Protokoll:
14195

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 195

  • date_rangeDatum: 18. Oktober 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:04 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Martin Mayer (Sie- gertsbrunn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18979 A Benennung der Abgeordneten Jörg Tauss und Thomas Rachel in den Senat des neu gebilde- ten Vereins „Hermann von Helmholtz-Gemein- schaft Deutscher Forschungszentren e. V.“ 18979 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 18979 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 10 d – 13, 14, 18, 22 a und b, 23 sowie 27 a . . . . . . . 18980 C Begrüßung des stellvertretenden Präsiden- ten des iranischen Parlaments, Herrn Jalil Sazegarnejad, und seiner Delegation . . . . . . 18985 A Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung: In- formelles Treffen des Europäischen Rates in Gent am 19. Oktober 2001 18980 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001 (Drucksachen 14/6146, 14/7172) . . . . 18980 C c) Bericht des Ausschusses für die Ange- legenheiten der Europäischen Union gemäß § 93 a Abs. 4 der Geschäftsord- nung zu den Unterrichtungen: Mittei- lung der Kommission über be- stimmte Modalitäten der Debatte über die Zukunft der Europäischen Union; Bericht über die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union (Drucksachen 14/6214 Nr. 3.2, 14/6395 Nr. 3.2, 14/6643) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18980 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Für den Er- folg des Stockholmer EU-Gipfels zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik (Drucksachen 14/5585, 14/6646) . . . . 18981 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Arbeitsdokument der Kommissions- dienststellen; Fortschritte bei den Aktionen von E-Europe (Drucksachen 14/5730 Nr. 2.23, 14/6708) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18981 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Vertrag von Nizza nachver- handeln (Drucksachen 14/6443, 14/7002) . . . . 18981 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 18981 C Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18985 A Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18987 D Dr. Helmut Haussmann FDP . . . . . . . . . . . . . 18991 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 18992 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18995 C Michael Roth (Heringen) SPD . . . . . . . . . . . 18997 A Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18999 B Plenarprotokoll 14/195 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 195. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 I n h a l t : Christian Sterzing BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19001 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 19003 A Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19004 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . 19004 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 19006 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 19008 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19010 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Volker Rühe, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU: Sicher- heit 21 – Was zur Bekämpfung des inter- nationalen Terrorismus jetzt zu tun ist (Drucksache 14/7065) . . . . . . . . . . . . . . . 19009 A Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19009 B Ute Vogt (Pforzheim) SPD . . . . . . . . . . . . . . 19013 A Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . 19014 C Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19015 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19016 A Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . 19016 C Wolfgang Wieland, Senator (Berlin) . . . . . . . 19017 C Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19018 D Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19019 B Ursula Mogg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19020 D Jörg Schönbohm, Minister (Brandenburg) . . . 19021 D Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 19023 D Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . 19024 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 19025 C Dr. Günther Beckstein, Staatsminister (Bayern) 19027 D Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . . . 19029 D Dr. Günther Beckstein, Staatsminister (Bayern) 19030 A Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 19030 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wahl eines Mitgliedes des Vertrauens- gremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bun- deshaushaltsordnung (Drucksache 14/7148) . . . . . . . . . . . . . . . 19031 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19036 D Tagesordnungspunkt 26: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Risiko- strukturausgleichs in der gesetzli- chen Krankenversicherung (Drucksachen 14/7123, 14/7168) . . . . 19032 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Fe- bruar 2000 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Demo- kratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka über die Förderung und den ge- genseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 14/7036) . . . . . . . . . . . . . 19032 B c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Juni 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik China über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wirtschaft, Indus- trie und Technik (Drucksache 14/7037) . . . . . . . . . . . . . 19032 B d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1997 über gegen- seitige Amtshilfe und Zusammen- arbeit der Zollverwaltungen (Drucksache 14/7038) . . . . . . . . . . . . . 19032 B e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. März 2001 zwischen der Bundes- republik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen (Drucksache 14/7039) . . . . . . . . . . . . . 19032 B f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. August 2000 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppel- besteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 14/7040) . . . . . . . . . . . . . 19032 C g) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. April 2001 zwischen der Bundes- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001II republik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteu- erung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amts- hilfe in Steuersachen (Drucksache 14/7041) . . . . . . . . . . . . 19032 C h) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. März 1996 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Demo- kratischen Volksrepublik Algerien über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen (Drucksache 14/7042) . . . . . . . . . . . . 19032 C i) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 23. Mai 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bot- suana über die Förderung und den ge- genseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 14/7043) . . . . . . . . . . . . 19032 D j) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Markenrechts- vertrag vom 27. Oktober 1994 (Drucksache 14/7044) . . . . . . . . . . . . 19032 D k) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 3. Dezember 1999 in Peking beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom 16. Sep- tember 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, und zu weiteren Anpassungen des Protokolls (Drucksache 14/7045) . . . . . . . . . . . . 19032 D l) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. April 2001 zwischen der Bundes- republik Deutschland und dem König- reich der Niederlande über soziale Sicherheit (Drucksache 14/7046) . . . . . . . . . . . . 19032 D m) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizeibehör- den und der Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten (Drucksache 14/7095) . . . . . . . . . . . . 19033 A n) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung besol- dungsrechtlicher Vorschriften (Sechstes Besoldungsänderungsgesetz) (Drucksache 14/7097) . . . . . . . . . . . . 19033 A o) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der PDS: Erbschaftsbesteuerung sofort refor- mieren (Drucksache 14/7109) . . . . . . . . . . . . 19033 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 26) Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Pflan- zenschutzrecht darf Existenz des deutschen Obst- und Gemüsebaus nicht gefährden (Drucksache 14/7141) . . . . . . . . . . . . . . . 19033 A Tagesordnungspunkt 27: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Statistik im Handel und Gast- gewerbe (Drucksachen 14/5813, 14/7152) . . . . 19033 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Ge- biet des geistigen Eigentums (Drucksachen 14/6203, 14/6449, 14/7140) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19033 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Eu- ropäischen Parlaments und des Ra- tes zur 24. Änderung der Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur Anglei- chung der Rechts- und Verwaltungs- vorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbrin- gens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitun- gen (Pentabromdiphenylether) (Drucksachen 14/5610 Nr. 2.35, 14/6626) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19033 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 III e) – j) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 298, 299, 300, 301, 302, 303 zu Petitionen (Drucksachen 14/7101, 14/7102, 14/7103, 14/7104, 14/7105, 14/7106) 19034 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr.: Haltung der Bun- desregierung zur Forderung der UNO- Hochkommissarin für Menschenrechte nach einer Pause der Luftangriffe auf Afghanistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19034 C Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 19034 D Johannes Pflug SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19035 D Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . . . . . 19037 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19037 D Ulrich Irmer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19038 C Dr. Hans Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . . 19039 D Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 19040 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19041 C Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19043 A Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19044 A Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19045 A Adelheid Tröscher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19046 A Werner Siemann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19047 A Tagesordnungspunkt 5: a) Zwischenbericht der Enquete-Kommis- sion „Globalisierung der Weltwirt- schaft – Herausforderungen und Antworten“ (Drucksache 14/6910) . . . . . . . . . . . . . 19048 A b) Antrag der Abgeordneten Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kristin Heyne, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Sicherung eines fairen und nachhaltigen Handels durch eine umfassende Welthandelsrunde (Drucksache 14/7143) . . . . . . . . . . . . . 19048 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Dr. Sigrid Skar- pelis-Sperk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Werner Schulz (Leipzig), Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Zugang der Zivil- gesellschaft zur WTO-Ministerkonfe- renz in Doha, Katar, gewährleisten (Drucksache 14/5805) . . . . . . . . . . . . . 19048 B d) Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Stär- kung des freien Welthandels durch neue WTO-Runde (Drucksache 14/5755) . . . . . . . . . . . . . 19048 B e) Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Neoliberale Glo- balisierung – kein Sachzwang (Drucksache 14/6889) . . . . . . . . . . . . . 19048 C f) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschaftsabkom- men vom 23. Juni 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (AKP- EP-Partnerschaftsabkommen) (Drucksache 14/7053) . . . . . . . . . . . . . 19048 C g) Große Anfrage der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ulrich Heinrich, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Aktuelle handelspolitische Fra- gen bei der Welthandelsorganisation (Drucksachen 14/4194, 14/5227) . . . . 19048 D Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . 19048 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19051 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19053 B Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19055 A Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19056 B Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19057 C Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19058 D Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19059 D Dagmar Schmidt (Meschede) SPD . . . . . . . . 19061 A Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19062 A Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker SPD . . . . . . 19063 B Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Gerald Weiß (Groß-Gerau), Karl-Josef Laumann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kapitalteilhabe stärken – Vermögensbildungsförderung altersvor- sorgegerecht ausbauen (Drucksache 14/6639) . . . . . . . . . . . . . . . 19065 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001IV Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 19065 B Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . 19066 D Dr. Hermann Otto Solms FDP . . . . . . . . . . . 19068 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19069 A Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19070 B Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19071 A Franz Romer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19072 B Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19073 B Tagesordnungspunkt 7: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Ab- geordneten Karin Rehbock-Zureich, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt- Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Bahnreform fort- führen und die Zukunft der Schiene in Deutschland sichern (Drucksachen 14/5665, 14/6425) . . . . 19074 D b) Große Anfrage der Abgeordneten Karin Rehbock-Zureich, Angelika Mertens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Bahnreform und Eisenbahnpolitik (Drucksachen 14/2551, 14/3682) . . . . 19074 D c) Große Anfrage der Abgeordneten Eduard Lintner, Dirk Fischer (Ham- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Aktuelle Eisenbahnpolitik (Drucksachen 14/4955, 14/6483) . . . . 19075 A d) Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Konsequente Tren- nung von Netz und Betrieb im deut- schen Schienenverkehr (Drucksache 14/6440) . . . . . . . . . . . . 19075 A e) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sofortmaßnah- men zur Stärkung des Schienenver- kehrs einleiten (Drucksache 14/6454) . . . . . . . . . . . . 19075 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS: Bau- und Betriebsordnung für regionale Ei- senbahnstrecken (Drucksachen 14/998, 14/6034) . . . . . 19075 B g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bay- reuth), Dr. Karlheinz Guttmacher, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Eisenbahnpolitische Reform- schritte zügig einleiten (Drucksachen 14/5666, 14/6421) . . . . 19075 B h) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung des Schienenpersonen- fernverkehrs (Bundesschienenperso- nenfernverkehrsgesetz) (Drucksachen 14/5662, 14/6498) . . . . 19075 C i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Gewährleistung des Schienenperso- nenfernverkehrs (Drucksachen 14/5451, 14/6498) . . . . 19075 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Günter Nooke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Konsequenter Ausbau der Schienen- wege – Erhöhung der Planungskapazitä- ten der Deutschen Bahn AG (Drucksache 14/7142) . . . . . . . . . . . . . . . 19075 D Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . 19076 A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . 19077 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19079 D Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . 19081 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 19083 A Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . 19084 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19085 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 V Kurt Bodewig, Bundesminister BMVBW . . . 19086 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19086 D Eduard Lintner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19089 A Klaus Hasenfratz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19090 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 19092 A Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Rainer Brüderle, Rainer Funke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ende der Exklusivlizenz für die Deutsche Post zum 31. De- zember 2002 (Drucksachen 14/5333, 14/6326) . . . . . 19094 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Drucksache 14/7093) . . . . . . . . . . . . . 19094 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19094 B Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 19095 B Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . 19096 B Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 19098 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19098 C Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU 19099 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 19100 D Tagesordnungspunkt 9: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (Arz- neimittelbudget-Ablösungsgegesetz) (Drucksachen 14/6309, 14/7170) . . . . 19101 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (Arz- neimittelbudget-Ablösungsgesetz) (Drucksachen 14/6880, 14/7170) . . . . 19101 C Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 19101 D Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 19103 D Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19106 B Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19107 B Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19108 A Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Wolfgang Börnsen (Böns- trup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für ein mo- dernes Wettbewerbs- und Kartell- recht in Europa (Drucksache 14/6634) . . . . . . . . . . . . . 19109 B b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht des Bundeskartellamts über seine Tätigkeit in den Jahren 1999/2000 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgaben- gebiet und Stellungnahme der Bun- desregierung (Drucksache 14/6300) . . . . . . . . . . . . . 19109 B c) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augs- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bundeskartellamt personell stärken (Drucksache 14/5575) . . . . . . . . . . . . . 19109 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19109 C Dr. Uwe Jens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19111 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 19113 A Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19113 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Helga Kühn- Mengel, Hildegard Wester, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Brustkrebs – Mehr Qualität bei Früherkennung, Versorgung und For- schung; für ein Mammographie-Scree- ning nach europäischen Leitlinien (Drucksache 14/6453) . . . . . . . . . . . . . . . 19114 B Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 19114 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 19116 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19118 C Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19119 C Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19120 B Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit zu dem Antrag der Abge- ordneten Ursula Burchardt, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001VI SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Nationale Nachhaltigkeitsstrategie (Drucksachen 14/4606, 14/6031) . . . . . . . 19121 A Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Abgeordneten Uwe Hiksch, Eva Bulling-Schröter, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung der Handwerksord- nung (Drucksache 14/6791) . . . . . . . . . . . . . . . 19121 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Bodo Seidenthal, Klaus Barthel (Starnberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: 6. Forschungsrahmen- programm 2002 bis 2006 – Europä- ische Forschung stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 6. Forschungsrahmenpro- gramm 2002 bis 2006: Transpa- renter und unbürokratischer gestal- ten – KMU besser einbeziehen – Europäische Energieforschung wei- ter ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mit dem 6. EU-Forschungsrahmenpro- gramm 2002 bis 2006 den europä- ischen Forschungsraum stärken – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Vorschlag für einen Be- schluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das mehrjährige Rahmenprogramm 2002 bis 2006 der Europäischen Gemeinschaft im Be- reich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des euro- päischen Forschungsraums – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das mehrjährige Rah- menprogramm 2002 bis 2006 der Eu- ropäischen Atomgemeinschaft im Bereich der Forschung und Ausbil- dung als Beitrag zur Verwirklichung des europäischen Forschungsraums (Drucksachen 14/6541, 14/6549, 14/6948, 14/6026 Nr. 2.28, 14/7173) . . . . . . . . . . . 19121 C Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postum- wandlungsgesetzes (Drucksache 14/7027) . . . . . . . . . . . . . . . 19122 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19122 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 19123A Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl eines Mit- gliedes des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung teilge- nommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19123 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung – des Zwischenberichts der Enquete-Kommis- sion „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“ – des Antrags: Sicherung eines fairen und nachhaltigen Handels durch eine umfas- sende Welthandelsrunde – des Antrags: Zugang der Zivilgesellschaft zur WTO-Ministerkonferenz in Doha, Ka- tar, gewährleisten – des Antrags: Stärkung des freien Welthan- dels durch neue WTO-Runde – des Antrags: Neoliberale Globalisierung – kein Sachzwang – des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Part- nerschaftsabkommen vom 23. Juni 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (AKP-EP- Partnerschaftsabkommen) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 VII – der Großen Anfrage: Aktuelle handelspoliti- sche Fragen bei der Welthandelsorganisation (Tagesordnungspunkt 5 a bis g) . . . . . . . . . . . 19126 A Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 19126 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Für ein modernes Wettbe- werbs- und Kartellrecht in Europa – der Unterrichtung: Bericht des Bundeskar- tellamts über seine Tätigkeit in den Jahren 1999/2000 sowie über die Lage und Ent- wicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung – des Antrags: Bundeskartellamt personell stärken (Tagesordnungspunkt 10 a bis c) . . . . . . . . . . . 19127 C Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19127 D Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 19128 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Nationale Nachhaltigkeitsstrategie (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . . . . 19129 C Ursula Burchardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19129 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 19130 B Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19132 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 19133 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 19134 A Hans Martin Bury, Staatsminister BK . . . . . . 19134 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung (Tagesordnungspunkt 13) 19135 B Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 19135 B Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . . . . . . . . 19136 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19136 D Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 19137 B Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19138 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts – zu dem Antrag: 6. Forschungsrahmen- programm 2002 bis 2006 (6. FRP) – Euro- päische Forschung stärken – zu dem Antrag: 6. Forschungsrahmen- programm 2002 bis 2006 (6. FRP): Trans- parenter und unbürokratischer gestal- ten – KMU besser einbeziehen – Europä- ische Energieforschung weiter ausbauen – zu dem Antrag: Mit dem 6. EU-For- schungsrahmenprogramm 2002 bis 2006 den europäischen Forschungsraum stärken – zu der Unterrichtung: Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das mehrjährige Rah- menprogramm 2002 bis 2006 der Euro- päischen Gemeinschaft im Bereich der For- schung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirkli- chung des europäischen Forschungsraums – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das mehrjährige Rahmenprogramm 2002 bis 2006 der Europäischen Atom- gemeinschaft (EURATOM) im Bereich der Forschung und Ausbildung als Beitrag zur Verwirklichung des europäischen For- schungsraums (Zusatztagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . 19140 A Erich Maaß (Wilhelmshaven) CDU/CSU . . . 19140 B Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19141 A Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19142 A Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19142 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- tär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19143 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postumwandlungsgesetzes (Tagesord- nungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19145 D Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 19145 D Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . 19146 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19147 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19147 D Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 19148 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001VIII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 Vizepräsidentin Anke Fuchs 19122 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 7 2) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19123 (C) (D) (A) (B) Andres, Gerd SPD 18.10.2001 Bernhardt, Otto CDU/CSU 18.10.2001 Bodewig, Kurt SPD 18.10.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 18.10.2001 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 18.10.2001* Klaus Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 18.10.2001 DIE GRÜNEN Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 18.10.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 18.10.2001 Peter Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 18.10.2001 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 18.10.2001 Häfner, Gerald BÜNDNIS 90/ 18.10.2001 DIE GRÜNEN Dr. Hendricks, Barbara SPD 18.10.2001 Janssen, Jann-Peter SPD 18.10.2001 Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 18.10.2001 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 18.10.2001 Lippmann, Heidi PDS 18.10.2001 Müller (Düsseldorf), SPD 18.10.2001 Michael Neumann (Bremen), CDU/CSU 18.10.2001 Bernd Nietan, Dietmar SPD 18.10.2001 Ostrowski, Christine PDS 18.10.2001 Pofalla, Ronald CDU/CSU 18.10.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 18.10.2001 Schloten, Dieter SPD 18.10.2001* Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 18.10.2001 Hans Peter Schultz (Everswinkel), SPD 18.10.2001 Reinhard Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 18.10.2001 Christian Simm, Erika SPD 18.10.2001 Dr. Spielmann, Margrit SPD 18.10.2001 Strebl, Matthäus CDU/CSU 18.10.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 18.10.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 18.10.2001 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 18.10.2001 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 18.10.2001 DIE GRÜNEN Türk, Jürgen FDP 18.10.2001 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 18.10.2001 Wimmer (Karlsruhe), SPD 18.10.2001 Brigitte Zierer, Benno CDU/CSU 18.10.2001* * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitgliedes des Vertrauens- gremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaus- haltsordnung teilgenommen haben entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht SPD Brigitte Adler Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel (Berlin) Klaus Barthel (Starnberg) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding (Heidelberg) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann (Detmold) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer (Homburg) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich (Mettmann) Harald Friese Anke Fuchs (Köln) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack (Extertal) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann (Chemnitz) Walter Hoffmann (Darmstadt) Iris Hoffmann (Wismar) Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung (Düsseldorf) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange (Backnang) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann (Bramsche) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel Riemann- Hanewinckel Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Birgit Roth (Speyer) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Horst Schmidbauer (Nürnberg) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Dr. Frank Schmidt (Weilburg) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt (Berg) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann (Delitzsch) Brigitte Schulte (Hameln) Volkmar Schultz (Köln) Ewald Schurer Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag- Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl (Amberg) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Ute Vogt (Pforzheim) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Jürgen Wieczorek (Böhlen) Helmut Wieczorek (Duisburg) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese (Hannover) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf (München) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Georg Brunnhuber Hartmut Büttner (Schönebeck) Dankward Buwitt Cajus Caesar Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119124 (C) (D) (A) (B) Peter H. Carstensen (Nordstrand) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer (Lübeck) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Manfred Grund Horst Günther (Duisburg) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link (Diepholz) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß (Wilhelmshaven) Erwin Marschewski (Recklinghausen) Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller (Jena) Elmar Müller (Kirchheim) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto (Erfurt) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard (Dresden) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch (Wiesbaden) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Dr. Christian Ruck Volker Rühe Anita Schäfer Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Bernd Schmidbauer Christian Schmidt (Fürth) Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) Andreas Schmidt (Mülheim) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Dr. h. c. Rudolf Seiters Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß (Emmendingen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Aribert Wolf Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann (Aurich) Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Hans-Josef Fell Andrea Fischer (Berlin) Rita Grießhaber Gerald Häfner Winfried Hermann Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt (Hitzhofen) Werner Schulz (Leipzig) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt) FDP Ina Albowitz Hildebrecht Braun (Augsburg) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich (Bayreuth) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther (Plauen) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Detlef Parr Cornelia Pieper Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19125 (C) (D) (A) (B) Anlage 3 Zu Protokoll gegegene Rede zur Beratung – des Zwischenberichts der Enquete-Kommission: „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforde- rungen und Antworten“ – des Antrags: Sicherung eines fairen und nachhalti- gen Handelns durch eine umfassende Welthandels- runde – des Antrags: Zugang der Zivilgesellschaft zur WTO-Ministerkonferenz in Doha, Katar, gewähr- leisten – des Antrags: Stärkung des freien Welthandels durch neue WTO-Runde – des Antrags: Neoliberale Globalisierung – kein Sachzwang – des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partner- schaftsabkommen vom 23. Juni 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean ei- nerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (AKP-EP-Part- nerschaftsabkommen) – der Großen Anfrage: Aktuelle handelspolitische Fragen bei der Welthandelsorganisation (Tagesordnungspunkt 5a bis g) Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: In drei Wochen wird die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorgani- sation WTO in Doha/Katar stattfinden. Deutschland setzt sich gemeinsam mit der Europäischen Union dafür ein, dass anlässlich dieser Konferenz eine neue umfassende Handelsrunde eingeleitet wird. Hieran hat die deutsche Wirtschaft ein vitales Interesse. Ein florierender Handel ist gerade in diesen Tagen konjunktureller Verlangsamung elementar für unser Land, in dem jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt. Außerdem kann die Konferenz nach den Terroranschlägen in den USA ein wichtiges Signal für politische Stabilität und wirtschaftliche Kontinuität aus- senden. Handel braucht verlässliche und klare Regeln, auf die sich die Wirtschaft verlassen kann. Dies gilt umso mehr, als sich der weltweite Handel in den letzten 50 Jahren versiebzehnfacht hat. Pro Stunde werden heute über 1 Mil- liarde US-Dollar an Waren und Dienstleistungen umge- setzt. Gerade für kleinere Handelspartner und Entwick- lungsländer sind klare und faire Regeln unverzichtbar. Gäbe es die WTO nicht, würde im Welthandel das Recht des Stärkeren gelten. Wir müssen ständig daran arbeiten, dieses Regelwerk weiterzuentwickeln und auf der Höhe der Zeit zu halten. Genau das wollen wir in Doha tun. Da- bei wollen wir möglichst viele der zahllosen noch beste- henden Handelshemmnisse abbauen. Das liegt im Inte- resse aller Unternehmen – sowohl in der entwickelten Weit als auch in den Entwicklungsländern. Wir wollen die internationalen Märkte für Dienstleis- tungen weiter öffnen. Damit könnten auch in Deutschland Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Ein Knackpunkt der Verhandlungen wird das Agrar- thema sein. Nach Berechnungen der WTO übersteigen die Subventionen der Industrieländer allein im Landwirt- schaftsbereich das jährliche Bruttoinlandsprodukt des ge- samten afrikanischen Kontinents. Die Entwicklungslän- der verlangen – ich meine, zu Recht –, dass die großen Agrarproduzenten – die EU, aber auch die USA und Ja- pan – sich hier bewegen. In gleichem Maße, wie ich davon überzeugt bin, dass weitere Liberalisierungsschritte allen Ländern zugute kommen können, denke ich, dass die Globalisierung, die zunehmende internationale Vernetzung und das Zusam- menwachsen der Weltregionen uns vor neue Aufgaben und Herausforderungen stellen. Diesen Herausforderun- gen müssen sich auch die Handelspolitik und die WTO stellen. Handelspolitik ist längst nicht mehr nur Zollpolitik. Handelspolitik muss zum einen auf neue wirtschaftliche Entwicklungen reagieren. Sie muss zum anderen aber zu- nehmend auch innenpolitische, zum Beispiel umwelt- und gesellschaftspolitische, Fragestellungen berücksichtigen. Deutschland und die EU fordern daher, dass die WTO sich den so genannten „Neuen Themen“ öffnet. Was angesichts der zunehmenden internationalen Ver- flechtung fehlt, sind international anerkannte Grundre- geln für Auslandsinvestitionen und den Schutz des Wett- bewerbs. Das Thema Handel und Umwelt muss aus unserer Sicht Gegenstand einer Handelsrunde werden. Wir möch- ten dabei klarstellen, dass Umweltschutz und freier Han- del keine Gegensätze sind, sondern sich im Sinne nach- haltiger Entwicklung gegenseitig ergänzen. Unter den neuen Themen besonders heikel ist schließ- lich die Frage, inwieweit sich die WTO mit den Zusam- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119126 (C) (D) (A) (B) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Guido Westerwelle PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller (Berlin) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert menhängen zwischen Handelsliberalisierung und der Ein- haltung sozialer Mindeststandards, insbesondere der so genannten Kernarbeitsnormen beschäftigen soll. Der Bundesregierung liegt der Schutz der grundlegenden Ar- beitnehmerrechte sehr am Herzen. Daher ist es uns nicht leicht gefallen, vor Seattle dem Kompromiss zuzustim- men, der als Verhandlungsziel im Mandat der Kommis- sion enthalten ist. Dieser Kompromiss sieht die Einrich- tung eines gemeinsamen Forums zwischen der ILO, der WTO und anderer betroffener internationaler Organisa- tionen vor, das sich mit den Wechselwirkungen von Han- del und sozialen Fragen beschäftigen soll. Gerade bei diesen beiden Themen, die politisch für uns so wichtig sind, ist der Gegenwind in der WTO am stärks- ten. Zahlreiche WTO-Mitgliedstaaten, darunter die USA, aber auch die Mehrheit der Entwicklungsländer, sind bis- her nicht von unseren Bemühungen zur Stärkung des Um- weltschutzes in der WTO überzeugt. Schwieriger noch ist die Lage beim Thema Sozialstandards. Fast alle Entwick- lungsländer lehnen bislang eine Erwähnung des Themas in der Ministererklärung von Doha ab. Wir müssen wei- terhin glaubhaft argumentieren, um unsere WTO-Partner davon zu überzeugen, dass hinter unseren umwelt- und sozialpolitischen Anliegen nicht die Gefahr protektionis- tischen Missbrauchs steckt . Neben der erwähnten wirtschaftlichen Interessenlage und den politischen Überlegungen zu den neuen Themen wird die bessere Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft ein dritter Aspekt von größter Bedeu- tung in der neuen Runde sein. Spätestens seit Seattle ist klar, dass das Zustandekommen einer Handelsrunde von der Zustimmung der Entwicklungsländer abhängt, die mit vier Fünftel die Mehrheit der WTO-Mitgliedstaaten stel- len. Wir setzen uns gemeinsam mit den anderen EU-Mit- gliedstaaten dafür ein, dass die berechtigten Interessen dieser Länder in Doha und im Rahmen einer Handels- runde Berücksichtigung finden. Zugeständnisse der Indus- trieländer bei den für Entwicklungsländer wichtigen The- men wie der Implementierung der Ergebnisse der Uruguay-Runde, dem Marktzugang in den Bereichen, in denen Entwicklungsländer wettbewerbsfähig sind (Textil, Agrar) und der Bereitschaft zur technischen Hilfeleistung sind der Schlüssel für eine erfolgreiche neue Runde. Die Demonstrationen in Seattle, Göteborg und Genua haben gezeigt, dass es erhebIiche Widerstände gegen eine ungebremste Globalisierung und deren negative Folgen gibt. Ich meine damit nicht die Auftritte derer, die politi- sche Demonstrationen zu Randalen und Gewalt miss- brauchen. Auch hat man manchmal den Eindruck, dass die WTO für alle Ungerechtigkeiten der Welt verantwort- lich gemacht wird. Sie ist aber nur ein – wenngleich wich- tiger – Aspekt des Globalisierungsprozesses. In den fried- lichen Protesten engagierter Globalisierungskritiker gibt es Argumente, die wir ernst nehmen und über die wir nachdenken müssen. Es dürfte mittlerweile Allgemeingut sein, dass Globa- lisierung sowohl Chancen als auch Risiken schafft. Es ist Aufgabe der Politik, die Chancen der Globalisierung zu entwickeln und die Risiken durch Nutzung unserer Ge- staltungsspielräume und geeignete Regeln zu minimieren. Für den Bereich des Welthandels versuchen wir das in Doha. Die Bundesregierung fühlt sich durch den Beschluss- antrag der Koalition in ihren Bemühungen bestätigt, bei der Ministerkonferenz in Katar auf der Basis des beste- henden Verhandlungsmandats eine neue Welthandels- runde einzuleiten. Ich habe Ihnen die Schwierigkeiten und Hindernisse, vor denen wir stehen, kurz geschildert. Die Bundesregierung wird sich in Doha dafür einsetzen, eine umfassende neue Runde, bestehend aus Liberalisierung, Regulierung und einer besseren Einbeziehung der Ent- wicklungsländer in die Weltwirtschaft zu erreichen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Für ein modernes Wettbewerbs- und Kartellrecht in Europa – der Unterrichtung: Bericht des Bundeskartellamts über seine Tätigkeit in den Jahren 1999/2000 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufga- bengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung – des Antrags: Bundeskartellamt personell stärken (Tagesordnungspunkt 10 a bis c) Ursula Lötzer (PDS): Mit den hier vorliegenden um- fangreichen Berichten rückt die Bewertung von Konzen- trationsprozessen und die „Vermachtung“ von Märkten heute Abend ins Zentrum unserer Diskussion. Und hier gibt es unterschiedliche Einschätzungen: Wir bezweifeln die Position der Monopolkommission und des Kartellam- tes, dass der Trend zur „Vermachtung“ der Märkte zwar zu beobachten ist, aber die Probleme noch nicht gänzlich sichtbar sind, durch die wachsenden Märkte in der Glo- balisierung sich relativieren würden und möglicherweise erst in der Zukunft eine Gefahr darstellen könnten. Ange- sichts des ständig steigenden Gewichts von Unternehmen aus den OECD-Staaten, die unter sich die heimischen als auch die internationalen Märkte über die meisten Bran- chen aufteilen, wäre zu fragen, ob der Zeitpunkt des Han- delns nicht schon längst überschritten ist. Es geht nicht nur um Megafusionen und große Unter- nehmen. Gerade die Abhängigkeit in Netzwerkstrukturen, die KMU an einen oder wenige große Unternehmen bin- den, wird zu wenig berücksichtigt. Hier kommt dann auch das vom Ifo-Institut im vergangenen Juni an Wirtschafts- minister Müller übergebene Gutachten zur Qualität der Datenbasis bei der Ermittlung des Konzentrationsgrades zu einem ernüchternden Ergebnis: Sie spiegele nur unzu- reichend die Veränderungen in den Unternehmens- und Konzernstrukturen wider! Besonders die mangelnde Kenntnis über die wachsenden kooperativen Verbindun- gen und Netzwerkstrukturen schränkt Aussagen zum tatsächlichen Konzentrationsgrad in fast allen Branchen deutlich ein. Die Monopolkommission stellt folglich fest, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19127 (C) (D) (A) (B) dass „die Ergebnisse der amtlichen Wirtschaftsstatistik systematisch irreführend sind“. Die Daten und das bishe- rige Verfahren wären empirisch nicht abgesichert und seien daher ungeeignet als Informations-, Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Zu Recht wird ein „Paradigmenwechsel der europäischen und der deutschen Wirtschaftsstatistik“ an- gemahnt, dem sich Deutschland bisher verschlossen hatte. Hier besteht ein dringender Nachholbedarf! Natürlich reicht eine bessere Datenbasis alleine nicht aus, wir würden jedoch etwas klarer sehen. Aber auch alle ordnungspolitischen Vorstellungen zur Herstellung besse- rer Rahmenbedingungen für den Wettbewerb und eine da- rauf abzielende Fusionskontrolle und sich abzeichnende Kartelle werden das Problem nicht lösen. Das den Be- richten und den Anträgen der CDU/CSU und der FDP- Fraktion unterliegende Bild des vollkommenen Wettbe- werbs als normale Marktform widerspricht der Realität. Denn kein Unternehmen betrachtet die Konkurrenzsitua- tion als wünschenswert. In der wirklichen Welt gibt es nun einmal Konzentration und es wäre letztlich politisch zu verhindern, das erstens die ökonomische Macht der Un- ternehmen wächst und zweitens die negativen sozialen Folgen für die Gesellschaft zunehmen. So sind zum Bei- spiel gerade die steigenden Kosten des technischen Fort- schritts bei hoher Kapitalintensität der Produktion ein zentraler Grund von Fusionen und der Konzentration. Es wäre deshalb zu fragen, welche Art von technischem Fort- schritt dadurch verhindert wird und welcher auch in „ver- machteten“ Strukturen befördert wird welcher gesell- schaftliche Bedarf dann eben nicht befriedigt wird, weil Mittel gebunden werden und für Übernahmen und Ratio- nalisierung eingesetzt werden und wie hier politisch ge- handelt werden müsste. Aber auch hinsichtlich der Stär- kung demokratischer und sozialer Teilhabe im konkreten Betrieb ist die Bundesregierung gefordert. Denn Folgen und Begleitumstände von Fusionen und der Konzentra- tion sind Entlassungen, dauerhafte Arbeitsplatzvernich- tung und Arbeitsverdichtung durch massive Rationalisie- rungen und der Abbau sozialer und tariflicher Leistungen und Schutzrechte: Alle Instrumente auf nationaler und eu- ropäischer Ebene sind zu stärken, die den Beschäftigten ihre sozialen Rechte sichern und im Zeitalter von Mega- fusionen auf die neuen Bedingungen reagieren können. Ein verbessertes Kartellrecht und eine effiziente Fusions- kontrolle helfen hier nicht weiter. Lassen sie mich abschließend auf die im Bericht des Kartellamtes enthaltene Stellungnahme der Bundesregie- rung hinsichtlich einer verbesserten internationalen Wett- bewerbspolitik eingehen. Das angestrebte multilaterale Regelwerk erscheint uns als problematisch. Wir meinen auch, dass eine multilaterale Vereinbarung notwendig ist. Aber die WTO ist nicht der geeignete Ort, um die Fragen von Wettbewerb und Investitionen zu regeln. Die Rege- lungen müssen an die Einhaltung international gültiger Sozial- und Umweltstandards, menschenrechtliche und demokratische Normen gebunden werden. Darüber hi- naus müssen sie mit entwicklungspolitischen und struk- turpolitischen Zielsetzungen verbunden werden. Das Re- gelwerk der WTO umfasst diese Regelwerke gerade nicht. Unabhängig davon sehen auch wir die Notwendigkeit, über die bisherigen bilateralen Abkommen und interna- tionalen Vereinbarungen hinauszukommen, um das beste- hende Problem der Konzentration zu minimieren. Inter- nationale Vereinbarungen über Mindeststandards des internationalen Wettbewerbsrechts, die parallel zum Aus- bau der bilateralen Zusammenarbeit geschlossen werden könnten, können dabei einen Beitrag zur Vermeidung von Durchsetzungskonflikten leisten, ohne dass eine Verwäs- serung des bereits erreichten Schutzniveaus – vor allem bei der Fusionskontrolle – zu befürchten wäre. Solche Vereinbarungen wären ein sinnvoller Zwischenschritt, so- lange kein multilaterales Regelwerk unter UN-Hoheit existiert. Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Das Wettbe- werbsprinzip ist der tragende Pfeiler unserer Wirtschafts- ordnung. Denn ein funktionsfähiger Wettbewerb ist der beste Garant für die Versorgung der Bevölkerung mit qua- litativ hochwertigen und preisgünstigen Produkten und Dienstleistungen. Die Bundesregierung ist daher dem Wettbewerbsprin- zip verpflichtet. Öffnung und Offenhaltung von Märkten gehren zu den zentralen Aufgaben ihrer Wettbewerbs- politik. Die Bundesregierung kann dabei durchaus eine erfolgreiche Bilanz vorlegen – entgegen mancher unbe- gründeter Vorurteile der Opposition. Die Marktöffnung der netzgebundenen Industrien, wie Telekommunikation, Strom und Gas wurde von der Bundesregierung fortge- führt und gesichert. Das Ergebnis ist eine außerordent- liche Entlastung für die deutschen Verbraucher und Un- ternehmen. Auf dem Telekommunikationsmarkt sind die Preise für Ferngespräche um bis zu 95 Prozent zurückgegangen. Auch der bislang geringe Wettbewerb ins Ortsnetz kann nun, nachdem die Anordnung der RegTP von den Gerich- ten gebilligt worden ist, rasch an Dynamik gewinnen. Damit wird der Wettbewerb zukünftig auf dem gesamten Telekommunikationsmarkt seine volle Wirkung entfalten. Bei der Öffnung der Energiemärkte gehört Deutsch- land inzwischen zu den Spitzenreitern in Europa. Bei uns ist der Energiemarkt zu 100 Prozent liberalisiert. Die deutschen Industriestrompreise sind um bis zu 50 Prozent zurückgegangen. Auch die Preise für Haushaltskunden wurden erheblich gesenkt. Die Marktöffnung im Bereich Gas ist ebenfalls erfolg- reich auf den Weg gebracht worden. Der Abschluss der zweiten Verbändevereinbarung Gas ist hierfür ein ganz entscheidender Schritt. Aber festzustellen ist auch: Der Wettbewerb ist noch nicht selbsttragend. Gerade in den kürzlich liberalisierten Wirtschaftszweigen ist kritische Wachsamkeit der Wett- bewerbsbehörden weiterhin unerlässlich. Die Bundesregierung sorgt dafür, dass die Wettbe- werbsbehörden ihre Aufgaben effektiv erfüllen können. Das Bundeskartellamt wurde personell verstärkt, trotz der bekannten allgemeinen Sparzwänge. Die Voraussetzun- gen für diese bedeutsame Verstärkung des Bundes- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119128 (C) (D) (A) (B) kartellamtes wurden übrigens geschaffen, lange bevor die FDP ihren Antrag vorgelegt hatte. Das Bundeskartellamt hat mit dem zusätzlichen Perso- nal eine neue Beschlussabteilung eingerichtet, die sich speziell mit Durchleitungsfällen im Strombereich befasst. Diese Abteilung ist schon jetzt voll arbeitsfähig. Sie hat soeben 22 Verfahren gegen Stromversorger wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Netznutzungsent- gelte eingeleitet. Mindestens ebenso viele Verfahren wer- den im Übrigen von den Landeskartellbehörden verfolgt. Auch im Bundesministerium für Wirtschaft und Tech- nologie ist eine spezielle Taskforce eingerichtet worden, die sich um rasche Lösungen bei Problemen des Netzzu- gangs bemühen wird. Darüber hinausgehend wird das gesetzliche Instru- mentarium der Wettbewerbsbehörden verbessert. So wer- den in Zukunft Durchleitungsverfügungen der Kartell- behörden im Energiebereich sofort vollziehbar sein. Damit wird der effektive Schutz des Wettbewerbs sicher- gestellt. Aber nicht nur im Bereich der leitungsgebundenen In- dustrien sichert die Bundesregierung den Wettbewerb. Sie hat auch für die Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung gesorgt. Damit kommt der Verbrau- cher uneingeschränkt in den Genuss des Preiswettbe- werbs. Es ist einfach eine Tatsache, dass die alte Bundes- regierung nicht die Kraft hatte, eine Liberalisierung des Rabattrechtes durchzusetzen. Noch ein Hinweis zum Antrag der Union zum europä- ischen Wettbewerbsrecht, in dem ich durchaus auch Ge- meinsamkeiten sehe: Vor allem darf es durch die Ein- führung des Systems der Legalausnahme nicht zu einer Einbuße an Wettbewerbsschutz kommen. Auch in Zu- kunft müssen die Mitgliedstaaten angemessen an der Fortentwicklung des europäischen Kartellrechts beteiligt werden. Aber über die Haltung der Union zum politischen Hauptthema kann ich mich nur wundern. Das ist die Frage des Verhältnisses von europäischem Wettbewerbsrecht zu nationalem Wettbewerbsrecht. Die Union unterstützt hier die ursprünglichen Pläne der Europäischen Kommission, das nationale Kartellrecht neben dem europäischen Kar- tellrecht nahezu vollständig auszuschalten. Für die Bundesregierung wäre eine Abschaffung des deutschen Wettbewerbsrechts untragbar. Das Kartellge- setz ist schließlich das Grundgesetz unserer Marktwirt- schaft. Auch der Bundesrat lehnt diesen Vorschlag der Kommission ab. Die Länder wollen das deutsche Wett- bewerbsrecht gegenüber dem europäischen Recht in sei- ner Eigenständigkeit bewahren und sogar wieder auswei- ten. Nur der Unionsantrag unterstützt kurzerhand eine Abschaffung des deutschen Wettbewerbsrechts. Mir ist unverständlich, wie eine Partei, die sich – zu Recht – das Subsidiaritätsprinzip auf die Fahnen ge- schrieben hat, eine solche Forderung gutheißen kann. Selbst die Europäische Kommission rückt mittlerweile von einer Abschaffung des nationalen Wettbewerbsrechts ab. Nur die CDU/CSU hat dies noch nicht zur Kenntnis genommen. Die Bundesregierung wird sich weiterhin für das deutsche Wettbewerbsrecht und den Schutz des Wett- bewerbs in Deutschland einsetzen. Es wäre gut, wenn sie das gesamte Parlament in diesem – sicherlich nicht leich- ten – Bemühen unterstützen würde. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Nationale Nachhaltig- keitsstrategie (Tagesordnungspunkt 12) Ursula Burchardt (SPD): Seit dem 11. September werde ich immer wieder gefragt: Hat sich die politische Tagesordnung nicht fundamental geändert? Ist dies ei- gentlich noch die Zeit für das Thema Nachhaltigkeit? Ich sage entschieden: Ja wann, wenn nicht jetzt? Gerade jetzt ist das Leitbild aktueller denn je. Denn es zielt auf die Be- seitigung der Schattenseiten der Globalisierung: die Mar- ginalisierung ganzer Weltregionen und einer millionenfa- chen Perspektivlosigkeit, die den Humus bildet für Fanatismus und Terror. Um jedes Missverständnis auszuschließen: Terror ist durch gar nichts zu entschuldigen; die Schuldigen müssen bestraft, die kriminellen Strukturen zerschlagen werden – und das geht nicht nur mit friedlichen Mitteln. Aber ge- rade weil es jetzt darum geht, die Zivilisation, die Men- schenrechte als universellen Wert zu verteidigen, ist kurz- fristiger Aktionismus fehl am Platze, braucht die Welt eine langfristige politische Gestaltungsperspektive. Die strategische Utopie einer nachhaltigen Entwick- lung bietet diese Perspektive. Sie ist die politische Ant- wort auf die Fehlentwicklungen der ungehemmten Glo- balisierung von Kapital und Märkten. Zudem ist es eine genuin europäische Antwort: Denn es geht um die Werte der Aufklärung, die es durchzusetzen gilt. Und in diesem Sinne ist nachhaltige Entwicklung zu verstehen als neuer Aufbruch aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Ange- wandte Aufklärung heißt: alle kurzfristigen ökonomi- schen, technologischen oder sonstigen Sachzwänge in- frage stellen und die Zukunft der Menschheit nicht anonymen Kräften überlassen, sondern unser Wissen an- zuwenden, um sie zu gestalten. Wir verfügen über genü- gend Wissen, was zu tun ist, die Agenda 21 ist als Hand- lungsprogramm zu lesen. Jede Veränderung beginnt im Kopf und das heißt für uns im reicheren Teil der Welt: Abschied nehmen vom bisherigen Wachstums- und Fortschrittsmodell. Als Fort- schritt kann nur noch das gelten, was im globalen Maß- stab sozial- und umweltverträglich ist. Nachhaltigkeit ist ein umfassender und komplexer Such- und Lernprozess, an dem Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich beteiligen müssen. Die Bundesregierung hat das beherzigt und deshalb begonnen, diesen Prozess zu organisieren. Sie hat nicht nur wichtige Empfehlungen der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ aufgegriffen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19129 (C) (D) (A) (B) sondern auch bereits wichtige Forderungen der Entschlie- ßung umgesetzt, die wir heute debattieren: Die Einrich- tung eines interministeriellen Staatssekretärsausschusses ist ein durchaus ambitionierter Ansatz: denn nun müssen die Bürokratien ihre Lernfähigkeit unter Beweis stellen und zeigen, dass sie aus dem alten sektoralen Denken aus- brechen und neue Formen der Zusammenarbeit zur Erfül- lung politischer Zielvorgaben eingehen können. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung – auch das werte ich als Er- folg unserer Antragsinitiative – hat angekündigt, konkrete quantitative Ziele und Indikatoren für die Nachhaltig- keitsstrategie vorzuschlagen. Und das Spektrum der The- menfelder, die in einer ersten Runde mit Vorrang behan- delt werden, wurde auf unsere Anregung hin um den Bereich Umwelt, Ernährung, Landwirtschaft erweitert. Als Parlament sind wir seit Jahren Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Wir haben in zwei Enquete-Kommissio- nen und zahlreichen Vorlagen die Grundlagen für die Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet. Nun kommt es darauf an, den Such- und Lernprozess auch auf parlamentari- scher Ebene zu organisieren. Lassen sie uns eine institu- tionelle Innovation wagen! Lassen sie uns nachdenken über eine Konstruktion, die – losgelöst von tagespoliti- schen Zwängen – eine interaktive, ressortübergreifende Behandlung von Langzeit- und Querschnittsfragen im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung ermöglicht. Vor- arbeiten hierzu gibt es im parlamentarischen Raum. Die sollten wir nutzen. So hat Herr Professor Zeh, unser pro- filierter Parlamentsjurist, eine Expertise dazu erstellt. Das Büro für Technikfolgenabschätzung untersucht derzeit, wie Langzeit- und Querschnittsfragen von Regierungen und Parlamenten in anderen europäischen Ländern bear- beitet werden. Ich lade alle ein, dies als einen nächsten notwendigen Schritt anzugehen und damit unserem Anspruch als Weg- bereiter auch in Zukunft gerecht zu werden. Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Die in Rio verabschiedete Agenda 21 fordert alle Unterzeich- nerstaaten auf, eine „nationale Strategie nachhaltiger Ent- wicklung“ zu formulieren, die nach dem Beschluss der UN-Sondervollversammlung vom Juni 1997 in New York bis spätestens 2002 fertig gestellt sein soll. Im März 2000 stellte der Sachverständigenrat für Um- weltfragen fest, dass Deutschland – einst Vorreiter – heute zu den Nachzüglern dieser Entwicklung gehört – ein ver- nichtendes Urteil, das zu Recht getroffen wurde. Denn außer der Festlegung im Koalitionsvertrag von 1998, dass man eine nationale Strategie entwickeln wolle, hat die rot- grüne Bundesregierung eher durch nachhaltigen Schlaf geglänzt. Nach dem Urteil des Sachverständigenrates dauerte es weitere vier Monate, bis im Juli 2000 per Kabinettsbe- schluss ein Staatssekretärsausschuss gebildet wurde. Es dauerte noch bis zum Februar dieses Jahres zur Berufung eines Nachhaltigkeitsrates, der sich dann immerhin im April konstituierte. Summa summarum sind fast drei wertvolle Jahre mit Nichtstun vergeudet worden. Eine ähnliche Negativbilanz haben auch die Koali- tionsfraktionen aufzuweisen: Wir beraten heute ab- schließend einen Antrag zur nationalen Nachhaltigkeits- strategie, für dessen Konzipierung sich die Koalitions- fraktionen immerhin zwei Jahre, das heißt bis zum No- vember vergangenen Jahres, Zeit gelassen haben. Inhalt- lich bietet dieser Antrag neben dem Aufguss der bereits in der Agenda 21 aufgestellten Forderungen das Hohelied auf die Arbeit und die Erfolge der Bundesregierung. Letz- teres ist nicht nur legitim, sondern bei Rot-Grün eine Pflichtübung, um zeitliche Verzögerungen und Fehlent- wicklungen seitens der Bundesregierung zu decken. Dazu stelle ich fest: Bis heute hat die Bundesregierung keine nationale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt. Es ist mehr als fraglich, ob und in welcher Form dies – quasi im Schweinsgalopp – bis zum Weltnachhaltigkeitsgipfel „Rio+10“ im nächsten Jahr in Johannesburg noch er- reichbar ist. Eine nationale Strategie kann nicht allein auf der Ebene der Bundesregierung und eines von ihr berufe- nen Rates entwickelt werden. Hier muss auch das Parla- ment beteiligt werden. So sah es auch eine gemeinsame Beschlussfassung vom 23. Juni 1999 vor, die nunmehr schlicht ignoriert wird. Weder der so genannte Atomaus- stieg noch das, was rot-grüne Energie- und Klimaschutz- politik bislang auszeichnet, kann als wichtige oder gar richtige Weichenstellung für nachhaltige Entwicklung festgehalten werden. Die Wirkung ist geradezu kontra- produktiv. Die Festlegung auf zwei zentrale Themenfel- der – „Klimaschutz und Energiepolitik“ und „umwelt- schonende Mobilität“ – ist einseitig und wird den Anforderungen nachhaltiger Entwicklung nicht gerecht. Gerade letzterer Aspekt macht einmal mehr deutlich, dass von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktio- nen der Begriff der Nachhaltigkeit reduziert auf den Erhalt der natürlichen Ressourcen einschließlich der Um- welt bezogen wird. Im Verständnis der Brundtland-Kom- mission wie auch der Rio-Deklarationen beinhaltet das „Leitbild der nachhaltigen Entwicklung“ jedoch die bei- den Forderungen einerseits nach schonender Nutzung und Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und ande- rerseits nach weiterer wirtschaftlicher und sozialer Ent- wicklung. Eine erweiterte Sicht von Nachhaltigkeit, die neben den natürlichen Lebensgrundlagen auch ökonomische, soziale und kulturelle Werte als Ressourcen in den Blick nimmt, die in ihrer Gesamtheit die Basis für die Befriedi- gung von Bedürfnissen sind, ist von der Enquete-Kom- mission des 12. Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“ formuliert worden. Dieses Drei-Säulen-Konzept beinhaltet die integrative und gleichberechtigte Berücksichtigung ökonomischer, öko- logischer und sozialer Belange. Die Verknüpfungen und Wechselwirkungen zwischen diesen drei Faktoren müs- sen für die Operationalisierung von Nachhaltigkeit vor- rangige Berücksichtigung finden. Wirtschaft ist die Gesamtheit aller Einrichtungen und Tätigkeiten zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse an Gütern und Dienstleistungen. Dies impliziert vor allem auch die Befriedigung des zentralen menschlichen Be- dürfnisses, das eigene Überleben im angemessenen Wohl- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119130 (C) (D) (A) (B) stand, auch für die nachfolgenden Generationen, zu si- chern. Dabei schaffen Wirtschaftsordnungen den Rahmen für die Mechanismen und legen Prinzipien fest, mit denen entsprechend dem ökologischen Prinzip die Nutzung knapper Ressourcen für die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen minimiert werden soll. In diesem Sinne bedeutet ökonomische Effizienz auch Ressourcen- nutzungseffizienz, wenn alle knappen Ressourcen und Vollkosten – einschließlich der Umwelt – in das Wirt- schaften einbezogen werden. Ökonomische Effizienz ist deshalb ein zentrales Prinzip für die Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung. Als Wirtschaftsprinzip leistungsfähig ist eine „ökolo- gisch orientierte soziale Marktwirtschaft“ als weltwirt- schaftliches, regionales und nationales Steuerungssystem. Es ermöglicht die Integration ökologisch-ökonomischer Prozesse. In einer vernetzten Weise beinhaltet es die not- wendige Flexibilität und Variabilität, um hochkomplexe Lösungen zu ermöglichen. Das verlangt ein innovatives Instrumentarium. Dazu gehören in erster Linie: ein wirtschaftlicher Anreiz, also fördern statt strafen: Steuerung über steuerliche Förde- rung, über Anreize; nicht über zusätzliche Steuern – Öko- steuer –, Abgaben oder sonstige Belastungen. Bei einer Neuorientierung oder Umstrukturierung der Steuerung über Preise und Gebühren ist es erforderlich, dass an an- derer Stelle Kompensation geleistet wird, um die volks- wirtschaftliche oder sektorale Belastung nicht zu er- höhen; die Selbstverpflichtung: die Einigung des Staates mit Institutionen/Unternehmen über Ziele; die Wege über die Erreichung der Ziele liegen bei den Vertragspartnern; Zertifikate – nur nach sorgfältiger Prüfung –; Konventio- nen, internationale Vereinbarungen im globalen Bereich; Protokolle, Konventionen, Vereinbarungen von Instru- menten wie Clean Development Mechanism oder Joint Implementation; Ordnungsrecht – national wie internatio- nal – nur bei praktikablen Lösungen und nur, wenn andere Instrumente nicht geeignet sind. Handlungsprioritäten müssen auf Themen und Felder konzentriert werden, in denen in Deutschland die deut- lichsten Abweichungen von einem nachhaltigen Entwick- lungspfad festzustellen sind. Dazu zählen vorrangig: der Schutz des Klimas: Die Reduzierung von CO2-Emissio- nen um 25 Prozent bis 2005 auf der Basis von 1990 sowie die Minderung der übrigen Treibhausgasemissionen las- sen sich nicht im Verordnungsweg über zulässige Mengen von Treibhausgasemissionen für jeden Anlagentyp oder jedes Produkt festlegen. Vielmehr notwendig ist unter an- derem die Steigerung von Effizienz im Umgang mit fos- silen Energieträgern zu erreichen; CO2-Minderungs- potenziale liegen vor allem im Gebäudebereich und Verkehrsbereich; die Option auf alle verfügbaren Ener- gieträger und -technologien offen zu halten. Nur so und nicht durch Ausschluss kann nationale Energiepolitik zum Klimaschutz und zur Sicherung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen beitragen. In den Eckpunkten zur Energiepolitik setzt die CDU/CSU-Fraktion auf eine integrierte ökologisch-öko- nomische Optimierung, das heißt darauf, knappes Kapital möglichst dort zu investieren, wo es ökologisch den größten Nutzen bringt, beispielsweise im Altbaubestand durch Abschreibungsmaßnahmen das Energiesparen im Gebäudebereich zu forcieren. Dazu bedarf es der Fort- führung und Erweiterung der bewährten Zinsverbilli- gungsprogramme der KfW und/oder direkter Zuschüsse für Wärmeschutzmaßnahmen im Gebäudebereich, der Wiedereinführung des ehemaligen Paragraphen 82 a EstDV, der Abschreibungen bei Wärmeschutzmaß- nahmen im Bestand ermöglicht, der Bildung von zweckgebundenen steuerfreien Rücklagen für Energie- sparmaßnahmen, der steuerlichen Absetzbarkeit von Energieeinsparmaßnahmen bei der Erbschaftsteuer. Umweltschonende Mobilität: Von immenser Bedeu- tung für die Energieeinsparung ist auch der Verkehrs- sektor. Unter Ausnutzung einer verbesserten Verkehrs- infrastruktur und Fortführung einer technologisch anspruchsvollen Motorenentwicklung bestehen trotz der zu erwartenden Zuwachszahlen im Straßen-, Personen- und Güterverkehr erhebliche CO2-Einsparpotenziale. Diese werden aber nicht in der Verringerung des Verkehrs gesucht, denn Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Men- schen und unabdingbare Voraussetzung der Produktivität der Volkswirtschaft. Die CDU/CSU hat in ihrer Mobilitätsoffensive deshalb ein deutliches Bekenntnis zur Förderung von Mobilität abgegeben und eine Reihe von Forderungen für eine nachhaltige Entwicklung aufgestellt: entschiedenere Nutzung neuer Technologien und konsequentere Anwen- dungen der Verkehrstelematik zur effizienteren Aus- nutzung der vorhandenen Infrastruktur und zur umwelt- freundlicheren Gestaltung von Mobilität; mehr Mittel für die Infrastruktur von Straße, Schiene und Wasserstraße mit der Folge von ökologisch sinnvoller Stauminderung auf der Straße und Attraktivitätssteigerung der ökologisch wertvollen Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße; Er- weiterung der Flughafenkapazitäten unter anderem zur Vermeidung von Warteschleifen und damit Senkung des Kerosinverbrauchs. Zur Ressourcenschonung: Die Bereitstellung und die Nutzung von Gütern und Dienstleistungen geht einher mit dem Verbrauch von natürlichen Ressourcen wie zum Beispiel Energie, erneuerbaren und nicht erneuerbaren Rohstoffen, Wasser und Boden, aber auch von mensch- licher Arbeit und Kapital. Dabei schmälert insbesondere der heutige Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen die Entwicklungschancen künftiger Generationen. Nach- haltige Entwicklung erfordert daher eine substanzielle Verminderung des Ressourcenverbrauchs durch eine Ver- ringerung des Energieverbrauchs sowohl im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Energie für künftige Generationen als auch unter dem Blickwinkel des Klimaschutzes. Viele Maßnahmen für eine umweltschonende Mobilität kom- men beispielsweise der Schonung von Energieressourcen wie auch anderer Rohstoffe zugute; durch eine Ver- ringerung des Flächenverbrauchs aus Gründen des Schutzes des Naturhaushaltes und insbesondere der bio- logischen Vielfalt. Maßnahmen zur Verminderung von Schadstoffemissionen vermeiden die Belastung der Ressourcen Boden und Wasser und sichern damit deren Verfügbarkeit. Schließlich nenne ich die Förderung nach- haltigen Verbraucherverhaltens durch Information und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19131 (C) (D) (A) (B) indirekte Anreizmechanismen, die am Preis als dem in der Regel wichtigsten Entscheidungskriterium beim Kauf ansetzen. Schutz des Naturhaushaltes: Sicherung und Förderung der Funktionen von Flächen bzw. Landschaften als Lebensgrundlage und Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen und zur Erhaltung der biologischen Vielfalt – genetische sowie Arten- und Lebensraum- vielfalt – durch Sicherung und Entwicklung natürlicher und naturnaher Flächen, zum Beispiel durch optimierten Einsatz von Finanzmitteln zur Förderung ökologischer Leistungen, Erhaltung und Wiederherstellung von Über- schwemmungsbereichen; durch eine Trendwende bei Flächeninanspruchnahme, zum Beispiel im Verkehrsbe- reich durch Bündelung von Verkehrswegen und – außer in den neuen Bundesländern – „Ausbau vor Neubau“, Altlastensanierung, die Neuausweisungen „auf der grü- nen Wiese“ verringert, Vorrang der Innenverdichtung gegenüber der Ausweisung neuer Bauflächen im Außen- bereich; durch Verwirklichung umweltschonender Flä- chennutzung, zum Beispiel durch effiziente Förderung umweltschonender Bewirtschaftungsmethoden, Honorie- rung besonderer ökologischer Leistungen der Landwirt- schaft, schließlich durch Reduzierung von Schadstoff- emissionen in Wasser und Boden. Schutz der menschlichen Gesundheit: Trotz erreichtem hohen Schutzniveau können Umweltfaktoren für sich allein oder zusammen mit anderen Faktoren zur Entste- hung oder Verstärkung von Krankheiten beitragen. Sie können Ursache von Allergien, Asthma sowie Atemwegs-, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch von Krebs sein. Ebenfalls diskutiert werden Störungen des Nerven- und Hormonsystems, wobei der wissenschaftliche Kenntnis- stand noch lückenhaft ist. Handlungsfelder sind unter anderem die Verbesserung der Grundlagen für den gesellschaftlichen Umgang mit Risiken durch Entwicklung einer umfassenden Risiko- managementstrategie, die Verminderung von Lärmbeläs- tigungen durch Straßen- und Schienenverkehr, Fluglärm, Industrie, Baustellen und Geräte, ferner die weitere Re- duzierung von Schadstoffemissionen. Bei einer nachhaltigen Entwicklung sind vor allem auch globale Aspekte und Herausforderungen zu beachten. Reale Herausforderungen lauten: Die Entwicklungsländer leiden vielfach nicht an der In- tegration in den Welthandel, sondern am Ausschluss von ihm. Gerade die EU hat im Bereich Zutritt zum Agrar- markt wesentliche Hausaufgaben noch nicht gemacht. Versprechungen von Rio in Sachen Entwicklungshilfe wurden nicht geleistet. Solange dies nicht geändert wird, vor allem im Bereich „Market Access“, wird es keinen wirklichen Fortschritt mit den G 77 geben. Sichere Rahmenbedingungen für Investitionen sind Grundvoraussetzungen für mehr Wohlstand in Entwick- lungsländern. „Good Governance“ ist eine wichtige Forderung der Industrie an die Entwicklungsländer, vom Schutz vor Verstaatlichung bis zur Korruptionsbekämp- fung. Aber: Fortschritt ist hier nur dann zu erwarten, wenn die oben genannten Defizite aufseiten der Industrieländer überwunden werden. International wird gerade in Deutschland mehr „Global Governance“ für den Umweltschutz gefordert. Dies ist per se richtig: Die wachsende Zahl an internationalen Kon- ventionen muss besser koordiniert werden. Streitschlich- tungsmechanismen und der institutionelle Dialog zwi- schen Institutionen wie WTO, ILO und ENEP sind wichtig. Aber: Hierbei darf es keine „ökologische Ein- bahnstraße“ und einen pauschalen Vorrang ökologischer Regeln geben. Derartige Forderungen sind kontraproduk- tiv, nicht zuletzt weil sie von der Mehrheit der Entwick- lungsländer strikt abgelehnt werden. Deutschland ist daher gefordert, international Motor für eine ehrliche und faire Politik zu sein, die anerkennt, dass es für den größten Teil der Menschheit nicht um eine ökologische Neuorientierung von „Konsummustern“ geht, sondern um die elementare Sicherung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Zukunft. Hierfür muss Deutschland technologisch Angebote machen, durch die künftig steigender Wohlstand mit weniger Belastung der Umwelt erreicht werden kann. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fast 30 Jahre ist es nun her, dass Dennis und Donella Meadows vom Massachusetts Institute of Technology ihr damals wie heute schockierendes Buch „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichten. Sie warnten vor den abso- luten Wachstumsgrenzen auf die wir uns hinbewegen – wenn der Mensch nicht einen „ökologischen und wirt- schaftlichen Gleichgewichtszustand“ herbeiführt. Viel- leicht haben wir bereits einige der physikalischen Gren- zen überschritten, wie die Autoren 1992 diagnostizierten. „Die Grenzen des Wachstums“ markierten mit einem Paukenschlag eine Zäsur. Der Mythos Wachstum erschien in sein geschichtsphilosophisches Gegenteil verkehrt. Im- mer größer, immer mächtiger, aber auch immer erfolgrei- cher? Eine noch nie da gewesene „Fusionitis“ als Zu- kunftsrezept? Nein, seit spätestens 30 Jahren wissen wir: Wachstum an sich, ohne ökologische und soziale Leit- planken, führt zum Niedergang. Sicher, seit damals hat sich in Deutschland viel getan; trotzdem sind die ökologischen und sozialen Probleme weltweit keineswegs geringer geworden: Das Ozonloch wird größer, pro Jahr verschwinden über 10 Millionen Hektar Tropenwald, der Hunger ist weltweit nicht ansatz- weise besiegt und mit Aids kam seitdem eine neue globale Herausforderung auf. Aber auch in Deutschland ist der Blickwinkel noch zu ressortverhaftet, es wird noch zu wenig integrativ ge- dacht, man ist noch zu sehr am klassischen Umweltschutz orientiert und es wird noch zu sehr allein auf hohe Emis- sionen geachtet statt auf allgegenwärtige Spurengifte und Allergene. Eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie, ein Leitbild ei- ner vorsorgenden Politik, die sich an den Grenzen des Wachstums, an der Tragfähigkeit unserer Umwelt und der Belastbarkeit unseres Sozialwesens orientiert, muss dies bedenken. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung un- seren Anträgen zur Nachhaltigkeit weitgehend nachge- kommen ist. Ich nenne die Einrichtung von „green cabinet“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119132 (C) (D) (A) (B) und Nachhaltigkeitsrat, die Entwicklung der Strategie und nachhaltige Pilotprojekte für Johannesburg. In mehreren Anträgen haben wir die Richtung vorgezeichnet, die die Bundesregierung nun geht. Wichtig ist nun, dass der stra- tegische Ansatz nach und nach von den drei Handlungs- feldern „Umweltverträgliche Mobilität“, „Klimaschutz und Energie“ sowie „Umwelt und Gesundheit“ ausgewei- tet wird. Ein prominentes Thema muss künftig ökoeffizientes Wirtschaften sein. Die Umsetzung einer Idee, die mit Fak- tor 4 begann, in alltägliches Handeln und Wirtschaften ist dringend notwendig. Und heute sprechen wir schon von einem notwendigen Faktor 10. Wichtig ist nun, dass diese Nachhaltigkeitsstrategie im Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen stattfindet. Hier hat der Rat für nachhaltige Entwicklung eine große Aufgabe zu be- wältigen und Aufgabe der Politik ist auch, diesen Dialog kräftig zu unterstützen. Wichtig ist, dass auch das Parla- ment intensiv an der Arbeit des Nachhaltigkeitsrates und der Erarbeitung einer Strategie beteiligt wird – und zwar bereits im Vorfeld, bevor zum Jahreswechsel hoffentlich ein erster Entwurf präsentiert wird. Es ist gut, dass die Bundesregierung mit ihrem An- satz aus dem klassischen, sektoralem Denken nach dem Drei-Säulen-Modell ausbrechen will: Ökologische und ökonomische Generationengerechtigkeit, mal über den Renten-Generationenvertrag hinaus gedacht – schließlich haben wir die Erde tatsächlich nur von unseren Kindern geborgt –, sozialer Zusammenhalt ohne Ausgrenzung und mit fairer Teilhabe in Verbindung mit internationaler Solidarität bilden den neuen archimedischen Hebelpunkt unserer Nachhaltigkeitspolitik. In diesem Zusammenhang abschließend noch einmal ein Wort zur Bedeutung des Leitbildes – der Vision – ei- ner zukunftsverträglichen Entwicklung. Nach den Terror- anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington ist eine Weltpolitik „business as usual“ nicht mehr möglich. Der internationale Terrorismus braucht eine zivilisierte Antwort. Bekämpfung des Bildungsman- gels, das Schließen der Armuts- und Sozialstandsschere gegenüber dem Westen, Toleranz statt Hegemonie gegen- über fremden Kulturen entziehen terroristischen Ideo- logien den Nährboden. Die Weltgemeinschaft hat die bittere Lehre ziehen müssen, dass sie davor ihre Augen nicht mehr ver- schließen kann. Auch binnenpolitisch müssen wir zu neuen Sicherheitsbegriffen finden, zum Beispiel Reduzie- rung des Sicherheitsrisikos durch eine dezentrale Ener- gieversorgung, also weg von der Atomenergie. Aber erst eine Politik der weltweiten, generationenübergreifenden Gerechtigkeit – der Nachhaltigkeit – bietet ein wirksames Instrument gegen den internationalen Terrorismus. Wirk- samer als Bomben, Gewehre und Panzer. Erst allmählich setzt bei allen Akteuren ein Umdenken ein: in der Wirt- schaft, die über das notwendige Know-how verfügt, in der Politik, die den rechtlichen Rahmen dafür legt und in den Köpfen der Menschen, die über ihre Nachfrage die Markt- macht besitzen, ohne sie zu ergreifen. Es gilt, auf das Umfeld einzuwirken, in dem Terroris- mus entsteht und wächst. Dort, wo Menschen in ökono- mischer Hinsicht keine Perspektive, keine Chance zu ei- ner lebenswerten Existenz in eigener Würde haben, kann dies nur mit einer neuen Politik der globalen Solidarität und Nachhaltigkeit verändert werden. Birgit Homburger (FDP): Mit dem Antrag will Rot- Grün vor allem von der eigenen nachhaltigen Untätigkeit ablenken. Schon seit Ende der letzten Legislaturperiode ist die Forderung, eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu erarbeiten, Beschlusslage des Deutschen Bundestages. Obwohl im rot-grünen Koalitionsvertrag großspurig die Erarbeitung einer „nationalen Nachhaltigkeitsstrate- gie mit konkreten Zielen“ angekündigt wurde, bedurfte es der Aufforderung durch den Umweltausschuss im Juni 1999 und durch das Plenum des Deutschen Bundestages im Januar 2000, bis die Bundesregierung endlich am 4. April 2001, zweieinhalb Jahre nach dem Regierungs- wechsel, den geforderten Nachhaltigkeitsrat einsetzte. Konstruktive Mitwirkungsvorschläge der FDP wurden von der Bundesregierung arrogant ignoriert. Außerdem hat die Bundesregierung viel Zeit verschenkt. Würde sie den Nachhaltigkeitsgedanken ernst nehmen, dann hätte sie die Arbeit schon zu Beginn der Legislaturperiode in Angriff genommen. Diese Woche hat nun die Bundesregierung – mittler- weile drei Jahre nach dem Regierungswechsel – öffentlich erste Überlegungen zu einer Nachhaltigkeitsstrategie vor- gelegt und zugleich die Bürgerinnen und Bürger dazu auf- gefordert, ihre Ideen und Vorschläge in den Prozess der Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie einzubringen. Die FDP begrüßt dies, hätte aber erwartet, dass im Vorfeld der Deutsche Bundestag an den neuen Überlegungen be- teiligt worden wäre. Die FDP fordert die Bundesregierung auf, den Fraktionen und parlamentarischen Gremien im Deutschen Bundestag endlich Gelegenheit zu geben, am nationalen Nachhaltigkeitskonzept mitzuwirken. Die Enquete-Kommission hat sich in der letzten Le- gislaturperiode intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander gesetzt. Nachhaltigkeit umfasst demnach drei Dimensionen: Bei allen politischen Entscheidungen müssen ökologische, ökonomische und soziale Aspekte abgewogen und zu einem Ausgleich gebracht werden. Hierüber waren wir uns einig. Nun weicht die Bundesre- gierung davon ab und stellt neue Orientierungspunkte vor. Laut Bericht im Umweltausschuss in der vergangenen Woche geht die Bundesregierung bewusst nicht mehr von den drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung aus, so wie sie die Enquete-Kommission beschrieben hat. Da- mit würde die Bundesregierung vier Jahre parlamentari- scher Arbeit in den Papierkorb befördern. Hektischer Ak- tionismus hat aber nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Immerhin schlägt der Nachhaltigkeitsrat erste konkrete Handlungsfelder vor, die auch die Zustimmung der FDP finden. Der von Rot-Grün vorgelegte und heute zur Ab- stimmung stehende Antrag bleibt demgegenüber im All- gemeinen. Dieser Antrag wurde noch vor der Einsetzung des Nachhaltigkeitsrates in den Deutschen Bundestag ein- gebracht und diente nur der Vernebelung des eigenen Nichtstuns. Sie sollten ihn konsequenterweise heute zurückziehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19133 (C) (D) (A) (B) Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Zufall will es: Heute hat der WBGU sein Politikpapier zu Eckpunkten einer Verhandlungsstrategie für den Weltgipfel „Rio+10“ im September 2002 in Johannesburg der Bundesregierung übergeben. Der WGBU stellt fest: Seit Rio sind „neue Problemfelder sind entstanden und die wichtigsten beste- henden ungelöst geblieben.“ Dass dies so ist, haben in we- sentlichen Bereichen auch die Industrieländer zu verant- worten. Sie verbrauchen ungleich mehr Ressourcen, als ihnen zustehen, sie emittieren den größten Teil der Schad- stoffe. Daran muss sich auch die Bundesrepublik messen las- sen. Wie tragen wir dazu bei, in Deutschland und weltweit einen Übergang zu einer sozialökologisch nachhaltigen Wirtschaftsweise zu schaffen? Sicherlich unbestritten ist, dass die Emissionen von vielen Umweltgiften und einigen Schadstoffen hierzulande drastisch gesunken sind. Dies hat enormer Anstrengungen bedurft, Anstrengungen, die eine Menge Geld gekostet haben, woran aber – das sollte man auch einmal einräumen – viele Unternehmen, wie zum Beispiel Entsorger, Klärwerks- und Anlagenbauer, kräftig verdient haben. Zudem waren offensichtliche Um- weltgifte, sichtbarer Smog und dreckige Flüsse den Bür- gerinnen und Wählern kaum noch zuzumuten. Die Um- weltbewegung hat einen großen Anteil daran, dass auch ein eigenständiger Prozess einer sich weiterentwickeln- den Umweltpolitik Fuß gefasst hat. Auf der anderen Seite gibt es auch in Deutschland den Trend, für die Nachhaltigkeit entscheidende Bereiche völ- lig zu ignorieren, zu vernachlässigen oder nur zaghaft an- zugehen. Dies sind nicht zufällig die Sektoren unserer Produktions- und Lebensweise, die sehr eng mit der Ka- pitalverwertung der gesamten Volkswirtschaft verbunden sind. Das Wichtigste sind hier die absolut weiter steigenden Ressourcenverbräuche. Sie sind, genauso wie die weiter- hin enorm hohen CO2-Emissionen, letztlich eine ökologi- sche und soziale Aggression gegen die Länder des Sü- dens. Was hier die Bundesrepublik verbaut, verfährt und konsumiert, wird unter oft katastrophalen Bedingungen in ärmeren Ländern aus der Erde geholt oder angebaut. Der ach so gerechte Weltmarkt sorgt dafür, dass uns der Nach- schub vorerst nicht ausgeht. Die internationalen Abhän- gigkeitsverhältnisse sorgen auch dafür, dass wir für diese Rohstoffe und Produkte nicht nur nicht ihren ökologi- schen Preis bezahlen; wir bezahlen auch nicht ihren so- zialen Preis. Vielleicht sollte folgender Vergleich zum Nachdenken anregen: Die durch den verbrecherischen Anschlag in New York zerstörten zwei Tower des WTC waren mit 3,5 Milliarden Dollar versichert. Das ist ungefähr die Hälfte des Bruttosozialproduktes eines Staates wie Äthio- pien, Jordanien oder Bolivien. Ich möchte hiermit keine direkte Verbindung zwischen Armut und Terrorismus herstellen. Aber der Vergleich zeigt, welche ungeheuren Reichtümer im Norden ange- sammelt werden und wie gigantisch arm viele Entwick- lungsländer sind. Und aus dieser Armut heraus werden weiterhin soziale Spannungen, militärische Konflikte und übrigens auch Umweltzerstörungen gesät werden. Im Antrag zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wer- den die eben skizzierten Probleme leider unterbelichtet. Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten. Hans Martin Bury, Staatsminister beim Bundeskanz- ler: Einer der zentralen Gedanken nachhaltiger Entwick- lung ist die gleichrangige Berücksichtigung ökono- mischer, ökologischer und sozialer Belange. Dieser Ansatz ist richtig und er ist unstrittig. Die Bundesregierung wird bei der Betonung des sektorübergreifenden Ansatzes einen Schritt weiter gehen und sich bei der Erarbeitung der nationalen Nachhaltig- keitsstrategie an vier Kernthemen orientieren: Generatio- nengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und internationale Verantwortung. Generationengerechtigkeit ist der entscheidende Maß- stab. Nicht auf Kosten künftiger Generationen zu leben ist kategorischer Imperativ einer nachhaltigen Entwicklung. Das umfasst die Erhaltung der natürlichen Lebensgrund- lagen ebenso wie einen sparsamen und effizienten Um- gang mit Energie und natürlichen Ressourcen. Der An- spruch der Generationengerechtigkeit weist aber über die klassischen Umweltthemen hinaus. Die wichtigsten Re- formvorhaben dieser Bundesregierung orientieren sich daran. Mit denn Abbau der Staatsschulden geben wir künftigen Generationen ihre Entscheidungs- und Gestal- tungsfreiheit zurück. Mit der Rentenreform haben wir Generationengerechtigkeit für die Altersvorsorge neu buchstabiert. Das zweite Leitmotiv ist die Verbesserung der Lebens- qualität. Nachhaltigkeit ist keine neue Verzichtskultur. Zur Lebensqualität gehören eine intakte Landschaft ebenso wie gute Schulen und eine lebenswerte und si- chere Stadt mit vielfältigen kulturellen Angeboten. Le- bensqualität – das bedeutet auch gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel. Mit der Neuorientierung der Agrarpolitik hat die Bundesregierung auf diesem Gebiet die Weichen gestellt. Wirtschaftliche Dynamik und Strukturwandel brau- chen gesellschaftliche Solidarität. Aus diesem Grund bil- det der soziale Zusammenhalt den dritten Pfeiler unserer Strategie. Wir wollen den wirtschaftlichen Strukturwan- del so gestalten, dass alle an den damit verbundenen Chancen teilhaben können. Schließlich: internationale Verantwortung. 1992 wurde in Rio mit der nachhaltigen Entwicklung ein globaler Auf- trag formuliert. Im Zeitalter der Globalisierung sind die einzelnen Staaten und Völker eng miteinander verfloch- ten. Das gilt für die Ökonomie ebenso wie für die Ökolo- gie – Stichwort „Klimaschutz“. Auch Sicherheit ist nicht teilbar. Kein Land kann auf sich allein gestellt für seine Bürgerinnen und Bürger eine friedliche Zukunft gewährleisten. Die Nachhaltigkeitsstrategie wird aber nicht nur Ziele beschreiben, sondern auch Wegmarken. Indikatoren und quantifizierte Ziele sollen als Orientierungswerte Wege für die Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aufzeigen, um die gemeinsam angestrebten Ziele zu er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119134 (C) (D) (A) (B) reichen. Die Indikatoren kennzeichnen, welche Hand- lungsfelder für eine nachhaltige Entwicklung besonders wichtig sind. Die Ziele markieren die Richtung, in die die Entwicklung in den nächsten 20 Jahren gehen soll. In die- sem Sinne sind Indikatoren und Orientierungswerte Bau- steine eines Managementkonzepts der Nachhaltigkeit. Bei der Nachhaltigkeitsstrategie geht es uns nicht nur um neue Inhalte, sondern es geht auch um einen neuen Politikstil. Nachhaltige Entwicklung kann nicht vom Staat verordnet werden. Wer investiert und konsumiert, bestimmt ebenso die Richtung wie der Staat mit Gesetzen und Programmen. Nur wenn sich die Akteure in Wirt- schaft, Gesellschaft und Politik auf ein gemeinsames Leit- bild verständigen, werden wir Erfolg haben. Deshalb brauchen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion über Leitbild und Prioritäten einer nachhaltigen Entwick- lung. Um diesen Verständigungsprozess zu fördern, hat der Bundeskanzler den Rat für Nachhaltige Entwicklung be- rufen, dem unter anderem Vertreter aus Wirtschaft, Ge- werkschaften, Kirchen, Umweltverbänden und Wissen- schaft angehören. Als Berater und Ideengeber, aber auch als kritischer Begleiter nimmt der Rat bei der Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie eine zentrale Funktion wahr. Parallel dazu setzen wir den Dialog mit den gesellschaft- lichen Gruppen fort. Aber wir wollen nicht nur Institutionen und Verbände erreichen. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat die Mög- lichkeit, sich im Internet über unser „Dialogforum Nach- haltigkeit“ an der Debatte zu beteiligen. Die Ergebnisse dieses Dialogs werden wir in den ersten Entwurf einer Strategie einbeziehen, den wir zum Jahresende vorlegen werden. Gerade in Zeiten rasch wechselnder politischer The- men und eines beschleunigten wirtschaftlichen Struktur- wandels brauchen wir eine langfristige Orientierung. Der jetzt begonnene breite öffentliche Dialog über Nachhal- tigkeit bietet die Chance, viele Menschen für die Zu- kunftsfragen unseres Landes zu interessieren. Lassen Sie uns diesen Dialog führen und die Menschen für die Idee der Nachhaltigkeit gewinnen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung (Tagesord- nungspunkt 13) Christian Lange (Backnang) (SPD): Eine dynami- sche Wirtschaft lebt von Neugründungen: Arbeitsplätze werden geschaffen oder gesichert. Darin sind wir uns alle einig. Ihr Antrag zielt auf die Abschaffung des großen Be- fähigungsnachweises. Das geht im Wesentlichen aber an den eigentlichen Anforderungen von modernen Hand- werksbetrieben vorbei: Der Meisterbrief muss europafest werden. Das ist das primäre Ziel von Reformüberlegun- gen, nicht seine Abschaffung. Wir wissen doch alle, was wir am Meisterbrief haben: hohe Qualität und hohe Aus- bildungsleistung. Darauf will die PDS also verzichten? In der Tat ist es problematisch, dass gerade im Hand- werk die Gewerbeanmeldungen in der letzten Jahren rückläufig gewesen sind. Die Zahl der Existenzgründun- gen, die Gründungsquote, liegt im Bereich des Hand- werks bei 5 Prozent, während die Neugründungen in sons- tigen Wirtschaftsbereichen bei 11 Prozent liegen. Wir aber wollen mehr Existenzgründungen, mehr Betriebsüber- nahmen und mehr Wachstum und Beschäftigung im Handwerk. Wir haben bereits einiges erreicht: Das Bundesverfas- sungsgericht hatte deutlich gemacht, dass die Handwerks- ordnung, die einen Eingriff in das Grundrecht der Berufs- freiheit nach Art. 12 GG darstellt, grundrechtsfreundlich ausgelegt werden muss. In Europa stehen wir praktisch al- lein mit der Meisterprüfung als Marktzugangsvorausset- zung. Wir müssen aufpassen, dass das Thema Inländerdiskri- minierung nicht zum Sprengsatz für den großen Befähi- gungsnachweis wird. Daher bin ich sehr froh, dass wir ge- meinsam mit dem Handwerk eine Lösung gefunden haben: Ende November 2000 hat eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern festgelegt, wie künftig die Hand- werksordnung anzuwenden ist. Dabei geht es vor allem um gemeinsame Mindeststandards bei der Anwendung des Ausnahmetatbestandes nach § 8 HwO, dafür also, wann also eine Meisterprüfung unzumutbar ist. Zur Verdeutlichung einige Beispiele: Zukünftig gibt es einheitliche und erleichterte Voraussetzungen für Aus- nahmen, wenn der Antragsteller in fortgeschrittenem Le- bensalter ist oder langjährig in seinem Handwerk als Ge- selle in herausgehobener Stellung tätig war oder sich ihm die günstige Gelegenheit für die Übernahme eines Be- triebs bietet. Aber der Nachweis fachlicher Qualifikation bleibt weiterhin erforderlich. Zukünftig muss auch derje- nige keine Meisterprüfung ablegen, der lediglich eine be- grenzte Spezialtätigkeit aus dem Kernbereich eines Handwerks ausüben will, zum Beispiel Mitarbeiter der Reparaturabteilung einer Staubsaugerfirma, die mehrere Jahre in dem Bereich beschäftigt waren und sich selbst- ständig machen. Eine Meisterprüfung ist auch nicht zumutbar, wenn Arbeitslosigkeit wegen Outsourcing droht, bei langen Wartezeiten für die Ablegung der Meisterprüfung, bei ge- sundheitlichen und anderen sozialen Gründen oder für staatlich geprüfte Techniker. Mit diesem Beschluss der gemeinsamen Arbeitsgruppe wird auch klargestellt – so wie vom Bundesverfassungs- gericht gefordert –, dass einfache Tätigkeiten nicht zum handwerklichen Kernbereich gehören. Die Umsetzung des Beschlusses liegt in der Verantwortung der Länder. Auf den Weg gebracht wurde auch die Umsetzung des Urteils des EuGH vom 3. Oktober 2000, in dem klarge- stellt wurde, dass Handwerksbetriebe, die in einem ande- ren EU-Mitgliedstaat ansässig sind und nur gelegentlich in einem Aufnahmeland tätig werden wollen, durch die mit einer Eintragung in die Handwerksrolle verbundenen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19135 (C) (D) (A) (B) Verzögerung oder durch sonstige Erschwernisse sowie fi- nanzielle Belastungen nicht abgeschreckt werden dürfen. Das BMWi holt derzeit dazu Vorschläge der Bundeslän- der und des Handwerks ein und prüft diese. Wir haben auch durch die Verbesserung der Förderbe- dingungen für das Meister-BAfög gerade für Existenz- gründungen ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das brauchen wir dringend – da stimme ich zu – angesichts der rund 200 000 Betriebe im Handwerk, die zur Übernahme an- stehen. Damit setzen wir auch ein wichtiges und unüber- sehbares Zeichen in Sachen Meisterbrief. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der ZDH, befürchtet, dass für 50 000 dieser Betriebe die Betriebsübergabe scheitern könnte. Dies müssen wir ver- hindern, auch im Hinblick auf die etwa 500 000 Arbeits- plätze, die durch den Generationenwechsel betroffen sind. Wir müssen die Betriebe bei allen Fragen, die ein Gene- rationenwechsel mit sich bringt, unterstützen. Denn die kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere die Handwerksbetriebe, ermöglichen jungen Menschen den Zugang zu beruflicher Qualifikation und damit eine be- rufliche Perspektive. Im Handwerk wäre diese Aus- bildungsleistung ohne den Großen Befähigungsnachweis nicht möglich. Vor allem deshalb wollen wir den Großen Befähigungsnachweis beibehalten. Außerdem haben wir zur Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Existenzgründern und eta- blierten Unternehmen des Handwerks spezifische Pro- gramme bereitgestellt. Von den Gewerbefördermitteln entfallen rund 80 Prozent auf das Handwerk; das sind 209 Millionen DM. Konkret bedeutet dies: Wir unterstüt- zen Existenzgründer und etablierte Unternehmen des Handwerks durch Bereitstellung zinsgünstiger öffentli- cher Darlehen und durch die Förderung der Unterneh- mensberatung. Wir stärken die Innovationsfähigkeit des Handwerks. Wir führen die Modernisierung und Flexibi- lisierung der beruflichen Bildung konsequent fort. Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Dem Gesetzent- wurf der PDS auf Änderung der Handwerksordnung wird die CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen. Ich möchte dies wie folgt begründen: In der letzten Le- gislaturperiode haben sich die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit einer Neuordnung der Handwerksordnung auseinander gesetzt. Hierbei entstand ein überarbeitetet Gesetz, das mit großer Mehrheit im Bundestag angenommen und einstimmig im Bundesrat verabschiedet, am 1. April 1998 in Kraft getre- ten ist. Dieses Gesetz hat sich mit allen Fragen des Hand- werks auseinander gesetzt. Es hat alle 124 Vollhandwerke geprüft und hierbei viele Vollhandwerke zusammengelegt oder gegenseitig für verwandt erklärt, sodass am Ende 94 Vollhandwerke übrig geblieben sind. Dieses moderne, der Zeit angepasste Gesetz wurde und wird im In- und Ausland erkannt, und viele Länder wür- den ein solch hervorragendes Gesetz gerne übernehmen. Erst vor wenigen Monaten hat das bulgarische Parlament nach dem Vorbild der deutschen Handwerksordnung in fast vergleichbarer Form ein entsprechendes Gesetz erlas- sen. Darüber hinaus haben sich die Fraktionen auch mit der Anlage B der Handwerksordnung beschäftigt und hierbei 57 handwerksähnliche Berufe festgeschrieben. Wie intensiv wir uns, seinerzeit mit den einzelnen Be- rufen auseinander gesetzt haben, möchte ich nur am Bei- spiel der Trockenbauer nochmals in Erinnerung rufen. Wenn die PDS jetzt erneut einen Vorstoß macht, um den Großen Befähigungsnachweis zu unterlaufen, so ist dies reiner Populismus. Alle Fraktionen waren sich bisher einig, dass die Qualität des deutschen Handwerks und das damit verbundene duale Ausbildungssystem nur dann Be- stand hat, wenn der Große Befähigungsnachweis nicht in- frage gestellt wird. Meister, Lehrlinge und Gesellen wird es dann nicht mehr geben. Immer wieder wird aber den- noch von einzelnen Gruppen aus unterschiedlichen Inte- ressenslagen heraus versucht, die Handwerksordnung zu durchlöchern und so auf Dauer infrage zu stellen. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen warnen, sich nicht auf den falschen Weg zu begeben, den hand- werklichen Mittelstand infrage zu stellen. Jede Verände- rung der Gesetzeslage hätte zur Folge, dass mit weiteren Lehrstellen- und Arbeitsplatzverlusten zu rechnen ist. Die von der PDS vorgeschlagenen Veränderungspunkte keh- ren alle paar Jahre wieder. Richtiger werden sie dadurch nicht. Ohne kaufmännische, fachliche und pädagogische Prü- fung kann man keinen Betrieb führen. Deshalb ist der Große Befähigungsnachweis unabdingbar mit der Führung eines Handwerksbetriebes verbunden. Was die Erlangung des Großen Befähigungsnachweises nach der Existenzgründung angeht, so kann ich nur davor warnen: Wer vor seiner Betriebsgründung keine Zeit aufbringt, wird es auch hinterher, wenn er den Betrieb führt, nicht tun. Er wird vorher feststellen, dass er im allgemeinen Wettbewerb die hohen Anforderungen eines Handwerks- unternehmers nicht erfüllen kann. Bei der Betrachtung der Insolvenzen, die wir derzeit in hohem Maße verzeichnen, lässt sich aber immer wieder feststellen, dass in den seltensten Fällen Handwerksbe- triebe in Konkurs gehen. Das ist unter anderem den hohen Qualitätsanforderungen in der Ausbildung zu verdanken. Ich möchte Sie deshalb alle bitten, die Handwerksord- nung, wie sie seit fast 100 Jahren besteht, nicht aufzuge- ben. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Bundesregierung verbessert die Rahmenbe- dingungen von Existenzgründern. Gute Bedingungen für Selbstständige sind bedeutsam für die wirtschaftliche Entwicklung, denn Selbstständige entwickeln Ideen für neue Produkte und schaffen so Beschäftigungspotenziale. Im Durchschnitt schafft jeder Selbstständige vier bis fünf zusätzliche Arbeitsplätze. Nun erschwert es jedoch die Handwerksordnung er- heblich, sich im Handwerk selbstständig zu machen. So muss ein Geselle, der sich selbstständig machen will, zunächst eine weitere, extrem kosten- und zeitintensive Ausbildung absolvieren, um ein Unternehmen in seiner Profession gründen zu dürfen. Dabei konnte er nur durch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119136 (C) (D) (A) (B) eine dreijährige, erfolgreich absolvierte Ausbildung Ge- selle werden. Er oder sie muss einen Meisterlehrgang ab- solvieren, der sich berufsbegleitend über mehrere Jahre hinzieht und Kosten von rund 40 000 DM verursacht. Diese Regelung ist nicht mehr zeitgemäß. Sie ist im Übrigen einmalig in der Europäischen Union, nachdem das österreichische Verfassungsgericht die entsprechende Regelung in Osterreich für verfassungswidrig erklärt hat. Wir freuen uns daher, dass das BMWi und die Koali- tionsfraktionen im Konsens mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und den Ländern Erleichterungen für Gründer, die ohne Meisterbrief einen Handwerks- betrieb gründen wollen, vereinbart haben. Wir konnten hier wichtige Liberalisierungen durchsetzen. Die Mög- lichkeit der Erteilung von Ausnahmebewilligungen nach § 8 HwO, die Selbstständigkeit ohne Meisterbrief ermög- licht, wurde ausgeweitet. Bund und Länder haben sich am 21. November 2000 darauf verständigt, eine möglichst einheitliche und flexible Anwendung der Handwerksord- nung zu garantieren. Eine „Regelliste“ von speziellen Ausnahmetatbe- ständen, die die Meisterprüfung unzumutbar machen, – § 8 Hw0 – und eine „Generalklausel“ für sonstige Fälle wurden festgeschrieben. Damit wurde jeweils ein Hin- weis verbunden, ob die Ausnahmebewilligung befristet, also bis zur Ablegung der Meisterprüfung, erteilt wird oder auf Dauer eine Meisterprüfung nicht notwendig ist. Wichtige Ausnahmefälle, nach denen ein Handwerk jetzt auch ohne Meisterbrief ausgeübt werden kann, sind vor allem die „Gelegenheit zur Betriebsübernahme“, die auch der Erhaltung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen dient, sowie die lange, seit über zehn Jahren geforderte „Altge- sellenregelung“. Diese Regelung erkennt bei einem Alter von etwa 47 Jahren einen Ausnahmefall an und verbindet dies mit der Möglichkeit, die Altersgrenze bei langjährig – 20 Jahre – tätigen Gesellen zu verkürzen. Die Koaliti- onsfraktionen werden aufmerksam beobachten, wie die Leitlinien in den Ländern umgesetzt werden. Mit diesen Regelungen haben wir einen wichtigen Im- puls zur Liberalisierung und Modernisierung einer sehr alten Institution geschaffen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): In regelmäßigen. Ab- ständen kommen sie immer wieder: die Forderungen, den Meisterbrief im Handwerk abzuschaffen. Kamen sie früher von den Grünen, kommen sie nun von der PDS. Die Grünen haben sich also auch hier den Realitäten fügen müssen. Im vorliegenden Fall steht aber der Bund unab- hängiger Handwerker als Autor hinter dem Gesetzent- wurf. Schon die Problembeschreibung ist widersprüchlich: Auf der einen Seite wird gesagt, die Meisterprüfung sei verzichtbar, weil bereits der hohe Kapitalbedarf für eine Existenzgründung im Handwerk das Erfordernis einer be- sonderen Qualifikation begründe. Auf der anderen Seite wird darauf verwiesen, dass bei Abschaffung des Meis- tervorbehalts dann auch kapitalschwache Gründer den Weg in die Selbstständigkeit finden können. Ja, was gilt denn nun? Braucht es einen hohen Kapitaleinsatz oder genügt die schwache Kapitalbasis? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Ausstattung eines Gründers im Handwerk mit Kapital ist selbstverständlich eine Frage seiner Qualifikation. Es ist richtig, dass die meisten Banken und Sparkassen sehr günstige Existenz- gründerkredite an Handwerksmeister vergeben – ganz einfach, weil die Banken wissen, dass die Bestandsfestig- keit von Handwerksgründungen aufgrund der guten meis- terlichen Qualifizierung der Gründer signifikant höher ist als bei Unternehmensgründungen in Bereichen, die die Meisterprüfung nicht kennen. Als Beispiele mögen hier das Gastgewerbe, die Boutiquen oder die Videotheken dienen. Der Gesetzentwurf geht – fälschlicherweise – davon aus, der Meistervorbehalt stelle ein Hemmnis bei der Gründung von Unternehmen dar. Folglich müssten sich eigentlich alle Absolventen der Meisterlehrgänge, die die- ses – in der Denkweise der Antragsteller – enorme Hin- dernis überwunden haben, selbstständig machen. Die Zahlen sprechen dagegen: lediglich 52 Prozent eines Meisterjahrganges streben in die Selbstständigkeit. Aber 89 Prozent der Absolventen versprechen sich bessere be- rufliche Aufstiegschancen aufgrund höherer Qualifika- tion. Genau um diese Qualifikation geht es beim großen Befähigungsnachweis. Mangelnde Qualifikation steht laut DtA auf Platz drei der Gründe für ein Scheitern von Gründungen. Wir erreichen bestandsfeste Arbeitsplätze am besten mit dem großen Befähigungsnachweis und nicht ohne ihn. Ich kann auch nicht erkennen, welche Gründe es für die hervorragenden Gesellen, von denen im Gesetz die Rede ist und an deren Existenz ich keinerlei Zweifel hege, ge- ben könnte, sich nicht der Meisterprüfung zu stellen. Die alte Bundesregierung hat das Meister-BAföG eingeführt, dass auch von der jetzigen Bundesregierung nicht einge- stellt wurde. Ich finde es von daher zumutbar, dass für das Ausüben bestimmter handwerklicher Tätigkeiten der Nachweis, dass diese Tätigkeiten auch qualifiziert er- bracht werden können, verlangt wird. Und so sehen das in ständiger Rechtsprechung auch das Bundesverfassungs- gericht und das Bundesverwaltungsgericht, die wieder- holt die HWO in ihrer bestehenden Form bestätigt haben. Der Vorstoß gegen die Handwerksordnung ist durch- sichtig. Niemand kommt auf die Idee, zum Beispiel die Pharmazeutisch-Technischen Assistenten zur Selbststän- digkeit als Apotheker zuzulassen. Auch das Erfordernis eines erfolgreich abgeschlossenen Pharmaziestudiums hat seinen Sinn. Und niemand käme auf die Idee, kauf- männisch begabte Bürger das Aspirin über den Tresen rei- chen oder das vom Arzt aufgeschriebene Medikament aus dem Regal holen zu lassen. Der vorliegende Gesetzentwurf mit seiner Selbstver- pflichtung der Existenzgründer, innerhalb eines Zeitrau- mes von zehn Jahren die Meisterprüfung zu machen, führt zur faktischen Abschaffung des Meisterbriefs. Denn was passiert nach diesen zehn Jahren? Dazu schweigt sich der Gesetzentwurf – vermutlich vorsätzlich – aus. Ich glaube nicht, dass die Betriebe dann geschlossen werden, weil der Inhaber die Meisterprüfung nicht abgelegt hat. Auch die verbesserte Rechtssicherheit beim Verbrau- cher wird sich nicht einstellen. Der Verbraucher ist auf der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19137 (C) (D) (A) (B) sicheren Seite, wenn er seine Dienstleistungen vom Meis- terbetrieb bezieht. Dann braucht er ein Verfahren wegen Schwarzarbeit nicht zu fürchten und kann sich sicher sein, dass er beste Qualität für sein Geld erhält. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass der Gesetzentwurf versucht, ein Problem zu lösen, das es nicht gibt. Er kann folglich nur abgelehnt werden. Uwe Hiksch (PDS): Mit dem heutigen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung legt die PDS-Bundestagsfraktion einen wichtigen Lösungsansatz vor, um das Handwerksrecht zu modernisieren, die Grün- dung von neuen Betrieben zu ermöglichen und gleichzei- tig der bestehenden Handwerksordnung mehr Akzeptanz zu geben. In der Bundesrepublik gibt es seit vielen Jahren eine in- tensive Diskussion über die heutige Handwerksordnung. In vielen wissenschaftlichen und politischen Debatten- beiträgen wird sie als Hemmschuh für die Gründung neuer Existenzen gesehen. Die Zahl der Existenzgrün- dungen liegt im Bereich des Handwerks wesentlich nied- riger als in den sonstigen Wirtschaftsbereichen. Während in den sonstigen Wirtschaftsbereichen die Gründungs- quote 11 Prozent beträgt, liegt sie im Handwerk gerade so bei 5 Prozent. Jede auf diese Art verhinderte Neugrün- dung eines kleinen oder mittleren Unternehmens bedeutet nicht nur den Verzicht auf dringend erforderliche Arbeits- plätze, sondern auch den Verzicht auf mögliche Innova- tionen. Die PDS will die Gründung neuer Unternehmen erleichtern. Um Existenzgründungen zu erleichtern und damit die Zahl der ausbildungsfähigen Betriebe zu erhöhen sowie Betriebsschließungen aufgrund von Abmahnverfahren und Bußgeldern zu verhindern, muss es künftig möglich sein, den großen Befähigungsnachweis, also den Meister- brief, auch nach der Existenzgründung berufsbegleitend zu erwerben. Unsere Neuregelung erleichtert die freie Be- rufsausübung. Durch unseren Gesetzentwurf wird sicher- gestellt, dass sich das deutsche Handwerk im zunehmen- den internationalen Wettbewerb besser behaupten und entwickeln kann. Gerade wegen des bevorstehenden Generationswech- sels im Handwerk muss eine schnelle Lösung gefunden werden. In den nächsten Jahren werden über 200 000 Be- triebe keinen Nachfolger finden. Hier ist die Politik ge- fordert. Wir müssen den Menschen signalisieren: Wir wollen euch unterstützen, wenn ihr einen Betrieb gründen wollt. Die PDS stellt dabei den großen Befähigungsnachweis nicht infrage, vielmehr tragen wir dazu bei, dass durch eine behutsame Weiterentwicklung und Modernisierung das Handwerksrecht wieder von den Betroffenen mehr Akzeptanz findet. Die Alternative dazu ist, dass sich der Meisterbrief überleben wird. Die starre und unflexible Haltung der Handwerkskammern sichert nicht den Meis- terbrief, sondern wird seine gesellschaftliche Delegiti- mierung beschleunigen. Der Meisterzwang, so wie ihn die heutige Handwerksordnung festschreibt, entspricht einem längst überholten ordnungspolitischen Denken. Wenn Ih- nen das ein demokratischer Sozialist sagen muss, so soll- ten Sie schon einmal anfangen, darüber nachzudenken und ihre Koalitionsvereinbarung in diesem Bereich viel- leicht nachzulesen. Oder Sie sollten sich vielleicht die Mahnung des Bundesverbandes der unabhängigen Hand- werker zu Herzen nehmen: Man muss fragen, was höher steht: Das Recht, sich den täglichen Lebensunterhalt mit seiner Hände Ar- beit zu verdienen, oder das Privileg der Meisterbe- triebe, sich vor Konkurrenz zu schützen. Es sollte ein Bestreben der Politik sein, möglichst viel dieser Ar- beit in reguläre Arbeitsplätze zu überführen. Hierfür muß der Marktzugang erleichtert werden. Wir legen einen Gesetzesentwurf vor, der auch neue Ausbildungsplätze im Handwerk ermöglicht. Die viel- fach vertretene Auffassung der Handwerkskammern, dass der Meisterbrief die Ausbildung sichert, ist nach unserer Überzeugung nicht stichhaltig: Nicht eine ord- nungspolitisch fixierte und durch die Praxis der Hand- werkskammern noch verschärfte künstliche Beschrän- kung der Zahl der ausbildungsfähigen Betriebe trägt dazu bei, die berufliche Bildung im Handwerk zu sichern. Schon heute wird in den Betrieben und auf den Baustel- len die praktische Ausbildung durch die erfahrenen Ge- sellen geleistet. 60 Prozent aller Jugendlichen erhalten keine Ausbildung nach der Handwerksordnung, sondern nach dem Berufsbildungsgesetz. Nach dem Berufsbil- dungsgesetz sind in allen Wirtschaftsbereichen außer dem Handwerk Gesellen mit Ausbildereignungsprüfung ausbildungsberechtigt. Mit unserem Gesetzesentwurf können erhebliche Er- leichterungen beim beruflichen Zugang zum Handwerk geschaffen werden. Durch die Festlegung, dass nach spä- testens zehn Jahren der Betriebsleiter im Kernbetäti- gungsbereich des Unternehmens einen Befähigungs- nachweis erbringen muss, halten wir ausdrücklich am großen Befähigungsnachweis fest. Wir wollen aber, dass sich Betriebe der Gruppen Anlage A oder Anlage B, aber auch andere Dienstleister freier entfalten und sich besser an verändernde Marktsituationen anpassen können. Ge- rade flexiblere Märkte und neue Herausforderungen müssen Betriebe ohne größere Hemmschwellen meistern können. Durch die Ablegung einer Ausbildungseig- nungsprüfung vor der Existenzgründung oder vor der Betriebsübernahme soll die Zahl der ausbildungsfähigen Betriebe wesentlich erhöht werden und auf alle Dienst- leistungen ausgedehnt werden können. Besondere gesetz- liche Ausführungsbestimmungen sind nicht erforderlich; es kann auf das Berufsbildungsgesetz zurückgegriffen werden. Auch das Argument der Handwerkskammern, dass nur der große Befähigungsnachweis die Qualität der hand- werklichen Leistungen sichern könne, ist falsch. Die Mo- nopolkommission hat schon in ihrem Sondergutachten zur Reform der Handwerksordnung – auch eine Quelle, die nicht vorrangig von demokratischen Sozialisten zi- tiert, aber anscheinend nur von ihnen gelesen wird – im Mai 2001 ausgeführt: Das Argument, der Nachweis der Meisterqualifika- tion sei erforderlich, um die Qualität der handwerk- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119138 (C) (D) (A) (B) lichen Dienstleistungen zu sichern, kann insofern nicht überzeugen, als ein sehr großer Anteil der handwerklichen Dienstleistungen gar nicht von Meistern erbracht wird. Der Qualitätssicherung von handwerklichen Dienstleistungen in Deutschland dient zunächst einmal die allseits unbestritten hohe Qualität der Ausbildung zum Handwerksgesellen. Diese versetzt insbesondere die fachlich versierten Gesellen mit mehrjähriger Berufserfahrung in die Lage, selbständig Aufträge zu erledigen. Daher wer- den die vom Kunden nachgefragten Leistungen in der Praxis vielfach vom Gesellen und gar nicht vom Meister erbracht. Genau diesen Gesellinnen und Gesellen wollen wir mit unserem Gesetzentwurf die Selbstständigkeit er- möglichen. Gut ausgebildete Handwerksgesellen sind die Qualitätsgaranten bei den zu erbringenden Leistun- gen. Dass zwischen Qualität und Meisterzwang kein zwangsläufiger Zusammenhang besteht, kann jedem schnell klar werden: Wenn wir zum Beispiel an hoch- wertige Uhren denken, denken wir zuerst an die Schweiz. In der Schweiz gibt es aber überhaupt keinen Meisterzwang. Trotzdem stehen Schweizer Uhren welt- weit für beste Qualität. Ein weiteres Problem der heuti- gen Handwerksordnung ist auch die so genannte Inlän- derdiskriminierung. Dies wird von vielen Menschen als Diskriminierung empfunden. Ich habe in den letzten Monaten an vielen Handwerkerstammtischen auch in den Grenzregionen zu Polen und Tschechien teilgenom- men, bei denen diese Regelung nicht verstanden wird. Sie verstehen nicht, dass ihre europäischen Kollegen noch nicht einmal einen Gesellenbrief, geschweige denn den Meisterbrief, vorweisen müssen, um hier ein Hand- werk selbstständig auszuüben. Während bei der Grün- dung eines Handwerksbetriebes von hier lebenden Handwerksgesellen der große Befähigungsnachweis als Grundlage für die Anmeldung eines eigenen Betriebes verlangt wird, können sich alle EU-Ausländerinnen und -ausländer und bald auch die Kolleginnen und Kollegen aus den mittel- und osteuropäischen Staaten ohne Meis- terbrief selbstständig machen. Der Europäische Gerichtshofes hat am 27. September 2001 entschieden, dass sich ein polnischer Bäckermeister auch ohne Meisterbrief in Berlin niederlassen darf. Für ihn gelten dann dieselben Regeln wie für einen inländi- schen Bäckermeister. Nur braucht er keinen Meisterbrief, um sich selbstständig zu machen. Das Luxemburger Ge- richt entschied zudem, dass sich Bürgerinnen und Bürger aus den Kandidatenstaaten unmittelbar auf die Europa- Abkommen berufen können. Der Anspruch auf ein Visum und eine Aufenthaltsgenehmigung ist damit auch bei deutschen Gerichten einklagbar. Das gilt für alle gewerb- lichen, kaufmännischen, handwerklichen und freiberufli- chen Tätigkeiten, wenn sie selbstständig ausgeübt wer- den. Zur so genannten Inländerdiskriminierung hat die Mo- nopolkommission in ihrem Sondergutachten weiter fest- gestellt: Eine solche Inländerdiskriminierung ist gegenwärtig im deutschen Handwerksrecht angelegt. Bereits durch die Bewilligung einer Ausnahmegenehmigung nach § 9 HwO werden deutsche Handwerksmeister diskriminiert, weil die im EU-Ausland niedergelas- senen Handwerksunternehmer nicht den gleichen Anforderungen genügen müssen, wenn sie Dienst- leistungen in Deutschland erbringen. ... Die deutsche Rechtsprechung hat jedoch bisher die Inländerdis- kriminierung nicht als Verstoß gegen die Verfassung angesehen und die Benachteiligung deutscher Hand- werker gegenüber ihren ausländischen Konkurren- ten toleriert. Am 21. November 2000 hat die Bund-Länder-Konfe- renz aufgrund der Notwendigkeit, eine einheitliche Hand- habung der Handwerksordnung zu erreichen, bereits die so genannten Leipziger Beschlüsse verabschiedet. Das war ein Versuch, notwendige Konsequenzen aus den von mir beschriebenen Problemen, vor denen das Handwerks- recht heute steht, zu ziehen. Gerade die Leipziger Be- schlüsse machen deutlich, dass eine klarstellende gesetz- liche Regelung notwendig ist. Von Betroffenen erfahre ich immer wieder, dass sich Behörden nicht an die dort getroffenen Vereinbarungen halten. Es werden immer wieder Kenntnisprüfungen verlangt, obwohl das Bundes- verfassungsgericht bereits 1961 klarstellte, dass die Ge- sellenprüfung und Berufserfahrung zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ausreichend sind. Die Realität in Deutschland ist, dass Handwerkskammern und Behörden immer restriktiver mit Abmahnverfahren, Betriebs- schließungen und Bußgeldern gegen kleine und mittel- ständische Unternehmen vorgehen, die keinen Meister- brief vorweisen können, selbst wenn sie in der Anlage B der Handwerksrolle eingetragen sind oder im handwerk- lichen Nebenbetrieb in unerheblichem Umfang hand- werkliche Dienstleistungen anbieten. Jeden Arbeitstag werden in Deutschland nach Aussagen des Berufsverban- des unabhängiger Handwerker im Durchschnitt zwölf existenzvernichtende Bußgeldbescheide verhängt. Dies ist sicher kein existenzgründerfreundliches Klima. Es kann nicht angehen, in Sonntagsreden die kleinen und mittleren Unternehmen zu loben und die bestehenden Be- triebe kaputtzumachen. Wir brauchen dringen Rechtssicherheit für die Selbst- ständigen in Deutschland. Die Monopolkommission emp- fiehlt die Abschaffung des Großen Befähigungsnachwei- ses als Voraussetzung für den Marktzutritt im Handwerk. Dieser Forderung der Monopolkommission haben wir uns nicht angeschlossen. Wir versuchen mit unserem Antrag eine Lösung aufzuzeigen, die die Handwerksordnung zu- kunftsfähig macht und die Akzeptanz für den Meisterbrief erhöht. So hat die rot-grüne Bundesregierung bereits 1998 in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt: Wir werden den Zugang zur selbstständigen Tätig- keit im Handwerk erleichtern. Es muss künftig mög- lich sein, den Meisterbrief nach der Existenzgrün- dung berufsbegleitend zu erwerben. Der große Befähigungsnachweis bleibt Voraussetzung für die Selbstständigkeit im Handwerk. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller ging nach einen Bericht der „Südwest Presse“ vom 12. Oktober we- sentlich weiter und sagte, dass er „eine juristisch proble- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19139 (C) (D) (A) (B) matische Handwerksordnung verteidige, deren Strei- chung massiv neue Arbeitsplätze brächte“. Ich kann nur sagen: Herr Müller, problematisch ist sie doch nicht erst seit heute, sie ist es doch schon seit 1953. Die PDS hat einen Entwurf vorgelegt, der die Verspre- chen der rot-grünen Bundesregierung konkret umsetzt. Ich hoffe, dass in den anstehenden Ausschussberatungen die Fraktionen zu ihren bisherigen Aussagen stehen und dem Entwurf der PDS-Bundestagsfraktion zustimmen. Anlage 7 Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts – zu dem Antrag: 6. Forschungsrahmenprogramm 2002 bis 2006 (6. FRP) – Europäische Forschung stärken – zu dem Antrag: 6. Forschungsrahmenprogramm 2002 bis 2006 (6. FRP) transparenter und unbüro- kratischer gestalten – KMU besser einbeziehen – Europäischer Energieforschung weiter ausbauen – zu dem Antrag: Mit dem 6. EU-Forschungsrah- menprogramm 2002 bis 2006 den europäischen Forschungsraum stärken – zu der Unterrichtung: Vorschlag für einen Be- schluss des Europäschen Parlaments und des Rates über das mehrjährige Rahmenprogramm 2002 bis 2006 der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des europäischen Forschungsraums Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das mehrjährige Rahmenprogramm 2002 bis 2006 der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) im Bereich der Forschung und Ausbildung als Beitrag zur Verwirklichung des europäischen Forschungs- raums (Zusatztagesordnungspunkt 6) Erich Maaß (Wilhelmshaven) (CDU/CSU): Auf dem Europäischen Rat von Lissabon im März 2000 haben sich die Mitgliedstaaten auf die Schaffung eines europäischen Forschungsraums als zentrales Element zum Aufbau einer europäischen Wissensgesellschaft verständigt. Europa hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2010 die USA und Japan als führende Forschungsregion zu überrunden. Die EU-Forschungspolitik wird seit 1984 durch so ge- nannte Rahmenprogramme ausgestaltet. Derzeit wird über das 6. Forschungsrahmenprogramm (6. FRP), das im Sommer 2002 beschlossen werden soll, zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten einerseits und dem Europäischen Parlament andererseits verhandelt. Bisher liegt ein Vorschlag der Kommission vom Februar 2001 vor, der inzwischen durch weitere Kommissionsdoku- mente konkretisiert wurde. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den Kom- missionsvorschlag für das 6. FRP in seiner Gesamtaus- richtung. Darin wird erneut der anwendungs- und pro- blemorientierte Forschungsansatz – wie es bereits unter maßgeblichem Einfluss der damaligen unionsgeführten Bundesregierung für das 5. FRP eingeführt wurde – ge- genüber dem technologielastigen Ansatz der Vorgänger- programme festgeschrieben. Die seit Wochen laufenden Diskussionen im Europä- ischen Parlament, den Ausschüssen, den nationalen Par- lamenten zeigen, dass die Absichtserklärung des 6. FRP erhebliche Formulierungsschwächen aufweist. Es liegen dem Europäischen Parlament insgesamt 778 Änderungs- anträge vor, die den gesteckten Zeitplan zur Verabschie- dung des 6. FRP ins Wanken bringen. Unter der belgischen Ratspräsidentschaft wird deshalb kein gemeinsamer Standpunkt von Rat und Parlament mehr verabschiedet werden können, und wohl auch nicht im nächsten Rat am 10. Dezember 2001. Ich fordere die Bundesregierung auf, wegen der Kom- plexität des 6. FRP eine zügige Information des Parla- ments sicherzustellen, gleichzeitig eine ausführliche Be- ratung in den Ausschüssen zu begleiten und eine enge Verzahnung mit der deutschen Wirtschaft und unseren Abgeordneten im Europäischen Parlament zu verfolgen. Nur so können unsere Interessen eine entsprechende Berücksichtigung im 6. FRP finden. Die Einstellung der Bundesregierung zur Kernenergie halte ich für falsch und gefährlich. Die Bundesregierung schreibt dazu: „Im so genannten Grünbuch kommt die Kommission in diesem Kontext zu dem Schluss, dass Kernenergie zur Stromerzeugung unerlässlich sei. Diese Auffassung teilt die Bundesregierung nicht!“ Die Bun- desregierung muss sich die Frage gefallen lassen, wie sich eine solch starre Haltung auf das europäische Kernfu- sionsprogramm (ITER) auswirkt und inwieweit wir un- sere deutschen Interessen dann noch durchsetzen können. In Fragen der Agrar- und Umweltpolitik drängt sich der Verdacht auf, dass die zuständigen Minister versuchen, mit der „Brechstange“ ihre ideologisch geprägten Interessen durchsetzen zu wollen. Rot-Grün scheint bei dieser Hal- tung zu vergessen, dass die Bundesrepublik Deutschland nur einer von 16 Mitgliedstaaten ist. Ich fordere die Bun- desregierung auf, dafür zu sorgen, dass folgende Fragen geklärt und konkretisiert werden: Die Überschneidung der EU-Forschungsförderung mit den Strukturfonds. Wie soll die gemeinsame Forschungsstelle aussehen? Das Ver- hältnis der Beitrittsländer zum europäischen Mehrwert. Wie kann eine höhere Marktrelevanz erreicht werden? Keine abrupte Änderung der Förderinstrumente vom 5. zum 6. FRP. Stärkere Berücksichtigung der KMU. Das, um nur einige Beispiele zu nennen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bun- desregierung auf, sich stärker in die Diskussion einzu- bringen bei der Frage, die Kommissar Philippe Busquin aufgeworfen hat, dass der EU 500 000 Forscher fehlen. Wer in dieser Frage „wegtaucht“, wird den Erfolg der EU- Forschungspolitik gefährden. Es wäre klug und politisch verantwortungsbewusst, wenn die Bundesregierung sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119140 (C) (D) (A) (B) in der Lösung dieser Kernfrage an die Spitze der Bewe- gung setzen würde. Die bisherigen Vorschläge von Rot-Grün – wie zum Beispiel Rückkehrprämien für Wissenschaftler aus den USA, Greencard, Mobilitätsprämien oder die im SPD- Antrag vorgesehene Frauenquote – können das Problem nur ansatzweise lösen oder sind sogar kontraproduktiv. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das 6. Forschungsrahmenprogramm stellt wichtige Wei- chen für die weitere Entwicklung der Europäischen Ge- sellschaften. Umso enttäuschter bin ich, dass die Opposi- tion entweder keinen Antrag, wie die PDS, oder sehr inhaltsarme Anträge wie die CDU/CSU und die FDP, ein- gereicht hat. Schade, finde ich auch, dass die CDU/CSU und die FDP in ihren Anträgen weiterhin Geld für die Kernfusionsforschung versenken wollen und erneuerbare Energien nur am Rande berücksichtigen. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen den Ansatz der Eu- ropäischen Kommission einen europäischen Forschungs- raum zu schaffen. Daher ist es nur folgerichtig, dass das 6. Forschungsrahmenprogramm hierzu dienen soll. Ob- wohl wir die von Busquin vorgeschlagenen drei neuen In- strumente für richtig halten, wäre es verkehrt, die bewährten Instrumente des fünften Forschungsrahmen- programms einfach wegfallen zu lassen. Wir unterstützen daher den Vorschlag der Ministerin Edelgard Bulmahn, zwei Drittel der Mittel gemäß den alten und ein Drittel gemäß den neuen Instrumenten zu verteilen. Der Vorschlag der EU-Kommission enthält eine Reihe weiterer Defizite: Themenübergreifend ersetzt der Ent- wurf den problemorientierten Ansatz des 5. Forschungsrah- menprogramms und kehrt zu technokratischen Ansätzen früherer Programme zurück. Sozial- und geisteswissen- schaftliche Forschungsansätze finden nur am Rande Berücksichtigung. Auch inhaltlich gibt es einiges zu kritisieren. Vor allem die Energieforschungspolitik der Europä- ischen Kommission steht im Widerspruch zu den Zielset- zungen der Mehrzahl ihrer Mitgliedstaaten. Die traditio- nell atomfreundliche Kommission setzt einen starken Akzent auf die Renaissance der Kernenergie. So sollen neue Atomreaktoren erforscht und die Kernfusion voran- getrieben werden. Dies kann von uns nicht hingenommen werden. In den letzten Jahrzehnten wurden etwa zehnmal mehr Mittel für die Nuklearforschung ausgegeben als für nichtnukleare Energien. Dennoch ist die Atomenergie global nicht über einen Anteil von fünf Prozent an der Primärenergie hinausgekommen. Die Atomforschung ist damit ein Forschungsflop. Diesen Flop will die Kommis- sion bei der Kernfusion wiederholen. Bei der Fusion wird wie seit Jahrzehnten frühestens in 50 Jahren mit einer Nutzung gerechnet. Der Primärenergieanteil der Kernfu- sion soll in 100 Jahren etwa bei 5 Prozent liegen. Diese Geldverschwendung darf nicht fortgesetzt werden. Dem Steuerzahler sind weder Forschungsmittel für neue Atom- reaktoren noch für den Kernforschungsreaktor ITER zu- zumuten. Die Sonderbehandlung der Atomenergie in EURATOM muss beendet werden. An die Stelle von EURATOM muss ein neuer Energievertrag für erneuer- bare Energien (EURENEW) treten. Doch leider scheint die Kommission ihre eigenen Ziele im Bereiche erneuerbarer Energien nicht zu kennen, die vor allem im Weißbuch niedergeschrieben sind. Im Kom- missionsentwurf sind offensichtlich weniger Mittel für er- neuerbare Energien und Energieeffizienztechnologien vorgesehen, als dies in früheren Programmen der Fall war. Schlimmer noch: Es wird sogar versucht, gleich mehrere Technologien der erneuerbaren Energien wie zum Bei- spiel die Windenergie und die solarthermische Stromer- zeugung, sowie den gesamten Bereich des Energiesparens aus der Förderung zu streichen. Einem Missverständnis ist offensichtlich die FDP un- terlegen, die nicht nur weiterhin Steuermittel für die Kern- forschung verschwenden will, sondern auch die fossilen Energieträger erforscht sehen will. Die FDP übersieht, dass dies mit dem Forschungsschwerpunkt der Brenn- stoffzelle geschieht. Die Brennstoffzelle hat wesentlich bessere Potenziale und einen wesentlich höheren For- schungsbedarf als die Kraftwerkstechnologie. Die FDP begrüßt in ihrem Antrag „die Konzentration auf wenige prioritäre Bereiche“; warum sie in der konventionellen Kraftwerkstechnologie eine Priorität für staatliche For- schungsförderung sieht, ist nicht nachvollziehbar. Aber auch außerhalb der Energieforschung weist der Kommissionsvorschlag Defizite auf: Bei der Gesund- heitsforschung wird zu einseitig auf die Gentechnik ge- setzt. Alle übrigen Forschungsansätze in der Gesund- heitsforschung sollen nur bei wenigen Krankheitsbildern Berücksichtigung finden. Für die Agrarwende und die Lebensmittelsicherheit werden nur unzureichend Forschungsmittel zur Verfü- gung gestellt. Es besteht somit noch in einer Reihe von Punkten Än- derungsbedarf beim 6. Forschungsrahmenprogramm. Gemeinsam mit der SPD fordern wir die Bundesregie- rung daher in unserem Antrag auf, im Sinne der rot-grü- nen Forschungspolitik dafür einzutreten, dass die Mittel für Atomforschung gesenkt werden und die Forschung für neue Reaktorlinien eingestellt wird; dass deutlich mehr Mittel für erneuerbare Energien und Energieeffizienz als für die Atomforschung ausgegeben werden und hierzu die Mittel für den Bereich „Nachhaltige Entwicklung“ aufge- stockt werden; dass neben den bereits laut Entwurf för- derfähigen Brennstoffzellen, der Photovoltaik und der Biomasse auch solarthermische Kraftwerke, geothermi- sche Kraftwerke, Windenergie, Kleinwasserkraft und Meeresenergie gefördert werden; dass Universitäten und kleinere Forschungsinstitute sowie Unternehmen in ange- messener Form partizipieren können; dass der Ansatz der Gesundheitsforschung über die Genomforschung hinaus- geht und unter anderem um die Gesundheitsvorsorgefor- schung verbreitert wird; dass die Mittel für Lebensmittel- sicherheit und ökologischen Anbau zu erhöhen sind; dass die Forschung im Bereich „Nachwachsende Rohstoffe“ aufgenommen wird; dass die sozioökonomische For- schung gestärkt und die Forschung auf den Gebieten der Geistes- und Sozialwissenschaften stärker berücksichtigt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19141 (C) (D) (A) (B) wird; dass der problemorientierte Ansatz des 5. For- schungsrahmenprogramms beibehalten wird. Ulrike Flach (FDP): Für die europäische Forschung ist es noch nicht fünf vor zwölf, auch wenn das Thema „6. Forschungsrahmenprogramm“ heute zu mitternächtli- cher Stunde beraten werden sollte. Dennoch: Die Zeit läuft, denn die ursprüngliche Entscheidung im nächsten Forschungsministerrat kann – nicht zuletzt aufgrund der circa 750 Änderungsanträ- ge – nicht erfolgen, sodass es voraussichtlich einen zu- sätzlichen Forschungsministerrat am 10. Dezember geben wird. Das 6. Europäische Forschungsrahmenprogramm ist für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Forschung von großer Bedeutung und es ärgert mich, dass dieses Thema in den Medien so wenig Widerhall findet. Die vorliegenden Anträge von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen, CDU/CSU und FDP haben einige Gemein- samkeiten: Wir alle begrüßen den von der Kommission vorgeschlagenen Budgetrahmen von 17,5 Milliarden Euro. Wir alle begrüßen auch die sieben vorgeschlagenen vorrangigen Bereiche, wenngleich Präzisierungen und Klarstellungen notwendig sind. Auch der achte Bereich, der ja eine „Reserve“ für neue Entwicklungen darstellt, ist sinnvoll. Ich glaube nicht, dass man dem Vorschlag der Bundesregierung folgen und in die sieben vorrangigen Bereiche Quoten einbauen sollte, die als Reserve für un- vorhergesehene Bedarfe zur Verfügung stehen. Neue For- schungsnotwendigkeiten passen nicht unbedingt in dieses Raster. Die Gemeinsamkeiten der Anträge betreffen auch die dringend nötige Verbesserung des Zugangs und der Mit- wirkung von kleinen und mittleren Unternehmen. Die FDP hat dies am Beispiel der Hochschulforschung deut- lich gemacht, die mit 100 Prozent gefördert wird, woge- gen Forschung von KMUs nur mit 50 Prozent gefördert wird. Das muss nachgebessert werden. Gemeinsam wol- len wir auch die Mitwirkungsrechte der Mitgliedstaaten präzisieren und die Konstruktion der Europäischen For- schungsstelle überprüfen. Weitgehend Einigkeit herrscht auch bei der Diskussion über die Förderungsinstrumente. Wir alle halten es für richtig, die neuen Instrumente so einzuführen, dass es nicht zu bruchartigen Entwicklungen kommt, weil die An- tragsteller sich umgewöhnen müssen. Die FDP will aber auch keinen Förderdschungel und ein Wirrwarr an Instru- menten. Ich habe deshalb Sympathie für die Idee, dem Antragsteller selbst die Wahl der Förderinstrumente zu überlassen. Das bringt Wettbewerb zwischen den Instru- menten und wird ganz von selbst zu einer Reduzierung der verschiedenen Möglichkeiten führen. Aber hier hören die Gemeinsamkeiten auf: Der Antrag von SPD und Grünen enthält eine Reihe von Formulie- rungen, die ich als „Nachhaltigkeitsprosa“ bezeichnen würde. Die Forschung an fossilen Energieträgern taucht darin gar nicht auf. Gravierend ist aus unserer Sicht das Abdriften der Bundesregierung bezüglich der französi- schen Bewerbung für den Standort von ITER. Es ist kein gutes Signal an unsere französischen Partner, wenn im Antrag von SPD und Grünen alternative Finanzierungs- konzepte mit und ohne ITER gefordert werden. Die FDP steht zu dem Projekt und verlangt auch von der Bundes- regierung, dass sie sich für eine entsprechende Mitteler- höhung einsetzt. Die geplante Absenkung von 788 Milli- onen Euro auf 700 Millionen Euro kann nicht hingenommen werden. Freilich – und da haben wir wie- der Konsens – darf eine Konzentration auf ITER nicht dazu führen, dass die Finanzierung von Projekten wie Wendelstein 7 X in Greifswald reduziert wird. Ich stelle mit Freude fest, dass die PDS-Minister in Mecklenburg- Vorpommern das Projekt mit anschieben, während die PDS-Bundestagsfraktion versucht, sich als Blockierer vor die Kernfusion zu werfen. Innerhalb des Zeitplans des 6. Forschungsrahmenpo- gramms werden wir den Beitritt neuer EU-Mitglieder er- leben. Das Programm muss entsprechend flexibel gestal- tet werden. Ich hoffe, dass die Bundesregierung die Zeitverschiebung nutzt, um die von allen Fraktionen des Hauses gemeinsam erkannten Defizite des Programms auch gegenüber der Kommission zu verdeutlichen und vielleicht auch einige der im FDP-Antrag genannten For- derungen im Energieforschungsbereich einbringt, von de- nen wir wissen, dass sie viele auch von Ihnen wollen, aber mit Rücksicht auf den grünen Koalitionspartner nicht laut darüber sprechen. Maritta Böttcher (PDS): In aller Eile werden jetzt die Anträge der Parteien zu den Vorschlägen der EU-Kom- mission zum 6. Forschungsrahmenprogramm der EU und zum Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemein- schaft durch den Bundestag gewunken. Nach den An- schlägen am 11. September 2001 in Amerika und den am 7. Oktober 2001 begonnenen Krieg Amerikas gegen Afghanistan haben sich nach Meinung der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP die Bedingungen der inneren und äußeren Sicherheit er- heblich verändert. Wenn dem so ist, sind einige Vor- schläge der EU-Kommission zur Gestaltung des europä- ischen Forschungsraumes obsolet. Darüber müsste ganz neu diskutiert werden, wie zum Beispiel über die Mobi- litätsstrategie, die internationale Dimension des europä- ischen Forschungsraumes, die reaktororientierte Kernfor- schung. Wir halten die heutige knappe Debatte nicht für ange- messen; denn immerhin geht es um die europäische For- schungsstrategie für die nächsten fünf Jahre. Am 17 Mil- liarden Euro schweren Programm ist die Bundesrepublik mit etlichen Milliarden nicht unmaßgeblich beteiligt. Das 5. Forschungsrahmenprogramm der EU war quer- schnittsorientiert, interdisziplinär und noch halbwegs ge- meinwohlzentriert ausgerichtet. Die Forschung ab 2002 ist streng ressortpolitisch zugeschnitten und bezieht sich auf Risikotechnologien wie Genomik und Biotechnolo- gien im Dienste der Medizin und hat Technologien für die Informationsgesellschaft, Nanotechnologien und Luft- und Raumfahrt zum Schwerpunkt. Neu aufgenommen sind die Lebensmittelsicherheit und Gesundheitsrisiken. Einen eher untergeordneten Eindruck erwecken die For- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119142 (C) (D) (A) (B) schungen zu „globalen Veränderungen“, die sich nur noch mit ausgewählten Themen wie zum Beispiel die Klima-, Biosphären- und Atmosphärenforschung befas- sen. Mit der Forschung zur nachhaltigen Entwicklung ist schlankweg nur noch die Erforschung weniger regene- rativer Energien gemeint. Technikfolgenabschätzung, Be- gleitungsforschung von Risikotechnologien und Alter- nativforschung zu „Mainstreamtechnologien“ sind nicht zu finden. Die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen ma- chen in ihrem Antrag an den Bundestag einige gute Vor- schläge zur Gestaltung des 6. FRP. Aber es muss auch ganz klar festgestellt werden, dass die wichtigsten sub- stanziellen Vorschläge zur Gestaltung, Ausrichtung und Schwerpunktsetzung des europäischen Rahmenprogram- mes von der Bundesregierung kamen. Dem Ansinnen von SPD und Bündnisgrünen können wir nicht zustim- men; denn am Tag der Antragstellung – dies war am 3. Juli 2001 – waren die Pflöcke für die europäische Forschung bereits unverrückbar eingeschlagen. In klarem Gegensatz zu dem von Rot-Grün eingenom- menen Standpunkt für eine vorrangige Förderung regene- rativer Energien vor der Förderung nuklearer Energien steht die reaktororientierte Kernfusionsforschung im spe- zifischen Programm EURATOM mit insgesamt 700 Mil- lionen Euro. Freilich sind CDU und CSU davon so ange- tan, dass sie sogar eine europäische Bewerbung um den ITER-Standort unterstützen und noch mehr Forschungs- mittel für die Kernfusion fordern. Die FDP steht dem in nichts nach. Deshalb werden wir auch ihre Anträge ab- lehnen. Von einem starken Einsatz der Regierung gegen das Projekt des Internationalen Experimentalforschungs- reaktors ITER zusammen mit den USA ist derzeit nichts zu spüren. Heutige Atomreaktoren für Stromproduktion und Forschung sind nicht erst seit den Terroranschlägen in vielfachem Sinne ein Sicherheitsrisiko. Auf unsichere Kernfusionskraftwerke kann verzichtet werden, denn Kernfusion ist keine Option für die Energieversorgung der nächsten 50 bis 100 Jahre. Die für Forschung und Entwicklung minimal veran- schlagten 50 Milliarden DM für die nächsten Jahrzehnte können wir uns sparen. Ebenso fragwürdig ist eine For- schung zu neuen Reaktorlinien, besonders wenn sich da- hinter das alte HTR-Konzept verbirgt. Was in den 80er- Jahren in der Bundesrepublik Deutschland stark kritisiert wurde, wird nun aus europäischen öffentlichen Mitteln weiterfinanziert. Dies hat die Bundesregierung nicht ver- hindert. Auch eine Abschaffung der besonderen Regeln des Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft konnte sie offensichtlich nicht durchsetzen. Am klaren Zuschnitt der gemeinsamen Forschungsstelle mangelt es weiterhin. Während die Ansiedlung der Sicherheits- forschung und die Erarbeitung von Referenzsystemen zu unterstützen sind, sind die dort angesiedelten Ausgrün- dungsaktivitäten, die Koordination der Weltraumfor- schung oder die Erforschung neuer Reaktorlinien struktu- rell nicht nachzuvollziehen. Die Gesundheitsforschung ist im Vergleich zum Früh- jahr nicht erweitert worden. Auch an den eingeschränkten Instrumentarien „Exzellenznetze“, „Integrierte Projekte“ und „Teilnahme der EU an Forschungsprogrammen der EU-Länder“ hat sich strukturell nichts geändert, wodurch nach wie vor der Zugang zu und die Teilnahme von klei- neren Forschungseinrichtungen und -projekten wie Hoch- schulen, Fachhochschulen und KMUs begrenzt werden. Die Ausgestaltung eines europäischen Forschungs- raumes bleibt ein Hirngespinst, wenn sich die europä- ischen Länder nicht auf gleiche Rechte für Forscherinnen und Forscher – das bezieht sich auf die Anerkennung der Diplome, die Sozialversicherung, die Verhinderung der Doppelbesteuerung, den unbefristeten Aufenthalt, den un- beschränkten Familiennachzug, die Kinderbetreuung, die Urlaubsbedingungen usw. – im Rahmen der Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Europa und aus Drittländern ohne zeitliche Beschränkungen eini- gen können. Davon ist ja wohl die Bundesregierung mit ihren verschiedenen Vorschlägen zur inneren Sicherheit weiter entfernt als je zuvor. Im Ansatz zum 6. For- schungsrahmenprogramm der EU können wir keinen Fortschritt für eine öffentliche Forschung zugunsten des Gemeinwohls der europäischen Bürgerinnen und Bür- ger erkennen. Inländisch umstrittene Forschungsschwer- punkte werden im europäischen Forschungsraum finan- ziell massiv gestärkt und sind einer demokratischen Kontrolle der europäischen Bürgerinnen und Bürger wei- testgehend entzogen. Die Anträge der anderen Fraktionen werden wir deshalb nicht unterstützen. Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Im Übergang in die Wissensgesellschaft hat die Forschung große Erwartungen zu erfüllen. Wir fordern von der Wis- senschaft Schlüsseltechnologien für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Konzepte zum Umgang mit den Herausforderungen des demographischen Wandels, wir erwarten Anstöße zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Beiträge zur Bewältigung des Strukturwandels. Wir fordern Fortschritte bei der Überwindung von Krankhei- ten, Techniken zur Beherrschung von Naturkatastrophen, zur Vermeidung oder Behebung von Umwelt- und Kli- maproblemen, Antworten auf die Ernährungsfrage und nicht zuletzt Unterstützung bei der Lösung von sozialen Herausforderungen. Wir erwarten im Prozess der Globa- lisierung, dass unsere Forscher nicht nur die Hinter- gründe dafür aufhellen, die in unterschiedlichen kulturel- len, rechtsphilosophischen und ethischen Traditionen liegen, sondern auch Strategien zur Überwindung der Spannungen und für ein friedliches Zusammenleben ent- wickeln. Kurzum, es geht bei der Forschung um zentrale Beiträge zur Gestaltung unserer Zukunft. Wer Zukunft sagt, der bekennt sich zur Verbesserung der Verhältnisse, der setzt auf die produktive Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit, der ist bestrebt, Tore auf- zustoßen und tragfähige Konzepte für das 21. Jahrhundert zu entwickeln. Ich denke, dabei geht es vor allem darum, die vor uns liegende Herausforderung zu meistern, näm- lich wie wir weltweit wettbewerbs- und kooperations- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19143 (C) (D) (A) (B) fähig sein können, wie es uns gelingen kann, zugleich Of- fenheit und Solidarität miteinander zu verbinden. Für die Lösung globaler Probleme, wie Aids, Malaria, Tuberkulose und auch die globalen Umweltprobleme ist es entscheidend, dass wir die Möglichkeiten gemeinsamer europäischer Forschungsaktivitäten nutzen. Daran wird letztlich der Beitrag zu messen sein, den wir mit dem an- stehenden 6. EU-Forschungsrahmenprogramm als Kris- tallisationspunkt europäischer Forschung im Sinne des Leitbildes eines „Europäischen Forschungsraums“ leisten werden. Dies setzt auch voraus, dass das europäische Rahmenprogramm attraktive Bedingungen für die besten Forschungsideen und vor allem für die kreativen Forscher sichert. Es ist gut, dass diese Orientierung von einem brei- ten Konsens innerhalb dieses Hauses wie auch in der Eu- ropäischen Union getragen wird. Wie ist der jetzige Sachstand der Vorbereitungen des 6. Rahmenprogramms? Die ausführlichen Konsultations- prozesse der Bundesregierung mit Wissenschaft, Wirt- schaft, Regierungen und die Rückkopplungen über die Parlamente zeigen uns, dass es allen Beteiligten engagiert darum geht, Europa auf dem Gebiet der Forschung weiter zu stärken. Das Europäische Parlament wird in den nächsten Wo- chen seinen Standpunkt zum Kommissionsentwurf for- mulieren. Bis zum Antragsschluss am 18. September 2001 wurden dort mehr als 750 Änderungsanträge vorge- legt; 50 davon kamen alleine aus dem Umweltausschuss. Deshalb wird sich der nächste Forschungsrat am 30. Ok- tober 2001 in Luxemburg bei seinen Diskussionen im Vorlauf zu einem „Gemeinsamen Standpunkt“ noch nicht auf Beschlüsse des EP beziehen können. Die Bundesregierung lässt sich in den laufenden Ver- handlungen von folgenden Zielsetzungen leiten: Erstens. Es war der Bundesregierung stets ein Anliegen, im Inte- resse der Forschung Brüche bzw. zeitliche Verzögerungen zwischen den Rahmenprogrammen zu vermeiden. Ein Beschluss über das 6. Rahmenprogramm muss daher im Sommer 2002 erfolgen. Deshalb wird es jetzt noch einmal verstärkt darauf ankommen, die Diskussion unter diesem zeitlichen Aspekt zu konzentrieren. Wir können und wer- den jedoch auch nicht Positionen aus Zeitdruck aufgeben, die aus unserer Sicht für den Erfolg eines solchen Rah- menprogramms entscheidende Bedeutung haben. Zweitens. Wir wollen, dass Europa zusammenwächst, seine Position im Wettbewerb auf den Weltmärkten ver- bessert, gerade auch auf innovativen Zukunftsmärkten, in der Informations- und Nanotechnologie ebenso wie in den Lebenswissenschaften mit dem Schwerpunkt der Genom- forschung am Menschen, an Modellorganismen und an Pflanzen. Wir unterstützen daher alle Anstrengungen, die EU-Forschungsförderung in wichtigen Schlüsselberei- chen in ihrer Wirksamkeit und in ihrer strukturbildenden Wirkung in Europa zu erhöhen. Drittens. Die thematischen Prioritäten sind im Großen und Ganzen richtig gewählt. Allerdings sind wir – wie auch andere Mitgliedstaaten – der Auffassung, dass ge- rade die erneuerbaren Energien, die Umsetzung des Prin- zips des nachhaltigen Wirtschaftens und die Verkehrsfor- schung noch stärkere Berücksichtigung finden müssen. Insgesamt sind dabei die themenübergreifenden Fra- gestellungen, also die problemlösungsorientierten An- sätze zu stärken. Wichtig ist uns, dass wirtschafts-, rechts- und sozialwissenschaftliche Forschungen immer dort in die Vorhaben integriert sind, wo diese Aspekte von Be- lang sind, dass auch Querschnittsaufgaben, wie die Ent- wicklung gemeinsamer Standards, von einheitlichen Mess- und Prüfverfahren einbezogen werden. Wir wollen auch, dass integriert in die jeweiligen thematischen Prio- ritäten Aktivitäten unterstützt werden, die über die Ent- wicklung gemeinsamer ethischer Standards zu einem „Europäischen Werteraum“ führen. Das gilt in besonderer Weise für die Lebenswissenschaften. Viertens. Die 8. Priorität sollte auf Sondermaßnahmen für KMU und Förderung der internationalen Zusammen- arbeit beschränkt bleiben. Dem „unvorhergesehenen For- schungsbedarf“ sollte durch eine moderne Bewirtschaf- tung der Haushaltslinien zu den thematischen Prioritäten entsprochen werden. Es könnten jeweils zum Beispiel 10 Prozent der Mittel hierfür reserviert werden und zudem eine gegenseitige Deckungsfähigkeit eingeführt werden, die auch die Deckung eines höheren Finanzbedarfs für Unvorhergesehenes in der Forschung – denken wir an BSE – gewährleisten könnte. Fünftens. Ein besonderes Wort will ich zur Fusionsfor- schung sagen. Die Zielrichtung des Antrags der Koalitionsfraktionen stimmt mit der Linie der Bundesre- gierung überein. Wir brauchen in Brüssel noch Klärung in zentralen Fragen. Die beabsichtigte Konzentration der Mittel auf ITER darf nicht dazu führen, die Finanzierung anderer erfolgversprechender Forschungsprojekte wie des Wendelstein 7 X in Greifswald zu reduzieren. Andere Delegationen wie insbesondere Frankreich, Großbritan- nien, Spanien und Italien haben sich für eine Erhöhung der Ansätze auf das Niveau im 5. Rahmenprogramm aus- gesprochen. Wir halten solche Bestrebungen für bislang nicht aus- reichend fundiert, denn eine zentrale Frage ist nicht ge- klärt: Weichen Anteil wird Europa letztendlich an den Kosten für ITER zu tragen haben? Diese Frage wird für den europäischen Steuerzahler besonders wichtig werden, wenn ITER einen Standort in Europa erhalten sollte. Es wird kaum damit zu rechnen sein, dass Japan oder Kanada nennenswerte Beiträge leisten werden; die Reserven der USA gegenüber einer Beteiligung am Fusionsprojekt ITER sind bekannt. Hier könnten schnell 80 bis 90 Pro- zent der Kosten von Europa alleine zu tragen sein. Dann dürfte es schwierig werden, noch ausreichende Finanz- mittel für weiteren Forschungsbedarf in anderen themati- schen Prioritäten decken zu können. Auch das Ziel der Bundesregierung, die Förderung der erneuerbaren Ener- gien im 6. Forschungsrahmenprogramm zu stärken, wäre dann in der von uns gewünschten Größenordnung, näm- lich zumindest gleichgewichtig zur Förderung der nu- klearen Energieforschung, wohl nicht mehr möglich. Sechstens. Bereits in der Debatte am 5. Juli haben wir deutlich gemacht, dass wir der Einführung neuer Förder- instrumente im 6. EU-Forschungsrahmenprogramm posi- tiv gegenüberstehen. Insbesondere das Instrument der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119144 (C) (D) (A) (B) Exzellenznetze erscheint uns für eine Reihe von themati- schen Fragestellungen, wie zum Beispiel aus der Gen- technik und Biotechnologie, ein sehr geeignetes Instru- ment zu sein. Allerdings sollte von diesen neuen Instrumenten nicht ausschließlich Gebrauch gemacht werden, so wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hat. Wir wollen eine schrittweise Einführung, um Brüche vom 5. zum 6. Rahmenprogramm zu vermeiden. Damit wollen wir gerade den KMU und Hochschulen, die erst vor noch nicht allzu langer Zeit den Systemwechsel vom 4. zum 5. Rahmenprogramm bewältigen mussten, sowohl den Zugang erleichtern als auch sicherstellen, dass sie sich auch weiterhin maßgeblich an den EU-Projekten beteili- gen können. Siebtens. Aber nicht nur für Wissenschaft und Wirt- schaft ist ein möglichst lückenloser Übergang vom 5. zum 6. Forschungsrahmenprogramm wichtig. Unsere politi- sche Verantwortung ist es, dass die Beitrittsländer nicht nur „Zaungäste“ eines Rahmenprogramms bleiben, zu dem wir ihnen versprochen haben, dass sie gleichberech- tigt teilnehmen können sollen. Dazu hat die Bundesregie- rung im Ausschuss für wissenschaftliche und technologi- sche Forschung (AWTF) einen erfolgreichen Vorschlag gemacht, sodass die Beitrittsländer – übrigens gerade wie- der am heutigen Tage, am 18. Oktober 2001 in Brüssel – am Bericht dieses Ausschusses für Rat und Parlament mitberaten. Ein Paradigmenwechsel aufgrund kompli- zierter und nicht erprobter Instrumente erschweren diesen Integrationsprozess. Diese Meinung hat die breite Unter- stützung der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten in der Orientierungsdebatte zum 6. EU-Forschungsrah- menprogramm im Ministerrat im Juni in Luxemburg ge- funden. Achtens. Um das Ziel zur erreichen, dass das für die je- weilige Thematik und das Projekt jeweils passendste In- strument verwendet wird, könnte sich die Bundesregierung daher vorstellen, es vor allem auch in die Verantwortung der Projektantragsteller zu stellen, zu entscheiden, wel- ches Förderinstrument adäquat ist, um ihre Forschungs- themen zu bearbeiten. Eine solche Regelung müsste in die am 10. September von der EU-Kommission vorge- legten Beteiligungsregeln, also in die „Spielregeln“ zum 6. EU-Forschungsrahmenprogramm, aufgenommen wer- den. Neuntens. Zu begrüßen ist der mit den Beteiligungsre- geln erfolgte Schritt der Kommission zur weiteren Ver- einfachung. Damit soll es zukünftig nur noch ein Regel- werk, also keine zusätzlichen Durchführungsbestim- mungen geben. Allerdings bedeutet dies für die Praxis nur dann eine wirkliche Vereinfachung, wenn dieses eine Re- gelwerk für den Nutzer deutlich und transparent darstellt, wie das Programm funktioniert, welche Rechte er hat und welche Verpflichtungen er erfüllen muss. Der jetzt von der Kommission vorgelegte Vorschlag zu den Be- teiligungsregeln hat insgesamt noch nicht das nötige Gleichgewicht zwischen wünschenswerter Flexibilität auf der einen und notwendiger Rechtsklarheit auf der an- deren Seite erreicht. Da diese Regeln im Mitentschei- dungsverfahren von Europäischem Parlament und Rat be- schlossen werden müssen, wird sicherlich noch eine Anpassung an die Wünsche aus dem Parlament und den Mitgliedstaaten erfolgen. Zehntens. Die Stärkung der Mobilität unserer For- scher ist eine wesentliche Zielsetzung. Wir haben vor- geschlagen, innerhalb der Mobilitätsaktivitäten eine be- sondere Unterstützung für herausragende Nach- wuchswissenschaftler vorzusehen, damit sie frühzeitig eigene europäische Arbeitsgruppen aufbauen können. Mit einem solchen Instrumentarium, dem „Emmy- Noether-Programm“, haben wir national bereits gute Erfahrungen gemacht. Dieser Vorschlag wurde sowohl von der Kommission als auch von einer Reihe von Mit- gliedstaaten positiv aufgenommen. Elftens. Die Kommission hat sich verpflichtet, die Be- teiligung der KMU auf 15 Prozent der Finanzmittel anzu- heben; ein Ziel, was die Bundesregierung nachdrücklich unterstützt. Damit dies der Kommission gelingt und wir es zudem schaffen, den KMU die Chance einer gleichbe- rechtigten Partnerschaft in den „Projekt-Verbünden“ der thematischen Prioritäten zu geben, haben wir uns sowohl für ein eigenes, neues Antragsrecht der KMU-For- schungsvereinigungen als auch für die Gewährung aus- schließlicher Nutzungsrechte nach Ende des Vorhabens eingesetzt. Die bereits zitierten Beteiligungsregeln zei- gen, dass beide Vorschläge positiv aufgenommen wurden. Wir diskutieren aber auch hier einige noch deutlichere Formulierungen. Außerdem unterstützen wir die themen- unabhängigen Maßnahmen zur Kollektiv- und Kooperati- onsforschung bei KMU, die ganz spezifisch den Anforde- rungen der KMU entgegenkommen. Wir stehen mit der Vorbereitung des 6. Rahmenpro- gramms vor einer großen Herausforderung. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir – trotz aller noch vorhandenen Unter- schiede in strukturellen und thematischen Fragen – zu ei- nem Konsens unter den Mitgliedstaaten sowie mit dem Europäischen Parlament kommen werden. Wir werden daran arbeiten, dass dies zügig zum Erfolg geführt wird. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postumwandlungsgsetzes (Ta- gesordnungspunkt 15) Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Die heute zur De- batte stehende Möglichkeit für die Bundesregierung, ihren Restbestand an Aktien der DPAG verkaufen zu kön- nen, ist eine zwangsläufige Folge der Postreform II, die eine Restbeteiligung des Bundes an den Post AG-Antei- len nur für eine Übergangszeit vorsah. In dieser Über- gangszeit sollte die staatliche Anteilsmehrheit die Sozial- und Infrastrukturverpflichtungen der DPAG garantieren. Seit der Bildung einer Aktiengesellschaft und dem Börsengang verliert aber der Bund als Anteilseigner mehr und mehr den Einfluss auf die Unternehmenspolitik. Dies war und ist eine politisch gewollte Auswirkung der Priva- tisierung und Liberalisierung. Sinn privater Unternehmen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19145 (C) (D) (A) (B) im Wettbewerb ist die Erzielung von Unternehmensge- winnen aus dem angelegten Vermögen der Anteilseigner. Einfluss auf die Unternehmenspolitik im Sinne sozial- staatlicher Verpflichtungen ist auch für den Mehrheitseig- ner nur bei Strafe von Gewinnminderungen, damit Kurs- verlusten und sinkender Attraktivität an der Börse möglich. Auch wenn viele Bürgerinnen und den Staat an seine Sozialverpflichtungen – hier in seiner Eigenschaft als Großaktionär – erinnern, kann er nicht losgelöst von diesen Gesetzen unserer Ökonomie entscheiden. Deshalb ist es nur konsequent, zu einem geeigneten Zeitpunkt die Staatsanteile an der Post AG zu verkaufen. Das heute in der ersten Lesung beratene Gesetz schafft die Voraussetzungen dafür, legt aber keinen Zeitpunkt fest. Über die einzelnen Schritte und ihre Terminierung muss die Bundesregierung entsprechend der Aufnahmefähig- keit der Aktienmärkte und nach anderen Sachkriterien je- weils im einzelnen entscheiden. Anders als das zurzeit der Schuldenkoalition üblich war, dienen die Einnahmen bei uns der Sicherung der Altersversorgung früherer Postbe- diensteter – wie es das Gesetz schon immer vorsah, und wie es von Herrn Waigel stets missachtet wurde. Der Rückzug des Staates aus dieser Unternehmensbe- teiligung soll auf liberalisierten Weltmärkten die Chancen der Post AG im Wettbewerb verbessern. Vorbehalte ge- genüber ausländischen „Staatskonzernen“ in anderen Ländern können so abgebaut werden und stehen der DPAG bei der Fortsetzung ihres Weges, zum Global Player zu werden, dann nicht mehr im Weg. Der Verlust politischen Einflusses auf diesem Weg ist also der Tribut, den die Internationalisierung der Logis- tikmärkte von uns fordert. Unter den gegebenen Bedin- gungen bestünde eine Alternative wohl nur darin, die DPAG an einem solchen Weg zu hindern. Andere Unter- nehmen würden dann nicht nur auf internationaler Ebene an Stelle der DPAG das Geschäft machen, sondern früher oder später mit Übermacht auf die europäischen Märkte und den deutschen Markt drängen. Wir wollen also einer- seits die Chancen der DPAG auf dem Weltmarkt nicht mindern. Die Wahrnehmung dieser Chancen sind ande- rerseits – eine Voraussetzung für hohe Qualität und ein ausreichendes Maß für das Diensteangebot im Inland. Durch unsere Vorgaben hinsichtlich der Wettbewerbs- und Preiskontrolle und die Universaldienstpflichten bin- den wir die DPAG auf dem deutschen Markt und ihre Leistungen an den deutschen Markt. Wir tun das insbe- sondere für die Kundinnen und Kunden Beschäftigten in der Bundesrepublik. Durch die Exklusivlizenz werden Einnahmen und Marktanteile im Inland gesichert; durch die Auflagen aber auch rein betriebswirtschaftliche Hand- lungsweisen der DPAG klar eingeschränkt. Mit den Ver- pflichtungen zum flächendeckenden Angebot, den Qua- litätsvorgaben für die Dienste und mit den sozialen Auflagen wollen wir den Bezug der DPAG zum Inlands- markt erhalten. Klar bezeichnete Pflichtleistungen schränken reine Rentabilitätskriterien an einzelnen Stel- len ein, – kostenmäßig in der Übergangszeit bis zum vollen Wettbewerb, kompensiert durch die Exklusivli- zenz. Der Aktienverkauf entfesselt die DPAG nicht völlig. Wir lassen kein unkontrolliertes Restmonopol zu. Mit den heute in erster Lesung beratenen Änderungen des Postgesetzes balancieren wir Privatisierung und Libe- ralisierung einerseits und Monopolkontrolle und gesell- schaftliche Verpflichtungen andererseits aus. Deshalb wird es einerseits zu voranschreitender Marktöffnung und Anteilsverkäufen kommen und andererseits werden Preis- kontrolle und Universaldienstverpflichtungen verlängert. Das Instrument zur Einhaltung der Pflichten im Rahmen des Postgesetzes und des Grundgesetzes wird also künf- tig ein gesetzlicher Rahmen und die Regulierungspolitik sein. Die Bedeutung der Miteigentümerschaft geht damit in der Tendenz zurück. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meine Aus- sagen im Rahmen der heutigen Debatte zur zweiten Än- derung des Postgesetzes. Dieses Gesetz bringen wir zeit- gleich auf den Weg. Eben weil wir uns über die Brisanz privatisierter Teilmonopole bewusst sind, wollen wir parallel offene Fragen bezüglich der von der DPAG über- nommenen Verpflichtungen gegenüber Kunden, Wettbe- werbern und Beschäftigten im Zusammenhang mit den anstehenden Gesetzesberatungen klären. Die heute vor- liegenden Gesetzesentwürfe der Bundesregierung mit den Änderungen im Postumwandlungsgesetz und im Postge- setz schaffen die Voraussetzungen dafür. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Der Bundes- finanzminister hat großes Interesse daran, die Auflage ab- streifen zu dürfen, die ihm der vorige Gesetzgeber 1994 aufgegeben hat, wonach er frühestens fünf Jahre lang die Kapitalmehrheit an der damals neu gegründeten Post AG halten muss. Diese Gesetzesänderung ist eine der wenigen Maßnahmen, die ordnungspolitisch Sinn machen. Aber dahinter steckt natürlich alles andere als eine ordnungs- politische Bereinigung. Das würde dieser Regierung auch keiner unterstellen wollen; denn Ordnungspolitik ist für diese Regierung alles andere als eine Verpflichtung. Diese Regierung braucht Geld, weil der Haushalt in diesem und im nächsten Jahr völlig aus dem Ruder läuft. Das allerdings ist nicht so einfach mit den Postaktien, die sie verkaufen möchte, denn trotz aller Anstrengungen, die von dieser Regierung unternommen werden, um der Post AG Milliardengewinne mit dem Geld der Verbraucher zu ermöglichen, liegt inzwischen der Kurs der Postaktie weit unter den Eröffnungskursen. Die Aktionäre bei Post und Telekom misstrauen dieser Regierung. Ganz anders liest sich ein Zitat in der „Wirtschaftswo- che“ über den Staatssekretär Manfred Overhaus. Ich zitiere: Wir werden so viel Geld einnehmen, dass wir auf Dauer problemlos die Pensionsverpflichtungen sämtlicher Beamter von Post und Telekom bezahlen können. Das sind über 200 Milliarden DM. Wie gut, dass dieses Gesetz nur mit der Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden kann! Für das aus dem Bundesrat zu erwartende Verfahren stellen wir paral- lel folgende Forderungen, die wir zur Bedingung der CDU/CSU machen, falls Sie unsere Zustimmung am Ende des Gesetzgebungsverfahrens erwarten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119146 (C) (D) (A) (B) Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bündnis 90/Die Grünen treten für mehr Wettbewerb in den von Netzstrukturen geprägten Bereichen der öffentli- chen Daseinsvorsorge ein. Wir wollen die Kreativität des Marktes für mehr Effizienz, mehr Service und mehr Arbeitsplätze nutzen. Allerdings: Gerade in diesen Berei- chen bedarf der Markt des Staates, der einen stabilen Ord- nungsrahmen vorgibt. Die Netzstrukturen sind von frühe- ren staatlichen Monopolunternehmen geprägt. Wir brauchen daher besondere Instrumente, um einen zum Wohle der Verbraucher funktionierenden Wettbewerb herzustellen. Seit dem Börsengang der Post AG im November 2000 ist der Bund – zum Teil über die KfW – noch mit 88 Pro- zent an dem Unternehmen beteiligt. Mit dem Gesetzent- wurf soll dem Bund die Möglichkeit eröffnet werden, die Deutsche Post AG vollständig zu privatisieren. Für die Versorgung der Bevölkerung ist die Kapitalmehrheit des Bundes an der Deutschen Post AG nicht notwendig. Zur gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen insbesondere im ländlichen Raum ist im Postgesetz die Universaldienstleistungsverpflich- tung enthalten. Die Bundesregierung kann danach per Rechtsverordnung mit Zustimmung von Bundesrat marktbeherrschenden Unternehmen auferlegen, Post- dienstleistungen zu erschwinglichen Preisen und in aus- reichendem Maß zu Verfügung zu stellen. Deshalb kön- nen wir mit diesem Gesetz die Grundlage schaffen, um die Beteiligung des Bundes an der Deutschen Post AG im Laufe der Zeit vollständig zu privatisieren. Die Mittel werden vorrangig für die Postunterstützungskassen ver- wendet. Damit kann die Belastung des Bundeshaushalts aus dem Defizit der Postunterstützungskassen begrenzt werden. Die Ausgaben aus dem Bundeshaushalt für die Postun- terstützungskassen belaufen sich in 2002 auf 5,4 Milliar- den Euro mit steigender Tendenz in den Folgejahren. Wir schaffen hier die Voraussetzungen, dass diese Ausgaben mit Privatisierungserlösen aus der Post AG refinanziert werden können und die Zahlungsfähigkeit der Postunter- stützungskassen sichergestellt bleibt. Wir wollen so schnell wie möglich mehr Markt bei der Post. Deshalb begrüßen wir es, dass die belgische Präsi- dentschaft beim EU-Ministerrat am 15. Oktober mit ei- nem neuen Vorschlag der Debatte zur Postliberalisierung einen neuen Impuls gegeben hat. Demnach soll die beste- hende Gewichtsgrenze, oberhalb derer sich die nationalen Postdienste der privaten Konkurrenz stellen müssten, ab 2003 von 350 Gramm auf 100 Gramm sinken. Ein zwei- ter Schritt sieht ab 2006 die Freigabe von Sendungen be- reits über 50 Gramm vor. Notwendig ist darüber hinaus ein gemeinsamer Termin für die endgültige Liberalisie- rung der Postmärkte in der EU. Rainer Funke (FDP): Innerhalb weniger Stunden be- schäftigen wir uns erneut mit Angelegenheiten der Deut- schen Post AG. Man hätte natürlich diesen Tagesord- nungspunkt mit Tagesordnungspunkt 8 verbinden können, denn inhaltlich gehören sie durchaus zusammen. Die SPD hat diese Zusammenlegung aus durchschaubaren Gründen verhindert, um möglichst auch im Bundesrat eine gemein- same Beratung zu verhindern, um so im Vermittlungsaus- schuss möglichst nur ein Gesetz, und zwar das vorlie- gende, behandelt zu sehen. Deswegen beraten wir heute auch erst in erster Lesung das Gesetz zur Änderung des Postumwandlungsgesetzes. Ich kann nur hoffen, dass der Bundesrat dieses Spielchen durchschaut und zeitlich so- wie sachlich zusammen berät. Im Ergebnis begrüßen wir, dass die Bundesrepublik Deutschland sich früher als bislang in § 3 Abs. 2 des Post- umwandlungsgesetzes vorgesehen, von seiner Kapital- mehrheit am Unternehmen Deutsche Post AG trennen will. Postdienstleistungen sind heutzutage keine Dienst- leistungen der staatlichen Daseinsvorsorge. Diese Dienst- leistungen können zahlreiche Dritte mindestens genauso gut erledigen. Deswegen bedarf es auch keiner staatlichen Beteiligung bei einem Postdienstleister. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19147 (C) (D) (A) (B) Nr. Beschreibung Inhalt 1 Verkürzung der Laufzeit der Ex- lusivlizenz von bisher: 31. Dezember 2007 auf nunmehr: 31. Dezember 2005 2 Absenkung der Gewichtsgrenze von bisher: 200 g auf nunmehr: 50 g 3 Absenkung der Preisgrenze von bisher: Fünffaches des Standardbriefs auf nunmehr: Zweieinhalb- faches des Standardbriefs 4 Freigabe der Infopost von bisher: 50 g auf nunmehr: 0 g 5 Freigabe der ab- gehenden grenz- überschreitenden Post von bisher: 200 g auf nunmehr: 0 g 6 Freigabe der Ka-taloge von bisher: 200 g auf nunmehr: 0 g 7 Erweiterung der Lizenzklassen Zulassung der Teilleistung „Ein- sammeln von Post“ 8 Wegfall der Ausnahmerege- lung bei der Ex-Ante-Preis- regulierung Genereller Wegfall der Ausnah- meregelung bei der Ex-Ante- Regelung für Mindesteinliefe- rungsmengen von 50 Stück 9 Wegfall des Sonderrechts für Postwertzeichen Wegfall des alleinigen Rechts der Deutschen Post AG zur Benut- zung hoheitlicher Postwertzei- chen 10 Aufgabe des Mindestbestan- des an unter- nehmenseigenen Filialen Wegfall der Verpflichtung der Deutschen Post zum Erhalt von mindestens 5 000 unternehmens- eigenen Filialen Auch ist es im Interesse der Deutschen Post AG, wenn sich der Staat immer mehr, auch kapitalseitig, vom Unternehmen trennt. So kann sich das Unternehmen sel- ber viel besser am Kapitalmarkt finanzieren und seine Ka- pitalbedürfnisse an die Investitions- bzw. Marktverhält- nisse anpassen. Die Gefahr, dass politische Einflüsse beim Unternehmen Deutsche Post AG geltend gemacht werden, ist auf diese Weise geringer. Das Unternehmen Deutsche Post AG hat sich unter sei- nem Vorsitzenden Dr. Zumwinkel beachtlich gut ent- wickelt. Inzwischen ist die Deutsche Post AG ein moder- ner Dienstleister und ein bedeutendes Unternehmen im Logistikbereich. Mit einer weiteren Privatisierung unter- stützen wir diese politische Entwicklung. Dies dient letzt- endlich allen Mitarbeitern der Deutschen Post AG und zeigt, dass die von der alten Regierung gegen den erbit- terten Widerstand der Gewerkschaft eingeleiteten Privati- sierungsmaßnahmen richtig gewesen sind. Wir Liberalen sind stolz darauf, dass wir diesen Prozess maßgeblich ha- ben beeinflussen können. Gerhard Jüttemann (PDS): Nicht ohne Grund ist 1994 im Grundgesetz festgelegt worden, dass der Bund seine Kapitalmehrheit an der Deutschen Post AG nur unter bestimmten Bedingungen aufgeben darf. Erstens musste eine Fünfjahresfrist nach der Privatisierung einge- halten werden, zweitens ist für die Aufgabe der Kapital- mehrheit ein Gesetz notwendig. Warum sind die Hürden so hoch gelegt worden? Erstens, weil das Grundgesetz den Bund verpflichtet, die Versorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen flächendeckend zu gewährleis- ten und diese Aufgabe als Mehrheitsaktionär wesentlich leichter zu erfüllen ist. Zweitens ging es um die Wahrung der vorhandenen Rechte und der sozialen Besitzstände des Personals der Post. In dem Gesetzentwurf der Bundes- regierung heißt es nun, für beides sei die Kapitalmehrheit des Bundes nicht mehr erforderlich. Einer Überprüfung an der Wirklichkeit hält diese Behauptung allerdings nicht stand. Heute gibt es noch etwas mehr als 13 000 stationäre Posteinrichtungen. Es gab Zeiten, da war deren Zahl mehr als doppelt so hoch. Dieser Kahlschlag ist nicht trotz, son- dern wegen Postgesetz und Universaldienstverordnung erfolgt. Die von Ihnen geschaffenen Gesetze und Verord- nungen im Postbereich verfolgen ja nicht den Zweck an- gemessener Postversorgung. Vielmehr sollen sie die best- möglichen Voraussetzungen für die Kapitalverwertung im Rahmen des so genannten Wettbewerbs schaffen. Damit ist klar, dass jede Leistung abgeschafft wird – und abge- schafft werden muss –, die nicht profitabel ist. Die PDS wird sich nicht daran beteiligen, diese Spirale weiter nach unten zu drehen. Was Sie als Universaldienst bezeichnen, war von Anfang an unzureichend. Schon heute ist uns klar, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft dieses unzu- reichende Minimum gegen den Fortgang der Liberalisie- rung werden verteidigen müssen. Wenn Sie bei der Begründung Ihres Gesetzentwurfs auch die gelungene Besitzstandswahrung des Personals behaupten, ist das freundlich ausgedrückt, abenteuerlich. Es wurden infolge Ihrer Postpolitik 150 000 tarifvertrag- liche Arbeitsplätze abgebaut und nur circa 30 000 neue ge- schaffen. Davon sind die meisten nicht sozialversichert. Die Tarifverträge für neu eingestellte Kollegen bei der Post wurden drastisch verschlechtert, immer mehr Leis- tungen werden ausgelagert und von Billigarbeitern er- bracht. Wieso nennen Sie das Besitzstandswahrung? Richtig ist doch etwas ganz anderes. Richtig ist, dass das Ende der Besitzstandswahrung der Beschäftigten im Postbereich die Voraussetzung für die optimale Kapital- verwertung ist. Deshalb werden die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der Deutschen Post AG in der Praxis den weitgehend unzumutbaren Arbeitsbedingungen der Konkurrenz angeglichen, obwohl das Postgesetz exakt den umgekehrten Weg verlangt. Genügend Skandale bei diesem flächendeckenden Sozialabbau sind bereits pas- siert, noch umfangreichere stehen bevor. Deshalb will der Bund sich aus der Verantwortung stehlen. Die PDS sagt dazu Nein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119148 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419500000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Zunächst möchte ich dem Kollegen Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn) nachträglich sehr herzlich zu seinem

60. Geburtstag gratulieren.


(Beifall)


Die Bundesministerin für Bildung und Forschung hat
mir mitgeteilt, dass der aus einzelnen Zentren der Helm-
holtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren neu
gebildete Verein „Hermann von Helmholtz-Gemein-
schaft Deutscher Forschungszentren e. V.“ in seiner
Satzung die Bildung eines Senats vorsieht, dem unter an-
derem zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages an-
gehören. Ich möchte Sie davon unterrichten, dass die
Fraktionen der SPD und der CDU/CSU hierfür die Kolle-
gen Jörg Tauss und Thomas Rachel benannt haben.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zur Korrektur
der Wachstumsprognosen für das Jahr 2002
durch den Bundesminister der Finanzen und
deren Auswirkungen auf den Bundeshaushalt
2002


(Aufruf in der 194. Sitzung)


ZP 2 Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushalts-
ordnung
– Drucksache 14/7148 –

ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 26)


Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Pflanzenschutzrecht darf Existenz des deut-
schen Obst- und Gemüsebaus nicht gefährden
– Drucksache 14/7141 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

ZP 4 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur Forderung
der UNO-Hochkommissarin für Menschen-
rechte nach einer Pause der Luftangriffe auf
Afghanistan

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Dehnel, Günter Nooke, Klaus Brähmig, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Konsequenter Ausbau der Schienenwege – Er-
höhung der Planungskapazitäten der Deut-
schen Bahn AG
– Drucksache 14/7142 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bodo

Seidenthal, Klaus Barthel (Starnberg), Hans-
Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard Loske, Christian
Simmert, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
6. Forschungsrahmenprogramm 2002 bis
2006 (6. FRP) – Europäische Forschung
stärken

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(D)



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(B)


195. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Beginn: 9.00 Uhr

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
6. Forschungsrahmenprogramm 2002 bis

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419500100
Transparenter und unbüro-
kratischer gestalten – KMU besser einbe-
ziehen – Europäische Energieforschung
weiter ausbauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, Ilse
Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Mit dem 6. EU-Forschungsrahmenpro-
gramm 2002 bis 2006 den europäischen
Forschungsraum stärken

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Vorschlag für einen Beschluss des Europä-
ischen Parlaments und des Rates über das
mehrjährige Rahmenprogramm 2002 bis
2006 der Europäischen Gemeinschaft im
Bereich der Forschung, technologischen
Entwicklung und Demonstration als Bei-
trag zur Verwirklichung des europäischen
Forschungsraums
Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über das mehrjährige Rahmenprogramm
2002 bis 2006 der Europäischen Atom-
gemeinschaft (EURATOM) im Bereich der
Forschung und Ausbildung als Beitrag
zur Verwirklichung des europäischen For-
schungsraums
KOM (2001) 94 endg.; Ratsdok. 06921/01

– Drucksachen 14/6541, 14/6549, 14/6948,
14/6026 Nr. 2.28, 14/7173 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Bodo Seidenthal
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Hans-Josef Fell
Angela Marquardt

ZP 7 – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Bewertungsgesetzes
– Drucksache 14/6718 –

(Beratung 192. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht
Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bewertungsgesetzes
– Drucksache 14/5345 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 14/7171 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Barbara Höll

Außerdem wurde vereinbart, folgende Tagesordnungs-
punkte abzusetzen: 10 d – 13. Hauptgutachten der Mono-
polkommission –, 14 – Aufstiegsfortbildungsförderungs-
gesetz –, 18 – zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes zur Finanzierung der Terrorbekämpfung –,
22 a und b – zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes über den elektronischen Geschäftsverkehr –,
23 – Doping im Spitzensport – und 27 a – zweite und dritte
Beratung eines 10. Euro-Einführungsgesetzes.

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 f auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung des Bundes-
kanzlers
Informelles Treffen des Europäischen Rates in
Gent am 19. Oktober 2001

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001
– Drucksache 14/6146 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (22. Ausschuss)

– Drucksache 14/7172 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth (Heringen)

Peter Hintze
Peter Altmaier
Christian Sterzing
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Uwe Hiksch

c) Beratung des Berichts des Ausschusses für
die Angelegenheiten der Europäischen Union

(22. Ausschuss) gemäß § 93 a Abs. 4 der Ge-

schäftsordnung
zu den Unterrichtungen
Mitteilung der Kommission über bestimmte
Modalitäten der Debatte über die Zukunft der
Europäischen Union
KOM (2001) 178 endg.
Bericht über die Debatte über die Zukunft der
Europäischen Union
Ratsdok. 9520/01
– Drucksachen 14/6214 Nr. 3.2, 14/6395 Nr. 3.2,
14/6643 –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Präsident Wolfgang Thierse

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Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Michael Roth (Heringen)

Peter Hintze
Peter Altmaier
Christian Sterzing
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Uwe Hiksch

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe
Hiksch, Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Ilja Seifert
und der Fraktion der PDS
Für den Erfolg des Stockholmer EU-Gipfels zur
Beschäftigungs- und Sozialpolitik
– Drucksachen 14/5585, 14/6646 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Gloser
Dr. Martina Krogmann
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Dr. Klaus Grehn

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen
Fortschritte bei den Aktionen von E-Europe
SEK (00) 2139; Ratsdok. 14195/00
– Drucksachen 14/5730 Nr. 2.23, 14/6708 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Bertl
Dr. Ralf Wolfgang Brauksiepe
Ulrike Höfken
Ernst Burgbacher
Uwe Hiksch
Dr. Martina Krogmann

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus
Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS
Vertrag von Nizza nachverhandeln
– Drucksachen 14/6443, 14/7002 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth (Heringen)

Peter Altmaier
Christian Sterzing
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Uwe Hiksch

Über den Gesetzentwurf zum Vertrag von Nizza wer-
den wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung

zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

verehrten Damen und Herren! In einer bemerkenswerten
Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des
Deutschen Buchhandels am vergangenen Sonntag hat der
Philosoph Jürgen Habermas die Hoffnung auf, wie er es
genannt hat, eine Rückkehr des Politischen zum Ausdruck
gebracht,


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


und zwar als weltweit zivilisierende Gestaltungsmacht.
Ich denke, es gibt in unserer jüngeren Geschichte wohl
kaum ein Projekt, das diesem Wunsch so nahe kommt wie
das Projekt der europäischen Integration. Dieses Projekt
ist die größte Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Wir
alle sind gefordert, es zu einer Erfolgsgeschichte auch des
21. Jahrhunderts zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nach 1945 stand der unbedingte Wille im Vordergrund,
die Geschichte der blutigen Kriege auf unserem Konti-
nent zu beenden. Insofern war Europa die äußerst erfolg-
reiche Antwort der Völker auf den Krieg. Darauf können
wir stolz sein und wir sind es auch. Diese Erfahrung wol-
len wir Europäer auch den anderen Völkern dieser Welt
zur Verfügung stellen.

Dabei wollen wir niemandem unsere bewährten Mo-
delle der kooperativen Sicherheit, der sozialen, poli-
tischen und wirtschaftlichen Integration aufdrängen. Aber
wir bieten diese Erfahrungen anderen Nationen und ande-
ren Regionen zur Auswertung an, damit auch sie Struk-
turen der regionalen Stabilität, des Wohlstands und der
Sicherheit aufbauen können.

Europa muss sich heute einer neuen Herausforderung
stellen, einer Herausforderung, die zu einer neuen An-
triebskraft im Integrationsprozess werden kann und, wie
ich meine, werden muss. Ich meine die Friedenssicherung
und die Herstellung von Sicherheit nicht nur auf unserem
Kontinent und an den Rändern der Europäischen Union.
Ich meine die weltweite Verantwortung Europas im
Kampf gegen Hunger, Unterdrückung, Instabilität und
Terrorismus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wenn ich in der vergan-
genen Woche davon gesprochen habe, dass wir uns in ei-
ner neuen Weise der internationalen Verantwortung zu
stellen haben, schließt dies ausdrücklich unser Engage-
ment in und für Europa ein; denn dieses Europa muss in
den Krisen, die wir miteinander und mit unseren Freun-
den zu lösen haben, einen eigenen und sichtbaren Beitrag

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



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(B)


zur Lösung leisten können. Dafür müssen wir uns einset-
zen.

In diesem Zeichen wird auch das morgige Gipfeltref-
fen der Europäischen Union in Gent stehen. Auch in Gent
werden wir uns mit den terroristischen Angriffen auf die
USA sowie mit der Lage nach Beginn der militärischen
Operationen in Afghanistan beschäftigen. Wir werden
dabei deutlich machen, dass diese militärischen Operatio-
nen völkerrechtlich legitime und durch die Beschlüsse des
Weltsicherheitsrates legalisierte Maßnahmen zur Vertei-
digung unserer offenen und demokratischen Gesellschaf-
ten und zum Schutz des internationalen Friedens sind.

Dabei ist klar: Die militärischen Maßnahmen sind
nicht gegen das afghanische Volk oder gar gegen den ge-
samten Islam gerichtet. Es geht eben nicht, wie häufig
deutlich gemacht, um den Kampf der Kulturen, sondern
es geht um den Schutz auch unserer zivilisierten Art zu le-
ben gegen gesichts- und geschichtslose Barbarei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dass dazu auch die Bereitschaft zu militärischen
Beiträgen zählt, habe ich vor diesem Haus schon in aller
Deutlichkeit klar gestellt. Ich füge hinzu: Wir sollten nicht
glauben, dass die bislang von uns geleistete Unterstützung
schon alles wäre, was wir in diesen Kampf einbringen
können und was von uns erwartet werden wird. Die Ein-
zelheiten sind zu gegebener Zeit zu diskutieren und hier
im Parlament zu entscheiden, wenn es verfassungsrecht-
lich geboten ist.

Dabei will ich gleich darauf hinweisen: Niemand in der
Bundesregierung hat die Absicht, in irgendeiner Form das
Parlament in seinen Entscheidungsmöglichkeiten zu um-
gehen. Öffentlich geäußerte Ermahnungen in dieser Rich-
tung sind überflüssig; die Bundesregierung braucht sie
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben – das ist klar – eine schwierige und lang-
wierige Auseinandersetzung vor uns, in der die militä-
rische Komponente – das gilt es immer wieder deutlich zu
machen –, übrigens auch nach Auffassung des amerika-
nischen Präsidenten, nur ein Teil, allerdings ein wesent-
licher Teil ist.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglied-
staaten haben am 21. September einen umfangreichen
EU-Aktionsplan beschlossen, der die großen und
schwierigen Aufgaben benennt und ihnen gerecht wird. In
Gent wird es darum gehen, Fortschritte bei der Umset-
zung dieses Aktionsplans zu erzielen. Die Verabschie-
dung des Aktionsplans zeigt, dass sich auch Europa durch
die Ereignisse des 11. September verändert hat.

Europa muss und wird auf dem Gebiet der inneren Si-
cherheit zusammenwachsen. Nur wenn wir gemeinsam
Ressourcen bei Polizei und Justiz bereitstellen, können
wir gewährleisten, dass es in der Europäischen Union
keine Verstecke für Terroristen und andere Straftäter gibt.
Alle Partnerregierungen haben klar erkannt, dass eine In-

tensivierung der Zusammenarbeit von Polizei, Geheim-
dienst und Justizbehörden für Europa und für die Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union unabdingbar ist.

Was 1999 auf dem Gipfel im finnischen Tampere be-
gonnen wurde wird jetzt ausgebaut. So werden wir die Be-
fugnisse der europäischen Polizeibehörde Europol aus-
bauen und schon bald ein Kooperationsabkommen
zwischen Europol auf der einen Seite und den zuständigen
amerikanischen Behörden auf der anderen Seite
schließen. Vor allem die Finanzierungsquellen der Terro-
risten müssen ausgetrocknet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist die Ausweitung der Geldwäscherichtlinie so
wichtig. Natürlich muss sie auch im Innern umgesetzt
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Roland Claus [PDS])


Herr Gerhardt, in Bezug auf das, was Sie in der letzten
Debatte gesagt haben, habe ich bei Hans Eichel nachge-
fragt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich auch!)


Er will Ihr Konto nicht führen – damit das klar ist. Dies
soll weiterhin von Ihrer Sparkasse gemacht werden.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich habe mich schon bei ihm bedankt!)


Die terroristische Bedrohung ist aber auch eine
Bewährungsprobe für die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Die diplo-
matischen Aktivitäten der Europäischen Union und der
Mitgliedstaaten müssen sich zu einer schlüssigen außen-
und sicherheitspolitischen Gesamtstrategie zusammen-
fügen. Der allgemeine Rat, also die Außenminister, haben
gestern auf dem Weg dorthin Fortschritte gemacht.

Die erfolgreiche Einbindung Russlands in die Anti-
terrorallianz und die wichtige Rolle, die der deutsche
Außenminister und andere europäische Politiker im Nah-
ostkonflikt spielen, verdeutlichen das weltpolitische Po-
tenzial der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten,
ein Potenzial, das noch mehr als in der Vergangenheit ge-
nutzt werden muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Europa wird sich seiner Verantwortung stellen. Wir wer-
den im Nahostkonflikt in enger Abstimmung mit den
USA – so ist es besprochen – weiterhin aktiv für den Frie-
den arbeiten.

Mit Bezug auf das gestrige Attentat will ich die Gele-
genheit nutzen – ich denke, ich spreche im Namen des ge-
samten Hohen Hauses –, dem Premierminister Israels,
seiner Regierung und den Angehörigen des ermordeten
Ministers unser aller Beileid und unser Mitgefühl auszu-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(C)



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(A)



(B)


sprechen. Bei all dem, was vor uns liegt und was wir an
politischem Druck auf beide Seiten entfalten müssen, ist
für Deutschland nicht nur aus historischen Gründen, son-
dern auch aus vielen anderen Gründen eines ganz klar:
Das Lebensrecht Israels in gesicherten Grenzen steht für
uns außerhalb jeder Frage. Das war immer so und das
wird – ich denke, ich sage dies in unser aller Namen –
auch so bleiben.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir werden zusammen mit den Vereinten Nationen ein
langfristiges Stabilisierungskonzept für Afghanistan erar-
beiten und umsetzen müssen. Hier wird Europa und wur-
den nicht nur die Mitgliedstaaten als Verbündete der Ver-
einigten Staaten von Amerika eine wichtige Rolle zu
spielen haben. Auch und gerade in der Frage, die man als
den Post-Taliban-Prozess bezeichnet, muss die Stimme
Europas hörbar und müssen Aktivitäten Europas sichtbar
werden. Europa wird sich für eine dauerhafte Einbindung
arabischer und islamischer Staaten in die Antiterrorallianz
einsetzen müssen und dies auch tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich habe von unserer neuen Verantwortung in Europa,
aber auch für Europa gesprochen. Der Prozess der öko-
nomischen Integration hat mit der Herstellung des größ-
ten gemeinsamen Marktes der Welt und der Einführung
einer gemeinsamen Währung seinen – ich betone: vorläu-
figen – Abschluss gefunden. Heute durchzieht die Euro-
päische Union ein dichtes Netz von Handelsbeziehungen,
Direktinvestitionen und anderen Transaktionen. Ohne
diese Verflechtung hätte Europa niemals eine so starke
Position im Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten oder
auch Japan erlangen können.

Aber Europa zeichnet weit mehr aus als wirtschaftliche
Stärke, Leistungsfähigkeit, Erfindergeist und Arbeits-
plätze. Europa ist mehr als ein Markt und – nach unserer
Auffassung – auch mehr als ein geographischer Begriff.
Europa ist auch ein Gesellschaftsmodell und eine Form
des Zusammenlebens, die wir verteidigen und ausbauen
wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Europa ist auf die geistigen und sozialen Funda-
mente der europäischen Aufklärung gebaut und hat sich
im Laufe der Jahrhunderte ein reiches griechisches, römi-
sches, jüdisches, christliches sowie islamisches Erbe an-
geeignet.

Wir in Europa haben nicht nur gelernt – das war viel-
fach schwierig genug –, Differenzen anzuerkennen. Wir
haben auch gelernt, den Streit der Konfessionen und tief
sitzende Rivalitäten oder gar Feindschaften der National-
staaten zu überwinden. Wir haben auch gelernt, Unter-
schiede als Bereicherung im friedlichen Miteinander und
im Zusammenleben der Völker zu begreifen.

Europa steht für einen wirtschaftlichen, sozialen, kul-
turellen und ökologischen Ausgleich. Der Gedanke der
Teilhabe – der Teilhabe am Haben, aber auch am Sagen in

der Gesellschaft – ist genuin europäisch. Aber erst durch
die europäische Integration machen wir die Verbindung
aus Eigeninitiative und Gemeinsinn, aus Individualität
und Solidarität zu einem europäischen Modell, zu einer
echten Wertegemeinschaft.

Gerade weil wir Europa als geschichtlich gewachsenes
und kulturell anziehendes Modell erhalten wollen, treten
nicht nur wir Deutsche so vehement für die Vertiefung
und die Erweiterung der Europäischen Union ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben jetzt die einmalige Chance, unseren Kontinent
wirklich zu einen und ihn – trotz aller aktuellen Schwie-
rigkeiten, die wir miteinander überwinden werden – zu
einem Ort dauerhaften Friedens und des Wohlergehens
seiner Menschen zu machen. Doch das wird uns nur ge-
lingen, wenn wir, begleitend zur Erweiterung der Union,
das europäische Gesellschaftsmodell erhalten und – wo
immer es geht und nötig ist – weiter ausbauen.

Darum betone ich noch einmal, dass wir im Kampf
gegen den Terrorismus die Werte von Freiheit, Solida-
rität und Gerechtigkeit um keinen Millimeter preisgeben
dürfen. Ich betone auch, dass es in diesem Kampf keines-
wegs nur um Beistandsverpflichtungen von Freunden
gegenüber den Vereinigten Staaten geht, sondern dass es
– vor dem Hintergrund dessen, was ich gesagt habe – um
die eigenen nationalen Interessen der Deutschen geht;
denn wir sind am 11. September bei den Anschlägen in
New York und Washington mit angegriffen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deutlichstes Zeichen für die gewaltigen Fortschritte,
die das europäische Integrationsprojekt in der Vergangen-
heit gemacht hat, ist die unumstößliche Tatsache, dass ab
1. Januar nächsten Jahres die 290 Millionen Bürgerinnen
und Bürger in zwölf Mitgliedstaaten den Euro im
wahrsten Sinne des Wortes in den Händen halten werden.
Wir werden in Gent den Stand der Vorbereitung zur
Einführung des Eurobargeldes zu erörtern und – wo
nötig – Entscheidungen zu treffen haben. Bei dieser Frage
– und nicht nur bei dieser – steht Deutschland gut da.
Trotz der gewaltigen logistischen Herausforderung ver-
laufen Produktion und Ausgabe an die Banken nach Zeit-
plan. Befürchtungen, die Eurobargeldeinführung führe zu
massiven Preissteigerungen, sind – so sieht es jedenfalls
aus – unbegründet. Die Entwicklung der Inflationsraten
widerlegt die Befürchtungen: Der Anstieg der Lebenshal-
tungskosten der privaten Haushalte geht seit Mai wieder
deutlich zurück; im September betrug die Preissteige-
rungsrate 2,1 Prozent.

Die Bundesregierung geht bei der Umstellung der DM-
Preise auf Euro mit gutem Beispiel voran. Allein die Um-
stellung der Beträge in der Steuergesetzgebung wird die
Bürger um jährlich bis zu 358 Millionen DM entlasten.

Der Deutsche Bundestag wird heute, wie ich hoffe, mit
überwältigender Mehrheit dem Vertrag von Nizza zu-
stimmen. Mit den institutionellen Reformen von Nizza

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

18983


(C)



(D)



(A)



(B)


wurden seitens der Europäischen Union die notwendigen
Voraussetzungen für die Erweiterung geschaffen.
Deutschland ist und bleibt einer der Motoren des Erwei-
terungsprozesses.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Na ja!)


In Nizza und Göteborg haben wir einen sehr ehrgeizigen
Fahrplan für die Erweiterungsverhandlungen verabschie-
det. Bis Ende 2002 sollen die Verhandlungen mit jenen
Beitrittskandidaten abgeschlossen werden, die bis dahin
die Bedingungen für einen Beitritt erfüllen. Wir wissen,
dass die Beitrittsverhandlungen gut vorankommen.
Das ist zweifellos ein großer Erfolg für Kommissar
Verheugen, dem ich zu seiner Arbeit gratulieren möchte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für alle Beitrittskandidaten gilt auch weiterhin der
Grundsatz, dass die Erfüllung der Beitrittskriterien un-
erlässliche Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der
Europäischen Union ist. Hier sind – auch das gilt es zu
unterstreichen – weitere erhebliche Eigenanstrengungen
aller Kandidaten erforderlich. Wir werden dabei aller-
dings auch in Zukunft jede nur erdenkliche Unterstützung
geben.

Polen hat eine zentrale Stellung im Beitrittsprozess.
Ich wünsche mir – ich weiß, dass ich damit nicht allein
bin –, dass Polen zu den Ländern gehört, die als Erste der
Europäischen Union beitreten können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, dass sich die neue
Regierung in Warschau zum Ziel gesetzt hat, die für einen
raschen Beitritt notwendigen Bedingungen zu erfüllen,
also dem Verhandlungsprozess ihrerseits eine neue Dyna-
mik zu geben.

Wenn alle 15 Mitgliedstaaten den Vertrag von Nizza
ratifiziert haben, ist der Weg zu einer Europäischen Union
mit dann fast 30 Mitgliedstaaten endgültig frei. Schon in
Nizza war allerdings klar, dass weitere Reformen not-
wendig sein werden, Reformen in Richtung mehr Trans-
parenz, mehr Effizienz und natürlich mehr Bürgernähe.
Auf meine Initiative hin wurde in Nizza für das Jahr 2004
eine neue Regierungskonferenz vereinbart. Dieser Regie-
rungskonferenz soll eine breite, eine umfassende Debatte
über die Zukunft Europas vorausgehen, an der alle gesell-
schaftlichen Gruppen beteiligt werden müssen. Damit
wird sichergestellt, dass sich die notwendigen Reformen
stärker an den Bedürfnissen der Menschen als an den Vor-
gaben der Bürokratie orientieren.

Entscheidend ist für mich die parlamentarische Di-
mension in der jetzt zu führenden Reformdebatte. Daher
wird der institutionelle Kern des Prozesses, der jetzt an-
läuft, ein Konvent sein, der sich aus den Beauftragten der
Staats- und Regierungschefs sowie aus Vertretern der
nationalen Parlamente, des Europäischen Parlaments und
der Europäischen Kommission zusammensetzt. Die
Außenminister haben über die Ausgestaltung dieses Kon-
vents bereits weitgehend Einigkeit erzielt. Wichtig ist,

dass die Beitrittsländer von Beginn an eingeladen sind;
denn es geht um unsere gemeinsame europäische Zu-
kunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Helmut Haussmann [FDP])


Dieser Konvent soll Reformoptionen erarbeiten. Die end-
gültige Entscheidung über die konkreten Reformen muss
dann – so sieht es das europäische Vertragswerk vor – ei-
ner abschließenden Regierungskonferenz überlassen blei-
ben.

Zentrales Thema der Zukunftsdiskussion wird die Not-
wendigkeit einer für die Bürgerinnen und Bürger besser
nachvollziehbaren Abgrenzung der Kompetenzen der Eu-
ropäischen Union von denen der Mitgliedstaaten sein müs-
sen. Wir haben uns in Nizza darauf verständigt, neben der
Kompetenzabgrenzung den künftigen Status der Grund-
rechte-Charta, die einfachere und verständlichere Gestal-
tung der Verträge und die Rolle der nationalen Parlamente
auf der Regierungskonferenz zu behandeln.

Diese Themenliste bedarf wichtiger Ergänzungen. Das
europäische System der Gewaltenteilung muss stärker an
den Grundsätzen der demokratischen Legitimität, der Ef-
fizienz und der Transparenz ausgerichtet werden. Im Kern
geht es um die alles entscheidende Frage, wie eine so groß
gewordene Europäische Union politisch führbar gehalten
bzw. gemacht werden kann. Für mich heißt das: Notwen-
dig sind eine deutliche Stärkung der Exekutivrechte der
Kommission und der Rechte des Europäischen Parla-
ments, auch im Haushaltsverfahren. Der Rat muss dort,
wo er legislativ tätig ist, in Richtung einer europäischen
Staatenkammer weiterentwickelt werden. Die belgische
Präsidentschaft hat die Reformdiskussion mit großem
Nachdruck und großem Engagement vorbereitet. Sie hat
dabei den Respekt und die volle Unterstützung der Bun-
desregierung.

Meine Damen und Herren, in dieser Woche hat eine
Reihe verdienter, bedeutender Europäer, unter ihnen
Jacques Delors, Jean-Luc Dehaene, Mario Soares, Felipe
Gonzalez, Giuliano Amato und die ehemaligen Bundes-
kanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl, einen Appell
für Europa vorgestellt. Einer der Kernsätze in diesem
Appell lautet – ich zitiere –:

Europa ist nur einer wirklich ernsthaften Gefahr
ausgesetzt: dem Stillstand.

Diesem Satz, denke ich, kann man zustimmen. Ich be-
tone aber ausdrücklich: Es gibt diesen Stillstand nicht und
es darf ihn auch nicht geben, im Gegenteil: Wir haben die
Kraft und den Willen, unser europäisches Projekt zu ver-
teidigen, und gleichzeitig werden wir weiter nach Wegen
für eine bessere und eine menschlichere Zukunft suchen.
Wir sind bereit, Europa zu einem internationalen Akteur
mit globalem Einfluss zu machen, und dies für unsere
gemeinsamen Ziele: Frieden, gerechte Verteilung des
Wohlstands, Solidarität, Demokratie, Menschenrechte
und Respekt vor unterschiedlichen kulturellen Identitä-
ten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

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Wir haben vor – ich bin sicher, dass es gelingt –, das
Gipfeltreffen von Gent zu einem wichtigen Markstein auf
dem Weg zu diesen Zielen zu machen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419500200
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, auf der Besuchertribüne hat eine Delega-
tion des iranischen Parlaments unter Leitung seines stell-
vertretenden Präsidenten Herrn Jalil Sazegarnejad
Platz genommen. Ich begrüße Sie herzlich. Seien Sie uns
willkommen!


(Beifall)


Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Friedrich Merz,
CDU/CSU-Fraktion.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU-Fraktion mit Beifall begrüßt): Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der förmliche
Anlass für die heutige Europadebatte im Deutschen Bun-
destag ist die Ratifizierung des Vertrages von Nizza und
die Regierungserklärung, die Sie, Herr Bundeskanzler,
am Tag vor dem Sondertreffen des Europäischen Rates im
belgischen Gent abgegeben haben.

Die politische Agenda der Europäischen Union wird in
diesen Tagen ganz sicher von anderen Dingen mitbe-
stimmt. Wir haben auch diese Debatte heute anders zu
führen, als wir sie vor fünf oder sechs Wochen vorbereitet
haben. Die Terroranschläge von New York und Washing-
ton haben auch das Koordinatensystem für die aktuellen
Fragen der europäischen Politik erschüttert. Wenn es rich-
tig ist, dass die Anschläge, die Ermordung von mehr als
6 000 Menschen, ein Angriff auf die gesamte zivilisierte
Menschheit gewesen sind, dann galt dieser Angriff nicht
nur Amerika, sondern dann war es auch ein Angriff auf
Europa, ein Angriff auf die europäischen Demokratien,
auf die Menschenrechte und auf die Werte der europä-
ischen Zivilisation.

Wir müssen uns heute die Frage stellen, ob Europa,
diese Europäische Union, darauf bisher eine überzeu-
gende Antwort gegeben hat. Man kann es auch kritischer
formulieren: Warum hat die Europäische Union bei der
Bewältigung dieser Krise bislang eine – zumindest ge-
genüber der NATO und den Vereinten Nationen, insbe-
sondere gegenüber dem Sicherheitsrat der Vereinten Na-
tionen – so untergeordnete Rolle gespielt?

Das kontinentale Europa hat sich bisher vor allem
durch Solidaritätsbekundungen hervorgetan. Diese waren
wichtig. Sie waren richtig, weil es darum geht – Herr Bun-
deskanzler, Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung
zum Ausdruck gebracht –, eine internationale Allianz ge-
gen den Terror zu schmieden.

Doch muss man feststellen, dass diese Erklärungen der
Europäischen Union, insbesondere die Erklärung des Ra-
tes der Staats- und Regierungschefs, schon in der Sprache
erkennen ließen, dass die Bereitschaft, unsere amerikani-

schen Freunde vorbehaltlos zu unterstützen, auch mi-
litärischen Beistand zu leisten, nicht sehr ausgeprägt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen uns folgerichtig die Frage stellen, ob diese
Solidaritätsbekundungen wirklich ausreichen im Kampf
gegen einen Gegner, bei dem wir alle Anstrengungen un-
ternehmen müssen, in einem Kampf, in dem wir alle po-
litischen, diplomatischen, wirtschaftlichen, aber eben
auch militärischen Maßnahmen ergreifen müssen, ganz
gewiss dann, wenn dieser Kampf nicht nur Tage, nicht nur
Wochen, nicht nur Monate, sondern vielleicht Jahre dau-
ern wird.

Wie diese Europäische Union selbst ihre Prioritäten
setzt, lässt sich am Haushalt der Europäischen Union
ablesen. Mit mehr als 45 Milliarden Euro ist unverändert
die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union der
Teil, der knapp die Hälfte des Gemeinschaftshaushalts in
Anspruch nimmt. 32 Milliarden Euro sind für die Regio-
nalpolitik vorgesehen, aber nur 5 Milliarden Euro für die
so genannten externen Politiken, also für die Außenpoli-
tik, für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und für die In-
nen- und Rechtspolitik. Das ist ein so geringer Betrag,
dass er in der so genannten finanziellen Vorausschau der
Europäischen Union – wir würden in Deutschland sagen:
in der mittelfristigen Finanzplanung – noch nicht einmal
ausgewiesen ist.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss geändert werden! Das ist richtig!)


Wenn wir neue Antworten geben wollen auf das, was seit
dem 11. September auch die Europäische Union betrifft,
dann müssen im Haushalt der Europäischen Union neue
Prioritäten gesetzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Eine nüchterne Betrachtung zeigt, dass diese Europä-
ische Union bis heute ihre finanziellen Ressourcen zum
allergrößten Teil zur Befriedigung der eigenen Ansprüche
und der ihrer Mitgliedstaaten einsetzt und dass sie für ihre
Außenpolitik nur sehr wenig Geld zur Verfügung stellt.

Es kommt aber natürlich nicht nur auf das Geld an. Wir
müssen uns auch fragen, warum die Bilanz der Gemein-
samen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen
Union, die es ja gibt, so dürftig ausfällt, warum es bis zum
heutigen Tage keine einzige konzeptionelle außenpoliti-
sche Initiative der Europäischen Union gegeben hat, etwa
um Krisenregionen außerhalb der Europäischen Union zu
stabilisieren.

Wo ist der außenpolitische Beitrag dieser Europäischen
Union für den Nahen Osten? Wo ist er für Tschetsche-
nien? Wo ist er für Zentralasien? Wo ist er für Nordafrika,
wo für den Balkan? Die einzige Ausnahme ist Mazedo-
nien, wo sich die Europäische Union, bisher jedenfalls,
mit messbarem Erfolg darum bemüht hat, einen Bürger-
krieg zu verhindern.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder

18985


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Das einzig wirklich überzeugende Konzept der ver-
gangenen Jahre, das die Europäische Union auf den Weg
gebracht hat, ist die Erweiterung der Europäischen Union
nach Osten, ist die Einbeziehung der Demokratien in Mit-
tel- und Osteuropa in die politische Wertegemeinschaft
und in das Wirtschaftssystem Europas.

Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihnen ausdrücklich
zu: Es geht in erster Linie nicht um die Einbeziehung der
mittel- und osteuropäischen Staaten in unsere Wirt-
schaftsgemeinschaft – das ist ganz ohne Zweifel ein wich-
tiger Aspekt –; sondern darum, dass diese Länder nach
Europa zurückkehren und Mitglied der Europäischen
Union werden wollen, weil sie sich der Wertegemein-
schaft der Europäischen Union verbunden fühlen und
weil sie Teil der freiheitlichen Demokratien Europas wer-
den wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auf diesem Weg müssen wir ihnen helfen. Das bleibt
eine zentrale Aufgabe insbesondere der deutschen Politik;
denn es liegt gerade im deutschen Interesse, dass die Er-
weiterung der Europäischen Union um die osteuropä-
ischen Staaten gelingt. Aber gelegentlich hat man selbst
hierbei den Eindruck, als würde der Wert von Stabilität,
von Freiheit und von Sicherheit auf dem europäischen
Kontinent – das anzustreben ist eine so unendlich wich-
tige Aufgabe – von einem reichlich vordergründigen
Streit um die Verteilung von Fördermitteln oder die Ver-
einbarung von Übergangsfristen zugeschüttet. Herr Bun-
deskanzler, Übergangsfristen für osteuropäische Staaten
sind nicht das zentrale politische Thema der Osterweite-
rung; vielmehr ist die Mitgliedschaft der osteuropäischen
Staaten in der Europäischen Union als einer Friedens- und
Freiheitsordnung die entscheidende politische Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir wollen, dass die Europäische Union nicht nur im
Inneren, sondern auch in ihren auswärtigen Beziehungen
handlungsfähig ist, dass sie eine aktive Rolle spielt und
dass sie in der internationalen Politik ihre Verantwortung
politisch, diplomatisch, wirtschaftlich und, wenn es not-
wendig ist, auch militärisch wahrnimmt. Ein starkes Eu-
ropa liegt auch im Interesse der Vereinigten Staaten von
Amerika als einzig verbliebener Weltmacht.

Die bisherige Arbeitsteilung – Amerika ist in erster Li-
nie für die Sicherheit zuständig und übernimmt die mi-
litärischen Aufgaben, während sich die Europäische
Union auf die wirtschaftlichen Wohltaten konzentriert –
ist mit der atlantischen Wertegemeinschaft, aber auch mit
der atlantischen Schicksals- und Risikogemeinschaft
nicht länger vereinbar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir feststellen,
dass die Europäische Union auf eine bessere Verteilung
der Verantwortlichkeiten in dieser Welt bisher nicht vor-
bereitet ist. Daran müssen wir – auch wir von der Union
wollen das – etwas ändern.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus insbeson-
dere für die europäische Innen- und Rechtspolitik? Die
Europäische Union hat dem Terrorismus den Kampf an-
gesagt und sie hat bei der außerordentlichen Tagung des
Europäischen Rates am 21. September, also zehn Tage
nach den Anschlägen, einen konkreten Aktionsplan be-
schlossen, der unter anderem die Einführung eines euro-
päischen Haftbefehls und die Weitergabe von den in den
Mitgliedstaaten gewonnenen Daten aus dem Bereich des
Terrorismus an Europol vorsieht. Außerdem sollen der
Kampf gegen die Finanzierung des internationalen Terro-
rismus verstärkt und Maßnahmen zur Erhöhung der
Flugsicherheit in der Europäischen Union ergriffen wer-
den.

Ich will es klar und deutlich sagen: Das Maßnahmen-
paket, Herr Bundeskanzler, das Sie im Rat am 21. Sep-
tember auf den Weg gebracht haben, ist nicht zu kritisie-
ren; aber es zeigt gleichzeitig, wo wir in Europa in der
Innen- und Rechtspolitik derzeit stehen und wie weit wir
von dem vor zwei Jahren auf dem Rat im finnischen Tam-
pere beschlossenen Weg – sie haben ihn zitiert – entfernt
sind, nämlich von einem gemeinsamen Raum der Frei-
heit, der Sicherheit und des Rechts. Welchen Sinn macht
es, wenn wir zwar alle die Notwendigkeit der grenzüber-
schreitenden Zusammenarbeit – etwa in Polizeifragen, bei
der Bekämpfung des organisierten Verbrechens, beim
Drogenhandel, beim Menschenhandel, beim Waffenhan-
del, bei der Autoschieberei, beim Terrorismus – immer
wieder beschwören und betonen, aber offenbar die ein-
fachsten Grundlagen für die grenzüberschreitende Wei-
tergabe von Daten zum Beispiel an Europol bis heute
nicht vorhanden sind?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, es ist auch schwer nach-
vollziehbar, dass die Einführung eines europäischen
Haftbefehls bisher daran gescheitert ist, dass er aufgrund
der damit verbundenen Überstellung von Straftätern in ein
anderes Mitgliedsland wegen des unterschiedlichen Straf-
maßes, das dort für einzelne Straftaten gilt, in der Euro-
päischen Union nicht konsensfähig war. Wir brauchen
eine starke europäische Polizeibehörde; Europol muss
ähnlich arbeiten können wie das Bundeskriminalamt in
Deutschland. Wir brauchen eine europäische Staatsan-
waltschaft und grenzüberschreitende exekutive Befug-
nisse für Polizeibehörden bis hin zu einem europäischen
Haftbefehl, der überall in der EU vollstreckbar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich das Europäische
Parlament und der Rat in der vergangenen Woche auf
einen Kompromiss bezüglich der Geldwäscherichtlinie
verständigt haben. Damit ist nach einer jahrelangen
Blockade im Ministerrat der Weg für die vom Europä-
ischen Parlament seit langem geforderte Verschärfung der
Geldwäschebekämpfung frei, ohne dass es zu einer Ein-
schränkung der verfassungsrechtlich geschützten Rechts-
beratung und Prozessvertretung in den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union kommt. Ich frage trotzdem:
Warum mussten erst die Anschläge in Amerika gesche-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Friedrich Merz

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hen, bevor sich die Europäische Union endlich auf eine
solche Maßnahme verständigen konnte?


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Was uns in den vergangenen Wochen aus gegebenem
Anlass mehr als vorher beschäftigt hat, war die Interpre-
tation des Begriffs „Terrorismus“; da müssen wir in der
Wertegemeinschaft der Europäischen Union endlich zu
einer gemeinsamen Definition kommen. Eine Ver-
ständigung dahin gehend, dass wir auch das Gleiche mei-
nen, wenn wir das Gleiche sagen, ist die wichtigste Vo-
raussetzung dafür, dass wir die Maßnahmen, die wir für
den Kampf gegen den Terrorismus beschließen, auch vor
der europäischen Öffentlichkeit legitimieren können.
Weil gleich ja auch ein Vertreter der PDS sprechen wird,
will ich an dieser Stelle festhalten: Das ist die Vorausset-
zung dafür, dass solche unerträglichen Vergleiche unter-
bleiben, wie sie der letzte Ministerpräsident der DDR und,
wenn ich mich nicht irre, der bis heute amtierende Ehren-
vorsitzende der PDS auf dem letzten PDS-Parteitag ange-
stellt hat. Dort hat er die Angriffe auf das World Trade
Center in New York und die bedauerlichen Fehltreffer von
durch amerikanische Flugzeuge abgeworfenen Bomben
auf die chinesische Botschaft in Belgrad vor zwei Jahren
auf eine Stufe gestellt, indem er beide als Staatsterroris-
mus bezeichnet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aus dem bisher hier Gesagten und aus dem, was auch
Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung
zum Ausdruck gebracht haben, ergibt sich, dass wir die
beim Europäischen Rat in Nizza eingeleitete Debatte
über die Zukunft der Europäischen Union nicht nur insti-
tutionell führen dürfen. Wir brauchen eine bessere Zu-
sammenarbeit der Institutionen. Wir brauchen eine Stär-
kung des Europäischen Parlaments. Wir brauchen die
Etablierung des Rates als zweiter Kammer bei der
Gesetzgebung in der Europäischen Union. Wir dürfen uns
dabei aber nicht nur auf schematische Lösungen
beschränken. Wir brauchen in vielen Bereichen mehr Eu-
ropa und ein Mehr an europäischer Integration. Wir brau-
chen in den kommenden Jahren auch einen Diskussions-
prozess, der die Frage beantwortet: Europa – wozu im
21. Jahrhundert? Wir dürfen diese Frage nicht nur hier im
Deutschen Bundestag stellen, wir müssen sie öffentlich
– mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes und
in der Europäischen Union insgesamt – so diskutieren,
dass der Weg zu mehr Integration in der Europäischen
Union auch in den Mitgliedstaaten auf Konsens stößt.

Wir begrüßen deshalb, dass in Nizza der Weg für eine
neue Methode der Weiterentwicklung der Europäischen
Union geöffnet worden ist. Wir begrüßen, dass in einem
Konvent oder in einer ähnlichen Institution auch die Par-
lamente der Mitgliedstaaten bei der weiteren Entwicklung
der Europäischen Union beteiligt werden. Kompetenzab-
grenzung, Vertragsvereinfachung, die Klärung des
Rechtsstatus der Grundrechte-Charta und die Einbezie-
hung der nationalen Parlamente in den europäischen Ei-
nigungsprozess bleiben in vollem Umfang wichtig.

Dieser Prozess muss aber auch für andere Themen, die
sich neu ergeben und die hinzukommen, offen bleiben. Es
darf nicht nur über das Verhältnis der Organe der Europä-
ischen Union untereinander und den weiteren Übergang
zu Mehrheitsentscheidungen im Rat diskutiert werden;
wir brauchen auch die inhaltliche Ausgestaltung der zen-
tralen politischen Fragen, die dieser Europäischen Union
gestellt sind.

Wir müssen, so meine ich, gerade mit Blick auf das
Jahr 2004, das Jahr, in dem die erste größere Erweite-
rungsrunde des 21. Jahrhunderts stattfinden soll, einge-
stehen, dass es ungelöste Probleme gibt. Ich spreche noch
einmal die Struktur des Haushaltes der Europäischen
Union an. Aber auch die Agenda 2000, die, Herr Bun-
deskanzler, in der deutschen Ratspräsidentschaft im ers-
ten Halbjahr 1999 formuliert worden ist, ist zu nennen.
Ich denke, wir müssten uns darüber einig sein, dass das,
was vor zwei Jahren in der Agenda 2000 formuliert wor-
den ist, für die Erweiterung und Vertiefung der Europä-
ischen Union, so wie Sie sie heute Morgen in Ihrer Re-
gierungserklärung skizziert haben, nicht ausreicht. Die
Agenda 2000 muss nachgearbeitet werden, wenn die Er-
weiterung und Vertiefung der Europäischen Union ein Er-
folg werden sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen uns in der europäischen Politik vor allem
von einem Geiste der Freiheit und von übergeordneten
politischen, langfristig orientierten Vorstellungen leiten
lassen. Dies muss auf einem gemeinsamen geistigen
europäischen Fundament geschehen, wie das der große
spanische Philosoph und Schriftsteller Ortega y Gasset
schon vor vielen Jahrzehnten, nämlich in den 50er-Jahren
des letzten Jahrhunderts, wie folgt formuliert hat:

Machten wir heute eine Bilanz unseres geistigen Be-
sitzstandes auf, so würde sich herausstellen, dass das
meiste davon nicht unserem jeweiligen Vaterland,
sondern dem gemeinsamen europäischen Fundus
entstammt. In uns allen überwiegt der Europäer bei
weitem den Deutschen, Spanier, Franzosen. Vier
Fünftel unserer gemeinsamen Habe sind unser ge-
meinsames europäisches Gut.

Wenn wir uns von diesem Geist leiten lassen, wenn
also der Geist der Freiheit, der europäischen Einheit, der
Demokratie, des Rechtsstaats, der Bürgerrechte und der
Menschenrechte die Politik leitet, wenn dies die Grund-
lage für die weitere Vertiefung und die Erweiterung der
Europäischen Union ist, dann, meine Damen und Herren,
ist Europa auf einem guten Weg in das 21. Jahrhundert.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419500300
Ich erteile dem Kolle-
gen Günter Gloser, SPD-Fraktion, das Wort.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1419500400
Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr verehrte und liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Merz, auf einige Punkte, die Sie gerade

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Friedrich Merz

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angesprochen haben, mussten Sie, wie ich denke, kraft Ih-
rer Funktion eingehen. Aber hinsichtlich des finanz-, si-
cherheits- und außenpolitischen Engagements dieser Eu-
ropäischen Union haben Sie leider ein Zerrbild
gezeichnet; denn es gibt viele weitere Punkte, in denen
sich diese Europäische Union engagiert. Bei der Erweite-
rung der Europäischen Union, beim Stabilitätspakt für das
frühere Jugoslawien, in Mazedonien, aber auch im
Barcelonaprozess oder im Mittelmeerprozess hat diese
Europäische Union finanziell, aber auch durch die Über-
nahme von Verantwortung Flagge gezeigt. Das sollte man
an diesem Tag deutlich herausstreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Europa, die Europäische Union, ist seit dem 11. Sep-
tember wichtiger denn je. Wir alle haben dies nach den
Terroranschlägen in den USA gespürt. Natürlich sind jetzt
alle Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, alle erforderlichen
Maßnahmen zur Gewährleistung der inneren und äußeren
Sicherheit zu ergreifen. Aber wir wissen – und das ist viel
wichtiger –: Allein könnte kein Mitgliedstaat der Europä-
ischen Union den Terrorismus erfolgreich bekämpfen.
Erst die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene bietet
die Gewähr dafür, dass wir beim Kampf gegen den Terror
den Erfolg haben werden, den wir uns alle wünschen.
Wieder zeigt sich gerade in der Krise, wie lebensnotwen-
dig für uns Europäer die Europäische Union inzwischen
geworden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Europäische Union hat sofort nach den schreckli-
chen Ereignissen in den USA entschlossen gehandelt.
Dies ist nicht zuletzt das Verdienst von Bundeskanzler
Gerhard Schröder und seiner Bundesregierung. Auf seine
Initiative hin hat die belgische Ratspräsidentschaft die
Staats- und Regierungschefs zu einer Sondertagung am
21. September nach Brüssel einberufen. Für diese Initia-
tive dankt meine Fraktion, danken – davon gehe ich
aus – aber auch alle übrigen Fraktionen dieses Hauses
dem Bundeskanzler; denn es ist ein besonderes Zeichen
gewesen, dass wir auf europäischer Ebene Handlungs-
fähigkeit herstellen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Dank
gilt auch allen Staats- und Regierungschefs, weil das Zu-
sammenstehen der Europäer so seinen überzeugendsten
Ausdruck gefunden hat. Auf seiner Sondertagung hat der
Europäische Rat das politische Fundament für die
Bekämpfung des Terrorismus gelegt und ein umfang-
reiches Maßnahmenpaket beschlossen. Eines füge ich
hinzu: Wir Europäer achten die islamische Zivilisation,
bekämpfen aber entschieden den Terror. Wir Europäer
bekämpfen kein Volk und keine Religion; wir bekämpfen
den Terror sowie Fanatismus und Intoleranz, die ihm zu-
grunde liegen. Europa steht solidarisch zu den Vereinig-
ten Staaten. Daran gibt es keinen Zweifel.

Uns allen ist klar, dass die Opfer in den Vereinigten
Staaten und das afghanische Volk die Leidtragenden der

tragischen Ereignisse sind. Wir wissen um die Sorgen und
Ängste in den Vereinigten Staaten vor weiteren Terroran-
schlägen. Wir wissen auch um die Sorgen und Ängste und
um die schiere Not, denen das afghanische Volk jetzt aus-
gesetzt ist. Wir werden, ja wir müssen helfen, so gut es in
der derzeitigen Lage geht.

Aber wir wissen auch um die Sorgen und Ängste in un-
serer eigenen Bevölkerung. Darauf haben wir klare Ant-
worten gegeben; das werden wir auch weiterhin tun. Die
innere Sicherheit ist bei der Bundesregierung in guten
Händen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zu den aktuellen Ereignissen bei uns
noch eines sagen: Wir verurteilen die Trittbrettfahrer in
unserer Gesellschaft auf das Schärfste, die in dieser Zeit
die Verunsicherung in der Bevölkerung ausnutzen und
Sorgen und Ängste schüren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen auch um die unabweisliche Notwendig-
keit, dem fanatischen Terror ein Ende zu setzen. Dazu
müssen wir alle, die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union und die Europäische Union selbst, unseren Beitrag
leisten. Nur ein Beispiel für das, was auf europäischer
Ebene bereits vor einigen Jahren geleistet worden ist und
heute Ergebnisse zeitigt: Die europäische Beobachtungs-
stelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die ihren
Sitz bekanntlich in Wien hat, hat nach den Terroran-
schlägen antimuslimische Akte der Intoleranz in einzel-
nen Mitgliedstaaten festgestellt, aber zugleich darauf
hingewiesen, dass diese Vorkommnisse nicht schwerwie-
gend waren und die europäische Bevölkerung insgesamt
sehr wohl zwischen der im Allgemeinen friedlichen isla-
mischen Welt und den wenigen Fanatikern zu unter-
scheiden weiß, die der westlichen Welt den Krieg erklärt
haben.

Meine Damen und Herren, wir können mit militäri-
schen Mitteln erreichen, dass das Taliban-Regime in
Afghanistan gestürzt wird. Wir können erreichen, dass in
Afghanistan keine Regierung mehr existiert, die den inter-
nationalen Terror unterstützt. Wir müssen eine afghanische
Regierung beseitigen, die dem afghanischen Volk seit Jah-
ren und für die Zukunft keine Lebensperspektive bietet.
Aber damit haben wir noch keine politische Lösung für
Afghanistan. Ich begrüße es außerordentlich, dass – dies
ist in den letzten Tagen auf verschiedenen Tagungen deut-
lich geworden – die Europäische Union mit Hochdruck da-
ran arbeitet, dass Afghanistan eine Zukunftsperspektive
erhält. Europa muss und wird hier Flagge zeigen. Wir wer-
den diesen Prozess aktiv unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei gehen wir von zwei wesentlichen Eckpunkten
aus: Die Vereinten Nationen werden eine zentrale Rolle
spielen müssen, um Afghanistan den Weg zu einer neuen,
legitimen Regierung zu ebnen. Außerdem muss ein Wie-
deraufbauplan für Afghanistan erarbeitet werden. Nach

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Günter Gloser

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über 20 Jahren Krieg und Bürgerkrieg kann das afghani-
sche Volk den Wiederaufbau nicht aus eigener Kraft schaf-
fen.

Wir müssen uns aber auch anderen Krisenherden noch
intensiver als bisher zuwenden. Dies gilt ganz besonders
für den Nahen Osten. Im Nahen Osten muss die Spirale
der Gewalt endlich unterbrochen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nach der gestrigen Ermordung eines israelischen Minis-
ters scheint sich jedoch die Gewaltspirale fortzusetzen.

Wir sind uns der enormen Schwierigkeiten, die dabei
zu überwinden sind, bewusst. Daher spreche ich Ihnen,
Herr Außenminister, den Dank meiner Fraktion dafür aus,
dass Sie in dieser schwierigen Zeit nicht nur vor Ort das
Gespräch mit den Israelis und den Palästinensern gesucht,
sondern auch vehement darauf gedrungen haben, dass
dort Gesprächsfähigkeit neu entsteht. Damit haben Sie in
dieser Region für sich ebenso wie für die Bundesrepublik
Deutschland sehr viel Anerkennung erworben. Dafür sa-
gen wir unseren herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich will ein weiteres wichtiges Feld für die Europä-
ische Union nennen: Die Europäische Union muss ihr Au-
genmerk noch konsequenter als bisher auf ihre Mittel in
der Politik lenken. Zum Beispiel bietet der Barcelonapro-
zess, also das berühmte Abkommen zwischen der Euro-
päischen Union und den Ländern, die südlich und östlich
des Mittelmeers liegen, viele Ansatzpunkte, um die Zu-
sammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den
islamischen Staaten rund um das Mittelmeer zu verbes-
sern. Wir haben schon viel erreicht, um gegenseitiges Ver-
trauen und Anerkennung zu stärken. Wir müssen diese
Länder stärker an die Europäische Union binden, damit
Stabilität und Wohlstand auch in diesen Ländern weiter
gedeihen können.

Gerade vor dem Hintergrund des angemahnten Dialogs
sage ich aber: Es muss ein wirklicher Dialog stattfinden.
Bei diesem Dialog dürfen nicht immer nur die europä-
ischen Interessen im Vordergrund stehen; auch die Be-
findlichkeiten dieser Länder sind zu berücksichtigen. An-
dererseits sage ich allerdings auch: Wer den Dialog will,
muss auch die Assoziierungsabkommen, die die Eu-
ropäische Union geschlossen hat und in denen sich beide
Parteien zur Bewahrung der Grundfreiheiten und der
Menschenrechte verpflichtet haben, beachten. Auch das
gehört zu einem wahrhaftigen Dialog.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Europä-
ische Union hat seit dem 11. September bewiesen, dass sie
zu entschlossenem Handeln in der Lage ist. Anfang dieser
Woche haben die Justiz- und Innenminister sowie die Fi-
nanzminister der Europäischen Union gemeinsam getagt
und bereits konkrete Maßnahmen beschlossen. Sie haben
damit Aufträge der europäischen Staats- und Regierungs-
chefs erfüllt.

Ich will aus den Beschlüssen die für uns wichtigsten
Punkte herausgreifen: Die Europäische Union wird spä-
testens bis zum Europäischen Rat in Laeken über eine ge-
meinsame Terrorismusdefinition verfügen. Es wird ei-
nen europäischen Haftbefehl geben. Dies wird die
Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Terrorismus-
bekämpfung erheblich erleichtern. Die Finanz- und Wirt-
schaftsminister haben in dieser Woche den Anwendungs-
bereich der Geldwäscherichtlinie deutlich ausgeweitet.
Wir werden alles Notwendige dafür tun, um den Finan-
zierungssumpf des Terrorismus auszutrocknen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich füge hinzu: Die Mitgliedstaaten werden gemein-
sam Ermittlungsteams zur Bekämpfung des Terrorismus
einsetzen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist beispiels-
weise, dass die Verkehrsminister Maßnahmen zur Ver-
stärkung der Flugsicherheit getroffen haben. Wir stehen
am Anfang der Auseinandersetzung mit dieser neuen
Form des Terrorismus. Lassen Sie uns dies auch weiter-
hin, wenn es geht, im besten überparteilichen Konsens
tun; denn die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land
haben einen Anspruch auf vernünftige Lösungen.

Im Anschluss an diese Debatte ratifizieren wir den Ver-
trag von Nizza. Man kann über diesen Vertrag unter-
schiedlicher Meinung sein; das betrifft nicht nur die De-
tails des Vertrages.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Richtig!)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, was auch
immer in den Zeitungen gestanden hat, was auch immer
über die schwierigen Verhandlungen berichtet worden ist
und was auch immer wir im Parlament als Defizite von
Nizza beklagt haben – eines ist ganz gewiss: Der Vertrag
von Nizza ist ein Erfolg, weil er erst die notwendigen Vo-
raussetzungen für die Erweiterung geschaffen hat.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Formal!)

Erst mit diesem Vertrag wurde der Weg für die Erweite-
rung frei. Dies – das ist nicht wenig – ist der Erfolg von
Nizza.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer jetzt den Nizzavertrag klein redet, verkennt die
überragende politische Bedeutung, die dieser Vertrag für
unsere Freunde in Polen, Ungarn, der Tschechischen Re-
publik und den übrigen Beitrittsländern hat. Ich würde mir
wünschen, dass Willy Brandt dies heute noch erleben
könnte; denn Willy Brandt hat mit seiner Ostpolitik die
Grundlage für die Überwindung der Spaltung unseres
Kontinents gelegt. Helmut Schmidt und Helmut Kohl ha-
ben sein Werk fortgesetzt. Heute sind wir dabei, das his-
torische Werk Willy Brandts zu vollenden. Ich freue mich,
dass dies im breiten Konsens im Deutschen Bundestag
geschehen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Herr Bundeskanzler hat es bereits erwähnt: Mit
dem Vertrag von Nizza droht der europäischen Integra-
tion eben kein Stillstand. Mit ihrer Erklärung zur Zukunft

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Günter Gloser

18989


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der Europäischen Union haben die Staats- und Regie-
rungschefs Grundsatzfragen der Integration auf die euro-
päische Tagesordnung gesetzt. Diese Grundsatzfragen
sollen auf einer Regierungskonferenz 2004 entschieden
werden.

Die Staats- und Regierungschefs haben damit der Aus-
arbeitung einer europäischen Verfassung den Weg geebnet.
Wir wissen aber auch, dass unterschiedliche Verfassungs-
traditionen, zum Beispiel in Deutschland, Großbritannien,
Skandinavien und anderen Ländern, bei diesem Projekt
aufeinander stoßen.

Aber eine Verfassung für die Europäische Union muss
man sich jenseits der klassischen Kategorien und nationa-
len Begrifflichkeiten von Verfassung und Staatlichkeit
denken. Europa ist eben kein Staat im traditionellen
Sinne. Aber als supranationale Organisation besitzt die
Europäische Union bereits heute eine beachtliche Staat-
lichkeit. Ihr Vertragswerk hat schon heute verfassungs-
rechtlichen Charakter. Durch die schrittweise Weiterent-
wicklung der Verträge hat sich die Europäische
Gemeinschaft in einer unübersichtlichen Fülle von Ver-
trägen, Artikeln und Protokollen konstituiert. Genau diese
Staatlichkeit sollte sich in einer Verfassung neuen Typs
niederschlagen.

Damit komme ich zur K-Frage – wohlgemerkt nicht zu
der K-Frage, die andere Fraktionen in diesem Hause be-
trifft, sondern zur Konvent-Frage. Verfassungsrecht ist
seit jeher Parlamentsrecht. Deshalb ist es gut, dass sich die
Bundesregierung und Sie, Herr Bundeskanzler, in den eu-
ropäischen Räten nachdrücklich dafür eingesetzt haben,
dass zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2004 ein
Konvent eingesetzt wird. An diesem Konvent – das hör-
ten wir schon – werden verschiedene Vertreter teilneh-
men. Ich möchte Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass es
gelungen ist – zuletzt am 8. Oktober –, die Weichen für
diesen Konvent zu stellen.

Erlauben Sie mir eine kurze Rückblende. Zu Beginn
dieses Jahres galt es für manchen noch als ausgemacht,
dass es einen Konvent zur Vorbereitung der Regie-
rungskonferenz nicht geben wird. Ist es nicht ein durch
und durch demokratischer Vorgang, dass Parlament und
Regierung im Dialog ihre Positionen weiterentwickelt ha-
ben? Wir können jetzt jedenfalls ohne Übertreibung sa-
gen, dass es bei uns eine weit gehende Übereinstimmung
zwischen Regierung und Parlament gibt. Das ist in ande-
ren Parlamenten nicht selbstverständlich.

Auch wenn die eine oder andere Frage in Bezug auf
diesen Konvent noch zu klären sein wird, ist für mich klar,
dass mit dem Konvent die europäische Integration revo-
lutioniert wird. Die europäischen Verträge wurden bisher
ausschließlich von den Regierungen ausgehandelt und
von den Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifiziert. Diese
Verfahren drängen die nationalen Gesetzgeber in die
Rolle eines politischen Notars, dem kaum mehr übrig
bleibt, als den Vertrag mit den notwendigen Legitimati-
onshäkchen zu versehen. Dass uns das zu wenig war und
ist, versteht sich von selbst. Ich bleibe dabei: Auf natio-
naler und europäischer Ebene gilt: Mehr Parlament wa-
gen!

Mit dem Konvent ändert sich die Situation grundle-
gend. Es ist kaum vorstellbar, dass die nationalen
Parlamente europäische Verträge, die sie selbst mit aus-
gearbeitet haben, ratifizieren, wenn das Ergebnis der Re-
gierungskonferenz zu weit vom Entwurf des Konvents
abweicht.

Der Deutsche Bundestag wird heute dem Vertrag von
Nizza mit breiter Mehrheit als verfassungsänderndem Ge-
setz zustimmen. Wir haben gemeinsam die eine oder an-
dere Klippe bewältigt. Wir haben dieses im Parlament in
fairer Zusammenarbeit geschafft. Dafür möchte ich mich
im Namen meiner Fraktion bedanken, weil es auch heute
ein wichtiges Signal in der EU, aber gerade auch für die
Beitrittsländer ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es kommt für die Zukunft darauf an, dass die Europä-
ische Union aus eigenem Antrieb die notwendige Integra-
tion voranbringt. Wir müssen unsere ganze Kraft darauf
richten, auch das europäische Sozialmodell weiterzu-
entwickeln. Denn soziale Stabilität ist ein hohes Gut,
nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Dies gilt
es zu bewahren. Gerade deshalb ist für uns die Europä-
ische Union auch eine Antwort auf die Globalisierung. In
Zeiten, in denen viele Menschen Verunsicherung, Sorgen
und Ängste hautnah empfinden, kommt es darauf an, dass
wir unseren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit im Wan-
del geben.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ab-
schluss noch einmal auf die schrecklichen Anschläge in
den Vereinigten Staaten zurückkommen. Es sind nicht Ar-
mut und Elend, die die Menschen zu Terroristen machen.
Die Wurzeln dieses Terrorismus sind Hass, Fanatismus
und Menschenverachtung. Auch die Nationalsozialisten
bezogen aus diesen Quellen ihre mörderische Energie.

Europa hat erst nach der fürchterlichen Katastrophe
des letzten Jahrhunderts und der Befreiung von den Na-
tionalsozialisten seinen Weg zu Ausgleich und Frieden
gefunden. Die Gründungsväter der Europäischen Union
wussten, worauf es ankommt. Sie haben die Menschen
wieder zusammengeführt. Nicht Hass, sondern Toleranz
und gegenseitige Achtung waren die Grundlage. Auf die-
ser Basis haben sie die Gesellschaften und die Europä-
ische Union aufgebaut. Dies ist die Grundlage für das
heute so stabile Fundament für die europäische Integra-
tion. Wir haben Sicherungen in unsere politischen und
wirtschaftlichen Systemen eingezogen, um uns gegen das
Aufkommen von Hass, Fanatismus und Menschenver-
achtung zu wehren.

Unser Auftrag aber bleibt es, der Botschaft der Tole-
ranz und gegenseitigen Achtung in der Welt zum Durch-
bruch zu verhelfen. Das ist eine originäre Aufgabe der Eu-
ropäischen Union. Wir wünschen unserer Regierung bei
den nächsten anstehenden Verhandlungen viel Erfolg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Günter Gloser

18990


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Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419500500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Haussmann, FDP-Fraktion.


Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1419500600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 11. September hat
leider auf brutale Weise klar gemacht, dass der schreck-
lichsten Bedrohung unserer Freiheit durch internationalen
Terrorismus nicht mehr im Alleingang begegnet werden
kann. Auch die einzige verbliebene Supermacht, die USA,
wendet sich von Unilateralismus, von Alleingängen ab
und sucht die globale Partnerschaft. Diese große Chance,
die Amerikaner in gemeinsame, multilaterale Lösungen
einzubinden, dürfen wir Europäer nicht verspielen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nizza – darum geht es ja heute – war leider ein abso-
lutes Negativbeispiel. In Nizza hat sich noch einmal das
alte Denken durchgesetzt; es gab keine Kompromissbe-
reitschaft, keine Bereitschaft für gemeinsame Lösungen.
Alle Regierungen gingen nach Hause, um dort nationale
Egoismen zu begründen, und keine Regierung, auch nicht
die deutsche, hat in Nizza dafür gesorgt, dass es einen
Fortschritt hinsichtlich gemeinsamer Lösungen, Mehr-
heitsentscheidungen und einer stärkeren Rolle des Euro-
päischen Parlamentes gab.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir stimmen dem Bundeskanzler gerne darin zu, dass
die Europäische Union das Erfolgsprojekt des 20. Jahr-
hunderts war. Aber um diese Erfolgsgeschichte im neuen
Jahrhundert fortzuschreiben, muss man mehr tun als das,
was in Nizza geschehen ist. Es ist richtig, dass der Bun-
deskanzler Europa heute als Wirtschaftsmacht rühmt, und
es ist auch gut, dass er von seiner früheren Bezeichnung
der europäischen Währung als „kränkelnde Frühgeburt“
abgegangen ist. Er bezeichnet sie heute als deutlichstes
Zeichen für den gewaltigen europäischen Fortschritt.

Wir sollten an einem solchen Tage auch nicht verges-
sen, dass der Euro fast stillschweigend und leider unbe-
merkt seine erste internationale Bewährungsprobe mit
großem Erfolg bestanden hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir hätten nach dem Terroranschlag mit 15 nationalen
Kleinwährungen in Europa heute große Probleme; wir
hätten einen Auf- und Abwertungswettlauf. Insbesondere
die deutsche Exportwirtschaft würde bei ihren Export-
bemühungen innerhalb von Europa schwer geschädigt.

Insofern, Herr Finanzminister, sollte die Bundesregie-
rung vor Einführung des Bargeldes jede Gelegenheit
wahrnehmen, darzustellen, dass die erste internationale
Bewährungsprobe auf hervorragende Weise gelungen ist.
Deshalb sollten Sie, Herr Finanzminister, auch die für den
1. Januar geplanten Steuererhöhungen, wie die Erhöhung
der Tabaksteuer, zurückstellen; denn nicht die Umstellung
auf den Euro erhöht die Preise, sondern die Bundesregie-
rung tut das, indem sie zum Zeitpunkt der Euroeinführung

die Verbrauchsteuern erhöht. Das ist schlecht für die Ak-
zeptanz dieses wichtigen europäischen Symbols.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweiter Punkt. Es ist gut, dass der Bundeskanzler die
Europäische Union nicht nur als Wirtschaftsmodell sieht,
sondern sie als ein genuines Gesellschaftsmodell be-
zeichnet. Auch hier hat sich vielleicht nicht nur die Rhe-
torik, sondern auch die Einstellung der europäischen So-
zialisten geändert. Vor dem 11. September gab es ja häufig
die verächtliche Formulierung, auch von Grünen: Wir
wollen keine amerikanischen Verhältnisse in Europa. –
Diese Aussage zeugt von Arroganz. Wir Europäer haben
überhaupt keinen Anlass, uns über das amerikanische Ge-
sellschaftsmodell zu erheben, ganz im Gegenteil. Die So-
lidarität und die Bereitschaft, mit anderen Ländern zu-
sammenzuarbeiten, die Amerika im Moment zeigt, haben
die Europäer in Nizza nicht bewiesen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb sollten wir mehr tun, Herr Schlauch. Wir soll-
ten die Steuern senken. Wir sollten die Arbeitsmärkte
flexibilisieren. Denn Deutschland ist inzwischen das
Wachstumsschlusslicht in Europa. Dies ist gewiss kein
solidarischer Beitrag zur Weltwirtschaft.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Wir sollten mehr tun, um der Welt und den Amerikanern
auch ökonomisch zu helfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Blenden wir zurück zum Vertrag von Nizza! Ich zitiere
den Bundeskanzler. In seiner Regierungserklärung vor
dem Hohen Haus am 28. November 2000, also vor etwa
einem Jahr, hat er ausgeführt:

Ein Festhalten am bisher geltenden Einstimmig-
keitsprinzip wäre, insbesondere für den Fall der Er-
weiterung der Europäischen Union, gleichbedeutend
mit einer Selbstblockade der Europäischen Union.
Deshalb ist es ... wichtig,

– so der Bundeskanzler vor Nizza –

in einer erweiterten Union Beschlüsse so weit wie
möglich mit qualifizierter Mehrheit fassen zu kön-
nen.

Dem konnten wir nur zustimmen. Jedoch kam die Bun-
desregierung mit leeren Händen aus Nizza zurück, was
diesen entscheidenden Punkt angeht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Trotz all dieser Versäumnisse werden wir als FDP-
Fraktion dem Vertrag von Nizza zustimmen. Dafür haben
wir vor allem drei Gründe:

Erstens. Wir verlassen uns auf die Zusage der Bundes-
regierung, das Mandat von Laeken auf die für uns essen-
ziellen Punkte auszuweiten: mehr Durchsichtigkeit, eine
stärkere Rolle des Europaparlaments und der nationalen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 18991


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Parlamente und vor allem einen stärkeren Einstieg in das
Prinzip der Mehrheitsentscheidungen; denn ohne Mehr-
heitsentscheidungen wird die Erweiterung nicht funk-
tionieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Wir wollen keinerlei Verzögerungen bei der
Osterweiterung. Wir haben begriffen, dass der Vertrag
von Nizza – zwar mehr in einem formalen Sinne, Herr
Gloser, und noch nicht inhaltlich ausreichend – das Tor
zur Erweiterung aufstößt. Das ist aus Sicht unserer
Schwester- und Bruderparteien in Osteuropa enorm wich-
tig.

Drittens. Wir stimmen zu, weil wir ebenfalls den Weg
für den für uns Liberale so entscheidenden Verfassungs-
prozess öffnen wollen. Darauf wird meine Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger noch eingehen.

Aber nochmals, damit dies ganz klar ist: Noch nie
wurde dem Deutschen Bundestag ein so schlechter Euro-
pavertrag zur Abstimmung vorgelegt.


(Zuruf von der FDP: Das ist leider wahr!)

Ich darf noch einmal den von mir hoch geschätzten sozi-
aldemokratischen früheren Präsidenten des Europaparla-
mentes Hänsch zitieren:

Seit vielen Jahrzehnten gab es in Europa keinen so
miserablen Vertragsentwurf.

(Beifall des Abg. Uwe Hiksch [PDS] – Zuruf von der FDP: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Meine Damen und Herren, trotz dieser Probleme ver-
halten wir uns in der Opposition anders als die Grünen da-
mals, die ja dem Vertrag von Maastricht nicht zugestimmt
haben. Wir werden diesem wichtigen Vertrag trotzdem
zustimmen. Auf die Liberalen ist auch in der Opposition
europapolitisch Verlass.


(Beifall bei der FDP)

Herr Bundeskanzler, Sie erwähnen zu Recht den Ap-

pell verdienter Europäer einschließlich Helmut Kohls und
Helmut Schmidts: Europa ist nur einer wirklich ernsthaf-
ten Gefahr ausgesetzt, dem Stillstand. – Leider war Nizza
Stillstand, in Teilgebieten sogar Integrationsrückschritt.
Sorgen Sie daher in Gent und in Laeken für europäischen
Fortschritt! Dabei haben Sie die volle Unterstützung mei-
ner Fraktion.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419500700
Ich erteile das Wort
dem Außenminister, Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419500800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heuti-
gen Ratifizierung des Vertrages von Nizza wird ein wich-
tiger Schritt der Europäischen Union durch das deutsche
Parlament vollzogen. Dieser Vertrag hat, wie jeder euro-
päische Vertrag, Kompromisscharakter. Er öffnet aber

gleichzeitig die Tür zur Erweiterung der Europäischen
Union. Diese Erweiterung wurde auch von den Rednern
der Opposition als alternativlos dargestellt, aus Gründen,
die ich hier im Einzelnen nicht wiederholen will. Es sind
im wahrsten Sinne des Wortes historische, aber auch
zukunftsorientierte Gründe. Europa zusammenzuführen
liegt im deutschen Interesse. Deutschland, in der Mitte
Europas gelegen, hat ein wirklich vitales Interesse am eu-
ropäischen Einigungsprozess, das heißt an dem Zusam-
menfügen der beiden Teile Europas, die durch den Kalten
Krieg über fünf Jahrzehnte getrennt waren.

Dennoch sollten wir in dieser Diskussion allmählich
auch die Schwierigkeiten benennen, die sich daraus erge-
ben. Herr Kollege Haussmann, ich teile Ihre Meinung
überhaupt nicht, dass es sich bei dem Vertrag von Nizza
um einen schlechten Vertrag handelt. Bei aller Kritik, die
es im Einzelnen gibt, hat allein die Reaktion der Beitritts-
länder klargemacht, dass der Vertrag von Nizza ohne je-
den Zweifel die Voraussetzung für die Herstellung der
Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kollege Merz, das gilt auch für die Umsetzung
der Agenda 2000. Ich kann Sie nur inständig darum bit-
ten, von der Idee – falls Sie sie ernst gemeint haben – Ab-
stand zu nehmen, noch einmal neu über diese Agenda zu
verhandeln.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wir werden gar keine andere Wahl haben!)


– Wir werden sehr wohl eine andere Wahl haben. Denn
wenn Sie es ernst damit meinen, das Paket der Agenda
2000 jetzt aufmachen zu wollen


(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Das wird teuer!)


– nicht nur teuer, Herr Bundeskanzler –, frage ich mich
nicht nur, wie Sie diesen Sack so füllen wollen, dass un-
sere Interessen gewahrt bleiben, sondern auch, wie Sie ihn
wieder zubekommen wollen. Das ist der entscheidende
Punkt. Bei wichtigen und sehr einflussreichen Partnern
finden Sie ein großes Interesse daran, Finanzentscheidun-
gen, die wir – damit sind wir gut beraten – erst 2005, also
im Vorfeld von 2006, treffen werden, nicht bereits heute
auf die Tagesordnung zu setzen.

Wir haben mit wirklich allem Nachdruck dafür
gekämpft, dass die Erweiterung nicht mit der Frage der
zukünftigen Ausgestaltung der Strukturfonds verknüpft
wird. Allein an dieser Frage, Herr Merz, werden Sie
festmachen können, dass es überhaupt nicht im deutschen
Interesse sein kann, das Paket der Agenda 2000 jetzt
wieder aufzumachen. Bei allem Verständnis für Dif-
ferenzierungsnotwendigkeiten der Opposition: Ich bitte
Sie, anzuerkennen, dass gerade in der Finanzierungsfrage
– das betrifft gar nicht so sehr die absolute Höhe, sondern
die Verteilung der Finanzen – eines der großen Probleme
liegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie bestätigen doch das, was ich sage!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Helmut Haussmann

18992


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– Nicht, was die Agenda 2000 betrifft. Wir sind vielmehr
gut beraten, den in diesem Zusammenhang bereits ge-
machten Abschluss in der entsprechenden Größenord-
nung mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Wenn wir
das nicht tun und über die Agenda 2000 wieder neu ver-
handelt wird, wird eine Büchse der Pandora geöffnet, die
nicht nur dem Finanzminister die letzten Haare rauben
wird. Ich weiß wirklich nicht, wie wir in diesem Falle zu
einer entsprechenden Vereinbarung kommen würden.

Meine Damen und Herren, der 11. September 2001 hat
natürlich auch für Europa eine entscheidende Bedeutung.
Diese furchtbare Tragödie und die damit verbundene He-
rausforderung macht aber – darüber möchte ich heute
hauptsächlich sprechen – die Schwächen des europä-
ischen Projekts schlaglichtartig klar. In dieser existenziel-
len Krise, in der es im wahrsten Sinne des Wortes um ele-
mentare Herausforderungen geht, in der sich die
Menschen, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern
überall, im Zusammenhang mit den derzeit bestehenden
Anthraxgefahren und der Umfunktionierung von zivilen
Luftverkehrsmaschinen in fliegende Bomben durch einen
mörderischen Terrorismus plötzlich wieder an der Hand-
lungsfähigkeit der Regierungen bzw. der Exekutive ori-
entieren, stellt sich die Frage nach der Handlungsfähig-
keit Europas, und zwar im Guten oder im Schlechten,
ganz besonders.

Da wir heute eine Debatte über Europa führen, sollten
wir insofern eine sorgfältige und, wie ich finde, auch ehr-
liche Analyse vornehmen, die ein Stück weit, Herr Kol-
lege Haussmann, von den allseits geteilten, sonntagsred-
lichen Positionen Abschied nehmen muss, weil uns das in
der gegenwärtigen Situation zurückwerfen und nicht vo-
ranbringen würde. Mit großer Sorge beobachte ich, ob
sich Europa, was die Reaktion auf die terroristische He-
rausforderung angeht, sowohl in der Innen- als auch in der
Außenpolitik bewährt. Im Hinblick auf die Innenpolitik
ist völlig klar: Die Innenminister werden nicht warten
können, bis im europäischen Konzert irgendetwas ge-
schieht. Wirksame Maßnahmen müssen vielmehr mög-
lichst zeitnah getroffen werden. Das heißt, entweder wird
Europa die Kraft haben, diese Beschlüsse zu fassen, oder
es wird, objektiv bedingt, in der gegenwärtigen Krisensi-
tuation die nationale Ebene handeln müssen. Die Konse-
quenz daraus wäre, ohne dass man es will, ohne dass man
es politisch beabsichtigt, faktisch zumindest ein Stillstand
im Bereich der dritten Säule, im Bereich dessen, was in
Tampere verabschiedet wurde.

Aber dasselbe gilt natürlich auch für die Außen- und
Sicherheitspolitik; der Bundeskanzler hat es zu Recht
angesprochen. Die Frage ist: Ist Europa so weit oder gibt
es eine Möglichkeit, Europa hier sichtbarer zu positionie-
ren? Gott sei Dank gibt es auf diesem Feld eine enge Ko-
ordination und Kooperation. Der Bundeskanzler hatte
verlangt, dass schon in der ersten Woche nach den An-
schlägen ein Sonderrat stattfinden sollte, bevor die Ver-
treter der einzelnen Staaten nach Washington reisten. Der
Sonderrat auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs
hat dann stattgefunden. Es hat eine beeindruckende Er-
klärung gegeben. Es gibt eine gemeinsame Positionierung
aller europäischen Mitgliedstaaten, ob sie nun der NATO
angehören oder nicht der NATO angehören. Hier hat die

Europäische Union an einer wichtigen, an einer histori-
schen Weichenstellung meines Erachtens entsprechend
reagiert.

Wir würden uns wünschen, dass es in dieser Richtung
weitergeht, dass zum Beispiel auch in der Frage der Nach-
Taliban-Lösung für Afghanistan die Europäische Union
– und eben nicht nur die Mitgliedstaaten – eine sichtbare
Rolle spielt. Das ist von überragender Bedeutung. Die Eu-
ropäische Union hat Stärken im humanitären Bereich und
im Bereich des wirtschaftlichen Aufbaus. Die Europä-
ische Union hat aber mittlerweile auch Stärken in der
Konfliktmoderation. Das ist ebenfalls ein wesentlicher
Gesichtspunkt. Javier Solana hat einer gemeinsamen, ko-
ordinierten europäischen Sicherheits- und Außenpolitik
Gesicht gegeben.

Selbstverständlich werden wir im Zusammenhang mit
der GASP und im Zusammenhang mit der europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Dinge voran-
bringen müssen, die bereits vereinbart sind und die Si-
cherheitspolitik, die sicherheitspolitischen Strukturen ent-
sprechend bestimmen. Die Bundesregierung wird hier
immer eine sozusagen parallele Politik verfolgen, näm-
lich einerseits unseren nationalen Beitrag einbringen – in
der Frage der politischen Lösung, in der Frage der mi-
litärischen Solidarität, in der Frage der humanitären Ini-
tiativen – und andererseits nicht müde werden, auch die
europäische Sichtbarkeit zu stärken und ein Mehr an ge-
meinsamer europäischer Außen- und Sicherheitspolitik zu
erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, im Nahen Osten stehen wir
bedauerlicherweise wieder vor einer sehr, sehr ernsten Si-
tuation. Dennoch kann man gerade an dieser Region klar
machen, wie sich die gemeinsame Außenpolitik in der Eu-
ropäischen Union entwickelt hat. Javier Solana – ich er-
wähne ihn hier zum zweiten Mal – wurde in die Mitchell-
Kommission entsandt. Er hat durch seine Arbeit dort, aber
auch durch seine Tätigkeit hinterher klargemacht, dass die
Europäer im Nahost-Friedensprozess nicht nur eine
Randrolle spielen, wenn es um die ökonomischen Fragen,
wenn es um das Bezahlen geht, sondern dass Europa dort
in der Tat politische Interessen hat und dass Europa
– nicht als Alternative zu den USA, sondern in Koopera-
tion mit und in Ergänzung zu den Vereinigten Staaten von
Amerika – eine ganz entscheidende Rolle spielen kann.

Genau an dieser Stelle haben auch wir unsere nationa-
len Beiträge anzusiedeln. Das wollen wir auch in Zukunft
so machen. Wir sehen all das, was wir tun, nicht als Al-
ternative, nicht als ein Stück Renationalisierung deutscher
Außenpolitik, sondern als einen deutschen Beitrag zu eu-
ropäischer Politik. Wir wünschen uns hier auch eine stär-
kere institutionelle Ausformung der europäischen ge-
meinsamen Außenpolitik für die Zukunft, wobei das alles
andere als einfach werden wird.

Es gibt wichtige Partner, die dazu eine distanziertere
und völlig andere Haltung haben. Aber, meine Damen und
Herren, ich bin der festen Überzeugung: Wenn die
Europäer getrennt bleiben, werden selbst die größten

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundesminister Joseph Fischer

18993


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Mitgliedstaaten – von den mittleren und kleineren spreche
ich dann gar nicht – in der Welt des 21. Jahrhunderts nicht
Gestaltungsfaktor sein, sondern wir werden uns dann le-
diglich an Positionen anschließen dürfen, die andere for-
mulieren. Das kann weder in unserem noch im europä-
ischen Interesse sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


Deswegen wird es ganz entscheidend darauf ankommen,
dass wir in diesem Bereich vorankommen, auch wenn wir
über längere Zeit noch eine parallele Entwicklung brau-
chen und verfolgen werden.

Ich sehe, dass die Herausforderungen, die auf Europa
zukommen, in der Tat zunehmen. Der Nahe Osten ist er-
wähnt worden. Aber auch der Balkan ist eine Region, um
die sich Europa kümmern muss. Herr Kollege Merz, ich
halte nichts davon, Europa mit Aufgaben zu überfrachten,
indem man die Gebiete nennt, wo es noch tätig werden
könnte. Hier werden Sie sehr schnell auf eine lange Liste
kommen. Wir müssen vielmehr von dem Punkt ausgehen,
wo Europa heute tätig ist, und dann überlegen, was die
nächsten machbaren Schritte sind. Das ist der entschei-
dende Punkt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Neue Prioritäten!)


– Wenn wir uns darin einig sind, dann ist es gut. Manch-
mal trägt eine Diskussion zur Klärung der Standpunkte
und zur Beseitigung von Missverständnissen bei. Auch
der südliche Kaukasus beispielsweise ist uns regional sehr
nah.

Aber ich möchte noch hinzufügen – das frage ich die-
jenigen, die die Balkanintervention nicht nur kritisch be-
gleitet, sondern mit teilweise fragwürdigen Argumenten
abgelehnt haben –: Wo stünden wir heute, wenn Herr
Milosevic weiterhin in Belgrad an der Macht wäre?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wo stünden wir heute angesichts von Hunderttausenden
vertriebenen albanischen Muslimen in Lagern außerhalb
des Kosovo? Wo stünden wir heute, wenn diese Krise
nach Zentraleuropa getragen worden wäre?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Da hat er die Parteitagsrede umschreiben müssen!)


– Das hat überhaupt nichts mit einer Parteitagsrede zu tun,
sondern ist eine Überlegung zur Formulierung europä-
ischer Interessen. Wenn es einen zwingenden Grund zur
Intervention gegeben hat, dann war es neben den
humanitären Gründen der Gedanke, dass sich der Balkan
nicht zu einem Teil dieses Krisengürtels entwickeln
durfte. Ansonsten hätten wir diese Krise in Europa vor un-
serer Haustür gehabt. Das muss doch heute jeder, der Au-
gen für die politische Lage hat, schlicht und einfach an-
erkennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen ist es so wichtig, dass die Europäer und die
Bundesrepublik Deutschland als Teil Europas ihr Enga-
gement auf dem Balkan fortführen. Das muss langfristig
und dauerhaft geschehen. Ich hoffe, dass die militärische
Komponente mit dem Fortgang der politischen Stabilisie-
rung und der ökonomischen Entwicklung mehr und mehr
zugunsten des politischen und ökonomischen Engage-
ments abnehmen wird. Davon können Sie ausgehen. Den-
noch muss dieses Engagement langfristig sein.

Diese Region zu europäisieren, das heißt an das Europa
der Integration heranzuführen, entspricht genau dem, was
der Bundeskanzler mit der Qualifizierung der europä-
ischen Integration als größtes friedenspolitisches Projekt
in seiner Regierungserklärung festgestellt hat. Das gilt so-
wohl für die Vergangenheit als auch für die aktive Heran-
führung der westlichen Balkanregion an das Europa der
Integration für die Gegenwart und die Zukunft.

Selbstverständlich wird Europa auch bei einer Lösung
des Problems für das Land und die Bevölkerung Afgha-
nistans eine Rolle spielen müssen. Auch hier gibt es ge-
genwärtig zwar in der öffentlichen Debatte eine Veren-
gung auf das Militärische – die ich verstehe –, aber ist der
Kern eigentlich politisch. Das Problem wurde durch die
Invasion der Sowjetunion, aber letztendlich durch das
Sich-selbst-Überlassen nach dem Ende des Kalten Krie-
ges ausgelöst. Es ist doch zuerst und vor allem die afgha-
nische Bevölkerung, die zunächst über zehn Jahre unter
der Invasion der Sowjetunion, der Roten Armee, zu leiden
hatte.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Keine Differenzen, Herr Außenminister!)


– Dass Sie neuerdings bei diesem Thema keine Differenz
haben, freut mich. Ich kann mich an andere Zeiten erin-
nern.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Schon länger ist das so!)


Nach der Invasion war das Land durch die Kriegsher-
ren zerrissen – etwas, das wir bei einer politischen Lösung
verhindern müssen – und am Ende stand der Siegeszug
der Taliban. All das hat dazu geführt, dass wir seit langem
eine anhaltende humanitäre Katastrophe in diesem Land
haben. Das wissen diejenigen, die sich damit beschäfti-
gen, sehr gut. Aber die breite Öffentlichkeit hat dies bis-
her nicht wahrgenommen.

Übrigens gilt dies auch für andere humanitäre Kata-
strophen auf diesem Globus. Ich nenne als Beispiel Alge-
rien und andere Staaten Afrikas. So lange ein Konflikt
lokal bleibt, wird er von der breiten Öffentlichkeit
– Stichwort: CNN-Effekt – nicht wahrgenommen. Des-
wegen weise ich auf diesen Punkt hin. Die politische Lö-
sung muss von innen kommen.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Richtig!)


Es wird keine tragbare Lösung in Afghanistan geben,
wenn sie von außen aufgestülpt wird. Insofern ist sich die
internationale Staatengemeinschaft einig, dass alle Mög-
lichkeiten zur Schaffung einer neuen Legitimität geprüft
werden sollen, etwa durch den Rückgriff auf den König,
der bereit wäre, eine Übergangsrolle zu spielen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundesminister Joseph Fischer

18994


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist eine Option, die, wie andere Optionen auch, sorg-
fältig zu prüfen ist. Die Erneuerung muss von innen kom-
men, es muss eine neue Legitimität durch eine große
Stammesversammlung geschaffen werden, sobald die
Voraussetzungen dazu gegeben sind. Am Ende muss eine
legitime Regierung stehen, die dem Land und den Men-
schen eine humanitäre Perspektive gibt und gleichzeitig
dem Terrorismus keine weitere Unterstützung mehr ange-
deihen lässt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Von dieser Grundlage muss ausgegangen werden.

Das Ganze wird allerdings nur funktionieren, wenn es
in die Zustimmung der regionalen Nachbarn eingebettet
ist, die Zustimmung der internationalen Staatengemein-
schaft findet und – –


(Zuruf von der PDS: Bombardierung!)


– Sie müssen mir einmal sagen, wie Sie die Taliban, die
für diese lang anhaltende humanitäre Katastrophe und die
Unterstützung des Terrorismus verantwortlich sind, weg-
bekommen wollen, ohne ihnen wirklich entgegenzutre-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Es ist doch nicht so, dass sich irgendjemand – etwa die Re-
gierung der Vereinigten Staaten – in den vergangenen Jah-
ren nach einer militärischen Konfrontation gedrängt hätte.
Nicht die USA haben die Taliban angegriffen, sondern es
wurde New York City angegriffen und über 6 000 ameri-
kanische Staatsbürger haben durch diesen Terroranschlag
ihr Leben verloren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Nicht die Amerikaner, sondern andere haben den Konflikt
begonnen.

Wenn Sie die Argumente ernst nehmen – Sie müssen
sie nicht teilen –, müssen Sie eines akzeptieren: Keiner
von uns – angefangen von Präsident Bush über den Bun-
deskanzler bis hin zu den Kollegen hier, die diese Politik
unterstützen – hat sich nach diesem Konflikt gedrängt. In-
sofern müssen Sie schon die Frage beantworten, wie Sie
– dies ist mehr als Innenpolitik – anders als durch gutes
Zureden die Dinge so verändern wollen, dass diese über
zehn Jahre dauernde humanitäre Katastrophe und die Un-
terstützung des Terrorismus endlich beendet werden kön-
nen. An diesem Maßstab müssen wir uns messen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: All
das wird nur funktionieren, wenn die Vereinten Nationen
dabei eine wichtige – ich behaupte sogar: eine zentrale –
unterstützende Funktion haben werden. Auch hieran se-
hen Sie, dass diese Tragödie Chancen eröffnet, und zwar
Chancen für Europa, aber auch für eine neue multilaterale
Politik durch das Reengagement der USA. Chancen be-

stehen vor allen Dingen auch für die Vereinten Nationen.
Ich behaupte, dass im Zuge dieser Entwicklung auch die
Reformdebatte der Vereinten Nationen eine neue Chance
bekommen wird, diesmal zu einer substanziellen Reform-
debatte zu werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, vor diesen Herausforde-
rungen stehen wir als Deutsche in Europa, weil Europa
vor diesen Herausforderungen steht. Wenn es gelingt, in
Laeken die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die not-
wendigen institutionellen Fortschritte erzielen zu können,
um Europa in der Welt des 21. Jahrhunderts handlungs-
fähiger zu machen, liegt das in unser aller Interesse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419500900
Ich erteile dem Kolle-
gen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419501000
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Bundeskanzler Schröder hat
das heute zu beratende Vertragswerk nach unserer Mei-
nung zu Recht zu dem hier in der vergangenen Woche von
ihm und dem Bundesaußenminister begründeten und ver-
kündeten Ansatz einer grundsätzlichen Neuorientierung
der deutschen Außenpolitik in Bezug gesetzt.

Wir widersprechen nicht der Auffassung, die Etappe
der deutschen Nachkriegspolitik sei unwiederbringlich
vorbei und Deutschland sei infolge der vollzogenen staat-
lichen Einigung in eine neue internationale Rolle hi-
neingewachsen. Allerdings sagen wir: In einer solchen Si-
tuation gibt es verschiedene Möglichkeiten, die neue
Verantwortung anzunehmen. Mir wird oft entgegengehal-
ten, die Politik sei alternativlos. Ich sage Ihnen: Politik ist
immer Menschenwerk und deshalb nie alternativlos. Es
geht auch immer anders.


(Beifall bei der PDS)


Herr Bundeskanzler, Sie haben an verschiedenen Stel-
len wiederholt, dass es in dieser neuen Außenpolitik auch
militärische Optionen geben müsse, und zugleich be-
tont, dass diese keinen Vorrang haben dürften. Ich finde,
Ihr aktuelles Handeln spricht eine andere Sprache. Im
Herangehen an den Kampf gegen den Terrorismus ist es
ja genau das Militärische, dem Sie den absoluten Vorrang
einräumen. Andere Optionen der Problemlösung bleiben
zurück. Deshalb sagen wir Ihnen an dieser Stelle noch ein-
mal und mit der notwendigen Klarheit: Wir sind gegen
den Krieg in Afghanistan, weil sich viele unserer Be-
fürchtungen leider bewahrheitet haben. Unschuldige lei-
den unter den Bomben; Flüchtlinge verhungern; das auch
von der Bundesrepublik unterstützte Minenräumpro-
gramm musste wegen der Bombardierungen abgebrochen
werden. Wir müssen an dieser Stelle deutlich sagen und
wiederholen: Der Kampf gegen den Terrorismus ist zu ge-
winnen, ein Krieg jedoch nie.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundesminister Joseph Fischer

18995


(C)



(D)



(A)



(B)


Da Sie, Herr Bundeskanzler, ausdrücklich und ein-
deutig Ja zu dem Krieg in Afghanistan gesagt haben, er-
wartet nun die Öffentlichkeit von Ihnen – ich denke: zu
Recht –, dass Sie Klarheit im Hinblick auf eine eventuelle
deutsche Beteiligung schaffen. Sie sind in diesem Zu-
sammenhang nicht zuletzt deshalb zu Klarheit und Wahr-
heit verpflichtet, weil die Soldaten und ihre Angehörigen
ein Recht darauf haben. Ich denke, Sie müssen in diesem
Sinne auch Spekulationen aller Art entgegentreten, bei-
spielsweise solchen, die Kollege Glos in diesen Tagen in
die Öffentlichkeit getragen hat. Eines muss ich dazu noch
erwähnen, Herr Bundeskanzler – es ist eine gewisse Pi-
kanterie –: Solange die PDS noch bei den Unterrichtun-
gen dabei war, haben alle dichtgehalten. Jetzt ist es an-
ders. Das ist schon eine pikante Sache.


(Beifall bei der PDS – Dr. Peter Struck [SPD]: Ich gebe Ihnen Recht, Herr Kollege! Das muss auch Konsequenzen haben! Der Herr Glos ist ein Schwätzer!)


Das belegt: Der wirkliche Grund für unseren Ausschluss
von den Unterrichtungen besteht nur darin, dass Sie in ei-
ner – das gebe ich zu – wichtigen Frage eine andere Mei-
nung nicht ertragen können. Das ist so nicht hinzuneh-
men.


(Beifall bei der PDS)


In der Dominanz der Logik des Militärischen liegt auch
das Problem, das wir für den europäischen Einigungs-
prozess sehen; denn indem Sie, Herr Bundeskanzler – ich
glaube, hier liegt die Crux –, die neue außenpolitische
Rolle aus dem NATO-Beistandsfall ableiten, definieren
Sie das Neue über das militärisch Neue. Das ist in der
Regel, wie wir finden, ein Zeichen für einen Mangel an
Visionen und Politik. Wenn wir von einer Zäsur, von ei-
ner inhaltlichen Neubestimmung der Europa- und Außen-
politik, sprechen, dann geht es immer um die Substanz,
die Richtung und die beabsichtigte Wirkung der Politik.
Hier sind wir im Unterschied zur Bundesregierung der
Meinung, dass die Europa- und Außenpolitik sehr viel
mehr in ökonomischen und kulturellen Dimensionen ge-
staltet werden muss. Deutschland kann seiner gewachse-
nen internationalen Verantwortung und seinen eigenen
staatlichen Interessen besser entsprechen, wenn es nicht
auf die militärische Logik setzt. Deshalb haben wir die
Anstrengungen des Bundesaußenministers für Friedens-
lösungen im Nahen Osten ausdrücklich unterstützt. Sie
finden unsere Zustimmung.


(Beifall bei der PDS)


Solche politisch-diplomatischen Schwerpunktsetzun-
gen wollen wir aber auch in Europa. Die OSZE war will-
kommen als Instrument zur Überwindung der Blockkon-
frontation. Seitdem wird ihre Bedeutung permanent
zurückgenommen. Wer in der Öffentlichkeit kennt denn
heute überhaupt noch die OSZE? Wer im Saal kann mir
wichtige handelnde Personen der OSZE nennen? Sie wer-
den merken, dass hier ein Problem liegt. Aber die OSZE
wäre genau das Gremium, das die neue Architektur für
Europa umreißen könnte.

Für Deutschland steht heute auf der Tagesordnung, das
Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes in Europa einzu-

bringen, sich für eine tragfähige Sozialunion einzusetzen,
so wie es auch der französische Premier vorgeschlagen
hat.


(Beifall bei der PDS)


Wir wollen, dass die Gleichstellung von Männern und
Frauen auf bestem europäischem Niveau durchgesetzt
wird und nicht etwa nach einem – verzeihen Sie den Aus-
druck – südeuropäischen Machogebot. Wir finden außer-
dem, dass Deutschland für den Prozess der kulturellen
Annäherung in Europa viel mehr tun könnte. Wenn man
die Fremdsprachkenntnisse in unserem Land als Beispiel
nimmt, dann müsste man fast sagen: Deutschland ist kul-
turell nicht reif für den europäischen Prozess.

Die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten
in die EU verläuft noch immer nach dem bekannten Prin-
zip: Der Westen hat das Geld, also bestimmt er über die
Einbeziehung. Genau darin liegt das Problem, im Übrigen
auch das Problem der ungelösten inneren Einheit. Wer
„einbeziehen“ sagt, der meint: Wir bestimmen die Regeln;
wer sich daran hält, darf mitmachen. Diesen Geist des
Nizza-Vertrages tragen wir nicht mit.


(Beifall bei der PDS)


Meine Damen und Herren, Europa wäre für die ganze
Welt attraktiver, wenn es vorleben könnte, dass die Block-
konfrontation durch ein gleichberechtigtes Zusammen-
leben von Ost und West überwunden ist; dass es im An-
gesicht der Bedrohung durch den internationalen
Terrorismus dem Schutzbedürfnis der Menschen gerecht
geworden ist und die offene Gesellschaft bewahrt hat;
dass es sich beispielhaft dafür einsetzt, in den armen Län-
dern für Wasser, Brot und Bildung zu sorgen; dass es eine
internationale und multiethnische kulturelle Entspan-
nungspolitik auf den Weg gebracht hat; dass es innerhalb
seiner vereinten Staaten die Versprechen der Regierenden,
zum Beispiel zur Überwindung der Arbeitslosigkeit, zur
Angleichung der Lebensverhältnisse und zur Senkung der
Verschuldung, auch einlöst; dass es den religiös motivier-
ten Bürgerkrieg in Nordirland durch vereinte Anstrengun-
gen friedlich beendet hat; dass es auf den NATO-Partner
Türkei friedensstiftend Einfluss nimmt und so das kurdi-
sche Problem auf gerechte Weise löst. Das alles ist nicht
unmöglich. Es geht jedoch nicht, wenn dem Rückzug des
Staates aus Kernbereichen seiner Verantwortung das Wort
geredet wird oder weiter die Liberalisierung des Welt-
handels gefordert wird, wie es noch im Schröder/Blair-
Papier heißt.

Das strategische Dilemma der europäischen Sozialde-
mokratie scheint mir darin zu liegen, dass sie für die ent-
scheidenden europäischen Transformationsprozesse in
die Verantwortung genommen ist, auf dem Weg, auf den
sie sich jetzt begeben hat, aber zugleich ihre eigene Ab-
wahl vorbereitet. Da ist es gut zu wissen, dass es noch im-
mer eine gestärkte demokratisch-sozialistische Linke in
Deutschland und Europa gibt.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419501100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Michael Roth, SPD-Fraktion.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Roland Claus

18996


(C)



(D)



(A)



(B)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1419501200
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In welch rasantem
Tempo bewegt sich doch Europa! Wir diskutieren heute
über die Ratifizierung. Gestern hat das britische Unter-
haus den Ratifizierungsprozess abgeschlossen. Bei uns
steht das heute an. Gleichzeitig werden schon wichtige
Weichenstellungen für die Zukunft Europas vorgenom-
men.

Zum Nizza-Vertrag gibt es viel Kritik, nicht nur bei der
FDP, sondern auch bei uns, vor allem bei den Europapo-
litikerinnen und Europapolitikern. Bei aller Kritik sollten
wir gleichwohl einen wesentlichen Aspekt nicht verges-
sen: Dieser Nizza-Vertrag macht die Erweiterung der Eu-
ropäischen Union endlich möglich. Er ist eine wesentliche
Grundlage für die nächsten Jahre der Beitrittsverhandlun-
gen. Ohne den Nizza-Vertrag könnten die Beitritte nicht
so schnell erfolgen, wie wir alle im Deutschen Bundestag
uns das wünschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich dürfen wir in unserer heutigen Debatte nicht
versäumen, über den 11. September zu sprechen; meine
Vorrednerinnen und Vorredner haben das auch schon
getan. Der 11. September ist für uns Europäerinnen und
Europäer deshalb von so herausragender Bedeutung, weil
wir mit neuen zentralen Aufgaben konfrontiert werden.
Bei uns in Deutschland gibt es eine ernsthafte und auch
notwendige Debatte darüber, ob wir uns und, wenn ja, in
welchem Umfang militärisch beteiligen und damit den
Vereinigten Staaten und dem Bündnis gegen den interna-
tionalen Terrorismus zur Seite stehen. Ich begrüße diese
Debatte. Wir dürfen aber nicht vergessen – ich finde es
schade, dass das ein wenig in den Hintergrund gerät –,
dass wir als Bundesrepublik Deutschland im Kampf ge-
gen den internationalen Terrorismus doch schon längst
aktiv sind.

Ich hatte vor wenigen Wochen Gelegenheit, in den Ver-
einigten Staaten Gespräche zu führen. Ich war überrascht
davon, wie positiv das bundesdeutsche Engagement ge-
würdigt wird. Meine Kolleginnen und Kollegen im Kon-
gress haben anerkennend darauf hingewiesen, dass die
Zusammenarbeit der Nachrichtendienste der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Vereinigten Staaten hervorra-
gend funktioniert. Die deutsch-britische Initiative, den
Finanzsumpf, aus dem sich alle diese Terrororganisatio-
nen, nicht nur al-Qaida, finanzieren, endlich trockenzule-
gen, ist begrüßt worden. Das sind alles wichtige Beiträge
unseres Landes.

Wir führen eine ernsthafte Debatte darüber, wie wir die
Entwicklungszusammenarbeit auf neue Füße stellen.
Auch das ist ein Punkt, bei dem wir endlich anerkennen
müssen: Wir werden mit nationalen Strategien allein die-
sen Kampf nicht erfolgreich werden führen können. Es
stellt sich die Frage, inwieweit wir Europa einbinden müs-
sen. Dabei müssen unsere nationalen Interessen zum Teil
hintenanstehen.

Ich gehe auch davon aus, dass sich die Vereinigten
Staaten mittelfristig zwar nicht aus Europa zurückziehen
werden. Sie werden sich aber aus Ermangelung an Alter-

nativen auf den asiatischen Bereich konzentrieren müs-
sen. Sie werden sich auf die Stabilisierung von Entwick-
lungsländern konzentrieren müssen, die noch keine in-
takte Demokratie haben, die noch nicht über intakte
rechtsstaatliche Strukturen verfügen. Deshalb wird es die
Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland sein, dafür zu
sorgen, dass nicht nur die Teilung Europas zwischen Ost
und West überwunden wird, sondern dass auch der große
Versöhnungsauftrag in Südosteuropa erfolgreich auf den
Weg gebracht wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir leisten dabei Erhebliches, nicht nur als Lead Na-
tion jetzt bei der Mazedonienaktion. Wir leisten Erhebli-
ches in der Krisenprävention. Wir leisten auch Erhebli-
ches bei der Aufgabe, die unterschiedlichen ethnischen
und religiösen Gruppen zusammenzuführen. Das ist der
Lackmustest für Europa. Wenn wir diese Aufgabe im Bal-
kan erfolgreich meistern und zur Befriedung und Versöh-
nung beitragen, dann ist das auch ein Zeichen für die Eu-
ropäische Union: Deutschland kann und muss im
internationalen Rahmen mehr Verantwortung überneh-
men.

Heute Morgen waren dankenswerterweise auch einige
Ländervertreter anwesend,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Die machen schon Feierabend!)


jetzt sind sie leider nicht mehr da. Ich halte deren Anwe-
senheit auch für notwendig, weil in Gent – der Bundes-
kanzler hat das angemerkt – über die Kompetenzvertei-
lung zwischen den verschiedenen politischen Ebenen
gesprochen wird.

Es ist eine spannende Diskussion. Wir alle verbinden
etwas mit den Begriffen „Kompetenzenkatalog“, „Kom-
petenzabgrenzung“. Dieses Thema ist schon für die po-
litische Agenda der Zukunftsdebatte festgelegt worden.
Wir haben aber nicht die Frage erörtert, was dies für uns
bedeutet. Wenn wir über „Kompetenzabgrenzung“ spre-
chen – vor allem einige Länder –, dann verstehen wir da-
runter immer das Instrumentarium gegen den Moloch
Brüssel, der alle möglichen Kompetenzen an sich ge-
saugt, der Länder, aber auch die Nationalstaaten
schwächer gemacht hat.

Gegenwärtig führen wir eine ganz andere Diskussion.
Wir führen eine Diskussion darüber, mit welchen Instru-
mentarien wir die EU im Bereich der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik, im Bereich der Verteidi-
gungspolitik oder im Bereich der Entwicklungszusam-
menarbeit neu auszustatten haben. Das sind alles Aufga-
ben, die dazu führen werden, dass die Instrumentarien von
den Nationalstaaten auf die europäische Ebene verlagert
werden. Das geschieht nicht, weil wir das nur toll finden,
sondern weil es alternativlos ist. Die Nationalstaaten müs-
sen enger zusammenrücken, um den Aufgaben gerecht zu
werden, über die wir heute schon häufig diskutiert haben.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 18997


(C)



(D)



(A)



(B)


In der Bundesrepublik Deutschland führen wir diese
Debatte über die Kompetenzabgrenzung gerade in eine
andere Richtung, als sei sie ein Schutzmechanismus ge-
gen Europa. Wir müssen die Debatte in eine andere Rich-
tung führen, nämlich in Richtung eines partnerschaftli-
chen Verhältnisses zur Europäischen Union.

Die Agenda der Zukunftsdebatte nimmt Kontur an. Der
Bundeskanzler hat schon einige Aspekte angesprochen,
die über das hinausgehen, was in Nizza vereinbart wurde,
eben auch auf Initiative der Bundesregierung. Wenn wir
neue Handlungsoptionen für die Europäische Union wün-
schen und diese einfordern, weil es keine Alternative dazu
gibt, wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir
ernsthafter darüber nachdenken, wie die Institutionen in
Europa handlungsfähiger gemacht werden können.

Handlungsfähigkeit erwächst auch aus dem, was wir
den Organen und Institutionen, vor allem dem Institutio-
nendreieck „Gerichtshof, Kommission und Parlament“,
zutrauen. Diesbezüglich müssen wir noch eine ganze
Menge auf den Weg zu bringen. Es ist eine große Erwar-
tung, dass das Institutionendreieck neu austariert wird.
Denn mehr Kompetenzen für die EU sind für uns nur ak-
zeptabel sein, wenn auch mehr Demokratie in die europä-
ische Ebene Einzug hält.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Zusammenhang mit der Agenda der Zukunftsde-
batte möchte ich einen anderen Punkt erwähnen, der heute
leider ein wenig zu kurz gekommen ist: Ich habe in den
letzten Monaten häufig versucht, mit jüngeren Leuten,
mit Schulklassen, mit Jugendgruppen, zu sprechen und
dabei war – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Kol-
leginnen und Kollegen – die Globalisierung immer wie-
der ein entscheidendes Thema.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Ja, sicher! Richtig!)


Wenn es um dieses Thema geht, dann äußern junge Leute
ihre Angst. Um darauf zu reagieren, gibt es zwei Mög-
lichkeiten: Entweder wir sagen: „Das interessiert uns
nicht, zur Globalisierung gibt es keine Alternative, Glo-
balisierung ist ein Faktum, mit dem wir uns abzufinden
haben“,


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Wir gestalten!)


oder wir versuchen, mit den Kritikern und Bedenkenträ-
gern in einen Dialog einzutreten.

Ich erwähne das Thema Globalisierung vor allem im
europäischen Kontext. Wenn mir junge Leute sagen: „Na
ja, die Europäische Union ist genauso der Büttel der Glo-
balisierung wie die Staaten auch“, dann besorgt mich das
schon. Wir engagieren uns doch vor allem deswegen in
der Europäischen Union, weil wir die europäische Inte-
gration als die Antwort auf die Globalisierung sehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stehen natürlich auf der Seite derjenigen, die kritische
Fragen haben, zum Beispiel: Wie kann man in einer offe-

nen Weltwirtschaft, in der in Bruchteilen von Sekunden
Billionenbeträge um die Welt fließen, soziale Standards,
ökologische Standards, Standards in der Entwicklungszu-
sammenarbeit zimmern, sodass die Menschen dabei nicht
auf der Strecke bleiben? Wir versuchen, auf Fragen wie
diese eine Antwort zu geben. Ich möchte nicht, dass junge
Leute irgendwann auf die Straße gehen, um gegen Eu-
ropa, gegen die Europäische Union und gegen unsere In-
tegrationsidee zu demonstrieren. Vielmehr müssten dieje-
nigen, die der Globalisierung kritisch gegenüberstehen,
Freundinnen und Freunde der europäischen Idee und des
europäischen Gedankens werden.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Müssen!)


Dafür gemeinsam zu kämpfen, wäre eine lohnende Auf-
gabe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Europapolitikerinnen und Europapolitiker haben
sich in den vergangenen Monaten sehr engagiert und sehr
leidenschaftlich um die Parlamentarisierung des verfas-
sunggebenden Prozesses bemüht. Dabei war das Thema
Konvent oder, wie der Kollege Gloser sagte, die
„K-Frage“ ein wichtiger Bestandteil. Die vergangenen
Wochen haben manche notwendige Frage aufgeworfen.
Wir sollten die heutige Debatte ruhig einmal zum Anlass
nehmen, uns wirklich darüber zu freuen, dass wir bei der
Konventsidee so weit gekommen sind.

Diejenigen von uns, die mit Kolleginnen und Kollegen
aus anderen Mitgliedstaaten gesprochen haben, vor allem
mit den Briten, werden noch vor einem halben Jahr oder
vor einem Dreivierteljahr wahrscheinlich gesagt haben:
Na ja, das kann irgendwie nicht funktionieren; die Briten
sind total dagegen und debattieren darüber völlig leiden-
schaftslos. Dass wir jetzt so weit sind, ist sicherlich auch
ein Ergebnis des partnerschaftlichen Verhältnisses zwi-
schen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Dafür
möchte ich allen Beteiligten einmal ganz herzlich danken!

Einige Fragen sind noch zu klären. Manche haben bei-
spielsweise die Frage aufgeworfen, wie die Beitrittsländer
beteiligt werden. Es ist ein toller Erfolg, wenn die Bei-
trittsländer ebenso wie die jetzigen Mitgliedstaaten betei-
ligt werden. Wenn die entsprechenden Länder die jewei-
ligen Verträge unterzeichnet haben und der EU
beigetreten sind, dann werden sie, auch was das Stimm-
recht angeht, gleichberechtigt sein.

Es gibt eine Debatte über die Dauer des Konvents. In
der britischen Debatte wurde immer von „firewall“, also
von einem möglichst großen Abstand zwischen der Arbeit
des Konvents und der Aufnahme der Tätigkeit der Regie-
rungskonferenz, gesprochen. All das ist kein Thema mehr.
Wenn sich das durchsetzt, was die belgische Präsident-
schaft vorgeschlagen hat, dass nämlich darüber der Kon-
vent selbst entscheiden möge, dann wäre das ein großer
Erfolg. Wir haben ein gutes Zeichen gesetzt, wenn die kri-
tischen Debatten über das Präsidium, also über das Mo-
derationsgremium des Konvents, zur Folge haben, dass es
sich um ein zuvorderst parlamentarisches Gremium han-
delt, das sich maßgeblich aus Repräsentantinnen und Re-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Michael Roth (Heringen)


18998


(C)



(D)



(A)



(B)


präsentanten des Europäischen Parlamentes und der na-
tionalen Parlamente zusammensetzt.

Wir sollten den Fehler nicht machen, uns nur auf die
Debatte zwischen den deutschen Europapolitikerinnen
und Europapolitikern zu konzentrieren; vielmehr müssen
wir auch auf die Debatte in anderen Mitgliedstaaten
schauen und daraus Konsequenzen ziehen.

Wir sollten auch einen zweiten Fehler nicht machen:
Es ist gegenwärtig sehr einfach und billig – ich verspüre
das bei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition –,
die Bundesregierung anzuklagen, weil sie sich nicht en-
gagiert für etwas einsetzt, wofür wir doch eigentlich alle
sind. Einer solchen Strategie stehe ich mit sehr großen
Vorbehalten gegenüber. Die eigentliche Aufgabe des
Konvents wird nämlich von uns, den Parlamentarierinnen
und Parlamentariern, bewältigt werden müssen. Es reicht
nicht aus, wenn wir die Debatte über die Parlamentarisie-
rung des verfassungsgebenden Prozesses ausschließlich
und alleine den Europapolitikern der Fraktionen überlas-
sen. Diese Aufgabe muss gemeinsam von allen Fraktio-
nen, von allen Kolleginnen und Kollegen geschultert wer-
den. Von einem Erfolg des Konvents haben wir alle etwas:
starke handlungsfähige Parlamente, engere Zusammen-
arbeit, mehr Demokratie, hoffentlich auch mehr Transpa-
renz in Europa. Das nutzt allen. Hoffentlich vermag Gent
dazu einige wichtige Beiträge zu leisten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1419501300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Hintze, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Hintze (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! In diesen kritischen
Zeiten können wir feststellen: Es ist ein Glück, dass wir
die Europäische Union haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Helmut Haussmann [FDP])


– Jetzt kommt es erst, Herr Haussmann. – Angesichts der
mageren Ergebnisse von Nizza müssen wir allerdings
auch feststellen, dass es ein Pech ist, dass für die Vorbe-
reitung der Regierungskonferenz zu diesem Vertrag die
rot-grüne Regierung verantwortlich war.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich halte es für kühn, dass unser jetzt abwesender Bun-
deskanzler Schröder heute Morgen hier an dieser Stelle
wichtige europäische Staatsmänner zitierte, die vor einem
Stillstand warnen. Lateinisch könnte man das fast als eine
Contradictio in adjecto bezeichnen. Wer nämlich einen
Blick in den Vertrag von Nizza wirft, stellt auch bei lie-
bevollster Würdigung fest, dass wir einem Stillstand sehr
nahe gekommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Versuch des Außenministers, den Fraktionsvorsit-
zenden der CDU/CSU auf der Basis der Agenda 2000 an-
zugreifen, ist wohl nur mit dem Motto „Angriff ist die bes-
te Verteidigung“ zu erklären.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Untauglicher Versuch!)


Alle Experten wissen, dass die Agenda 2000 einen klägli-
chen Kompromiss auf kleinstem Nenner, geprägt von
Visionslosigkeit darstellt, der aufgrund von Erschöpfung
hier in Berlin geboren wurde. Sie geht einfach davon aus,
dass die von allen Parteien im Hause geforderte und ge-
wünschte Osterweiterung möglichst nicht während der
Laufzeit dieser Agenda stattfindet, da sie diese Erweite-
rung nicht tragen könnte. Das ist die Wahrheit bei diesem
Thema, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Warum kommt unsere Regierung in Europa so schlecht
voran?


(Günter Gloser [SPD]: Das ist eine Unterstellung! Das stimmt doch nicht!)


Es fehlt an politischen Köpfen, es fehlt an visionärer Kraft
und es fehlt an dem, was Europa im Kern immer voran-
gebracht hat, nämlich ein gutes deutsch-französisches
Verhältnis.


(Widerspruch bei der SPD)


Vor Berlin und vor Nizza wurde zu seiner Verbesserung
recht wenig getan.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen muss das Parlament die Sache selbst in die
Hand nehmen. Der Europa-Ausschuss unter Vorsitz von
Friedbert Pflüger hat die Initiative ergriffen und ein Tref-
fen mit der Assemblée Nationale arrangiert. Die Frage des
Verfassungsvertrages überlassen wir nicht mehr Regie-
rungskonferenzen, bei denen, wie Nizza gezeigt hat, we-
nig herauskommt, obwohl sie bis zur Erschöpfung getagt
haben. Das Parlament nimmt vielmehr seine Angele-
genheiten selbst in die Hand. Das wollen wir alle mittra-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es soll ja immer mehr Freude über einen Sünder, der
zurückkehrt, als über 99 Gerechte herrschen. Wir haben
heute vom Herrn Bundeskanzler gehört, dass er den Euro
gut findet.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Jetzt geht es los!)


Das finde ich ja gut. Darüber wollen wir uns nicht be-
schweren. Es war einmal anders, doch sollen keinem die
Fehler der Vergangenheit nachgetragen werden. Werfen
Sie aber einmal einen Blick in die Broschüren unserer
Bundesregierung zum Euro! Da wird der Euro – das ist
prima – als starke, stabile und zukunftsweisende Währung
kräftig gelobt; zugleich wird aber der Eindruck erweckt,
die wahren Väter, Begründer und Gestalter des Euro seien
der heute abwesende Herr Eichel und der jetzt abwesende

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Michael Roth (Heringen)


18999


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Schröder. Vom Erstgenannten weiß ich nicht, wie er
früher über den Euro gedacht hat, vom Zweiten weiß ich
es. Beide haben nichts für den Euro getan. Wenn einer et-
was dafür getan hat, dann waren das Theo Waigel und
Helmut Kohl. Das muss hier heute einmal gesagt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bundesaußenminister hat – in Antwort auf Herrn
Kollegen Haussmann – hier gesagt, die Staaten, die als
Beitrittskandidaten gelten, hätten das Ergebnis von Nizza
begrüßt. Solch eine Äußerung ist schon hart an der Grenze
zum Zynismus. Was sollen diese Staaten denn machen?
Wir können sie für die schwachen Ergebnisse, die die
15 EU-Staaten – leider unter unserer Nichtführung –


(Günter Gloser [SPD]: Das wird auch so bleiben!)


– zustande gebracht haben, doch nicht haften lassen. Natür-
lich freuen sich diese jungen Demokratien darüber, dass die
formale Erweiterungsfähigkeit hergestellt ist. Aber damit
einen Nachweis über die Qualität der eigenen Arbeit zu ver-
binden, das ist doch etwas zu viel des Selbstlobes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir stimmen dem Vertrag von Nizza aus zwei Grün-
den zu:

Erstens. Auch wir wollen, dass der Erweiterungspro-
zess vorangeht, dass Europa seinen Stabilitätsraum ver-
größert und dass wir die Herausforderungen dieser Welt
gemeinsam annehmen.

Zweitens. In einer letzten Erkenntnis am Schluss der
Konferenz von Nizza hatten die Staats- und Regierungs-
chefs selber das Gefühl, dass es so nicht weitergehen
kann. Deswegen haben sie die Tür für einen Prozess zur
Erarbeitung eines Verfassungsvertrages geöffnet, wie wir
ihn schon seit vielen Jahren gefordert haben. Wir hoffen
nun, dass es in einer guten Weise zu diesem Verfassungs-
vertrag kommt. Daran werden wir als Parlament uns si-
cherlich beteiligen.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Was hier geschieht, ist von historischer Bedeutung,
auch wenn es keine große öffentliche Aufmerksamkeit er-
ringt. Es findet ein Systemwechsel in der Europäischen
Union statt. Nach Jahren und Jahrzehnten endloser
Regierungskonferenzen mit früher guten und zum
Schluss schwachen Ergebnissen kommt es durch den Sys-
temwechsel zu einer Parlamentisierung des europä-
ischen Vertragsprozesses. Das ist gut und richtig.

Wir als Parlament müssen aufpassen – ich bin dem
Kollegen Roth dankbar, dass er das hier angesprochen
hat –, dass die Regierungen das, was in Nizza in Er-
schöpfung, aber richtig entschieden wurde, nicht durch
die Steuerung dieses Prozesses durch die Hintertür wieder
einfangen. Darauf müssen wir aufpassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist zu lesen, meine Damen und Herren, dieser Kon-
vent solle von einem Präsidium gesteuert werden. In ihm
sollten wieder die Regierungsvertreter die Mehrheit ha-
ben und er solle nur unverbindliche Optionen aufzeigen.
Das Ganze sieht doch danach aus, als würden einige ihre
Entscheidung von Nizza schon fast wieder bereuen. Wir
müssen aufpassen, dass dieser Konvent so konstruiert
wird, dass er für Europa einen Fortschritt bringt. Des-
wegen müssen wir zusehen, dass bei der Besetzung des
Konvents die politischen Kräfte fair vertreten sind. Darü-
ber hinaus müssen wir das Instrument, das wir beim
Grundrechtekonvent genutzt haben, nämlich mitbera-
tungsberechtigte Stellvertreter zur Verbreiterung der par-
lamentarischen Basis einzusetzen, auch bei diesem Kon-
vent für die Erarbeitung des Verfassungsvertrages nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Inhalt. Es gibt zwei große Kernpunkte, und zwar
zum Ersten die Kompetenzabgrenzung nach dem Subsi-
diaritätsprinzip und zum Zweiten eine echte Gewalten-
teilung. Ich habe dem Bundeskanzler gut zugehört. Ich
freue mich, dass er einen Vorschlag von uns aufgegriffen
hat, nämlich den, die undemokratischste und langsam
nicht mehr sehr effiziente Einrichtung der Europäischen
Union, den Rat, im Rahmen dieses Verfassungsprozesses
zu reformieren. Unser Vorschlag geht dahin, klar zwi-
schen einem Legislativrat und einem Exekutivrat zu un-
terscheiden. Der Legislativrat sollte als zweite Kammer
für die europäische Gesetzgebung zuständig sein, und
zwar mit einer festen Zusammensetzung und öffentlichen
Tagungen. Der Exekutivrat sollte sich um die übrigen
Aufgaben kümmern. Beim Legislativrat sollten die Fach-
ministerräte und die Fachausschüsse sein. Dadurch wür-
den wir verhindern, dass sich Europa ebenso wie Nord-
korea noch ein Parlament erlaubt, das im Geheimen tagt.
Das gibt es sonst nirgendwo mehr auf der Welt.

Der Rat muss als Gesetzgebungsgremium in Zukunft
öffentlich tagen. Er muss von den Bürgern anerkannt wer-
den und muss zur Rechenschaft gezogen werden können.
Das würde auch unsere parlamentarische Mitwirkung
stark erleichtern. Wir sitzen im Europaausschuss oder im
Plenum zusammen, geben der Regierung Dinge mit auf
den Weg und wissen gar nicht, wie das Ergebnis zustande
gekommen ist. Hier benötigen wir mehr Transparenz. Das
bedeutet mehr Demokratie in Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun beschäftigen sich viele in diesen Tagen zu Recht
mit der inneren und äußeren Sicherheit; dies zeigten
heute auch alle Reden. Eines müssen wir in diesem Zu-
sammenhang jedoch kritisch feststellen: Vor zehn Jahren
wurden in Maastricht die Voraussetzungen für die Ge-
meinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie für eine
gemeinsame Innen- und Rechtspolitik geschaffen. In der
faktischen Realisierung dieser Dinge sind wir weitgehend
stecken geblieben. Es ist eben von Tampere gesprochen
worden. Das Lastenheft von Tampere aus dem Jahr 1999
ist ziemlich lange liegen geblieben. Gestern hatten wir in
einer öffentlichen Sitzung des Europaausschusses den
Präsidenten von Europol, Herrn Storbeck, zu Gast, einen
erstklassigen Mann, der aus dem deutschen Bundeskrimi-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Peter Hintze

19000


(C)



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(B)


nalamt kommt. Er sagte uns, er freue sich, dass er nun Un-
terstützung erfahre, wäre aber froh, wenn diese Unterstüt-
zung über den jeweiligen Anlass hinaus auf Dauer ange-
legt wäre, denn so schnell könne man beispielsweise
Aktivitäten zur Terrorismusbekämpfung aus dem Stand
heraus nicht aufbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zur äußeren Sicherheit. Aus meiner Sicht ist es jetzt
das Gebot der Stunde, die europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, die heute bloß auf dem Papier steht,
mit Leben zu erfüllen. Hier muss etwas geschehen und
hier hat Deutschland eine Führungsaufgabe. Das geht
natürlich nicht, indem man auf der einen Seite die Bun-
deswehr austrocknet und auf der anderen Seite Deklara-
tionen abgibt, in denen steht, was man vielleicht gemein-
sam tun könnte. Nein, wir müssen unsere Streitkräfte in
die Lage versetzen, die Aufgaben, die sie wahrnehmen
müssen, auch wahrnehmen zu können. Das gilt in materi-
eller ebenso wie in rechtlicher und in mentaler Hinsicht;
Letzteres bedeutet, dass wir uns hinter ihren Auftrag stel-
len. Außerdem müssen wir die in Europa vorhandenen
Synergien nutzen. Einen zaghaften Anfang gibt es mit den
Krisenreaktionskräften als integrierte Streitkräfte. Ich
stelle mir vor, dass diese Krisenreaktionskräfte im Laufe
der nächsten zehn Jahre so, wie wir von CDU und CSU es
in einem gemeinsamen Papier beschrieben haben, zu ei-
ner handlungsfähigen europäischen Armee weiterent-
wickelt werden, die wichtige Aufgaben wird übernehmen
können.

Was die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
angeht, so ist Mazedonien der einzige Fall, bei dem ich
von ganzem Herzen mit dem Außenminister überein-
stimme. In Mazedonien hat die Europäische Union erst-
mals mit Erfolg Verantwortung übernommen und hier ist
sie in der Lage gewesen, eine aktuelle Krise zu entschär-
fen. Dies sage ich trotz aller noch bestehenden Probleme.

Es stellt einen guten Beitrag für das Bündnis dar, dass
wir in Südosteuropa, auf dem Balkan, die Vereinigten
Staaten von Amerika stärker entlasten und die Aufgabe,
die sich in unserem eigenen Hause, in Europa, stellt, sel-
ber in die Hand nehmen. Dazu muss aber die Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union effektiver ge-
staltet werden. Im Moment haben wir ein Nebeneinander
von rotierenden Ratsvorsitzenden, von Herrn Solana, der
eine sehr gute Arbeit leistet, und von Herrn Patten, der
ebenfalls eine sehr gute Arbeit macht. Nun geht Herr
Hombach in die Privatwirtschaft, was uns die Chance
gibt, eine weitere Parallelstruktur aufzulösen und Aufga-
ben an die Kommission zurückzuverlagern. All diese
außen- und sicherheitspolitischen Funktionen müssen in
einer europäischen Exekutive zusammengefasst werden,
damit das, was Europa tun könnte, von Europa auch ge-
leistet werden kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss. Frieden wird es in den kriti-
schen Regionen der Welt, aber auch in unserem europä-
ischen Haus auf Dauer erst dann geben, wenn die Men-
schen in den jeweiligen Regionen selber Träger des

Friedens sind. Daher brauchen wir eine Friedensord-
nung für Südosteuropa. Die Kollegen Lamers, Hedrich
und ich haben dazu einen Vorschlag gemacht, der auch in
den eigenen Reihen heftig diskutiert worden ist. Uns geht
es nicht um Einzelheiten des Vorschlags, auch nicht um
den Namen „Südosteuropäische Union“, sondern um die
Idee: Wir brauchen eine regionale Zusammenarbeit im
Hinblick auf die Bekämpfung der organisierten Krimina-
lität, die Schaffung eines Infrastrukturnetzes und das
gemeinsame Bestehen von Herausforderungen, eine Zu-
sammenarbeit, die einen Energieverbund und wirtschaft-
liche Entwicklung ermöglicht und durch die Minderhei-
ten geschützt werden. Dazu bedarf es einer europäischen
Perspektive, die den Menschen in der Region klar macht,
dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können
und wir sie dabei nicht alleine lassen.

Die Lösung für den Balkan kann nicht darin bestehen,
dort auf 100 Jahre Soldaten zu stationieren. Die Lösung
für den Balkan muss vielmehr darin liegen, den Menschen
und Völkern auf dem Weg zu Frieden, Stabilität und Pros-
perität zu helfen und ihnen so eine europäische Perspek-
tive zu geben. Dazu wollen wir die geeigneten Strukturen
schaffen. Dazu brauchen wir einen europäischen Verfas-
sungsvertrag und eine klare Gewaltenteilung. Die
CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause ist bereit, in der par-
lamentarischen Begleitung des Post-Nizza-Prozesses da-
ran konstruktiv mitzuwirken.

Wir stimmen dem Vertrag von Nizza heute zu, weil wir
damit weiter gehen und nicht stehen bleiben. Stillstand
wäre das Schlimmste. Europa braucht ein stärkeres Zu-
sammenwirken, um den Herausforderungen der Welt be-
gegnen zu können.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419501400
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Sterzing vom Bündnis 90/
Die Grünen.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419501500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwi-
schen Nizza und Gent liegt New York. Es ist heute in al-
len Beiträgen deutlich geworden, dass die Tagesordnung
des bevorstehenden Gipfels in Gent durch den 11. Sep-
tember natürlich verändert worden ist. Der Euro, die Er-
weiterung und die Zukunftsdebatte – das alles sollte die
Tagesordnung von Gent prägen. Nun wird sicherlich ein
Großteil dieses Treffens ganz im Zeichen der europäi-
schenn und internationalen Kooperation im Kampf gegen
den Terrorismus stehen. Das muss auch so sein; das er-
warten sicherlich auch die Bürgerinnen und Bürger.

Dennoch sollten wir den Versuch unternehmen, inne-
zuhalten und eine Zwischenbilanz über das, was sich seit
dem 11. September – auch für die EU – unter einem in-
tegrationspolitischen Blickwinkel verändert hat, zu zie-
hen. Ich glaube, diese erste Zwischenbilanz fiele ambiva-
lent aus.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Peter Hintze

19001


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Zum einen gibt es durchaus neue Impulse für den Be-
reich Justiz und Inneres, nämlich zum Beispiel das sehr
heftige Bemühen um gemeinsame Lösungen zur Stärkung
von Europol, das sich in einigen Sondersitzungen des zu-
ständigen Rates niederschlägt. Die weiteren Stichworte
wurden genannt: europäischer Haftbefehl, Eurojust, Zu-
sammenarbeit in der Flugsicherheit und Geldwäsche. All
dies hat offensichtlich einen neuen Schub bekommen,
weil allen klar geworden ist, dass die Antwort auf die
neuen Herausforderungen nach dem 11. September nicht
allein national gegeben werden kann. Gerade im Sicher-
heitsbereich sind europäische Antworten gefragt.

Zum anderen müssen wir aber feststellen, dass sich ne-
gative Wirkungen bemerkbar machen. Im Augenblick
wird darüber spekuliert, ob die Erweiterung der Euro-
päischen Union so vonstatten gehen könne, wie sie ge-
plant war. Da müsse erst einmal abgewartet werden. Hier
gilt es, sehr deutlich dagegenzuhalten und klar zu machen,
dass der Erweiterungsfahrplan gerade jetzt eingehalten
werden muss. Eine Verzögerung können wir nicht hin-
nehmen. Wir können der Regierung dankbar dafür sein,
dass sie mit der Entschlossenheit nach Gent reisen wird,
auch im Erweiterungsprozess keine Verzögerungen auf-
treten zu lassen. Das beruhigt uns. Insofern erwarten wir
von dem Gipfel in Gent, dass die richtigen Signale gesen-
det werden.

Ich komme zum nächsten Bereich – auch er wurde
schon angesprochen –, nämlich der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik. Es gibt sicherlich An-
lass, mit einer gewissen Sorge auf die Entwicklung zu
schauen. In den letzten Wochen stand die nationale
Außen- und Sicherheitspolitik im Vordergrund. Wir müs-
sen eine Renationalisierung sowie Rebilateralisierung der
Außen- und Sicherheitspolitik beobachten. Die EU hat es
bislang nicht geschafft, zu einem tragenden Faktor im
Rahmen der internationalen Koalition gegen den Terro-
rismus zu werden.

Ich glaube, dass wir das nicht dramatisieren müssen;
wir dürfen es aber auch nicht übersehen. Wenn wir uns an-
schauen, was die Bundesregierung in den letzten Tagen
und Wochen getan hat, zeigen sich uns besonders auch
hier der Wille und die Entschlossenheit, einer solchen
Entwicklung entgegenzuwirken und Auseinanderstreben-
des wieder zusammenzufügen. Dies wird sicherlich ein
ganz beherrschendes Thema auf dem Gipfel in Gent – er
ist gerade dafür wichtig – sein.

Wir alle ahnen, dass hinsichtlich Afghanistans – nicht
nur in Bezug auf die augenblickliche Situation, sondern
auch im Blick auf die Post-Taliban-Ära – besondere Auf-
gaben auf die Europäische Union zukommen. Diese Dis-
kussion hat begonnen. Die UNO mit ihrer internationalen
Präsenz, aber auch die EU werden bei der zukünftigen
Entwicklung Afghanistans ein wichtiger Faktor sein.

Es ist wichtig, in diesem Zusammenhang daran zu er-
innern, dass die EU im Zusammenspiel mit anderen inter-
nationalen Organisationen in erheblichem Umfang kon-
fliktpräventive und krisenbewältigende Potenziale ein-
bringen kann. Sie kann damit zur Stabilisierung beitragen.
Wir haben das an der Entwicklung in Mazedonien gese-
hen. Wir beobachten gespannt, ob das der EU und dem

deutschen Außenminister auch im Nahen Osten gelingen
wird. Die Besinnung auf dieses Potenzial innerhalb der
EU wird wichtig sein, um die EU zu einem wesentlichen
politischen Faktor in der Koalition gegen den Terrorismus
zu machen.

Der Kanzler geht mit einem ratifizierten Nizza-Vertrag
nach Gent. Dies ist wichtig, weil wir hiermit ein deutli-
ches Zeichen setzen. Der Vertrag, mit dem im Dezember
des letzten Jahres grünes Licht für die Osterweiterung ge-
geben wurde, signalisiert, dass wir in der EU nicht nur er-
weiterungsbereit, sondern auch erweiterungsfähig sind
und dass wir dafür die notwendigen Reformen einleiten
wollen. Nizza hat auch eine Zukunftsdebatte eingeläutet.
Das hat dazu geführt, dass in den letzten Wochen und Mo-
naten viel mehr über die Zukunft Europas geredet wurde
als über den Nizza-Vertrag und die damit verbundenen
Veränderungen der europäischen Verträge.

Der Konvent hat in den letzten Wochen die Diskussio-
nen bestimmt. Er soll in Laeken offiziell ins Leben geru-
fen werden. Wir haben uns im Bundestag, vor allen Din-
gen im Europaausschuss, sehr intensiv damit beschäftigt
und Vorstellungen über die Zusammensetzung eines sol-
chen Konvents, seine Arbeitsweise und seine Abstim-
mungsmechanismen vorgelegt. Ich glaube, wir sind hier
ein gutes Stück weitergekommen. Der Konvent wird viel-
leicht so etwas wie ein Nukleus von Institutionen werden,
der Integrationsentwicklungen weitertreiben kann. Wir
können an dieser Stelle durchaus daran erinnern, dass es
die Bundesregierung war, die während der deutschen Prä-
sidentschaft den allerersten Konvent, den Grundrechte-
konvent, entschlossen auf die Schienen gesetzt hat.

Das Stichwort im Zusammenhang mit dem Konvent ist
die Parlamentarisierung des Integrationsprozesses. Wir
plädieren als Parlamentarier für die Parlamentarisierung,
nicht weil wir glauben, wir würden grundsätzlich bessere
Arbeit machen als Regierungen oder Regierungsbeamte,


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Nicht so bescheiden, bitte!)


sondern weil wir glauben, dass eine parlamentarische
Dominanz in dem Gremium die Arbeit und die Debatten
verändern und zur Entnationalisierung der Reformdebatte
beitragen wird. Die Zukunftsdebatten im Konvent werden
sich dann nicht an nationalen Frontstellungen orientieren,
sondern an den Linien der politischen Großfamilien in
Europa. Dadurch kann es neue Impulse geben. Das ist der
Hintergrund unseres Einsatzes für einen arbeitsfähigen
und parlamentarisch dominierten Konvent.

Noch ist nicht alles unter Dach und Fach. In Gent wer-
den die Staats- und Regierungschefs noch wichtige De-
batten führen. Wir hoffen, dass von Gent die richtigen
Signale ausgehen, was die Handlungsfähigkeit der EU an-
gesichts der Herausforderungen des 11. September, was
die Bestätigung des Erweiterungsfahrplans und schließ-
lich was die Reformfähigkeit der EU anbelangt. Dafür
wünschen wir dem Kanzler in den nächsten Tagen in Gent
eine glückliche Hand.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Christian Sterzing

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Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419501600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger von der FDP-Fraktion das Wort.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1419501700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
ganze Debatte an diesem Vormittag wird von einem Wort
beherrscht, nämlich dem der Handlungsfähigkeit der
Europäischen Union. Natürlich ist die Handlungsfähig-
keit gerade im Hinblick auf die Herausforderungen ent-
scheidend, die sich durch die Ereignisse des 11. Septem-
ber ergeben haben. Aber warum ringen gerade wir
Liberalen bei unserer Zustimmung zum Vertrag von Niz-
za mit uns? Weil wir sehen, dass mit dem Vertrag von Niz-
za zu wenig Handlungsfähigkeit in der Europäischen
Union geschaffen wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Denn was heißt Handlungsfähigkeit der Europäischen
Union? Handlungsfähigkeit bedeutet in vielen Bereichen,
dass der Rat in wesentlichen Fragen leichter und besser
entscheiden kann. Dazu muss das Vetorecht weitest-
gehend abgeschafft werden. Das ist im Vertrag von Nizza
leider nicht in der Form erfolgt, in der es notwendig ge-
wesen wäre.

Handlungsfähigkeit und Legitimation der Europäischen
Union bedeuten, dass das Europäische Parlament endlich
zu einem wirklichen Parlament wird. Dazu gehören das
Haushaltsrecht und das Mitentscheidungsrecht bei allen
Rechtsetzungsakten. Das ist mit dem Vertrag von Nizza
nicht geschehen.


(Beifall bei der FDP)


Wir als FDP-Bundestagsfraktion stimmen dem Vertrag
zu, weil wir die Weiterentwicklung und die weitere Inte-
gration der Europäischen Union wollen, weil wir damit
nach außen deutlich machen wollen, dass wir für den
Osterweiterungsprozess stehen. Welche Partei tut das
mehr als die FDP? Sie hat immer Schelte bezogen, wenn
sie versucht hat – das ist ja auch gelungen –, mehr Druck,
auch im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf, auszuüben.

Warum ist das Konventsmodell vor dem Hintergrund
des Vertrags von Nizza so wichtig? Weil deutlich geworden
ist, dass es immer schwieriger wird und fast nicht gelingen
kann, mit den herkömmlichen Strukturen und Verfahren,
nämlich der Regierungskonferenz, zu einschneidenden
strukturellen Veränderungen in der Europäischen Union zu
kommen. Warum ist das nicht der Fall? Weil es jetzt um
Machtfragen geht und keine Regierung, keine nationale
Regierung und auch nicht die europäischen Institutionen,
gerne Kompetenzen abgibt und das Europäische Parla-
ment – bzw. in dieser Phase, in der es noch kein richtiges
Parlament ist, die nationalen Parlamente – stärker beteiligt.

Deshalb sind wir als Liberale so sehr für den Parla-
mentskonvent. Ich denke, das ist der richtige Begriff.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen keinen Konvent, in dem die Akteure zu-
sammensitzen, womöglich die Regierungsvertreter eine
Mehrheit haben, ein paar Abgeordnete sich austoben und
ihre Ideen kundtun dürfen, aber vielleicht nur unverbind-
liche Optionen formulieren, die dann anschließend wieder
eingesammelt werden, wenn die Regierungschefs zusam-
menkommen. Nein, dieser Konvent bringt nur etwas,
wenn er ein wirklicher Parlamentskonvent ist.


(Beifall bei der FDP)


Ich vertraue nicht darauf, dass die Regierungen einen
solchen Parlamentskonvent von sich aus schaffen.
Natürlich tun sie das nicht. Wir waren lange genug in der
Regierung und wissen, dass man natürlich versucht, an
seinen Befugnissen festzuhalten. Deshalb muss das ge-
samte Parlament das Bewusstsein haben, dass es auf die
Regierung Druck ausüben muss, damit der Konvent ent-
sprechend zusammengesetzt wird. Das haben wir getan
und deshalb hat sich die Regierung auf den Konvent ein-
gelassen. Ich teile voll die Auffassung von Herrn Hintze:
Wenn aus den Nationalstaaten zwei Vertreter entsandt
werden und das im Falle Deutschlands ein Vertreter des
Bundestages und einer des Bundesrates sind, dann muss
es darüber hinaus weitere Vertreter geben, die mindestens
anwesend sein dürfen. Herr Meyer, Sie können ein Lied
davon singen. Es ist für Sie und Ihren Kollegen Altmaier
als Ihren Vertreter schon schwierig genug gewesen, die
Fraktionen zu unterrichten und zu informieren, die im
Grundrechtekonvent nicht anwesend waren.

Deshalb brauchen wir unbedingt Vertreter in diesem
Konvent, die, auch wenn sie kein Stimmrecht haben, doch
voll beteiligt werden und voll in diesem Prozess dabei
sind. Deshalb appelliere ich auch an die großen Fraktio-
nen in diesem Hause, daran zu denken, dass auch Vertre-
ter kleinerer Fraktionen in der Lage sind, in diesem Kon-
vent mit sehr klarer Stimme und, wenn sie nicht in der
Regierungsverantwortung stehen, vielleicht noch unab-
hängiger und selbstbewusster die Rechte der Parlamente
und damit die Rechte der Bürgerinnen und Bürger deut-
lich zum Ausdruck zu bringen. Die Grundrechte-Charta
und der Konvent dazu waren ein gutes Modell. Man hat
sich darauf eingelassen, weil es da noch nicht um Macht-
fragen ging.

Wie muss der Rat reformiert werden? Er muss trans-
parenter werden. Natürlich muss das Vetorecht abge-
schafft werden. Es muss nachvollziehbar sein, was er tut.
Das Parlament muss ihn mehr kontrollieren. Das gilt auch
gegenüber der Kommission.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vertrauen wir hier
nicht auf das, was die Regierung uns gibt, sondern seien
wir selbstbewusst genug, das einzufordern, was notwen-
dig ist, damit dieser Konvent zu anderen Ergebnissen
führt als die bisherigen Regierungskonferenzen!

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419501800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Uwe Hiksch von der PDS-Fraktion.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19003


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Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1419501900
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die Verhandlungen über den Vertrag
von Nizza haben leider zu einem Stillstand im Prozess der
europäischen Vertiefung geführt. Es ist nicht gelungen, im
Vertrag von Nizza eine Demokratisierung Europas, eine
soziale Komponente Europas oder gar die Grundrechte-
Charta rechtsverbindlich festzuschreiben.

Wir stellen in der europäischen Diskussion immer mehr
fest, dass es nur einen einzigen Bereich gibt, der sich im-
mer weiter integriert: die Militärpolitik. Die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik mit den so genannten
Krisenreaktionskräften, die ein Militärkontingent von
200 000 Soldaten in Europa umfassen und die alleine in
Deutschland Rüstungsausgaben von über 200 Milliar-
den DM in den nächsten zehn bis 15 Jahren notwendig ma-
chen, ist der einzige Bereich, in dem sich Europa zurzeit
fortentwickelt. Dasselbe Europa, das alleine in Deutsch-
land 200 Milliarden DM Rüstungsausgaben notwendig
macht, legt aber beispielsweise den Höchstsatz für zivile
Instrumente der Konfliktregelung pro Einsatz auf 12 Milli-
onen DM fest. Das ist ein falscher Weg.


(Beifall bei der PDS)


Deshalb, lieber Kollege Zöpel, möchte ich Sie bitten,
dem Außenminister zu sagen, dass wir uns ein Stück über
seine Rede geärgert haben. Wir haben uns deshalb geär-
gert, weil die Bomben, die heute auf Afghanistan fallen,
nicht damit begründet werden können, dass damit die hu-
manitäre Katastrophe zu bekämpfen sei. Entwicklungsor-
ganisationen, Flüchtlingsorganisationen und die Kirchen
haben seit über zehn Jahren auf das Flüchtlingselend, die
Katastrophe in Afghanistan hingewiesen.


(Beifall bei der PDS)


Die Welt hat so gut wie weggeschaut.

Die demokratische Opposition in Afghanistan fordert
genau wie die PDS: Hören Sie auf mit den Bombarde-
ments! Denn durch Streubomben kann nicht dazu beige-
tragen werden, diese Region zu stabilisieren. Die jetzige
Kriegspolitik führt doch zu einer allgemeinen Destabili-
sierung der Region. Wir müssen erleben, dass im arabi-
schen Lager, in den Nachbarstaaten gerade die Funda-
mentalisten mehr Zulauf als bisher bekommen. Mit den
militärischen Einsätzen wurde wieder einmal eine völlig
falsche Richtung eingeschlagen.

Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns deshalb end-
lich wieder darüber diskutieren, dass Krieg kein Mittel der
Politik sein darf!


(Beifall bei der PDS)


Lassen Sie uns wieder darüber diskutieren, dass Krieg
keine Lösungen bringt! Terrorismus kann man nur mit Po-
lizei und Politik und nicht mit Bomben bekämpfen. Des-
halb ist das, was Außenminister Fischer ausgeführt hat,
leider die falsche Richtung. Wir hoffen, dass die rot-grüne
Bundesregierung bald wieder zur Vernunft kommt.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419502000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Meyer von der SPD-Frak-
tion.


Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1419502100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hintze hat
vorhin zunächst die Bundesregierung heftig kritisiert


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Zu Recht vor allen Dingen!)


und anschließend die Konventidee als einen bedeutenden
Systemwechsel gefeiert, für den wir uns, wie er sagte, ge-
meinsam einsetzen sollten. Das Zweite ist natürlich rich-
tig; aber es passt nicht ganz zum Ersten. Denn Sie haben
ein wenig verdrängt, dass die Konventidee eine Erfindung
dieser Bundesregierung ist, die sie auf dem Kölner Gipfel
durchgesetzt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stimmen nachher über den Vertrag von Nizza ab.
Dabei geht es zum einen um die in diesem Vertrag ver-
suchte Schaffung von Voraussetzungen für die Erweite-
rung der Europäischen Union.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Ja, das war nur ein Versuch!)


Zum anderen geht es darum, die dem Vertrag beigefügte
Erklärung zur Zukunft der Union in unsere künftigen
Überlegungen aufzunehmen. Auf einen Satz gebracht:
Ohne den Nizza-Vertrag gäbe es das so genannte Post-
Nizza-Verfahren nicht. Dies ist ein weiterer gewichtiger
Grund dafür, diesem Vertrag nachher zuzustimmen.

Wir sollten uns außerdem darauf besinnen – das haben
die Redner der FDP zutreffend hervorgehoben –, dass im
Rahmen dieser Zukunftsdiskussion erkennbar wird: Es
geht um eine Themenerweiterung


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Richtig!)


und dabei genau um die Fragen, deren Beantwortung im
Vertrag von Nizza aus meiner Sicht zwar vorläufig gelun-
gen ist, aber weiterentwickelt werden muss. Zum Beispiel
ist die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen – da
sind wir einer Meinung –


(Beifall des Abg. Dr. Helmut Haussmann [FDP])


ein Teil der Diskussion, die in der Zeit nach Nizza geführt
werden muss.

Ich denke, wir sind auch einer Meinung, wenn ich fest-
stelle, dass die Europäische Union zur Verbesserung ihrer
Handlungsfähigkeit nach außen und nach innen eine
kohärente Verfassung benötigt. Es ist eine Leistung der
Bundesregierung, auf dem Gipfel von Nizza auch dafür
gesorgt zu haben, dass dies durch die Erklärung zur Zu-
kunft der Union in das Programm der Europäischen
Union aufgenommen worden ist. Wir brauchen eine Ver-
fassung auch deshalb, weil die Erweiterung der Europä-
ischen Union durch die Aufnahme vieler neuer Länder
selbstverständlich mit der Gefahr der Stärkung zentri-
fugaler Kräfte verbunden ist. Dieser Gefahr kann man nur

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119004


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begegnen, wenn man die Europäische Union gleichzeitig
vertieft. Darum geht es nicht zuletzt im Rahmen der Zu-
kunftsdiskussion.

Vorhin ist mehrfach über den Konvent gesprochen
worden. Deshalb gestatten Sie mir, dass ich meine Rede-
zeit dazu nutze, die Grundfragen, um die es bei dem künf-
tigen Konvent geht, zu skizzieren. Ich betone, dass mein
Eindruck ist, dass wir uns dabei fraktionsübergreifend ei-
nig sind und dass wir die volle Unterstützung der Bun-
desregierung bei der überzeugenden Beantwortung von
sechs Fragen haben:

Die erste Frage betrifft die Beteiligung der europä-
ischen Öffentlichkeit an den Diskussions- und Entschei-
dungsprozessen der Europäischen Union. Konstitutives
Element der Konventidee ist diese Einbeziehung der
Öffentlichkeit, also auch die Einbeziehung der Nichtre-
gierungsorganisationen, der Zivilgesellschaft. Genau das
hat der erste Konvent versucht. Wir haben nicht nur öf-
fentlich getagt, sondern auch anlässlich von Anhörungen
und einer Vielzahl von Veranstaltungen den Gedanken-
austausch mit der Zivilgesellschaft gesucht. Ich finde, die
Zeit, in der europapolitische Weichenstellungen hinter
verschlossenen Türen erfolgten, muss vorbei sein. Das ist
eine Begründung für die Konventidee.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr! Da hat er Recht!)


Ich finde es auch gut, dass jetzt darüber diskutiert wird,
zusätzlich zu diesem Konvent ein Forum einzurichten,
auf dem die Zivilgesellschaft zur Sprache bringen kann,
was sie für wichtig hält. Allerdings muss klar sein: Dieses
Forum darf dem Konvent die Verantwortung für die Erar-
beitung von Vorschlägen für eine künftige Verfassung
nicht abnehmen.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Wir machen keinen runden Tisch!)


Die zweite Frage, um die es geht, ist eben auch mehr-
fach angesprochen worden. Es handelt sich um die Betei-
ligung der Parlamente. Ich bin der Auffassung, dass für
die Legitimität einer Verfassung das Verfahren, in dem sie
entwickelt wird, genauso wichtig ist wie der Inhalt dieser
Verfassung. In diesem Zusammenhang ist die Beteiligung
der Parlamente wichtig. Sie dient einmal der ständigen
Kommunikation zwischen den Delegierten, die auch Par-
lamentsabgeordnete sind, und ihren Parlamenten. Zum
anderen wird dadurch der Einfluss der Parlamente über-
haupt erst ermöglicht und verstärkt.

Wenn Sie den Text der Grundrechte-Charta und die
Entschließungen des Bundestages hierzu nebeneinander
legen, werden Sie feststellen, wie viel von diesen Ent-
schließungen in den Text der Charta eingegangen ist. Ich
will in diesem Zusammenhang die Forderung, Vertreter
der Delegierten zu wählen, mit Nachdruck unterstützen.
Dies erweitert die Kommunikations- und Einflussmög-
lichkeiten des Parlaments, auch der Minderheit im Parla-
ment, und es ist eine vertrauensbildende Maßnahme ge-
genüber dem ganzen Parlament. – Entschuldigen Sie,

Herr Kollege Altmaier, wenn ich Sie hier als vertrauens-
bildende Maßnahme in die Debatte einführe.


(Christian Schmidt [Fürth) [CDU/CSU]: Das

stimmt fast immer! – Peter Altmaier [CDU/
CSU]: Ist entschuldigt!)

Schließlich behaupte ich, dass die Sprache der künfti-
gen europäischen Verfassung die Sprache sein muss, die
Menschen verstehen. Wenn man die bisherigen europä-
ischen Dokumente etwa mit der Sprache der Grund-
rechte-Charta vergleicht, sieht man: Das ist eine Spra-
che, die normale Menschen, die nicht juristisch ge- oder
auch verbildet sind, verstehen können. Auch dies muss
eine künftige europäische Verfassung durch die Beteili-
gung von Parlamentariern leisten.

Die dritte Frage, um die es geht, ist die der Optionen.
Da scheint mir noch einiges unklar zu sein. Selbstver-
ständlich wird der künftige Konvent keine fertige Verfas-
sung in dem Sinne vorlegen, dass der Europäische Rat
diese Verfassung nur noch abnicken könnte, und selbst-
verständlich wird entsprechend dem Vorschlag der belgi-
schen Präsidentschaft der Konvent dort, wo es Kontro-
versen gibt, nicht nur einen Vorschlag machen, sondern es
wird dann einen Mehrheits- und einen Minderheitsvor-
schlag geben. Das sind Optionen, wie sie übrigens auch in
den sehr wichtigen Diskussionsgrundlagen, die Bundes-
kanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joschka
Fischer und Bundespräsident Johannes Rau geliefert ha-
ben, deutlich werden. Daran sieht man, dass Optionen
wichtig sein können, um die Diskussion zu beleben.

Aber es macht überhaupt keinen Sinn, vom Konvent
Optionen in dem Sinne zu verlangen, dass er sich nur zu
ausgewählten Fragen äußert, etwa in der Form von Schul-
aufsätzen, die dann von einem Lehrerkollegium zensiert
und angenommen oder verworfen werden. Wer hält eine
solche Arbeit denn eigentlich für sinnvoll?

Ich behaupte sogar: Optionen in diesem Sinne sind
sachlich gar nicht möglich. Ich nenne als Beispiel die
wichtige Frage der Kompetenzen. Wie kann man sich se-
riös zur Frage der Kompetenzen äußern, ohne zu wissen,
wer sie erhalten soll, ob das zum Beispiel neben dem Eu-
ropäischen Parlament eine zweite Kammer in Form einer
Staatenkammer sein soll oder ob es eine Abgeordneten-
kammer als dritte Kammer sein soll? Das steht in unauf-
lösbarem Sachzusammenhang.

Oder wie kann man sich seriös zu der Frage der Ver-
bindlichkeit der Grundrechte-Charta äußern, wenn man
damit nicht Überlegungen verbindet, wie ein individuel-
les Beschwerderecht für alle Bürgerinnen und Bürger der
Europäischen Union zum Europäischen Gerichtshof aus-
sehen und gestaltet werden soll? Das gehört zusammen.

Ich will dazu ausdrücklich feststellen: Wer in diesen
Tagen von der Bedeutung einer europäischen Werteord-
nung spricht, muss sich selbstverständlich dafür einset-
zen, dass diese Werteordnung, wie sie in der Grundrechte-
Charta formuliert ist, verbindlich wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


19005


(C)



(D)



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(B)


Die vierte Frage ist die nach dem Präsidium. Der
künftige Präsident soll vom Europäischen Rat ernannt
werden. Ich fände es schöner, wenn er durch Wahl des
Konvents bestätigt würde. Wichtiger aber ist mir, dass der
Konvent nicht entsprechend einem Vorschlag, der wohl
von einer Regierung stammt, die früher einmal die Präsi-
dentschaft inne hatte und gegen den Konvent war, durch
eine Troika erweitert wird, also durch Regierungsvertre-
ter der jeweiligen, der vorangegangenen und der nächsten
Präsidentschaft. Diese Troika, die zu einem Präsidium
von sieben oder acht Mitgliedern führen und eine Min-
derheit der Parlamentsvertreter zur Folge haben würde,
stößt auf dreifache Kritik: Erstens. Die Minderheit der
Parlamentarier wäre in einem solchen Präsidium ihres
Einflusses weitgehend beraubt. Zweitens. Dieses so
ausgestaltete Präsidium würde sich zu einer Art Oberkon-
vent entwickeln, neben dem der eigentliche Konvent nur
noch wenig zu melden hätte. Drittens. Die Besetzung des
Präsidiums wäre wechselnd, abhängig von dem Zufall,
wer während der Arbeitszeit des Konvents das Präsidium
zuletzt hatte, gerade hat oder zukünftig haben wird.

Deshalb sage ich: Alle Fraktionen des Deutschen Bun-
destages haben eine Bevormundung des Konvents durch
eine Steuerungsgruppe abgelehnt. Jetzt ein großes Präsi-
dium zu installieren, das eine Steuerung in den Konvent
implantiert, hieße, auf einen Schelmen zwei draufzuset-
zen. Das ist kein guter Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fünftens. Ich möchte eine kurze Bemerkung zu den
Bewerberländern machen. In diesem Punkt sind wir uns
völlig einig. Ich danke der Bundesregierung für ihre Hal-
tung, dass die Bewerberländer stärker als im ersten Kon-
vent berücksichtigt werden sollen. Sie sollen nicht nur Be-
obachter sein. Man kann nicht den künftigen Mitgliedern
der Europäischen Union sagen: Hier ist eine Verfassung,
deren Entstehung ihr beobachten konntet, nun gilt sie für
euch. – Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Deshalb
sollten die Bewerberländer zumindest beratende Stimme,
Rederecht und Antragsrecht bekommen. Ich freue mich
über jede Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bewerber-
länder, die demnächst in Laeken durchgesetzt werden
kann.

Sechstens. Ich komme zum Zeitfaktor: Es mag richtig
sein, dem Konvent eine Frist zu setzen, innerhalb deren er
seine Arbeit abschließen muss. Dies entspräche dem
Motto: Ohne Zeitdruck passiert in der Europäischen
Union wenig. Aber wenn diese Frist beispielsweise ein
Jahr beträgt, dann sollte ein Zwischenbericht vorgelegt
werden. Dieser Zwischenbericht sollte von den Parla-
menten und in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die
Beiträge sollten in den Schlussbericht eingehen. Der Kon-
vent sollte zudem die Möglichkeit haben, zumindest über
das Präsidium mit dem Europäischen Rat zu kommuni-
zieren. Dies ist nicht möglich, wenn er vorher aufgelöst
wird. Er sollte also nicht durch Zeitablauf in ein tiefes
Loch fallen, sondern auch 2004 seinen Einfluss geltend
machen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mein Eindruck ist, dass wir – Parlament und Bundes-
regierung – in diesen Verfahrensfragen im Wesentlichen
einer Meinung sind. Diese Verfahrensfragen sind wichtig;
denn hier geht es um gelebte Demokratie in Europa. Wir
sollten uns in der Sachdebatte nicht vorzeitig auf einen be-
stimmten Text festlegen; denn erfahrungsgemäß – das hat
der erste Konvent gezeigt – kommt man dadurch mit den
anderen Delegierten, die einen Text aus ihrer Sicht vorle-
gen, nicht zu einer Übereinstimmung. Wichtig ist, dass die
Delegierten im Konvent aufeinander zugehen und unter-
schiedliche Verfassungstraditionen und so etwas wie die
gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Europäischen
Union berücksichtigen.

Wir haben von der Bundesregierung durch die Vor-
schläge, die ich erwähnte, schon jetzt sehr gute Bera-
tungsgrundlagen. Ich freue mich, dass der Konvent als
Einrichtung ein Konsensthema ist. Die noch offenen Fra-
gen sollten in Laeken vernünftig geregelt werden. Ich ver-
traue darauf, dass sich die Vernunft durchsetzt.

Lassen Sie uns auch bei der Vorbereitung des Europä-
ischen Rates 2004 und bei den notwendigen Weichenstel-
lungen für die Zukunft der Europäischen Union erneut
mehr Demokratie wagen!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419502200
Als letz-
tem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich
dem Kollegen Christian Schmidt von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte darum
bitten, dass Sie auch diesem Redner vor der namentlichen
Abstimmung Ihre Aufmerksamkeit schenken. Vielen
Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1419502300
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, die Tatsache, dass das Haus immer voller wird,
deutet darauf hin, dass das jetzt diskutierte Thema die
Aufmerksamkeit aller Kollegen findet.

Ich darf zum Schluss der Debatte, die ja im Wesent-
lichen sehr fachbezogen und sachbezogen war, Ihnen,
Herr Kollege Meyer, zu Ihren Einlassungen hinsichtlich
des Konventes Zustimmung signalisieren. Sie haben das
Prinzip der Parlamentarisierung der europäischen
Integration und deren Fortentwicklung in den Vorder-
grund gestellt. Eines aber – ich vermute, auch darüber
sind wir uns im Klaren – sollte nicht passieren: Der Kon-
vent ist keine klassische Constituante. Er lebt davon, dass
er gerade von den nationalen Parlamenten nicht nur Zu-
arbeit und Resonanz, sondern auch Mitarbeit erhält. Des-
wegen kommt – ich nehme an, dass Sie dem Konvent an-
gehören werden – auf all diejenigen, die wir entsenden
werden, eine große Aufgabe zu. Ich will betonen: Ich
hoffe und erwarte, dass die Einbindung in die parlamen-
tarische Arbeit auf nationaler Ebene erhalten bleibt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


19006


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben sowieso das Problem: Wir müssen – mein
Kollege Gerd Müller hat besonders intensiv darauf hinge-
wiesen – die Rolle der nationalen Parlamente, die Rolle
des Deutschen Bundestages, in einer weiterentwickelten
Europäischen Union diskutieren. Man sollte dieses Pro-
blem nicht gering schätzen, denn nach der Ansicht des
Bundesverfassungsgerichts gründet sich die Legitimität
der europäischen Integration bis heute auch auf die Ver-
mittlung durch die nationalen Parlamente.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte ein klein wenig pro domo sprechen: Uns
darf nicht das passieren, was den Kollegen aus den Län-
derparlamenten – bei allem Respekt – wohl passiert ist.
Sie haben vielleicht den Verlust von Kompetenzen zu spät
bemerkt und müssen feststellen, jetzt nicht mehr im Spiel
dabei zu sein. Wir vertreten unser Volk und haben deswe-
gen einen Anspruch, auch beim Projekt Europa weiter be-
teiligt zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich ist aber auch die zweite Frage, die übrigens
ganz wesentlich von unserer Fraktion nach vorne ge-
bracht worden ist, nämlich die Frage der Kompetenz-
abgrenzung – der Herr Bundeskanzler hat sich selbst
gerühmt, das im Post-Nizza-Prozess durchgesetzt zu ha-
ben – ein ganz entscheidender Faktor für eine stabile
Struktur einer zukünftigen europäischen Integration. Bei
der Diskussion über die Kompetenzabgrenzung werden
wir altbekannte Dinge vorfinden. Natürlich wird auch die
Landwirtschaftspolitik – mit einem entsprechenden Etat
ausgestattet – Teil der europäischen Integration bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hätte mir gewünscht, dass bei der Agenda 2000 die
Vorschläge der Kofinanzierung mit der Möglichkeit einer
teilweisen Rückübertragung von der Bundesregierung
aufgenommen worden wären. Über das Elend, das sich
auf dem Berliner Gipfel im Zusammenhang mit der
Agenda 2000 abgespielt hat,


(Zuruf von der SPD: Das Elend war vorher, Herr Kollege!)


hat sich aber der Kollege Hintze schon ausführlich
geäußert. Ich schließe mich diesen Bemerkungen an.

Ein weiterer wichtiger Punkt – er ist bereits genannt
worden – treibt mich um, nämlich die Frage der Zukunft
der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Was
ist mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in
einer Zeit, in der die Tagesordnung von der Außen- und
Sicherheitspolitik bestimmt wird und die Europäer nur am
Rande mitlaufen und nicht gehört werden? Es wurde
geäußert – ich stimme dem zu –, es gebe eine gewisse Re-
naissance der Nationalstaaten. Ist das gut? Können wir
das hinnehmen? Ist das nicht zu beachten oder schafft es
uns ein Problem?

Es ist sicher ein Problem. Wieso? Es ist ein Problem,
weil die Stärke Europas – das sagen wir alle im Konsens –
seit Jahren und Jahrzehnten nur darauf beruhen kann, dass
Europa gemeinsam handelt. Wir erleben allerdings ge-

genwärtig, dass diese gemeinsame Struktur offensichtlich
noch nicht ausreicht. Woran liegt das? – Das liegt daran,
dass das Herz der Politik, die Außen- und Sicherheits-
politik, vor allem von traditionell weltweit operierenden
Ländern wie Frankreich oder Großbritannien gerne natio-
nal wahrgenommen wird. Aber das kann nicht das Ende
der Entwicklung sein. Anstatt darüber zu lamentieren,
dass das so ist, wie ich gesagt habe, sollte man lieber nach
den Ursachen schauen. Hier gibt es nämlich einen be-
denklichen Befund, den ich ansprechen möchte. Der Bun-
deskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, der
Gedanke der Teilhabe am Haben und Sagen sei ein genuin
europäischer. Damit hat er Recht. Wer nichts hat, der kann
nichts sagen. Wer nichts hat, der wird nicht gehört. Wer im
außen- und sicherheitspolitischen Bereich nichts zu bie-
ten hat, der kann auch nicht erwarten, mitreden zu können.


(Lachen bei der SPD)


– Ich möchte die Kollegen von der SPD bitten, sich ihr La-
chen für später aufzuheben.

Sie sollten lieber einmal nachlesen, was auf dem Gip-
fel in Helsinki zu den „headline goals“ gesagt worden ist,
und sich Gedanken darüber machen, wie eine gemein-
same europäische Verteidigungstruppe, deren Aufstellung
auf dem informellen Treffen in Feira beschlossen worden
ist, geschaffen werden kann und welche Antwort auf der
bevorstehenden Geberkonferenz auf die Frage „Was tragt
ihr denn zu der Aufstellung der gemeinsamen euro-
päischen Verteidigungstruppe von 60 000 Soldaten bei?“
– vor ziemlich genau einem Jahr, am 20. November,
konnte in Brüssel noch kein Vollzug gemeldet werden –
gegeben werden soll. Am 19. November werden Sie si-
cherlich wieder gefragt werden: Wie weit habt ihr euch
denn eurem Ziel angenähert, bis 2003 über eine eigen-
ständige europäische Sicherheitskomponente zu verfü-
gen? Hier geht es um das Haben und das Finanzieren. Wir
werden in weiten Bereichen Fehlanzeige melden müssen.
Das wird sicherlich kaschiert werden. Es werden potem-
kinsche Dörfer errichtet werden. Aber das wird nicht aus-
reichen, gerade in einer Zeit, in der die Bedrohung durch
den Terror so groß ist, dass wir selbst bedroht sind, dass
wir ihr nicht ausweichen können und dass wir uns nicht
wie eine größere Schweiz neutral verhalten können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Somit kommt man selbst bei so großen Themen in die
Niederungen des Einzelplans 14 des Bundeshaushaltes,
des Verteidigungshaushaltes, oder des Einzelplans 60.
Wir werden noch Gelegenheit haben, das zu vertiefen.
Nur eines ist ganz klar: Geld alleine ermöglicht keinen
Einfluss; aber ohne Geld, quasi ohne Hardware, ist in den
Bereichen, um die es hier geht, kein Einfluss möglich.
Deswegen fordere ich den Bundeskanzler auf, zu handeln
und die Situation auch dazu zu nutzen, die Schieflage, die
im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik entstanden
ist, weil Frankreich und Großbritannien auf ihrem Treffen
in Saint-Malo vor zwei Jahren einen Accord vereinbart
haben, zu beseitigen und diesen Accord auszuweiten.
Deutschland muss bereit sein, eine entscheidende – um
nicht zu sagen: eine führende – Rolle in diesem Bereich
zu spielen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Christian Schmidt (Fürth)


19007


(C)



(D)



(A)



(B)


In Gent wird vielleicht auch die Frage gestellt werden,
warum die Äußerungen so schwach ausgefallen sind.
Friedrich Merz hat ja dargestellt, wie wenig schlagkräftig
die Beschlüsse des Europäischen Rates waren. Wir wer-
den in diesem Zusammenhang auch Fragen an unsere
Kollegen und an die Mitglieder der Regierungen der so
genannten neutralen Staaten, die Mitglied der Europä-
ischen Union sind, richten müssen. Ich möchte zwar kei-
nem Land zu nahe treten. Aber wir müssen die neutralen
Staaten, egal, ob es Schweden oder Österreich ist, fragen
– erst diese Frage macht eigentlich die inneren Reserven
deutlich –: Gegenüber wem seid ihr eigentlich neutral?
Müsst ihr euch nicht neu orientieren? Gibt es irgendeinen
Grund, sich zurückhaltend zu verhalten? – Nein, ich
glaube nicht. Gemeinschaftstreue müssen wir auch allen
neuen Mitgliedstaaten abverlangen.

Ich komme zum Schluss. Die Mitgliedstaaten, die im
Rahmen der Osterweiterung der Europäischen Union bei-
treten werden – der ungarische Ministerpräsident spricht
lieber von der Westverlängerung als von der Osterweite-
rung, weil die neuen Mitgliedstaaten in zentralen Punkten
westeuropäisch denken und handeln –, müssen schon jetzt
bereit sein, sich in schwierigen Fragen der Außen- und
Sicherheitspolitik gemeinschaftstreu zu verhalten. Die
EU muss dafür sorgen, dass schon vor den Beitritten ent-
sprechende Strukturen vorhanden sind. Da gibt es immer
noch ein Problem. Das können wir nicht durch Verzöge-
rung der Beitritte lösen, sondern nur durch mehr Anstren-
gungen bei uns selbst mit dem Ziel, die großen Posten, die
in Nizza nicht geklärt worden sind, die auf dem Tisch ge-
blieben sind, zu lösen. Da ist noch viel an Aufgaben zu er-
ledigen und noch viel Platz für Regierungserklärungen.
Das muss zeitig erfolgen; denn sonst läuft uns die Ge-
schichte in diesen Fragen davon, macht uns einen Strich
durch die Rechnung und das darf in dieser Situation in Eu-
ropa nicht geschehen.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419502400
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum
Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001 auf Druck-
sache 14/6146, Tagesordnungspunkt 3 b.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu
nehmen, damit wir die Abstimmungen durchführen und
den Überblick darüber behalten können, wie jeweils ab-
gestimmt wird.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europä-
ischen Union empfiehlt auf Drucksache 14/7172 die An-
nahme des Gesetzentwurfes. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Frak-
tionen bei Gegenstimmen der PDS-Fraktion angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
der in der Beschlussempfehlung des Ausschusses festge-
legten Eingangsformel zur Annahme des Gesetzentwurfs
gemäß Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 des
Grundgesetzes eine Zweitdrittelmehrheit erforderlich ist.
Das sind mindestens 445 Stimmen.

Die Fraktion der SPD und die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vor-
gesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Sind noch Kolleginnen und Kollegen anwesend, die
ihre Stimmen nicht abgegeben haben? – Das ist offen-
kundig nicht der Fall. Ich schließe die Stimmabgabe und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie, wie-
der Platz zu nehmen.

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs-
punkt 3 c: Bericht des Ausschusses für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union gemäß § 93 a Abs. 4 der
Geschäftsordnung, Drucksache 14/6643, zu den Unter-
richtungen durch die Bundesregierung mit dem Titel
„Mitteilung der Kommission über bestimmte Modalitäten
der Debatte über die Zukunft der Europäischen Union“
und „Bericht über die Debatte über die Zukunft der Euro-
päischen Union“. Ich gehe davon aus, dass Sie die Be-
richte zur Kenntnis genommen haben.

Tagesordnungspunkt 3 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union, Drucksache 14/6646, zu dem Antrag der PDS-
Fraktion mit dem Titel „Für den Erfolg des Stockholmer
EU-Gipfels zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5585
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
worden mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme
der PDS-Fraktion, die dagegen gestimmt hat.

Tagesordnungspunkt 3 e: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union, Drucksache 14/6708, zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung mit dem Titel „Arbeitsdokument der
Kommissionsdienststellen – Fortschritte bei den Aktionen
von E-Europe“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der
Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Diese Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 3 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union, Drucksache 14/7002, zu dem Antrag der Fraktion
der PDS mit dem Titel „Vertrag von Nizza nachverhan-
deln“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/6443 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Christian Schmidt (Fürth)


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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Ergebnis Seite 19010 D

schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der
FDP-Fraktion angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Volker Rühe, Eckart von Klaeden, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Sicherheit 21 – Was zur Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus jetzt zu tun ist
– Drucksache 14/7065 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Wolfgang Bosbach von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) (von Abgeordneten
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem Antrag „Sicherheit 21 – Was zur Bekämpfung des in-
ternationalen Terrorismus jetzt zu tun ist“ legen CDU und
CSU als erste Fraktion des Deutschen Bundestages ein
umfassendes Konzept zur dringend notwendigen Stärkung
der äußeren und inneren Sicherheit vor.

Der international operierende religiös oder politisch
motivierte Terrorismus, insbesondere jener, der von Staa-
ten unterstützt und gedeckt wird, ist für die freie zivilisierte
Welt eine existenzielle Bedrohung, auch für unser Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das haben wir schon vor Jahren festgestellt, ohne dass bis
heute daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen
worden sind.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Ich zitiere aus dem Abschlussbericht des Untersuchungs-
ausschusses „Plutonium“:

Möglicherweise wächst eine neue Form der Bedro-
hung heran, sollte es sektiererischen Organisationen,
die mit genügend Finanzmitteln, geeigneter Infra-
struktur, technologischem Wissen und der nötigen
Entschlossenheit ausgestattet sind, nur noch um Ver-
nichtung von Mensch und Material ohne rational er-
fassbare Zielsetzungen gehen.

Es muss doch allen in diesem Hause zu denken geben,
dass die meisten Spuren der fürchterlichen Anschläge
vom 11. September außerhalb der USA ausgerechnet in
Deutschland zu finden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer trotz dieser Lage immer noch nicht begreift oder
nicht begreifen will, dass wir verpflichtet sind, wirklich
alles Notwendige zu tun, um unser Land vor dem Terro-
rismus und anderen Formen der Kriminalität wirksamer
zu schützen, ist verantwortungslos.

Wir sind nun schon seit Wochen Zeugen der koaliti-
onsinternen Auseinandersetzungen über die notwendi-
gen und teilweise schon seit Jahren überfälligen Maßnah-
men für mehr Sicherheit. Die innere Unsicherheit der
Koalition über das, was jetzt zu tun ist, darf nicht die Si-
cherheit des Landes gefährden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Entscheidend sind nicht die starken Worte des Innenminis-
ters, sondern starke Taten. Auch hierbei gilt das, was im
Leben immer gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Bei der Sicherheit darf es keine Kompromisse geben.
Wenn eine Maßnahme notwendig ist, dann muss sie um-
gesetzt werden, und zwar sofort. Es darf nicht sein, dass
notwendige Entscheidungen nur deshalb nicht getroffen
werden, weil die Grünen Vorstellungen haben, die – zu-
mindest teilweise – schlicht abwegig sind. Der freiheitli-
che Rechtsstaat wird nicht von denen gefährdet, die für
mehr Sicherheit plädieren, sondern von denen, die uns
glauben machen wollen, dass Freiheit und Sicherheit Ge-
gensätze seien.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen immer die Balance zwischen möglichst viel
Freiheit auf der einen und einem hohen Maß an Sicherheit
auf der anderen Seite halten; aber Freiheit und Sicherheit
sind keine Gegensätze. Wer glaubt, dass weniger Sicher-
heit mehr Freiheit bedeutet, bringt – ob bewusst oder un-
bewusst – Frieden und Freiheit in Gefahr.

Beim Kampf gegen den Terror gibt es kein Patentre-
zept.

Aber vor allem muss sich endlich auch einmal außer-
halb der Unionsfraktion die Erkenntnis durchsetzen, dass
wir in allen Fragen der Sicherheit eine andere Haltung
einnehmen müssen. Wir müssen unsere Bundeswehr wie-
der bündnisfähig machen. Bündnisfähigkeit beweist man
nicht durch die Zustimmung zu Auslandseinsätzen, son-
dern nur dadurch, indem man die Bundeswehr endlich
personell und technisch so ausstattet, dass sie die ihr über-
tragenen Aufgaben wahrnehmen kann. Das ist nicht der
Fall und muss geändert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Soldaten der Bundeswehr leisten für unser Land
und das Bündnis einen unverzichtbaren Dienst. Schon
heute befinden sie sich zur Erhaltung des Friedens auf
dem Balkan in schwierigen Einsätzen. Sie haben dort

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

19009


(C)



(D)



(A)



(B)


mitgeholfen, dem Morden Einhalt zu gebieten. Terroris-
ten sind Mörder, Soldaten sind es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dass man das Gegenteil dennoch in Deutschland straffrei
sagen kann, ist und bleibt für CDU und CSU unerträglich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen, dass unsere Soldaten endlich den Eh-

renschutz erhalten, der ihnen gebührt. Die Bundesregie-
rung hat in der letzten Zeit mehrfach betont, nach dem
11. September sei nichts mehr so wie zuvor. Wir nehmen
die Regierung beim Wort und erwarten, dass sie jetzt end-
lich den Widerstand gegen einen besseren Ehrenschutz
für unsere Soldaten aufgibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen die rechtlichen Voraussetzungen dafür

schaffen, dass die Bundeswehr in besonderen Gefähr-
dungslagen ihre ganz spezifischen Fähigkeiten zur Ab-
wehr von Gefahren auch im Inland einsetzen kann. Das ist
zurzeit nur sehr bedingt möglich. Der in diesem Zusam-
menhang erhobene Vorwurf der Militarisierung der inne-
ren Sicherheit ist und bleibt grober Unfug. Die Bundes-
wehr soll die Polizei nicht ersetzen, sondern unterstützen.
Wir müssen uns entscheiden, ob es dabei bleiben soll, dass
wir trotz besonderer, völlig neuer Bedrohungen für unsere
Sicherheit die besonderen Fähigkeiten der Bundeswehr
weiterhin auch dann nicht nutzen wollen, wenn wir sie im
Inland dringend brauchen. Wer dies kategorisch ablehnt,
handelt unverantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die vor wenigen Tagen erhobene Forderung der Vor-
sitzenden der Bündnisgrünen nach einem Ende der Bom-
benangriffe der USA steht nicht nur im Gegensatz zu der
uneingeschränkten Solidarität, die wir zugesichert haben
und auf die Amerika einen Anspruch hat, sondern ist auch
schon von der Wortwahl her verräterisch. Es handelt sich
nämlich nicht um eine Aggression, sondern um Präven-
tion. Amerika greift nicht an, Amerika ist angegriffen
worden. Es ist das gute Recht der Vereinigten Staaten, sich
zu verteidigen, und zwar auch mit militärischen Mitteln.
Selbstverständlich können wir auf die Angriffe und die
Herausforderungen des Terrorismus nicht nur militärisch
reagieren, wir brauchen auch politische Maßnahmen und
humanitäre Hilfe. Wer aber in dieser Situation die Solida-
rität mit Amerika infrage stellt oder gar aufkündigt, scha-
det unserem Verhältnis zu den USA, dem Bündnis und da-
mit Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])


Unser Dank gebührt allen Polizeibeamtinnen und Poli-
zeibeamten des Bundes und der Länder, die nun schon seit
vielen Wochen ganz außergewöhnlichen Belastungen
ausgesetzt sind und weit mehr als nur ihre Pflicht tun.
Auch deswegen müssen wir so genannte Trittbrettfahrer
überführen und mit der ganzen Härte des Gesetzes be-
strafen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Wer in dieser Lage Straftaten androht oder vortäuscht, die
Menschen in Angst und Schrecken versetzen, Polizei-
kräfte bindet und sie damit von ihren eigentlichen Aufga-
ben abhält, begeht kein Kavaliersdelikt, sondern entfaltet
eine kriminelle Energie, die hart bestraft werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das von der Bundesregierung vorgelegte Maßnahmen-

paket für mehr Sicherheit ist jedenfalls in der vorliegen-
den Form nicht ausreichend. Insbesondere fehlen kon-
krete Maßnahmen für eine erleichterte Ausweisung
straffälliger, extremistischer Ausländer. Wir können es
nicht länger zulassen, dass unter dem Deckmantel der Hu-
manität oder der Religionsfreiheit Extremisten oder Ter-
roristen ihr Unwesen in Deutschland treiben oder gar
Straftaten verüben. Es genügt doch nicht, über 32 000 be-
kannte extremistische Islamisten nur zu beobachten. Viel-
mehr müssen wir aus deren Taten Konsequenzen ziehen,
das heißt konkret, deren Aufenthalt in Deutschland ein
Ende machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen das Ausländerrecht deswegen so ändern,

dass extremistische und straffällige Ausländer leichter
ausgewiesen werden können, als dies derzeit möglich ist.

Wir sind ein weltoffenes, liberales und tolerantes Land.
Das wollen wir auch bleiben. Wenn wir das aber bleiben
wollen, dann darf es niemals Toleranz für Intoleranz geben.

Danke, dass Sie mir zugehört haben.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall des Abg. Walter Hirche [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419502500
Bevor ich
den nächsten Redner aufrufe, gebe ich das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung zum Entwurf eines
Gesetzes der Bundesregierung zum Vertrag von Nizza
vom 26. Februar 2001 bekannt. Abgegebene Stim-
men 604. Mit Ja haben gestimmt 570 Abgeordnete, mit
Nein haben gestimmt 32. Enthaltungen 2. Der Gesetzent-
wurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenom-
men.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Wolfgang Bosbach

19010


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 605;
davon

ja: 571
nein: 32
enthalten: 2

Ja

SPD

Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer

Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)


Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

19011


(C)



(D)



(A)



(B)


Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack


(Extertal)

Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)


Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann


(Darmstadt)

Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann


(Neubrandenburg)

Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-

Hanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer


(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt


(Weilburg)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann


(Delitzsch)

Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dietmar Schütz (Oldenburg)


Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-

Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Ernst Ulrich von

Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek


(Duisburg)

Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

19012


(C)



(D)



(A)



(B)


Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner


(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen


(Nordstrand)

Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Gerhard Friedrich


(Erlangen)

Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von

Hammerstein
Gottfried Haschke


(Großhennersdorf )

Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser


(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold


(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann


(Lüdenscheid)

Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski


(Recklinghausen)

Dr. Martin Mayer


(Siegertsbrunn)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost

Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt


(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von

Schorlemer
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)


Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun


(Augsburg)

Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ute Vogt von der
SPD-Fraktion das Wort.


Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1419502600
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bosbach,
wir sind uns in einem Punkt sicherlich einig: dass es die
Aufgabe des Staates sei, die Sicherheit seiner Bürger zu
gewährleisten, damit sie in Frieden und Freiheit leben
können. Dieser Satz kann in dieser Form sicherlich vom
gesamten Haus unterstützt werden. Gegenstand der Dis-
kussion, die vor uns liegt, ist deshalb weniger die Frage
nach dem Ziel; es muss vielmehr um die Auseinanderset-
zung mit den Details gehen, also zum Beispiel darum, wie
wir es schaffen werden, den Frieden und die Sicherheit zu
gewährleisten – den äußeren Frieden ebenso wie den so-
zialen Frieden, aber auch die innere Sicherheit, die heute
Gegenstand der Diskussion ist.

In der Bevölkerung sind Ängste vorhanden. Dies sind
zum einen Ängste vor Angriffen und vor Bedrohungen,
zum anderen aber auch Ängste vor Einschränkungen von
Freiheiten. Ich sehe uns im Parlament in der Verantwor-
tung, diese Ängste ernst zu nehmen, dass wir aber keines-
falls dazu beizutragen, weitere solcher Ängste zu schüren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es ganz maßgeblich, wie wir in diesem Parla-
ment mit dem Thema weiterhin umgehen; denn der Stil
der Auseinandersetzung wird in erster Linie von der Poli-
tik geprägt und erst in zweiter Linie von den Medien, weil
diese nur das aufgreifen können, wozu wir ihnen die
Stichworte liefern.


(Bernd Reuter [SPD]: Genau!)


Es liegen derzeit viele Vorschläge vor. Sie von der
CDU/CSU haben in Ihrem Antrag eine ganze Reihe von
Vorschlägen gemacht, die zum Teil den Eindruck er-
wecken, als wenn man alles zusammengetragen hätte,

was einem zu diesem Themenbereich einfallen kann, um
etwas zu verändern.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Kraut und Rüben!)


Es gibt aber schon deutlich konkreter gefasste Vorschläge
vonseiten der Bundesregierung, die sich derzeit in der
Diskussion befinden.

Entscheidend für mich ist, dass wir überprüfen, welche
Maßnahmen tatsächlich wirksam sind.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das wird aber Zeit! Sie müssen ein Gesetz machen!)


Darüber hinaus müssen wir jede von Ihnen vorgeschla-
gene Maßnahme dahin gehend prüfen, in welchem Ver-
hältnis der Aufwand, den sie schafft, und der Eingriff, den
sie darstellt, zu dem Nutzen und zu der Wirksamkeit, die
sie entfaltet, stehen. Bei den Daten müssen wir darauf
aufpassen, dass wir nicht zu viele Daten erfassen, sodass
wir sie zum Schluss nicht mehr auswerten, also verwerten
können. Es ist also eine intensive Prüfung notwendig.
Man darf nicht alles sammeln, was man nur sammeln
könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Handeln Sie doch mal!)


Wir müssen eine Sachprüfung vornehmen und müssen
uns auf eine Gewichtung einigen.

Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, bei diesem
schwierigen Thema den Versuch zu unternehmen, die po-
litische Diskussion für die Bürgerinnen und Bürger in ei-
ner anderen Weise nachvollziehbar zu machen, als sie es
sonst gewohnt sind.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Dazu ist das jetzt aber kein Beitrag!)


Wenn wir in der Bevölkerung Akzeptanz erreichen wol-
len, müssen wir die Gründe für unsere Entscheidungen
und deren Auswirkungen deutlich machen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

19013


(C)



(D)



(A)



(B)


Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhard
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle

Nein

PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss

Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier

Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Enthalten

FDP

Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


PDS

Manfred Müller (Berlin)


Insoweit wird es dem Thema nicht gerecht, Kollege
Bosbach, wenn Sie es auf die Benennung von Koalitions-
streitigkeiten reduzieren oder wenn man es gar auf Aus-
einandersetzungen zwischen Personen reduzierte. Mich
hat dieser Tage eine Mitarbeiterin des Hessischen Rund-
funks angerufen,


(Lachen bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Ist wahr? – Gegenruf des Abg. Bernd Reuter [SPD]: Neidhammel!)


die in dieser Angelegenheit ein Interview mit mir machen
wollte, um vornehmlich die Bevölkerung zu informieren.
Eine Bedingung für das Interview war allerdings, dass ich
auch Aussagen machen müsste, die sich gegen den Innen-
minister richten.


(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Das fällt Ihnen doch nicht schwer! – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Dafür habt ihr doch den ganzen Innenausschuss!)


– Herr Marschewski, in diesem Fall ist es in unser aller In-
teresse – hier betrifft es die eine Partei, in anderen Fällen
betrifft es andere Parteien –, dass wir das Niveau solcher
Diskussionen nicht auf diese Weise reduzieren lassen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich sehe unsere Aufgabe jetzt darin, zügig zu entschei-
den, trotzdem aber gewissenhaft zu beraten. Mir liegt da-
ran, dabei auch die Rolle des Parlaments zum Tragen zu
kommen zu lassen. Das bedeutet, dass wir Entscheidun-
gen, die wir als Gesetzgeber treffen müssen, nicht an Mi-
nisterien delegieren dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das bedeutet wiederum, dass wichtige Dinge, die die Bür-
gerinnen und Bürger unmittelbar betreffen, nicht auf dem
Wege von Verordnungen erlassen werden dürfen. Nicht
nur die Regierungsmitglieder, sondern auch wir stehen
vor Ort für die politischen Entscheidungen ein und wir
haben die Entscheidungen des Parlaments zu vertreten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Des Weiteren müssen wir als Parlamentarier bei den
Dingen, bei denen eine Erweiterung von Kompetenzen
notwendig sein wird – ich denke hier etwa an die Diens-
te –, unsere Kontrollaufgaben so ausweiten, dass wir sie
weiter wie bisher wahrnehmen können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419502700
Frau Kol-
legin Vogt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
von Klaeden?


Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1419502800
Ja, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419502900
Herr von
Klaeden.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1419503000
Frau Kollegin
Vogt, können wir im Rahmen Ihrer Rede noch damit rech-
nen, dass Sie wenigstens zu einem unserer Vorschläge
konkret Stellung nehmen?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1419503100
Sehr geehrter Herr von
Klaeden, nachdem Herr Kollege Bosbach hier keinen die-
ser Vorschläge im Detail begründet hat,


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sagen Sie einfach Nein!)


sondern es nur eine umfangreiche Auflistung gibt, sehe
ich mich jetzt nicht in der Lage, dieses Sammelsurium im
Einzelnen zu bewerten. Dies muss der Ausschussberatung
vorbehalten bleiben.


(Beifall bei der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Da ist ja selbst der Stiegler besser!)


Ich wünsche mir, dass Sie das Angebot, das ich auch an
Ihre Adresse richte, annehmen und sich auf eine Diskus-
sion einlassen, die sich ein bisschen von den gewohnten
Ritualen löst – auch wenn es manchem sichtbar schwer
fällt, wie ich sehe – und verbinde dies mit einer Bemer-
kung zu einem weiteren Kernbereich, der für mich un-
trennbar mit der inneren Sicherheit verbunden ist. Derzeit
führen wir eine Debatte über die Regelung und Steuerung
der Zuwanderung. Weil auch dieses Thema zum einen
die Sicherheit und zum anderen den sozialen Frieden be-
trifft, appelliere ich an Sie: Wenn wir uns beim Thema in-
nere Sicherheit gemeinsam auf die notwendigen Maßnah-
men verständigen können, dann sollten wir auch im
Hinblick auf den sozialen Frieden einig sein. Daher soll-
ten wir nicht nur gesetzliche Regelungen treffen, die sich
unmittelbar auf die innere Sicherheit beziehen, sondern
auch solche, die das Zusammenleben von Menschen un-
terschiedlicher Herkunft in Deutschland so verbessern,
dass gegenseitiges Verständnis gefördert wird. Dazu brau-
chen wir aber nicht nur Ihren Antrag zur inneren Sicher-
heit, sondern auch Ihre konstruktive Mitwirkung bei der
Regelung und Steuerung der Zuwanderung


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Legen Sie mal ein Konzept vor, dann machen wir das! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir schon dreimal gehört!)


und gleichzeitig bei Maßnahmen, die zur Integration not-
wendig sind.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie es schaffen, in ei-
ner solchen Situation nicht die üblichen Rituale zu prak-
tizieren, sondern sich tatsächlich auf die Erwartung der
Bürgerinnen und Bürger zu konzentrieren: Wir sollten
hierüber zwar kontrovers diskutieren. Aber zum Schluss
muss etwas Konstruktives herauskommen und eine breite
Mehrheit in diesem Hause gefunden werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Ute Vogt (Pforzheim)


19014


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419503200
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Max Stadler
von der FDP-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1419503300
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin
Vogt, ich dachte bisher, es sei unstrittig, dass die einzige
Voraussetzung für Interviews ist, dass man frank und frei
seine eigene Meinung sagt.


(Ute Vogt [Pforzheim] [SPD]: Ja!)


Diese Meinung zu dem heute behandelten Thema will ich
Ihnen für die FDP gern vortragen. Sie beruht auf drei
Grundthesen.

Erstens. Der inneren Sicherheit ist am besten gedient,
wenn die bestehenden Gesetze vollständig und konse-
quent angewandt werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


– Kollege Marschewski, in den Jahren 1990 bis 1998 ha-
ben Union und FDP gemeinsam zahlreiche Gesetze zur
Sicherheit verabschiedet, aber das Defizit beim Vollzug
dieser Gesetze ist doch die Achillesferse der deutschen In-
nenpolitik. –


(Beifall bei der FDP)


Wir müssen die Sicherheitsbehörden personell, finanziell
und technisch so ausstatten, dass sie ihre Aufgaben wir-
kungsvoll erfüllen können.

Zweitens. Darüber hinaus wird die FDP notwendigen
und geeigneten neuen Gesetzen zustimmen, natürlich
nach einer sorgfältigen Beratung, nach Sachverständigen-
anhörungen, nach einem geordneten parlamentarischen
Verfahren.

Drittens. Selbstverständlich muss die Grenze der be-
währten und auch nach dem 11. September 2001 weiter-
hin gültigen rechtsstaatlichen Grundsätze eingehalten
werden. Einige der derzeit öffentlich diskutierten Vor-
schläge sind daher für uns nicht akzeptabel.

Ich beginne mit dem vorliegenden Antrag der Union,
der Anlass für die heutige Debatte ist. Die CDU/CSU be-
findet sich gewissermaßen in einem Hase-und-Igel-Wett-
streit mit dem Bundesinnenminister um immer neue Vor-
schläge.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Der Otto ist schon hier!)


Es verwundert daher nicht, dass sich bei einer solchen
Vielzahl von Vorschlägen viele richtige Gesichtspunkte
finden, dass Sie aber auch immer wieder Vorschläge aus
der Schublade geholt haben, die in der Vergangenheit zu
Recht keine Mehrheit im Bundestag gefunden haben.


(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)


Ich nenne als Beispiel nur Ihre Forderung nach der opti-
schen Überwachung von Wohnräumen. Das geht zu weit;
das lehnen wir ab.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, wichtiger ist natürlich, wel-
che Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium kom-
men werden, denn von diesen kann man annehmen, dass
sie demnächst Gesetz werden. Dort wird bekanntlich über
ein Terrorismusbekämpfungsgesetz diskutiert. Darin sind
Maßnahmen enthalten, die sich auch im Sicherheitspapier
der FDP-Fraktion finden und denen wir daher zustimmen
werden. Ich nenne als Beispiele die Ausdehnung der
Sicherheitsüberprüfungen über den Kreis der an Flughä-
fen Tätigen hinaus für Personen, die in sicherheitsrele-
vanten Bereichen tätig sind. Ich nenne den Wegfall des
Religionsprivilegs im Vereinsrecht sowie verbesserte
Möglichkeiten der Identitätsfeststellung.

Aber wir werden die Diskussionsvorschläge aus dem
Innenministerium natürlich nicht unbesehen übernehmen.
Ist es wirklich richtig, privaten Stellen – privaten Stellen! –
eine Auskunftspflicht gegenüber dem Verfassungsschutz
aufzuerlegen? Bisher sind es die Strafverfolgungsbehör-
den, die von Banken, Post- oder Telekommunikationsun-
ternehmen bei Verdacht aufgrund eines geordneten Ver-
fahrens mit richterlichen Beschlüssen Auskünfte
verlangen können. Diese Auskünfte stehen dann auch den
Diensten zur Verfügung.

Wir finden, der bisherige Weg der Informationsgewin-
nung ist aus rechtsstaatlichen Gründen vorzugswürdig,
auch deshalb, weil es sonst kaum mehr einen Rechts-
schutz gäbe. Es spricht also viel dafür, es in diesem Be-
reich bei der geltenden Rechtslage zu belassen.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch
vor der Tendenz hüten, in rechtsstaatliche Grundstruktu-
ren einzugreifen. Jedermann will eine bessere Bekämp-
fung der illegalen Geldströme, der Geldwäsche. Wir
sagen als FDP ganz klar: 16 Bedienstete beim Bundes-
aufsichtsamt für das Kreditwesen reichen als Aufsicht
über 3 000 Banken im Zusammenhang mit der Geldwä-
sche nicht aus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn man aber, wie dies die EU am Dienstag be-
schlossen hat, in die Berufsgeheimnisse von Rechtsan-
wälten und Steuerberatern eingreift und wenn man diesen
in bestimmten Fällen eine Meldepflicht gegenüber den
Strafverfolgungsbehörden auferlegt, dann sind dies doch
sehr bedenkliche Einschnitte. In der „Süddeutschen Zei-
tung“ von gestern bemerkt Andreas Oldag zu Recht, dass
das Vertrauensverhältnis von Anwälten und Steuerbera-
tern zu ihren Mandanten auf dem Spiel stehe; man dürfe
nicht die Gunst der Stunde nutzen, um ein perfektes Kon-
troll- und Überwachungssystem aufzubauen. – Diese
Einschätzung sollten wir sehr wohl erwägen – darüber
muss noch diskutiert werden –, wenn es um die Umset-
zung dieser Richtlinie geht.

Was soll denn als Nächstes kommen? Gehen wir dann
etwa an das Berufsgeheimnis von Journalisten heran?
Sollen Journalisten verpflichtet werden, Auskunft zu
geben und gegenüber Strafverfolgungsbehörden Meldung
zu machen, wenn sie etwas Verdächtiges wissen? Warum
sollte dann am Ende nicht das Beichtgeheimnis in

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19015


(C)



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(B)


gleicher Weise eingeschränkt werden? Das kann doch al-
les nicht richtig sein!


(Beifall bei der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr habt das Bankgeheimnis immer höher gehalten als das Beichtgeheimnis!)


Ich komme damit zum Ausgangspunkt zurück: Ent-
scheidend für die innere Sicherheit ist und bleibt die
Frage, ob die Politik willens und fähig ist, die Sicher-
heitsbehörden bestmöglich auszustatten. Ich nenne zum
Beispiel das Finanzvolumen für die Sachausstattung der
Bereitschaftspolizeien der Länder, wofür der Bund auf-
grund vertraglicher Vereinbarungen zuständig ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419503400
Herr Kol-
lege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Ströbele?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1419503500
Bitte sehr.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419503600
Bitte,
Herr Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unterschied zwischen Journalisten und Banken gibt? Das
Bundesverfassungsgericht hat den Journalisten, aber auch
der Presse und den Medien insgesamt eine ganz beson-
dere Bedeutung in unserem Gesellschafts- und Rechtssys-
tem zugewiesen; manche reden von der vierten Gewalt.
Stimmen Sie mir zu, dass dies für die Banken nicht zu-
trifft?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1419503700
Herr Kollege Ströbele, gerade
die FDP hat darauf gedrängt – das entsprechende Gesetz
befindet sich zurzeit im Vermittlungsverfahren –, dass das
Berufsgeheimnis von Journalisten wesentlich besser ge-
schützt wird als in der Vergangenheit.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es gemacht!)


Aber der entscheidende Punkt, über den wir hier diskutie-
ren, ist doch, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis
zwischen Anwälten und Mandanten, zwischen Steuer-
beratern und Mandanten sowie zwischen Journalisten und
Informanten besteht. Dieses Vertrauensverhältnis ist
schon für sich alleine ein Wert. Das wurde im Gesetz zum
Ausdruck gebracht, indem diese Berufsgruppen nach der
Strafprozessordnung ein besonderes Aussageverweige-
rungsrecht haben.

Wenn man in dieses Recht eingreift, dann geht es nur
vordergründig um die bessere Bekämpfung von Geldwä-
sche. In Wahrheit geht es darum, Hand an dieses alther-
gebrachte Prinzip eines schützenswerten Vertrauensver-
hältnisses zu legen, aufgrund dessen Dinge besprochen
werden, die einen Dritten nichts, aber auch gar nichts an-
gehen und die vor allem den Staat nichts angehen. Diese
Einschränkungen kann die FDP nicht akzeptieren. Dabei
geht es nicht allein um die Banken. Hier geht es um die

Grundsätze der freien Berufe, die plötzlich nicht mehr
gelten sollen. Da sage ich Ihnen: Diese Grundsätze gelten
nach wie vor.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419503800
Herr Kol-
lege Stadler, erlauben Sie eine Frage des Kollegen
Wiefelspütz?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1419503900
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419504000
Bitte
schön, Herr Wiefelspütz.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1419504100
Geschätzter Herr Kollege
Stadler, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das
Beichtgeheimnis in einen Zusammenhang mit dem Bank-
geheimnis bringen?


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das Beichtgeheimnis der FDP ist das Bankgeheimnis!)


Können Sie uns einmal die Maßstäbe erläutern, die Sie bei
diesem Vergleich im Kopf haben?

Ich möchte noch eine zweite Frage anschließen: Hat
die rot-grüne Koalition in ihrem entschiedenen Kampf,
Geldwäsche zu verhindern und kriminelle Geldkreisläufe
zu unterbinden, die Unterstützung der FDP?


(Ludwig Stiegler [SPD]: Nein!)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1419504200
Herr Kollege Wiefelspütz,
wenn Sie meine Rede von Anfang an aufmerksam ver-
folgt haben, was ich unterstelle, dann werden Sie bemerkt
haben, dass ich einen zentralen Punkt bei der Geld-
wäschebekämpfung bereits genannt habe. Dazu brauchen
Sie natürlich Personal in ausreichender Stärke. Es gibt
3 000 Banken und 1 700 Finanzdienstleistungsunter-
nehmen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten 16 Jahre lang Zeit!)


Mit 16 Bediensteten beim Bundesaufsichtsamt für das
Kreditwesen können Sie unmöglich eine effektive Auf-
sicht über diese Institute führen. Da muss zunächst einmal
angesetzt werden. Das ist etwas, was sehr schnell mach-
bar ist.


(Beifall bei der FDP – Walter Hirche [FDP]: Wäre! Wenn der Wille da wäre!)


Zum Zweiten. Herr Kollege Wiefelspütz, Sie sind klug
genug, um zu wissen, dass es in der Juristerei ein so ge-
nanntes Argumentum ad absurdum gibt. Diese Argumen-
tationsfigur habe ich jetzt verwendet; denn selbstver-
ständlich will niemand das Beichtgeheimnis antasten. Ich
stelle nur folgende Frage: Wenn es wichtig ist, bestimmte
Formen von Kriminalität zu bekämpfen, und wenn des-
wegen plötzlich einzelne Berufsgruppen, die etwas wis-
sen, verpflichtet werden, der Polizei ihr Wissen mitzutei-
len, mit welchem Argument wollen Sie dann bei der einen
oder anderen Berufsgruppe Halt machen? Ist es dann

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Max Stadler

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(B)


nicht das Interesse des Staates, dass all diese Berufsgrup-
pen ihr Wissen offenbaren? Wenn Sie mir da zustimmen,
dann werden Sie erkennen, dass das Grundproblem im-
mer das gleiche ist, nämlich: Der Staat muss Kriminalität
wirksam bekämpfen; es gibt aber Bereiche, in die er nicht
eingreifen darf, die er nicht antasten darf. Wir wollen eine
wirksame Bekämpfung der Kriminalität, aber nicht den
gläsernen Bürger. Deswegen wollen wir die Berufs-
geheimnisse von Anwälten, Steuerberatern und Journalis-
ten erhalten und sogar noch besser schützen.


(Beifall bei der FDP)

Das Finanzvolumen für die Sachausstattung der Be-

reitschaftspolizei ist in den letzten beiden Jahren von
50 Millionen DM auf 10 Millionen DM gekürzt worden.
Wenn man es nun wieder um 6 Millionen DM erhöhen
will, dann ist dies keine ausreichende Maßnahme; denn
allein für die Ersatzbeschaffung von Material müsste der
alte Sockel von 50 Millionen DM wieder erreicht werden.
Außerdem müsste er für die nächsten Jahre zuverlässig
festgeschrieben werden, um den Investitionsstau von
170 Millionen DM bei der Bereitschaftspolizei zu über-
winden. 50 000 Stellen für Polizeibeamte müssten in
Deutschland neu geschaffen werden.

Wie sieht das Konzept der Bundesregierung für die
Personalgewinnung aus? Wie wird der Zeitraum über-
brückt, bis neue Polizeibeamte ausgebildet sind? Ist die
Koalition bereit, für die Gewinnung von hervorragend
qualifizierten Beamten attraktive Rahmenbedingungen zu
schaffen? Oder bleibt die Koalition dabei, etwa mit Ein-
griffen in die Altersversorgung,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Pensionskürzung! Sehr wahr!)


die von den Betroffenen als doppelte Benachteiligung
empfunden werden, eine psychologisch verheerende Wir-
kung zu erzielen? Wann wird das neue polizeiliche In-
formationssystem INPOL, das am 1. April 2001 be-
triebsbereit sein sollte, endlich eingeführt? Kann man
wirklich bis zum Jahr 2006 warten, bis die technische
Ausstattung mit Digitalfunkgeräten bei der Polizei
flächendeckend eingeführt ist?

In diesen Punkten ist nach Auffassung der FDP-Frak-
tion allergrößter und sofortiger Handlungsbedarf gege-
ben.


(Beifall bei der FDP – Walter Hirche [FDP]: Taten und nicht nur Worte!)


Zum Antrag der Union eine letzte Anmerkung. Zur
dringend notwendigen Strukturreform der Bundeswehr
hat die FDP eine andere Auffassung als der Bundesvertei-
digungsminister, aber auch als die CDU/CSU. Wir
benötigen eine hoch motivierte, gut ausgebildete und mo-
dern ausgerüstete Bundeswehr. Sie muss kleiner werden,
wie dies von der Weizsäcker-Kommission vorgeschlagen
wurde. Sie muss deutlich mehr Geld bekommen und die
Wehrpflicht muss schnellstens ausgesetzt werden. Nur so
wird die Bundeswehr ihre Aufgaben einschließlich der
Bekämpfung des internationalen Terrorismus erfüllen
können.

Ich sage Ihnen für die FDP eines klipp und klar: Genau
so, wie Geheimdienste und Polizei ihre jeweils eigenen

Aufgaben haben, die sie getrennt erledigen müssen, bleibt
es dabei, dass Bundeswehr und Polizei unterschiedliche,
eigene Aufgaben haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Idee, die Bundeswehr über das jetzt zulässige Maß
hinaus einzusetzen, ist und bleibt daher ein Irrweg.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP] und des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD])


Vernünftige rechtsstaatliche Maßnahmen zur Verbesse-
rung der inneren Sicherheit werden dagegen die Zustim-
mung der FDP finden.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419504300
Das Wort
hat jetzt der Senator für Justiz des Landes Berlin,
Wolfgang Wieland.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419504400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Durch die terroristischen An-
griffe stehen wir vor einer neuen Herausforderung. Das ist
keine Frage. Auch wir als Grüne stellen uns dieser
Herausforderung. Dass Teppichmesser als Bewaffnung
ausreichen, um aus Passagierjets Angriffswaffen zu ma-
chen, die tausendfachen Tod bringen, hat sich doch vorher
außer den Tätern niemand im Ernst vorzustellen ver-
mocht. Genauso wenig war es noch vor zehn Tagen vor-
stellbar, dass weltweit Briefe nur noch befangen und un-
ter Angst geöffnet werden können – bis dato eine
Horrorvision, heute traurige Realität bei uns.

Diese neue Qualität der Bedrohung durch die Noma-
den des Terrors – so hat man sie genannt und das sind sie
wohl auch – erfordert neue Antworten. Wir Grüne stellen
uns dieser Herausforderung. Wir haben das Sicherheits-
paket I hier im Bundestag mitgetragen. Wir haben vor al-
lem auch auf Landesebene, so auch hier in Berlin, mit ei-
nem Sofortprogramm zur inneren Sicherheit reagiert.
Aber alle Vorschläge, die – auch von Ihnen – gemacht
werden, müssen auf den Prüfstand, ob sie geeignet sind,
ob sie erforderlich sind und ob sie im Sinne des Rechts-
staates und der Bürgerrechte verhältnismäßig sind. Das
setzen wir als Maßstab bei uns und auch bei Ihnen an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es fällt in der Tat auf, dass Sie als Antworten auf neue
Herausforderungen weitestgehend alte Konzepte aus den
Schubladen und aus der Mottenkiste geholt haben, die Sie
schon immer gerne realisiert haben wollten, die Sie bei-
spielsweise vor der Sommerpause


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Wen meinen Sie? Den Innenminister oder uns?)


– ich meine Sie, die CDU-Fraktion – in Ihren Leitlinien
zur inneren Sicherheit vorgelegt haben.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Nennen Sie doch mal ein paar! Erstens! Zweitens! Drittens!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Max Stadler

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– Ich folge Ihnen gerne und werde konkret.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist gut!)


Erstens. Verdeckte Ermittler sollen Straftaten, nicht
einmal mehr beschränkt auf den Bereich der mittleren
Kriminalität, begehen dürfen.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Lesen Sie Ihr Sicherheitspaket 21! – Wir meinen nach
wie vor: Der Polizist und der Verbrecher müssen unter-
scheidbar bleiben. Diesen Irrweg gehen wir nicht mit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


– Ich habe sehr genau gelesen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann haben Sie es nicht verstanden!)


Zweitens. Wie schon in den Leitlinien zur inneren Si-
cherheit schlagen Sie, Herr Geis, wiederum vor, die Gren-
zen der akustischen Wohnraumüberwachung – vulgo:
großer Lauschangriff – zu überschreiten, ohne zu sagen,
welche Grenzen Sie eigentlich meinen. Ich habe hier sei-
nerzeit schon gesagt: Ich kann mir nur vorstellen, dass Sie
dann auch in die Anwaltskanzleien und in die Redak-
tionsbüros wollen. Denn diese sind seinerzeit als Einzige
ausgenommen worden. Sie fügen nun hinzu – Herr
Stadler hat darauf hingewiesen –, Sie wollen auch noch
die Videoüberwachung. Das Richtmikrofon und die
Wanze reichen nicht. Nun soll auch noch die Videokamera
kommen. Da sagen wir ganz deutlich: Hier lässt Orwell
grüßen. Nicht mit uns! Auch diesen Weg können wir nicht
mitgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Quatsch! Unsinn! Unfug!)


Drittens – beinahe selbstverständlich –: Die alte Kron-
zeugenregelung, 1999 ausgelaufen, soll wieder in Kraft
gesetzt werden. Auch dies ist einer Ihrer konkreten Vor-
schläge.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Jetzt sagen Sie mal genau, was Sie wollen!)


– Wir werden etwas Besseres bekommen. Im Moment
wird über die Strafmilderung für den Aufklärungsgehilfen
– so wird er dann heißen – verhandelt. Dann haben wir
nicht mehr die Straffreiheit auch des Schwerverbrechers,
nur weil er andere belastet. Dann sind wir einen deutli-
chen Schritt weiter und eindeutig auf rechtsstaatlicher
Ebene.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Bernd Reuter [SPD])


Ich verstehe Ihre Schwierigkeit, den Bundesinnen-
minister sozusagen rechts zu überholen. Das verstehe ich
durchaus; er lässt da wenig Raum.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das geht gar nicht mehr!)


– Ja, da kann man auf unausgegorene Ideen kommen. –
Aber die Bundeswehr nun ergänzend im Innern einzuset-
zen, wie Sie es wollen, ist tatsächlich ein alter Traum aus
Zeiten der Notstandsdebatte. Selbst die Deutsche Polizei-
gewerkschaft hat gerade vor zwei Tagen darauf hin-
gewiesen, dass seinerzeit abgewehrt wurde, dass die Poli-
zei einen Kombattantenstatus erhält.

Interessant ist die Pauschalität, in der Sie Ihre Forde-
rungen formulieren. Wir erinnern uns noch an Herrn
Schäuble, der die Bundeswehr Anfang der 90er-Jahre ge-
gen angebliche Asylantenfluten einsetzen wollte. Wir
haben Frau Merkel täglich im Ohr – und dies, obwohl sie
von ihrem Präsidium etwas gedämpft wurde –, die sagt:
Wir brauchen die Bundeswehr ohne Beschränkungen. –
Wenn Sie den Einsatz der Bundeswehr so pauschal for-
dern, dann kann man über durchaus sinnvolle Dinge, zum
Beispiel über das Heranziehen der Bundeswehr zur Luft-
raumüberwachung oder über die Amtshilfe bei Milzbrand-
untersuchungen und anderem, nicht mehr sprechen. Sie
wollen nicht sehen, dass ein grundsätzlicher Unterschied
darin besteht, dass der Soldat seinen Feind vernichtet
– dazu ist er ausgebildet; das ist sein Berufsbild – und dass
der Polizist den Straftäter festnimmt. Letzterer soll das
Töten nach Möglichkeit vermeiden. Diese beiden Berufe
sind also zweierlei bzw. aus gutem Grund getrennt. Die
Verfassung ist hier eindeutig und so soll es auch bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir können doch die zum Teil nach Vorgabe der Alli-
ierten bei uns gewachsene Verfassungstradition – das be-
trifft auch die Trennung von Polizei und Geheimdiens-
ten – nicht über Bord werfen und so tun, als hätte dies
alles keinen Sinn. Es wurde niemals ein Bundessicher-
heitshauptamt eingerichtet – und das aus gutem Grund.
Denn man wollte hier die Balance halten und das Prinzip
des Föderalismus, also die Polizei als Länderangelegen-
heit, durchsetzen. Dies hat sich bewährt; daran sollte man
nicht rütteln.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419504500
Herr
Senator Wieland, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bonitz?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419504600
Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419504700
Bitte
schön, Frau Bonitz.


Sylvia Bonitz (CDU):
Rede ID: ID1419504800
Herr Senator, sind Sie be-
reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Polizei und BGS, die
seit dem 11. September 2001 sieben Tage die Woche un-
unterbrochen in Zwölfstundenschichten arbeiten, inzwi-
schen an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen
sind, dass es besondere Gefährdungslagen geben kann, in
denen die Bundeswehr aufgrund ihrer spezifischen
Kenntnisse und Fertigkeiten


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf die hat er doch gerade hingewiesen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Senator Wolfgang Wieland (Berlin)


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in Ergänzung zur Polizei durchaus herangezogen werden
sollte, und dass daher die gesetzlichen Grundlagen in
Art. 35 und 87 a des Grundgesetzes möglicherweise einer
Überprüfung bzw. Änderung bedürfen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419504900
Wir in Berlin
wissen sehr wohl, was die Polizei leistet. Denn es ist weit-
gehend die Polizei des Landes Berlin, die diese Siche-
rungsaufgaben übernehmen muss. Sie vermag dies; sie
schafft dies; sie hat diese Leistungsfähigkeit.

Die Verfassung besagt eindeutig: Wir brauchen einen
Verteidigungsfall – den haben wir nicht –, oder wir brau-
chen einen inneren Notstand – davon sind wir glück-
licherweise Meilen entfernt –, damit ein Bundeswehr-
einsatz möglich ist. – Wir werden nicht in diese Situation
kommen. Das ist völlig eindeutig; auch Rudolf Scharping
hat das deutlich betont. Daran sollte man nicht rütteln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Terroristen bekämpft man am effektivsten durch gute
kriminalpolizeiliche Arbeit. Ich bin so altmodisch, zu sa-
gen: Effektiver als jede Rasterfahndung ist immer noch
das Notizbuch des Kriminalhauptkommissars.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Die Täter, die in Hamburg lebten, und auch die, die im Zu-
sammenhang mit dem geplanten Attentat in Straßburg
festgenommen worden sind, haben Spuren hinterlassen.
Hier ist Aufklärung möglich und zum Teil auch schon er-
folgt. Man sollte sich nicht kleiner machen, als man ist.

Vor allen Dingen sollte man eines im Kopf haben: Den
Rechtsstaat verteidige ich nur, indem ich ihn bewahre,
und nicht dadurch, dass ich ihn abbaue. – Genau dies wol-
len die Terroristen. Diesen Gefallen dürfen wir ihnen
nicht tun. „Liberty dies by inches“ – „Die Freiheit stirbt
zentimeterweise“ –, so sagt man im Englischen. Ich füge
hinzu: Sie stirbt sogar meterweise.

Lassen wir es nicht dazu kommen! Lassen Sie uns ei-
nen kühlen Kopf bewahren und die Maßnahmen treffen,
die rechtsstaatlich verträglich sind, die Maßnahmen, die
dazu führen, dass wir uns gemeinsam der aktuellen
Bedrohung erwehren! Dann haben wir die große Leistung
vollbracht, dass ein Rechtsstaat sich einwandfrei und sau-
ber wehrt und zeigt, dass er die überlegene Form des Zu-
sammenlebens ist.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419505000
Als
nächste Rednerin hat Kollegin Petra Pau von der PDS-
Fraktion das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419505100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen!

Wir werden die Qualität und die Effizienz im Kampf
gegen den Terrorismus verbessern. Aber wir werden

unter keinen Umständen den Rechtsstaat einschrän-
ken.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Dieses Zitat stammt vom Bundeskanzler. Sie kennen es.
Wir nehmen es ernst und wir haben es in dieser einen Wo-
che auch nicht vergessen.


(Beifall bei der PDS)


Das heißt, die PDS stellt bei jedem neuen Vorschlag drei
Fragen: Erstens. Bringt er mehr Sicherheit oder gibt er das
nur vor? Zweitens. Stärkt dieser Vorschlag den Rechts-
staat oder unterläuft er seine Regeln? Wie bei jeder Me-
dizin prüfen wir drittens: Was überwiegt, die Heilwirkung
oder die Nebenwirkungen? Diese Prüftriade kennen Sie
auch schon. Ich habe Ihnen vor einer Woche versprochen,
dass wir diese Elle an alle Dinge, die auf den Tisch des
Hauses kommen, anlegen.

Nun liegen Anträge vor und weitere sind bereits an-
gekündigt. Dem Antiterrorpaket aus dem Hause Schily
soll ein zweites folgen. CDU/CSU mühen sich verzwei-
felt, dagegen nicht blass auszusehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)


Ich kenne viele Bürgerinnen und Bürger, die dazu sagen:
Wir sehen nicht mehr durch; aber die Hauptsache ist, es
wird überhaupt etwas getan.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Da kennen Sie aber komische Menschen!)


Ich kann das sehr wohl nachvollziehen, denn es gibt be-
rechtigte Ängste. Aber es gibt auch Angstmacherei und es
gibt Scharlatane, die aus allem privaten oder auch poli-
tischen Profit ziehen wollen.


(Beifall bei der PDS)


Ich kenne jedoch auch andere, Bürgerrechtler, Rechts-
anwälte, kritische Polizistinnen und Polizisten, Journa-
listen, seltener allerdings Politikerinnen und Politiker, die
warnen. So war in diesen Tagen in einer Berliner Zeitung
zu lesen:

Konzentrierte sich das erste Sicherheitspaket, das
vergangene Woche im Bundestag debattiert wurde,
auf die direkte Bekämpfung des Terrorismus, so legt
das Ministerium nun ein Sammelsurium von 30 Ge-
setzesänderungen vor, die allzu oft mit Prinzipien
des Rechtsstaates brechen.

Die PDS-Fraktion teilt diese veröffentlichte Einschät-
zung. Ich werde Ihnen im Detail aufzeigen, warum.

Vorher bewegt mich aber noch eine grundsätzliche
Frage. Der Bundeskanzler sagt: Mehr Sicherheit ja, aber
keine Einschränkung des Rechtsstaates. Der Bundes-
innenminister scheint derweil nach dem Motto zu han-
deln: Mein ist die Sicherheit. Mal sehen, was vom Rechts-
staat am Ende noch übrig bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Sylvia Bonitz

19019


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(D)



(A)



(B)


Ich frage mich schon: Wer hat nun im Bundeskabinett die
Richtlinienkompetenz, der Kanzler oder der Innenmi-
nister?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen vor
einer Woche dargelegt, bei welchen Vorhaben Sie grund-
sätzlich mit unserer Unterstützung und Zustimmung rech-
nen können. Im Konkreten können wir hier über die sinn-
vollste Lösung miteinander streiten.

Ich denke, wir brauchen erstens eine Polizeireform, wir
brauchen zweitens einen effektiven Katastrophenschutz,
wir brauchen drittens internationale Kooperation und wir
brauchen viertens mehr Prävention. Denn wir wollen
fünftens mehr öffentliche Sicherheit in einer offenen,
rechtsstaatlichen Gesellschaft.

Zu alledem hat die PDS in dieser Woche Vorschläge
unterbreitet. Wir werden auch weiterhin nicht zulassen,
dass das Thema öffentliche Sicherheit zu einem Wettren-
nen von konservativen und rechten Parteien verkommt.
Ich finde, dort ist dieses Thema deutlich fehlbesetzt.


(Beifall bei der PDS)


Öffentliche Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sind
linke Themen und gehören im Übrigen zusammen.

Obendrein sind es wichtige Themen und so grundsätz-
lich, dass sich jeder Populismus verbieten sollte, egal, mit
wie viel Schill der Vorschlag daherkommt.

Nun zu den konkreten Vorschlägen: Das erste Beispiel
ist die Kronzeugenregelung. Sie besagt: Wer Straftaten
begeht und anschließend jemanden nennt, der ebenfalls ein
Straftäter sein könnte, bekommt Strafmilderung. Nun strei-
ten sich SPD und Grüne, wie viel Strafmilderung verträg-
lich sein könnte, um dem Rechtsstaat nicht Unrecht zu tun.
Ich sage Ihnen: Wir lehnen die Kronzeugenregelung ab.


(Beifall bei der PDS)


Zugleich ist dieser Streit noch die harmlose Variante ei-
nes mittelalterlichen, aber aktuellen Ablasshandels. Im
CDU/CSU-Antrag „Sicherheit 21“ wollen Sie, dass sich
verdeckte Ermittler nicht strafbar machen, wenn sie – ich
zitiere – „zur Sicherung ihrer Einsätze ... gegen die
Rechtsordnung verstoßen müssen.“ So etwas sehe ich mir
gelegentlich amüsiert in einem James-Bond-Film an.
Aber mit dem Rechtsstaat hat dieser Vorschlag überhaupt
nichts zu tun.


(Beifall bei der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Sie sind genauso wie alle anderen Fraktionen in diesem
Haus aufgefordert, noch mehr Aufmerksamkeit und Ge-
dankenarbeit darauf zu verwenden, wie wir diejenigen,
welche für die Terrorismusbekämpfung und für die öf-
fentliche Sicherheit zuständig sind, endlich so ausstatten,
dass sie ihre Arbeit machen können, und wie wir dafür
sorgen können, dass nicht nur ihre Überstunden abgebaut,
sondern dass sie gerecht bezahlt werden. Das beziehe ich
nicht nur auf die noch bestehenden Unterschiede zwi-
schen Ost und West, sondern durchaus auch auf Ihr Ver-
sorgungsreformpaket. Das gehört endgültig in den Pa-
pierkorb.


(Beifall bei der PDS)


Ein zweites Beispiel, das in der Debatte ist: Der Bun-
desinnenminister will, dass Personalausweise künftig
nicht nur ein Lichtbild, sondern auch Fingerabdrücke und
weitere biometrische Daten beinhalten. Das Ganze soll
möglichst fälschungssicher und verschlüsselt sein. Kon-
sequent zu Ende gedacht, hieße das, ich würde einen Aus-
weis mit mir herumtragen müssen, der sehr viele er-
kennungsdienstliche Merkmale über mich beinhaltet, die
mir selbst aber verborgen bleiben. Wenn ich im Sinne der
Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung weiterdenke,
wäre dies nur sinnvoll, wenn es eine entsprechende zen-
trale Vergleichsdatei gäbe. Über einen Datenaustausch
wäre dann zu ermitteln, ob ich verdächtig bin oder nicht.
Auch das hat mit rechtsstaatlichen Prinzipien wenig zu
tun; denn dort gilt immer noch die Unschuldsvermutung.
Es darf nicht sein, dass der Unschuldige alles zu hinter-
legen hat, was ihn unschuldig erscheinen lässt. Mit dem
grundlegenden Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung hat das Ganze nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Damit komme ich zu einem letzten Beispiel: Die PDS-
Fraktion hat die Bundesregierung gefragt, ob es ange-
bracht ist, über einen schnelleren Ausstieg aus der
Kernenergie nachzudenken. Sie erinnern sich: Ganze
anderthalb Tage war das in der öffentlichen Debatte ein
Thema. Die kurze, knappe Antwort der Bundesregierung
ist: Nein. Das mögen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Bündnis 90/Die Grünen, verstehen; ich verstehe es
nicht.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419505200
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ursula Mogg von der
SPD-Fraktion das Wort.


Ursula Mogg (SPD):
Rede ID: ID1419505300
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wir, die wir in diesen Tagen nach dem
11. September 2001 besondere Verantwortung zu tragen
haben, sind in dem Glauben aufgewachsen, die Welt sei
deshalb gefährlich, weil sich zwei mächtige Militärblöcke
gegenüberständen. Abstrakt war uns klar, dass die Gefah-
ren nach dem Ende des Kalten Krieges nicht geringer,
sondern eher größer geworden waren.

Organisierte Kriminalität, Menschen-, Waffen- und
Rauschgifthandel, Angriffe auf unsere natürlichen Le-
bensgrundlagen, ethnisch und religiös motivierte Kon-
flikte, Menschenrechtsverletzungen, Armut und Unter-
drückung waren in Krisenszenarien bedacht. Konkret
fehlte uns jedoch die Fantasie, uns eine solche Art des
Angriffs auf die innere und äußere Sicherheit vorzu-
stellen, wie es die Angriffe auf Ziele in New York und
Washington darstellen. Diese Fantasie ist jetzt unendlich
und macht den Menschen Angst.

Diese Situation erfordert Antworten. Bundesregierung
und Parlament stehen in der Verantwortung, sich der He-
rausforderung zu stellen, das Leben der Bürgerinnen und
Bürger zu schützen und die staatliche Ordnung zu ge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Petra Pau

19020


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(D)



(A)



(B)


währleisten. Für meine Fraktion darf ich feststellen, dass
die Bundesregierung dieser Aufgabe bisher in vorbild-
licher Weise nachgekommen ist. Sie hat dies im Sinne
eines umfassenden und integrierten Sicherheitsge-
dankens getan. Der Bundeskanzler hat dies mit klaren
und unmissverständlichen Worten unterstrichen. Dafür
ein Kompliment von unserer Seite.

Ohne Zweifel: Zum Schutz der Bevölkerung – nicht
nur in Europa und in den USA – müssen alle notwendigen
Maßnahmen ergriffen werden. Ich bin der festen Über-
zeugung: Eine aktionistische Politik, die jedes Brainstor-
ming gleich zum Masterplan erklärt, trägt mehr zur Ver-
unsicherung als zur Lösung der Probleme bei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was wir jetzt nicht brauchen, ist eine Hysterie, die
glauben macht, wir hätten keine Zeit, über lebenswichtige
Entscheidungen nachzudenken. Wir müssen ein solches
Nachdenken in allen Politikbereichen leisten. Die Leit-
idee des vorliegenden Antrages ist daher nicht strittig,
auch wenn man sich nicht des Eindrucks erwehren kann,
es seien alte Papiere mit alten Forderungen zusammenge-
schrieben worden. Daraus allein jedoch wird noch kein
Antiterrorprogramm.

Deutlich wird dies unter anderem bei den Fragen der
militärischen Sicherheit. Die Verdoppelung der Antiter-
roreinsatzkräfte oder die Erhöhung des beschlossenen
Personalumfangs der Bundeswehr sind Forderungen, die
mir aus den Reihen der Union seltsam vertraut sind. Sol-
che Forderungen klingen, als stammten sie aus der be-
kannten Debatte um die Bundeswehrreform.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
die Neuausrichtung der Bundeswehr ist nur eine Antwort
auf die neuen Herausforderungen. Es handelt sich um ein
Reformwerk, das lange auf sich hat warten lassen und erst
von dieser Regierung in Angriff genommen wurde. Bun-
deswehr im Umbau und im Einsatz ist einmal mehr die zu-
treffende Beschreibung der besonderen Situation. Die mit
Tatkraft angepackte Reform wird in der Umsetzung durch
die aktuellen Ereignisse zusätzlich an Geschwindigkeit
gewinnen. Die notwendigen finanziellen Mittel werden
nach unserer festen Überzeugung zur Verfügung stehen,
und zwar nicht nur im Haushalt 2002. In Ihrem Antrag ist
unzutreffenderweise festgehalten, für die Folgejahre
werde keine Vorsorge getroffen. Das ist eindeutig falsch.
Schließlich ist auch nicht beabsichtigt, die Finanzierungs-
grundlagen für das Antiterrorpaket kurzfristig wieder
zurückzunehmen.

Falsch ist allerdings auch, jetzt zu glauben, wir bräuch-
ten von allem einfach nur mehr. Notwendig ist es, unter
Berücksichtigung eines sinnvollen Einsatzes der finan-
ziellen Mittel, ein mittel- und langfristiges Konzept zu
entwerfen. Das werden wir leisten. Qualifiziertes und mo-
tiviertes Personal sowie modernes Gerät bei der Bundes-
wehr sind nur ein, wenn auch notwendiger, Teilaspekt,
den wir bei der Bekämpfung des Terrorismus bedenken
müssen.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle den Hinweis: Die
fortgesetzten Spekulationen über das Wie und Wann eines

möglichen Beitrages der Bundeswehr im Kontext des
Bündnisses helfen nicht weiter. Deutschland ist willens
und in der Lage, auch einen militärischen Beitrag zu leis-
ten. Alles Weitere sollten wir ernsthaft diskutieren, sobald
die Rahmenbedingungen bekannt sind. Diese Diskussion
erweckt unzutreffenderweise den Eindruck, Deutschland
setze allein auf militärische Mittel.

Umfassende Sicherheit braucht – wie wir wissen –
mehr. Sie wissen, dass dieses Parlament – vor allem die
Mehrheit in diesem Hause – in anderen Zusammenhängen
immer wieder nachdrücklich auf eine Stärkung der Rolle
der UN gedrängt hat. Internationale Politik muss der Herr-
schaft des Rechts folgen und nicht nur der Macht. Die Re-
gierungskoalition ist sehr stolz darauf, dass es ihrem Ein-
fluss zu verdanken ist, dass das aktuelle Mandant für den
Einsatz der Bundeswehr durch einen Beschluss des Si-
cherheitsrates abgesichert wird.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Die besondere Rolle, die der UN bei den Bemühungen
der Antiterrorkoalition zukommt, kann gar nicht über-
schätzt werden. Wir wünschen der UN und ihrem Gene-
ralsekretär – verbunden mit einem herzlichen Glück-
wunsch zur Verleihung des Friedensnobelpreises – viel
Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Staaten Europas – einschließlich Russlands – ha-
ben offensichtlich nach dem 11. September ein eigenes
Gewicht in die Debatte eingebracht. Bundeskanzler
Schröder hat heute Morgen auf die eindeutig europä-
ischen Akzente des wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen
und ökologischen Ausgleichs hingewiesen und die Ent-
schlossenheit unterstrichen, im Kampf gegen den Terro-
rismus die Werte von Freiheit, Solidarität und Gerechtig-
keit um keinen Millimeter preiszugeben. Dem ist nichts
hinzuzufügen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419505400
Frau Kolle-
gin, ich darf Sie auf die angemeldete Redezeit hinweisen.


Ursula Mogg (SPD):
Rede ID: ID1419505500
Wir stellen zurzeit in vielen Ge-
sprächen fest, dass hohe Erwartungen an die Politik for-
muliert werden, entsprechend den Bedenken vieler Men-
schen in diesem Land. Lassen Sie uns gemeinsam daran
arbeiten, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Glaub-
würdigkeit und Nachhaltigkeit sind auch Teil des Antiter-
rorpaketes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419505600
Ich erteile
nunmehr das Wort dem Innenminister des Landes Bran-
denburg, Jörg Schönbohm.

Jörg Schönbohm, Minister (Brandenburg) (von
Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Ursula Mogg

19021


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Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
schrecklichen Ereignisse des 11. September haben uns
wachgerüttelt. Deshalb diskutieren wir heute über die
Konsequenzen und unsere gemeinsame Verantwortung.
Wenn nicht alles täuscht, stehen wir am Anfang einer lan-
gen Wegstrecke der Auseinandersetzung mit einem nicht
klar fassbaren und definierbaren Gegner. Diese Auseinan-
dersetzung ist durch das Hinterfragen vieler Dinge ge-
kennzeichnet, die uns bisher sicher zu sein schienen. Bis-
herige Positionen müssen überprüft und weiterentwickelt
werden. Mit ihrem heute eingebrachten Antrag hat die
CDU/CSU-Fraktion ein umfassendes Konzept dazu vor-
gelegt. Dies ist angesichts der neuen Realität keine Hys-
terie, wie eben gesagt worden ist, sondern Augenmaß.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir bekennen uns zu Freiheit und Sicherheit durch den

aktiven Staat. Gehen Sie bitte offen und ohne Scheuklap-
pen an unsere Vorschläge heran. Es geht doch um die Si-
cherheit und das Vertrauen unserer Bürger in den Rechts-
staat. Dafür sollte man einstehen und nicht für Ideologien.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bitte, offen zu sein, richte ich in besonderem Maße

an diejenigen, die bisher politischen Schimären nachge-
jagt sind. Wir erinnern uns noch daran, dass in der Ver-
gangenheit gesagt worden ist, innere Sicherheit sei ein
reaktionärer Reflex des Obrigkeitsstaates. Es hieß, die
Bundeswehr sei überflüssig oder müsse drastisch redu-
ziert werden, oder auch, die Nachrichtendienste suchten
sich nach dem Ende des Kalten Krieges mit der Bekämp-
fung des Terrorismus nur ein neues Betätigungsfeld. An
dies alles erinnere ich mich. Sie haben sich geirrt. Neh-
men Sie bitte Abschied von Ihren alten Positionen. Dann
haben wir eine neue Basis, auf der wir diskutieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Grünen könnten von Otto Schily lernen, was aus ei-
nem wandlungsfähigen Grünen alles werden kann.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Glück der Einheit und die Freude, nur von Freun-
den umgeben zu sein, haben die Hoffnung genährt, auf
dem Wege in eine friedliche, bedrohungsfreie Zukunft zu
sein. Diese Hoffnung ist brutal zerschlagen worden. Die
gescholtenen Warner haben leider Recht behalten. Wir
müssen die neuen Herausforderungen annehmen, frei von
Ideologie, an der Realität orientiert und auf der Grundlage
unserer Verfassung. Dort, wo die Verfassung nicht mehr
der Realität entspricht, muss man prüfen, ob man die Ver-
fassung weiterentwickeln muss. Das gilt auch für die
Frage, ob die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden
soll. Herr Wieland, Sie haben gesagt, wir holten beim
Thema „Bundeswehr“ wieder alte Klamotten hervor und
freuten uns noch darüber. Ich sage Ihnen: Die Innenminis-
ter haben große Sorgen, ob sie über die notwendigen
Kräfte verfügen, den Objektschutz sicherzustellen. Das
ist die Frage, um die es geht. Es geht nicht um die Frage,
ob wir uns darüber freuen können. Mit den Sorgen der In-
nenminister müssen wir uns befassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Entscheidung, die wir treffen müssen, lautet: Sol-
len wir etwas schützen oder nicht? Wenn wir ein Objekt
nicht schützen und es passiert etwas, wird uns die Bevöl-
kerung fragen: Warum habt ihr uns nicht geschützt? Dann
müssen wir antworten: Weil wir uns geweigert haben, die
Diskussion über die innere Sicherheit zu führen. Deshalb
machen wir einen Fehler, wenn wir diese Diskussion nicht
führen. Wenn wir neue Regelungen im Bereich der inne-
ren Sicherheit beschließen, dann müssen wir darauf ach-
ten, dass es keinen Missbrauch gibt, dass das Trennungs-
gebot und die Verantwortung der Länder für die Polizeien
erhalten bleiben, dass es aber möglich ist, die Bundes-
wehr im Innern einzusetzen, wenn es eine besondere Si-
tuation erfordert. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir unterstützen das, was der Herr Bundesinnenminis-
ter vorgelegt hat. Wir wollen nicht das tadeln, was unse-
ren Vorstellungen entspricht. Ich kann mich noch an die
höhnischen Zwischenrufe und die höhnischen Gesichter
erinnern, als wir im Juli hier unsere Vorstellungen darge-
stellt haben. Damals hieß es immer: Alte Mottenkiste! –
Wenn Sie das Rad vollkommen neu erfinden und neue Er-
fahrungen einbringen wollen, dann tun Sie das. Unsere
Vorschläge entsprechen jedenfalls dem, was nach allen
Erkenntnissen die beste Möglichkeit ist, mit den Erfah-
rungen umzugehen. Sie scheuen sich, unsere Vorschläge
zu übernehmen, weil Sie dann zugeben müssten, dass Sie
sich geirrt haben. Geben Sie Ihren Irrtum zu und fangen
Sie neu an!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die CDU und die CSU waren und sind – ich weiß, dass
Sie das nicht gerne hören – die Parteien der inneren Si-
cherheit; denn innere Sicherheit lebt von Konsequenz und
Kontinuität und nicht von kurzfristig eingebrachten Vor-
schlägen. Das wird auch jetzt wieder deutlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können jetzt gemeinsam Fehlentwicklungen korri-
gieren; denn die neuen Herausforderungen richten sich
nicht an einzelne Parteien, sondern sie richten sich an die
Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Wir in Deutsch-
land müssen die Herausforderungen annehmen. Die PDS
ist dazu nicht fähig – Frau Pau hat es ausgeführt –,


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Aber Sie auch nicht!)


die Grünen schwanken zwischen Machterhalt und ihren
Grundsätzen und die SPD steht zwischen Otto Schily und
Hermann Scheer. Wir stehen geschlossen zu diesen Auf-
gaben der inneren Sicherheit und darum haben wir den
Antrag mit diesem Paket vorgelegt.

Mein Appell ist auch deswegen so eindringlich, weil
die Ersten das Boot der Solidarität, die unter dem Ein-
druck der Anschläge in den USA entstanden ist, schon
wieder verlassen. Kaum sind die Bilder von den Schutt-
haufen und dem Schrecken der Menschen in New York
verblasst, wird der Finger in den Wind gestreckt und wie-
der die ewiggestrige Stimmung der grünen Basis aufge-
nommen. Aber wir sind keine Stimmungsdemokratie. Da-
rum hat der Bundeskanzler zur Disziplinierung der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Minister Jörg Schönbohm (Brandenburg)


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Koalition auf die Richtlinienkompetenz verweisen müs-
sen. So weit sind wir. Um diese Fragen geht es.

Meine Damen und Herren, bekennen Sie sich in der
Diskussion um die Fragen der inneren Sicherheit doch
endlich dazu, dass wir eine starke und wehrhafte Demo-
kratie sind, diese auch wollen, dass wir unseren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Polizei, bei den
Nachrichtendiensten und in der Justiz vertrauen und nicht
vor ihrer Arbeit Angst haben und dass wir ihnen Dank
schulden! Das ist, meine ich, die Aufgabe, um die es geht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben Sorgen, dass diese Mitarbeiter nicht in die
Lage versetzt werden, die neuen Aufgaben zu erfüllen,
und darum geht es doch. Gesetze müssen geändert wer-
den. Die personelle und individuelle Ausstattung muss an
die neuen Aufgaben angepasst werden. Die Länder er-
warten, dass die Bundesregierung nach den bisherigen öf-
fentlichen Diskussionen nunmehr zur Tat schreitet. Die
Länder werden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ohne
Steuermehreinnahmen neue Prioritäten für die innere Si-
cherheit setzen müssen. Durch Prioritätensetzung werden
wir alles uns Mögliche tun, was auch unserer Verantwor-
tung entspricht.


(Zuruf von der SPD)

– Wenn es Sie interessiert: Wir können die Hundesteuer
erhöhen. Das betrifft die Kommunen.


(Zuruf von der SPD: Gilt das auch für Kampfhunde?)


Der Bund muss jetzt durch Prioritätensetzung den
Haushalt so zuschneiden, dass sich die neue Gewichtung
zugunsten der inneren Sicherheit auch darin widerspie-
gelt. Den an Entschlossenheit kaum zu überbietenden An-
kündigungen zu den Maßnahmepaketen zur inneren Si-
cherheit müssen nun auch die Mittel folgen. Kollege
Bosbach hat dazu Ausführungen gemacht. Auch Kollege
Beckstein wird dazu etwas sagen. Ich unterstütze beides;
ich muss mich kurz fassen.

Es gibt viele Bereiche, in denen der Bund die Länder
unterstützen muss – das ist unzweideutig –: Zivilverteidi-
gung, Katastrophenschutz, Bereitschaftspolizei, Schutz
vor biologischen oder chemischen Angriffen. Innenmi-
nister Schily übergibt heute je sechs Spürfahrzeuge an
die Länder Berlin und Brandenburg. Ich hoffe, dass diese
Übergabe nicht mit dem Termin des 21. Oktober zusam-
menhängt


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Völlig ausgeschlossen!)


und dass alle anderen Länder die Spürfahrzeuge auch er-
halten; denn Bedrohung richtet sich nicht nach Wahl-
kampfterminen, sondern Bedrohung richtet sich nach an-
deren Gesichtspunkten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


– Damit das klar ist: Wir freuen uns darüber, dass wir sie
bekommen.


(Zuruf von der SPD: Aha!)


– Natürlich! Das sage ich doch. Es geht nur um den Über-
gabetermin; Sie sind doch auch von dieser Welt.


(Zuruf von der SPD: Quatsch!)


– Nicht Quatsch; Freude.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschenke kann man auch ablehnen!)


Wir müssen den Aufbau des digitalen Funknetzes vor-
ziehen. Ich denke, dass der Bund beim Aufbau des Grund-
netzes eine Führungsaufgabe übernehmen sollte. Wir
Länder müssen – das ist völlig klar – unseren Beitrag leis-
ten. Der Aufbau des Grundnetzes ist von großer Bedeu-
tung.

Meine Damen und Herren, wir sollten die Ereignisse
des 11. September gemeinsam als Herausforderung be-
greifen, aber auch als Anlass zur Besinnung auf das, was
wesentlich ist. Im Rahmen dieser Besinnung sollte man
vielleicht auch einmal die Scheuklappen ablegen und se-
hen, was, an der Sache orientiert, notwendig ist.

Wir müssen uns mit den Werten, dem Fundament un-
seres Handelns, und unserer Verantwortung für den Bür-
ger beschäftigen sowie mit dem Spannungsverhältnis
zwischen Freiheit und rechtsstaatlichem Handeln zum Si-
chern der Freiheit. Da gibt es ein Spannungsverhältnis,
aber darüber kann man doch rational diskutieren, ohne zu
diffamieren.

Die innere Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung des
gedeihlichen Zusammenlebens unserer Bürger und ihres
Vertrauens in den Rechtsstaat. Freiheit und Unversehrt-
heit unserer Bürger sind hohe Güter in unserer offenen
Gesellschaft. Sie zu schützen muss der Maßstab unseres
Handelns sein. Handeln wir, bevor es zu spät ist!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419505700
Nächster
Redner ist der Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Dr. Ludger Volmer.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419505800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt
in der Tat nur wenige Probleme und wenige Politikberei-
che, bei denen die Innen- und die Außenpolitik so eng ver-
zahnt zusammenarbeiten müssen wie bei der Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus. Zusammenspielen
müssen auf der einen Seite Mechanismen, die repressiv
wirken, die in der Lage sind, die aktuelle Gefahr direkt zu
unterdrücken und einzudämmen, und auf der anderen
Seite Mechanismen, die in der Lage sind, das Aufkeimen
neuer Gefahren präventiv zu verhindern. Wir reden also
über aktuelles Krisenmanagement und wir reden über
strukturelle Vorkehrungen sowohl im innen- als auch im
außenpolitischen Bereich.

Lassen Sie mich einige Aussagen zur Außenpolitik
machen. Hierbei ist das Interesse der Öffentlichkeit fo-
kussiert auf die repressive Ebene, auf die militärische
Bekämpfung des Terrorismus, von der wir glauben,
dass sie unvermeidlich ist. Wir brauchen die militärische

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Minister Jörg Schönbohm (Brandenburg)


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(A)



(B)


Komponente, da der harte Kern des Terrorismus nicht für
politische Dialoge ansprechbar ist. Es ist aber, Herr
Schönbohm, mehr als berechtigt, danach zu fragen, in
welche politische Gesamtkonzeption diese militärischen
Aktivitäten eingebettet sind und ob die Außenpolitik ihren
Beitrag dazu leistet, auch die humanitären Probleme zu
lösen, die im Zuge der Terrorismusbekämpfung entste-
hen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu hat das Auswärtige Amt – übrigens in engem Dia-
log mit Abgeordneten dieses Hauses und mit den europä-
ischen Partnern – in den letzten Wochen ein Gesamtkon-
zept entwickelt, das ich kurz skizzieren möchte.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419505900
Herr Staats-
minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dörflinger? – Bitte.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1419506000
Herr Staatsminis-
ter, können Sie bestätigen, dass dem Deutschen Bundes-
tag in seiner 13. Wahlperiode auf der Drucksache 13/4374
ein Antrag Ihrer Fraktion vorgelegen hat mit dem Titel
„Mehr Effektivität und demokratische Transparenz bei
der Gewinnung und Analyse außenpolitischer Erkennt-
nisse durch Auflösung des Bundesnachrichtendienstes“?


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Können Sie ausschließen, dass dies heute zu den Grund-
überzeugungen Ihres Hauses gehört?


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Was sagt Ströbele?)


D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419506100
Ich kann bestätigen, dass es in den letzten Jahren
eine intensive Diskussion darüber gab, auch in die Rich-
tung, ob die Geheimdienste in der Form, in der sie exis-
tierten, noch in die Zeit passten. Dabei kam es zu Ant-
worten, die damals vielleicht richtig waren, die angesichts
der neuen Situation so aber nicht mehr tragfähig sind.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Ja oder Nein?)


Wir sind der Meinung, dass die Geheimdienste einer
Reform bedürfen, dass sie zu einer intensiveren Zusam-
menarbeit kommen müssen und dass sie fokussiert wer-
den müssen auf die neuen Gefahren, während die Ge-
heimdienste, von denen Sie sprechen, noch im Sinne Ihrer
Sicherheitsperzeption auf den Kalten Krieg gerichtet sind,
der längst vorbei ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Allgemeine Rat der Europäischen Union war sich
gestern einig in den Grundzügen eines politischen Lö-
sungskonzepts für die Krise in Afghanistan und der
Bekämpfung des Taliban-Regimes. Wir Europäer meinen,
dass es eine innerafghanische Lösung geben muss, an der

alle politischen Kräfte beteiligt sein müssen und bei der
insbesondere die paschtunische Mehrheit eine zentrale
Funktion bei der Bildung einer neuen Regierung haben
muss. Wir meinen, dass diese Lösung durch die Einberu-
fung der Großen Ratsversammlung gefunden werden
kann und dass der König hierbei eine Katalysatorfunktion
einnehmen kann. Das Auswärtige Amt und die anderen
europäischen Partner befinden sich in engem Dialog mit
den entsprechenden Kräften in Afghanistan und mit dem
König.

Wir meinen, dass auf der Basis dieser Ratsversamm-
lung ein Verfassungsprozess in Gang gesetzt werden
muss, damit es nicht zu einem Rückfall in das Chaos der
Vor-Taliban-Zeit kommen kann. Wir meinen, dass die
Vereinten Nationen eine wichtige, wenn nicht entschei-
dende Funktion dabei haben, entsprechende Prozesse zu
stabilisieren.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Bekämpfung
des humanitären Elends. Die Bundesregierung hat 51 Mil-
lionen DM, die Europäische Kommission hat über
600 Millionen DM für die aktuelle humanitäre Hilfe zur
Verfügung gestellt. Das entspricht dem, was im Moment
nötig ist.

Wir haben das Problem des Zugangs. Um dieses Pro-
blem zu lösen, reist der Außenminister in den nächsten Ta-
gen in die Region, um mit Nachbarstaaten wie dem Iran
oder Tadschikistan darüber zu reden, ob die Grenzen für
humanitäre Hilfe geöffnet werden können. Das entspricht
der Politik, die der Bundeskanzler bereits angekündigt hat
und die er auch auf dem Sondergipfel in dieser Form ver-
treten wird.

Neben der politischen Kompetenz zur Lösung des Pro-
blems müssen wir strukturelle Vorkehrungen treffen, um
den Terrorismus auch im außenpolitischen Bereich besser
bekämpfen zu können. Dazu hat das Auswärtige Amt ei-
nige Maßnahmen ergriffen. Sie wissen, dass wir Mittel
zur Krisenprävention haben. Diese sind – ich bedanke
mich besonders bei den Kolleginnen und Kollegen des
Haushaltsausschusses – aufgestockt worden und wir wer-
den sie auch auf die Aufgabe präziser fokussieren, um sol-
che Konflikte zu lösen, die von Terroristen im Moment
genutzt werden, um sich einen gewissen Resonanzboden
zu verschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Auswärtige Amt hat einen Sonderbeauftragten zur
Terrorismusbekämpfung eingesetzt, der all diese Maß-
nahmen koordinieren soll und in enger Abstimmung mit
dem Innenminister stehen wird.

Erhard Eppler, unser ehemaliger Kollege, hat in einem
bemerkenswerten Aufsatz im „Spiegel“, darauf hingewie-
sen, dass Terrorismus im Zuge einer Verkennung der
Wichtigkeit staatlicher Strukturen die Ausdrucksform
einer privatisierten Gewalt ist,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das kennen Sie ja von früher!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Staatsminister Dr. Ludger Volmer

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was in vielen Debatten der letzten Jahre mit Bezug zum
Neoliberalismus – auch in diesem Hause – immer wieder
zum Ausdruck kam.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Unglaublicher Unfug!)


Wir meinen, dass in dem Moment, in dem Terrorismus
bekämpft werden muss, nicht nur hier innenpolitische
Maßnahmen getroffen werden müssen; vielmehr hat auch
die internationale Gemeinschaft die Aufgabe, über Ent-
wicklungsfinanzierung und über andere ihr zur Verfügung
stehende Mechanismen sowohl an der Entwicklung von
Zivilgesellschaften als auch am Aufbau von staatlichen
Strukturen, von Institutionen und insbesondere von
Rechtssystemen mitzuwirken. Auch dieser Aufgabe wird
sich die Bundesregierung verstärkt stellen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: Eine
der wichtigsten Methoden zur Bekämpfung des interna-
tionalen Terrorismus ist der Dialog der Kulturen. Wenn
wir das Verständnis zwischen den Kulturen aufbauen,
wenn andere Kulturen, andere Völker, andere Regionen,
andere Ethnien den Eindruck haben, dass sie weltweit
Freunde haben, dass sie verstanden werden, dass man ihre
Kultur schätzt, dass man versucht, ihre Ethik zu verste-
hen, wenn man versucht, die gemeinsame Ethik der
Menschheit herauszuarbeiten, dann werden sich die terro-
ristischen Ambitionen erheblich vermindern. In diesem
Zusammenhang möchte ich hier noch einmal deutlich auf
die Wichtigkeit der auswärtigen Kulturpolitik hinwei-
sen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419506200
Herr Staats-
minister, bitte halten auch Sie sich an die vorgegebene Re-
dezeit.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419506300
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Die auswärtige Kulturpolitik wurde über lange Zeit als
schmückendes Beiwerk zur Außenpolitik verstanden.
Heute wissen wir, dass deutsche Schulen, dass die Sti-
pendienvergabe und dass der Schutz von Kulturdenk-
mälern eine wichtige Funktion haben, das Verständnis der
Völker zu vertiefen. Es kann nicht angehen, dass
Goethe-Institute aus Gründen der Mittelknappheit ge-
schlossen werden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Auswärtige Amt hat Sondermittel für den Dialog
mit islamischen Ländern eingestellt. Die UNESCO führt
im Auftrag der Vereinten Nationen das Jahr des Dialogs
zwischen den Kulturen durch. Wir meinen, dass Kofi
Annan Recht hat, wenn er die Kultur der Prävention als
wichtigstes Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus be-
zeichnet sowie für eine Verzahnung aller Politikbereiche,
für die Ausrichtung der Politik auf frühzeitiges Erkennen

von Konflikten und für die Verhinderung von Gewalt ein-
tritt.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419506400
Ich gebe
nunmehr dem Bundesminister des Innern, Otto Schily,
das Wort.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1419506500
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Erlauben Sie
mir als Sportminister eine kurze Vorbemerkung: Der Kol-
lege Stadler hat an einen historisch seit langem bekannten
sportlichen Wettbewerb erinnert, nämlich an den Wettlauf
zwischen Hase und Igel. Dementsprechend habe ich
meine Krawatte heute ausgewählt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Und die Frisur!)


Der Ausruf des Igels lautet – Sie wissen das –: Ick bün all
dor. Was diesen Wettlauf angeht, ist das auch meine De-
vise.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir diskutieren heute über eine Vorlage der
CDU/CSU-Fraktion und, wenn ich richtig informiert bin,
über einen Antrag der FDP, der hier bisher leider uner-
wähnt geblieben ist, obwohl er sehr vernünftig ist. Ich
kann Ihnen mitteilen, Herr Kollege Stadler, dass das, was
Sie vorgeschlagen haben, im Wirtschaftsministerium
schon vorbereitet wird. Das ist in Ordnung.

Ich begrüße auch, dass die Opposition heute eine
Ideensammlung vorgelegt hat. Ich bezeichne diese als ei-
nen konstruktiven Beitrag zur Debatte. Warum sollte ich
das anders handhaben? Wenn man auf einen Begriff aus
dem Galerie-Deutsch zurückgreifen wollte, könnte man
sagen, das sei eine Accrochage. Das soll aber, bitte schön,
das Lob zunächst einmal gar nicht schmälern. Mir sind
diese Ideensammlungen durchaus willkommen. Wir sind
ja gerade dabei, sehr intensiv zu beraten, was wir im Rah-
men des Sicherheitspakets II tun wollen. Ich denke, da
berücksichtigen wir auch Ihre Vorschläge. Warum sollten
wir das anders halten?

Ich möchte anregen, uns bei der Debatte so zu verhal-
ten, dass wir sowohl Skepsis als auch konstruktive Vor-
schläge willkommen heißen. Ich finde es völlig in Ord-
nung, wenn einige fragen, ob dieser oder jener Vorschlag
nicht zu weit geht, wie es Herr Stadler getan hat und zum
Teil auch aus den Reihen der Grünen zu hören war. Viel-
leicht gilt das auch für einige aus der CDU/CSU; von
Herrn Kollegen Bosbach habe ich einige Aussagen in die-
ser Richtung gehört. Warum sollten wir das nicht ganz
friedlich und freundlich miteinander ausdiskutieren? Das
ist in einer rechtsstaatlichen Demokratie eigentlich die
Regel. Wir sollten aber nicht gegenseitig den Vorwurf

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Staatsminister Dr. Ludger Volmer

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erheben, der eine meine es mit der Sicherheit und der an-
dere mit der Freiheit nicht ernst. Dadurch käme die Dis-
kussion auf ein schiefes Gleis.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Für meine Person sage ich: Wir sollten diesen Gegensatz
nicht bilden.

Ich habe es häufig genug gesagt und will es noch ein-
mal betonen: Sicherheit ist die Voraussetzung von Frei-
heit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wer durch Kriminalität und erst recht durch Terrorismus
bedroht ist, kann nicht frei leben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Der Rechtsstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er
die Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität und Terro-
rismus schützt. Das wird die Bundesregierung auch wei-
terhin so handhaben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


In der Europäischen Grundrechte-Charta, der wir alle zu-
gestimmt haben, ist das Grundrecht auf Freiheit und Si-
cherheit enthalten.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Diese Auffassung haben wir alle durch unsere Zustim-
mung bekräftigt. Darauf sind wir sozusagen vereidigt. An
diesen Eid müssen wir alle uns halten.

Meine Damen und Herren, die große Mehrheit des
Hauses ist ja der Meinung, dass wir zur Bekämpfung des
Terrorismus, dessen abgrundtiefe Dimensionen jetzt er-
kennbar geworden sind, auch militärische Mittel einset-
zen müssen. Das sind die härtesten Mittel, die uns zur Ver-
fügung stehen. Ich kann nun nicht verstehen, dass man an
anderen Stellen, wo es um die Schärfung der Instrumente
unserer Strafverfolgungsbehörden geht, allerlei Vorbe-
halte äußert. Da gehen die Dinge, wie ich finde, etwas
auseinander. Man muss das objektiv prüfen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, so sehr
ich es willkommen heiße, dass Sie eigene Vorschläge ma-
chen, denke ich doch, dass Sie sehr genau hinschauen
sollten, ob nicht einiges von dem, was Sie fordern, schon
längst erreicht ist. Der Kollege Bosbach hat in einem In-
terview am 8. Oktober – ich glaube, er hat es auch einmal
im Parlament gesagt – gefordert, wir bräuchten ein wirk-
sames Zeugenschutzprogramm.


(Widerspruch des Abg. Wolfgang Bosbach [CDU/CSU])


– Ich kann Ihnen, wenn Sie möchten, die Presseerklärung
zur Verfügung stellen. – Ich will Sie daran erinnern, dass
wir gerade das Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz
verabschiedet haben, das auch der Bekämpfung des
Terrorismus dient. Weiter haben Sie – in Ihrem Paket ist

das enthalten – die Verbesserung und Intensivierung des
Informationsaustausches gefordert. Diese Institutionali-
sierung ist bereits mit dem so genannten Informations-
board Finanzermittlungen umgesetzt. So finden sich eine
ganze Reihe von Forderungen, die längst umgesetzt wur-
den oder an deren Umsetzung gearbeitet wird. Dazu ge-
hört etwa auch eine Datei von Ausländern, die sich extre-
mistisch betätigen, und eine Datei von Deutschen, die
islamistischen Organisationen angehören. Die Innenmi-
nisterkonferenz – es sitzen hier ja mehrere Innenminister
auf der Bundesratsbank –


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr illustre Reihen!)


hat schon eine Datei erstellen lassen, in der politisch mo-
tivierte Ausländerkriminalität erfasst wird. Wenn wir die
noch um den einen oder anderen Punkt erweitern wollen,
bitte schön; aber auch das gibt es schon. Lassen Sie uns
daran anknüpfen.

Ich erinnere auch an den Satz des Kollegen Stadler: Es
geht nicht nur darum, immer neue Gesetze zu machen,
sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass der Vollzug
der bestehenden Gesetze ermöglicht wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich begrüße es, dass die Bundesregierung unterstützt
wird bei ihrem Vorhaben, die Personal- und Sachmittel
des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes, des
Bundesamtes für Verfassungsschutz und anderer Institu-
tionen aufzustocken. Von der Opposition vermisse ich al-
lerdings Vorschläge zur Finanzierung. Sie fordern zwar
immer alles Mögliche, Vorschläge zur Finanzierung ma-
chen Sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie widersprechen den
Maßnahmen zur Finanzierung, die wir vorgeschlagen ha-
ben. Das passt irgendwie nicht zusammen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will uns alle ermuntern, mit manchen Fragen ehrli-
cher umzugehen. Im Kreise der Ministerpräsidenten, die
sich kürzlich beim Bundeskanzler versammelt hatten, ist
man mit dem Thema ehrlich umgegangen. Wir wollen uns
doch gar nichts vormachen: Die alte Bundesregierung
hatte beschlossen, in bestimmten Institutionen den Perso-
nalbestand zu reduzieren, zum Beispiel beim Bundesamt
für Verfassungsschutz. Eine lineare Stellenkürzung wurde
auch im Bundeskriminalamt vorgenommen. Genauso
ehrlich und unumwunden sage ich Ihnen: Einige dieser
Personalprogramme haben wir weitergeführt. Warum
sollten wir uns gegenseitig etwas vormachen? Jetzt sind
wir aber in einer neuen Lage und wir müssen die notwen-
digen Konsequenzen daraus ziehen. In dieser Frage bitte
ich um die Einmütigkeit dieses Hauses.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden selbstverständlich – entgegen unseren ur-
sprünglichen Ansätzen – die Bereitschaftspolizei besser
ausstatten. Wir versuchen, einige technische Erforder-
nisse gemeinsam mit den Ländern voranzubringen. Diese
sind zum Teil sehr finanzaufwendig und technisch äußerst

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundesminister Otto Schily

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kompliziert. Bei anderer Gelegenheit werden wir darüber
reden müssen. Herr Stadler, ich hätte mich gefreut, wenn
ich den Digitalfunk bereits vorgefunden hätte. Wir müs-
sen jetzt aber erst einmal an diese Aufgabe, die sehr fi-
nanzaufwendig und ehrgeizig ist, herangehen.

Meine Damen und Herren, ich will auch darauf auf-
merksam machen, dass das, was als Katalog der Vor-
schläge, die ich unterbreiten werde, kursiert, nicht voll-
ständig ist. Es wird noch einige Veränderungen geben.
Eines will ich gleich vorwegnehmen, weil ich annehme,
dass auch der Kollege Beckstein sich dazu äußern wird:
Ich glaube, es ist notwendig – Herr Bosbach hat es ange-
sprochen –, dass wir die Möglichkeiten zur Regelauswei-
sung erweitern. Damit bin ich einverstanden. Ich bin mit
ihm einer Meinung, dass es nicht möglich ist, hier nach
Belieben, nach Ermessen zu verfahren. Menschen, die die
freiheitliche demokratische Grundordnung oder die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätig-
keiten beteiligen, öffentlich zur Gewalt aufrufen oder mit
Gewaltanwendung drohen, verwirken zwangsläufig ihr
Recht, sich bei uns aufzuhalten. Das halte ich für selbst-
verständlich. Wir werden dafür sorgen, dass diese Aus-
weisungstatbestände von einer Kann- zu einer Mussbe-
stimmung geändert werden.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das steht im Antrag!)


Dabei geht es auch um den Sofortvollzug. Auch dazu wer-
den wir Vorschläge machen.

Ich komme zu einem anderen Thema, welches eben-
falls kürzlich behandelt worden ist: Ich bin stolz darauf,
dass es die Regierungskoalition und die Bundesregierung
waren, die den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft
an die Abgabe einer Loyalitätserklärung und daran ge-
knüpft haben, tadelfrei, ohne extremistischen Hinter-
grund, zu sein. Zur Feststellung dieser Voraussetzungen
gab es eine unterschiedliche Praxis in den Ländern. Es
ging dabei um die Frage, ob eine Regelanfrage durchge-
führt werden solle oder nicht. Wir haben uns jetzt mit al-
len Ländern darauf verständigt, dass die Regelanfrage
überall durchgeführt wird. In einigen Ländern fehlen dazu
noch die gesetzlichen Voraussetzungen, wie beispiels-
weise im Freistaat Sachsen. Diese werden aber noch ge-
schaffen. Ich freue mich, dass wir uns in diesem Punkt ei-
nigen konnten.

Wir müssen selbstverständlich darauf achten, dass die
Identitätsfeststellung so gestaltet wird, dass wir Personen,
die aus irgendeinem Grund der Kontrolle unterliegen,
auch wirklich erkennen können. Wir müssen wissen, mit
wem wir es zu tun haben. Ich weiß gar nicht, was dagegen
sprechen sollte, dass man dabei auch moderne Identifi-
zierungsmethoden verwendet. Wer das in irgendeinem
Gegensatz zur Menschenwürde oder zu den Menschen-
rechten sieht, verkennt die Sachlage. Auch heute gibt es
bei den Ausweisen entsprechende Methoden. Diese sind
aber leider nicht mehr ganz up to date.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Ah, er kann nicht nur Französisch!)


Deshalb meine ich: Was zum Beispiel den Besuchern
des Hannoveraner Zoos zuzumuten ist – sie müssen, wenn
sie eine Dauerkarte haben, ihren Fingerabdruck zur Iden-
tifikation abgeben –, ist auch den Menschen an den Pass-
kontrollstellen zuzumuten. Wer die Parole ausgibt, wir
wollten ein Volk von Verdächtigen, der redet an der Rea-
lität vorbei.

Weil die Redezeit auch von mir nicht überschritten
werden darf, erwähne ich nur stichwortartig, dass wir im
Zivilschutz eine Reihe von Maßnahmen in Gang gesetzt
haben. Dazu gehören das satellitengestützte Warnsystem,
die mehr als 600 Fahrzeuge, die den Ländern zugehen
werden, und viele andere Dinge mehr, die ich Ihnen in der
Kürze der Zeit nicht schildern kann. Wir brauchen auch
im Zivil- und Katastrophenschutz eine engere und bessere
Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern
und wir brauchen natürlich eine Ausweitung der europä-
ischen Kooperation auf diesen Feldern. Auf europäischer
Ebene haben wir Vorschläge vorgelegt, die ich jetzt eben-
falls nicht im Einzelnen vortragen kann, weil hier schon
die Sekunden gezählt werden.

Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie alle,
bei der inneren Sicherheit dem Vorbild der Innenminister-
konferenz nachzueifern, in der wir ein gutes Klima der
Zusammenarbeit und der Konsensbereitschaft haben. In
der Innenministerkonferenz werden – das ist keine Kon-
sensfalle, sondern das dient den Interessen der Bürgerin-
nen und Bürger – Entscheidungen nur im Konsens getrof-
fen, was die Sicherheit unseres Landes verbessert. Ich
bedanke mich bei meinen Kollegen Landesinnenminis-
tern ausdrücklich für diese hervorragende Zusammenar-
beit und hoffe, dass in dieser ernsten, nicht alltäglichen
Frage der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
auch dieses Parlament gemeinsam mit der Bundesregie-
rung zu den notwendigen Maßnahmen kommt.

Damit erfüllen wir übrigens auch einen Auftrag, den
uns der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1373 er-
teilt hat, in der sehr konkrete Anforderungen enthalten
sind. Ich werde in der nächsten Woche die Ehre haben, mit
dem neu gekürten Nobelpreisträger, UN-Generalsekretär
Kofi Annan, zusammenzutreffen, und würde es sehr be-
grüßen, wenn ich ihm berichten könnte, dass die deutsche
Politik die zur Bekämpfung des internationalen Terroris-
mus erforderlichen Maßnahmen einmütig und entschlos-
sen angeht. Das wäre eine gute Grundlage für die Zukunft
unseres Landes und die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419506600
Ich erteile
dem Staatsminister des Innern im Freistaat Bayern,
Dr. Günther Beckstein, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419506700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zuallererst bestätige ich ausdrücklich, worauf Herr
Bundesinnenminister Schily gerade hingewiesen hat: Die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundesminister Otto Schily

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Zusammenarbeit im Rahmen der Innenministerkonferenz
ist – übrigens auch und gerade nach dem 11. September,
als es eine große Anzahl von Schaltkonferenzen gab –
ausgezeichnet. Die überwältigende Mehrzahl der Bürger
erwartet gerade bei einer Krise der inneren Sicherheit,
dass wir nicht parteipolitisch miteinander streiten, son-
dern schauen, was notwendig ist, und dann gemeinsam
das Notwendige tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen ist es richtig, dass wir in einen vernünftigen
Wettstreit darüber eintreten, welche Maßnahmen nötig
und zweckmäßig sind und welche Maßnahmen nicht sehr
viel bringen. Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen
ist völlig eindeutig und entspricht der Lagebeurteilung,
die alle Innenminister der Länder teilen: Wir sind noch
nicht am Höhepunkt der Bedrohung, sondern am Beginn
dieser Sicherheitskrise. Daher darf es nicht einfach ein
„Weiter so“ geben, sondern wir müssen schauen, welche
Änderungen vorzunehmen sind, um die Freiheit unserer
Mitbürger zu sichern.

Das Sicherheitspaket I und auch das Sicherheitspa-
ket II des Bundesministers des Innern halte ich im Großen
und Ganzen für akzeptabel. Ich verhehle aber nicht, dass
ich es wie meine Kollegen in der Innenministerkonferenz
sehr bedaure, dass hier keine enge Zusammenarbeit mit
den Ländern gesucht worden ist, wie es beispielsweise
beim Waffengesetz der Fall war, sondern wir nur eine
ganz oberflächliche Information bekommen haben. Als
Länder verstehen wir uns aber im Bereich der inneren Si-
cherheit als Partner der Bundesregierung und wollen uns
nicht wie der Koalitionspartner damit zufrieden geben,
aus der Zeitung informiert zu werden.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: „Frankfurter Rundschau“!)


Die Grünen sind ja offensichtlich für solche Informatio-
nen aus zweiter Hand dankbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir erwarten auf diesem Gebiet eine enge Zusammenar-
beit, damit wir deutlich machen können, was wir unter-
stützen und wogegen wir Bedenken haben.

Bedenken habe ich beispielsweise bei der Erweite-
rung der Kompetenzen des BKA. Dadurch entstünde die
Gefahr eines Kompetenzwirrwarrs. Das BKA sollte vor
allem seine unmittelbare Verantwortlichkeit in der Schaf-
fung von INPOL neu wahrnehmen, womit wir Monate im
Verzug sind.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr! Jahre!)


Wir lesen in der Zeitung, dass hier möglicherweise mehr
als 100 Millionen DM in den Sand gesetzt worden sind,
die uns beim Aufbau eines modernen Informationssys-
tems fehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben in Bayern ein umfangreiches Sicherheitspa-
ket auf den Weg gebracht. Obwohl wir in den vergange-
nen Jahrzehnten keinerlei Stellenkürzungen vorgenom-

men haben – weder bei der Polizei noch beim Ver-
fassungsschutz –, haben wir neue Stellen geschaffen. Wir
haben auch ausdrücklich eine beträchtliche Erhöhung der
für die Sachausstattung der Polizei bestimmten fi-
nanziellen Mittel vorgenommen, denn ich teile nicht die
Meinung meines geschätzten Kollegen Senator Wieland,
der sagt, das beste Arbeitsmittel der Kriminalpolizei seien
immer noch Bleistift und Papier. Wir meinen, dass für
eine moderne Polizei Computer und Elektronenmikro-
skope erforderlich sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Allerdings ersetzt auch das nicht das Köpfchen des Kri-
minalpolizisten.

Wir benötigen vom Bund ein klares Bekenntnis, dass
die Stärke des Bundesgrenzschutzes wieder auf das früher
gegebene Niveau angehoben wird. Herr Schily, ich habe
die frühere Bundesregierung kritisiert, dass sie zehn Ab-
teilungen des BGS reduziert hat. Sie müssen sich dann
auch anhören, dass ich es für falsch halte, dass Sie diese
zehn Abteilungen nicht wieder schaffen. Wir brauchen
diese 5 000 Leute, denn beispielsweise der Berliner In-
nensenator ruft regelmäßig vor den Wochenenden seine
Kollegen an und bittet um Bereitstellung von Hundert-
schaften, weil der BGS nicht über die entsprechenden
Kräfte verfügt. Verleihen Sie dem BGS wieder seinen
früheren Stellenwert!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich appelliere an Sie: Erfüllen Sie Ihre Verpflichtungen
zur Ausstattung der Bereitschaftspolizei! Wir brauchen
wieder 60 Millionen DM, damit die Bereitschafts-
polizeien der Länder einheitlich ausgestattet werden.

Ich appelliere an Sie: Statten Sie das THW besser aus!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Fahrzeuge des THW befinden sich in einem bejam-
mernswerten Zustand. Wenn wir hier schon Freiwillige
und Ehrenamtliche einsetzen, dann müssen wir sie we-
nigstens ordentlich ausstatten.

Ich appelliere an Sie: Geben Sie nicht nur Berlin und
Brandenburg die ABC-Spürfahrzeuge! Ich kann diese Be-
vorzugung nicht akzeptieren und führe sie entweder auf
Wahlkampf oder auf Ihre Vorliebe für die preußische
Lebensart zurück. Aber auch Ihre bayerische Heimat
braucht solche Fahrzeuge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich komme zu einem weiteren Gesichtspunkt. Ich ver-
stehe ehrlich gesagt die ideologisch geführte Diskussion
über den Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren
nicht. Sie können einem bayerischen Innenminister ab-
nehmen, dass wir keine unmittelbare Kompetenz für die
Bundeswehr im Landesinneren schaffen werden, aber die
Bundeswehr muss – auf eindeutiger Rechtsgrundlage – in
Amtshilfe für die Polizei in größerem Umfang tätig wer-
den, als es heute der Fall ist.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern)


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Ich nenne drei Beispiele. Ich habe etwa vier Wochen
lang mit Herrn Schily verhandeln müssen, bis für den
Truppenübungsplatz der Amerikaner in Grafenwöhr die
rund um die Uhr geforderten 120 Sicherheitskräfte be-
reitgestellt wurden. Anderenfalls hätten wir 600 Polizis-
ten aus dem Landesinneren abziehen müssen, damit die-
ser größte amerikanische Truppenübungsplatz betreut
wird.

Hinsichtlich der Echelon-Abhöranlage in Bad Aibling
haben wir uns darauf verständigt, dass wir sie – anders als
die Amerikaner – in Deutschland als eine militärische
Einrichtung betrachten, damit eine Betreuung durch die
Bundeswehr möglich ist. Allerdings hat sich das Bundes-
verteidigungsministerium dieser Betrachtung bisher nicht
angeschlossen. Die Amerikaner wollen dort mehr als nur
einige Polizeibeamte mit Maschinenpistolen. Sie wollen
für die weltweit wichtigste Abhöreinrichtung angemesse-
nen Schutz. Dafür muss Bundeswehr her.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr nötig!)


Ein drittes Beispiel. Ich kann nicht verstehen, wie die
Frage der ABC-Abwehr auf ideologische Weise behandelt
wird und warum die Bundeswehr in diesem Bereich nicht
eingesetzt wird. Konkret: Am Freitag letzter Woche
tauchten beim Briefpostamt in Nürnberg zwei Briefe mit
der Aufschrift – in abenteuerlicher Rechtschreibung –
„Der heilige Krieg hat begonnen“ auf. Aus diesen Briefen
rieselte weißes Pulver. Polizisten, die keinen Tag Ausbil-
dung in der Abwehr biologischer Gefahren hatten, und
Feuerwehrleute, die dafür nie geübt hatten, mussten tätig
werden. 30 Kilometer entfernt erklärte ein ABC-Zug der
Bundeswehr auf Nachfrage, dass er keine Kompetenz
habe. Schaffen Sie die Kompetenz dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ansonsten machen Sie sich schuldig, dass Menschen, die
anstelle ausgebildeter Spezialisten eingesetzt werden,
längere Zeit in Quarantäne bleiben müssen. Sorgen Sie
dafür, dass die Bundeswehr endlich klare Anweisungen
bekommt! Der Verteidigungsminister sollte sich lieber um
das kümmern, was in Deutschland passiert, als um die
Frauen auf Mallorca.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Ein weiterer Punkt. Wir brauchen auch rechtliche
Änderungen. Der Datenschutz muss reduziert werden.
Herr Schily, Sie haben das zu Recht dargestellt. Wir brau-
chen die Änderung des Ausländergesetzes. Ich habe mich
heute gefreut, dass Sie erklären, dass Sie auch die Regel-
ausweisung für gewaltbereite Extremisten einführen wol-
len. Bisher ist das in Ihrem Paket nicht enthalten.


(Otto Schily, Bundesminister: Was ist denn nun: Kennen Sie es oder kennen Sie es nicht?)


Die Bundesländer Niedersachsen und Bayern werden
deswegen morgen im Bundesrat eine gemeinsame Initia-
tive starten, um das Ausländerrecht entsprechend zu ver-
bessern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann ist Herr Stiegler der Letzte, der sich gegen die Aus-
weisung gewaltbereiter Extremisten wendet.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist ein Irrtum!)


Herr Schily, Sie sollten besser mit Herrn Stiegler reden,
damit er nicht so viel Unsinn über den Bereich der inne-
ren Sicherheit daherplappert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen die Regelanfrage nicht allein bei der Ein-
bürgerung, sondern auch bei der Beantragung des Dauer-
aufenthaltes einführen; denn wir wissen, dass der Dauer-
aufenthalt nicht nur für die Schläfer, sondern auch für die
non-allied Mudschahedin – so werden sie von den Sicher-
heitsbehörden bezeichnet – eine wichtige Rolle spielt.
Deshalb brauchen wir auch für die Beantragung des Dau-
eraufenthalts die Regelanfrage, zumal wir wissen, dass
unsere „Kundschaft“ im extremistischen Bereich beson-
deren Wert auf die Erleichterungen legt, die sie bei ihren
weltweiten Reisen mit deutschen Reisepapieren erfahren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Abschließende Bemerkung. Wer im Hohen Haus
meint, wir hätten Probleme, mit Herrn Schily in Konkur-
renz zu stehen – wer ist besser im Bereich innere Sicher-
heit? –, der täuscht sich. Wir meinen, dass es sinnvoll ist,
in einen Wettbewerb der Vernünftigen und Sachkundigen
einzutreten.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Wir sind selbstbewusst genug, um zu sagen, dass diejeni-
gen, die 10, 15 oder 20 Jahre mit großem Erfolg und mit
großer Zuverlässigkeit auf diesem Gebiet tätig waren, die
notwendigen Maßnahmen der Bevölkerung besser he-
rüberbringen können als diejenigen, die das erst seit sechs
Wochen langsam lernen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Maßstab sind nicht Ihre Reden, Herr Schily, son-
dern es sind die Beschlüsse der Bundesregierung, die Sie
gemeinsam mit der Koalition auf den Weg bringen. Bei
den notwendigen Maßnahmen unterstützen wir Sie.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419506800
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Günter Graf das
Wort.


Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1419506900
Nach dieser marki-
gen Rede


(Beifall bei der CDU/CSU)


– warten Sie mal ab! –, die auch in einem Bierzelt hätte
gehalten werden können, möchte ich den bayerischen In-
nenminister vor dem Hintergrund des Beispiels der Briefe
in Nürnberg, aus denen weißes Pulver rieselte, zum einen
fragen, ob es nicht reicht, wenn es bei der Bundeswehr
solche Einheiten gibt, denn die Amtshilfe ist noch immer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern)


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ein gängiges Instrument. Zum anderen will ich sagen,
dass die Länderpolizeien – das müssten Sie als Dienstherr
doch wissen – ebenfalls entsprechende Trupps haben. Ich
selber habe das ja jahrelang gemacht: In besonderen, un-
bekannten Situationen gehen die Polizisten mit Gasmaske
vor.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das müsste auch der Landespolizei in Bayern möglich
sein. Insofern ist das, was Sie der deutschen Öffentlich-
keit hier darstellen, Bangemacherei. Sie erzählen einfach
nicht die Wahrheit!


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419507000
Zur Erwi-
derung hat Staatsminister Beckstein das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419507100

Herr Kollege Graf, es ist definitiv falsch, dass eine Lan-
despolizei wie die von Bayern Kräfte für die Reaktion auf
biologische, chemische oder atomare Anschläge hat.


(Ute Vogt [Pforzheim] [SPD]: Aber andere haben sie!)


Nach der Kompetenzverteilung – da sollten Sie sich ein-
mal sachkundig machen – ist das die Aufgabe von Feuer-
wehren und Einrichtungen des Katastrophenschutzes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dort liegt die Zuständigkeit, wobei aufgrund der Kom-
petenzverteilung die Fahrzeuge vom Bund bereitzustellen
wären – deren Lieferung aber im Juni dieses Jahres für
zwei Jahre ausgesetzt worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Für Berlin und Brandenburg, Herr Kollege Graf, werden
jetzt allerdings jeweils sechs Fahrzeuge zur Verfügung ge-
stellt.

Ich würde gerne von Ihnen hören: Warum ist es denn
so schlecht, wenn zum Beispiel die Originale der Erreger
von Milzbrand und ähnlichen Krankheiten bei keiner zi-
vilen Einrichtung in Bayern, aber sehr wohl beim Institut
der Bundeswehr in Neubiberg vorhanden sind? Warum ist
es dann nicht möglich, innerhalb eines Wochenendes im
Wege der Amtshilfe eine Zuständigkeit herbeizuführen?
Stattdessen wird die Amtshilfe unter Hinweis auf die
Beschränkungen des Art. 35 für nicht zulässig erachtet,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: So ist das!)


weil nicht eine unmittelbare, konkrete Gefahr vorhanden
ist. Dann müssen wir eben Klarheit schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Abg. Günter Graf [Friesoythe] [SPD] begibt sich zur Bundesratsbank und spricht mit Staatsminister Dr. Günther Beckstein – Lachen bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419507200
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, wir wollen doch den Dialog nicht
stören. – Ich gebe jetzt als letztem Redner dem Kollegen
Hermann Bachmaier das Wort; er spricht für die SPD-
Fraktion.


Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1419507300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Da Herr Kollege Graf und Minister
Beckstein gerade im Begriff sind, das Problem der Amts-
hilfe zu lösen, brauche ich dazu nichts weiter zu sagen. Ich
habe Ihnen allerdings die erfreuliche Mitteilung zu ma-
chen, dass für das gesamte Bundesgebiet, also unter an-
derem auch für Bayern, in den kommenden Wochen
650 Fahrzeuge der von Ihnen gewünschten Art angeliefert
werden. Sie werden Ihren gerechten Anteil daran erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es steht außer Zweifel, dass wir nach den einschnei-
denden Ereignissen vom 11. September unsere bisherige
Sicherheitsarchitektur überdenken und überprüfen müs-
sen. Wir müssen dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis
der Bevölkerung gerecht werden. Wir dürfen aber unsere
rechtsstaatliche Ordnung bei diesem Vorgehen keinen un-
zumutbaren Belastungen aussetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit Recht hat deshalb der Bundeskanzler in seiner
Grundsatzrede vom 19. September darauf hingewiesen,
dass wir die Werte, die wir gegen den Terrorismus vertei-
digen, nicht selber infrage stellen dürfen. Selbstverständ-
lich ist dabei, dass wir die möglichen Maßnahmen da-
raufhin überprüfen, ob sie erforderlich und geeignet sind,
der neuen Herausforderung zu begegnen und gerecht zu
werden. Augenmaß und Fingerspitzengefühl sind dabei
nicht die schlechtesten Ratgeber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dies hat vor allem dann zu gelten, wenn wir uns in sensi-
blen Bereichen unserer freiheitlichen Ordnung bewegen.

Wir sind uns darüber einig, dass die Sicherheitsorgane
personell und technisch ausgebaut werden müssen. Dies
hat auch die heutige Debatte ergeben. Sie müssen in die
Lage versetzt werden, auf die neue Gefahr angemessen zu
reagieren. Dies gilt für Polizei und Bundesgrenzschutz
ebenso wie für alle anderen Sicherheitsorgane, denen wir
uns anvertraut haben. Auch über viele einzelne gesetz-
geberische und administrative Maßnahmen, die jetzt ge-
boten sind, werden wir sicherlich schnell Einigkeit erzie-
len können; auch dies wurde heute deutlich.

Nicht hilfreich ist es allerdings, wenn alle erdenklichen
Vorschläge wieder aus der Schublade gekramt werden.
Jetzt ist nicht die Stunde, in der auch noch der letzte La-
denhüter aus der Wunschliste der Vergangenheit aus-
gegraben werden sollte, unabhängig davon, ob er uns wei-
terhilft oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Der alte Hut! Schon wieder!)


Es ist auch nicht die Zeit, in der wir uns wilde polemische
Schlachten darüber liefern sollten – auch dies ist heute

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Günter Graf (Friesoythe)


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deutlich geworden; Herr Beckstein, da wäre eine gewisse
rhetorische Mäßigung durchaus am Platz gewesen –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ihr könnt ihm nur nicht das Wasser reichen!)


wem nun die Sicherheit unseres Landes mehr oder weni-
ger am Herzen liegt. Über die richtigen Wege können wir
streiten. Aber über das Grundanliegen sollte in diesem
Hause Einigkeit bestehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In einem Punkt der beabsichtigten Vorgehensweise al-
lerdings unterscheiden wir uns doch recht wesentlich von
Ihnen. Wir alle sprechen gern davon, dass wir eine wehr-
hafte Demokratie haben. Das ist richtig so. Das Grund-
gesetz bietet genügend Spielräume und stellt genügend
Instrumentarien zur Verfügung, um die Feinde des
Rechtsstaates und der Demokratie zu bekämpfen. Wir set-
zen aber alles daran, die für notwendig erachteten Maß-
nahmen aus dem vorgegebenen Rahmen unserer grund-
gesetzlichen Ordnung zu entwickeln. Sie sind immer
wieder – dies zeigt auch der heute zu beratende Antrag –
schnell bei der Hand, ohne Not tragende Säulen der
Grundarchitektur unseres Landes infrage zu stellen.


(Beifall bei der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Quatsch!)


– Ich zähle es gleich auf, Herr Marschewski.

Da werden zum Beispiel neue Kompetenzen für die
Bundeswehr und ein Ausbau ihrer Befugnisse im Innern
gefordert. Dabei bietet eine recht verstandene Amtshilfe
alle erdenklichen Möglichkeiten, die wir benötigen, und
es bleibt bei dem bisherigen verfassungsrechtlichen Rah-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie reden über die Schaffung eines Bundessicherheits-
amtes zur „Institutionalisierung der Zusammenarbeit aller
für die Sicherheit verantwortlichen Dienste und Einrich-
tungen“, wie es so schön in Ihrem Antrag heißt.

Auch wird der alte Wunsch wieder aufgegriffen, ver-
deckten Ermittlern milieubedingte Straftaten gesetzlich
zuzugestehen.

Selbstverständlich darf, wenn man schon dabei ist, die
alte Forderung nicht fehlen, neben der so genannten akus-
tischen Wohnraumüberwachung auch noch den Spähan-
griff, also die Videoüberwachung, durch eine weitere Än-
derung von Art. 13 des Grundgesetzes zu ermöglichen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr nötig!)


Wer seine Instrumentarien an derart grundsätzlichen
Eingriffen in unsere Freiheitsrechte orientiert, der ist
natürlich auch schnell bei der Hand, den verfassungs-
rechtlich verbrieften Datenschutz lediglich unter der Per-
spektive des „Täterschutzes“ und somit als etwas
grundsätzlich Verwerfliches anzusehen; so heißt es zum
Teil wörtlich in Ihrem Antrag.

Meine Damen und Herren, nur in einem Punkt fordern
Sie größte Behutsamkeit, Augenmaß und ein hohes Maß
an Zurückhaltung, nämlich wenn es gilt, die möglichen
Finanzquellen terroristischer Angriffe aufzuspüren und
deshalb den Geldfluss besser unter die Lupe zu nehmen.
Dabei wissen wir, dass eine wirksame Kontrolle der
Geldströme eines der wirksamsten Instrumente im
Kampf gegen den Terrorismus ist.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wie alle bewährten Demo-
kratien ist auch unsere Verfassung auf dem Prinzip der
Gewaltenteilung und einem vielfältigen System von Be-
grenzungs- und Kontrollmechanismen, also einem Sys-
tem der „checks and balances“, aufgebaut. Dieses System
sollten wir auch in schwierigen Zeiten nicht infrage stel-
len. Rütteln Sie also nicht ständig an den Grundprinzipien
unserer Verfassung!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Ihnen und uns bereits vorliegenden Initiativen und
Vorschläge der Bundesregierung belegen, dass effizientes
Vorgehen und die Bewahrung unserer staatlichen Ord-
nung kein Widerspruch sind. Dies gilt – davon gehe ich
aus – auch für die bereits angekündigten und heute ange-
rissenen Vorschläge, die von der Bundesregierung ent-
wickelt werden. Wir sehen diesen Vorschlägen entgegen
und werden unseren parlamentarischen Rechten und
Pflichten nachkommen, aber immer gemessen an den
Maßstäben, die ich hier genannt habe.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419507400
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7065 (neu) an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahl eines Mitgliedes des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsord-
nung
– Drucksache 14/7148 –

Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen schlagen auf Drucksache 14/7148 die Abgeord-
nete und Kollegin Dr. Konstanze Wegner vor.

Ein kurzer Hinweis zum Verfahren: Sie benötigen die
blaue Stimmkarte. Sie wurde verteilt. Sie brauchen außer-
dem Ihren weißen Wahlausweis aus Ihrem Stim-
menkartenfach in der Lobby. Gewählt ist, wer die Stim-
men der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf
sich vereint, das heißt mindestens 334 Stimmen erhält.
Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Hermann Bachmaier

19031


(C)



(D)



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(B)


Zusätze enthalten, sind ungültig. Die Wahl ist nicht
geheim. Das heißt, Sie können die Stimmkarte an Ihren
Plätzen ankreuzen. Bevor Sie die Stimmkarte einwerfen,
geben Sie bitte dem jeweiligen Schriftführer Ihren Wahl-
ausweis als Nachweis der Teilnahme an dieser Wahl.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen, und eröffne die Wahl.

Ich darf darauf hinweisen, dass unmittelbar nach dieser
namentlichen Abstimmung weitere Abstimmungen erfol-
gen.

Ich frage, ob alle Mitglieder des Hauses ihre Stimm-
karte abgegeben haben.


(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Nein!)


– Herr Kollege Lippold erhält noch die Erlaubnis, seine
Stimmkarte einzuwerfen.

Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl gebe
ich später bekannt. Wir setzen die Beratung fort.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis o sowie
Zusatzpunkt 3 auf:

26. Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Risikostrukturausgleichs in der gesetzli-
chen Krankenversicherung
– Drucksachen 14/7123, 14/7168 –

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 7. Februar 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Demo-
kratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka
über die Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/7036 –

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 30. Juni 2000 zwischen der Re-
gierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Regierung der Volksrepublik China über
die Zusammenarbeit auf den Gebieten der
Wirtschaft, Industrie und Technik
– Drucksache 14/7037 –

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 18. Dezember 1997 über
gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit
der Zollverwaltungen
– Drucksache 14/7038 –

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem

Abkommen vom 8. März 2001 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Malta zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
– Drucksache 14/7039 –

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 24. August 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteue-
rung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom-
men und vom Vermögen
– Drucksache 14/7040 –

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 19. April 2001 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und Kanada zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und be-
stimmter anderer Steuern, zur Verhinderung
der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in
Steuersachen
– Drucksache 14/7041 –

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 11. März 1996 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Demo-
kratischen Volksrepublik Algerien über die ge-
genseitige Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/7042 –

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 23. Mai 2000 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Republik
Botsuana über die Förderung und den gegen-
seitigen Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/7043 –

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Mar-
kenrechtsvertrag vom 27. Oktober 1994
– Drucksache 14/7044 –

k) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am
3. Dezember 1999 in Peking beschlossenen Än-
derung des Montrealer Protokolls vom 16. Sep-
tember 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau
der Ozonschicht führen, und zu weiteren An-
passungen des Protokolls
– Drucksache 14/7045 –

l) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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kommen vom 18. April 2001 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und dem Königreich
der Niederlande über soziale Sicherheit
– Drucksache 14/7046 –

m) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 19. September 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Tsche-
chischen Republik über die Zusammenarbeit
der Polizeibehörden und der Grenzschutz-
behörden in den Grenzgebieten
– Drucksache 14/7095 –

n) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften

(Sechstes Besoldungsänderungsgesetz – 6. BesÄndG)

– Drucksache 14/7097 –

o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Heidemarie Ehlert, Dr. Christa Luft, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Erbschaftsbesteuerung sofort reformieren
– Drucksache 14/7109 –

ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfah-
ren

(Ergänzung zu TOP 26)

Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Pflanzenschutzrecht darf Existenz des deut-
schen Obst- und Gemüsebaus nicht gefährden
– Drucksache 14/7141 –

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Zu Tagesordnungspunkt 26 a liegt inzwi-
schen auf Drucksache 14/7168 die Gegenäußerung der
Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesra-
tes vor, die wie der Gesetzentwurf überwiesen werden
soll. – Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so be-
schlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 27 b bis j.
Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 b auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuordnung der Statistik im Handel und
Gastgewerbe
– Drucksache 14/5813 –

(Erste Beratung 170. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/7152 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Klaus-Peter Willsch

Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
möchten, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 c auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bereinigung von Kostenregelungen auf
dem Gebiet des geistigen Eigentums
– Drucksachen 14/6203, 14/6449 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/7140 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der PDS angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung.

Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte
ich, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 d auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur 24. Änderung
der Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur
Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvor-
schriften der Mitgliedstaaten für Beschrän-
kungen des Inverkehrbringens und der Ver-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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wendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zu-
bereitungen (Pentabromdiphenylether)

KOM (2001) 12 endg., Ratsdok. 05616/01
– Drucksachen 14/5610 Nr. 2.35, 14/6626 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
Dr. Paul Laufs
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6626, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.

Wir kommen nun zu einigen Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses, den Tagesordnungspunkt 27 e
bis j.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 e auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 298 zu Petitionen
– Drucksache 14/7101 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 298 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 f auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 299 zu Petitionen
– Drucksache 14/7102 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Auch diese Sammelübersicht ist mit den Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 g auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 300 zu Petitionen
– Drucksache 14/7103 –

Wer stimmt dafür? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Sammelübersicht 300 ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 h auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 301 zu Petitionen
– Drucksache 14/7104 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 301 ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der anderen Fraktionen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 i auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 302 zu Petitionen
– Drucksache 14/7105 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 302 ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 j auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 303 zu Petitionen
– Drucksache 14/7106 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 303 ist mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur Forderung
der UNO-Hochkommissarin für Menschen-
rechte nach einer Pause der Luftangriffe auf
Afghanistan

Ich eröffne die Aussprache und gebe für den Antrag-
steller zuerst dem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419507500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das stärkste, das überzeu-
gendste Argument gegen den Krieg – ich finde, das, was
ein Krieg ist, verdient auch die Bezeichnung Krieg – ist
der Krieg selbst. Ein Blick nach Afghanistan bestätigt das
aus meiner Sicht. Es leiden wiederum die einfachen, un-
schuldigen Menschen. Sie werden Opfer von Split-
terbomben und Raketen. Sie hungern und verhungern.
100 000 Kinder, so warnte die UNO, werden in den kom-
menden Wintermonaten sterben, wenn nicht rechtzeitig
Hilfe kommt. 7 Millionen Menschen in Afghanistan, so
die UNO, müssen von außen mit Nahrungsmitteln ver-
sorgt werden. 1 Million Menschen in Afghanistan befin-
den sich auf der Flucht, von Bomben aus den Städten
vertrieben, oftmals in Gebiete, die vermint sind. Die Welt
– das ist keine Übertreibung – steht vor der größten hu-
manitären Katastrophe der letzten Jahrzehnte, wenn keine
Hilfe kommt. Hilfe kann nur kommen, wenn als Erstes die
Bombardierungen aufhören, der Krieg zumindest unter-
brochen oder – noch besser – eingestellt wird.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der FDP: So ein Quatsch!)


Ich habe bewusst gesagt: zumindest unterbrochen, weil
dies von der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte
vorgeschlagen worden ist. Diesen Vorschlag bringen wir
in das Parlament ein und wir möchten, dass er ernsthaft in
diesem Parlament erörtert wird.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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Nun wird gesagt, so auch heute der Bundeskanzler, der
Krieg richte sich nicht gegen das afghanische Volk, son-
dern gegen die Taliban und gegen die Terroristen.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: So ist das!)


Es mag sein, dass diejenigen, die das sagen, das auch
glauben. Das will ich gerne unterstellen. Aber die Bom-
ben fallen auf das afghanische Volk;


(Susanne Kastner [SPD]: Und was tun Sie mit den Terroristen?)


die Splitterbomben treffen das afghanische Volk und nicht
die Terroristen und deren Hintermänner. Das afghanische
Volk und niemand anderer leidet unter diesem Krieg.


(Beifall bei der PDS)


Es leiden arme Menschen, die seit Jahrzehnten nichts an-
deres als Krieg, Vertreibung, Elend, Unterdrückung, den
Kolonialkrieg, die sowjetische Invasion, die Willkür der
Nordallianz und den Terror der Taliban kennen. Heute lei-
den sie wiederum unter Krieg und Bomben. Kann dieser
Kreislauf der Gewalt nicht endlich gestoppt werden?


(Beifall bei der PDS)


Mit jeder Bombe – auch darüber sollte man sich klar
sein – wächst der Hass auf die Industrieländer. Terror
bekämpft man nicht, indem man Terroristen zu Märtyrern
macht, auch nicht, wenn man nur im Verdacht steht, dies
zu tun. Terroristen sind Verbrecher. Wir müssen dafür sor-
gen, dass sie nicht zu Märtyrern werden. Auch deswegen
muss der Krieg in Afghanistan eingestellt werden.


(Beifall bei der PDS)


Der Krieg wird den Hass nicht eindämmen. Er ver-
breitet ihn. Wir wollen eine Unterbrechung des Krieges,
damit Flüchtlinge versorgt werden können und Winter-
hilfe geleistet werden kann. Wir sind uns sicher – darin
unterscheiden wir uns von anderen –, dass der Krieg nicht
fortgesetzt werden kann, wenn er einmal unterbrochen
worden ist. Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird.


(Beifall bei der PDS – Rudolf Bindig [SPD]: Dann dürfen die Taliban die Leute weiter schikanieren! Dann dürfen die Flüchtlinge weiter hungern!)


Ich habe mich gefreut, dass der Vorschlag, den Krieg
zu unterbrechen, auch von grünen Kollegen zumindest
kurzfristig unterstützt wurde.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht dieser Vorschlag!)


– Ich habe mich gefreut, dass der Vorschlag der UNO-
Hochkommissarin von grünen Kolleginnen und Kollegen
unterstützt worden ist.

So sehr ich mich über diese Unterstützung gefreut
habe, so sehr bin ich über die Töne entsetzt, die Claudia
Roth gerade aus der Fraktion der Grünen entgegenschal-
len. Dann kam der Kanzler mit seiner Richtlinien-
kompetenz. Das Wort des Kanzlers kam und der Wille aus
den Reihen der Grünen, das zu vertreten, war blitzschnell
zu Ende. Der Kanzler hat auch gesagt, in Kürze werde

deutsches Militär dabei sein. Was ist das für ein Parla-
ment, dem nicht gesagt wird, was „in Kürze“ bedeutet?
Wann ist „in Kürze“? Was für deutsches Militär wird sich
beteiligen? Wenn man will, dass dieser Krieg unterbro-
chen wird, wenn man will, dass nicht weiter gebombt
wird, dann muss sich Deutschland nicht nur zurückhalten,
sondern auch deutlich Nein sagen. Ich halte dieses Wort
vom Kanzler – „in Kürze“ – für unverantwortlich. Ich
halte es auch für unverantwortlich, dass die Grünen ihren
eigenen Vorschlag, nämlich Unterstützung der Hochkom-
missarin, so schnell haben fallen lassen.


(Beifall bei der PDS – Rudolf Bindig [SPD]: Was hat denn die Hochkommissarin eigentlich gesagt?)


– „Zu unterbrechen“! Das ist alles nachlesbar.


(Rudolf Bindig [SPD]: Das hat sie eben nicht gesagt!)


Es wird nicht funktionieren, wenn man so damit um-
geht. Eine Doppelstrategie der Grünen – Fischer für die
Bomben und Claudia Roth zum Heilen des Elends hinter-
her – wird erst recht nicht aufgehen. Entweder ist man
geradlinig und sagt Nein zum Krieg, Nein zu den Bom-
ben, oder man hat für solche Vorschläge keine Glaubwür-
digkeit.


(Beifall bei der PDS – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehrcke hat 20 Jahre Nein zum Afghanistankrieg gesagt!)


– Ich weiß, dass ihr euch darüber aufregt. Es ist auch
meine Absicht, dass ihr euch aufregt. Ihr sollt euch end-
lich einmal am richtigen Punkt aufregen.


(Beifall bei der PDS – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Euch interessiert der Krieg nur, wenn die Amis ihn machen!)


Wer diesen Krieg unterstützt, der muss auch die Verant-
wortung für diesen Krieg tragen.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Was haben Sie denn vor 20 Jahren zum Afghanistankrieg gesagt, Herr Gehrcke?)


Ich darf Ihnen zum Schluss, damit Sie sich wieder ab-
regen können, die biblische Geschichte vom Menetekel,
das wir ja immer wieder zitieren, vorhalten, die Flam-
meninschrift an der Wand: mene, mene tekel. Gewogen,
geschätzt und für zu leicht befunden. Das ist das Ergebnis
Ihrer Politik: mene, mene tekel.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419507600
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Johannes Pflug.


Johannes Pflug (SPD):
Rede ID: ID1419507700
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Ausgangslage für die
heutige Aktuelle Stunde ist ein Rundfunkinterview der
Hochkommissarin Mary Robinson. Ich verweise darauf,
dass Frau Robinson bereits sehr schnell nach den ersten
Meldungen der Medien dementiert hat, die auch von
der PDS heute als Forderung nach einer Beendigung der

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Wolfgang Gehrcke

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(C)



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(A)



(B)


amerikanischen Luftschläge interpretierte Äußerung in der
veröffentlichten Form so gemacht zu haben. Frau Robinson
hatte dem irischen Radiosender RTE gegenüber erklärt:

Wir brauchen eine Pause, um humanitäre Hilfsak-
tionen im großen Rahmen starten zu können und eine
große Zahl afghanischer Flüchtlinge über die Gren-
zen zu lassen.

Dann folgte die Begründung für ihre Meinung.
Ich sage hier ganz deutlich: Ich habe diese Meinung ei-

ner in humanitären und Menschenrechtsfragen sehr enga-
gierten Hochkommissarin in keiner Weise zu kritisieren,
sondern ich bekunde Frau Robinson und ihrer Arbeit mei-
nen ausdrücklichen Respekt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage genauso deutlich: Ich fände es unverständlich,
wenn eine für Flüchtlingsfragen zuständige UN-Hoch-
kommissarin in dieser Situation eine andere Haltung
einnähme. Aber es gibt natürlich auch andere Sichtweisen
der gegenwärtigen Situation, ohne die humanitäre Seite
gering zu schätzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich kurz den russischen Gouverneur der Region Moskau
zitieren, den ich an diesem Montag in einem Vortrag in der
Gesellschaft für Auswärtige Politik hier in Berlin erlebt
habe. Herr Gromov war in den 80er-Jahren als General-
kommandeur der 40. Sowjetarmee in Afghanistan.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Der muss es ja wissen!)


– Ich gehe davon aus, dass er es weiß, Kollege
Gehrcke. – Er erklärte wörtlich, er sei mit allem einver-
standen, was die Amerikaner zurzeit an militärischen Ak-
tionen in Afghanistan durchführten, und halte diese auch
für richtig. Er sagte ferner, er halte den Einsatz von mobi-
len Luftlandeeinheiten für richtig, den Einmarsch von Bo-
dentruppen hingegen für falsch, weil auch die Sowjet-
union damals daran gescheitert sei – trotz 140 000 Mann
Bodentruppen in Afghanistan.

Worum es uns heute gehen sollte, ist eine Standort-
bestimmung und vor allem eine genaue Zielsetzung mit
Überprüfung der Frage, ob unsere Ziele erreichbar und ra-
tional sind. Wenn ich von „unseren Zielen“ spreche, dann
meine ich unsere in uneingeschränkter Solidarität mit den
Amerikanern gesetzten Ziele. Diese Ziele heißen: erstens
Festnahme oder Ausschalten von Osama Bin Laden,
zweitens Zerstörung oder zumindest nachhaltige Störung
des Terrornetzes von al-Qaida und drittens politische und
wirtschaftliche Hilfe beim Aufbau demokratisch funk-
tionsfähiger Strukturen in Afghanistan.

Diese Ziele sind vernünftig und erreichbar, wenn die
eingeleiteten militärischen Aktionen wie geplant fortge-
setzt werden. Natürlich ist auch in diesem Fall der Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten. Es ist
aber auch die Frage zu stellen, Kollege Gehrcke, was
wäre, wenn diese militärischen Operationen nicht statt-
fänden, und welche Alternativen wir eigentlich haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Um es gleich zu sagen: Die bloße Zurschaustellung
persönlicher Betroffenheit sowohl über die Terroran-
schläge in New York und Washington als auch über die
humanitäre Situation in Afghanistan und den angrenzen-
den Ländern sowie die verbale Verurteilung reichen nicht
aus. Sie sind eher Ausdruck persönlicher Befindlichkeit
als Ausdruck politischer Führung.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)


Humanitäre Hilfe und Hilfe bei der wirtschaftlichen
und demokratischen Entwicklung sind notwendig und
werden von keiner Seite bestritten. Diese Hilfe war schon
lange erforderlich, auch ohne die amerikanischen Militär-
schläge. Die humanitäre Katastrophe ist durch jahrelange
menschenverachtende Talibanmisswirtschaft, Unter-
drückung und Vergewaltigung von Menschenrechten, ins-
besondere derer von Frauen, Kindern, Alten, Kranken und
Schwachen, in dieser Gesellschaft der selbst ernannten
Gotteskrieger und Bin Ladens entstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das wäre die Alternative für die Menschen in Afghanistan
geblieben.

Unsere Alternative wäre es, auch zukünftig Mordan-
schläge mit Tausenden von Toten durch Flugzeugbom-
ben, Milzbranderreger, Giftgasanschläge oder sogar ato-
mare Bedrohung lautstark zu verurteilen und natürlich
durch Resolutionen und Anträge die Beseitigung der Ur-
sachen zu beschließen. Was Letzteres angeht, weiß ei-
gentlich jeder in diesem Hause, dass dies zumindest in
den nächsten Jahrzehnten, wenn überhaupt jemals, nicht
möglich ist – nicht weil wir nicht wollen, sondern weil an-
dere nicht wollen oder nicht können oder weil die Situa-
tion aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse in absehbarer
Zeit nicht änderbar ist.

Deshalb unterstützen wir weiterhin uneingeschränkt
die amerikanischen Operationen, solange sie rational und
nachvollziehbar und ihre Ziele erreichbar bleiben. Natür-
lich unterstützen wir auch jede vernünftige Form huma-
nitärer Hilfe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419507800
Ich darf an
dieser Stelle das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung bekannt geben. Mitgliederzahl 666. Abgegebene
Stimmen 602. Ungültige Stimmen 2. Mit Ja haben ge-
stimmt 497, mit Nein haben gestimmt 70, Enthaltungen
33. Frau Dr. Konstanze Wegner hat damit die erforderli-
che absolute Mehrheit von mindestens 334 Stimmen er-
reicht und ist zum Mitglied des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 aAbs. 2 der Bundeshaushaltsordnung gewählt
worden1).


(Beifall im ganzen Hause)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Johannes Pflug

19036


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Namensverzeichnis siehe Anlage 2

Nun darf der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff seinen
zweiten Anlauf nehmen. Ich erteile ihm das Wort. Er
spricht für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1419507900
Vielen
Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorgestern nahm der neue amerikanische Botschafter,
Daniel Coats, als Gast an der Fraktionssitzung der
CDU/CSU teil.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, großartig!)


Er stellte fest: Im Kampf für Freiheit und Sicherheit, ge-
gen Terror und Unterdrückung standen die Unionspar-
teien immer uneingeschränkt und ohne Vorbehalt an der
Seite der Vereinigten Staaten.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja euer Problem!)


Er fügte wörtlich hinzu:

An der Verlässlichkeit der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion hat es für uns noch nie den geringsten Zwei-
fel gegeben.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das musste einmal gesagt werden! – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fehlten da nicht etliche Stimmen?)


Zum Glück war Daniel Coats bei uns zu Gast und nicht
bei den Koalitionsfraktionen; denn an der Verlässlichkeit
der Grünen und leider auch der SPD sind erhebliche
Zweifel angebracht.


(Zuruf von der SPD: Bei uns hat er dasselbe gesagt!)


Die Parteivorsitzende und zahlreiche Landesverbände
der Grünen, aber auch Abgeordnete, Orts- und Kreisver-
bände der SPD fordern unter Berufung auf humanitäre
Motive eine Unterbrechung des Militäreinsatzes gegen
das Netzwerk des Terrors in Afghanistan. Sie stellen sich
mit der Arroganz der Friedensbewegung gegen den
Kampf der Vereinigten Staaten und der zivilisierten Welt
für Freiheit, Sicherheit und Menschenwürde.

Es gibt eben keinen Gegensatz zwischen dem Kampf
gegen Terroristen und der Hilfe für die unterdrückte Be-
völkerung. Im Gegenteil: Zur konsequenten Zerschla-
gung terroristischer Strukturen auch mit militärischen
Mitteln gibt es keine Alternative; denn erst sie schafft die
Voraussetzungen für Nahrungsmittelhilfe, medizinische
Hilfe und den Aufbau einer menschenwürdigen Gesell-
schaft. Wir sind deshalb moralisch verpflichtet, dem men-
schenverachtenden Terrorismus Bin Ladens mit großer
Klugheit, mit aller Entschiedenheit, mit allen Mitteln und
ohne jeden Verzug die Grundlage zu entziehen. Wir dür-
fen nicht zulassen, dass Lebensmittel und Hilfsgüter in die
Hände von al-Qaida geraten und für deren Ziele instru-
mentalisiert werden.

Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Taliban als Un-
terstützer des Terrors reorganisieren und ihre Macht wie-
der festigen. Wir dürfen keinen Zweifel an der Entschlos-

senheit aufkommen lassen, dieses Regime so schnell wie
möglich zu Fall zu bringen. Nur ein Afghanistan, das nicht
als Operationszentrale des Terrorismus fungiert, hat Zu-
kunft. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Kampf gegen
das Netzwerk Bin Ladens als Ursache für die humanitäre
Katastrophe in Afghanistan dargestellt wird.

Der Bundeskanzler und der Außenminister haben zu
der Forderung, die Angriffe zu unterbrechen, unzweideu-
tig Stellung genommen. Wir unterstützen ihre Haltung
ohne Abstriche. Das gilt auch für die Position, die der Kol-
lege Pflug vorhin vorgetragen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Allerdings dürfen der Bundeskanzler und der Außen-
minister nicht zulassen, dass Politiker der SPD und der
Grünen einer zynischen Propaganda des Terrors auf den
Leim gehen. In Richtung PDS, lieber Kollege Gehrcke,
und in Richtung der Parteivorsitzenden von Bünd-
nis 90/Die Grünen, Frau Roth, sage ich: Ihr Pazifismus ist
nicht nur naiv, sondern auch unmoralisch, weil er der Be-
seitigung von Unrecht, Terror und menschlichem Leid
entgegensteht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie denn überhaupt nachgelesen, was sie gesagt hat? – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diffamierung gehört immer dazu!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419508000
Ich gebe der
Kollegin Rita Grießhaber für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419508100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was hat Mary
Robinson denn gemacht? Die UN-Hochkommissarin für
Menschenrechte hat, was ihre Aufgabe ist, auf die große
Not der flüchtenden und hungernden Menschen in Afgha-
nistan hingewiesen. Laut Reuters vom 12. Oktober hat sie
gesagt:

Ich habe zu keinem Zeitpunkt zu einer Pause in der
Militäraktion in Afghanistan aufgerufen.

Bezogen auf Präsident Bush sagte sie:

... ich hörte heute Morgen, dass es eine Suspendie-
rung der Angriffe geben könnte. Ich hoffe sehr, dass
dies zutrifft, sodass man sich auf die Rettung von
Hunderttausenden von Menschenleben konzentrie-
ren kann. Wir haben ein Window of Opportunity ...
Äußerungen mehr politischer Natur würde ich dem
Generalsekretär überlassen, der für die VN als
Ganzes spricht.

So weit Mary Robinson.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist doch kein Unterschied!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(D)



(A)



(B)


In der Tat ist die humanitäre Situation in Afghanistan
katastrophal; aber diese Katastrophe hat Jahrzehnte vor
dem 11. September 2001 begonnen und sie hat sich seit
der Herrschaft der Taliban verschärft. Wer hat denn selbst
den Witwen die Möglichkeit genommen, für sich und ihre
Kinder das Brot zu verdienen? Wer hat denn jahrelang
Mohn statt Weizen anbauen lassen? Wer hat mit den letz-
ten Schikanen die Arbeit der internationalen Hilfsorgani-
sationen behindert?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist unstrittig!)


Das waren die Taliban.

Die Taliban haben die Bevölkerung geschunden. Sie
haben die Minderheiten brutal verfolgt und – jetzt kommt
das Wichtigste in dieser Reihe, Herr Gehrcke – sie haben
sich mit dem Terrornetz Bin Ladens verbrüdert. Nun gilt
zweierlei: Es gilt, die humanitäre Situation in Afghanistan
zu verbessern – die Bundesregierung als Vorsitzende der
Support Group für Afghanistan tut wirklich alles Erdenk-
liche –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und es gilt, dem internationalen Terrorismus die Operati-
onsbasis zu entziehen. Je schneller das Taliban-Regime
fällt, desto nachhaltiger kommt man beiden Zielen näher.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/ CSU)


Die Bombardierung der militärischen und terroristi-
schen Infrastruktur ist doch kein Selbstzweck. Wenn dies,
wie einige behaupten, Aktionen der Rache und der Ver-
geltung wären – das sind sie eben nicht –, dann könnte
man sie ganz leicht abbrechen. Da ihr Ziel aber ein ande-
res ist, muss auch die notwendige humanitäre Hilfe so ge-
leistet werden, dass sie machbar ist und bei den Menschen
ankommt. Selbst die Vertreter der Welthungerhilfe, die
Hilfskorridore gefordert haben, haben auf Nachfrage zu-
gegeben, dass diese Korridore selbstverständlich abgesi-
chert werden müssten. Wie sollte das aussehen?

Wir alle wollen, dass der Bevölkerung in Afghanistan
geholfen wird. Wir hoffen sehr, dass die Militäraktionen
bald zu dem Erfolg führen, dass die Terroristen gefasst
werden und der Terror in Afghanistan keine Basis mehr
hat, damit das Window of Opportunity, das sich Mary
Robinson wünscht, sobald wie möglich Wirklichkeit
wird.

Wir wollen aber auch, dass alles Notwendige getan
wird, damit, wie es in der Resolution der Vereinten Na-
tionen heißt, der Weltfrieden und die internationale Si-
cherheit durch diesen Terror nicht weiter gefährdet wer-
den.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419508200
Nun spricht
für die FDP-Fraktion der Kollege Ulrich Irmer.


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1419508300
Vielen Dank, Herr Präsident! Es
ist nicht das erste Mal, dass ich bei einer Rede von Frau
Grießhaber von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen sagen kann: Das hätte ich genauso sagen können.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das stimmt!)


Nur, Frau Grießhaber, Sie haben hier das falsche Publi-
kum angesprochen. Halten Sie diese Rede einmal vor den
Gremien Ihrer grünen Partei! Ich möchte einmal sehen,
was dann da passiert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tue ich!)


Wir alle hier sind schon katholisch.

Ich möchte insbesondere eines unterschreiben, was
Sie, Frau Grießhaber, gesagt haben: Eine Unterbrechung
der Luftschläge in Afghanistan gegen den Terrorismus
würde nichts anderes bedeuten als eine Fortsetzung und
Stärkung des verbrecherischen Talibanregimes, das ur-
sächlich für die Flüchtlingsströme ist, die es ja nicht erst
seit gestern bzw. vorgestern gibt, sondern die aufgrund ei-
nes jahrelangen Terrorregimes im Inneren von Afghanis-
tan entstanden. Die armen Menschen hatten keine andere
Wahl mehr, als jenseits der Grenzen Zuflucht zu suchen.

Meine Damen und Herren, wir haben es hier mit einem
Höchstmaß an Heuchelei zu tun. Die PDS sagt, sie sei pa-
zifistisch.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ich bin kein Pazifist!)


Wir hatten ja schon einmal einen Afghanistankrieg. Was
haben Sie denn in den 80er-Jahren gesagt, als die Sowjet-
union Afghanistan besetzt hat?


(Angela Marquardt [PDS]: Da war ich 9 Jahre alt!)


Ich möchte einmal wissen, wie Sie zu Ihrem Pazifismus
kommen. Sie spielen sich hier doch immer so auf als die-
jenigen, die für die kleinen Leute eintreten. Wissen Sie,
was die kleinen Leute wollen, auch hier in Deutschland?


(Zurufe von der PDS: Frieden!)


Sie wollen, dass der Terrorismus mit Stumpf und Stiel
ausgerottet wird, damit sie wieder ruhig schlafen können
und keine Angst mehr vor Terrorangriffen


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


entweder durch Flugzeuge und Bomben von außen oder
durch Briefchen mit biologischen Kampfstoffen im Inne-
ren haben müssen. Fragen Sie doch einmal Ihre Leute, was
die dazu sagen, dass Sie dem Terrorismus helfen wollen,


(Angela Marquardt [PDS]: Das ist ja wohl eine Frechheit! – Zuruf von der PDS: Unverschämtheit!)


indem Sie ihn nicht entschlossen genug bekämpfen.


(Widerspruch bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Rita Grießhaber

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(B)


Wer den Terrorismus nicht entschlossen genug zu
bekämpfen bereit ist, hilft ihm. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns! Das ist Ihre Ideologie!)


Wir werden ja sehen, ob Ihre Wähler, die einfachen Leute,
Ihnen am Sonntag vielleicht dafür die Quittung erteilen.

Aber was ist bei den Grünen geschehen, meine Damen
und Herren? Claudia Roth fährt nach Pakistan, geht aber
nicht in die Flüchtlingslager, sondern setzt sich in die Glit-
zerhalle eines Luxushotels und empfängt einige wohl-
genährte und gut gekleidete Repräsentanten von Organi-
sationen.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Irmer, wie machen Sie denn Ihre Auslandsreisen?)


Was ist sie, als sie zurückkommt? – Betroffen. Sie ist so
tief betroffen, wie es nur jemand sein kann, der in Wahr-
heit nicht betroffen ist. Wir müssen uns diese Vokabel ein-
mal auf der Zunge zergehen lassen. Betroffen sind näm-
lich immer diejenigen, die es nicht getroffen hat, die fein
in Sicherheit sind und dem Rest der Welt die moralischen
Maßstäbe vorgeben wollen. So sieht Ihre Betroffenheit
aus!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daraufhin machen Sie solche unsinnigen Vorschläge.
Frau Roth hat das doch bloß getan, um die Leute aufzu-
fangen, die jetzt zur PDS überlaufen könnten. Davor hat
sie Angst, denn die Grünen vertreten ja offiziell die frie-
densbewegte Bevölkerung nicht mehr. Das fällt für mich
unter den Begriff „Heuchelei“.

Sorgen Sie doch einmal für Ordnung in Ihren eigenen
Reihen. Von Ihrer grünen Basis aus der Provinz – Sie wer-
den sagen: Das hat nichts zu bedeuten – kommen Vor-
schläge, der Bundesaußenminister solle jetzt den Ameri-
kanern ins Gewissen reden, dass sie endlich mit diesen
Luftschlägen aufhören.


(Zuruf von der PDS: Richtig!)


Das stößt auf weite Zustimmung in der grünen Basis. Sie,
Frau Grießhaber, müssen trotz allem Respekt und aller
Wertschätzung, die ich für Sie persönlich – Sie wissen,
dass ich hier nicht die Unwahrheit sage, eigentlich nie –
hege,


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sehen die Sache nur zu unproblematisch!)


schon einmal erklären, wie sich denn das, was Sie hier ge-
sagt haben, mit dem verträgt, was landauf, landab an Ih-
rer grünen Basis an Moralismus gepflegt und gepredigt
wird. Das müssen die Grünen hier erklären.


(Beifall bei der FDP)


Ich weiß nicht, ob Herr Lippelt, der nachher noch spricht,


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mein Lieber!)


die richtige Persönlichkeit ist, um das hier deutlich zu ma-
chen. Der Außenminister hat sich ja eindeutig geäußert.
Wie ist es denn um die Verlässlichkeit innerhalb einer Ko-
alition bestellt,


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der diskutiert wird!)


in der dem einen Partner in dieser wesentlichen nationa-
len und internationalen Frage offensichtlich die Basis
wegbricht? Dazu müssen Sie sich noch äußern.

Wir müssen für die Zeit nach dem Krieg Konzepte für
Afghanistan entwickeln. Unser Fraktionsvorsitzender,
Wolfgang Gerhardt, hat unsere Überlegungen gestern der
Öffentlichkeit vorgestellt. Die Vereinten Nationen müs-
sen hier eine große Verantwortung übernehmen. Wir ver-
langen für den Wiederaufbau nach dem Krieg einen Ho-
hen Beauftragten der Vereinten Nationen für Afghanistan.
Natürlich muss Afghanistan sein Schicksal in die eigene
Hand nehmen. Auf längere Sicht muss es hier zu demo-
kratischen Wahlen kommen, an der sich alle Bevölke-
rungsgruppen beteiligen müssen. Es muss aber auch klar
sein: Ohne eine internationale Unterstützung wird es ei-
nen Neuanfang in Afghanistan nicht geben können. Die
Vereinten Nationen sind hier gefordert. Genauso, wie wir
jetzt bei der Notwehr gegen den Terrorismus in großer und
uneingeschränkter Solidarität zu den Vereinigten Staaten
stehen, so müssen wir – als Deutsche und in der Europä-
ischen Union – nachher auch in Afghanistan Hilfe leisten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419508400
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Hans-Peter
Bartels.


Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1419508500
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In einer offenen Gesellschaft,
die pluralistisch und demokratisch organisiert ist, kann
die Regierung noch so uneingeschränkt entschlossen auf-
treten und die Zustimmung der Bevölkerung und des Par-
laments zur Politik der Regierung kann noch so groß sein:
Es wird immer auch abweichende Stimmen geben, zum
Beispiel die der PDS. Das ist das Kennzeichen der offe-
nen Gesellschaft und dafür verteidigen wir sie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Widerspruch, Diskussion, Meinungsstreit und Demons-
trationsrecht – das sind die Freiheiten, die politische und
religiöse Fanatiker jeder Art immer wieder mit Mord, Ter-
ror und Krieg bekämpft haben.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


Es ist die Pflicht der Demokraten, solchem Terror wirk-
sam entgegenzutreten.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Richtig!)


Wenn es nötig ist – in letzter Konsequenz –, auch mit Waf-
fengewalt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Ulrich Irmer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen
machen: Im nun zu Ende gegangenen 20. Jahrhundert hat
die Welt schlimme und tödliche Erfahrungen mit tota-
litären Ideologien und Regimen gemacht – auch in
Deutschland und von Deutschland aus. Jeder kann wis-
sen, was Unfreiheit bedeutet. Wir wissen aus unserer ei-
genen Geschichte: Gegen die Feinde der Freiheit hilft Ap-
peasementpolitik nicht. Deshalb darf es keinen
Unterschlupf und kein sicheres Hinterland für weltweit
konspirierende Terroristengruppen geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Beihilfe zum Terror und Schutz der Terroristen durch
einzelne Länder sind nicht hinzunehmen. Womit auch im-
mer Terrorgruppen ihre Menschenverachtung zu legiti-
mieren versuchen: Es ist die Heilserwartung, der sie die-
nen, der Führer, dem sie folgen, es ist ihr extremistisches
Weltbild und nicht die Welt, die ihren Taten Sinn gibt. Es
gibt keine Rechtfertigung für totalitären Terror.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Für anderen auch nicht!)


Bei der Bekämpfung terroristischer Gefahren für den
Weltfrieden richten wir uns, wie Bundespräsident Rau in
seiner Ansprache in Berlin gesagt hat, nicht gegen eine
Religion, nicht gegen ein Volk und nicht gegen eine Kul-
tur. Zu bekämpfen ist der mörderische und selbstmörderi-
sche Fanatismus organisierter Gruppen, die Freiheit und
Demokratie gewaltsam auslöschen wollen.

In der Friedensbewegung zu Zeiten des Kalten Krieges
gab es einen Slogan, der lautete: „Stell dir vor, es ist
Krieg, und niemand geht hin.“ Das ist eine richtige und
wichtige Kontrollüberlegung. Krieg fällt nicht vom Him-
mel, sondern er ist immer menschengemacht. Menschen
entscheiden selbst. Aber eben nicht jeder für sich allein.
Niemand ist deshalb sicher vor Gefahr, weil er selbst für
andere keine Gefahr darstellen will. Den alten Slogan aus
den 80er-Jahren gibt es deshalb auch mit einem Nachsatz:
„Stell dir vor, es ist Krieg, und niemand geht hin. Dann
kommt der Krieg zu dir.“ So war das am 11. Septem-
ber 2001. Das Schlimmste wäre, dann nichts gegen den
Terror tun zu können, wie das Kaninchen vor der
Schlange zu sitzen und vor Angst zu erstarren. Die Welt-
gemeinschaft kann aber etwas tun. Wir können und müs-
sen mehr tun, als nur besorgt und beunruhigt und irgend-
wie solidarisch mit den Opfern zu sein.

Bereits 1998 hat der UNO-Sicherheitsrat in seiner Re-
solution 1214 gesagt, er sei „äußerst beunruhigt darüber,
dass Afghanistans Hoheitsgebiet, insbesondere die von
den Taliban kontrollierten Gebiete, nach wie vor zur Be-
herbergung und Ausbildung von Terroristen und zur Pla-
nung terroristischer Handlungen benutzt wird.“ 1999
heißt es in der UNO-Sicherheitsratsresolution 1267, dass
der Sicherheitsrat die Tatsache missbilligt, „dass die Tali-
ban Usama Bin Laden weiterhin Zuflucht gewähren und
es ihm und seinen Mithelfern ermöglichen, von den durch
die Taliban kontrollierten Gebieten aus ein Netz von
Ausbildungslagern für Terroristen zu betreiben und
Afghanistan als Stützpunkt für die Förderung internatio-
naler terroristischer Operationen zu benutzen.“ Das war
1999, nach den Terroranschlägen auf die US-Botschaften
in Nairobi und Daressalam.

Erst nach den noch fürchterlicheren Anschlägen auf
das World Trade Center in New York und das Pentagon in
Washington und auf der Grundlage einer weiteren UNO-
Resolution wird jetzt Gewalt angewendet, um den Terro-
risten ihre Operationsbasis zu entziehen. Was hätte denn
sonst die Antwort sein sollen? Was wäre die Alternative
zu Nichtstun?

Erhard Eppler hat im Zusammenhang mit dem Ko-
sovo-Krieg einmal sinngemäß gesagt: Man wird schuldig,
wenn man Gewalt anwendet, aber manchmal lädt man
größere Schuld auf sich, wenn man es nicht tut. Dies ist
heute so. Deshalb unterstützen wir die USA und die Welt-
gemeinschaft im Kampf gegen den Terror.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419508600
Für die
CDU/CSU-Fraktion gebe ich dem Kollegen Paul Breuer
das Wort.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1419508700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die PDS hat diese Aktuelle Stunde un-
ter dem Motto „Haltung der Bundesregierung zur Forde-
rung der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte
nach einer Pause der Luftangriffe auf Afghanistan“ ver-
langt. Es ist hochinteressant, was man feststellt, wenn
man einmal danach fragt: Was hat denn Mary Robinson
eigentlich gesagt? Sie, Herr Gehrcke, haben hier praktisch
so getan, als ob Sie die Übersetzung für das liefern, was
Mary Robinson gesagt hat.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist doch nicht schlecht, oder?)


Ich will versuchen, darzustellen, was sie gesagt hat.

Sie hat zum Ersten gesagt, sie möchte eine Unterbre-
chung des Bombens, um Hilfe zu gewährleisten, bevor
der Winter einsetzt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ja! Das habe ich gesagt!)


– Warten Sie ab. – Sie hat zum Zweiten gesagt: Nun gibt
es einen militärischen Einsatz und ich verstehe die
Gründe.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ja, und?)


Sie hat zum Dritten gesagt, sie wolle nicht sehen, dass die
Zivilbevölkerung in Afghanistan indirekt zum Opfer des-
sen wird, was am 11. September in Amerika geschehen ist.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das deckt sich doch mit dem, was ich gesagt habe!)


Bitte schauen Sie sich dies im Zusammenhang an. Sie
hat gesagt, sie verstehe die Gründe der militärischen Ak-
tion. Wir haben hier doch sehr deutlich gemerkt, dass Sie
überhaupt nicht bereit sind, die Gründe zu verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Wolfgang Gehrke [PDS]: Man kann Gründe verstehen, auch wenn man sie für falsch hält!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Hans-Peter Bartels

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben von Anfang an – Herr Kollege Gehrcke, das gilt
für die ganze PDS – versucht, in diese Position zu schlüp-
fen, ohne irgendeine Alternative auf den Tisch zu legen,
und haben geglaubt, Sie könnten damit die moralisch bes-
sere Position in Deutschland übernehmen. Ich spreche Ih-
nen diese Position ab. Ich spreche sie Ihnen insbesondere
ab, weil Sie versuchen, Zeugen für Ihre Position in An-
spruch zu nehmen, die sich dafür absolut nicht eignen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sie haben sich ja selbst widerlegt!)


Nun noch einmal zu Mary Robinson. Sie hat gesagt, sie
möchte nicht sehen, dass die Zivilbevölkerung indirekt
zum Opfer wird. Glauben Sie denn, irgendjemand hier im
Deutschen Bundestag möchte dies? Niemand möchte,
dass die Zivilbevölkerung in Afghanistan indirekt zum
Opfer der Folgen des 11. September wird. Auf eines müs-
sen wir doch Wert legen, und zwar auf die Feststellung,
wer den 11. September verursacht hat. Ich habe den Ein-
druck, dass Ihnen die Taliban und Bin Laden und deren
Wohl wesentlich wichtiger sind als die tatsächlichen Fol-
gen des 11. September und insbesondere die Opfer des
11. September in den Vereinigten Staaten von Amerika.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sie wissen doch, dass das Unsinn ist! Schlichtweg Unsinn!)


Ich möchte mir noch ein paar Gedanken über die Si-
gnale machen, die von der Bundesregierung und der sie
tragenden Koalition ausgehen. Diese Debatte leidet ein
Stück darunter, dass insbesondere für die Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen Abgeordnete reden, die nicht die
Position ihrer Parteivorsitzenden vertreten.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da irren Sie! Da irren Sie sehr!)


Wenn ich mir genau anschaue, wie Claudia Roth argu-
mentiert hat, so stelle ich fest: Sie ist dabei, die vom Bun-
deskanzler, vom gesamten Haus mit Ausnahme der PDS
und von der rot-grünen Koalition beschworene uneinge-
schränkte Solidarität auf eine absolut eingegrenzte Solida-
rität zu reduzieren, sofern dies überhaupt noch als Solida-
rität bezeichnet werden kann. Das erzeugt nicht nur
Schaden im Inneren Deutschlands; das erzeugt auch außer-
halb Deutschlands Schaden. Es geht nämlich nicht nur um
Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Sie ist angesagt;
wir Deutschen müssen ganz speziell dankbar sein. Es geht
auch um unsere eigenen Interessen. Wir können es nicht
verantworten, dass in der Bekämpfung des internationalen
Terrorismus diejenigen, die jetzt in jeder Hinsicht Verant-
wortung übernehmen, dabei allein gelassen werden.

Ich bin davon überzeugt – ich weiß es –, dass nicht nur
in den Vereinigten Staaten von Amerika sehr genau regis-
triert wird, in welcher Art und Weise die deutsche Bun-
desregierung und die sie tragende Koalition agieren, son-
dern dass dabei auch die Frage einer Orientierung bei uns
im Land auf dem Prüfstand steht. Wir haben seit Bestehen
der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Ge-
brauch des Militärischen eine hervorragende Tradition
mit großem Erfolg, aber wir stehen an einer Wegscheide.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das ist wahr!)


Wir stehen vor der Entscheidung, einem Angriff auf die
gesamte zivilisierte Welt, also auch auf uns, dadurch zu
begegnen, dass wir die bisher bezogene Haltung fort-
schreiben müssen. Das heißt, einem Angriff, der letztend-
lich auch auf uns erfolgt ist, eine Antwort weit außerhalb
der eigenen Reichweite entgegenzusetzen. Dafür bedarf
die deutsche Bevölkerung der Orientierung. Eine Bun-
desregierung, die in dieser Art und Weise, wie das jetzt in
weiten Teilen der Grünen geschieht, reagiert, gibt dafür
nicht die richtige Orientierung.

Die PDS betreibt das Spiel mit der Angst. Das ist das
Schlimmste, was man überhaupt tun kann. Ich finde es
entsetzlich. Wir brauchen eine klare Orientierung der
deutschen Politik im Sinne der eigenen Interessen. Dafür
stehen CDU und CSU sowie die FDP, wie ich feststelle,
zusammen mit den Teilen der Koalition, die tatsächlich
uneingeschränkte Solidarität üben wollen.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419508800
Das war ein
guter Schlusssatz.

Jetzt gebe ich dem Kollegen Dr. Helmut Lippelt das
Wort.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419508900

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gehrcke, Sie haben gesagt – ich habe es mir notiert –,
durch diese Art Krieg schaffe man Märtyrer. Ihr Problem
ist, dass Sie die Sache nicht genau verfolgen. Atta flog
ohne jeglichen Krieg mit anderen gegen die Türme und
veranstaltete einen Massenmord – in der Meinung, dass er
dadurch Märtyrer würde. Sie müssen sich wirklich ein
bisschen mit der Psychologie des Fanatismus, mit islamis-
tischer Psychologie und Theologie vertraut machen, statt
uns hier einen solchen Unsinn zu erzählen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt gehe ich auf die Frage nach der Haltung der Bun-
desregierung, die die PDS gestellt hat, ein. Die Antwort
richtet sich auch an andere Adressaten.

Erstens. Die Haltung der Bundesregierung und der sie
tragenden Parteien ist klar.


(Ulrich Irmer [FDP]: Ja, die der Bundesregierung!)


Der Kanzler sprach von uneingeschränkter Solidarität;
niemand von uns hat dem widersprochen. Das ist auch die
Haltung der die Bundesregierung tragenden grünen Partei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens. Der Außenminister fliegt sofort in den Na-
hen Osten, besucht wie gerade jetzt die Länder der Re-
gion, um die Antiterrorismuskoalition zu festigen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ist das bei den Grünen anders, Herr Kollege Lippelt?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Paul Breuer

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Lassen Sie mich erst einmal als Grüner sprechen. Ich
glaube, ich kann für die Grünen besser sprechen als Sie.


(Beifall bei der SPD – Paul Breuer [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen ist es anders!)


– An dem Zwischenergebnis, das es in Nordrhein-West-
falen gegeben hat, werden Sie sich ewig festhalten. Die-
ses Zwischenergebnis ist von der Fraktion nicht über-
nommen worden.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist der größte Landesverband!)


Deshalb sage ich: Für die Partei und die Bundestags-
fraktion darf ich jetzt hier sprechen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Und die Vorsitzende?)


Deshalb kommen wir jetzt zu der Äußerung von Mary
Robinson. Herr Breuer, in diesem Punkt stimme ich mit
Ihnen überein. Sie haben sie sehr differenziert betrachtet.
Damit bin ich völlig einverstanden. Ich kann dazu nur sa-
gen: Das Problem der PDS ist natürlich, dass sie den Ziel-
konflikt,


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Den gibt es gar nicht!)


nämlich einerseits den Terrorismus zu bekämpfen und an-
dererseits die Bevölkerung vor dem Verhungern zu be-
wahren, überhaupt nicht reflektiert. Sie richtet sich nur an
einer Linie aus. Sie muss sich aber mit dem Zielkonflikt
auseinander setzen. Das hat sie nicht getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


Jetzt wende ich mich an die andere Seite des Hauses,
an die FDP. Sie machen viel Aufheben um Claudia Roth.
Sie sprechen von Mary Robinson und spielen dabei über
die innenpolitische Bande, weil Sie damit Claudia Roth
meinen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie hat es doch gesagt! Entschuldigung, dass ich sie zitiere!)


Dazu sage ich ganz klar: Ihrem Vorsitzenden springt doch
die Begehrlichkeit, in die Koalition einzutreten, aus sämt-
lichen Knopflöchern.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seien Sie also ganz ruhig! Sie wollen die Zuverlässigen
sein und wir sollen die etwas Problematischen sein.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die Lust an der Koalition springt Ihnen nicht aus den Knopflöchern?)


Ich sage Ihnen: Je entschiedener die Bundesregierung
zu dem übergeordneten Zweck des Kampfes gegen den
Terrorismus steht,


(Ulrich Irmer [FDP]: Desto mehr kann Claudia Roth aus der Reihe tanzen!)


je deutlicher die Regierungsparteien sie hierin unterstüt-
zen, umso klarer darf die Frage nach der Angemessenheit
der Mittel und nach der Zielgenauigkeit gestellt werden.
Wenn man den Kampf gegen den Terrorismus klar unter-
stützt, dann darf man problematische Dinge als proble-
matisch bezeichnen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sonst nicht? – Ulrich Irmer [FDP]: Sie hat aber eine Feuerpause gefordert!)


– Über die Feuerpause habe ich doch schon gesprochen.
Darüber mag Mary Robinson so denken; die Bundes-
regierung hat in dieser Frage eine andere Meinung und
wir unterstützen sie darin.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Es wäre falsch, durch eine Feuerpause den Erfolg der In-
tervention und damit das Zerschlagen dieses Regimes zu
gefährden. Für diese Intervention gibt es ein „window of
opportunity“, ein Zeitfenster. Der Bundeskanzler, die
Fraktion und auch ich unterstützen eine Feuerpause nicht.

Sie müssen allerdings wissen, was Claudia Roth wirk-
lich gesagt hat. Sie hat gesagt – jetzt hören Sie einmal zu –:
Erstens. Wir stehen in Solidarität zu Amerika.


(Ulrich Irmer [FDP]: Sie eiern!)


Zweitens. Wir sind ein Teil dieser Solidarität. Drittens.
Aus all diesen Gründen unterstützen wir die Forderung
von Mary Robinson.

Sie können nun behaupten, dass dies ein Widerspruch
sei. Dazu sage ich Ihnen aber Folgendes – das ist das an-
dere Argument –:


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Unterstützen Sie Frau Roth oder den Bundeskanzler?)


Was erwarten die Menschen im Lande von dieser Koali-
tion? – Sie wollen eine nachdenkliche Koalition, aber
nicht eine Koalition, die keine Fragen stellt.


(Ulrich Irmer [FDP]: Dafür ist Claudia Roth zuständig? Wunderbar!)


– Nein, nicht sie ist dafür zuständig;


(Ulrich Irmer [FDP]: Aha!)


wir alle sind dafür zuständig. Verteidigen Sie die Streu-
bomben? Wir meinen, dass wir über die Mittel diskutie-
ren müssen. Dabei ist klar, dass sich die Regierung und die
sie tragenden Parteien solidarisch verhalten. Deshalb kön-
nen wir es uns erlauben, über Zielgenauigkeiten und Mit-
tel zu diskutieren.

Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass die Bevöl-
kerung ein Recht auf eine nachdenkliche Koalition hat.
Die Regierung braucht keinen Koalitionspartner, der nur
die Hacken zusammenschlägt und zu allem Ja sagt. Des-
halb: So schnell sind Sie noch lange nicht an Ihrem Ziel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sie haben geeiert! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Alle Klarheiten beseitigt!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Helmut Lippelt

19042


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Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419509000
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Petra Bläss.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419509100
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Kollege Irmer, Sie haben be-
hauptet, wer die Unterbrechung des Bombardements und
die Beendigung des Krieges fordere, würde dem Terroris-
mus helfen.


(Ulrich Irmer [FDP]: Ja, leider!)


Ich weise eine solche unsachliche Unterstellung zurück,
weil sie dem Ernst der Lage nicht angemessen ist.


(Beifall bei der PDS)


Sich gegen den Einsatz militärischer Mittel auszuspre-
chen steht nicht automatisch im Widerspruch zu einer tief
empfundenen Solidarität mit den Opfern des menschen-
verachtenden Anschlags in den Vereinigten Staaten und
auch nicht zu der Forderung, dass die Urheber dieses ter-
roristischen Aktes gefunden und angemessen bestraft
werden müssen.


(Beifall bei der PDS – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Mit welchen Mitteln?)


Aber wir müssen einen Schritt nach dem anderen gehen.

Herr Kollege Schockenhoff, Sie sprechen von der Ar-
roganz der Friedensbewegung. Auch das weise ich mit
aller Entschiedenheit zurück.


(Beifall bei der PDS – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Moralische Arroganz! Das ist unmoralisch, was die Friedensbewegung macht! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Sind Sie die Friedensbewegung?)


Politikerinnen und Politiker, das heißt, wir alle, müssen
die existenziellen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land ernst nehmen, vor allem die Angst der jun-
gen Generation vor einem Krieg, vor einem Weltbrand.


(Beifall bei der PDS)


Herr Kollege Breuer, Sie unterstellen uns, es gehe uns
um die bessere Moral. Ich denke, im Moment geht es in
der Welt um Krieg und Frieden.


(Beifall bei der PDS – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie fallen der Erzwingung des Friedens in den Arm!)


Ich möchte darauf verweisen, dass die PDS im Rahmen
der interfraktionellen Gespräche, die es in den vergan-
genen Jahren in diesem Hause gab, sehr wohl dafür
eingetreten ist, dass die Bundesregierung gegen die Men-
schenrechtsverletzungen des terroristischen Talibanre-
gimes aktiv wird. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt.


(Ulrich Irmer [FDP]: Ist ja toll!)


Afghanistan steht am Rande einer humanitären Kata-
strophe. Wenn die Bombardements weitergehen, können
die Hilfsorganisationen keine Lebensmittel, Medika-

mente und Bekleidung mehr ins Land bringen und die
Menschen nicht mehr erreichen,


(Ulrich Irmer [FDP]: Es sind doch die Taliban, die sie ausplündern!)


und das kurz vor Einbruch des Winters. Mein Fraktions-
kollege Carsten Hübner befindet sich im Moment noch in
Pakistan. Ihm wurde bestätigt, dass das UN-Kinderhilfs-
werk UNICEF damit rechnet, dass bis zu 100 000 Kinder
an Kälte und Unterernährung sterben müssen, wenn jetzt
nicht schnell Hilfe erfolgt. Dramatisch ist, dass in Afgha-
nistan etwa 1 Million Menschen innerhalb des Landes auf
der Flucht sind und gar nicht bis an die Grenzen kommen.
Deshalb müssen die internationalen Hilfsorganisationen
wieder im Land arbeiten können.


(Beifall bei der PDS)


Das können sie aber nicht, solange bombardiert wird.

Dramatisch ist auch, dass die Arbeiten im Rahmen des
Minenaktionsprogramms der Vereinten Nationen fast
gänzlich unterbrochen werden mussten. Die Zivilbevöl-
kerung flieht nun vor den Bomben in Gebiete, die noch
nicht entmint sind. In Afghanistan liegen noch 230 000 Anti-
Personen-Minen, dazu kommen 10 000 Anti-Panzer-Mi-
nen und 1,5 Millionen weitere nicht identifizierte Spreng-
körper.

Mit der von der UN-Hochkommissarin Mary Robinson
geforderten Unterbrechung der Bombardements


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Für den Winter!)


könnte zumindest die allergrößte humanitäre Katastrophe
abgewendet werden. Zudem muss der Druck auf die UN-
Mitgliedstaaten erhöht werden, die dem UNHCR schnelle
Hilfe für die Arbeit in der Region versprochen haben. Von
den bereits zugesagten 50 Millionen Dollar sind nach An-
gaben des UNHCR erst 12 Millionen Dollar gezahlt wor-
den. Wir fordern außerdem Gespräche mit dem UNHCR
über eine schnelle Aufnahme von afghanischen Flüchtlin-
gen in der Bundesrepublik.

Besonders dramatisch – es ist bereits darauf verwiesen
worden – ist die Situation der Frauen in Afghanistan. Sie
leiden unter dem menschenverachtenden Talibanregime
am allermeisten. Erst seit kurzem nimmt die Weltöffent-
lichkeit zur Kenntnis, dass ihnen der Zugang zu Bildung
und Beruf verwehrt wird. Mädchen dürfen nicht zur
Schule gehen, Frauen müssen sich ganz verschleiern, dür-
fen ohne männliche Begleitung nicht einmal das Haus
verlassen.


(Ulrich Irmer [FDP]: Das wird durch die Feuerpause alles anders!)


Medizinische Behandlung gibt es für Frauen und
Mädchen nicht mehr. Es gelten die Gesetze der Taliban;
alles Zuwiderhandeln wird mit dem Abhacken der Hände,
Steinigung und Tod bestraft. Nirgends auf der Welt wür-
den Frauen so unterdrückt wie in Afghanistan, sagte die
afghanische Ärztin Sima Samar auf der internationalen
Konferenz zum 20-jährigen Bestehen von Terre des fem-
mes.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19043


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Traditionelles Recht, Religion und Kultur dürfen nir-
gends auf der Welt als Vorwand für Unterdrückung, Kon-
trolle und Gewalt gegenüber Frauen verwendet werden.
Zu Recht haben afghanische Frauen größte Befürchtun-
gen bezüglich einer Regierung der Nordallianz. Sie ist un-
ter anderem für Ermordungen und Massenvergewalti-
gungen von Frauen berüchtigt.

Ich fordere die Bundesregierung auf, sich auf allen Ver-
handlungsebenen für eine Einbeziehung afghanischer
Frauen im Exil und demokratischer Frauenorganisationen
einzusetzen.


(Beifall bei der PDS)

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hat der UN-

Sicherheitsrat die Resolution 1325 verabschiedet. Sie
fordert eine stärkere Einbeziehung von Frauen in Ent-
scheidungsfunktionen bei Konfliktbeilegungs- und Frie-
densprozessen. Ihre Umsetzung weltweit, aber gerade
auch in diesem Konflikt, steht immer noch aus. Ohne Be-
teiligung von Frauen wird es keinen Frieden in Afghanis-
tan geben.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419509200
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rudolf Bindig.


Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1419509300
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Wer in einer so schwierigen Si-
tuation Entscheidungen zu fällen und zu verantworten hat,
muss schwierige ethische Abwägungen treffen. Ich
nehme Bezug auf den Satz von Erhard Eppler: Wer Ge-
walt anwendet, lädt Schuld auf sich; aber es kann auch
sein, dass derjenige, der keine Gewalt anwendet, noch
größere Schuld auf sich lädt.

Ich will ganz ernst die Argumente aufgreifen, die auch
Sie, Frau Bläss, eben vorgetragen haben. Es ist ja richtig,
was Sie über die Lage der Frauen in Afghanistan gesagt
haben. Die Hälfte der Bevölkerung befindet sich seit Jah-
ren in einer Art Gefängnis: keine Bildung, kein Zugang
zum Gesundheitswesen, schwerste Verletzung der Men-
schenrechte. Dies ist so, und wenn das Talibanregime
nicht beseitigt wird, bleibt es so.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der PDS: Da sind wir uns ja völlig einig! – Die Frage ist, wie man es beseitigt! – Dazu haben Sie kein Wort gesagt!)


Die Menschenrechte dieser Personen werden aufs
Schwerste verletzt. Wir sehen die schwierige Lage der
Menschen, die dort leben, besonders der Flüchtlinge. Die
Flüchtlingsströme sind in den letzten Jahren durch die
Dürre entstanden. Sie sind durch die fehlgeleitete Land-
wirtschaft entstanden. Sie sind durch den Bürgerkrieg ent-
standen, der so viele Jahre angedauert hat. Das sind die
Ursachen dafür, dass die Menschen leiden.

Jetzt wird der Eindruck erweckt – manchmal sieht man
das auch in den Medien –, als ob diese Probleme erst
durch die aktuellen Kriegsereignisse entstanden seien.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Auch!)


– Die Hauptursachen liegen aber in der Vergangenheit.

Wir müssen die Flüchtlingsgruppen genau betrachten.
Es werden Flüchtlinge in Pakistan versorgt. Es ist mög-
lich, Flüchtlinge im Bereich der iranischen Grenze zu ver-
sorgen. Es ist möglich, Flüchtlinge auf dem Gebiet der
Nordallianz zu versorgen. Es ist nur begrenzt möglich,
Flüchtlinge auf dem Gebiet der Taliban zu versorgen. Dort
gibt es Lagerhäuser; das World Food Programme hat sie
eingerichtet. Dazu besteht ein gewisser Zugang.

Jetzt überlege ich einmal: Wie wäre es denn, wenn man
jetzt mit den Militäraktionen aufhören und einen Korridor
einrichten würde? Ein solcher Korridor ist doch nicht ein-
fach da. Schon jetzt halten die Taliban Hilfslieferungen,
die ins Land kommen, an und sagen: Für jede Tonne Nah-
rungsmittel, die ins Land kommt, verlangen wir 32 Dollar
Wegezoll. Mit einem Korridor würden wir also die Tali-
ban finanzieren.


(Ulrich Irmer [FDP]: So ist das!)


Das Talibanregime ist überhaupt nicht daran interes-
siert, wie es der Bevölkerung geht. Es geht zynisch mit
dieser Bevölkerung um.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Sonst hätte es die jetzige Lage in den letzten Jahren gar
nicht entstehen lassen. Es hat in den letzten Jahren schon
immer gesagt: Wir kümmern uns um die Aufrüstung. Aber
die Menschen in unserem Lande können international
versorgt werden; da soll das World Food Programme tätig
werden. – Man hat sich nie wirklich um die eigene Be-
völkerung bemüht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dies alles bringt mich in der schwierigen Abwägung zu
der Einsicht: Wer jetzt den Prozess unterbricht und nicht
darauf drängt, dass das Talibanregime beendet wird, der
lädt größere Schuld auf sich.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Aber Krieg ist doch kein Weg!)


– Krieg ist natürlich kein Weg, eine wirkliche Lösung her-
beizuführen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Auschwitz wurde durch Krieg beendet und nicht durch Pazifismus!)


Aber aus welchem Grund ist die Lage so schwierig? Wir
haben einerseits die Privatisierung der Gewalt durch die
Terroristen. Andererseits gibt es eine Gruppe von Verbre-
chern, die die staatliche Gewalt okkupiert hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Da kommt man eben nicht weiter, indem man den Staats-
anwalt losschickt. Man muss die Macht derjenigen, die
den Terror ermöglichen, brechen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Petra Bläss

19044


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Dass man da die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu
wahren und das humanitäre Kriegsvölkerrecht zu beach-
ten hat, all das ist notwendig. Aber ich glaube, in diesen
schwierigen Abwägungsentscheidungen bleibt uns lei-
der – so muss ich sagen – nichts weiter übrig, als den Weg,
der eingeschlagen worden ist, zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das war aber alles schon vor dem 11. September vorhanden und hat nicht gezählt!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419509400
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Dr. Christian
Ruck.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1419509500
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Auch ich habe die Äußerun-
gen von Claudia Roth und von Frau Robinson, auch die
Klarstellung von Frau Robinson, gelesen. Für mich ist
klar, Herr Lippelt, dass die PDS, aber auch Frau Roth und
weitere Teile der Grünen Frau Robinson als Kronzeugin
für Schlussfolgerungen missbraucht haben, die nicht nur
die Worte und Taten der Bundesregierung konterkarieren,
sondern auch in der Sache gefährlich falsch sind.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben doch das Interview ganz gelesen!)


– Ich habe beides gelesen, auch die Richtigstellung von
Frau Robinson.

Frau Bläss, ich möchte Ihre Argumentation aufgreifen.
Es ist vollkommen richtig, was Sie sagen: Die Taliban
sind keine Gotteskrieger, sondern ein Teufelsregime. Ich
erinnere daran, dass es im Rahmen dieses Regimes schon
lange vor dem 11. September 2001 8 Millionen afghani-
sche Flüchtlinge gab und dass die Taliban die jetzigen
Hilfskonvois nicht nur behindern, sondern teilweise auch
konfiszieren, so zum Beispiel in Masar-i-Scharif vor we-
nigen Stunden. Das ist der Grund dafür, dass wir alle dafür
eintreten, dass die Militäraktion gegen das jetzige Regime
konsequent zum Erfolg geführt wird. Denn das ist aus un-
serer Sicht die beste Hilfe für die Bevölkerung in Afgha-
nistan.

Natürlich müssen wir über die aktuelle militärische Di-
mension hinausdenken: Erstens erscheint es mir dring-
lich, dass man jetzt und in den kommenden Wochen und
Monaten die Effizienz der humanitären Hilfe sicherstellt.
Das ist keine Frage allein der Finanzen, sondern auch eine
Frage der Koordination und der politischen Unterstützung
dort, wo Hilfen im bürokratischen Dschungel hängen
bleiben, zum Beispiel in Pakistan. Wir müssen darauf
drängen, dass Pakistan viel öfter als bisher deklarierte
Hilfskonvois zulässt, und wir müssen den Pakistani dabei
helfen, die wild entstandenen Flüchtlingslager in den
Griff zu bekommen.

Zweitens muss es aber auch darum gehen, für die Zu-
kunft Afghanistans ein wohl überlegtes und abgestimmtes

Konzept zu entwerfen. In diesem Zusammenhang kann
ich mir ein UN-Mandat sehr gut vorstellen. Ich halte es
aber auch für entscheidend, dass in eine solche Konzep-
tion alle Volksgruppen eingebunden werden, auch die
Paschtunen, und dass es nicht nur zu einer Macht-
übernahme, zum Beispiel durch die Nordallianz, kommt.
Das wäre ein schwerer Fehler. Genauso wäre es ein Feh-
ler, zu vergessen, warum die Taliban zu Beginn ihrer Herr-
schaft so viel Erfolg hatten. Sie hatten nämlich – zumin-
dest anfänglich – einen glaubhaften Kampf gegen die
korrupten Warlords geführt. Auch diesen darf Afghanistan
natürlich nicht wieder in die Hände fallen.

Wir müssen drittens – das ist die vielleicht schwerste
Aufgabe – im außenpolitischen und im entwicklungspoli-
tischen Umgang mit vielen vom Islam dominierten Staa-
ten neue Methoden und Instrumente entwickeln. Wir dür-
fen bei aller Allianz gegen den Terror nicht aufhören, eine
langfristig gute Regierungsführung anzumahnen, wenn
wir für die breite Bevölkerung in diesen Ländern wirklich
auf Dauer Stabilität, soziale Beruhigung und Entwick-
lungsperspektiven erzielen wollen.

Dazu ist Dialog notwendig. In diesem Zusammenhang
war und ist es für mich ein Fehler, dass der pakistanische
Militärchef Musharraf mit seinem Reformpaket entgegen
vielfältigen überparteilichen Bemühungen aus unserem
Parlament so lange von uns geschnitten wurde. Noch im
Juli dieses Jahres haben wir aus dem Bundestag heraus die
Spitze des Außenministeriums angemahnt, nicht nur mit
Indien, sondern auch mit Pakistan wieder Gespräche auf
hochrangiger Ebene zu führen. Leider ohne Erfolg! Die
Reise von Außenminister Fischer kommt zwar spät, hof-
fentlich aber nicht zu spät. Wenn solche Gespräche schon
im Juli geführt worden wären, stünde Pakistan, so glaube
ich, international besser da.

Dialog mit dem Islam heißt auch, dass wir für unsere
entwicklungspolitische Kooperation noch intensiver als
bisher neue und neuartige Gesprächspartner im vorpoliti-
schen Raum dieser Länder finden müssen. Aber dazu ist
in Konsequenz notwenig, dass unsere Dialogplattformen,
zum Beispiel Auslandsschulen, Goethe-Institute und po-
litische Stiftungen, neue Impulse – auch solche finanziel-
ler Art – erhalten.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Die Kürzungen in der Auslandsarbeit und im Entwick-
lungshaushalt sind in dieser Hinsicht kontraproduktiv.
Das gilt zum Beispiel auch für Pakistan: Das Goethe-In-
stitut in Lahore wurde geschlossen, die Stiftungsarbeit
eingeschränkt, die Entwicklungshilfe auf Sparflamme
zurückgeführt. Deswegen fordern wir auch in dieser Ak-
tuellen Stunde: Nehmen Sie von Rot-Grün die Kürzungen
im Entwicklungshaushalt zurück


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


und sichern Sie diesen Haushalt auch langfristig ab. Dann
haben Sie bei dieser Politik unsere Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Rudolf Bindig

19045


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Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419509600
Die Kolle-
gin Adelheid Tröscher spricht nun für die SPD-Fraktion.


Adelheid Tröscher (SPD):
Rede ID: ID1419509700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Ruck, es wird nicht besser, wenn es wiederholt wird,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Es wird auch nicht falscher!)


denn die Entwicklungspolitik in Bezug auf Pakistan und
Indien hat die letzte Regierung eingestellt, und wir sind
gerade dabei, das wieder rückgängig zu machen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Schmitt, klatsch nicht, wenn du keine Ahnung hast!)


und genau das zu tun, was Sie gerade gefordert haben.

Aber jetzt zu meinem Anliegen: Weltweit hat der
11. September Trauer und Betroffenheit ausgelöst. Ganz
gleich, ob es sich um Moslems, Buddhisten, Hinduisten,
Juden oder Christen handelt, alle sind fassungslos gewe-
sen. Es steht außer Frage, dass die Verantwortlichen dafür
zur Rechenschaft gezogen werden, und zwar mit einem
entschlossenen Entgegentreten gegenüber den terroristi-
schen Gewalttätern und mit der Zerschlagung ihrer Struk-
turen.

Doch gleichzeitig dürfen wir die Prävention nicht ver-
gessen. Zu den militärischen Mitteln gibt es in der jetzi-
gen Zeit leider keine Alternativen. Dennoch gilt auch,
dass der Terrorismus nicht nur militärisch besiegt werden
kann. Hierzu bedarf es international abgestimmter politi-
scher, wirtschaftlicher und rechtlicher Maßnahmen und
Strategien.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Oder, wie es unser Bundespräsident Johannes Rau auf der
Kundgebung am 14. September hier in Berlin gesagt hat:
„Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine
gerechte internationale Ordnung.“


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dem Terrorismus kann der Nährboden auch dadurch,
ja vor allem dadurch entzogen werden, dass wir die Per-
spektivlosigkeit vieler Menschen, die Marginalisierung
und die Ungerechtigkeiten weltweit reduzieren. Entwick-
lungspolitik kann und wird dazu einen wichtigen Beitrag
leisten, aber man muss sie dann auch finanziell so aus-
statten – da stimme ich mit Ihnen überein –, dass sie die
Aufgaben der Krisenprävention auch erfüllen kann. Sonst
können weltweit auf Dauer keine stabilen politischen, so-
zialen, wirtschaftlichen und ökologischen Voraussetzun-
gen geschaffen werden, die dem Bedürfnis nach Sicher-
heit aller Menschen gerecht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage in
Afghanistan ist ernst und sie ist besorgniserregend zu-
gleich. Millionen Menschen sind auf der Flucht und sie
wissen vereinzelt noch nicht einmal, wohin sie fliehen

sollen, denn sie werden eigentlich nirgendwo gerne gese-
hen und aufgenommen. Aber dies ist keine neue Situation.
Es wurde bereits gesagt: Seit Jahren gibt es Flüchtlinge in
Afghanistan, Flüchtlinge vor den Taliban, gibt es Angst
und Terror. Jetzt muss unsere Hilfe darin bestehen, Hilfs-
maßnahmen für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen,
wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung und das Auswärtige Amt dies
ja auch tun.

Unser Blick muss aber auch nach vorne gerichtet sein,
indem wir uns schon heute mit der Zivilbevölkerung in
dieser Region darauf verständigen, wie wir den Menschen
wieder eine Perspektive geben können und der Region zu
mehr politischer Stabilität und Sicherheit verhelfen kön-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hierzu brauchen wir Menschen, die sich in der Entwick-
lungszusammenarbeit engagieren und dafür arbeiten, und
dies unter oft sehr schwierigen Umständen. Deshalb geht
an dieser Stelle auch mein Appell an die Taliban: Lassen
Sie die inhaftierten deutschen, amerikanischen und aus-
tralischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Shelter
Now“ frei!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein
umfassendes Konzept zur Prävention und Bewältigung
von Krisen. Die Bundesregierung, insbesondere der Bun-
deskanzler, hat darauf bereits mehrfach hingewiesen. Wir
brauchen eine Verstärkung der entwicklungsorientierten
Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe. Wir brauchen
eine Verstärkung der Arbeit des Deutschen Entwicklungs-
dienstes sowie Maßnahmen des zivilen Friedensdienstes
im geographischen Umfeld von Afghanistan, aber auch
– das sollten wir nicht vergessen – in den palästinensi-
schen Gebieten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Gezielt müssen wir ebenso die entwicklungspoli-
tischen Dialogstrukturen der zivilgesellschaftlichen Kräfte
in vorwiegend islamischen Ländern verstärken. Wir wol-
len eine verstärkte Zusammenarbeit mit Ländern, die das
friedliche Zusammenleben verschiedener Ethnien und
Religionen innerhalb ihrer Gesellschaft und ihrer Region
ausdrücklich fordern. Wir wollen eine stärkere Unter-
stützung beim Aufbau von rechtsstaatlichen Institutionen
in politisch labilen Staaten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen eine stärkere Kooperation im Sicherheitssek-
tor in Partnerländern, wo die inneren Verhältnisse
demokratischen Strukturen genügen. Ein besonderes An-
liegen ist: Wir müssen die Armutsbekämpfung, wie wir es
in unserem Aktionsprogramm 2015 beschrieben haben,
weiter voranbringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Anlehnung an Willy Brandts Feststellung, dass Ent-
wicklungspolitik die Friedenspolitik des 21. Jahrhunderts
sei – ich freue mich, dass es jetzt so viele Entwicklungs-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119046


(C)



(D)



(A)



(B)


politiker unter uns gibt –, muss die Entwicklungspolitik
aufgewertet werden. Sicherheit, Frieden und nachhaltige
Entwicklung können unter den Bedingungen extremer
Ungerechtigkeit und Ungleichheit nicht gedeihen.

Danke sehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419509800
Letzter
Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Werner
Siemann für die CDU/CSU-Fraktion.


Werner Siemann (CDU):
Rede ID: ID1419509900
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die barbari-
schen Anschläge vom 11. September 2001 haben uns die
neue Qualität des internationalen Terrorismus in er-
schreckender Weise vor Augen geführt. Bei den Anschlä-
gen auf das World Trade Center in New York und das Pen-
tagon in Washington sind bis zu 5 200 unschuldige
Menschen – Kinder, Frauen und Männer – ums Leben ge-
kommen. 5 200-mal wurden Schicksale besiegelt, Tod,
Leid und Trauer über die betroffenen Familien gebracht,
das zivilisierte Staatswesen letztendlich in seinen Grund-
festen erschüttert.

Unter den zu beklagenden Opfern befinden sich auch
viele Deutsche. Bei keinem anderen Terroranschlag gab
es mehr deutsche Opfer zu beklagen. Vor diesem Hinter-
grund ist festzuhalten, dass auch Deutschland Ziel dieser
unmenschlichen Tat war. Es ist bedenklich, dass dies nach
nur fünf Wochen offenbar wieder in Erinnerung gerufen
werden muss; denn einige scheinen dieses schreckliche
Ereignis bereits jetzt wieder verdrängen zu wollen oder
Täter und Opfer zu verwechseln.


(Widerspruch bei der PDS)


Es ist nicht hinnehmbar, dass Mitglieder der Regie-
rungsparteien die zugesicherte uneingeschränkte Solida-
rität – Beispiele sind bereits genannt worden – infrage
stellen und damit vor der Verantwortung flüchten. Die
PDS will ich an dieser Stelle gar nicht erwähnen, da ich
ohnehin der Meinung bin, dass sie – diese Debatte hat es
wieder bewiesen – demokratisch im Abseits steht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Irmer [FDP] – Widerspruch bei der PDS)


Richtig ist, dass sich in Afghanistan, während wir hier
debattieren, eine humanitäre Katastrophe abspielt, die
aber weder am 11. September noch am 7. Oktober, dem
Tag des Beginns der Luftschläge, begonnen hat. Bereits
im Februar dieses Jahres spricht der Hohe Flüchtlings-
kommissar der Vereinten Nationen von einem afghani-
schen Flüchtlingsdrama. Fast unbemerkt von der Weltöf-
fentlichkeit seien über 170 000 Afghanen nach Pakistan
geflohen. Seit Ausbruch der Dürre, also seit drei Jahren,
sind sechs bis sieben Millionen Afghanen latent vom
Hungertod bedroht. Der jahrelange Bürgerkrieg hat ein
Übriges zu dieser Situation beigetragen.

Die Forderung der UNO-Hochkommissarin für Men-
schenrechte, Mary Robinson, nach einer Feuerpause – das
ist schon mehrfach zitiert worden – verkennt deshalb lei-
der die Realität in Afghanistan. Eine Feuerpause wäre
zwar vordergründig human, würde sich aber binnen kur-
zer Zeit in das Gegenteil verkehren. Nicht die Luftan-
griffe, sondern die Terrorherrschaft der Taliban und deren
fortlaufende Menschenrechtsverletzungen verhindern die
Lebensmittelversorgung der Menschen in Afghanistan.

Ziel der Taliban ist die Errichtung eines Gottesstaates
unter Missachtung jeglicher Menschenrechte, nicht die
humanitäre Versorgung der afghanischen Bevölkerung.
Eine Feuerpause würde deshalb einzig und allein dem Ta-
libanregime dienen. Wiederhergestellte Befehlsstrukturen
und Flugabwehrstellungen verlängern die Operation und
gefährden damit unnötig Menschenleben. Es gilt zu ver-
hindern, dass sich die Macht der Taliban konsolidieren
kann. Es gilt zu verhindern, dass sich deren Kämpfer per-
sonell regenerieren können. Es gilt zu verhindern, dass
sich die Strukturen des Terrors reaktivieren können. Dass
auch unter militärstrategischen Gesichtspunkten eine
Aussetzung der Operation ein schwerwiegender Fehler
wäre, braucht nicht ausdrücklich erwähnt zu werden.

Immer wieder betont werden muss hingegen, dass es
sich bei den amerikanischen und britischen Luftschlägen
nicht um rachsüchtige Vergeltungsmaßnahmen, sondern
um einen Akt der Selbstverteidigung und der Prävention
handelt. Es sind völkerrechtlich gerechtfertigte Aktionen
der Vernunft, nicht der Vernichtung. Nicht der Islam oder
das islamische Volk sind unsere Gegner, sondern allein
diejenigen, die unter dem Deckmantel der Religion un-
vorstellbare Verbrechen begehen. Eine Unterbrechung der
militärischen Operation wäre gleichbedeutend mit einer
Verschärfung der humanitären Situation in Afghanistan,
da sich auf diese Weise nur das Leid der Bevölkerung ver-
längern würde.

Frieden, Freiheit und Sicherheit unserer Menschen las-
sen es nicht zu, dem Terror und den ihn unterstützenden
Staaten eine Atempause zu gönnen. Terrorakte sind Ver-
brechen gegen die Menschlichkeit. Die Täter und deren
Unterstützer haben keine Nachsicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Graham Greene hat einmal gesagt: „Früher oder später
muss man Partei ergreifen, wenn man Mensch bleiben
will.“ Am 11. September haben wir uns entschlossen,
massiv Partei zu ergreifen. Lassen Sie uns an der Seite der
USAund der Weltgemeinschaft den eingeschlagenen Weg
fortsetzen, um die Wurzeln des Terrorismus nachhaltig
auszurotten und der Not leidenden afghanischen Bevöl-
kerung endlich wieder ein menschenwürdiges Leben zu
ermöglichen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419510000
Die Aktuelle
Stunde ist beendet.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Adelheid Tröscher

19047


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(D)



(A)



(B)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g auf:

a) Beratung des Zwischenberichts der Enquete-Kom-
mission
„Globalisierung der Weltwirtschaft – Heraus-
forderungen und Antworten“
– Drucksache 14/6910 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrages der Abgeordneten Dr. Sigrid
Skarpelis-Sperk, Brigitte Adler, Klaus Barthel

(Starnberg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der SPD sowie der Abgeordneten Kristin
Heyne, Annelie Buntenbach, Ulrike Höfken, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sicherung eines fairen und nachhaltigen Han-
dels durch eine umfassende Welthandelsrunde
– Drucksache 14/7143 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Ulrich von Weizsäcker, Dr. Sigrid Skarpelis-
Sperk, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Werner Schulz (Leipzig), Andrea Fischer (Berlin),
Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zugang der Zivilgesellschaft zur WTO-Minis-
terkonferenz in Doha, Katar, gewährleisten
– Drucksache 14/5805 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G.

(Bönstrup)

CDU/CSU

Stärkung des freien Welthandels durch neue
WTO-Runde
– Drucksache 14/5755 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

e) Beratung des Antrages der Abgeordneten Ursula
Lötzer, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Neoliberale Globalisierung – kein Sachzwang
– Drucksache 14/6889 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Part-
nerschaftsabkommen vom 23. Juni 2000 zwischen
den Migliedern der Gruppe der Staaten in Afrika,
im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean
einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und

(AKP-EPPartnerschaftsabkommen)

– Drucksache 14/7053 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

g) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Rainer Brüderle, Ulrich Heinrich, Gudrun Kopp,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Aktuelle handelspolitische Fragen bei der Welt-
handelsorganisation
– Drucksachen 14/4194, 14/5227 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-
legin Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk für die Fraktion der So-
zialdemokratischen Partei das Wort.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1419510100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Zwei Gespenster gehen der-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

19048


(C)



(D)



(A)



(B)


zeit in der Welt um: das Gespenst des Terrors und das Ge-
spenst der Globalisierung. Die schrecklichen Ereignisse
vom 11. September haben die Menschen weltweit aufge-
wühlt und zutiefst verunsichert. Das bleibt nicht ohne
Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Die Auswirkungen
des Anschlages und der Vergeltungsmaßnahmen treffen
auf eine schon fragile Ökonomie in den USA und auch
weltweit und sind derzeit in ihrer Gesamtwirkung nicht
wirklich vorhersehbar.

Die Schwächen und offenen Fragen unserer derzeiti-
gen Weltwirtschaftsordnung und ihrer wesentlichen Be-
standteile, nämlich des Welthandelssystems und des Welt-
finanzsystems, treten noch schärfer als zuvor in das
Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Politik. Es wird
sichtbar, dass der Deutsche Bundestag richtig gehandelt
hat, eine Enquete-Kommission „Globalisierung der Welt-
wirtschaft – Herausforderungen und Antworten“ einzu-
setzen und einen derart weitgehenden, umfassenden und
vorausschauenden Arbeitsauftrag zu formulieren.

Die Enquete-Kommission macht mit dem jetzt dem
Parlament vorgelegten Zwischenbericht der Öffentlich-
keit wichtige Schwerpunktthemen mit einem breiten Hin-
tergrund an Materialien verfügbar. Ein Themenkomplex
durchzog allerdings unsere gesamte Arbeit und regte zu
intensiven Diskussionen an: Was hat es mit dem Phäno-
men Globalisierung auf sich, das in seinem Ausmaß und
Tempo so viele Menschen fasziniert und abschreckt?
Handelt es sich um einen naturgesetzlichen Prozess und
hat die Politik, vor allem die nationale Politik, in diesem
Prozess noch Handlungsspielräume oder ist sie ohnmäch-
tig? Wir sind gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen,
dass Politik nicht ohnmächtig ist, sondern handelt und
entscheidet und somit durchaus ein wesentlicher Gestal-
ter dieses Globalisierungsprozesses war und ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So haben zum Beispiel die politisch veranlasste Bil-
dung der großen Freihandelszonen oder Wirtschaftsunio-
nen wie NAFTA und die Europäische Union sowie die
fortschreitende Handelsliberalisierung, zunächst im
GATT und dann in der WTO, die Globalisierung massiv
vorangetrieben. Die rasante Expansion und globale
Reichweite der internationalen Finanzmärkte wären ohne
weitgehende politische Deregulierung überhaupt nicht
denkbar gewesen. In der Enquete-Kommission haben wir
festgestellt, dass die Globalisierung in vielen Bereichen
große Chancen, aber auch Risiken mit sich bringt, dass
aber Risiken und Chancen zwischen den Nationen und
Regionen ungleich verteilt sind; auch innerhalb der Staa-
ten sind die Früchte mehr oder weniger ungleich verteilt.

Marktöffnungen führen zu mehr Wettbewerb, Kosten-
senkungen und schnellerem Strukturwandel. Das ist
grundsätzlich auch so in Ordnung. Es erfordert aber von
allen Beteiligten ein Maß an Anpassungsbereitschaft und
-fähigkeit, aber auch die Bereitschaft, die Anpassungslas-
ten nicht einseitig anderen aufzubürden oder auf den
Schultern der Schwächeren abzuladen und dort zu belas-
sen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Deutschland und Europa haben sich im Globalisie-
rungsprozess gut behauptet und werden das auch künftig
tun, wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten, Inno-
vationen konsequent fördern sowie soziale Stabilität be-
wahren und weiterentwickeln. Auch eine Reihe von
Schwellenländern hat von der stärkeren Integration in das
Welthandelssystem profitiert. Aber diese positive Ent-
wicklung – das sagte ich schon – ist nicht allen zugute ge-
kommen. Es sind vor allem die ärmsten Länder, denen
Ausschluss und völlige Abkoppelung von den internatio-
nalen Märkten drohen. Ohne die Teilhabe dieser Länder
an den Gewinnen der internationalen Arbeitsteilung ist
aber die gemeinsame Zukunft der Welt nicht nachhaltig zu
sichern.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Deswegen ist es dringend notwendig, die Chancen der
Globalisierung fairer zu verteilen.

Auch die immer häufiger auftretenden Finanzkrisen
hatten erhebliche negative soziale, politische und ökono-
mische Folgen. Die Armut hat in den betroffenen Län-
dern zugenommen. Infolge solcher Krisen sind die Län-
der zum Teil um zehn Jahre in ihrer Entwicklung
zurückgeworfen worden. In nicht wenigen Ländern dro-
hen der Zusammenbruch des Staatswesens und die
Privatisierung der Gewalt. Die organisierte Kriminalität
kontrolliert in den betroffenen Ländern zunehmend nicht
nur die klassischen kriminellen Aktivitäten, sondern auch
immer größere Teile der legalen Wirtschaft. Nicht selten
maskiert sich die organisierte Kriminalität auch als politi-
sche oder religiöse Bewegung.

Armut ist keineswegs allein die Ursache für die Ent-
stehung terroristischer Gruppen. Aber sie ist zusammen
mit dem Ärger über die einseitige Verteilung des großen
Reichtums in der globalisierten Welt jene Hefe, auf der
der Terrorismus wächst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fehlentwicklungen und Instabilitäten in der bestehen-
den Weltwirtschaft aufzuspüren und Empfehlungen zu ih-
rer Beseitigung zu geben war eine weitere Aufgabe unse-
rer Enquete. Wir sind zu einer Reihe von Empfehlungen
gekommen, die meines Erachtens gerade nach den tragi-
schen Ereignissen in den USA an aktueller Bedeutung ge-
wonnen haben.

Wir waren uns in der Enquete einig, dass wir zur Scho-
nung der Ressourcen und zur Vermeidung einer weiteren
Belastung des Weltklimas eine nachhaltige Verkehrspoli-
tik brauchen, die eine vollständige Internalisierung der so-
zialen und ökologischen Kosten des Verkehrs erfordert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ebenso brauchen wir eine neue internationale Wettbe-
werbsordnung, weil sonst die Global Players kleinere Un-
ternehmen, ja selbst kleine Nationen massiv unter Druck
setzen. Aber dann hörte der Konsens über die Empfeh-
lungen leider schon auf.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

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(C)



(D)



(A)



(B)


Für die Mehrheit war klar, dass eine größere Stabilität
der Finanzmärkte und die Vermeidung weiterer Finanz-
krisen nur erreichbar sind durch eine Reregulierung der
internationalen Finanzmärkte, durch eine Reform der
internationalen Finanzinstitutionen wie IMF und Welt-
bank an Haupt und Gliedern, aber auch durch eine
schnelle, wirksame und erheblich größere Kooperation
der für die Geld-, Währungs-, Finanz- und Wirtschaftspo-
litik zuständigen Regierungen und Notenbanken. Es geht
nicht länger an, dass beispielsweise die Zentralbanken der
großen Handelsblöcke und die G 7 nahezu ausschließlich
Entscheidungen nach ihren innenpolitischen Interessen
treffen und die Auswirkungen auf 80 Prozent der Mensch-
heit nicht berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Auch die Regierung Schröder macht das!)


Zu der bereits erwähnten Reregulierung der Finanz-
märkte gehören aber nicht nur Transparenz und Finanz-
aufsicht – darüber waren wir uns noch einig –, sondern
auch ein entschiedenes Vorgehen gegen die Geldwäsche
in Verbindung mit Drogenhandel, Waffenhandel, Men-
schenhandel und Zwangsprostitution sowie ein Vorgehen
gegen Steueroasen und gegen die schwarzen Schafe in
den OECD-Ländern selbst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir freuen uns, dass unsere Empfehlungen – nicht zu-
letzt aufgrund der schrecklichen Vorkommnisse am
11. September – so schnell Eingang in die Gesetzge-
bungsarbeit des Deutschen Bundestages gefunden haben.
Die Aufnahme der schweren Steuerhinterziehung in den
Katalog der Geldwäschevortaten wird noch in diesem
Jahr Gesetzeskraft erlangen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Im Januar!)


Die EU-Richtlinie zur Geldwäsche wird schnell folgen.
Dann brauchen wir noch reale Fortschritte in der OECD,
um einen großen Sprung im Kampf gegen Terrorismus
und organisierte Kriminalität zu machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich darf an dieser Stelle einen Wunsch äußern, nämlich
den, dass die CDU/CSU wenigstens im Kampf gegen die
Finanzierung von Terror und organisierter Kriminalität
endlich von ihrem angesichts der Ereignisse vom 11. Sep-
tember völlig unverständlichen Nein zu unseren Vor-
schlägen abrückt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Leider konnte sich weder die CDU/CSU noch die FDP
dazu verstehen, die Kernarbeitsnormen als verpflichten-
des Recht auch in der Welthandelsordnung zu verankern.
Dabei geht es doch nur um die Beseitigung bzw. Pönalisie-
rung von schreienden Missständen, die abzuschaffen sich

175 Nationen in einer Konvention verpflichtet haben:
Zwangsarbeit, Lohnsklaverei, ausbeuterische Kinder-
arbeit, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen.

Nein, meine Damen und Herren, wir streben eine neue
Weltwirtschaftsordnung an, die sozial und ökonomisch
gestaltet ist, eine menschliche Gesellschaft für alle auf
diesem Planeten, in der sich Märkte und Privatinitiative
ebenso entfalten können wie Bürgersinn und gemein-
schaftliche Aktivitäten;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


eine Weltgesellschaft also, in der nicht alles zur Ware ge-
macht wird und in der die Völker selbst noch die Ent-
scheidung darüber treffen können, wie sie die einzelnen
Bereiche, zum Beispiel bei der Daseinsfürsorge, geregelt
haben wollen. Für uns ist der menschliche Körper keine
Ware, ist die Gesundheit des Menschen keine Ware und
sind auch die Werke des menschlichen Geistes, das über-
kommene Wissen und das Erfahrungswissen traditionel-
ler Kulturen keine Ware.


(Gudrun Kopp [FDP]: Für uns auch nicht!)


– Dann müssen Sie das im TRIPS und in anderen Ab-
kommen auch berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen wollen wir auch, dass die Europäische
Union und die Bundesregierung die von uns begrüßte und
gewünschte Ausweitung des Welthandels und die weitere
Öffnung der Märkte zu einer wirklichen Teilhabe der Ent-
wicklungsländer führen und dass vor allem die Interessen
der ärmsten Länder zum Zuge kommen. Deswegen for-
dern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auch
auf, mit dafür zu sorgen, dass sich die weiteren
Liberalisierungsmaßnahmen innerhalb der WTO am Prin-
zip der nachhaltigen Entwicklung orientieren und damit
eine soziale und ökologische Gestaltung der Globalisie-
rung ermöglichen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


dass die internationale Umwelt- und Sozialpolitik ge-
stärkt und sichergestellt wird, dass internationale Abkom-
men und Konventionen auf diesen Gebieten für die WTO
bindendes Recht werden, dass das Vorsorgeprinzip
ebenso in der WTO verankert wird wie der multifunktio-
nale Ansatz der europäischen Landwirtschaft nachhaltig
unterstützt wird, dass der Zugang zu lebensnotwendigen
Medikamenten gegen Aids durch eine Präzisierung und
gegebenenfalls Revision des TRIPS-Abkommens gesi-
chert wird und dass schließlich die Kernarbeitsnormen
Schritt für Schritt in der WTO verankert werden.

Zum Schluss: Wir brauchen auch eine institutionelle
Reform der WTO mit dem Ziel von mehr Öffentlichkeit,
Offenheit und Demokratisierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

19050


(C)



(D)



(A)



(B)


Die WTO muss zu einer gewandelten, tragenden Säule ei-
ner neuen Weltwirtschaftsordnung werden, die sozial und
ökologisch gestaltet ist und alle Menschen an den Chan-
cen der internationalen Arbeitsteilung wirklich teilhaben
lässt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419510200
Frau Kollegin, Sie
hatten schon den Schluss versprochen. Sie müssen jetzt
zum Schluss kommen.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1419510300
Erreichen wir
dies nicht, dann können uns größere Krisen wieder in die
unseligen Zeiten von Protektionismus und Handelskrisen
zurückwerfen, die im 20. Jahrhundert so viel Unheil aus-
lösten. Öffnung und Demokratisierung, soziale und öko-
logische Gestaltung der Welthandelsordnung


(Heiterkeit im ganzen Hause – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das setzt Maßstäbe, Frau Präsidentin!)


ist ohne Zweifel die bessere Alternative.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419510400
Sie haben es gesehen:
Offensichtlich hatten Sie das Einverständnis des ganzen
Hauses.

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kol-
lege Hartmut Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1419510500
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Globalisie-
rung wird mit Sicherheit scheitern, Frau Kollegin, wenn
man seine Versprechen nicht hält und weitermacht, ob-
wohl man versprochen hat aufzuhören. So fängt es im
Kleinen an. Das funktioniert nicht.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Global denken, lokal handeln!)


Enquete „Globalisierung“: Wissenschaftlich begrün-
dete Erkenntnis gewinnen mit den Methoden des Par-
teienstreits – das ist eine schier unlösbare Aufgabe.


(Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker [SPD]: Hört! Hört!)


Unterwegs zu dieser unlösbaren Aufgabe, zu der auch
ganz bestimmte Persönlichkeiten gehören, gab es sehr
viel kleine Münze. Lediglich die Bedeutung des Themas
verbietet es mir, über diese kleine Münze und das, was uns
so schrecklich belastet und daran gehindert hat, wirklich
voranzukommen, zu berichten.

Ich lasse es auch nicht zu, Frau Skarpelis-Sperk, dass
Sie hier ein Bild von der Union malen, nach dem wir am
Ende noch für die Sklaverei sind.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Lächerlich!)


Das ist so weit weg von der Wirklichkeit, dass es mir zu
simpel ist, um überhaupt darauf einzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Schade!)


Ich möchte in meinem Beitrag die Unterschiede he-
rausstellen, die zwischen uns bestehen. Die Gemeinsam-
keiten stehen ausreichend schriftlich fixiert in dem Be-
richt.

Der erste große Unterschied ist, dass die Union ganz
eindeutig positiver an die Entwicklung der Globalisie-
rung herangeht als die SPD, die Grünen und die PDS. Wir
sind sicher, dass die positiven Wirkungen der Globalisie-
rung die Probleme und Gefahren nicht nur geringfügig,
sondern bei weitem übersteigen. Wenn wir den Globali-
sierungsteil unserer Wirtschaft wegdenken, der in den
letzten zwanzig Jahren gewachsen ist, dann wären wir in
Deutschland bitter arm.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Mehr als das!)


Mehr als 30 bis 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
und unseres Wohlstandes sind aus der Arbeitsteilung und
dem Zusammenarbeiten der Völker entstanden. Deswe-
gen ist die Globalisierung zunächst einmal ein für
Deutschland und die Welt positiver Prozess.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das gilt auch für die armen Länder. Denn selbst wenn
gesagt wird, die Armut sei gewachsen – man kann hin-
terfragen, ob das stimmt –, dann muss man auf jeden Fall
fragen, ob das ein Ergebnis der Globalisierung oder ein
Ergebnis anderer Entwicklungen ist.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ach was!)


Dass die Armut in der Welt nicht so abgenommen hat, wie
wir uns das gemeinsam wünschen, liegt zum Beispiel da-
ran, dass wir eine Bevölkerungsentwicklung haben, die
unglaublich ist und die nicht ohne weiteres aufgefangen
werden konnte. Das wissen wir.

Die Daten sind eindeutig. Ich möchte ein paar Zahlen
nennen. Volkswirtschaften, die sich dem Prozess der Glo-
balisierung geöffnet haben, sind drei- bis viermal schnel-
ler gewachsen als Volkswirtschaften, die sich diesem Pro-
zess verschlossen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Unbestreitbar!)


Erstaunlicherweise gilt das für Entwicklungsländer und
entwickelte Länder gleichermaßen. In beiden Kategorien
von Ländern haben sich die Länder, die sich geöffnet ha-
ben, besser entwickelt als die Länder, die sich verschlos-
sen haben. Deswegen ist die Empfehlung zu größerer Ab-
schottung ein Irrweg, der lebensgefährlich für die
Entwicklung dieser Völker ist.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wer macht denn das?)


– Doch! – Deswegen dürfen wir diesen Eindruck erst gar
nicht entstehen lassen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

19051


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Verdienste sind gestiegen. Die Beschäftigung ist
gestiegen. Die absolute Zahl der Armen ist in den letzten
30 Jahren trotz enormen Wachstums der Bevölkerung
nicht gestiegen, sondern konstant geblieben. Das ist ein
Ergebnis, das uns nicht befriedigen kann. Aber zu sagen,
die Globalisierung sei daran schuld, das heißt Schwarzer-
Peter-Spiele zu veranstalten und Schuldige für einen Pro-
zess zu suchen, mit dem richtig umzugehen man nicht ge-
lernt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Handel und Arbeitsteilung, Informationsaustausch,
Wissensaustausch, Kulturaustausch – alles wichtige Bau-
steine der Globalisierung – sind Treibkräfte eines positi-
ven Wandels der Welt.

Herr von Weizsäcker, in diesem Zusammenhang ist mir
heute ein Interview von Ihnen in der „Frankfurter Rund-
schau“ aufgefallen. Ich möchte Sie bitten – Sie gelten ja
als jemand, der eine mittlere Position einnimmt und kein
Scharfmacher ist –, zu überlegen, ob Sie mit dem Begriff
der Globalisierung richtig umgehen, wenn Sie sagen:

Trotzdem: Solange die Themen Sklaverei, Umwelt-
zerstörung und dergleichen auf der internationalen
Agenda sind, wird die WTO

– eine der wichtigsten Organisationen, die wir haben –

nicht zur Ruhe kommen. Denn so lange wird der
Freihandel als Verschärfung und nicht als Lösung
des Problems wahrgenommen.

Das ist genau das gefährliche Spiel mit dem Wort. Ich als
Jurist weiß, dass das Wort „wahrnehmen“ nicht bedeutet,
dass ich mich damit identifiziere. Das weiß ich, aber das
wissen die, die das lesen, beileibe nicht alle. Das ist der
Punkt, an dem wir uns unterscheiden.

Ich bin der Meinung, dass die Globalisierung kein Teil
des Problems, sondern ein Teil der Lösung ist. Wir sollten
uns darüber streiten, ob sie intelligent und wirksam genug
zur Lösung der Probleme beiträgt. Die Globalisierung ist
jedenfalls nicht das Problem, auch wenn dieser Eindruck
immer wieder erzeugt wird.

Politik, die aufgrund von Angst und anderen negativen
Gefühlen betrieben wird, scheitert und kann für die Welt
kein Signal sein. Man sollte die Dinge zwar nicht schön-
reden; aber vor allem darf man sie nicht schlechtreden.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das hätte man gestern auch sagen können!)


Ich komme auf die Finanzmärkte zu sprechen. Eigent-
lich sind wir uns diesbezüglich einig. Ungeklärt ist aller-
dings die Frage der juristischen Behandlung der schweren
Steuerhinterziehung in Deutschland. Darüber können
wir reden.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Aha!)


– Das habe ich immer gesagt. – Wir haben keinen einzi-
gen Rechtsprofessor nach strafrechtlichen Konsequenzen
befragt. Mit uns ist es nicht zu machen, einfach so Rechte
aufzugeben, die in einer freien Gesellschaft existenziell
sind. Es bedarf stets einer gründlichen Prüfung des Vor-
gangs. Alles, was zielführend ist, um den internationa-

len Terrorismus wirksam zu bekämpfen – es geht nicht da-
rum, jetzt ideologische Altträume zu realisieren –, fin-
det die hundertfünfzigprozentige Unterstützung der
CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Hahaha! – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Eine hundertprozentige reicht schon!)


Was die Tobinsteuer angeht, haben Sie, Herr von
Weizsäcker, eine interessante Wandlung mitgemacht.
Zunächst waren Sie dafür, dann haben Sie sich dagegen
geäußert. Kurz bevor sich der Bundeskanzler dieser Idee
gegenüber etwas geöffnet hat, hatte ich Ihnen einen Brief
geschrieben, in dem ich Sie nach Ihrer Meinung gefragt
hatte. Ihre Antwort war: Das weiß ich nicht so genau.
Nachdem sich der Bundeskanzler nun ein wenig zuguns-
ten dieser Steuer ausgesprochen hat, sind auch Sie dafür.
Wechsel dieser Art sind schon interessant.

Wir fordern für die internationale Finanzwirtschaft
klare und verlässliche Regeln. Im Einzelfall befürworten
wir volkswirtschaftliche Regulierungs- und Gestaltungs-
möglichkeiten. In Zeiten des Übergangs kann die Freiheit
des Kapitalverkehrs eingeschränkt werden. All das ist
kein Thema. Allerdings sind wir gegen ideologische Ra-
senschnitte nach dem Motto: Einfach alles weg! Viele in
der Kritik stehende Institutionen haben eine äußerst posi-
tive Wirkung gehabt und wir können sie nicht gewisser-
maßen wie das Kind mit dem Bade ausschütten. Man
muss vielmehr sorgfältig hinschauen und in dieser Hin-
sicht sind wir gründlicher als Sie.


(Lachen bei der SPD)


Sie sind oberflächlich, schnell und modisch, weil das zur
Mentalität Ihrer Klientel passt. Nein, wir arbeiten diese
Fragen gründlich ab; denn wir wollen unserer Verantwor-
tung gerecht werden.


(Beifall des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])


NGOs sind ein wichtiges Thema, das von uns unter-
schiedlich beurteilt wird. Es gibt mittlerweile 20 000 NGOs,
also Nichtregierungsorganisationen. Keiner hat überprüft,
wie wichtig bzw. wie wertvoll sie sind, auf welcher Ge-
haltsliste sie stehen, wie ehrenamtlich sie arbeiten und wie
ernsthaft ihr Anliegen ist. Diese Organisationen können
uns politisch zwar gerne beraten, aber wir dürfen nicht zu-
lassen, dass die Grenzen der Verantwortlichkeiten ver-
wischt werden. Entscheidungen sind von Parlamenten,
die gewählt werden, und von Regierungen, die abgewählt
werden können, zu treffen und von niemandem sonst.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn dieser Weg eingehalten wird, können NGOs
gerne wie Sachverständige wirken, und zwar sowohl was
die Schaffung als auch was die Begleitung der Anwen-
dung von Gesetzen angeht. Damit haben wir kein Pro-
blem. Man möge aber bitte schön auf dem Teppich blei-
ben! Die Vertreter der NGOs sind keine Weltverbesserer,
die den vom Volk gewählten Politikern in allen Ländern
dieser Erde vorschreiben können, was sie zu tun haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Hartmut Schauerte

19052


(C)



(D)



(A)



(B)


Das dürfen sie auch nicht – das gehört ebenfalls zu diesem
Spektrum – in Form gewalttätiger Demonstrationen. Im
Hinblick auf das, was zu passieren hat, möge man eine re-
alistische Betrachtung an den Tag legen.

Es wird keine Weltregierung geben. Da die Welt nicht
immer rational reagiert, müssen wir darauf setzen, dass an
möglichst vielen Stellen der Welt möglichst viel gleiches
Denken entsteht. Dieser Prozess muss durch vernünftige
Streitschlichtungselemente gesteuert werden. Wenn das
geschieht, kommt es zu mehr Frieden. Wir wollen keinen
Saal, sondern ein Haus mit vielen Zimmern, ein Dorf mit
vielen Häusern, auch wenn damit viele Unterschiede ein-
hergehen. Deswegen sollte es keine zu strengen Regulie-
rungen geben.

Ich komme – das ist der letzte Gedanke, den ich äußern
möchte – auf die Entwicklungsländer zu sprechen, was
mir besonders wichtig ist. In der ganzen Enquete ist viel
von dem die Rede, was die Industrienationen machen
müssen. Obwohl in Afrika sehr viel gemacht worden ist –
Afrika hat die privilegiertesten Handelsbeziehungen zur
Europäischen Union; man kann sie nicht weiter privile-
gieren – –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419510600
Herr Kollege
Schauerte, auch Sie muss ich jetzt erinnern und mahnen.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1419510700
Ich habe den
Schluss meiner Rede aber noch nicht versprochen, gnä-
dige Frau.


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Afrika – ich möchte nur noch diesen Gedanken zu
Ende bringen – ist wirklich privilegiert und dennoch sind
die Ergebnisse katastrophal. Das heißt, ohne intensive An-
strengungen dieser Länder, ihre Regierungsformen zu de-
mokratisieren, ihre Korruption in den Griff zu bekommen
und die Gefahr von Militärdiktaturen einzudämmen – da
sind sie selber gefordert, das können wir ihnen nicht auf-
oktroyieren –, wird es keine Verbesserung dieser Situation
geben. Deswegen wird es – auch dieser Schwerpunkt
muss genannt werden – gemeinsamer Anstrengungen
aller Beteiligten bedürfen. Einseitige Schuldzuweisungen
helfen nicht weiter. Auch die Entwicklungsländer sind ge-
fordert, ihren Beitrag zu leisten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419510800
Ich kontere jetzt nicht
mit der Anrede „gnädiger Herr“. Vielmehr rufe ich jetzt
die Kollegin Annelie Buntenbach von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ren! Auch die Arbeit der Enquete-Kommission kann von
den Ereignissen des 11. September und ihren Folgen nicht
unberührt und unbeeinflusst bleiben. Negative Folgen
von Globalisierung, die Zunahme von Ungleichheit und

Ungerechtigkeit, von Hunger und Armut in der Welt kön-
nen und dürfen nicht als Rechtfertigung für Terror und
Verbrechen herhalten. Klar ist aber auch, dass Ungerech-
tigkeit und Hoffnungslosigkeit die Wurzeln und den geis-
tigen Nährboden bilden können, auf dem terroristische
Gewalt gedeihen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass sich
die Enquete-Kommission mit den Folgen der Globalisie-
rung und den Möglichkeiten der Regulierung beschäftigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Von den 6 Milliarden Menschen auf der Erde leben
2,6 Milliarden, also fast die Hälfte, von weniger als 2 US-
Dollar pro Tag und 1,2 Milliarden, also ein Fünftel, sogar
von weniger als 1 Dollar. Dies stellt der aktuelle
Weltentwicklungsbericht der Weltbank fest. Er sagt eben-
falls, dass sich der Abstand zwischen den Durchschnitts-
einkommen der reichsten und der ärmsten Länder der
Welt in den letzten 40 Jahren, Herr Schauerte, verdoppelt
hat. Zwar hat der globale Wohlstand ohne Zweifel erheb-
lich zugenommen – das ist natürlich gut so –, aber es ist
keineswegs gut, dass er eklatant ungerecht verteilt ist. Die
Folgen sind Armut, hohe Kindersterblichkeit, Krankheit
und Hunger in vielen Teilen der Welt.

Wir müssen feststellen: So international wie unsere
Märkte ist unsere Solidarität offensichtlich nicht. Das
wird sich auch nicht dadurch ändern, dass die Liberalisie-
rung und Internationalisierung der Märkte voranschreitet.
Der freie Fluss der Marktwirtschaft bringt immer auch
Ungerechtigkeiten mit sich, gegen die Politik aktiv an-
steuern muss. Zu dieser Erkenntnis ist zumindest noch
Ludwig Erhard gekommen, einer der Begründer der so-
zialen Marktwirtschaft.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das hat sich also schon herumgesprochen!)


Auf der internationalen Ebene – das wissen wir nach
den langen Diskussionen in der Enquete-Kommission alle
gut genug – ist das leichter gesagt als getan. Klar ist eben
auch, dass politische Einmischung und Regulierung drin-
gend nötig sind, um soziale und ökologische Ziele in die-
sem Prozess fest zu verankern und mehr Transparenz,
Teilhabe und Demokratisierung durchzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Was können wir tun? In dem Zwischenbericht der En-
quete-Kommission, aber auch in dem Antrag der Koaliti-
onsfraktionen zur WTO-Runde werden eine ganze Reihe
von Schritten genannt. Ich kann hier nur einige heraus-
greifen.

Wichtiger Motor der Globalisierung sind die rasant ge-
wachsenen internationalen Finanzmärkte. Zum einen
sind sie aus der internationalen Wirtschaft nicht mehr
wegzudenken, zum anderen aber zirkuliert hier spekulati-
ves Kapital in einem irrsinnigen Tempo rund um den Glo-
bus. Das ist mit hohen Risiken verbunden, zumal die
Schocks der Krisen insbesondere schwache Volkswirt-
schaften treffen. Ein Instrument, um die Spekulation ein-
zudämmen, ist die Tobinsteuer, also die Besteuerung von

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Hartmut Schauerte

19053


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kurzfristigen Devisentransaktionen. Hierfür setzt sich die
grüne Fraktion ein,


(Reinhold Hemker [SPD]: Nicht nur die Grünen!)


wohl wissend, dass die Tobinsteuer kein Allheilmittel ist,
sondern nur ein Instrument.

Genauso wichtig für eine neue Architektur der Finanz-
märkte ist es aus unserer Sicht, zum Beispiel die interna-
tionalen Standards endlich auch auf Offshorezentren aus-
zudehnen; diese werden von den einen Steuerparadiese,
von den anderen Geldwaschanlagen genannt. Da muss
dringend etwas passieren, damit in diesen auch die inter-
nationalen Standards gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Den internationalen Institutionen muss eine neue
Orientierung gegeben werden: weg von einem isolierten
Liberalisierungsansatz in der Handels- bzw. Finanzpolitik
hin zur Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen
Auswirkungen ihrer Interventionen. Wie dringend hier
ein Umdenken nötig ist, zeigt die Erklärung des IWF vom
August dieses Jahres, in der gesagt wird, dass man sich
nicht an die zahlreichen Menschenrechtsdeklarationen
und -konventionen gebunden fühle, da diese schließlich in
den eigenen Statuten nicht erwähnt seien.

Die Enquete-Kommission empfiehlt – bezogen auf den
IWF und die Bretton-Woods-Institutionen –, die Politik
nach den negativen Lehren der Strukturanpassungs-
maßnahmen grundlegend zu ändern: Es müsse auf soziale
und ökologische Belange Rücksicht genommen und For-
men der Partizipation der Bevölkerung müssten gefunden
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Katar soll eine neue, mehrjährige WTO-Runde ein-
geleitet werden. Dieser Prozess darf nicht hinter ver-
schlossenen Türen stattfinden. Wir brauchen Transparenz
gegenüber der Zivilgesellschaft und die Evaluation der
bisherigen Vereinbarungen im Rahmen der WTO. Wir
brauchen eine parlamentarische Versammlung mit
beratender Stimme gerade dann, wenn wir erreichen
wollen, dass die Handelspolitik nicht mehr isoliert betrie-
ben, sondern mit nachhaltiger Umwelt- und Sozialpolitik
gekoppelt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Verstehen Sie das nicht falsch: Es geht mir nicht da-
rum, dass die WTO oder der IWF die Instrumente werden
sollen, um die Umwelt- oder Sozialpolitik durchzusetzen.
Es kann aber nicht sein, dass in der WTO gesagt wird, sie
sei ausschließlich für die Handelspolitik zuständig; die
Umwelt- und Sozialfolgen ihrer Politik interessierten sie
nicht; diese sollten durch andere behoben werden, wie
zum Beispiel durch das Weltumweltprogramm der Ver-
einten Nationen, die UNEP, oder die Weltarbeitsorganisa-
tion, die ILO. Diese haben aber wiederum gar nicht die

notwendigen Instrumente und Mittel, um dies zu tun. Des-
halb treten wir dafür ein, dass in der WTO das Vorsorge-
prinzip verankert, die ILO gestärkt und die UNEP zu ei-
ner Umweltorganisation mit größerem Gewicht innerhalb
der UNO ausgebaut wird.

Es geht aber bei dem Stichwort „global governance“,
worüber wir in der Enquete-Kommission ausführlich dis-
kutiert haben und diskutieren, nicht allein um eine Reform
der internationalen Institutionen, sondern auch um die
Einbeziehung neuer Akteure. „Global governance“ setzt
auf das Zusammenwirken von staatlichen und nicht staat-
lichen Akteuren auf lokaler bis hin zur internationalen
Ebene. Die tatsächliche Umsetzung von Kernarbeits-
normen, die – das sehe ich genauso, wie Sigrid Skarpelis-
Sperk es eben vorgetragen hat – in der WTO verankert
werden müssen, und die tatsächliche Umsetzung von Um-
welt- und Sozialstandards vor Ort hängen von den strate-
gischen Allianzen zwischen Konsumenten und Produzen-
ten und zwischen Nord und Süd ab.

Die Absichtserklärungen mulinationaler Konzerne,
Umwelt- und Sozialstandards zu respektieren, dürfen
nicht zu folgenlosen Werbestrategien im Norden verkom-
men, sondern müssen dazu genutzt werden, um gemein-
sam konkrete Verbesserungen der Arbeits- und Lebens-
bedingungen der Menschen im Süden zu erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion
über die Globalisierung; sie muss offen geführt werden.
Sie darf weder kriminalisiert werden, wie in Genua, noch
praktisch ausgeschlossen werden, wie dies in Katar vor-
gesehen ist. In diesem Zusammenhang freut es mich, dass
morgen hier in Berlin der erste große Kongress der glo-
balisierungskritischen Attac-Bewegung stattfinden wird.
Ich erhoffe mir davon auch für unsere Diskussion hier im
Parlament wichtige Anstöße.

Herr Schauerte, das heißt nicht, dass die politische Dis-
kussion an die NGOs delegiert werden soll; das will hier
niemand.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Na, na!)


In diesem Zusammenhang sind wir als Parlament ge-
fragt. Statt uns darauf zu beschränken, bereits Entschie-
denes nur noch zu ratifizieren, wie dies in der Ver-
gangenheit oft genug der Fall war, müssen wir uns – als
Parlament – in Zukunft mit viel größerer Selbstverständ-
lichkeit in die Gestaltung und Vorbereitung der auf inter-
nationaler Ebene anstehenden Entscheidungen einmi-
schen.

Wir werden uns in der Enquete-Kommission jedenfalls
bemühen, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bis
zum Endbericht noch einen ganzen Strauß weiterer, aus-
gesprochen kluger Handlungsempfehlungen für die Ein-
mischung des Parlaments vorzulegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ursula Lötzer [PDS])


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Annelie Buntenbach

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(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419510900
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Gudrun Kopp.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1419511000
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Herren und Damen! Ich will ein wenig Wasser in den Wein
gießen und damit beginnen, dass sich Verzicht manchmal
als wahre Stärke erweisen kann. Insofern hätte ich mir ge-
wünscht – und habe in der Enquete-Kommission auch
dafür plädiert –, dass wir diesen Zwischenbericht nicht
verfasst hätten. Wir hätten uns vielmehr schnellstens, und
zwar mangels Substanz in vielen Themenbereichen, auf
den Schlussbericht konzentrieren sollen.

Ich bemängele – das sage ich auch noch einmal aus-
drücklich –, dass wir einen Bericht vorgelegt haben, der,
zum Beispiel bezogen auf die Arbeitsmärkte und viele an-
dere Bereiche – auch bei den Waren und Dienstleistungen –
bis hin zur Einleitung, in aller Eile erstellt und nicht sorg-
fältig wissenschaftlich erarbeitet wurde. In der Konse-
quenz ist er im Grunde genommen für mich eher enttäu-
schend.

Sie alle haben in einem Kommentar der „FAZ“ vom
15. dieses Monats lesen können – ich zitiere –:

In billigster Art und Weise, wissenschaftlich unqua-
lifiziert und ideologisch eingefärbt wird dort mit po-
pulären Ängsten hantiert.

Ich finde, das ist für die Mehrheit in dieser Enquete-Kom-
mission eine schallende Ohrfeige. Wir sollten alles daran-
setzen, die nächsten sechs Monate, die uns noch verblei-
ben, um einen wirklich inhaltsträchtigen Schlussbericht
zu erstellen, zu nutzen und zu einem Ergebnis zu kom-
men, das sich sehen lassen kann.


(Beifall bei der FDP)


Wir als FDP-Fraktion sind jedenfalls schon dabei, an ei-
nem solchen Schlussbericht zu arbeiten, weil wir uns ver-
pflichtet sehen, hier konsequent zu arbeiten.

Was bringt die Globalisierung den Armen in diesen
Ländern? Diese Frage wird häufig gestellt. Ich habe einen
Aufsatz von Professor Franz Nuscheler gelesen, der in
einer Passage sehr interessant für mich war. Professor
Nuscheler, der als Experte der Grünen für die Enquete-
Kommission benannt war, schreibt in diesem Aufsatz,
dass die Zahl der Armen zwar gestiegen sei, dass sich da-
bei die Weltbevölkerung aber seit 1960 verdoppelt habe
und de facto also der Anteil der Armen zurückgegangen
sei. Außerdem hätten sich die Lebenserwartung und die
Alphabetisierung verbessert – sie seien permanent ge-
stiegen – und die Kinder- und Müttersterblichkeit sei
deutlich gesunken.

Das alles ist nicht ausreichend; es zeigt aber, dass das
bisschen Globalisierung, das wir in den letzten Jahren hat-
ten, mit Sicherheit nicht für schlechtere, sondern für bes-
sere Verhältnisse gesorgt hat. Das heißt also: Nur mit
freien Märkten und mit Transparenz schaffen wir mehr
Demokratie, mehr Menschenrechte, mehr Bildung und
damit auch insgesamt ein menschenwürdigeres Leben.


(Beifall bei der FDP – Dr. Sigrid SkarpelisSperk [SPD]: Das ist aber wirklich sehr simpel!)


In der Tat ist weltweit weniger Geld in die Entwick-
lungshilfe geflossen. Dafür haben sich aber die Direkt-
investitionen in die armen Länder verfünffacht; das muss
man sich einmal überlegen: verfünffacht! Ich finde, das ist
ein hervorragendes Ergebnis.

Ich spreche mich im Namen der FDP ausdrücklich
gegen eine Koppelung des Handels mit Sozialstandards
aus, weil ich der Überzeugung bin – das ist auch EU-Po-
sition –, dass die IAO, nicht die WTO, über Sozialstan-
dards zu beraten hat. Ich finde es richtig, anstelle dessen
die Einbindung der armen Länder in die Arbeitsteilung
und die Marktöffnung voranzutreiben. Im Übrigen ist, wie
ich neulich in einer Anhörung erfahren konnte – sehr in-
teressant –, auch die Bundesregierung der Meinung, man
solle Sozialstandards nicht mit dem Handel koppeln. Viel-
leicht sollten Sie sich einmal beraten lassen.

Zum Thema Tobinsteuer. Auch hier kann ich mich
sehr kurz fassen: Die FDP lehnt die Tobinsteuer schlicht
ab. Sie ist kein Instrument, um hier erfolgreich arbeiten zu
können. Sie schafft nur neue Steueroasen und führt dazu,
dass der internationale Handel verteuert wird. Das geht
zulasten der gesamten Bevölkerung. Wir haben auch an-
dere Beispiele. Ich nenne hier noch einmal „Rasen für die
Rente“, „Rauchen für den Frieden“ und „Spekulieren für
die Entwicklungshilfe“. Das kann es nicht sein; das ist
keine Ordnungspolitik.


(Beifall bei der FDP)


Wir als FDP sehen: Die Globalisierung eröffnet uns
große Chancen zu wirtschaftlicher und sozialer Entwick-
lung für die Menschheit. Wir sehen neue Möglichkeiten
der weltweiten Arbeitsteilung durch Handel und Kapital-
mobilität. Wir sehen eine Überwindung geographischer
Standortnachteile durch neue Technologien und Bil-
dungsangebote.

Wir wissen aber auch: Es gibt Risiken. Diese Risiken
bestehen in einer möglichen Ausuferung lokaler Störfälle
zu globalen Krisen, einer Entwicklung privater Monopol-
macht von weltweit agierenden Großkonzernen, einer
Untergrabung der Steuerbasis usw. Natürlich gibt es das.

Dazu wirken als Krisenvermeidung Reformschritte,
die zu mehr Transparenz an den Kapitalmärkten und da-
mit zu einer präziseren Bewertung der Risiken durch die
Kreditgeber führen. Hier sind zunächst einmal die natio-
nalen Regierungen gefragt und dann erst der IWF.

Der freie Handel mit Gütern und Dienstleistungen
– das ist bei den Vorrednern gar nicht oder nur am Rande
vorgekommen – ist ein Kernziel liberaler Wirtschaftspo-
litik. Ein Schritt in Richtung Liberalisierung ist die Frage
an uns selbst, an die EU und an die USA, wie wir es mit
der Öffnung unserer Agrar- und Textilmärkte halten.
Es ist nicht akzeptabel, wenn die USA eine Subventi-
onsaufstockung um 15 Milliarden DM beschlossen haben
und erst ab dem Jahr 2012 bereit sind, diese Beträge all-
mählich herunterzufahren. Wir müssen auch uns selbst
fragen, wie wir damit umgehen wollen.

Wir Liberalen wollen keinen Wettbewerb à la Wild-
west, in dem alles möglich ist, sondern wir haben als lang-
fristiges Ziel eine globale Wettbewerbsordnung unter dem

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19055


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(A)



(B)


Dach der WTO vor Augen. Wir wünschen uns dazu vier
Schritte, und zwar erstens erweiterte Notifizierungs-
pflichten bei der WTO, zweitens Wettbewerbspolitik als
neuer Bestandteil der WTO-Berichtsmechanismen, drit-
tens Verständigung über die Vereinbarung eines Rahmens
gemeinsamer Wettbewerbsregeln und viertens ein Welt-
kartellamt mit eigener Klagebefugnis. Es könnte entwe-
der bei der WTO oder gegebenenfalls auch bei der UN an-
gesiedelt sein. Letzteres wäre unseres Erachtens nicht die
Ideallösung.

Wir stehen vor einer neuen WTO-Runde. Wir sind uns
wohl alle darüber im Klaren, wie wichtig es ist, dass diese
Runde auf jeden Fall stattfindet und dass sie umfassend
sein wird, also möglichst viele Themen zur Sprache kom-
men.

Wir richten an diese WTO-Runde sechs Forderungen:
erstens die Stärkung der WTO durch eine umfassende
neue Welthandelsrunde, wie ich sie eben beschrieben
habe, zweitens eine weitere Liberalisierung der Agrar-
und Textilmärkte, die den Entwicklungsländern zugute
käme, drittens eine Stärkung internationaler Organisatio-
nen und Foren als Möglichkeiten zum Austausch von
Meinungen, viertens weitere Fortschritte im Hinblick auf
das langfristige Ziel einer globalen Wettbewerbsord-
nung unter dem Dach der WTO, fünftens Fortentwick-
lung und nicht Abbremsung der Funktionsfähigkeit der
internationalen Finanzmärkte, sechstens eine Stärkung
multilateraler Streitschlichtungsmechanismen, wie sie
zum Beispiel bei der WTO anstelle des bilateralen Aus-
handelns bestehen, damit nicht immer der Stärkere Recht
bekommt.

Summa summarum gilt für uns als FDP: Wir sehen die
Globalisierung als Chance. Wir verteufeln sie nicht, son-
dern haben den Anspruch auch an den Deutschen Bun-
destag, diese Globalisierung offensiv zu gestalten. Aus
unserer Sicht überwiegen die Chancen gegenüber den Ri-
siken. Wir wünschen uns mehr und nicht weniger Globa-
lisierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419511100
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Ulla Lötzer.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419511200
Frau Präsidentin! Kolleginnen
und Kollegen! Mehrfach wurde heute wieder erklärt,
langfristig sei eine soziale Weltwirtschaft nötig, um dem
Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Doch zu einer
langfristigen Perspektive gehören auch kurzfristig
Schritte, die einen Kurswechsel ermöglichen. Deshalb se-
hen wir im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin Kopp, die
Empfehlungen der Enquete-Kommission in einem Zwi-
schenbericht durchaus als notwendig und hilfreich auf
dem Weg in eine solche Richtung an.

Auch wir sagen: Globalisierung ist kein Sachzwang,
dem Politik sich ohnmächtig beugt, im Gegenteil: Regie-
rungskonferenzen wie die G 8 und internationale Institu-
tionen legen die Leitlinien der internationalen Politik fest.
Aber Maßnahmen zu ihrer Demokratisierung, die eine

gleichberechtigte Partizipation der Entwicklungsländer
ermöglichen, die Einbeziehung der Parlamente, die viel
beschworene oder auch umstrittene Partnerschaft mit
NGOs sind seit langem in der Diskussion. Sie fehlten in
Genua, sie fehlen in der vorgesehenen Abschlusser-
klärung zur Welthandelsrunde, sie fehlen auch weitge-
hend in dem Antrag der Regierungsfraktionen. Auch
Ohnmacht und Demütigung bilden einen Boden, auf dem
Terrorismus gedeiht.

Den Empfehlungen der Mehrheitsfraktionen im Zwi-
schenbericht haben wir zugestimmt. Allerdings vermissen
wir Maßnahmen zur demokratischen Kontrolle der Fi-
nanzmärkte und ihre Einbindung in eine nachhaltige
Entwicklung. Deshalb haben wir in unserem Minderhei-
tenvotum ergänzende Empfehlungen vorgelegt. Ich will
wenigstens zu zwei Empfehlungen kurz Stellung nehmen.

Eine Empfehlung betrifft gerade den Faktor Demo-
kratisierung des Internationalen Währungsfonds. Es
kann nicht hingenommen werden, dass Industrieländer
eine der UN unterstellte Organisation dominieren. Statt
die Stimmrechte allein nach ökonomischer Stärke zu ver-
teilen, schlagen wir vor, auch die Zahl der von den Ent-
scheidungen betroffenen Menschen und Fortschritte bei
der qualitativen Entwicklung mit zu berücksichtigen. Im
Gegensatz zu Ihnen wollen wir die Einführung der Tobin-
steuer. Mit Freude habe ich in der Debatte gehört, dass die
Vertreter der Regierungsfraktionen diese in ihre Empfeh-
lungen heute aufgenommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die Europäische Union würde mit einer Einführung im

Alleingang einen pionierhaften Beitrag zu mehr Gerech-
tigkeit hier und heute leisten. Die Argumente, die auch die
Bundesregierung immer wieder dagegen anführt und die
auch heute angeführt wurden, sind im Zwischenbericht
widerlegt. Ich empfehle insbesondere Herrn Minister
Eichel und Staatssekretär Tacke vor dem nächsten Inter-
view die Lektüre.

Die Diskussion nach Genua hat die Tobinsteuer und
weitere Maßnahmen zur Regulation der Finanzmärkte auf
die Tagesordnung der europäischen Finanzminister ge-
setzt. Bis zum Dezember soll ein Bericht dazu vorliegen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, bei der Erstellung
dieses Berichts Positionen von NGOs wie Attac, von Ge-
werkschaften und kritischen Wissenschaftlern ergänzend
einzubeziehen und die Parlamente an der Entscheidungs-
findung zu beteiligen. Befassen Sie sich ernsthaft mit den
Argumenten, statt diese einfach, wie in der Vergangen-
heit, weiter zu ignorieren!

Die soziale Dimension des Welthandels wird im Zwi-
schenbericht wie auch in Ihrem Antrag aufgegriffen. Die
völlige Freizügigkeit von Kapital und Handel ohne so-
ziale Standards ermöglicht transnationalen Konzernen
und Investoren, gerade die Länder, Herr Kollege
Schauerte, die sich geöffnet haben, in die Konkurrenz um
Sozialdumping zu treiben. Die immer wieder beschwo-
rene Standortkonkurrenz, die für den Erhalt der Wettbe-
werbsfähigkeit zum Abbau sozialer Leistungen zwinge,
und die Erosion sozialer Standards in Industrie-, Ent-
wicklungs- und Schwellenländern sind die Folgen. Die
Zunahme des informellen Sektors ohne Arbeitsschutzge-
setze und die Explosion der Sonderwirtschaftszonen sind

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Gudrun Kopp

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(C)



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(A)



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deutliche Belege dafür, wie die Liberalisierung die Ero-
sion sozialer Standards vorangetrieben hat. Der Sprecher
der ärmsten Entwicklungsländer spricht angesichts der
kommenden WTO-Runde von ihrer tiefen Enttäuschung,
weil ihre völlige Marginalisierung im Welthandel in der
vorgesehenen Abschlusserklärung noch nicht einmal Er-
wähnung findet.

Die EU will dieser Entwicklung, unterstützt von der
Enquete-Kommission, mit einem globalen Forum für
soziale Entwicklung entgegenwirken. Wir begrüßen,
dass die soziale Dimension in die Diskussion einbezogen
wird. Allerdings finden wir davon kein Wort in der vorge-
sehenen WTO-Abschlusserklärung. Während über Sozia-
les diskutiert werden soll, wird die Liberalisierung mit ei-
nem umfangreichen Maßnahmenpaket der WTO-Agenda
forciert und damit die Erosion vorangetrieben. Deshalb
sagen wir: Eine faire Verteilung wird erst möglich, Frau
Kollegin Skarpelis-Sperk, wenn in einem solchen Forum
die Auswirkungen hinsichtlich der sozialen und ökologi-
schen Dimension evaluiert werden. Solange daraus keine
Schlussfolgerungen vorliegen, sollte keine weitere
Forcierung der Liberalisierung vorgenommen werden.
Ergänzende Maßnahmen dazu haben wir in unserem
Minderheitenvotum in einem umfangreichen Maßnah-
menpaket vorgeschlagen.

Eine soziale Dimension setzt auch eine Entwick-
lungsperspektive für die ärmsten Länder voraus, davon
war mehrfach die Rede. Zwar kommt dieser Satz auch in
der Abschlusserklärung, auch in ihrem Antrag vor; auch
in der heutigen Debatte war er mehrfach zu vernehmen.
Doch mit den konkreten Forderungen der ärmsten Länder
setzen Sie sich leider kaum oder gar nicht auseinander.
Auch die ärmsten Länder wollen keine weitere Liberali-
sierung. Sie treten insbesondere für die Aufnahme einer
speziellen Entwicklungsagenda in den Verhandlungen
ein.

Wir fordern die Bundesregierung, aber in der weiteren
Arbeit der Enquete-Kommission auch die Regierungs-
fraktionen und alle anderen auf, diese Position zu unter-
stützen und weiterhin mit aktuellen und konkreten
Empfehlungen zu unterlegen. Globale Sicherheit und glo-
baler Frieden setzen eine weltweite Allianz für eine so-
ziale, ökologische und demokratische Dimension der
Globalisierung voraus.

Danke.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419511300
Der Parlamentarische
Staatssekretär Siegmar Mosdorf hat seine Rede zu Proto-
koll gegeben1). – Ich höre keinen Widerspruch im Hause;
dann ist das möglich.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Warum hat er das denn getan? Ich erhebe Widerspruch gegen diese Feststellung!)


– Ich glaube, das haben die Stenographinnen und Steno-
graphen festgehalten.

Jetzt erteile ich dem Kollegen Erich Fritz von der Frak-
tion der CDU/CSU das Wort.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1419511400
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Diese Debatte ist kein Glanzlicht für die Parla-
mentsdramaturgie. Wir machen uns mit dieser Debatte
lächerlich angesichts des Anspruchs der Öffentlichkeit an
dieses Thema.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Dass hier heute die Globalisierungsdebatte mit der Dis-
kussion über die WTO-Anträge, die allein schon genug
Stoff für eine ausführliche Debatte bieten würden,


(Ursula Lötzer [PDS]: Da haben im Ältestenrat auch Ihre Kollegen zugestimmt! Das können wir belegen!)


und mit dem AKP-Gesetz vermischt wird, und zwar in-
nerhalb einer Debattenzeit von 75 Minuten, ist der Sache
nicht angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Die Bundesregierung interessiert das Thema offensicht-
lich überhaupt nicht.

Ich habe Verständnis, dass durch die Verschiebung der
Debatte jemand das Plenum früher verlassen muss;


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das hätte im Ältestenrat angemahnt werden können!)


aber ich rechne es hoch an, dass Ministerin Wieczorek-
Zeul anwesend ist, die jedoch in dieser Debatte keine Re-
dezeit hat. Auch die Anwesenheit des Kulturministers
nehmen wir gerne zur Kenntnis. Aber wo sind der Außen-
minister und der Finanzminister?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das sagt alles über diese Regierung!)


Die Mitglieder des Kabinetts, die für die zentralen Fragen
der Globalisierung zuständig sind, sind hier nicht vertre-
ten. Das ist der Sache nicht angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir nun überall dafür werben und auch mit allen
europäischen Parlamenten im Gespräch darüber sind, um
diese Debatte von der Straße in die Parlamente zurückzu-
holen, dann tun wir der Sache keinen Dienst, wenn wir
uns jetzt so verhalten. Deshalb ist hier eine andere Dra-
maturgie dringend erforderlich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die SPD ist da anderer Meinung und applaudiert nicht!)


Hier werden doch nur Überschriften ausgetauscht. Das
geht bei den vorgesehenen Debattenbeitragszeiten auch

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Ursula Lötzer

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1) Anlage 3

gar nicht anders. Ich will die paar Minuten, die ich habe,
aber doch darauf verwenden, etwas zur WTO zu sagen,
weil wir in einer schwierigen Situation sind und nach den
Anschlägen in den USA weltwirtschaftlich sicher in noch
schwierigere Situationen kommen werden.

Für uns gibt es gar keinen Zweifel, dass wir allen
Grund haben, dazu beizutragen, dass die Voraussetzungen
für offene Märkte erhalten bleiben und dass es weitere
Handelsliberalisierungen gibt, weil nur aus ihnen
Entwicklungsmöglichkeiten und Wachstum entstehen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Genauso wichtig ist aber, dass wir alles Mögliche tun,
um faire Handelsbedingungen zu schaffen und einen in-
ternationalen Ordnungsrahmen zu entwickeln, der die
gleichberechtigte Teilhabe aller Partner an der globalen
Wirtschaft möglich macht und die Chancen so verteilt,
dass alle mit diesem System leben können.

Das, was hier sowohl von Frau Skarpelis als auch von
Frau Buntenbach und Frau Lötzer vorgetragen worden ist,
klingt für die deutsche Öffentlichkeit insofern gut, als es
immer heißt: Wir Deutschen haben diese und jene For-
derungen, die wir jetzt kraftvoll durchsetzen werden. –
Sagen wir doch lieber ehrlich, dass es um einen multila-
teralen Prozess geht, in dem Groß und Klein, wichtig oder
unwichtig, die gleiche Stimme haben, dass es immer da-
rum geht, Geschäfte auf Gegenseitigkeit zu machen, dass
man über Themen nur dann reden kann, wenn alle dazu
bereit sind, und dass noch so machtvolle Demonstrationen
nichts an diesem Zustand ändern.

Deshalb müssen wir uns darauf einlassen, dass das,
was wir gerne erreichen wollen, einen langen Prozess er-
fordert, den wir nicht durch eine und auch nicht durch
zehn Konferenzen erreichen, sondern nur durch eine hart-
näckige, andauernde Entwicklung dieses multilateralen
Systems, dass aber die Alternative dazu schrecklich ist.
Die Alternative ist nämlich der Rückfall in den Bilatera-
lismus, in die Durchsetzung der politischen und wirt-
schaftlichen Macht der Großen gegenüber den Kleinen.
Die Alternative ist der Regionalismus mit neuem Protek-
tionismus, mit der Abschirmung der Märkte. Zu wessen
Lasten das geht, das wissen wir doch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, gerade weil wir eine Phase
vermutlich schwierigen Fahrwassers in der Weltpolitik
und der Weltwirtschaft vor uns haben, müssen wir alles
daransetzen, dass dieser Prozess nicht unterbrochen, son-
dern fortgesetzt und ausgebaut wird. Vor allem die Ent-
wicklungsländer müssen ihre Stimme erheben können,
müssen ihre Produkte auf den Märkten anbieten können.
Wir müssen alles tun, damit Entwicklung möglich wird.

Aber diese Länder – wir reden da in der Regel von be-
stimmten Regimen – müssen auch bereit sein, das, was
wir „good governance“ nennen, durchzusetzen. Es hat
überhaupt keinen Sinn, theoretisch Beteiligungsmöglich-
keiten zu eröffnen, wenn sie aufgrund der Praxis in diesen
Ländern und der tatsächlichen Macht- und Verteilungs-

verhältnisse überhaupt nicht die Wirkungen erzeugen, die
wir alle gerne hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir als CDU/CSU-Fraktion
haben unseren Antrag bereits im Frühjahr vorgelegt, weil
wir eine breite Debatte im Vorfeld der nächsten WTO-
Konferenz wollten. Diese breite Debatte haben wir heute
nicht. Deshalb bitte ich alle, die jetzt zuhören, darum,
dazu beizutragen, dass die Fraktionen diese Debatte zu-
mindest nach der nächsten Ministerkonferenz er-
möglichen, wo es ja noch nicht um Verhandlungen geht,
sondern nur um die Frage, ob und, wenn ja, unter welcher
Tagesordnung überhaupt verhandelt wird. Denn ohne eine
breite Beteiligung des Parlaments wird dieser Prozess in
der Bevölkerung nicht akzeptiert werden und die NGOs,
die an mancher Stelle nur ein bestimmtes Interesse haben,
werden eine höhere Akzeptanz als das Parlament haben.

Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass in der Be-
völkerung klar ist, dass wir den Willen haben, diesen Pro-
zess zu gestalten, und dass wir die Kraft haben, auch wenn
es sich um Regierungsverhandlungen handelt, diesen Pro-
zess als Parlament so zu begleiten, dass jeder darauf ver-
trauen kann, dass wir das richtig hinkriegen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419511500
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Kristin Heyne für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419511600
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie-
ber Herr Kollege Fritz, ich teile Ihr Bedauern darüber,
dass die Debattenzeit relativ kurz ist und auch die Präsenz
nicht ganz der Bedeutung des Themas entspricht. Aber ich
kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, dass auch Ihre
Fraktion die Möglichkeit gehabt hätte, heute Morgen in
der Kernzeit nicht die siebte Debatte zur inneren Sicher-
heit zu führen, sondern über die Globalisierung zu debat-
tieren. Diese Möglichkeit hätte jede Fraktion des Hauses
gehabt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD] – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Der Vorwurf ging nicht in eine bestimmte Richtung!)


Damit will ich nicht sagen, dass die Debatte unwichtig
war.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das meine ich aber auch! Die Leute haben Angst vor den Bedrohungen!)


Aber ich glaube, dass auch diese Debatte wichtig ist.

Ich bin froh darüber, dass etliche Redner in dieser De-
batte deutlich gemacht haben: Globalisierung ist kein
Schreckgespenst. Wir müssen sie weder fürchten noch
bekämpfen. Globalisierung ist auch weit mehr als nur die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Erich G. Fritz

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Öffnung von Märkten. Sie eröffnet weltweit Möglichkei-
ten zur Durchsetzung sozialer, ökologischer und demo-
kratischer Grundprinzipien und sie eröffnet Chancen für
eine gerechtere Teilhabe an Frieden, Freiheit und Wohl-
stand. Diese Chancen und Möglichkeiten gilt es zu för-
dern und auszubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Globalisierung birgt allerdings auch die Gefahr unglei-
cher und ungerechter Beziehungen zwischen den Staaten.
Wir dürfen nicht zulassen, dass gerade die ärmsten
Staaten nicht an den internationalen Entwicklungen teil-
haben. Die Politik im 21. Jahrhundert ist gefordert, die
Globalisierung sozial und ökologisch gerecht zu gestal-
ten.

Ein wichtiger Beitrag zu diesem Ziel kann die Welt-
handelsrunde in Katar sein, wenn die Industrieländer
bereit sind, stärker auf die Bedürfnisse, Schwierigkeiten
und Vorschläge einzugehen, wenn es also zu einer Ent-
wicklungsrunde kommt, die diesen Namen auch verdient.
Dabei wird es allerdings um Fragen gehen, die auch in
Deutschland und in der EU kontrovers diskutiert werden.
Es geht um eine stärkere Marktöffnung gerade bei den
Produkten, die für die Entwicklungsländer von besonde-
rer Bedeutung sind. Ich spreche dabei von der Landwirt-
schaft und vom Textilsektor. Es geht um die Verringerung
von Zöllen auf verarbeitete Produkte. Wer den Entwick-
lungsländern empfiehlt, ihre Wirtschaft zu diversifizieren,
und dann das Ergebnis dieses Prozesses mit Zöllen „be-
straft“, der handelt unglaubwürdig. Schließlich geht es
um die schrittweise Abschaffung von Exportsubventionen
innerhalb der EU, durch die in der Vergangenheit immer
wieder lokale Märkte in den Entwicklungsländern gestört
oder sogar zerstört wurden. Es wird sich erweisen, ob die
Industrieländer bereit und in der Lage sind, auf die Ereig-
nisse des 11. September 2001 auch in Fragen des gerech-
ten Welthandels besonnen und entschieden zu reagieren.

Lassen Sie mich ein weiteres wesentliches Entwick-
lungshemmnis ansprechen: Globale Kapitalströme und
offene Finanzmärkte schaffen in vielen Schwellen- und
Entwicklungsländern erhebliche Probleme. Die Folge ist
häufig ein Kreislauf von übermäßiger Verschuldung, Ent-
schuldung und erneuter Verschuldung. Bei den Entschul-
dungsverhandlungen beispielsweise im Pariser Klub sind
die Gläubiger de facto Gutachter, Kläger und Richter in
einer Person. Die Bedingungen der Entschuldung gehen
häufig zulasten der Bevölkerung und der Entwicklungs-
perspektive der entsprechenden Länder.

Die HIPC-Initiative ist ein erster wichtiger Schritt in
die richtige Richtung, schafft aber keine dauerhafte Lö-
sung. Deshalb spricht sich die grüne Fraktion für ein in-
ternationales Verfahren zur Bereinigung der Überschul-
dung von Staaten aus. Dabei soll die Beteiligung von
Schuldnern, Gläubigern, einem unabhängigen Schieds-
richter und von Vertretern der Zivilgesellschaft ein faires
und transparentes Verfahren ermöglichen.

So wie das nationale Insolvenzrecht privaten Schuld-
nern den Schutz der Menschenwürde zugesteht, so zielt

ein internationales Insolvenzrecht auf neue Entwick-
lungschancen in den betroffenen Ländern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dabei soll ein Existenzminimum im Hinblick auf
Ernährung, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur gesi-
chert sein. Die Schulden sollen bis auf ein tragfähiges Ni-
veau reduziert werden, damit die betroffenen Staaten den
restlichen Schuldendienst nachhaltig leisten können, ohne
auf die Entwicklung ihrer Volkswirtschaft und die Ver-
besserung der Lebenssituation ihrer Bevölkerung ver-
zichten zu müssen.

Das Verfahren zur Bereinigung von Überschuldung
zielt auf eine größere Verantwortung sowohl bei den
Gläubigern als auch bei den Schuldnern und dient der Sta-
bilisierung der Finanzmärkte. Die Enquete-Kommission
hat sich diesen Vorschlag zu Eigen gemacht. Ich hoffe,
dass auch die Bundesregierung dies demnächst tun wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Aspekt er-
wähnen: Für eine wirksame Unterstützung der Entwick-
lungsländer ist es notwendig, dass alle Maßnahmen an
den konkreten regionalen Problemstellungen orientiert
sind. Wir begrüßen deshalb, dass die G 8 auf ihrem Gip-
fel in Genua beschlossen haben, einen Aktionsplan zur
Unterstützung der New African Initiative zu erarbeiten.
Mit der Parlamentarischen Staatssekretärin Uschi Eid hat
der Kanzler eine herausragende und engagierte Afrika-
kennerin für diese wichtige Aufgabe benannt. Wir freuen
uns darüber – wir sind darauf auch ein bisschen stolz –
und wünschen ihr ein gutes Gelingen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419511700
Jetzt spricht für die
CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thomas Rachel.


Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1419511800
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Die Globalisierung ist ein
vielschichtiges Phänomen. Über kaum eine andere Ent-
wicklung in unserer Zeit wird so viel diskutiert und keine
andere ist so umstritten wie die Globalisierung der Welt-
wirtschaft. Die einen verbinden mit ihr Hoffnungen und
Chancen auf Teilhabe, die anderen – wie die Globalisie-
rungsgegner in Genua – sehen in ihr vor allem Gefahren
und lehnen sie ab.

Eine Sicht der Dinge dahin gehend, dass sich jeder
Staat ohne gravierende Folgen einfach für oder gegen
Globalisierung aussprechen könne, ist jedoch ein Trug-
schluss.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Genau!)


Globalisierung kann man nämlich nicht abschaffen.
Wahrscheinlich wäre dies auch gar nicht erstrebenswert.
Beschleunigt durch die neuen Informationstechnologien

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Kristin Heyne

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nimmt der Austausch von Gütern, Kapital und Dienstleis-
tungen, ja sogar von Menschen und Wissen bis hin zu
Menschenrechten immer weiter zu.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Und niemand möchte das missen!)


Worum geht es also? Ich denke, es muss darum gehen,
die Vorteile der Globalisierung zu nutzen und die Nach-
teile zu minimieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies ist auch der Auftrag der Enquete-Kommission „Glo-
balisierung der Weltwirtschaft“ des Bundestages. Sie soll
für die Politik auf internationaler und nationaler Ebene
Antworten finden. Dies wird nicht einfach sein. Denn in
Zeiten der Globalisierung entwickeln sich Weltökonomie
und Nationalstaat auseinander. Dabei dürfen wir die Sor-
gen der Menschen nicht einfach abtun. Viele haben Sor-
gen. Sie fühlen sich ohnmächtig vor dem Tempo der wirt-
schaftlichen Veränderung und sind verunsichert. Gerade
wir als Christdemokraten nehmen diese Sorgen ernst und
wollen tragfähige Lösungen finden.

Völlig verfehlt ist es allerdings, wenn, wie die PDS es
tut, gefordert wird, die Liberalisierung des Welthandels
zu stoppen.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sie kennen es ja nicht anders!)


Verzicht auf weiteren Welthandel bedeutet Verzicht auf
Wohlstandszuwachs für die Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Autarkie ist in unserer Welt nicht mehr möglich. Wer sie
will, propagiert Rückschritt.

Manche versuchen, die Globalisierung zum Sünden-
bock für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu machen.
Aber eine positive Beschäftigungsentwicklung resultiert
aus wirtschaftlichem Wachstum. Für dieses sind wach-
sender Handel und zunehmender Kapitalverkehr hilf-
reich. Gerade die internationale Arbeitsteilung durch die
Globalisierung befreit die Volkswirtschaften von den Fes-
seln heimischer Nachfragebeschränkung und eröffnet ih-
nen neue Einkommensperspektiven.

Empirisch ist bewiesen, dass offene Volkswirtschaften
schneller wachsen als Länder, die sich der internationalen
Arbeitsteilung verweigern. Auch steigen Beschäftigung
und Verdienste in offenen Volkswirtschaften schneller als
in geschlossenen. Somit bleibt der Handel ein effektives
Instrument bei der Armutsbekämpfung. Der „Econo-
mist“ hat dazu eine einfache Antwort gegeben: „Globali-
sierung, das ist der Unterschied zwischen Südkorea und
Nordkorea.“ Dies ist eine überaus zutreffende Beschrei-
bung.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist für den „Economist“ etwas zu simpel!)


Natürlich sind nicht alle Probleme gelöst – im Gegen-
teil. In vielen Ländern gibt es schreckliche Abhängig-
keitsverhältnisse und unsoziale Strukturen, aber die Ant-
wort darauf ist eben nicht die Abschaffung der

Globalisierung. Was auf globaler Ebene fehlt, ist eine Ent-
wicklung hin zu einer internationalen sozialen Markt-
wirtschaft. Dies ist der Ordnungsrahmen, für den wir uns
politisch einsetzen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gegenüber anderen Produktionsfaktoren wie Kapital,
Rohstoffen oder menschlicher Muskelkraft gewinnen die
Faktoren Information und Wissen die entscheidende Be-
deutung, und das durch sekundenschnelle Verbreitung
durch die Informationstechniken.

Handel hat es auch in anderen Jahrhunderten gegeben,
aber die „lautlose“ Revolution hat durch die Informati-
onstechnologien stattgefunden. Die gute Nachricht dabei
ist: Der Mensch wird an Bedeutung gewinnen, denn nur
der Mensch ist in der Lage, Information zu Wissen zu ver-
arbeiten. Allerdings: Nur ausgebildete Menschen können
Nutzen aus diesem Fortschritt der neuen Technik ziehen.
Die Globalisierung und der Weg in die Wissensgesell-
schaft haben in den entwickelten Gesellschaften zu einer
zunehmenden Beschäftigung hoch qualifizierter Personen
geführt. Im Umkehrschluss sind Arbeitsplätze für Unqua-
lifizierte verloren gegangen. Dies zeigt, dass die Frage
nach Gewinnern und Verlierern im Prozess der Globali-
sierung auch die Frage nach Bildung und Qualifikation
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die OECD hat vor zwei Wochen Indikatoren für die
„wissensbasierte Gesellschaft“ nach Ländern geordnet
zusammengestellt. Wesentliche Kriterien sind dabei die
Ausgaben der einzelnen Nationen für Bildung, Forschung
und Software. Deutschland liegt bei der Realisierung der
Wissensgesellschaft nur im Mittelfeld. Andere Länder
wie Schweden, Finnland, die USA und Japan sind viel
weiter.

Woran liegt dies? Es liegt bestimmt nicht an der Zahl
der staatlichen Programme. Die Bundesregierung hat in
ihrem Bericht an die Enquete-Kommission allein 43 Pro-
gramme zur Gestaltung der Wissensgesellschaft ange-
führt. Manchmal ist auch weniger mehr.

Es geht nicht um die Erhöhung staatlicher Mittel. Auch
die privaten Investitionen in die Ausbildung müssen
durch entsprechende Rahmenbedingungen erhöht wer-
den.


(Beifall der Abg. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD])


Bei der Schaffung von Wissen durch Forschung ist ein er-
heblicher Nachholbedarf festzustellen. Die Forschungs-
ausgaben in den USA und Schweden sind vor allem im
Wirtschaftssektor wesentlich höher. Nicht staatliche Pro-
gramme waren hierbei entscheidend.

Die wissensintensiven Unternehmen, die wir brau-
chen, verlangen möglichst freie Entfaltung, Reduzierung
staatlicher Interventionen und neue Rahmenbedingungen
für die Vernetzung von Arbeit, Wohnen und Freizeit. Die
Bundesregierung tut aber genau das Gegenteil dessen,
was die moderne Wissensgesellschaft braucht. Ich ver-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Thomas Rachel

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weise nur auf die vielen neuen Restriktionen im Arbeits-
und Steuerrecht.

Unsere Aufgabe als Enquete-Kommission bleibt es
deshalb, im Endbericht die Herausforderungen für Bil-
dung und Wissenschaft zu untersuchen und notwendige
Reformmaßnahmen zu benennen, damit möglichst alle an
der globalisierten Wissensgesellschaft teilhaben können,
sowohl im Verhältnis der Bürger unseres Landes unter-
einander als auch zwischen Industrieländern, Entwick-
lungsländern und Schwellenländern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb lassen Sie mich mit einem Zitat des UNO-Ge-
neralsekretärs Kofi Annan schließen:

Die Globalisierung funktioniert nur, wenn sie für alle
funktioniert. Ansonsten wird sie für niemanden
funktionieren.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419511900
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Dagmar Schmidt für die Fraktion der
SPD.


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1419512000
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Es war wichtig und rich-
tig, die Enquete-Kommission „Globalisierung der Welt-
wirtschaft“ einzusetzen. Wir alle wissen um die Ängste
vieler Menschen vor einer Aufspaltung der Gesellschaft
in Modernisierungsgewinner und Modernisierungsverlie-
rer. Politik muss – will sie glaubwürdig bleiben – diese
Sorgen ernst nehmen und Risikoreduzierung in allen Fa-
cetten zum politischen Programm machen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Philosophin Hannah Arendt hat einmal gesagt,
Gottes Thron sei leer. Aber dürfen die Euphoriker der
Globalisierung diese vermeintliche Leere mit ihrem An-
betungsmodell ausfüllen, das da heißt: „Die Wirtschaft
wird es schon richten; der freie Markt reguliert sich
selbst“? – Sie dürfen nicht! Sie müssen begreifen: In Fra-
gen der Globalisierung wird es für niemanden dauerhaf-
ten wirtschaftlichen Erfolg geben, wenn es uns nicht ge-
lingt, zu einer Globalisierung mit menschlichem Antlitz
zu gelangen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sehr einverstanden!)


Glaubt jemand ernsthaft, dass wir und die Generation
nach uns dauerhaft in Sicherheit und Wohlstand leben
können, wenn die Mehrzahl der Menschen unterhalb der
Armutsgrenze lebt und von Hunger bedroht ist, wenn
Menschenrechte und Demokratie als exklusive Luxusgü-
ter den reichen Ländern vorbehalten bleiben?

Nehmen wir einmal die Auswirkungen der Globalisie-
rung auf die Entwicklungsländer näher in den Blick.
Diese Auswirkungen haben Rückwirkungen auf uns alle.
Die Verheißungen einer globalisierten Weltwirtschaft ha-
ben sich nur für wenige Schwellenländer erfüllt und auch
dort nicht für die Mehrheit der Menschen. Besonders die
ärmsten Länder sind marginalisiert worden. Diese Tatsa-
che stellt uns und die Länder innerhalb der Europäischen
Union vor die Aufgabe, unserer globalen Verantwortung
gerecht zu werden.


(Beifall bei der SPD)


Die Europäische Union muss den Interessen der Ent-
wicklungsländer bei den kommenden WTO-Runden an-
gemessen Rechnung tragen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Einverstanden!)


Sie kann dabei auf ihre langjährige Tradition der Partner-
schaftsabkommen mit den AKP-Staaten aufbauen. Mit
dem Abkommen von Cotonou ist es gelungen, verbesserte
und WTO-konforme Rahmenbedingungen für die wirt-
schaftliche Entwicklung der Partnerländer zu schaffen.
Somit kann auch die kommende WTO-Runde zu einer
ehrlichen Entwicklungsrunde werden. Dies ist insbeson-
dere dem persönlichen Einsatz unserer Ministerin
Wieczorek-Zeul zu verdanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Entwicklungsrunde heißt für die entsprechenden Län-
der, eine leistungsorientierte Marktöffnung zuzulassen.
Das heißt: keine übereilte Handelsliberalisierung und
keine übereilte Finanzmarktliberalisierung. Entwick-
lungsrunde heißt aber für uns alle: Orientierung am Prin-
zip der Nachhaltigkeit und Eingehen eines Bündnisses für
globale Gerechtigkeit. In diesem Bündnis müssen wir
Überzeugungsarbeit leisten, damit kurzfristige kompara-
tive Handelsvorteile durch Sozial- und Umweltdumping
als Strohfeuerpotenziale erkannt werden. Nur die Einhal-
tung angemessener sozialer und ökologischer Standards
garantiert dauerhaft Wohlstand und Sicherheit. Dazu
gehören auch die Kernarbeitsnormen.

Auf dem Gebiet der Ressourcen muss es uns gelingen,
sie effizienter zu nutzen. Die Entwicklungsländer sollen
die Chance erhalten, durch Teilhabe am weltweiten Wis-
senszuwachs und eigene Produktion eine größere Auto-
nomie zu erlangen. Nur so können sie sich aus der un-
würdigen Rolle des manipulierbaren Rohstofflieferanten
emanzipieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Elend trotz Reichtum an Bodenschätzen? Ganze Land-
striche unbewohnbar, weil einigen der Boden und das,
was in ihm ist, mehr wert ist als das, was bescheiden da-
rauf leben möchte? Entwicklungspolitik muss also eine
wichtige Rolle im Globalisierungsprozess spielen. Sie hat
bewährte Instrumente, die zunehmend von politisch weit-
sichtigen Entscheidungsträgern – auch anderer Ressorts –
genutzt werden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Thomas Rachel

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Deshalb bin ich froh, dass unser Gedankengut gerade
durch die vernetzte Arbeit in der Enquete-Kommission zu
einer klugen und nachhaltigen Globalisierungspolitik
beiträgt. So – und nur so – kann unser Bündnis für globale
Gerechtigkeit gelingen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419512100
Jetzt spricht für die
CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Dagmar Wöhrl.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1419512200
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Volkswa-
gen Polo, montiert im spanischen Pamplona, enthält Zu-
lieferteile aus 16 Ländern – von Mexiko bis Tschechien.
Das ist Globalisierung.

Ein Gespräch von New York nach London kostete im
Jahr 1930 – umgerechnet auf heutige Preise – noch
300 Dollar in der Minute. Heute kostet es gerade noch ei-
nen Dollar. Unternehmen sind heute in der Lage, ein und
dasselbe Produkt an verschiedenen Standorten zu ent-
wickeln, zu produzieren und zu vermarkten. Auch das ist
Globalisierung.

Globalisierung ist jedoch kein neues Phänomen, son-
dern nur ein neues Wort für eine Entwicklung, die schon
seit über 100 Jahren vor sich geht. Auch unsere Großeltern
haben bereits eine zunehmende Verflechtung der Welt-
wirtschaft gekannt.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Nur die Geschwindigkeit war anders!)


– Genau, lieber Herr Kollege Fritz.

Die Informationstechnologie hat in den letzten Jahren
diesem langen Prozess einen sehr kräftigen Qualitäts-
schub gegeben.

Wir sollten aber nicht so tun, als ob die Globalisierung
eine Art Epidemie wäre, die neuerdings die Weltwirt-
schaft befallen hat. Richtig ist: Wir müssen die Ängste der
Menschen in Bezug auf mögliche Folgen und Nebenwir-
kungen der Globalisierung ernst nehmen, müssen uns
aber davor hüten, solche Ängste zu schüren.

Wir haben bei den globalen Veränderungen ein immens
hohes Tempo und dieses hohe Tempo beschleunigt den
Strukturwandel. Für uns gilt es, die Chancen dieses
Wandels zu erkennen und durch eine aktive Gestaltung zu
nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Denn die Globalisierung ist – anders als sie sehr oft dar-
gestellt wird – kein Nullsummenspiel, in dem der eine das
gewinnt, was der andere verliert. Fakt ist, dass diese Gren-
zen sprengende Liberalisierung für alle Beteiligten Vor-
teile bringen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zahl der Teilnehmer am Welthandel wird immer
größer und die Schwellenländer Südostasiens sind inzwi-

schen zu neuen Konkurrenten geworden. Uns Deutschen
fällt die Argumentation besonders leicht. Schließlich sind
wir als Vizeweltmeister im Export einer der Hauptge-
winner einer internationalen Arbeitsteilung und des Welt-
handels.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition: Wenn sich einige von Ihnen der Rhetorik der
Globalisierungsgegner anschließen, erinnert mich das
an jemanden, der den Ast, auf dem er sitzt, absägen will,
weil ihm die Sitzgelegenheit zu hart ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Globalisierung hat ihre Tücken; das ist klar. In die-
sem Punkt sind wir nicht auseinander. Aber die interna-
tionale Verflechtung über Handels- und Finanzströme be-
wirkt eine neue Dynamik. So kann es passieren, dass sich
eine Krise von einem Ende der Welt zum anderen in Win-
deseile ausbreitet. Wenn die Weltbörse erkältet ist, kann
es passieren, dass auch unsere Wirtschaft einen Schnup-
fen bekommt. Aber dann muss man vorbereitet sein. Da-
durch zeichnet sich eine gute Wirtschaftspolitik aus.


(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Am weitesten fortgeschritten ist inzwischen die Glo-
balisierung der Finanzmärkte. Diese Märkte sind allein
in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt um 15 Prozent
gewachsen. Der Umsatz am Devisenmarkt betrug im Jahr
2000 2,5 Billionen Dollar am Tag. Ende der 70er-Jahre
waren es noch 75 Milliarden Dollar. Ich bitte, sich diesen
Riesenunterschied einmal zu vergegenwärtigen.

Es kommt – das wissen Sie – auch zu Kursschwankun-
gen an den Finanzmärkten, verbunden mit Fehlentwick-
lungen an den Devisen- und Aktienmärkten, die die Gefahr
von internationalen Finanzkrisen in sich bergen. Den-
noch sind wir der Auffassung, dass eine Rückkehr
zu Kapitalverkehrsbeschränkungen der vollkommen
falsche Weg wäre. Die so genannte Tobinsteuer als ver-
meintliches „Gegengift“, deren Einführung Sie, Frau
Wieczorek-Zeul, hier wieder gefordert haben, ist in den Au-
gen der Union ein denkbar ungeeignetes Instrument, um die
Stabilität der internationalen Finanzmärkte sicherzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen andere Ansätze. Ein richtiger Ansatz
wäre die Stärkung des Bankensektors durch die Un-
abhängigkeit von politischen Einflüssen und durch eine
funktionierende Bankenaufsicht. Das heißt, die neuen
Entwicklungen bringen auch Herausforderungen und
Probleme mit sich. Aber es ist falsch, sich einfach hinter
dem Rücken der Globalisierung zu verstecken. Wenn ich
mir die deprimierenden Wachstums- und Arbeitslosen-
zahlen Deutschlands anschaue, dann muss ich feststellen,
dass diese nicht importiert sind. Sie sind einfach „made in
Germany“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Made by Schröder! – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Made by government! – Gegenruf der Abg. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das musste ja kommen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dagmar Schmidt (Meschede)


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Dass Deutschland hinterherhinkt, hat viele Gründe,
allen voran die Sklerose des Arbeitsmarktes. Hier muss
der Kanzler endlich einmal dem Charme der Gewerk-
schaften widerstehen, liebe Frau Kollegin Dr. Skarpelis-
Sperk, Charakter zeigen und die Arbeitsmärkte flexibler
gestalten.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Die sind doch schon flexibel!)


Was machen Sie stattdessen? – Vor dem Hintergrund ei-
ner labilen, wegbrechenden Konjunktur erhöhen Sie die
Steuern. Sie müssen dringend ein wirtschaftliches Krisen-
management betreiben, und zwar durch rasche Steuersen-
kungen und echte – ich betone: echte – Reformen! Hier
helfen keine nebulösen europäischen Konjunkturpro-
gramme, mit denen der Kanzler in Quedlinburg gelieb-
äugelt hat.

Es gibt eine einzige intelligente Antwort auf die He-
rausforderungen der Globalisierung: Es müssen vor Ort
die richtigen Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft
geschaffen werden, damit sich Deutschland im scharfen
internationalen Wettbewerb der Standorte um Märkte,
Kunden, Produkte und Technologien behaupten kann.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wieder die alte Leier!)


Hieran fehlt es dieser Regierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419512300
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker für die SPD-Fraktion.


Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Rede ID: ID1419512400
Frau Präsi-
dentin! Meine verehrten Damen und Herren! Die letzte
Stunde war von Streit geprägt. Er ist in zivilen Formen ab-
gelaufen. In Genua, in Seattle und in Göteborg ging es
nicht ganz so friedlich zu. Aber wir alle müssen zur
Kenntnis nehmen, dass das Thema Globalisierung Streit
erzeugt. Das müssen auch diejenigen anerkennen, die
gute Argumente dafür haben, warum die Globalisierung
kein Nullsummenspiel ist und allen nützt. Trotzdem müs-
sen auch Sie, Frau Wöhrl, zur Kenntnis nehmen, dass es
Streit gibt. Nun stellt sich die Frage: Wie geht man mit
dem Streit um?

Ich möchte jenseits allen Streites zuerst mit großer
Dankbarkeit den Zwischenbericht unserer Enquete-Kom-
mission dem Hohen Hause vorstellen und mich bei dieser
Gelegenheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des Sekretariats und bei all denjenigen ganz herzlich be-
danken, die an diesem Bericht mitgearbeitet haben.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich schließe in meinen Dank selbstverständlich auch die-
jenigen ein, die in Bezug auf die Einschätzung anderer
Meinung als die Mehrheit waren.

Frau Kollegin Kopp, ich muss aber das, was die „FAZ“
geschrieben hat, zurückweisen, nämlich dass der Zwi-
schenbericht billig und unwissenschaftlich sei.


(Gudrun Kopp [FDP]: Leider wahr!)


Ich müsste auch Ihre Meinung zurückweisen, wenn dies
die Ihrige wäre. Zu einer solchen Beurteilung kommt man
als Ökonom vermutlich dann, wenn man die Ausweitung
des Freihandels als Vermehrung der Wohlfahrt definiert.
Wenn man es einfach so definiert, dann hat man kein Be-
weisproblem mehr.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Aber so einfach macht es sich ja niemand! – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Es gibt ja auch die Empirie, nicht nur die Theorie! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


– Auf die positiven Seiten komme ich noch zu spre-
chen. – Also: Diese Beschimpfung vonseiten der „FAZ“
ist völlig ungerecht.

Gestört hat manche von Ihnen, zum Beispiel Herrn
Kollegen Schauerte, dass wir im Bericht mit einigem
Nachdruck über die Probleme und weniger über die posi-
tiven Seiten der Globalisierung gesprochen haben. Der
Grund für diese scheinbare Schlagseite ist ganz einfach:
Bei den positiven Seiten gibt es sehr viel weniger Hand-
lungsbedarf; dort, wo es Probleme gibt, müssen wir dage-
gen etwas tun und darüber dann auch etwas schreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Niemand, Kollege Schauerte und Frau Kollegin Kopp,
setzt hier auf Abschottung. Soweit ich das überblicke, ha-
ben Sie das zumindest heute von niemandem gehört, von
mir ganz gewiss nicht. Aber Handlungsbedarf gibt es
trotzdem, und zwar sehr vielfältig.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich Millionen,
vielleicht Milliarden von Menschen gegenwärtig in einem
Zustand der Hilflosigkeit sehen und in aller Regel die
Globalisierung als Ursache dafür betrachten. Wenn einer
Textilarbeiterin in Thailand gesagt wird, ihr kärglicher Ar-
beitsplatz könne jederzeit gestrichen werden, wenn es für
die internationale Firma, bei der sie beschäftigt ist, ren-
tabler wird, in Vietnam statt in Thailand zu produzieren,
dann fühlt sie sich ausgeliefert. Aus dieser Stimmungs-
lage heraus entsteht dann ein Problem für unsere Demo-
kratie; denn es nützt der jungen Thailänderin nicht furcht-
bar viel, wenn sie weiß, dass sie alle vier Jahre zur
Wahlurne gehen kann. Es nützt ihr auch nicht furchtbar
viel, Frau Wöhrl, wenn wir sie mit der Aussage, das Ganze
sei kein Nullsummenspiel, zu trösten versuchen. Sie ist
eindeutig in einer höchst prekären abhängigen Situation
und fühlt sich gefährdet. Aus diesem Gefühl entsteht em-
pirisch eine schleichende Verdrossenheit mit der De-
mokratie selbst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das aber nicht gefördert werden darf!)


Darin liegt die Gefahr, dass sich Menschen resigniert
zurückziehen oder aber sich radikalen und undemokra-
tischen Strömungen anschließen. Herr Kollege Schauerte,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dagmar Wöhrl

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ich stimme Ihnen völlig zu: Das soll man nicht schüren.
Das tun wir auch nicht. Aber man soll die Probleme schon
beim Namen nennen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das muss man!)


Es hatte ja alles so gut begonnen. Wir alle waren doch
so glücklich, als 1989 die Mauer fiel und die Marktwirt-
schaft als Sieger aus dem Systemwettbewerb hervorge-
gangen ist. Niemand bestreitet doch, verehrte Kollegin-
nen und Kollegen von der Opposition, dass das siegreiche
System, der Freihandel, die Globalisierung, viel mehr
Wohlstand schafft als die autoritäre Kommandowirtschaft
oder auch eine Einigelungsstrategie.

Aufgrund dieser Beobachtungen meine ich – da bin
ich, soviel ich sehe, mit allen im Hause einig –, dass wir
von folgender optimistischer Annahme ausgehen kön-
nen: Die Globalisierung kann so gestaltet werden, dass
es insgesamt viel mehr Gewinner als Verlierer gibt.
Tatsächlich, empirisch, aber tut sich die Schere zwischen
Arm und Reich in den letzten 20 Jahren immer weiter
auf.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Daran ist doch auch das Bevölkerungswachstum schuld! – Zuruf von der CDU/CSU: Leider!)


In den 70er-Jahren verdienten die reichsten 20 Prozent der
Erdbevölkerung etwa 30-mal so viel wie die ärmsten
20 Prozent. In den 80er-Jahren, als die Phänomene der un-
beschränkten Marktwirtschaft vor allem in Nord- und
Südamerika auftraten, stieg der Abstand von einem Fak-
tor 30 auf einen Faktor von etwa 45. In den 90er-Jahren,
in denen sich die Globalisierung weltweit durchgesetzt
hat, ist der Abstand auf einen Faktor 74 gestiegen.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Und in der Zeit werden die Entwicklungshilfemittel brutal gekürzt!)


Das kann man nun wirklich nicht leugnen und das ist ein
gesellschaftliches Problem allererster Ordnung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Vorrednerinnen und Vorredner haben schon die
wichtigsten inhaltlichen Aspekte unserer eineinhalbjähri-
gen Arbeit skizziert. Lassen Sie mich noch zwei Themen
hinzufügen: erstens die große Aufgabe des Nord-Süd-
Ausgleichs, von dem Frau Schmidt gesprochen hat, und
zweitens den Schutz der öffentlichen Güter im Zeitalter
der Globalisierung.

Zur Situation der Entwicklungsländer wiederhole ich
nicht das, was Frau Schmidt gesagt hat, ich sage lediglich,
dass das Abkommen von Cotonou vom 23. Juni dieses
Jahres einen Lichtblick in der ansonsten traurigen Lage
der Finanzierung der Entwicklung darstellt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem eindrucksvollen Finanzvolumen von immerhin
13 Milliarden Euro bis zum Jahr 2005 leistet es einen
großen Beitrag zur Herbeiführung globaler Gerechtigkeit.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ersetzt aber nicht die bilateralen Kürzungen, Herr von Weizsäcker! Leider!)


– Nein.

Kommen wir zum zweiten Punkt, dem Schutz öffent-
licher Güter wie zum Beispiel der Umwelt, der sozialen
und ökonomischen Stabilität, der Rechtssicherheit, dem
Zugang zu Bildung und Informationen, der Infrastruktur
usw. Die Sicherung und Fortentwicklung öffentlicher Gü-
ter erfordert in erster Linie staatliches Handeln. Eben dies
ist aber unter dem Konkurrenzdruck der Standorte gegen-
einander in jüngster Zeit finanziell erschwert worden.

Man kann nicht bestreiten, dass praktisch die gesamten
riesigen Wohlfahrtsgewinne der 90er-Jahre in den priva-
ten Sektor geflossen sind, während in der Mehrzahl aller
Länder die Finanzierung der öffentlichen Güter schwieri-
ger, in manchen Fällen notleidend geworden ist.

Der Schutz der öffentlichen Güter, und das auf globaler
Ebene, ist das wichtigste Ziel dessen, was man heute als
Global Governance bezeichnet. Zwei Hoffnungen ver-
binden sich mit dem Stichwort der Global Governance,
dem sich ein Kapitel unseres Zwischenberichts widmet.
Das ist einerseits die Stärkung der staatlichen Seite, der
Vereinten Nationen, der internationalen Verträge und an-
dererseits die Stärkung derjenigen zivilgesellschaftlichen
Akteure, die sich den Schutz der öffentlichen Güter zur
Aufgabe gemacht haben. Dabei geht es um die Menschen-
rechte, deren Einhaltung sich sowohl viele kirchliche
Gruppen als auch Amnesty International, Terre des
Hommes, Ärzte ohne Grenzen und andere zum Ziel ge-
setzt haben.

In diesem vierten Kapitel des Berichts wird eine syste-
matische Kooperation zwischen staatlichen und nicht
staatlichen Akteuren entworfen, die sich zum Grundpfei-
ler einer demokratischen Weltkultur entwickeln kann. Die
Demokratie wurde schließlich im 17., 18. und 19. Jahr-
hundert nur für den Nationalstaat entwickelt. In dem
Maße, in dem die Wirtschaft, die Medien, der Tourismus
und die Umweltgefährdung global geworden sind, wird es
zur Verpflichtung für uns alle, demokratische und frei-
heitliche Formen der Mitgestaltung zu entwickeln und po-
litisch durchzusetzen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Es ist offenkundig, dass wir die Arbeit an dieser Jahr-
hundertaufgabe noch ein gutes Stück fortsetzen müssen.
Ich stimme Frau Kopp darin vollständig zu. Wir müssen
auch noch mehr Wissenschaft hineinpacken. Aber der
Zwischenbericht einschließlich seiner Sondervoten lohnt
auf jeden Fall Ihre Lektüre.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker

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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419512500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6910, 14/7143, 14/5805, 14/5755,
14/6889 und 14/7053 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf
Drucksache 14/7143 soll zusätzlich an den Rechtsaus-
schuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald
Weiß (Groß-Gerau), Karl-Josef Laumann, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU Kapitalteilhabe stärken –
Vermögensbildungsförderung altersvorsorge-
gerecht ausbauen
– Drucksache 14/6639 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Nach der interfraktionellen Absprache ist für die Aus-
sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Gerald Weiß für die CDU/CSU-Fraktion.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bessere
Rahmenbedingungen für mehr Mitarbeiterbeteiligung in
Deutschland zu schaffen, das ist sozusagen die Quintes-
senz des von der CDU/CSU vorgelegten Antrags. Wir
wollen mit diesem Antrag die Kapitalteilhabe stärken und
die Vermögensbildungsförderung altersvorsorgegerecht
ausbauen.


(Horst Schild [SPD]: Das steht hier drauf!)


Wir machen eine ganze Reihe von konkreten Vorschlä-
gen, die gemeinsam das Ziel haben, die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer stärker am Produktivkapital und an
den Erträgen der Wirtschaft zu beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unser Ziel ist es, die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer à la longue zu Mitunternehmern zu machen. Wenn
wir es richtig anpacken, können wir durch eine stärkere
Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am
Produktivkapital auch – was zu beweisen sein wird – ei-
nen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten.

Arbeit für alle und Eigentum für alle; diese Ziele hän-
gen eng zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sozialismus propagieren!)


– Ich höre „Sozialismus“? – Die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer zu Mitunternehmern zu machen, das ist das
Gegenteil von Sozialismus.

Wir müssen jetzt etwas für die Teilhabegerechtigkeit
tun. Eigentum stärkt Unabhängigkeit. Eigentum und per-
sönliche Freiheit stehen in einem unauflöslichen Zusam-
menhang. Eine breite Streuung von Eigentum wirkt der
Konzentration von Macht in der Wirtschaft entgegen. Ei-
gentum ist ein wesentlicher Bestandteil einer Ordnung der
Freiheit. Wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer auch deshalb am Kapital der Wirtschaft stärker
beteiligen, weil auf der einen Seite Arbeitseinkommen
und auf der anderen Kapitaleinnahmen sich bedenklich
weit auseinander zu entwickeln drohen. Der Gesellschaft
bekommt es nicht gut, wenn die Einkommensschere zu
weit auseinander geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es muss erfolglos bleiben, gegen diese Entwicklung
ausschließlich mit Strategien zur Erhöhung des Nominal-
lohns – Barlohnstrategien – anzugehen. Deshalb müssen
die Barlohnstrategien durch Kapitallohn- und Erfolgs-
lohnstrategien ergänzt werden. Sie sind das Gebot der
Stunde. Dafür müssen wir bessere Bedingungen schaffen.

Eine Forderung besteht darin, die Einkommensgren-
zen im Vermögensbildungsgesetz – es geht darum, den
von der unionsgeführten Regierung eingeschlagenen Weg
fortzuführen –, von 35 000 DM bzw. 70 000 DM auf
50 000 DM bzw. 100 000 DM anzuheben. Kapitalein-
kommen werden für breite Bevölkerungskreise insbeson-
dere als Alterseinkommen in Zukunft eine immer größere
Rolle spielen. Mit unserem Antrag verfolgen wir das Ziel,
die Vermögensbildungsförderung altersvorsorgegerecht
auszubauen.

Wir wissen: Auch eine nach unseren Vorstellungen ver-
besserte Förderung kann eine gezielte Unterstützung für
den Aufbau einer privaten bzw. betrieblichen Altersvor-
sorge zwar nicht ersetzen; sie kann sie aber sehr wohl
sinnvoll ergänzen. Die so genannte Riester-Förderung in
dem entsprechenden Rentengesetz ist so verkorkst, so
bürokratisch, so kompliziert und in Teilen auch so him-
melschreiend ungerecht, dass sie eine Ergänzung drin-
gend braucht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die von Riester geschaffene Regelung sieht zwölf
komplizierte Förderkriterien vor, obwohl man im Grunde
genommen nur zwei Kriterien braucht: Sicherheit und
Langfristigkeit.


(Horst Schild [SPD]: Das sichern wir mit der Riester-Rente!)


– Warum haben Sie dann zwölf Kriterien in das Gesetz
hineingeschrieben,


(Erika Lotz [SPD]: Wegen der Sicherheit!)


die große Behörden munter prüfen müssen?

Der Staat muss überall da, wo er die Bildung von Ei-
gentum und Vermögen aus knappen Ressourcen fördert,
Langfristigkeit in Form dauerhafter Bindungen belohnen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19065


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Deshalb kann unser Ziel nicht sein, kurzfristige Konsum-
schübe zu finanzieren. Vermögensbildung bis zur nächs-
ten Kreuzfahrt ist nicht das Ziel, sondern langfristige,
dauerhafte Kapitalbeteiligung – dauerhaftes Produktiv-
eigentum.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das muss das strategische Ziel der Vermögensbildungs-
förderung sein. Also müssen wir sie auf Langfristigkeit
neu ausrichten. Deshalb wollen wir die Arbeitnehmer-
sparzulage für langfristige, das heißt mindestens auf
15 Jahre oder bis zum 60. Lebensjahr festgelegte Produk-
tivkapitalbeteiligungen stärker fördern, nämlich mit ei-
nem Fördersatz von 30 statt bisher 20 Prozent.

Auch wollen wir beim § 19 a Einkommensteuergesetz
einen zusätzlichen Freibetrag von 500 DM als Anreiz zur
Vereinbarung langfristiger Mitarbeiterbeteiligungen vor-
sehen und darüber hinaus den Grundfreibetrag erhöhen,
sodass 1 000 DM bei der Überlassung von Mitarbeiterbe-
teiligungen steuerfrei bleiben.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das fällt Ihnen jetzt alles in der Opposition ein!)


– Ja, wir sind ganz nahe bei dem, was Ihnen in Ihrer Op-
positionszeit eingefallen ist. Wenn Sie einmal in der
Drucksache 13/4373 nachlesen wollen: Da fordern die
Abgeordneten Gerd Andres, Ulrike Mascher, Doris
Barnett, Ottmar Schreiner und weitere Abgeordnete der
SPD die Erhöhung der Einkommensgrenzen für die Ar-
beitnehmersparzulage von 50 000 auf 100 000 DM und ei-
nen Freibetrag von 1 000 DM. Da unsere Initiative davon
nicht weit entfernt ist, muss sie auch unter neuen Bedin-
gungen eine Chance haben.

Nicht irgendwelche sozialromantischen Schwärme-
reien sind es, die uns leiten, sondern das Gebot der Ge-
rechtigkeit, aber auch wirtschaftspolitische Vernunft. Für
Mitarbeiterbeteiligungen sprechen auch volkswirtschaft-
liche, betriebswirtschaftliche und vor allem beschäfti-
gungspolitische Gründe.

Erstens können Investivlohnvereinbarungen die direk-
ten Arbeitsfixkosten begrenzen. Sie können damit die
Voraussetzungen für die Entstehung neuer Arbeitsplätze
verbessern. Hierauf hat der Präsident des Ifo-Institutes,
München, Professor Sinn, in Untersuchungen immer wie-
der hingewiesen.

Zweitens lassen sich die positiven betriebswirtschaftli-
chen Effekte der Mitarbeiterbeteiligung an dem klaren
Produktivitätsgefälle zwischen Unternehmen, die Mitar-
beiterbeteiligungen haben, und solchen, die sie nicht ha-
ben, ablesen. Das hat eine Untersuchung des Institutes für
Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg anhand
eines schwierigen ökonometrischen Modells klar nachge-
wiesen. Es besteht ein klares Gefälle – übrigens in Ost und
West unseres Vaterlandes –, ein deutlicher Abstand in der
Produktivität zwischen Betrieben, die Mitarbeiterbeteili-
gungen haben, und solchen, die keine haben. Das hängt
mit Motivation zusammen. Nutzen wir doch die Motiva-
tionskräfte, die Miteigentum aufschließt – zumal sie klar
nachzuweisen sind; ich habe gerade die entsprechende
Untersuchung erwähnt –: Aus höherer Motivation auf-

grund von Kapitalmiteigentum erwächst eine höhere Pro-
duktivität.

Ein weiterer positiver betriebswirtschaftlicher Effekt
liegt – drittens – in der Stärkung der Eigenkapitalbasis der
Wirtschaft. Gerade sind die neuen Eigenkapitalkriterien
bei der Kreditprüfung entwickelt worden – Stichwort Ba-
sel II. Das ist insbesondere für unsere mit Eigenkapital
chronisch unterversorgte mittelständische Wirtschaft eine
beachtliche Schwierigkeit. Mitarbeiterbeteiligung kann
auch die Eigenkapitalversorgung in der Wirtschaft, in mit-
telständischen Unternehmungen verbessern. Nutzen wir
also den Finanzierungsaspekt, den die Mitarbeiterbeteili-
gung eröffnet, für die Stärkung der Kapitalbasis in unse-
rer mittelständischen Wirtschaft – mehrere Fliegen mit ei-
ner Klappe!

Alles spricht für eine neue Initiative in der Vermö-
gensbildungsförderung, für die Vermögensbildung in Ar-
beitnehmerhand. Wenn ich mir vor Augen halte, was er
auf einer Kundgebung zum 1. Mai 2000 gesagt hat, sieht
das auch der Bundeskanzler so. Dennoch ist, wie so häu-
fig, nichts passiert. Die Vermögensbildungsförderung ist
zu schade, um eine rhetorische Eintagsfliege des Bundes-
kanzlers zu bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie uns deshalb eine gemeinsame große Anstren-
gung daraus machen. Wir bitten um Zustimmung zu un-
serem Antrag.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419512600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Grotthaus für die SPD-Fraktion.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1419512700
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Weiß, gestatten Sie mir vorab zwei Anmerkungen: Ich
glaube, wir sind uns fast alle einig, dass Eigentum die
Freiheit stärkt. Es sollte aber auch jedem klar sein, dass
dieses Eigentum nur dann die Freiheit stärken wird, wenn
man eine direkte Einflussnahme auf das Eigentum hat.


(Beifall bei der SPD)


Wer also eine Beteiligung am Produktivkapital fordert,
sollte sich in diesem Hause auch einmal über die quali-
fizierte und insbesondere die wirtschaftliche Mitbestim-
mung in den Betrieben unterhalten.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie einen solchen Antrag einbringen, sind wir so-
fort bereit, mit Ihnen viel intensiver darüber zu diskutie-
ren, als dies heute überhaupt der Fall sein kann.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Rot und Grün durcheinander!)


Eine zweite Anmerkung. Als jemand, für den dies die
erste Legislaturperiode als Mitglied des Deutschen Bun-
destages ist, stelle ich fest, dass Sie als Opposition nach
dem Motto handeln: Wir haben die besten Ideen! Aber

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Gerald Weiß (Groß-Gerau)


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dass Sie uns 1 500 Milliarden DM Schulden hinterlassen
haben


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Um Gottes willen! Was ist das denn!)


und wie diese Ideen nun zu verwirklichen sind, darüber
machen Sie sich keine Gedanken, darüber soll sich die Re-
gierungskoalition Gedanken machen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Freunde von der PDS!)


Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Sie in Ihren
Ausführungen keine Aussagen zu den entstehenden Kos-
ten gemacht haben. Sie haben zwar Maßnahmen vorge-
schlagen; welche Haushaltsbelastungen diese aber letzt-
endlich mit sich bringen, haben wir nicht gehört. Deshalb
will ich es Ihnen sagen: Die Annahme Ihres Antrags zur
Förderung einer zusätzlichen Altersvorsorge würde noch
einmal 1,25 Milliarden DM pro Jahr kosten.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das stört die nicht!)


Wir hätten von Ihnen erwartet, dass Sie uns einen
Gegenfinanzierungsvorschlag machen. Sie sagen in Ih-
rem Antrag, dass dies durch Umschichtungen und rück-
läufige Belastungen an anderer Stelle aufgefangen wer-
den könne.


(Franz Thönnes [SPD]: Die CDU wird bald selbst umgeschichtet!)


Wo denn, bitte schön? Kommen Sie – vielleicht der nach-
folgende Redner – nach vorne und sagen Sie sehr deutlich,
zu wessen Lasten Sie Umschichtungen vornehmen oder
wie Sie die zusätzlichen Haushaltsmittel aufbringen wol-
len.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie brauchen nur einmal in den Haushalt zu schauen, dann finden Sie es vielleicht selber!)


Es ist die von Ihnen bekannte Methode, die letztendlich
dazu führt, dass es zu einer weiteren Mehrbelastung des
Haushaltes kommt. Sie wollen Ihre unsolide Haushalts-
politik der letzten Jahre fortsetzen. Dass wir dies nicht
mitmachen, ist Ihnen – davon gehe ich aus – schon im
Vorfeld klar gewesen. Deswegen sei bereits an dieser
Stelle gesagt: Wir werden Ihren Antrag ablehnen.

Im CDU/CSU-Antrag wird des Weiteren bemängelt,
dass die Zahl der Beteiligungen am Produktivvermö-
gen zu gering sei. Auch hierzu haben Sie keine Zahlen ge-
nannt. Ich will Ihnen einige nennen. Damit Sie die Betei-
ligungen erhöhen können, wollen Sie – so ihr Vorschlag –
eine Erhöhung zusätzlicher Freibeträge.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie sind ein schöner Gewerkschafter! Sie reden nur über Kosten!)


Ich sage Ihnen: Die zu erwartenden jährlichen Mehrkos-
ten, wenn wir also die Freibeträge erhöhen, betragen
250 Millionen DM – zusätzlich zu den gerade von mir ge-
nannten Kosten. Auch hierzu kam von Ihrer Seite keine
Aussage.

Eines steht fest: Zurzeit erwerben etwa 1 Million
Arbeitnehmer jährlich Beteiligungen im Wert von rund
750 Millionen DM. Die staatliche Förderung dafür beträgt
200 Millionen DM jährlich. Insgesamt sind also 2 Milli-
onen Arbeitnehmer – das sind 6 Prozent aller Arbeitneh-
mer – in rund 2 000 Unternehmen am Kapital des Arbeit-
gebers beteiligt. Damit ist nichts darüber ausgesagt, in
welcher Form diese Beteiligungen bestehen, ob dies Ak-
tien, Anlagen mit breitgestreuten Risiken oder was auch
immer sind. Von daher sage ich: Diese Beteiligung lässt
sich sicherlich ausbauen, aber nicht unter den Bedingun-
gen, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben.

Die Antragsteller kritisieren weiter, dass wir die Mitar-
beiterbeteiligung bei der Förderung nach dem Altersvermö-
gensgesetz ohne triftigen Grund nicht berücksichtigt haben.
Es gibt weiß Gott einen triftigen Grund. Die Mitarbeiterbe-
teiligungen wurden deshalb nicht in die Förderung des Al-
tersvermögensgesetzes aufgenommen, weil sie wegen der
fehlenden Risikostreuung und des fehlenden Verbraucher-
schutzes nicht für die Altersvorsorge geeignet sind. Wo
kommen wir denn hin, wenn sich Mitarbeiter zur Altersvor-
sorge über Kapitaleinlagen an einem Unternehmen beteili-
gen, dieses Unternehmen aber in alleiniger Entscheidung
bewusst Risiken eingeht, auf die der Arbeitnehmer keinen
Einfluss hat? Im Alter steht dann der Arbeitnehmer mögli-
cherweise da, ohne das, was er investiert hat, zumindest
zum Teil mit Zinsen zurückzubekommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie geht es denn dem Arbeitgeber?)


Das kann nicht sein. Das werden wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen sage ich Ihnen: Verbraucherschutz und Ver-
brauchersicherheit finden im Altersvermögensgesetz ins-
besondere darin ihren Ausdruck, dass die Anlageninstitute
Informations- und Berichtspflichten einzuhalten haben.
Ich will diese hier nicht aufzählen; Sie können sie nachle-
sen. Ich würde Ihnen empfehlen, dafür Sorge zu tragen,
dass sich der Verbraucherschutz zugunsten der Arbeitneh-
mer auch in Ihrem Antrag wiederfindet.

Ein weiterer Grund, weshalb wir Ihren Antrag ableh-
nen werden, ist: Die Arbeitnehmer sollen nicht in doppel-
ter Weise – nämlich mit ihrem Arbeitsplatz und mit ihrer
Altersvorsorge – vom wirtschaftlichen Erfolg des Unter-
nehmens abhängig sein. Sie sehen also, es gibt durchaus
triftige Gründe, warum sich Mitarbeiterbeteiligungen
nicht als Altersvorsorge im Rahmen des Altersvermö-
gensgesetzes eignen.

Die CDU/CSU-Fraktion hält die durch das dritte Ver-
mögensbeteiligungsgesetz erreichten Verbesserungen für
nicht ausreichend und führt dies im Wesentlichen auf die
zu niedrigen Einkommensgrenzen zurück. Was macht
die CDU/CSU da? – Ganz einfach – ich habe es gerade
schon erwähnt –: Sie erhöht die Einkommensgrenzen, da-
mit mehr Menschen erfasst werden. Ob dies sinnvoll ist,
wird hier nicht hinterfragt.

Ich will Ihnen auch dies an zwei Zahlenbeispielen
deutlich machen. Eine erneute Anhebung der Einkom-
mensgrenzen auf 50 000 bzw. 100 000 DM würde dazu

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Wolfgang Grotthaus

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führen, dass circa 90 Prozent aller Arbeitnehmer An-
spruch auf eine Arbeitnehmersparzulage haben. Das hört
sich positiv an, aber die Frage ist: Wen wollen Sie mit
Ihrem Antrag zusätzlich fördern? Arbeitnehmer, die mehr
als 120 000 DM im Jahr verdienen, werden dann auf ein-
mal auch noch vom Staat gefördert. Das war weiß Gott
nicht der Sinn der Arbeitnehmerförderung.

Der Sinn der Arbeitnehmerförderung war es, die Be-
zieher kleiner und mittlerer Einkommen zu fördern und
sich auf diese zu konzentrieren. Diesen Weg wollen Sie
mit Ihrem Antrag verlassen. Wir werden diesen Weg nicht
mitgehen. Aus diesem Grund stimmen wir auch gegen
Ihren Antrag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419512800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Frak-
tion.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419512900
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre katego-
rische Ablehnung dieses Vorschlages, Herr Grotthaus,
verwundert mich ein wenig. Sie setzen sich damit eindeu-
tig in Widerspruch zur Aussage des Bundeskanzlers und
Parteivorsitzenden der SPD, Gerhard Schröder. Sie setzen
sich – meiner Erinnerung nach – auch in Widerspruch zu
Ihrem Verhalten in der letzten Legislaturperiode. Als wir
nämlich im März 1998


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Da war er noch nicht dabei!)


das dritte Vermögensbeteiligungsgesetz verabschiedet ha-
ben – damals sind die jetzt aufgeführten Elemente schon
einmal verbessert worden –, hat die sozialdemokratische
Fraktion dem zugestimmt.


(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU])


Ich habe das nicht überprüft, aber ich habe das sehr deut-
lich so in Erinnerung.

Das heißt also, dieser Vorschlag der CDU/CSU ist eine
konsequente Fortsetzung der Vermögensbeteiligungspo-
litik der vergangenen Jahrzehnte, die ja immer wieder
neue Initiativen erfahren hat und die eigentlich gesamt-
gesellschaftlicher Konsens in diesem Hause war. Für die
FDP war es schon immer, seit ihrem Freiburger Parteitag
1971, eine der zentralen gesellschaftspolitischen Auf-
gaben, eine breite Eigentumsstreuung und eine Betei-
ligung der Arbeitnehmer auch am Produktivvermögen zu
erreichen, nach dem Motto: Wir wollen ein Volk von Ei-
gentümern und kein Volkseigentum.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das entspringt einfach der Überzeugung, dass Eigentum
frei und unabhängig macht und vor sozialer Not schützt,
besonders auch im Alter. Gerade deswegen kommt es da-
rauf an, dass wir eine breite Vermögensstreuung errei-
chen.

Wir haben bereits große Fortschritte erzielt; denken Sie
allein an die große Streuung des Wohneigentums, die wir
heute erreicht haben. Im Westen ist das schon länger der
Fall, aber im Osten findet auf diesem Gebiet eben-
falls eine sehr aktive Vermögensbildung statt. Bereits
im März 1998 wurden mit der Novelle zum Vermögens-
bildungsgesetz die Möglichkeiten der Vermögensbildung
im Osten seitens des Staates besonders herausgehoben.

Bei dem ganzen Vorgehen habe ich nur ein Bedenken.
Die Zeit ist weitergegangen. Wir haben uns im letzten Jahr
mit der Reform der Rentenversicherung befasst. Es war
Anliegen aller klassischen Parteien in diesem Hause und
Inhalt des entsprechenden Gesetzes, die gesetzliche Ren-
tenversicherung zu ergänzen und sie teilweise durch eine
private Altersvorsorge zu ersetzen, die einer staatlichen
Förderung bedarf. Wir haben das nicht abgelehnt, weil wir
diese Zielsetzung für falsch gehalten hätten, im Gegenteil.
Wir haben gerade das immer gefördert. Wir hielten ledig-
lich die Technik, die Art und Weise für falsch, wie Sie das
in Gang gesetzt haben. Es bestätigt sich jetzt in der Pra-
xis, dass diese zwölf von Ihnen aufgeführten Kriterien das
Ganze unpraktikabel machen. Die Situation ist kaum
handhabbar; immer mehr große institutionelle Vermö-
gensanleger entfernen sich daher von diesem Gedanken.


(Franz Thönnes [SPD]: Deswegen werben sie!)


– Ja, natürlich werben sie. Ich habe jetzt mit einigen ge-
sprochen, die sagen, sie überlegten, ob sie das weiter ma-
chen sollen. Trotz Werbung sei der Erfolg gering, weil die
Komplikationen so groß seien. Die Arbeitnehmer sehen
die zahleichen Bedingungen offenbar als Ablehnungs-
gründe an. Sie sehen einfach keinen Anreiz, um sich da-
ran zu beteiligen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir können ja noch etwas abwarten und noch mehr Er-
fahrungen sammeln; aber wenn sich das so herausstellt, ist
es angezeigt, diese private Altersvorsorge drastisch zu
vereinfachen, attraktiver für die Betroffenen zu machen
und mit der Vermögensbeteiligung und der Vermögens-
bildung zu verzahnen. Im Moment habe ich an Ihrem Vor-
schlag zu kritisieren, dass diese Verzahnung noch nicht
recht gelungen ist.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Darüber können wir im Ausschuss reden!)


– Im Rahmen der Ausschussberatungen sollten wir uns
darüber Gedanken machen, wie wir die dringende Not-
wendigkeit stärkerer, breit gestreuter privater Altersvor-
sorge mit dem Gedanken der Vermögensbeteiligung ver-
binden können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn uns das gelänge, wäre das ein erheblicher Fort-
schritt. Das müsste eigentlich unser aller Anliegen sein,
ohne Unterschied zwischen den Fraktionen und Parteien.
Denn die Erneuerung der Altersvorsorge – der gesetz-
lichen Rentenversicherung genauso wie der privaten
Vorsorge – ist ein ganz dringendes gesellschaftspoli-
tisches Anliegen. Darüber gibt es in diesem Hause kei-
nerlei Zweifel oder Streit.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Wolfgang Grotthaus

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Wir fordern Sie auf, diesem Gedanken nahe zu treten
und dies in den Ausschussberatungen noch einmal genau
zu überprüfen. Vielleicht können wir dann zu einem ge-
meinsamen Ergebnis kommen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419513000
Sie sehen, meine Da-
men und Herren, wie vorbildlich ein Vizepräsident ist,
wenn er einen Redebeitrag hält. Er hat uns eine ganze
Minute geschenkt. Vielen Dank dafür; das ist als vorbild-
lich anzusehen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er blickt durch!)


Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin
Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419513100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben in diesem Sommer ein sehr umfangreiches und
in seinen Grundzügen wirklich von allen Seiten gelobtes
Förderprogramm zur privaten Altersvorsorge – das muss
man wirklich sagen, Herr Dr. Solms; das müssen auch Sie
zugestehen – durch den Bundestag und den Bundesrat ge-
bracht. Ich bedaure es daher ein wenig, dass die CDU/
CSU-Fraktion diesen Antrag, über den wir heute erstmals
beraten, nicht im Hinblick auf die aktuelle Situation for-
muliert und all das, was bereits geschehen ist, nicht
berücksichtigt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Forderungen, die Sie in dem Antrag aufstellen
– mehr private Altersvorsorge, Verbesserung der Vermö-
genssituation vor allem in den unteren Einkommens-
schichten, Einbeziehung der mittleren Einkommen in die
Förderung und stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen am Produktivvermögen –, betref-
fen Anliegen, die wir mit dem Altersvorsorgegesetz be-
reits entscheidend vorangebracht haben.

Mit unserer neuen Förderung verfolgen wir im We-
sentlichen das Ziel, dass die Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land mehr privates Vermögen für ihre Altersvor-
sorge bilden können. Diesem Ziel kommen wir Schritt für
Schritt näher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Förderung, die wir beschlossen haben, voll
wirksam ist – wir müssen in diesem Zusammenhang auch
einmal über Finanzvolumina reden –, wird in der letzten
Förderstufe ein Volumen von jährlich konstant 20 Milli-
arden DM zur Verfügung stehen, mit denen der Staat die
Bürgerinnen und Bürger beim Aufbau einer privaten Al-
tersvorsorge unterstützt. Diesen Punkt muss man auch
einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben vor allem darauf Wert gelegt, dass Gering-
verdienende und Familien mit Kindern stärker von der
Förderung profitieren. Viele können jetzt aufgrund der,
wie ich finde, sehr großzügig bemessenen Zuschüsse spa-
ren, die dazu sonst nicht in der Lage gewesen wären. Ich
nenne Ihnen ein Beispiel: Eine Familie mit zwei Kindern
bekommt 1 320 DM vom Staat, wenn die Förderung voll
wirksam wird. Dieses ist ein aktiver Beitrag dazu, dass
wir die Verteilung von Vermögen in diesem Land gerech-
ter gestalten.

Im Übrigen finde ich es etwas eigenartig, wenn die
CDU/CSU die ungleichmäßige Vermögensbeteiligung
laut Armuts- und Reichtumsbericht beklagt,


(Franz Thönnes [SPD]: Das ist schon scharf!)


diesem Mangel aber durch eine Ausweitung der Einkom-
mensgrenzen bei der Vermögensbildungsförderung ab-
helfen will. Das passt irgendwie nicht zusammen. Wir
wissen laut Prognos-Gutachten, dass vom Vermögensbil-
dungsgesetz in der Form, die wir bis jetzt haben, die
Haushalte aus der Mitte der Einkommensverteilung stär-
ker profitieren und nicht die Einkommensschwachen.
Wenn man etwas für die Einkommensschwachen tun will,
dann muss man zielgenau hohe Zuschüsse auch bei im
Extremfall sehr geringer Eigenbeteiligung zulassen, sonst
funktioniert die Vermögensbildung nicht. Genau so haben
wir es vorgesehen. Im Extremfall, das heißt bei einem
sehr niedrigen Einkommen, kann eine Familie mit zwei
Kindern eine Zulage von 1 320 DM im Jahr vom Staat bei
einer geringen Eigenbeteiligung in Höhe von 120 DM er-
halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Franz Thönnes [SPD]: Gutes Verhältnis!)


Das ist eine sehr wirksame Förderung der Einkommens-
schwächeren.


(Franz Thönnes [SPD]: Hat die CDU/CSU abgelehnt!)


Diese Förderung beschränkt sich nicht auf bestimmte
Einkommensgruppen. Jeder prinzipiell Förderfähige, also
grundsätzlich jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehme-
rin, kann die Altersvorsorgeaufwendungen bis zu einem
Betrag von 4 100 DM pro Jahr steuerlich geltend machen.
Ich nenne ein Beispiel, damit man sich die Dimension
vorstellen kann: Bei einem Bruttoeinkommen von 80 000
DM im Jahr können 1 000 DM Steuern gespart werden.
Auch das muss in diesem Zusammenhang gesagt werden.

Wir finden, dass der Sparer und die Sparerin frei be-
stimmen müssen, wie sie sparen wollen. Herr Dr. Solms
hat die Freiheit bei den Anlagemöglichkeiten erwähnt. Ich
teile diese Auffassung; bei den Beratungen haben wir von
grüner Seite immer darauf hingewirkt. Diese Möglichkeit
ist in dem Gesetz enthalten. Wir haben gemeinsam be-
schlossen, dass jeder Arbeitnehmer und jede Arbeit-
nehmerin die Option haben, sich über den geförderten Er-
werb von Fondsanteilen, ob sie nun privat oder
betrieblich sind, an der Wachstumsdynamik der Wirt-
schaft zu beteiligen. Damit stärken wir ganz entscheidend
die geförderte Beteiligung von Arbeitnehmern und

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Hermann Otto Solms

19069


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(B)


Arbeitnehmerinnen am Produktivvermögen. Diesen Zu-
sammenhang muss man sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es liegt jetzt in der Hand der Tarifparteien, einen
Schwerpunkt auf die bessere Beteiligung der Arbeitneh-
mer und der Arbeitnehmerinnen am Produktivvermögen
zu legen. Das Instrumentarium dafür, nämlich ein indivi-
duelles Recht auf Entgeltumwandlung, Pensionsfonds
und volle Förderung auch für die betriebliche Altersvor-
sorge, haben wir geschaffen. Es liegt jetzt an den Tarif-
parteien, diese Rahmenbedingungen zu nutzen, die Rege-
lungen mit Leben zu erfüllen und das Angebot stärker
auszubauen.

Wir haben auch einiges in Bezug auf die private Ver-
mögensbildung getan. Es wird immer nur darauf hinge-
wiesen, dass es etwa 2 Milliarden DM für vermögens-
wirksame Leistungen und rund 100 Millionen DM
Steuererleichterungen bei der Überlassung von Vermö-
gensbeteiligungen an Arbeitnehmer gäbe. Man muss aber
sehen, dass die Förderung des Bausparens in Höhe von
rund 1 Milliarde DM pro Jahr hinzukommt. Das ist ein
ganz wichtiger Bestandteil privaten Vermögensaufbaus.
Hinzu kommen Vergünstigungen, die sich positiv auf die
Eigentumsbildung auswirken, zum Beispiel die aufge-
stockte Eigenheimzulage, der Sparerfreibetrag, die Steu-
erfreiheit von Spekulationsgewinnen, der Sonderausga-
benabzug für Lebensversicherungen und die steuerfreien
Erträge bei Laufzeiten über zwölf Jahre, um hier nur eini-
ges zu nennen. Man muss das Gesamtpaket sehen.

Ich fände es gut, wenn wir in der Zukunft auf der einen
Seite die Wahlfreiheit beibehielten, auf der anderen Seite
aber auch mehr Transparenz hinsichtlich der Förder-
möglichkeiten schaffen würden. Ich glaube, dass es für
die Bürgerinnen und Bürger aufgrund der vielen Ange-
bote oftmals schwierig ist, zu durchschauen, was es alles
gibt. Diese Aufgabe müssen wir in der Zukunft noch lö-
sen. Da sind wir gerne zu Gesprächen bereit. Wir werden
über dieses Thema auf der Basis dieses Antrags in den
Ausschüssen beraten und hoffen, dass wir das Ziel ge-
meinsam weiterverfolgen. Die Bundesregierung und die
sie vertretenden Fraktionen, Grüne und SPD, haben einen
breiteren Weg für die Förderung von Eigenleistungen für
die Altersvorsorge beschritten und diesen Weg werden
wir weiterhin gehen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419513200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Pia Maier für die PDS-Fraktion.


Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1419513300
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-
men und Herren! Herr Weiß und die CDU/CSU-Fraktion
haben hier nahe gelegt, dass sie mit ihrem Antrag die un-
gleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen ange-
hen wollen. Ich möchte dazu zunächst einmal die Frage

stellen: Was bedeutet diese ungleiche Verteilung eigent-
lich für die normalen, durchschnittlichen Leute?

Ein Mensch mit durchschnittlichem Lohneinkommen
verdient circa 2 900 DM netto. Stellen Sie sich einmal vor,
Sie müssten damit zurechtkommen. 1 000 DM für Miete,
Strom, Wasser, Telefon, 700 DM für Lebenshaltung, Er-
nährung, Kleidung. Von den restlichen 1 200 DM gehen,
je nach Vorlieben, 700 DM für Auto und andere Freizeit-
vergnügen ab. Es bleiben noch ungefähr 500 DM für Kul-
tur, Urlaub, Versicherungen, längerfristige Investitionen
und zum Sparen. Wundert es Sie da noch, dass so wenige
Menschen Vermögen bilden? Diese Menschen haben ein-
fach nicht genug Geld übrig, um Vermögen zu bilden. Wer
nichts hat, kann eben auch nicht sparen. Das betrifft die
private Altersvorsorge, die Riester-Rente, Aktien und
auch die vermögenswirksamen Leistungen, die Sie jetzt
besser ausgestalten wollen.

Mich interessiert: Was hilft den Menschen, die noch
kein Stück vom Vermögenskuchen haben? Hilft diese
oder auch eine ähnliche Form der staatlich geförderten
Vermögensbildung? Solche Förderungen helfen immer
denen, die an der Oberkante der Einkommensgrenzen lie-
gen, die Sie jetzt noch hochsetzen wollen. Sie helfen deut-
lich weniger denen, die es sich gerade leisten können, so
viel Geld zur Seite zu legen, dass sie Zuschüsse bekom-
men, und sie helfen gar nicht denen, die nicht sparen kön-
nen, weil sie das Geld dafür nicht haben.


(Beifall bei der PDS)


Wäre es da nicht sinnvoller, die 1,25 Milliarden DM an
geplanten Fördermitteln so einzusetzen, dass alle etwas
davon haben, auch die, die kein Vermögen bilden können,
weil sie kein Geld haben?

Anregungen für die Nutzung solcher Fördermittel gibt
es genug: Die Kindergelderhöhung reicht noch immer
nicht aus, die Kindergarten- und Hortgebühren liegen zu
hoch. Hier zu investieren wäre eine Förderung des
„menschlichen Vermögens“, meinetwegen auch des „Hu-
mankapitals“, wenn Sie so wollen.


(Beifall bei der PDS – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider fällt das Manna nicht vom Himmel!)


Man könnte auch einen Beitrag zur Förderung der
Ärmsten leisten. Die Regelsätze der Sozialhilfe sollten
dringend an die Preisentwicklung der letzten Jahre ange-
passt werden. Das würde den Armen zugute kommen, die
damit dringende Konsumbedürfnisse befriedigen könn-
ten. Sinnvolle Möglichkeiten gibt es wirklich genug. Ihre
scheint mir nicht dazuzugehören.

Sie wollen mit Ihrem Antrag Unternehmensbeteili-
gungen altersvorsorgegerecht ausbauen, also Riester-
fähig machen. Die PDS-Fraktion hat an der Rentenreform
vor allem den Weg aus der paritätischen Rentenfinanzie-
rung kritisiert. Danach muss ein Arbeitnehmer für einen
Teil der Lebensstandardsicherung im Alter allein sorgen.
Ihrem Vorschlag nach soll das aber wenigstens seinem
Betrieb zugute kommen, der sich gerade aus der paritäti-
schen Finanzierung verabschiedet hat. Der Betrieb kann
mit diesem Kapital in der Zwischenzeit wesentlich mehr

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Christine Scheel

19070


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Zinsen erwirtschaften, als ein Rentner durch die Vermö-
gensbildung wieder herausbekommt. Ist das für einen
Normalverdiener nicht ziemlich zynisch?

Aber ich will Ihren Vorschlag nicht völlig schlecht
machen. Immerhin wollen Sie damit fördern, dass Men-
schen einen kleinen Anteil am Eigentum, an Produktiv-
kapital und damit auch an den Produktionsmitteln erlan-
gen können. Leider hat das bisher kaum funktioniert.
Auch Ihre Vorschläge werden nicht zu einer besseren
Aufteilung des Vermögenskuchens führen. Diese Form
des Mitunternehmertums bringt nicht viel, vor allem
keine Mitbestimmung. Ohne solche Elemente ist das
weder sozial noch sozialistisch. Sie sollten die Geldmit-
tel, die Sie hierfür einsetzen wollen, lieber für eine sinn-
volle, gleichmäßige Vermögensverteilung einsetzen und
nicht für eine Förderung derer, die ohnehin schon Geld
haben und verdienen.

Danke.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419513400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Horst Schild für die SPD-Fraktion.


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1419513500
Frau Präsidentin! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Selbstverständlich ist die SPD-
Bundestagsfraktion in völliger Übereinstimmung mit dem
Bundeskanzler der Auffassung, dass die Vermögensbil-
dung in Arbeitnehmerhand in diesem Lande gestärkt wer-
den muss.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Offensichtlich ist einigen entgangen: Das größte Pro-
jekt der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand in die-
sem Lande ist das Altersvermögensgesetz. Die Kollegin
Scheel hat eben gesagt, um welche Volumina es sich han-
delt. Beginnend mit dem Jahre 2002, führen wir staatliche
Zuschüsse ein, die bis zum Jahre 2008 auf jährlich 20 Mil-
liarden DM steigen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pro Jahr!)


– Pro Jahr!


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Allen, die sich mit dieser Geschichte befasst haben, ist
klar, wie viel Kapital diese Anregung frei macht. Die Ver-
mögensbildung wird Größenordnungen annehmen, die
wir in diesem Lande noch nie gehabt haben.

Wir erleben zurzeit eine Renaissance der be-
trieblichen Altersvorsorge. Auf allen Ebenen sind be-
reits Tarifverträge über Altersvorsorge abgeschlossen
worden oder sie sind in der Diskussion. Was ist ein Pen-
sionsfonds anderes als eine Möglichkeit der Vermögens-
bildung?

Was Sie hier vorschlagen, ist nicht die große
Vermögensbildungsinitiative dieses Jahrzehnts, sondern

der Versuch, auf eingeschlagenen Wegen weiterzugehen.
Natürlich kann man sich über die Erhöhung von Freibe-
trägen und Einkommensgrenzen und über Förderungs-
margen unterhalten. Aber bitte fordern Sie nicht auf
der einen Seite etwas, was enorme zusätzliche Haus-
haltsmittel kostet – der Kollege Grotthaus hat eben Zahlen
genannt –, während Sie auf der anderen Seite ständig
beklagen, der Haushalt sei unterfinanziert! Dann muss
man sich einigen.

Sie haben in Ihrem Konzept einen zweiten, letztlich
ganz traditionellen Weg vorgeschlagen, nämlich die Frei-
beträge nach § 19 a des Einkommensteuergesetzes zu
erhöhen. Nun wundert mich nicht, dass diesen Antrag nie-
mand von Ihren Finanzpolitikern unterschrieben hat und
dass auch niemand von Ihren Finanzpolitikern da ist.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Er ist aber abgestimmt! Da können Sie sicher sein!)


Das will ich Ihnen gerne erläutern.

§ 19 a des Einkommensteuergesetzes ist – das wird si-
cherlich auch von Ihren Finanzfachleuten nicht bestrit-
ten – eine der kompliziertesten Regelungen des deutschen
Einkommensteuerrechts. Kollege Weiß, werfen Sie da
einmal einen Blick hinein! Wenn Sie das verstanden
haben – ich habe damit große Probleme, muss ich geste-
hen –, dann können wir uns gerne einmal darüber
unterhalten.

Der Kollege Uldall aus Ihrer Fraktion war 1995 einer
der Ersten, der in seinen Steuervorschlägen die Streichung
des § 19 a des Einkommensteuergesetzes vorschlug. Im
Übrigen wollte er nicht nur den § 19 a des Einkommen-
steuergesetzes streichen.


(Klaus Brandner [SPD]: Hört! Hört!)


Vielmehr wollte er den gesamten Komplex staatlicher
Förderung der Vermögensbildung in einem Umfang von
jährlich 2 Milliarden DM streichen. In seinem Finanz-
konzept war am Ende eine Ersparnis von 2 Milliarden DM
vorgesehen. Das war offensichtlich die große Initiative
zur Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern in diesem Lande an der Vermögensbildung.

Dann hat der damalige Finanzminister Waigel eine
Kommission unter Vorsitz von Professor Bareis ein-
gerichtet, die Steuervorschläge erarbeiten sollte. Die-
se Kommission hat vorgeschlagen, den § 19 a des Ein-
kommensteuergesetzes zu streichen. In den Vorschlägen
der CDU/CSU zum Einkommensteuerrecht, den so ge-
nannten Petersberger Beschlüssen, war vorgesehen, den
§ 19 a des Einkommensteuergesetzes zu streichen. Das
sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen!

Nun kann man sich über den § 19 a des Einkommen-
steuergesetzes sicherlich unterhalten. Er stellt im Rahmen
der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand in bestimm-
ten Teilbereichen – aber wirklich nur in kleinen – zwei-
fellos einen gewissen Baustein dar; das kann man an den
steuerlichen Förderungssummen, die dahinter stehen,
sehr schnell feststellen. Diese Regelung hat nicht zu einer
großen Verbreitung von Produktivvermögen in Arbeit-
nehmerhand in diesem Lande beigetragen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Pia Maier

19071


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Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass Professor
Bareis, wenn wir anlässlich von Anhörungen im Finanz-
ausschuss über dieses Thema diskutiert haben, im Zu-
sammenhang mit der steuerlichen Förderung nach § 19 a
des Einkommensteuergesetzes davon sprach, dass diese
die Größenordnung einer Schachtel Zigaretten habe.
Zukünftig wollen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern also zwei Schachteln zugestehen.

Auch der von Ihnen als Kronzeuge für die Vereinfa-
chung des Steuerrechts immer wieder gern zitierte Pro-
fessor Kirchhoff


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Guter Mann!)


– genau, er ist ein guter Mann; aber man muss seine Vor-
schläge auch ernst nehmen –, der neulich im Finanzaus-
schuss war, schlägt vor, § 19 a des Einkommensteuerge-
setzes zu streichen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ein Punkt!)


– Gut, ein Punkt.

Auch in Ihrem Antrag wird vollmundig eine Vereinfa-
chung des Steuerrechts gefordert. Die geforderte Strei-
chung ist wahrhaftig kein Beitrag zur Vereinfachung des
deutschen Steuerrechtes. Darüber werden wir sicherlich
noch sprechen müssen.

Des Weiteren werden wir über die Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage und die Absenkung der Tarife
– das ist auch bei Ihren Finanzpolitikern unumstritten –
diskutieren müssen. Davon profitieren ebenfalls die Ar-
beitnehmer.

Wir werden uns in Zukunft sicherlich noch intensiv
über Fragen der Vermögensbildung in diesem Lande un-
terhalten. Der von Ihnen vorgeschlagene Weg ist in der
Vergangenheit wenig erfolgreich gewesen. Der Weg, den
wir im Zusammenhang mit der Riester-Rente vorgeschla-
gen haben, wird ein erfolgreicher Weg sein, um Produktiv-
vermögen in Arbeitnehmerhand zu fördern.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419513600
Jetzt erteile ich für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Franz Romer das
Wort.


Franz Romer (CDU):
Rede ID: ID1419513700
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Grotthaus, Sie haben hier von all
dem gesprochen, was nicht geht. Es gibt im Versiche-
rungswesen Absicherungsmodelle. Eine gute Arbeits-
marktpolitik refinanziert sich von selbst. Herr Kollege
Schild, das Altersvermögensgesetz ist ein Rentenersatz-
gesetz und kein Vermögensbildungsgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Schild [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)


In unserem Antrag sind knapp und prägnant konkrete
Forderungen formuliert, die wir für eine verbesserte Ver-
mögensverteilung dringend benötigen. Mit Vermögens-
verteilung meine ich eine Vermögensverteilung zwischen
Unternehmen und Mitarbeitern, zwischen Ost und West
und zwischen Gegenwart und Zukunft, sprich: die Alters-
vorsorge.

Eine gerechte Vermögensverteilung erreichen wir
durch eine Beteiligung der Mitarbeiter am Produktivver-
mögen der Unternehmen. Darauf ausgerichtet setzen wir
in der Tarifpolitik verstärkt auf Investivlohnvereinbarun-
gen. Das bedeutet, dass ein Teil des wachsenden Lohn-
einkommens Investitionen zugeführt wird. Die Tarifver-
tragsparteien benötigen Anreize, sich auf neue Wege
einzulassen, und fundierte rechtliche Rahmenbedingun-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir von der Vermögensbildung sprechen, den-
ken wir natürlich sofort an die Vorsorge für das Alter. Der
Alterssicherung kommt eine immer größere Bedeutung
zu. In unserem Antrag legen wir daher besonderen Wert
auf die Langfristigkeit der Vermögensbildung, um im
Alter darauf zurückgreifen zu können. Langfristigkeit
wird nach unserem Willen mit einer Sparzulage von
30 Prozent und einem zusätzlichen Freibetrag belohnt.

Die Vermögenspolitik darf sich nicht ausschließlich
am altbekannten Geldvermögen und Wohnungseigentum
orientieren. Bisherige Anreize, die Vermögensbildung in
Arbeitnehmerhände zu geben, haben nicht zu einschnei-
denden Veränderungen geführt. Deshalb ist es immer eine
Daueraufgabe. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat
die Ursachen analysiert und in der Konsequenz den vor-
liegenden Antrag eingebracht.

Bei der heutigen, sehr ernsten Wirtschaftslage sind die
Unternehmen mehr denn je auf hoch motivierte Mitarbei-
ter angewiesen. Jeder Schritt hin zu materieller Gerech-
tigkeit stärkt die Leistungsbereitschaft und ist daher be-
grüßenswert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus diesem Grund sollten wir alle, meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen, den vorliegenden Antrag un-
terstützen.

Mitarbeiter, die am Kapital beteiligt sind, können sich
viel stärker mit ihrem Unternehmen identifizieren. Alle
Beteiligten sollen profitieren, die Mitarbeiter über eine
höhere Entlohnung und die Unternehmen über höhere Ge-
winne. Die Unternehmen erhalten zudem eine nicht zu un-
terschätzende Stärkung der Eigenkapitalbasis. Es werden
auf diese Weise für die Wirtschaft zur Deckung des Kapi-
talbedarfs Bevölkerungskreise erschlossen, die sich bis-
her nicht an der Finanzierung der Unternehmen beteiligt
haben.

Doch es ist nicht nur materielle Gerechtigkeit inner-
halb des Unternehmens und seiner Mitarbeiter gefragt.
Auch elf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung be-
steht immer noch ein materielles Ungleichgewicht zwi-
schen West- und Ostdeutschland. Mit unserem Antrag
können die Rahmenbedingungen für neue Arbeitsplätze

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Horst Schild

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(C)



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(A)



(B)


sowie eine weitere Angleichung des Einkommensniveaus
geschaffen werden. Eine bessere Förderung ausschließ-
lich nach der Vermögensbildung reicht hier nicht aus.

Wir befürworten angesichts der besonderen Situation
in den neuen Bundesländern eine Verlängerung der er-
höhten Förderung auch über das Jahr 2004 hinaus. Ich ap-
pelliere daher auch besonders an die Kolleginnen und
Kollegen aus den neuen Bundesländern, sich unserem An-
trag anzuschließen.

Bekannt ist, dass wegen der nach wie vor zu niedrigen
Einkommensgrenzen einfach zu wenige Menschen vom
Vermögensbildungsgesetz erfasst werden. Auch die Da-
men und Herren Abgeordneten der Regierungsparteien
müssen daher zu dem logischen Schluss kommen, dass
diese Grenzen anzuheben sind. Unser Vorschlag beinhal-
tet eine Anhebung auf 50 000 bzw. 100 000 DM.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Unser Antrag
fördert eine investive Tarifpolitik und eine Vermögensbil-
dung in Arbeitnehmerhand. Unser Antrag fördert damit
eine „Sparlohn“-Politik, begrenzt also die Arbeitskosten,
und unser Antrag bietet die besten Voraussetzungen für
mehr Beschäftigung.

Es spricht daher nichts dagegen, sondern alles dafür,
dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zuzustim-
men.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419513800
Es spricht nun für die
SPD-Fraktion die Kollegin Erika Lotz.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1419513900
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! In dem Antrag der CDU/CSU wird
festgestellt, dass laut Armuts- und Reichtumsbericht die
Vermögen und Einkommen in Deutschland nach wie vor
ungleichmäßig verteilt sind. Einige Redner, wie Herr
Weiß, haben dies hier auch noch einmal betont. Den Ar-
muts- und Reichtumsbericht diskutieren wir morgen früh,
aber ich muss jetzt doch einmal sagen, dass dieser Bericht
eine Bestandsaufnahme und eine Analyse bis 1998 ist.
Ihre Beschreibung im Antrag ist also die Beschreibung
des Ergebnisses Ihrer 16-jährigen Politik der Umvertei-
lung von unten nach oben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn hier jetzt flammende Reden für die Vermögens-
bildung in Arbeitnehmerhand gehalten werden, frage ich:
Warum haben Sie es in der Vergangenheit nicht getan?


(Franz Romer [CDU/CSU]: Weil die Tarifpartner es nicht wollten!)


Sie haben doch steigende Lohnnebenkosten verursacht,
weil durch die Sozialversicherung Dinge finanziert wur-
den, die mit dem Faktor Arbeit nichts zu tun haben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber da habt ihr in den letzten zwei Jahren noch mehr gemacht!)


Sie haben der Sozialversicherung gesamtgesellschaftliche
Aufgaben aufgebürdet. Diese Politik hat Rot-Grün umge-
kehrt.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben die Rentenbeiträge sowie die Lohn- und Ein-
kommensteuer gesenkt, wir haben das Kindergeld drei-
mal erhöht, um nur einige Verbesserungen für Arbeitneh-
mer und ihre Familien zu nennen.

Ihr Antrag fordert, Vermögensbildung altersvorsorge-
gerecht auszubauen. Herr Weiß, ich will auf Ihren Antrag
aus der vorherigen Legislaturperiode zurückkommen. Ich
war damals dabei. Es war so, dass vonseiten der SPD ein
Antrag für mehr Vermögensbildung – er bezog sich je-
doch auf die damaligen Belastungen von Arbeitnehmern
und Arbeitnehmerinnen – eingebracht worden ist.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie waren in der Opposition!)


Ich frage mich, ob Sie den vorliegenden Antrag mit den
Ländern abgestimmt haben.


(Beifall bei der SPD)


Das Fünfte Vermögensbildungsgesetz ist durch den Ver-
mittlungsausschuss gegangen. Dem Ergebnis haben wir
zugestimmt, weil wir es als eine faire Vermittlung ange-
sehen haben. Wenn Sie schon zitieren, dann, meine ich, ist
es fair, alles zu zitieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Am 11. Mai 2001 hat das Parlament das Altersvermö-
gensgesetz beschlossen und ein zusätzliches Brückenstück
zur Altersvorsorge auf den Weg gebracht. Schon ab 2002
fördert der Staat die zusätzliche Altersvorsorge. Kollege
Schild hat die Summe genannt. Warum haben Sie, werte
Antragsteller, diesem Gesetz nicht zugestimmt? Ich erin-
nere mich nicht an einen einzigen Antrag von Ihnen, der
unser heutiges Anliegen in das Altersvermögensgesetz
aufgenommen hätte. Sie haben keinen Antrag gestellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch!)


Herr Solms, auch die FDP und die PDS haben dem
Altersvermögensgesetz nicht zugestimmt. Wenn Sie
heute technische Mängel anführen, dann muss ich Ihnen
sagen: Auch von Ihrer Seite ist kein einziger Antrag ge-
kommen. Sie hätten ja einen Antrag stellen können, in
dem Sie gezeigt hätten, wie es anders hätte aussehen kön-
nen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Was ist das denn für eine Begründung?)


Sie haben gesagt, die Versicherungsunternehmen täten
sich mit der Werbung für ihre Produkte schwer. Die Art,
wie Arbeitnehmer jetzt von Versicherungsunternehmen
mit ihrer geballten Macht umworben werden, zeigt, dass
dahinter die Aussicht auf einen Vertragsabschluss steht.
Ansonsten würden diese Unternehmen kein Geld in die
Werbung investieren.


(Beifall bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Franz Romer

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Lassen Sie mich noch einmal sagen, was das Alters-
vermögensgesetz bedeutet. Alleinstehende erhalten ab
2002 eine in vier Stufen jährlich steigende Förderung,
die dann ab 2008 300 DM beträgt. Für Verheiratete ver-
doppelt sich der Betrag. Familien mit Kindern erhalten
darüber hinaus einen Zuschuss, der sich ebenfalls in vier
Stufen aufbaut und in der Endphase 360 DM je Kind be-
trägt. Familien mit Kindern profitieren also besonders da-
von. Der Staat legt bei einer durchschnittlichen Familie
mit zwei Kindern und einem jährlichen Einkommen von
60 000 DM mehr als die Hälfte zu den eigenen Aufwen-
dungen dazu. Noch einmal zur Erinnerung: Es ist wie
beim Kindergeld. Die Förderung wird so lange als Zulage
gewährt, bis Steuerfreibeträge günstiger sind. Sie sehen
also: Diese Regierung und diese Koalition haben durch-
aus etwas für eine Verbesserung der Altersversorgung ge-
tan.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin ganz zuversichtlich, dass die Arbeitnehmer das
Angebot annehmen werden. Ziel unseres Gesetzes war
die Stärkung der betrieblichen Altersversorgung. Aus den
ursprünglich vier Wegen der betrieblichen Altersvor-
sorge, der so genannten Direktvorsorge, der Unterstüt-
zungskasse, der Direktversicherung und der Pensions-
kasse, wurde als neuer fünfter Weg der Pensionsfonds für
die betriebliche Altersvorsorge zugelassen. Gewerkschaf-
ten und Arbeitgeberverbände sind dabei, Tarifverträge zur
Entgeltumwandlung abzuschließen. Anfang September
zum Beispiel haben IG Metall und Gesamtmetall das ge-
meinsame Versorgungswerk Metall unter Dach und Fach
gebracht, welches allen 3,5 Millionen Beschäftigten die-
ser Branche offen steht.


(Beifall bei der SPD)


Mit unserem Gesetz und den Tarifverträgen können
auch Beschäftigte in kleinen und mittleren Betrieben, in
denen bisher Betriebsrenten wenig verbreitet waren, er-
reicht werden. Herr Romer, Sie haben beklagt, dass die
Tarifvertragsparteien das Angebot Investivlohn nicht auf-
gegriffen haben. Ich denke, dass wir mit dem Altersvermö-
gensgesetz und der jetzigen Regelung ein gutes Angebot
auf den Weg gebracht haben, das beide Tarifvertragspar-
teien angenommen haben, weil unser Weg ganz einfach
der bessere Weg ist.


(Beifall bei der SPD)


Der Vorteil der Pensionsfonds für die Arbeitnehmer ist,
dass sie mit ihren Ansprüchen nicht mehr an den Betrieb
gebunden sind. Wir haben für eine sofortige Unverfall-
barkeit von durch Umwandlung von Entgeltteilen erwor-
benen Anwartschaften in der betrieblichen Altersversor-
gung gesorgt; wir haben eine solche Regelung gesetzlich
verankert.

Ich bin der Auffassung: Wir beschreiten mit der För-
derung im Altersvermögensgesetz einen guten Weg.
Eine Zersplitterung ist nicht notwendig. Herr Kollege
Grotthaus hat bereits die Finanzierung angesprochen. Ich
denke, es ist ein bisschen windig, wenn man keine Vor-

schläge macht. Als wir in der Opposition waren, haben
wir immer Finanzierungsvorschläge gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jäger 90!)


Die Arbeit, nach Wegen der Finanzierung zu suchen, wür-
den Sie wohl gerne der Koalition überlassen, um uns dann
vor Wählerinnen und Wählern zu kritisieren. Darauf,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, fallen wir
nicht herein.

Mir scheint, Ihnen geht es mit Ihrem Antrag um eine
Fortsetzung Ihres Zehnpunkteprogramms vom Juni. Im
Zuge dieses Programms hatten Sie ja auch Belastungen
von 58 Milliarden DM vorgesehen. Sie wollen offen-
sichtlich mit dem Schuldenmachen fortfahren. 1,5 Billio-
nen DM Schulden und 82 Milliarden DM an jährlicher
Zinsbelastung – also jede vierte Steuermark für Zinsen –
das hatten wir vorgefunden. Wir verstehen mehr von der
Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, denn wir bauen
Staatsschulden ab. An dem Spiel „Wer bietet mehr?“ wer-
den wir uns nicht beteiligen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419514000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6639 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 i sowie den
Zusatzpunkt 5 auf:

7 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Karin Rehbock-Zureich, Hans-
Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen),
Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Bahnreform fortführen und die Zukunft
der Schiene in Deutschland sichern

– Drucksachen 14/5665, 14/6425 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Karin Rehbock-Zureich, Angelika Mertens, Hans-
Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-
Bohlig, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Erika Lotz

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(C)



(D)



(A)



(B)


und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Bahnreform und Eisenbahnpolitik

– Drucksachen 14/2551, 14/3682 –

c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Eduard Lintner, Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU

Aktuelle Eisenbahnpolitik

– Drucksachen 14/4955, 14/6483 –

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy,
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Konsequente Trennung von Netz und Betrieb
im deutschen Schienenverkehr

– Drucksache 14/6440 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP.
Sofortmaßnahmen zur Stärkung des Schienen-
verkehrs einleiten

– Drucksache 14/6454 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine
Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der
PDS
Bau- und Betriebsordnung für Regionale Eisen-
bahnstrecken

– Drucksachen 14/998, 14/6034 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hasenfratz

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Hans-Michael

Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Eisenbahnpolitische Reformschritte zügig ein-
leiten

– Drucksachen 14/5666, 14/6421 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Helmut Wilhelm (Amberg)


h) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter,
Uwe Hiksch, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Gewährleistung des Schienen-

(Bundesschienenpersonenfernverkehrsgesetz – BSPFVG)


– Drucksache 14/5662 –

(Erste Beratung 161. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)


– Drucksache 14/6498 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich

i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer

(Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Gewährleistung des Schienenpersonenfernver-
kehrs

– Drucksachen 14/5451, 14/6498 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Dehnel, Günter Nooke, Klaus Brähmig, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Konsequenter Ausbau der Schienenwege – Er-
höhung der Planungskapazitäten der Deutsche
Bahn AG
– Drucksache 14/7142 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Zu der Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Frak-
tion der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Titel „Die Bahnreform fortfüren und die Zukunft der
Schiene in Deutschland sichern“ sowie zur Großen An-
frage der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen. „Bahnreform und Eisenbahnpolitik“ liegt je ein
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

19075


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.


(Unruhe)


– Nachdem ich die Aussprache eröffnet habe, erwarte ich,
dass der Teil, der im Saal bleibt, zuhört, weil es – insbe-
sondere zu dieser Tagesstunde – für den Redner angeneh-
mer ist, wenn es im Saal nicht zu laut ist.

Ich gebe das Wort der Kollegin Karin Rehbock-Zureich
für die SPD-Fraktion.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1419514100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine leistungsfähige
Verkehrsinfrastruktur ist Voraussetzung für Mobilität in
unserer Gesellschaft, für Wachstum und Beschäftigung in
Deutschland. Sie ist auch Voraussetzung für den Aus-
tausch von Waren sowie Dienstleistungen und ermöglicht
den Menschen Arbeit und Urlaub. Wie die Mobilität von
morgen aussehen wird, entscheiden wir heute.

Mobilität muss drei Kriterien erfüllen: Die Mobilität
der Zukunft muss umweltschonend, ökonomisch tragbar
und sozial gerecht sein. Die Menschen müssen sich Mo-
bilität leisten können und jederzeit davon Gebrauch ma-
chen können.


(Beifall bei der SPD)


Dies ist der Rahmen unserer Politik. Alle Verkehrsträ-
ger müssen eine wichtige Rolle übernehmen, um Mobi-
lität weiterhin zu sichern und zu erhalten. Zusammen
müssen sie ein integriertes Gesamtsystem bilden. Nur im
Zusammenspiel werden die prognostizierten enormen
Verkehrszuwächse bewältigt werden können. Zuwächse
von 64 Prozent im Güterverkehr und von 20 Prozent im
Personenverkehr kann nicht allein der Verkehrsträger
Straße aufnehmen.


(Beifall bei der SPD)


Die Schiene wird einen wichtigen Teil des Zuwachses
aufnehmen müssen, um Mobilität für uns alle sicherzu-
stellen.

Wir haben für die Schiene viel erreicht. In unserer Po-
litik der vergangenen drei Jahre gab es drei große Schwer-
punkte:

Erstens. Wir haben das Investitionsniveau erhöht.

Zweitens. Wir haben den Wettbewerb zwischen den
Verkehrsträgern auf der Schiene und zwischen den Ver-
kehrsträgern Straße, Schiene und Wasserstraße verstärkt.

Drittens. Wir haben die Rahmenbedingungen für die
Schiene entscheidend vorangebracht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte einige wichtige Hinweise zu den Investi-
tionen geben. Seit unserer Regierungsübernahme sind die
Investitionen für die Schiene gestiegen. 2002 werden wir
8,75 Milliarden DM zur Verfügung stellen. In den Jahren

2001 bis 2003 wird ein Gesamtvolumen von 26,4 Milliar-
den DM für die Schiene bereitgestellt.


(Beifall bei der SPD – Eduard Lintner [CDU/CSU]: Minus 5 Prozent!)


Dieses Investitionsniveau war in der Bahnreform vorge-
sehen. Die Bundesregierung hat die entsprechenden Mit-
tel zur Verfügung gestellt.

Herr Lintner, Sie haben mit Ihrem Zwischenruf Recht.
2001 und 2002 werden nicht alle Mittel abfließen. Aber
wir, die SPD-Fraktion, werden dafür sorgen, dass alle
Mittel in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wie denn?)


Die DB AG hat keine fertigen Pläne in der Schublade.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ja, ja!)


Die Planung von neuen Projekten braucht Zeit. Fragen Sie
sich doch einmal – das gilt besonders für Sie, Herr
Friedrich –: Warum hat die DB AG solche Schwierigkei-
ten? Warum können die Mittel nicht so abfließen, wie wir
es gerne hätten? Seit der Bahnreform – das müssen Sie
sich sagen lassen – haben Sie die Investitionen Jahr für
Jahr zurückgedreht.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So war das!)


1998 war der Tiefpunkt Ihrer Bilanz: Es wurden nur noch
5,7 Milliarden DM investiert.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Zwei Jahre lang hatten wir 10 Milliarden DM zur Verfügung gestellt! Die konnte die Bahn nicht unterbringen!)


Gelder für das Bestandsnetz haben daher immer gefehlt.
Dringend notwendige Investitionen mussten unterblei-
ben.


(Eduard Lintner [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Wir erwarten von der DB AG, dass sie die Chance, die
sie jetzt hat, ergreift. Wir erwarten, dass die Planungska-
pazität erhöht wird, dass die bereitgestellten Mittel sinn-
voll in das Schienennetz investiert werden, dass laufende
Bauprojekte rasch beendet werden und dass neue Pla-
nungen zügig vorangetrieben werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dafür gibt die Politik – genauer: diese Bundesregierung –
der DB AG die Werkzeuge an die Hand, die benötigt
werden. Die zusätzlichen Mittel aus dem Zukunfts-
investitionsprogramm können bis 2004 ausgegeben wer-
den. 400 Millionen DM können als Planungsmittel einge-
setzt werden. Wir können das hohe Niveau nur dann
verstetigen – das ist uns allen klar –, wenn die DB AG ihre
Chance ergreift und diese Mittel bis 2004 investiert.


(Eduard Lintner [CDU/CSU]: Was kommt danach?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs

19076


(C)



(D)



(A)



(B)


Zum Punkt Wettbewerbsbedingungen. Die Öffnung
der europäischen Netze bringt den Wettbewerb auf der
Schiene sowie zwischen der Schiene und der Straße
voran. Gerade die grenzüberschreitenden Güterverkehre
weisen ein großes Wachstumspotenzial auf. Es sind große
Anstrengungen notwendig, damit europaweit grenzenlos
auf der Schiene gefahren werden kann, wie dies schon auf
der Straße der Fall ist.


(Beifall bei der SPD)


Die Entfernungspauschale für alle Verkehrsmittel nutzt
der Schiene genauso wie dem ÖPNV und dem Fahrrad.

Mit der LKW-Maut, die ab 2003 in Deutschland gilt,
haben wir einen Paradigmenwechsel vorgenommen. Da-
mit wird erstmals zur Nutzerfinanzierung übergegangen:
Die LKWs tragen zur Finanzierung der Wegekosten bei.
All das wird in die Verkehrsinfrastruktur zurückfließen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das stimmt doch nicht! Das stimmt doch schon im Ansatz nicht!)


Mit diesem Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik
werden wir auch insgesamt neue Finanzierungsmöglich-
keiten eröffnen.


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie bekommen auch jetzt wieder nur Teilbereiche zurück!)


Die AEG-Novelle, die wir eingebracht haben, ist ein
erster wichtiger Schritt zu einem diskriminierungsfreien
Wettbewerb auf der Schiene. Sie von der Opposition müs-
sen sich schon fragen lassen,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Schon wieder?)


mit welchen Verfahrenstricks und mit welcher Berechti-
gung Sie diese AEG-Novelle, die Novelle des Allgemei-
nen Eisenbahngesetzes, zeitlich behindern.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Der Herr Friedrich war das!)


Sie als Gralshüter der Wettbewerbspolitik haben dazu
beigetragen, dass diese Novelle, die von allen Ländern,
von den Verkehrsverbünden, vom Ministerium und von
unserer Arbeitsgruppe unterstützt wird, nicht zum 1. Ja-
nuar in Kraft treten kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und warum?)


Das heißt, Sie verhindern, dass das Eisenbahn-Bundesamt
als Aufsichtsbehörde seine Stärken so ausspielen kann,
wie wir das vorgesehen haben.


(Klaus Hasenfratz [SPD] zur CDU/CSU und zur FDP gewandt: Wettbewerbsverhinderer!)


Sie verhindern Wettbewerb und tragen dazu bei, dass die
Regulierungsbehörde Eisenbahn-Bundesamt nicht ab 1. Ja-
nuar von sich aus tätig werden kann. Sie verhindern, dass ein
Bußgeld von 1 Million DM für den Fall, dass der Zugang
nicht diskriminierungsfrei gestaltet wird, ein Bußgeld, das
den Firmen wirklich wehtut, verhängt werden kann.


(Eduard Lintner [CDU/CSU]: Sie bestreiten doch die Diskriminierung!)


Sie verhindern auch, dass man von § 11, der Strecken-
stilllegungen betrifft, zu einem Paragraphen kommt, der
Streckenübernahmen betrifft und nach dem die Möglich-
keit der Übernahme transparent veröffentlicht wird, auch
im Internet und im Bundesanzeiger. Sie verhindern, dass
in einem ersten Schritt ab Januar 2002 mehr Wettbewerb
herrscht, was Sie ja sonst immer wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard Lintner [CDU/CSU]: Sie bestreiten doch die Diskriminierung!)


Dass uns der Wettbewerb auf der Schiene wichtig ist,
zeigt auch die Tatsache, dass wir eine Taskforce einge-
setzt haben. In der Diskussion um die Trennung von Netz
und Betrieb ging es ja um eine sinnvolle Organisations-
form für die Zukunft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts Neues!)


Die Taskforce hat festgelegt,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dass Mehdorn Recht hat!)


dass die DB Netz eigenständig wirtschaften muss, dass
Trassenpreisfestsetzung und Trassenvergabe in der Zu-
kunft in eigener Kompetenz der Netz AG funktionieren
werden und dass für die Zukunft eine unabhängige Tras-
senagentur beim EBA eingerichtet wird, die Preise und
Vergabe von Trassen kontrolliert.

Wichtig ist der diskriminierungsfreie Zugang zum
Schienennetz für alle Wettbewerber und wichtig sind
diskriminierungsfreie Trassenpreise. Die Wettbewerbs-
aufsicht, die ab 1. Januar 2002 nach dem AEG bestehen
sollte, haben Sie verhindert. Wir werden die Ergebnisse
der Taskforce bei einer weiteren Novellierung des Allge-
meinen Eisenbahngesetztes berücksichtigen.

Mit diesen Schwerpunkten, nämlich Investitionen,
Rahmenbedingungen, Wettbewerbsaufsicht und Chance
des diskriminierungsfreien Zugangs, haben wir dazu bei-
getragen, dass die Voraussetzungen für mehr Verkehr auf
der Schiene geschaffen wurden. Machen Sie den Weg frei


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Der Spruch wird schon von der Raiffeisenbank genutzt! Den können Sie nicht nehmen! Der kostet Geld!)


für eine schnelle Verbesserung des Wettbewerbs in einem
ersten Schritt ab dem Jahr 2003! Machen Sie den Weg frei
für mehr Wettbewerb auf der Schiene!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419514200
Nun hat der Kollege
Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1419514300
Frau Präsiden-
tin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eugen
Roth hat einmal formuliert:

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Karin Rehbock-Zureich

19077


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein Mensch, der sonst zwar das Vergnügen recht
gern genießt in vollen Zügen, /legt gerade beim Rei-
sen umgekehrt auf volle Züge wenig Wert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Wie wahr!


(Albert Schmidt [Hitzhofen] BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Werden Sie jetzt Verkehrssenator in Hamburg?)


Leider muss man aber sagen, dass Leistungsfähigkeit,
Service und Pünktlichkeit im Schienenverkehr noch im-
mer keine Selbstverständlichkeit sind. Wir brauchen aber,
damit der Schienenverkehr wieder wächst, attraktiven,
kundenorientierten und preiswerten Schienenverkehr, der
die Straße entlastet, die erheblichen Verkehrszuwächse an
sich bindet und den Personen- und Güterverkehr rei-
bungslos, sicher und umweltverträglich bewältigt.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: So läuft das jetzt!)


Trotz erheblicher Investitionen und Subventionen ist der
Verkehrsträger Schiene im Verkehrsmarkt immer weiter
zurückgefallen.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Gar nicht wahr!)


Für seine verbesserte Positionierung im intermodalen
Wettbewerb ist es noch nicht zu spät, aber höchste Zeit.
Ohne fairen Wettbewerb möglichst vieler Schienenver-
kehrsunternehmen auf ein und demselben Schienennetz
wird auch diese Zeit ungenutzt verstreichen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Deshalb fragen wir als Opposition: Wann geben Ver-
kehrsminister Bodewig und Bahnchef Mehdorn ihre ver-
antwortungslose Blockadehaltung endlich auf


(Zurufe von der SPD: Oh!)


und machen den Weg frei für einen diskriminierungs-
freien Netzzugang zu gleichen Bedingungen für alle
Schienenverkehrsunternehmen?


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe auch schon einmal blockiert! In Mutlangen!)


Herr Schmidt, ich weiß, dass auch Sie so denken, nur im
Moment von Ihrer Koalition eine Denkpause verordnet be-
kommen haben, und dass Sie, wenn Sie wieder einmal die
Freude der Opposition haben, wieder frei denken dürfen und
dann genauso reden werden wie ich. Dessen bin ich sicher.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Hasenfratz [SPD]: Das kann noch lange dauern!)


Meine Damen und Herren, ohne strikte Trennung von
Netz und Betrieb in organisatorischer, wirtschaftlicher
und rechtlicher Hinsicht wird es Wettbewerb auf der
Schiene nicht geben. Damit wird es auch nicht die erfor-
derliche Qualitäts- und Kostenoptimierung und auch
keine Zunahme von Gütertransporten auf der Schiene ge-
ben. Herr Bodewig, Sie können sich das in Ihrem Verkehrs-
bericht genannte Ziel, bis zum Jahr 2015 eine Verdoppelung
des Schienengüterverkehrs zu erreichen, vollständig ab-
schminken.

Wir müssen wohl davon ausgehen, dass Bahnchef
Mehdorn beratungsresistent bleiben wird. Seine Unter-
nehmensphilosophie ist offensichtlich die dauerhafte Ver-
ankerung der fünf Einzel-AGs unter dem Dach einer über-
mächtigen Holding. Dies hat mit unserer Bahnreform
überhaupt nichts mehr zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mehdorn verteidigt in Wahrheit die Quasi-Monopol-
stellung der DB AG mit Zähnen und Klauen, nur um ernst
zu nehmende Konkurrenten zu behindern und möglichst
ganz zu verhindern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Man lässt lediglich einige Nebennetze, die nicht weh tun,
zu und sagt dann: Wir haben doch 135 oder 150 Wettbe-
werber im Netz.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: 220!)


Das ist aber Kleinkram gegenüber dem Wettbewerb im
Kerngeschäft und im Hauptnetz, wo dieser Wettbewerb
überhaupt nicht stattfindet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es darf nicht sein, dass die DB AG kein Interesse da-
ran hat, das unter ihrer Verantwortung stehende Schienen-
netz bestmöglich zu vermarkten, nur weil sie dafür keine
vollständige finanzielle Verpflichtung trägt. Durch die
Trennung von Netz und Betrieb würde dem derzeit zu be-
obachtenden Rückbau des Netzes, das nur noch den In-
teressen der DB AG und nicht denen der anderen Mitbe-
werber dienen soll, ein Riegel vorgeschoben.

Wenn Minister Bodewig den diskriminierungsfreien
Zugang zur Schiene wirklich wollte, würde er nichts un-
versucht lassen, um die DB AG von ihrer Netzverantwor-
tung zu befreien. Investitionspflichten, Ablauforganisa-
tion und Haftungsrisiken wären dann für die DB AG in
Wahrheit unüberwindbare Wettbewerbsnachteile, ein
wirklicher Klotz am Bein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es anders wäre, dann hätte die DB AG überhaupt
kein Interesse daran, das Netz in ihr Unternehmen inte-
griert zu behalten.

Ergo: Minister Bodewig widerrief seine Ankündigung
vom Parteitag der Grünen in Stuttgart zur Trennung von
Netz und Betrieb. Er verhindert damit den erfolgreichen
Fortgang der Bahnreform und entfernt sich von den euro-
päischen Zielvorgaben


(Zurufe von der SPD: Oh!)


für einen liberalisierten Verkehrsmarkt auf der Schiene.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr! Das sind böse Unterstellungen!)


Minister Bodewig hatte allerdings die Partie bereits
verloren, als er Mehdorn nachträglich in die Taskforce be-
rief. Statt gefeierter Bahnreformator, Herr Minister, dro-
hen Sie nun zum Totengräber der Bahnreform zu werden.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dirk Fischer (Hamburg)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Wann erkennen Sie endlich, dass deutsche Schienenver-
kehrspolitik etwas anderes als der schonende Umgang mit
dem Sanierungsfall DB AG ist?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sind der Leichenhüter der Bahnreform!)


Sie, Herr Minister Bodewig, sind auf dem ordnungs-
politischen Auge in Wahrheit blind.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist eine Metapher!)


Statt das Schienennetz aus dem Bahnkonzern herauszulö-
sen, bietet der Abschlussbericht der Taskforce nur halb-
herzige Lösungen an. Die getroffenen Entscheidungen
schaffen nämlich keine Unabhängigkeit von Trassenver-
gabe und Trassenpreisfestsetzungen. Da sich vielfältige
DB AG-interne Verflechtungen zwischen Netz und Be-
trieb ohne die Herauslösung der Netz AG aus der Holding
nicht kappen lassen, behält die DBAG den entscheidenden
Wettbewerbsvorteil der kurzen Dienstwege, der Mitbe-
werber abschreckt – er stellt ein Frühwarnsystem zulasten
anderer Güterverkehrstransportunternehmen im Wettbe-
werb dar –, in einen tatsächlich funktionierenden Wettbe-
werb einzutreten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert ganz aus-
drücklich, die Trennung von Netz und Betrieb in Organi-
sationsform, Rechtsform und in betrieblicher Rechnungs-
legung vollständig und konsequent zu vollziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das Schienennetz muss organisationsprivatisiert in staat-
lichem Eigentum verbleiben. Wir können uns aber sehr
wohl auch vorstellen, dass sich neben dem Bund andere
Gebietskörperschaften als Anteilseigner beteiligen. Die
falsche Weichenstellung wäre sicherlich die staatliche In-
frastruktur als Renditeobjekt à la England. Das wollen wir
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Technische und hoheitliche Aufsichtsbehörde über das
Netz bleibt das EBA, das die Aufsicht über die Betriebs-
sicherheit sowie die Planfeststellungskompetenz behält.
Um eine möglichst effiziente Netzauslastung zu gewähr-
leisten, würde eine Netzgesellschaft Fahrplantrassen in
hoher Qualität und Güte und in ausreichender Menge be-
reithalten. Da aber die Einnahmen aus den bei der Schiene
erhobenen Trassenbenutzungsgebühren zum Erhalt und
Ausbau des Schienennetzes nicht ausreichen dürften, ist
eine ergänzende Steuerfinanzierung unumgänglich. Eine
starke Wettbewerbsaufsicht kann nur beim Bundeskartell-
amt, keinesfalls beim EBA liegen. Kartellaufsicht und
Fahrplankoordinierung in einer Behörde vertragen sich
nach unserer Überzeugung nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Winfried Wolf [PDS])


Von der Last des Netzes befreit, können die derzeit
noch im Bundesbesitz befindlichen Schienenverkehrsun-
ternehmen der DB AG börsenfähig gemacht und je nach
Lage auch materiell privatisiert werden. Die DB Holding
AG kann aufgelöst und die 1994 begonnene Bahnreform
konsequent zum Abschluss gebracht werden.

Wir fordern die Bundesregierung mit unserem Antrag
zu einer konsequenten Trennung von Netz und Betrieb im
deutschen Schienenverkehr auf. Sie soll anstelle immer
neuer Lippenbekenntnisse einen diskriminierungsfreien
Zugang zum Schienennetz, und zwar zu angemessenen
Preisen für Mitbewerber, garantieren. Folgen Sie, meine
Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, den
Empfehlungen der überwältigenden Mehrheit der Schie-
nenverkehrsexperten in diesem Land und schaffen Sie die
gesetzlichen, organisatorischen und technischen Voraus-
setzungen zur Trennung von Netz und Betrieb. Sorgen Sie
für ein Erfolgsmodell Deutschland im Schienenverkehr,
das für alle Unternehmen und ihre Mitarbeiter eine her-
vorragende Zukunftsperspektive bietet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419514400
Das Wort hat nun der
Kollege Albert Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wie, kommen jetzt die Ausreden? – Spricht er als Abgeordneter oder als Aufsichtsrat? – Die Trennung von Aufsichtsrat und Mandat ist das nächste Thema bei Ihnen!)


Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Vorstand und Aufsichtsrat sind zweierlei. –
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen!


(Zuruf)


– Das kommt noch. Eines nach dem anderen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Verkehrsminister kommt noch!)


Wir sind nach der Bundestagswahl 1998 mit dem ver-
kehrspolitischen Ziel angetreten, für die Schiene auf dem
Verkehrsmarkt verbesserte Chancen zu schaffen.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Und heute werden Sie scheitern!)


Ich will Ihnen heute die fünf wichtigsten Punkte in Er-
innerung rufen und Ihnen den Beleg dafür liefern, dass wir
nicht nur Wort gehalten haben, sondern dass sich unsere
Politik auch positiv auf den Verkehrsmarkt ausgewirkt
hat.

Erstens. Wir wollten für die Straße wie für die Schiene
gleich hohe Investitionen. Mittlerweile sind die Inves-
titionen für den Straßen- wie für den Schienenbau
annähernd gleich hoch. Das können Sie in den aktuellen
Haushaltsplänen nachlesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dirk Fischer (Hamburg)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. Wir wollten mehr Baukostenzuschüsse ha-
ben, weniger zinslose Darlehen, weil das vor allem für die
regionalen Projekte besser ist. Auch das haben wir einge-
löst. Der Schwerpunkt der Investitionstätigkeit liegt nicht
mehr auf den überteuerten Großprojekten, sondern auf
dem Erhalt und der Modernisierung des Bestandsnetzes.
Das ganze System Bahn wird runderneuert. An dieser
Stelle haben wir ebenfalls Wort gehalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollten drittens – das haben wir sogar in den Ko-
alitionsvertrag geschrieben – den Erhalt und die Verbes-
serung der Regionalisierungsmittel, also auch der kon-
sumtiven Mittel zur Bestellung von Nahverkehrszügen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das mussten Sie nicht hineinschreiben, das war bereits Gesetz!)


– Sie wissen ganz genau, dass nicht nur Waigel, sondern
auch andere Finanzminister immer einmal auf die Idee ge-
kommen sind, dass man da kürzen könnte.

In der Tat haben wir seit 1998 dreimal die Regionali-
sierungsmittel für die Länder um rund eine halbe Milli-
arde DM erhöht. Auch hier haben wir Wort gehalten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das steht im Gesetz, und zwar seit 1996 schon!)


– Das konzediere ich ja gern.

Nun möchte ich aber ein Wort zu dem sagen, was ak-
tuell zwischen Ländern und Bund diskutiert wird: Wie
geht es mit den Regionalisierungsmitteln weiter? Sie wis-
sen, dass die Verkehrsministerkonferenz der Länder in
der vergangenen Woche nicht nur eine Verstetigung auf
hohem Niveau, sondern auch eine weitere Dynamisierung
dieser Mittel gefordert hat.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das war schon lange festgelegt!)


Ich möchte für meine Fraktion hier ganz klar sagen:
Wir unterstützen eine Position, die besagt: Wir müssen
auf dem heutigen Kostenniveau aufsetzen und wir brau-
chen auch weiterhin eine maßvolle Dynamisierung dieser
Mittel, und zwar inklusive zusätzlicher Mittel, um das
Problem Interregio, das heute auch Gegenstand zweier
Anträge ist, zu lösen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das müssen Sie Herrn Eichel sagen!)


Denn es kann nicht sein, dass die Länder ein Stück Mit-
verantwortung für diesen „Grauzonenverkehr“ zwischen
Nah- und Fernverkehr übernehmen sollen, aber gleichzei-
tig weniger Geld vom Bund bekommen. Das wird nicht
aufgehen.


(Beifall bei der CDU und FDP – Renate Blank [CDU/CSU], zu SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Und niemand von euch?)


– Jetzt kann von euch aber auch Beifall kommen; es gibt
auch SPD-regierte Länder.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wenn wir den Län-
dern bei den Regionalisierungsmitteln eine ordentliche
Finanzausstattung geben und einen Extrazuschlag für den
Interregio bzw. für Ersatzbestellungen, für Kofinanzie-
rung, dann wird dieser Zug im Interesse der Fahrgäste
auch erhalten bleiben, und um die geht es uns doch allen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Originalton CDU!)


Der Beschluss der Verkehrsministerkonferenz wurde
übrigens einstimmig gefasst.

Vierter Punkt: Entfernungspauschale. Wir wollten
Schluss machen mit der Ungleichbehandlung von Auto-
nutzerinnen und Autonutzern und Nutzerinnen und Nut-
zern des Umweltverbundes Fahrrad, Bus und Bahn auf
dem Weg zur Arbeit und wir haben damit Schluss ge-
macht. Alle bekommen seit dem 1. Januar 2001 dieselbe
steuerliche Entlastung angerechnet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollten eine LKW-Maut einführen und wir werden
sie einführen. Das Gesetz befindet sich im parlamentari-
schen Verfahren. Das heißt, künftig wird für den 40-Ton-
ner statt bisher im Schnitt 2 Pfennig pro Kilometer mit Si-
cherheit das 15- bis 20-fache zu bezahlen sein. Auch das
wird selbstverständlich eine Entlastung der Straßen brin-
gen und ein Plus für Schiene und die Wasserstraße be-
deuten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollten eine Ökosteuer einführen. Auch wenn Sie
hundertmal Kampagnen dagegen gestartet haben – wir
haben diese Energiesteuer eingeführt


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Leider!)


und wir haben den gesamten öffentlichen Verkehr – vom
Linienbus bis zum ICE – vom halben Steuersatz befreit.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Trotzdem ist es eine Steuererhöhung!)


Das bedeutet, dass mit jedem Erhöhungsschritt der rela-
tive Wettbewerbsvorteil der Bahn wächst.

Nun komme ich zur Verkehrsentwicklung, Kollege
Friedrich. Das Ganze funktioniert auch. Wir haben in die-
sem und im letzten Jahr einen konstanten Zuwachs im
Schienenverkehr in einer Größenordnung zwischen 2 und
4 Prozent, je nach Fern- oder Nahverkehr. Wir haben beim
Schienengüterverkehr im letzten Jahr ein Plus im zwei-
stelligen Prozentbereich.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Was heißt „Prozentbereich“? So stimmt das nicht!)


Wir hatten bei den privaten Güterbahnen im letzten Jahr
ein Plus von 50 Prozent. Wir haben doch nie gesagt, dass
die Verdoppelung des Schienengüterverkehrs allein von
DB Cargo zu leisten sei. Das ist ein Irrtum. Ich glaube
nicht, dass der schwerfällige Koloss an der Spitze der
neuen Güterverkehre rangieren wird, sondern es werden
die privaten, die nicht staatlichen Eisenbahnen sein. Diese

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Albert Schmidt (Hitzhofen)


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sind bereits auf dem Weg, auf einem guten Weg, wie ich
finde. Von daher, glaube ich, kann sich unsere Bilanz se-
hen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das Gesetz der großen Zahlen, das Sie jetzt verkaufen!)


– Natürlich von einem niedrigen Niveau ausgehend; das
ist doch klar. Aber es geht in die richtige Richtung, und
zwar massiv, mit einem Affenzahn.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: 2,5 Prozent – traumhaft!)


Nun ein Wort zum Thema Unabhängigkeit des Net-
zes.


(Zuruf des Abg. Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU])


– Kollege Fischer, wenn ich Ihnen so zuhöre, entsteht bei
mir der Eindruck: Es grenzt an Wettbewerbsfetischismus,
was Sie hier vorbeten, muss ich beinahe sagen.

Ich bin immer ein Freund des Wettbewerbs gewesen.
Aber das Ziel ist doch entscheidend und nicht das Instru-
ment. Das Ziel ist: Wir müssen eine klare Rollenvertei-
lung zwischen dem Staat als Eigentümer, der nach
Art. 87 e Grundgesetz die Verantwortung für die gemein-
wohlorientierte Infrastruktur trägt, und der Deutschen
Bahn AG bzw. Netz AG schaffen, die als privat-
wirtschaftlich organisiertes Unternehmen rentabel zu ar-
beiten hat.

Diesen Grundwiderspruch, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, müssen wir auflösen. Ich sage ganz offen, dass ich
dieses Problem mit den Vorschlägen der Taskforce nicht
in Gänze gelöst sehe. Das Problem wird uns wieder
beschäftigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das entscheidende Ziel ist aber, mehr Unabhängigkeit
im Netzzugang und damit mehr Verkehr im Interesse der
Fahrgäste und der Güterverkehrskunden zu erreichen. Mit
den Vorschlägen der Taskforce erreichen wir da eine
ganze Menge. Wir bekommen die bilanzielle Trennung.
Zum ersten Mal wird DB Netz eine unabhängige Bilanz
veröffentlichen müssen, in der Innen- genauso wie
Außengeschäfte verrechnet werden müssen. Die
Weisungsbefugnis des Konzerns gegenüber DB Netz wird
abgeschafft. Aufgrund dieser Teilentherrschung wird das
Netz selbstständig agieren können. Wir bekommen ein
unabhängiges Trassenmanagement und wir bekommen
eine neutrale Wettbewerbsaufsicht über das technische
Eisenbahn-Bundesamt und das wettbewerbsrechtlich
agierende Bundeskartellamt. Es wird also praktisch eine
doppelte Schiedsrichterfunktion eingeführt. Dies alles
sind richtige und notwendige Zwischenschritte, die wir
begrüßen und die Sie in den langen Jahren Ihrer
Regierungszeit nicht umgesetzt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme nun – das kann ich Ihnen nicht ersparen –
zum Urheberrecht. Wer hat als Erstes all diese Dinge
verlangt? Ich zitiere, weil Sie hier so auftreten, als hät-
ten Sie es immer schon gesagt, die Bundestagsdruck-
sache 13/7283 vom 19. März 1997.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da waren Sie noch gar nicht in der Regierung!)


– Wir waren damals in der Opposition, Sie in der
Regierung. Da heißt es wörtlich:

Es hat sich herausgestellt als schwerwiegender
Konstruktionsfehler der Bahnreform, trotz der im
Grundgesetz verankerten Gemeinwohlverantwor-
tung des Bundes für Erhalt und Ausbau des
Schienennetzes der privatwirtschaftlich handelnden
DB AG das Schienennetz zu übertragen. Aufgrund
dieser Fehlkonstruktion ergibt sich das Paradoxon,
dass wenig ausgelastete Schieneninfrastrukturen
stillgelegt werden, wenig ausgelastete Straßen aber
nicht.

Das war der Begründungstext.

Im Antrag heißt es dann:

Wir beantragen, die Schieneninfrastruktur für die
Eisenbahnen des Bundes in das Eigentum einer zu
gründenden Schieneninfrastruktur-GmbH ... zu über-
tragen.

Das war unser grüner Antrag. Sie haben das damals noch
nicht einmal gedacht, geschweige denn gesagt und umge-
setzt. Nichts haben Sie gemacht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wiederspruch bei er CDU/ CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419514500
Es gibt eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Fischer.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Jetzt bin ich aber gespannt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419514600
Sie sind also einver-
standen. – Bitte.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1419514700
Ich möchte den
Antrag, den Sie gestellt haben, ausdrücklich rühmen und
Ihnen anraten, bei der Linie zu bleiben.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Das tun wir, keine Sorge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1419514800
Stimmen
Sie mir aber darin zu, dass in den Unterlagen zur Bahnre-
form als dritte Stufe die Option enthalten ist, nach der die
Holding beseitigt würde, die AGs zu selbstständigen

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Albert Schmidt (Hitzhofen)


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Gesellschaften entwickelt würden und damit automatisch
die Folge verbunden wäre, dass die Netz AG in einer han-
delsrechtlichen Form im Bundeseigentum verselbststän-
digt worden wäre, sodass aus unserer Sicht beim nor-
malen Ablauf der Bahnreform ein solcher Antrag nicht
vonnöten gewesen wäre, wir im Ziel aber dennoch
übereinstimmen?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Fischer, ich stimme Ihnen gerne darin
zu, dass diese Option in den Papieren zur Bahnreform
– nicht auf der gesetzlichen Ebene – angedeutet worden
ist. Automatisch aber passiert in diesem Lande – und
besonders bei der Bahnreform – überhaupt nichts. Das
wissen Sie genauso gut wie ich. Sie hätten schon mit den
Ministern, die Sie zur damaligen Zeit gestellt haben, hier
im Parlament vorstellig werden müssen. Sie hätten ein
Gesetz auf den Tisch legen und sagen müssen: Jetzt üben
wir diese Option aus. Genau das haben Sie nicht nur nicht
gesagt, sondern auch nicht gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Sie haben nicht wollen dürfen!)


Das können Sie hinterher auch nicht bestreiten.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419514900
Wollen Sie noch eine
Zwischenfrage des Kollegen Fischer zulassen?

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich glaube, dass der Bedarf an Zwischenfra-
gen gedeckt ist. An mir soll es aber nicht liegen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419515000
Also eine Frage noch,
dann fahren wir fort. Bitte sehr.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1419515100
Es geht mir nur
um eine sachliche Frage zu einem Punkt, in dem wir iden-
tische Ausgangspositionen haben.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Identisch? Vorsicht!


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1419515200
Sind Sie bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, dass wir die Option hinein-
geschrieben haben, weil wir sie mit der ausdrücklichen
Bedingung wollten, dass die Option nach Abschluss der
Sanierungsphase, deren genauer Zeitpunkt nicht erkenn-
bar war, ausgeübt werden sollte? Das war nämlich unsere
Vorstellung.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Das ist genau der Punkt, an dem wir nicht nur
nicht identisch sind, sondern diametral unterschiedliche
Auffassungen haben. Sie haben nämlich den Sanierungs-
prozess nicht konsequent zu Ende geführt. Sie haben die
Investitionen – das ist mehrfach gesagt worden – von

einstmals 9 auf 5,7 Milliarden DM zusammengestrichen.
Dabei muss die Bahn – da können Sie eine Organisations-
reform durchführen, wie Sie wollen – doch Pleite gehen,
egal, ob Netz und Betrieb getrennt werden oder nicht. Sie
entziehen ihr nämlich die Substanz.

Die Löcher im Netz und die Langsamfahrstellen sind
die Folgen Ihrer Politik. Jetzt von Wettbewerb zu
schwafeln und damals der Bahn das Geld systematisch
entzogen zu haben, das ist zutiefst unglaubwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist doch ein ganz anderer Punkt! Ein völlig anderes Thema!)


– Das ist ein Märchen. Hätten Sie damals für genug Geld
gesorgt, dann bräuchten Sie jetzt nicht von Wettbewerb zu
fantasieren.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie weichen auf ein anderes Thema aus, weil Sie sonst zustimmen müssten!)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, es bleibt in der Bahnpolitik noch viel zu tun; das ist
überhaupt keine Frage. Deshalb empfinde ich viele
Gedanken in eigentlich allen Anträgen als bedenkens-
wert; wir sollten sie im Ausschuss auch sorgfältig disku-
tieren. Wir müssen uns gemeinsam darum bemühen, dass
wir die Investitionen für das System Schiene – ich sage
bewusst: für das System Schiene, nicht nur für die
Deutsche Bahn AG – auch nach 2003 auf hohem Niveau
verstetigen, da es unmöglich ist, Bahnbau zu betreiben,
wenn man alle drei Jahre darüber nachdenken muss, ob es
noch Geld gibt oder nicht bzw. ob es genug Geld gibt.

Zweitens müssen wir alles für eine Qualitäts-
verbesserung im Güterverkehr auf der Schiene tun.
Dort ist es nicht mit mehr Geld und niedrigeren Trassen-
preisen getan, sondern dort brauchen wir Logistik-
fähigkeit: moderne Technik, neue Lokomotiven, elektro-
nische Stellwerke usw.


(Beifall des Abg. Georg Brunnhuber [CDU/CSU])


Deswegen bin ich froh, dass jetzt die Investitionen
schwerpunktmäßig ins Bestandsnetz gehen.

Drittens und letztens brauchen wir – davon bin ich
überzeugt; vielleicht liegt es daran, dass ich aus Bayern
komme und man den Bayern nachsagt, sie seien geborene
Föderalisten – regionale Verantwortung auch für die
Schieneninfrastruktur. Das heißt, die Nebennetze und
Nebenstrecken werden über kurz oder lang verschwinden
bzw. immer mit dem Verschwinden zu kämpfen haben,
wenn wir nicht das Eigentum an diesen Netzen und damit
auch die Fürsorge für die Strecken dorthin bekommen, wo
auch der Verkehr bestellt wird, nämlich in die Bundesländer.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Dann soll das Land wieder das bezahlen, was der Bund nicht bezahlt!)


Deshalb sehe ich mit großer Sympathie die Ansätze in
Schleswig-Holstein, aber auch in Sachsen, Teile dieser

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Dirk Fischer (Hamburg)


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Nebennetze in dem Sinne zu regionalisieren, dass man
den Regionalisierungsgedanken bei der Bestellung von
Nahverkehrszügen nun auch auf die Streckennetze über-
trägt. Diese Länder sagen, sie seien bereit, ein Stück
Mitverantwortung – in welcher Form auch immer: auf der
Basis von Pacht oder Eigentumsübertragung – für diese
Nebennetze zu übernehmen, wenn sie eine gewisse Mit-
telausstattung nach dem Bundesschienenwegeausbauge-
setz oder aus anderen Finanzierungstöpfen bekommen.

Eine Flächenbahn ohne Regionalisierung der Infra-
strukturverantwortung ist auf die Dauer eine Illusion.
Deshalb bitte ich Sie auch von dieser Stelle aus, diese
neue gemeinsame Aufgabe, die nicht von heute auf mor-
gen zu leisten sein wird, sehr ernst zu nehmen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD –Renate Blank [CDU/CSU]: Geht dann das Geld auch mit in die Länder?)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419515300
Jetzt hat der Kollege
Horst Friedrich für die FDP-Fraktion das Wort.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1419515400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben bisher, zumindest von der
Koalition, Reden gehört, in denen so getan wurde, als sei
die arme Bahn Opfer bestimmter Entscheidungen und
müsse ansonsten nichts machen. Bevor ich zu den
wesentlichen Punkten des Wettbewerbs komme, möchte
ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die zwar wie ein
Märchen von den Gebrüdern Grimm klingt, sich tatsäch-
lich aber im Juli des Jahres 2001 bei einer Firma Streck,
einem Transportunternehmen im südbadischen Freiburg,
abgespielt hat.

Dieses Unternehmen wollte nach zehn Jahren erstmals
wieder seinen hauseigenen Gleisanschluss benutzen. Ein
Schreiben der Bahn bestätigte, dass das Gleis in Betrieb
sei. Was dann passierte, will ich Ihnen erzählen:


(Zurufe von der SPD: Oh nein!)


Es war einmal ein Spediteur,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist hier doch keine Märchenbühne!)


der 1980 ein neues Gut bezogen hatte, das auch einen
eigenen Gleisanschluss hatte. Darüber freute er sich so
sehr, dass er seine Güter in den Waggons deponierte und
zu seinen Kunden transportierte. Im Laufe der Jahre ka-
men allerdings die Kunden des Spediteurs mit immer
neuen Wünschen und wollten ihre Waren in immer kürze-
ren Abständen und immer schneller geliefert bekommen.
Doch so laut sie auch riefen, die Ohren der Bahn waren
verstopft. Teilweise verschlechterte sich ihr Angebot
sogar; so hängte sie zum Beispiel den ehemaligen großen
Umschlagplatz in der nahe gelegenen Großstadt vom
Güterverkehrsnetz ab.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Ist ja gruselig!)


Der Spediteur war ganz traurig, denn von nun an wuchs
Gras über seinem Gleisanschluss. Damit er weiterhin sein
Auskommen hatte, suchte er sich neue Partner.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine Gespenstergeschichte!)


Fortan nutzte er mehr und mehr den LKW-Verkehr und
lebte mit seinen Kunden glücklich und zufrieden.

Doch die Zeiten änderten sich: Es kam ein neuer Zau-
berer in die Stadt, der viele gute Umweltgedanken mit-
brachte.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Trittin?)


Der Spediteur hörte, dass es viel besser sei, Gütertrans-
porte mit der Bahn abzuwickeln und Belastungen durch
den Straßenverkehr zu verringern. Und weil er ein mo-
derner Spediteur war, nahm er viele Goldstücke aus seiner
Schatzkammer, führte ein Umweltmanagement ein und
ließ sich sogar nach DIN ISO 14001 zertifizieren. Er ließ
auch seine Heinzelmännchen prüfen, ob und wie man den
Gleisanschluss wieder nutzen könnte.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute!)


– So ist es, Herr Ramsauer.

Sie schwärmten aus und fanden tatsächlich einen ita-
lienischen Geigenbauer ganz tief im Süden, der sich an-
maßen wollte, 25 000 Musikinstrumente auf Paletten
– 1 500 Stück immerhin – mit Bahnwaggons über die
Alpen zu schicken. Der Spediteur sollte sie in seinem
Lager eine Weile aufheben, bis alle Orchester in Deutsch-
land nach ihnen riefen.

So weit, so schlecht, denn der Spediteur hatte die Rech-
nung ohne den Wirt gemacht. Die Heinzelmännchen fan-
den nämlich bei der Bahn in ihrer Stadt niemanden, der
ihnen Auskunft geben konnte, ob und wann die Waggons
die eigenen Gleise wieder erreichen konnten. Die Herren
der Stadt waren im Besitz eines erst acht Wochen alten
Briefes, der allerdings besagte, dass das Gleis ja in Betrieb
sei. Deshalb spannten die Heinzelmännchen die Kutschen
an, fuhren nach Karlsruhe, nach Basel und weiter nach
Duisburg, aber alle Statthalter der DB Cargo erschraken
fürchterlich, als da jemand Geschäfte mit ihnen machen
wollte, und schickten die Heinzelmännchen wieder fort.
Von dem Brief, den die Stadtherren erhalten hatten, wollte
niemand etwas wissen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da könnte ja jeder kommen!)


48 Stunden, bevor die Frist für den Transport der
Musikinstrumente abgelaufen war, wurde den Heinzel-
männchen der Name eines Wahrsagers kund. Sie machten
sich auf den Weg, trafen „tief in der Nacht“, um
16.05 Uhr, bei ihm ein und standen vor verschlossenen
Türen. Als sie endlich vor ihm standen, sagte er: „Das
Gleis wurde schon länger nicht mehr benutzt, es muss
überprüft werden. Die Bedienung des Gleises passt nicht

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Albert Schmidt (Hitzhofen)


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in den bestehenden Fahrplan.“ Die Heinzelmännchen
wandten sich ab und weinten bitterlich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es nicht so
traurig wäre, dann würde ich sagen: Das ist die Realität in
der Landschaft der Bahn. Deswegen, Frau Kollegin
Rehbock-Zureich, müssen Sie sich jetzt fragen lassen, ob
Sie mit Ihrer bedauernswerten Absicht, ein Gesetz zu ver-
hindern, das den Wettbewerb beschleunigt, tatsächlich
das richtige Ziel verfolgen. Was soll denn passieren? Wie
will denn das Eisenbahn-Bundesamt von sich aus diskri-
minierungsfrei feststellen, ob der Wettbewerb behindert
wird oder nicht?


(Zuruf von der SPD: Das sind ganz pfiffige Leute!)


Sie haben eigentlich schon den richtigen Weg beschrit-
ten. Im Antrag der Koalition in der Drucksache vom März
dieses Jahres lese ich Folgendes:

Es bestehen jedoch Zweifel, ob ein fairer Wettbe-
werb auf einem Netz, das im ausschließlichen Ei-
gentum des größten Anbieters von Schienenver-
kehrsleistungen auf diesem Netz steht, überhaupt zu
gewährleisten ist. Eine Wettbewerbsaufsicht bzw.
eine Regulierungsstelle ist dazu bei der Vielzahl
denkbarer Diskriminierungsmöglichkeiten nur un-
vollkommen in der Lage.

Einige Tage später kam Herr Bodewig zum Parteitag
der Grünen und verkündete dort unter anderem:


(Eduard Lintner [CDU/CSU]: Das ist jetzt ein echtes Märchen!)


Dazu muss vor allem die Unabhängigkeit des Netzes
gesichert werden. Der Prozess der Trennung von
Schienennetz und Schienenbetrieb ist unverzüglich
einzuleiten, um endlich die Kundenorientierung des
Schienenverkehrs zu begründen.


(Zuruf von der SPD: Das machen wir doch jetzt!)


Ich will es noch einmal unterstreichen: Das, was ich
eben zitierte, stammt tatsächlich aus dem Jahr 2001, nicht
von irgendwann früher.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419515500
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1419515600
Aber bitte, dem
Kollegen Weis immer.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419515700
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1419515800
Herr Kollege
Friedrich, Sie sprachen wieder das Problem der Tren-
nung von Netz und Betrieb an und setzten sich dafür ve-

hement ein. Deswegen frage ich Sie, ob Sie es verant-
wortliches Handeln nennen, ohne Kenntnis der Konse-
quenzen die Trennung von Netz und Betrieb im Sinne der
reinen Lehre zu fordern. Wie sonst sollen wir den Antrag
der FDP-Fraktion verstehen, der gestern bei den
Haushaltsberatungen zum Einzelplan 12 eingebracht
wurde, 10 Millionen DM für Forschung aufzuwenden, um
die möglichen Konsequenzen der Trennung von Netz und
Betrieb zu überprüfen?


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1419515900
Genau deswegen,
Herr Kollege Weis, weil wir eben der Meinung sind, dass
das exakt erforscht werden soll. Aus diesem Grund wollen
wir Forschungsgelder lockermachen. Wenn ich sie locker-
machen will, muss ich doch aber erst einmal den Grund-
satzbeschluss fassen, dass ich es will.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Das ist ja etwas ganz Neues! Eine ganz neue Methode! – Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Unverantwortlich ist das!)


– Wenn ich auf politischer Ebene den Grundsatzbeschluss
nicht fasse, dass ich das Schienennetz vom Betrieb tren-
nen will, kann ich es auch nicht untersuchen. Wir sind
doch gar nicht schlauer als alle anderen. – Ich bin immer
noch bei der Beantwortung Ihrer Frage, Herr Kollege
Weis.

Deswegen haben wir am 26. Juni 2001 in einem Sechs-
Punkte-Antrag, der heute im Übrigen auch zur Beratung
vorliegt, mehreres gefordert. Erstens soll die Netz AG aus
der Bahn-Holding herausgelöst werden. Zweitens soll die
Bundesregierung das Ganze überprüfen und zusätzliche
Forschungsmittel einstellen; erst dann sollen die Konse-
quenzen gezogen werden.

Ich verstehe daher Ihre Frage nicht, Herr Kollege Weis.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Erst trennen und dann forschen!)


Denn Sie haben im März nachweislich erklärt – ich zitiere
Sie –, dass der Deutsche Bundestag die Ankündigung von
Bundesminister Bodewig begrüßt, die Trennung von Netz
und Betrieb zu verwirklichen. Was denn nun? Was hätten
Sie denn gerne? Das, was Sie selber beantragt haben, oder
das, was jetzt herauskommt? Zugegebenermaßen: Die
Taskforce lieferte ein Ergebnis, das ich vorausgesagt
habe.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind der Wahrsager aus dem Märchen!)


– Ja, sicher. Ich kann es Ihnen noch einmal sagen, obwohl
Sie es nicht hören wollen. Ich habe von dieser Stelle aus
schon einmal erklärt: Wenn Sie Herrn Mehdorn in die
Taskforce aufnehmen, dann ist es genau so, als wenn
Sie die Frösche beauftragen würden, den Sumpf trocken-
zulegen. Genau ein solches Ergebnis ist herausgekom-
men.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Herr Mehdorn hat in seiner Rolle als Eisenbahnminister
dieses Landes, unterstützt vom Kanzleramt, genau das

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durchgesetzt, was er durchsetzen wollte. Er gibt nämlich
genau in den Punkten nach, die ihm nicht wehtun. Aber
da, wo es wirklich um Wettbewerb geht und wo er sich
entsprechend anstrengen müsste, da blockt er.


(Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP]: Da passiert nichts!)


Meine sehr verehrten Kollegen von der Koalition,
wenn Sie glauben, dass die Holding der Bahn AG – der
Vorstand der Netz AG ist nämlich nicht gänzlich unab-
hängig; er ist nur in einigen Punkten unabhängig von Wei-
sungen des großen Vorsitzenden – tatsächlich in der Lage
wäre, ohne Einflussnahme mithilfe der so genannten
„chinese walls“ eine Trennung durchzuführen, um den ar-
men, bedauernswerten Nebenbahnen mehr Chancen zu
geben, dann muss ich sagen, dass Sie – positiv ausge-
drückt – bestenfalls blauäugig, man könnte auch sagen:
naiv sind. Das wird nicht passieren. Herr Mehdorn denkt
überhaupt nicht daran, auf dem Sektor etwas preiszuge-
ben, was ihn in den Wettbewerb führt.

Deswegen ist es wichtig, unsere Anhörung durchzu-
führen. Wir werden den neu gegründeten Verband nicht
bundeseigener Eisenbahnen mit Herrn Leister und Herrn
Rochlitz als Sachverständige einladen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer ist Rochlitz überhaupt?)


Sie werden Ihnen aus der Praxis erzählen, was Diskrimi-
nierung tatsächlich bedeutet. Dann können wir uns gerne
ernsthaft über das Thema noch einmal unterhalten. So
lange ziehe ich mir den Schuh, liebe Frau Kollegin
Rehbock-Zureich, überhaupt nicht an.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419516000
Nun hat der Kollege
Winfried Wolf das Wort für die PDS-Fraktion.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1419516100
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Diese große
Zahl von Anträgen und die beiden Großen Anfragen sind
natürlich Anlass für eine Generaldebatte, einmal mit erns-
tem Hintergrund in Märchenform und einmal ohne. Wir
können festhalten, dass die Bahnreform im Jahre 1993/94
das klare Ziel hatte, mehr Anteile des Verkehrsaufkom-
mens auf die Schiene zu bekommen. In mehreren Doku-
menten und in den entsprechenden Antworten wird heute
davon gesprochen, dass dieses Ziel für den Fernverkehr
und für den Güterverkehr nicht und im Nahverkehr nur
punktuell erreicht wurde.

Wenn man diese drei Bereiche abgrast und darauf ein-
geht, was im Nahverkehr in diesem Jahr neu ansteht – die
Interregio-Expresse sollen die Interregios ersetzen, Re-
gionalbahnen und Regionalexpresse sollen reduziert
werden –, wenn man sich weiterhin anschaut, was im
Fernverkehr ansteht – in diesem Jahr wird der Abbau von
Interregios real und im nächsten Jahr soll mit der Bahn-
preisreform eine Halbierung des Bahncard-Rabatts rele-
vant werden; die Fahrpläne, die für das Jahr 2003 heute
skizziert werden, weisen aus, dass Regionen ganz vom
Fernverkehr abgehängt werden; zum Beispiel werden

Saarbrücken und Trier nicht mehr Teil des Bahnfernver-
kehrs im Jahre 2003 sein –, dann wird klar, dass die Ent-
wicklung in die falsche Richtung geht.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil es in die falsche Richtung geht, wird es auch nicht dazu kommen!)


Für den Güterverkehr sind schon mehrere Beispiele
genannt worden. Ich will nur ergänzen, dass in West-
deutschland, in Mannheim, der größte Hersteller von
Bahntechnik, Bombardier Transportation, früher Adtranz,
für keinerlei Transport von Gütern den Gleisanschluss
mehr benutzt, weil es für ihn günstiger ist, die riesigen
Transformatoren auf der Straße zu transportieren.

Wir haben einen Antrag zum Fernverkehr und zum Er-
halt der Interregio-Verbindungen eingebracht. Wir bezie-
hen uns hier auf Art. 87 e des Grundgesetzes. Der Antrag
ist – die CDU/CSU und die FDP wissen es – wortgleich
mit dem, den die CSU-, CDU- und FDP-geführten Lan-
desregierungen in Bayern und in Baden-Württemberg im
Bundesrat eingebracht haben. Sie können hier Kon-
sequenz zeigen.

Die Debatten zu großen Themen reduzieren sich
manchmal auf Zauberformeln. Eine Zauberformel ist die
Trennung von Netz und Betrieb. Diese Zauberformel
wurde von mehreren Parteien benutzt. Ich glaube, dass
sich das teilweise auf einen Show-down zwischen Rambo
Mehdorn und dem zarter besaiteten Verkehrsminister
Bodewig reduzieren wird.

Wir sollten hier lieber konkret darauf eingehen, dass
die Ängste zum Beispiel der Gewerkschaften in Bezug
auf die Trennung von Netz und Betrieb real sind. Wir soll-
ten konkret darauf eingehen, dass damit eine neuerliche
Zerschlagung der Bahn und noch mehr Personal- und
Infrastrukturabbau suggeriert wurden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wir sollten einen anderen Ansatzpunkt wählen. Wir

sollten klipp und klar sagen, dass – das ist weitgehend im
Sinne dessen, was der Kollege Fischer ausgeführt hat –
der Staat die Verantwortung für die Infrastruktur im
Schienenverkehr übernehmen muss.


(Beifall bei der PDS)

Wir sollten feststellen, dass dieses Eigentum des Bundes
und gegebenenfalls der Länder dann auch in eine entspre-
chende klare juristische Form gebracht werden muss.
Wir sollten auch konzedieren, Herr Fischer, dass Herr
Mehdorn in einem Punkt Recht hat und das demagogisch
ausnutzt, nämlich dass Fahrweg und Betrieb eine gewisse
inhaltliche, materielle Einheit bilden, dass sie enger ver-
bunden sind als bei der Straße und im Binnenschifffahrts-
verkehr. Deswegen glaube ich, dass der Unterhalt des
Schienennetzes durchaus beim Main-Operator, wie es
neudeutsch heißt, bleiben kann, aber das juristische Ei-
gentum der Infrastruktur beim Staat liegen soll.

Ich glaube, dass wir keine sehr weitreichende Forde-
rung aufstellen, sondern wir fordern nur die Gleichstel-
lung mit den anderen Verkehrsträgern, dem Straßennetz
und der Binnenschifffahrt.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Horst Friedrich (Bayreuth)


19085


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(B)


Die Koalition plant das Gegenteil. Sie plant jetzt auch
im Taskforce-Bericht in Punkt 7, dass die Bahn an die
Börse gebracht werden soll. Wir meinen, Frau Rehbock-
Zureich, dass die Rahmenbedingungen hier nicht verbes-
sert worden sind, dass die Bahn an der Börse im Wettbe-
werb gegen die Straße und die Binnenschifffahrt keine
Chance haben wird und der Abbau sich beschleunigen
wird.

Wir wollen eine Bahn für die Allgemeinheit, das heißt
gerade für diejenigen, die in unserer Gesellschaft schwach
gemacht und schwach gehalten werden. Gerade in diesem
Bereich sieht man oft, in welche Richtung die Bahn geht,
nämlich gegen die Schwachen in der Gesellschaft.

In der gestrigen Ausgabe der „Berliner Zeitung“ wurde
berichtet, dass sich 24 Rollstuhlfahrer ein halbes Jahr lang
bemüht haben, jetzt im Oktober ein gemeinsames Ticket
für eine Fahrt von Berlin nach Weimar zu bekommen –
Fehlanzeige. Die Tatsache, dass bei den neuen Ansagen in
den Zügen nicht mehr die Verbindungen beim nächsten
Haltepunkt durchgesagt werden, stieß bei den Blinden-
verbänden auf heftige Proteste, weil denen der Hinweis
nichts nützt, das könne man in den Faltblättern mit den
Reiseverbindungen, die im Zug ausliegen, nachlesen. Auf
diese Proteste gab es keine Reaktion.

Wenn wir jetzt feststellen, dass Herr Mehdorn in der
letzten Ausgabe der „Bild am Sonntag“ eine neue Sau
durchs Dorf getrieben hat, indem er die Wirkungsweise
der Bahnhofsmission – Jahrzehnte, wenn nicht ein halbes
Jahrhundert lang integraler Bestandteil der Bahnhöfe – re-
duzieren will, dann glaube ich, dass wir das Recht haben,
einen Antrag zu stellen, dass das nicht geschehen soll. Es
ist so weit gekommen, dass die PDS Anträge zur Vertei-
digung der Caritas und des Diakonischen Werkes stellt.
Ich bitte Sie, dem zuzustimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Es geht um wirklich arme Leute! Da könnt ihr ruhig zustimmen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419516200
Nun hat der Bundes-
minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Kurt
Bodewig, das Wort.

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich freue mich, dass diese Debatte stattfin-
det,


(Eduard Lintner [CDU/CSU]: Was? Hätten Sie das vorher gesagt, hätten wir sie vermieden!)


weil sie ein Zeichen dafür ist, dass die Bahn Teil dieser
Gesellschaft und für das Thema Mobilität von ganz be-
sonderer Bedeutung ist. Sonst hätten Sie nicht so viele,
auch wichtige Dokumente für die heutige Debatte erar-
beitet. Das sage ich ausdrücklich, weil ich glaube, dass
wir schon in der Haushaltsdebatte sehr deutlich machen
konnten, dass die Bundesregierung der Bahn eine hohe
Wertschätzung entgegenbringt. Wir haben einen Rekord-
haushalt. Das kann man ruhig unterstreichen. Wir haben

bei den Investitionen in die Schiene nicht nur mit den
Investitionen in die Straße gleichgezogen, sondern haben
bei 9 Milliarden DM in einer mittelfristigen Phase
des Zukunftsinvestitionsprogramms zusätzlich 6 Milli-
arden DM organisiert. Ich denke, das lässt sich sehen; das
unterstreicht die Bedeutung der Bahn.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe mit Interesse Ihren Ausführungen gelauscht.
Sie haben sich auf die Bahnreform von 1994 bezogen. Das
war eine Bahnreform, die in diesem Hause in großem
Konsens beschlossen wurde; aber danach ist auf Ihrer
Seite nichts mehr geschehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben in Ruhe abgewartet, was sich bei der Bahn er-
gibt. Das ist eine Form der Untätigkeit, die auch auf an-
deren Feldern dazu führte, dass Ihre Regierung 1998 ab-
gewählt wurde,


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie kennen doch die Fakten besser! Wie können Sie hier so einen Quatsch reden?)


obwohl – insofern muss ich mich korrigieren, Herr
Fischer – Sie ja tätig waren: Sie haben die Investitionen
für die Bahn von 9 Milliarden DM in 1995 auf 6 Milli-
arden DM in 1998 zurückgeführt. Das ist natürlich ver-
hängnisvoll für die Bahn.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Was? Gucken Sie einmal Ihren letzten Haushaltsentwurf an!)


Daran hat die Bahn dauerhaft zu leiden. Wir merken das
zurzeit bei der Diskussion um die Planungskapazität.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419516300
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert von
der PDS?

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Ja, gern.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419516400
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419516500
Herr Kollege Mehdorn – –


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419516600
Bodewig heißt der
Minister.


(Heiterkeit)



Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419516700
Entschuldigung, das nehme ich
gern zurück.

Herr Kollege Bodewig, können Sie vielleicht einmal
eine Bemerkung zu dem machen, was der Kollege Wolf
gerade sagte: dass eine Gruppe von Rollstuhlfahrerinnen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Winfried Wolf

19086


(C)



(D)



(A)



(B)


und Rollstuhlfahrern aus Berlin seit einem halben Jahr
vergeblich versucht, nach Weimar zu fahren, das Hinz und
Kunz bekannt macht – auch Ihrem Ministerium – und die
Bahn nicht in der Lage ist, so etwas zu ermöglichen, und
dafür fadenscheinige und dumme Ausreden angibt? Wie
wollen Sie das ändern?

Können Sie vielleicht auch einmal etwas zu dem Vor-
schlag aus der Behindertenbewegung sagen, dass Ver-
kehrsmittel, die nicht jede und jeden mitnehmen – zum
Beispiel Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer –, nicht
das Recht haben sollen, sich öffentliches Verkehrsmittel
zu nennen?


(Beifall bei der PDS)


Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Ich war gerade am Beginn meiner
Rede. Aber ich gehe gerne darauf ein.

Mit dem Gleichstellungsgesetz, das nicht nur, wie Sie
wissen, im Hause des Bundesministers für Arbeit, son-
dern auch in unserem Hause sehr intensiv vorbereitet
wird, unternehmen wir alle Anstrengungen, um sicher-
zustellen, dass diese Probleme, die Sie beschreiben, im öf-
fentlichen Verkehr – nicht nur im Personennahverkehr –
zukünftig ausgeräumt werden. Wir werden uns nicht nur
im Ausschuss, sondern auch in diesem Hause mit dieser
Problematik intensiv beschäftigen. Ich glaube, dass wir
hier große Schritte vorankommen.

Ich sage noch etwas anderes und greife dabei in meiner
Rede vor: Ich habe nicht die Vision einer Börsenbahn und
auch nicht einer Bürgerbahn – also Anspruchsbahn –, son-
dern ich habe die Vision einer Kundenbahn, die die In-
teressen und Bedürfnisse der Kunden berücksichtigt. Das
ist ein langer Weg; das wissen wir. Aber wir werden daran
arbeiten. Ich werde in meinen weiteren Ausführungen
noch darauf eingehen, mit welchen Maßnahmen wir dies
erreichen können.

Lassen Sie mich noch einmal kurz Herrn Fischer er-
läutern, wie das mit der Taskforce war. Wir haben das im
Ausschuss und hier im Hause bei der Haushaltsdebatte
diskutiert. Sie waren zu dieser Zeit wahrscheinlich in
Hamburg und hören auch jetzt nicht zu – was konsequent
ist.


(Zurufe von der SPD: Ja, so ist er!)


Aber ich will es trotzdem noch einmal erläutern.

Es geht um die Unabhängigkeit durch Entherrschung.
Es geht um Prozesskontrolle durch eine Trassenagentur,
die eben nicht Teil des EBA ist. Vielmehr ist diese Tras-
senagentur unabhängig und beim EBA angesiedelt, um
Overheadkosten zu sparen. Das ist wirklich volkswirt-
schaftlich sehr sinnvoll.

Wir schaffen Transparenz durch eine eigene Bilanz, die
es nie gegeben hat. Das hätten Sie in Ihrer Regierungszeit
locker durchsetzen können. Aber das hat es nie gegeben.

Nicht zuletzt geht es um die Wettbewerbskontrolle
durch das Eisenbahn-Bundesamt für das Eisenbahnrecht
und durch das Bundeskartellamt für das Preisrecht.

Jetzt kommt ein Vorgang, der mir völlig unerklärlich
ist. Da beschwören Sie immer den Wettbewerb. Ich sage
Ihnen: Ich bin für diskriminierungsfreien Zugang.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Nein! Nur verbal, aber nicht in der Praxis!)


Wir brauchen die Unabhängigkeit von Trassenvergabe
und Preisfestsetzung. Wir haben eine AEG-Novelle, die
den Sanktionsrahmen auf 1 Million DM heraufsetzt, die
ein Initiativrecht des EBA bei Wettbewerbsbehinde-
rungen festschreibt, und Sie behindern das, indem Sie das
verzögern.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Quatsch! Was verzögert denn da?)


Wo ist denn da Ihre Konsequenz? Ich muss wirklich sa-
gen: Ich verstehe Sie nicht, schon gar nicht Ihre Handlun-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das Hearing steht in der Geschäftsordnung! Das ist doch keine Verzögerung!)


Ich will noch einmal deutlich machen, worin unsere
Verantwortung für die Bahn liegt. Wir haben erstmalig
eine trilaterale – –


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das steht in der Geschäftsordnung des Bundestages! – Weitere Zurufe)


– Wollen Sie sich untereinander unterhalten? Dann lasse
ich Ihnen die Zeit. – Achten Sie bitte auf die Redezeit,
Frau Präsidentin!


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419516800
Ich habe Ihre Rede-
zeit gestoppt, –

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Das ist schön.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419516900
– als Sie sich mit
Herrn Seifert unterhalten haben. Jetzt haben Sie wieder
das Wort.

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Vielen Dank.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419517000
Wenn ich noch etwas
empfehlen darf: Es ist immer ganz gut, wenn man
zunächst einmal zuhört. Denn dann kommt auch eine in-
teressantere Debatte zustande.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Vielen Dank, Frau Lehrerin!)


Sie haben das Wort, Herr Minister.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Ilja Seifert

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(C)



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(A)



(B)


Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Ich kann das nur unterstreichen. Vielen
Dank, Frau Präsidentin.

Worin liegt unsere Verantwortung? Es ist die Finanzver-
antwortung für dieses komplexe System Schiene. Eine tri-
laterale Vereinbarung wurde erstmalig abgeschlossen, mit
einem Investitionsvolumen für drei Jahre von 26,4 Milli-
arden DM.

6 Milliarden DM davon gehen ins Bestandsnetz. Denn
es macht Sinn, nicht nur überteuerte Neubaustrecken – die
Sie zu verantworten haben, nicht wir; nicht die neue Re-
gierung, sondern die alte – abzufinanzieren. Vielmehr
möchte ich, dass das gesamte Netz der Bahn schneller und
leistungsfähiger wird. Denn ich möchte nicht nur volle
Züge, wirtschaftliche Züge, sondern auch ein volles Netz.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen ist festzustellen: 26,4 Milliarden DM lassen
sich sehen. Damit besteht für die Bahn Kalkulierbarkeit.

Ich sage auch: Ich bekenne mich ausdrücklich zur
Querfinanzierung im Rahmen der LKW-Maut. Wir wer-
den mit den Mitteln aus der LKW-Maut auch Schienen-
projekte realisieren. Denn den Unsinn der Vergangenheit,
der Maßstab Ihrer Politik war, sollten wir nicht fortsetzen.
Es macht keinen Sinn, die Verkehrsträger, also die
Schiene und die Straße, gegeneinander auszuspielen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das machen wir doch überhaupt nicht! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das hat doch niemand gemacht!)


Ich bin vielmehr für ein integriertes Verkehrssystem, was
wir auch umsetzen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist ein Unsinn, was Sie da erzählen! Das kann doch nicht wahr sein!)


Das Ziel, das wir verfolgen, heißt: Wir wollen den Gü-
terverkehr auf der Schiene verdoppeln. Dies ist not-
wendig, weil wir im Jahr 2015, verglichen mit dem Jahr
1997, 64 Prozent mehr Güterverkehr haben werden. Das
heißt, zum heutigen Verkehr kommen zwei Drittel hinzu.
Dies in den Griff zu bekommen, schaffen wir nicht, wenn
wir die Straße gegen die Schiene ausspielen, sondern nur
dann, wenn wir den Transport auf der Schiene, auf der
Straße und auch auf den Binnenschifffahrtswegen för-
dern. Das ist der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen werden Mittel für den kombinierten Verkehr
bereitgestellt. Er stützt die Schiene, weil er auf die
Schiene setzt. Das ist genau richtig.

Jetzt komme ich auf ein paar so genannte Sumpfblüten
zu sprechen, die einem in diesem Zusammenhang entge-
genblubbern. Ich habe mit Interesse gelesen, dass der Bür-

gerblock in Hamburg aus CDU, Schill-Partei und FDP
ernsthaft über die Wiedergeburt des Transrapids auf der
Strecke Hamburg–Berlin diskutiert.


(Heiterkeit bei der SPD – Klaus Hasenfratz [SPD]: Eine Oberlachnummer!)


Was bedeutet das? Soll ich Herrn Mehdorn auffordern, so-
fort alle Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus
der Strecke Hamburg–Berlin für ICE-Verkehre einzu-
stellen? Ich glaube, dass das nicht richtig sein kann. Die
verkehrspolitische Qualität, wie ich sie zurzeit in Ham-
burg erkennen kann, spricht für sich. Sie spricht nur nicht
für Sie von der Opposition.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Meinen Sie Herrn Runde oder wen haben Sie gemeint? Der hat so geredet!)


In der Verantwortung des Staates liegt es, Investitions-
sicherheit zu gewährleisten. Dies bedeutet für mich, kal-
kulierbare Grundlagen für das Unternehmen Bahn zu
schaffen, das sich auf dem Schienennetz bewegt, das wir
erhalten und ausbauen müssen und dessen Qualität wir
verbessern müssen. Da haben wir eine Menge erreichen
können. Ich habe soeben von den trilateralen Vereinba-
rungen gesprochen. Sie umfassen 26,4 Milliarden DM.

Ich füge hinzu: Wir werden die Planungskapazitäten
aufbauen, die heruntergefahren wurden. Sie haben die In-
vestitionen von 9 Milliarden DM auf 6 Milliarden DM ge-
senkt. Wir bauen sie wieder auf. Wir investieren in die Zu-
kunft. Wir haben den Sanierungsprozess in der
mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2005 festge-
schrieben. Das wird erfolgreich sein und dazu führen,
dass unsere Verkehre wirtschaftlich werden. Das spricht
nicht gegen die Investitionsverantwortung im Rahmen
des Netzes. Das sage ich ausdrücklich; denn dies ist kein
Gegensatz.

Weil das so ist, haben wir mit dem Unsinn eines zins-
losen Darlehens aufgehört und auf einen Baukostenzu-
schuss umgestellt. Das sollten Sie würdigen. Denn es ist
Ihnen während Ihrer gesamten Regierungszeit nicht ge-
lungen, Ihren Finanzminister zu überzeugen, dass er diese
wichtige Maßnahme akzeptiert. Uns ist dies gelungen. Ich
denke, darauf kann man stolz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich abschließend feststellen: Ich gebe ei-
ner Bahn Zukunft, die sich in jeder Beziehung am Kun-
den orientiert und die deutlich macht, dass sie im Rahmen
des Sanierungsprozesses aus eigenen Anstrengungen he-
raus sehr viel leisten muss. Seit 1994 ist es zu einer Pro-
duktivitätssteigerung um 143 Prozent gekommen. Das
kann sich sehen lassen; das ist doch etwas. Hier ist viel in
Gang gekommen. Dieser Sanierungsprozess muss fortge-
setzt werden. Gleichzeitig sage ich: Dies muss mit Unter-
stützung des Bundes geschehen. Denn nur wirtschaftliche
Verkehre sind tragfähig.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 200119088


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(A)



(B)


Sie sagen, es gebe im Güterverkehr nur 200 kleine
Bahnen. Dazu muss ich feststellen: Vor drei Jahren hätten
Sie sich gar nicht vorstellen können, dass eine Kölner Ha-
fenbahn zusammen mit der SBB Cargo, also mit den
Schweizer Bahnen im Cargobereich, Alpentransitver-
kehre organisiert. Wir sehen, dass dies klappt.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Es waren doch die Grundlagen unserer Politik, die das ermöglicht haben!)


Wir werden auf der Basis der Taskforce-Ergebnisse
wahrscheinlich das erste europäische Land sein, das die
EU-Infrastrukturvorgaben realisiert. Auch das kann sich
sehen lassen. Insofern bedanke ich mich dafür, dass wir
heute die Gelegenheit hatten, eine Debatte über die Bahn
zu führen. Denn ich glaube, dass die Bundesregierung und
die Koalition diese Debatte mit Genugtuung führen kön-
nen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419517100
Das Wort hat
jetzt der Kollege Lintner.


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1419517200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich muss mich
schon wundern, denn immerhin hätten Sie insoweit der
Wahrheit die Ehre geben müssen, als all das, was Sie jetzt
so selbstlobend hervorgehoben haben, natürlich nur mög-
lich war, weil wir seinerzeit, zum Teil gegen heftige Wi-
derstände, die Bahnreform eingeleitet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Das heißt, wir haben Ihnen ein Fundament hinterlassen,
das in der Tat tragfähig ist, um all die Probleme zu lösen,
die hier angesprochen worden sind. Aber Sie dürfen auch
nicht übersehen, dass Sie in der kurzen Zeit, in der Sie im
Amt sind, schon manchen Rückschlag hinnehmen muss-
ten, nicht zuletzt durch Ihren Purzelbaum in Sachen Tren-
nung von Netz und Betrieb.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich wollte aber darauf nicht näher eingehen – Kollege
Dirk Fischer hat dies dezidiert getan – sondern ich wollte
einfach darauf hinweisen, wie die Bundesregierung bei-
spielsweise mit dem in Art. 87 e des Grundgesetzes nie-
dergelegten Gewährleistungsgebot umgeht. Sie haben
hier mit vielen Worten Ihre Sympathie für den Bahn- und
Schienenverkehr bekundet, aber Sie drücken sich in den
entscheidenden Festlegungen immer wieder um klare
Aussagen herum.

Wir fordern die Bundesregierung beispielsweise dau-
ernd auf, sie möge endlich definieren, was Inhalt dieses
Gewährleistungsanspruches ist; denn daraus ergibt sich
konsequenterweise auch das, was Sie auf Dauer, und zwar
stetig, bereitstellen müssen. Sie haben aber eine entspre-
chende Gesetzesinitiative der Länder Bayern und Baden-

Württemberg erst vor kurzem abgewiesen, weil Sie sich
weigern, diese Sicherheit zu bieten.

Diese Sicherheit wäre deshalb so entscheidend und so
wichtig, weil für Planungen und Investitionen im Ver-
kehrsbereich lange Zeiträume erforderlich sind. Das kos-
tet auch sehr viel Geld. Deshalb reicht es einfach nicht,
dass der Zustand, den wir immer noch haben, weiter an-
hält, dass nämlich im Grunde genommen die Bahn AG bis
heute nur von einer sicheren Mittelzusage bis zum Jahre
2003 ausgehen kann. Bis zum Jahr 2004 ist es vage. Herr
Mehdorn selbst hat mehrfach betont – und er wiederholt
es immer wieder –, dass man in diesem Bereich für Inves-
titionen eine Planungssicherheit von mindestens sechs,
aber möglichst zehn Jahren braucht.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Dafür werden wir schon sorgen!)


Diese Planungssicherheit verweigern Sie ihm. Deshalb
ist Herr Mehdorn auch nicht in der Lage, die Planungska-
pazitäten anzuheben, denn er muss dafür Personal anwer-
ben. Deshalb gibt er Jahr für Jahr 1 bis 1,5 Milliarden DM
Ihrer hoch gelobten Mittel zurück, weil er sie gar nicht
verwenden kann.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Was er vorher abgebaut hat, weil Sie ihm noch weniger gegeben haben!)


Sie tragen die Verantwortung dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Reden Sie bitte nicht immer von Bruttozahlen, sondern
nennen Sie die Nettozahlen, die der Bahn tatsächlich zur
Verfügung stehen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: So ist es! Die IstZahlen!)


Sie können es nachlesen: Im Haushalt 2001 waren es bei-
spielsweise 6 Milliarden DM und nicht 9 Milliarden DM,
wie Sie dauernd behaupten.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


Sie haben dann aus den Sondererlösen weitere Gelder in
der Form von Sonderprogrammen nachgeschossen. Aber,
wer langfristig planen und Geld ausgeben muss, dem ist
mit Sonderprogrammen nur sehr mäßig gedient, weil er
sich weder darauf vorbereiten konnte noch, wie hier die
Bahn, die entsprechenden Planungskapazitäten aufbauen
konnte, um das Geld tatsächlich in Anspruch zu nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das heißt, man muss Ihrer Bahnpolitik – das kann ich
nicht anders formulieren – den Stempel der Unseriosität
aufdrücken. Alles Reden und Predigen von Herrn
Mehdorn, von uns oder sogar von Herrn Schmidt von den
Grünen hat bis dato nicht dazu geführt, dass Sie dazuge-
lernt hätten.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Beratungsresistent! – Renate Blank [CDU/CSU]: Nicht lernfähig!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Bundesminister Kurt Bodewig

19089


(C)



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(A)



(B)


Meine Damen und Herren, ich wollte des Weiteren an-
sprechen, wie Sie mit den Problemen, die die Bahn mit der
europäische Ebene hat, umgehen. Ich habe mich in den
letzten Tagen etwas genauer damit befasst und dabei be-
stürzende Erkenntnisse gewonnen. Zunächst einmal über
die Tatsache, dass sich einer unserer wichtigsten EU-
Partner, nämlich Frankreich, nach wie vor strikt weigert,
die geforderte Liberalisierung durchzuführen, und die
Deutsche Bahn AG deshalb nicht in der Lage ist, die
berühmten lange Strecken fahrenden Güterzüge, bei de-
nen sie den Systemvorteil ausspielen könnte, in Europa
tatsächlich auf die Schiene zu bringen. Diese Tatsache ha-
ben Sie in Ihrer heutigen Rede – in der Sie gesagt haben,
Sie seien dankbar, die Probleme ansprechen zu können –
überhaupt nicht erwähnt.

Ich muss sagen: Was Sie bisher aus Europa mitgebracht
haben, war mehr als blamabel. Wir hören immer starke
Worte von Ihnen: Beim nächsten Gipfel werden wir aller-
hand erreichen. Dann kommen Sie zurück und sind an-
gesichts des französischen Widerstandes wieder einmal
eingeknickt. Bezahlen tut die Zeche die Bahn AG. Des-
halb tragen Sie die Verantwortung, wenn wir auf diesem
wichtigen Gebiet nicht vorwärts kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es kommt noch hinzu: Sie erlauben dem französischen
Partner, gestützt auf das staatliche Monopol, sich hier im
Lande wie der Hecht im Karpfenteich zu benehmen.
Ganze Stadtwerke werden aufgekauft und der dortige
Nahverkehr von einer französischen Firma übernommen.
Die Bezahlung des Personals erfolgt dann auf der Basis
deutlich schlechterer Tarife als die, die die Bahn zahlen
muss. Diesen Wettbewerbsvorteil in den Personalkosten
spielen die französischen Unternehmen vor den Augen ei-
ner sozialdemokratisch geführten Bundesregierung gna-
denlos aus, ohne dass diese protestiert. Von einer sozial-
demokratisch geführten Regierung hätte ich etwas
anderes erwartet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) –

Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Quatsch! Das ist nicht Sache
der Verkehrspolitiker!)

Wenn wir uns das seinerzeit erlaubt hätten und gegen ein
solches Vorgehen nicht eingeschritten wären, dann hätte
es Demonstrationen vor dem Parlament gegeben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben noch ein Vergabegesetz!)


– Es geht nicht darum, unseren Zustand zu verschlechtern,
Herr Schmidt, aber die Franzosen müssen massiv und
nachhaltig dazu gedrängt werden, mit diesem Unsinn auf-
zuhören und selber die notwendige Liberalisierung
herbeizuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bei dieser Gelegenheit ist mir noch ein Beispiel ge-
nannt worden. Die EU plant eine Lärmschutzrichtlinie
für den Schienenverkehr. Die französische Regierung
hat bereits 32 Ballungsräume in Frankreich bei der EU-

Kommission angemeldet, die nicht unter diese Verord-
nung fallen dürfen. Damit hat sich das Land von dieser
Regelung praktisch befreit. Die Bahn wird in nächster
Zeit – so sagte es mir Herr Mehdorn – 8 Milliarden DM
als Konsequenz dieser EU-Richtlinie ausgeben müssen,
um sie umzusetzen. Ich habe nirgends gelesen, dass sich
die Bundesregierung überlegt hätte, wie die Bahn diese
8 Milliarden DM lockermachen soll und wie das finan-
ziert werden soll. Oder haben Sie wie die französische Re-
gierung gegenüber der EU-Kommission in Brüssel schon
erklärt, dass Sie das Ruhrgebiet, Frankfurt, Berlin und an-
dere Städte von dieser Regelung ausgenommen haben
wollen?


(Renate Blank [CDU/CSU]: Wahrscheinlich weiß es der Minister gar nicht!)


Auch hier haben Sie nichts getan. Durch Ihr Schwei-
gen sagen Sie Ja und Amen zu solchen Entwicklungen.
Die Zeche dafür muss hinterher die Deutsche Bahn be-
zahlen. Ich bin gespannt, was Sie bei diesem Vorgang
tatsächlich gemacht haben. Immerhin wäre es interessant,
wenn der zuständige Verkehrsausschuss über solche
Dinge unterrichtet würde, zumal erhebliche Kon-
sequenzen damit verbunden sind.

Ich bin froh, dass wir heute wieder einmal Gelegenheit
hatten, zumindest kurz über die Eisenbahnpolitik dieser
Regierung zu sprechen. Wie Sie schon sehen, ist keines
der Probleme auch nur im Ansatz gelöst. Wir werden noch
öfter, darüber sprechen müssen. Ich hoffe nur, Herr Minis-
ter, dass Sie dann außer Polemik auch sachlich einiges zu
bieten haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419517300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Hasenfratz.


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1419517400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als Erstes möchte ich
Minister Bodewig dafür Dank sagen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


dass er erläutert hat, wie sich die Bahnpolitik der
Bundesregierung darstellt und wie die Zukunft der Bahn
aussieht. Ich glaube, das ist eine positive Zukunft.

Herr Fischer meint offenbar, man könne Qualität durch
Lautstärke ersetzen. Das ist ihm diesmal wieder nicht ge-
lungen. Seine angeführten Argumente sind unwahr. Er
sagte beispielsweise – das habe ich mir aufgeschrieben –:
Die Trennung von Netz und Betrieb soll nach der Sanie-
rungsphase eingeleitet werden. Das ist richtig. So steht es
auch in der Option für die Bahnreform von 1994. Aber
Herr Kollege Lintner, Sie haben sie nicht gemacht. Ich er-
innere daran, dass dies eine Arbeit des gesamten Parla-
mentes war. Das noch einmal zur Klarstellung.

Nach der Sanierungsphase sollte im Rahmen der Op-
tion eine Trennung von Betrieb und Schiene vollzogen
werden. Das Ergebnis war, dass Sie keine Sanierung ge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Eduard Lintner

19090


(C)



(D)



(A)



(B)


macht haben. Sie haben bis 1998 die Bahn zu einem Sa-
nierungsfall gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sind wir dabei, die Bahn – Minister Bodewig, meine
Vorrednerin Karin Rehbock-Zureich sowie der Kollege
Albert Schmidt haben entsprechende Zahlen vorgetragen –
wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Es wird von Totengräbern der Bahnreform und von ei-
nem Chaos gesprochen. Ich bin kein Freund vieler Zah-
len, weil man mit Zahlen vieles machen kann, will Ihnen
aber ein paar Zahlen nennen. Ich habe sie nicht einer Bi-
lanz der DB AG oder einer Werbebroschüre der Sozialde-
mokraten, sondern dem Jahrbuch des Statistischen Bun-
desamtes – die dort veröffentlichten Zahlen werden Sie ja
wohl anerkennen – entnommen.

Nach der Statistik haben wir im Personenverkehr
– Regional- und Fernverkehr – von 1997 bis 2000 eine
Steigerung von 73,9 Milliarden Personenkilometer auf
75,1 Milliarden Personenkilometer zu verzeichnen. In
diesem Zusammenhang ist – wie es Norbert Blüm immer
gesagt hat – ganz einfach nach Adam Riese zu fragen: Ist
das besser oder schlechter geworden? Jeder kann sich da-
rauf seinen Reim machen.

Güterverkehr: Natürlich ist die Entwicklung in die-
sem Bereich nicht gut. Aber die Verhältnisse sind nicht so
– wie Sie es darstellen –, als sei alles im Niedergang und
es müsse der Totengesang angestimmt werden. Beim Gü-
terverkehr haben wir von 1997 bis zum Jahre 2000 eine
Steigerung von 72,7 Milliarden Tonnenkilometer auf
76 Milliarden Tonnenkilometer. Das ist eine Steigerung.
Damit sind wir natürlich nicht zufrieden. Deshalb sehen
wir hohe Investitionen in die Verkehrswege sowie eine
Verbesserung des kombinierten Verkehrs – wir haben in
den Haushalt entsprechende Mittel eingestellt – vor.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: 300 Millionen Tonnen Fracht!)


– Also, jede Meile fängt mit einem Schritt an, Herr
Friedrich. Wenn Sie alles mit einem Schritt erledigen kön-
nen, dann bewundere ich Sie. Ebenso bewundere ich im-
mer die Voraussagen von Herrn Fischer, der zum Beispiel
sagt, wir müssten uns eine Verdoppelung des Güterver-
kehrs bis zum Jahre 2015 abschminken. Mir ist nicht klar,
woher Herr Fischer das immer weiß. Vielleicht steht er in
engster Verbindung mit David Copperfield, der so etwas
voraussagen kann. Wir sind jetzt im Jahre 2001.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Mit der Bahn doch nicht! Herr Mehdorn sagt: 50 Prozent!)


– Dann müssen Sie Herrn Mehdorn ansprechen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Herr Mehdorn hat Ihnen das abgeschminkt!)


Unsere Politik ist darauf angelegt, den Güterverkehr bis
zum Jahre 2015 zu verdoppeln.


(Beifall bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist nach Auffassung von Mehdorn eine Lachnummer!)


– Ich glaube eher, die vom neu gewählten Hamburger Se-
nat ins Gespräch gebrachte Wiederbelebung der Transra-
pidstrecke von Hamburg nach Berlin ist eine Lachnum-
mer. Das ist ein Highlight.


(Horst Friedrich [Bayreuth[ [FDP]: Ich würde an Ihrer Stelle die Rede von Ortwin Runde nachlesen!)


Es wird gesagt – ich kann es mir nicht verkneifen –,
man müsse alles den freien Kräften des Marktes überlas-
sen und mit mehr Wettbewerb funktioniere das schon. Zu
der Taskforce will ich nichts sagen. Es gibt einen Antrag
von Eduard Oswald und anderen Kollegen der CDU/CSU
„Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs“. In
dem Antrag wird gefordert – Kolleginnen und Kollegen,
das müsst ihr euch reinziehen – –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419517500
Herr Kollege,
denken Sie bitte daran, dass Sie nicht mehr viel Redezeit
haben. Genau genommen haben Sie gar keine mehr.


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1419517600
Frau Präsidentin, Sie müs-
sen mir gestatten, das noch zu erwähnen. Das wird auch
für Sie interessant sein.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419517700
Ich gebe Ihnen
noch eine halbe Minute.


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1419517800
In dem Antrag heißt es un-
ter anderem:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung daher auf ... Der Bund gewährleistet, dass dem
Wohl der Allgemeinheit bei Verkehrsangeboten des
Schienenpersonenfernverkehrs auf dem Schienen-
netz der Eisenbahnen des Bundes Rechnung getra-
gen wird ...


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das steht im Grundgesetz! Wir sind verfassungstreu!)


– Ich will das noch steigern.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419517900
Nein.


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1419518000
Ich zitiere weiter – jetzt
wird es interessant –:

... der Bund gewährleistet, dass hierzu anderweitig
nicht erbrachte Verkehrsangebote im Schienenperso-
nenfernverkehr durch den Abschluss von Verkehrs-
durchführungsverträgen mit Eisenbahnverkehrsun-
ternehmen sichergestellt werden ...

Also, wenn von Pinneberg nach Vegesack kein anderwei-
tiger Verkehr erbracht wird, dann beschließen wir hier,
dass zwischen diesen beiden Städten Schienenverkehr
stattfinden muss.

Ich zitiere weiter – es kommt noch dicker –:


(Heiterkeit bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Klaus Hasenfratz

19091


(C)



(D)



(A)



(B)


... der Bund legt den Mindestumfang für den Ge-
währleistungsauftrag in Zugkilometern pro Kalen-
derjahr fest ...

Die PDS hat in ihrem Gesetzentwurf den Gewährleis-
tungsauftrag des Bundes auf 180 Millionen Zugkilometer
pro Kalenderjahr festgeschrieben, egal, ob jemand fährt
oder nicht.

Die CDU/CSU-Fraktion fordert weiter, dass „die
Entwicklung des Schienenpersonenfernverkehrs in einem
Schienenpersonenverkehrsplan“ dargestellt wird, „der
alle zwei Jahre fortgeschrieben wird“. So sehen Ihre Vor-
stellungen von Privatisierung und Wettbewerb aus. Die
Staatsbahn lässt wieder grüßen. Herr Fischer möchte mit
seinen Freunden – den Kollegen Horst Friedrich nehme
ich aus – offenbar wieder alles festlegen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419518100
Herr Kollege
Hasenfratz, jetzt müssen Sie Ihre Rede wirklich beenden.


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1419518200
Sie reden hier den größten
Blödsinn.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419518300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1419518400
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister Bodewig, es ist schon erstaunlich, wenn Sie zum
Kernsatz Ihrer Aussage machen, dass der Bahn eine hohe
Bedeutung für die Mobilität in Deutschland zukomme,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Sehr wichtig!)


und wenn ich dann von Ihnen nichts zur Schließung von
Bahnwerken, zur Stilllegung von Strecken und zum Rück-
zug aus der Fläche höre. Sie sprechen zwar immer von
Mobilität. Aber dazu sagen Sie kein Wort. Sie nehmen es
einfach tatenlos hin, wenn Herr Mehdorn den Interregio-
verkehr einstellt. Den Wegfall von 30 Millionen Zugkilo-
meter hat er bereits geplant. Jetzt sollen noch 17 Millionen
Zugkilometer hinzukommen. Die Bahn verkommt zur
Schrumpfbahn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Private Schienenverkehrsunternehmen, die Interesse
am Betrieb von der DB AG verschmähten Verbindungen
haben, bekommen von Herrn Mehdorn keine Chance.
Auch im Güterverkehr droht ein Kahlschlag. Auch hier
zieht sich die Bahn AG aus der Fläche zurück. Dazu habe
ich von Ihnen kein einziges Wort gehört.

Die Frau Präsidentin hat vorhin zu Ihnen, Herr
Bodewig, gesagt: Herr Minister, Sie haben das Wort. Aber
Sie haben nicht das Sagen. Das hat Herr Mehdorn. Das ist
der Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Wenn er tief Luft
holt, dann hängen Sie quer unter seiner Nase. Sie haben
zu dem Rückzug aus der Fläche kein einziges Wort ge-
sagt.

Ein Mitglied des Bahnvorstandes sagt – das habe ich
gelesen –, schlimm sei, dass der Rückzug aus der Fläche
nicht schneller vonstatten gehe; denn jede Verzögerung
gefährde die Sanierung der Bahn. Der Prozess des Rück-
zugs aus der Fläche, Herr Bahnminister – so bezeichnen
Sie sich ja selber –, wird also noch beschleunigt werden.
Trotzdem reden Sie von Mobilität mit der Bahn und von
Mobilität in der Fläche. Das kann doch so nicht stimmen.

Herr Minister, die Art und Weise, wie Sie hier auftre-
ten – freundlich lächeln und zu den eigentlichen Proble-
men nichts sagen –, müssen wir deutlich herausarbeiten.
Sie sagen weder im Ausschuss noch im Parlament etwas
zu den eigentlichen Problemen.


(Widerspruch bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Herr Lippold, waren Sie schon einmal im Ausschuss? – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Er weiß gar nicht, wo der Ausschuss seinen neuen Sitzungssaal hat! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie jemals im Ausschuss?)


– Sei vorsichtig, auch du musstest heute in der Frage der
Trennung von Netz und Betrieb einiges revidieren.

Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede, die Sie heute
Abend gehalten haben, die Frage der Trennung von Netz
und Betrieb überhaupt nicht angesprochen. Sie haben
auch dies unterschlagen, Herr Minister. Ich möchte Ihnen
auch sagen, warum. Auf dem Parteitag der Grünen haben
Sie vollmundig erklärt, dass Sie die Trennung von Netz
und Betrieb als einen bedeutenden Reformschritt in An-
griff nehmen werden. Sie haben so getan, als sei dies de
facto schon entschieden. Sie haben gesagt: Jetzt geht es
los! Sie sind dafür von denselben Leuten, die, hier sitzen
frenetisch gefeiert worden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen anhand der Protokolle nachweisen,
dass Sie sich von Ihren damaligen Aussagen systematisch
distanziert haben und dass jetzt das genaue Gegenteil er-
folgt. Die Sozialdemokraten haben ausweislich der Proto-
kolle über ihre Fraktionssitzungen und ihrer Anträge


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wo haben Sie unsere Fraktionsprotokolle her?)


festgestellt, dass mehr Wettbewerb auf der Schiene ohne
diskriminierungsfreien Zugang zum Netz nicht denkbar
sei.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Es bestünden jedoch Zweifel, ob ein fairer Wettbewerb in
einem Netz zu gewährleisten sei, das sich im ausschließ-
lichen Eigentum des größten Anbieters von Schienenver-
kehrsleistungen befinde.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt doch!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Klaus Hasenfratz

19092


(C)



(D)



(A)



(B)


– Herr Schmidt, das, was Sie sagen, hört sich genauso an.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist unser gemeinsamer Antrag!)


Sie halten die Trennung, so steht es im Protokoll, für
zwingend erforderlich, weil der heutige Zustand wettbe-
werbsfeindlich sei. Die Praxis habe gezeigt, dass die
DB Netz AG und die anderen Betriebsunternehmen unter
dem Dach der Deutschen-Bahn-Holding den Wettbewerb
verhinderten. Sie machen im Nachgang deutlich, dass
dies de facto nur durch die klare Trennung von Netz und
Betrieb zu lösen sei. Heute eiern Sie hier herum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Klartext heißt das, Herr Bodewig: Die Bahnreform

ist von uns begonnen worden und Sie verwässern sie.

(Lachen bei der SPD)


Dann rühmen Sie sich auch noch, dass Sie mehr Geld
für die Bahn zur Verfügung stellen. Dieses Geld, die
UMTS-Milliarden, haben Sie ja nur deshalb zur Verfü-
gung, weil wir gegen den Widerstand Ihrer Fraktion die
Privatisierung durchgesetzt haben.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Gegen den Widerstand von Eichel!)


Ohne die Privatisierung der Post, ohne die Schaffung der
Telekom hätten Sie das Geld gar nicht zur Verfügung. Und
heute tun Sie so, als sei das von Ihnen geleistet worden.
Geleistet haben Sie nichts.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist eine Lüge, was die Postprivatisierung angeht!)


Mit den Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, versu-
chen Sie jetzt, kümmerlich Politik zu machen, und dort,
wo Sie Schritt für Schritt versagen, halten Sie es noch
nicht einmal für notwendig, im Parlament eine hinrei-
chende Erklärung dafür zu geben.

Es ist wirklich so: Wir haben in dieser Republik einen
Minister für Verkehr und einen Minister für Bahn, wie es
der Kollege von der PDS ja schon mit seinem Versprecher
deutlich gemacht hat. Der Minister für Bahn heißt
Mehdorn und der ausführende Beamte – nicht der gestal-
tende Kopf – sitzt dort auf der Bank.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La chen bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419518500
Damit schließe
ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/6425 zu dem Antrag der
Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel „Die Bahnreform fortführen und die Zukunft
der Schiene in Deutschland sichern“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? –


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Klar, nach dem Quatsch von da drüben!)


Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen worden mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten
Opposition.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/7182. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt wor-
den mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stim-
men der PDS, die zugestimmt hat.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS zur Großen An-
frage der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zur Bahnreform und Eisenbahnpolitik. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag, Drucksa-
che 14/7175? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch
dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Skandalös!)


Tagesordnungspunkte 7 d und 7 e: Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6440
und 14/6454 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Offensichtlich sind Sie da-
mit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksa-
che 14/6034 zum Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Bau- und Betriebsordnung für Regionale
Eisenbahnstrecken“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen wor-
den.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 14/6421, zum
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Eisenbahn-
politische Reformschritte zügig einleiten“. Der Ausschuss
empfiehlt, auch diesen Antrag abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Gewährleistung des Schienen-
personenfernverkehrs, Drucksache 14/5662. Der Aus-
schuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/6498, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
FDP gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt worden.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Behandlung.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


19093


(C)



(D)



(A)



(B)


Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen zum Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Gewährleistung des Schienen-
personenfernverkehrs“, Drucksache 14/6498. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen worden mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen von
CDU/CSU und PDS. Es gab keine Enthaltungen.

Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/7142 an die in der Tagesord-
nungspunkt aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Rainer Brüderle, Rainer Funke, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Ende der Exklusivlizenz für die Deutsche Post
zum 31. Dezember 2002
– Drucksachen 14/5333, 14/6326 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Elmar Müller (Kirchheim)


b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Postgesetzes
– Drucksache 14/7093 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Tourismus

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP sie-
ben Minuten erhalten soll. – Es gibt keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeord-
nete Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1419518600
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des Postgesetzes sieht auf den ersten Blick
ganz harmlos aus.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Gut ist er vor allen Dingen!)


Nach den Worten der Bundesregierung handelt es sich le-
diglich um eine Folgeänderung, bei der die gesetzlichen
Bestimmungen der Verlängerung der Exklusivlizenz für
die Deutsche Post angepasst werden. Das ist aber nur die
halbe Wahrheit.

Tatsächlich folgt ein neuer Sündenfall dem vorange-
gangenen Sündenfall. Diese sozialdemokratisch geführte
Bundesregierung hat mit der Verlängerung des Postmo-
nopols bis zum 31. Dezember 2007 bewiesen, dass sie von
sozialer Marktwirtschaft nichts hält und billigend in Kauf
nimmt, dass bei privaten Wettbewerbern der Post AG
mindestens 30 000 Arbeitsplätze vernichtet werden. Das
ist weder sozial noch marktwirtschaftlich.


(Beifall bei der FDP)


Die Grünen, die hier im Bundestag noch große Sprüche
geklopft – namentlich Frau Hustedt –, und gesagt haben,
sie würden sich bei einer Verlängerung des Postmonopols
der Bundesregierung widersetzen, sind natürlich einge-
knickt und können noch nicht einmal mehr kleine Bröt-
chen backen.

Der Wirtschaftsminister, der seinen beruflichen Wer-
degang in der Energiewirtschaft, zu einem Zeitpunkt
hatte, zu dem auch in der Energiewirtschaft das Wort
„Wettbewerb“ ein Fremdwort war, kann offensichtlich
nicht in den Kategorien des Marktes denken und will
mit dem heute zu diskutierenden Gesetzentwurf zur Än-
derung des Postgesetzes den Markt weiter massiv regu-
lieren.

Dabei besteht weder eine entsprechende Notwendig-
keit für die Post AG, noch ist eine solche Änderung unter
europarechtlichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen.
Wenn man schon die Exklusivlizenz verlängert, hätte man
auch eine Marktöffnung zum Beispiel hinsichtlich der
Grammzahlen und der Massensendungen vornehmen
können und müssen. Dann hätten auch die privaten Wett-
bewerber eine Perspektive für ihre künftige Entwicklung
gehabt. Aber offensichtlich hat der Wirtschaftminister
nichts anderes im Kopf, als auch diese privaten Wettbe-
werber platt zu machen und in die Insolvenz zu treiben,
um allein der Post AG den Markt zu überlassen.

Es wäre auch unter europäischen Gesichtspunkten
gut gewesen, wenn Deutschland so vorangeschritten
wäre, wie es uns die skandinavischen Länder vorgemacht
haben. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann wäre der
Druck auf Frankreich, auf Großbritannien und auf die
südeuropäischen Staaten größer gewesen, ihre Märkte zu
öffnen. Es gibt keine nachvollziehbaren Gründe dafür,
dass der Postmarkt weiterhin in staatlicher Hand oder bei
einem Unternehmen, das eine Exklusivlizenz besitzt, ver-
bleibt.

Es ist schon ein eigenwilliges Verständnis, wenn einem
inzwischen privatisierten Unternehmen, nämlich der
Deutschen Post AG, über die Exklusivlizenz die Erlaub-
nis zum Gelddrucken gegeben wird.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist schon sehr eigenartig! Das stimmt!)


Für mich ist das nicht nur eine ordnungspolitische Frage;
vielmehr geht es auch darum, dass dieses Verfahren letzt-
lich den Verbrauchern und der deutschen Wirtschaft scha-
det.


(Beifall bei der FDP)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

19094


(C)



(D)



(A)



(B)


Auf diese Weise werden nämlich die Preise künstlich
hoch gehalten. Schon heute könnte der Marktpreis für ei-
nen einfachen Brief nicht bei 1,10 DM, sondern bei
90 Pfennig liegen. Das zeigt, wie unsinnig die fortdau-
ernde Geltung der Exklusivlizenz ist.

Dasselbe gilt für das Festschreiben bestimmter Zah-
len zum Zwecke der Aufrechterhaltung von Postfilialen.
Nichts anderes wäre es, heute gesetzlich vorzuschreiben,
dass die deutschen Banken verpflichtet sind, ihre Bank-
dienstleistungen in einer festgeschriebenen Anzahl von
Filialen anzubieten, oder dass die Bäckerinnungen, eine
bestimmte Anzahl von Filialen vorhalten müssen, in de-
nen vielleicht sogar nur eine bestimmte Sorte Brötchen
oder eine bestimmte Sorte Brot angeboten werden
dürfte.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Grundversorgung, Herr Funke!)


– Sie haben noch nicht gelernt, was Marktwirtschaft ist,
alle anderen allerdings schon.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [PDS]: Wir kennen aber das Grundgesetz!)


Wir haben gelernt, dass in einer Marktwirtschaft alle
für den Verbraucher notwendigen Dienstleistungen auch
angeboten werden, wenn sie nachgefragt werden. Ich
halte nichts davon, der Post AG aufzuerlegen, unrentable
Postfilialen aufrechtzuerhalten, wenn sie die entsprechen-
den Dienstleistungen zum Beispiel über Postagenturen
besser – häufig den ganzen Tag über; ich denke etwa an
Postagenturen in Lebensmittelgeschäften oder an sonstige
Verkaufseinrichtungen der Privatwirtschaft – anbieten
kann. Postdienstleistungen sollen dem Verbraucher nut-
zen und nicht etwa der Postgewerkschaft.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das darf ja nicht wahr sein! Das war ja etwas ganz Fundamentales, was Sie jetzt gesagt haben!)


Es kommt auf die Dienstleistung an sich an und nicht da-
rauf, in welcher Form sie der Bevölkerung angeboten
werden kann.

Die Postpolitik der Bundesregierung ist von Grund auf
verkorkst; da helfen auch keine Anpassungsgesetze; des-
wegen werden wir dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung nicht zustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419518700
Das Wort hat
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta
Wolf.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419518800
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Es ist in der Tat richtig, sehr geehrter Herr Funke,
dass wir vor einigen Wochen im Bundestag eine Postge-

setzänderung beschlossen und die Exklusivlizenz der
Deutschen Post AG bis zum 31. Dezember 2007 verlän-
gert haben. Aber mit dieser Entscheidung haben wir den
Weg – Stichwort Europa – für weitere Verhandlungen auf
der europäischen Ebene frei gemacht, die das Ziel haben,
den Postsektor innerhalb Europas weiter für den Wettbe-
werb zu öffnen. Das liegt auch im Interesse des Verbrau-
chers. Man sollte nicht so tun, als wäre es nicht schon
heute so, dass Postdienstleistungen gerade in der Fläche
in Lebensmittelläden angeboten werden.


(Renate Blank [CDU/CSU]: In Bayern tausendmal!)


Mit der Exklusivlizenzverlängerung wollten wir ei-
nen deutschen Sonderweg in der Postpolitik vermeiden.
Das ist der wesentliche Punkt, der uns von der Position
der FDP unterscheidet, die in ihrem Antrag ein Auslaufen
der Exklusivlizenz zum 31. Dezember 2002 fordert, ohne
dafür einen gemeinsamen europäischen Fahrplan abge-
wartet zu haben.

Dass der von uns eingeschlagene Weg richtig war,
zeigte sich auch am Montag, dem 15. Oktober – also am
vergangenen Montag –, als im zuständigen Ministerrat
weitere Schritte zur Liberalisierung des Postmarkts ver-
einbart wurden. So wurde unter anderem beschlossen, im
Jahre 2003 das Höchstgewicht für Briefsendungen, die ei-
nem Monopol unterworfen werden dürfen, auf 100 Milli-
gramm zu senken.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Milligramm? – Auf 100 Gramm!)


– Entschuldigung, Gramm ist richtig, Frau Kollegin
Blank. – Ab 2006 soll eine Grenze von 50 Gramm gelten.
Damit steht zwar nach wie vor kein Datum für die voll-
ständige Öffnung fest – auch das zeigt, wie schwierig die
Verhandlungen in Europa sind –, aber der Luxemburger
Kompromiss geht weit über das hinaus, was beim ge-
scheiterten Telekommunikationsrat im Dezember 2000
möglich erschien. Deshalb werten wir die jetzigen Ergeb-
nisse als weiteren Fortschritt auf dem langen Weg der EU-
weiten Liberalisierung des Postsektors. Ich denke, der
vereinbarte Stufenplan enthält hierfür verbindliche Vor-
gaben.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, die Beschlüsse des Ministerrates werden nun im
Europäischen Parlament behandelt werden. Nach der end-
gültigen Verabschiedung der Richtlinie wird sich auch
Anpassungsbedarf für unser nationales Recht ergeben.
Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit immer
wieder betont, dass sie bereit ist, die bisherigen Grenzen
zu reduzieren, wenn auf europäischer Ebene weitere Fort-
schritte erzielt werden. Die Bundesregierung ist ihrem
Ziel nun erheblich näher gekommen, die Postmärkte im
europäischen Gleichklang zu öffnen.

Aber, meine Damen und Herren, wir beraten heute
auch über Folgeänderungen im Postgesetz, die aufgrund
der Verlängerung der Exklusivlizenz erforderlich sind.
Dabei handelt es sich zum Ersten um eine Fortschreibung
der Regulierung aller Brieftarife, einschließlich der Mas-
senpost, innerhalb der Exklusivlizenz, zum Zweiten um

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Rainer Funke

19095


(C)



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(A)



(B)


die Ausweitung der Möglichkeiten, während der Gel-
tungsdauer der Exklusivlizenz ausschließlich die Deut-
sche Post AG zum Universaldienst zu verpflichten, und
zum Dritten um eine Verlängerung des ausschließlichen
Rechts der Deutschen Post AG, hoheitliche Postwertzei-
chen zu verwenden. Last, but not least soll auch eine
Regelung zu den Postfilialen in der Universaldienstleis-
tungsverordnung verlängert werden.

Diese Regelungen sind, so meinen wir, notwendig, um
den gegenwärtigen Status quo des Ordnungsrahmens
nach 2003 beizubehalten. Sie entsprechen aber auch den
vom Bundesrat bei der ersten Postgesetznovelle einge-
brachten Änderungswünschen. Zeitkritisch ist dabei vor
allem die Verlängerung der Tarifregulierung für Massen-
post, weil diese auch Gegenstand der jetzt anstehenden
Entscheidung der Regulierungsbehörde zum ab 2003 gel-
tenden Briefporto ist.

Ich gehe davon aus, dass bezüglich der Notwendigkeit
der Regulierung der Tarife im Monopolbereich ein breiter
parlamentarischer Konsens besteht, und bitte Sie, das an-
stehende Gesetzgebungsverfahren konstruktiv zu beglei-
ten.

Ich bedanke mich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419518900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Elmar Müller.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1419519000
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolle-
gen! Ich möchte mit einem Zitat beginnen:

Für die Wirtschaft, insbesondere für kleine und
mittelständische Unternehmen, entstehen keine zu-
sätzlichen Kosten ...

Dieser Satz in der Begründung des Entwurfes eines Zwei-
ten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes, also zur
Verlängerung des Postmonopols um fünf Jahre mit entspre-
chenden Folgeänderungen in der Post-Universaldienst-
leistungsverordnung, den Sie, Frau Staatssekretärin, gerade
vorgetragen haben,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Der auch stimmt!)


ist schon eine Aussage, die der Trickkiste der Propaganda
entnommen ist und im Grunde genommen genau das Ge-
genteil von dem ausdrückt, was Sie mit diesem Gesetz er-
reichen werden.


(Beifall bei CDU/CSU und FDP)


Die Regierung – das lässt sich nachweisen; Herr Funke
hat vorhin davon gesprochen – drückt sich mit Aussagen
vor der Wahrheit, die so falsch wie bösartig gegenüber je-
nen 600 Unternehmen sind, die sich noch am Markt hal-
ten können, die eine Postlizenz haben und von denen min-
destens die Hälfte vor dem unternehmerischen Aus steht.
Durch dieses Gesetz – Herr Funke hat auch das genannt –

werden noch in diesem Jahr zwischen 20 000 und 30 000
Arbeitnehmer ihren Job verlieren. Das ist ein ungeheuer-
licher Vorgang.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nachdem Anfang des Jahres der Monopolverteidiger
auf dem Stuhl des Bundeswirtschaftsministers erklärt hat,
dass das Postmonopol verlängert wird, bestand für die
Unternehmensneugründer – solche waren es in der Re-
gel – keine Chance mehr, von ihren Banken die Kredite
verlängert zu bekommen, die sie zur Überbrückung der
Zeit bis zum Ende des Postmonopols brauchen. Sie wis-
sen: Jede Unternehmensneugründung durchläuft, bis sie
am Markt etabliert ist, etwa drei Kreditverhandlungen mit
den Hausbanken und entsprechend viele Kreditauf-
nahmen.

Die Unternehmen – und mit ihnen die Beschäftigten in
diesen Unternehmen – hatten sich auf den Gesetzgeber
verlassen. Die Vorgängerregierung wollte nämlich das
Postmonopol ab dem Jahre 2003 abschaffen und den
Wettbewerb freigeben. Einzelne Unternehmen mit bis zu
450 Arbeitskräften haben sich mit Briefen an die Bundes-
tagsabgeordneten verabschiedet und darauf hingewiesen,
dass es ihnen Leid tue, dass sie ihre Mitarbeiter entlassen
müssten, sie trauten dieser Regierung nicht mehr und
seien nicht mehr in der Lage, in diesem Markt tätig zu
sein.

Eigentlich müsste diese Regierung für die 600 Unter-
nehmen, die am Markt tätig sind, dankbar sein. Diese ha-
ben in den zehn Jahren, in denen die Post 140 000 Mit-
arbeiter entlassen hat, wenigstens 30 000 Mitarbeiter ein-
gestellt. Nun sorgen Sie dafür, dass neben den 140 000
auch die 30 000 Mitarbeiter, die in am Markt tätigen Un-
ternehmen beschäftigt waren, entlassen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das, was Sie erzählen, glauben Sie doch selber nicht!)


Mitarbeiter in kleinen Unternehmen und deren Schicksal
sind dieser Regierung und den Fraktionen, die diese Re-
gierung stützen, völlig gleichgültig.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lassen Sie doch diese Heuchelei! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist Unsinn!)


Wie hat doch gleich die „Wirtschaftswoche“ über die
ordnungspolitische Substanzlosigkeit geschrieben, die
das Wirtschaftsministerium, das diesen Gesetzentwurf
vorgelegt hat, kennzeichnet? Ich zitiere:

Für Müller – gemeint ist der Wirtschaftsminister –
heißt dies: Gute Kontakte zu Großunternehmen hel-
fen bei der politischen Entscheidungsfindung, ord-
nungspolitische Maßnahmen werden völlig über-
flüssig.

Das ist ein Zitat aus der „Wirtschaftswoche“. Es ist die
Wahrheit, und zwar die ganze Wahrheit über eine Ent-
wicklung, die wir bedauern müssen.

Der Wirtschaftsminister begründet seine Monopol-
strategie damit – er gibt viele falsche Gründe für diese
Maßnahme an –, dass es darum gehe, aus der Post AG ei-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

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nen Global Player zu machen. Dieser Minister ist kein
Weltökonom, sondern höchstens – ich hoffe, ich trete dem
prominenten Nationalökonomen mit dieser Zuordnung
nicht zu nahe – ein Nationalökonom.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese Regierung verschafft – und auch das ist die
Wahrheit – der Post AG in den nächsten fünf Jahren Ein-
nahmen und Gewinne in Milliardenhöhe, ohne dass sie
auch nur eine Gegenforderung erhoben hätte.


(Rainer Funke [FDP]: Das ist die Erlaubnis zum Gelddrucken! – Zuruf des Abg. Klaus Barthel [Starnberg] [SPD])


Ich erinnere beispielsweise an die massenhaften Filial-
schließungen, die es derzeit gibt, und an die vielen Ein-
schränkungen im Servicebereich. Bei den Briefkastenlee-
rungen werden jetzt zum Beispiel Einschränkungen
vorgenommen, die in einer Situation, in der das Monopol
für dieses Unternehmen verlängert wurde, unmöglich
sind.

Ich sage Ihnen: Wir wissen, dass wir mit dieser Regie-
rung bis zu den Neuwahlen im nächsten Jahr an der Si-
tuation nichts ändern können. Ich verspreche Ihnen aber:
Wir werden nach der nächsten Bundestagswahl dafür sor-
gen, dass diese Maßnahmen zurückgenommen werden.
Die Chancen dazu stehen nicht schlecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nachdem, was Sie erzählen, kann man Ihnen keine Regierungsverantwortung geben!)


Wir machen Ihnen heute den Vorschlag, mit uns we-
nigstens ein paar kleine Schritte zugunsten der wenigen
Unternehmen, denen Sie noch eine Marktpräsenz ermög-
lichen, zu gehen. Diese besitzen noch einen Marktanteil
von 1,5 Prozent. Das ist weniger als das, was die Post AG
allein an Umsatzzuwachs in einem Jahr erzielt. So viel er-
wirtschaften also diese 600 Unternehmen. Selbst dies ist
Ihnen zuviel; auch das wollen Sie kaputtmachen.

Im Zusammenhang mit der Kapitalumwandlung, die
heute ebenfalls im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
noch auf der Tagesordnung steht, werden wir Vorschläge
einbringen, die sich auf die Änderung des Postgesetzes
beziehen. Wir nehmen die beiden Gesetzentwürfe zusam-
men, da Sie für die Kapitalumwandlung eine Mehrheit im
Bundesrat brauchen. Diese Mehrheit werden Sie nur be-
kommen, wenn Sie uns wenigstens ein paar Schritte ent-
gegenkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich trage Ihnen nun die Vorschläge vor, die wir in das Ge-
setzgebungsverfahren einbringen werden.

Erstens: Verkürzung der Laufzeit der Exklusivlizenz
um wenigstens zwei Jahre. Frau Staatssekretärin, dieses
Angebot, statt die vorgesehenen fünf Jahre festzuschrei-
ben einen Kompromiss zu suchen, kam aus Ihren Reihen.
Wir würden einen Kompromiss mittragen.


(Rainer Funke [FDP]: Frau Hustedt war das!)


Zweitens: Absenkung der Gewichtsgrenze im Postbe-
reich von bisher 200 Gramm auf nunmehr 50 Gramm.

Drittens: Absenkung der Mindestpreisgrenze von dem
Fünffachen eines Standardbriefes auf nunmehr das Zwei-
einhalbfache. Hier geht es um das, was die Privaten neh-
men müssen, wenn sie im Rahmen der Exklusivlizenz der
Post tätig werden.

Viertens: Freigabe der Infopost durch Absenkung des
Gewichtslimits von bisher 50 Gramm auf nunmehr null
Gramm.

Fünftens: Freigabe der abgehenden grenzüberschrei-
tenden Post durch Absenkung des Gewichtslimits von bis-
her 200 Gramm auf nunmehr null Gramm.

Sechstens: Freigabe der Kataloge, ebenfalls ab null
Gramm.

Siebentes: Erweiterung der Lizenzklassen durch die
Zulassung der Teilleistung „Einsammeln von Post“. Es ist
doch ein unglaublicher Vorgang, dass die Post AG Taxi-
unternehmen beschäftigt, die die Briefkästen leeren.
Diese Taxiunternehmen sind aber nicht den für die Post
geltenden Rechtsvorschriften unterworfen, nicht einmal
den einschlägigen Bestimmungen über das Briefgeheim-
nis, während private Unternehmen, die lizenziert sind und
dem Postgesetz unterliegen, dies nicht dürfen. Das sollte
doch einer der wenigen Schritte sein, die Sie mit uns ge-
hen können.

Achtens: Wegfall der Ausnahmeregelung bei der Ex-
ante-Preisregulierung, also genereller Wegfall der Aus-
nahmeregelung bei der Ex-ante-Regulierung für Mindest-
einlieferungsmengen von 50 Stück.

Neuntens: Wegfall des Sonderrechts für Postwertzei-
chen. Ich erinnere nur daran, dass die Deutsche Post heute
durch Abgabe von Postwertzeichen an die über 3 Milli-
onen Briefmarkensammler Jahr für Jahr Gewinne in drei-
stelliger Millionenhöhe macht, im Gegenzug aber über-
haupt keine Forderungen vom Finanzministerium oder
vom Wirtschaftsministerium gestellt werden. Herr Funke
hat diese Einnahmen mit dem Wort „Gelddruckmaschine“
charakterisiert. Wenigstens ein Teil dieser Einnahmen
sollte abgeschöpft werden.

Zehntens – hier sind wir uns einig; das ist ein Angebot
an Sie und an die Post AG –: Aufgabe des Mindestbe-
standes an unternehmenseigenen Filialen. Das kann an-
ders gelöst werden, allerdings nicht so, wie die Deutsche
Post AG es derzeit macht. Sie wandelt erst posteigene Fi-
lialen in Agenturen um, doch jetzt schließt sie wieder
flächendeckend Agenturen, die vor ein, zwei Jahren mit
großem Propagandaaufwand eröffnet worden sind.

Meine Damen und Herren, mit einem Wirtschaftsmi-
nisterium, das einen solchen Gesetzentwurf vorlegt, ist
wirklich kein Staat zu machen, schon gar nicht eine Wirt-
schaftspolitik, die in die Zukunft gerichtet ist. Deshalb
nochmals ein Zitat aus demselben Artikel aus der „Wirt-
schaftswoche“


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Lesen Sie auch noch etwas anderes? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zitieren Sie ruhig Ihr Kampfblatt!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Elmar Müller (Kirchheim)


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über ein internes Papier von Beamten des Wirtschaftsmi-
nisteriums: Die Entwicklung gehe „... vom Konzept der
sozialen Marktwirtschaft zur instrumentalen Beliebigkeit,
zum Punktualismus!“. So bezeichnen die Beamten des ei-
genen Hauses die Politik ihres Wirtschaftsministers. Ich
bin der Meinung, dass man einen Wirtschaftsminister von
kompetenter Seite schlimmer nicht kritisieren kann.

Im Wirtschaftsausschuss haben wir den FDP-Antrag
mitgetragen und tun dies weiterhin. Wir werden aber, sehr
verehrte Frau Staatssekretärin und verehrte Kollegen von
der Regierungsseite, Ihren Gesetzentwurf nicht mittragen,
es sei denn, Sie kommen uns in den von mir vorgetra-
genen Punkten entgegen.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419519100
Das Wort hat
jetzt Herr Kollege Barthel.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1419519200
Meine Damen und
Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mit dem Antrag
der FDP, der das vollständige Auslaufen der Exklusiv-
lizenz fordert, haben wir uns heute nicht zum ersten Mal
auseinander zu setzen. Ich verweise dazu auf das, was wir
dazu bereits in den Plenardebatten am 15. März, am
1. Juni und am 28. Juni 2001 gesagt haben.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das war alles falsch!)


Die Argumente, die Sie für diesen Antrag vorgetragen ha-
ben, waren von Anfang an schlecht. Sie sind seitdem nicht
besser geworden, wovon wir uns heute Abend gerade wie-
der überzeugen konnten.


(Beifall bei der SPD und der PDS)


Leider hindert diese Tatsache weder Sie, Herr Funke,
noch Sie, Herr Müller daran, immer wieder dieselben Be-
hauptungen aufzustellen, die wir längst widerlegt haben,
wie man nachlesen kann.

Die Entwicklung auf der europäischen Ebene gibt
uns im Nachhinein wieder einmal Recht und widerlegt
das Gerede von Union und FDP vom Stillstand der Libe-
ralisierung im Postwesen. Wie schon erwähnt, hat sich der
Ministerrat in Luxemburg am vergangenen Montag auf
maßvolle, kontrollierte und aufeinander abgestimmte
Schritte zur weiteren Liberalisierung geeinigt. Die Ge-
wichtsgrenzen sollen europaweit ab 2003 auf 100 Gramm
und ab 2006 auf 50 Gramm reduziert werden. Das bedeu-
tet, dass ab 2006 ungefähr ein Viertel des Briefmarktes
dem Wettbewerb unterliegt.

Wir haben oft genug dargestellt, dass wir aus der Sicht
aller Beteiligten ein solches Vorgehen einer Liberalisie-
rung mit der Brechstange, wie Sie sie wollen, vorziehen,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Sie haben es doch sogar mitgetragen!)


und zwar im Interesse der Kunden, im Interesse der Zu-
verlässigkeit und der Qualität, weil wir sowohl bei der
Post AG, aber vor allen Dingen auch bei den neuen Wett-

bewerbern in Randbereichen Qualitätsmängel feststellen.
Wir ziehen das jetzige Vorgehen eines im Interesse für alle
bezahlbaren flächendeckenden Angebots an Postdienst-
leistungen vor, weil wir feststellen, dass viele Wettbewer-
ber nur an Geschäftskunden und an Großkunden in Bal-
lungsräumen interessiert sind und eben keine bezahlbaren
Dienstleistungen für alle anbieten wollen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419519300
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Funke?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1419519400
Ja, bitte.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1419519500
Herr Kollege Barthel, ist Ihnen
bekannt, dass Sie im Vermittlungsausschuss und an-
schließend im Bundesrat und im Bundestag dem Auslau-
fen der Exklusivlizenz zum 31. Dezember 2002 zuge-
stimmt haben? Warum sind Sie jetzt der Auffassung, dass
die Exklusivlizenz mindestens bis 2007 verlängert wer-
den muss?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1419519600
Das haben wir aus-
drücklich nicht getan, ein Bestandteil dieses damaligen
Kompromisses im Bundesrat war nämlich, dass durch die
Regulierungsbehörde regelmäßig über das Auslaufen der
Exklusivlizenz zu berichten ist,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr habt aber trotzdem zugestimmt!)


dieser Bericht den gesetzgebenden Körperschaften,
sprich Bundestag und Bundesrat, vorgelegt wird und erst
danach zu entscheiden ist, ob und in welchem Umfang die
Exklusivlizenz verlängert werden kann. Diese Passage
können Sie in dem Gesetz nachlesen. Welchen Sinn hätte
eine solche Überprüfungsklausel, wenn wir damals defi-
nitiv festgelegt hätten, sie wirklich am 1. Januar 2003 aus-
laufen zu lassen?

Alle Kommentatoren – darauf habe ich in der letzten
Debatte hierüber ausführlich hingewiesen – stützen un-
sere Rechtsauffassung, auch der nicht gerade der Sozial-
demokratie nahe stehende Professor Badura.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rainer Funke [FDP]: Also haben Sie nicht zugestimmt?)


– Das war der damalige Kompromiss im Vermittlungs-
ausschuss. Die Kommentatoren sind sich also einig.

Ich beschäftigte mich aber noch einmal mit dem Pro-
blem – davon lassen wir uns auch nicht ablenken –, dass
Wettbewerb allein eben nicht die Bedienung der Fläche
sichert. Wir erhielten gerade wieder einen Hinweis da-
rauf. Warum haben denn die Wettbewerber dagegen ge-
klagt, dass sie – wenn sie eine Lizenz haben wollen – von
der Regulierungsbehörde dazu gezwungen werden, be-
stimmte Flächen in der Größe des Saarlandes mit zu be-
dienen? Sie haben dagegen geklagt, weil sie eben nicht im
Traum daran denken, Kunden in der Fläche zu bedienen,


(Renate Blank [CDU/CSU]: So groß ist das Saarland nun wirklich nicht!)


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Elmar Müller (Kirchheim)


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sondern sie wollen bestimmte Kundengruppen und be-
stimmte Ballungsräume bedienen. Das ist die Rosinen-
pickerei, gegen die wir etwas tun müssen.


(Beifall bei der SPD und der PDS)


Wir haben uns weiterhin für eine harmonisierte Libe-
ralisierung entschieden, weil es um die Arbeitsplätze in
den Postunternehmen geht und weil nur eine schrittweise
Marktöffnung soziale Standards und Arbeitsplätze in der
gesamten Branche sichern kann. Soweit die Sicherung
nicht erfolgen kann, soll zumindest der Übergang abgefe-
dert werden.

Ich kann die Geschichten von Herrn Funke und von
Elmar Müller mit den 30 000 Arbeitsplätzen, die jetzt an-
geblich bei den Wettbewerbern gefährdet sind, nicht mehr
hören.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das sind keine Geschichten! Das sind Tatsachen!)


Welcher Wettbewerber stellt im Jahre 2000 30 000 Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Hinblick auf eine
Gesetzeslage ein, die erst ab 1. Januar 2003 gültig ist und
über die er überhaupt nichts weiß? So einen Unternehmer
möchte ich einmal sehen. Das sind Abenteurer. Solchen
Abenteurern – wenn es sie überhaupt in Bezug auf eine
Gesetzeslage ab 2003 geben sollte – können wir doch
durch Gesetz nicht einen Erfolg garantieren. Das wäre ein
Lotteriespiel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419519700
Herr Kollege
Barthel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Müller?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1419519800
Aber sicher.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1419519900
Herr Kollege
Barthel, Sie hatten vorhin die Klagen der Wettbewerber
gegen die Pflicht zur Bedienung der Fläche in der Größe
des Saarlandes genannt und gesagt, die Wettbewerber
seien deshalb vor Gericht gegangen, weil sie eine solch
große Fläche nicht bedienen wollten. Stimmen Sie mir zu,
dass junge, neu gegründete Unternehmen, deren Be-
triebsaufwand zu etwa 90 Prozent aus Personalkosten be-
steht, nicht in der Lage sind, von Anfang an Flächen von
der Größenordnung des Saarlandes zu bedienen, sondern
nur in der Lage sind, kleinere Flächen zu bedienen?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was machen Sie denn mit der restlichen Fläche?)


Stimmen Sie mir ferner zu, dass die Unternehmen, die
am Markt sind, nicht in Ballungsgebieten, sondern – im
Gegenteil – auf dem flachen Land ihre Dienste anbieten?
Das ist einfach deshalb der Fall, weil sie in Ballungsge-
bieten überhaupt keine Mitarbeiter bekommen.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1419520000
Es gibt eine erheb-
liche Gegenwehr gegen die Verpflichtung – ob es nun Bal-

lungsgebiete oder Kleinstädte sind –, sich in der Fläche zu
betätigen, sonst hätten die Unternehmen nicht dagegen
geklagt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Der Punkt ist auch nicht, ob man diesen Unternehmen
eine Übergangsfrist einräumt; darüber hätte man ja reden
können. Der Punkt ist vielmehr der, dass sie gegen die
Zulässigkeit dieser Flächenbedienungspflicht generell
geklagt haben. Sie haben damit vor den Gerichten sogar
Recht bekommen. Aber die Konsequenz daraus kann
doch für uns nicht sein, dass uns die Fläche egal ist und
dass wir sagen, die Fläche soll bedienen, wer will. Wir
müssen vielmehr der Deutschen Post AG Einnahmen
dafür sichern, dass sie die Fläche in der Zukunft bedienen
kann. Das ist der Sinn der Übung. Uns kann niemand sa-
gen, wer das in der Zukunft machen soll. Das ist der
Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die von uns jetzt durchgesetzte Verlängerung der Ex-
klusivlizenz bis 2007 – was Sie versuchen hochzuziehen
ist Schnee von gestern – erlaubt uns in den nächsten Jah-
ren, die Grammgrenzen schrittweise an die europäischen
Vorgaben anzupassen. Das werden wir tun.

Worum es heute auch noch geht – das ist für die Be-
völkerung wesentlich wichtiger – ist der Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes. Wir
halten Wort, weil wir nämlich sagen: Das eine sind gesi-
cherte Einnahmen und berechenbare Marktbedingungen
durch die Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG und
das andere sind Preiskontrolle und Universaldienstver-
pflichtungen für die Deutsche Post AG. Deswegen werden
wir diese Regelungen, die die Deutsche Post AG zur
Flächendeckung verpflichten, entsprechend den Fristen
der Exklusivlizenz verlängern. Das haben Sie von uns vor
dem Sommer verlangt. Sie haben immer angezweifelt,
dass wir das tun. Jetzt tun wir es und es passt Ihnen eben-
falls nicht. Jetzt wollen Sie sogar dagegen stimmen. Wir
erteilen keine Lizenz zum Gelddrucken, auch keine Ex-
klusivlizenz. Wir sind vielmehr für eine gerechte Vertei-
lung von Verpflichtungen einerseits und Einnahmen an-
dererseits. Um dieses Verhältnis geht es.

Für die Bevölkerung ist dabei wichtig, dass die Zahl
der Filialen bis mindestens 2007 erhalten bleiben muss,
also insgesamt wenigstens 12 000, davon 5 000 eigenbe-
triebene. Dazu muss ich noch einige Bemerkungen ma-
chen, weil auch wir mit großer Sorge verfolgen – das ha-
ben Sie schon angesprochen –, dass die Deutsche Post AG
wieder einmal ihr Filialnetz – wie es so schön heißt –
„überprüft“ und zurzeit im Bereich der Agenturen Ver-
tragsänderungen und Kündigungen betreibt. Wir wollen
bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass die Post-
Universaldienstleistungsverordnung nicht nur eine Min-
destzahl von Filialen vorsieht – übrigens sind es bei uns
12 000 und nicht nur 10 000, wie Sie es damals vorhatten –,
sondern beispielsweise auch die 2 000-Meter-Regel. Wer
in die Verordnung schaut, wird feststellen, dass die Regel
nicht nur für Ortschaften mit über 4 000 Einwohnerinnen

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Klaus Barthel (Starnberg)


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und Einwohnern, sondern für alle geschlossen bebauten
Wohngebiete gilt. Wir werden darauf achten, dass die
Post AG diese Regelung einhält. Mittlerweile ist auf un-
ser Betreiben hin die Regulierungsbehörde bei Verstößen
der Post AG nachweisbar in einzelnen Fällen eingeschrit-
ten.

Die Verlängerung der Gültigkeit der Gesamtzahl von
mindestens 12 000 Filialen stellt ein wichtiges Signal für
die Post AG dar; denn die forcierte Schließung angesichts
der heute noch ungefähr 13 300 Filialen macht keinen
Sinn mehr, wenn das Unternehmen nicht damit rechnen
kann, dass es aus dieser Regelung bald entlassen wird,
sondern die Filialen bis mindestens 2007 noch erhalten
muss.

Auch erinnern wir die Post AG daran, dass zu scharfer
Druck auf die Agenturnehmer dem Geist des Postgesetzes
widerspricht, das sowohl ein flächendeckendes Angebot
als auch die Einhaltung sozialer Standards vorsieht. Auch
für den Einzelhändler und die Einzelhändlerin gibt es
nicht die Pflicht der Selbstausbeutung; auch sie haben ei-
nen Anspruch auf angemessene Vergütung in der Agen-
tur. Wir sind deswegen froh, dass sich jetzt auch die
Agenturnehmerinnen und Agenturnehmer zur Wehr set-
zen, indem sie sich organisieren, zum Beispiel in der Ge-
werkschaft Verdi, und für ihre Arbeitsbedingungen kämp-
fen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Gerade in diesem Zusammenhang hat es sich bewährt,
dass die SPD die Erhaltung von 5 000 unternehmens-
eigenen Filialen durchgesetzt hat. Einerseits hat diese
Regelung die Grundlage für den Schaltervertrag zwischen
der Gewerkschaft und der Deutschen Post AG dargestellt
und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen im Kernbestand
qualitativ hochwertiger Filialen gesichert. Andererseits
werden diese 5 000 posteigenen Filialen angesichts der
Agenturschließungen immer wichtiger.

Hier haben wir leider wieder einmal Recht bekommen.
CDU/CSU und FDP haben die Agenturen stets als Patent-
rezept für die Erhaltung der Post auf dem Land gepriesen:
besser, billiger, flexibler, mittelstandsfreundlich und was
Sie alles gesagt haben. Wir haben Ihnen in bestimmten
Fällen und unter bestimmten Bedingungen Recht gege-
ben. Auch viele Kommunen haben auf diese Lösung ge-
setzt und daran geglaubt. Heute aber sehen sie sich viel-
fach getäuscht, weil auch private Einzelhändler und das
Outsourcing keine Allheilmittel sind, denn das kostet
ebenfalls Geld. Außerdem kann auch ein Einzelhändler
keine Wunder vollbringen; denn er muss – genau wie in
einer kleinen posteigenen Filiale – seine Arbeit machen.

Aber gerade hier liegt das Problem: Wenn eine solche
Agentur schließt, dann ist die Post AG aus der Verant-
wortung und schiebt sie auf den Agenturnehmer. Wie sol-
len wir sie dann noch regulatorisch in die Pflicht nehmen?

Deswegen sind wir etwas überrascht, dass jetzt sowohl
von der Union als auch vom Bundesrat ausgerechnet die
Vorgabe der 5 000 eigenen Filialen wieder infrage gestellt
wird. Wir wollen aus Arbeitsplatz- und Kundenschutz-
gründen unbedingt an diesem Rückgrat der posteigenen

Filialen festhalten. Deswegen begrüßen wir auch, dass die
Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellung-
nahme des Bundesrates an ihrem Vorschlag festhält.

Es gibt von Kundenseite eine Menge anderer Vor-
schläge zur Verbesserung der Universaldienstleistungs-
verordnung. Ich kann das jetzt nicht mehr alles ausführen.
Es geht darum, Zeiten der Leerung von Briefkästen vor-
zuschreiben. Es gibt immer mehr Anregungen zu Rekla-
mationen von verloren gegangenen Sendungen, zu Öff-
nungszeiten von Filialen, zu Wertbriefen, zu Grenzen der
Fremdvergabe von Einzelleistungen – also Taxis –, zur
späteren Briefkastenleerung in einzelnen Stadteilen und
auf Dörfern. Der Wunschkatalog ist lang.

Wir werden versuchen, praktikable Lösungen zu fin-
den. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es
politisch entschieden ist, dass es die Liberalisierung und
die Deregulierung geben soll. Wir wollen in der Über-
gangszeit dem Teilmonopolisten Grenzen der Macht ge-
genüber Kunden und Wettbewerbern setzen; aber wir
können der Post AG nicht wie einer Behörde bis ins De-
tail alles vorschreiben.

Was wir jetzt tun, ist unter den gegebenen Vorausset-
zungen der einzig vernünftige Weg: schrittweise Markt-
öffnung, Kundenschutz, Arbeitsplatzerhaltung. Leider
hören wir außer in sich widersprüchlichen Hauruck- und
Scheinlösungen von der CDU/CSU und der FDP nichts
Konstruktives. Auf Ihre Antworten in den Ausschussbera-
tungen über das Zweite Gesetz zur Änderung des Postge-
setzes sind wir äußerst gespannt. Wir lehnen den Antrag
der FDP, den Markt ab 2003 mit der Brechstange zu öff-
nen, aus den bekannten guten Gründen ab.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419520100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gerhard Jüttemann.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1419520200
Frau Präsidentin! Meine
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eines vorweg er-
wähnen: Es war im Jahr 1994, als die Postliberalisierung
durchgesetzt wurde. Die PDS war die Einzige, die klar
und deutlich gesagt hat: Es geht in die falsche Richtung.


(Beifall bei der PDS)


Wenn man den Bürgern eine flächendeckende Grund-
versorgung unter gleichen Bedingungen bieten will, wi-
derspricht das den klassischen Gesetzen des Marktes.
Dort will man Profit machen. Ein Brief, der in ein kleines
mecklenburgisches Dorf an die Küste oder in die Alpen
geht, wird wohl erst nach Tagen zugestellt, mit Sicherheit
nicht genauso flott wie in der Stadt.

Die Unternehmen, die sich heute bewerben, betreiben
doch nur Rosinenpickerei. Herr Müller, wenn Sie heute
beklagen, die 30 000, die jetzt im Wettbewerb tätig seien,
bangten um ihre Arbeit, dann muss ich Ihnen sagen: Was
haben wir nach der Privatisierung erreicht? Knapp
150 000 haben ihren Arbeitsplatz bei der Post AG verlo-
ren. 30 000 Arbeitsplätze wurden parallel geschaffen. Was
ist das für ein Verhältnis?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Elmar Müller (Kirchheim)


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Und wie sehen die 30 000 Arbeitsplätze aus? Nicht ein-
mal die Hälfte davon ist sozialversicherungspflichtig.


(Beifall bei der PDS)


Wenn ich Ihnen sagen würde, wie die Fahrzeuge der pri-
vaten Anbieter aussehen, die bei mir zu Hause die Briefe
zustellen, dann würden Sie sich erschrecken, dann wür-
den Sie für diese Betriebe keine Reklame machen.

Wir hatten einmal 27 000 posteigene Filialen. Was ha-
ben wir heute noch? 13 500, und die meisten davon sind
schon Agenturen. Die Postfilialen bei mir zu Hause im
Eichsfeld kann ich an einer Hand abzählen. So weit sind
wir schon gekommen. Von Qualität und Angebot ist nichts
mehr da.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Du hast noch einen Finger zu viel an deiner Hand! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich erinnere daran: Die SPD hatte im Jahr 1994 in
ihrem Wahlprogramm angekündigt, wenn sie die Wahl
gewinne, werde sie diesem Gesetz nicht zustimmen; sie
werde dieses Ansinnen rückgängig machen. – Sie hat es
nicht gemacht. Gott sei Lob und Dank kriegt sie wenigs-
tens jetzt die Kurve und setzt sich für die Beschäftigten
der Deutschen Post AG ein, auch im Interesse der Post-
kunden. Dieser Weg ist zumindest anerkennenswert.

Wenn der Antrag der FDP tatsächlich greifen würde
und Ende 2002 die Exklusivlizenz ausliefe: Was schätzt
du, Elmar Müller, wie viele Arbeitsplätze bei der Post AG
dann verloren gehen würden? Wir haben doch jetzt schon
die Situation, dass die Post AG aufgrund des Druckes aus
der Privatwirtschaft von den bisherigen Tarifen abweicht.
Wer jetzt eingestellt wird, wird schon wesentlich schlech-
ter bezahlt. Die Bedingungen für die Beschäftigten und
die Leistungen werden schlechter. Ich habe in keinem Be-
reich eine Verbesserung der Leistungen gesehen.


(Beifall bei der PDS)


Wir haben gerade vorher die Diskussion zur Bahn
gehört. Wo ist denn der Erfolg der Privatisierung der
Bahn? Wir haben doch nur Probleme.


(Beifall bei der PDS)


Deswegen finde ich es gut, wenn es die Exklusivli-
zenzverlängerung gibt. Auch die Beschäftigten müssen
gesichert sein. Das ist das A und O. In dieser Richtung
werden wir die SPD unterstützen.

Wir können das Rad der Geschichte nicht mehr
zurückdrehen. Wir haben noch viele Probleme vor uns.
Dann werden wir hoffentlich gemeinsam streiten, auch
gegen den Widerstand dieser rechten Seite.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419520300
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksa-
che 14/6326 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem

Titel „Ende der Exklusivlizenz für die Deutsche Post zum
31. Dezember 2002“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 8 b: Interfraktionell wird die
Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa-
che 14/7093 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbud-

(Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz – ABAG)

– Drucksache 14/6309 –

(Erste Beratung 177. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittel-
budgets Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz –
ABAG)
– Drucksache 14/6880 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/7170 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Schmidbauer (Nürnberg)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Schmidbauer.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1419520400
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! 10,9 Prozent mehr
Arzneimittel im ersten Halbjahr 2001: Das ist eine alar-
mierende Zahl. Diese Ausgabenentwicklung alarmiert
uns natürlich auf das Entschiedenste und zwingt uns mehr
denn je zum raschen Handeln.

Das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz und das Arz-
neimittelausgaben-Begrenzungsgesetz, das morgen bera-
ten wird, sind die beiden zentralen Bausteine eines neuen
Weges. Dass wir einen neuen Weg gehen, bedeutet nicht,
dass wir unbekannte Wege gehen. Wir brauchen den
neuen Weg, weil starre Budgets und die Kollektivhaftung
der Ärzte nicht die Wege sind, die uns zum Ziel führen. Es
sind auch keine Wege, die zu mehr Akzeptanz führen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Gerhard Jüttemann

19101


(C)



(D)



(A)



(B)


Was uns auf dem neuen Weg als Kompass bleibt und
auch noch verstärkt wird ist zum einen das Qualitätsziel
einer optimalen Versorgung der Patientinnen und Patien-
ten und ist zum anderen das Wirtschaftlichkeitsgebot.
Das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz schafft dazu
neue Instrumente. Die Trias von Zielvereinbarungen, In-
formationen und qualifiziertem Prüfwesen schafft die
Voraussetzungen, um den Arzneimittelmarkt mit einer
verbesserten Qualität bei gleichzeitiger Kostensenkung
zu steuern.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden zeigen, dass Qualität und Wirtschaftlich-
keit kein Gegensatzpaar bleiben muss. Wir sind mit der
Qualität der Versorgung auf dem richtigen Weg. Der
„Arzneimittel-Report“ widerspricht der These der phar-
mazeutischen Industrie von einer drastischen Unterver-
sorgung mit innovativen Arzneimitteln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Stattdessen zeigt der Report, dass es gerade bei den The-
rapien, für die ein therapeutischer Zusatznutzen belegt ist,
zu deutlichen Verordnungsanstiegen gekommen ist. Als
Beispiel werden Opiate, also starke Schmerzmittel, für
die Behandlung von Tumorpatienten genannt, bei denen
im Jahr 2000 ein Umsatzzuwachs von 232 Millionen DM
– das sind 31,9 Prozent – zu verzeichnen war. Jetzt kommt
das für uns Interessante: Die verordnete Menge an Tages-
dosen reicht zur Behandlung von 96 Prozent der ge-
schätzten Zahl der Tumorpatienten aus. 96 Prozent der
Menschen können damit versorgt werden, sodass sie
schmerzfrei sind. Das Gleiche gilt für die Krankheitsbil-
der der Epilepsie und der koronaren Herzerkrankungen,
die große Volkskrankheiten sind. Bei den untersuchten
Krankheiten kann keineswegs von einer Unterversorgung
gesprochen werden. So werden mit 1,134 Milliarden ver-
ordneten Tagesdosen an Antidiabetika täglich 3,1 Milli-
onen Diabetiker ordnungsgemäß versorgt. Dies entspricht
der geschätzten Zahl an Diabetikern, die Antidiabetika zur
Therapie benötigen. Großer Handlungsbedarf besteht hier
also nicht.

Großer Handlungsbedarf besteht aber in Bezug auf
die Unwirtschaftlichkeit. Der „Arzneimittel-Report“ von
2001 zeigt auf, wo die Wirtschaftlichkeit im Argen liegt:
Die Unwirtschaftlichkeit bzw. das Einsparpotenzial lag
im Jahr 2000 bei Generika, Analogpräparaten und den so
genannten umstrittenen Arzneimitteln zusammen bei
8,1 Milliarden DM. Das sind mehr als 20 Prozent des Ge-
samtumsatzes. Bei einem rationelleren Arzneimittelver-
schreibungsverhalten der Ärzte können somit 8,1 Milli-
arden DM für Arzneimittel in Deutschland eingespart
werden, ohne dass ein Qualitätsverlust eintreten würde
und ohne dass dadurch auch nur eine Patientin oder ein
Patient qualitativ schlechter oder unzureichend versorgt
würde.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Das glaubt außer dem Schmidbauer keiner!)


Obwohl der Anteil an generischen Verordnungen in
Deutschland mit mittlerweile 49 Prozent im interna-
tionalen Vergleich ungeschlagen hoch liegt, besteht hier

immer noch ein Einsparpotenzial von insgesamt 3 Milli-
arden DM. Denn zwischen den Generikapräparaten be-
stehen große Preisunterschiede, die immer noch nicht
richtig ausgenutzt werden.

Gleiches gilt für Analogpräparate. Durch die Substitu-
tion mit therapeutisch vergleichbaren Leitsubstanzen er-
gibt sich ein mögliches Einsparvolumen von 2,4 Milli-
arden DM. Die Verordnung umstrittener Arzneimittel,
also von Arzneimitteln, deren Wirkung nicht ausreichend
belegt ist, ist seit Jahren rückläufig. Nach den Berech-
nungen des Reports besteht aber auch in diesem Seg-
ment immer noch ein Einsparpotenzial von 2,65 Milli-
arden DM.

Aber wo sind wir eigentlich in Deutschland gelandet?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das frage ich mich auch! – Detlef Parr [FDP]: Das ist eine gute Frage! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Sie werden es gleich hören.

Der Wert der verordneten Arzneimittel hat die Arzt-
honorare bei weitem überflügelt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist eure Schuld, dass wir da gelandet sind!)


Im Jahr 2000 hat der Arzneimittelverbrauch in der ver-
tragsärztlichen Tätigkeit die tatsächlichen ärztlichen Ho-
norare um das Doppelte überstiegen.

Laut BMG betrug die Gesamtsumme der verordneten
Arzneimittel in den Kassenärztlichen Vereinigungen rund
39,4 Milliarden DM. Die GKV-Umsätze mit den Ver-
tragsärzten beliefen sich auf 43,2 Milliarden DM. 55 Pro-
zent oder 23,2 Milliarden DM davon waren Praxiskosten.
Wenn man diese abzieht, bleiben als ärztliche Honorare
19,0 Milliarden DM, denen 39,4 Milliarden DM Arznei-
mittelverordnungen gegenüberstehen. Das ist einmalig in
der Welt. Es gibt kein weiteres Land mit einem solchen
Missverhältnis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen mit den Ärzten aus dieser Arzneimittel-
falle herauskommen. Es macht Mut, was jetzt schon läuft.
Die Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen beginnt
bereits jetzt, auf regionaler Ebene Versorgungsziele und
Wirtschaftlichkeitsziele verbindlich zu machen. Das
schafft Vertrauen für die Instrumente, die wir in diesem
Gesetz vorsehen.

Für diesen Weg müssen wir den Verantwortlichen, den
Ärzten, per Gesetz ein Handwerkszeug mit Gütesiegel
beschaffen. Mit gutem Werkzeug schaffen wir auch die
Akzeptanz bei Ärztinnen und Ärzten. Diese Qualitäts-
werkzeuge bestehen aus konkreten Zielvereinbarungen,
aus Information und Beratungspflicht, aus einem Früh-
warnsystem, verknüpft mit Controlling, aus einer Tren-
nung von Arznei- und Heilmittelbudget zur besseren
Klarheit, aus Richtgrößen, die nicht schematisch sind,
sondern sich an medizinischen Gesichtspunkten und an
Praxisbesonderheiten orientieren – mit Differenzierungen
nach Altersstufen der Patienten und Krankheitsarten –,
aus Schnellinformation, Transparenz und Beratung für

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Horst Schmidbauer (Nürnberg)


19102


(C)



(D)



(A)



(B)


Ärztinnen und Ärzte bei der Verordnung von Arzneimit-
teln.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Diese Vorleis-
tungen unsererseits setzen auch Gegenleistungen voraus.
Wir werden deshalb Ärztinnen und Ärzte nicht aus der
Verantwortung entlassen. Auch sie haben Verantwortung
für rationelles Verordnungsverhalten im Arzneimittelbe-
reich und für eine stabile Entwicklung unserer Beitrags-
sätze.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden aber auch die Voraussetzung dafür schaf-
fen, dass die Verantwortung wahrgenommen werden
kann. Dabei werden wir die Ärztinnen und Ärzte unter-
stützen und ihnen helfen, zum Beispiel durch eine Bera-
tungspflicht – eine Beratungspflicht, die industrieunab-
hängig ist, eine Beratungspflicht, die dem Arzt einen Weg
durch den Dschungel von Tausenden von Arzneimitteln
bahnt, eine Beratungspflicht, bei der Information, Trans-
parenz und Vergleichbarkeit groß geschrieben werden.

Wir sehen: Ein solches Werkzeug bringt es, weil wir
zwar neue, aber keine unbekannten Wege gehen. Es hat
sich sehr deutlich gezeigt, dass in der KV Hessen mit ei-
ner Budgetüberschreitung von 0,2 Prozent unter den zehn
am häufigsten verordneten Präparaten kein umstrittenes
Arzneimittel vertreten war, während in der KV Nordba-
den mit einer Budgetüberschreitung von 8,3 Prozent un-
ter den zehn am häufigsten verordneten Präparaten vier
umstrittene Arzneimittel vertreten waren.

Diese geringere Verordnung von umstrittenen Arznei-
mitteln im Bereich der KV Hessen ist unter anderem da-
rauf zurückzuführen, dass dort schon seit mehreren Jah-
ren eine intensive Pharmakotherapieberatung der
Vertragsärzte stattfindet. Wir werden allerdings Rechts-
sicherheit schaffen, weil es uns nahegegangen ist, dass
Herr Bausch, der lange die KV Hessen geleitet hat, da-
runter gelitten hat, dass er angesichts der Rechtsunsicher-
heit Gefahr lief – entsprechende Androhungen gab es –
sich mit der Industrie vor Gericht treffen zu müssen, wenn
er solche Beratungstätigkeiten durchführt. Wir werden die
Ärzte nicht im Regen stehen lassen, sondern ihnen helfen.
Dafür werden wir eine rechtssichere Beratungsgrundlage
schaffen.


(Beifall bei der SPD)


Sie sehen: Unsere Werkzeuge sind schon erprobt.


(Lachen bei der CDU/CSU)


– Sie haben nicht zugehört.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das tut ja weh, wenn man zuhört!)


Werfen wir einmal einen Blick auf Ihre Werkzeugkiste.
Da Sie von der Opposition so vollmundig erklären, Sie
wüssten alles genau und seien schon auf dem richtigen
Weg gewesen, dann müssten Sie mit Ihrem Gesetz ei-
gentlich das bessere Werkzeug vorweisen können, ein
Werkzeug, das eine Entwicklung wie seinerzeit unter
Seehofer unmöglich macht. Sie erinnern sich sicherlich
noch daran, wie zu Herrn Seehofers Zeiten die Arznei-

mittelausgaben von 27,8 Milliarden DM auf 39,4 Milli-
arden DM gestiegen sind.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört!)


Man braucht Ihre Werkzeugkiste nur aufzumachen.
Darin findet man dann Werkzeuge mit dem Prädikat
„mangelhaft“. Böse Zungen sprechen gar von der Katego-
rie „Weichei“. Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, würden damit keine Steuerung auf der
Kollektivebene vornehmen, keine Zielvereinbarungen für
Qualität und Wirtschaftlichkeit treffen, kein Controlling und
keine industrieunabhängige Beratung schaffen können.
Weil Ihre Werkzeuge schon von vornherein stumpf sind,
kommen Sie erst gar nicht – wenn man es bildlich sehen will
– an den Kern der eigentlichen Probleme heran. Es wäre gut,
wenn Sie Ihr Werkzeug austauschen und sich für unsere
Ausstattung, unser ABAG, entscheiden würden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ich bin erst einmal dafür, dass die Personen ausgetauscht werden!)


Fest steht: Ohne Steuerung geht es nicht. Alles in allem
ist belegt, dass bei Arzneimitteln in Deutschland nicht von
einer Unter-, sondern von einer Fehlversorgung gespro-
chen werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein rationelles Verordnungsverhalten der Ärzte würde zu
mehr Qualität, aber auch zu mehr Wirtschaftlichkeit
führen. Deswegen brauchen wir dieses Gesetz. Wir brau-
chen diesen neuen Weg, damit der Streit bei den Arznei-
mitteln nicht auf dem Rücken der Patientinnen und Pa-
tienten ausgetragen wird.


(Beifall bei der SPD)

Wir schaffen Sicherheit, Vertrauen und Hilfe für diejeni-
gen, die uns dabei unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419520500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Lohmann.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lohmann, Lüdenscheid! Das ist doch der, der schon früher immer alles falsch gemacht hat!)



Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1419520600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut,
Herr Schmidt, dass Sie bei der Gesundheitspolitik nicht
mitgewirkt haben, sonst wäre alles noch viel schlimmer.

Herr Schmidbauer, der über viele Jahre einer der
glühendsten Verfechter der Budgetierungspolitik war, hat
nun in seiner Rede nach den gemachten Erfahrungen mit
Tremolo in der Stimme von ganz neuen Rezepten gespro-
chen, die sich schon bewährt hätten, bevor sie überhaupt
in Kraft getreten sind.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Natürlich! Das wissen Sie doch!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Horst Schmidbauer (Nürnberg)


19103


(C)



(D)



(A)



(B)


In der ersten Hälfte Ihrer umfangreichen Ausführun-
gen, Herr Schmidbauer, haben Sie über ein Gesetz ge-
sprochen – ich erinnere Sie daran –, das erst morgen von
Ihnen eingebracht werden soll.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Nein! Nein!)


Sie haben hier alles über das Arzneimittelausgaben-Be-
grenzungsgesetz vorgetragen. Vielleicht haben Sie für
morgen keine Redezeit bekommen. Das aber ist eine an-
dere Frage. Jedenfalls konnten Sie Ihre Rede schon ein-
mal vortragen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilmittel-
budgets wäre ein wichtiger, wenn auch längst überfälliger
Schritt zur Abschaffung von Budgets gewesen. Allerdings
ist nach unserem Eindruck an diesem Gesetz einzig und
allein der Titel gut. Wie Sie wissen, tritt die CDU/CSU
aufgrund der Erfahrungen, die sie zwischen 1993 und
1996 mit diesem Instrument selbst gemacht hat, schon
länger für eine völlige Abschaffung der Budgets ein. Wir
haben die Budgets in allen Leistungsbereichen 1997 ab-
geschafft. Die Union hatte erfahren, dass Budgets auf
Dauer zur Rationierung und Einschränkung der ärztlichen
Therapierfreiheit sowie zur Beschränkung der ärztlichen
Freiberuflichkeit führen.

Diese Erfahrungen haben Sie nicht zur Kenntnis ge-
nommen, weil Sie damals noch zu den Verfechtern des
Budgets gehörten. Sie haben – man kann es fast so sagen –
wie ein verstocktes Kind gesagt: Diese Erfahrung wollen
wir erst selbst machen. Wir werden jetzt das, was ihr aus
der Erfahrung heraus gemacht habt, nämlich Budgets ab-
zuschaffen, rückgängig machen und Budgets wieder ein-
führen.


(Detlef Parr [FDP]: Hoffentlich auch im September 2002!)


Die Abschaffung der von uns eingeführten, die Bud-
gets ablösenden Richtgrößen und die Einführung dieser
strengen – ich sage gelegentlich: brutalen – sektoralen
Budgets kann man sich im Grunde genommen nicht an-
ders erklären, als dass es eben um den Erfahrungshorizont
ging. Was wollten Sie erreichen? Erreicht werden sollte
eine wirtschaftliche Verordnung bei Arznei- und Heil-
mitteln. Was ist letztendlich erreicht worden? Eine akute
Beeinträchtigung der Arzneimittelversorgung. Patienten
konnten nicht mehr entsprechend dem medizinischen
Fortschritt behandelt werden. Bei MS-Kranken, Krebs-
kranken, Diabetikern und anderen kam es sogar zu einer
regelrechten Unterversorgung – kein Wunder also, dass
das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, das
Vertrauen der Bürger in das System der gesetzlichen
Krankenversicherung und das Vertrauen der Bürger in die
Fähigkeiten der rot-grünen Bundesregierung auf dem Ge-
biet der Gesundheitspolitik schwer beschädigt wurden.

Trotz alledem konnte die Budgetierung einen Ausga-
benanstieg bei den Arzneimitteln nicht verhindern. 1999
wurde das Arznei- und Heilmittelbudget um 1,1 Milliar-
den DM und 2000 sogar um rund 1,5 Milliarden DM

überschritten. Also: Auf der einen Seite Vorenthaltung
von Leistungen und Rationierung – wir haben das immer
angesprochen – und auf der anderen Seite trotzdem eine
Überschreitung des Arzneimittelbudgets. Diese Erfah-
rung mussten Sie erst machen. Vor allem mussten Sie,
wenn sie sich einmal bei Ihren Kolleginnen und Kollegen
in den Wahlkreisen vor Ort erkundigt haben, das erst nach
Berlin bringen, bevor sie nun versuchen, auf diesem Wege
zu handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nun haben Sie angekündigt, das Budget rückwirkend
abzuschaffen. Darüber hinaus haben Sie nur den Kollek-
tivregress im Auge gehabt und es deshalb versäumt, an-
dere Möglichkeiten zu einer Verbesserung einer wirt-
schaftlichen Verordnungsweise zu erkennen. All das war
von vornherein abzusehen. Wir haben bereits im Novem-
ber 2000 einen Antrag zur Abschaffung der sektoralen
Budgets verfasst und ihn am 6. Februar in den Deutschen
Bundestag eingebracht.

Unmittelbar nach der Amtseinführung von Frau Minis-
terin Schmidt – sie konnte heute aus verständlichen, ter-
minlichen Gründen nicht kommen; Frau Staatssekretärin
seien Sie so freundlich und geben Sie das, was ich an ihre
Adresse sagen muss, an sie weiter, vielleicht tun Sie das
ja gerne – hat sie am 31. Januar in einer Pressekonferenz
die Abschaffung der Arznei- und Heilmittelbudgets an-
gekündigt. Da kam Hoffnung auf und mit der Hoffnung
auch die Versuchung – bzw. die Notwendigkeit, wenn
man davon ausgeht, dass vorher Leistungen vorenthalten
wurden –, das Versäumte nachzuholen. In der Folge stie-
gen die Arzneimittelausgaben sprunghaft an, allein im
ersten Halbjahr dieses Jahres um rund 11 Prozent; das ist
bereits gesagt worden. Die rot-grüne Bundesregierung,
Herr Schmidbauer, sollte für diese Entwicklung nicht die
Ärzte, Apotheker oder die Pharmaindustrie verantwort-
lich machen, sondern lieber über eigene Versäumnisse
nachdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es war ein schwerer Fehler, die rückwirkende Ab-
schaffung der Budgets anzukündigen, ohne parallel ge-
eignete Steuerungsinstrumente vorzusehen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jawohl!)


Ich sage ausdrücklich: parallel dazu! Es nützt nichts,
Steuerungsinstrumente vorzusehen, die irgendwann wir-
ken. Herr Schmidbauer sprach sogar davon, sie wirkten
jetzt bereits – also noch bevor das Gesetz überhaupt in
Kraft getreten ist.

Sie haben eben den „Arzneimittel-Report“ zitiert. Man
kann selbstverständlich aus dem Zusammenhang zitieren;
ich tue das auch. Professor Schwabe, der Mitherausgeber
des „Arzneimittel-Reports“, der weiß Gott nicht im Ver-
dacht steht, die Gesundheitspolitik der Regierung zu un-
terstützen oder zu fördern, hat gestern Frau Ministerin
Schmidt vorgeworfen, sie habe durch ihr Handeln eine
Ausgabenlawine ausgelöst. Nicht Patienten, Ärzte, Apo-
theker oder Industrie seien für die Misere der GKV ver-
antwortlich, sondern allein die Ministerin.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


19104


(C)



(D)



(A)



(B)


Es reicht eben nicht aus, sich nur freundlich durch das
entstandene Chaos zu bewegen. Man erwartet von der Mi-
nisterin ein konzeptionelles Denken und Handeln. Der
jetzt vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Ablösung des
Arznei- und Heilmittelbudgets erweist sich als Schnell-
schuss. Wir lehnen den Entwurf daher ab. Zwischenzeit-
lich vorgelegte Änderungsanträge, die am Mittwoch im
Ausschuss beschlossen worden sind, ändern nichts an un-
serer grundsätzlichen Haltung. Wir möchten den Patien-
ten in den Mittelpunkt aller Überlegungen rücken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das geht nur, wenn der Patient darauf vertrauen darf, von
seinem Arzt die Medikamente verordnet zu erhalten, die
er aufgrund seines Krankheitsbildes benötigt.

Die Abschaffung der Budgets ist dafür zwar Vorausset-
zung. Der Gesetzentwurf suggeriert aber nur, dass eine
Abschaffung vorgesehen sei. Wenn man die Sache ge-
nauer betrachtet, kann man erkennen, dass der Entwurf
statt eines vorgegebenen Budgets nunmehr die Partner der
Selbstverwaltung ermächtigt, Ausgabenobergrenzen zur
Steuerung festzulegen.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat nichts gegen
eine Flexibilisierung in den Organisationsstrukturen der
GKV. Auch die Stärkung von Selbstverwaltungsorga-
nen, Herr Schmidbauer, kann man grundsätzlich nur be-
grüßen. Allerdings haben wir zunehmend den Eindruck,
dass die Regierung nur die politische Verantwortung für
die Steuerung der Arzneimittelausgaben auf die Selbst-
verwaltung abschieben will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kritisch ist in diesem Zusammenhang auch die weit ge-
hende Kompetenzübertragung zu sehen. Bereits in der
Vergangenheit sind den KVen und den Krankenkassen bei
der Bewältigung ihrer Aufgaben erhebliche Schwierig-
keiten entstanden. Das bestreitet heute doch niemand
mehr. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Selbstver-
waltung strukturell und personell überhaupt so ausge-
stattet ist, um selbst bei gutem Willen auf allen Seiten
– der ist ja nicht selbstverständlich – die Fülle der anste-
henden Entscheidungen zeitgerecht zu treffen.

Ein Beispiel ist die nunmehr beabsichtigte Einführung
einer Pflicht für die Vertragsärzte – Sie haben das eben er-
wähnt –, über preisgünstige verordnungsfähige Leistun-
gen einschließlich der jeweiligen Preise und Entgelte zu
informieren bzw. zu beraten, nach dem allgemein aner-
kannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu infor-
mieren und Hinweise zur Indikation und zum therapeuti-
schen Nutzen zu geben. Völlig unklar ist bei diesem
Vorschlag, wie künftig Kassenärztliche Vereinigungen
sowie Krankenkassen und ihre Verbände diese Pflichtauf-
gabe personell erfüllen sollen. Betrachtet man die Ziel-
setzung, „vergleichend über preisgünstige verordnungs-
fähige Leistungen einschließlich der jeweiligen Preise“
zu informieren, tut sich eine Reihe von Fragen auf. Han-
delt es sich dabei etwa um Produktempfehlungen, die un-
ter Beachtung des EU-Kartellrechts als rechtswidrig an-
zusehen sind? Oder schränkt man das Informationsrecht
unzulässigerweise nur im Hinblick auf das Billigsegment
ein?

Unklar ist auch die Umsetzung der vorgesehenen
Pflichtberatung der Vertragsärzte. Wer soll beraten?
Welche Ausbildung und welchen Kenntnisstand braucht
der Berater? Wann hat der Arzt für eine Beratung Zeit?
Was passiert, wenn er dieser Pflicht nicht nachkommt?
Wo findet die Beratung statt? – Fragen über Fragen, wo
Lösungen und Antworten wichtig wären! Auf die europa-
und verfassungsrechtlichen Einwendungen, die gegen die
Zielvereinbarungen erhoben werden, möchte ich dabei
nur hinweisen. Klar ist nur: Kostenneutral kann die Um-
setzung nicht gelingen, und das bei einem Gesamtdefizit
von 5 Milliarden DM, von dem wir zurzeit mindestens
ausgehen.

In die gleiche Richtung läuft die im Gesetzentwurf ent-
haltene und ebenfalls nicht hinreichend konkretisierte Bo-
nusregelung. Die Gefahr, dass eine Vereinbarung zulas-
ten der Patienten vorgenommen wird, ist doch nicht von
der Hand zu weisen. Wie so das Vertrauen gestärkt wer-
den soll, ist mir nach wie vor schleierhaft.

Das Beispiel macht deutlich, dass Rot-Grün angesichts
der jetzigen Situation im Gesundheitswesen Apothekern
und Pharmaindustrie den Fehdehandschuh hingeworfen
hat. Sie sollen für die Fehler rot-grüner Gesundheits-
politik einstehen. Den Apothekern wird mit Versandhan-
del gedroht. Der Apothekenrabatt wird erhöht. Der Phar-
maindustrie werden Preissenkungen bzw. Preisabschläge
aufgezwungen. Neuerdings wird auch über einen Rabatt
diskutiert, über dessen Ausgestaltung und Wirkungsweise
man sich in der Regierung offenbar nicht im Klaren ist.

Man kann nur sagen – ich bitte, auch das der Frau Mi-
nisterin mitzuteilen –: Weiter so, Frau Schmidt! Sie schaf-
fen es schon, den Wirtschafts- und Forschungsstandort
Deutschland zu ruinieren


(Beifall bei der CDU/CSU)


und den wichtigsten Pfeiler unserer Marktwirtschaft,
nämlich den Mittelstand, zu zerstören.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Erzählen Sie doch mal, was Sie früher gemacht haben!)


– Herr Schmidt, wir haben das Budget abgeschafft und
auch die entsprechenden Instrumente eingeführt. Aber all
das haben Sie als Erstes wieder rückgängig gemacht. Sie
wissen das nicht mehr, weil Sie sich mit der Materie kaum
beschäftigen.

Die Krankenhausreform – die Ministerin hat in diesem
Zusammenhang vor wenigen Tagen von „großen Geset-
zen“ gesprochen – und die Reform des Risikostrukturaus-
gleichs werden auch zu höheren Ausgaben der Kassen
führen. Beitragsstabilität lässt sich mit diesen Gesetzen
mit Sicherheit nicht erreichen, geschweige denn, dass
man über eine Senkung der Beiträge sprechen könnte. Al-
lein von 1998 bis heute hat Rot-Grün mit Leistungsaus-
weitung, Bürokratisierung, Reglementierung und Ver-
schiebebahnhöfen der GKV Mehrbelastungen in Höhe
von 5 Milliarden DM aufgebürdet. Nun dafür andere ver-
antwortlich zu machen ist nach unserer Auffassung nicht
redlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


19105


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(A)



(B)


Man kann der Ministerin nur raten, endlich den Mut für
ein umfassendes Konzept zur Gesundheitsreform zu fas-
sen; denn erst wenn ein Konzept vorliegt, können wir be-
urteilen, ob ihre Trippelschritte und ihre Trostpflaster, die
sie zurzeit verteilt, überhaupt in ihr eigenes Konzept pas-
sen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419520700
Herr Kollege,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Kommen Sie zum Schluss, Herr Lohmann!)



Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1419520800

Ein letzter Satz. – Es bleibt als Fazit ein Satz, den mir
nicht Frau Schmidt-Zadel aufgeschrieben hat, sondern
den ich mir selbst zurechtgelegt habe: Der Titel ist gut
– ich sagte es eingangs; bei meinen Reden schließt sich
der Kreis meist –, aber wie in vielen anderen Bereichen
des Lebens gilt auch hier: Was draufsteht, muss auch drin
sein. Weil das nicht gegeben ist, können wir diesem Ge-
setzentwurf nicht zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Risiken und Nebenwirkungen bei der CDU/CSU sind aber ziemlich groß!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419520900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Monika Knoche.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419521000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Da-
men! Es war eine Art Themenpotpourri, das Sie aufge-
macht haben, um irgendwie ein paar Kritikpunkte zusam-
menzukratzen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Weil Sie sich vorhin von Herrn Schmidbauer erst mal briefen lassen mussten!)


Am konkreten Gesetzentwurf haben Sie sich ganz wenig
aufgehalten. Ich verstehe das auch, weil es daran eigent-
lich nicht viel zu mäkeln gibt. Herr Lohmann, mir war
nicht klar, auf was genau Sie Ihre Kritik fokussieren. Wol-
len Sie mehr dirigistischen Staat


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Eben nicht!)


oder mehr Selbstverwaltung


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja!)


oder völlig freie Hand bei der Arzneimittelverordnung


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!)


ohne staatliche Aufsicht und Selbstregulierung? Ich bin
daraus nicht ganz schlau geworden.

Die Budgetierung ist sehr heftig kritisiert worden.
Wenn wir schon in die Historie gehen: Sie wissen noch,
dass die Ablösung der sektoralen Budgets der eigentli-
che Gedanke war.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das gab es schon längst nicht mehr, als Sie an die Regierung kamen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Budgets waren schon abgelöst! Sie haben sie wieder eingeführt!)


Wie Sie wissen, braucht man die Zustimmung des Bun-
desrats dazu. Die hatten wir nicht. Von daher waren an-
dere Lösungen zu finden.

Am allermeisten wurde der Kollektivregress kritisiert.
Wenn ich daran denke, welche Kategorien heutzutage für
erfolgreiche Regierungspolitik erfunden werden, dann
kann ich nur sagen: Es herrscht auch dann schon eine
enorme Geschichtsvergessenheit, wenn es sich um Pro-
zesse handelt, die nur zwei, drei Monate alt sind.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Weil Sie die Überschüsse in der GKV vergessen haben! Da haben Sie Recht!)


Als die neue Ministerin unserer Regierungskoalition
angetreten ist, gab es eine Instrumentalisierung der Pati-
entinnen und Patienten in den Praxen, um diesen Kollek-
tivregress zu diskreditieren. Sie hat dann gesagt: Ich baue
auf den guten Erfahrungen auf, die innerhalb der Kas-
senärztlichen Vereinigungen unter Budgetbedingungen
gemacht worden sind. – Nahezu die Hälfte der KVen
konnte nämlich unter dem Budget alles Notwendige ver-
ordnen und im oder sogar unterhalb des Budgets bleiben.
Die Ministerin war der Auffassung: Jawohl, es ist mir lie-
ber – mir übrigens auch! –, nicht zu viele staatliche Vor-
gaben zu machen, sondern es der Ärzteschaft zu überlas-
sen, in ihrer eigenen Verantwortung ein Regelwerk zu
finden, das die medizinische Versorgung inklusive der
Arzneimittelverordnung im Rahmen der Beitragssatzsta-
bilität gewährleistet. – Deshalb ist sie dazu gekommen,
dass die Selbstverwaltungsregelung greifen soll.

Die Richtgrößen sind heute so angelegt, dass die Kas-
senärztlichen Vereinigungen dem jeweiligen Bedarf der
einzelnen Praxen Rechnung tragen können. Es gibt Flexi-
bilisierungslösungen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war vor zwei Jahren so und ihr habt es aufgehoben!)


Es gibt Möglichkeiten, Praxisbesonderheiten zu berück-
sichtigen, ohne dass ein Regress entsteht.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich gebe Ihnen einen CSU-Aufnahmeantrag!)


Das ist insbesondere deshalb erforderlich, weil im ambu-
lanten Bereich sehr viele chronisch Kranke zu versorgen
sind, nicht zuletzt deswegen, weil nicht so lange stationär
behandelt werden soll. Es sind also alle Spielräume da, so-
dass die Ärzteschaft ihre hohe Verantwortung wahrneh-
men kann. Der Gesetzgeber ist dabei sozusagen stützend
tätig, greift aber nicht dirigistisch ein.

Was wollen Sie als CDU/CSU daran noch kritisieren?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil es wieder Flickschusterei und kein Konzept ist!)


In diesem Verfahren ist ein Schiedsgericht installiert,
durch das sichergestellt werden kann, dass die Vereinba-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


19106


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rungen auch greifen. Es werden neue Angebote etabliert.
Über Preisvergleichslisten wissen die Ärztinnen und
Ärzte, welche Wirkstoffe sie bei welchem Krankheitsbild
verordnen können, um ihrem Versorgungsauftrag gerecht
zu werden. Alles das ist in diesem Gesetzentwurf aufge-
nommen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Entschuldigung! Das ist in dem Gesetzentwurf, der morgen zu behandeln ist!)


– Nein, da haben Sie die Vorlage für die heutige Beratung
nicht exakt gelesen, vielleicht auch die Änderungsanträge
nicht zur Kenntnis genommen.

Fakt ist, dass die Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der
Selbstverwaltung – Krankenkassen und KVen – eine Liste
bekommen, in der nicht nur Wirkstoffe, sondern auch
Preise genannt werden,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU] und Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Was Sie jetzt sagen, ist wieder was anderes! – Detlef Parr [FDP]: Sie sind auf der Baustelle von morgen!)


sodass sie bei ihren Verordnungen aufgrund der sehr zeit-
nahen Datenaufbereitung genau wissen, wie sie sozusa-
gen in ihrem Budget liegen.

Damit ist das Primat erfüllt, dass die Selbstverwaltung
die Vorfahrt hat und der Staat sich darum kümmert, dass
eine qualitativ gute Arzneimittelversorgung gewährleistet
wird. Wir müssen wie jede Regierung berücksichtigen,
dass die Pharmaindustrie naturgemäß versucht, über viele
Verordnungen den Arzneimittelmarkt aus der Praxis he-
raus zu erweitern. Das ist ein legitimes Interesse. Wir als
Politiker haben aber die Aufgabe, in diesem durchaus
komplizierten Spiel von freier Wirtschaft und solidari-
scher gesetzlicher Krankenversicherung dafür zu sorgen,
dass unter Beachtung der Beitragsstabilität Innovationen
im Arzneimittelmarkt erfolgen und keine übermäßigen
Verordnungen Platz greifen. Das, denke ich, ist in diesem
Gesetz gut gelungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das glaubt außer Ihnen keiner! Sie lacht selbst!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419521100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1419521200
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! „Endlich ist es so weit!“ Zu dieser erleich-
ternden Überzeugung könnte man kommen, Frau
Schmidt-Zadel, wenn man die Überschrift des Gesetzent-
wurfes liest: Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz. Hat
die Gesundheitsministerin also verstanden? Ordnet sie
die Budgetierung endlich unter die staatsdirigistischen
Zwangsinstrumente ein, die nur zur Rationierung, zu will-
kürlichen Leistungseinschränkungen zulasten der Patien-
ten, zur Fremdbestimmung der Ärzteschaft führen?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nein. Frau Schmidt-Zadel, wenn Sie Shakespeare gelesen
haben: Wieder mehr Schein als Sein.


(Lachen bei der SPD)


Warum haben Sie nicht den Mut, das Ganze vernünftig
neu zu gestalten? Warum richten Sie die Grundlagen die-
ses Gesetzes nicht endlich an den medizinischen Notwen-
digkeiten, am tatsächlichen medizinischen Bedarf aus?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Statt die arztgruppenspezifischen Richtgrößen zum be-
stimmenden Faktor zu machen und auf dieser Ebene fest-
zulegen, was notwendig ist, um die Patienten in ausrei-
chendem Maße mit Arzneimitteln und Heilmitteln zu
versorgen, wie das auch die Idee der Leitlinien vorgibt,
wird das Ausgabenvolumen zur bestimmenden Größe
gemacht. Das Ausgabenvolumen ist aber im Prinzip
nichts anderes als das heutige Arzneimittelbudget.

Das konnte man auch eindeutig einem ddp-Interview
mit der Gesundheitsministerin entnehmen. Darin spricht
sie unverblümt nur noch von einer Neuordnung des Arz-
nei- und Heilmittelbudgets. Von Abschaffung ist schon
gar nicht mehr die Rede. Sie bezeichnet das Ganze sogar
als großen Reformschritt.

Diese Erkenntnis bestätigt sich auch insofern, als für
den Übergang auf die Ausgabenvolumina vorgesehen ist,
dass die Budgets des Jahres 2001 zur Grundlage gemacht
werden. Wenn Vereinbarungen in die Schiedsstelle ge-
hen – Frau Knoche, dieses Instrument haben Sie gerade
gelobt –, wird dieser gar nichts anderes übrig bleiben, als
auf die alten Werte zurückzugreifen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der gedankliche Fehler!)


Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Verände-
rungen in der Zahl oder Struktur der Versicherten oder
durch Markteinführung innovativer Arzneimittel zwar
berücksichtigt werden sollen, jedoch wiederum nicht auf
der Ebene der Richtgrößen, die für den einzelnen Arzt
von entscheidender Bedeutung sind, sondern auf der
Ebene der Ausgabenvolumina.

Die Praxis wird nach unserer Überzeugung dazu
führen, dass die Ärzte nun zwar nicht mehr mit einem
– im Übrigen ohnehin nicht vollziehbaren – Kollektivre-
gress zu leben haben, wohl aber mit einem viel stärker be-
drückenden Instrument, nämlich den Richtgrößen, die
nicht aufgrund medizinischer Notwendigkeiten bestimmt
werden, sondern nach einem nach bestimmten Kriterien
aufgeteilten Aufgabenvolumen.

In der Begründung zu § 84 Abs. 1 heißt es – ich zi-
tiere –:

Versorgungsziele

– die von den Spitzenverbänden und der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung vorgegeben werden –

sollen zum Beispiel die eingeschränkte Verordnung
von Arzneimitteln mit nach dem allgemein aner-
kannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Monika Knoche

19107


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oder nicht ausreichend nachgewiesener therapeuti-
scher Wirksamkeit zum Gegenstand haben.

Das bedeutet nichts anderes, als dass die Selbstverwal-
tung bestimmte Arzneimittel von der Verordnung de facto
ausschließen soll.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wie passt das mit der Rechtsprechung zusammen, die
dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine
solche Kompetenz abgesprochen hat und dies auf der
Ebene der Vertragspartner, Krankenkassen und Ärzte si-
cherlich nicht anders sehen wird?

Fazit: An den Kritikpunkten haben auch die im Ge-
sundheitsausschuss eingebrachten Änderungsanträge aus
unserer Sicht nichts geändert. Es bleibt deshalb dabei: Die
FDP ist für die Abschaffung des Arznei- und Heilmittel-
budgets. Sie ist aber gegen diesen Gesetzentwurf. Er führt
im Endeffekt nur dazu, dass es nach wie vor zu einer Ra-
tionierung in den Arztpraxen kommt, die die Ärzte auf
dem Rücken ihrer Patienten verantworten sollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419521300
Als letzte Red-
nerin in der Debatte hat die Abgeordnete Ruth Fuchs das
Wort.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1419521400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gestern wurde der „Arznei-
mittel-Report“ vorgestellt. Er hat erneut bestätigt: Im Arz-
neimittelbereich gibt es vermeidbare Ausgaben in Milli-
ardenhöhe.


(Beifall bei der PDS)


Das heißt schlicht und einfach: Rot-grüne Gesundheits-
politik hat auf diesem Gebiet – jedenfalls bis heute – noch
nichts Positives gebracht.


(Beifall bei der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition, Ihrem an die Entwicklung der Grundlohn-
summe gebundenen Arzneimittelbudget lag die Vorstel-
lung, besser gesagt: die Hoffnung zugrunde, dass sich mit
rigorosen Mittelverknappungen eine rationellere Verord-
nungsweise erzwingen lässt. Das hat sich als Trugschluss
erwiesen.


(Beifall bei der PDS)


Dieses Vorgehen führte nicht nur zur Vermeidung von
Überflüssigem, sondern auch zur Rationierung von me-
dizinisch Notwendigem. Dies hat zur Folge: Die Ärzte
werden in Gewissenskonflikte gebracht, Patienten wer-
den verunsichert und das Arzt-Patient-Verhältnis wird er-
heblichen Belastungen ausgesetzt. Das ist eine Entwick-
lung, die niemand wollte und die beendet werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Wir halten es deshalb für richtig, dass mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf das bisherige sektorale Budget und

der Kollektivregress abgeschafft und durch regionale
Ausgabenobergrenzen sowie Richtgrößen ersetzt wird.
Wir begrüßen auch die Absicht, der Selbstverwaltung
größere Verantwortung zu übertragen und mehr Gestal-
tungsspielräume zu geben. Ohne Frage haben die KVen
die Verpflichtung zu einer wirtschaftlichen Versorgung
und sie müssen sich dieser engagiert stellen.


(Zuruf von der SPD: Wenn Sie es mal machen würden!)


Allerdings kann Ihnen niemand die Verantwortung für
eine bedarfsgerechte und qualitativ hoch stehende Thera-
pie abnehmen.


(Beifall des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Zur Qualität gehört nicht nur, Unnötiges oder Fragwürdi-
ges zurückzudrängen, sondern auch, bestehende medika-
mentöse Unterversorgung, wie es sie bei Hochdruckpati-
enten, Diabetikern oder psychisch kranken Patienten gibt,
zu überwinden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo sie Recht hat, hat sie Recht!)


Zweifellos trägt das Gesetz dazu bei, für die Selbstver-
waltung verbesserte Rahmenbedingungen zur Bewälti-
gung dieser Aufgaben zu schaffen. Wir halten es insbe-
sondere für wichtig, dass die KVen die notwendigen
Informationen jetzt schneller erhalten und dass ihre eige-
nen Informations- und Beratungsrechte über wirtschaftli-
che Arzneimitteltherapien und Preisvergleiche gestärkt
werden. Eine überzeugende Grundlage für eine wirk-
same Ausgabensteuerung – ganz im Sinne einer ratio-
nellen Arzneimitteltherapie – ist der Gesetzentwurf aller-
dings noch nicht. Dazu gehört mehr. Ich nenne nur die
unzureichende rechtliche Grundlage für Festbeträge und
Arzneimittelrichtlinien sowie die noch immer fehlende
Positivliste.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Leider hat die Ministerin den Fehler gemacht, die Bud-
getabschaffung anzukündigen, ohne eine sinnvollere
Ausgabensteuerung sofort parat zu haben. Das trug aus
meiner Sicht zum gegenwärtigen Anstieg der Arznei-
mittelkosten wesentlich bei.

Auch deshalb ist zu begrüßen, dass auf der Grundlage
einer Bundesempfehlung von Ärzteschaft und Kranken-
kassen inzwischen in nahezu allen KV-Bereichen Ziel-
vereinbarungen zur Steuerung der Arznei- und Ver-
bandsmittelausgaben abgeschlossen wurden. Ob die
vorgeschalteten Aktivitäten ebenso wie das neue Gesetz
tatsächlich greifen werden, bleibt jedoch abzuwarten.
Skepsis ist angezeigt. Dass Sie selbst, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Regierungskoalition, das genauso
sehen, zeigt eigentlich die Tatsache, dass wir morgen zu
genau diesem Thema einen weiteren Gesetzentwurf auf
den Tisch bekommen, mit dem Sie das, was wir heute be-
sprochen haben, korrigieren.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Detlef Parr

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Wir werden uns damit erst morgen auseinander setzen, ob-
wohl es in diesem Bereich bereits heute Verwischungen gab.

Wir von der PDS sagen zu dem heute zur Abstimmung
stehenden Gesetzentwurf: Mehr als eine Enthaltung ist
nicht drin.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja schon viel!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419521500
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Entwurf eines Arzneimittelbudget-Ablö-
sungsgesetzes. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Entwurf ei-
nes Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion der
PDS angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Gesundheitsausschuss, den Entwurf eines Arzneimittel-
budget-Ablösungsgesetzes der Bundesregierung auf
Drucksache 14/6880 für erledigt zu erklären. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Diese Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut
Schauerte, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Hans-
jürgen Doss, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Für ein modernes Wettbewerbs- und Kartell-
recht in Europa
– Drucksache 14/6634 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht des Bundeskartellamts über seine
Tätigkeit in den Jahren 1999/2000 sowie über

die Lage und Entwicklung auf seinem Aufga-
bengebiet
und
Stellungnahme der Bundesregierung
– Drucksache 14/6300 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), Jörg van
Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Bundeskartellamt personell stärken
– Drucksache 14/5575 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Haushaltsausschuss

Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. –
Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren
wir so.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1419521600
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen wieder einmal über Wettbewerb. Man kann gar
nicht oft genug über Wettbewerb sprechen; denn er ist das
Element, das die Wirtschaft voranbringt und Erfolge er-
möglicht.

Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe Wirtschaft hat gestern
einen Entschließungsantrag zum Bericht der Monopol-
kommission vorgelegt. Diesen und auch den Bericht der
Monopolkommission hätten wir heute gern mit diskutiert.
Leider ist unser Antrag – obwohl der Kollege Jens, dem
wir das vorgelegt hatten, außerordentlich freundlich war –
abgelehnt worden. Die Ablehnungsgründe sind in außer-
ordentlich freundlicher Weise vorgetragen worden. Auch
wir haben uns jede unverschämte Bemerkung gespart.

Die Ablehnung sollte uns daran hindern, auch etwas
zur Monopolkommission zu sagen. Ich sage Ihnen jedoch:
Wir lassen uns nicht daran hindern, wir sprechen sowohl
zum Wettbewerbsrecht als auch zur Monopolkommis-
sion. Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen dazu ma-
chen.

Erstens. Die Monopolkommission hat einen Bericht
für die Jahre 1998 bis 1999 vorgelegt. Das war also noch
in der jungfräulichen Zeit der jetzigen Regierung. Ich be-
fürchte, dass dies, bei aller Kritik, ein noch einigermaßen
freundlicher Monopolbericht war. Der Nächste wird
fürchterlich; denn die Hauptsünden gegen den Wettbe-
werb und die Liberalisierung sind erst in den Jahren 1999,
2000 und 2001 begangen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun zum wesentlichen Inhalt: Die Monopolkommis-
sion – kein Gremium, das die CDU/CSU eingerichtet hat
oder das von ihr beherrscht würde, sondern es entstammt

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Ruth Fuchs

19109


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handverlesen Ihrer Verantwortung – beklagt, die Unab-
hängigkeit der Regulierungsbehörde für Post und Tele-
kommunikation sei bedroht. Sie hat Recht. Wir haben
heute Nachmittag eine Debatte dazu gehabt und teilen
diese Sorge. Wir lehnen wie die Monopolkommission die
zwischenzeitlich erfolgte Verlängerung der Exklusivli-
zenz der Deutschen Post für die Briefbeförderung ab – ein
Schlag gegen den Wettbewerb, ein Schlag gegen die In-
vestoren. Diese hatten sich in diesem Feld engagiert und
darauf gebaut, dass die Fristen eingehalten werden. Am
Ende jedoch wird nicht der Kleine geschützt, sondern den
Großen das Monopol verlängert. – Eine sehr ärgerliche
und für viele existenzvernichtende Entscheidung.

Wir haben ernste Bedenken bezüglich der Politik ge-
genüber der Deutschen Telekom. Nicht die Exmono-
polisten, sondern die Verbraucher und die potenziellen
Mitbewerber brauchen die Unterstützung der Wettbe-
werbspolitik. Ich weiß nicht, ob der Finanzminister ge-
genüber der Telekom etwas gutmachen will, weil er diese
Branche bei den UMTS-Lizenzen zu Summen getrieben
hat, die von den Preisen her am Ende nicht bezahlbar ist.
Wir werden es erleben. Es gibt mittlerweile interessante
Rechnungen: Der Finanzminister soll infolge von Kurs-
verlusten nach diesen Operationen bei der Telekom
größere Aktienverluste gehabt haben – die Aktien liegen
ja zum großen Teil bei ihm –, als er bei der Versteigerung
an Ertrag erzielt hat. Allein der Kursrückgang bei der Te-
lekom in den letzten Monaten soll sich für ihn auf 52 Mil-
liarden Euro belaufen. Das kommt dabei heraus, wenn
man den Hals nicht voll bekommt und die moderne Tele-
kommunikation – wie in keinem anderen Land der Welt –
durch eine Preisgestaltung, die schon atemberaubend ist,
in ihrer Existenz gefährdet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie kennen doch die Marktentwicklung! Reden sie doch nicht einen solchen Unsinn!)


– Passen Sie einmal auf und halten Sie sich fest. – In kei-
nem Land der Welt wurde die UMTS-Lizenz so verteuert
wie in Deutschland. Sie waren an dieser Stelle wirklich
ein Trittbrettfahrer; denn Sie waren sogar gegen die Libe-
ralisierung der Märkte.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vorsicht mit diesem Begriff heute!)


– Nein, nein. Wir fahren Straßenbahn zusammen. Das ist
gar kein Thema.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich fahre mit Ihnen gerne Schlitten!)


– Ja, ja, Sie werden schon erleben, was Ihnen dabei pas-
siert.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich kann Ihnen nur ganz ruhig sagen: Sie sind Tritt-
brettfahrer dieser Aktion gewesen und haben die Preise
gnadenlos ausgereizt.

Wenn Sie die Bevölkerungszahlen, die Marktpoten-
ziale und die Preisgestaltungen bei den UMTS-Lizenzen

europa- und weltweit untersuchen, stellen Sie fest, dass
der deutsche Preis um einen Faktor x höher liegt als in
anderen Ländern.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es gibt immer einen, der fordert, und einen, der bezahlt! – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Ist der Faktor x größer oder kleiner als eins?)


– Es waren ja zum Teil auch die von Ihnen geschützten
Monopolunternehmen, die glaubten, sie könnten das be-
zahlen. Nun sind sie in den Brunnen gefallen und Sie ver-
längern ihr Monopol, damit der Schaden nicht ganz so
groß wird. So ähnlich läuft das.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Darüber hinaus ist aber auch – das mahnt die Kom-
mission an – eine institutionelle Wettbewerbspolitik aus
einem Guss und keine weitere Sektoralisierung erforder-
lich. Wir haben eine Reihe von Anträgen eingebracht, wo-
nach die Anzahl der Regulierungsbehörden begrenzt ge-
halten werden soll. Wir möchten die Übersicht behalten.
Wir wollen nicht bei der Bahn, der Bundeswehr, der Tele-
kom, der Post und ich weiß nicht, wo überall noch, eine
Regulierungsbehörde haben. Alles, was reguliert werden
muss, gehört unserer Meinung nach ganz konsequent, zu-
verlässig und berechenbar in die Zuständigkeit des Kar-
tellamtes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es drohen Regulierungen bei Strom und Gas. Überall,
wo man hinschaut, sprießen Regulierungsbehörden aus
dem Boden. Das alles ist dem Ministerium unterstellt und
politisch beeinflusst. Wir wollen die Unabhängigkeit des
Kartellamtes nutzen, um faire und verlässliche Rahmen-
und Wettbewerbsbedingungen für all das zu erreichen,
was reguliert werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Einiges muss reguliert werden, da gibt es überhaupt kein
Vertun.

Das Bundeskartellamt ist – wie gesagt – unsere erste
Wahl. Ich bitte Sie herzlich, sich diesem Thema ein wenig
zu nähern. Das gilt, so wie ich es gerade für Gas und
Strom gesagt habe, auch für den diskriminierungsfreien
Zugang zum Schienennetz. In allen Bereichen muss ei-
gentlich derselbe Grundansatz herrschen.

Auf den Energiemärkten gibt es eine große Fehlent-
wicklung: Mit der Liberalisierung des Energiemarktes
haben wir für den Standort Deutschland einen Vorteil von
etwa 30 Milliarden DM pro Jahr erwirtschaftet. Das war
mehr, als wir uns über die jahrlang diskutierten Steuerre-
formen vorgenommen hatten. Von diesem Standortvorteil
in Höhe von 30 Milliarden DM, der Deutschland un-
glaublich gut bekommen ist, wurden mittlerweile etwa
zwei Drittel durch künstliche und politisch bedingte
Preiserhöhungen auf den Energiemärkten wieder ver-
braucht,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Leider!)


als wäre das Ganze nur ein Schelmenspiel gewesen. Sie
handeln nach der Methode: In Deutschland muss die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Hartmut Schauerte

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Energie verteuert werden. Das ist der falsche Ansatz. Wer
hohe Löhne zahlen will, kann nicht auch noch hohe Preise
haben. Das ist der richtige Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir als Union haben die Abschaffung von Rabattgesetz
und Zugabeverordnung immer begrüßt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nie gemacht!)


Wir haben dies allerdings mit der klaren Aufforderung
verbunden, ein europäisches Kartellrecht ein europä-
isches Lauterkeitsrecht, auf den Weg zu bringen. Nichts
ist geschehen.

Der Herr Müller kommt nun einmal aus einem Bereich,
in dem er nie Erfahrungen mit dem Wettbewerb gemacht
hat; er hatte immer nur mit Großkonzernen und Monopo-
len zu tun. Wir haben ihm schon ein wenig beigebracht, es
wird aber nicht reichen. Es klappt nicht, er kapiert es
nicht.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sehen die genauso!)


Er lässt es laufen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Überschätzen Sie sich nicht, Herr Schauerte!)


Er ist wirklich so wettbewerbsfaul, wie es noch nie ein
Wirtschaftsminister in der Bundesrepublik Deutschland
war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da wird selbst h)


– So ist es, deswegen leisten ihm in Berlin sehr wahr-
scheinlich eine Menge Leute Abbitte. Sie sagen, nachdem
sie jetzt Müller kennen gelernt haben, dass der Rexrodt so
schlecht gar nicht gewesen sein kann. Das wird sehr wahr-
scheinlich zum Erfolg für die Berliner FDP führen. Der tut
mir ein bisschen, aber nur ein bisschen, weh.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt haben Sie Herrn Zöller aber nur bedingt gerettet!)


Ich komme zum europäischen Kartellrechtsverfah-
ren. Wir sind uns in den Zielen einig, in ihnen lassen wir
uns von niemandem überbieten. Wir sind einvernehmlich
der Meinung, dass ein hoher Wettbewerbs- und Verbrau-
cherschutz, eine hohe Rechtssicherheit und eine hohe
Rechtskohärenz für die Unternehmen gelten müssen. Die
Innovation, die Wettbewerbsfähigkeit und der Standort
Deutschland müssen gestärkt werden. Die dezentralen
wirtschaftlichen Strukturen dürfen nicht benachteiligt
werden. Bei all dem gibt es überhaupt kein Vertun. Die
Frage ist, was zielführend ist, um dahin zu kommen.

Wir sind der Meinung, dass wir auch wegen der Ost-
erweiterung der Europäischen Union an dem bisherigen
System der europäischen Wettbewerbsbehörde nicht fest-
halten können. Wir folgen ihr in dem Reformansatz, die
Legalausnahme zu ändern. Wir sind auch bereit, die Sank-
tionen gegen Verstöße zu verschärfen; damit haben wir
kein Problem. Aber heute werden nicht einmal 20 Prozent

der Anmeldungen bei der europäischen Wettbewerbs-
behörde auch nur bearbeitet. Was soll es dann? Wenn in
weniger als 20 Prozent aller Fälle eine Bearbeitung er-
folgt, dann bedeutet dies ein Festhalten an der kritisierten
Praxis. Ich weiß nicht, was man dort bezweckt. Will man
Datenfriedhöfe sammeln, in denen man lustlos herum-
stochern kann? Dabei kommt nichts heraus. Mir ist viel
wichtiger, dass diejenigen, die Probleme haben, einen An-
spruch auf eine Rechtsauskunft bekommen, damit sie er-
fahren, ob ihr Vorgehen rechtmäßig oder rechtswidrig ist.
Das ist zielgerichtet; alles andere ist ein falscher Weg.

Lassen Sie mich noch kurz ein paar andere Dinge an-
sprechen, zum einen den FDP-Antrag, das Kartellamt
personell zu stärken.


(Gudrun Kopp [FDP]: Dem können Sie wohl zustimmen!)


– Wir haben im Ausschuss einen Antrag gestellt. Sie
haben mit uns zusammen für diesen Antrag gekämpft. Er
ist im Ausschuss abgelehnt worden. Nun haben Sie einen
ähnlichen Antrag im Plenum gestellt.

Wir wollten 40 neue Stellen für das Kartellamt und ha-
ben sogar exakt beschrieben, welche Stellen wir für wich-
tig halten. Ich kann nur hoffen, dass Sie den Wettbewerb
ernst nehmen, lieber Herr Kollege Jens, und dann auch für
eine Personalverstärkung sorgen werden. Wir haben dem
Kartellamt etliche neue Aufgaben übertragen, und wir
wollen, dass der Wettbewerb schärfer kontrolliert wird
und Verstöße klarer geahndet werden. Außerdem verfügt
das Kartellamt noch über den großen Charme, dass es
mehr als rentierlich arbeitet, wenn es Bußgelder verhängt.
Es hat nur den Fehler, dass die Einnahmen aus den Buß-
geldern bei Eichel landen, während die Kosten für das
Kartellamt beim Wirtschaftsminister Müller bleiben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dass ihn der Eichel ebenfalls bezahlt, wissen Sie doch auch!)


Hier bekommen wir keine Kongruenz hin; aber Sie könn-
ten ein bisschen helfen, indem Sie einfach mit Eichel re-
den. Mit einer Personalverstärkung in der Kartellbehörde
täten Sie dem Gesamthaushalt und auch der Wettbewerbs-
politik etwas Gutes.

Ich wollte heute Abend nicht meine gesamte Redezeit
ausschöpfen und lasse jetzt 20 Sekunden übrig.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419521700
Ich danke Ihnen für
die 18 Sekunden und gebe das Wort dem Kollegen Uwe
Jens, SPD-Fraktion.


Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1419521800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Wir haben hier natürlich schon zu späterer
Stunde diskutiert. Ich fand es sehr nett vom Kollegen
Schauerte, dass er das Haus ein bisschen zum Schmunzeln
gebracht hat. Wir haben es hier heute mit einer trockenen
Materie zu tun, die niemanden vom Stuhl reißt. Gleich-
wohl ist sie sehr wichtig; das ist meine feste Überzeu-
gung. Gerade in unserer Zeit ist sie wichtig, denn wir

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Hartmut Schauerte

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(B)


haben in der gesamten Wirtschaft Probleme mit der Stim-
mungslage. Die Lage insgesamt ist etwas besser als die
Stimmung, die miserabel ist. Um die Stimmung zu ver-
bessern, reicht es aus meiner Sicht nicht aus, wie
Erhard gut zuzureden, sondern es kommt schon darauf an,
dass wir die Marktöffnungs- und Liberalisierungspo-
litik, die wir eingeleitet haben, fortsetzen und Fakten ver-
ändern.

In diesem Zusammenhang danke ich der EU-Kommis-
sion. Sie hat es wirklich verdient, einmal positiv erwähnt
zu werden; das gilt insbesondere für Herrn Monti. Er hat
ebenso wie sein Vorgänger van Miert sehr viel getan, um
bei uns die Märkte in Bewegung zu bringen. Es ist ein
großer Irrtum, zu glauben, man könne etwa durch Kon-
trolle oder durch Bürokratie etwas verändern. Das einzige
Instrument, das zur Änderung beiträgt, ist die Einführung
eines kräftigen Wettbewerbs.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


– Beifall von der falschen Seite.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie brauchen sich nicht zu schämen!)


– Nein, dafür schäme ich mich überhaupt nicht. Wir
Sozialdemokraten haben uns nun wirklich schon immer
massiv für Wettbewerb eingesetzt.


(Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie schon, aber Sie waren in der Minderheit!)


Wir haben 1957 Erhard dabei unterstützt, vernünftige Ge-
setze zu machen, als die CDU/CSU-Fraktion, zum Teil
geleitet durch den Bundesverband der Deutschen Indus-
trie, ihn nicht mehr unterstützt hat. Das geht alles auf die
Sozialdemokraten zurück. Aber das ist eine lange Ge-
schichte. Wenn ich sie erzählte, würde ich meine Redezeit
überziehen. Ich will sie hier also nicht ausbreiten.

Die EU-Politik hat auf den Märkten für Telekommuni-
kation, Postdienstleistungen, Elektrizität und Gas wirk-
lich etwas bewegt. Das ist hervorragend. Die Preise sind
nach unten gegangen; das ist positiv. Gleichwohl bin ich
der Meinung, Herr Kollege Schauerte, wir mussten die
Nachhaltigkeit, die Sustainability, verstärkt vorantreiben.
Das hat natürlich auch ein wenig zur Preissteigerung bei-
getragen, aber das war unvermeidlich.

Auf dem Gasmarkt muss jetzt in der Tat auf nationaler
Ebene etwas passieren. Wir beraten zurzeit noch das Ener-
giewirtschaftsgesetz. Wir brauchen hierfür keine Regulie-
rungsbehörde – das wäre aus meiner Sicht völlig falsch;
das will auch niemand –, sondern das Kartellamt. Dazu
sind zwei Maßnahmen nötig. Wir müssen es zum einen
materiellrechtlich besser ausstatten. Wir brauchen zum
Beispiel eine Ex-ante-Regelung für die Entgeltfestset-
zung, das Verbot einer aufschiebenden Wirkung bei Un-
terlassungsverfügungen und die Umkehr der Beweislast.
Das ist notwendig, um die Kontrolle des Gasmarktes, aber
auch des Elektrizitätsmarktes durch das Kartellamt durch-
führen zu lassen.

Herr Kollege Schauerte, wir brauchen auch keine
40 neuen Posten. Wir brauchen – damit ist Herr Böge völ-

lig einverstanden – unter Umständen nur vier oder fünf
neue Posten, die diese Aufgaben dann übernehmen. Das
reicht völlig aus. In diesem Sinne werden wir auch noch
einmal mit Eichel reden.

Falsch ist es aus meiner Sicht auch, immer darauf zu
verweisen, dass wir unsere Märkte nur öffneten, wenn an-
dere dies auch täten. Das nennt man – ein schrecklicher
Ausdruck – Reziprozitätsklausel. Aber ich bin zutiefst da-
von überzeugt: Wettbewerb per se ist positiv. Davon sind
wir wohl alle überzeugt. Er bringt Dynamik in den Markt,
fördert die Innovationen, bringt Preissenkungen für die
Verbraucher und positive Effekte für kleine und mittlere
Unternehmen. Deshalb scheint es mir sehr sinnvoll zu
sein, wenn wir manchmal mit der Öffnung der Märkte
voranschreiten, ohne darauf zu bestehen, dass andere das
auch tun.

In einem anderen Punkt, zu dem ich mich kurz äußern
möchte und den Herr Kollege Schauerte auch angespro-
chen hat, unterscheiden wir uns elementar von der CDU.
Es geht um das so genannte System der Legalausnahmen.
Die EU-Kommission will in Zukunft bestimmte horizon-
tale Kartelle nicht mehr angemeldet wissen, sondern sie
sollen gewissermaßen per Gesetz sanktioniert werden.
Man kann sie erst einmal praktizieren; ob sie später viel-
leicht als wettbewerbswidrig eingestuft werden, ist eine
zweite Frage.

Dies ist aus meiner Sicht und aus Sicht der Sozialde-
mokraten ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Wenn
jemand dafür kämpfte – wir Sozialdemokraten haben
auch dafür gekämpft –, dass es per se ein Verbot von Kar-
tellen, insbesondere von horizontalen Kartellen, gibt,
dann war es der später in die CDU eingetretene ehemalige
Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard. Er setzte sich
wirklich massiv für ein Kartellverbot per se ein.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ganz neue Erkenntnis!)


Jetzt soll es aufgehoben werden. Herr Schauerte hat ge-
sagt, er sei auch dafür, dass das passiert.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Er muss sich versprochen haben!)


Jetzt wird es erheblich aufgeweicht. Die Monopolkom-
mission ist ganz anderer Ansicht. Wir Sozialdemokraten
sind auch anderer Ansicht.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die CSU auch!)


– Das ist ja schön. Dann macht einmal unter euch aus,
welcher Ansicht ihr denn nun seid.


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich finde, das ist wirklich schlimm. Wenn Ludwig
Erhard davon erfahren könnte, dann würde er sich im
Grabe herumdrehen, und zwar mindestens zweimal, weil
hier das Prinzip, das er erkämpft hat, aufgeweicht wird.
Das ist keine vernünftige Entwicklung. Man muss wirk-
lich sagen: Überlegen Sie sich das noch einmal; das kön-
nen Sie so wirklich nicht gemeint haben.


(Beifall bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Dr. Uwe Jens

19112


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(A)



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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419521900
Herr Kollege Jens,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schauerte?


Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1419522000
Bitte sehr.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419522100
Bitte sehr, Herr
Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1419522200
Sehr verehrter Herr
Kollege Jens, so wie Sie es gesagt haben, habe ich es wirk-
lich nicht gemeint.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das beruhigt uns beide sehr!)


Sind Sie mit mir einer Meinung, dass eine Sache verboten
sein kann, ohne dass man sie vorher anmelden muss? In
der Regel werden Verbotstatbestände nicht anmelde-
pflichtig gemacht. Man hat sie vielmehr zu beachten.
Nach meinen Ausführungen soll das Kartellverbot im
vollen Umfang bestehen bleiben; man muss ein Kartell
nur nicht mehr anmelden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt sind wir wieder einer Meinung!)


Wo ist es denn sonst üblich, dass man etwas anmelden
muss, wenn man dagegen verstoßen will? Das ist eher die
absolute Ausnahme. Ich bin deswegen der Meinung, dass
ich in diesem Punkt richtig liege.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1419522300
Im Kartellrecht gab es nie das,
was Sie dargestellt haben. Herr Kollege Schauerte, es war
schon immer notwendig, dass man diese Kartelle anmel-
det. Erst danach wurden sie genehmigt. Deshalb gab es
– und gibt es immer noch – eine Fülle von Ausnahmebe-
reichen im Gesetz. Kartelle sind aber per se verboten,
wenn sie nicht ordnungsgemäß angemeldet und geneh-
migt worden sind. Das war genau Ludwig Erhards Linie.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Auch Schauerte es!)


Nach Ihren Vorstellungen soll man Kartelle nicht mehr
anmelden müssen. Das heißt im Grunde genommen, dass
sie in allen Wirtschaftszweigen verstärkt praktiziert wer-
den würden. Dann ist man da, wo man in der Weimarer
Republik schon einmal war, nämlich bei einer durchkar-
tellierten Wirtschaft. Das verstößt elementar gegen die
Ansichten von Walter Eucken und Ludwig Erhard. Lassen
Sie sich das gesagt sein.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin auch der Meinung, dass Wettbewerb und Wett-
bewerbspolitik nicht alles sind. Aber sie sind ein ganz
wichtiger Bereich. Wir müssen weiter an der Öffnung der
Märkte arbeiten – nicht nur national und europaweit, son-
dern auch weltweit –, wenn wir etwas für die Verbraucher
und für die breiten Schichten tun wollen. Wir müssen al-
les tun, um Protektionismus zu unterbinden. Wir sollten

mehr tun zur Förderung kleiner und mittlerer Unterneh-
men. Wir sollten vor allem mehr tun für die Förderung
von Innovation und Existenzgründungen.

Schließlich muss die Steuerpolitik auf die Ordnungs-
politik Rücksicht nehmen, indem wir zum Beispiel die
großen Unternehmen nicht stärker begünstigen als die
kleinen und mittleren. Umgekehrt wird eher ein Schuh da-
raus, wenn wir eine marktwirtschaftliche und eine Wett-
bewerbsordnung erhalten wollen. Das wollen wir schließ-
lich alle.

Ich wünsche Ihnen noch einen vergnüglichen Abend.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419522400
Vielen Dank. Das
war, Herr Schauerte, eine Zeitersparnis von zwei Minu-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin
Gudrun Kopp.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Alles Gute zum Geburtstag!)


– Zu Ihrem Geburtstag gratulieren wir Ihnen alle sehr
herzlich und freuen uns, dass Sie diesen Abend mit uns
verbringen.


(Beifall)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1419522500
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Nichts ist schöner, als mit Ihnen
den Geburtstag zu verbringen.


(Heiterkeit)


Wenn wir am Ende der Tagesordnung sind, kann das Fei-
ern losgehen.

Wir sind uns in diesem Plenum darüber einig, dass es
keinen Wettbewerb ohne den Markt gibt und dass es folg-
lich wichtig ist, unser Wettbewerbsrecht – man kann sa-
gen, es ist das Grundgesetz des Wettbewerbs – zu pflegen
und entsprechend zu stärken.

Ich komme von Ludwig Erhard zurück zum nationalen
Wettbewerbsrecht.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sagen Sie bloß nicht, er wäre bei der FDP gewesen!)


– Das könnte heute Abend vielleicht noch passieren. – Es
ist ganz wichtig, dass wir überlegen, wie wir unser Wett-
bewerbsrecht, das auf EU-Ebene und weit darüber hinaus
höchste Anerkennung findet, stärken. Wir können es nicht
durch die derzeit recht schwache Wettbewerbspolitik des
Bundeswirtschaftsministers stärken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Herr Schauerte hat eben schon die Sünden aufgezählt.
Die staatlichen Monopole, die noch am Markt bestehen,
bringen für den Verbraucher natürlich erhebliche Nach-
teile mit sich. Herr Schauerte, Sie haben das Monopol

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001 19113


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutsche Bahn AG genannt. Es ist absolut unverständ-
lich, warum unser Verkehrsminister Bodewig, der am An-
fang noch für eine Trennung von Netz und Betrieb war,
nun plötzlich wieder umgefallen ist und entsprechende
Vorschläge wieder rückgängig macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist sehr tragisch. Ein ähnliches Beispiel hatten wir bei
dem vorherigen Tagesordnungspunkt, als es um die Ver-
längerung des Briefmonopols ging. Es geht aber auch um
Initiativen im Bereich der Wasserwirtschaft und – nicht zu
vergessen – um das Hantieren unseres Bundeswirt-
schaftsministers mit nationalen Energiesockeln. Wir ver-
frühstücken allmählich all die Vorteile, die in der vorigen
Legislaturperiode mit großer Mühe in Form von Liberali-
sierung auf den Weg gebracht wurden. Das ist einfach
traurig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich sprach eingangs davon, dass die Wettbewerbs-
strukturen gestärkt werden müssten. Ein Bundeswirt-
schaftsministerium, das in dieser Legislaturperiode so
viele Kompetenzen abgegeben hat, muss bei einem un-
veränderten Personalstab in der Lage sein, eine Um-
schichtung vorzunehmen. Das wäre sogar kostenneutral,
Kollege Schauerte. Wir haben in unserem Antrag gefor-
dert, 25 Mitarbeiter des höheren Dienstes und 30 Mitar-
beiter des gehobenen Dienstes aus dem Bonner Dienstbe-
reich in das Bundeskartellamt zu transferieren, damit sie
dort die Arbeit erledigen, die vermehrt anfällt. Denn un-
ser Wettbewerbsrecht ist in der Gefahr, ausgehöhlt zu
werden. Es gibt inzwischen in der Tat eine Menge mehr
Aufgaben als bisher. Ein Rumpfministerium, wie es das
Wirtschaftsministerium heute ist, sollte sich mit weniger
Personal bescheiden und einen entsprechenden Beitrag
zur Konsolidierung unseres Wettbewerbsrechts leisten.

27 Sekunden schenke ich Ihnen heute Abend.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419522600
Das ist für das Präsi-
dium ein denkwürdiger Tag. Vielen herzlichen Dank und
noch einen schönen Abend.

Die Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau
Wolf wurde zu Protokoll gegeben, ebenso die Rede der
Kollegin Ulla Lötzer für die PDS1). Damit schließe ich die
Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6634, 14/6300 und 14/5575 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Helga
Kühn-Mengel, Hildegard Wester, Regina

Schmidt-Zadel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Monika
Knoche, Christa Nickels, Irmingard Schewe-
Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Brustkrebs – Mehr Qualität bei Früherken-
nung, Versorgung und Forschung
Für ein Mammographie-Screening nach euro-
päischen Leitlinien
– Drucksache 14/6453 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Helga Kühn-Mengel für die SPD-Fraktion das Wort.


Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1419522700
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Am kommenden Samstag ge-
hen Frauen und auch Männer hier in Berlin auf die Straße,
um für mehr Qualität in der Brustkrebsversorgung zu de-
monstrieren. Frauen wollen eine Qualitätsverbesserung in
diesem Bereich und sie üben zu Recht Druck auf die Ent-
scheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist das jetzt der richtige Zeitpunkt, unseren
Antrag „Brustkrebs“ einzubringen, mit dem wir uns für
mehr Qualität bei Früherkennung, Versorgung und For-
schung und für ein Mammographie-Screening nach euro-
päischen Leitlinien einsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir beginnen mit dem ersten Schritt in der Brustkrebs-
versorgung, der Früherkennung, weil wir schon hier De-
fizite feststellen können; denn trotz der etwa 4 Millionen
Mammographien pro Jahr, größtenteils nicht qualitätsge-
stützt, wurde eines nicht geschafft: die Zahl radikaler
Operationen zu senken, die Zahl der brusterhaltenden zu
erhöhen, die Prognose der betroffenen Frauen zu verbes-
sern und vor allem die Brustkrebssterblichkeit zu redu-
zieren, härtester Faktor für die Effizienz einer Maßnahme.

Die Wurzeln des heute eingebrachten Antrages reichen
in die 13. Legislaturperiode zurück. Bereits damals hat die
SPD einen Antrag zur frauenspezifischen Gesundheitsver-
sorgung eingebracht und auf Defizite in diesem Bereich
hingewiesen. Dieser Antrag wurde – ich muss das an die-
ser Stelle immer in einem kleinen Schlenker erwähnen –


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das müssen Sie nicht, das wollen Sie!)


von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU und FDP, mit der damaligen Mehrheit mit dem
Hinweis darauf abgelehnt, dass Männer und Frauen den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Gudrun Kopp

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1) Anlage 4

gleichen Zugang zum Gesundheitswesen hätten und
Frauen ohnehin älter würden.


(Heiterkeit bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Das ist etwas spektakulär ausgedrückt, ich gebe es zu;
aber die Tendenz war so. Lesen Sie es einfach nach!

Nachdem die Wählerinnen und Wähler uns mit der Re-
gierung beauftragt haben, haben wir dieses Thema noch
einmal aufgegriffen und im letzten Jahr einen aktualisier-
ten Antrag eingebracht. Hier wurde schon auf die nötigen
Leistungsverbesserungen in diesem Bereich hingewiesen.
Die Anhörung zum Thema Frauengesundheit, unter ande-
rem Brustkrebs, hat uns bestätigt: Qualitätsverbesserun-
gen bei der Früherkennung, Versorgung und Erforschung
des Brustkrebses sind uns einen eigenen Antrag wert.
Kurz gesagt: 50 Frauenleben am Tag dulden keinen wei-
teren Aufschub.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zahlen sind bekannt. Brustkrebs ist die häufigste
Krebserkrankung bei Frauen. Jedes Jahr erkranken etwa
47 000 Frauen neu. 1999 starben 17 600 Frauen, etwa
38 Prozent der Erkrankten, an Brustkrebs, der bei Frauen
in Deutschland, wie die Sachverständigen uns jetzt darge-
stellt haben, mit fast 310 000 Jahren den größten krebsbe-
dingten Verlust an Lebensjahren verursacht – Zahlen, die
wir uns vergegenwärtigen müssen.

Während sich in Deutschland die bis 1996 stets gestie-
gene Neuerkrankungsrate – hören Sie zu; das fiel in Ihre
Regierungszeit –


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Mehr als zuhören können wir nicht!)


dann stabilisiert hat, hat sich in den letzten Jahren den-
noch die Brustkrebssterblichkeit kaum geändert. In Län-
dern, die ein bevölkerungsweites Screening eingerichtet
haben, zum Beispiel in Großbritannien und in den Nie-
derlanden, sank die Sterblichkeitsrate trotz steigender
Neuerkrankungsrate. Das sind Zahlen, mit denen wir uns
auseinander setzen müssen.

Wenn Sie sich mit Brustkrebs befassen, werden Sie se-
hen, dass es fast überall Defizite gibt. Das reicht von der
Ausbildung der Ärzte und Ärztinnen über die Früherken-
nung, die Ursachenforschung und die Präventionsfor-
schung bis hin zur Nachsorge. Wir beginnen hier mit dem
ersten Baustein in der Versorgungskette und wir weisen
ganz deutlich darauf hin: Mangelhafte Qualität in diesem
Bereich hat nicht nur mit Geld zu tun. Es wird sehr viel
Geld ausgegeben im Bereich des Brustkrebses.

Ich zitiere: Es gibt zu viele radikale Operationen, un-
gezählte Strahlentherapien. Es gibt Unter-, aber auch
Überversorgung bei Chemo- und Hormontherapie. Es
gibt zu viel Diagnostik in der Nachsorge, kein sinnvolles
Zusammenspiel der Versorger in der Palliation. – Das sagt
nicht die deutsche Sozialdemokratie. Das sagt der Präsi-
dent der Deutschen Krebsgesellschaft.

Es fehlen datengestützte Leitlinien in der Behandlung.
Es fehlen überhaupt Daten, auch über das, was vielleicht

gut läuft. Es fehlt Ursachen- und Präventionsforschung;
ich sagte es schon. Es fehlt ein Krebsregister nach Eu-
rostandard. Es fehlt an Transparenz.

Es kann doch nicht wahr sein, dass Bildungsstatus und
Wohnort eine Rolle spielen und Frauen fragen: Wie be-
komme ich Informationen aus erster Hand, nicht unter der
Hand? Wie erfahre ich, wo qualifizierte Ärzte und Ärztin-
nen arbeiten? Wer sagt mir, welche radiologische Praxis
nach europäischen Leitlinien mammographiert? Woher
weiß ich, wenn ich bei mehreren Ärzten war, welche der
unterschiedlichen Diagnosen und Therapien die richtige
ist?

Meine Erfahrung aus Gesprächen mit Onkologen, Wis-
senschaftlern, Wissenschaftlerinnen, Patienten und Ärz-
ten sagt mir eines: Meine Prognose als Krebspatientin
hängt stark vom Wissen, von der Kompetenz, der Erfah-
rung und der Teamfähigkeit der ersten Adresse ab, die ich
anlaufe. So gibt es neben der Krankheit noch weitere Ri-
sikofaktoren, die mit unterschiedlicher Behandlung
– „Behandlungsvarianz“ sagen die Mediziner – und feh-
lender Vernetzung zu tun haben. Ich denke, das kann nicht
sein.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir wollen ein flächendeckendes Mammographie-
Screening nach europäischen Leitlinien, das heißt eine
Art Reihenuntersuchung, von der ich aber dann weiß, dass
sie auf höchstem Qualitätsniveau stattfindet. Das bedeu-
tet: Schon die Technik, die Geräteausstattung ist optimal,
die Assistenz ebenfalls. Die an diesem Vorgang Beteilig-
ten haben eine Zertifizierung. Es gibt eine tägliche Kon-
trolle der Geräte. Es gibt Doppelbefundung. Es gibt ein
Einladesystem. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Diesen Punkt erwähnen wir in unserem Antrag.

Auch die CDU/CSU, die ja einen Antrag zur frauen-
spezifischen Gesundheitsversorgung vorgelegt hatte,
spricht von notwendiger Qualitätsverbesserung. Sie ha-
ben aber eines vergessen, nämlich dass diese sich an den
europäischen Leitlinien auszurichten hat. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt, denn Qualitätsverbesserungen und Zer-
tifizierungen finden jetzt überall statt. Wichtig ist, dass sie
durchsichtig sind und sich an den höchsten europäischen
Standards ausrichten. Das ist es, was wir wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Flankierend gehört dazu eine Brustkrebsregistrierung,
ein Einladungssystem – ich sagte das schon – und vor al-
lem auch eine Erfassung und Aufbereitung der Daten an
neutraler Stelle sowie die Verpflichtung der Krankenkas-
sen, Mammographien, die den europäischen Leitlinien
entsprechen, in den Leistungskatalog aufzunehmen. Die-
sen Prozess wollen wir bis 2003 eingeführt wissen. Dabei
muss auch die Transparenz vorhanden sein, die ich bereits
beschrieben habe. Auch die Einbindung von Selbsthilfe-
potenzialen ist hier natürlich zu erwähnen.

Ich sage es noch einmal – weil immer wieder auch
nach den Kosten gefragt wird –: Es wird sehr viel Geld
im System bewegt. Ich erwähnte die große Zahl von

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Helga Kühn-Mengel

19115


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Mammographien, verbunden mit einer großen Zahl
falsch-positiver Befunde, die wiederum eine Kette von
weiteren Untersuchungen in Gang setzen, von der Biop-
sie über die Magnetresonanztherapie bis hin zu unnötigen
Operationen, die alle nicht nur mit psychischen Belastun-
gen, sondern vor allem auch mit enormen Kosten für das
System verbunden sind. Eine Zahl, die uns die Sachver-
ständigen genannt haben, ist kaum zu glauben: Von
100 000 nicht notwendigen Operationen ist die Rede. Das
sind zweimal so viele nicht notwendige Operationen wie
Neuerkrankungen pro Jahr; auf drei Operationen kommen
also zwei nicht notwendige. Über die Qualität der dritten
Operation muss man eigentlich auch noch sprechen. Bei
diesem Beispiel versteht man, warum wir die evidenzba-
sierte Medizin fordern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der dritte Band der Sachverständigen zu Über-, Unter-
und Fehlversorgung sagt hier Deutliches – ich sehe schon,
meine Redezeit reicht nicht aus –; das geht von der Dia-
gnostik bis hin zur Nachsorge. Sie sagen aber eben auch,
dass es eine qualitätsgesicherte Früherkennung in
Deutschland praktisch nicht gibt. Sie verweisen auf den
europäischen Kontext. Deutschland liegt weit abgeschla-
gen hinter den Niederlanden, Schweden, Norwegen,
Finnland, Großbritannien und Frankreich. Selbst in einem
chronisch unterfinanzierten System wie in Großbritan-
nien und auch bei einem nicht optimal aufgebauten
Screeningverfahren mit einigen Lücken wurde die Sterb-
lichkeitsrate gesenkt. Das müssen wir doch zur Kenntnis
nehmen.

Die Kosten – das ist schnell festzustellen –, die durch
die Abschaffung des so genannten grauen Screenings, das
wir jetzt haben, und die Einsetzung eines qualitätsge-
sicherten Screenings entstehen, sind angesichts der
Reduzierung der vielen nicht notwendigen operativen
Eingriffe, die sich auf der Grundlage falsch-positiver Be-
funde abspielen, sicherlich gerechtfertigt. Wir haben hier
also ein robustes Potenzial für die Verbesserung der
Versorgungsqualität.

Dann wird immer wieder gefragt: Wo ist der Nutzen für
die einzelne Frau? Dazu gibt es einige kritische Untersu-
chungen. Da sagen wir aber: Wir wissen aus wirklich va-
liden wissenschaftlichen Studien, dass sich die Zahl der
Brustkrebstodesfälle für Frauen zwischen 50 und
70 Jahren, wenn sie am Screening teilnehmen, deutlich re-
duziert, und zwar um 20 bis 30 Prozent; das sind 3 500 pro
Jahr. Es gibt wenige andere Vorsorge- und Screeningpro-
gramme in der Medizin, deren Nutzen so gut belegt ist.
Auch das muss gesagt werden.

Ein Letztes – Frau Präsidentin, ich bin sofort fertig –:
Der Vorwurf, wir nähmen hier der Selbstverwaltung etwas
weg, ist nicht gerechtfertigt. Die Selbstverwaltung hat
sehr lange nichts unternommen. Das, was von ihr jetzt an
Qualitätsverbesserungen entwickelt wird, genügt nicht
den europäischen Standards.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Da werden wir auf mehr Qualität zu drängen haben. Das
Bisherige kann es nicht sein. Wir nehmen hier Verbesse-
rungen für den gesamten onkologischen Bereich vor. Es
geht darum, Frauenleben zu retten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419522800
Jetzt hat die Kollegin
Annette Widmann-Mauz für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1419522900
Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Im Ge-
sundheitswesen finden die Bedürfnisse von Frauen kaum
Beachtung.“ Mit dieser ebenso lapidaren wie profunden
Feststellung des ersten Frauengesundheitsberichts dü-
pierte sich die Bundesregierung jüngst selbst.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber Sie wissen doch sicher, über welchen Zeitraum der Bericht geschrieben worden ist!)


Auch die Anhörung Anfang März hat die Defizite im
Bereich der frauenspezifischen Gesundheitspolitik scho-
nungslos aufgezeigt. Die Sachverständigen waren sich ei-
nig: Die Bundesregierung hat die drängendsten Probleme
nicht angepackt.

Nicht zuletzt der Protestmarsch – im Übrigen gibt es
nicht nur diese Woche einen, es gab im vergangenen Jahr
auch schon einen – hatte konkretes Regierungshandeln
angemahnt. Vor genau einem Jahr haben wir von der
Union den Antrag „Konkrete Gesundheitspolitik für
Frauen“ vorgelegt. Dieser Antrag forderte bereits damals
konkrete Maßnahmen gegen die dringendsten frauenspe-
zifischen Gesundheitsprobleme ein.

Sie legen heute einen Antrag für ein flächendeckendes
Mammographie-Screening für Brustkrebs vor, und das
ist gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Während wir bereits seit einem Jahr – man muss sich das
auf der Zunge zergehen lassen – die flächendeckende qua-
litätsgesicherte Versorgung über ein Screening fordern,
waren Sie bis kurz vor der Sommerpause noch der Mei-
nung, dass die Unterstützung der laufenden Modellversu-
che ausreichend sei.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich erinnere mich noch lebhaft an die Debatte, die wir in
diesem Hause zu diesen Anträgen hatten und mit welcher
Begründung Sie unseren Antrag mit konkreten Umset-
zungsschritten für ein flächendeckendes Mammographie-
Screening abgelehnt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Diese Scheinheiligkeit sollte man verbieten!)


Ich will Ihnen in allem Ernst und in aller Ruhe sagen:
Uns ärgert nicht, dass Sie unseren Antrag abgelehnt haben

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Helga Kühn-Mengel

19116


(C)



(D)



(A)



(B)


und jetzt das Gleiche selbst einbringen. Wir beanspruchen
hier keine Urheberrechte. Sie haben bei uns abgeschrie-
ben, sei’s geschenkt.


(Lachen bei der SPD – Erika Lotz [SPD]: Das darf doch nicht wahr sein!)


Was uns auf die Palme bringt, ist etwas ganz anderes. Ih-
nen sind die Fakten genauso bekannt wie uns; die Zahlen
stehen in Ihrem Antrag auf Seite 1.


(Zurufe von der SPD)


– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so erregen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen wir gar nicht!)


Wir finden es doch gut, dass Sie diesen Antrag einbringen.
Dass meine Argumentation stimmt, lässt sich in den Bun-
destagsdrucksachen nachlesen.

In Ihrem Antrag schreiben Sie: „Jährlich erkranken in
Deutschland etwa 47 000 Frauen an Brustkrebs ...“ Der
Ihnen bekannte Professor Lauterbach hat in der Anhörung
mit aller Sachlichkeit betont – ich darf aus dem Protokoll
der Anhörung zitieren –:

Zwei Jahre bedeuten für die Einführung einer evi-
denzbasierten Maßnahme wie dem Screening bei
Brustkrebs viel. Zwei Jahre bedeuten im Prinzip
8 000 vermeidbare Todesfälle. Das ist es also, worü-
ber wir hier sprechen.

Meine Damen und Herren, wir haben ein Jahr Zeit ver-
loren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sind 4 000!)


Das, worüber wir heute debattieren, hätten wir vor einem
Jahr schon längst beschließen können, ach was, ich sage
sogar: beschließen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Uns brauchen Sie hier nichts vorzumachen. Wir kennen
Ihre parteitaktischen Spielchen zur Genüge. Nicht uns
müssen Sie dies erklären, sondern den betroffenen Frauen
in unserem Land.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dass Sie ein solches Thema auch noch so verhunzen, ist schon ein Hammer!)


Bei Brustkrebs besteht seit langem dringender Hand-
lungsbedarf. Sie haben nicht nur unseren Antrag aus par-
teipolitischen Gründen abgelehnt. Mit Ihrer Haltung haben
Sie zudem den einstimmigen Beschluss der Gesundheits-
ministerkonferenz vom Juni letzten Jahres, die klaren
Aufforderungen der Women’s Health Coalition, der
Brustkrebs-Initiative und der zahlreichen anderen enga-
gierten Gruppen in unserem Land schlichtweg ignoriert.
Dass Sie sich erst jetzt dem Druck beugen und endlich
zur Vernunft kommen, verdient nun wahrlich keinen Ap-
plaus.

Aber – das will ich Ihnen hier auch ganz klar sagen, da-
mit keine Missverständnisse aufkommen –: Ich kritisiere
Sie im Stil, nicht in der Sache. Wissenschaftlich ist es un-

umstritten, dass das Screeningverfahren die derzeit beste
Methode zur Erkennung von Brustkrebs ist.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie doch zu!)


Brustkrebs gehört zu den häufigsten und gefährlichs-
ten Krankheiten bei Frauen. Probleme der Brustkrebs-
früherkennung, Behandlung und Nachsorge begleiten
viele Frauen über mehrere Lebensjahrzehnte hinweg.
Jede achte bis zehnte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens
an Brustkrebs. Mehr als bei jeder anderen Erkrankung be-
darf es einer allgemein verständlichen Information, um
die Frau in den Entscheidungsprozess über Diagnostik
und Therapie einzubinden.

Gerade heute hat mich die Women’s Health Coalition
wieder über eine neue Studie informiert, die in Kürze ver-
öffentlicht wird. Die Beteiligung von Frauen an Krebs-
früherkennungsmaßnahmen ist in der Bundesrepublik
erschreckend niedrig. Teilweise liegt die Beteiligung un-
ter 50 Prozent. Deshalb sage ich klar: Seit wir die Versi-
cherungschipkarte haben, brauchen wir dringend wieder
Anreize, damit Frauen die bereits bestehenden Angebote
wahrnehmen. Jede Frau mehr, die zur Vorsorgeuntersu-
chung geht, bringt uns unseren gesundheitspolitischen
Zielen näher.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Entstehung, Verlauf und Folgen einer Brustkrebser-

krankung erfordern eine langfristige qualitätsgesicherte
ärztliche Begleitung. Dies hat unsere politische Unter-
stützung. Gerade angesichts der vielen falsch-positiven
Befunde ist aber auch die geschulte psychologische Be-
treuung enorm wichtig. Dieser Aspekt fehlt in Ihrem An-
trag allerdings komplett.

Wir müssen ein flächendeckendes, qualitätsgesichertes
und fachübergreifendes Brustkrebsfrüherkennungs-
konzept fördern. Darin sind wir d’accord. Das Problem,
das wir in Deutschland haben, ist die Finanzierung der
Früherkennung. Heute wird die Brustkrebsfrüherkennung
durch Mammographie nur erstattet, wenn ein Verdacht
oder ein besonderes Risiko vorliegen. Das ist widersinnig,
denn die Früherkennung hilft. Sie nutzt und ist wissen-
schaftlich gesichert. Deshalb muss sie auch ohne Vorlie-
gen eines Verdachts oder eines besonderen Risikos durch-
geführt werden. Auch hier sind wir uns einig.

Die europäischen Leitlinien fordern insbesondere
Standards bei der jährlichen Mindestfrequenz von Mam-
mographien und der obligatorischen Doppelbefundung.
Diese sind mit der gegenwärtigen Versorgungsstruktur in
Deutschland nur schwer machbar. Dies hat das Sach-
verständigengutachten belegt. Die Niederlande und
Deutschland sind eben an dieser Stelle nicht von vornhe-
rein vergleichbar. Es ist deshalb wichtig, dass unsere vor-
handenen vertragsärztlichen Kompetenzen und Struktu-
ren in das Mammographie-Screening eingebunden
werden.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!)

Deshalb ist es zu begrüßen, wenn sich die Kassenärztliche
Bundesvereinigung ihrer Verantwortung stellt. Sie hat er-
kannt: Mammographien können nur dann qualitätsge-
sichert durchgeführt werden, wenn eine entsprechende

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Annette Widmann-Mauz

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Prüfung abgelegt und eine regelmäßige Fortbildung zur
Pflicht gemacht wurde.

Ich will jetzt nicht auf jeden einzelnen Punkt Ihres An-
trags eingehen. Dazu werden wir im Ausschuss kommen.
Vielmehr frage ich Sie: Wann können wir damit rechnen,
dass Sie in den anderen Bereichen unseres Antrags end-
lich Konsequenzen folgen lassen? Wir haben konkrete
Maßnahmen nicht allein zur Bekämpfung von Brustkrebs
gefordert. Das war aber unsere erste Forderung. Es gibt
darüber hinaus eine Vielzahl drängender Gesundheitspro-
bleme von Frauen. Ich möchte Ihnen ein paar nennen.

Rund 6 000 Frauen in Deutschland erkranken jährlich
an Gebärmutterhalskrebs. 2 800 Frauen sterben jährlich
sogar daran. Damit nimmt Deutschland in Westeuropa
den drittschlechtesten Rang ein. Weltweit ist diese Krebs-
art mit etwa 500 000 Fällen im Jahr die zweithäufigste
Krebsart bei Frauen. Wenn der Krebs rechtzeitig entdeckt
wird, dann gibt es auch hier sehr gute Heilungschancen.
Wie die Anhörung gezeigt hat, ist die Diagnose über den
herkömmlichen Pap-Abstrichtest hinaus zu verbessern.
Qualitätssteigerung bei der Abstrichentnahme durch Kol-
poskopie, bei der Auswertung und mit neuen Tests zur Er-
kennung des HP-Virus sind ebenfalls dringend notwen-
dig. Wissenschaftlich tut sich auch hier sehr viel. So gibt
es beim HPV-Nachweis neue Erkenntnisse, die wir zur
Zeit der Anhörung noch gar nicht kannten. Es gibt neues
Material. Es wird Zeit, dass wir dies prüfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Weiterhin erkranken in Deutschland über sechs Milli-
onen Menschen an Osteoporose. Das Verhältnis von
Frauen zu Männern liegt bei drei zu eins. Wir brauchen
dringend ein Programm zur Früherkennung, Prophylaxe
und Therapie, um Osteoporosefolgen frühzeitig zu ver-
meiden und nicht erst nach einer Fraktur zu behandeln.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wer hat denn die Prävention abgeschafft?)


Professor Minne hat in der Anhörung den Handlungs-
bedarf auf den Punkt gebracht: Pro Jahr könnten zwischen
60 000 und 70 000 Menschen in Deutschland der Ober-
schenkelhalsbruch erspart werden. Von diesen Menschen
verstarben frühzeitig 20 Prozent. Professor Minne hat
eine Studie mit der Schlussfolgerung vorgelegt, dass eine
Reduktion der Zahl der Frakturen um 50 Prozent möglich
ist. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Sie, SPD
und Grüne, nicht mit einer Silbe auch diese Probleme in
Ihrem Antrag angehen. Wir jedenfalls sehen hier nach wie
vor großen Handlungsbedarf.

Wir haben im Übrigen gefordert, dass die Gesund-
heitserziehung als ein Schwerpunkt ausgebaut wird. Es
ist darauf hinzuwirken, dass es bereits im Rahmen der
schulischen Bildung zu einer intensiven geschlechtsspezi-
fischen Gesundheitserziehung kommt. Auch hier haben
Sie unsere Forderung vor der Sommerpause abgelehnt.

Ich frage Sie: Wann kommt Ihr Antrag zum Gebärmut-
terhalskrebs, zur Osteoporose und zur Gesundheitserzie-
hung? Von mir aus nehmen Sie ruhig wieder unseren An-

trag als Vorlage. Das ist uns egal, wenn wir nur endlich in
der Sache vorankommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419523000
Das Wort hat nun die
Kollegin Monika Knoche für das Bündnis 90/Die Grünen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419523100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Da-
men! Erstmals – meines Wissens; ich glaube, diese Mei-
nung teilen alle – in der Geschichte der Bundesrepublik
wurde am Vorabend des 8. März dieses Jahres das Thema
frauenspezifische Gesundheitsversorgung in einer öf-
fentlichen Anhörung aufgrund eines Antrages der rot-grü-
nen Regierungsfraktionen behandelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In unserem Antrag ist zum Ausdruck gekommen, dass
erstmals eine Gesundheitsministerin und gesundheitspo-
litische Sprecherinnen der Koalitionsfraktionen das
Thema Frauengesundheit zum Qualitätsmerkmal von Ge-
sundheitspolitik erhoben haben. Frauen haben einen An-
spruch auf frauengerechte Gesundheitspolitik und Ge-
sundheitsversorgung.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Seien Sie mal nicht so giftig!)


Der umfassende Antrag, der von uns vorgelegt worden ist,
war bereits lange im Verfahren, bevor Frau Widmann-
Mauz entdeckt hat, dass sich auch die CDU/CSU dazu
äußern sollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Heute kümmern wir uns um ein ganz spezifisches Pro-
blem, dem in den Strukturen der deutschen Gesundheits-
versorgung am hartnäckigsten eine Qualitätsverbesserung
verweigert wurde.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie leider Recht!)


Es handelt sich nicht – ich sage das ausdrücklich; alle, die
den Antrag kennen, wissen das – um eine umfassende Be-
hebung von Problemen der Versorgung und Erkennung,
sogar der Vorsorge, die insgesamt auf dem großen Feld
der Frauengesundheit und des spezifischen Problems des
Brustkrebses zu leisten ist. Unser Antrag konzentriert sich
auf eine sehr wichtige Maßnahme, nämlich auf die
Früherkennung durch Screening für Frauen ab 50 Jahren,
für die – wissenschaftlich erwiesen und in europäischen
Nachbarländern glücklicherweise mit großen Erfolgen er-
probt – ein Zugewinn an Lebensqualität und Gesundheits-
chancen durch eine frühe Erkennung einer nach den
Wechseljahren auftretenden spezifischen Brustkrebser-
krankung erreicht werden kann.

Wir erheben damit nicht den Anspruch, eine Brust-
krebserkennung durch Screening verbessern zu wollen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Annette Widmann-Mauz

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weil das medizinisch nicht richtig wäre. Früherkennung
durch Screening bedeutet für Frauen in dem genannten
Alter einen wirklichen Zugewinn an Lebensqualität.
Screening sollte aber nicht für Frauen, die in jüngeren Jah-
ren an anderen Arten von Brustkrebs erkranken, durch die
Politik ermöglicht werden, weil ihnen das Screening nicht
helfen würde. In diesem Bereich ist die ärztliche Aus-
schlussdiagnostik als richtige Maßnahme gefordert.

Mit unserem Antrag erreichen wir zugleich, dass die
Maßnahmen des Mammographie-Screenings als Früher-
kennungsmaßnahme einen neuen Leistungsbereich mit
einem eigenen Anspruch für Frauen in diesem Alter eröff-
nen und dass darüber hinaus in qualifizierten Zentren
Screening durchgeführt wird sowie Mammographie-Be-
wertungen gemacht werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das können auch Fachärzte sein! Das müssen keine Zentren sein!)


Dadurch werden auch Frauen, die in jüngeren Jahren auf
Verdacht eine Mammographie erhalten, eine qualifizierte
Aussage bekommen und es werden Fehldiagnosen ver-
mieden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das große Problem in Deutschland sind falsch-positive
oder falsch-negative Diagnosen, weil die Testungen bzw.
Untersuchungen in Praxen durchgeführt werden, die die
Qualitätsstandards nicht gewährleisten können. Unsere
Maßnahmen führen zu keiner Ausuferung. Wir gehen mit
einer großen Verantwortung an dieses sehr komplexe
Thema. Wir wollen dort einen Regelleistungsanspruch
auf Früherkennung und dort qualifizierte Screening-Maß-
nahmen einführen, wo Frauen tatsächlich einen Zugewinn
haben. Wir wollen – das ist das Surplus –, dass die Mam-
mographie-Testung in Deutschland einen höheren Stan-
dard erreicht, weil es wichtig ist, dass die Therapie rich-
tig, zeitnah und qualifiziert durchgeführt wird. Das ist ein
Gewinn auch für andere Frauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Screening ist keine Vorsorgemaßnahme. Screening ist
eine Früherkennungsmaßnahme für die Frauen, die die
entsprechende Indikation haben. Nicht mehr und nicht
weniger! Wenn es uns gelingt, Screening als Früherken-
nungsmaßnahme zu etablieren, dann haben wir ein enor-
mes frauenspezifisches Qualitätsdefizit im Gesundheits-
wesen behoben. Dem sollten eigentlich alle in diesem
Hause zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie des Abg. HansMichael Goldmann [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419523200
Nun hat der Kollege
Detlef Parr für die FDP-Fraktion das Wort.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1419523300
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich weiß nicht, warum wir die Diskussion
über die Mammographie heute Abend so verbissen
führen. Das ist keine Angelegenheit für parteipolitische
Auseinandersetzungen.


(Beifall im ganzen Hause)


Die aktuelle Zahl der Brustkrebsneuerkrankungen und
die Zahl der Todesfälle in Deutschland sind und bleiben
erschreckend. Jahrelang haben sich die Verantwortlichen
um die bei Frauen am häufigsten vorkommende Krebsto-
desursache zu wenig gekümmert. Das sage ich auch in
Richtung der Vorgängerregierung.

Ich wohne in Ratingen, 50 Kilometer von der nieder-
ländischen Grenze entfernt. Ich hatte schon 1994, als ich
mich im Bundestag zum ersten Mal mit Brustkrebs be-
schäftigte, kein Verständnis dafür, dass im Vergleich zum
nahen Nachbarland in Deutschland mehr Frauen an Brust-
krebs sterben müssen. Ich habe heute, sieben Jahre später,
erst recht kein Verständnis dafür. Es ist also richtig, end-
lich aufzuwachen und initiativ zu werden. Aber wie das so
ist, wenn man eine Entwicklung verschläft: Einmal wach
geworden, springt man oft auf einen Zug auf, der längst
abgefahren ist.

Verfolgt man die aktuelle wissenschaftliche Diskus-
sion, dann stellt man fest, dass eine Tatsache unbestritten
ist: Nach einem jahrzehntelangen Anstieg und einer kur-
zen Phase der Stagnation ist die Zahl der Fälle, in denen
Frauen an Brustkrebs gestorben sind, in den 90er-Jahren
erkennbar zurückgegangen. Die Sterblichkeitsrate in
Deutschland ist allerdings im Vergleich zu vielen euro-
päischen Nachbarländern noch immer zu hoch. Liegen
wir also richtig, wenn wir uns, wie im vorliegenden An-
trag gefordert, vornehmlich auf das Mammographie-
Screening nach europäischen Leitlinien konzentrieren?

Mein Blick in die Literatur belehrt mich eines Besse-
ren, Frau Kühn-Mengel. Ich möchte Dr. Nikolaus Becker
vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg
zitieren. Er weist überzeugend nach, dass „die Umstände
dieser Trendwende“ – gemeint ist die Senkung der Sterb-
lichkeitsrate – „darauf hindeuten, dass die Ursachen in
erster Linie bei Fortschritten in der Therapie und nur zum
geringeren Teil in Veränderungen bei der Prävalenz von
Risikofaktoren oder der Einführung von Screeningpro-
grammen liegen dürften.“ Demzufolge greift der Antrag
der Regierungsfraktionen – das ist zumindest mein erster
Eindruck – zu kurz. Er führt vielleicht sogar in die Irre.

Die Modellversuche in den Regionen Bremen, Wies-
baden und Weser-Ems sollen „zu einem wertvollen Ge-
winn an Kompetenz und Erfahrung für die Einführung ei-
nes qualitätsgesicherten Screenings in Deutschland“
führen, so steht es in Ihrem Antrag. Das ist richtig. In der
Weser-Ems-Region hat ein solcher Modellversuch soeben
begonnen. In Bremen und Wiesbaden fiel der Startschuss
im Mai 2000. Bei einer Laufzeit von drei Jahren – es ver-
bleibt also ein überschaubarer Restzeitraum – plädiere ich
dafür, den Wert dieser Modellversuche nicht bereits da-
durch zu schmälern, dass man jetzt mit einem zweifel-
haften Schnellschuss Präjudizien schafft.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Monika Knoche

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Die FDP ist zu der Überzeugung gelangt, dass ein Ge-
samtkonzept von Frühuntersuchung und Früherkennung
sowie von Therapie und Nachsorge innerhalb der Regel-
versorgung unser gemeinsames Ziel eher erreichen lässt.
Frau Kühn-Mengel, Sie nennen zwar diese Begriffe in
Ihrem Antrag; aber Sie füllen sie nicht mit Inhalt. Sie kon-
zentrieren sich ausschließlich auf das Mammographie-
Screening. Das ist aus meiner Sicht zu wenig. Die ver-
besserte Versorgung unserer Frauen in Deutschland muss
eher erreicht werden. Der vorliegende Antrag wird ledig-
lich in einem Satz in dem Punkt II.5 dieser aus Sicht der
FDP erfolgversprechenderen Konzeption gerecht.

Wir müssen in diesem Zusammenhang auch die
Qualifizierungsbemühungen der KBV in Sachen Mam-
mographie-Befundung und Röntgentechnik anerkennen.
Die Zusammenarbeit von KBV und den Spitzenverbän-
den der Krankenkassen muss allerdings dringend forciert
werden. Wir dürfen nicht nur über Vorsorge und deren
wachsende Bedeutung reden; wir müssen sie auch zu ei-
ner kassenärztlichen Leistung machen und angemessen
honorieren. Der Leistungskatalog lässt sich zugunsten
dieser Maßnahmen in anderen Bereichen kürzen.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Abschließende Bemerkung: Wichtig für unsere weite-
ren Beratungen ist auch, der Nachsorge bei Krebserkran-
kungen ein größeres Augenmerk zu schenken. Wenn nach
einer Krebsoperation für die Betreuung der Patientin nicht
mehr der Gynäkologe, sondern der Hausarzt zuständig
wird, stellt sich die Frage nach der Qualität der notwendi-
gen psychosomatischen Betreuung.

Die FDP begrüßt die Antragsinitiative. Über deren in-
haltliche Ausgestaltung müssen wir uns im Ausschuss
aber noch eingehend unterhalten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419523400
Nun hat die Kollegin
Petra Bläss für die PDS-Fraktion das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419523500
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die Brustkrebsvorsorge in Deutsch-
land ist mehr als mangelhaft – davon war jetzt schon
mehrfach die Rede –, obwohl jährlich 47 000 Frauen an
Brustkrebs erkranken und 17 000 Frauen an dieser Krebs-
art sterben.

Wir begrüßen es, dass nun endlich ein Antrag vorliegt,
der dieses Problem angeht. Wir unterstützen diese Initia-
tive ausdrücklich.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Druck und das Engagement vieler Gruppen, die
sich für die Verbesserung der Vor- und Nachsorge stark
machen – einige Kolleginnen haben bereits auf die am
Sonnabend stattfindende Demonstration der Brustkrebs-
initiativen hingewiesen –, haben zweifellos dazu beige-

tragen, dass wir dieses Thema im Parlament endlich auch
einmal separat behandeln.


(Beifall bei der PDS)


Ich bedaure allerdings, dass wir es nicht geschafft ha-
ben, schon eher eine interfraktionelle parlamentarische
Initiative vorzulegen, wie es ursprünglich einmal ange-
dacht war. Herr Kollege Parr, ich kann Sie nur unterstüt-
zen: Das Thema eignet sich wirklich nicht für parteipoli-
tische Auseinandersetzungen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, internationale Unter-
suchungen belegen, dass sich die Zahl der Todesfälle
durch Brustkrebs durch qualitätsgesicherte Früherken-
nung erheblich senken lässt. Doch genau hier ist das Pro-
blem. Wir haben in der Bundesrepublik keine angemes-
sene Beratung für Frauen und keine flächendeckenden
Untersuchungen für Frauen im besonders gefährdeten Al-
ter ab 50 Jahren. Dabei fehlt es bekanntlich nicht an Tech-
nik und Ausstattung. Es wird viel untersucht, aber nicht
systematisch und nicht in der nötigen Qualität.

Auch der Sachverständigenrat für die konzertierte Ak-
tion im Gesundheitswesen kommt zu dem Ergebnis, dass
hier ein dringender Investitionsbedarf besteht, um „durch
gezielte Qualitätsmaßnahmen und durch regionale Kom-
petenzbündelung eine leitliniengerechte und qualitativ
hochwertige therapeutische Versorgung von Frauen mit
Brustkrebs zu gewährleisten“.

Wir haben es mit Defiziten in allen Bereichen der Ver-
sorgungskette zu tun: bei Früherkennung, Diagnose, Be-
handlung und Nachsorge. Größtes Defizit ist das Fehlen
eines qualitätsgesicherten Früherkennungsprogramms, ei-
nes Mammographie-Screenings nach europäischen Leitli-
nien. Wie schon gesagt wurde: Deutschland liegt hierbei
nach wie vor weit abgeschlagen hinter Ländern wie den
Niederlanden, Schweden, Norwegen, Finnland, Großbri-
tannien und Frankreich. Deswegen begrüßen wir den vor-
liegenden Antrag der Koalition, mit dem das Screening
flächendeckend eingeführt werden soll.


(Beifall bei der PDS)


Wir unterstützen das Anliegen, die Krankenkassen zu
einem einheitlichen und gemeinsamen flächendeckenden
Screening-Programm zu verpflichten. Wir teilen auch die
Forderungen in dem Antrag nach einem Krebsregister und
externem Qualitätsmonitoring.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Besonders wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist uns darüber hinaus eine bessere Beratung von Frauen.
Ihre Akzeptanz und die Inanspruchnahme der Untersu-
chungen sind meines Erachtens wesentliche Voraus-
setzungen dafür, die Zahl der Erkrankungen tatsächlich zu
senken.

Wir müssen die Aufmerksamkeit auf die Ursachenfor-
schung und auf die Forschung auf dem Gebiet der Primär-
prävention lenken; denn seit Jahren stellen wir eine Zu-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Detlef Parr

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nahme von Brustkrebserkrankungen fest und wissen noch
immer relativ wenig über die Ursachen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass wir
im Laufe der Beratungen noch zu einigen konkreten Vor-
schlägen kommen, wie die Forschung unterstützt und
ganz konkret weitergeführt werden kann.

Danke.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Detlef Parr [FDP]: Richtig! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: So ist es!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1419523600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6453 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Ursula Burchardt, Brigitte
Adler, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Hermann, Franziska Eichstädt-Bohlig,
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nationale Nachhaltigkeitsstrategie
– Drucksachen 14/4606, 14/6031 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Burchardt
Dr. Christian Ruck
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben worden.1) Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6031 zu
dem Antrag der Fraktion der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen zu einer nationalen Nachhaltigkeits-
strategie. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/4606 anzunehmen. Wer ist für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gegen die Stimmen von CDU/CSU und bei Enthaltung
der PDS ist der Antrag angenommen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir haben dagegengestimmt!)


– Trotzdem ist die Mehrheit vorhanden.


(Walter Hirche [FDP]: Wir konnten es nicht verhindern!)


– Das ist so.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Uwe
Hiksch, Eva Bulling-Schröter, Gerhard Jüttemann,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung der Handwerksordnung
– Drucksache 14/6791 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Protokoll
gegeben worden.2) Deshalb schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/6791 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse sowie darüber hinaus an den Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technologiefolgenab-
schätzung vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bodo

Seidenthal, Klaus Barthel (Starnberg), Hans-
Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard Loske, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
6. Forschungsrahmenprogramm 2002 bis
2006 (6. FRP) Europäische Forschung stär-
ken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP:
6. Forschungsrahmenprogramm 2002 bis
2006 transparenter und unbürokratischer
gestalten – KMU besser einbeziehen –
Europäische Energieforschung weiter aus-
bauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, Ilse
Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Mit dem 6. EU-Forschungsrahmenpro-
gramm 2002 bis 2006 den europäischen
Forschungsraum stärken

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Vorschlag für einen Beschluss des Europä-
ischen Parlaments und des Rates über das

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Oktober 2001

Petra Bläss

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1) Anlage 5 2) Anlage 6

mehrjährige Rahmenprogramm 2002 bis
2006 der Europäischen Gemeinschaft im
Bereich der Forschung, technologischen
Entwicklung und Demonstration als Bei-
trag zur Verwirklichung des europäischen
Forschungsraums
Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über das mehrjährige Rahmenprogramm
2002 bis 2006 der Europäischen Atomge-
meinschaft (EURATOM) im Bereich der
Forschung und Ausbildung als Beitrag zur
Verwirklichung des europäischen For-
schungsraums

(2001 94 endg.; Ratsdok. 06921/01 (Drucksachen 14/6541, 14/6549, 14/6948, 14/6026 Nr. 2.28, 14/7173)

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Bodo Seidenthal
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Hans-Josef Fell
Angela Marquardt

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben worden.1) Deshalb schließe ich die Ausspra-
che.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/7173. Un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Aus-
schuss, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung über einen Vorschlag für ein 6. europäisches
Forschungsrahmenprogramm 2002 bis 2006, Ratsdoku-
ment 06921/01, den Antrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6541
mit dem Titel „6. Forschungsrahmenprogramm 2002 bis
2006 – Europäische Forschung stärken“ anzunehmen.
Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den
bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
und bei Enthaltung der PDS ist die Beschlussempfehlung
angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss, den Antrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 14/6549 mit dem Titel „6. Forschungsprogramm
2002 bis 2006 transparenter und unbürokratischer gestal-
ten – KMU besser einbeziehen – Europäische Energiefor-

schung weiter ausbauen“ in Kenntnis der genannten Un-
terrichtung durch die Bundesregierung abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/6948 mit dem Titel „Mit
dem 6. EU-Forschungsrahmenprogramm 2002 bis 2006
den europäischen Forschungsraum stärken“ in Kenntnis
der genannten Unterrichtung durch die Bundesregierung
abzulehnen.

Wer folgt dieser Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Postumwandlungsgesetzes
– Drucksache 14/7027 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Protokoll
gegeben worden.2) Deshalb schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/7027 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Fe-
derführung abweichend von der Tagesordnung beim
Haushaltsausschuss liegen soll. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 19. Oktober 2001, 9 Uhr,
ein.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Die Sit-
zung ist geschlossen.