst überfälli-
ger, beinahe schon symbolischer Akt.


(Beifall bei der PDS)

Er würde aber den Willen, das Aufwachsen von Kindern
in unserer Gesellschaft verbessern zu wollen, noch einmal
deutlicher unterstreichen.

Genau heute vor einer Woche hat das Land Nordrhein-
Westfalen als zehntes Bundesland Kinderrechte in seine
Landesverfassung aufgenommen, und zwar nicht mit ei-
nem mehrheitlichen Abstimmungsergebnis, sondern ein-
stimmig. Wir auf Bundesebene sollten es nun auch end-
lich in die Hand nehmen, die Rechte von Kindern explizit
im Grundgesetz zu verankern.


(Beifall bei der PDS)

Das wäre ein weiterer Schritt in der Umsetzung der
UN-Kinderrechtekonvention, den wir der deutschen
Delegation als Gepäck mit auf den Weg zum Weltkinder-
gipfel der Vereinten Nationen in New York geben könnten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421603400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1421603500
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Als ich zur Volksschule ging,
wurde Ungehorsam dort noch mit körperlicher Züchti-
gung bestraft, und zwar geschlechtsspezifisch. Die Jun-
gen mussten ihr Gesäß dem Rohrstock entgegenhalten,
die Mädchen die geöffneten Hände. Es herrschte Zucht
und Ordnung; besser gesagt glaubte man, Ordnung
durch Zucht zu erreichen. Diese Zeiten sind glücklicher-
weise vorbei.

Leider aber bedeutet das nicht, dass Kinder heutzutage
frei von Angst und Gewalt aufwachsen können. Zahlrei-
che Untersuchungen belegen, dass Gewalt gegen Kinder
in vielen Familien zum Erziehungsalltag gehört. Etwa
80 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland
erfahren in unterschiedlichem Ausmaß Gewalt in der




Rainer Funke

21451


(C)



(D)



(A)



(B)


Erziehung, zum Beispiel durch Ohrfeigen oder sogar
durch eine Tracht Prügel. Rund 1,3 Millionen Kinder
werden körperlich misshandelt. Hinzu kommt in etwa der
gleichen Größenordnung psychische Gewalt in Form von
elterlicher Ablehnung oder Vernachlässigung.

Wir wissen heute, dass Kinder, die in der Familie Ge-
walt erlitten haben, später selbst eher zur Gewalttätigkeit
neigen. Um diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbre-
chen, haben wir bereits im November 2000 – das ist mehr-
fach erwähnt worden – das Gesetz zur Ächtung der Gewalt
in der Erziehung verabschiedet, mit dem das Bewusstsein
dafür geschärft werden soll, dass Gewalt nicht nur kein ge-
eignetes Erziehungsmittel ist, sondern vielfältige negative
Auswirkungen auf die betroffenen Kinder hat.

Das oberste Ziel von Erziehung heißt Mündigkeit,
sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und
Erziehung, Ludwig Eckinger, auf einer Pressekonferenz
des Verbandes im Juli letzten Jahres. Ich teile diese Auf-
fassung, und zwar in doppelter Hinsicht.

Zum einen ist die Mündigkeit der Eltern gefragt. Un-
tersuchungen zufolge misshandeln Eltern ihre Kinder
zum Teil aufgrund psychischer Überforderung, Gereizt-
heit oder Stress. In vielen Familien aber wird Gewalt noch
immer als brauchbares Erziehungsmittel angesehen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist das Schlimmere!)


Diesen Eltern ist klar zu machen, dass Gewalt nicht die
Lösung der Probleme darstellt, sondern leider allzu oft die
Ursache ist. Es hat wenig Sinn, Kinder anzubrüllen oder
gar zu schlagen; das macht sie nur verstört oder verstockt.
Es gilt, den Eltern zu vermitteln, dass man auch mit klei-
nen Kindern argumentieren und diskutieren kann – so
meine eigene Erfahrung – und über den Weg der Einsicht
wesentlich mehr erreicht als über den Weg der Gewalt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Deswegen ist es zum anderen ebenso wichtig, die
Mündigkeit der Kinder zu betonen. Kinder sind nicht
der Besitz der Eltern; sie haben eine eigene Persönlichkeit
und eigene Rechte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es sind junge Menschen, die uns anvertraut werden, für
die wir Verantwortung übernehmen, über die wir aber
keine uneingeschränkte Gewalt ausüben dürfen und die
ein Anrecht auf eine gewaltfreie häusliche Umgebung
haben.

Ein solches Bewusstsein lässt sich aber weder verord-
nen noch erzwingen. Hierzu bedarf es flankierender Maß-
nahmen vonseiten des Staates. Deswegen bin ich sehr
froh, dass wir mit dem vorliegenden Kinderrechteverbes-
serungsgesetz auch eine Lücke schließen können, die das
von uns bereits verabschiedete Gewaltschutzgesetz offen
gelassen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])


Im Rahmen der damals geführten parlamentarischen
Debatte wurde unter anderem die Frage erörtert, ob der
zivilrechtliche Schutz von Kindern vor elterlicher Gewalt
oder Gewaltanwendung durch Dritte, etwa dem neuen
Partner eines Elternteils, ausreichend ist. So sieht das Ge-
waltschutzgesetz zum Beispiel keinen Schutz vor, wenn
gemeinsam sorgeberechtigte Eltern mit einem Kind zu-
sammenleben und zum Beispiel der Vater oder der Le-
bensgefährte das Kind, nicht aber die Mutter misshandelt.

Wir waren uns fraktionsübergreifend einig – auch dies
ist bereits mehrfach betont worden –, dass diese Geset-
zeslücke zu schließen ist. Ihr Versprechen, dies mithilfe
eines Kinderrechteverbesserungsgesetzes zu erreichen,
hat die Bundesjustizministerin sehr schnell erfüllt. Dafür
gebührt dem Ministerium herzlicher Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ist zum Schutz des Kindes eine Trennung von seinen
Eltern bzw. einem Elternteil erforderlich, so wurde diese
Trennung in der Praxis bisher meist durch eine so ge-
nannte Fremdunterbringung des Kindes in einem Heim
oder bei Pflegeeltern realisiert. Mit der Ergänzung des
§ 1666 a BGB ist es nun möglich, den Schutz des Kindes
auch dadurch zu realisieren, dass das Gericht eine
Wegweisung des gewalttätigen Elternteils anordnen
kann. Das Kind kann somit in seiner vertrauten Umge-
bung bleiben und wird nicht zusätzlich durch eine ihm
völlig fremde Umgebung bestraft.

Wir wissen, dass für eine Anzeige bei den Behörden oft
das Täter-Opfer-Verhältnis entscheidend ist.
Die Kriminalstatistik belegt, dass Fremdtäter sehr häufig
angezeigt werden. Dagegen kommen Misshandlungen in
der Familie aus Scham, Angst oder aus Solidarität mit
dem Täter nur selten zur Anzeige.

Ähnlich hoch ist nach Ansicht der Experten auch die
Dunkelziffer bei der Misshandlung von Schutzbefohle-
nen. In diesem Bereich werden die Anzeigen vor allem
von Nachbarn, Kindergärtnern oder Lehrern erstattet.
Auch hier erweist sich die neue Regelung als effektiv, da
die Maßnahmen unabhängig von einem Antrag von Amts
wegen getroffen werden. Eine Wegweisung des ge-
walttätigen Elternteils, aber auch eines Dritten zum
Schutz des Kindes ist auch dann möglich, wenn der nicht
gewalttätige Elternteil keinen entsprechenden Antrag
stellt, weil er beispielsweise seine Beziehung nicht ge-
fährden will. Ich denke, dies alles dient dem Wohl des
Kindes. Diese sehr gute Lösung ist im Interesse der Kin-
der zu begrüßen.

Somit reiht sich dieses Gesetz in die Reihe der bereits
verabschiedeten Gesetze ein, die in Zusammenarbeit zwi-
schen den Ressorts Justiz sowie Familie, Senioren,
Frauen und Jugend in dieser Legislaturperiode erfolgreich
auf den Weg gebracht wurden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben umfangreiche Regelungen zum Schutze von
Frauen und Kindern gegen Gewalt und Diskriminierung
getroffen. Auch das Kinderrechteverbesserungsgesetz




Anni Brandt-Elsweier
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(D)



(A)



(B)


verdeutlicht nochmals: Kinderrechte sind Menschen-
rechte. Kinder sind eigene Persönlichkeiten mit eigenen
Rechten, die von niemandem verletzt werden dür-
fen – auch nicht von den eigenen Eltern.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421603600
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ingrid Fischbach.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1421603700
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir verab-
schieden heute ein gelungenes Werk. Ich sage das nicht
nur deshalb, weil dieser Gesetzentwurf die Stellung der
Kinder verbessert und dazu beiträgt, die Rechtssicherheit
und die Subjektstellung der Kinder in unserer Gesell-
schaft zu verbessern, sondern auch – das möchte ich an
dieser Stelle betonen –, weil es Ihnen, meine Damen und
Herren der Regierungskoalition, gelungen ist, auf die Vor-
schläge der Opposition einzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Erfolg hat immer viele Mütter!)


Ich kann mich noch an die eine oder andere Diskussion im
Ausschuss erinnern, bei denen Sie anfangs noch sehr
skeptisch waren. Insofern freue ich mich ganz besonders,
dass Sie unsere Vorschläge aufgegriffen haben und dass
wir heute diesen Gesetzentwurf einstimmig verabschie-
den können.

Dieser Gesetzentwurf ist eine gute Weiter- und Fort-
entwicklung des bestehenden Kindschaftsrechtsreform-
gesetzes, das wir seinerzeit noch unter der alten Regie-
rung – ebenfalls gemeinsam – verabschiedet haben. Wie
alle guten Reformen und Gesetze muss auch dieses Ge-
setz in der Praxis überprüft werden. Dementsprechend
gilt: Wenn es neue Erkenntnisse gibt und Verbesserungen
möglich sind, muss es eine Überarbeitung geben.

In der ersten Vorlage, die wir schon vor Jahren im Aus-
schuss hatten, waren einige Punkte enthalten, die mittler-
weile obsolet sind. Zum Beispiel wurde das Thema „ge-
waltfreie Erziehung“ durch das Gesetz zur Ächtung der
Gewalt in der Erziehung schon aufgegriffen. Das kleine
Sorgerecht ist mittlerweile genauso wie das vereinfachte
Verfahren bei den Unterhaltszahlungen überholt.

Das Problem des Erbrechts bei nicht ehelichen Kindern
hat schon mein Kollege Pofalla angesprochen. Ich freue
mich, dass Sie an dieser Stelle unserem Vorschlag gefolgt
sind, den bestehenden Vertrauenstatbestand nicht abzu-
schaffen, sondern beizubehalten. Dafür danke ich Ihnen
sehr.

Lassen Sie mich drei Punkte zu den Regelungen sagen,
die im Interesses der Kinder besonders wichtig sind. Der
erste Punkt ist die Vaterschaftsanfechtung. Ich finde es
sehr wichtig und richtig, dass die Anfechtung einer Vater-
schaft bei künstlicher Befruchtung durch Samenspende
eines Dritten ausgeschlossen wird. Wer sich entschließt,
eine künstliche Befruchtung durchzuführen, bei der man

eine Samenspende eines Dritten braucht, der hat es sich
ganz genau überlegt. Diese Eltern – da sind wir sicher ei-
ner Meinung – sollte man nicht aus der Verantwortung ge-
genüber dem Kind entlassen. Insofern kann man diese
Regelung nur unterstützen. Sie ist der richtige Schritt im
Interesse der Kinder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der zweite Punkt, der für die Kinder ebenfalls sehr

wichtig ist, ist die Einbenennung bzw. das Namensrecht.
Bisher war es möglich, dass ein Kind den Namen der
neuen Familie annehmen konnte, wenn der Elternteil, der
eine neue Familie gegründet hat, das alleinige Sorgerecht
hatte. Wir haben dieses Recht auf die gemeinsame Sorge
erweitert und das ist richtig. Gerade die Erfahrungen im
Schulwesen zeigen – ich kann das aufgrund meiner frühe-
ren Tätigkeit sagen –, dass Kinder darunter leiden, nicht
denselben Namen wie die neuen Eltern zu tragen. Dank
des gemeinsamen Sorgerechts ist das jetzt möglich. Das
ist ein Weg, die Integration der Kinder in die neuen Fami-
lien zu fördern. Das sollten wir unterstützen.

Zweifel und Sorgen führten zu der berechtigten Frage:
Kann man das Recht so gestalten, dass man die Na-
mensänderung rückgängig machen kann? Wir sollten aber
gerade beim Namensrecht auf Kontinuität achten und kei-
nen ständigen Wechsel des Namens möglich machen. Da-
ran sollten wir stärker arbeiten. Ich bin der Auffassung,
dass der eingeschlagene Weg richtig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meines Erachtens ist der weitere Ausbau des Schutzes

unserer Kinder vor Gewalt der wichtigste Aspekt. Dazu
gehört das Wegweisungsrecht. Ich finde es richtig, dass
der zivilrechtliche Kinderschutz konkretisiert worden ist.
Es wird klargestellt, dass ein gewalttätiger Elternteil aus
der Wohnung gewiesen werden kann. An dieser Stelle ist
es mir besonders wichtig, festzuhalten, dass nicht nur ein
gewalttätiger Elternteil weggewiesen werden kann, son-
dern auch ein gewalttätiger Dritter. Die Realität zeigt,
dass in neuen Familiensituationen Ehepartner bzw. Le-
benspartner gewalttätig werden. Jetzt besteht die Mög-
lichkeit, konkret zu handeln. Zum Schutze unserer Kinder
ist das wichtig.

Wir haben dafür gesorgt – ich halte es für gelungen; wir
tragen das gemeinsam –, dass Kinder nicht aus ihrer ver-
trauten Umgebung gerissen werden. Wie sah es bisher
aus? Um unsere Kinder zu schützen, wurden sie in Hei-
men oder in Pflegefamilien untergebracht, das heißt, sie
wurden aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen. Für die
kindliche Entwicklung ist das schädlich.
Insofern ist es besser – davon bin ich überzeugt –, den ge-
walttätigen Elternteil oder den gewalttätigen Dritten aus
der Wohnung zu weisen. Das ist ein richtiger Schritt zum
besseren Schutz unserer Kinder.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte zwei Punkte hinsichtlich der Kompetenz-
erweiterung des Jugendamtes nennen, die wir begrüßen.
Meine Fraktion findet es richtig, dass die Beistandschaft
des Jugendamtes in Unterhaltsachen ausgeweitet wurde.




Anni Brandt-Elsweier

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(C)



(D)



(A)



(B)


Das bedeutet, dass auch bei Vorhandensein der gemeinsa-
men elterlichen Sorge das Jugendamt Beistand leisten
kann. Das ist richtig und wichtig.

Das Beurkundungsrecht des Jugendamtes ist eben-
falls erweitert worden. Es hilft den Familien und den Kin-
dern. An diesem Punkt wird deutlich, dass Kinder gleich-
gestellt werden und nicht darauf geschaut wird, wer das
– alleinige oder gemeinsame – Sorgerecht hat. Die
Gleichbehandlung der Kinder steht im Vordergrund.

Die heutige Verabschiedung des Kinderrechteverbes-
serungsgesetzes ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Ver-
besserung der Kinderrechte in unserer Gesellschaft. In
Art. 2 des Grundgesetzes werden das Persönlichkeitsrecht
des Kindes und seine Rechtsstellung garantiert. Das Kin-
derrechteverbesserungsgesetz verfolgt dieses Ziel. Auf
diesem Gebiet arbeiten wir weiter. Insofern freue ich
mich, dass das Land Nordrhein-Westfalen auf Ini-
tiative der CDU-Fraktion – das darf ich an dieser Stelle
sagen – –


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon wieder die CDU! Was würden wir bloß ohne die CDU machen?)


– Frau Schewe-Gerigk, Sie sehen: Wir sind die Initiatoren
und wir können im Moment noch damit leben, dass Sie
dieses Vorhaben umsetzen. Nach dem 22. September wer-
den wir unsere Initiativen selbst umsetzen.

Lassen Sie uns für unsere Kinder gemeinsam arbeiten!
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Wenn Sie jetzt lieb geblieben wären, würde ich klatschen! So aber nicht! Sie haben den Applaus verhindert!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421603800
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Margot von Renesse.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1421603900
Verehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Mein heutiger Beitrag
ist wahrscheinlich mein letzter zum Thema Familien-
recht. Ich freue mich, dass wir auf diesem Gebiet – gerade
in diesem Punkt – wieder Einvernehmen erzielt haben.
Sie, Herr Pofalla und Herr Funke, wissen ebenso wie
meine Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion, dass ich
immer Wert darauf gelegt habe, dass man Familienrecht
bei aller Auseinandersetzung nicht mit einer Mehrheit von
51 Prozent ändert. Damit ist weder den Regierungsfrak-
tionen noch der Opposition geholfen;


(Beifall im ganzen Hause)

denn das Familienrecht ist kulturell tief verankert. Man
sollte sich auf diesem Gebiet nicht einfach durchsetzen.
Das würde die Gesellschaft spalten. Im Übrigen hätte es
wenig Sinn; denn die Richter würden machen, was sie
wollen.


(Rainer Funke [FDP]: So ist es!)

Wir würden – das weiß ich als Richterin – die Rechts-
wirklichkeit dann nicht prägen können.

Ich habe mich ein bisschen über Sie geärgert und das
will ich Ihnen auch ganz deutlich sagen, Herr Pofalla und
Herr Funke. Was Sie in Bezug auf Herrn Pick und mich
formuliert haben, waren vergiftete Komplimente. Sie er-
innern mich an folgende Situation: Ich koche sonntags mit
großer Mühe und mein Mann sagt: Heute schmeckt es mal
gut.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie werden verstehen, dass das ein Unwerturteil ist, ver-
packt in eine Süßigkeit. Das kann man nicht billigen.

Wir haben uns, denke ich, Mühe gegeben, so wie Sie
es in den vergangenen Legislaturperioden getan haben,
als Sie – im Sinne dessen, was ich eingangs sagte – das
Gespräch zu moderieren hatten. Ich freue mich darüber,
dass es jedenfalls geklappt hat und dass wir im ganzen
Hause Zustimmung bekommen.

Ich möchte noch etwas deutlich machen, was die Ge-
walt im Nahbereich angeht; Herr Geis hat da vorhin in sei-
nem Beitrag protestiert. Wir wissen auf der einen Seite,
dass Kinder besonders häufig durch Gewalt, Missachtung
und Misshandlung im Nahbereich geschädigt werden.
Das heißt, Schädigungen, die bei Kindern eintreten, ge-
schehen weitgehend im Nahbereich. Auf der anderen
Seite können Kinder ohne den Nahbereich nicht leben.
Die meisten Eltern, sogar diejenigen, die die Sprache mit
dem hässlichen Ausdruck Stiefeltern belegt, lieben ihre
Kinder und sie sind in dieser Liebe Motivbündel. Wenn
sie mit Kindern zusammenleben, müssen sie Gott sei
Dank nicht danach differenzieren, was sie für sich tun und
was sie für das Kind tun; es ist alles ein Strunk.


(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn Eltern ihr Kind Klavier spielen lernen lassen,

dann brauchen sie nicht zu fragen, ob sie das tun, weil sie
ein Kind haben möchten, das Klavier spielen kann, oder
ob sie das tun, weil sie dem Kind eine Chance zur Lebens-
freude geben wollen. Es läuft alles in dieselbe Richtung.
Eine solche Unterscheidung braucht man – dem Himmel
sei Dank – in aller Regel nicht zu treffen.

Kindern bekommt der Nahbereich, weil er Nähe und
Distanz gleichermaßen vermittelt – mit Versagen, aber
auch, und zwar am meisten, mit Gutem. Wenn Eltern an-
fangen, Dienst nach Vorschrift zu machen, dann Gnade
uns Gott!

Das Versagen gehört dazu. Ich bekenne mich vor mei-
nen Kolleginnen und Kollegen Eltern als jemand, der im
Erziehungsgeschäft auch immer wieder einmal versagt
hat. So etwas sollte kein Jugendamt und kein Gericht zum
Handeln zwingen.

Die Familie – das wissen wir eben auch – ist ein ge-
fährliches besonderes Gewaltverhältnis, wenn sie nicht
funktioniert. Wenn Kälte regiert, wenn Überforderung re-
giert, wenn Stress regiert, dann ist es für Kinder gefähr-
lich. Familienrecht beschreibt nicht Familie, Familien-
recht ist Konfliktrecht.

Ich erinnere mich an eine Situation zu Hause. Da hat
mein Ältester von mir verlangt, dass ich um 19 Uhr das
Abendbrot serviere. Das sei in vernünftigen Familien so




Ingrid Fischbach
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(C)



(D)



(A)



(B)


üblich, erklärte er mir. Da habe ich ihn voller Zorn in sein
Zimmer geschickt, ihm die Unterhaltsparagraphen aufge-
schlagen und gesagt, da könne er nachlesen, was er von
mir verlangen könne.


(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Normalerweise schauen weder Eheleute ins Familien-
recht, wenn sie miteinander umgehen, noch Eltern, wenn
es um das Verhältnis zum Kind geht, und, wie ich hoffe,
auch umgekehrt.

Wenn wir Familienrecht formulieren, schaffen wir ein
Recht für die Fälle, in denen Eltern mit Kindern auf die
normale, intuitive Weise nicht klarkommen; es gibt diese
gescheiterten Eltern-Kind-Verhältnisse. Wir schaffen
auch ein Recht für Richter, das sie aber nicht federfuchsig
handhaben sollten. Sie sollten wissen, dass Sie immer nur
dafür da sind, das Allerschlimmste zu verhindern. Sie sind
nicht die Überväter und Übermütter unserer Kinder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben zu respektieren, dass die Eltern ihre Kinder in
der Regel mehr lieben als Jugendämter, Familienrichter,
irgendwelche Funktionäre und auch der Gesetzgeber.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich hoffe, dass wir da kein Missverständnis ausgelöst ha-
ben; wenn doch, wäre es nicht in meinem Sinne.

Es tut mir Leid, dass ich nun die Lösung einiger Pro-
bleme im Familienrecht nicht mehr mit anpacken kann.
Dazu gehört das Problem der gescheiterten Be-
suchsverhältnisse. Dazu gehört das Problem der geschei-
terten Herausgabeverhältnisse. Was wir da an Leid und
Elend in der Rechtswirklichkeit erleben, spottet jeder Be-
schreibung. Ich wünsche Ihnen, meine Kolleginnen und
Kollegen, dass Sie in der nächsten Legislaturperiode da-
bei eine glückliche Hand haben und dafür sorgen, dass es
dieses Verzweifeln am Recht nicht mehr gibt, dass es Sie
genauso stört und schmerzt wie die Betroffenen selbst.

In diesem Sinne: Gutes Glück für weiteres Gelingen!

(Lebhafter Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421604000
Gutes Glück
wünschen wir auch Ihnen. Wir jedenfalls möchten Ihre
Rede zum Familienrecht noch nicht als Abschiedsrede ge-
wertet wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Susanne Kastner [SPD]: Das war eine Familienrechtsabschiedsrede!)


– Ich wollte damit nur klarstellen, wie viel Sie uns wert
sind.

Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-

rat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren
Verbesserung von Kinderrechten, Drucksachen 14/2096
und 14/8131. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Ent-

haltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen
worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. –
Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter
Lesung einstimmig angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/7818 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist auch die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur
Änderung des Fünften Buches Sozialgesetz-
buch (10. SGB-V-Änderungsgesetz)

– Drucksache 14/8099 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort der
Abgeordnete Fritz Schösser.


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1421604100
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 9. Dezem-
ber 1992 sagte Rudolf Dreßler in der Debatte zum Ge-
sundheitsstrukturgesetz:

Die im Gesetzentwurf vorgesehene neue Regelung
der Beitragszahlung für freiwillig Versicherte, die
nach dem 31. Dezember 1992 Rentner werden, hat zu
heftigen öffentlichen Diskussionen geführt. Auch
wenn dieser Neuregelungsvorschlag nicht von uns
erfunden wurde, sondern aus den Reihen der Koali-
tion stammt – die SPD hätte bekanntlich eine Anhe-
bung der Beitragsbemessungsgrenze bevorzugt –,
haben wir keine Veranlassung, zu dieser Regelung
auf Distanz zu gehen.

Hätte Horst Seehofer – dem ich im Übrigen von dieser
Stelle aus die besten Genesungswünsche übermitteln
möchte –


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


auf die SPD gehört, wären die Beitragszahler pro
verdienten 100 DM über der damaligen Beitragsbemes-
sungsgrenze von 5 100 DM mit einem Krankenversi-
cherungsbeitrag von 6,22 DM bzw. höchstens mit




Margot von Renesse

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(D)



(A)



(B)


18,66 DM bei einem Einkommen von 5 400 DM belastet
worden. Damit wären wir verfassungsrechtlich auf der si-
cheren Seite gewesen und es wäre uns ein Haufen Ärger
erspart geblieben.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum habt ihr das dann mitbeschlossen?)


– Herr Wolf, das ist bei Kompromissen so. Trotzdem ist in
der damaligen Auseinandersetzung deutlich geworden,
was falsch war.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Falsch war, die Regelung zu den Vorversicherungszeiten
zu verschärfen.

Dennoch war das, was Horst Seehofer beitragsrecht-
lich für freiwillig versicherte Rentner in der Kranken-
versicherung auf den Weg brachte, überlegenswert.
Warum? Zum einen traf diese Regelung den Normalrent-
ner nicht. Zum anderen mussten die Rentner, die neben
der gesetzlichen Rente hohe zusätzliche Einkünfte aus
Kapitalvermögen und Vermietung hatten und die nach den
Bestimmungen des Gesetzes als freiwillig Versicherte
einzustufen waren, höhere Beiträge zahlen, weil jetzt
auch diese Einkünfte bis zur Bemessungsgrenze beitrags-
pflichtig wurden.

Bei einem Teil der freiwillig versicherten Ruheständler
war das im Übrigen auch schon vor dem 1. Januar 1993
so. So wird es wohl auch in Zukunft sein, und zwar dann,
wenn ihre Versicherungsvita nicht wenigstens dem so ge-
nannten Halbbelegungsgrundsatz entspricht. Und das ist
auch richtig so. Denn es ist ja nicht einzusehen, dass
zum Beispiel eine allein erziehende Arbeitnehmerin mit
1 200 Euro brutto pro Monat auf ihr gesamtes Einkommen
Krankenversicherungsbeiträge zahlen muss, während
sich der freiwillig Versicherte mit geringer Rente, aber mit
hohen Einkünften aus anderen Einkommensquellen mit
Krankenversicherungsbeiträgen in bescheidener Größen-
ordnung in die solidarische Krankenversicherung hinein-
schwindeln kann.


(Beifall bei der SPD)

Anlass für die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit

war also die Verschärfung der Regelung zu den Vorversi-
cherungszeiten im Gesundheitsstrukturgesetz vom 1. Ja-
nuar 1993. Das ist letztendlich der ursächliche Fehler, der
zur Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht ge-
führt hat.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Genau so!)

Seither werden Rentenbezieher nur noch dann Mitglied in
der Krankenversicherung der Rentner, wenn zumindest
bei neun Zehnteln der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens
eine Pflichtmitgliedschaft vorgelegen hat. Dies hatte zur
Folge, dass ein Versicherter, der mit seinem Einkommen
in einigen Jahren seines Erwerbslebens die Beitragsbe-
messungsgrenze überschritten hatte und damit freiwillig
versichert war, nicht mehr in die Krankenversicherung der
Rentner aufgenommen werden konnte, sondern sich als
Rentner freiwillig oder privat versichern musste. Diese
Regelung, verbunden mit der Frage der beitragsrechtli-
chen Ungleichbehandlung zwischen pflichtversicherten

Rentnern einerseits und den freiwillig versicherten Rent-
nern andererseits, verstößt gegen den Gleichbehand-
lungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Das Bundesverfassungsgericht lässt für den Gesetzge-
ber nun ganz ausdrücklich zwei Wege offen: Entweder
kann er die Vorversicherungszeit zur Begründung einer
Mitgliedschaft neu gestalten und vor allem die Zeiten der
freiwilligen Versicherung zur Begründung einer Pflicht-
mitgliedschaft in der Krankenversicherung für Rentner
wieder berücksichtigen oder die Beitragsbelastung der
pflichtversicherten Rentner und der freiwillig versicher-
ten Rentner wird angenähert. Auch hier lassen die Verfas-
sungsrichter die Wege in beide Richtungen offen und
schaffen kein Präjudiz.

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht für den
Fall, dass der Gesetzgeber die Schlechterstellung der frei-
willig versicherten Rentner nicht beseitigt, den Zugang
zur Versicherungspflicht der Rentner nach den Regelun-
gen des Gesundheits-Reformgesetzes von 1988 festge-
legt. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes hat
damit Gesetzeskraft und bedürfte eigentlich keiner ge-
setzlichen Klarstellung.

Vor welcher Situation stehen wir nun? Die vom Bun-
desverfassungsgericht erwogene Alternative, das Bei-
tragsrecht von Rentnern neu zu regeln, muss gut durch-
dacht und abgewogen werden. Es wäre meines Erachtens
fatal, jetzt eine Präjudizierung der Frage der künftigen
Gestaltung des Beitragsrechtes der gesetzlichen Kranken-
versicherung vorzunehmen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Also nicht jetzt! Wann denn? – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Erst einmal zuhören, Herr Wolf!)


– Ganz ruhig, Herr Wolf, das kommt schon noch. – Im
Übrigen befinden wir uns damit in voller Übereinstim-
mung mit Herrn Seehofer, der in der „Frankfurter Rund-
schau“ vom 28. Juli 2000 mit folgender Aussage wieder-
gegeben wird:

Unionsfraktionsvize Horst Seehofer (CSU), aus des-
sen Zeit als Gesundheitsminister die kritisierte Rege-
lung stammt, mahnte im Gespräch mit der Frankfur-
ter Rundschau zu „großer Ernsthaftigkeit“ beim
Umgang mit dem Urteil. Der Spruch habe „tiefgrei-
fende Bedeutung weit über den Kreis der Rentner hi-
naus“. Die Frage, ob Zins- und Mieteinnahmen zum
Kassenbeitrag herangezogen werden, „könnte auch
für andere Sozialversicherungszweige erhebliche
Bedeutung haben“.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Aha!)

Deshalb geht es heute nicht um irgendwelche Schnell-
schüsse.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Zwei Jahre Zeit!)

Das zeigt sich auch, wenn man die Kleine Anfrage der

CDU/CSU vom 29. Januar liest, Herr Wolf, in der Sie un-
ter Ziffer 3 fragen:

Sofern die Bundesregierung im Amt bleibt, schließt
sie auch für die nächste Legislaturperiode aus, dass




Fritz Schösser
21456


(C)



(D)



(A)



(B)


– wie von dem rheinland-pfälzischen Sozialminister
Gerster (SPD) vorgeschlagen – alle Rentner mit
sämtlichen Einkünften zur Beitragsbemessung he-
rangezogen werden?

(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das habt ihr vor!)


Ich zitiere einmal Frau Stamm aus der Zeit, als sie noch
Gesundheitsministerin war. Das ist nämlich ganz interes-
sant. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung:

Eine Strukturreform dürfe auch nicht die Einnah-
menseite der gesetzlichen Krankenversicherung
außer Acht lassen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Aha!)

Es stelle sich die Frage, ob es noch gerechtfertigt sei,
die Beiträge allein an das Arbeitsentgelt zu koppeln.
Immerhin sei der Anteil der Arbeitseinkünfte am ge-
samten Einkommen der Versicherten von 56 Prozent
in 1960 auf 42 Prozent in 1997 gesunken.

Dann folgt ein Zitat von Frau Stamm:
„Ist es nicht falsch verstandene Solidarität, wenn der,
der auch andere Einnahmequellen als seine Arbeit
zur Verfügung hat, die Solidargemeinschaft voll in
Anspruch nehmen kann?“

Ich frage mich: Wer will da was für die Zukunft?

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die SPD hat doch fünf unterschiedliche Vorschläge!)


Ich hoffe, Herr Wolf, Sie sorgen für Aufklärung darüber,
was Sie in der nächsten Legislaturperiode machen wür-
den, wenn der komische Zustand eintreten würde, dass
Herr Stoiber Bundeskanzler wird, was ich ganz und gar
nicht erwarte oder glaube.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Und verhindern möchte! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wir sagen nach der Wahl nichts anderes als vor der Wahl! Das ist der Unterschied!)


Der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Rah-
men kann erst im Zuge einer grundlegenden Neuregelung
des Beitragsrechtes für alle Versicherten ausgelotet wer-
den. Jetzt geht es uns darum, für die betroffenen Rentner
Klarheit zu schaffen, damit sie wissen, woran sie sind.
Jetzt geht es um Vertrauensschutz und Bestandsschutz für
die betroffenen Rentner. Das ist die Zielrichtung des heu-
tigen Gesetzes.


(Beifall bei der SPD)

Die überwiegende Zahl von 1 Million freiwillig kran-

kenversicherten Rentnern wird im Übrigen entlastet. Für
sie entfällt die Beitragspflicht auf sonstige Einnahmen
und sie haben auf Versorgungsbezüge geringere Beiträge
zu entrichten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts droht aber Rentnern, die ausschließlich eine ge-
setzliche Kleinrente bzw. nur ganz geringe Versorgungs-
bezüge erhalten, eine Belastung. Diese Rentner müssen
als künftige Pflichtversicherte nicht mehr den ermäßigten,
sondern den allgemeinen Beitragssatz entrichten. Es geht
für diesen Personenkreis also um 0,75 Beitragspunkte
mehr. Ähnliches gilt im Übrigen für die mitversicherten

Familienangehörigen, die ein Einkommen unter 335 Euro
haben, wenn der Stammversicherte bisher freiwillig ver-
sichert und nur Rentenbezieher war.

Weil wir es nicht akzeptieren, dass die Rentner mit
mehrfachem und gutem Alterseinkommen weniger zahlen
und die mit geringerem Einkommen jetzt bluten sollen,
sorgen wir mit unserem Gesetzentwurf dafür, dass beste-
hende Versicherungsverhältnisse von Rentnern im bishe-
rigen Versichertenstatus bei gleicher Beitragsleistung
fortgeführt werden. Das ist unsere Zielsetzung. Wir stel-
len also für die vom Urteil negativ betroffenen Rentner ei-
nen weit gehenden Bestandsschutz bezüglich Ihrer Versi-
cherungsverhältnisse her.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir gehen mit
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sozial verant-
wortlich um und wetzen erneut eine Scharte aus, die Sie
uns, meine Damen und Herren von der Opposition zu
meiner Rechten, eingebrockt haben.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben mitgestimmt! Sie können sich da nicht herausstehlen! Das war ein gemeinsames Gesetz!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421604200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ulf Fink.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1421604300
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über
den von der Regierungskoalition eingebrachten Gesetz-
entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Fünf-
ten Buches Sozialgesetzbuch – ein sehr komplizierter Ti-
tel; die Leute verstehen das kaum. Die Presse, die ja die
Aufgabe hat, die Dinge etwas klarer zu stellen, hat diesem
Gesetzentwurf, wie ich finde, einen besseren Titel gege-
ben: Die Regierungskoalition beginnt mit Wahlgeschen-
ken an die Rentner.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde, damit hat die Presse es genau auf den Punkt ge-
bracht.

Was lag denn vor? Es lag in der Tat ein Urteil des Bun-
desverfassungsgerichtes vor, in dem gesagt wurde: Ihr
müsst die Rentner gleich behandeln; entweder bei den
freiwillig versicherten Rentnern die Nebeneinkünfte bei
der Beitragsbemessung nicht mehr wie bisher mitberück-
sichtigen oder umgekehrt bei den pflichtversicherten
Rentnern neben der Rente auch die Nebeneinkünfte zur
Beitragsbemessung heranziehen. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat also gefordert: Gesetzgeber, du musst
alle gleich behandeln. Das ist ja auch okay. Weiter hat es
gesagt: Wie du, Gesetzgeber, diese Gleichbehandlung
herstellst, ist dir überlassen; das sollst du sagen.


(Fritz Schösser [SPD]: Wie soll er es denn tun, Herr Fink?)


Zu den Aussagen, die ich gerade gehört habe, man sei
noch nicht so weit und müsse verantwortlich damit um-
gehen usw.,


(Fritz Schösser [SPD]: Sagt Herr Seehofer!)





Fritz Schösser

21457


(C)



(D)



(A)



(B)


sage ich, lieber Fritz Schösser – Herr Schösser ist ja ein
alter Fahrensmann der Gewerkschaftsbewegung –:


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Er lobt zu Hause auch immer den Stoiber!)


Zwei Jahre habt ihr Zeit gehabt. Das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts ist nicht erst gestern oder vor drei
Monaten oder vor sechs Monaten ergangen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nein, vor zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht
gesagt: Gesetzgeber, du musst handeln. Dafür hat es dem
Gesetzgeber zwei Jahre Zeit gegeben.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wir handeln doch auch! So etwas muss man gründlich machen!)


Ich habe damals schon gesagt, dass ich sehr gespannt
bin, in welche Richtung die SPD gehen wird und ob sie
vor der Bundestagswahl den Mut aufbringt, das zu tun,
was sie in ihr Wahlprogramm von 1996 hineingeschrieben
hat.


(Detlef Parr [FDP]: Hört! Hört!)

Da steht nämlich ausdrücklich drin:

Die SPD schlägt vor: eine gerechtere Bemessungs-
grundlage in der Rentner-Krankenversicherung
durch Einbeziehung von Nebeneinkünften.

Das war der Beschluss von 1996.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Dann stand dort:
Schluss mit der Flickschusterei der Regierung Kohl.

Das war sozialdemokratische Beschlusslage 1996.

(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)

Was müssen wir heute feststellen? Heute hat die Re-

gierungskoalition jeglicher Mut verlassen. Sie hat nicht
einfach gesagt: „Wir machen in dieser Frage gar nichts“,
sodass der ursprüngliche Rechtszustand wieder herge-
stellt worden wäre. Nein, es gibt noch ein paar Rentner,
denen unter Umständen etwas Böses geschehen wäre. Als
Konsequenz wurde ein Gesetzentwurf, der der Besitz-
standswahrung dient, vorgelegt; die niedrigen Beiträge
werden beibehalten.

In der Begründung Ihres Gesetzentwurfes steht ein
wirklich verräterischer Absatz. Da steht doch tatsächlich:

Eine gesetzliche Regelung des Mitgliedschafts- bzw.
Beitragsrechts von Rentnern entsprechend den Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichts erscheint zum
gegenwärtigen Zeitpunkt ... nicht sachgerecht, weil
keine Präjudizierung der Frage der künftigen Gestal-
tung des Beitragsrechts der gesetzlichen Kranken-
versicherung vorgenommen werden sollte.

(Fritz Schösser [SPD]: Genau das sagt Seehofer! Sie sind sich nicht grün in der eigenen Fraktion! – Gegenruf des Abg. Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist euer Gesetzentwurf!)


Die vom Bundesverfassungsgericht geforderten
Regelungen sollten daher in den Kontext einer
grundlegenden Neuregelung des Beitragsrechts für
alle Versichertengruppen gestellt werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421604400
Erlauben Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner, Herr Kollege
Fink?


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1421604500
Ja, gerne.


Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1421604600
Kollege Fink, Sie
sind ja als Experte bekannt, der darum bemüht ist, sich für
sachgerechte Regelungen einzusetzen.


(Susanne Kastner [SPD]: Das ist aber neu!)

Würden Sie uns bitte erklären, welchen konkreten Ge-
genvorschlag Sie und Ihre Partei machen?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr seid doch an der Regierung! Ihr müsst doch mal einen Vorschlag machen! – Gegenruf des Abg. Fritz Schösser [SPD]: Wir können ja in dem neuen Papier aus Baden-Württemberg nachlesen, was sie wollen! Von Bayern mit unterzeichnet!)


Denn das Parlament hat ja die Aufgabe, sich auszutau-
schen.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1421604700
Ja, Kollege, das kann ich sagen.
Wir haben der Regierungskoalition in den letzten dreiein-
halb Jahren immer wieder gesagt: Es war einfach ein Feh-
ler, dass Sie mit Ihrem ersten Gesetz die Neuordnungen
bei der Selbstbeteiligung, beim Zahnersatz und bei vielen
anderen Fragen – sie sind notwendig – zurückgenommen
haben. Sie haben damit die Krankenversicherung mit
1 Milliarde DM mehr belastet.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das war sehr gut, Herr Fink!)


Wir haben darüber hinaus gesagt: Sie müssen dringend
eine Reform des Risikostrukturausgleichs vornehmen.
Sie haben als Erstes das Gutachten, das wir dafür in Auf-
trag gegeben hatten, gecancelt,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)

nach dem Motto: Wir brauchen das alles nicht zu machen.
Die Konsequenz ist, dass Sie jetzt nur eine Flickschuste-
rei haben machen können.

Sie haben darüber hinaus immer wieder gesagt: Wir
brauchen gar nicht grundlegend an das Gesundheitssys-
tem heranzugehen; vielmehr wird sich das schon von al-
leine gestalten.


(Fritz Schösser [SPD]: Das haben wir nie gesagt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Von wem haben Sie das denn?)


Heute sagen Sie: Jawohl, wir brauchen eine grundlegende
Gesundheitsreform.




Ulf Fink
21458


(C)



(D)



(A)



(B)


Lieber Herr Kollege, das eigentliche Problem lautet:
Dreieinhalb Jahre sind der Gesundheitspolitik verloren
gegangen. Sie sind in die falsche Richtung gegangen.


(Fritz Schösser [SPD]: Sagen Sie auch etwas zum Gesetz, Herr Fink?)


Sie haben dabei eine Flickschusterei nach der anderen ge-
macht. Da kommen Sie natürlich zum Schluss nicht mehr
hin. Sie haben Angst vor dem Wähler – das ist mir schon
klar – und sagen: Dann machen wir es einmal so.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Ach du lieber Gott!)


Das werden die Wähler merken.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Es fragt sich, wer Angst haben muss!)

Denn eines ist doch klar: Durch diese Regelungen oder
dadurch, dass Sie nichts getan haben, gehen den Kran-
kenversicherungen weitere 300 oder 400 Millionen Euro
pro Jahr verloren. Die Krankenversicherungen heben ihre
Beitragssätze jetzt schon flächendeckend an. Vorher hat
es geheißen: 13,5 Prozent, das ist es. Mittlerweile sagen
alle: 14 Prozent.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Ein echtes Schmuckstück für Schröder! Zahlen, dass es kracht!)


Jetzt kommt noch einmal neuer Beitragsdruck. Wer zahlt
das zum Schluss? Das sind doch alle Versicherten, auch
die Rentner. Denjenigen, denen Sie mit der einen Hand
ein Wahlgeschenk geben, nehmen Sie es mit der anderen
Hand gleich wieder weg.


(Beifall bei der CDU/CSU – Regina SchmidtZadel [SPD]: Wo denn? Beispiele!)


– Wie wollen Sie denn die Beitragsausfälle, die jetzt kom-
men, wettmachen? Sie haben doch ohnehin schon Druck
im Beitragssatzschlauch.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wo nehmen wir es denn? Beispiele!)


Jetzt kommen noch 300 oder 400 Millionen Euro hinzu.
Wie sollen die Krankenkassen das ausgleichen?


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Barmer Ersatzkasse! Techniker-Krankenkasse! AOK Hessen!)


Frau Schmidt-Zadel, Herr Rebscher hat Ihnen doch
vorgerechnet, welche Lasten Sie in der letzten Zeit auf die
Krankenkassen verlagert haben:


(Fritz Schösser [SPD]: Ein Bruchteil von dem, was Sie angestellt haben, Herr Fink!)


Arbeitslosenhilfe, Rente und dergleichen mehr. Ständig
haben Sie den Etat von Herrn Eichel zulasten der Kran-
kenkassen entlastet. Er hat dennoch einen blauen Brief
aus Brüssel bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was müssen die armen Leute machen? Sie müssen die
Beitragssätze erhöhen. Wer zahlt das? Das sind genau die-
selben Leute, denen Sie vor der Wahl sagen: Ihr werdet
entlastet. – Das ist genau der Punkt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Genau dieselben Leute, denen Sie alles aus der Tasche genommen haben! 16 Jahre lang!)


Sie werden einsehen müssen, dass die Krankenversi-
cherung der Rentner eine zentrale Rolle bei der künftigen
Reform des Gesundheitssystems spielen wird. Sie wissen
vielleicht, dass zu Beginn, in den 50er-Jahren, die Kran-
kenversicherung der Rentner überwiegend durch Beiträge
der Rentner gedeckt wurde. Der Anteil, den die Rentner
zur Deckung beitragen, ist danach aber immer weiter ge-
sunken. Mittlerweile sind nur noch 40 Prozent der Ausga-
ben durch die Beiträge der Rentner für die Krankenversi-
cherung gedeckt. Diesen Zustand werden Sie nicht in alle
Zukunft prolongieren können.

Sie wissen ganz genau, dass dieses Problem für die ge-
setzliche Krankenversicherung immer gravierender wer-
den wird; es ist nämlich demographisch begründet: Die
Zahl der Rentner steigt.


(Fritz Schösser [SPD]: Vier Jahre DGB! Sie haben nichts dazu gelernt!)


Wenn Sie nun ein Signal geben, dass Sie den Deckungsgrad
weiter verringern, dann kommen Sie doch nie zurecht.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Die Grundrechenarten sind das!)


Diese Regelung kann doch für die Zukunft nicht taugen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)


Sie werden nicht darum herumkommen, auch in die-
sem Bereich eine grundsätzliche Neuorientierung vorzu-
nehmen; denn wenn Sie so weitermachen, dann werden
Sie – Herr Müller, Ihr Wirtschaftsminister, hat dazu ein
Gutachten in Auftrag gegeben und hat Ihnen das vorge-
rechnet – auf Beitragssätze von 31 Prozent kommen.
Durch die von Ihnen jetzt beabsichtigten Maßnahmen er-
höhen Sie das jetzt auch noch.


(Susanne Kastner [SPD]: Bei Ihnen ewige Zuzahlungen, Herr Fink! Nur Zuzahlungen!)


Ich sage Ihnen: Die Wählerinnen und Wähler werden
sich durch eine solche Maßnahme, wie sie die Regie-
rungskoalition jetzt vorgenommen hat, nicht täuschen las-
sen. Das wird nach der Wahl wieder einkassiert werden;
aus einer Entlastung wird dann eine Belastung werden.
Ich finde, das haben die Leute nicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421604800
Bevor ich das
Wort dem nächsten Redner gebe, frage ich Sie, ob Sie da-
mit einverstanden sind, dass die Reden der Kollegin Karin
Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, und der Kolle-
gin Dr. Ruth Fuchs von der PDS zu Protokoll gegeben
werden.1) – Ich höre dazu keinen Widerspruch.




Ulf Fink

21459


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Ich rufe als nächsten Redner in der Debatte den Abge-
ordneten Detlef Parr auf.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1421604900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ulf Fink hat doch Recht: Still ruhte der See.
Sehr spät, acht Wochen vor Ablauf der gesetzten Frist,
reagiert die Bundesregierung jetzt auf den Spruch der
Karlsruher Richter. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Bundesregierung wäre dem Urteil des Bundes-

verfassungsgerichtes auch durch Nichtstun nachgekom-
men, wenn sie das gewollt hätte. Dann wäre der alte
Rechtszustand von 1993 wieder hergestellt worden. Frei-
willig Versicherte, die die erleichterten Zugangsbedin-
gungen des alten Rechts erfüllt hätten, wären wieder in die
Krankenversicherung der Rentner gekommen. Das hätte,
Herr Schösser, die durch folgenreiche Fehlentscheidun-
gen der Bundesregierung bereits schon jetzt gebeutelte
GKVmit circa 250 Millionen Euro Mindereinnahmen zu-
sätzlich belastet.


(Fritz Schösser [SPD]: Die folgenreiche Fehlentscheidung war 1993!)


Das ist vor dem Hintergrund der eben erst in Kraft getre-
tenen Beitragserhöhungen schon schlimm genug.

Wir haben den Wahltag vor Augen und stellen fest: Die
Bundesregierung wird zunehmend nervös.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ach, Herr Parr!)


Sie gehen mit dem Änderungsgesetz, das Sie heute vorle-
gen, sogar über die Vorgabe des Bundesverfassungsge-
richtes hinaus, ohne das zu müssen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421605000
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Kirschner?


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1421605100
Selbstverständlich gestatte ich
gerne eine Zwischenfrage des Vorsitzenden meines Aus-
schusses.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1421605200
Verehrter Herr Kollege Parr,
Sie haben schon zu Recht auf das Urteil aus Karlsruhe
hingewiesen. Können Sie dem Hohen Haus vielleicht da-
rüber Auskunft geben, welche Ursachen das Urteil hat,
auf welches Gesetz es sich bezieht und ob die FDP-Frak-
tion diesem Gesetz zugestimmt hat?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die SPD hat zugestimmt!)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1421605300
Es geht zunächst einmal um die
Verfassungsmäßigkeit, und den Gleichbehandlungs-
grundsatz. Ich persönlich bin für das, was in der betref-
fenden Legislaturperiode gelaufen ist, nicht verantwort-
lich.


(Fritz Schösser [SPD]: Zugestimmt oder nicht zugestimmt?)


Auch die SPD – Herr Kollege Zöller hat eben darauf
aufmerksam gemacht – hat zugestimmt. Frau Schmidt-
Zadel, insofern sind wir gar nicht auseinander.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Fritz Schösser [SPD]: Die Gunst der späten Geburt!)


Ich komme zu der Situation zurück, die wir heute vor-
finden. Zum einen enthält der Gesetzentwurf folgende
Regelung: Entgegen der bisherigen, vom Verfassungsge-
richt gerügten Praxis werden von April an bei der Be-
rechnung der Kassenbeiträge der freiwillig versicherten
Rentner die Einkünfte aus Kapitalerträgen, Vermietung
und Verpachtung nicht mehr und Einnahmen aus Be-
triebsrenten nur noch zum Teil angerechnet. Dazu kommt
aber noch Folgendes: Die Bundesregierung eröffnet den
betroffenen Rentnern darüber hinaus die Möglichkeit, in-
nerhalb von sechs Monaten nach In-Kraft-Treten des Ge-
setzes die Wahl zu treffen, ob sie in die KVdR oder frei-
willig versichert bleiben wollen.

Für wen rechnet sich dieses Optionsmodell? Es wird
sich insbesondere für Rentner mit hohen Zusatzeinkünf-
ten sowie für diejenigen rechnen, deren Ehepartner nur
über eine geringe Rente verfügt.

Offen bleibt die Frage, ob dieses Modell der Regierung
den verfassungsrechtlichen Ansprüchen an eine Gleich-
stellung von freiwillig und pflichtversicherten Rent-
nern wirklich genügt.

Denn erstens ist es mehr als ungewöhnlich, dass man
in einem solidarisch finanzierten Sozialversicherungssys-
tem Versicherten die Möglichkeit der Wahl zwischen ei-
nem niedrigeren und einem höheren Beitrag lässt, obwohl
beide mit den gleichen Bedingungen und den gleichen
Leistungen unterlegt sind.


(Beifall bei der FDP)

Es geht also nicht etwa darum, dass jemand die Wahl er-
hält, einen niedrigeren Beitrag zu zahlen und dafür auf
Leistungen zu verzichten oder einen höheren Selbstbehalt
in Kauf zu nehmen. Dieser Gedankengang ist der Regie-
rungskoalition fremd.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sehr fremd!)

Es geht nur darum, dass jemand eine Vorher-Nachher-Be-
rechnung vornimmt und sich dann für das günstigere Mo-
dell entscheidet. Das wird die Krankenkassen zusätzlich
zig Millionen kosten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rege-

lung von 1993 für verfassungswidrig erklärt. Die Bun-
desregierung gibt mit diesem Optionsgesetz jedoch einem
bestimmten Personenkreis die Möglichkeit, an einer sol-
chen verfassungsinkonformen Lösung festzuhalten. Dies
ist ein weiterer Widerspruch in sich.

Drittens. Durch diese Regelung wird eine neue Un-
gleichbehandlung geschaffen, nämlich zwischen denjeni-
gen, die ihren Rentenantrag bis zum 31. März 2002 ge-
stellt haben, und denjenigen, die erst später in Rente
gehen können. Sie schafft zudem eine Ungleichbehand-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
21460


(C)



(D)



(A)



(B)


lung gegenüber den bereits heute in der Krankenversiche-
rung der Rentner Pflichtversicherten. Diese erhalten nicht
die Möglichkeit, sich zwischen einer freiwilligen Versi-
cherung und einer Pflichtversicherung zu entscheiden.

Frau Ministerin, Sie haben versprochen, niemand solle
durch die Neuregelung schlechter gestellt werden. Wir
werden Sie im Gesetzgebungsverfahren daran messen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur das Stichwort
„Kostenerstattung“ nennen.

Viertens. Die Option für einen niedrigeren Beitragssatz
ist von der Versichertengemeinschaft zu tragen. Die
Beitragsverluste erhöhen den Druck auf die Beitrags-
sätze der gesetzlichen Krankenversicherung zusätzlich.
Auch die Arbeitgeber, die immer mit der Hälfte dabei
sind, haben somit etwas von dieser Regelung, um es iro-
nisch auszudrücken.

Fünftens. Wie von Grünen und Sozialdemokraten ei-
gentlich nicht anders zu erwarten, ist mit dem Options-
modell ein ungeheurer bürokratischer Aufwand verbun-
den.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: So sind sie immer!)


Jetzt möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen
Frau Schmidt-Zadel: Opa ist zurzeit freiwillig versicher-
ter Rentner. Nunmehr erhält Opa zum 1. April eine Nach-
richt seiner Krankenversicherung, dass er wieder pflicht-
versichert ist.


(Susanne Kastner [SPD]: Keine Diskriminierung von Omas und Opas!)


Eine neue Beitragsberechnung ist beigefügt, die neue
Krankenversichertenkarte ebenfalls. Der Rentenversiche-
rungsträger stellt den Rentenbescheid um. Auch dieses
Schreiben erfreut unseren Opa. Es ist ja schön, wenn man
Post bekommt.

Monate später kommt sein Enkel zu Besuch. Opa freut
sich wieder. Dieser Enkel stellt fest, dass Opa mehr be-
zahlt, als er bezahlen müsste. Opa teilt der Krankenkasse
mit, dass er doch lieber freiwillig versicherter Rentner
bleiben möchte. Die Krankenkasse nimmt eine Nachbe-
rechnung der letzten Monate vor. Sie stellt die Beitrags-
berechnung um und schickt ihm eine neue Krankenversi-
chertenkarte. Sämtliche Rentenbescheide der letzten fünf
Monate müssen revidiert und die Weichen für die Zukunft
richtig gestellt werden.


(Fritz Schösser [SPD]: Weil ihr 1993 Murks gemacht habt!)


– Dies alles, Herr Schösser, gibt es natürlich nicht zum
Nulltarif. – Die Beitragssätze steigen und Opa bezahlt so
viel wie vorher, nur ist er diesmal nicht mehr allein, son-
dern in Gesellschaft all der anderen Versicherten um ihn
herum. Das ist Solidarität verkehrt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Was ist denn das Ende der Geschichte?)


Meine letzte Bemerkung: Mit ihrer an Inflation gren-
zenden Gesetzesflut erhöht die Bundesregierung mit jeder

Teilmaßnahme den Reformdruck, ohne ein schlüssiges
Gesamtkonzept für eine den Patienten und Ärzten die-
nende Gesundheitsreform im Kopf zu haben, geschweige
denn vorzulegen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wenn Sie wüssten, was wir im Kopf haben!)


– Ich wage die Prognose, Frau Schmidt-Zadel: Sie kom-
men aus Ihren selbst gestellten Fallen nicht mehr heraus.
Sie werden mit Ihrer Gesundheitspolitik scheitern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Schade, dass ich mit Ihnen keinen Wahlkampf mehr machen kann!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421605400
Das Wort hat
jetzt die Frau Bundesministerin für Gesundheit, Ulla
Schmidt.


(von der SPD mit Beifall begrüßt)

Kolleginnen und Kollegen! Es geht nur um die Verfas-
sungsmäßigkeit,Herr Parr. Das ist richtig. Wenn ich bös-
artig wäre, würde ich sagen: Wir haben uns mit so vielen
Verfassungsgerichtsurteilen zu beschäftigen, weil Sie bei
Ihren Gesetzesvorhaben erst an letzter Stelle auf die Ver-
fassungsmäßigkeit geachtet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Ihr habt alle mit beschlossen! Sie waren auch dabei, Frau Schmidt! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Sie haben es mit beschlossen!)


– Herr Kollege Zöller, darüber wollen wir jetzt aber nicht
diskutieren.

Die Frage ist vielmehr: Worum geht es hier? Herr Kol-
lege Fink, es ist keine späte, sondern eine sehr gut über-
legte Reaktion. Es geht hier nicht um Wahlgeschenke für
Rentner und Rentnerinnen, sondern um eine gerechte Lö-
sung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine Tatsache!)


Meine Auffassung von Elterngeneration ist eine andere
als die Ihrige. Ich sehe, dass in diesem Fall zu Recht die
Beseitigung einer Ungerechtigkeit in Bezug auf


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Jetzt wird es spannend!)


diejenigen, die pflichtversichert sind, und diejenigen, die
freiwillig versichert sind, angemahnt wurde. Die freiwil-
lig versicherten Rentnerinnen und Rentner sind der
Solidargemeinschaft ihr Leben lang treu geblieben und
haben in die gesetzliche Krankenversicherung eingezahlt.
Sie haben damit Anspruch darauf, genauso behandelt zu
werden wie diejenigen, die als Pflichtversicherte in der
Solidargemeinschaft bleiben mussten;


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber das Gegenteil machen Sie!)





Detlef Parr

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(C)



(D)



(A)



(B)


denn die freiwillig versicherten Rentnerinnen und Rent-
ner hätten in jüngeren Jahren auch den Weg in die private
Versicherung wählen können, wie es viele, die am Ende
des Erwerbslebens gern wieder in die Solidargemein-
schaft zurückkommen würden, getan haben. Das ist der
Unterschied.


(Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Bis jetzt alles richtig, es ist aber keine Begründung für Ihr Gesetz!)


Meine Damen und Herren, deshalb werde ich gemein-
sam mit den Koalitionsfraktionen mit diesem Gesetz
dafür sorgen, dass diejenigen, die der Solidargemein-
schaft treu geblieben sind, im Alter zu den gleichen Be-
dingungen versichert werden wie diejenigen, die pflicht-
versichert waren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Gericht hat ja auch ausdrücklich gesagt, dass der Sta-
tus eines Versicherten während der Erwerbstätigkeit nicht
ausschlaggebend dafür sein kann, welcher Status ihm im
Rentenalter zukommt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421605500
Frau Ministerin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421605600
Bitte
schön.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1421605700
Frau Ministerin, was
Sie eben gesagt haben, kann von jedem, der hier sitzt,
nachvollzogen werden. Gerade das Gegenteil tun Sie
aber.

Sie sagen, Sie wollen eine Gleichbehandlung zwischen
den freiwillig Versicherten und den Pflichtversicherten in
der gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre Regierung
hat das genaue Gegenteil beschlossen, indem sie zum Bei-
spiel den freiwillig Versicherten die Möglichkeit der
Kostenerstattung lässt, den anderen diese aber genom-
men hat. Das ist eine Ungleichbehandlung. Oder sehen
Sie das anders?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1421605800
Wir
können über dieses Thema im Zusammenhang mit den
weiteren Reformbemühungen noch einmal reden.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Der übliche Spruch!)


Darum geht es nicht. Es geht nicht um die Frage: Kosten-
erstattung bei freiwillig Versicherten und anderen – Ja
oder nein?

Herr Kollege Zöller, heute geht es um die Frage, ob wir
Respekt davor haben, was die ältere Generation für den
Aufbau dieses Landes getan hat, und davor, dass sie die
Solidarsysteme gestützt hat. Als junge Menschen haben
sie nämlich alle eingezahlt und dadurch den Anspruch er-
worben, dass sie, wenn sie älter werden, häufiger einen

Arzt oder das Gesundheitswesen in Anspruch nehmen
können als Jüngere.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist am Thema vorbei!)


Es ist eine Solidargemeinschaft, wo Junge für Alte, Ge-
sunde für Kranke, Singles für Familien und Menschen mit
hohem für Menschen mit niedrigem Einkommen einste-
hen. Nur so funktioniert dieses System. Deshalb sagen
wir: Wer neun Zehntel der zweiten Hälfte seines Berufs-
lebens Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung
war, erhält im Rentenalter den Zutritt zur KVdR, der
Krankenversicherung der Rentner, als Pflichtmitglied.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Kein Problem!)


Nun kommt eine Gruppe von Personen hinzu – sie wur-
den auch angesprochen –, die in den zehn Jahren, in de-
nen das andere Gesetz galt, freiwillig versicherte waren
und ausschließlich Rente beziehen. Wir sagen: Wir wol-
len nicht, dass es denjenigen, die einen bestimmten Status
haben und Beitragszahlungen leisten, durch diese Neure-
gelung schlechter geht. Das Gericht hat nämlich gesagt,
dass Differenzierungen durchaus möglich sind. Deshalb
geben wir jedem einmalig die Möglichkeit, für sich zu
entscheiden, ob der alte Status beibehalten werden soll.
Das gilt nicht für diejenigen, die ab dem 1. April 2002
Rentner oder Rentnerin werden bzw. in den Ruhestand ge-
hen, sondern das gilt nur für diejenigen, die schon jetzt ei-
nen bestimmten Status haben und diesen nicht verändern
möchten. Es ist recht und billig, diesen Versicherten einen
Vertrauensschutz zu gewähren. Dabei geht es nicht um
den Opa.

Ich glaube nicht, dass die älteren Menschen, die mir in
Briefen ihre Sorgen schreiben, Mitteilungen der Kran-
kenkasse nicht verstehen. Sie wissen sehr wohl, wie sie
darauf zu reagieren haben.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie müssen sich nicht vom Enkel aufklären lassen!)


Aber weil man diese Dinge natürlich auch besprechen
will, haben wir eine Frist eingeräumt, während der sich
die Menschen entscheiden können. Es ist recht und billig,
dass sich eine Regierung darüber Gedanken macht, ob die
Rentnerinnen und Rentner mit dieser Situation zu-
rechtkommen. Sie können sich entscheiden und haben
hier die Wahlfreiheit, die Sie sonst immer fordern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlef Parr [FDP]: Aber dann bitte durchgängig!)


Insofern halte ich das, was hier vorgelegt wurde, für
den richtigen Weg. Ich halte ihn auch in der Hinsicht für
angemessen, dass man die jahrelangen Beitragsleistungen
der Menschen berücksichtigt.

Sie haben angesprochen, dass in unserem Gesetzent-
wurf keine Präjudizierung der Frage der künftigen Ge-
staltung vorgenommen wird, weil das Gericht auch die
Möglichkeit eingeräumt hat, dass jeder, der jahrelang in




Bundesministerin Ulla Schmidt
21462


(C)



(D)



(A)



(B)


die Versicherung eingezahlt hat, nach seinem Ausschei-
den aus dem Erwerbsleben auf alles Beiträge zahlt. Die-
sen Weg gehen wir nicht, weil wir keine Ungleichbe-
handlung zwischen der aktiven und der nicht mehr
aktiven Generation wollen. Dass andere Dinge disku-
tiert werden, wissen Sie genauso gut wie ich.

Ich persönlich sage Ihnen: Ich halte die Vorschläge,
sonstige Einkommen einzubeziehen, für nicht sozial ge-
recht. Unsere Beitragsbemessungsgrenze liegt bei
3 375 Euro. Es würden immer nur diejenigen getroffen,
die unterhalb dieser Grenze von 3 375 Euro im Monat lie-
gen. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit
kein gangbarer Weg.

Dass wir langfristig, wenn sich die Lohnquote immer
weiter nach unten entwickelt, überlegen müssen, wie auch
in 10, 20 oder 30 Jahren die Finanzierung gesichert wer-
den kann, ist eine ganz andere Frage. Aber diese Frage
wird dann alle betreffen. Sie muss für alle geregelt wer-
den, nicht nur für die ältere Generation, während man die
aktive Generation außen vor lässt.

Um das deutlich zu machen: Ich bin nicht der Auffas-
sung, dass wir an dem Punkt sind, an dem wir das regeln
müssten. Das wird auch in der nächsten Legislaturperiode
nicht der Fall sein. Denn wir haben ein System, welches
das vorhandene Geld nicht optimal einsetzt. Das weiß je-
der, der in der Gesundheitspolitik etwas zu sagen und mit
ihr zu tun hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Auffassung ist: Wenn wir jetzt über eine Ver-
breiterung der Finanzierungsgrundlagen reden, um
mehr Geld ins System zu bekommen,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Darüber reden wir doch schon lange!)


dann gibt es in diesem System überhaupt keine Reform
mehr, sondern es bleibt weiter dabei, dass wir Ineffizien-
zen, Doppeluntersuchungen und Parallelbehandlungen
haben, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Wir wer-
den zu keiner Qualitätssicherung und zu keiner verbes-
serten Versorgung der chronisch kranken Menschen ge-
langen.

Wenn wir die Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen
und die Qualität der Versorgung gestärkt haben, dann erst
wird irgenwann der Punkt kommen, an dem wir das Bei-
tragssystem ändern müssen, weil die Einnahmenbasis
nicht ausreicht. Dieser Punkt wird aber viel später eintre-
ten. Deswegen kann ich auch klar sagen: Dies wird auch
in der nächsten Legislaturperiode nicht anstehen, wenn
wir weiterhin regieren, wovon ich ausgehe.


(Detlef Parr [FDP]: Das wird der Wähler beantworten!)


Die Menschen können in der Gesundheitspolitik sehr
genau unterscheiden: Wollen sie auch in Zukunft ein Ge-
sundheitssystem, das jedem, der krank ist, das medizi-
nisch Notwendige ohne Ansehen der Person und des Ein-
kommens zur Verfügung stellt? Oder wollen sie einen
Weg gehen, wie ihn viele aufseiten der Opposition befür-

worten, bei dem die Leistungen im Gesundheitswesen
vom Einkommen abhängen, weil man Grund- und Wahl-
leistungen hat?


(Detlef Parr [FDP]: Da gilt die Wahlfreiheit auf einmal nicht mehr ! Da spielt die Wahlfreiheit keine Rolle!)


Mit uns wird es diesen Weg nicht geben.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421605900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Aribert Wolf.


(Fritz Schösser [SPD]: Die Abschiedsrede von Wolf! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)



Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1421606000
Keine Sorge, Herr
Schösser, es gibt auch noch einen Bundesrat. Vielleicht
können wir uns dann dort wieder unterhalten.


(Fritz Schösser [SPD]: Ach Gott, ach Gott, Herr Wolf! Da dreht sich ja der Stoiber im Grabe um!)


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! In der letzten Woche hat die rot-grüne Bundes-
regierung ihr ganzes „Können“ richtig unter Beweis ge-
stellt: ein Innenminister, der sein Haus nicht im Griff hat
und damit das NPD-Verbotsverfahren zu vergeigen droht,
ein Verteidigungsminister, der nicht in der Lage ist,
73 Flugzeuge nach dem Haushaltsrecht richtig zu bestel-
len, ein Finanzminister, der einen blauen Brief aus Brüssel
bekommt. Wenn diese tolle Truppe dann so richtig in Ak-
tion ist, dann darf natürlich auch die Gesundheitsminis-
terin nicht fehlen.

Um zu zeigen, wie unprofessionell und kurzatmig un-
ter Ulla Schmidt gearbeitet wird,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wissen die SPD-Leute nicht!)


werfen wir einen Blick auf die Entstehungsgeschichte des
uns heute vorliegenden Gesetzentwurfs oder erinnern wir
daran, dass heute im Bundesrat ein Gesetz der rot-grünen
Bundesregierung, an dem unter Ulla Schmidt weiter ge-
arbeitet worden ist, das Fallpauschalengesetz, ebenfalls
mit großer Mehrheit zurückgewiesen worden ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Abgelehnt, nicht einmal in den Vermittlungsausschuss verwiesen!)


Man sieht: Die rot-grüne Gesundheitspolitik steht vor ei-
ner Wand. Sie ist komplett gescheitert.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie auch, Herr Wolf!)


Auch mit dem, was heute vorliegt, werden Sie keine Pro-
bleme lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Bundesministerin Ulla Schmidt

21463


(C)



(D)



(A)



(B)


Kollege Ulf Fink hat bereits darauf hingewiesen: Vor
zwei Jahren, nämlich am 15. März 2000, hat das Bundes-
verfassungsgericht den Gesetzgeber dazu aufgefordert, in
der Krankenversicherung der Rentner neue Regelungen
einzuführen. Es hat dafür eine Frist bis zum 31. März
2002 gesetzt. Diese Frist läuft bald ab.

Bis zur vorletzten Woche hieß es im Gesundheitsaus-
schuss noch, dass Rot-Grün gar kein Gesetz hat, man sich
vor einer gesetzgeberischen Entscheidung drücken und
stattdessen das machen will, was das Verfassungsgericht
in dem Urteil ebenfalls als Möglichkeit aufgezeigt hat:
Macht der Gesetzgeber nichts, bleibt es bei der alten
Rechtslage.

Ich habe letzte Woche im Gesundheitsausschuss
Staatssekretärin Schaich-Walch gefragt, ob es ein Gesetz
zur KVdR geben und was gegebenenfalls dessen Inhalt
sein werde. Sie konnte mir weder sagen, ob es ein Gesetz
geben wird, noch Auskunft geben, was in einem solchen
Gesetz stehen könnte.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war vor einer Woche!)


Selbst als ich am Dienstag dieser Woche im Ausschuss
noch einmal nachfragte, war die Regierung nicht in der
Lage, mir über ein solches Gesetz Auskunft zu geben.

Heute wird uns von Rot-Grün ein Gesetz auf den Tisch
gelegt, das mit so heißer Nadel gestrickt ist, dass man
förmlich spüren kann, wie warm das Papier noch ist, auf
dem der Gesetzentwurf gedruckt ist.


(Susanne Kastner [SPD]: Das Papier hat davon Löcher!)


Ich fühle mich davon peinlich an die „ruhige Hand“ des
Kanzlers erinnert. Er hat ja auch monatelang nichts zur
Ankurbelung der Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt ge-
tan.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie müssen es ja besser wissen!)


Jetzt plötzlich fällt ihm ein, dass man schnell ein paar
showmäßige Einzelaktionen starten muss. Leider läuft es
auch in der Gesundheitspolitik auf diese Weise. Das ist
kein überlegtes Regieren, sondern hektischer Aktionis-
mus pur. Damit lösen wir die Probleme im Gesundheits-
wesen leider nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Wenn es den Rentnern dient, ist es doch in Ordnung!)


Dem traurigen Kapitel rot-grüner Gesundheitspolitik,
das unter der Überschrift „Keine Konzepte – wieder eine
Reformchance vertan“ steht, wird heute ein neuer Absatz
angefügt. Aber nicht nur die Entstehungsgeschichte die-
ses Gesetzes spricht Bände; auch der Inhalt wirft ein be-
zeichnendes Licht auf den Zustand der rot-grünen Koa-
lition und ihre Gesundheitspolitik.

Zunächst eine freudige Nachricht: Es ist richtig, dass
die vielen freiwillig versicherten Rentner aufgrund dieses
Gesetzes weniger Krankenkassenbeiträge zahlen müssen.
Wenn der Bürger etwas geschenkt bekommt, dann ist das

normalerweise ein Grund zur Freude. Warum kommt aber
draußen in der Öffentlichkeit keine rechte Freude auf?
Das hat mehrere Gründe.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Wege aufge-
zeigt, die der Gesetzgeber gehen kann. Das Bundesver-
fassungsgericht hat zum einen gesagt: Der Gesetzgeber
kann das, was für pflichtversicherte Rentner gilt, auch
für die freiwillig versicherten Rentner regeln. Zum an-
deren hat das Bundesverfassungsgericht aber gesagt, Frau
Schmidt: Gleichbehandlung ist auch dann gewährleistet,


(Ulla Schmidt, Bundesministerin: Ja!)

wenn man den umgekehrten Weg geht, indem man die
pflichtversicherten Rentner den freiwillig versicherten
gleichstellt und im Gesetz die Bemessungsgrundlage ver-
breitert.

Was Sie heute machen, entspricht nicht dem, was das
SPD-Präsidium am 25. April 1996 beschlossen hat und
was Sie vor der Wahl angekündigt haben.


(Fritz Schösser [SPD]: Wozu haben Sie uns gerade den zweiten Weg empfohlen? Was wollen Sie denn? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr täuscht doch die Wähler!)


– Das haben Sie selbst beschlossen, Herr Schösser; das ist
doch der Punkt. Wieso tun Sie denn etwas anderes, als Sie
selbst beschlossen haben?


(Fritz Schösser [SPD]: Was wollen Sie? Nicht ablenken! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Maoam!)


Sie sind doch an der Regierung. Im Beschluss des SPD-
Präsidiums vom 25. April 1996 – ich lese es Ihnen vor;
dieses Papier müssten Sie kennen – heißt es:


(Fritz Schösser [SPD]: Sie drücken sich um eine Antwort!)


„Die SPD schlägt vor: gerechtere Bemessungsgrundlage
für die Rentnerkrankenversicherung durch Einbeziehung
von Nebeneinkünften“ in die Beitragszahlungen.


(Susanne Kastner [SPD]: Herr Wolf weiß selber nicht, was er will!)


Frau Schmidt, das haben Sie 1996 beschlossen. Jetzt
aber machen Sie das genaue Gegenteil dessen, was Sie
damals beschlossen haben. Das ist kein Konzept, sondern
kurzatmiges Handeln. Weil Sie merken, dass Sie in einem
Umfragetief sind und es sich nicht mehr leisten können,
den Menschen die Wahrheit zu sagen, wollen Sie kurzfris-
tig Wahlgeschenke machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Sie schimpfen hier nur und wissen auch nicht, was Sie wollen!)


Die Menschen draußen durchschauen Ihr Vorgehen.
Sie gewinnen damit keinerlei Vertrauen in die Gesund-
heitspolitik. Die Menschen wissen, dass das ein Danaer-
geschenk ist.


(Susanne Kastner [SPD]: Was?)





Aribert Wolf
21464


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie kennen die Geschichte von Troja: Als die Griechen
nach langer Belagerungszeit ein hölzernes Pferd als Ge-
schenk zurückließen, haben haben die Trojaner dieses
Pferd in ihre Stadt hineingenommen und gefeiert. Des
Nachts sind Soldaten aus dem Pferd herausgekommen
und haben die ganze Stadt niedergebrannt. So geht es auch
den Rentnerinnen und Rentnern, meine Damen und Her-
ren: Jetzt bekommen sie kurzfristig eine Beitragsentlas-
tung.Nach kurzer Zeit aber – nach der Wahl – steigen die
Krankenversicherungsbeiträge und hinterher zahlt jeder
mehr an die Krankenversicherung als heute. Das ist keine
seriöse Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Frau Schmidt, Sie wissen doch, dass die Finanzlage der

Krankenkassen angespannt ist. Nach wie vor drohen Mil-
liardendefizite. Alle Kassen überlegen, ob sie ihre
Beiträge erhöhen müssen. Das Gesetz, das Sie heute ein-
gebracht haben, hätte zur Folge, dass wieder 300 Milli-
onen Euro weniger bei den Krankenkassen landen, als es
bei einer vernünftigen Politik der Bundesregierung der
Fall wäre. Ihre Nachfolger laufen sich ja schon warm.
Herr Gerster geht schon forsch daran und glaubt, dass er
Sie bald ablösen kann.


(Fritz Schösser [SPD]: Genau so forsch wie die Frau Stamm!)


Er ist auch etwas mutiger und sagt zum Beispiel – auch
das lese ich Ihnen vor, wenn Sie wollen, Herr Schösser –,


(Fritz Schösser [SPD]: Genau so forsch wie Frau Stamm! Das hätte ich an Ihrer Stelle aus der Rede herausgestrichen!)


er sei der Meinung, dass die Dinge in eine andere Rich-
tung gedreht werden müssten.

Eines ist auf alle Fälle klar – da können Sie schreien,
was Sie wollen –: Mit diesem Gesetz verabschieden Sie
sich weiter von einem Ziel, das der Bundeskanzler in die-
ser Legislaturperiode in seine Regierungserklärung hi-
neingeschrieben hat: die Sozialversicherungsbeiträge
unter 40 Prozent zu drücken. Wir sind heute bei 41 Pro-
zent. Wenn Sie dieses Gesetz beschließen und damit wei-
ter in die falsche Richtung gehen, drohen den Bürgern
trotz Ökosteuer-Milliarden


(Susanne Kastner [SPD]: Das musste noch kommen!)


weitere Belastungen in der Krankenversicherung. Die
Zielmarge von 40 Prozent ist im Hinblick auf die Sozial-
versicherung in weite Ferne gerückt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Darum ist es leider so, Frau Schmidt: Wenn man kon-

zeptionell schwach ist, kann auch das Schiff der Regie-
rung keinen klaren Kurs fahren. Sie sind wie ein Schiff
ohne Steuermann, das von der einen Welle in die eine
Richtung und zwei Wochen später von der nächsten Welle
in die andere Richtung getrieben wird.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie haben immer so schöne Bilder, Herr Wolf!)


– Das ist leider so traurig. Wir können hier leicht reden.
Die Menschen draußen haben die Zeche aber über erhöhte
Krankenversicherungsbeiträge mit barer Münze zu be-
zahlen.


(Susanne Kastner [SPD]: Früher haben sie noch mehr bezahlt!)


Wenn Sie wirklich Respekt vor den Rentnerinnen und
Rentnern haben, Frau Schmidt, dann müssen Sie ihnen
vor allem die Wahrheit sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist den älteren Menschen gegenüber respektlos, wenn
Sie deren Lebensleistung damit vergelten wollen, dass Sie
ihnen heute eine Mark in die Tasche stecken, nach der
Wahl aber zwei Mark aus ebendieser Tasche herausziehen
wollen.


(Susanne Kastner [SPD]: Wie viel ist das denn in Euro?)


Das ist keine seriöse Politik. Diese Regierung verdient es
allein wegen ihrer Gesundheitspolitik, abgewählt zu wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Das muss man verdoppeln, hat Herr Stoiber gesagt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421606100
Ich schließe da-
mit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überwei-
sung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/8090 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Norbert Hauser

(Bonn), Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Gerhard

Friedrich (Erlangen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
„Stiftung Bildungstest“ – Qualität und Effizi-
enz für den wachsenden Bildungsmarkt
– Drucksachen 14/6437, 14/8092 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Küchler
Norbert Hauser (Bonn)

Hans-Josef Fell
Ernst Burgbacher
Maritta Böttcher

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Ernst Küchler.




Aribert Wolf

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(C)



(D)



(A)



(B)



Ernst Küchler (SPD):
Rede ID: ID1421606200
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die Stiftung Warentest hat im Auf-
trag der Bundesregierung kürzlich eine Machbarkeitsstu-
die vorgelegt, mit der untersucht worden ist, ob und
inwieweit Bildungsangebote zu testen sind. Diese Studie
belegt, dass auch Bildungsangebote wie Produkte und
Dienstleistungen seriös und erfolgreich getestet werden
können. Die Bundesregierung hat damit auf die zahlrei-
chen einschlägigen Vorschläge und Forderungen reagiert
und so die Voraussetzungen für eine sachliche Debatte
über dieses Thema geschaffen.


(Beifall bei der SPD)

Die Studie befasst sich auch eingehend mit den Ent-

wicklungen auf dem Weiterbildungsmarkt und bestätigt
die Beurteilung des Weiterbildungssektors, welche die
Koalitionsfraktionen in ihren beiden Anträgen zur Wei-
terbildungspolitik beschrieben haben. Diese Aussagen be-
ziehen sich auf die Defizite und damit auf den politischen
Handlungsbedarf. Sie beziehen sich auf das Thema Trans-
parenz im Weiterbildungsbereich, den Zugang zur Wei-
terbildung, die Beratung und Qualitätssicherung.

Hier setzt der Vorschlag der Machbarkeitsstudie an,
durch die Etablierung eines Bildungstestsystems die drei
folgenden Ziele zu erreichen: erstens die Stärkung des
Verbraucherschutzes durch Bildungsinformation und die
Schaffung von Transparenz durch vergleichende Untersu-
chungen von Bildungsangeboten, zweitens die Beschrei-
bung und Veröffentlichung von Qualitätskriterien zur
Orientierung und zum Schutz der Verbraucher und drit-
tens die Qualitätssicherung durch Qualitätswettbewerb
unter den Anbietern. – So wirken Bildungstests nach in-
nen in das System der Weiterbildungsanbieter hinein und
nach außen, indem sie die Nachfrageseite stärken.

Bezüglich der Qualitätssicherung geht der Antrag der
CDU/CSU-Fraktion meines Erachtens von der falschen
Annahme aus, eine „Stiftung Bildungstest“ sei hinrei-
chend, um die Qualität der Angebote und der Anbieter, das
heißt der Weiterbildungseinrichtungen, sicherzustellen.

Die CDU/CSU weist der Stiftung Bildungstest glei-
chermaßen die Aufgabe zu, einerseits Weiterbildungsan-
gebote zu testen und zu vergleichen und andererseits
Weiterbildungsanbieter zu zertifizieren. Die Machbar-
keitsstudie empfiehlt, diese beiden Aufgaben nicht bei ein
und derselben Institution anzusiedeln. Sollte sich die Stif-
tung auch durch die Vergabe von Gütesiegeln finanzie-
ren, sind Interessenkonflikte nicht auszuschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir teilen die Inten-
tionen des Antrags der CDU/CSU-Fraktion; aber wir wol-
len einen anderen Weg gehen. Die „Stiftung Bildungstest“
soll erst nach einer dreijährigen Erprobungsphase in Ab-
stimmung mit den Ländern begründet werden. Sie soll
sich auf vergleichende Tests der Angebote im Bereich der
Weiterbildung, der Schule und der Hochschule beschrän-
ken.

Damit bleibt jedoch nach wie vor die Aufgabe, ein
Qualitätssicherungssystem zu schaffen. Dieses System,
dessen institutionelle Verankerung noch zu prüfen sein
wird, soll die Zertifizierung von Weiterbildungseinrich-
tungen sicherstellen, damit sich die Anbieter an einer se-

riösen und nachvollziehbaren Qualitätskontrolle beteili-
gen. Die Unabhängigkeit der Zertifizierungsinstanz muss
dabei gewährleistet sein.

Die Bundesregierung hat den richtigen Weg einge-
schlagen, indem sie zunächst eine Machbarkeitsstudie in
Auftrag gegeben hat und nun nach der Vorlage dieser Stu-
die eine Erprobungsphase vorsieht, in der – beschränkt
auf die Angebote der beruflichen Weiterbildung – Bil-
dungstests durch die Stiftung Warentest durchgeführt
werden. Erst danach ist die Einrichtung einer „Stiftung
Bildungstest“ in Absprache mit den Ländern sinnvoll und
machbar.

Mit dieser Initiative wird den Bemühungen der Koali-
tionsfraktionen, einen verlässlichen Rahmen für das Wei-
terbildungssystem zu schaffen, ein weiterer Baustein hin-
zugefügt. Sie ergänzt die bereits in Angriff genommenen
Vorhaben zum Ausbau dieses Weiterbildungssystems.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich erinnere an die Schaffung regionaler Netzwerke in
der Weiterbildung, die Verabschiedung gesetzlicher Re-
gelungen zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung,
etwa die Job-Rotation im Rahmen der Verabschiedung
des Job-Aqtiv-Gesetzes, und die Vereinbarungen im
Bündnis für Arbeit zur betrieblichen Weiterbildung, um
nur einige zu nennen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Ablehnung
des CDU/CSU-Antrags aus vorgenannten Gründen wird
das Vorhaben nicht gefährdet. Im Gegenteil: Wir beginnen
sofort mit Bildungstests und bereiten die Einrichtung ei-
ner „Stiftung Bildungstest“ solide vor. Der Antrag der
CDU/CSU ist somit überholt und erledigt.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421606300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Hauser.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1421606400
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zeit ist reif für
eine „Stiftung Bildungstest“, so lautete das Fazit, als wir
unseren Antrag zur Errichtung einer eigenständigen „Stif-
tung Bildungstest“ im Juni 2001 eingebracht haben. Die
Koalition hat sich seitdem – das ist bemerkenswert – mit
eigenen Anträgen zurückgehalten. Aber sie hat eine Leis-
tung vollbracht: Sie hat es hinbekommen, dass eine Mach-
barkeitsstudie erstellt wurde.


(Jörg Tauss [SPD]: Noch nicht einmal das haben wir von euch bekommen!)


Das Ergebnis dieser Studie lautete: Die Zeit ist reif für
eine „Stiftung Bildungstest“.

Bereits am 31. Juli des Jahres 2000 haben die baden-
württembergische Kultusministerin Dr. Annette Schavan
und ich die Einrichtung einer „Stiftung Bildungstest“ ge-
fordert.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Stiftung soll einmal alle Bildungsangebote, vom
Bereich Schule bis zum Bereich Weiterbildung, testen.
Zunächst aber soll sie sich auf die Weiterbildung konzen-
trieren; denn hier haben wir es mit einem sehr ungeord-
neten und undurchschaubaren Markt zu tun. Es gibt
35 000 Anbieter mit insgesamt 400 000 Weiterbildungs-
angeboten und einem Volumen von etwa 40 Milliarden
Euro.

Darüber, ob sich die Investition von Mensch und Ka-
pital in die Weiterbildung lohnt, gibt es nämlich leider
keine Analysen. In vielen Fällen weiß der Betroffene erst,
nachdem er einen Kurs absolviert hat, ob dies tatsächlich
der Kurs war, den er benötigt, um wieder in den ersten Ar-
beitsmarkt zurückkehren zu können oder um die Kompe-
tenz zu erhalten, auch zukünftig den Anforderungen des
Arbeitsmarktes gerecht werden zu können. Ist dies nicht
der Fall, hat er eben Pech gehabt. – Gerade deshalb brau-
chen wir eine „Stiftung Bildungstest“. Sie soll auf die so
zentrale Frage Antwort geben, ob der Nachfrager Ver-
trauen in den Kurs haben kann. Denn wir alle können uns
keine Verschwendung von Humankapital leisten, weder
die Menschen noch der Staat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt vier Ziele, die mit einer „Stiftung Bildungstest“
erreicht werden sollen:

Das erste Ziel ist die Transparenz. Der entscheidende
Nachteil des Weiterbildungsmarktes ist, dass Angebote
nicht zentral abgerufen werden können. In vielen Fällen
ist es eigentlich reiner Zufall, welches Angebot der
Kunde, der Nachfrager von Weiterbildungsleistungen, in
Anspruch nimmt. Die „Stiftung Bildungstest“ kann und
muss daher der Wegweiser durch den Dschungel von Wei-
terbildungsangeboten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das zweite Ziel ist die Vergleichbarkeit. Um eine

echte Auswahl treffen zu können, muss eine Vergleichbar-
keit zwischen den Anbietern und den Angeboten von Wei-
terbildung hergestellt werden. Die „Stiftung Bildungstest“
wird hier den Maßstab bilden, um eine Vergleichbarkeit
zugunsten des Nachfragers, des Kunden, herstellen zu
können.

Damit bin ich auch schon beim dritten Ziel, dem Wett-
bewerb. Die „Stiftung Bildungstest“ wird zu Wettbewerb
auf dem Weiterbildungsmarkt führen. Anbieter und Nach-
frager werden sich an der Arbeit und den Ergebnissen die-
ser Stiftung orientieren. Wir müssen dahin kommen, dass
sich die Weiterbildung an den Bedürfnissen der Nachfra-
ger orientiert – wir haben es auch einmal „marktorien-
tiert“ genannt – und dass nicht von oben dekretiert wird,
wie Weiterbildung auszusehen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das vierte Ziel ist die Qualitätssicherung. Herr

Küchler, wir können uns gerne darüber unterhalten, ob es
nun ein Gütesiegel geben soll und ob wir neben der „Stif-
tung Bildungstest“ eine weitere Einrichtung brauchen, die
Qualitätssicherung gewährleistet und dazu Kriterien erar-
beitet. Wir sind der Meinung, dass dies die „Stiftung Bil-

dungstest“ leisten kann und dass es ihr möglich sein sollte
– es wäre trotzdem gut gewesen, wenn Sie einen weiteren
Vorschlag gemacht hätten, über den wir uns hätten ver-
ständigen können –, Qualitätssicherungsmaßstäbe zu set-
zen und damit schwarze Schafe vom Markt zu verdrän-
gen. Dadurch wird die „Stiftung Bildungstest“ einen
maßgeblichen, unschätzbaren Beitrag zum Verbraucher-
schutz auf dem Feld der Weiterbildung leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Reaktion von Frau Bulmahn, unserer Bundesbil-

dungsministerin, auf unseren Antrag vor nahezu zwei Jah-
ren war: Das wollen wir nicht; das kennen wir schon, wir
sind schon viel weiter.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch nicht wahr! – Susanne Kastner [SPD]: Das würde sie viel intelligenter ausdrücken!)


Es ist doch schön, dass Sie auf den Pfad der Tugend
zurückgefunden haben und jetzt selber eine „Stiftung Bil-
dungstest“ wollen. Besser spät als nie!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Allein die Tatsache, dass die Machbarkeitsstudie, we-

nige Tage bevor das Thema in unserem Ausschuss disku-
tiert wurde, das Licht der Welt erblickte, zeigt doch, dass
man Sie und die Regierung auch auf diesem Feld zum Ja-
gen tragen musste.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Oh!)


Sie zeigt ein Weiteres: Es sind nicht Sie, sondern es ist die
Opposition, die in der Bildungspolitik den Takt vorgibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Wie beim BAföG! – Jörg Tauss [SPD]: Was haben Sie uns 1998 auf diesem Feld hinterlassen?)


– Wenn ich gleich noch Zeit habe, diese Frage zu beant-
worten, werde ich das gerne tun.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich könnte ja eine Frage stellen!)


– Gerne. – Auch auf dem Feld Bildungstest gehört Mut
dazu, Dinge anzupacken.

Das Gutachten der Stiftung Warentest ist hervorragend.
Aber wir haben zwei Jahre Zeit verloren, in der wir dieses
Ziel hätten weiterverfolgen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist auch nichts dagegen zu sagen, dass die Stiftung Wa-
rentest zunächst einmal Weiterbildungsangebote prüfen
soll. Das Ziel ist ehrenwert. Aber die Ausführung ist ab-
solut mangelhaft und unzureichend. Die Bundesregierung
will 6 Millionen Euro in drei Jahren zur Verfügung stel-
len,


(Ulrike Flach [FDP]: Toll!)

2 Millionen Euro im Jahr bei einem Markt, der ein Volu-
men von 40 Milliarden Euro hat. Die Stiftung Warentest
geht von maximal 20 Tests pro Jahr bei einem Angebot
von 400 000 aus. Die Trefferquote liegt also im




Norbert Hauser (Bonn)


21467


(C)



(D)



(A)



(B)


Promillebereich. Wenn Sie Lotto spielen, ist Ihre Treffer-
quote höher als bei der Untersuchung der „Stiftung Bil-
dungstest“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Die spielen ja permanent Lotto und verlieren! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Die spielen russisches Roulette!)


Damit werden Sie die Transparenz, die wir benötigen,
nicht erreichen. So wird es nicht zum Durchbruch kom-
men. „Kleckern statt Klotzen“ heißt hier die Devise.

Wir beklagen einen Fachkräftemangel. Die „Stiftung
Bildungstest“ kann dazu beitragen, den Fachkräftemangel
zu beseitigen. Wenn Arbeitslose sowie Männer und
Frauen, die Weiterbildung nachfragen, möglichst schnell
eine richtige Wahl in Bezug auf Weiterbildungsmaßnah-
men treffen können, dann ist dies ein Beitrag zur Beseiti-
gung des Fachkräftemangels.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die „Stiftung Bildungstest“ lässt sich finanzieren. Wir

wissen sehr genau, dass Milliardenbeträge in den zweiten
und dritten Arbeitsmarkt, in AB-Maßnahmen sowie in
Weiterbildungsmaßnahmen fehlinvestiert werden. Wenn
es uns gelingt, auch nur einen Bruchteil hiervon sachge-
recht und effektiv für die „Stiftung Bildungstest“ einzu-
setzen, dann haben wir unser Ziel erreicht. Dann haben
wir nämlich den Menschen geholfen und haben überdies
auch noch Geld gespart.

Wir wissen auch, dass wir in Sachen Bildung mit den
Ländern in einem Boot sitzen. Diesbezüglich gibt es eine
gemeinsame Verantwortung. Deshalb sollten auch die Län-
der Verantwortung für die „Stiftung Bildungstest“ tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies würde die Bedeutung und den Wert der „Stiftung
Bildungstest“ unterstreichen.

Wir fordern eine eigenständige „Stiftung Bildungs-
test“. Sie darf nicht im Warenkorb – der Ansatz der Stif-
tung Warentest mag auch noch so gut gemeint sein – als
„ein bisschen Weiterbildung“ zwischen Waschmitteln und
Windeln untergehen. Herr Küchler, Sie wissen genau,
dass es in der Machbarkeitsstudie fünf Beispiele gibt, von
denen nur eins eine eigenständige Stiftung vorsieht. Wir
appellieren an Sie, mit uns zusammen eine eigenständige
„Stiftung Bildungstest“ zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Einer unserer wenigen Rohstoffe ist das Wissen und

sind die Fertigkeiten der Menschen in unserem Land. Die-
ser Bedeutung kann nur eine eigenständige „Stiftung Bil-
dungstest“ gerecht werden. Ich wiederhole: Die Zeit ist
reif für eine „Stiftung Bildungstest“.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Und für den Wechsel!)


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und
von den Grünen, die Sie wieder einmal nicht zu Potte und
aus den Puschen gekommen sind,


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Das kennen wir doch!)


werden in wenigen Monaten wieder auf den Oppositions-
bänken sitzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das Pfeifen im Walde! Mit Stoiber doch nicht! Ach, du lieber Himmel!)


Vielleicht haben Sie dann Zeit bzw. Muße und können
Kraft sammeln, um die Kreativität zu erreichen, die man
für die Schaffung einer „Stiftung Bildungstest“ benötigt.
Bis dahin werden Sie das Stück „Warten auf Godot“ in der
Fassung „Warten auf die Vorschläge von Frau Bulmahn“
aufführen.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Welche Rolle spielt Stoiber bei „Warten auf Godot“?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421606500
Danke schön. –
Jetzt hat der Abgeordnete Hans-Josef Fell das Wort.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421606600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Idee zur
Schaffung einer „Stiftung Bildungstest“ analog zur Stif-
tung Warentest ist doch nicht neu. Herr Hauser, Sie tun ge-
rade so, als wenn Sie selbst das erfunden hätten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie hatten wirklich viele Jahre Zeit. Falls Sie wieder die
Regierungsbank erreichen – wovon ich überhaupt nicht
ausgehe –,


(René Röspel [SPD]: In 20, 30 Jahren!)

werden Sie – da bin ich sicher – den Vorschlag zur Er-
richtung einer „Stiftung Bildungstest“ wie so viele andere
Vorschläge in Ihren Anträgen einstampfen; schließlich ha-
ben Sie sie jahrelang nicht verwirklicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Sie haben sich nicht einmal dafür interessiert! – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Da irren Sie!)


Die Bundestagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen unterstützt natürlich die grundsätzliche Zielsetzung
dieser Idee, was auch aus dem Koalitionsantrag zur Wei-
terbildung hervorgeht. In diesem sprechen wir uns für die
Prüfung der Einrichtung einer solchen Stiftung aus. Uns
allen ist klar: Bildung wird beim Übergang von der Indus-
trie – zur Wissens- und Informationsgesellschaft zu ei-
nem bestimmenden Faktor. Wir können den Übergang nur
meistern, wenn Bildung insgesamt einen höheren Stellen-
wert erhält.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Kontext wird nicht nur die Bedeutung von
allgemeiner und beruflicher Bildung zunehmen. Die He-
rausforderung, vor der wir derzeit stehen, ist, alle Stufen
des Bildungssystems, vom Kindergarten bis zur Weiter-




Norbert Hauser (Bonn)

21468


(C)



(D)



(A)



(B)


bildung, in einem gemeinsamen Raster zusammenzu-
führen. Die Idee, dass jemand nach einem ersten berufli-
chen Abschluss ausgelernt hat, ist hinfällig; deshalb brau-
chen wir zum einen mehr und zum anderen qualitativ
hochwertigere Weiterbildungsangebote.

DerMarkt fürWeiterbildung ist bereits heute enorm
und er wird weiter wachsen. Weiterbildungsinteressierte
stehen einer Vielzahl von Angeboten gegenüber, für die es
kein System der qualitativen Bewertung gibt. Es liegt un-
ter anderem in den Händen der Politik, dafür Sorge zu tra-
gen, dass der Bildungsmarkt nicht nur quantitativ, son-
dern auch qualitativ wächst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Sinne einer modernen Verbraucherschutzpolitik
müssen wir die Position der Nachfrager von Bildung stär-
ken. Verbraucherschutz endet bei uns eben nicht bei den
Fragen der Ernährung. Ob Biosiegel, Rabattgesetz oder
Bildung – Bündnis 90/Die Grünen ist die Partei des Ver-
braucherschutzes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Ach, Herr Fell!)


Die rot-grüne Regierung ist längst tätig geworden und
hat einen ersten Versuch gestartet, um zu prüfen, inwie-
fern die Stiftung Warentest mit ihren Instrumenten Bil-
dungsangebote sinnvoll evaluieren kann. Das geschieht
für den IT-Bereich. Ab Juli 2002 wird die neu geschaffene
Abteilung „Stiftung Bildungstest“ der Stiftung Warentest
Kursangebote im Bereich der Weiterbildung untersuchen.
Wir wollen die Ergebnisse abwarten. Wir wollen keine
Schnellschüsse wie Sie in der Union. Es gibt noch keine
einhellige Expertenmeinung zu der Frage, inwieweit die
Mittel des herkömmlichen Verbraucherschutzes ausrei-
chen, um genügend Transparenz und Qualitätssicherheit
für die Teilnehmer zu gewährleisten. Ob im Anschluss an
diese Versuchsphase eine eigenständige Stiftung aufge-
baut wird, muss dann überlegt werden. Wir sehen daher
noch keinen Entscheidungsbedarf in dieser Frage.

Der Antrag der CDU/CSU ist als Beitrag zur Debatte
generell zu begrüßen; zustimmen können wir ihm aus den
genannten Überlegungen heraus aber nicht.

Wir von Bündnis 90/Die Grünen wollen über die Vor-
stellungen der CDU/CSU hinausgehen.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Aha!)

Über ein Ranking und ein Testverfahren der „Stiftung Bil-
dungstest“ hinaus setzen wir uns auch für den Aufbau von
Beratungsstrukturen ein.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger aktiv darin unter-
stützen, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Wir wollen allen die Chance des lebensbegleitenden
Lernens eröffnen.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Richtig!)


Dies darf nicht auf diejenigen beschränkt bleiben, die in
der Lage sind, sich selbst umfassend zu informieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421606700
Für die FDP-Fraktion
erteile ich der Kollegin Ulrike Flach das Wort.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1421606800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Der Antrag der CDU/CSU greift das wichtige
Thema „Qualitätssicherung und Evaluation“ auf. Das ist
eines der Themen, das uns mit Sicherheit weit über die jet-
zige Legislaturperiode hinaus umtreiben wird. Deshalb,
lieber Herr Hauser, ist die Idee, eine „Stiftung Bildungs-
test“ zu gründen und Bildung für die Nutzer transparenter
zu machen, gut;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

aber sie geht aus Sicht der FDP bei weitem nicht weit ge-
nug.


(Beifall bei der FDP)

Was ich hier gehört habe, war ganz erfreulich. Eines

scheint Ihr Antrag ja auch bewirkt zu haben: Das Minis-
terium und die freundlich lächelnden Herren von SPD und
Bündnisgrünen scheinen aufgewacht zu sein.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ja, endlich! – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Ja, endlich!)


Vor zwei Wochen haben wir da eine Art Sturzgeburt er-
lebt: Frau Bulmahn will mit der Stiftung Warentest Ange-
bote der beruflichen Weiterbildung untersuchen.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Das ist aber eine Risikogeburt!)


Eines hat mich allerdings etwas verwirrt: Herr Fell, Sie
haben gesagt, Ihre Überlegungen seien noch nicht so rich-
tig abgeschlossen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar!)


Herr Küchler hat uns vorher gesagt, es sei alles kalter Kaf-
fee, den Herr Hauser da anbiete. Vielleicht empfiehlt sich
da etwas mehr Kommunikation zwischen den beiden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Denn sie wissen nicht, was sie tun!)


Qualitätssicherung, Überprüfung und Zertifizierung
sind offensichtlich ein schwieriges Geschäft. Daher bitte
ich Sie, doch einmal über den nationalen Zaun zu
schauen. Ich empfehle in diesem Fall, da es nicht nur um
Weiterbildung geht, einmal einen Blick nach Schweden.
Unsere Nachbarn in Schweden zertifizieren, überprüfen
und qualifizieren sozusagen ständig auch die Schulen und
nicht nur die Weiterbildung.


(Peter Dreßen [SPD]: Da können wir zustimmen!)


Dort gibt es Qualitätsstandards, die ständig überprüft wer-
den, und dort gibt es eine Art Schul-TÜV. Das ist übrigens




Hans-Josef Fell

21469


(C)



(D)



(A)



(B)


auch das, was die FDP Ihnen vorschlägt und was über Ihre
Vorstellungen, Herr Hauser, deutlich hinausgeht.

Sie wissen: Wir mahnen einen Qualitätsrahmen für un-
ser Bildungswesen in umfassendem Sinne an und darun-
ter verstehen wir deutlich mehr als nur die reine Weiter-
bildung;


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


darunter verstehen wir auch Schule und Hochschule. In-
sofern hoffe ich, dass Sie, Frau Bulmahn, dieses Angebot
über den Bereich der Weiterbildung hinaus entwickeln
und auch den Schul- und Hochschulbereich einbeziehen;
bei der Vorstellung der neuen Aufgabe der Stiftung Wa-
rentest haben Sie es ja ein bisschen durchklingen lassen.

Lassen Sie mich kurz noch etwas zur Konstruktion sa-
gen. Dreieinhalb Minuten für uns von der FDP sind im-
mer sehr wenig, um Ihnen unsere umfassenden Bildungs-
ansichten zu schildern.


(René Röspel [SPD]: Es wird auch nicht mehr ab September!)


Herr Hauser, Sie haben ein Konzept vorgeschlagen, bei
dem ich ausgesprochene Zweifel daran habe, ob es wirk-
lich so schnell greifen wird, wie Sie sich das vorstellen.
Sie wollen einen Staatsvertrag. Ich frage mich, wie ange-
sichts der uns allen bekannten Spritzigkeit und Schnellig-
keit der Bundesländer ein solcher Vertrag greifen soll. Wir
Liberale sind zwar von Ihrem Vorschlag angetan. Aber
wir neigen eher dazu, den Vorschlag zu unterstützen, wo-
nach bei der Stiftung Warentest eine Abteilung zur Prü-
fung von Weiterbildungsangeboten eingerichtet werden
soll; denn damit wird die Unabhängigkeit der Kontrollen
garantiert.

Nur, Frau Bulmahn stellt nach unserer Meinung viel zu
wenig Geld für das, was sie vorgeschlagen hat, zur Verfü-
gung. Da stimme ich Ihnen zu.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Schließlich gibt es 35 000 Anbieter und 400 000 ver-
schiedene Programme. Für die zukünftige Stiftung sollen
aber nur 2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
Das wird gerade einmal bis zur Bundestagswahl reichen.
Damit komme ich auf einen Punkt zu sprechen, der für das
bulmahnsche Bildungskonzept charakteristisch ist: Es
gibt immer kleine Initialschübe, die – davon müssen wir
ausgehen – nach der Bundestagswahl schlagartig auf-
hören und im Nichts versinken werden, weil keine Mittel
mehr bereitgestellt werden. Das ist meine Sorge.

Zusammenfassend möchte ich feststellen: Der Vor-
schlag der CDU/CSU ist zwar gut. Aber er greift nach un-
serer Meinung zu kurz. Wir werden uns deshalb enthalten.
Wir hoffen sehr, dass Frau Bulmahn bei Herrn Eichel
noch mehr Mittel loseisen kann.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Das schafft sie nicht!)


Dann kann auch etwas Vernünftiges auf die Beine gestellt
werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421606900
Für die PDS-Fraktion
erteile ich das Wort der Kollegin Maritta Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1421607000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Mittlerweile wird in allen Sonn-
tagsreden die große Bedeutung der Weiterbildung betont.
Doch jenseits solcher Reden, wenn es um praktische Vor-
schläge und Maßnahmen geht, verengt sich alles sehr
schnell auf die Frage: Wie lässt sich Weiterbildung am ef-
fektivsten für die Verbesserung des so genannten Human-
kapitals einsetzen? Dieses Herangehen bildet auch den
Hintergrund des vorliegenden Antrags. Schon deshalb,
Herr Hauser, können wir ihm nicht zustimmen.

Wie wichtig für eine gedeihliche Entwicklung unserer
Gesellschaft kulturelle und politische Bildung sind, hat
uns die Debatte am Mittwoch doch nachdrücklich vor Au-
gen geführt. Wenn wir nun Qualitätskontrollen und
Qualitätsverbesserungen auf die berufliche Weiterbildung
konzentrieren, dann ist das ein weiterer Schritt zur Ver-
nachlässigung von allgemeiner und kultureller Bildung.

Aus diesem ersten Kritikpunkt ergibt sich ein zweiter:
Durch die Verengung der Weiterbildung auf ihre wirt-
schaftlichen Aspekte werden die Bereiche der Wei-
terbildung verabsolutiert, die marktmäßig organisiert sind
und in denen die Bildung demzufolge eine Ware ist. Wir
möchten aber die Bildung vorrangig als ein öffentliches
Gut bewahren und entwickeln,


(Beifall bei der PDS)

das allen ohne Einschränkung zugänglich ist. Der Markt
kann das alleine nicht leisten.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich halte es durchaus für sinnvoll, wenn die Stiftung
Warentest den Bürgerinnen und Bürgern sagt, welches
Auto mit welchen Qualitätsmerkmalen sie sich bei ihrem
jeweiligen Verdienst leisten können. Für die Weiterbil-
dung ist das allerdings nicht akzeptabel; denn das hieße,
die bereits höher Qualifizierten könnten sich teurere und
bessere Kurse leisten als andere. In der Weiterbildung
müsste es aber genau umgekehrt sein: Für die sozial und
in ihrer Bildungsbiografie Benachteiligten müsste es die
besten und damit die teuersten Kurse geben. Vor allem sie
brauchen gute Lehrkräfte, die besten Lernmaterialien und
mehr Zeit, um die Folgen früherer Benachteiligungen aus-
zugleichen.

Schließlich will ich ein Drittes anmerken: Der PDS
wird in der Bildungspolitik immer wieder Zentralismus
unterstellt. Im Unterschied zu unserem Antrag zur Wei-
terbildung – Sie können das unter Punkt 6 unseres ent-
sprechenden Antrags nachlesen – ist der vorliegende Vor-
schlag Zentralismus pur.


(Beifall bei der PDS)

Ich halte es für ein Unding, die Qualität der Weiterbildung
von einer zentralen Institution aus wirksam zu verbessern.


(Ulrike Flach [FDP]: Wie denn sonst?)





Ulrike Flach
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(C)



(D)



(A)



(B)


Über die Möglichkeiten einer solchen Institution gibt uns
die vom BMBF in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie
ja eine ungefähre Vorstellung. Danach sollen im Rahmen
einer Abteilung der Stiftung Warentest zwölf Mitarbeiter
jährlich circa 20Kurse testen. Dem stehen über 35 000 An-
bieter mit über 400 000 verschiedenen Programmen ge-
genüber.


(Zuruf von der SPD)

– Ja, in der Erprobungsphase. – Ich hätte es sinnvoller ge-
funden, die vorgesehenen 2 Millionen Euro in das BIBB
zu stecken, um dort den Weiterbildungsbereich zu stär-
ken. Damit würde sich das erreichen lassen, was ich vor-
hin an der Stelle, an der Sie, meine Damen und Herren von
der SPD, Beifall geklatscht haben, geschildert habe. Wenn
Sie das tun, sind wir uns wieder einig. Dann werden wir
den Weiterbildungsbereich zu einer Säule im Bildungs-
wesen machen, die diesen Namen auch verdient. Dann
werden Sie uns an Ihrer Seite haben.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421607100
Jetzt spricht der Kol-
lege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1421607200
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Herr
Hauser und andere hier ihre eigene Geschichtsbe-
trachtung vorgenommen haben, sage ich, um der Wahrheit
die Ehre zu geben: Ideen werden nicht erst dann zu guten
Ideen, wenn sie von der CDU/CSU kommen.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Darum, Herr Hauser, sei Ihnen empfohlen, die Machbar-
keitsstudie Bildungstests zu lesen, in der Sie auf Seite 14
finden: Genese Testeinrichtung Bildung, wo auf einen
Vorschlag von der Hans-Böckler-Stiftung vom Dezem-
ber 1998 verwiesen wird, der kurz darauf von der
Bertelsmann-Stiftung aufgenommen wurde. Uns ist das
deshalb wichtig zu erwähnen, weil Sie von der CDU/CSU
keine Ideen aus dem gesellschaftlichen Raum aufnehmen,
sondern erst nach einem gewissen zeitlichen Abstand sa-
gen, sie seien von Ihnen. Wir als Sozialdemokraten halten
es für besser, es anzuerkennen, wenn von gesellschaftli-
chen Institutionen Ideen kommen; denn das bedeutet Res-
pekt gegenüber diesen Institutionen.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Die Idee der Stiftung und der Bildungstests ist nicht im

Kopf von Politikern entstanden, sondern im gesellschaft-
lichen, bildungsbezogenen Umfeld. Deshalb haben wir
als Sozialdemokraten im Jahr 2000, als wir unseren
Leitantrag zu Weiterbildungsfragen ins Parlament einge-
bracht haben, relativ bescheiden diese Idee aufgegriffen
und sie als Prüfauftrag an die Regierung weitergegeben.
Die Regierung hat dann ihre Arbeit aufgenommen. Das ist
der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD)


Ein Zweites will ich an die CDU/CSU gewandt sagen.
Uns hat gewundert, dass Sie einerseits ganz massiv in die
Richtung gingen, nur noch das informelle Lernen zu pro-
tegieren – Sie erinnern sich, wie sehr sich Kollege Lensing
dafür eingesetzt hat –, und andererseits jetzt fordern, im
Haushalt 2002 mit fünfmal 50 Millionen die Qualitätssi-
cherung des formellen Lernens in den Mittelpunkt zu stel-
len. Unsere Bitte an Sie: Verabschieden Sie sich von dem
Irrweg, nur informelles Lernen sei zukunftsbezogenes
Lernen, wenn Sie mit Ihren Anträgen wie dem zur „Stif-
tung Bildungstest“ doch zugleich besonders das institutio-
nelle, das organisierte Lernen fördern wollen.


(Beifall bei der SPD)

Frau Flach, bei Ihnen müssen wir die gleiche merk-

würdige Wendung feststellen. Ihrem Beitrag gerade war
zu entnehmen, dass Sie meinen, die Regierung hätte die
Stiftung Warentest in Bezug auf die Bildungstests noch
stärker unterstützen müssen. Weil bekannt ist, wie die
FDP sich wendet,


(Susanne Kastner [SPD]: Wendehälse!)

habe ich einen Antrag der FDP vom 11. Oktober 2000
mitgebracht, in dessen Begründung es heißt:

... dass die Bundesregierung die Stiftung mit zusätz-
lichen Aufgaben, nämlich mit Bildungstests, beauf-
tragen will. Hierfür müsste die Stiftung aber völlig
neue Kompetenzen aufbauen, die wiederum Geld
und Zeit kosten. Dies erscheint gerade in der aktuel-
len Situation als unangebracht. Sinnvoller wäre es,
wenn die Bundesregierung solche Aufträge öffent-
lich ausschreiben würde, um Bewerbungen verschie-
dener (auch privater) Fachinstitute zu ermöglichen.

(Ulrike Flach [FDP]: Die Aussage war doch, Sie müssen mehr Geld geben!)

Das war im Jahr 2000, als Sie mit der Stiftung gar

nichts am Hut hatten. Die Regierung ist dagegen einen ge-
raden Weg gegangen,


(Beifall bei der SPD)

und das in praktischer Kontinuität.

Ich komme im zweiten Teil meiner Ausführungen auf
das zurück, was den Antrag der CDU/CSU, dessen fach-
liche Bewertung schon vom Kollegen Küchler vorge-
nommen worden ist, von dem Prozess, der von der Re-
gierung praktisch eingeleitet worden ist, unterscheidet.
Die CDU/CSU möchte, dass der Bundestag die Bundes-
regierung auffordert, mit den Ländern in Verhandlungen
über eine „Stiftung Bildungstest“ einzutreten und dafür
mit den Ländern ein Finanzierungsmodell zu entwickeln.
In dem Antrag sind vier Punkte aufgelistet, die bei diesen
Verhandlungen der Regierung mit den Ländern im Ein-
zelnen erfüllt werden sollen.

An dieser Stelle sagen wir: Wir finden es besser, dass die
Regierung jetzt konkret einen Prozess einleitet, als dass es
am Ende eines langen Weges vielleicht zu Ergebnissen
kommt. Dazu haben Sie leider und bemerkenswerterweise
in Ihrem umfassenden Redebeitrag fast nichts gesagt.


(Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]: Lesen Sie es noch einmal nach!)





Maritta Böttcher

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(C)



(D)



(A)



(B)


Denn die Regierung tut jetzt etwas.

(Ulrike Flach [FDP]: Zu wenig!)


Sie investiert in den nächsten drei Jahren 2 Milli-
onen Euro für einen bestimmten Prüfbereich, nämlich
Tests für berufliche Bildung. Damit macht sie es möglich,
dass Erfahrungen gesammelt werden. Diese Erfahrungen
machen beispielhaft deutlich, worauf sich die Länder
dann in einem gemeinsamen Entschluss mit dem Bund
einlassen könnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist praktische Reformpolitik.
Sie bewegt sich im Übrigen in einem finanziellen Rah-

men, der sich nicht wesentlich von dem unterscheidet,
was Sie uns mit Ihrem Antrag, fünfmal 50 Millionen ab
dem Haushalt 2002 für eine Stiftung bereitzustellen,
anempfohlen haben. Das Stiftungskapital soll ja nicht
verzehrt werden, sondern soll über Erträge etwas
abwerfen. Von 50 Millionen Stiftungskapital jetzt zu
4 Millionen DM real einsetzbares Geld zu kommen, ist
durchaus eine angemessene Entsprechung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mehr!)

An der Stelle merken wir, dass es gut ist, dass jetzt be-
gonnen wird.

Auch wenn jetzt begonnen wird, möchte ich in meinem
dritten Teil zwei Fragen aufwerfen, die wir von uns aus in
die Debatte bringen, um diesen Prozess zu begleiten.

Das eine ist die Frage, wie wir denn, wenn auch den
Ländern eine Beteiligung angeboten werden soll, bei der
jetzigen Konstruktion der Stiftung Warentest diese mit ins
Boot bekommen. In den Gremien der Stiftung Warentest
sitzen sie bislang nicht; dies aber müsste vorgesehen wer-
den, wenn die Bund-Länder-Zusammenarbeit in Bezug
auf Weiterbildung verankert werden soll.

Zum Zweiten sind neben dem wissenschaftlichen
Sachverstand in der Stiftung Warentest bisher auch Ver-
braucher und Wirtschaft stark vertreten. Wenn man den
Bildungsbereich organisiert, müssen sich, wie wir glau-
ben, auch die Repräsentanzverhältnisse verschieben. Es
ehrt die Stiftung Warentest, dass sie trotz Befangenheit in
ihrer Machbarkeitsstudie auch diese Frage aufwirft. Es
liegt jetzt an uns, diese Studie nicht unbeachtet zu lassen,
sondern an ihr entsprechend mitzuarbeiten und dafür zu
sorgen, dass dies so aufgenommen wird.

Durchaus auch in kritischer Auseinandersetzung mit
manchen Punkten, die die Regierung ins Auge fasst, ist es
eher unsere Vorstellung, die „Stiftung Bildungstest“ auf
den Weiterbildungsbereich zu konzentrieren und dort so
zu positionieren, dass sie auch einen gewissen Einfluss
entwickeln kann.


(Ulrike Flach [FDP]: Das ist doch viel zu langsam, Herr Rossmann!)


Wenn man einerseits sagt, dass 2 Millionen Euro für
20 Tests im Bereich der beruflichen Bildung zu wenig
seien, dann kann man jetzt andererseits nicht noch gleich-
zeitig fordern, dass Schule und Hochschule in dieses

Bildungskonzept miteinbezogen werden. Weil Sie ja auch
dafür sorgen müssen, dass die CDU-regierten Länder mo-
tiviert werden, wird man letztlich sicherlich gemeinsam
anstreben, dass man aus der Substanz – Sie wollten ein
Stiftungskapital von 250 Millionen; unser Realzuschuss
beläuft sich jetzt auf 10Millionen – 80Tests für insgesamt
100 Maßnahmen, die man im weiteren Sinne beurteilt,
entwickelt. Das reicht dann, so glaube ich, zur Qualitäts-
sicherung aus.

Abschlussgedanke: Die Bildungspolitiker der Koali-
tion – ich glaube, das kann man auch auf das ganze Haus
ausdehnen – können wirklich zufrieden sein, wenn man
sich einmal anschaut, welche Bausteine für Weiterbildung
in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht wurden:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


100 Prozent mehr Mittel – von 100 Millionen DM auf
200 Millionen DM –, Netzwerk lernende Regionen,
100 Prozent Steigerung beim Meister-BAföG, Soft-
wareentwicklung auch für den Weiterbildungsbereich und
Job-Aqtiv-Gesetz mit Jobrotation. Dieses letzte Vorha-
ben, nämlich eine „Stiftung Bildungstest“ mit Qualitätssi-
cherung zu beauftragen, ist ein weiterer Baustein in dem
guten Fundament, das Frau Bulmahn und die Regierung
für die Weiterbildung gelegt haben. Dafür bedanken wir
uns herzlich.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421607300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/8092 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel:
„‚Stiftung Bildungstest’ – Qualität und Effizienz für den
wachsenden Bildungsmarkt“. Der Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/6437 abzulehnen. Wer folgt
dieser Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und bei
Enthaltung der FDP ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen.

Nun rufe ich Zusatzpunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Schutz von zugangskontrollierten Diens-

(Zugangskontrolldiensteschutz-Gesetz – ZKDSG)

– Drucksache 14/7229 –

(Erste Beratung 201. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8130 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubertus Heil




Dr. Ernst Dieter Rossmann
21472


(C)



(D)



(A)



(B)


Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Alle Reden sind zu Protokoll gegeben.1) So eröffne ich
die Aussprache und schließe sie auch wieder.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über den
Schutz von Zugangskontrolldiensten in der Ausschussfas-
sung auf den Drucksachen 14/7229 und 14/8130.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU auf
Drucksache 14/8145? – Wer stimmt dagegen? – Gegen
die Stimmen der CDU/CSU ist der Änderungsantrag ab-
gelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die
Stimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der PDS ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen – Wer enthält sich – Gegen die Stimmen
der CDU/CSU und bei Enthaltung der PDS ist der Ge-
setzentwurf in dritter Lesung angenommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 21 a auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Christine Ostrowski, Sabine
Jünger, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Dranske retten – der Gemeinde eine Perspek-
tive geben
– Drucksachen 14/5806, 14/7887 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christine Lucyga

Auch hier sind die Reden bis auf diejenige der Kolle-
gin Christine Ostrowski zu Protokoll gegeben.2)

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Christine Ostrowski das Wort.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1421607400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Viele Städte in Ostdeutschland sind
in einem schlimmen Zustand. Dranske, dieser eigentlich
sehr idyllisch gelegene Ort auf Rügen, ist meines Erach-
tens in dem schlimmsten Zustand. Stellen Sie sich ein
wunderschönes altes Dorf und daneben 700 Plattenwoh-
nungen vor, von denen 530 leer stehen: tote Fenster, ver-
nagelte Haustüren, ein verwahrloster, trostloser Ort.

Nun fragt man sich: Wo sind die Bewohner alle hin?
Denn zu DDR-Zeiten waren diese Wohnungen bevölkert.
Ist der Bürgermeister in der Gemeinde Dranske so gräss-
lich, dass alle ausgerissen sind? Hat die Gemeinde so
schlecht gearbeitet? – Mitnichten. In Dranske gab es ei-
nen NVA-Standort. Der NVA gehörten auch die Wohnun-
gen. 1990 sind die Wohnungen zu Bundeseigentum ge-
worden. Aus dem NVA- wurde ein Bundeswehrstandort
und dieser Standort wurde 1992 geschlossen. Mit der
Schließung des Standortes stieg die Arbeitslosigkeit
schlagartig. Es begann die Abwanderung. Die Einwoh-
nerzahl sank. 50 Prozent der Einwohner dieses Ortes sind
weg, und zwar für immer.

Zwei Jahre später verkaufte der Bund 700Wohnungen
an die Gemeinde Dranske, und zwar zu einer Zeit, als eine
Studie, die er selber gefördert hatte, dem Bund sagte:
Diese Wohnungen werden nie mehr bevölkert werden; der
Leerstand in der Gemeinde wird sich erhöhen, weil die
Einwohnerzahl weiter sinken wird. – Das heißt, der Bund
wusste um diese Situation. Er hat der Gemeinde die
700Wohnungen zu Bedingungen verkauft, die ich für un-
redlich halte. Er hat zum Beispiel der Gemeinde die Auf-
lage gemacht, diese Wohnungen 20 Jahre lang in einem
vermietbaren Zustand zu halten. Zudem hat er der Ge-
meinde einen Sanierungsaufwand von 19 Millionen DM
und andere schwierige Bedingungen aufgedrückt.

Herr Otto von der CDU hat gesagt: Was wollen Sie
denn, Frau Ostrowski? Die Gemeinde hat sich unterneh-
merisch betätigt und sich eben verspekuliert! – Da hat er
Recht. Aber den Vertrag haben zwei geschlossen. Auf der
einen Seite saß die Bundesregierung, vertreten durch pro-
fessionelle Leute, auf der anderen Seite eine Gemeinde,
vertreten durch ehrenamtliche Gemeinderäte.

Auch der Bund hat spekuliert, nämlich zu seinen Guns-
ten. Er hat 9 Millionen DM für diese Wohnungen einge-
nommen, die er ansonsten am Hals gehabt hätte und die
ihm nur finanzielle Belastungen gebracht hätten. Diese
Belastungen lagen von da an bei der Gemeinde. Sie ist
hoch verschuldet, alleine mit 20 Millionen DM wegen
dieser Wohnungen.

Das generelle Problem von Dranske – Arbeitslosigkeit,
Abwanderung, Leerstand – hat nicht die Gemeinde ver-
schuldet. Dieses generelle Problem ist typisch für viele
Regionen in Ostdeutschland. Der Bund hat die Wohnun-
gen zu Bedingungen verkauft, die unredlich sind.

Unser Antrag ist vom 4. April vergangenen Jahres.
Zwei Monate nach diesem 4. April hat sich die Bundesre-
gierung endlich bewegt. Sie ist auf das Land und auf die
Gemeinde zugegangen und hat einige dieser knebelnden
Bedingungen verändert. Die Gemeinde muss nun keinen
Schadensersatz mehr zahlen. Die Gemeinde muss nicht
mehr so hohe Verzugszinsen und keinen Verbilligungsab-
schlag mehr zahlen.


(Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin: Frau Ostrowski, wer hat den ersten Vertrag geschlossen?)


Dies alles hätten Sie aber sowieso nie bekommen. Diese
Gemeinde ist mittellos. Greifen Sie einem nackten Mann




Vizepräsidentin Anke Fuchs

21473


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3
2) Anlage 4

einmal in die Tasche. Sie haben also lediglich Bedingun-
gen verändert, die sich durch das reale Leben schon eh er-
ledigt hatten. Auf die Verzugszinsen haben Sie noch nicht
einmal ganz verzichtet, sondern nur auf die Hälfte.


(Dr. Christine Lucyga [SPD]: Das ist doch schon etwas!)


– Das soll etwas sein für eine Gemeinde, die 12 000 DM
Schulden pro Kopf hat? Frau Lucyga, Sie waren noch nie,
noch kein einziges Mal dort. Und dabei liegt Dranske in
Ihrem Land und Ihrem Wahlkreis.

Das Entgegenkommen des Bundes hat sich also auf
Schritte reduziert, die lächerlich sind. An der Gesamtlage,
an der Existenzfähigkeit dieser Gemeinde hat sich über-
haupt nichts geändert. Ich habe gestern zum wiederholten
Mal mit dem Bürgermeister, der von der FDP ist, gespro-
chen, der mir dies bestätigt hat: Die Existenzfähigkeit der
Gemeinde steht nach wie vor auf der Kippe. Das ist völ-
lig klar.

Die SPD und konkret Sie, Frau Lucyga, erklärten im
Ausschuss, für eine Entschuldung enthalte das Programm
„Stadtumbau Ost“ umfangreiche Maßnahmen. Das ist
sachlich und fachlich großer Blödsinn. Zur Entschuldung
der Wohnungswirtschaft, auch der Wohnungswirtschaft in
Dranske, beinhaltet das Stadtumbauprogramm keine ein-
zige Maßnahme. Das ist eines der größten Probleme die-
ses Programms.


(Beifall bei der PDS)

Das gesamte Land Mecklenburg-Vorpommern bekommt
für Rückbau und Aufwertung im Rahmen dieses Pro-
gramms in diesem Jahr insgesamt 34 Millionen DM vom
Bund. Zur Relation: Dranske alleine hat 20 Millionen DM
Schulden.

Angesichts der Tatsache, dass die Ausschussmitglieder
regelmäßig wegen spannender Themen nach England,
China oder in sonstige Länder der Welt reisen, habe ich
mich sehr ernsthaft darum bemüht, dass wenigstens die
Wohnungspolitiker der Fraktionen eine Tagesreise nach
Dranske unternehmen. Ich habe allen Ausschussmitglie-
dern einen Brief geschrieben. Zunächst bekam ich eine
heimliche Zusage von einer Kollegin aus der SPD, dann
eine Absage vom Kollegen Goldmann aus der FDP – und
am Ende eine generelle Absage. Der Ausschuss war nicht
zu bewegen, wenigstens fünf Vertreter nach Dranske zu
schicken.

Selbstverständlich habe ich dies öffentlich gemacht,
auf einer Gemeindeversammlung in Dranske und auf an-
dere Weise. Man hat mir daraufhin den Vorwurf unkolle-
gialen Verhaltens gemacht.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421607500
Frau Kollegin, bitte
denken Sie an Ihre Redezeit.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1421607600
Ich komme zum
Schluss. – Ich frage Sie: Halten Sie es nicht für einen
Skandal, dass Sie jede Gelegenheit, eine Reise zu unter-
nehmen, nutzen, dass Sie es aber nicht fertig bekommen,

von Berlin nach Dranske zu fahren und sich vor Ort von
der Situation zu überzeugen?


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421607700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/7887 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Dranske retten“ – der
Gemeinde eine Perspektive geben“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5806 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Ich rufe nun Zusatzpunkt 10 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zum Umfang der
Umsatzsteuerbefreiung von Dienstleistungen
der Deutschen Post AG

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort
zunächst der Kollegin Heidemarie Ehlert von der PDS-
Fraktion.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1421607800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Tagen
war in der Presse von dem Bericht des Bundesrechnungs-
hofes über die umstrittene Steuerbefreiung der Deutschen
Post AG die Rede. Zu dem Bericht will ich mich nicht
äußern. Ich kenne ihn zwar; aber er ist, wie wir wissen, ei-
gentlich noch immer streng geheim, obwohl die Medien
tagtäglich darüber berichten.

Mir geht es auch nicht um die Deutsche Post AG an
sich, gegen deren Privatisierung die PDS gestimmt hat.
Die Privatisierung hatte einerseits gravierende Folgen für
die Beschäftigten und die flächendeckende Versorgung.
Heutzutage kann ein Dorf, das noch einen Bäckerladen
hat, in dem Briefmarken verkauft werden, schon stolz
sein. Die Anzahl der Filialen wurde von 14 000 im Jahr
1998 auf 12 000 reduziert. Aber alle Vorteile, die mit der
Erfüllung hoheitlicher Aufgaben verbunden sind – wie die
Umsatzsteuerbefreiung –, werden natürlich mitgenom-
men.

Mir geht es erstens um Aufklärung der in diesem Zu-
sammenhang sichtbar gewordenen steuerrechtlichen Pro-
bleme und zweitens um den Umgang der Bundesregie-
rung mit dem Parlament.

Zu erstens: Das Umsatzsteuergesetz hätte spätestens
zum 1. Januar 1998 im Zuge der Privatisierung der Post
geändert werden müssen. Das Postgesetz schreibt die ho-
heitlichen Aufgaben der Post fest. Darunter fallen aber
nicht die Universaldienstleistungen und die sonstigen
Leistungen. Um diesen Bereich geht es heute hier. Hier
sind Wettbewerber zugelassen, auch wenn diese derzeit
noch nicht zahlreich sind. Die Wettbewerber müssen Um-




Christine Ostrowski
21474


(C)



(D)



(A)



(B)


satzsteuer zahlen, die Deutsche Post aber eben nicht. Das
ist Wettbewerbsverzerrung.


(Beifall bei der PDS und der FDP)

In ihrem Börsenprospekt hat die Post in Vorbereitung

auf den Börsengang festgestellt, dass eine Klärung hin-
sichtlich der Steuerpflicht notwendig ist. Auf Seite 180
dieses Prospekts wird auf Steuerforderungen der Finanz-
behörden von knapp 1 Milliarde Euro allein für die Jahre
1998 und 1999 verwiesen. Lakonisch heißt es darin wei-
ter:

Die Bundes- und Landesfinanzbehörden haben die
Frage der Umsatzsteuerbefreiung im Jahre 2000 ab-
schließend entschieden, ... dass die Postuniversal-
dienstleistungen nach § 4 Nr. 11 b Umsatzsteuerge-
setz von der Umsatzsteuer freizustellen sind.

Darauf komme ich noch einmal zurück.
Es ist unstrittig, dass die Deutsche Post im Bereich der

Universaldienstleistungen hohe Investitionen in die Infra-
struktur vorgenommen hat. Deshalb optierte die Deutsche
Post seit dem 1. Januar 1999 selbst zur Umsatzsteuer-
pflicht, um in den Genuss der Vorsteuerüberhänge in
Höhe von circa 45 Millionen DM pro Monat zu kommen,
und stellte offensichtlich im gewerblichen Bereich Unter-
nehmen Umsatzsteuer in Rechnung.

Hieraus ergeben sich für mich zwei Fragen: Erstens.
Wurde die Deutsche Post durch Steuergeschenke der Bun-
desregierung börsenfähig gemacht? Zweitens. Wenn die
Umsatzsteuerbefreiung im Jahre 2000 geklärt war, wieso
hat dann die Post selbst anders gehandelt und teilweise zur
Umsatzsteuerpflicht optiert, wie es heute der „Bild“-Zei-
tung zu entnehmen war?

Bei der vorliegenden Einzelentscheidung der Bundes-
regierung zur Besteuerung der Post haben wir es nicht nur
mit einem steuerrechtlichen Problem zu tun, sondern auch
mit möglichen Verstößen gegen § 20 Verwaltungsverfah-
rensgesetz, gegen § 82 Abgabenordnung und gegen die
Geschäftsordnung der Bundesregierung. Auch hier tut
Aufklärung Not.

Damit bin ich bei meinem zweiten Problem: Ich hatte
aus dem Börsenprospekt zitiert, wonach Bundes- und
Landesbehörden entschieden hatten, die Universaldienst-
leistungen der Post steuerfrei zu stellen. Das Finanzminis-
terium in Nordrhein-Westfalen war mit dieser Entschei-
dung nicht einverstanden. Finanzminister Eichel
unterzeichnete dennoch eine entsprechende Weisung an
seinen Düsseldorfer Kollegen.

Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages
wurde nicht gefragt, übrigens auch nicht bei der jüngsten
Änderung des Postgesetzes, wonach die Universaldienst-
leistungen von der Post bis zum Jahre 2007 vorgehalten
werden müssen. Diese Verlängerung hätte ich selbstver-
ständlich unterstützt. Gleichzeitig hätte ich aber gefordert,
den Punkt „Kosten der öffentlichen Haushalte“ zu ändern.


(Beifall bei der PDS)

Wenn wir Parlamentarier es denn wollen, bleiben die

Universaldienstleistungen umsatzsteuerfrei und damit ge-
hen den Kassen von Bund, Ländern und Kommunen Gel-

der in einer beträchtlichen Größenordnung verloren. Das
ist meines Wissens nicht mit den Ländern besprochen
worden. Wir wurden aber nicht gefragt, sondern Herr
Eichel hat per Unterschrift und im Alleingang entschie-
den, dass die Universaldienstleistungen steuerfrei seien.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421607900
Frau Kollegin, wir
sind in der Aktuellen Stunde. Sie haben Ihre Redezeit
überschritten.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1421608000
Gleichzeitig wurden Ge-
setze zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges verab-
schiedet. Das habe ich unterstützt. Aber hier wird einfach
anders gehandelt. Was nützt uns dieses Gesetz? Wie sol-
len meine Kollegen im Finanzamt draußen prüfen gehen,
wenn der Minister entscheidet, was steuerfrei und was
steuerpflichtig ist?

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421608100
Für die Bundesregie-
rung spricht jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin
beim Bundesfinanzminister, Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1421608200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In den von der PDS-Fraktion
angesprochenen Presseberichten wird aus einem als ge-
heim eingestuften Bericht des Bundesrechnungshofes zi-
tiert. Dies geschieht noch dazu ziemlich einseitig und un-
genau. Darüber hinaus verletzen diese Berichte das
Steuergeheimnis der Deutschen Post AG.

Dies vorausgeschickt will ich mich – wohl wissend,
dass dieser Versuch inzwischen skurrile Züge annimmt –
ausdrücklich nur zu den Presseberichten äußern, weil der
Bericht des Bundesrechnungshofes nach wie vor geheim
ist. Dass er nach wie vor geheim ist, liegt in der Verant-
wortung des Bundesrechnungshofes. Die Einstufung
wurde durch den Großen Senat vorgenommen und kann
auch nur durch diesen aufgehoben werden. Darauf hat die
Bundesregierung keinen Einfluss. Die Deutsche Post AG
hat aber den Bundesminister der Finanzen am Donnerstag
vergangener Woche insoweit vom Steuergeheimnis ent-
bunden.

Die umsatzsteuerliche Bewertung muss die rechtlichen
Vorgaben und die Wettbewerbssituation betrachten. Ich
komme zunächst zu den rechtlichen Vorgaben:

Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe a der 6. EG-
Richtlinie befreien die Mitgliedstaaten „die von den öf-
fentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistun-
gen“ von der Umsatzsteuer. Nach § 4 Nr. 11 b Umsatz-
steuergesetz sind die unmittelbar dem Postwesen dienen-
den Umsätze der Deutschen Post AG von der Umsatz-
steuer befreit. Diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur
Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation
vom 14. September 1994 mit Wirkung vom 1. Ja-
nuar 1995 zur Umsetzung der 6. EG-Richtlinie ins natio-
nale Recht in das Umsatzsteuergesetz eingefügt worden.




Heidemarie Ehlert

21475


(C)



(D)



(A)



(B)


Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass
die Steuerbefreiung zumindest so lange bestehen bleiben
soll,

als wesentliche Marktsegmente den Nachfolgeunter-
nehmen der Deutschen Bundespost ausschließlich
vorbehalten bleiben, diese Unternehmen besondere
Infrastrukturlasten zu tragen haben und durch ho-
heitliche Maßnahmen wie auch durch Allein- und
Mehrheitsbesitz des Bundes die Einhaltung staat-
licher Vorgaben gesichert bleibt.

Zudem ging der Gesetzgeber damals davon aus, dass der
öffentliche Charakter der Deutschen Post AG trotz Um-
strukturierung der Deutschen Bundespost von einem Mo-
nopolunternehmen in drei private Unternehmen noch
nicht vollständig aufgegeben worden ist.

Am 1. Januar 1998 trat das Postgesetz in Kraft. Zweck
dieses Gesetzes ist es, durch Regulierung im Bereich des
Postwesens den Wettbewerb zu fördern und flächen-
deckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen
zu gewähren. Nach § 51 Postgesetz wurde der Deutschen
Post AG für einen näher bezeichneten Bereich von Post-
dienstleistungen – zunächst bis zum 31. Dezember 2002,
jetzt bis 2007 – eine gesetzliche Exklusivlizenz einge-
räumt. Diese Leistungen sind nach § 4 Nr. 11 b Umsatz-
steuergesetz von der Umsatzsteuer befreit.

Darüber hinaus kann die Deutsche Post AG – zunächst
bis zum 31. Dezember 2002, jetzt bis 2007 – bei Markt-
versagen zur Erbringung eines so genannten Universal-
dienstes verpflichtet werden. Die weiteren Einzelheiten
hierzu sind in der Post-Universaldienstleistungsverord-
nung vom 15. Dezember 1999 geregelt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ist das eine Vorlesung für Postassistenten im ersten Lehrjahr?)


– Es ist offenbar notwendig, auf die Rechtslage hinzu-
weisen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wir würden aber gern etwas zum Thema hören! – Weitere Zurufe der CDU/CSU)


– Sie kennen mich ja als durchaus lebhafte Rednerin. Es
scheint mir aber notwendig zu sein, hier – in der Hoff-
nung, dass auch die Herren und Damen Kollegen so viel
Auffassungsgabe wie die von Ihnen angesprochenen Juris-
ten des ersten Semesters haben – sehr eindeutig und nach-
drücklich auf die Rechtslage hinzuweisen.

Die Post-Universaldienstleistungsverordnung legt in
§ 1 fest, welche Leistungen der Deutschen Post AG als
Universaldienstleistungen anzusehen sind. Hierzu
gehören die Beförderung von Briefen bis zu einem Ge-
wicht von 2 000 Gramm, soweit deren Maße bestimmte
Grenzen nicht überschreiten, von Paketen bis zu einem
Gewicht von 20 Kilogramm, soweit deren Maße be-
stimmte Grenzen nicht überschreiten, sowie von be-
stimmten Zeitungen und Zeitschriften.

Diese Universaldienstleistungen, die ein Mindestange-
bot an Postdienstleistungen darstellen, muss die Deutsche
Post AG unter den in den §§ 2 bis 4 und 6 der Post-Uni-

versaldienstleistungsverordnung genannten Anforderun-
gen und Bedingungen flächendeckend erfüllen. Dabei
werden Mindestanforderungen an die Qualitätsmerkmale
für die Beförderung von Briefen und Paketen sowie von
Zeitungen und Zeitschriften festgelegt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Kennt der Rechnungshof die Vorschriften nicht?)


Kein anderes Unternehmen als die Deutsche Post AG
kann diese Leistungen derzeit erbringen, sodass im Er-
gebnis dieses Bündel von Leistungen mit Fug und Recht
als der Deutschen Post AG eigentümlich und vorbehalten
angesehen werden kann.


(Beifall bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ist dies dem Rechnungshof nicht bekannt?)


– Der Rechnungshof hat offenbar nur Teile der Gesetzes-
lage zur Kenntnis genommen.


(Zustimmung bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ein erheblicher Vorwurf!)


Zur Klarstellung hat der Gesetzgeber im Zweiten Ge-
setz zur Änderung des Postgesetzes die Deutsche PostAG
verpflichtet, für den Zeitraum der gesetzlichen Exklusiv-
lizenz, die jetzt bis 2007 gilt, bis dahin auch die Universal-
dienstleistungen zu erbringen. Die Novelle wird in Kürze
im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Daraus lässt sich
entnehmen, dass der Gesetzgeber selbst deutlich gemacht
hat, dass er diese Sicht der Dinge auch schon 1998 den
damaligen Regelungen zugrunde gelegt hat.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Mir scheint, das ist auch Ihrer Steuerabteilung nicht bekannt! Sie kam doch auch zu einem anderen Ergebnis! Auch der Finanzminister von NRW kam zu einem anderen Ergebnis!)


Zweitens. Es ist zu fragen: Steht die Deutsche Post AG
auch hinsichtlich der Universaldienstleistungen in vollem
Wettbewerb? Dafür spricht lediglich, dass zum Zeitpunkt
der Entscheidung, nämlich am 18. Februar 2000, Lizen-
zen an 220 private Wettbewerber erteilt waren, die zu die-
sem Zeitpunkt nach Auskunft des Bundesrechnungshofes
allerdings lediglich rund 1 Prozent Marktanteil hatten.
Aber die Deutsche Post AG stand und steht nach wie vor
unter einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung.

Die Verpflichtung der Deutschen Post AG zur Erbrin-
gung des Universaldienstes ergibt sich aus dem am 1. Ja-
nuar 1998 in Kraft getretenen Postgesetz. Hintergrund für
die Regelungen des Postgesetzes ist die Vorgabe des
Art. 87 f des Grundgesetzes, wonach der Bund im Bereich
des Postwesens flächendeckend angemessene und ausrei-
chende Dienstleistungen gewährleistet.

Das Postgesetz sieht in den §§ 11 ff. vor, dass die Re-
gulierungsbehörde zur Gewährleistung des Universal-
dienstes erforderlichenfalls Unternehmen zu Universal-
dienstleistungen verpflichten kann. Dabei ging der
Gesetzgeber für eine Übergangszeit von einer faktischen
Erfüllung der Universaldienstleistungsverpflichtung
durch die Deutsche Post AG aus. Dies ergibt sich aus den
§§ 52 und 56 des Postgesetzes. Dort wird die Deutsche
Post AG verpflichtet, der Regulierungsbehörde eine be-




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
21476


(C)



(D)



(A)



(B)


absichtigte Dienstleistungseinschränkung im Bereich des
Universaldienstes sechs Monate vorher mitzuteilen. Da-
mit soll sichergestellt werden, dass die Regulierungs-
behörde Versorgungslücken im Bereich der Grundversor-
gung verhindern kann; § 52 des Postgesetzes.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Warum sieht das der Finanzminister in Nordrhein-Westfalen anders? – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ CSU]: Und vor allem Ihre eigene Steuerabteilung!)


Die in § 56 des Postgesetzes unterstellte Verpflichtung der
Deutschen Post AG zur Erbringung von Universaldienst-
leistungen bis sechs Monate nach Kündigung wird von
der gerade verlängerten Exklusivlizenz flankiert, die den
Zutritt privater Wettbewerber insoweit verhindert.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ihr Steuerabteilungsleiter sieht es auch anders!)


Soweit die bisherige Regelung.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Tatütata, die Post ist da!)

In der Begründung der Neufassung des § 52 des Post-

gesetzes durch die Novelle zum Postgesetz ist in authen-
tischer Interpretation des Gesetzgebers ausgeführt – ich
zitiere –:

Mit der Neufassung des § 52 wird der faktisch beste-
hende Zustand gesetzlich festgeschrieben. Die Deut-
sche Post AG ist als alleiniger Anbieter sämtlicher
Universaldienstleistungen bereits heute während des
Zeitraums der Exklusivlizenz ausschließlicher
Adressat einer im Falle des Auftretens einer Versor-
gungslücke gegebenenfalls notwendig werdenden
förmlichen Verpflichtung zum Universaldienst und
unterliegt daher einer besonderen Universaldienst-
verantwortung, die auch in der Regelung des § 56
zum Ausdruck kommt. Vor dem Hintergrund der da-
durch schon nach der bisherigen Rechtslage begrün-
deten faktischen Universaldienstpflicht hat die Än-
derung des § 52 in erster Linie klarstellende
Funktion.

Ich habe aus dem verabschiedeten Gesetz zitiert.
Zur Sicherstellung des verfassungsrechtlichen Auftra-

ges hat die Deutsche PostAG zum Beispiel gemäß § 2 der
Post-Universaldienstleistungsverordnung eine unter be-
triebswirtschaftlichen Maßstäben überdimensionierte In-
frastruktur mit mindestens 12 000 Filialen zu unterhalten.
Diese in der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung liegen-
den Vorhaltekosten, von der Deutschen Post AG als Uni-
versaldienstlasten bezeichnet, belasten nur die Deutsche
Post AG, keinen der Wettbewerber.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421608300
Frau Kollegin, ich
muss Sie auf das Ende Ihrer Redezeit aufmerksam ma-
chen, weil sich sonst alles nach hinten verschiebt. Bitte
sehr.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein, das ist hochinteressant! – Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist spannend!)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1421608400
Solange diese kostenträch-
tige Verpflichtung besteht, ist voller Wettbewerb nicht
hergestellt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Frau Kollegin, Sie würden nicht unter die PISA-Kategorien fallen, so gut, wie Sie lesen!)


Ich möchte Ihnen gern noch ein Zitat des früher ver-
antwortlichen Staatssekretärs Dr. Stark vorlesen, der ge-
nau zu diesem Schluss kommt. Er hat am 2. Juli 1996 dar-
gelegt:

Ob und wann die Deutsche Post AG mit anderen Un-
ternehmen in uneingeschränkten Wettbewerb tritt
und ihre Leistungen in vollem Umfang der Umsatz-
steuer zu unterwerfen sind, hängt nicht zuletzt von
der weiteren EG-rechtlichen Entwicklung auf dem
Gebiet der Postdienstleistungen ab. Bis zu diesem
Zeitpunkt muss es bei der bestehenden Regelung ver-
bleiben.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Da gab es auch ein Zitat von Churchill! – Jürgen Koppelin [FDP]: Und eines von Thurn und Taxis!)


Unter anderem damit begründete Dr. Stark, als Ihre Bun-
desregierung die Verantwortung trug, die Umsatzsteuer-
befreiung.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Damals gab es aber noch nicht über 200 Wettbewerber!)


Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421608500
Nun wissen wir es
alle. – Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel.


(Zuruf: Damit ist die Frage nach dem Schluss der Sitzung wieder offen!)


– Ich weise darauf hin, dass die Bundesregierung länger
reden darf. Wir sind in der Aktuellen Stunde. Jetzt bitte
höchstens fünf Minuten!


Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1421608600
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretä-
rin, wenn Sie schon so gut vorlesen können, hätten Sie uns
auch den Text anderer Schreiben vortragen können. Ich
hörte, dass das „Handelsblatt“ zitierte, es gebe Schreiben
von der Post AG an Ihr Haus, in denen dringend darum
gebeten werde, mit Blick auf den Börsengang darauf zu
verzichten, die Mehrwertsteuer zu erheben. Nach Aus-
kunft des „Handelsblatts“ heißt es darin weiter, man solle
Gründe dafür suchen. Warum haben Sie uns dieses
Schreiben hier nicht vorgelesen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Lesen Sie es doch vor! Wir sind gespannt!)





Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

21477


(C)



(D)



(A)



(B)


Folgt man dem „Handelsblatt“ weiter, ging es um eine
ganze Reihe von Antwortschreiben des Staatssekretärs
Overhaus, um Schreiben, die an den Minister des Landes
Nordrhein-Westfalen gerichtet wurden. Warum haben Sie
diese Schreiben nicht zitiert? Sie wären sehr interessant
und dazu geeignet gewesen, die Sachzusammenhänge
aufzuhellen und Klarheit zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Zitieren Sie sie doch!)


Wenn Sie ausführen, Sie könnten leider nichts Weite-
res sagen, weil der Bundesrechnungshof die Geheimhal-
tung vorgegeben habe, hätten Sie es in der Hand, die Ak-
ten an den Deutschen Bundestag herauszugeben. Es sind
Ihre Akten, über die da verhandelt wird. Dann könnten wir
selber diesen Skandal mit der richtigen Bewertung in der
Öffentlichkeit darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da beißt die Maus keinen Faden ab: Mit seiner Ent-

scheidung hat Bundesminister Hans Eichel nicht nur Län-
der, Kommunen und Sozialversicherungen und übrigens
auch die Europäische Union um Milliarden gebracht. Er
hat vielen kleinen Geldanlegern großen Schaden zugefügt.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: So ein Quatsch!)


Er hat darüber hinaus ein geradezu verheerendes Bild
über die internen Entscheidungsprozesse im Bundesfi-
nanzministerium abgeliefert. Der Minister hat eine Ent-
scheidung, die üblicherweise Gerichte fällen, schlichtweg
an sich gerissen – vorbei am Parlament, vorbei am Bun-
desrat, nur ein Ziel verfolgend: Man wollte unbedingt im
Jahr 2000 mit der Post an die Börse gehen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Gegen die Vorschläge des eigenen Hauses!)


Warum wollte man das? Man wollte an die Börse, weil
man die 10 Milliarden unbedingt im Bundeshaushalt
brauchte,


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

um einen strahlenden Hans Eichel und einen schönen
Bundeshaushalt präsentieren zu können. Dies hätte es
nämlich anderenfalls gar nicht gegeben. Die volkswirt-
schaftlichen Daten hätten sich ganz anders entwickelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Daher musste man einen Weg finden und fand den Weg,
die Gelder, die eigentlich für die Umsatzsteuer hätten zur
Verfügung gestellt werden sollen, einfach zu Gewinn zu
machen. Damit präsentierte man in der Öffentlichkeit ein
Ergebnis, das suggerierte: Jawohl, die Post ist für den
Gang an die Börse gewappnet.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Man hat sich selbst begünstigt! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Man hat die Braut schöngemacht!)


Auf diese Weise hat man die Situation mit einem Fe-
derstrich bereinigt, sodass dieser Börsengang möglich

wurde. In der Fernsehwerbung für die Postaktie freilich
wurde dieser Trick bewusst nicht vorgeführt; vielmehr
wurde der Ertrag der Post dargestellt. Daraufhin kaufte
der kleine Mann die Aktie.

Schlecht für Hans Eichel: Der Bundesrechnungshof
hat die Sache zu früh aufgedeckt. Bis jetzt hat offenbar
noch niemand richtig wahrgenommen, dass die Ver-
jährung des Umatzsteueranspruchs – das kann noch eine
große Rolle spielen –


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


erst Ende 2002 eintritt und sich bis dahin noch alle Betei-
ligten darum bemühen können, ihre Ansprüche zu reali-
sieren.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wir streichen das dann am Ende ein!)


Meine Damen und Herren, lachen Sie nicht zu früh; das
Thema wird mit Sicherheit noch sehr viele bewegen. Es
ist sehr schlecht für Sie, dass die rechtswidrige Entschei-
dungspraxis aus dem Haus Eichel bekannt geworden ist.
Die Kollegin hat es vorhin schon gesagt: Hier sind vier
Firewalls, vier Gesetze vorhanden: die Abgabenordnung,
das Verwaltungsverfahrensgesetz, die Geschäftsordnung
des eigenen Hauses und darüber hinaus die Entsende-
richtlinie des Bundesinnenministers. Über all diese Vor-
schriften hat sich das Finanzministerium in eigener Sache
hinweggesetzt. Das ist ein Skandal ersten Ranges und
kein Kavaliersdelikt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Jetzt kommt noch eine ganz neue Story, die hier – ab-
gesehen von Ihnen, Frau Ehlert – noch gar nicht ange-
sprochen worden ist: die Rechtfertigung durch das neue
Gesetz. Wer einmal den Werdegang dieses Gesetzentwurfs
verfolgt, wird erkennen, dass der Bundesrat das Gesetz an-
fangs ganz anders eingebracht hat. Dann hat das Gesetz
– sehr spät – eine andere Wendung genommen: vorbei am
Bundestag, vorbei am Bundesrat; niemand hat es gemerkt.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Der Bundesrat hat doch zugestimmt! – Gegenruf des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Weil Sie nicht offen gelegt haben, worum es geht! Die Zustimmung war erschlichen!)


In dieses Gesetz hätte man hineinschreiben müssen, dass
man eine andere Grundlage beschließen wolle, was in den
nächsten Jahren 5 Milliarden DM kosten werde. Dann
wäre die Sache sauber gewesen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Da steht drin: keine Kosten! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Kosten: keine!)


Dass man das nicht getan hat, ist eine Manipulation des
Gesetzgebers durch diese Regierung, meine Damen und
Herren. Das kann und wird sich dieses Parlament nicht ge-
fallen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Arglistige Täuschung!)





Hans-Joachim Fuchtel
21478


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421608700
Nun hat der Kollege
Oswald Metzger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421608800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass sich
der Kollege Fuchtel in der Sache ereifert, habe ich im
Rechnungsprüfungsausschuss erlebt, als er die Sitzung
am vorletzten Freitag als stellvertretender Vorsitzender
leitete.

In der Sache selbst kann man Folgendes festhalten: Es
gibt eine Praxis der Umsatzsteuerbefreiung für die Deut-
sche Post AG, die wir in der rechtlichen Anwendung von
der Vorgängerregierung übernommen haben. Es gibt
keine neue rechtliche Position auf Bundesebene.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Damals gab es noch keine Wettbewerber! 800 Lizenzen und 200 Wettbewerber!)


In allen europäischen Ländern – deshalb gibt es eine
EU-Richtlinie – haben die Postunternehmen, die über-
wiegend aus Staatsunternehmen hervorgingen, für ent-
sprechende gemeinwirtschaftliche Auflagen befristete
Steuerbefreiungen erhalten.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das ist nicht die Grundlage! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Warum regeln Sie das dann nicht offen im Steuergesetz, sondern verstecken es im Postgesetz?)


– Wie Sie vielleicht gehört haben, ist die Befreiung nach
geltendem Recht in Deutschland bis 2007 befristet. Das
sage ich als Ordnungspolitiker jetzt als Fußnote. –


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Zehn Jahre wollen Sie das machen!)


Natürlich ist klar, dass sich im Zuge des zunehmenden
Wettbewerbs eines nicht allzu fernen Tages auch im Be-
reich der Universaldienstleistungen die Frage der Um-
satzsteuerpflicht der Deutschen Post AG stellen wird.

Damit sind wir genau an dem Punkt, der heute in der
„Bild“-Zeitung eine Rolle spielt. Dort wird nämlich der
Eindruck erweckt, die Deutsche Post AG würde Mehr-
wertsteuer von gewerblichen Kunden erheben, dann aber
auf dem Umsatzsteuerprivileg beharren und dadurch
Rechtsbruch begehen. Meine Damen und Herren, hier un-
terliegen sowohl die „Bild“-Zeitung als auch Sie von der
Opposition einem Irrtum: Die Deutsche Post AG hat
natürlich auch einen gewerblichen Bereich, in dem sie
nicht den Rechtsverpflichtungen nach der PUDLV unter-
liegt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ein toller Name! Sie stehen am Ende wie ein begossener Pudel da!)


Dort kann sie Umsatzsteuer erheben. Diese Umsatzsteuer
wird an die Finanzverwaltung abgeführt. Das können Sie
in einer Pressemitteilung der Deutschen Post AG von
heute, 11.34 Uhr, nachlesen. Selbstverständlich können
die gewerblichen Kunden der Deutschen Post AG die in

Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer von der
bei ihnen zu ermittelnden Umsatzsteuer abziehen. Dies ist
also formalrechtlich auch in Ordnung.

Jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Ihnen
geht es ja im Prinzip um die Diskreditierung eines Vor-
gangs im September, den Ihre Staatssekretäre selber mit-
getragen haben. Dem Postgesetz, gegen das Sie jetzt vor-
gehen, hat zumindest die Union zugestimmt, die FDP
nicht; hier muss ich differenzieren.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aber wir haben die Braut nicht künstlich schön gemacht!)


– Sie haben im September der Postgesetz-Novelle zuge-
stimmt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Im Bundestag nicht! Die CDU/CSU-Fraktion nicht!)


Daher brauchen Sie sich hinsichtlich der materiellrechtli-
chen Natur dieses Vorgangs jetzt nicht aufzublasen.

Natürlich gibt es Kritik am Prozedere im Finanzminis-
terium. Aber was hat das Finanzministerium gemacht?
Staatssekretär Overhaus und Staatssekretär Zitzelsberger
waren bei der ersten parlamentarischen Behandlung des
Vorgangs im Rechnungsprüfungsausschuss anwesend
und haben Rede und Antwort gestanden. Sie waren an die-
sem Mittwoch im Finanzausschuss des Deutschen Bun-
destag anwesend und standen auch zur Verfügung, als die-
ser Vorgang im Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestag andiskutiert wurde. Die Bundesregierung hat
in dieser Woche zugesagt, dass der Bundesfinanzminister
bei der abschließenden Beratung im Rechnungsprüfungs-
ausschuss – ich glaube, am 23. Februar – zur Verfügung
stehen wird. Wie wollen Sie da den Eindruck erwecken,
dass die Bundesregierung mauert und sich dieser Ausei-
nandersetzung nicht stellt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Seien wir doch ehrlich: Sie alle wissen, dass einer der
beiden Staatssekretäre, nämlich der Nachfolger – sozusa-
gen in Zweitnachfolge – von Herrn Dr. Stark im Verant-
wortungsbereich der Steuerabteilung, vier Monate lang
schwer erkrankt war. Genau in dieser Zeit wurde der Bör-
senprospekt der Deutschen Post AG erstellt. In Vertretung
dieses Staatssekretärs Professor Zitzelsberger hat Staats-
sekretär Overhaus, der seinen Kollegen im Amt vertrat,


(Jürgen Koppelin [FDP]: Ich denke, das ist alles geheim! – Zuruf von der CDU/CSU: Aber bei der persönlichen Verhinderung gibt es eine andere Vertretungsregelung!)


dies dem Minister vorgetragen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat es nicht vor getragen, er ist aktiv tätig gewesen!)

Der Finanzminister hat eine Entscheidung getroffen, die
die alte Regierung im Außenverhältnis auch getroffen
hatte.


(Zuruf von der CDU/CSU)







(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Jetzt kommt
der entscheidende Punkt: Das war ein formaler Fehler.
Das haben Staatssekretär Overhaus und auch die Koali-
tion eingeräumt. Das Finanzministerium hatte nach dem
Bericht des Rechnungshofs schon die Konsequenz gezo-
gen, dass künftig im Vertretungsfall beteiligte Mitarbeiter
des BMF, die im Aufsichtsrat von Beteiligungsunterneh-
men sitzen, künftig nicht mehr gegenzeichnen dürfen.
Das ist in Ordnung.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist schon lange geltendes Recht!)


Diese Entscheidung ändert aber in materiellrechtlicher
Hinsicht nichts daran, dass der zuständige Mitarbeiter, bei
dem keine Interessenkoalision im Rechtssinne bestanden
hätte, zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Möglicherweise nicht, weil die Abteilung etwas anderes vertreten hat!)


Ihr Bemühen als Opposition, guten Ministern sozusa-
gen durch formale Mängel am Zeug flicken zu wollen, ist
durchaus legitim;


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Gute Minister, die blaue Briefe bekommen! Wer blaue Briefe kriegt, gilt nicht als gut!)


aber was ist das Ergebnis der ganzen Aufregung? Ich
meine, dass dieser Versuch in der Sache gescheitert ist.
Wir werden dieses Scheitern noch erleben, weil sie am
23. Februar im Rechnungsprüfungsausschuss an diesem
Thema sicherlich längst kein Interesse mehr haben wer-
den.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421608900
Für die FDP-Fraktion
hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin das Wort.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1421609000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung zu Ihnen,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1421609100
Ich bin ehrlich genug zuzugeben,
dass ich es in Ihrer Funktion wahrscheinlich genauso ge-
macht und hier die Gesetzestexte verlesen hätte. Denn ich
finde es – auch Ihnen persönlich gegenüber – unfair, dass
die hochrangigen Männer in Ihrem Hause wie Eichel,
Overhaus, Diller und wie sie alle heißen, die sich mit die-
sen Angelegenheiten beschäftigen, alle den Karren in den
Dreck gefahren haben und Sie es hier ausbaden sollen.
Das ist nicht sehr sauber.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Schöne Kavaliere! Aber so sind die Genossen!)


Was wir bisher über die Umsatzsteuerbefreiung der
Deutschen Post AG und die dazu gehörigen Vorgänge er-
fahren haben – es kommen immer noch neue Vorgänge
hinzu –, ist so ungeheuerlich, dass befürchtet werden
muss, dass es sich dabei nur um die Spitze des Eisbergs

handelt. Es ist zu befürchten, dass noch mehr Informatio-
nen dazukommen, und es ist nicht auszuschließen, dass
sich viele Kleinaktionäre, die Postaktien gekauft haben,
verraten und betrogen fühlen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Im Finanzministerium wird ein Staatssekretär beauf-
tragt, den Börsengang der Post vorzubereiten. Gleichzei-
tig sitzt dieser Staatssekretär im Aufsichtsrat der Deut-
schen Post AG. Allein das ist ein Vorgang, der nicht nur
gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung ver-
stößt, sondern auch gegen die Abgabenordnung. Darin
heißt es:

In einem Verwaltungsverfahren darf für eine Finanz-
behörde nicht tätig werden, ... wer bei einem Betei-
ligten gegen Entgelt beschäftigt ist oder bei ihm als
Mitglied des Vorstandes, des Aufsichtsrates oder ei-
nes gleichartigen Organs tätig ist.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Zweiter Teil der Vorlesung, Frau Staatssekretärin!)


Das wird von diesem Staatssekretär in einer Pressekonfe-
renz so kommentiert, das sei wohl formal nicht alles in
Ordnung gewesen. – Wie gehen Sie denn mit dem Gesetz
um? Wie geht dieser Staatssekretär mit dem Gesetz um?


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)


Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Kleinigkeit.
Deswegen fordert die Fraktion der FDP den Bundesfi-
nanzminister auf, den betreffenden Staatssekretär sofort
zu entlassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Dieser Staatssekretär hat dafür gesorgt

(Zurufe von der SPD)


– hören Sie doch zu, Herr Kollege, Sie kommen auch noch
dran –, und Herr Eichel hat sich daran beteiligt, dass die
Post von der Umsatzsteuer befreit wurde. Ich habe von Ih-
nen kein Wort dazu gehört, Herr Metzger. Es gab aber Wi-
derstand im Ministerium. Die leitenden Personen, die dort
mit dem Thema befasst waren, haben Widerstand geleis-
tet und auch schriftlich niedergelegt, dass sie dagegen wa-
ren.

Der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen
– das ist ja keiner von uns, sondern Ihr Parteifreund
Steinbrück –


(Dieter Grasedieck [SPD]: Haben Sie mit ihm gesprochen?)


hat Widerstand geleistet und gesagt: Wenn ich es denn
machen muss, dann fordern Sie mich schriftlich dazu auf.
Das war im Februar 2000.

Warum ist denn das Ganze geschehen? Die Antwort
auf diese Frage sind Sie uns bisher schuldig geblieben.


(Zurufe von der SPD)





Oswald Metzger
21480


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben das Ganze doch nur gemacht, um die Bilanz der
Post AG für den Börsengang aufzupäppeln. Nichts ande-
res haben Sie gemacht! Das werfe ich Ihnen vor.


(Beifall bei der FDP – Rainer Funke [FDP]: Bilanzfälschung!)


– Ich bin kein Jurist; ich kann das nicht beurteilen. Aber
die Börsenaufsicht sollte sich schon damit beschäftigen,
Herr Funke.

Sie haben die Umsatzsteuerbefreiung doch nur ge-
währt, um nach dem Börsengang der Post zugunsten des
Bundeshaushalts kräftig abkassieren zu können. Nichts
anderes war der Grund.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Als Nächstes zu den Bundesländern. Haben Sie über-
haupt mit ihnen gesprochen? Das Bundesland, aus dem
ich komme, Schleswig-Holstein – das ist gar nicht einmal
so groß –, hat durch Sie in zwei Jahren 30 Millionen DM
verloren. Wie wird das wohl in NRW sein?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und die Kommunen!)


– Von den Kommunen will ich gar nicht erst reden.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und die Rentenversicherung!)

Es ist doch sonst bei solchen Dingen üblich, mit den Bun-
desländern zu reden. Haben Sie mit dem Bundesrat oder
dem Bundestag darüber gesprochen? – Das haben Sie
nicht gemacht.

Herr Kollege Fuchtel hat mit Recht das angesprochen,
was noch auf uns zukommen wird. Auch da haben wir ja
erst die Spitze des Eisbergs gesehen. Was ist denn mit der
Vorsteuerpauschale? Was wurde dabei alles angerechnet?
Da bleibt noch vieles im Dunkeln. Wir haben es doch im
Rechnungsprüfungsausschuss erlebt: Dort wurden uns
weit über eine Stunde lang erst einmal nur Dokumente ge-
zeigt.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch darauf hin-
weisen: Ich habe den Staatssekretär Overhaus in der Bun-
despressekonferenz vor einer Woche gehört. Er sollte ein-
mal nachlesen, was er dort gesagt hat. Er hat nämlich
gesagt, er sei nur einmal mit dieser Angelegenheit befasst
gewesen, nämlich als er die Vorlage für den Bundesmi-
nister der Finanzen gemacht hat, das Land NRW anzu-
weisen, die Umsatzsteuerfreiheit zu gewähren.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Seit wann machen denn Staatssekretäre Vorlagen? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Nur wenn sie persönliche Interessen haben!)


Ich habe im Rechnungsprüfungsausschuss noch andere
Dokumente gesehen; ich habe häufiger etwas von Herrn
Overhaus gelesen. – Frau Staatssekretärin, Sie sollten
Herrn Staatssekretär Overhaus bitten, sich zu überlegen,
seine Aussage zu korrigieren. Nach meiner Erinnerung
stimmt sie nicht mit dem überein, was ich durch den
Rechnungsprüfungsausschuss weiß.

Ich wiederhole: Der Staatssekretär im Bundesfinanz-
ministerium, Herr Overhaus, muss sofort entlassen wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn der Bundesfinanzminister zu diesem Schritt nicht
bereit ist, dann


(Hans Georg Wagner [SPD]: Muss er zurücktreten, nicht?)


schließe ich nicht aus, dass der Bundesfinanzminister
selbst den Hut nehmen muss.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP] – Zuruf von der CDU/CSU: Der nächste Fall!)


Denn, Herr Kollege Wagner, der Bundesfinanzminister
trägt letztlich die Verantwortung dafür, dass beim Bör-
sengang der Deutschen Post AG getarnt, getäuscht und
hinters Licht geführt worden ist.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421609200
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Dr. Christa Luft für die PDS-Fraktion.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1421609300
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen war in der
„Süddeutschen Zeitung“ zu lesen:

Irgendwie fühlt man sich zurzeit an das Frühjahr
1999 erinnert, als die Regierung Schröder von Fehler
zu Fehler stolperte. Damals hatte sie die Entschuldi-
gung, noch in der Lernphase zu sein.

Dieses Argument sticht allerdings im vierten Jahr der rot-
grünen Koalition nicht mehr.


(Zuruf von der SPD: Darum müssen Sie jetzt was lernen!)


Was an Ungereimtheiten, Fehlern und Versäumnissen im
Regierungsalltag allein in den letzten vier bis fünf Wo-
chen an die Öffentlichkeit gelangt ist, gar der Versuch,
sich am Gesetzgeber, am Parlament, vorbei mogeln zu
wollen, spricht, wie ich finde, eher für Selbstgerechtig-
keit.


(Beifall bei der PDS)

Das kann sich dieses Parlament nicht länger gefallen las-
sen.

Nach dem Verteidigungsminister, dem Innenminister,
dem Arbeitsminister und dem Wirtschaftsminister kommt
nun auch der Finanzminister, der ansonsten immer ver-
sucht, sorgsam mit den Zahlen umzugehen, ins Gerede,
weil er entgegen der einhelligen Rechtsauffassung der
Steuerreferate sowohl des Bundesfinanzministeriums als
auch des Finanzministeriums von Nordrhein-Westfalen
die Eigenmächtigkeit seines Staatssekretärs geduldet hat,
obwohl eine gesetzliche Regelung notwendig gewesen
wäre.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)





Jürgen Koppelin

21481


(C)



(D)



(A)



(B)


Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es gibt
überhaupt keine Rechtfertigung, diesen Vorgang herun-
terzuspielen,


(Beifall bei der PDS)

auch nicht mit dem Hinweis, Herr Kollege Metzger, die
Vorgängerregierung habe dies auch immer so praktiziert.
Ich frage mich allmählich, wie lange man als fehlerhaft er-
kannte Praktiken der Vorgängerregierung mit dem Hin-
weis auf die Vorgängerregierung fortsetzen will; denn dies
taucht ja fast in jeder Debatte auf.


(Zustimmung bei der FDP)

Dieser Fall ist wie der Fall des Steuererlasses gegen-

über der bayerischen Rüstungsfirma Diehl exemplarisch
für das willkürliche Agieren des Bundesfinanzministeri-
ums. Per Erlass oder per Anordnung werden Unterneh-
men aus ganz unterschiedlichen Gründen Steuern erlas-
sen. Wenn der entsprechende Fall in die Öffentlichkeit
gelangt und wenn Parlamentarier Rechenschaft fordern
– so wie heute die PDS-Bundestagsfraktion –, dann zieht
sich der Finanzminister auf das Steuergeheimnis zurück.
Das Steuergeheimnis verbietet aber nur die Offenbarung
der Steuerverhältnisse Dritter. Das Steuergeheimnis hin-
dert die Bundesregierung überhaupt nicht daran, zu ihrem
eigenen Verhalten Stellung zu nehmen.


(Beifall bei der PDS)

Es erstaunt mich schon – aber wir hören ja noch einige

Kolleginnen und Kollegen der Koalition –, dass das deut-
liche Raunen, das in den letzten Tagen zu diesem Fall zu
hören war und über das der „General-Anzeiger“ am
29. Januar berichtet hat, in der heutigen Diskussion über-
haupt nicht mehr anklingt. Dabei sind doch eine Fülle von
Fragen, die berechtigterweise gestellt werden, noch
nicht – auch nicht durch die lange Chronik, die die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin uns hier vorgetragen
hat – beantwortet.

Im Übrigen muss ich sagen, Frau Staatssekretärin, Sie
waren im Unterschied zu Ihren sonstigen Reden heute
nicht besonders kämpferisch.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Allerdings!)


Sie haben eine solche Akribie an den Tag gelegt, dass man
vermuten muss, die Bundesregierung ist sich sicher, dass
es zu weiteren Prüf- und vielleicht auch Gerichtsverfah-
ren kommt. Ich persönlich möchte nicht ausschließen,
dass das der Fall sein wird.

Die Fragen, die noch nicht beantwortet sind, lauten:
Warum optiert ein umsatzsteuerbefreites Unternehmen
zur Umsatzsteuerpflicht? Bezog sich dieses Optieren nur
auf die im Wettbewerb stehenden Leistungen? Diese Fra-
gen sind bisher noch nicht beantwortet. Warum kann die
Telekom nicht das gleiche Privileg in Anspruch nehmen,
da sie doch auch verpflichtet ist, Universaldienstleistun-
gen wie den Sprachdienst oder die flächendeckende Ver-
sorgung mit öffentlichen Fernsprechern anzubieten?
Warum räumt Staatssekretär Overhaus Fehler ein, wenn
im Grunde genommen alles seine Ordnung hatte? Man

kann diese Unstimmigkeiten doch nicht mit Vertretungs-
und Krankheitsfällen begründen.

Ich glaube, dass der hier debattierte Fall große Zweifel
an der Konsistenz und Glaubwürdigkeit rot-grüner
Steuer- und Finanzpolitik nährt. Wer auf der einen Seite
Umsatzsteuerbefreiungen in Milliardenhöhe für ein einzi-
ges Unternehmen genehmigt, der möge auch begründen,
warum zum Beispiel Handwerksbetriebe, die arbeitsin-
tensive Dienstleistungen anbieten, nicht mit einem nied-
rigen Mehrwertsteuersatz belegt werden.


(Beifall bei der PDS – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Da sie keinen gesetzlichen Auftrag haben!)


In diesem Fall wird immer gesagt, das führe zu Steuer-
ausfällen. Das führt aber nur zeitweilig zu Steuerausfäl-
len, weil damit Wachstum und Beschäftigung und somit
neue Steuereinnahmen generiert werden.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ja FDP-Politik, was Sie hier sagen!)


Aus diesem Fall kann die öffentliche Hand außer einer
kurzfristigen Haushaltseinnahme keine weiteren Vorteile
erzielen.

Man muss dem „Handelsblatt“ zustimmen, das am
28. Januar geschrieben hat, dass die Bundesregierung
kein politisches Konzept mehr hat, das bis zum Wahltag
frei von Häme und Kritik ist. Ich glaube, der eben debat-
tierte Fall belegt das, was das „Handelsblatt“ geschrieben
hat.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Josef Hollerith [CDU/CSU])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421609400
Jetzt hat der Kollege
Dieter Grasedieck für die SPD-Fraktion das Wort.


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1421609500
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-, PDS- und
CDU/CSU-Detektive sind wieder einmal fündig gewor-
den.


(Beifall bei der PDS – Lachen bei der FDP – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Oberdetektiv Austermann spricht von einem Steuerskan-
dal. Sie müssen es wissen. Sie haben ja lange genug Spen-
denaffären in verschiedenen von Ihnen regierten Ländern
gehabt. In diesem Bereich sind Sie zu Hause; da haben Sie
Erfahrung.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Worin geht es im Kern bei dieser Aktuellen Stunde?


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal!)


Es geht erstens um Wahlkampf.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Den Sie besonders fürchten müssen!)





Dr. Christa Luft
21482


(C)



(D)



(A)



(B)


Das erkennt man besonders deutlich an der Rede von
Herrn Koppelin. Es geht zweitens um Ihr Postgesetz und
im Zusammenhang damit um Ihr Steuergesetz. Sie, Herr
Repnik, Herr Fromme und Herr Koppelin, haben das Ge-
setz 1995 und 1998 eingebracht.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Er hat immer noch nicht begriffen, dass es damals keinen Wettbewerb gab!)


Sie dürfen nicht alles verteufeln, was Sie einst be-
schlossen haben, Herr Fromme. Manches war ganz gut;
vieles war natürlich sehr schlecht. Das ist gar keine
Frage.

Nebenbei bemerkt: Es geht – das ist vorhin schon an-
gesprochen worden – um offensichtliche Verfahrensfehler.


(Rainer Funke [FDP]: Das ist ganz schön verfahren!)


Die Kernfrage, die hier im Raum steht, lautet: Braucht die
Post Steuervorteile oder nicht? Ich sage: Ja. Die Post hat
soziale Aufgaben: Sie befördert die Post, die Päckchen
und die Zeitungen von München zur Hallig Hooge.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Selbst in Lappland kriegen die Leute die Post!)


Ihre Aufgabe ist es, ihre Dienstleistungen flächendeckend
anzubieten. Es ist wichtig, dass die Post auch das normale
Paket transportiert. Das ist ebenfalls eine Aufgabe der
Post, die flächendeckend erfüllt werden muss. Die dafür
anfallenden Kosten müssen – auch vom Staat – ausgegli-
chen werden.

Herr Fromme, es gibt faktisch keinen Wettbewerb.
Denn der freie Markt stellt nur 1 Prozent – nicht mehr –
der Postdienstleistungen zur Verfügung; die auf dem
freien Markt tätigen Unternehmen haben allerdings nicht
die Aufgabe, flächendeckend zu arbeiten.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Vielleicht hat es etwas mit der Steuer zu tun? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Hören Sie doch zu!
Wir brauchen in ganz Deutschland ein Dienstleis-

tungsnetzwerk. Die Post wird den Betrieb in 12 000 Fi-
lialen aufrechterhalten müssen; im Moment hält sie den
Betrieb in 13 000 Filialen aufrecht.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Im Moment schließt ihr jede Woche eine!)


Für meinen Wahlkreis ist es wichtig, die Poststellen zu
erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin froh, dass es in meinem Wahlkreis Bottrop-Reck-
linghausen noch viele Poststellen gibt. Sie haben doch si-
cherlich hin und wieder auch Probleme mit der
Schließung von Poststellen.

Sie sollten auch sehen, dass wir die Gebühren berück-
sichtigen müssen. Nicht die Post, sondern eine Regulie-

rungsbehörde setzt die Gebühren fest. Auch deshalb
benötigt die Post ein Steuerprivileg.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Und die Telekom? Wie läuft das denn da? So ein Laiendarsteller!)


Das wissen Sie doch; schließlich haben Sie dieses Gesetz
mit verabschiedet und waren sozusagen mit von der Par-
tie.

Ein weiterer für mich entscheidender Punkt ist: Die
Planungssicherheit muss für unsere Post gewährleistet
sein, und zwar deswegen, weil wir in Europa eine ein-
heitliche Regelung haben. In Europa zahlen staatliche
Poststellen, staatliche Unternehmungen keine Umsatz-
steuern.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und warum leitet dann die EU ein Wettbewerbsverfahren ein? – Gegenruf von der SPD: Macht sie doch gar nicht!)


Für mich ist ein ganz entscheidender Punkt – Herr
Fromme, Sie werden überrascht sein –, dass mit dem
Schicksal der Deutschen Post AG auch das Schicksal von
300 000 qualifizierten Menschen, die ihre Arbeit machen,
verbunden ist. Diese Menschen brauchen in den nächsten
Jahren Planungssicherheit.


(Rainer Funke [FDP]: Die brauchen Steuerbefreiung!)


Deshalb sagen wir: Wir brauchen Planungssicherheit bis
2007.

Sie stellen die Frage: Was geschieht, wenn die Um-
satzsteuer wegfällt? Ich sage Ihnen: Sie reduzieren die so-
zialen Aufgaben der Post; Sie gefährden weiterhin
300 000 Arbeitsplätze. Unser Fazit ist: Die Postdienst-
leistungen müssen bis 2007 umsatzsteuerfrei bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421609600
Jetzt hat der Kollege
Josef Hollerith für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Josef Hollerith (CSU):
Rede ID: ID1421609700
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als zuständiger
Berichterstatter im Rechnungsprüfungsausschuss be-
scheinige ich dem Rechnungshof ausdrücklich seriöse Ar-
beit, saubere Dokumentation und ein hohes Maß an
Pflichterfüllung gegenüber dem Parlament.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Der Bericht ist geheimgestempelt. Ich zitiere deshalb
nicht aus diesem Bericht.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Hat Koppelin doch gemacht! – Hast du doch der Presse gegeben!)


Meine Ausführungen stützen sich ausdrücklich auf eigene
Recherche und eigene Erkenntnisse.




Dieter Grasedieck

21483


(C)



(D)



(A)



(B)


Der erste zu hinterfragende Punkt ist die Befangenheit
des zuständigen beamteten Staatssekretärs. Er ist Vertre-
ter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der Deutschen
Post AG und beeinflusst nicht nur, sondern prägt


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


auch die Haltung des Bundesfinanzministeriums zur
Frage der Umsatzsteuerfreiheit der Post AG.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Gegen die Fachabteilung!)


Damit hat er –gegendieRechtsauffassungdes zuständigen
Umsatzsteuerreferats und gegen die Rechtsauffassung des
für dieVeranlagung zuständigen Finanzamtes inNRW– in
unzulässiger Weise in ein Verwaltungsverfahren einge-
griffen. Damit verstößt er gegen dieGeschäftsordnung des
Bundesministeriums der Finanzen, gegen § 82Abs. 1Ab-
gabenordnung, gegen § 20 Verwaltungsverfahrensgesetz
und gegen die Entsenderichtlinien des Bundesministeri-
ums des Innern. Zu fragen ist daher: Wie wird mit einem
solchen Fehlverhalten umgegangen?


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist eine gute Frage!)


Ein kleiner Beamter wird disziplinarrechtlich verfolgt,
wird in der Personalakte abgestraft – mit allen negativen
Konsequenzen. Ich fordere Bundesminister Eichel auf,


(Dieter Grasedieck [SPD]: Zurückzutreten!)

als zuständiger Dienstvorgesetzter die notwendigen Kon-
sequenzen, die jeder kleine Beamte zu tragen hat, auch in
diesem Fall zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Der zweite Fragenkomplex betrifft die Seriosität des
Bundes als Beteiligungsverkäufer. Der Bund hat gerade
zu dem Zeitpunkt, zu dem die Privatisierung der Deut-
schen Post anstand, zu dem auch die Notwendigkeit be-
stand, in die Bilanz Rückstellungen für möglicherweise
zu zahlende Umsatzsteuer einzustellen, zu dem also auch
die Wertermittlung der Post anstand, in unzulässiger
Weise diese Umsatzsteuerbefreiung erklärt.


(Zuruf von der SPD: Zu diesem Zeitpunkt muss man so etwas klären! Das ist doch logisch!)


Damit hat er die Aktienkäufer getäuscht. Er hat Börsen-
manipulation betrieben. Er hat im Ergebnis Bilanzfäl-
schung betrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die dritte Fragestellung betrifft die Steuerverteilung in

unserem Land. Durch Ministerschreiben hat das Bundes-
ministerium der Finanzen gegen die erklärte Rechtsauf-
fassung des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums
die Anweisung erteilt, dass die Post AG von der Umsatz-
steuer zu befreien ist. Damit entgehen den Ländern
Steuereinnahmen in erheblichem Umfang, es entgehen
den Kommunen erhebliche Steuereinnahmen und es ent-
gehen der Europäischen Union sowie der Rentenversi-
cherung Steuereinnahmen. Bemerkenswert dabei ist, dass

dieser Streit über die Auslegung des Umsatzsteuerrechts
nicht vor den Finanzgerichten ausgetragen worden ist,
wie das sonst üblich ist, und dass entgegen der normalen
Praxis die Umsatzsteuerreferenten der Länder nicht am
Verfahren beteiligt worden sind, sondern dass allein durch
Ministerschreiben von Hans Eichel eine solche Anwei-
sung erteilt worden ist. Das widerspricht in doppelter
Weise den Regeln und der Praxis in unserem Rechtsstaat.
Auch dafür trägt der Bundesfinanzminister die volle Ver-
antwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Er hat sich im Rechnungsprüfungsausschuss zu stellen.

Er hat sich im Haushaltsausschuss zu stellen.

(Dieter Grasedieck [SPD]: Er kommt doch auch! – Zurufe von der SPD: Er kommt doch auch!)


Er trägt die gesamte politische Verantwortung für diesen
Vorgang.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421609800
Ich erteile für Bünd-
nis 90/Die Grünen dem Kollegen Oswald Metzger das
Wort. Er spricht ein zweites Mal.

Ob das zulässig ist, ist umstritten. Heute lasse ich es zu
und dann klären wir das. Es gibt schon Fälle, auf die man
sich berufen kann. Aber wenn das alle so machten, dann
wäre hier von jeder Fraktion einer und redete viermal.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Einige kann man gar nicht oft genug hören, den Kollegen Wagner zum Beispiel!)


Das kann nicht im Sinne der Geschäftsordnung sein.
Weil Sie es sind, Herr Kollege Metzger! Sie dürfen

heute ein zweites Mal reden. Ich danke Ihnen allen dafür,
dass Sie damit einverstanden sind.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421609900

Frau Präsidentin! Vielen Dank für die Ermahnung, aber es
gibt in der Tat Fälle aus den letzten Wochen, auf die man
sich berufen kann.

Zu meiner Entschuldigung kann ich anführen: Meine
Kollegin Scheel ist kurzfristig verhindert. Wir hatten uns
die Redezeit aufgeteilt. Ihre Argumente habe ich in mei-
nem ersten Beitrag vorgetragen. Jetzt möchte ich noch
drei Argumente von mir einbringen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Jetzt die Metzger-Rolle!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421610000
Herr Kollege
Metzger, Sie sind jetzt sozusagen die Kollegin Scheel. In
Ordnung.


(Heiterkeit)





Josef Hollerith
21484


(C)



(D)



(A)



(B)



Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1421610100

Nein, jetzt bin ich Oswald Metzger.

Erstens. Die EU-rechtlichen Aspekte müssen wir uns
noch einmal genauer anschauen. Das Briefmonopol ist
praktisch vertraglich in den Richtlinien verankert. Das gilt
EU-einheitlich bis 2007. Die EU-Kommission hat im
Sommer 2001 den Antrag eines privaten Kurierdienstes
aus Ludwigshafen, in dem sich dieser über die Ungleich-
behandlung im Wettbewerb mit der Post AG beschwert
hat, abgelehnt, weil die umsatzsteuerrechtlichen Regelun-
gen nach EU-Recht nun einmal so sind, wie sie sind, und
eben Ausnahmen für gemeinwirtschaftliche Leistungen
zulassen, und zwar europaweit.

Zweiter Punkt. Die von verschiedenen Rednerinnen
und Rednern aufgestellte Behauptung, dass der Erlös aus
der Privatisierung der Deutschen Post in den Bundes-
haushalt eingeflossen sei, ist falsch.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])

Dieser Erlös ging – diesen Begriff kennt man – in die Post-
unterstützungskasse.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Dazu war der Bund verpflichtet!)


Aus dieser Unterstützungskasse werden die Pensionen
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezahlt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
wenn ich Ihre Einwände richtig verstanden habe, dann
sind Sie der Meinung, dass die Postunterstützungskasse
aus Steuermitteln finanziert werden soll.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Eichel hat den Bundeshaushalt zulasten der Länder und Gemeinden entlastet!)


Ich muss mich wundern; denn Sie sind doch sonst dieje-
nigen, die uns immer vorwerfen, wir konsolidierten den
Haushalt nicht. Wir haben alle Erlöse – es gab nicht nur
welche aus dem Börsengang der Deutschen Post AG, son-
dern auch aus den Platzhalterlösungen, die Ihr Finanzmi-
nister Waigel 1996 gefunden hatte, um Geld in den Bun-
deshaushalt einzustellen, da die Postunterstützungskasse
noch nicht in den Bundeshaushalt integriert war – für die
Postunterstützungskasse – sie ist nun in den Bundeshaus-
halt integriert – und für die Tilgung alter Schulden ver-
wendet. So weit, so gut. Das alles ist ganz solide. Aber ge-
nau diese Solidität macht Ihnen Probleme. Deshalb reiben
Sie sich so am Bundesfinanzminister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein, ihr zockt doch die Länder ab!)


Dritter Punkt. Wer verliert bei diesem Geschäft? Bitte
schön, erklärt ihr von der Opposition doch einmal den
Bürgerinnen und Bürgern, was es bedeuten würde, wenn
die Deutsche Post AG auf Leistungen im Universal-
dienstleistungsbereich 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlen
müsste. Das würde doch bedeuten, dass die Leistungen
der Deutschen Post AG für den Endverbraucher – das be-
träfe viele Millionen Menschen in unserem Land – genau
um diesen Prozentsatz teurer würden, es sei denn, ihr

glaubt, die Deutsche Post AG würde solch erhöhte Preise
beim Endkunden nicht durchsetzen können. Wo, bitte
schön, ist angesichts der Tatsache, dass der Bund die
Deutsche Post AG verpflichtet, mindestens 12 000 Post-
stellen in der Fläche vorzuhalten, der volkswirtschaftliche
Verlust? Welcher private Kurierdienst würde beispiels-
weise in Oberschwaben, wo ich zu Hause bin, oder im All-
gäu, also in entlegenen ländlichen Regionen, die postali-
sche Versorgung der Bevölkerung sicherstellen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weil der Wettbewerb in diesem Segment noch schwach
ausgeprägt ist, ist gesetzlich geregelt, dass die Deutsche
Post AG ein Umsatzsteuerprivileg hat.

Das macht übrigens – vorhin kamen entsprechende
Zwischenrufe – auch den Unterschied zur Telekom aus.
Dem Unternehmen Telekom sind per Gesetz keine Son-
derlasten auferlegt worden. Außerdem ist der Wettbewerb
im Telekommunikationsbereich – Gott sei Dank – we-
sentlich stärker ausgeprägt. Das alles führt dazu, dass die
Telekom umsatzsteuerpflichtig ist. Die Kunden können
das auch erkennen, weil der Anteil der Umsatzsteuer auf
der monatlichen Rechnung der Telekom separat ausge-
wiesen ist. Das ist auch gut so.

Letzter Punkt. Zu Ihnen spricht ein Redner, der durch-
aus ein Anhänger des Wettbewerbsgedankens ist und der
aus marktwirtschaftlichen Gründen für fairen Wettbewerb
eintritt. Wenn der Gesetzgeber – auch Sie waren dieser
Meinung, als Sie noch an der Regierung waren – der Mei-
nung ist, dass die Deutsche Post AG Sonderlasten zu tra-
gen hat und deshalb von der Umsatzsteuer befreit werden
muss, dann kann ich nur sagen: Diese Auffassung ist kon-
sistent, rechtlich korrekt und kompatibel mit EU-Recht.

Dass das Bundesland Nordrhein-Westfalen eine andere
Auffassung hat, ist legitim; denn die Deutsche Post AG
hat ihren Sitz in diesem Bundesland. Natürlich würde es
dieses Bundesland gern sehen, wenn Dienstleistungen der
Deutschen Post AG umsatzsteuerpflichtig wären; denn
dann hätte es zusätzliche Einnahmen. Ich will zwar die
Legitimität dieses Interesses nicht in Abrede stellen. Aber
ich möchte auf die Vielzahl von Fällen verweisen, in de-
nen die Finanzgerichtsbarkeit und der Gesetzgeber andere
Positionen vertraten als die nachgeordneten Dienststellen.
Das ist alles. Dies eignet sich meines Erachtens nicht für
einen Skandal und schon gar nicht dafür, den Rücktritt ei-
nes Bundesministers oder eines Staatssekretärs zu for-
dern. Das ist absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421610200
Für die SPD-Fraktion
erteile ich dem Kollegen Hans Georg Wagner das Wort.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1421610300
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle
Stunde hätte nicht stattgefunden, wenn der Kollege
Koppelin nicht das mir vorliegende Papier der Presse
übergeben hätte. Aufgrund eines Berichts in der Ausgabe






(C)



(D)



(A)



(B)


der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 27. Januar
2002, in dem Sie namentlich mit entsprechenden Kom-
mentaren erwähnt werden, gehe ich davon aus, dass Sie
der Informant der Presse gewesen sind.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Was? Beweise das mal! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist ein unglaublicher Vorwurf!)


Diese Debatte hätte nicht stattgefunden, wenn Herr Kol-
lege Koppelin und andere, insbesondere die PDS, an der
ganzen Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses teil-
genommen hätten. Ich muss Herrn Fuchtel bestätigen,
dass er die Verhandlungsführung im Rechnungsprüfungs-
ausschuss ordnungsgemäß wahrgenommen hat.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So kennen wir ihn!)


In diesem Ausschuss sind alle Probleme angesprochen
worden. Dort ist nach Aussagen von Herrn Professor
Zitzelsberger und auch von Dr. Overhaus, der zugegeben
hat, dass man diesen Punkt etwas kritischer sehen kann,
festgestellt worden, dass alles nach Recht und Gesetz zu-
gegangen ist.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das hat er nun selbst zugegeben, dass das nicht so war!)


– Herr Zwischenrufer, Sie waren nicht dabei; deshalb reden
Sie nicht dazwischen, sondern behalten Sie das für sich.

Ich bin froh, dass der Rechnungsprüfungsausschuss am
23. Februar Gelegenheit hat, Herrn Minister Eichel an-
zuhören und mit ihm darüber zu diskutieren.

Ich habe den Bericht des Bundesrechnungshofes nicht
als geheim empfunden. Ich fand es unsinnig, ihn als geheim
einzustufen. Aber das ist Sache des Bundesrechnungshofes,
nicht unsere Sache. Ich habe den Stempel nicht aufge-
drückt. Ich habe den Bericht durchgelesen und bin zu dem
Schluss gekommen, dass er ein Drehbuch ist, um Herrn
Overhaus abzuschießen. Für mich sah das so aus.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Unterstellen Sie das dem Bundesrechnungshof? Das ist ja ein unglaublicher Vorgang!)


– Ich unterstelle, dass private Gründe in die Formulierun-
gen eingeflossen sind, die ich so nicht akzeptieren kann,
weil sie keinen sachlichen Bezug haben. Das will ich ganz
deutlich sagen.

Eben ist schon dargelegt worden, dass wir vor etwa ei-
nem Jahr in einem Bundesgesetz beschlossen haben, dass
die Post die 12 000 bzw. 13 000 Postdienststellen im
Lande bis zum Jahre 2007 aufrechterhält. Bei 6 000 Post-
dienststellen ist für die Post die Wirtschaftlichkeitsgrenze.
Das heißt, wir zwingen die Post durch einen Bundestags-
beschluss – Sie haben daran mitgewirkt, ob Sie zuge-
stimmt haben oder nicht – in die Unwirtschaftlichkeit.

Sie reden immer von Wettbewerb. Der freie Wettbe-
werb macht nur 1 Prozent aus. Sagen Sie mir einmal, wo
da insgesamt Wettbewerb stattfindet! Das ist bestimmt
kein Wettbewerb.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Repnik, zu Ihren Äußerungen zu den Aufgaben
der Post sage ich Ihnen aus der Erfahrung in meinem ei-
genen Heimatort: Überall, wo Postdienststellen geschlos-
sen worden sind, werden Protestbriefe geschrieben. Diese
Erfahrungen machen auch Sie. Das ist alles akzeptiert.
Aber ich erlebe beispielsweise, dass ein privater Paket-
dienst, der in einem entfernten Ort ein Paket ausliefern
soll, zur nächsten Postdienststelle geht und es dort auf-
gibt, sodass die Post kostenlos dort hinfahren muss; das
finde ich nicht richtig.


(Josef Hollerith [CDU/CSU]: Kostenlos? – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die Post kassiert doch eine Gebühr dafür!)


– Natürlich muss man eine Gebühr dafür zahlen. Aber der
private Transporteur spart die Benzinkosten und die Fah-
rerkosten, sodass es wahrscheinlich billiger ist, wenn er
die Post dort hinschickt. Ich wollte nur darauf hinweisen,
wie sich das System der privaten Anbieter auf die
Flächenversorgung auswirken kann. Ich bin der Meinung,
dass es so, wie es läuft, nicht gut läuft.

Ich denke, Herr Koppelin, dass auch Überlegungen
eine Rolle gespielt haben, die Kleinaktionäre der Post zu
verunsichern. Die Aktivitäten, die Sie in der Öffentlich-
keit betrieben haben, gehen in diese Richtung. Sie woll-
ten die Kleinaktionäre der Post verunsichern und das als
Wahlkampfinstrument gegen die Bundesregierung rich-
ten.


(Widerspruch des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


– Das ist eine Tatsache, ob Ihnen das gefällt oder nicht.

(Beifall bei der SPD)


Ich kann das nur so darstellen, wie ich das wahrnehme;
ich habe mit dieser Wahrnehmung sicherlich nicht dane-
bengelegen.

Die Kollegin Ehlert hat gesagt, wir hätten der Post
Steuergeschenke gemacht. Aber diese „Geschenke“ sind
gesetzlich verbrieft. Das mag vielleicht in anderen Zeiten
und anderen Staaten so gewesen sein; in dieser Bundesre-
publik Deutschland gelten nach wie vor Recht und Ge-
setz.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das merkt man am Verfahren!)


Danach ist von allen gehandelt worden.
Wir werden uns im Rechnungsprüfungsausschuss hof-

fentlich abschließend mit der Sache befassen. Herr
Koppelin hat schon den Staatsanwalt gefordert. Der muss
dann bis 1995 zurückgehen und auch die Handlungen an-
derer Minister untersuchen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Es geht um den Börsengang und wie ihr die Kleinaktionäre hinters Licht geführt habt!)


Ich finde, die politische Auseinandersetzung ist in die-
sem Punkt verkommen. Wir sollten zu einem normalen
Umgang unter den Abgeordneten zurückkehren.




Hans Georg Wagner
21486


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich finde, es ist fatal, wenn etwa aus dem Immunitäts-
ausschuss Verfahren an die Öffentlichkeit kommen, inte-
ressanterweise nur Sozialdemokratinnen und Sozialde-
mokraten und nie Christdemokraten betreffend. Wer gibt
diese preis? Und wer sagt, was mit den V-Leuten in der
NPD war? Das wird alles aus einer vertraulichen Sitzung
des Kontrollgremiums ausgeplaudert.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Habe ich das auch gemacht?)


– Das waren nicht Sie, das war Herr Marschewski, der in
der Öffentlichkeit Namen genannt hat, die in diesem Gre-
mium gefallen sind.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Langsam wird es für Sie gefährlich!)


Dieser Umgang miteinander ist unmöglich! Wenn Sie aus
reiner Wahlkampfarithmetik heraus versuchen, solche
Gerüchte zu verbreiten, tun Sie mir furchtbar Leid.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stellen Sie endlich ein Programm auf die Beine, über das
man dann streiten kann. Jetzt ist der Zeitpunkt gekom-
men, diese Praxis zu beenden.


(Beifall bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das erfüllt den Tatbestand der Verleumdung! Wenn Sie durch Ihre Immunität nicht geschützt wären, wären Sie dran!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421610400
Jetzt hat das Wort der
Kollege Elmar Müller für die CDU/CSU-Fraktion.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1421610500
Herr Kollege
Wagner, dazu, dass Sie hier geradezu Tränen über den
mangelnden Wettbewerb bei der Post verlieren, kann ich
Ihnen nur sagen: Ihre Fraktion tut alles, damit der Wett-
bewerb kaputtgemacht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Seit der Verlängerung des Monopols bekommen wir
wöchentlich Briefe von Unternehmen, die kaputtgehen
oder Arbeitsplätze abbauen. Es ist schon peinlich, dass Sie
jetzt hier Tränen vergießen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dieter Grasedieck [SPD]: Wer hat das denn 1998 gemacht? Sie waren doch 1998 und 1995 dabei!)


– Sie haben dieses Monopol verlängert. Ich werde dazu
ein paar Sätze sagen.

Meine Damen und Herren! Seit der Auflösung des
Postministeriums ist das Wirtschaftsministerium politisch
für die Postbereiche zuständig,


(Jürgen Koppelin [FDP]: Auch keiner da!)

für die Vermögensteile ist das Finanzministerium zustän-
dig.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an einen Punkt
erinnern, den vielleicht schon mancher vergessen hat. An-

fang des Jahres 2000 hatten wir hier die Diskussion um
die Portoerhöhung bei Briefen und anderen Leistungen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sie wollten erhöhen!)


Das war ein interessanter Vorgang: Der Bundeswirt-
schaftsminister ging für alle überraschend an die Öffent-
lichkeit und sagte, die Post wolle das Porto von 1,10 DM
um weitere Pfennige erhöhen, weil die Portoerhöhung
von 1997 nicht ausreiche. In diesem Zusammenhang hat
er, sozusagen als Robin Hood, gesagt, er wolle das auf alle
Fälle verhindern. Das hat er dann schließlich auch mit ei-
ner Anordnung an die Regulierungsbehörde getan. Die
Regulierungsbehörde hatte aber exakt zu diesem Zeit-
punkt vorgesehen, anzuordnen, das Porto um 15 Prozent
abzusenken, weil die Portotarife um etwa 30 Prozent über
dem europäischen Niveau lagen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Was hat das jetzt mit der Umsatzsteuer zu tun?)


Deswegen war also eine Absenkung um 15 Prozent vor-
gesehen. Der Wirtschaftsminister hat leider bei diesem
Spiel eine traurige Rolle gespielt und der Verbraucher
muss die Zeche zahlen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Zum Thema!)


Es bestand überhaupt keine Chance für irgendeinen Wett-
bewerber, angesichts dieser Wettbewerbsverzerrung hier
noch irgendwie zu bestehen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Je höher das Porto ist, desto mehr Chancen haben doch die Wettbewerber!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach der
Presseerklärung vom 19. März fand also diese Nichter-
höhung des Portos und die ebenso unrechtmäßige Festle-
gung der Preise durch den Bundeswirtschaftsminister
statt. Zu diesem Zeitpunkt, im März 2000, Frau Staatsse-
kretärin, waren nicht 220, sondern bereits 677 Lizenzneh-
mer auf dem Markt, wovon rund 400 bereits in diesem
Bereich tätig waren. Die meisten haben inzwischen übri-
gens ihre Segel gestrichen, weil unter den herrschenden
Wettbewerbsverhältnissen diese Unternehmen überhaupt
keine Chance gehabt haben.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wenn wir das Porto gesenkt hätten, hätten sie überhaupt keine Chance gehabt!)


Damit es da überhaupt keinen Zweifel gibt – ich höre
ja schon das Argument, dass auch die alte Regierung das
Monopol verlängern wollte –, sage ich hier deutlich: Wir
wollten das Monopol Ende 2002 auslaufen lassen und
auch diese Regierung wollte es auslaufen lassen. Noch in
einem Bericht an den Wirtschaftsausschuss, Herr Kollege
Barthel, im Mai 2000 hat das Wirtschaftsministerium mit-
geteilt, dass die Exklusivlizenz 2003 auslaufen werde und
sich die Regierung auch an diese Gesetzeslage halten
wolle.

Nun gibt es, meine Damen und Herren, die Frage, auf
die auch Sie, Frau Staatssekretärin, eingegangen sind,
nämlich wer zum Universaldienst verpflichtet werden




Hans Georg Wagner

21487


(C)



(D)



(A)



(B)


kann. Am 13. Dezember des vergangenen Jahres, Herr
Kollege Barthel, waren wir schon überrascht – zugleich
kam ja der Bericht des Rechnungshofes im Haushaltsaus-
schuss, wie ich glaube, an –, dass am Tage der letzten Be-
ratung in den Ausschüssen morgens noch ein Änderungs-
vorschlag zum Gesetz vorgelegt wurde, durch den in den
Bereich, wo es um die Pflicht zur Universaldienstleistung
geht, noch der Satz eingefügt wurde, dass künftig nur die
Post AG zum Universaldienst verpflichtet sei. Vor dieser
Zeit waren nicht nur die Post AG, sondern alle am Markt
beteiligten Unternehmen verpflichtet


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Es war niemand verpflichtet! Das ist doch Unsinn!)


– Herr Barthel, ich kann es Ihnen vorlesen –, mit einer
Umlage dazu beizutragen, dass mögliche Versorgungs-
lücken beim Universaldienst geschlossen werden können.
Herr Barthel, erklären Sie mir doch, warum Sie noch am
Tag der Entscheidung in den Ausschüssen diesen Ände-
rungsantrag vorgelegt haben! Sie hätten das ja schon im
Entwurf vorschlagen können, der im Oktober vorgelegt
wurde. Also ist in der Zwischenzeit irgendetwas gesche-
hen. Das hat offensichtlich mit dem Bericht des Bundes-
wirtschaftsministeriums zu tun. Das macht das ganze Di-
lemma, die Manipulation und die Art und Weise, wie Sie
mit dem Gesetzgeber, mit dem Bundestag, umgehen,
wirklich deutlich.

Meine Damen und Herren, diese Art der Beratung und
der Manipulation, zu der Sie hier beigetragen haben, ist
erbärmlich. Sie sollten zu diesen Fehlern stehen. Es kann
zwar keine Korrektur stattfinden. Aber daraus erklärt sich
die ungeheure Wettbewerbsverzerrung, die wir auf die-
sem Markt haben, und dass die Wettbewerber überhaupt
keine Chancen haben, auf diesem Markt Fuß zu fassen.
Einziges Ziel war es – ich will es wiederholen; der Wirt-
schaftsminister hat das in einem Interview zur vermeint-
lichen Portoerhöhung erklärt –, die Post AG für den Bör-
sengang mit ausreichenden Gewinnen auszustatten.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das hat doch mit der Umsatzsteuer nichts zu tun!)


Das gleiche Ziel hatte die Mehrwertsteuerbefreiung.
Stehen Sie zu Ihren Fehlern und korrigieren Sie –

zunächst durch Rücktritte,

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

dann aber auch durch Ausgleich für die Länder und Kom-
munen – diesen Fehltritt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Der Bundespräsident muss zurücktreten!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421610600
Nun spricht für die
SPD-Fraktion der Kollege Klaus Barthel.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Als Abgeordneter oder als Gewerkschaftssekretär? – Hans Georg Wagner [SPD]: Als Journalist!)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1421610700
Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eines gestehen wir der größten Oppositionspartei gerne
zu:


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Der zahlenmäßig größten!)


dass sie von der Verflechtung von privaten, persönlichen,
wirtschaftlichen und politischen Interessen mehr versteht
als wir.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das beweist der vorliegende Fall!)


Aber man sollte an Ihrer Stelle nicht von sich auf an-
dere schließen. Wenn man schon öffentlich von Rech-
nungshofberichten Gebrauch macht, die normalen Abge-
ordneten nur unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen
zugänglich sind, dann sollte man diese Berichte genau le-
sen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen. Vielleicht
wäre es auch klüger gewesen, wenn Sie erst Ihre Kleinen
Anfragen eingebracht, deren Beantwortung abgewartet,
sie dann gründlich gelesen und zur Kenntnis genommen
hätten und sich dann erst öffentlich geäußert hätten,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern, dass das wieder verschwindet!)


anstatt heute hier herumzuspekulieren. Denn was in den
letzten Tagen an Missverständnissen, Verdrehungen und
Unwahrheiten in den Medien zu lesen war, entbehrt leider
der Sachkenntnis und auch der Kenntnis der rechtlichen
Situation im Postwesen in der Bundesrepublik und in
ganz Europa. Deswegen einige Klarstellungen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Vorlesung, dritter Teil!)


Zunächst hebt das Umsatzsteuerrecht, wie der Rech-
nungshof zutreffend feststellt, im Prinzip auf die Steuer-
freiheit des Postwesens ab, zumindest insoweit es sich in
öffentlichem Auftrag bewegt.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Zitieren Sie jetzt aus dem Bericht?)


– Ich zitiere nicht den Bericht,

(Jürgen Koppelin [FDP]: Das tun Sie doch jetzt!)

sondern diesen Band, der vom ehemaligen Bundespost-
minister herausgegeben worden ist und in dem das hinten
nachzulesen ist.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Da haben wir ihn erwischt!)


Art. 12 des Postneuordnungsgesetzes ist damals eben
nicht am Parlament vorbei, wie die PDS behauptet, be-
schlossen worden. Vielmehr ist dieses Gesetz 1994 vom
Deutschen Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates
beschlossen worden.

Das Postwesen ist also von der Umsatzsteuer im Prin-
zip befreit. Jetzt ist es aber für nicht Sachkundige schwer,
verschiedene Bereiche, die juristisch und systematisch zu
unterscheiden sind, die sich aber wirtschaftlich an einigen




Elmar Müller (Kirchheim)

21488


(C)



(D)



(A)



(B)


Stellen überschneiden, voneinander zu trennen. Deswe-
gen muss man hier noch einmal die Rechtslage klären.

Erst einmal lohnt immer ein Blick ins Grundgesetz.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Man kann auch in die Geschäftsordnung schauen!)


In Art. 87 f Abs. 1 heißt es:
Nach Maßgabe eines Bundesgesetzes, das der
Zustimmung des Bundesrates bedarf, gewährleistet
der Bund im Bereich des Postwesens und der Tele-
kommunikation flächendeckend angemessene und
ausreichende Dienstleistungen.

Man kann dann also lesen:
Nach der amtlichen Begründung zählt zu den ho-
heitlichen Aufgaben insbesondere, die aus der Sicht
der Nachfrage angemessenen und ausreichenden
Dienstleistungen flächendeckend zu sichern.


(Rainer Funke [FDP]: Im Wettbewerb!)

So der Bötsch-Kommentar zur Postreform II.

Ich wiederhole die Begriffe: „hoheitliche Aufgabe“
und „angemessene und ausreichende Dienstleistungen
aus der Sicht der Nachfrage“. Genau das versteht man
heute landläufig unter Universaldienst. Dies sollte durch
ein Bundesgesetz definiert werden. Durch das Postgesetz
und die Post-Universaldienstleistungsverordnung ist das
auch geschehen.

Wie Ihnen allen bekannt ist, findet der Universal-
dienstbereich bei uns größte Aufmerksamkeit; denn er ist
für uns im Interesse der Kunden wichtig. Der Universal-
dienst umfasst zum Beispiel – das will ich einmal auf-
zählen – fast den ganzen Postsektor, Briefsendungen bis
2 000 Gramm, Pakete bis 20 Kilogramm, Zustellungen
von Zeitungen und Zeitschriften, Einschreiben, Eil-,
Nachnahme- und Wertsendungen, Postfilialen, Briefkäs-
ten sowie werktägliche Zustellung. All das ist dort festge-
legt.

Das Postgesetz in seiner geltenden Fassung geht ein-
deutig davon aus, dass die Deutsche Post AG das Unter-
nehmen ist, das dazu verpflichtet ist – damit unterscheidet
es sich von allen anderen Wettbewerbern –, diese Leis-
tungen zu erbringen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das steht noch nicht im Gesetzblatt! – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Mir kommen gleich die Tränen!)


– Sie von der PDS sagen gerade, dass einem da die Trä-
nen kommen. Versuchen Sie doch einmal, einen Wettbe-
werber zu finden, der sich, ob freiwillig oder dazu ver-
pflichtet, bereit erklärt, Briefe, Pakete oder Ähnliches bis
ins kleinste Dorf in Mecklenburg-Vorpommern oder in
Brandenburg zuzustellen oder dort Filialen offen zu hal-
ten. Wenn Sie mir einen nennen können, dann können wir
über die Befreiung von der Umsatzsteuer für ihn reden.
Aber ich sage Ihnen: Dazu ist keiner bereit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nebenbei bemerkt ist – das ist bekannt – auch die Post AG
nicht freiwillig dazu bereit. Wir haben sie per Gesetz dazu
verpflichten müssen, all diese Filialen und all diese Leis-
tungen aufrechtzuerhalten. Deswegen ist es EU-konform
und richtig, dass wir die Deutsche Post AG von der Um-
satzsteuer befreien.

An dieser Stelle – das ist die entscheidende Stelle – irrt
offenbar der Rechnungshof; denn der Rechnungshof un-
terscheidet wohl nicht zwischen dem Monopolbereich
und dem Universaldienstbereich.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Woher wissen Sie denn, was der Rechnungshof sagt!)


Der öffentliche Auftrag gilt für den Universaldienstbe-
reich. Der Monopolbereich ist wesentlich kleiner. Er um-
fasst nur Briefe bis 200Gramm und Massensendungen bis
50 Gramm. Der öffentliche Auftrag bezieht sich nicht nur
auf den Monopolbereich; das wäre zu wenig. Dann könnte
man die ganzen Filialen nicht halten. Der Monopolbe-
reich ist das EU-konforme Instrument zur Sicherstellung
und Finanzierung des Universaldienstes. Das ist der ent-
scheidende Unterschied, den wohl der Rechnungshof
meiner Auffassung nach nicht begriffen hat. Inzwischen
ist klar, dass diese Regelung EU-konform ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421610800
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1421610900
Ich mache eine
letzte Bemerkung hinsichtlich des EU-Rechts. In der „Fi-
nancial Times Deutschland“ war zu lesen, dass der EU-
Binnenkommissar Bolkestein bereits Vertragsverlet-
zungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet hat,
doch musste man in Brüssel rasch eingestehen, dass die
Rechtslage keine Schritte zulässt. In fast allen Ländern
der Europäischen Union, abgesehen von zwei Ausnah-
men, haben wir dieselbe Situation.

Wir sind auf dem richtigen Weg. Wer die Umsatzsteu-
erbefreiung aufheben will, der muss den Kunden ganz
klar sagen, dass sie das in Form höherer Tarife zahlen
müssen, und darf sich nicht wie die Vertreter einiger Par-
teien hier hinstellen und in diesem Hause eine Senkung
des Portos fordern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421611000
Für die CDU/CSU-
Fraktion hat jetzt der Kollege Jochen-Konrad Fromme
das Wort.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1421611100
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwei Vor-
bemerkungen machen. Erstens. Dass Sie sich in langwei-
ligen Gesetzestextverlesungen ergehen,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Der Blick ins Gesetz erspart die Presseerklärung!)


dass Sie falsche Anschuldigungen machen und dass die-
jenigen, die am Verfahren eigentlich beteiligt sind, hier




Klaus Barthel (Starnberg)


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gar nicht auftauchen, zeigt, welch schlechtes Gewissen
Sie bei dieser Angelegenheit haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. Es geht nicht darum, einem anonymen Dritten
etwas zu geben, wie das hier immer den Anschein hat,
sondern darum, dass sich die Bundesregierung selbst et-
was geben will, indem sie den Privatisierungserlös für
sich selbst erhöht, um Haushaltsmittel zu sparen oder
Mehreinnahmen im Haushalt verzeichnen zu können, und
um nichts anderes. Dies ist ein Fall für die Börsenaufsicht
und für die EU. Wir werden sehen, wie es weitergeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

„Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“, heißt

es so schön im „Faust“. Ich kann verstehen, dass man sich
angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen und von dro-
henden blauen Briefen aus der EU jede Mark und jeden
Pfennig unter den Nagel reißen will. Hier artet das aber zu
einem „Faust“-Recht aus und nicht zu einem literarischen
Erguss. Darum kann es doch gehen. Sie haben das Recht
so eigenartig ausgelegt, damit es Ihnen passt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Seit wenigen Tagen hat dieser Fall eine neue Dimen-

sion. Hoch gekommen ist er doch nur durch die Umsatz-
steuerbefreiung. Jetzt stellen wir fest – wie das „Handels-
blatt“ berichtet –, dass die Post auf der einen Seite die
Steuerbefreiung in Anspruch nimmt, auf der anderen Seite
aber gleichzeitig Mehrwertsteuer in Rechnung stellt. Das
ergibt sich, mein lieber Kollege Metzger, bereits aus dem
Börsenprospekt. Das ist nicht irgendeine Spekulation. Die
Post hat das selbst gesagt.

Dabei geht es um viel Geld, nämlich um Steuern in
Höhe von circa 45 Millionen DM monatlich, das sind
circa 500 Millionen DM im Jahr, die die Post möglicher-
weise zurückzahlen muss. Denn eines ist klar: Wenn ich
unberechtigt Mehrwertsteuer kassiere, hafte ich insge-
samt für diesen Bereich, ohne dass ich einen Vorsteuerab-
zug geltend machen kann. Da kommt noch einiges auf die
Post zu.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Dies kann so nicht durchgehen. Man kann nicht in dem
gleichen Sektor eine Umsatzsteuerbefreiung – sei sie be-
rechtigt oder unberechtigt – hinnehmen und gleichzeitig
Mehrwertsteuer kassieren.

Das Ganze dient doch nur der Bilanzkosmetik.

(Zuruf des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


– Wer zahlt denn die Zeche? – Die Kleinsparer! Jetzt wer-
den die Kurse wieder fallen, wie es auch bei der Telekom
passiert ist.


(Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin: Natürlich beeinflusst so etwas jetzt den Börsenwert!)


Warum betreiben Sie denn Bilanzkosmetik auf Kosten
der Rentenversicherung, der Länder und der Gemeinden?
Es geht um 450 Millionen DM Umsatzsteuer jährlich. Sie

wollen das bis zum Jahre 2007 fortsetzen. Das sind dann
insgesamt 4,5 Milliarden DM.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Die wollen Sie bei den Kunden abkassieren! Das ist offensichtlich!)


Sie haben niemanden gefragt. Dass Sie es hinter ver-
schlossenen Türen gemacht haben, ist doch bezeichnend.
Zu wessen Lasten geht denn das? – Dies geht zulasten der
Rentenversicherung, denn ihr stehen 5,63 Prozent der Um-
satzsteuer zu. In dieser Kasse fehlen 250 Millionen DM,
die Sie dann den Leuten über die Ökosteuer wieder aus die
Tasche ziehen. 2,2 Prozent der Umsatzsteuer bekommen
die Gemeinden. Zusammen mit dem Finanzausgleich sind
das 290 Millionen DM. 2 Milliarden DM müssen die Län-
der bezahlen. Lieber Kollege Metzger, Sie irren. Nord-
rhein-Westfalen muss ein Interesse an hohen Gewinnen
haben, denn die Körperschaftsteuer bleibt im Land, die
Mehrwertsteuer wird verteilt.

Sie haben hier etwas hinter verschlossenen Türen ge-
macht – das spricht für Ihr schlechtes Gewissen –, was üb-
licherweise mit den Steuerreferenten der Länder bespro-
chen und abgestimmt sowie in OFD-Karteien oder sonst
wo veröffentlicht wird. Sie haben das nicht gemacht.
Warum? – Sie wollten das Geld in der eigenen Tasche ha-
ben.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Wie alt sind die Gesetze denn schon?)


Das ist ein politischer Vorgang. Hier geht es darum, dass
sich die Bundesregierung Privatisierungserlöse direkt
oder indirekt in die eigene Tasche stecken will, und zwar
auf Kosten anderer.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Das ist die übliche eichelsche Methode. Die hatten wir
schon bei den UMTS-Lizenzen oder sonst wo. Sie wollen
immer auf Kosten anderer Geschäfte machen.

Die Art und Weise, wie Sie vorgehen, spricht Bände.
Warum machen Sie dies hinter verschlossenen Türen?


(Hans Georg Wagner [SPD]: Es ist doch schon alles in der Zeitung!)


Die Post hat in der vorigen Woche erklärt, sie verzichte
auf die Einhaltung des Steuergeheimnisses. Das heißt,
dass am letzten Mittwoch im Finanzausschuss alles, das
heißt amtliche Zahlen, hätte auf dem Tisch liegen können.
Dann hätten wir nicht über Pressemitteilungen spekulie-
ren müssen, sondern hätten gewusst, worüber wir reden.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Wer hat das denn weitergegeben?)


– Ich habe überhaupt nichts weitergegeben.

(Dieter Grasedieck [SPD]: Das habe ich auch nicht behauptet! Wer hat das weitergegeben?)


Die Presse hat die Zahlen berichtet, als die Post gesagt hat,
sie habe nichts dagegen, wenn sie genannt würden. Aber
ihr nennt die Zahlen nicht. Warum nicht? Das Ganze soll
hinter verschlossenen Türen stattfinden, damit es ja kei-
ner merkt. So geht es nicht.




Jochen-Konrad Fromme
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Dass diese Debatte hier stattfindet, ist ein wichtiges
Signal auch für die Öffentlichkeit, dass unsere Korrektur-
mechanismen doch noch funktionieren.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Hinter verschlossenen Türen hat überhaupt keiner etwas gemacht!)


Meine Damen und Herren, so kann es nicht weiterge-
hen. Wer sich selbst in die Tasche wirtschaftet, ist ein Fall
für die Börsenaufsicht.


(Beifall bei der FDP)

Ihre Beschuldigungen hier werden mit Sicherheit Folgen
haben.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Darauf freue ich mich!)


Wir haben Sie bei einem Betrug zulasten der Bürger, zu-
lasten der Rentner und zulasten der Länder und Gemein-
den erwischt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dieter Grasedieck [SPD]: Aber der Rücktritt fehlt! Den müssen Sie noch fordern!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421611200
Als letzter Redner hat
für die SPD-Fraktion Dr. Frank Schmidt das Wort.


Dr. Frank Schmidt (Weilburg) (SPD):
Rede ID: ID1421611300
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Aus-
führungen von Herrn Fromme weiß man so langsam nicht
mehr, wer die letzten 16 Jahre vor uns regiert hat, wer per
Gesetz dafür gesorgt hat, dass jetzt diese Umsatzsteuer-
befreiung auf uns zugekommen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ CSU]: Das war eine Weisung und kein Gesetz! – Eva-Maria Kors [CDU/CSU]: Wer hat denn die Weisung gegeben? Dann sagen Sie es doch!)


Es ist schon interessant, was hier zum Besten gegeben
wird. Sie wollen von Ihrer eigenen Regierungsverantwor-
tung, die Sie früher hatten, wie so oft nichts mehr wissen.

Aber vielleicht kennen Sie ja einen Kollegen noch, der
auch heute noch bei Ihnen ist, nämlich Herrn Dr. Michael
Meister.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Klasse Kollege!)


Soweit ich weiß, ist er immer noch im Bundestag. Er hat
bei der Gesetzesverabschiedung am 9. Oktober 1997 zu
diesem Thema sehr deutlich ausgeführt:

Wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass wir eine
flächendeckende Versorgung in der Bundesrepublik
Deutschland erhalten wollen.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das hat nie einer bestritten!)

Wir haben in diesem Gesetz die notwendigen Me-
chanismen vorgesehen, um diese flächendeckende
Versorgung sicherzustellen.

(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])


Dies deshalb, damit die Poststellen hier in Deutschland er-
halten bleiben und eine entsprechende Umsatzsteuerbe-
freiung erfolgen kann.

Das sind also Ihre Vertreter. Es war Ihre Gesetzesvor-
lage, die am 9. Oktober hier beschlossen worden ist, und
nicht die Vorlage vonseiten der SPD oder der Koalition.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Wir sind also nicht hinter verschlossenen Türen!)


Wir können feststellen: Sie von der Union haben noch
1994 und 1995 sowie – das habe ich eben zitiert – 1997
und 1998 große Versprechungen abgegeben, was mit der
Post in der Region und in der Fläche geschehen soll.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Da wurde aber etwas ganz anderes erklärt!)


Dazu gehörte auch die Umsatzsteuerbefreiung, die es
heute gibt. Aus nahe liegenden Gründen, die mit dem
22. September zu tun haben, wollen Sie davon nichts
mehr wissen. Das steht ja übrigens auch in den Protokol-
len des Deutschen Bundestages von damals.

Sie waren damals zu feige, öffentlich zu bekennen, dass
Sie lieber ein Poststerben in der Region wollen. Herr Müller,
Sie haben es damals im Deutschen Bundestag zitiert. Die
43 000 Postbediensteten, die in der Rheinaue demonstriert
haben, waren angeblich nicht der Grund, warum entspre-
chende Regelungen gefasst wurden. Aber sie hatten Einfluss
auf die Gesetzgebung. Damals hat sich die CDU dafür aus-
gesprochen, dass die Post in der Region bleibt und dass ent-
sprechende steuerliche Regelungen gefasst werden.

Und heute? Heute wollen Sie nichts mehr davon wis-
sen, dass Sie 1997 – vielleicht auch aus Wahlkampfgrün-
den – entsprechende Dinge beschlossen haben. Das passt
nicht zusammen. Das muss hier öffentlich angeprangert
werden. Wenn Sie damals dafür waren, können Sie sich
heute nicht dagegen aussprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zu einem Punkt aus der Praxis, über den
eben schon gesprochen wurde. Sie haben die Hoffnung,
dass der Markt es schon irgendwie richten wird. Gerade
wurde von einem Prozent gesprochen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Es ging um die Frage, ob es Wettbewerb gibt oder nicht! Es gibt ihn auch bei einem Prozent!)


Wie sieht es denn in der Realität aus? Herr Fromme, ge-
hen Sie in die Region und in die ländlichen Wahlkreise.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ich komme aus einem ländlichen Wahlkreis!)


Sie werden feststellen, dass zum Beispiel in Limburg – bei
mir zu Hause – zwei neue Postfilialen eingerichtet werden
müssen, weil der Markt es nicht gerichtet hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Post ist dazu verpflichtet, weil wir entschieden haben,
dass zwei neue Filialen eingerichtet werden sollen. Es ist
Wille des Gesetzgebers und auch unser Wille, dass in der
Region, in der Fläche die Post erhalten bleibt. Wer dies




Jochen-Konrad Fromme

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will, muss auch dazu und zu den steuerlichen Regelungen
stehen. Wer es nicht will, muss es abschaffen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Warum weist ihr es denn nicht offen aus?)


Er muss dann aber auch hier sagen, dass er die Post in der
Region und in der Fläche nicht haben will.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Dann hätten Sie auch ein Gesetz machen können! – Es steht doch im Gesetz!)

Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1421611400

Wenn Sie das nicht wollen, dann sagen Sie das.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich komme zu dem Verdacht, den Sie eben geäußert ha-

ben: Umsatzsteuerbetrug. Darüber wurde auch heute Mor-
gen in der Presse berichtet. Sie haben es eben aufgegriffen.
Es grenzt an Heuchelei, was Sie hier betreiben. Warum ha-
ben Sie – das ist ja noch nicht allzu lange her – unserem
Gesetzeswerk – es ging um das Steuerverkürzungs-
bekämpfungsgesetz; Sie kennen es – Ende vorigen Jahres
nicht zugestimmt? Es sorgt dafür, dass dem Umsatzsteuer-
betrug in dieser Republik besser nachgegangen werden
kann. Sie haben nicht zugestimmt. Sie können nicht gegen
ein Gesetz stimmen, das dafür sorgt, dass eine Bekämp-
fung der Steuerverkürzung vorgenommen werden kann,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist doch ein reines Misstrauensgesetz! Sie müssen die Finanzämter arbeiten lassen und nicht als Stempelmaschinen einsetzen! Lassen Sie sie prüfen!)


und sich gleichzeitig hier hinstellen und sagen, dass ent-
sprechende Maßnahmen zur Steuerverkürzung von einem
Unternehmen durchgeführt werden. Wenn etwas unrecht-
mäßig geschehen ist, wird dem nachgegangen, und zwar
durch die Gesetzesvorlage, die wir beschlossen haben und
die ordnungsgemäß hier im Deutschen Bundestag zum
Abschluss gebracht worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Um den Vollzug richtig durchzuführen, brauche ich kein neues Gesetz! Das steht schon in § 14! – Hans Georg Wagner [SPD]: Sache der Länder, Meister!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können fest-
stellen, dass die Union, die sich an eine Anfrage der
PDS gehängt hat, unglaubwürdig bezüglich ihrer Posi-
tion in der Umsatzbesteuerung ist. Ich habe eben darge-
stellt, dass Sie noch vor wenigen Jahren eine ganz an-
dere Position hatten. Sie sind unglaubwürdig bezüglich
Ihres Versprechens, dass Sie früher einmal gegeben ha-
ben. Sie sagten nämlich, dass Sie für die Post in der Re-
gion sind. Schließlich sind Sie unglaubwürdig bezüg-
lich der Verfolgung von Umsatzsteuerbetrug. Sie
betreiben in diesem Parlament nichts anderes als
Scheingefechte.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ich habe die Post nicht des Umsatzsteuerbetrugs bezichtigt, wie Sie das jetzt tun! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Betrugsvorwurf richtet sich an den Finanzminister und nicht an die Post!)


Das erleben wir immer wieder. Sie wollen davon ab-
lenken, dass Sie – das weiß inzwischen ohnehin jeder –
ein staatlich anerkannter Hühnerhaufen in Steuer- und Fi-
nanzfragen sind. Etwas anderes wird Ihnen bis zum
22. September niemand mehr abnehmen, weil Sie einfach
keine Ahnung von diesen Dingen haben. Deswegen sind
Sie nicht regierungsfähig. Das weiß inzwischen auch je-
der in diesem Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das merkt man an den Umfragen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1421611500
Die Aktuelle Stunde
ist beendet. – Wir sind damit am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 20. Februar 2002, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende und
eine fröhliche Karnevalszeit.

Ich schließe die Sitzung.