Gesamtes Protokol
Guten
Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen
nachträglich noch einmal ein gutes neues Jahr. Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Errichtung der Kulturstif-
tung des Bundes. Das Wort für den einleitenden fünf-
minütigen Bericht hat der Staatsminister für Angelegen-
heiten der Kultur und der Medien, Professor Dr. Julian
Nida-Rümelin.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren Abgeordneten! Die Idee einer Kulturstiftung
des Bundes bzw. einer Nationalstiftung ist in diesem Jahr
rund 30 Jahre alt. Sie kam ursprünglich nicht aus der Po-
litik, sondern aus den Kreisen deutscher Intellektueller
und Künstler, vorneweg von Günter Grass.
In der Regierungserklärung des zweiten Kabinetts
Brandt vom Januar 1973 wurde das Ziel formuliert, eine
Nationalstiftung zu errichten, die den neuen Aufgaben des
Staates in der Kulturförderung gerecht wird, die, wie es
aus der damaligen Zeit sehr gut nachvollziehbar ist, auch
das ostdeutsche kulturelle Erbe in Westdeutschland prä-
sent hält und die die zeitgenössische Kunst und Kultur
fördert. In meinen Augen sind die Ideen von vor 30 Jah-
ren vom Ansatz her hochaktuell. Wir können uns durch-
aus auch heute noch an ihnen orientieren.
Tatsächlich – meine Redezeit ist kurz, deswegen will
ich den Prozess gar nicht darstellen – ist es trotz breiter
Unterstützung im damaligen Parlament – übrigens auch
vonseiten der Opposition; Richard von Weizsäcker hat
sich damals sehr positiv zu diesem Projekt geäußert –
nicht zur Gründung einer solchen Stiftung gekommen.
Helmut Schmidt hat noch einmal einen Anlauf unternom-
men. Die Projekte, die im Hinblick auf eine solche Stif-
tung schon unternommen worden waren – dazu gehören
die Kunstfonds, die unterdessen bei der Kulturstiftung der
Länder angesiedelt sind –, sind in die 1988 gegründete
Kulturstiftung der Länder eingegangen.
Seit Dezember des vergangenen Jahres haben wir eine
neue, sehr erfreuliche Situation. Bei allen Differenzen im
Detail gibt es nämlich eine Übereinstimmung zwischen
den Ministerpräsidenten der Länder und dem Bundes-
kanzler – auch ich habe an der betreffenden Sitzung teil-
genommen – darin, dass der Bund sein ursprüngliches
Ziel, eine Kulturstiftung des Bundes zu etablieren, auf-
greifen kann, wobei sowohl aus meiner Perspektive wie
offensichtlich auch aus jener der meisten Ministerpräsi-
denten ein Zusammenwachsen, also eine Fusion mit der
Kulturstiftung der Länder, wünschenswert ist und bleibt.
Allerdings soll dies in die Entflechtungsdiskussion ein-
gebettet werden. In der Kulturförderung soll es also eine
klare Verantwortungsteilung zwischen Bund und Ländern
sowie gegebenenfalls Kommunen geben. Wir haben dazu
auch schon im Vorfeld dieser Sitzung im Dezember erste
Gespräche geführt.
Ich möchte noch knapp charakterisieren, um was es ei-
gentlich geht: Warum eine nationale Kulturstiftung? Sol-
che Kulturstiftungen gibt es in den meisten westlichen De-
mokratien, aus gutem Grund: Sie können unabhängig von
etablierten Institutionen fördern. Sie sind flexibler. Sie er-
gänzen die Kulturförderung, die es schon gibt. Wir wollen
im Rahmen dieser Kulturstiftung zwischen staatlicher För-
derung einerseits und privater Förderung, bürgerschaftli-
chem Engagement andererseits eine Brücke schlagen.
Wir werden dabei länderfreundlich vorgehen – das ist
zugesichert worden –, das heißt die Länder im Stiftungs-
rat beteiligen. Ferner wird in der Praxis dieser Stiftung die
Förderung – solange wir das im Rahmen der Entflech-
tungsdebatte nicht geklärt haben –, auf die Bereiche be-
schränkt, die zwischen Bund und Ländern unstrittig zur
Bundeskompetenz gehören. Mein Ziel ist, das rasch vo-
ranzubringen. Im ersten Quartal dieses Jahres soll die Ar-
beit aufgenommen werden.
Danke schön.
Vielen
Dank, Herr Staatsminister.
20859
211. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Beginn: 13.00 Uhr
Ich habe als ersten Fragesteller Herrn Koschyk notiert.
Herr Lammert, Sie haben offensichtlich mit dem Kolle-
gen Einvernehmen darüber erzielt, als Erster zu sprechen.
Herr Staatsmi-
nister, Sie wissen, dass ich mich in meiner Sympathie für
die Gründung einer Bundeskulturstiftung weder durch se-
riöse noch durch gelegentlich skurrile Auseinanderset-
zungen zwischen Bund und Ländern über das angemes-
sene Verständnis des Kulturföderalismus irritieren lasse
und deswegen immer schon der Meinung war, dass es we-
der einen wirklich überzeugenden Grund gibt, dass der
Bund eine solche Kulturstiftung auf gar keinen Fall ma-
chen dürfe, noch es überzeugend wäre, eine solche Kul-
turstiftung um jeden Preis zu errichten. Deswegen möchte
ich mich ausdrücklich auf die von Ihnen noch einmal dar-
gestellten Vereinbarungen mit den Ländern beziehen.
Ich empfinde es schon als einen wunderschönen Aus-
druck der Skurrilitäten dieser Auseinandersetzung zwi-
schen Bund und Ländern über die Kompetenzverteilung
im deutschen Kulturföderalismus, dass die Kulturstiftung
der Länder ihren Sitz in Berlin nehmen wird, die Bundes-
kulturstiftung dagegen in Halle.
Ich hätte von Ihnen gerne gewusst, ob der Bund bei der
angestrebten Zusammenführung dieser beiden Stiftungen
darauf bestehen wird, den Ländern im Interesse eines le-
bendigen Kulturföderalismus entgegenzukommen und
bei einer Fusion der beiden Stiftungen den Sitz der Kul-
turstiftung der Länder in Berlin beizubehalten, oder ob
hier eine umgekehrte Präferenz verfolgt wird, was nach
den Erfahrungen der letzten Monate neue, unnötige Aus-
einandersetzungen erwarten lässt.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich den Skurilitäten noch eine hinzufü-
gen? Es war kritisiert worden, dass die Aktivitäten des
Bundes zu sehr Berlin-zentriert seien. In dem Papier der
Chefs der Staatskanzleien wird aber nun gerade als Emp-
fehlung zugrunde gelegt, der Bund solle sich insbeson-
dere auf die beiden Städte Bonn und Berlin konzentrieren.
Beides geht nicht: kritisieren, dass zu viel in Berlin statt-
findet, und zugleich fordern, dass man sich darauf zu be-
schränken habe.
Was den Stiftungssitz angeht, haben mir die Kollegen
Kultusminister aus den Ländern gesagt, die Entscheidung
für Berlin als Stiftungssitz sei vor der deutsch-deutschen
Wiedervereinigung getroffen worden. Sie wäre danach
wohl nicht mehr zugunsten Berlins ausgefallen. Das zeigt,
dass die Frage des Sitzes einer gemeinsamen Stiftung si-
cherlich noch sehr streitig diskutiert werden wird.
Wir haben beim letzten Treffen des Stiftungsrates der
KSL vereinbart, im Hinblick auf eine solche angestrebte
gemeinsame Stiftung – ohne jetzt schon eine Entschei-
dung darüber treffen zu können, ob es zu einer gemeinsa-
men Stiftung kommt – für die Zusammenarbeit zumindest
ein gemeinsames Dach zu etablieren. Das ist in der Lie-
genschaft, die die Kulturstiftung der Länder jetzt für ihre
Zwecke nutzt, aber auch darüber hinaus vielleicht auch im
Bereich der Verwaltung – das müssen wir noch sehen –
möglich, sodass Halle Stiftungssitz wird – dort wird auch
die Verwaltung der Kulturstiftung des Bundes sein – wir
aber als Außenstelle die Kulturstiftung der Länder in Ber-
lin haben.
Darf ich noch
eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zu-
satzfrage, bitte schön.
Bei den Verhand-
lungen mit den Ländern hat insbesondere in der Schluss-
phase das Interesse der Länder an einer Entflechtung der
Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Kulturför-
derung eine große Rolle gespielt. Wenn ich das Ergebnis-
protokoll der Besprechung der Ministerpräsidenten vom
genannten Datum richtig verstehe, dann ist dies auch aus-
drücklich vereinbart worden. Im Augenblick lasse ich
außen vor, ob sich für einen Ehrgeiz in Bezug auf die Ent-
flechtung von gemeinsam wahrgenommenen Aufgaben
vorrangig der Kulturbereich anbietet oder ob im Interesse
der Förderung von Kunst und Kultur nicht andere Felder
sinnvoller wären, wozu ich persönlich stark neige.
Ich hätte von Ihnen gerne gewusst, ob hinsichtlich der
damals von den Regierungschefs bekundeten Absicht, die
betreffenden Grundsatzbeschlüsse – nämlich ihre eigenen
Positionen, zu denen die Entflechtungsabsicht gehört – in
Verhandlungen mit dem Bund bis zum 8. März dieses Jah-
res – das ist gewissermaßen übermorgen – zu unterschrifts-
reifen Vereinbarungen zu konkretisieren, auch anschlie-
ßend mit der Bundesregierung eine Vereinbarung getroffen
worden ist und, wenn ja, ob aus Ihrer Sicht eine ernsthafte
Aussicht besteht, auch nur in der Nähe dieses Termins zu
einer seriösen Entflechtungskonzeption zu kommen.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bevorzuge – übrigens wohl ganz in IhremSinne – den Begriff „Systematisierung“ gegenüber demder Entflechtung. „Systematisierung“ kann Entflechtungheißen – im Einzelfall halte ich das auch für sinnvoll; esgibt Verflechtungen, die man im Sinne einer klareren Ver-antwortungsteilung auflösen sollte –, aber nach meinerAuffassung gibt es auch Aufgaben, die nur Länder undBund – entweder Sitzland und Bund oder Ländergesamt-heit und Bund, zum Beispiel die Stiftung Preußischer Kul-turbesitz – angemessen wahrnehmen können.In der gemeinsamen Besprechung mit dem Bundes-kanzler – nur an dem Teil habe ich natürlich teilgenom-men – ist von Bundesseite sehr deutlich die Skepsisformuliert worden, dass man sicherlich nicht bis zumMärz bei einer doch starken Divergenz im Grundsätz-lichen – es gibt immerhin zwei Papiere bzw. zwei juristi-sche Stellungnahmen dazu, die sehr weit auseinander lie-gen – zu einem Ergebnis kommen wird. Sonst hätte es inder Tat nahe gelegen, das noch abzuwarten. In der Sitzunghat auch niemand ernsthaft der Ansicht widersprochen,dass es unrealistisch sei, bis zum 8. März eine Einigungerzielen zu wollen. Ich sehe das nach wie vor sehr skep-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms20860
tisch und meine, wir müssen das sehr viel gründlicher an-gehen. Sonst finden wir keine tragfähige Basis. Das wirdaber noch dauern.
Als
Nächster hat der Kollege Eckhardt Barthel das Frage-
recht.
Herr Staatsminis-
ter, ich möchte damit beginnen, Ihnen zunächst einmal
dazu zu gratulieren, dass Sie den Zug, der seit 30 Jahren
auf dem Bahnhof stand, nun auf die Schiene gebracht ha-
ben. Das war sicherlich keine leichte Arbeit.
Ich freue mich, dass Sie diesen Erfolg gehabt haben. Das
war auch wichtig.
Nun wird dies in den Medien nicht von allen so eu-
phorisch, wie ich das tue, begrüßt und als Erfolg gewer-
tet, sondern es geht in den Medien teilweise um die Frage:
Ist das Glas halb voll oder halb leer? – Da wir wohl beide
der Meinung sind, dass dieses Glas nicht nur halb voll ist
– ich würde sagen, dass es zwei Drittel voll ist –, hätte ich
gerne eine Bewertung Ihrerseits zu dieser Auseinander-
setzung. Ich möchte mich der Frage meines Vorredners in
Bezug auf die Entflechtungs- oder Systematisierungsde-
batte anschließen. Ich betrachte sie eigentlich als eine Be-
lastung für die weitere Entwicklung und das schnelle Vo-
rankommen der Bundeskulturstiftung. Wie sehen Sie das
Verhältnis zwischen der aufgesetzten Entflechtungs-
debatte und der Entwicklung der Bundeskulturstiftung?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach meiner Überzeugung gibt es eine – ich
möchte es bewusst so nennen – nationale Verantwortung
für die Kulturentwicklung in Deutschland, die die Länder
und Kommunen allein auf sich gestellt nicht wahrnehmen
können. Das gilt selbstverständlich vor allem für die in-
ternationale Dimension bzw. den internationalen Kontext.
Der Begriff „Ländergesamtheit“ steht nicht in der Verfas-
sung. Von daher meine ich, dass diejenigen Stellungnah-
men von Verfassungsjuristen, die die Meinung vertreten,
es liege in der Natur der Sache, dass der Bund in nationa-
ler Verantwortung eine kulturpolitische Kompetenz hat,
zutreffend sind.
Dieser Punkt ist bis jetzt noch nicht geklärt, mit der
Folge, dass sich die jetzt etablierte Kulturstiftung des
Bundes in diesem Bereich zurückhalten muss, übrigens
entgegen dem, was die Länder vorschlagen. Die Minis-
terpräsidenten und die Kollegen Kultusminister treten
nämlich des Öfteren an mich heran und machen mich da-
rauf aufmerksam, dass dieses Projekt oder jene Institution
gefördert werden sollte, weil es bzw. sie von nationaler
Bedeutung sei. Hier muss man den Klärungsprozess auf
der Länderseite abwarten, der offensichtlich noch nicht
erfolgt ist. Insofern ist das Glas noch nicht ganz voll. Al-
lerdings sehe ich das deswegen nicht als eine große Be-
hinderung der Kulturstiftung des Bundes in ihrer Anfangs-
phase an, weil wir insbesondere aufgrund der Entwicklung
seit dem 11. September vor der großen zusätzlichen He-
rausforderung stehen, den Schwerpunkt im internationalen
Kulturaustausch zu setzen. Hier besteht kein Dissens über
die Kompetenz des Bundes.
Es gibt andere Bereiche – das wird Sie verwundern;
aber ich nehme das sehr ernst –, die schon 1973 ange-
sprochen wurden. Es entsteht in den nächsten Jahren eine
neue Situation durch die Einbeziehung unserer östlichen
Nachbarländer – zuerst als Beitrittskandidaten und dann
als Mitgliedstaaten – in die Europäische Union. Wir müs-
sen einen Prozess in Gang setzen, der nach dem Zweiten
Weltkrieg in Deutschland sehr erfolgreich in Richtung
Westen erfolgt ist, insbesondere in Richtung Frankreich,
wenn ich an den deutsch-französischen Kulturaustausch
denke. Der Prozess in Richtung Polen ist noch lange nicht
so weit. Das betrifft auch das Bewusstsein bei uns im
Land. Wir haben also mit der Kulturstiftung des Bundes
genug zu tun, wenn wir diese Felder vorrangig angehen
wollen. Damit sind wir in der Phase, in der eine Klärung
noch nicht stattgefunden hat, auf der sicheren Seite.
Darf ich eine
zweite Frage anschließen?
Mir lie-
gen noch sehr viele Wortmeldungen von anderen Abge-
ordneten vor. Diese möchte ich zuerst abarbeiten. Sie kön-
nen sich danach gern noch einmal zu Wort melden.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Hartmut
Koschyk.
Herr Staatsminister,
in der Kabinettsvorlage nehmen Sie auch zur Geschichte
der Stiftungsidee Stellung und beziehen sich dabei aus-
drücklich auf die Regierungserklärung des damaligen
Bundeskanzlers Willy Brandt vom 18. Januar 1973, aus
der Sie die Begründung der Notwendigkeit einer Kultur-
stiftung des Bundes zitieren, nämlich dass es bei einer sol-
chen Stiftung auch darum gehen müsse, dem Erbe ost-
deutscher Kultur eine Heimat zu geben. Da Sie für die
Begründung der Stiftungsidee das eben erwähnte Zitat aus
der Regierungserklärung Willy Brandts verwenden, frage
ich Sie, ob Sie sich vorstellen können, dass sich eine sol-
che Stiftung – dafür gibt es nach § 96 des Bundesvertrie-
benengesetzes einen klaren gesetzlichen Auftrag – auch
mit dem Erbe der Gebiete der deutschen Heimatvertrie-
benen beschäftigt. Dieser Teil der Kulturpolitik fällt ja
ausdrücklich in die Zuständigkeit des Bundes.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie können die Wahl des Stiftungsortes Halleauch als ein Signal dafür sehen – so ist es auch gemeint –,dass in dem deutsch-deutschen Einigungsprozess, der seitüber zehn Jahren andauert, auch eine kulturelle Heraus-forderung bzw. Dimension enthalten ist. Ich möchte jetztnicht mit Ihnen über den Begriff „Ostdeutschland“ disku-tieren. Aber natürlich bezieht sich diese Dimension auchauf den Bereich, der in § 96 des Bundesvertriebenenge-setzes, der auch einen kulturellen Auftrag an den Bund be-inhaltet, geregelt ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin20861
Ich bin der Auffassung, dass man die kulturelle He-rausforderung, die darin besteht, dass die Gebiete, aus de-nen die Vertriebenen ursprünglich kommen, zum Teil inden Mitgliedstaaten der Europäischen Union angesiedeltsein werden, mit einer entsprechenden kulturellen Schwer-punktsetzung annehmen kann, ohne dass die Thematikder Nachkommen der Generation im Mittelpunkt stehenmuss, die unmittelbar von den Vertreibungen in der End-phase des Zweiten Weltkriegs und nach dem ZweitenWeltkrieg betroffen war.Darin steckt eine Aufgabe der Stiftung. Die Antwortist: Ja.
Ich
möchte das Fragerecht gern weitergeben und Sie, Herr
Koschyk, nachher noch einmal aufrufen. Die nächste
Frage stellt der Kollege Hans-Joachim Otto.
Herr Staats-
minister, ich möchte auf die Kompetenz- und Föderalis-
musfrage zurückkommen. Sie haben vorhin eine schöne
Formulierung benutzt. Mit Bezug auf Ihre Gespräche mit
den Ministerpräsidenten sagten Sie: „bei allen Überein-
stimmungen im Detail“. Mir geht es jetzt eher um die
Übereinstimmung im Grundsatz.
In Protokollen wird vieles diplomatisch verbrämt.
Können Sie bestreiten, dass Ihr Vorgehen, nämlich den
8. März nicht abzuwarten und diese Stiftung des Bundes
jetzt zu errichten, auf der Länderseite zu einer Verärge-
rung geführt hat – bei allem Bemühen um Entflechtung
usw. – und dass man an Sie die Bitte herangetragen hat,
dieses jetzt nicht im Alleingang zu tun, sondern zunächst
einmal die Systematisierung – so haben Sie es genannt –
abzuwarten?
Meine zweite Frage knüpft daran an: Können Sie be-
stätigen, dass der Rückzug der Länder aus der Finanzie-
rung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der ja weitrei-
chende Folgen hat, einen Zusammenhang mit Ihrem
Vorgehen aufweist?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Otto, da irren Sie sich, und zwar in bei-
den Punkten. Die Kultusminister der Länder haben den
Wunsch geäußert, dass diese Stiftung ihre Arbeit nur in
Fusion mit der Kulturstiftung der Länder aufnimmt. Ent-
gegen dem, was ich etwa im Mai vorgeschlagen habe, ha-
ben sie keine getrennten Verantwortlichkeiten unter einem
gemeinsamen Dach, sondern eine vollständige Integration
gewollt. Mit dem Juli-Konzept, das Sie kennen, bin ich
auch dem entgegengekommen und habe eine Konzeption
für eine vollständig integrierte Stiftung vorgelegt. Wir wa-
ren also kurz vor einer Einigung mit der Zusage von Län-
derseite, dass das bis Juli – so hieß es ursprünglich – bzw.
dann bis Oktober abschließend geklärt ist. Ich bin nach
30 Jahren Vorgeschichte selbstverständlich nicht mehr be-
reit, diese Thematik auf einen ungewissen Zeitpunkt in
der Zukunft zu verschieben mit der Folge, dass das Vor-
haben erneut zerredet wird. Man muss auch im Kulturbe-
reich zeigen, dass stringentes, ergebnisorientiertes Han-
deln möglich ist. Die KMK weiß, wovon ich rede.
Die Ministerpräsidenten der Länder haben die Angele-
genheit dann zu ihrer Sache gemacht und gesagt: Wir wol-
len auch im Kulturbereich – der Kollege Lammert hat das
zuvor angesprochen – diskutieren, was wir generell an-
streben, nämlich eine möglichst vollständige Entflech-
tung der Zuständigkeiten des Bundes und der Länder. Da-
mit war die Ebene der Kultusminister bei den weiteren
Gesprächen ausgeklammert.
Wenn diese Position die Basis ist, dann kann man sich
selbstverständlich nicht mehr gegen eine Aufgabentren-
nung auch unter einem gemeinsamen Dach einer ange-
strebten Stiftung stellen. Das ist auch der Inhalt der Be-
sprechung der Ministerpräsidenten gewesen, in der es
geheißen hat: Die Frage, ob ein gemeinsames Dach er-
richtet wird, muss man dann klären, aber jedenfalls soll es
eine klare Verantwortungsteilung geben.
Der Appell, doch noch bis März zu warten, ist bei der
entscheidenden Sitzung am 20. Dezember von den Mi-
nisterpräsidenten nicht mehr erfolgt. Die Ministerpräsi-
denten haben vielmehr gesagt: Wir sehen ein, dass der
Bund das jetzt beginnt. Wir wollen ohnehin getrennte Ver-
antwortlichkeiten auch unter einem gemeinsamen Dach. –
Die Zusicherung vonseiten des Bundes, dass wir nur im
unstrittigen Bereich mit den Förderungen beginnen, war
für diese Einigung zwischen Bund und Ländern allerdings
wesentlich. Wenn man dieser Philosophie folgt, dass auch
für eine zukünftige gemeinsame Stiftung eine getrennte
Verantwortlichkeit fortbestehen muss – das wird natürlich
Thema der Gespräche sein –, dann heißt das, dass wir jetzt
die eine Säule errichten – die andere Säule gibt es schon
in Form der Kulturstiftung der Länder –; wir bereiten da-
mit das gemeinsame Dach vor.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche
Einschätzung geben. Es gab Ministerpräsidenten, die eine
Zeit lang der Meinung waren, wir sollten die Entschei-
dung noch bis zum März aufschieben. Es ist völlig unrea-
listisch, dass wir bis März zu einer Einigung kommen.
Was passiert wäre, liegt auf der Hand: Man hätte sich im
März wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenhei-
ten erneut vertagt – vielleicht auf Juli. Glauben Sie ernst-
haft, dass wir dann in dieser Legislaturperiode noch zu ei-
nem Ergebnis gekommen wären? Ich halte das für eine
ganz unrealistische Vorstellung.
Es besteht die Erwartung der Künstlerinnen und Künst-
ler, dass wir etwas tun. Es wäre unverantwortlich gewe-
sen, diese Erwartung jetzt nicht zu erfüllen. Wir mussten
jetzt unseren Beitrag leisten; er soll dann – das ist das fort-
bestehende Ziel – mit dem zusammenwachsen, was die
Länder mit der Kulturstiftung der Länder etabliert haben.
Herr Otto,der Herr Staatsminister kann Ihre Fragen beantworten,wie er es für richtig hält.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin20862
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist richtig: Diese Frage war schon gestellt.
Entschuldigen Sie, das ich sie nicht gleich mitbeantwor-
tet habe. Auf der Basis der Philosophie der vollständigen
Verantwortungsteilung liegt es natürlich nahe, auch die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einzubeziehen.
Mein Eindruck ist – da dürfen Sie allerdings nicht mich
fragen, sondern müssen sich an Vertreter der Länder wen-
den –, dass der Meinungsbildungsprozess zu dieser spezi-
fischen Frage noch nicht abgeschlossen ist. Alles andere
würde einen Widerspruch darstellen: Im gemeinsamen
Teil dessen, was am 20. Dezember des letzten Jahres be-
sprochen worden ist, heißt es, dass man die Stiftung
Preußischer Kulturbesitz in die Entflechtung mit einzube-
ziehen habe. Wenn das aber heute schon entschieden
wäre, bräuchte man es gar nicht mehr mit einzubeziehen.
Meine Erwartung ist daher, dass es dazu bei den Ländern
noch eine Klärung gibt. Ich fände es wünschenswert,
wenn Bund und Länder das große nationale kulturelle
Erbe Preußens auch in Zukunft gemeinsam tragen.
Die
nächste Frage hat die Kollegin Monika Griefahn.
Herr Staatsminister,
zunächst auch von mir herzlichen Glückwunsch dazu,
dass es nun endlich geklappt hat.
Ich glaube, wir können uns darüber freuen, dass im Haus-
halt bereits für dieses Jahr Mittel veranschlagt sind, die
wir auch gerne ausgeben wollen. Ich denke, die Bürgerin-
nen und Bürger, die Künstlerinnen und Künstler werden
nun – da die Mittel eingestellt, die Gründung vorgesehen
und der Beschluss gefasst ist – fragen – und das ist auch
meine Frage –, wie die Projekte aussehen sollen und wie
sich der Verfahrensablauf für dieses Jahr darstellt. Sie
sprachen davon, dass internationale Projekte in diesem
Jahr Vorrang haben sollen; Sie sprachen auch davon, dass
Länderminister bereits konkrete Projektvorschläge ge-
macht haben. Wie soll also das weitere Prozedere ausse-
hen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sollten vonseiten der Politik nicht der
konkreten Arbeit der Stiftung vorgreifen. Die Politik wird
im Stiftungsrat ja auch vertreten sein; dort können wir un-
sere Vorstellungen einbringen. Aus meiner Sicht steht
schon heute fest, dass wir eine sorgfältige Trennung zwi-
schen Programmentscheidungen – also Entscheidungen
darüber, welche Schwerpunkte gesetzt werden und wel-
che Mittel für die jeweiligen Schwerpunkte zur Verfügung
stehen; das ist Aufgabe des Stiftungsrates – und Projekt-
entscheidungen – also Entscheidungen über Einzelpro-
jekte, die im Rahmen eines solchen Programmes realisiert
werden; das sollte Sache von Fachgremien und des Vor-
standes der Stiftung sein – aufrechterhalten sollten. Aus
dem Letzteren sollte sich die Kulturpolitik – jedenfalls ist
das meine Empfehlung – heraushalten. Damit hätten wir
ein Modell für eine staatsferne Förderung der Kunst. Wir
sollten nicht zulassen, dass sich das mit der Zeit ver-
schiebt. Ich will allerdings nicht ausschließen, dass ein-
zelne größere Projekte von besonderem Gewicht außer-
halb von Programmen auch im Stiftungsrat beschlossen
und beraten werden.
Zum Ablauf: Die Stiftung muss genehmigt werden,
und zwar vom Lande Sachsen-Anhalt, weil der Stiftungs-
sitz in Halle ist. Die durchschnittliche Zeit für Stiftungs-
genehmigungen in Deutschland beträgt 179 Tage.
– Das wollen wir alle ändern. Darum hoffe ich, dass wir
diesen Zeitraum nicht abwarten müssen, sondern dass das
sehr viel schneller geht. Ich habe mit dem Ministerpräsi-
denten dazu auch schon gesprochen; er ist da zuversicht-
lich.
Der Stiftungsrat wird dann über die Programme, die
vom Vorstand der Stiftung vorbereitet werden – das ist das
normale Prozedere –, beraten. Dort wird der Schwerpunkt
– da bin ich mir sicher – auf den internationalen Bereich,
den internationalen Kontext der Kunst- und Kulturent-
wicklung in Deutschland gelegt.
Von daher ist es jetzt zu früh, den Antragstellern zu sa-
gen, nach welchen Regularien sie sich richten sollen und
wo die Schwerpunkte liegen werden. Das entscheidet die
Stiftung, nachdem sie sich etabliert hat.
Die
nächste Frage stellt der Kollege Heinrich Fink.
Herr Staatsminister, es wirdSie nicht wundern, dass ich mich sehr darüber freue, dassder Stiftungsort Halle ist. Noch mehr freut es mich natür-lich, dass der Name, vielleicht auch der Patron für die Stif-tung sein könnte: August Hermann Francke. Vielleichtsollte man darüber noch einmal nachdenken; denn er isteiner derer, die Kultur, Wissenschaft und Forschung aufeinen gemeinsamen Nenner gebracht haben.Meine Frage schließt sich an die von Frau Griefahn an.In der Konzeption vom Juli 2001 war für die damalsvorgesehene Sektion II der Stiftung ausdrücklich betontworden, dass die Entscheidungen über die zu förderndenProjekte frei „von staatlicher oder verbandlicher Einfluss-nahme über Stiftungsgremien“ sein sollten – das haben Sienoch einmal betont und das begrüße ich auch sehr – undstattdessen durch „unabhängige Jurys“ erfolgen sollten.Ist mein Eindruck richtig, dass die Bundesregierungdavon abgerückt ist? Die Fachbeiräte, die dafür am ehes-ten infrage kämen, haben nur die Befugnis, Empfehlun-gen zu geben. Im Übrigen kann ich der Satzung überhauptnicht eindeutig entnehmen, wer darüber entscheidet, wel-che der angebotenen Projekte gefördert werden. Ich kann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002 20863
nicht eindeutig erkennen, wo die Entscheidung fällt, wel-che einzelnen Projekte entsprechend den Richtlinien undSchwerpunkten gefördert werden. Ich denke aber, dasmüsste erkennbar gemacht werden.D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet ganz klar: Im Gegenteil,
genau diese Stiftungsphilosophie ist auch die Basis für
das Konzept der Stiftung. Das heißt, nach wie vor sollen
Jurys – sie werden in der Stiftungssatzung als Fachbeiräte
bezeichnet – die Entscheidungen über Projektförderungen
treffen. Ich werde das gleich noch einmal qualifizieren.
Es ist Praxis – ich kenne sie aus meiner kommunalen
Erfahrung –, dass man die Letztentscheidung nicht bei
den jeweiligen Jurys lässt. Insofern sind es in formalem
Sinne Empfehlungen. In der Kommission in München,
die über Kunst am Bau entschied, gab es eine sehr gut
funktionierende Regelung, die Folgendes besagt: Wenn
der Empfehlung der jeweiligen Jury gefolgt wird, bedarf
es keiner weiteren Befassung des Stadtrates oder, wie hier,
des Stiftungsrates mehr. Auf diese Weise wäre eine staats-
ferne Kunstförderung garantiert, ohne dass die Jury im ju-
ristischen Sinne die Letztverantwortung trägt. Diese trägt
natürlich die Stiftung; denn die Mitglieder der Jurys sind
keine Angestellten, sondern Persönlichkeiten, die das
Ganze ehrenamtlich behandeln. Es gibt also keinerlei Ab-
rücken von dieser Stiftungsphilosophie. Dabei wird es
bleiben.
Was die Schwerpunkte im damaligen Konzept angeht,
möchte ich auf das verweisen, was ich in der Antwort auf
die Frage von Herrn Dr. Lammert gesagt habe: Wir müs-
sen die Schwerpunkte natürlich an die Zusicherungen den
Ländern gegenüber anpassen. Bis zur Klärung der Syste-
matisierungsfrage bewegen wir uns in der konkreten För-
derung im unstrittigen Bereich der Bundeskompetenz.
Das gilt auch für das, was von Länderseite für Bun-
deskompetenz gehalten wird.
Aus Zeit-
gründen lasse ich nur noch eine Frage zu. Der Kollege
Burgbacher hat das Recht zur Frage.
Herr Staatsminister, Sie
haben zweimal von Projekten von nationaler Bedeutung
gesprochen, die gefördert werden sollen. Man denkt zu-
allererst an größere Renommierprojekte aus der profes-
sionellen Kulturszene. Nun gibt es auch im nicht profes-
sionellen Bereich eine Kulturszene, die in Deutschland
eine sehr große Rolle spielt. Wird es Ihrer Einschätzung
nach auch möglich sein, Projekte aus diesem Bereich zu
fördern? Wurde daran von Ihrer Seite gedacht?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort ist eindeutig ja, weil wir nicht
nur Kunstförderung – das hätten wir sonst hineinge-
schrieben –, sondern auch Kulturförderung mit dieser
Stiftung praktizieren wollen. Mich hat das Thema der kul-
turellen Integration in Deutschland – es spielt auch in dem
ursprünglichen Konzept eine Rolle – sehr beschäftigt.
Dieses Thema sollte ein Schwerpunkt der gemeinsamen
Stiftung sein. Wir müssen uns in diesem Bereich zunächst
zurückhalten, weil er von Länderseite nicht als Kompe-
tenzbereich des Bundes angesehen wird. Wenn wir auf
diesem Gebiet vorankommen wollen, dann kann sich das
nicht nur auf die Ebene der professionellen Kunstför-
derung beziehen. Das Gleiche gilt für internationale
Austauschprogramme, für Kooperationsprogramme, et-
wa zwischen unseren östlichen Nachbarländern und
Deutschland; denn auch dort ist die Dimension der
Laienkultur grundsätzlich einzubeziehen. Der Schwer-
punkt wird aber sicherlich auf professioneller Kunst
liegen.
Gibt es
außerhalb des Themenbereichs, der eben angesprochen
worden ist, eine Frage an die Bundesregierung? – Das ist
nicht der Fall.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 14/8016, 14/8023 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage 1
des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerungen des
tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman zu den Su-
detendeutschen im Hinblick auf die Rechtfertigung der Ver-
treibung – vergleiche „Profil“ vom 21. Januar 2002; „Süddeutsche
Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Welt“ jeweils
vom 22. Januar 2002 – vor dem Hintergrund von Inhalt und Geist
der Deutsch-Tschechischen Erklärung, und wie wird die Bun-
desregierung auf diese Aussagen reagieren?
D
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die Äußerungen von Ministerpräsident Zeman sind imKontext einer tschechisch-österreichischen Auseinan-dersetzung gefallen, in deren eigentlichem Mittelpunktder von der österreichischen FPÖ in einem Referenduminstrumentalisierte tschechisch-österreichische ZankapfelTemelin steht. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht,sich an dieser emotional stark aufgeheizten tsche-chisch-österreichischen Debatte zu beteiligen.Die Deutsch-Tschechische Erklärung vom 21. Ja-nuar 1997 bleibt für die Bundesregierung Grundlage derbilateralen Beziehungen mit unserem Nachbarland. Siehat keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Deutsch-Tschechische Erklärung auch für die tschechische Regie-rung die feste Basis der deutsch-tschechischen Beziehun-gen darstellt. Dazu gehört – das will ich sehr deutlichunterstreichen – auch die Ablehnung kollektiver Schuld-zuweisungen.Dies ist dem Bundesminister des Auswärtigen auchvon seinem tschechischen Kollegen Kavan gestern in ei-nem Telefongespräch ausdrücklich bestätigt worden. Inder Erklärung, auf die ich mich beziehe, bekennt sich diedeutsche Seite ausdrücklich zu ihrer Verantwortung fürdie historische Entwicklung, die schließlich auch zur Zer-
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Dr. Heinrich Fink20864
schlagung und Besetzung der tschechoslowakischen Re-publik führte. Die tschechische Seite ihrerseits bedauerte,wie der tschechische Ministerpräsident in seinem „Pro-fil“-Interview feststellte, Leid und Unrecht, die unschul-digen Menschen durch die Vertreibung zugefügt wurden.Dass die Bundesregierung zur Völkerrechtswidrigkeitder Vertreibung eine andere Rechtsauffassung als dietschechische Regierung hat, ist bekannt. Beide Seiten sindsich aber seit 1997 einig, ihre Beziehungen nicht mit die-sen aus der Vergangenheit herrührenden politischen undrechtlichen Fragen zu belasten.
Eine Zu-
satzfrage, Herr Koschyk.
Herr Staatsminister,
halten Sie es wirklich für dem Vorgang angemessen, dass
sich die Bundesregierung nach derartig herablassenden,
beleidigenden, ehrverletzenden und übrigens auch der ge-
schichtlichen Wahrheit nicht entsprechenden Äußerungen
des tschechischen Ministerpräsidenten – auch gegenüber
Millionen deutscher Mitbürgerinnen und Mitbürger – da-
hinter verschanzt, dass es sich um eine tschechisch-öster-
reichische Kontroverse handele, in die die Bundesregie-
rung nicht eingreifen wolle? Halten Sie das Vorgehen
auch im Hinblick auf das Presseecho und die Kommen-
tarlage zu diesen Äußerungen von Herrn Zeman für an-
gemessen?
D
Herr Kollege Koschyk, bei dem Vorgang, nach dem
Sie mich fragen, gehen im Prinzip unterschiedliche, das
Verhältnis Tschechiens zu Europa betreffende Vorgänge
ineinander über. Es macht hauptsächlich Sinn, jeglichen
Schaden in dieser Angelegenheit zu vermeiden.
Eine erste Bemerkung. Wir halten es für eine ungüns-
tige Entwicklung, dass in Österreich ein Volksbegehren
durchgeführt wurde, bei dem die ja nicht zu bezwei-
felnden Gefährdungen, die von Kernkraftwerken ausge-
hen können, in einen Zusammenhang mit Möglichkeiten
der Verhinderung des Beitritts Tschechiens zur Europä-
ischen Union gebracht wurden. Die Bundesregierung
möchte alle Umstände vermeiden, unter denen irgendwo
in Europa Entwicklungen oder politische Diskussionen
stattfinden könnten, die diesen Beitritt verhindern könn-
ten. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite stehen die Bemerkungen von
Ministerpräsident Zeman gegenüber den Sudetendeut-
schen, die eindeutig in der Sprache der Kollektivschuld
geäußert wurden. Ich möchte hier ganz ausdrücklich
klarstellen – denn wir müssen uns hinter nichts verschan-
zen –, dass wir keine Kollektivschuld sehen. Ich füge
eines hinzu: Gerade mein näherer Umgang mit Sprechern
der Sudetendeutschen, den ich als Vorsitzender des
deutsch-tschechischen Koordinierungskreises habe, ver-
anlasst mich, Folgendes zu sagen: Betrachtet man das
Verhältnis Deutschlands zu Tschechien, insbesondere
auch zu den Sudetendeutschen, und das in letzter Zeit fest-
zustellende Verhalten der Repräsentanten der Sudeten-
deutschen, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Äuße-
rung von Herrn Zeman nicht konstruktiv und auf jeden
Fall nicht weise war.
Die Bundesregierung und auch ich persönlich stehen
voll dahinter, dass die Sudetendeutschen in Deutschland
das nicht verdient haben. Wir werden mit ihnen zusam-
men dafür sorgen, dass es im Rahmen der europäischen
Einigung zu einer Aussöhnung und zu einer weiteren Auf-
arbeitung nicht gelöster Probleme kommen wird.
Ich möchte noch einmal sagen: Es gibt keinen Grund,
sich zu verschanzen. Das war nicht die Absicht. Wir ha-
ben nur die Absicht, kein zusätzliches Feuer zu schüren.
Eine wei-
tere Zusatzfrage? – Kollege Koschyk, bitte.
Herr Staatsminister,
halten Sie es nicht für geboten, da es ja einen sehr inten-
siven Kontakt zwischen dem Bundeskanzler und seinem
tschechischem Amtskollegen gibt – ich denke nur an die
gemeinsame Sommerreise, die beide im letzten Jahr in das
deutsch-tschechische Grenzgebiet unternommen haben –,
dass der Bundeskanzler seinem tschechischem Amtskol-
legen, in welcher Form auch immer, deutlich macht, was
er von derartigen Äußerungen hält?
D
Im Rahmen der Linie, die ich eben skizziert habe,
war der erste notwendige und in diesem Sinn auch erfolg-
reiche Schritt, dass Bundesaußenminister Fischer, wie ich
es eben gesagt habe, mit seinem tschechischen Kollegen
telefoniert hat, der dabei ausdrücklich darauf hingewiesen
hat, dass er für die tschechische Regierung kein Abweichen
von der 1997 gemeinsam abgegebenen Erklärung sieht.
Ich glaube, am 20. Februar wird Bundesaußenminister
Fischer in Prag sein und mit Herrn Kavan zusammentref-
fen. Der Bundeskanzler persönlich – das möchte ich gerne
folgendermaßen formulieren – geht davon aus, dass die-
ses Zusammentreffen der Außenminister die Beziehungen
wieder so weiterentwickelt, dass seine nächste Begeg-
nung mit Herrn Zeman möglich bleibt.
Weitere
Fragen? – Kollege Lamers, bitte.
Herr Staatsminister, in Ih-rer ersten Antwort haben Sie gesagt, die Bundesregierunggehe davon aus, dass die tschechische Regierung dieDeutsch-Tschechische Erklärung nach wie vor als dieGrundlage der Beziehungen ansehe. In Ihrer Antwort aufdie Zusatzfrage des Kollegen Koschyk haben Sie gesagt,die Äußerungen von Herrn Zeman seien nicht weiseund nicht konstruktiv. Darf ich daraus die Schlussfolge-rung ziehen, dass die Bundesregierung die Äußerung destschechischen Ministerpräsidenten als nicht mit demGeist und dem Buchstaben der Deutsch-TschechischenErklärung übereinstimmend ansieht?
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Staatsminister Dr. Christoph Zöpel20865
D
Das, was ich eben gesagt habe, war wiederholend.
– Ich bin mir nicht sicher, ob es weise wäre, wenn ich so
antworten würde.
Die Bundesregierung sieht, dass diese Äußerungen und
die darüber stattfindende Debatte nicht dazu beitragen,
dass sich auf der Grundlage dieser Erklärung, zu der beide
Seiten stehen – davon gehen wir aus –, die weitere Pro-
bleme aufarbeitenden deutsch-tschechischen Beziehun-
gen gut entwickeln werden. So sieht es die Bundesregie-
rung. Sie möchte alles tun, dass von den bilateralen
Beziehungen und von möglichen Erklärungen von Ver-
tretern der tschechischen Regierung im Normalfall wie-
der ein solcher Geist ausgeht, der die Zielsetzung dieser
gemeinsamen Erklärung widerspiegelt. So würde ich das
lieber formulieren, weil ich mir davon mehr verspreche,
als darüber nachzudenken, ob etwas verletzt wird.
Nein, Sie
haben nur eine Frage.
Eine weitere Frage, Frau Kollegin Reinhardt.
Herr Staatsminister,
welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Wirkung der Äußerung bei der tschechischen Bevölke-
rung? Unterstützt die Regierung die Kräfte in der Tsche-
choslowakei, die sich um eine Aufarbeitung der Ge-
schichte bemühen?
D
Frau Kollegin, zu Ihrer ersten Frage: Redliche Er-
kenntnisse darüber, wie das in der Öffentlichkeit gewirkt
hat, kann es noch gar nicht geben. Ich möchte es anders
formulieren: Es hat bereits eine Diskussion unter poli-
tischen Repräsentanten Tschechiens und anderer Länder
eingesetzt. Die Bundesregierung verspricht sich davon
– ich selber habe nach meinen Erfahrungen den Eindruck,
dass diese nicht besonders zweckmäßigen Äußerungen
dazu führen könnten –, dass es auch in Tschechien zu ei-
ner weiterführenden Nachdenklichkeit kommt.
– Es gibt, soweit wir die Presse auswerten konnten, keine
Hinweise auf eine explizite Unterstützung. Es gibt – ich
wiederhole das – nachdenkliche Äußerungen anderer
politischer Repräsentanten. Wir schätzen, dass vielleicht
sogar eine gute Diskussion darüber, was man besser sagt,
einsetzen könnte. Mehr kann man einen Tag danach sinn-
vollerweise nicht sagen. Im Nebel stochern sollte keine
Regierung.
Eine wei-
tere Frage, Frau Kollegin Steinbach.
Die Äußerungen des
tschechischen Ministerpräsidenten waren ja ganz offen-
kundig kein Schnellschuss. Vielmehr fielen sie in einem
schriftlichen, gegengezeichneten Interview, zu dem es bis
heute kein einziges Wort des Bedauerns seitens des tsche-
chischen Ministerpräsidenten gibt.
Wenn der Regierungschef unseres Nachbarlandes, zu
dem wir alle freundschaftliche Beziehungen wollen, eine
solche Tonart anschlägt, meinen Sie dann nicht, dass die
Würde der Opfer, die dadurch in ihrer Befindlichkeit und
in ihrer schlimmen Geschichte massiv verletzt wurden, es
erfordert, dass der deutsche Bundeskanzler, der eine Für-
sorgepflicht für die Deutschen hier in Deutschland und
ihre elementaren Anliegen hat, dazu eine Äußerung abgibt
und Kontakte zu seinen Kollegen in der Tschechischen
Republik aufnimmt?
D
Frau Kollegin, wenn Sie das Interview in Gänze le-
sen, finden Sie darin auch Bemerkungen, in denen der
tschechische Ministerpräsident Unrecht an Sudetendeut-
schen nicht leugnet, sondern sogar darauf hinweist, dass
er schon lange auf diesen Tatbestand hingewiesen hat.
Auch das steht in diesem sonst nicht weisen Interview.
Auch dies wertend, glaube ich, dass es den deutsch-tsche-
chischen Beziehungen und vor allem der europäischen In-
tegration Tschechiens besser tut, wenn zunächst die
Außenminister dieses Problem aufzuarbeiten suchen. In
der Folge können konstruktive deutsch-tschechische Be-
gegnungen mit allen Bereichen der tschechischen Regie-
rung fortgesetzt werden, auch auf der Ebene der Regie-
rungschefs.
Eine wei-
tere Frage, Kollege Irmer.
Herr Staatsminister, handelt es
sich nach Einschätzung der Bundesregierung bei den
Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten
Zeman um einen verunglückten Einzelfall, um eine Ein-
zelmeinung, oder können Sie erkennen, dass es eine
Grundstimmung in dieser Richtung in der Tschechischen
Republik gibt?
D
Meine Formulierung, dass diese Äußerungen destschechischen Premiers nicht weise waren, wähle ich vorallem auch deshalb, weil es für uns keinerlei Anlass gibt,aus irgendwelchen Ereignissen zu schließen, dass diesdem tatsächlichen Verhalten der tschechischen Regierungim Dialog mit Deutschland entspricht. Das Gegenteil ist
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der Fall. Es besteht die Bereitschaft, über bisher nicht be-wältigte, zwischen Deutschland und Tschechien strittigeFragen zu sprechen. Gerade auch aus diesem Grunde se-hen wir dies nicht als repräsentativ für die Haltung dertschechischen Politik in den letzten zwei Jahren. Ichbleibe bei dieser Formulierung.
Herr Kol-
lege Spranger.
Herr Staatsmi-
nister, ist Ihnen bewusst, dass diese verantwortungslosen
Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten auch
in Deutschland eine verheerende Wirkung haben, insbe-
sondere was die Zustimmung der Bevölkerung zu dem
weiteren Einigungsprozess in Europa unter Beteiligung
der Tschechischen Republik angeht?
D
Die Formulierung „verheerende Wirkung“ war Ihre.
Das mag Ihr Eindruck sein; ich teile diesen Eindruck
nicht, weil ich den Stand der Diskussion über die Pro-
bleme zwischen Deutschen und Tschechen als besser ein-
schätze, sodass ich diese „verheerende Wirkung“ nicht er-
warte, vor allem wenn auf beiden Seiten insbesondere die
sich besonders betroffen Fühlenden daraus eine Konse-
quenz ziehen, die notwendig ist, nämlich den weiteren
Dialog mit Vorsicht, Zurückhaltung und Weisheit zu
führen. Vielleicht war das Ganze sogar eine Chance, auf
beiden Seiten noch mehr Nachdenklichkeit zu erreichen;
denn nur mit Nachdenklichkeit können Wunden geheilt
werden, die anscheinend noch offen sind, wie ich mich
selber mehrfach überzeugen konnte.
Es gibt
eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Rönsch.
Herr
Staatsminister, in den Gesprächen im März 1999 hat der
Herr Bundeskanzler auch angekündigt, dass der Beitritt
zur EU ohne Bedingungen von unserer Seite aus erfolgen
sollte. Könnte nicht eine Bedingung sein, dass man eine
Entschuldigung erwartet?
Herr Präsident, darf ich eine zweite Frage stellen?
Nein.
D
Der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union
wird sich überhaupt nur vollziehen können, wenn der Ver-
söhnungsprozess zwischen Tschechen und Deutsch spre-
chenden Menschen – ich beziehe an dieser Stelle Österreich
mit ein – vorangeht. Da ich sicher bin, dass die Begegnun-
gen der Außenminister, über die ich gesprochen habe, und
hoffentlich bald auch wieder der Regierungschefs statt-
finden können, gehe ich davon aus, dass wir in einigen
Wochen feststellen können, dass auch die tschechische
Regierung alles tut, um den Beitritt Tschechiens und die
Versöhnung der Tschechen mit den Deutsch sprechenden
Nachbarn möglich zu machen.
Wir kom-
men dann zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Hartmut
Koschyk:
Wie bewertet die Bundesregierung den unter Frage 1 themati-
sierten Sachverhalt vor dem Hintergrund der gegenseitigen
Bemühungen im Rahmen des deutsch-tschechischen Gesprächfo-
rums, und welche kurzfristigen diplomatischen Maßnahmen wird
die Bundesregierung unternehmen, um Schaden von den im Rah-
men des Gesprächforums erzielten Ansätzen zur Verständigung
abzuwenden?
D
Herr Kollege, die deutsch-tschechischen Beziehun-
gen sind heute eng und gut. Das habe ich darzulegen ver-
sucht. Die erreichte Dichte und Qualität der deutsch-
tschechischen Beziehungen basieren im Wesentlichen auf
dem 1997 auf der Grundlage der Deutsch-Tschechischen
Erklärung in einem Aide-Mémoire von beiden Regierun-
gen gegründeten Gesprächsforum. Auch die Arbeit dieses
bilateralen Gremiums hat den deutsch-tschechischen Be-
ziehungen ein belastbares Fundament gegeben, das bei-
den Seiten seit seiner Gründung einen institutionalisierten
Rahmen für gegenseitiges Kennenlernen, offene Ge-
spräche und die Lösung verbleibender bilateraler Pro-
bleme bietet. Die Bundesregierung geht davon aus, dass
im Rahmen des Gesprächsforums unter Einbeziehung der
aus der Vergangenheit herrührenden Fragen auch künftig
ein offener und zukunftsgerichteter Dialog geführt wird.
Lassen Sie mich hinzufügen, dass vor allem das
Wirken meines tschechischen Co-Kollegen, Professor
Pick, dazu beiträgt. Die Alltagspraxis ist so, dass ich be-
reits gestern um 11 Uhr mit Kollegen Pick über den Vor-
gang telefoniert habe. Es ist angesichts der Debatte, die
wir heute führen müssen, gut, dass die nächste Veranstal-
tung des Gesprächsforums am 8. März hier in Berlin statt-
finden wird. Es gibt gar keinen Zweifel, dass Herr Pick
und ich, solange wir damit beschäftigt sind, alles tun,
damit auch über Vergangenheitsfragen gesprochen werden
kann. Wir haben dazu im Gesprächsforum der Sude-
tendeutschen Landsmannschaft soeben die entsprechen-
den Anregungen von Herrn Kollegen Posselt aufgegriffen.
In der Art und Weise, wie wir dort tätig sind, sehe ich
zwischen Herrn Posselt und mir keine Unterschiede; je-
denfalls sind für mich keine erkennbar.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Koschyk.
Herr Staatsminister,Sie haben jetzt zu Recht das verdienstvolle Wirken Ihrestschechischen Kollegen im Vorsitz des Forums, des frühe-ren stellvertretenden Außenministers Pick, angesprochen.Befürchten Sie nicht, dass die ja nicht aus dem hohlenBauch, sondern in einem sehr langen Interview gemachtenÄußerungen – wenn man die Interviewpraxis kennt, mussman schon davon ausgehen, dass der tschechische Pre-mier wusste, welche Äußerungen er tat und dass er sie vollverantwortet weitergegeben hat – vielleicht ein gewisses
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Staatsminister Dr. Christoph Zöpel20867
innertschechisches Störmanöver sind, um die zurzeit sehrhoffnungsvollen Gespräche, auch von Herrn Pick, imHinblick auf ein auch aus Sicht der Bundesregierungwichtiges humanitäres Anliegen in den deutsch-tschechi-schen Beziehungen zu stören und vielleicht dessen Lö-sung zu verhindern?D
Herr Kollege, meine Kenntnis über den Umgang der
tschechischen Regierung mit der Frage möglicher Schritte
zugunsten eindeutig nicht schuldiger Sudetendeutscher ist
so, dass mir keinerlei Anhaltspunkt bekannt wäre, dass
Ihre Vermutung, die ich verstehe, zutrifft.
Eine wei-
tere Frage von Frau Kollegin Rönsch.
Herr
Staatsminister, mit eine Ursache für das Ganze war ja nun
das Volksbegehren in Österreich. Wie ist denn die Haltung
der Bundesregierung? Stimmt man dem Anschalten oder
Weiterbetreiben des Kernkraftwerks in Temelin vor dem
Hintergrund des Ausstiegswunsches in Deutschland un-
eingeschränkt zu und gibt es auch hier keine Bedingung,
es vielleicht abzuschalten?
D
Frau Kollegin, die Frage, wie sicher dieses Kern-
kraftwerk ist, hat bei den bisherigen Beitrittsverhandlun-
gen eine erhebliche Rolle gespielt und viel Zeit gekostet.
Bei der Behandlung des entsprechenden Kapitels über
Energie ist in den entsprechenden Gruppen in Brüssel die
Frage der Sicherheit intensivst geprüft worden. Die Er-
kenntnisse der Fachleute sind, dass dieses Kernkraftwerk
verglichen mit Kernkraftwerken, die es in schon bisher
der EU angehörenden Ländern gibt, nicht zurücksteht.
Dennoch gab es noch besondere Bemühungen auf
höchster Ebene der österreichischen und der tschechi-
schen Regierung im so genannten Melker Prozess, eine
Verständigung über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen
und vor allem über ein besonderes Monitoring zu finden.
Die Ergebnisse dieses Prozesses hat Herr Kommissar
Verheugen mit beiden Regierungen Ende November in
Brüssel abschließend verhandelt und das Einverständnis
über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen und über ein be-
sonderes Monitoring ist nun Bestandteil des von allen
Staaten akzeptierten und vorläufig abgeschlossenen Ka-
pitels über die Energieversorgung geworden.
Ich füge dem eines hinzu: Wer Sorgen hinsichtlich der
Zuverlässigkeit dieses tschechischen Kernkraftwerks hat,
muss alles tun, damit Tschechien in die Europäische
Union kommt. Nur dort gibt es eine Grundlage dafür, dass
die Sicherheitskontrollen und das Monitoring so sind, wie
es den Standards der Europäischen Union entspricht.
Würde Tschechien außerhalb der Europäischen Union
bleiben, gäbe es wesentlich weniger Möglichkeiten.
Eine wei-
tere Frage von Frau Kollegin Reinhardt.
Herr Staatsminister,
Sie sagten, die Versöhnung zwischen den Menschen sei
wichtig. Aber hat nicht gerade da eine Bundesregierung
eine Verantwortung? Wie können Sie dann zu dem stehen,
indem Sie sagen, die Äußerung von Herrn Zeman habe
keine verheerende Wirkung, aber es sei keine weise Er-
klärung oder Aussage gewesen? Halten Sie diese Aussage
vonseiten der Bundesregierung für richtig oder glauben
Sie nicht, dass dies eher zu einer Spaltung der Menschen
als zur Versöhnung beiträgt?
D
Frau Kollegin, ich habe den Begriff „verheerend“
bewusst nicht übernommen, denn wenn man es sich ge-
nau überlegt, beinhaltet er ja die Prognose, dass dort
tatsächlich in Zukunft sehr Schlimmes, wenn auch nur in
den Köpfen von Menschen, passiert. Das möchten wir
nicht.
In Bezug auf den Umgang mit diesen nicht weisen
Äußerungen weise ich darauf hin: Gerade weil sich in
Deutschland und Tschechien sehr viele Betroffene ent-
sprechend verhalten, glauben wir, dass es keine verhee-
renden Auswirkungen geben wird. Diese Äußerungen
werden den weiteren Versöhnungsprozess und die Aufar-
beitung solcher Probleme im Ergebnis nicht behindern.
Das ist die Zielsetzung, von der alle meine Aussagen ge-
prägt sind.
Eine wei-
tere Frage des Kollegen Spranger.
Herr Staatsmi-
nister, hat die Bundesregierung irgendwelche Anhalts-
punkte, dass der Ministerpräsident seine verantwortungs-
losen Äußerungen zurücknimmt oder sie bedauert?
D
Herr Kollege, auf die Gefahr, dass ich mich wieder-
hole, sage ich: Verschiedene Telefonate, Treffen der
Außenminister, das Sich-Vergewissern auf der Ebene der
Außenminister, dass es keine Veränderung in unserer Hal-
tung gibt – also all das, was ich Ihnen geschildert habe –,
tragen dazu bei, dass diese nicht sehr weisen Äußerungen
nicht zu einem Schaden führen und dass wir auf den Weg
zurückkehren, den wir alle gehen wollen. Daran wollen
wir alle arbeiten.
Damit
sind die dringlichen Fragen beantwortet.
Herr Kollege Ramsauer, Sie möchten, soweit ich weiß,
einen Antrag stellen.
Herr Präsident!Nach Rücksprache mit meinen Kolleginnen und Kollegenmuss ich für meine Fraktion feststellen, dass aus unserer
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Hartmut Koschyk20868
Sicht die dringlichen Fragen durch die Bundesregierungunzureichend beantwortet worden sind.
Ich beantrage daher im Namen meiner Fraktion dieDurchführung einer Aktuellen Stunde zu diesem Fragen-komplex im unmittelbaren Anschluss an die Fragestunde.
Die
CDU/CSU hat den Antrag auf Durchführung einer Aktu-
ellen Stunde zu diesem Thema gestellt. Dies entspricht
der Nummer 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu The-
men von allgemeinem aktuellen Interesse. Die Ausspra-
che muss unmittelbar nach Schluss der Fragestunde auf-
gerufen werden. Damit entfällt die Aktuelle Stunde, die
von der FDP-Fraktion beantragt wurde.
Wir setzen jetzt die Fragestunde fort.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen 1 und 2
des Kollegen Ernst Hinsken sollen schriftlich beantwortet
werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beant-
wortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-
Michael Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Norbert Hauser
auf:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung in den letzten
Monaten unternommen, um die Gründung der IT-Akademie in
Bonn zu forcieren, und trifft eine Meldung aus dem Bonner „Ge-
neral-Anzeiger“ vom 1./2. Dezember 2001 zu, nach der die Bun-
desregierung die finanzielle Unterstützung für diese Akademie
mit ihrer Forderung nach einer Übernahme der Trägerschaft für
das Internationale Kongresszentrum Bonn durch die Bun-
desstadt Bonn verknüpfen will?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
W
Lieber
Herr Kollege Hauser, auf ihre Frage 3 möchte ich Ihnen
folgendermaßen antworten: Wie Sie wissen, hat sich die
Arbeitsgruppe des Koordinierungsausschusses im Bun-
desministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
am 20. September 2001 auf das Konzept für Bonn-IT ver-
ständigt.
Offen geblieben war seinerzeit die Frage, ob für Bonn-
IT eine selbstständige Stiftung errichtet oder ob stattdes-
sen für einen überschaubaren Zeitraum für die laufenden
Kosten Ausgleichsmittel zur Verfügung gestellt werden
sollen. Dazu werden zurzeit zwischen dem Land Nord-
rhein-Westfalen und der Bundesregierung – hier ist ins-
besondere das Bundesfinanzministerium beteiligt – Ge-
spräche geführt. Wir gehen davon aus, dass sie bald zu
einem Abschluss gebracht werden können.
Die Arbeitsgruppe des Koordinierungsausschusses hat
sich am 20. September auch auf weitere Ausgleichsmaß-
nahmen verständigt. Diese stellen in ihrer Gesamtheit ei-
nen gewissen konzeptionellen Abschluss der Maßnahmen
der Ausgleichsvereinbarung dar. Im Rahmen dieses Kon-
textes ist deshalb auch das Projekt Internationales Kon-
gresszentrum Bonn, IKBB, in die weiteren Überlegungen
und Gespräche einbezogen worden.
Zusatz-
frage.
Herr Staats-
sekretär, können wir auch im Falle weiterer Verzögerun-
gen im Zusammenhang mit der IT-Akademie – das wäre
ja nicht das erste Mal, woran auch immer es gelegen ha-
ben mag; da gab es ja viele Gründe – davon ausgehen,
dass der Fortschritt bei den anderen Projekten nicht be-
hindert wird, dass also nicht abgewartet wird, bis die IT-
Akademie – sei es in Form einer Stiftung, sei es in einer
anderen Rechtsform – errichtet werden kann, und dass
man nicht alles andere auf die lange Bank schiebt und in-
sofern die anderen Ausgleichsprojekte blockiert werden?
W
Wir
sind zuversichtlich, dass dies nicht eintritt. Natürlich hat
die Realisierung und genaue Formulierung des Konzepts
der IT-Akademie in Bonn und seiner jetzt noch in der Dis-
kussion befindlichen Rahmenbedingungen eine gute Zeit
gebraucht. Das ist bei innovativen neuen Konzepten nicht
ungewöhnlich, wenn Sie daran denken, dass eine Vielzahl
von Akteuren, sowohl vonseiten der Wissenschaft wie
auch vonseiten der Politik, in dieses Konzept eingebun-
den werden mussten.
Angesichts des Fortschritts in den Gesprächen sind wir
zuversichtlich, dass wir die noch offenen Fragen, auch
was die Finanzierung angeht, bis zum Sommer beantwor-
tet haben. Ich gehe auf keinen Fall davon aus, dass sich
daraus negative Auswirkungen auf andere in dem Kon-
zept vereinbarte Maßnahmen für Bonn ergeben.
Zusatz-
frage.
Ist das Chip-
Design-Center, das einmal Teil dieser Akademie – in wel-
cher Form auch immer – sein sollte, noch Bestandteil die-
ser Überlegungen oder gehört das Chip-Design-Center
nicht mehr dazu?
W
Es ha-ben sich seit meiner Präsentation des Konzepts für die IT-Akademie im Bundestagsausschuss für Forschung undTechnologie keine konzeptionellen Änderungen ergeben.Das gilt auch für das Thema, das Sie gerade angesprochenhaben.
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Dr. Peter Ramsauer20869
Gibt es
weitere Fragen? – Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Frage 4 des Kollegen Hauser auf:
Wenn ja, welche Gründe kann die Bundesregierung dafür
nennen, eine Verbindung dieser beiden unterschiedlichen Pro-
jekte herzuleiten, und warum sind die Verhandlungen zur IT-Aka-
demie in Bonn immer noch nicht zum Abschluss gebracht wor-
den, obwohl dies die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die
W
Auf
Ihre Frage 4 möchte ich Ihnen, Herr Kollege, antworten,
dass Sie als Bonner Abgeordneter natürlich besser wissen
als ich, dass beide Maßnahmen letztendlich auf das Ber-
lin-Bonn-Gesetz zurückzuführen sind. Ich habe über den
Stand der Gespräche im Ausschuss für Bildung und For-
schung in seiner Sitzung am 17. November entsprechend
Bericht erstattet. Wie ich vorhin schon erwähnt habe,
rechne ich mit einem alsbaldigen Abschluss der Ge-
spräche zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der
Bundesstadt Bonn, sodass ich auch keine Verzögerung für
andere Projekte sehe. Wir gehen auch davon aus, dass die
Gespräche insbesondere zwischen dem Ministerpräsiden-
ten des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Bundesfi-
nanzminister über die von mir genannten offenen Fragen
in einem fortgeschrittenen Stadium sind.
Zusatz-
frage, Herr Kollege Hauser.
Muss ich Ihrer
Antwort trotzdem entnehmen, dass in der Zeit, in der die
Verhandlungen und Gespräche über die IT-Akademie
fortgeführt werden, die anderen Projekte so lange geparkt
bleiben, bis hierfür grünes Licht gegeben werden kann?
Falls das so sein sollte: Wo ist der innere sachliche Zu-
sammenhang, die anderen unstrittigen Projekte nicht wei-
terlaufen zu lassen, um sich auf einen streitigen oder noch
nicht geklärten Teil zu konzentrieren?
W
Dies in
abstrakter Weise und hypothetisch hier in der Fragestunde
auszubreiten
ist etwas kompliziert, weil zurzeit noch die Verhandlun-
gen laufen. Ich sehe die von Ihnen beschriebene Gefahr
aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der Gespräche
nicht.
Weitere
Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung. Die Beantwortung der Frage 5 des Abgeordne-
ten Ulrich Irmer wird gemäß Ziffer 11 der Richtlinien für
die Fragestunde auf die nächste Fragestunde verschoben.
Ich höre, Sie seien darüber informiert.
Ich bin aus dem Bundesministe-
rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung in den letzten Tagen mehrfach angerufen und gebe-
ten worden, ich möge auf die Beantwortung der Frage
verzichten, weil man nicht die Kapazität hätte, die Ant-
wort vorzubereiten. Mir ist das völlig unverständlich und
ich betrachte es als eine Verkürzung des parlamentari-
schen Fragerechts, dass ich jetzt so abgespeist werde. Ich
sehe das überhaupt nicht ein. Die Zahlen, die ich hier er-
beten habe, sind zum Teil in den Zeitungen veröffentlicht
worden. Ich sehe überhaupt keinen Grund, weshalb eine
große Behörde wie das BMZ sich darauf beruft, sie habe
keine Kapazität, die Beantwortung von solchen Fragen
vorzubereiten. Ich muss hier energisch protestieren und
nehme das nicht ohne weiteres hin. Es drängt sich der Ver-
dacht auf, dass es vielleicht aus politischen Gründen miss-
liebig ist, die Frage zu beantworten.
Die Frage
bleibt im Raum. Sie wird in der nächsten Fragestunde
wieder aufgerufen. Die Bundesregierung ist verpflichtet,
die Frage nach bestem Wissen und Gewissen zu beant-
worten.
Ich gebe trotzdem meine
Empörung und meinen Protest zu Protokoll.
Ich bitte
um Verständnis, Herr Kollege Irmer. Das ist die Ge-
schäftsordnungslage.
Ich akzeptiere das. Ich gebe trotz-
dem meine Missbilligung und meine Kritik an der Bun-
desregierung zu Protokoll.
Ich bitte
in der nächsten Fragestunde wieder um Präsenz. Die Bun-
desregierung wird aufgefordert, die Frage in der nächsten
Woche zu beantworten.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanz-
leramtes. Zur Beantwortung steht der Staatssekretär Uwe-
Karsten Heye zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 6 der Kollegin Ina Lenke:
Welche Gesamtkosten verursacht die Informationskampagne
„Familie – Deutschland“ bislang und in den weiteren geplanten
Stufen und auf welchen Zeitraum ist die Kampagne ausgelegt?
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr ver-ehrte Abgeordnete, ich beantworte Ihre Frage nach den
Metadaten/Kopzeile:
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Kosten der Informationskampagne „Familie – Deutsch-land“ wie folgt: Bisher sind beim Bundespresseamt Ge-samtkosten in Höhe von rund 3,1 Millionen Euro ange-fallen. Im Rahmen der Endabrechnung kann sich das nochnach unten verändern, etwa durch Rabattierungen undÄhnliches. Die Kampagne hat am 22. November 2001 miteiner Pressekonferenz begonnen. Sie endet im April 2002.Für die Fortsetzung sind etwa 3,3 Millionen Euro veran-schlagt.
Zusatz-
frage?
Welche Art von Nachfragen, von
Kritik und Beschwerden wegen der Art der Kampagne,
der hohen Kosten und der unverständlichen Botschaft ha-
ben Sie oder das Bundespresseamt bekommen?
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt
durchaus unterschiedliche Reaktionen. Das ergibt sich
aus der Kontur dieser Kampagne. Insgesamt wird sie aber
mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. So
gibt es Abflüsse bei den Informationsbroschüren in ei-
ner Größenordnung von mehr als 100 000. Die gleichen
Informationen haben wir natürlich auch ins Internet ein-
gestellt. Die dort enthaltenen Informationen sind rund
4 000 mal heruntergeladen worden. Wir können also zum
jetzigen Zeitpunkt mit dem Echo sehr zufrieden sein.
Weitere
Zusatzfrage, Frau Kollegin Lenke.
Was sollen die Fotos der Plakatkam-
pagne bewirken? Ich habe Briefe von Bürgern bekommen,
in denen sie darauf hinweisen, dass die Kampagne sie
mehr abstößt als anspricht, und in denen ein ausgewoge-
nes Kosten-Nutzen-Verhältnis in Abrede gestellt wird.
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrte
Abgeordnete, ich bin mir nicht ganz sicher, zu welchem
Bereich Sie diese Frage stellen. Eigentlich gehört Ihre Zu-
satzfrage zu Ihrer zweiten Frage, die ich Ihnen nun gern
aufgrund Ihrer Zusatzfrage beantworten würde, wenn ich
das darf.
Dann rufe
ich nun die Frage 7 der Kollegin Ina Lenke auf:
Welche Bewusstseins- und Verhaltensänderungen bei den
Bürgerinnen und Bürgern verfolgt die Bundesregierung mit der
Kampagne?
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kam-
pagne verfolgt drei Ziele:
Erstens soll sie insbesondere Familien dabei helfen,
sich über ihre Rechte zu informieren und die Möglichkei-
ten zu nutzen, die ihnen durch die Politik der Bundesre-
gierung neu und zusätzlich gegeben worden sind.
Zweitens soll sie zugleich ein Bewusstsein dafür schaf-
fen, was Familien für die Gesellschaft leisten.
Indem sie über die Ziele und Ergebnisse der Politik der
Bundesregierung informiert, erfüllt sie drittens die urei-
genste Aufgabe des Bundespresseamtes, nämlich die Ar-
beit der Bundesregierung ressortübergreifend darzustel-
len. Sie verdeutlicht Zusammenhänge, indem sie über das
Gesamtspektrum familienpolitischer Leistungen in den
verschiedenen Politikfeldern informiert.
Mit der Verwirklichung dieser Ziele erfüllt die Bun-
desregierung konkret Aufgaben, die der staatlichen Öf-
fentlichkeitsarbeit gemäß dem Grundsatzurteil des Bun-
desverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 obliegen.
Durch die
Zusammenfassung der beiden Fragen haben wir die Frage
des Herrn Dörflinger zunächst übergangen. Sind Sie da-
mit einverstanden, Ihre Frage im Anschluss an die Zu-
satzfragen von Frau Lenke zu stellen?
– Bitte, Frau Lenke.
Ich habe tatsächlich noch Zusatz-
fragen.
In Ihrer Kampagne sprechen Sie über 100 Vorteile, die
den Familien durch Ihre Regierung zugekommen sind.
Sprechen Sie in Ihrer Kampagne, auf der Internetseite und
in Ihren Broschüren auch über Nachteile, zum Beispiel
darüber, dass der Haushaltsfreibetrag für Alleinerzie-
hende gestrichen wird und dass die Kindergelderhöhung
um 30 DM nur für das erste und zweite Kind gilt?
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich denke,dass dieser Bundesregierung in der Summe der Urteile desBundesverfassungsgerichts aufgegeben war, einen Teil derArbeit zu tun, die die Vorgängerregierung nicht hat leistenkönnen. Wir haben das vorbildlich getan. Insgesamt werdenin dieser Legislaturperiode – bislang jedenfalls – Mittel ineiner Größenordnung von mehr als 10 Milliarden Euro zu-sätzlich für familienpolitische Leistungen eingesetzt. Damitwerden hierfür insgesamt jetzt rund 50 Milliarden Euro proJahr aufgewendet. Ich denke, das ist eine Leistung, die manwürdigen kann und die auch gewürdigt wird.Zu Ihrer speziellen Frage bezogen auf die Alleinerzie-henden: Hier haben wir dem einschlägigen Urteil desBundesverfassungsgerichts zu folgen. Sie wissen, dasszurzeit im Finanzministerium geprüft wird, ob es nocheine rechtliche Marge dafür gibt, um bei den Aufwendun-gen für die Alleinerziehenden eine zusätzliche Verbesse-rung zu erreichen. Diese Frage wird geprüft und soll nochin dieser Woche, spätestens in der kommenden, beant-wortet werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Staatssekretär Uwe-Karsten Heye,20871
Weitere
Zusatzfrage, Frau Lenke? – Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen be-
kannt, dass das Bundesverfassungsgericht der Regierung
bzw. dem Bundestag nicht auferlegt hat, den Haushalts-
freibetrag für Alleinerziehende zu streichen, sondern nur
die Gleichstellung der Alleinerziehenden mit der Familie
vorgeschrieben hat? Ist Ihnen der Unterschied geläufig
und bekannt?
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Unter-
schied ist mir schon bekannt. Insoweit kommen wir
schnell auf einen gemeinsamen Nenner. Dennoch geht es
ja darum, zusätzliche Leistungen für Alleinerziehende,
die – in der Regel jedenfalls – in einer besonders schwie-
rigen Situation leben, zu realisieren oder zu ermöglichen.
Insoweit hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Einfluss auf die Entscheidungen der Bundesregierung ge-
habt.
Eine wei-
tere Frage des Kollegen Dörflinger.
Herr Staatssekre-
tär, können Sie bestätigen, dass die infrage stehende Kam-
pagne der Bundesregierung von der Agentur Odeon Zwo
konzipiert worden ist, und können Sie dem Hohen Hause
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ausweislich einer
Drucksache des Niedersächsischen Landtages vom
26. Januar 2001 im Zeitraum zwischen 1990 und 2000
430 Aufträge an die erwähnte Agentur gegangen sind,
bitte mitteilen, wie viele Aufträge – vielleicht auch, in
welcher Höhe – das Presse- und Informationsamt der
Bundesregierung seit 1998 an diese Agentur vergeben
hat?
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann
Ihnen das im Moment leider nicht sagen, weil ich diese
Zahlen nicht verfügbar habe. Ich werde das aber gerne
nachtragen.
Sie sprechen von der Lead-Agentur des Bundespresse-
amtes. Die Auftragsvergabe ist in einem Verfahren er-
folgt, das jeder Nachprüfung standhält. Von daher bin ich
gerne bereit, Ihnen all diese Fragen zu beantworten und es
nachzutragen. Wir müssten dann darauf zurückkommen.
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage befriedigend beantworten
kann.
Eine wei-
tere Frage von Frau Kollegin Erika Reinhardt.
Herr Staatssekretär,
wie kommt es, dass eine Kampagne, die über 3 Milli-
onen Euro kostet, weder in der Vorbereitung noch in der
Durchführung mit dem Ministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend abgestimmt wurde? Glauben Sie
nicht, dass das sinnvoller gewesen wäre?
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt
sich um eine Kampagne, die Leistungen von insgesamt
etwa neun Ressorts – einschließlich des von Ihnen ge-
nannten Ministeriums – mit einbezieht. Wir sind natürlich
mit diesem Hause im Gespräch.
Über ästhetische Fragen kann man immer streiten, ver-
ehrte gnädige Frau. Ich denke, dass diese Kampagne das
erreicht hat, was man im werblichen Umfeld, in dem auch
die Bundesregierung ihre Informationstätigkeit zu leisten
hat, erreichen will, nämlich Aufmerksamkeit zu erzielen.
Sicherlich gab es nicht nur positive Reaktionen, aber auch
und vor allem. Insoweit denke ich, dass das Ziel erreicht
ist: Man spricht darüber.
Nein, Sie
haben nur eine Frage. Entschuldigung! Eine weitere
Frage, Frau Kollegin Dr. Höll.
Herr Staatssekretär, können
Sie gerade vor dem Hintergrund der Kampagne, in der Sie
ja die Verbesserungen für das erste und zweite Kind von
verheirateten Paaren positiv herausstellen, erklären, warum
Sie es so darstellen, als ob das für alle Kinder gilt? Dass
Verbesserungen ab dem 1. Januar dieses Jahres eingetre-
ten sind, gilt nicht für sozialhilfeberechtigte Kinder.
Warum haben Sie gerade vor diesem Hintergrund reale
Verschlechterungen der finanziellen Lage von Kindern
von Alleinerziehenden bewusst politisch in Kauf genom-
men?
Ich finde es sehr widersprüchlich – ich kann es mir von
der politischen Zielstellung her nicht ganz erklären –, ei-
nerseits ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden und
andererseits diesen Tatbestand entweder nicht zu berück-
sichtigen oder in der Öffentlichkeit fälschlicherweise das
Bild vermitteln zu wollen, dass die Situation für alle Kin-
der besser geworden sei.
U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß
nicht, woraus Sie diese Schlussfolgerung ziehen. Aus den
Informationsleistungen, die jedem Mann und jeder Frau
zur Verfügung stehen, ist das nicht zu entnehmen. Im Ge-
genteil: Es wird deutlich gemacht, dass diese Regelungen
für das erste und das zweite Kind gelten.
Eine wei-
tere Frage des Kollegen Heiderich.
Darf ich Sie nochfragen, wie Sie die Aussage von verschiedenen Werbe-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 200220872
agenturen beurteilen, dass trotz ordnungsgemäßer Aus-schreibung der jeweilige Auftrag immer der Firma Odeonerteilt werde, sodass die anderen Werbeagenturen zuneh-mend gar kein Interesse mehr hätten, sich an den Aus-schreibungen zu beteiligen?U
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das
kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, Herr Abgeord-
neter. Die einzelnen Ressorts beschäftigen unter-
schiedliche Agenturen, sodass dieser Hinweis für mich
nicht nachvollziehbar ist.
Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht der Herr Staatsminister
Dr. Christoph Zöpel zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Ulrich Irmer:
In welcher Weise hat die Bundesregierung die Zerstörung von
mit deutscher und europäischer Unterstützung durchgeführten In-
frastrukturprojekten gegenüber der israelischen Regierung zur
Sprache gebracht und wie hat die israelische Regierung hierauf
reagiert?
D
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Irmer, es ist selbstverständlich, dass die
Bundesregierung, seit es die von Ihnen angesprochenen
Ereignisse gibt, in bilateralen Gesprächen mit der israeli-
schen Regierung nachdrücklich über die Beeinträchti-
gung der Projektarbeit sowie die Beschädigung und Zer-
störung von Infrastrukturmaßnahmen zu sprechen bemüht
ist. Die Bundesregierung dringt kontinuierlich darauf, die
Projekte internationaler Geber unbedingt zu schützen.
Die letzte Erörterung auf der Ebene der Außenminister
dazu fand am 17. Januar dieses Jahres telefonisch statt, als
der aktuelle Fall der Zerstörung des Flughafens Gaza er-
folgt war. Auch anlässlich der bilateralen Regierungs-
konsultationen im November 2001 in den palästinensi-
schen Gebieten wurde über diese Problematik mit Israel
gesprochen. Am 7. Dezember 2001 wurde ein detaillier-
tes Schreiben an das israelische Außenministerium über-
geben, in dem die deutschen Schäden benannt und freier
Zugang zu den Projekten sowie Schadensersatz für Be-
schädigungen erbeten wurden.
Bei einem Gespräch von Vertretern der deutschen Bot-
schaft Tel Aviv, des Vertretungsbüros Ramallah, der Ge-
sellschaft für Technische Zusammenarbeit und der Kre-
ditanstalt für Wiederaufbau am 8. Januar dieses Jahres
sagte die israelische Seite zum wiederholten Male zu, den
Schadensfällen im Einzelnen nachgehen zu wollen und
über Hergang und Gründe zu informieren. Die Informa-
tionen sind – das gehört zu den bedauerlichen Dingen –
bisher nicht eingegangen. Darüber hinaus wurde versi-
chert, dass es generelle Anweisungen an das israelische
Militär gebe, die Projekte der Entwicklungszusammenar-
beit internationaler Geber nicht zu beeinträchtigen.
Neben diesen bilateralen Bemühungen gibt es die
Bemühungen der Europäischen Union, an denen wir ent-
sprechend den Regeln der Europäischen Union teilneh-
men.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Irmer.
Hat die Bundesregierung die is-
raelische Regierung auf den Widerspruch hingewiesen,
der darin liegt, dass just die israelische Regierung die Eu-
ropäische Union bzw. die Bundesrepublik Deutschland
und andere Geber händeringend aufgefordert hat, Ent-
wicklungsprojekte in den Autonomiegebieten zu fördern?
Wie verträgt sich das damit, dass diese Zerstörungen jetzt
stattgefunden haben, wobei ich hinter die Zusicherung der
israelischen Regierung ein Fragezeichen setze, man habe
um Schonung dieser Projekte gebeten? Denn ich kann mir
nicht vorstellen, dass Befehle zur Zerstörung eines Flug-
hafens einfach aus Versehen erfolgen.
D
Herr Kollege, es ist unstreitig, dass ein Großteil die-
ser von Deutschland wie von anderen Geberländern ge-
förderten Projekte auf Wunsch Israels begonnen und
durchgeführt wurde. Insbesondere der derzeitige Außen-
minister hat dabei eine besondere Rolle gespielt, wie je-
der, der seine Reden verfolgt, weiß. In den Gesprächen,
die der Bundesaußenminister mit Außenminister Peres
geführt hat, ist dies zur Sprache gekommen.
Wir haben noch heute im Kabinett über diesen sehr
speziellen Zusammenhang gesprochen. Sie fragen mich
jetzt Dinge, die weder Sie noch ich wissen können.
Herr Kollege Irmer, wenn ich das beantworte, werden Sie
mir anschließend Recht geben.
Unstreitig unterstehen das Verteidigungsministerium
und die Armee in Israel der Regierung. Damit kommen
solche Dinge sicherlich nicht zufällig in dem Sinne zu-
stande, dass ein Einzelner einen Fehler begangen hat.
Was die von Ihnen angesprochene Problematik angeht
– das können wir alle nur so analysieren –, gehört es in ei-
nen Zusammenhang der derzeitigen Logik Israels, mit
dem, was es als Terrorismus analysiert, so umzugehen. In
solchen Situationen, wenn sie zu intensiven Militäreinsät-
zen führen, stehen oft selbst sinnvolle Objekte – auch
wenn sie international finanziert sind – nicht mehr im
Wege. Das ist eine analytische Bemerkung. Dies hindert
uns nicht daran, immer wieder das vorzubringen, was ich
Ihnen dargestellt habe. Wir werden auch nicht davon ab-
lassen, weil das Ergebnis für die Zukunft der betroffenen
Region unter keinem Gesichtspunkt als günstig angese-
hen werden kann.
HerrIrmer zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Helmut Heiderich20873
Hat die Bundesregierung die Ab-
sicht, an der Zusage der israelischen Regierung festzuhal-
ten, dass man nach Möglichkeit versuchen wird, solche
Entwicklungsprojekte bei der Antwort auf die Terroran-
schläge zu schonen? Ist die israelische Regierung gefragt
worden, inwieweit sie vielleicht bereit ist, die jetzt ange-
richteten Schäden selbst zu beheben?
D
Ich hatte in meiner ersten Antwort erwähnt, dass es
eine entsprechende Zusage gibt, auf derartige Vorhaltun-
gen der Bundesregierung einzugehen. Die Tatsache des
Auflistens dieser Projekte – dasselbe macht die Europä-
ische Union – ermöglicht es uns zumindest, nicht auszu-
schließen, dass mit der israelischen Regierung auch darü-
ber geredet werden muss, in welcher Weise dieser
Schaden ausgeglichen werden kann.
Frau Kol-
legin Lippmann, Sie wollen eine weitere Frage dazu stel-
len, bitte.
Herr Staatsminister, wie be-
urteilen Sie Forderungen aus anderen europäischen Staa-
ten, in dem Fall, dass sich Israel nach Ihren Ausführungen
nicht daran halten sollte, international oder von der EU
geförderte Projekte bei ihren Anschlägen zu verschonen,
weitere Projektmittel einzufrieren?
D
Die Frage, die Sie gestellt haben, muss sich jede
Regierung stellen. Sie ist sicherlich projektabhängig zu
beantworten. Es kann einerseits keinen Sinn machen, Pro-
jekte – ob EU-finanziert oder von einzelnen Mitglied-
staaten finanziert – nicht weiter zu fördern, die menschli-
che Begegnungen unter all diesen tragischen Umständen
des Zusammenlebens fördern und erleichtern. Es macht
andererseits aber offenkundig auch keinen Sinn, derzeit
Baumaßnahmen zu finanzieren, ohne zu wissen, was dort
passiert. Das ist eine Entscheidung, die sich mit der Si-
cherheitslage von Tag zu Tag ändert und, wie gesagt, vom
Charakter der Projekte abhängen muss.
Damit
kommen wir – Sie können gleich stehen bleiben, Frau
Kollegin Lippmann – zu Ihrer Frage, der Frage 9:
Wie weit ist der Abzug der afghanischen Truppen aus Kabul
entsprechend der Petersberger Vereinbarung fortgeschritten und
wann soll der Abzug und vollständige Austausch durch die UN-Si-
cherheitstruppe ISAF – International Security Assistance Force –
gemäß der Vereinbarung erfolgen, auf die sich auch der Beschluss
des Deutschen Bundestages vom 22. Dezember 2001 bezieht?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Herr Präsident! Frau Kollegin, afghanische bewaff-
nete Kräfte sind teilweise aus Kabul abgezogen worden.
Der Prozess dauert an. Die afghanische Interimsregierung
unterstützt uneingeschränkt die diesbezüglichen Verein-
barungen des Petersberger Abkommens.
Eine exakte Bestimmung der Anzahl von afghani-
schem Militär in Kabul und Umgebung ist derzeit nicht
möglich, weil im Zuge des Aufbaus der Strukturen der
zukünftigen afghanischen Sicherheitsorgane eine genaue
Abgrenzung zwischen Militär und Polizeikräften zurzeit
noch im Gange ist. Die volle Einsatzbereitschaft der UN-
Sicherheitstruppe ist seitens der britischen Einsatz-
führung auf Mitte Februar 2002 terminiert.
Eine Zu-
satzfrage, Frau Kollegin Lippmann.
Kann die Bundesregierung
einen Artikel aus der „New York Times“ bestätigen, wo-
nach der US-Commander der Truppen in Afghanistan
vorgestern, also am 21. Januar, gesagt haben soll, dass die
alliierten Truppen, die sich im Rahmen des NATO-Ein-
satzes dort befinden – einschließlich von Spezialkräften
aus der Türkei, Großbritannien und Deutschland –, die
Suche nach Osama bin Laden, Mullah Omar und weiteren
al-Qaida-Kämpfern auf weniger als zwölf Regionen re-
duziert haben?
D
Mir persönlich ist dieser Artikel nicht bekannt. Sie
können ja nicht voraussetzen, dass die Bundesregierung
alle Artikel der internationalen Presse jederzeit kennt. Wir
haben nur die Kenntnis, dass die Bemühungen, Taliban-
und al-Qaida-Kämpfer an der Ausführung terroristischer
Aktionen, wie es sie in der Vergangenheit gegeben hat, zu
hindern, fortgesetzt werden und dass auch ihre Anführer
noch gesucht werden.
Wenn Sie dem von Ihnen erwähnten Artikel in der
„New York Times“ entnommen haben, dass sich die Ver-
einigten Staaten bei ihren Militäraktionen auf das Not-
wendige beschränkt haben, dann muss ich Ihnen sagen,
dass das auf vollständige Zustimmung der Bundesregie-
rung trifft, die in sehr starkem Maße für die Verhältnis-
mäßigkeit der militärischen Mittel eintritt.
Eine wei-
tere Zusatzfrage, Frau Lippmann?
Ich habe eine weitere Zu-
satzfrage zu dem Themenkomplex der Beteiligung deut-
scher Spezialkräfte an der In-Gewahrsam-Nahme afgha-
nischer al-Qaida-Kämpfer und anderer Afghanen. Kann
die Bundesregierung bestätigen, dass an der Inhaftierung
und der Verbringung der Gefangenen auf den US-ameri-
kanischen Stützpunkt vor Kuba deutsche Spezialeinheiten
beteiligt sind?
D
Das kann ich nach meinem Wissensstand nicht be-stätigen. Das soll keine kritische Bemerkung sein. Aberdas Spektrum dessen, was Sie mich in einer sehr kriti-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 200220874
schen Angelegenheit fragen, wird jetzt sehr weit. HerrPräsident, ich erlaube mir diesen Hinweis, weil mir sehrdaran gelegen ist, in dieser Angelegenheit nichts zu sagen,was nicht stimmt.Ich kann aber auf Ihre Frage, sofern sie die politischeEinordnung der Angelegenheit betrifft, wie folgt antwor-ten: Die Bundesregierung ist in jeder Hinsicht bemüht,sich mit den Vereinigten Staaten darüber zu verständigen,dass gefangen genommene Afghanen, die zur al-Qaida-Organisation oder zum Taliban-Regime gehören, nachden Prinzipien des Völkerrechts behandelt werden. So-lange abschließend noch nicht geklärt ist, welchen völ-kerrechtlichen Status die Gefangenen haben, sollten sieals Kriegsgefangene behandelt werden. Das bedeutetnatürlich, dass auch soweit Deutsche in solchen Fällen be-troffen sind, nach den Prinzipien des Völkerrechts zu ver-fahren ist.
Eine Zu-
satzfrage? – Bitte schön, Herr Kollege Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, ich
möchte auf die Frage meiner Kollegin, Frau Lippmann,
zurückkommen, die auf die Veröffentlichung in der „New
York Times“ zielte. Selbstverständlich gehe auch ich da-
von aus, dass die Bundesregierung nicht alle Zeitungen
liest. Selbstverständlich bin auch ich daran interessiert,
dass bewaffnete Konflikte so gut wie möglich begrenzt
werden. Aber Sie haben die Brisanz der Frage nicht erkannt
oder Sie haben das, wonach meine Kollegin gefragt hat, so-
gar indirekt bestätigt. Es wäre mir neu, dass deutsche Kri-
senreaktionskräfte an militärischen Bodenoperationen in
Afghanistan beteiligt sind. Das war laut „New York Times“
die Aussage des US-amerikanischen Oberbefehlshabers in
Afghanistan. Ich würde es sehr interessant finden, wenn Sie
mir die Beteiligung deutscher Kräfte an Bodenoperationen
in Afghanistan bestätigen würden.
D
Herr Kollege, jetzt muss ich mich bei Ihnen richtig
bedanken. Wiewohl die Bundesregierung im Zweifelsfall
jeden Zeitungsartikel lesen kann, gehört es zur Normalität
des Zusammenlebens von Menschen in einem politischen
System, dass nicht jeder Befragte, der der Bundesregie-
rung angehört, wissen kann, was alles gelesen wurde.
Meiner Antwort, die auf meiner Auffassung über einen
mir bis dahin nicht bekannten Zusammenhang beruhte,
können Sie in keiner Weise entnehmen, dass ich gesagt
habe, deutsche Bodentruppen seien in Afghanistan mi-
litärisch tätig. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir Gele-
genheit gegeben haben, das klarzustellen. Das war sehr
kollegial.
Vielen
Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur
Verfügung.
Die Frage 10 des Kollegen Hildebrecht Braun wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 11 der Abgeordneten Angelika
Volquartz auf:
Plant die Bundesregierung die vollständige Sanierung der La-
borabteilung II – Veterinärmedizin – des Zentralen Institutes des
Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Kronshagen und, wenn ja,
wann wird voraussichtlich mit der Sanierung begonnen werden?
B
Sehr geehrte Frau Kollegin, die
Laborabteilung Veterinärmedizin des Zentralen Instituts
des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist in Kiel erst
aufgebaut worden; vorher gab es eine solche Einrichtung
nicht. Durch die Auflösung des Bundeswehrkrankenhau-
ses Kiel-Kronshagen zum 31. März 1997 ergab sich die
Möglichkeit, diese Laborabteilung provisorisch in einem
anderen Gebäude unterzubringen. Erste bauliche Maß-
nahmen zur Herrichtung dieses Gebäudes wurden bereits
durchgeführt.
Die Frau
Kollegin Volquartz hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Welchen Betrag
wendet die Bundesregierung jährlich zur Unterhaltung
der Liegenschaft „Sanitätsdienststellen Bundeswehr
Kronshagen“ auf und gibt es eine ausreichende Bewerber-
zahl für im Sanitätsdienst der Bundeswehr ausgeschrie-
bene Stellen?
B
Frau Kollegin, Sie müssen das
im Zusammenhang sehen mit der Tatsache, dass wir die
Sicherung der Laborabteilung Veterinärmedizin in Kiel
beibehalten. Das liegt daran, dass dort Liegenschaften
vorhanden sind. Was wir an Geld auszugeben planen,
hätte ich Ihnen in Zusammenhang mit Ihrer zweiten Frage
noch gesagt. Tatsache ist, dass Liegenschaften frei und da-
mit anderweitig nutzbar geworden sind. Was zum Erhalt
der Liegenschaften jeweils notwendig ist, entscheidet sich
danach, welche Nutzung erfolgt.
Herr Präsident, es bietet sich vielleicht an, dass ich an
dieser Stelle gleich die zweite Frage der Kollegin
Volquartz beantworte.
Frau Kol-
legin Volquartz, sind Sie damit einverstanden?
Einverstanden.
Dann rufeich jetzt auch die Frage 12 der Abgeordneten AngelikaVolquartz auf:In welchem baulichen Zustand befindet sich die Liegenschaft„Sanitätsdienststellen Bundeswehr Kronshagen“ nach Kenntnisder Bundesregierung?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel20875
B
Entscheidend ist erstens, dass
die wesentliche Bausubstanz dieser Liegenschaft in ei-
nem befriedigenden Zustand ist; sonst hätte man sie auch
gar nicht behalten. Abgesehen davon gab es natürlich den
Wunsch der Kieler, diese Einrichtung dort zu behalten.
Zweitens. Zur Herrichtung für die neue Zweckbestim-
mung im Rahmen der Umstrukturierung wurde für meh-
rere große und kleine Baumaßnahmen ein Volumen von
20 Millionen Euro errechnet. Ein Teil dieser Maßnahmen
ist bereits durchgeführt worden. Andere Maßnahmen,
zum Beispiel Bauunterhaltungsmaßnahmen an Dächern
und Fassaden, erfolgen im Rahmen des Notwendigen. Es
gibt also eine feste Summe von 20 Millionen Euro. Dabei
ist zu berücksichtigen, dass die Liegenschaft nicht nur von
dieser Sanitätsdienststelle, sondern auch noch von ande-
ren Einrichtungen genutzt wird. Es ist also ein Bedarf von
20 Millionen Euro für kleine und große Baumaßnahmen
errechnet worden.
Eine wei-
tere Zusatzfrage der Frau Kollegin Volquartz, bitte schön.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Kosten für
eine sachgerechte Unterhaltung der Liegenschaft, also
über diese Maßnahmen hinaus, die Sie genannt haben,
nach Aussagen der zuständigen Standortverwaltung bei
jährlich 1,5 Millionen bis 2 Millionen DM – ich bitte um
Verzeihung, dass ich noch die D-Mark-Beträge nenne; ich
müsste das jetzt schnell umrechnen – liegen?
B
Das können wir ja schnell
umrechnen. – Ihnen ist aber klar, liebe Frau Kollegin
Volquartz, dass die 20 Millionen Euro, also die rund
40 Millionen DM, nicht nur für dieses Labor – die Her-
richtung ist natürlich sehr aufwendig –, sondern auch – so
haben mir das meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aufgeschrieben – für die notwendige Sanierung von
Dächern und für Maßnahmen an den Fassaden zur Verfü-
gung stehen. Die Gesamtsumme kann ich Ihnen nicht sa-
gen. Ich bin da auch etwas zurückhaltend. Sie wissen, dass
wir das Liegenschaftsmanagement etwas verändern wol-
len. Ob die Zahlen dann noch zutreffen, betrachte ich aus
heutiger Sicht mit Vorsicht. Ich bin aber gern bereit, Ihnen
das, was wir zurzeit wissen, nachzureichen.
Vielen
Dank.
Dann kommen wir zur Frage 13 der Kollegin Gerda
Hasselfeldt:
Gibt es Pläne der Bundesregierung, ein Bundeswehrgeschwa-
der aus Penzing oder einem anderen Fliegerhorst – möglicher-
weise im Zusammenhang mit der Anschaffung der neuen Trans-
portflugzeuge – nach Fürstenfeldbruck zu verlegen?
B
Frau Kollegin Hasselfeldt, die
Frage, ob ein Bundeswehrgeschwader aus Penzing oder
aus einem anderen Fliegerhorst nach Fürstenfeldbruck
verlegt werden soll, beantworte ich mit einem klaren Nein.
Nebenbei gesagt: Das ist eine Frage, die in bestimmten
Abständen immer wieder gestellt wird.
Also ein klares Nein. Es ist nicht geplant, ein Bundes-
wehrgeschwader nach Fürstenfeldbruck zu verlegen.
Eine Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, vor dem Hintergrund Ihrer Antwort frage ich: Sind die
Befürchtungen betreffend mögliche nächtliche Fracht-
flüge gerechtfertigt?
B
Ich bin ganz überrascht. Ich
habe in Erinnerung, dass der Kampf in der Vergangenheit
immer gegen die zivile Nutzung dieses Platzes betrieben
wurde.
In einer Zeit erhöhten Flugaufkommens bei der Bun-
deswehr, die sich ja heute immerhin an internationalen
Einsätzen beteiligt, kann es ohne weiteres dazu kommen,
dass Flughäfen der Bundeswehr – dort kann man ja star-
ten und landen; Sie wissen das sehr gut – auch einmal für
andere Aufgaben genutzt werden müssen. Ich habe aber
keine Erkenntnis darüber, dass es zu einer stärkeren Be-
lastung von Fürstenfeldbruck etwa als Ausweichflugha-
fen zu Penzing kommen wird.
Damit
kommen wir zur Frage 14 des Abgeordneten Werner
Siemann:
Ist die deutsche Finanzierung zur Beschaffung des militäri-
schen Transportflugzeugs A 400 M gesichert und, wenn ja, wie?
B
Herr Kollege Siemann, die Fi-
nanzierung des neuen Transportflugzeuges A 400 M ist
nach Meinung der Bundesregierung gesichert. Sie beab-
sichtigt, das Vorhaben „Zukünftiges Transportflugzeug“
aus dem Einzelplan 14 zu finanzieren.
Zusatz-
frage, Kollege Siemann.
Frau Staatssekretärin,bisher ist der Vertrag vom Verteidigungsminister als untereinem Parlamentsvorbehalt stehend unterzeichnet wor-den. Gehen Sie davon aus, dass dieser Parlamentsvorbe-halt für die Finanzierung des Objekts für den Fall, dass ein
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 200220876
Entschließungsantrag der Koalition noch in dieser Wochebeschlossen wird, wegfällt?B
Ich bin immer wieder über-
rascht, dass die Regeln des Parlamentarismus – Kollege
Siemann, das betrifft nicht Sie – nicht jedem bekannt sind.
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
muss bei jeder Beschaffungsmaßnahme, die eine Summe
von 25 Millionen Euro – früher 50 Millionen DM – über-
steigt, gefragt werden. Übrigens werden Sie im Verteidi-
gungsausschuss auch gefragt; aber die eigentlichen
Geldsäcke sitzen ja woanders.
– Ich nehme das Wort sofort zurück; aber ich darf es ei-
gentlich sagen, weil ich lange Zeit zu denen gehört habe.
Nochmals: Mit jeder Beschaffungsmaßnahme von über
25 Millionen Euro muss das Parlament befasst werden.
Zurzeit gibt es aber gar keinen Parlamentsvorbehalt. Ich
habe das auch mehrfach gelesen und mich gewundert. Es
gilt nichts anderes, als dass in dem Moment, in dem die
Vorlage mit einem Volumen von mehr als 25 Milli-
onen Euro auf den Tisch kommt, der Verteidigungsaus-
schuss und der Haushaltsausschuss zustimmen müssen.
Das haben wir in der Tat noch nicht geleistet.
Bislang hat der Bundeskanzler international erklärt,
dass wir die 73 Flugzeuge haben wollen; bislang hat der
Verteidigungsminister seine Amtskollegen auf unser
Haushaltsrecht – seine Amtskollegen haben leider kein so
strenges Haushaltsrecht – hingewiesen und gesagt, dass er
sich selbstverständlich die Zustimmung des Haushalts-
und Verteidigungsausschusses und damit des Parlamentes
holen wird. Morgen werden wir – das ist mein Kenntnis-
stand – klar und deutlich als Koalitionsparteien sagen,
dass wir auch gewillt sind, diese 73 Flugzeuge zu finan-
zieren. Ich habe die große Hoffnung, dass Sie sich dem
anschließen, da ja auch Sie für die Beschaffung sind.
Weitere
Zusatzfrage, Kollege Siemann.
Frau Staatssekretärin,
die Opposition – hier in Form der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion – hat also Recht, dass am 31. Januar dieses
Jahres, also an dem Datum, an dem unsere Partner eine
rechtsgültige Entscheidung haben wollen, noch keine
rechtsverbindliche, die Bundesrepublik Deutschland ver-
pflichtende Unterschrift von einem Vertreter dieser Bun-
desregierung – in diesem Fall vom Verteidigungsminis-
ter – unter diesen Vertrag gesetzt ist?
B
Sie haben nicht Recht. Wenn
eine Regierung, die eine Mehrheit im deutschen Parlament
hat, 73 Flugzeuge haben will, wenn die sie tragenden Par-
teien ihr dabei zustimmen und wenn sie dann auch noch von
Teilen der Opposition, nämlich von der CDU/CSU-Frak-
tion, die ja bereits im Voraus die Verpflichtungsermächti-
gung erhöhen wollte, unterstützt wird, dann kann sie mor-
gen klar und deutlich erklären, dass das auch weiterhin gilt.
Das Flugzeug selbst, Kollege Siemann, wird allerdings
leider erst im Jahr 2007 zur Verfügung stehen. Natürlich
könnte man auf dem Markt andere Dinge kaufen. Aber wir
beschließen doch gerade alle gemeinsam, dass die Indus-
trie in Europa das Flugzeug entwickeln soll. Nach all dem
ist es eine schlichte Tatsache, dass wir gemeinsam ein
Flugzeug haben wollen, dass wir in den Haushalts- und
Verteidigungsausschuss kommen und dass das Parlament
morgen Abend erklären wird, dass es dem Erwerb der
73 Flugzeuge zustimmt. Die Herren und Damen in Frank-
reich, in England und in anderen Ländern sollten sich
– das kann ich Ihnen sagen, weil ich lange die NATO-
Sprecherin der SPD-Fraktion war – einmal ihr eigenes
und unser Haushaltsrecht ansehen.
Im Jahr 2003 wird die Regierung – ich gehe davon aus,
dass wir sie wieder stellen –
– dann werden Sie es tun – die Verpflichtungsermächti-
gung auf die Summe, die im Vertrag festgelegt wird, aus-
stellen. Zahlungen in großem Maßstab werden ja erst in
den nächsten Jahren fällig. Deswegen gehe ich davon aus,
dass das rechtmäßig ist. Ich bin auch davon überzeugt,
dass Sie dem zustimmen werden.
Eine wei-
tere Zwischenfrage hat der Kollege Nolting.
Frau Staatssekre-
tärin, wäre es nicht besser – ein Entschließungsantrag ist ja
rechtlich nicht bindend –, einen Nachtragshaushalt aufzu-
legen, um zu einer sauberen parlamentarischen Lösung zu
kommen und unseren Partnern Rechtssicherheit zu geben?
B
Wenn eine Regierung, die vonder Bevölkerung gewählt wurde und die Mehrheit im Par-lament hat, dem Parlament morgen ausdrücklich erklärt,dass sie das möchte, dann ist das ein Weg. Mir persönlich– das habe ich deutlich gesagt – wäre es natürlich liebergewesen, wir wären im Herbst des letzten Jahres bereitsmit den Vertragsverhandlungen so weit gewesen, dass wireine Verpflichtungsermächtigung für das Jahr 2002 hätteneinsetzen können, die der Summe entsprochen hätte. Zudiesem Zeitpunkt haben wir mit den Vertretern der Indus-trie, aber auch mit unseren Kollegen aus den anderen Län-dern über die Größenordnung des Auftrags und über dieKosten eines solchen Flugzeugs verhandelt. Auch das warin Ihrem Interesse.Bezüglich des Nachtragshaushalts bin ich aufgrund derTatsache, dass das Parlament die Beschaffung ausdrück-lich bestätigen wird, ziemlich zuversichtlich, dass wirspäter – bei der Aufstellung des Haushalts 2003 – entspre-chend der Verpflichtungsermächtigung Korrekturen vor-nehmen werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Werner Siemann20877
– Das weiß ich nicht.
Eine wei-
tere Frage der Kollegin Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie ha-
ben gerade bestätigt, dass die rot-grüne Koalition, die die
Mehrheit in diesem Parlament hat, durch die morgige Ab-
stimmung eine zusätzliche Verpflichtung über 3,4 Milli-
arden Euro mit einer sehr langfristigen Bindung eingeht,
ohne einen Nachtragshaushalt zu erlassen, der über den
22. September dieses Jahres hinausreichen würde. Habe
ich das richtig verstanden?
B
Die Absicht haben Sie richtig
verstanden. Es kann gut sein – das kann ich nicht beurtei-
len –, dass es zu einem späteren Zeitpunkt notwendig wer-
den kann, einen Nachtragshaushalt aufzustellen. Aus heu-
tiger Sicht betrachte ich das als eher unwahrscheinlich.
Das wissen wir aber nicht. Das hängt von der konjunktu-
rellen Entwicklung und von möglichen internationalen
Krisen – es kann sein, dass noch ein paar Schwierigkeiten
auf uns zukommen werden – ab. Wir gehen heute davon
aus, dass das rechtlich abgesichert ist.
Es sind übrigens zwei Parteien, die diesen Beschluss
fassen werden, die SPD und die Grünen.
– Das wollen wir doch erst einmal abwarten. Wichtig ist,
dass wir das Flugzeug bekommen, Herr Kollege.
Es ist mir immer noch ein Stück zu teuer. Wir haben
5 Milliarden Euro eingesetzt und es kommen jetzt noch
einmal 3,6 Milliarden Euro hinzu. Das ist eine stattliche
Summe. Ich hoffe, dass es dabei bleiben wird und die
Kosten sich nicht wundersam vermehren werden, wie es
schon bei etlichen Projekten passiert ist.
Den Kollegen von der Union kann ich nur sagen: Ei-
gentlich wollten wir das Flugzeug schon in den 90er-Jah-
ren haben, weil es dringend gebraucht wird.
– Ich war immer dafür. Da haben Sie die Falsche erwischt.
Eine wei-
tere Zusatzfrage des Kollegen Breuer.
Frau Staatssekretärin, ist es
nicht so, dass das Haushaltsrecht vorschreibt, dass im
Hinblick auf die Einschätzung künftiger Vorbelastungen
von Haushalten durch von der Regierung geschlossene
Verträge die Verpflichtungsermächtigungen die Funktion
haben, diese zu berücksichtigen, und die bisher ausge-
brachte Verpflichtungsermächtigung des Deutschen Bun-
destages nicht ausreicht, um das Gesamtprojekt zu finan-
zieren, somit also die notwendige haushaltsrechtliche
Vorsorge nicht getroffen worden ist?
Meine Frage ist: Wie wird das weitere Verfahren sein?
Wie stellt sich die Bundesregierung, wenn das, was ich
gesagt habe, stimmt, vor, im Bereich des Bundeshaus-
haltsrechts und der Bundeshaushaltsordnung weiter zu
verfahren?
B
Herr Kollege, zunächst einmal:
Der Haushalt enthält für die nächsten Jahre Verpflich-
tungsermächtigungen in Höhe von 5,1 Milliarden Euro.
Nach unserer Vorstellung werden diese 5,1 Milliar-
den Euro in ihrer Summe erst nach 2007 gebraucht wer-
den. Ich hoffe mit Ihnen, dass der Betrag von 8,3 Milliar-
den Euro, den man mittlerweile, wenn wir die
73 Flugzeuge kaufen, errechnet hat, dann wirklich der
Endsumme entspricht. Aufgrund meiner langjährigen Er-
fahrung, die Sie bestätigen werden, bin ich hinreichend
skeptisch, dass dieser Betrag am Ende ausreichen wird.
Wir haben uns wirklich bemüht – das sage ich hier noch
einmal für die Zuhörer –, mit unseren Partnern zusammen
einen Preis auszuhandeln, der unter diesen Entwicklungen
liegt. Leider haben wir unterschiedliche Vorstellungen, wie
dieses Flugzeug hergestellt wird. Deutschland ist aller-
dings das einzige Land, das eine angemessene Zahl von
Flugzeugen bestellen will. Die 5,1 Milliarden Euro wer-
den also für die Jahre 2002 und folgende allemal reichen.
Aber für die Gesamtsumme der Ausgaben für 73 Flug-
zeuge werden sie am Ende ganz bestimmt nicht reichen;
denn die Flugzeuge werden, wie auch ich glaube, nicht
billiger werden.
Im Haushalt 2003 werden wir entsprechende Korrek-
turen vornehmen. Wenn wir die Beratungen darüber jetzt
abschließen und das Parlament erklärt mehrheitlich, es
wolle das, dann halte ich die Angelegenheit eigentlich für
ziemlich abgesichert. Als Haushälterin hätte ich mir, wie
Sie, natürlich gewünscht – ich sage das noch einmal –, wir
hätten Ende Oktober/Anfang November gewusst, was das
Flugzeug wirklich kostet, um im Haushalt eine entspre-
chende Summe zu veranschlagen.
– Ich bin nicht blauäugig gewesen. Ich habe nur die
Summe für zu hoch gehalten.
Als
Nächster hat der Kollege Klaus Rose das Fragerecht.
Frau Staatssekretärin,Sie haben vorhin dem Kollegen Siemann nicht Recht ge-geben. Können Sie wenigstens mir zustimmen, wenn ichbehaupte, dass der Kollege Metzger von der Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen das bisherige Verfahren als
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte20878
sehr zweifelhaft angeprangert hat? Damit hat er zurKenntnis gegeben, dass die Zustimmung der beiden Ko-alitionsfraktionen – Sie haben eine große Zustimmung er-wartet – nicht hundertprozentig ist. Damit ist das, was Siegerade eben noch beschrieben haben, als eine Hilfskon-struktion anzusehen. Geben Sie mir Recht, wenn ich be-haupte, dass alles, unabhängig vom Inhalt, von der haus-haltsrechtlichen Seite her etwas sehr seltsam abgelaufenist?B
Lieber Herr Kollege Dr. Rose,
wir beide sind seit langem Haushälter. Sie werden deswe-
gen die Entstehungsgeschichte der 50-Millionen-Vorla-
gen in Erinnerung haben. Diese Vorlagen hatten den
Grund, Rüstungskosten in den Griff zu bekommen. Einer
der Gründe, warum ich hier stehe, ist auch die Hoffnung,
dass es uns einmal gelingt, das Explodieren der Preise zu
verhindern.
Die Aussage des Kollegen Metzger verwundert mich
deshalb, weil er den Wunsch hatte, überhaupt nur 40 Flug-
zeuge zu bestellen. Das wissen Sie sehr genau. Der Rech-
nungshof hat nämlich eine etwas merkwürdige Darstel-
lung über den Gebrauch der Flugzeuge vorgelegt. Wir
sind inzwischen seit langem davon überzeugt – die inter-
nationalen Einsätze zeigen es ja –, dass wir mehr Flug-
zeuge benötigen, um die entsprechenden Anforderungen
zu bedienen. Das ist auch dem Kollegen Metzger klar.
Als die CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss
die Anhebung der Verpflichtungsermächtigungen auf
8 Milliarden Euro – so viel wollte sie damals haben – be-
antragt hat, haben wir gesagt: Wir kennen die endgültigen
Kosten noch nicht; wenn wir diese Summe schon von
vornherein einsetzen, dann ist völlig klar, dass die Indus-
trie sie angesichts des jetzigen Preisniveaus auf keinen
Fall – das haben wir bis jetzt noch nie erlebt – unterbieten
wird. Das war der einzige Grund, warum ich als diejenige,
die das Parlament in solchen Fragen meistens begleitet,
gesagt habe: Lasst uns mit den Verpflichtungsermächti-
gungen warten, bis der richtige Zeitpunkt erreicht ist.
Vor diesem Hintergrund ist es in der Tat eine Hilfslö-
sung – ich halte sie aber für gerechtfertigt –, dass das Par-
lament nun klar sagt: Wir wollen 73 Flugzeuge – soviel
ich weiß, wollen das auch Sie –; wir wollen die Zusam-
menarbeit mit den europäischen Partnern; wir wissen, das
wird entsprechende Kosten mit sich bringen. Wir müssen
uns noch darauf verständigen, unter welchen Modalitäten
wir dieses Flugzeug kaufen wollen: Wollen wir gleich mit
in die Entwicklung hineingehen oder wollen wir durch
„commercial approach“ nicht doch den Großteil später, ab
2007, zahlen? Diese Verständigung zu erzielen, das ist un-
sere Schwierigkeit. Ich will ausdrücklich nicht bestreiten,
dass die ganze Angelegenheit ein Sonderfall ist.
Eine wei-
tere Frage der Kollegin Höll.
Frau Staatssekretärin, Sie ha-
ben eben in einer Antwort erklärt, dass Sie hoffen, dass die
Summe erst ab 2007 fällig wird. Mich würde interessie-
ren, wann Sie wissen, ab wann die Summen fällig werden,
und inwieweit Sie dieses Vorhaben für vereinbar mit Zie-
len Ihrer Regierung halten, die Nettokreditaufnahme ab-
zusenken und bis zum Jahre 2006 einen ausgeglichenen
Haushalt zu erreichen? Denn dieses Ziel ist nach den bis-
herigen Berechnungen ja nur ohne die Finanzierung die-
ses Flugzeugs erreichbar.
B
Frau Dr. Höll, hier kommen
mehrere Dinge zusammen. Erstens habe ich nicht gesagt,
dass ich hoffen will, dass sie ab 2007 bezahlt werden kön-
nen. Aber eine der Möglichkeiten kann sein, dass wir erst
so spät bezahlen. Der zweite Aspekt ist der Hinweis da-
rauf, dass wir selbstverständlich die Absicht haben, vor
2007 in der Lage zu sein, die Ausgaben des Bundeshaus-
halts ohne Nettokreditaufnahme zu bestreiten. Der dritte
Punkt ist die Frage, welche Höhe dann der Verteidigungs-
haushalt hat. Hier gehöre ich, das wissen Sie ja, nicht zu
denjenigen, die spekulieren und sagen, dass er immer wei-
ter erhöht werden muss.
Dies alles wird sehr davon abhängen, in welcher inter-
nationalen Lage wir uns befinden, wie viele Soldaten mit
welcher Ausrüstung wir brauchen. Ich wage als kritische
Haushälterin nur vorsichtig zu sagen: Wir können leider
nicht davon ausgehen, dass der Verteidigungshaushalt in
den nächsten Jahren sinken wird. Er wird eher eine andere
Entwicklung nehmen.
Mein Ziel ist allerdings, dass wir im Verteidigungs-
haushalt noch besonnener mit dem Geld des Steuerzahlers
umgehen. Ich glaube in der Tat, dass noch weitere Ein-
sparpotenziale bestehen, sodass die entsprechenden Mit-
tel für neue Projekte zur Verfügung gestellt werden kön-
nen.
Eine wei-
tere Frage des Kollegen Hildebrecht Braun.
Frau Staatsse-
kretärin, unsere europäischen Partner erwarten im Hin-
blick auf den gemeinsamen Bau der A400M bis zum Mo-
natsende eine bindende Erklärung der Bundesrepublik
Deutschland. Geht die Bundesregierung davon aus, dass
sich der Bundestag bezüglich seines Haushaltsgebarens
durch eine schlichte Entschließung über die Zeit hinaus,
für die die jetzige Regierung im Amt ist, binden kann und
binden wird? In anderen Worten: Gehen Sie davon aus,
dass eine zukünftige Mehrheit, die ja wohl für den Haus-
halt 2003 verantwortlich sein wird, durch den Beschluss,
den Sie morgen am späten Abend vom Bundestag erhal-
ten wollen, gebunden sein wird?
B
Ja, davon gehe ich aus. Dennsonst kann man als Bundesregierung nicht das Parlamentbitten, die Entscheidung der Bundesregierung, 73 Trans-portflugzeuge zu beschaffen, zu bestätigen. Herr KollegeBraun, ich sage Ihnen noch einmal – mein Vorteil ist ja,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Dr. Klaus Rose20879
dass ich jahrelang international tätig gewesen bin –: Wenndie anderen nur annähernd eine solche Haushaltskontrollehätten, wie sie der Deutsche Bundestag besitzt, dannwürde bei diesen Projekten manches leichter sein. Dasmuss ich Ihnen wirklich mit aller Klarheit sagen, da ichmich sehr gewundert habe. Es handelt sich ja nicht um allePartner, sondern es waren der belgische und der französi-sche Verteidigungsminister, die den Wunsch äußerten,dass bis zum 31. Januar dieses Jahres auch eine Erklärungdes Bundestages vorliegen sollte.
– Das hat nichts mit Misstrauen zu tun.Entscheidend daran ist, dass wir diese Aussage ma-chen. Aber den Vertrag werden wir erst dann unterzeich-nen und dem Parlament endgültig vorlegen, wenn wirwissen, dass die Kosten – die Entwicklungskosten undmöglicherweise die Vorfinanzierung – auch wirklich ge-nau durchgerechnet worden sind.Deswegen sage ich zu dem Entschließungsantrag, dendie SPD und das Bündnis 90/Die Grünen einbringen wol-len: Wir gehen davon aus, dass diese Frage bis zum31. März 2002 erledigt ist. Ich mache mir in diesem Zu-sammenhang keine Sorgen; denn ich kenne die entspre-chenden Herrschaften gut genug. Mich plagt vielmehr dieSorge, wie sich die Kosten entwickeln werden.
Eine wei-
tere Frage des Kollegen Joachim Hörster.
Frau Staatssekretärin,
der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat eine
Bewertung des Beschaffungsverfahrens vorgenommen.
Er kommt dabei zu folgendem Ergebnis:
Ein Vertragsabschluss über die Beschaffung der
73 A400M konnte deshalb ohne Verstoß gegen das
Haushaltsrecht nur unter Parlamentsvorbehalt erfol-
gen. Der inzwischen abgeschlossene Vertrag bleibt
wegen des vereinbarten Parlamentsvorbehalts bis zur
Erteilung der Zustimmung durch den Haushaltsge-
setzgeber schwebend unwirksam und trägt somit der
Wirkung der qualifizierten Sperre der ausgebrachten
VE Rechnung.
Stimmen Sie mir zu, dass das im Ergebnis bedeutet,
dass eine wirksame Vereinbarung mit den anderen Ver-
tragspartnern nicht zustande gekommen ist?
B
Es liegt daran, dass Sie wirk-
lich nicht wissen, wie militärische Verträge abgeschlossen
werden. Es ist sehr häufig vorgekommen – übrigens auch
bei Ihrer Regierung –, dass MoUs gezeichnet werden, die
noch nicht die Wirkung eines Vertrages haben und die das
Parlament nachher absegnet. Vor Ihnen steht diejenige,
die solche 50-Millionen-DM-Verträge veranlasst hat. Da
ging es zum Beispiel um den Tornado, weil der sehr teuer
wurde; beim Eurofighter haben wir inzwischen ganz an-
dere Zahlen erreicht als ursprünglich geplant.
Es geht wirklich um die schlichte Tatsache, dass der
Verteidigungsminister und auch der Bundeskanzler ge-
sagt haben: Ja, wir haben die Absicht, 73 Flugzeuge zu be-
schaffen und damit auch „lead nation“ in diesem Projekt
zu werden. Ihr, Haushaltsausschuss und Parlament, müsst
sagen, ob ihr die 73 Flugzeuge wirklich wollt. Denn dann
müsst ihr natürlich die Haushaltsmittel dafür zur Verfü-
gung stellen.
Darauf, dass wir überhaupt Flugzeuge haben wollen,
weisen der Titel und die Verpflichtungsermächtigungen
hin. Im Haushalt steht ja kein Geld; es stehen dort nur Ver-
pflichtungsermächtigungen. Das korrigieren wir nun. Es
kann sein, dass wir im März zu dem Ergebnis kommen,
dass es doch besser ist, begleitend zu finanzieren. Dann
kann es sogar sein, dass wir noch im Jahr 2002 eine erste
Rate einstellen. Das ist alles noch nicht geklärt.
Ich kann nur wiederholen: Ich hätte mir gewünscht, wir
wären früher fertig gewesen. Dann hätten wir die Ver-
pflichtungsermächtigung richtig einstellen können. Das
waren wir aber nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Zusatz-
frage kommt von der Kollegin Irmgard Karwatzki.
Frau Kollegin
Schulte, sind Sie mit mir der Meinung, dass es das Beste
wäre, wenn Sie einen Nachtragshaushalt einbringen wür-
den? Dann hätten wir eine vernünftige rechtliche Grund-
lage.
B
Das Beste wäre gewesen, das
gleich im Haushalt 2002 zu veranschlagen. Da sind wir
uns einig, nicht wahr?
Niemand bringt gern schon im Januar oder Februar ei-
nen Nachtragshaushalt ein. Auch Sie hätten das nicht gern
getan, wenn Sie in dieser Lage gewesen wären, Frau Kol-
legin. Das geben Sie zu.
– Hier ist eine klare Aussage: Das Parlament wird morgen
erklären, dass es die 73 Flugzeuge haben will. Nebenbei
gesagt, bin ich davon überzeugt, dass dies die Mehrheit
beschließen wird, die das dann später auch durchführen
wird. Darüber hinaus aber ist es sowohl bei Ihnen wie bei
der FDP unstrittig, dass wir das Flugzeug brauchen und
dass es nach Möglichkeit dieses Modell sein soll.
– Ich würde sie nie verneinen. Das muss ich Ihnen aus-
drücklich sagen. Das ist selbstverständlich eine Alter-
native. Warum soll man das nicht zugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat sich noch dieKollegin Blank zu einer Frage gemeldet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte20880
Frau Staatssekretärin,
was hält Sie eigentlich außer der Tatsache, dass es Januar
ist, von einem Nachtragshaushalt ab?
B
Das habe ich schon ziemlich
ausführlich erklärt. Ich halte es für vernünftig, erst einmal
den endgültigen Vertrag im Haushaltsausschuss und im
Verteidigungsausschuss abzuwarten, damit klar wird, was
das kostet und wie die Zahlungsmodalitäten sind. Das
liegt nicht bis Ende Januar vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es eine wei-
tere Wortmeldung des Kollegen Jochen Fromme.
Frau Staats-
sekretärin, wenn es der richtigste Weg gewesen wäre, das
in den Haushalt einzustellen, müssen Sie doch einen poli-
tischen Grund gehabt haben, das nicht zu tun. War der
Grund etwa, dass Sie in diesem Falle Ihr Sparimage ge-
fährdet gesehen hätten?
B
Nein. Ich sage es noch einmal:
Wir hatten zu diesem Zeitpunkt keine Vereinbarung mit
unseren Partnern.
– Wir haben den Haushalt im November beschlossen. Er
ist, glaube ich, Mitte November in den Gremien abge-
schlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch
keinen Vertrag, sodass wir uns über die Höhe der Kosten
hätten verständigen können.
Es ging zudem nicht nur um die Höhe der Kosten, son-
dern auch um die Aufteilung. Sie erinnern sich, dass Italien
noch lange geschwankt hat, ob es mitmachen sollte oder
nicht. Das hatte Einfluss auf die Verteilung der Pakete und
damit darauf, wer welchen Bereich übernimmt und damit
Arbeitsplätze in seinem eigenen Land absichert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die
Frage 15 des Kollegen Werner Siemann auf:
Wie hat sich die Zahl der Anträge von Unteroffizieren auf
Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten von
1998 bis 2001 entwickelt und wie hat sich im gleichen Zeitraum
die Zahl der widerruflichen Verpflichtungserklärungen von Offi-
ziersanwärtern entwickelt?
B
Herr Kollege Siemann, in den
Jahren 1998 und 1999 konnte bei einer Bewerberzahl von
etwas mehr als jeweils 8 000 die hinsichtlich der Um-
wandlung des bestehenden Dienstverhältnisses in das ei-
nes Berufsunteroffiziers vorgesehene Quote mit einer
Übernahme von 1 222 Antragstellern in 1998 und von
1 552 Antragstellern in 1999 erfüllt werden.
In den vergangenen beiden Jahren konnten aufgrund
geänderter Ausschreibungsverfahren weniger Bewerber
eine Übernahme beantragen. Bei einem Schnitt von
5500 Anträgen konnten jedoch die festgelegten Über-
nahmequoten mit 1027 im Jahr 2000 und 1529 im
Jahr 2001 mit qualifizierten Bewerbern erfüllt werden.
Im Zeitraum von 1998 bis 2002 nahmen jährlich durch-
schnittlich rund 940 der eingestellten Bewerber die Mög-
lichkeit wahr, sich mit widerruflicher Verpflichtungs-
erklärung einstellen zu lassen. Etwa 530 hatten sich sofort
gebunden. Mit Widerruf der Verpflichtungserklärung ha-
ben in den letzten Offiziersanwärterjahrgängen von ihrem
Recht auf Rücktritt Gebrauch gemacht: 230 Soldaten
in 1998, 305 Soldaten in 1999, 320 Soldaten in 2000 und
365 Soldaten in 2001.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Siemann
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
die Zahl der Widerrufserklärungen hat sich erhöht und ist
bei über 300 stehen geblieben. Was wird die Bundes-
regierung in der Zukunft tun, um diese Zahl zu reduzie-
ren?
B
Das kommt darauf an. Wichtig
für die Offiziere ist, dass es genügend Bewerber gibt. Auf-
grund der heutigen Lebensplanung von jungen Menschen
werden Sie nicht verhindern können, dass es sich ein Teil
der Leute dann doch noch anders überlegt. Vor allen Din-
gen dürfen Sie nicht vergessen, dass wir eine erhöhte Zahl
von Soldaten in Auslandsaufenthalten haben. Wir haben
im Moment alle drei Teilstreitkräfte in ständigen Einsät-
zen, vom Sanitätsdienst ganz zu schweigen. Das spielt
natürlich eine Rolle. Sollte sich herausstellen, dass wir
das Bewerberaufkommen nicht erreichen, das wir benöti-
gen, um genügend Nachwuchs zu erhalten – wir brauchen
mindestens die Zahl der Berufssoldaten –, dann werden
wir uns entweder etwas hinsichtlich der Verlängerung des
Dienstes der Zeitsoldaten einfallen lassen – vielleicht auf
20 Jahre; das wird ja oft überlegt – oder die Attraktivität
erhöhen. Das wird sowieso nötig sein, wie Sie feststellen,
wenn Sie die schwächer werdenden Jahrgänge und die
Konkurrenz betrachten. Das wird bereits in zwei, drei Jah-
ren ein Problem werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Siemann hat
noch eine zweite Nachfrage.
Die Regierung beab-
sichtigt, die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten in den nächs-
ten Jahren auf 200000 Soldaten zu erhöhen. Wenn Sie jetzt
sagen, es müsse ein Attraktivitätsprogramm geschaffen
werden: Gibt es da schon irgendwelche konkreten Vorstel-
lungen, gerade vor dem Hintergrund, dass wir vermehrt
Auslandseinsätze haben und auch andere Beeinträchtigun-
gen dazu führen können, dass sich noch weniger melden?
B
Ich glaube, Sie haben gemeinsammit uns dafür gestimmt, Anstrengungen zu unternehmen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002 20881
damit alle Kompaniechefs nach A12 bezahlt werden. Daswar bis dahin nicht der Fall. Die jungen Männer habensich mit Altersgenossen im öffentlichen Dienst vergli-chen, die als Gymnasiallehrer, Realschullehrer und sogarbereits als Hauptschullehrer andere Größenordnungen er-reicht haben. Das ist ein Punkt.Der zweite Punkt ist: Die Offiziere in der Gesamtheitsind nicht unser Problem. Allerdings gibt es sehr wohlSchwierigkeiten bei Sanitätsoffizieren. Zunehmende Pro-bleme gibt es bedauerlicherweise auch bei den Marinean-gehörigen. Früher gab es dort überhaupt keine Probleme.Heute spielen die langen Stehzeiten außerhalb Deutsch-lands eine Rolle. Wir müssen auch abwarten, wie sich dieSituation der Offiziere in den fliegerischen Diensten wei-terentwickelt.Sorgen mache ich mir persönlich am meisten in Bezugauf die Unteroffiziere und Feldwebel. Da werden wir inder Tat über die bisher erreichte Attraktivität hinaus ge-meinsam noch einiges tun müssen, was die Eingruppie-rung im Vergleich zu anderen Berufsgruppen des öffentli-chen Dienstes betrifft. Ich nenne das Stichwort Polizei.Über dieses Problem entscheiden wir aber nicht allein; dareden der Innenminister und die Länder mit.
– Ja, natürlich, das müssen wir. Ich sehe das sehr wohl alsNotwendigkeit; denn wir stellen gerade bei den Einsätzenfest, dass wir qualifizierte Leute benötigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 16
des Kollegen Günther Friedrich Nolting auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um
die seit Anfang des Jahres 2001 mehrfach durch den Bundesmi-
nister der Verteidigung, Rudolf Scharping, angekündigte schnel-
lere, streitfreie und großzügige Bearbeitung von Anträgen auf An-
erkennung einer Wehrdienstbeschädigung zu gewährleisten, die
von aktivem oder ehemaligem Personal von Radareinrichtungen
der Bundeswehr gestellt wurden?
B
Herr Kollege Nolting, das
Bundesministerium der Verteidigung hat, nachdem sich
die Zahl der Anträge auf Wehrdienstbeschädigung von
Personal der Bundeswehr bei Radareinrichtungen erhöht
hatte, eine Arbeitsgruppe „Aufklärung der Arbeitsplatz-
verhältnisse Radar“ und eine Arbeitsgruppe „Beschä-
digtenversorgung Strahleneinwirkung“ eingerichtet. Die
personellen Kapazitäten zur Beschleunigung der versor-
gungsmedizinischen Begutachtung in diesen Verfahren
wurden erheblich verstärkt. Die Maßnahmen haben dazu
geführt, dass eine große Zahl von Anträgen abschließend
bearbeitet werden konnte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Nolting
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekre-
tärin, der Bundesminister der Verteidigung hat großzü-
gige Regelungen angekündigt. Sind Sie mit mir einer
Meinung, dass wir in den schwebenden Verfahren zu ei-
ner Umkehr der Beweislast kommen sollten, um die Posi-
tion der Betroffenen zu erleichtern?
B
Für den Kollegen Braun hatte
ich eine ganze Reihe von Antworten auf diese Fragen
schon vorbereitet, weil er nach der ursprünglichen Rei-
henfolge vor Ihnen war. Ich kann das gerne noch einmal
erklären, weil dies auch draußen immer wieder zu Nach-
fragen führt:
Nach den bestehenden Gesetzen sind wir gebunden,
den Einzelfall zu prüfen. Das ist klar und richtig in einem
Rechtsstaat. Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung wer-
den die Antragsteller befragt, die Personalunterlagen hin-
sichtlich der Verwendung gesichtet und private bzw.
dienstliche Krankenunterlagen eingeholt. Dies erfolgt in
für Radarangelegenheiten speziell eingerichteten Arbeits-
gruppen, die ich Ihnen genannt habe. Die für die Prüfung
der Arbeitsplatzverhältnisse zuständige Arbeitsgruppe
muss feststellen, ob durch das Gerät tatsächlich eine ent-
sprechende extreme Belastung auf den jeweils Erkrankten
zukam. Von den Messergebnissen und den dokumentier-
ten Werten werden nicht nur die Durchschnittswerte, son-
dern auch plausible Extremwerte als permanente Expo-
sition angenommen. Diese Maximalwerte zeigen, wenn
man bei der Berechnung die gesetzlich vorgeschriebene
individuelle Körperdosis zugrunde legt, dass es nicht
möglich ist nachzuweisen, dass eine Mehrzahl der Leute
aufgrund ihrer Arbeit an den Geräten medizinisch er-
krankt ist. Wir haben in jedem Einzelfall, zu dem uns die
entsprechenden Unterlagen vorliegen, mit der Prüfung
begonnen.
Die Einführung der Umkehr der Beweislast würde nur
durch ein Sondergesetz möglich. Dies wäre mit dem
Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Ein Verzicht auf den
generellen und individuellen Kausalkettennachweis
würde Forderungen anderer Personengruppen, nicht nur
im Bereich der Bundeswehr, sondern auch in der übrigen
Arbeitswelt, nach sich ziehen. Deswegen geht es nur auf
dem von uns verfolgten Wege. Das macht es auch so kom-
pliziert, Herr Kollege Nolting.
Immer, wenn ich auf diese Problematik angesprochen
worden bin, habe ich ganz deutlich gesagt: Gebt mir bitte
diesen Fall, wenn ihr das Gefühl habt, er wird nicht
schnell genug bearbeitet. Ich habe bisher nicht von einem
solchen Fall Kenntnis erlangt; das ist eigentlich schon
ganz interessant. Allerdings hat sich, nachdem wir diese
Arbeitsgruppe gebildet hatten, die Zahl der Antragsteller
verfünffacht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege Nolting
hat noch eine zweite Nachfrage.
Frau Staatssekre-tärin, sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass durch dieAnkündigung des Ministers, es solle großzügige Rege-lungen geben, bei den Betroffenen der Eindruck erwecktwurde, dass die Fälle schnell und vor allen Dingen auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte20882
unbürokratisch bearbeitet werden? Wir haben jetzt die Si-tuation, dass die Maßnahmen der Regelung sich sehr langhinziehen.B
Ich darf Sie noch einmal daran
erinnern, dass das Thema ja nicht neu ist. Zu Beginn des
Jahres 2001 hat eine Universität – ich glaube, es war die
Universität Witten-Herdecke – behauptet, dass solche
Strahlenschäden Krebserkrankungen hervorrufen kön-
nen. Im weiteren Verlauf hat das dazu geführt, dass man
behauptete, die Zahl der Wehrdienstbeschädigungen sei
gestiegen. Es hat in der Vergangenheit immer schon Fälle
gegeben, in denen geprüft worden ist, und die Prüfungen
haben auch früher schon nur in einem ganz geringen An-
teil zum Nachweis einer Berufserkrankung und einer
Wehrdienstbeschädigung geführt.
Weil dieser Vorgang in der Öffentlichkeit eine so große
Rolle gespielt hat, hat der Herr Minister diese Arbeits-
gruppe unter Leitung von Herrn Dr. Sommer eingerichtet.
Der Minister hat gesagt: Wenn die Ursache nachgewiesen
ist, werden wir uns großzügig verhalten. Seit dieser Zeit hat
sich der Zahl derjenigen, die sich gemeldet haben
– wir haben noch das spezielle Problem mit der NVA–, ver-
fünffacht. Wir müssen jeden Fall korrekt prüfen. Wir haben
zwar das entsprechende Personal verstärkt. Aber wir kön-
nen die rechtlichen Grundlagen nicht außer Kraft setzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es eine
Nachfrage der Kollegin Heidi Lippmann.
Frau Staatssekretärin, Sie
sagten gerade selbst, dass der Vorgang nicht neu sei. Das
ARD-Magazin „Monitor“ hat schon im Jahre 1991 über
die gesundheitlichen Probleme der radargeschädigten
Soldaten ausführlich berichtet.
Sie haben schon ausgeführt, dass zwei Arbeitsgruppen
– die eine unter der Leitung von Herrn Dr. Sommer – ein-
gerichtet wurden. Ist denn mit Datum Ende 2001 bekannt,
wie viele Soldaten oder wie viele ehemalige Soldaten, die
einen solchen Antrag aufgrund ihrer Diensttätigkeit an
den besagten Radargeräten eingereicht haben, seit Ein-
richtung der beiden Arbeitsgruppen verstorben sind?
B
Nein. Wir können das natürlich
untersuchen, Frau Kollegin. Ich kann Ihnen sagen – das
gehört zu der Antwort auf die zweite Frage von Herrn
Nolting –, wie viele Fälle wir bislang behandelt haben und
wie viele Fälle entschieden worden sind. Das kann ich
tun. Ich kann Ihnen aber jetzt nicht sagen, wie viele Sol-
daten inzwischen verstorben sind. Das müsste man im
Rahmen der Antragsprüfung untersuchen.
Man muss sehr sorgfältig untersuchen, Frau Lippmann,
ob es sich überhaupt um Fälle handelt, die ursächlich et-
was mit der Bundeswehr zu tun haben. Wir müssen sehr
aufpassen, dass eine spektakuläre Erscheinung nicht
gleich zu der Behauptung führt, dass es so ist. Ich bin da-
von überzeugt, dass die Mitarbeiter, die sich in unserem
Ministerium oder auch in den Wehrbereichen mit dieser
Frage befassen, sorgfältig vorgehen. Die Bundeswehr ist
ja auch eine verwaltende Armee, sodass von den Soldaten
entsprechende Unterlagen existieren.
Besondere Schwierigkeiten bereitet die Tatsache, dass
die betroffenen Soldaten größtenteils erst nach ihrer be-
ruflichen Tätigkeit erkrankt sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Frage-
steller ist der Kollege Paul Breuer.
Danke, Frau Präsidentin! –
Frau Staatssekretärin, Minister Scharping hat nicht nur
eine großzügige, sondern auch eine großherzige Lösung
zugesagt. Die Betroffenen, die im Übrigen morgen mit ei-
ner Mahnwache beginnen, haben bislang nicht erkennen
können – mir wird es auch nicht deutlich aufgrund dessen,
was Sie hier sagen –, wo die Großherzigkeit im Verfahren
liegt. Vielleicht können Sie dem Hohen Hause einmal sa-
gen, in welcher Art und Weise sich die Großherzigkeit im
Verfahren niederschlägt.
B
Die Großherzigkeit im Verfah-
ren muss immer im Rahmen der rechtsstaatlichen Be-
stimmungen erfolgen. Das muss man in aller Deutlichkeit
allen Kolleginnen und Kollegen sagen.
Wir prüfen die einzelnen Systeme, von denen behaup-
tet wird, dass es die schadhaften Systeme seien, zum Bei-
spiel die Systeme Hawk oder Nike. Zum Teil aber sind
diese in der Truppe gar nicht mehr im Einsatz.
Wir beide gehören schon eine Weile dem Bundestag
an. Wir wissen auch, dass sehr schnell behauptet wird,
man habe die Ursache mit den entsprechenden Folgen
entdeckt. Das hat dazu geführt, dass dieser Vorgang in so
spektakulärer Weise dargestellt wurde. Dadurch wurde
der Minister veranlasst, sofort zu sagen: Bitte prüft jeden
Fall sorgfältig und schnell, damit die Erkrankten nicht das
Gefühl haben, dass die Untersuchung erst dann abge-
schlossen sein wird, wenn sie verstorben sind.
Tatsache ist – das muss auch der Bundeswehrverband
zugeben –, dass die geprüften Anträge zum großen Teil
abgewiesen werden mussten, weil eine Ursache nicht
nachweisbar war. Dieses Vorgehen kann ich nicht außer
Kraft setzen, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt eine Frage des
Kollegen Hildebrecht Braun.
Frau Staats-sekretärin, Sie sagten, eine Umkehr der Beweislast kommedeswegen nicht infrage, weil dies unzulässig und garrechtswidrig sei. So habe ich Sie jedenfalls verstanden.Ich habe bereits vor zehn Monaten im Ausschuss diePrüfung dieser Frage gefordert, weil im Arzthaftungsrechtund im Versicherungsrecht, also in zwei nahe gelegenenRechtsgebieten, eine gewisse Umkehr der Beweislast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Günther Friedrich Nolting20883
durch die obersten Gerichte längst stattgefunden hat. Dasist nämlich dann der Fall, wenn der Geschädigte einenSachverhalt plausibel vortragen kann, der einen Kausal-zusammenhang zwischen seiner früheren Tätigkeit undder späteren Schädigung nahe legt. Ist es nicht unter demBlickwinkel der besonderen Fürsorgepflicht des militäri-schen Arbeitgebers, die natürlich viel weiter geht als diedes Arztes gegenüber seinen Patienten oder gar die derVersicherung gegenüber einem Versicherungsnehmer, be-sonders nahe liegend, dass der Staat, wenn er jemanden ineiner gefährlichen Situation beschäftigt und ihn damit ei-ner besonderen Gefährdung aussetzt, auch bei der Frageder Beweislastumkehr mehr Entgegenkommen zeigt?B
Herr Kollege Braun, ich würde
Ihnen zustimmen, wenn das zuträfe. Unsere Untersu-
chungen, auch die der Vergangenheit, zeigen aber, dass
man immer gewisse Verhaltensmaßnahmen gekannt hat.
Man wusste immer, dass man sich entsprechend verhalten
musste. Deswegen ist es so schwierig, ohne den Gleich-
heitsgrundsatz zu verletzen. Es ist nicht so, dass wir sagen
würden, wir hätten kein Verständnis für diese Menschen.
Sie wissen aber, dass es in der Bundeswehr eine ganze
Menge von Arbeitsplätzen gibt. Der eine nimmt seine Ar-
beit, Gott sei Dank, ohne eine gesundheitliche Schädi-
gung wahr, ein anderer kann aber möglicherweise sagen:
Diese Gesundheitsschädigung kommt von dieser oder je-
nen Verwendung. Ich brauche das nicht zu vertiefen; wir
haben bis zu 495 000 Soldaten gleichzeitig gehabt. Das
macht die Schwierigkeit aus.
Wir würden also, wenn wir die Beweislastumkehr bei
uns zuließen, eine Fülle von Problemen bekommen. Dann
würde auch die gesamte Industrie, die gesamte Wirt-
schaft, die gleichen Probleme haben. Das ist eigentlich
der Grund, warum man die Beweislast nicht umkehrt, so
viel Verständnis man in den Einzelfällen auch hat – auch
ich habe das. Deswegen habe ich immer gesagt: Bitte gebt
uns die Einzelfälle. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass
Sammelklagen im Moment Mode geworden sind. Bei den
Einzelfällen, die wir überprüft haben, hat sich ergeben,
dass wir nur in fünf Fällen eine angemessene Entschä-
digung geben konnten. Bei allen anderen hat sich gezeigt
– ich bin keine Medizinerin, ich habe mich aber erkun-
digt –, wie schwierig es ist, die Überschreitung von
Grenzwerten festzustellen. Darauf wage ich, Herr Braun,
vorsichtig hinzuweisen, wenn man die Beweislastumkehr
bei einem so komplizierten Gebilde wie der Bundeswehr
zur rechtlichen Grundlage zulassen will.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Leider ist ein Dialog
in der Fragestunde nicht möglich. Wir bleiben aber beim
Thema.
Ich rufe jetzt Frage 17 des Kollegen Nolting auf:
Wie viele dieser Anträge sind mit welchem Ausgang bis heute
abschließend bearbeitet worden und wie viele können voraus-
sichtlich noch bis zum Ende der Legislaturperiode positiv be-
schieden werden?
B
Herr Kollege Nolting, von den
circa 330 zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Berichts
des Arbeitsstabes Dr. Sommer im Juni 2001 vorliegenden
Anträgen auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädi-
gung waren bis Mitte Januar 2002 290 Fälle entschieden.
Die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung erfolgte
in fünf Fällen.
Bis zum 15. Januar 2002 haben 1 505 ehemalige und
aktive Bundeswehrsoldaten, 117 zivile Mitarbeiter und
879 Angehörige der ehemaligen NVA einen Antrag ge-
stellt. Die Dienststellen des Bundesministeriums der
Verteidigung bemühen sich, dass möglichst im ersten
Halbjahr 2002 in allen laufenden Wehrdienstbeschä-
digungsverfahren, in denen sie zuständig sind, Entschei-
dungen getroffen sind. Aufgrund der ersten Ergebnisse
der Arbeitsgruppe „Aufklärung der Arbeitsplatzverhält-
nisse Radar“ zu sechs Radargerätetypen wird deutlich,
dass von einer systematischen Verstrahlung von Radar-
personal durch sämtliche Radargerätetypen keine Rede
sein kann. Eine Prognose über die Zahl der Fälle, in de-
nen eine Wehrdienstbeschädigung festgestellt werden
kann, ist, denke ich, im März dieses Jahres, nach Vorlie-
gen sämtlicher Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Auf-
klärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar“, möglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erste Nachfrage,
bitte.
Frau Staatssekre-
tärin, hat das jetzige Radarpersonal die Möglichkeit, an
kostenlosen Untersuchungen teilzunehmen, um etwaige
Strahlenschäden festzustellen?
B
Sie wissen, dass es bei der Un-
tersuchung des Personals unterschiedliche Rhythmen
gibt. In solchen Bereichen ist die Sensibilität in den letz-
ten Jahren noch erhöht worden. Ich habe heute Morgen
bei der Vorbereitung die gleiche Frage wie Sie jetzt ge-
stellt. Dabei hat sich dann ergeben, dass es bei der Bun-
deswehr Ärzte gibt, die häufigere Untersuchungen für
notwendig halten, genauso wie solche, die es nicht für
notwendig halten, dass dem Wunsch von Patienten nach
einer jährlichen Untersuchung in allen Bereichen nachge-
kommen wird. Ich glaube jedoch, dass in diesem speziel-
len Bereich die Sensibilität groß genug ist und dies auch
schon in der Vergangenheit überprüft wurde.
Ein Grund für die Schwierigkeiten ist auch, dass An-
haltspunkte für eine Wehrerkrankung zu dem Zeitpunkt,
in dem die Leute im aktiven Dienst sind, noch relativ ge-
ring sind. Ich brauche Ihnen auch nicht zu sagen, welche
Ursachen das alles haben kann. Ich wusste auch nicht,
dass das Krankheitsspektrum, das jetzt von denjenigen
angemeldet worden ist, die glauben, durch ihren Wehr-
dienst beschädigt worden zu sein, so groß ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das sieht nach einerzweiten Nachfrage aus. Bitte, Herr Kollege Nolting.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Hildebrecht Braun
20884
Frau Staatssekre-
tärin, werden eigentlich auch Erkrankungen aufgrund von
Hochfrequenzstrahlungen berücksichtigt – und falls
nicht, warum nicht?
B
Das ist ebenfalls eine wichtige
Frage. Auch darüber haben wir in den letzten Jahren in der
Öffentlichkeit verstärkt diskutiert. Dies betrifft wieder ei-
nen Personenkreis, der sorgfältig kontrolliert wird; das ist
im zivilen Bereich ähnlich. Hier gibt es aber keine erhöh-
ten Auffälligkeiten. Wir haben – das muss man der Bun-
deswehr bescheinigen – einer möglichen Gesundheits-
gefährdung schon immer eine größere Aufmerksamkeit
entgegengebracht als andere. Das Problem besteht darin,
dass sich nicht alle an die Vorschriften halten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kommen wir zur
Frage 18 der Kollegin Heidi Lippmann:
Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahren durch ABC-
Waffen im Einsatzraum der Bundeswehr im Rahmen der Teil-
nahme an der Antiterrorkoalition ein und welche Anhaltspunkte
gibt es dafür?1)
B
Frau Kollegin Lippmann, ver-
lässliche Erkenntnisse über ABC-Waffen im Einsatzge-
biet der Antiterrorkoalition werden erst nach Abschluss
der Durchsuchung der Höhlensysteme und anderer Ver-
stecke von Taliban und al-Qaida in Afghanistan erwartet.
Bis dahin tragen die in der Truppe getroffenen Schutz-
maßnahmen dem Risiko eines möglichen Einsatzes von
chemischen oder biologischen Kampfstoffen angemessen
Rechnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Lippmann, bitte, Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es gibt
hinreichende Erkenntnisse aus unterschiedlichen Ge-
heimdiensten, die ich hier nicht im Einzelnen benennen
möchte, welche Staaten wahrscheinlich über B- und
C-Waffen, auch über A-Waffenforschung und -entwick-
lung verfügen. In diesen Tagen rücken Soldaten nach Ku-
wait aus, um dort – ich weiß, das ist Inhalt der nächsten
Frage, ich muss aber vorgreifen – an einer Katastrophen-
schutzübung mit B- und C-Waffen unter Einsatz von deut-
schen ABC-Spürpanzern „Fuchs“ teilzunehmen. Über
diese Katastrophenschutzübung hinaus ist die Herstellung
einer 96-Stunden-Bereitschaft geplant. Wie können Sie
diese begründen, wenn bisher keinerlei Erkenntnisse vor-
liegen?
B
Ich habe ganz bewusst von ge-
sicherten Erkenntnissen gesprochen. Auch in der Vergan-
genheit – ich darf Sie daran erinnern – haben wir in
verschiedenen Teilen der Welt die Erfahrungen machen
müssen, dass diese Länder entweder an ABC-Waffen he-
rumexperimentiert oder versucht haben, sich solche zu
beschaffen.
Unser Wissen bezieht sich zunächst einmal auf
Afghanistan. Neben dem Raum, in dem nach dem Kabi-
nettsbeschluss und dem Beschluss des Deutschen Bun-
destages der Einsatz vorgesehen ist, kommen aber auch
andere Gebiete – damit komme ich auf die Frage von
Herrn Gehrcke – für einen Einsatz infrage. Diesbezüglich
haben wir als eine Komponente die Bekämpfung von
ABC-Waffen aufgenommen, weil die Bundesrepublik
Deutschland dieses Thema schon in den vergangenen Jah-
ren aufmerksamer betrachtet hat. Mögliche Einsatzge-
biete sind über Afghanistan hinaus die arabische Halb-
insel, Mittel- und Zentralasien, Nordostafrika sowie die
angrenzenden Seegebiete – auch wenn man in letzteren si-
cher nicht den „Fuchs“ einsetzen wird. Gesicherte Er-
kenntnisse wird man aber erst haben, wenn man die Nach-
weise erbringt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die Fra-
ge 19 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:
Treffen Presseberichte über eine bevorstehende Entsendung
von Bundeswehrsoldaten aus ABC-Einheiten nach Kuwait zu
, und
wenn ja, was ist das Ziel eines solchen Einsatzes?
B
Herr Kollege Gehrcke, die
Presseberichte in der „Süddeutschen Zeitung“ treffen in-
soweit zu, als es sich hier um ABC-Abwehrkräfte handelt,
deren Entsendung der Deutsche Bundestag am 16. No-
vember 2001 zur Unterstützung der Operation „Enduring
Freedom“ zugestimmt hat.
Der Zweck dieses Einsatzes ist die Bereitstellung von
Kräften zum Spüren und Dekontaminieren von ABC-
Kampfstoffen in Regionen, in denen zurzeit ein Risiko für
den Einsatz derartiger Kampfstoffe gesehen wird. Die
Unterstützung durch deutsche ABC-Abwehrsoldaten
kann daher sowohl den Streitkräften betroffener Koaliti-
onspartner, also Enduring-Freedom-Partner, als auch den
Nationen in der Region zugute kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage des
Kollege Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Rückblick auf dieFragen zur Beschaffungsdebatte darf ich mir vielleicht dieAnrede „teure Frau Staatssekretärin“ erlauben.Sinn meiner Frage war ja, das Ganze in einen politi-schen Kontext zu stellen: Können Sie nachvollziehen,wenn ich sage, dass es darüber, dass die USA möglicheMilitärschläge auf den Irak noch nicht verbindlich ausge-schlossen haben, eine, wie ich finde, nicht sehr vernünf-tige Debatte mit verschiedenen Äußerungen gibt? DieBundesregierung hat zwar wieder einmal deutlich ge-macht, dass sie das für wenig sinnvoll hält, sie kann es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002 20885
1) siehe hierzu auch Frage 9aber nicht ausschließen, weil sie so genau auch nichtweiß, was die Amerikaner machen.Stimmen Sie mir zu, dass die Stationierung solcher Mi-litärgeräte in Kuwait – an der Grenze zum Irak – zumin-dest in der arabischen Welt so verstanden würde, dassDeutschland in dieser Frage nicht deeskalierend, sonderneskalierend tätig ist und dass insofern ein falsches politi-sches Signal davon ausgeht? Wäre die Bundesregierungnicht gut beraten, diese Stationierung nicht zu vollziehenbzw. sie auszusetzen?B
Deutschland wird seine Streit-
kräfte ganz bestimmt keinem Land aufdrängen. Davon
können Sie ganz sicher ausgehen.
Wir besitzen gewisse Kompetenzen und es geht ja
nicht nur um Kuwait. Ohne die Zustimmung von Kuwait
kämen wir überhaupt nicht auf die Idee, dort hinzugehen.
Wenn es Ihnen auch etwas unwahrscheinlich zu sein
scheint, so ist es doch richtig, dass auch die Vereinigten
Staaten – sie sind dort unten und sie sind die „lead nation“
bei Enduring Freedom – in keinem Bereich ausschließen
können, dass es zum Einsatz von ABC-Waffen durch Ter-
roristen kommen kann. Dass man sich auf diesen mögli-
chen Fall vorbereitet und sagt, man wolle gemeinsam wis-
sen, wie damit umzugehen sei, halte ich für legitim. Sonst
würde die Bundesrepublik das auch nicht mitmachen.
Zu den stattgefundenen Spekulationen – nun sitzt der
Außenminister inzwischen vor mir – gibt es eine ge-
schlossene Meinung der Bundesregierung dahin gehend,
dass wir das Terrain, auf dem weitere Konflikte entstehen,
möglichst eingrenzen sollten. Lieber Herr Kollege
Gehrcke, ich kann Ihnen deshalb ausdrücklich nicht zu-
stimmen; denn das, was wir jetzt tun, ist Vorsorge und
nicht die Absicht, dort auch wirklich militärische Einsätze
durchzuführen. Insoweit habe ich damit keine Probleme;
denn ohne eine Zustimmung dieser Länder und ohne die
Bitte der Vereinigten Staaten, die nicht alles selbst ma-
chen können, gäbe es das nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor ich jetzt noch
die zweite Zusatzfrage des Kollegen Gehrcke zulasse,
möchte ich darauf verweisen, dass die restlichen Fragen
der Fragestunde – ab Frage 20 – schriftlich beantwortet
werden, weil wir gleich unmittelbar im Anschluss an die
Fragestunde in die Aktuelle Stunde eintreten. Zugelassen
sind aber auch noch die Zusatzfragen des Kollegen
Nolting und der Kollegin Lippmann.
Herr Kollege Gehrcke, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, jetzt
muss ich erst einmal zurückfragen, weil ich das Verzeich-
nis der Fragesteller nicht vorliegen habe. Fällt damit
meine zweite Frage weg? Dann würde ich lieber keine Zu-
satzfrage stellen, sondern meine zweite Frage beantwor-
tet haben, weil damit die Probe aufs Exempel gemacht
wird, wie weit der Respekt vor den anderen Ländern geht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Okay. Dann machen
wir es ganz fix.
Ich rufe jetzt den Kollegen Nolting zu seiner Zusatz-
frage und danach die Kollegin Lippmann auf. Ich bitte
beide und auch die Staatssekretärin um Kürze, sodass
dann noch kurz auf die Frage 20 geantwortet werden
kann.
Frau Staatssekre-
tärin, von wem und wann wurden die ABC-Abwehrkräfte
angefordert? Wenn sie nicht angefordert wurden: Hat die
Bundesregierung diese ABC-Abwehrkräfte angeboten?
Daraus ergibt sich dann natürlich die Frage: wem?
B
Darf ich Sie noch einmal daran
erinnern, Herr Kollege Nolting, dass dieses Parlament am
16. November 2001 mit großer Mehrheit erklärt hat, dass
wir im Rahmen der Operation Enduring Freedom be-
stimmte Komponenten an Sicherheit anbieten können. Sie
kennen das.
Ich habe das vor mir liegen.
Darunter sind circa 800 ABC-Abwehrkräfte. Wir beide
wissen, dass es auch die Soldaten aus Höxter trifft. Ich
wohne noch ein bisschen näher an dieser Stadt; auch Sie
sind nicht allzu weit entfernt. Heute haben wir gehört,
dass sie nicht in Wilhelmshaven – wie die Medien berich-
ten –, sondern natürlich in Cuxhaven verladen werden,
wenn sie dazukommen.
Die Amerikaner, die die Hauptlast dieses Einsatzes tra-
gen, sind in dem Bereich auch durch den UN-Beschluss
– damit kann ich das gleich beantworten – die „lead na-
tion“. Sie sagen: Wir können nicht ausschließen, dass es
zum Einsatz solcher Waffen kommt. Wir möchten in Ab-
stimmung mit Kuwait dafür sorgen, dass wir damit auch
umgehen können.
Seit dem 18. Dezember 2001 befassen sich das Aus-
wärtige Amt und Kuwait mit der Frage der möglichen
Teilnahme von deutschen ABC-Kräften an diesem Trai-
ning. Auch die USA beteiligen sich an diesem Manöver.
Die Absicht ist, dass wir nach diesem Manöver die Mehr-
zahl der Truppen wieder zurückholen. Wir haben schon
bei der Bereitstellung der Verbände darauf hingewiesen,
dass diese Kräfte infrage kommen. Wir gehen in kein
Land hinein, in dem man uns nicht haben will.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine kurze Zusatz-
frage der Kollegin Lippmann, bitte.
Frau Staatssekretärin, Siesagten gerade, dass seit dem 18. Dezember 2001 verhan-delt wird. Aber erst seit dem 18. Januar dieses Jahres ist,
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Wolfgang Gehrcke20886
wenn ich richtig informiert bin, die Zustimmung Kuwaitserteilt worden, währenddessen im Vorfeld deutsche Sol-daten in Zivil mit etwas eigentümlichen Visa in Kuwaitgewesen sein sollen, um dort vorab zu verhandeln.Sie haben die Frage des Kollegen Nolting nicht konkretbeantwortet, wann wer wen angefordert hat. Aber wielässt sich denn jetzt diese amerikanische Vereinbarung mitKuwait mit dem Beschluss, über den hier im Parlamententschieden wurde, in Einklang bringen, dass speziell fürden Einsatz deutscher Truppen eine Zustimmung des je-weiligen Landes vorhanden sein muss, die natürlich überdie Amerikaner als Verhandlungspartner hinausgeht?B
Das ist immer so. Wir haben
ein Statut, wonach wir nie in ein Land gehen, indem wir
einfach nur sagen: Wir wollen dahin. Dass man darüber
verhandelt, ist doch völlig klar. Der Formalismus ist in
Deutschland so ausgeprägt, dass es manche gar nicht
glauben können, wenn wir sie fragen, ob die Soldaten in
Uniform erscheinen können, weil es für sie selbstver-
ständlich ist, dass Soldaten Uniform tragen. Die Hälfte
oder – ich würde sogar sagen – das meiste von dem, was
in den Zeitungen stand, Frau Kollegin Lippmann, muss
man nicht glauben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt als Letz-
tes die Frage 20 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es zum Zeitpunkt
der ersten Aussagen des Bundesministers der Verteidigung,
Rudolf Scharping, über einen Einsatz von ABC-Kräften in Kuwait
weder eine offizielle Bitte an die Regierung von Kuwait gab noch
eine Einladung von dieser vorlag?
B
Ich hatte gedacht, diese Frage
beantwortet zu haben. Aber vielleicht möchte Herr
Gehrcke eine Zusatzfrage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Gehrcke hat jetzt
sofort die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin, ich
will nur einmal die Fakten korrekt festhalten: Am 18. Ja-
nuar dieses Jahres ist die Einladung des kuwaitischen
Staates an die Bundesrepublik ergangen, die Truppen dort
zu stationieren. Die offizielle schriftliche Anfrage der
Bundesregierung stammt vom 10. Januar. Aber bereits
Ende November 2001 sind die Planungen, wie Sie selber
bestätigt haben, angelaufen. Im Dezember 2001 hat es
auch vom Verteidigungsminister verschiedene Veröffent-
lichungen über eine mögliche Stationierung gegeben. In
Ausschüssen gab es Informationen.
Können Sie sich nicht vorstellen, dass ein Staat wie Ku-
wait einen eigenartigen Eindruck erhalten muss, wenn in
Deutschland über Wochen eine Stationierung vorbereitet
und geplant wird, es öffentliche Äußerungen gibt und am
10. Januar als letzter Akt die offizielle Anfrage kommt?
Dass Kuwait dies nicht ablehnen wird, das wissen Sie, das
weiß ich und das weiß der Außenminister noch besser.
Können Sie sich aber vorstellen, dass diese Art und Weise,
mit Staaten umzugehen, Befremden auslösen kann?
B
Es rührt mich ein bisschen an
– nehmen Sie mir das nicht übel –, wenn Sie sagen, dass
Kuwait möglicherweise von uns ein bisschen genötigt
wurde. Dieser Staat ist augenblicklich in einer ganz ande-
ren Situation. Dort sind amerikanische Streitkräfte statio-
niert. Er ist immerhin schon einmal Opfer einer Ausei-
nandersetzung gewesen. Ich habe nicht das Gefühl, dass
das, was in den Medien steht und was spekulativ darge-
stellt wurde, auch nur annähernd mit der Wahrheit zu tun
hatte. Wir haben uns angewöhnt, dass es in einer schwie-
rigen und kritischen Zeit klug ist, nichts oder zumindest
nur begrenzt etwas in der Öffentlichkeit zu sagen.
Ich meine, dass in einem demokratischen Staat in ei-
ner Krise in der Öffentlichkeit nicht alles gesagt werden
kann. Man darf aber auf keinen Fall die Leute belügen.
Die Soldaten haben sich in der Tat seit Dezember – nach-
dem dieser Beschluss gefasst worden war – mit dieser
Frage auseinander gesetzt. Wenn 800 Soldaten mit ihren
Gerätschaften infrage kommen, müssen sie diese auch in
Ordnung bringen. Darüber – im legalen und im illegalen
Bereich – ist die Öffentlichkeit informiert worden. Ich
habe damit keine Probleme und halte das alles für in Ord-
nung. Ich wünsche auch nicht, dass dieser Konflikt noch
ausgeweitet wird.
– Nein, nicht alle.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war noch eine
sehr kurze Frage mit einer kurzen Antwort.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Wir kommen nun zur Aktuellen Stunde, die die
CDU/CSU-Fraktion zu der Antwort der Bundesregierung
auf die dringlichen Fragen 1 und 2 verlangt hat:
Äußerungen des tschechischen Ministerpräsi-
denten Zeman zu den Sudetendeutschen
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Frak-
tion der CDU/CSU ist der Kollege Hartmut Koschyk.
Frau Präsidentin!Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind empörtüber Äußerungen des tschechischen MinisterpräsidentenZeman in einem österreichischen Magazin. Ich darf fürmeine Fraktion feststellen, dass aus unserer Sicht dieseAussagen des tschechischen Ministerpräsidenten gegen-über den sudetendeutschen Opfern der Vertreibung herab-lassend, beleidigend und ehrverletzend sind und auch inkeiner Weise der historischen Wahrheit entsprechen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Heidi Lippmann20887
Ohne Frage stehen diese Aussagen in einem eklatantenGegensatz zu Geist und Buchstaben der Deutsch-Tsche-chischen Erklärung von 1997,
insbesondere zu den darin vereinbarten Bemühungen umeine dauerhafte und zukunftsgerichtete deutsch-tschechi-sche Versöhnung. Sie stehen zudem aber auch in einemkrassen Widerspruch zum Geist des europäischen Eini-gungsprozesses und auch zu den Bemühungen der Tsche-chischen Republik, Mitglied der Europäischen Union zuwerden.Lassen Sie mich Ulrich Glauber aus der „FrankfurterRundschau“ vom 21. Januar zitieren, der, wie ich meine,sehr treffend zu diesen Äußerungen des tschechischen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zeman zeigt sich zur Versöhnung unfähig, weil er die
kollektive Vertreibung der Sudetendeutschen aus
seinem Land nach dem Zweiten Weltkrieg immer
noch rechtfertigt. Er leugnet mit der Brandmarkung
der früheren Mitbürger als Landesverräter ... den Wi-
derstand auch sudetendeutscher Genossen gegen die
Nazis.
Sicherlich schadet der tschechische Ministerpräsident mit
seinen ausfallenden Äußerungen letztlich seinem Land
selbst und er tut auch sich persönlich keinen Gefallen.
Auch die Bevölkerung der Tschechischen Republik
wird erkennen, dass eine derartig aggressive und über-
holte Polemik nicht nur dem Geist des europäischen Eini-
gungsprozesses und einem zukunftsgewandten nachbar-
schaftlichen Miteinander von Tschechen und Deutschen
widerspricht, sondern dass dies auch der politischen Kul-
tur der Tschechischen Republik und auch eines tschechi-
schen Ministerpräsidenten unwürdig ist.
Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.
Deshalb ist es auch wichtig – wir sind Ihnen dankbar
dafür, Herr Außenminister, dass Sie in dieser Aktuellen
Stunde auch sprechen –, dass die Bundesregierung keinen
Zweifel daran lässt, dass Sie diese unqualifizierten, pole-
mischen und ehrverletzenden Äußerungen des tschechi-
schen Ministerpräsidenten mit aller Deutlichkeit zurück-
weist. Sie sind inakzeptabel und die Mitbürgerinnen und
Mitbürger sudetendeutscher Herkunft haben auch einen
Anspruch darauf, dass die Bundesregierung sie vor derar-
tigen ungerechtfertigten Angriffen eines ausländischen
Regierungschefs in Schutz nimmt.
Lassen Sie mich auch sagen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, warum diese Aussagen auch in politischer Hin-
sicht höchst schädlich sind. Denn sie fallen schließlich in
eine Zeit hoffnungsvoller Gespräche, zum Beispiel auf
der Ebene des deutsch-tschechischen Gesprächsforums.
Dabei handelt es sich um konstruktive Gespräche, in de-
nen gerade auch die Repräsentanten der Sudetendeut-
schen eine wichtige, nach vorne weisende Rolle spielen.
Die Äußerungen des tschechischen Ministerpräsi-
denten Zeman – das möchte ich zum Schluss noch sa-
gen –, der sich – wenn man seine bisherige Amtsführung
betrachtet, muss man das leider feststellen – nicht als
ein sehr kluger und außenpolitisch einfühlsamer Regie-
rungschef erwiesen hat, sind verhängnisvoll. Das trifft
auch auf das Interview zu, mit dem er die Stimmung in
Österreich angeheizt hat.
– Herr Bundesaußenminister, der Österreicher, den Herr
Stoiber vielleicht meint, ist ein Politiker, der keine Regie-
rungsverantwortung hat. Zeman ist dagegen ein in Ver-
antwortung stehender Regierungschef. In einer solchen
Position muss man sich schon ein Stück zurückhalten.
Man muss ja nach den Beweggründen fragen. Ich
glaube, dass auch ein tschechischer Ministerpräsident ein
solches Interview nicht leichtfertig gibt, dass er ein sol-
ches Interview erst dann zur Veröffentlichung freigibt,
wenn es mit ihm abgestimmt worden ist. Dazu müssten
Sie, Herr Bundesaußenminister, heute Stellung nehmen –:
Besteht nicht die Gefahr, dass der tschechische Minister-
präsident ein Stück weit zündelt sowie hoffnungsvolle
Gesprächsansätze im deutsch-tschechischen Gesprächs-
forum und die mutige Position, die Herr Pick in dieser
Frage durch öffentliche Einlassungen eingenommen hat,
ein Stück weit hintertreibt, damit es nicht zu einer huma-
nitären Geste gegenüber den Sudetendeutschen kommt?
Darum bemüht man sich zurzeit auf deutsch-tschechi-
scher Ebene für diejenigen, die besonders unter der Ver-
treibung gelitten haben. Das ist eine Frage, die man sich
in diesem Zusammenhang auch stellen muss.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht der Kollege Gert Weisskirchen.
Lieber Kol-lege Koschyk, ich bedauere es sehr, dass die Union undSie unbedingt im Rahmen einer Aktuellen Stunde überdieses Thema debattieren wollen.
Das ist zwar Ihr gutes Recht. Aber das fordert die Frageheraus, wie Herr Posselt – den kennen wir alle –, der einekritische Position gegenüber der Deutsch-TschechischenErklärung, die gerade erst fünf Jahre alt geworden ist – Siehaben die positive Wirkung dieser Erklärung eben ge-würdigt –, einnimmt, in der gestrigen Ausgabe der „Süd-deutschen Zeitung“ erklären kann, dass sich der neue
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Hartmut Koschyk20888
Kanzlerkandidat Ihrer Partei kritisch gegenüber demdeutsch-tschechischen Bemühen verhalten werde. Dasverstehe ich nicht. Das passt nicht zusammen. HerrStoiber konterkariert – das hat er wirklich gut gemacht –den schwierigen Prozess der Aussöhnung mit der Tsche-chischen Republik, den die damalige CDU/CSU-FDP-Regierung auf den Weg gebracht hat. Er beruft sich dabeiauf eine Vorstandssitzung der CDU/CSU vom Montag,lieber Kollege Lamers, auf der das Ganze besprochenworden sei. Auch Herr Posselt beruft sich darauf.
– Nein, lieber Kollege Lamers, das Wichtigste ist: Wirdürfen uns – niemand aus diesem Hause darf das – die Er-folge, die wir erreicht haben – vor zehn Jahren wurde derFreundschafts- und Nachbarschaftsvertrag geschlossen;vor fünf Jahren wurde die Deutsch-Tschechische Er-klärung verabschiedet –, und die konstruktive Arbeit, zuder Sie selber, Herr Koschyk, innerhalb des deutsch-tschechischen Gesprächsforums beigetragen haben, nichtkaputtreden lassen. Niemand – wer immer es auch sei –darf das.
Nationalisten aller Länder vereinigt euch – das ist diegrößte Gefahr, die es in dem zusammenwachsendenEuropa gibt. Wir lassen uns die Erfolge von niemandemkaputtreden.
Wenn Herr Haider dahinter steckt, dann müssten dochauch bei Ihnen die Alarmglocken schrillen. Sie dürftensich nicht an seiner in Österreich inszenierten Kampagnebeteiligen, auch nicht indirekt, lieber Kollege Lamers;denn das passt, finde ich, nicht zu den Verdiensten, diesich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der diedeutsch-tschechischen Beziehungen auf eine gute Grund-lage gestellt hat, erworben hat.
– Der Kollege Zeman hat in der Tat etwas gesagt, was ich– ich sage das in aller Klarheit – nicht teile.
– Ich muss den Text noch einmal genau nachlesen.
Wenn ich das richtig interpretiere, steht darin etwas, dasan eine Kollektivschuld erinnert.
Wenn man die Deutsch-Tschechische Erklärung zurGrundlage unserer Beziehungen macht, dann kann es eineKollektivschuldzuweisung, an wen auch immer, nichtgeben. Das ist der wesentliche Punkt, den wir gemeinsamverabredet haben.So interessant das auch immer sein mag – am Ascher-mittwoch oder bei den Veranstaltungen zu Pfingsten, diein diesem Jahr noch in Rede stehen –: Ich bitte Sie herz-lich darum, lassen wir uns alle gemeinsam in diesem Hausnicht von irgendwem verrückt machen,
der irgendwelche Stichworte nutzt, um Populismus oderNationalismus zu schüren. Dafür sind die Beziehungenzwischen Prag und Berlin, zwischen unseren Ländern vielzu kostbar. Sie dürfen von niemandem zerredet werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Ulrich Irmer für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Im Interesse der guten Weiterentwicklungder tschechisch-deutschen Beziehungen und im Interesseder europäischen Integration habe ich an uns alle, anBeteiligte und Unbeteiligte, eine Bitte: tiefer hängen!Bitte, bitte tiefer hängen!
Hintergrund der heutigen Aktuellen Stunde und derÄußerungen, mit denen wir uns leider befassen müssen,ist das Volksbegehren, das Herr Haider in Österreich vor-geblich gegen das Atomkraftwerk Temelin angezettelthat. Wenn wir hinter die Motive schauen, wird natürlichganz klar, dass Haider den Beitritt der Tschechischen Re-publik zur Europäischen Union nicht möchte. Das stehteigentlich dahinter.
Die Reaktionen von Herrn Zeman erkläre ich mirzunächst einmal mit dem alten Spruch: Auf einen grobenKlotz gehört ein grober Keil. Dass Herr Haider – gelindegesagt – ein grober Klotz ist, wissen wir alle. Dass HerrZeman ein grober Keil ist, haben wir leider auch schondes Öfteren schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen.Bei dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Euro-päischen Union geht es darum, dass wir auch die Gespens-ter der Vergangenheit bannen und dass wir uns in einemvon uns allen gewollten, den Menschenrechten ver-pflichteten Europa gemeinsam wiederfinden. Da passt esnatürlich nicht ins Bild, wenn irgendjemand – es war lei-der nicht irgendjemand – sagt, die Sudetendeutschenseien Kriegsverbrecher gewesen, sie seien die fünfte Ko-lonne von Hitler gewesen. Was in der Vergangenheit dort
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Gert Weisskirchen
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geschehen ist, sagt die Deutsch-Tschechische Erklärungin sehr schönen Worten. Darin wird das Verbrechen derNazis gegenüber dem tschechischen Volk gegeißelt; eswird aber auch ganz klar und unmissverständlich festge-stellt, dass das, was den Sudetendeutschen geschehen ist,Unrecht war. Wir würden das heute im modernen Sprach-gebrauch als ethnische Säuberung und nichts weniger be-zeichnen.
Das darf nicht kleingeredet werden. Dessen muss mansich bewusst sein.Es wäre völlig falsch, daraus jetzt politische Forderun-gen abzuleiten und etwa zu sagen: Weil diese Gespensterder Vergangenheit offensichtlich nach wie vor wirksamsind, gibt es Hinderungsgründe für den Beitritt derTschechischen Republik zur EU. Das alles dürfen wir uns,die wir den Beitritt dringend wollen, nicht gefallen lassen;es widerspräche auch unseren Interessen. Deshalb ist al-les, was in die Richtung geht, die Vergangenheit als Hin-derungsgrund für eine konstruktive Zukunft aufzubauen,extrem kontraproduktiv.
Da darf man bitte auch nicht mit den Benes-Dekretenkommen. Viele tschechische Politiker haben einleuchtenderklärt, die Benes-Dekrete entfalteten heute keine Wirk-samkeit mehr, sie seien in sich selbst Unrecht. Aber eineförmliche Aufhebung würde zu Problemen führen, ge-nauso wie eine förmliche Aufhebung des Münchner Ab-kommens ex tunc für uns einen Rattenschwanz von recht-lichen Fragen nach sich zöge. Ich ziehe diese Parallelehier ganz bewusst. Wer die förmliche Aufhebung derBenes-Dekrete verlangt, müsste auch bereit sein, dasMünchner Abkommen ex tunc, das heißt von Anfang an,für null und nichtig zu erklären.
Mit guten Gründen haben sich alle Bundesregierungendagegen zur Wehr gesetzt, weil nämlich die Folgen, auchdie rechtlichen Folgen für einzelne Personen, unabsehbarwären. Lassen wir uns doch bitte nicht auf dieses Glatteisführen! Prüfen wir die Beitrittskriterien, die in der EU fürdie Mitgliedschaft weiterer Länder in der EuropäischenUnion aufgestellt worden sind! Es wird schwierig genug,diese Beitrittsvoraussetzungen von allen Seiten zu erfül-len. Auch die Europäische Union hat ja noch Hausauf-gaben zu machen: Wir müssen die institutionellen Refor-men verwirklichen, damit der Beitritt zusätzlicher Länderohne große Schwierigkeiten verkraftet werden kann.Ein anderes: Gerade die tschechisch-deutsche Ge-schichte mit der – auch kulturellen – Komponente des jü-dischen Elements in der Stadt Prag, das die Nazis mitihrem Terror zerschlagen haben, kann uns ein Beispieldafür geben, wie wir uns in Zukunft das kulturelle Mitei-nander und das Miteinander unterschiedlicher Völker inunserer Europäischen Union vorstellen sollten. Das undnicht Äußerungen von Leuten, die was für Interessen auchimmer verfolgen, sollte unser Leitbild sein.Ich traue Herrn Haider nicht über den Weg. Leidermuss ich feststellen, dass auch der tschechische Minister-präsident – und insofern ist es natürlich richtig, dass eseinen Unterschied macht, ob es sich um einen Privatpo-litiker oder um einen Mann mit offizieller Funktion han-delt – etwas gesagt hat, was ich zutiefst missbillige. Er hatsich schwer vergriffen; er sollte sich dafür entschuldigen.Aber bitte lassen wir auch solche unerträglichen Äuße-rungen nicht dem im Wege stehen, was wir alle wollen,nämlich die Vollendung unserer Europäischen Union undden möglichst baldigen Beitritt Tschechiens zu unsererEuropäischen Union.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Dr. Antje
Vollmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-ber Herr Kollege Irmer, ich glaube, mit „tiefer hängen“haben Sie uns allen einen guten und klugen Rat gegeben.Vielleicht werden wir ja am Ende der Debatte das Rätsellösen können, warum wir uns heute Nachmittag die Zeitdamit vertreiben müssen, die Äußerungen eines tschechi-schen Ministerpräsidenten in einer österreichischen Zei-tung zu kommentieren.
Wolf Biermann hat einmal einen sehr klugen Satz dazugesagt, den sich, so meine ich, die CDU/CSU merkensollte und der lautet: „Ihr macht mich gerade populär da-mit.“ Genau das machen Sie mit Herrn Zeman und seinemInterview.Herr Zeman hat ein Interview gegeben. Ich weiß nicht,welcher Geist ihn dabei getrieben hat. Es war sicherlichnicht der Geist der staatsmännischen Klugheit und der Di-plomatie. Daran will ich keinen Zweifel lassen.
Er hat ja selber einen Hinweis gegeben, indem er gesagthat, er sei der „meistprovozierende Politiker Europas“.Das ist auch eine Form von Eitelkeit, der Politiker manch-mal anheim fallen können. Die Frage ist jedoch, was wirim Moment damit zu schaffen haben. Ich glaube, dass dieTschechische Republik wortgewaltige Politiker hat, dieHerrn Zeman sehr wohl in die Schranken weisen können,wenn er sich verbal vergriffen hat. Insbesondere VaclavHavel pflegt dies regelmäßig zu tun – mindestens drei bisviermal im Jahr. Die Debatte über die Frage, wie man dieInteressen des Landes vertritt, findet also in der Tschechi-schen Republik und im tschechischen Parlament statt.Dort gehört sie meines Erachtens nach hin und dort wirdsie wohl auch geführt werden.
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Ulrich Irmer20890
Es gibt aber noch etwas anderes. Das ist eine Debatte,an der wir ein ganz großes Interesse haben. Ich meine nichtnur den politischen Streit, sondern die Klärung der Ver-gangenheit und der damit zusammenhängenden schwieri-gen Fragen. Das gilt im Hinblick auf die Tschechische Re-publik und auf Polen. Gerade ist der polnische Botschafterbei mir gewesen und hat mir, Frau Steinbach, einen wun-derbaren, dicken Band über die Debatte über das ThemaVertreibung in Polen gegeben. Diese Debatte findet in bei-den Ländern statt und sie entwickelt sich erfreulich. DieMenschen eignen sich damit eine schwierige Geschichtean. Was diesen Prozess aber immer wieder stört, sind De-batten der Art, wie wir sie heute führen: vom hohen Rossherab, Rechtfertigung fordernd und zensierend.
Ich glaube, wir sollten das im Interesse der zukünftigenDebatten und der Entwicklung dieser Frage sein lassen.
– Ich will Ihnen, Herr Lamers, erklären, wie ich mir IhreIntention zur heutigen Debatte vorstelle: Es gibt dieDeutsch-Tschechische Erklärung, Sie entstand – übrigensunter starker Beteiligung der Opposition – in einem sehrschwierigen zweijährigen Prozess und wurde von HelmutKohl und auch von Ministerpräsident Stoiber durchgeführtund unterzeichnet. Das war ein sehr schwieriger Prozess,und ich erinnere mich daran, wie wir hier damals darüberdiskutiert haben und ich gesagt habe: Respekt, dass dieseErklärung auch von Bayern unterschrieben worden ist.Ich werde den Eindruck nicht los, dass diese Art vonDebatten immer wieder Irritationen aufkommen lassensollen,
als wollte man die damalige Unterschrift wieder infragestellen.
– Sie sagen, dass bei uns großes Entsetzen in den Reihender Sudetendeutschen entstanden ist, weil Herr Zemaneine Äußerung gemacht hat. Sie wissen aber genauso,dass immer und immer wieder in der Tschechischen Re-publik großes Entsetzen und große Ängste entstandensind, wenn es Äußerungen auf den sudetendeutschen Ta-gen gegeben hat, die nicht Geist und Inhalt der Deutsch-Tschechischen Erklärung ausgedrückt haben. So ist es im-mer wieder gewesen.
Die Angst, die dahintersteckt, hat für die Sudetendeut-schen letztendlich keine Folgen, während die Tschechenimmer wieder die Angst haben müssen, dass es ein Vetogegen ihren Beitritt in die EU geben könnte.
Es wird von Herrn Haider und auch aus dem Kreis derVertriebenen mit einem Veto gedroht.
Es wird gesagt: Wenn das und das nicht passiert, dannmüssen wir uns das noch einmal überlegen. Ich finde, einesolche Drohung darf von diesem Parlament nicht ausge-hen.
Wir sollten Ihnen auch nicht den Gefallen tun, dass Siemittels solcher Debatten – es handelt sich natürlich umDebatten in einem Wahlkampf, die geführt werden, umden Kern Ihrer Stammwählerschaft zu befrieden – anaußenpolitischen Verhältnissen zündeln dürfen. Das wer-den wir nicht mitmachen, das werden wir in aller Ruhezurückweisen. Deswegen ist die Frage, warum wir dasheute hier diskutieren müssen, sehr schnell beantwortet:weil Wahlkampf ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor ich dem nächs-
ten Redner, dem Kollegen Gehrcke, das Wort erteile,
möchte ich den vom Kollegen Christian Schmidt ge-
brauchten Begriff, den ich absichtlich nicht noch einmal
nenne, mit Entschiedenheit zurückweisen. Er entspricht
nicht dem Stil des Hauses.
Bitte, Herr Kollege Gehrcke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich habe zwar nicht gehört,was der Kollege Schmidt gesagt hat, aber jetzt bin ichneugierig geworden, was dem Stil entspricht oder nicht.
Verraten Sie mir das nachher in der Pause.Zur Sache selbst: Ich bin der festen Überzeugung, dassdie Kollegen von der CDU – zumindest die klügeren un-ter ihnen –, die hoffentlich noch einmal über die AktuelleStunde nachdenken, relativ rasch begreifen, dass sie sichmit dieser Aktuellen Stunde einen Bärendienst erwiesenhaben. Ich glaube, das wissen Sie jetzt schon und habenes schon vorher gewusst. Trotzdem haben Sie die AktuelleStunde durchgezogen.
Ich will Ihnen erklären, warum ich den Eindruck habe,dass das so ist: Sie erwecken, ob Sie es wollen oder nicht– ich unterstelle es Ihnen gar nicht –, den Eindruck, dass
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Dr. Antje Vollmer20891
Sie die antitschechische Kampagne von Haider in Öster-reich von Deutschland aus flankieren. Diesen Eindrucksollten Sie nicht erwecken.
Ich glaube, dass Sie hier einen Fehler gemacht haben.
Für das Protokoll möchte ich festhalten, dass es Haidernatürlich nicht um den Ausstieg aus der Kernenergie geht,obwohl es immer eine rechte ökologische Politik, eineBlut-und-Boden-Politik, gegeben hat, sondern dassHaider versucht, seinen Einfluss in Österreich über eineBekämpfung der EU-Mitgliedschaft Tschechiens wiederauszuweiten. Deswegen finde ich es sehr bedenklich,wenn zur Begründung der Auseinandersetzung ein Satzdes Kollegen Glos zu lesen war – ich zitiere –: „Mit einemsolchen Geist kann man nicht in die EU eintreten.“ Erspielt und zündelt mit diesem Satz. Das sollten Sie nichtmachen, das ist eigentlich auch unter Ihrem Niveau.
Ich komme nun zur zweiten Frage, über die man dannentscheiden kann. Sicherlich ist das Interview von Zemanin vielen Fragen nicht besonders durchdacht und nicht be-sonders solide formuliert, um es milde auszudrücken. Da-ran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Die eigent-liche politische Frage ist aber: Spielt man das jetzt hoch,um sozusagen eine Schnitte zu machen, oder spielt man esherunter, weil man politische Vernunft walten lässt?
Wer dann so dezidiert „draufhaut“ und die Forderungstellt, dass sich Herr Zeman entschuldigt – was er sicher-lich nicht tun wird –, der verwischt damit einfach Gren-zen und er verschleiert das, was man als Ursache benen-nen muss – Zeman hat das gemacht –: den deutschenFaschismus und alle seine Folgen. Darum kommen Sienicht herum.Ich fand es besonders sympathisch, wie der tschechi-sche Botschafter in Deutschland heute in der „taz“ dieganze Angelegenheit kommentiert hat – ich möchte Ihnendiesen einen Satz vortragen –: „Liebe Leute, vergesst eureGeschichte nicht.“ Dem kann ich mich völlig anschlie-ßen – ich sage das nach allen Seiten –: Liebe Leute, ver-gesst eure Geschichte nicht! Das können wir auch hierdokumentieren.Was ich in dem Interview von Herrn Zeman beden-kenswert finde, ist die Warnung vor rechtspopulistischenEntwicklungen in Europa. Auch diese Warnung kann manmit Blick auf Österreich, mit Blick auf Italien und mitBlick auf Dänemark nicht einfach wegwischen. Eines derProbleme – zumindest mein Problem – ist es, dass es bis-her keine überzeugenden Gegenkonzepte gegeben hat.
Eines will ich Ihnen, Kolleginnen und Kollegen vonder CDU – das ist Ihr Problem und nicht mein Problem –,sagen: Da Ihr Kollege Stoiber, Ihr Kandidat, ja besondersin die Mitte drängt, sollten Sie aufpassen, dass Sie mit Ak-tionen wie mit der Beantragung dieser Aktuellen Stundedie Mitte nicht wieder konterkarieren und sich auf eineEbene stellen, auf die Sie eigentlich nicht wollten.
Das ist Ihr Problem. Ich bin deshalb der Auffassung, dassSie sich hier selbst einen Bärendienst geleistet haben.
– Das ist wahr: Wo die Mitte ist, bestimme ich nicht. Esist aber ganz interessant, darüber einmal nachzudenken.Schlussendlich: Was kann man uns allen in dieser Si-tuation raten? Erst einmal eine Portion Gelassenheit; dieSache herunterspielen; bei dem bleiben, was vertraglichvereinbart ist; den Aussöhnungsprozess fortsetzen undvor allem keinen Zweifel daran lassen, dass wir für dieOsterweiterung der Europäischen Union einschließlichTschechiens zu den allgemeinen Bedingungen und nichtzu Sonderbedingungen sind.
Deswegen sollten Sie das Wort von Ihrem Landesgrup-penvorsitzenden, Herrn Glos, dass man vor diesem Hin-tergrund noch einmal nachdenken muss, ob Tschechienüberhaupt reif sei – das meint er damit –, schnell aus derWelt schaffen. Das richte ich als Appell an Sie. Sie scha-den damit sich, Sie schaden unserem Land und Sie scha-den den gegenseitigen Beziehungen. Heute wäre Gelas-senheit angesagt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Petra Ernstberger für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinelieben Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen De-batte erhält diese Diskussion – so negativ man dazu ste-hen kann – eine Aufwertung, die sie in diesem Parlamentund damit in der Öffentlichkeit nicht unbedingt hätte er-fahren müssen.
Man kann zu den Äußerungen von PremierministerZeman stehen, wie man will: Sie sind, wie Herr Staatsmi-nister Zöpel gesagt hat, nicht gerade weise gewesen. Sie
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Wolfgang Gehrcke20892
sind auf einer Ebene angesiedelt, die wir eigentlich über-wunden zu haben glaubten;
denn wenn man sich die Deutsch-Tschechische Erklärunganschaut, dann erkennt man: Prag hat dort eindeutig er-klärt, dass es den kollektiven Charakter von Schuldzu-weisungen verurteilt.Wir sollten an das anknüpfen, was wir bereits dieganzen Jahre getan haben: Seit zehn Jahren können wirauf eine ordentliche, zukunftsorientierte Arbeit – auch derVertriebenenverbände – zurückblicken. Wir alle sind inunserer Arbeit von einem gemeinsamen Ziel, nämlich derWestverlängerung Europas, geeint worden. Wir haben eingemeinsames Projekt: ein Friedensprojekt, ein Versöh-nungsprojekt und ein Zukunftsprojekt.Wir bewegen uns dabei in einer historischen und einermoralischen Dimension. Denn die Osterweiterung bzw.Westverlängerung ist nichts anderes als die Antwort Eu-ropas auf eine historische Entwicklung, nämlich auf denErsten und den Zweiten Weltkrieg sowie auf den Faschis-mus und den Stalinismus, der über Europa hereingebro-chen war.Die Frage, ob eine Osterweiterung stattfindet, stelltsich eigentlich gar nicht. Vielmehr müssen wir jetzt ge-meinsam, auch in den bilateralen Beziehungen zu Tsche-chien, die Chancen nutzen, um dieses Ereignis aktiv zugestalten. Das tun wir auch.
Wir tun dies in sehr vielen Gremien. Wir tun dies durchden Zukunftsfonds, in dem 84 Millionen Euro installiertsind, die zum Beispiel für Verbesserungen der Jugendzu-sammenarbeit eingesetzt werden können. Es bestehen In-stitutionen – in Regensburg zum Beispiel „Tandem“ –, diesich speziell mit dem Austausch von jungen Menschenbefassen.
Es gibt den Koordinierungsrat, in dem ja auch einige vonuns, zum Beispiel Herr Schmidt, Mitglied sind. In diesemKoordinierungsrat wird konstruktive Arbeit geleistet, undzwar auch mit Herrn Posselt und auch mit Herrn Schöpker.Das muss man eindeutig so sagen.
Diese positiven Ansätze werden von Herrn ProfessorPick untermauert und begleitet.
Er versucht, seine Arbeit in Tschechien mit seinen Inten-tionen zu leisten, was wirklich sehr hoch anzurechnen ist.
All dies müssen wir doch als eine positive Entwicklungfeststellen.
Es sind kleine Schritte, die wir tun.
Manchmal sind sie auch ein bisschen mühsam.
Aber im Grunde genommen sind die Schritte, die wir ma-chen, erfolgreich.
In Bezug auf die Äußerungen des Premierministers,glaube ich, dass ihn die österreichische Situation, dieFrage der Aufstellung der zweisprachigen Ortsschilderund Ähnliches, provoziert hat. Das aber zeigt uns, dasswir in einem Prozess, den wir als relativ normal bezeich-nen, einsehen müssen, dass dieser Prozess nicht selbst-verständlich ist, sondern dass wir immer noch hart an ihmarbeiten müssen.Wir dürfen nicht zulassen, dass wir einen Rückschrittmachen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr voranzuschrei-ten. Wir müssen das Verdrängte wieder bewusst machen.Wir müssen versuchen, dazu beizutragen, dass unsereNachbarn, auch in der Öffentlichkeit, wieder wahrge-nommen werden. Die deutsche Öffentlichkeit befasst sicheigentlich viel zu wenig mit Tschechien und seinen Pro-blemen. Auch glaube ich, dass es ganz dringend notwen-dig ist, nicht nur eine deutsch-tschechische Erklärung ab-zugeben, sondern dass etwas Derartiges auch zwischenTschechien und Österreich geschehen sollte.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte esschon begrüßt, wenn der deutsche Außenministerwährend der Diskussion über eine so wichtige europä-ische Frage nicht streckenweise seine Akten bearbeitetoder süffisant gelangweilt auf der Regierungsbank geses-sen hätte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich am SonntagAbend das Interview mit dem tschechischen Ministerprä-sidenten in meinen Händen hielt, habe ich es drei Maldurchgelesen.
Ich konnte und wollte nicht glauben, dass ein europäischerRegierungschef, der Ministerpräsident eines Landes, das
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Petra Ernstberger20893
Mitglied der Europäischen Union werden möchte, exaktam fünften Jahrestag der deutsch-tschechischen Er-klärung gegenüber der sudetendeutschen Volksgruppesolche rassistischen Töne anschlägt. Das habe ich für un-vorstellbar gehalten.
Die Äußerungen Zemans sind ganz einfach skandalös.Sein Name wurde ja von fast keinem der Debattenrednervon der linken Seite dieses Hauses in den Mund genom-men. Er wurde umgangen, als ob ein Niemand, ein No-body, diese Äußerung getan hätte.
Es war der Regierungchef dieses Landes und keine ge-ringe Größe. Es ist eine Verachtung der TschechischenRepublik, wenn man so tut, als wäre der Regierungschefdieses Landes ein Niemand.
Es war die wichtigste Persönlichkeit dieses Landes, nichtirgendjemand. Herr Kollege Weisskirchen, auch Sie wis-sen das. Wenn Sie mit sich zu Rate gehen, werden Sie eserkennen.
Diese Äußerungen haben eines plastisch deutlich ge-macht: Bis zum heutigen Tage entschuldigt Zeman dieRassenpolitik Edvard Benes‘ gegenüber den tschecho-slowakischen Staatsbürgern deutscher Volkszugehörig-keit; denn das waren die Sudetendeutschen 1945. Er fin-det kein Wort des Mitleids, des Beileids, kein Wort derReue für diese Verbrechen, die damals geschehen sind.Wer heute, im Jahre 2002, die Vertreibung der Sude-tendeutschen – wie Zeman es schriftlich getan hat; er hates auch nicht stockbetrunken und nebenbei getan,
sondern schriftlich abgesegnet – als milde Strafe bezeich-net und die gesamte deutsche Volksgruppe der damaligenTschechoslowakei schuldig spricht, der hat von Men-schenrechten, der hat vom Wertefundament Europas reingar nichts begriffen. Da gibt es große Defizite.
Es ist gelobt worden, wie konstruktiv die Gesprächeauf anderer Ebene sind. Das weiß ich; die Sudeten-deutschen tun massiv das Ihre dazu.
Sie sind eben sogar namentlich erwähnt worden. Wer dasregistriert, der muss aber auch sehen, dass die Aussageneines Ministerpräsidenten die besten Versöhnungspapierezu Makulatur werden lassen, wenn der Regierungschefam Ende nicht geistig hinter dieser Versöhnungspolitiksteht. Er konterkariert sie.
Die historische Verantwortung für die tschechischenVerbrechen an den deutschen Mitbürgern ab 1945 wirdnicht nur tabuisiert. Vielmehr wird sie durch diesen Re-gierungschef heutzutage entschuldigt und gerechtfertigt.Für ein Europa des Friedens, das wir doch brauchen unddas wir wollen, ist eine menschenrechtsbewusste Auf-arbeitung dieser Verbrechen aber unerlässlich. DennMenschenrechte sind nicht teilbar. Sie gelten für alleMenschen gleichermaßen. Sie gelten natürlich auch fürdie Sudetendeutschen.
Es ist ein Skandal, dass bis zum heutigen Tage in derTschechischen Republik Mörder von Sudetendeutschenmit Billigung des tschechischen Gesetzgebers frei und un-gestraft herumlaufen dürfen. Dass das nach wie vor so ist,daran gibt es keinen Zweifel, Frau Vollmer. Es ist ein euro-päischer Skandal, dass die Entrechtungs- und Vertrei-bungsdekrete Edvard Benes‘, die 3 Millionen Menschenihrer Heimat, ihrer Würde oder ihres Lebens beraubt ha-ben, heute immer noch Grundlage von Gerichtsurteilensind.
Das ist mit dem Wertekanon der Europäischen Gemein-schaft nicht zu vereinbaren.
Es spricht doch Bände, dass die Menschenrechtskom-mission der Vereinten Nationen die Tschechische Repu-blik verurteilt hat, Entschädigung für Enteignung zu leis-ten. Diese Verurteilung ist wenige Wochen alt. Sie isttaufrisch.Glücklicherweise – darüber bin ich sehr froh – gibt esin der Tschechischen Republik Intellektuelle, junge Men-schen und auch viele Politiker, die das ganz genauso se-hen. Sie wissen, dass wir dann ein gutes Miteinander inEuropa haben, wenn wir am Ende konstruktiv miteinan-der leben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja, danke. – Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, ich
darf Sie daran erinnern, dass Wenzel Jaksch Sudetendeut-
scher war. Er musste nach Großbritannien emigrieren.
Das hat ihn nicht davor bewahrt, am Ende aus seiner Hei-
mat vertrieben zu sein, ein Verfemter zu sein und sich als
Revanchist beschimpfen lassen zu müssen.
Das haben die Sudetendeutschen nicht verdient. Sie
hätten mit Sicherheit Worte der Zuwendung verdient. Es
ist Aufgabe des deutschen Bundeskanzlers, für seine
Sudetendeutschen, die beschimpft werden, beim tsche-
chischen Ministerpräsidenten ein Wort einzulegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau KolleginSteinbach, ich bitte Sie! Es ist eine Aktuelle Stunde.
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Erika Steinbach20894
Bei allem Respekt vor
dem Amt des Außenministers: Herr Außenminister
Fischer, wenn ein Ministerpräsident sich äußert, ist ein
Außenminister nicht satisfaktionsfähig. Es ist Aufgabe
des Bundeskanzlers, darauf zu antworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Markus Meckel für die SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir eben hier er-lebt haben, war schon hochproblematisch. Zu behaupten,dass der Außenminister nicht fähig sei, für die Bundesre-gierung zu sprechen, ist schon ein ziemlich starkes Stück,
das ich grundsätzlich zurückweisen kann, zumal Ihnengesagt werden muss, liebe Kollegin: Was Sie eben hier ge-macht haben, ist für das deutsch-tschechische Verhältniswahrhaftig in keiner Weise hilfreich.
Es ist in keiner Weise hilfreich,
weil es genau das nicht tut, was, wie Ulrich Irmer vorhindeutlich gemacht hat, notwendig wäre: das Gesagte tief zuhängen. Auch ich halte für falsch, was MinisterpräsidentZeman gesagt hat. Ich halte es für falsch, in dieser Weisekollektiv und allgemein von den Sudetendeutschen zusprechen. Dies entspricht auch nicht den historischen Tat-sachen, auf die man klar hinweisen muss;
denn man darf nicht vergessen, dass sich, wie VolkmarGabert in einer Presseerklärung deutlich gemacht hat,80 Prozent der sudetendeutschen Jugend 1937/38 beimMobilisierungsbefehl gemeldet haben und bereit waren,gegen Hitler-Deutschland zu kämpfen. Das ist ein ande-res Bild. Dass es unter Henlein auch Sudetendeutschegab, die den Einmarsch begrüßt haben, ist überhauptkeine Frage. Aber lasst uns doch diese Vergangenheit mitHistorikern differenziert besprechen
und sie nicht zu einem Schlaginstrument der politischenAuseinandersetzung machen. Dies wäre verfehlt.
Es ist wichtig, dass wir die Beziehungen im Geiste derdeutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung miteinan-der gestalten. Das ist in diesem Interview so nicht ge-schehen. Ich bedaure das. Ich bin aber sicher – das zeigtübrigens gerade die Debatte, die wir in diesen Tagen in derTschechischen Republik selbst haben –, dass genau daspassiert, was wir uns wünschen, nämlich dass in einemLand, das über 40 Jahre nicht die Möglichkeit hatte, sichoffen und frei mit dieser Geschichte auseinander zu set-zen, in dem viele noch nicht einmal die nötigen Informa-tionen hatten, in dem die Betroffenen nicht darüber redenkonnten, diese Debatte beginnt.Das ist ein großer Fortschritt. Auch diese durchausnicht glückliche Äußerung von Herrn Zeman befördertdiesen Diskussionsprozess. Ich freue mich, dass der Pro-zess vorankommt. Ich halte es für wichtig, dass wir ihnnicht dadurch behindern, dass wir, Frau Steinbach, mit ei-nem groben Klotz reagieren und dazu beitragen, die tsche-chische Gesellschaft zusammenzuschweißen, weil siesich insgesamt bedroht fühlt, und darüber hinaus, wie Siees in der Vergangenheit leider gemacht haben, solche Ei-gentumsfragen als Bedingungen für die Mitgliedschaft inder Europäischen Union im Erweiterungsprozess stellen.Hier muss klar sein, was der Bundeskanzler von An-fang an deutlich gesagt hat: Wir werden die Mitglied-schaft und den Erweiterungsprozess der EuropäischenUnion nicht mit bilateralen Fragen belasten. Dazu gehörtganz eindeutig diese Frage. Wir müssen dem Bundes-kanzler dankbar dafür sein, dass er das so klar ausgespro-chen hat.
– Es freut mich, Kollege Lamers, dass Sie das gesagt ha-ben. Ich weiß, dass das in Bezug auf Sie stimmt, aber ichweiß auch, dass das nicht für alle gilt.
Frau Steinbach wird Ihnen sagen können, wer ihre gegen-teilige Position geteilt hat.Wir sollten wirklich versuchen, den Dialog über dieGeschichte weiter voranzutreiben, und damit deutlich ma-chen, dass die Geschichte uns nicht belasten darf. Das istdas Wichtigste dieser Erklärung.Natürlich wäre es hilfreich – auch diesen Gedanken kannman durchaus aufgreifen –, wenn, wie es der tschechischeMinisterpräsident selber gesagt hat, diese Benes-Dekreteheute keine wirksamen Rechtsakte mehr begründen dürften.Genauso hilfreich wäre aber, wenn das tschechische Parla-ment dies einmal deutlich aussprechen würde.
Aber ich sage Ihnen gleichzeitig: Solche Fragen solltenwir auf der angemessenen freundschaftlichen Ebene inden Gremien, die wir dafür haben, besprechen, statt sie inAttacken unterzubringen, die sich dann so anhören müs-sen, als würden wieder alte Instrumente benutzt. Genaudas wollen wir nicht. Wir wollen es in Deutschland nichtund wir wollen die entsprechenden Geister auch in Öster-reich nicht bestärken. Das muss man ganz klar sagen und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002 20895
das ist am Anfang hier ausgesprochen worden. Das, wasHerr Haider mit dem Volksbegehren, auf das Zeman rea-giert hat, vorhat, ist der Versuch, den Erweiterungsprozessund die Mitgliedschaft Tschechiens in der EuropäischenUnion zu behindern. Dem müssen wir uns nun wahrhaf-tig mit aller Kraft und sehr deutlich entgegenstellen.
Ich kann uns alle nur aufrufen, Herrn Irmer folgenddiese Fragen eben nicht hoch zu hängen, sie nicht zu ei-nem Staatsakt zwischen den Staaten zu machen, sondernden gesellschaftlichen Dialog zwischen unseren beidenGesellschaften voranzutreiben, sodass wir den Aussöh-nungsprozess, der zuallererst in der Gesellschaft stattfin-den muss, weiter verfolgen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Erika Reinhardt für die CDU/CSU-Frak-
tion.
– Bei der CDU/CSU gab es einen Rednerinnen- und Red-
nertausch.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war am Ende desZweiten Weltkrieges dreizehn Jahre alt. Ich werde die Bil-der der Menschen, die vertrieben worden sind, nicht ver-gessen. Wie Sie wissen, wohnte ich an der Grenze zurTschechoslowakei in Österreich. Ich bin gebürtige Öster-reicherin. Es waren vor allem Frauen und Kinder, die in-nerhalb von zwei Stunden ihre Häuser und Wohnungenverlassen mussten. Sie wussten nicht, wohin.Die Vertreibung der Menschen aus ihrer Heimat, dieVertreibung der Sudetendeutschen, die bis zu diesem Zeit-punkt mit ihren tschechischen Nachbarn sehr gut zusam-mengelebt hatten – es gab keine Differenzen, Einzelfälleausgenommen –, ist Unrecht und eine Menschenrechts-verletzung.Trotz des Schmerzes über den Verlust der Heimat undtrotz des Unrechts und der Verbitterung ging von diesenMenschen ein Signal der Hoffnung, ein Zeichen des Frie-dens und der Versöhnung aus. In der Charta der Heimat-vertriebenen aus dem Jahre 1950 verzichteten die deut-schen Vertriebenen ausdrücklich auf Rache und Vergel-tung.Herr Außenminister, man hat das Gefühl, Sie langwei-len sich etwas bei dieser Debatte. Ich glaube, wir alle soll-ten sie etwas ernster nehmen.
Die Heimatvertriebenen verpflichteten sich zur Schaf-fung eines vereinten Europas. Sie haben einen der größ-ten Beiträge zum Frieden in Europa geleistet, indem siedie bestehenden Grenzen trotz der bitteren Erfahrungenachteten und mittrugen. Mit dieser Haltung haben diedeutschen Heimatvertriebenen dazu beigetragen, dass imZusammenwachsen von Europa das Wissen um die ge-schichtliche Wahrheit zu einer verbindenden Klammerund nicht zu einer feindlichen Mauer wurde.Meine Damen und Herren, wenn sich heute der tsche-chische Ministerpräsident Milos Zeman hinstellt und dieSudetendeutschen als Landesverräter beschimpft, dannübt er nicht nur Verrat am europäischen Geist der Versöh-nung und der Einigung, sondern stellt Menschen, die ausihrer Heimat vertrieben wurden, an den Rand von Verbre-chern. Das ist unerhört und zutiefst verletzend.
Herr Minister, ich habe in der heutigen Fragestunde dieAntwort Ihres Staatsministers, die Äußerung von HerrnZeman sei nicht weise, wirklich nicht nachvollziehenkönnen. Ich finde, sie war unerhört und er müsste eigent-lich von Ihrer Seite eine Rüge erteilt bekommen.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich der tschechischeMinisterpräsident gegen die Sudetendeutschen in tiefsterMissachtung geäußert hat. Wir haben das schon einmal er-lebt. Herr Zeman treibt damit einen Keil in das europä-ische Versöhnungswerk. Solange solche ehrverletzendenÄußerungen im Raume stehen, kann es keine Aufnahmeder Tschechischen Republik in die EU geben.
– Ja, liebe Kollegin, ich bin schon dieser Meinung; dennbeide Seiten müssen aufeinander zugehen. Es kann nichtsein, dass ein Ministerpräsident die Sudetendeutschen,die nichts verbrochen haben und die man aus seinemLande vertrieben hat, ununterbrochen beleidigt. Ichglaube, es ist notwendig, dass einmal ein versöhnendesWort aus dieser Richtung kommt und auch einmal eineEntschuldigung zu hören ist.
Deshalb fordere ich die Regierung auf – ja, HerrAußenminister, ich fordere Sie auf –, dem Ministerpräsi-denten nahe zu legen, dass er sich entschuldigt und dasser seine Aussage zurücknimmt; denn sie ist mehr als ehr-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Markus Meckel20896
verletzend. Es ist die moralische Pflicht einer deutschenRegierung, dies zu tun.Wer gewalttätig aus seiner Heimat vertrieben wurde,ist kein Landesverräter, sondern Opfer. Vertreibung istUnrecht – immer und überall. Vertreibung ist ein Verbre-chen und eine Menschenrechtsverletzung.Anfang Juli 2000 entschuldigte sich der Primas vonBöhmen im Beisein von 20 Bischöfen, des päpstlichenNuntius und zahlreicher Würdenträger für die Vertrei-bung. Die tschechische Jugendorganisation „Jugend fürinterkulturelle Verständigung“ hat den Stadtrat der mähri-schen Stadt Brünn aufgefordert, die ehemaligen deut-schen Bewohner der Stadt um Verzeihung zu bitten. Dassind Zeichen der Versöhnung. Daran sollte sich der Mi-nisterpräsident Milos Zeman messen lassen und daransollte er sich ein Beispiel nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, auch
Sie muss ich an Ihre Redezeit erinnern.
Wer ein einiges Europa
will, muss den Schutz ethnischer, nationaler und sprachli-
cher Minderheiten garantieren. Die Vertriebenen sind und
bleiben ein wichtiger Partner bei der europäischen Eini-
gung und der Verständigung mit unseren östlichen Nach-
barn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Bun-
desaußenminister Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kolle-gin, Sie täuschen sich völlig, wenn Sie meinen, dass ichmich gelangweilt hätte. Im Gegenteil: Als Sie persönlicheDinge angesprochen haben, habe ich an das Schicksalmeiner eigenen Familie gedacht. Es ist für die Debattedurchaus relevant. Meine Eltern waren in den Dreißigern,meine Schwestern waren vier bzw. neun Jahre alt – ichwar noch nicht auf der Welt –, als es 1946 nach 200 Jah-ren plötzlich hieß, die Heimat in Ungarn zu verlassen undin eine ungewisse Zukunft aufzubrechen.Meine Mutter hat mir viel über diese Zeit erzählt. Siehat mir über das Unrecht der Vertreibung und über vieleandere schlimme Dinge erzählt. Sie hat mir von den Pfeil-kreuzlern, den ungarischen Nazis, erzählt, bei denen vieleVolksdeutsche – aber bei weitem nicht alle – mitgemachthaben. Sie hat mir von dem Todesmarsch der letztenÜberlebenden des Budapester Gettos, die von der SSdurch ein Dorf am Stadtrand von Budapest Richtung Wes-ten getrieben wurden, erzählt. Sie hat mir also von einerTragödie erzählt, einer Tragödie, die sehr viele unschul-dige Menschen das Leben gekostet hat.Sie hat mir auch erzählt, dass die Verbrechen im Rah-men der Vertreibung hauptsächlich Unschuldige getroffenhaben, weil diejenigen, die sich schuldig gemacht haben,mit der Wehrmacht meistens über alle Berge waren. Vielevon ihnen sind hinterher nicht zur Rechenschaft gezogenworden. Manche von ihnen sind nach 1945 in den Ver-triebenenverbänden wieder aufgetaucht, was nicht heißensoll, dass in den Vertriebenenverbänden hauptsächlichehemalige Nazis waren.Ich selbst war als Kind oft auf Tagen der Heimatver-triebenen, der Donauschwaben. Ich kann heute sagen,dass das Verhältnis von Ungarn zu seinen ehemaligenBürgerinnen und Bürgern, zu den Donauschwaben, sehrgut ist –, gründend auf der Versöhnung und wissend umdie Vergangenheit und um die Verantwortung.Es ist nicht die Vergangenheit, mit der wir es heute zutun haben – auch wenn sie für die Gestaltung der Zukunftwichtig ist –, sondern es ist das gemeinsame Europa. Wenndiese Debatte einen Sinn macht, dann den, dass sie verge-genwärtigt, was die wirkliche Ursache für die europäischeIntegration ist, nämlich nicht, dass wir das Zeitalter derNationen überwinden – die werden fortexistieren –, son-dern dass wir das Zeitalter des Nationalismus überwinden.Diese Debatte zeigt, dass nationalistische Kräfte durchausauch heute wieder dabei sind, das europäische Einigungs-werk zumindest infrage zu stellen. Ich glaube, um es wirk-lich zu gefährden, sind sie zu schwach.
Lassen Sie mich ausführlich aus einer Drucksache desDeutschen Bundestages aus der 13. Wahlperiode zitieren,nämlich aus der Deutsch-Tschechischen Erklärung überdie gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Ent-wicklung. Das war noch unter Bundeskanzler Kohl. Dortheißt es:Die deutsche Seite bekennt sich zur VerantwortungDeutschlands für seine Rolle in einer historischenEntwicklung, die zum Münchner Abkommen von1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen ausdem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zurZerschlagung und Besetzung der Tschechoslowaki-schen Republik geführt hat.Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das demtschechischen Volk durch die nationalsozialistischenVerbrechen von Deutschen angetan worden ist. Diedeutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialisti-scher Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieserGewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.Die deutsche Seite ist sich auch bewusst, dass die na-tionalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber demtschechischen Volk dazu beigetragen hat, den Bodenfür Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussied-lung nach Kriegsende zu bereiten. ...Die tschechische Seite bedauert, dass durch die nachdem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangs-weise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der da-maligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Aus-bürgerung unschuldigen Menschen viel Leid undUnrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichtsdes kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Siebedauert insbesondere die Exzesse, die im Wider-
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Erika Reinhardt20897
spruch zu elementaren humanitären Grundsätzenund auch den damals geltenden rechtlichen Normengestanden haben, und bedauert darüber hinaus, dasses aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1946ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht wider-rechtlich anzusehen, und dass infolge dessen dieseTaten nicht bestraft wurden. ...Beide Seiten stimmen darin überein, dass das began-gene Unrecht der Vergangenheit angehört, und wer-den daher ihre Beziehungen auf die Zukunft ausrich-ten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischenKapitel ihrer Geschichte bewusst bleiben, sind sieentschlossen, in der Gestaltung ihrer Beziehungenweiterhin der Verständigung und dem gegenseitigenEinvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jedeSeite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und res-pektiert, dass die andere Seite eine andere Rechts-auffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, dasssie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheitherrührenden politischen und rechtlichen Fragen be-lasten werden.Ende des Zitats.
Ich möchte an alle appellieren – wenn ich sage, an alle,dann meine ich auch unsere tschechischen Partner –, dieszur Grundlage für die gemeinsame Zukunft in einem sicherweiternden, zusammenwachsenden Europa zu machen.Auf dieser Grundlage kann die Bundesregierung nichtden Vorwurf oder die These der Kollektivschuld akzep-tieren. Wo es keine Kollektivschuld gibt, kann es auchkeine Kollektivstrafen geben. Vertreibung und Enteig-nung wurden von uns immer als Unrecht begriffen.Dennoch, wir wissen um das Umfeld dieser Debatte.Ich freue mich, dass mein Kollege Jan Kavan, mit dem ichgestern gesprochen habe, heute ein – wie ich finde – sehrhilfreiches Interview in einer tschechischen Zeitung gege-ben hat, in dem er sich ebenfalls auf die Deutsch-Tschechi-sche Erklärung als die gemeinsame Grundlage der Zu-kunftsgestaltung bezieht. Insofern möchte ich an alle Seiten,auch an unsere tschechischen Partner, appellieren, dasswir uns auf die Zukunft konzentrieren. Die Erweiterungist die Zukunft.Es gibt einen Punkt, den ich nicht akzeptieren kann:Wir dürfen jetzt keine zusätzlichen Erweiterungshemm-nisse aufbauen.
Das kann und darf es nicht geben. Das sollten wir hier völ-lig klar machen.
– Es nützt auch gar nichts, wenn Sie hier permanent denNamen des tschechischen Ministerpräsidenten wiederho-len.Ich denke, die Reaktion der tschechischen Öffentlich-keit hat völlig klar gemacht, dass auch dort bestimmteÄußerungen durchaus kritisch gesehen werden. Auch dortgibt es eine europäische Orientierung. Deswegen ist füruns völlig klar: Wir wollen die sehr guten Beziehungenzwischen der Tschechischen Republik und der Bundesre-publik Deutschland, gründend auf der Deutsch-Tschechi-schen Erklärung, auf höchstem Niveau fortentwickeln.Wir arbeiten an der Osterweiterung der EuropäischenUnion, weil sie in Europa nicht mehr zulassen wird, dassaus dem Nationalismus Unheil und schlimme Tragödienentstehen. Das ist der Grundansatz der europäischen Inte-gration, die nach dem Ende des Kalten Krieges jetzt auchunsere östlichen Nachbarn umfassen wird.Wir wollen keine neuen Beitrittshemmnisse. Ich habeauch bei meinem Besuch in Österreich gesagt,
dass es keine neuen Beitrittshemmnisse geben darf unddass auch keine sozusagen ökologisch verbrämten Kam-pagnen gemacht werden dürfen,
die in Wirklichkeit nichts anderes bezwecken, als natio-nalistische Stimmungen gegen Nachbarn zu mobilisieren,um hier Beitrittshemmnisse aufzubauen. Davor kann ichnur alle warnen.In diesem Geiste und auf der klaren Grundlage derDeutsch-Tschechischen Erklärung und auf der Position,die ich gerade genannt habe, nämlich dass wir eine Kol-lektivschuld nicht akzeptieren können, dass sie historischnicht begründet ist, dass es auch Sudetendeutsche gab, dieWiderstand gegen Hitler geleistet, die loyal zur damaligenTschechoslowakischen Republik gestanden haben – hierwurden genügend Beispiele angeführt –, sind auch Kol-lektivstrafen nicht akzeptabel und können schon gar nichtschwerste Menschenrechtsverletzungen hinterher alsRecht bezeichnet werden. Das ist die gemeinsame Grund-lage der Deutsch-Tschechischen Erklärung. Dies gilt hier-für genauso wie für unsere fortwährende Verantwortungfür die Verbrechen Nazideutschlands.Wenn wir uns dieser gemeinsamen Verantwortung fürdie Zukunft bewusst sind, werden wir die anstehendenFragen partnerschaftlich lösen. Ich denke, das wird auchdie tschechische Seite so sehen. Mein Besuch anlässlichdes fünften Jahrestages der Verabschiedung der Deutsch-Tschechischen Erklärung im Februar wird hoffentlich dieletzten Irritationen ausräumen. Wir haben ein Interesse anguter Nachbarschaft und einer möglichst schnellenOsterweiterung. Unsere tschechischen Freunde sind unswillkommen.
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Bundesminister Joseph Fischer20898
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Christian Schmidt für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
In Niederbayern, wo der von mir vorhin in meinem Zwi-
schenruf, Frau Präsidentin, gebrauchte süddeutsche Aus-
druck einen Bedeutungswandel vom konkret Dinglichen
zum abstrakt Geistigen durchgemacht hat und besagt:
„Das ist unzutreffend“ denken die Grünen allerdings hin-
sichtlich Temelin etwas deutlicher als Sie, Herr Spitzen-
kandidat und Außenminister. Es entbehrt nicht einer
gewissen Delikatesse, dass der grüne deutsche Außen-
minister den Österreichern auszureden versucht, sich ge-
gen Temelin zu äußern.
Ich will durchaus würdigen, dass sich in Melk eine Lö-
sung angebahnt hat. Aber wenn ich den zum Teil erbitter-
ten Widerstand gegen Temelin – gerade im ostbayerischen
Grenzgebiet auch von Ihrer eigenen Partei – sehe,
würde ich dieses Thema nicht ohne weiteres nur einem
Menschen zuschreiben, der zugegebenermaßen damit
auch andere Ziele durchzusetzen versucht. Das Thema
muss ernsthaft diskutiert werden.
Allerdings halte ich es für falsch, dass man an diesem
oder an einem anderen Thema die Beitrittsfragen der Eu-
ropäischen Union in Bezug auf ein einzelnes Land neu
durchdekliniert. Es handelt sich um allgemeine Beitritts-
regeln. Diesem Missverständnis unterliegt offensichtlich
auch der jedenfalls nach diesen Äußerungen persönlich
nicht beitrittsfähige Herr Zeman. Gott sei Dank nehmen
wir nur Länder auf und keine Ministerpräsidenten mit
problematischen Äußerungen.
Wie beim europäischen Stabilitätspakt ist es nicht da-
mit getan, zu meinen, man rutsche in die Europäische
Union hinein und alle Fragen seien gelöst, ganz im Ge-
genteil: Dies wird ein politischer Stabilitätspakt auch in
die Zukunft hinein sein. Das macht es für mich gut be-
gründbar zu sagen: Ich nehme hier keine Position nach
dem Motto „Wenn nicht, dann nicht“ ein. Dies möchte ich
doch noch einmal an die Adresse der Kollegin Vollmer sa-
gen, die hier vollmundig argumentiert hat.
Die Beschlusslage der CDU in diesen Fragen kenne ich
relativ gut, die der CSU sehr gut, weil ich an ihr nicht un-
beteiligt bin. Ich kann Ihnen ganz klar sagen, dass man in
sehr abgewogener und differenzierter Form die Fragen
bespricht und sagt:
Wir werden, wenn Tschechien Mitglied der Europäischen
Union ist – dieses Recht werden wir uns und wird sich die
Europäische Union nehmen –, die Fragen anhand der eu-
ropäischen Rechtsstandards überprüfen.
Ich habe einen Kronzeugen, den ich gern zitieren
möchte. Diejenigen, die beim Gesprächsforum im Rah-
men der deutsch-tschechischen Arbeit dabei sind, werden
sich vielleicht noch daran erinnern, dass, als wir in Brünn
vor, ich glaube, zwei oder drei Jahren
zusammensaßen – Günter Verheugen war damals gerade
EU-Kommissar geworden und noch Kovorsitzender des
Gesprächsforums –, die tschechischen Partner in Anwe-
senheit des Präsidenten des tschechischen Verfassungs-
gerichtes darauf hingewiesen haben, dass die Rechts-
standards, auch was die fortwirkenden Rechtsfolgen der
Benes-Dekrete betrifft – es gibt ja solche nicht nur in
Grundstücks- und Statusfragen –, nach dem Maßstab der
europäischen „Hausordnung“ zu prüfen sind.
Das ist der Punkt, über den nicht ein deutscher, sondern
in der Tat vor allem ein innertschechischer Dialog geführt
werden muss. Es kann doch niemanden in Tschechien un-
berührt lassen, wenn der UN-Menschenrechtsausschuss
feststellt, dass die tschechische Gesetzgebung zu Rück-
gabe und Entschädigung konfiszierten Eigentums dem
Pakt über bürgerliche und politische Rechte widerspricht,
also völkerrechtswidrig ist.
Überträgt man diesen Punkt auf die europäische
„Hausordnung“, bedeutet das, dass man sich seiner selbst
bewusst werden muss. Dass wir dazu nur einen be-
schränkten Beitrag leisten können, weiß auch ich. Die
Diskussion, bei der erfreulicherweise gerade in den letz-
ten beiden Tagen – es gibt nichts Schlechtes, worin nicht
auch ein klein wenig Gutes ist – Töne angeschlagen wur-
den – in Tschechien selbst, ob in „Mlada Fronta dnes“,
von Herrn Dolezal oder auch vom Außenminister –, die
durchaus im Sinne der Erklärung sind, Herr Minister, die
auch unsere und meine Zustimmung haben – sie sind nicht
ganz unbeeinflusst von unseren Gedanken gewesen –,
bietet eine Basis für die Zukunft.
Wenn es irgendjemand gewesen wäre, hätte man es da-
mit abtun können. Wenn es aber der Ministerpräsident
dieses Landes ist, dann muss er sich schon gefallen lassen,
dass man ihm – ohne dass man sich vorhalten lassen muss,
man würde Ungeziemendes tun – bei diesen Fragen sagt:
Mein Lieber, sehr verehrte Exzellenz, so bist du für Eu-
ropa nicht reif! Es ist erfreulich, dass es in deinem Land
andere Gedanken gibt, die dein Land für Europa reif ma-
chen. So trägst du nicht dazu bei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Christoph Zöpel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir sind unshier einig: Kollektivschuld gibt es nicht. Das sage ich ge-gen jeden, der so etwas behauptet, und für jeden, dem soetwas zugemutet wird. Dieser Einsicht entspricht aber ein
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Zweites: Nachfolgende Generationen können sich nie ausder Geschichte des Staatsvolkes, zu dem sie gehören, frei-kaufen. Beides gilt. Die Verallgemeinerung dieser beidenErkenntnisse ist: Niemals gibt es nur Täter und niemalsgibt es nur Opfer.
Es gibt eine weitere Erkenntnis; mit ihr sollten wir mitselbstkritischer Nachsicht umgehen: Es ist einfacher, sichselbst an seine Opferrolle zu erinnern als an seine Täter-rolle. Das gilt auch für nachfolgende Generationen. Esgibt keinen Zweifel, dass sich viele Tschechen – auch Re-präsentanten des politischen Systems Tschechiens – auchnach 1989 schwer tun, die Täterrolle zu sehen. Aber auchDeutschland hat lange gebraucht, bis es die Entscheidungtraf, Zwangsarbeiter zu entschädigen. Auf beiden Seitengibt es das also.Ich habe seit zwei Jahren Gelegenheit, mich intensivermit dem Verhältnis der Tschechen und der Deutschen zubeschäftigen. Das Verhältnis der Polen und der Deutschenkannte ich aus meiner Biografie besser. Ich konnte vielzuhören und habe viel gelernt. Beispielhaft für Menschen,von denen ich gelernt habe, nenne ich Otto Pick undVolkmar Gabert.Aus dem, was ich von ihnen und anderen gelernt habe,ziehe ich folgende Konsequenzen: Wenn Tschechen undDeutsche aus dem immer noch vorhandenen Dilemma mitdem Verhältnis von Opfer- und Täterrolle nicht zurecht-kommen können – gemeinsam und einzeln –, dann machtes Sinn, dass sie nach den Gründen fragen, wann Staatenund Völker Opfer und wann sie Täter werden. Wenn wirdarüber nachdenken, kommen wir vielleicht zu anderenAnsätzen.Ich habe in manchen Diskussionen einen Gedanken fürtragfähig gehalten, den ich hier wiederholen möchte.Wenn wir beide sagen, dass es nicht Tschechen und Deut-sche waren, die sich teilweise gegenseitig Leid – das esnie hätte geben sollen – angetan haben, sondern dass esdie Situation war, in der sie durch Faschismus, Kommu-nismus und irregeleiteten Nationalismus dazu kamen, unddass es dies aufzuarbeiten gilt, anstatt abwegig in demVerhältnis zweier Völker herumzurühren, dann wäre dasein Fortschritt. Daraus kann man dann die positive Folge-rung ziehen: Die Demokratie und vor allem auch die Zu-sammenarbeit von Demokratien bieten die historischeForm, in der das vermieden wird. Wir versuchen, den Wegin die Europäische Union in Zukunft zusammen mit denTschechen zu gehen.Im Vorfeld – das ist für mich eine Konsequenz aus derDebatte, die zu Beginn dieser Woche mit den Äußerungendes tschechischen Premierministers begonnen hat – soll-ten wir unsere gemeinsamen Bemühungen beschleunigenund intensivieren und sollten danach streben, nachdemDeutschland – den Kontext sehe ich schon – in einem wei-teren Schritt, seine Täterrolle aufzuarbeiten, entschiedenhat, Zwangsarbeitern Genugtuung zukommen zu lassen– in der ganzen Relativität, die da ist – Deutschen, denenvon Tschechen Unrecht angetan wurde, über das Wort hi-naus – das Wort ist wichtig – Genugtuung zukommen zulassen. Das ist das eine. Das sollten wir intensivieren undbeschleunigen. Das ist für mich die Konsequenz aus dem,was Zeman gesagt hat.
Das Zweite ist dann aber: Tschechen und Deutschediskutieren bereits im Rahmen europäischer Innenpolitikmiteinander. Auch Tschechen und Österreicher undÖsterreicher und Deutsche tun dies. Meine letzten Worteergeben sich aus dem Sinn europäischer Innenpolitik.Regierungen müssen in der derzeitigen Verfassungskon-stitution Europas noch zwischen der Rolle der Diplo-matie und der Teilnahme am innenpolitischen und inner-europäischen Dialog teilweise hin- und herjonglieren,was nicht so einfach ist. Aber hier in der Parlamentsde-batte diskutiere ich als Teilnehmer an dem Diskurs euro-päischer Innenpolitik.In diesem Zusammenhang sage ich: Das Volksbe-gehren in Österreich verstößt – aus welchen Motiven auchimmer es angestoßen wurde – gegen das Ziel, die europä-ische Integration so schnell wie möglich zu schaffen.
Es wäre gut, wenn es alle Österreicher schaffen würden,das zu lassen. Die Worte von Zeman verstoßen gegen die-ses Ziel. Das sage ich hier sehr deutlich.
Ich hoffe, dass er dies in der innereuropäischen Diskus-sion selber sieht und es schafft, daraus einen positivenBeitrag wachsen zu lassen.Ich habe die Bitte an alle: Es macht keinen Sinn, auf ei-nen Fehler – aus welchen Motiven auch immer er gemachtwurde – in der eigenen Rede wieder einen weiteren Feh-ler folgen zu lassen. Die Debatte, die besagt, dass dieseWorte des tschechischen Premierministers signalisierenkönnten, Tschechien sei nicht bereit und fähig, in die Eu-ropäische Union zu kommen, hilft uns nicht weiter. DasGegenteil ist der Fall. Solche Situationen, Fehler, Patzerund Unweisheiten müssen eigentlich eher die Anstren-gungen beflügeln, nach der Aussöhnung im deutsch-fran-zösischen Verhältnis in den 50er-Jahren jetzt die Vollen-dung herbeizuführen. Verbundene Demokratien werdenes vermeiden, dass sich Völker, irregeleitet von totalitärenIdeologien, wieder Leid antun. Wenn wir Europäer sind,dann darf uns davon nichts, kein Haider – aus anderenMotiven – und kein Zeman, daran hindern.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner indieser Debatte ist der Kollege Karl Lamers für dieCDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 23. Januar 2002
Dr. Christoph Zöpel20900
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar, dass als letz-
ter Redner für die SPD-Fraktion der Kollege Zöpel ge-
sprochen hat. Ihr Beitrag, Herr Kollege Weisskirchen, war
wirklich problematisch.
Ich halte es für völlig unangebracht, denjenigen, die
auf diese unmöglichen Äußerungen von Zeman reagieren,
die Verantwortung für den eingetretenen Schaden zuzu-
schieben.
Sie, Herr Zöpel, haben heute in der Fragestunde – ich
bedanke mich dafür – die Reaktion der Sudetendeutschen
auf diese Äußerungen maßvoll genannt und sie begrüßt.
Das stimmt überhaupt nicht mit dem überein, was die
Kollegin Vollmer gesagt hat. Sie ist nicht mehr hier, sonst
würde ich ihr einiges sagen.
Ich habe den Eindruck, dass, nachdem sie seinerzeit
versucht hat, eine Vermittlerrolle zwischen den Vertriebe-
nen und den Tschechen einzunehmen, und sie nicht sofort
auf Händen getragen wurde, sie dies in eine persönliche
Verärgerung versetzt hat – um es ganz zurückhaltend zu
formulieren –, die schädlich ist, weil sie nämlich das be-
einträchtigt, worauf es jetzt ankommt. Es kommt doch
jetzt darauf an, dass die wirklich inakzeptablen Äuße-
rungen des tschechischen Ministerpräsidenten nicht dazu
geführt haben, dass in Tschechien eine Solidarisierung
mit ihm erfolgt, sondern ganz im Gegenteil dazu, dass
eine kritische Debatte über ihn geführt wird.
Seine Äußerungen waren für mich ein fataler Rückfall
in eine Denkweise, von der ich den Eindruck hatte, dass
sie allmählich in Tschechien überwunden wird. Dazu ha-
ben die Sudetendeutschen viel beigetragen. Denn entge-
gen der Äußerung von Herrn Zeman bei seinem ersten
Besuch in Bonn – seinem Treffen mit Bundeskanzler
Schröder – werden die Benes-Dekrete dort noch ange-
wandt. Die Sudetendeutschen haben das moniert, aber
keine große Sache daraus gemacht und schon gar nicht
gesagt: Das muss weg, bevor die Tschechische Republik
in die Europäische Union eintritt. – Deswegen sind auch
die Ermahnungen, keine neuen Hindernisse für die Mit-
gliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union aufzu-
bauen, an die verkehrte Adresse gerichtet, Herr Minister.
Das tut niemand. Ich darf Sie noch einmal daran erin-
nern, dass wir und der damalige CSU-Vorsitzende und
bayerische Ministerpräsident seinerzeit gesagt haben,
dass das keine Bedingungen für eine Mitgliedschaft
Tschechiens in der Europäischen Union sind. Wir möch-
ten das gerne weghaben, aber es sind keine Bedingungen.
In Wirklichkeit schafft Herr Zeman neue Schwierig-
keiten. Es kann doch kein Zweifel bestehen: Wenn er
diese Äußerungen vor dem Volksbegehren in Österreich
gemacht hätte, dann hätte es mindestens doppelt so viele
Stimmen für das Volksbegehren gegeben.
Wer also schafft die Bedingungen? Wer erschwert den
Beitritt Tschechiens?
Herr Minister, Sie haben lange aus der Deutsch-Tsche-
chischen Erklärung zitiert. Ich interpretiere das so, dass
Sie die Äußerungen von Herrn Zeman – gerade was das
Thema Kollektivschuld angeht – als im Widerspruch zu
der Deutsch-Tschechischen Erklärung stehend ansehen.
Ich hoffe, dass Sie das dann deutlicher sagen. Ich ver-
stehe, dass Sie sich als Mitglied der Regierung einer ge-
wissen Zurückhaltung befleißigen müssen. Aber bitte sa-
gen Sie Ihren Kollegen, dass Herr Zeman die Sache
irgendwie in Ordnung bringen muss.
So kann das nicht stehen bleiben,
und zwar ganz entscheidend deswegen, weil es nicht nur
im Widerspruch zu der Deutsch-Tschechischen Erklärung
steht, sondern auch zum europäischen Geist.
Was Herr Zeman betreibt, ist im Grunde schlimmster
Populismus – und zwar nationalistischer, also Rechts-
populismus. Das ist wirklich völlig unvereinbar; denn die
Grundvoraussetzung für die Mitgliedschaft in der Euro-
päischen Union ist die Abkehr vom Nationalismus. In-
sofern stimme ich dem Kollegen Schmidt ausdrücklich
zu. Tschechien – das glaube ich unverändert – ist reif für
die Mitgliedschaft, aber Herr Zeman nicht. Aber leider ist
Herr Zeman Ministerpräsident dieses Landes. Er leistet
seinem Land einen Bärendienst.
Die Diskussion in Tschechien, die zwar noch nicht so
weit ist wie die in Polen, die aber in den letzten zwei Jah-
ren beachtliche Fortschritte gemacht hat, muss dazu
führen – darauf sollten wir hinwirken –, dass solche Äuße-
rungen wie die von Herrn Zeman in Tschechien selbst
nicht mehr akzeptiert werden. Herr Minister, dazu kann
die Bundesregierung Entscheidendes beitragen. Sie muss
klar machen, dass so etwas auch von der deutschen Re-
gierung nicht toleriert wird.
Dann werden Sie die Diskussion in Tschechien in die rich-
tige Richtung bewegen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 24. Januar 2002,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.